Protokoll:
7101

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 7

  • date_rangeSitzungsnummer: 101

  • date_rangeDatum: 20. Mai 1974

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 15:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:20 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 101. Sitzung Bonn, Montag, den 20. Mai 1974 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Götz 6625 A Bestellung des Abg. Dr. Häfele zum Vertreter des Abg. Windelen im Vermittlungsausschuß an Stelle des ausscheidenden Abg. Dr. Heck . . . . . . . . . 6625 A Überweisung von Vorlagen an Ausschüsse 6625 B Amtliche Mitteilungen 6625 C Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Carstens (Fehmarn) (CDU/CSU) 6627 A Wehner (SPD) 6637 A Mischnick (FDP) 6647 A Schmidt, Bundeskanzler . . . . 6655 C Dr. Barzel (CDU/CSU) . . . . . 6658 C Friedrich (SPD) 6666 A Dr. Graf Lambsdorff (FDP) . . . 6669 D Dr. Althammer (CDU/CSU) (Bemerkung nach § 35 GO) . . 6679 C Nächste Sitzung 6679 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 6681* A Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Montag, den 20. Mai 1974 6625 101. Sitzung Bonn, den 20. Mai 1974 Stenographischer Bericht Beginn: 15.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Abelein 20. 5. Dr. Aigner * 22. 5. Dr. Artzinger * 22. 5. Batz 22. 5. Dr. Becher (Pullach) 22. 5. Blumenfeld 21. 5. Brandt 6. 6. Damm 20. 5. Erhard (Bad Schwalbach) 20. 5. Dr. Evers 20. 5. Ferrang 22. 5. Flämig * 21.5. Dr. Freiwald 22. 5. Gerlach (Emsland) * 21. 5. Gewandt 19. 6. Dr. Gölter *** 22. 5. Dr. Götz 20. 5. Dr. Gradl 10. 6. Groß 20. 5. Dr. Haenschke 31. 5. Handlos 22. 5. Jäger (Wangen) 1. 6. Dr. Jahn (Braunschweig) * 22. 5. Kahn-Ackermann *** 21. 5. Kiep 20. 5. Dr. Klepsch *** 22. 5. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments *** Für die Teilnahme an Sitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Lampersbach 25. 5. Lange * 21.5. Lautenschlager 20. 5. Lemmrich *** 22. 5. Lenders 20. 5. Lenzer *** 22. 5. Dr. Lohmar 22. 6. Lücker * 26. 5. Memmel * 22. 5. Dr. Mende *** 21.5. Müller (Mülheim) * 21. 5. Dr. Müller (München) *** 21. 5. Mursch (Soltau-Harburg) * 22. 5. Frau Dr. Orth * 21. 5. Pawelczyk *** 22. 5. Pohlmann 20. 5. Richter *** 22. 5. Dr. Riedl (München) 20. 5. Schlaga *** 22. 5. Schmidt (Kempten) *** 22. 5. Frau Schroeder (Detmold) 20. 5. Schröder (Wilhelminenhof) 20. 5. Dr. Schwencke *** 22. 5. Seefeld * 21. 5. Dr. Slotta 21. 5. Dr. Freiher Spies von Büllesheim 24. 5. Springorum * 21. 5. Dr. Starke (Franken) 23. 5. Vogel (Ennepetal) 22. 5. Dr. Vohrer *** 21. 5. Walkhoff * 22. 5. Frau Dr. Walz * 22. 5. Frau Dr. Wex 20. 5. Wurbs 20. 5. Zeyer 8. 6.
Gesamtes Protokol
Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0710100000
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich habe zunächst die Freude, dem Herrn Abgeordneten Dr. Götz zu seinem 60. Geburtstag die besten Glückwünsche des Hauses auszusprechen.

(Beifall.)

Für den aus dem Gemeinsamen Ausschuß des Bundestages und des Bundesrates nach Art. 77 des Grundgesetzes — Vermittlungsausschuß — ausscheidenden Abgeordneten Dr. Heck schlägt die Fraktion der CDU/CSU den Herrn Abgeordneten Dr. Häfele als Stellvertreter des Herrn Abgeordneten Windelen vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; damit ist der Herr Abgeordnete Dr. Häfele als Stellvertreter des Herrn Abgeordneten Windelen für den Vermittlungsausschuß bestimmt.
Meine Damen und Herren, es liegt Ihnen ferner eine Liste von Vorlagen vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:
Betr.: Bericht des Bundesministers des Innern über die Kosten der Erfüllung der Ansprüche auf Hauptentschädigung für Zonenschäden
Bezug: § 4 des Einundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes
— Drucksache 7/1950 —zuständig: Innenausschuß
Betr.: Bericht der Bundesregierung über die Integration in den Europäischen Gemeinschaften (Berichtszeitraum Oktober 1973 bis März 1974)

— Drucksache 7/2021 —zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Haushaltsausschuß
Betr.: Halbjahresbericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Europarates und der Westeuropäischen Union für die Zeit vom 1. Oktober 1973 bis 31. März 1974
— Drucksache 7/2064 —
zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend)

Verteidigungsausschuß
Betr.: Bericht der Bundesregierung über Auswirkungen des Rentenreformgesetzes vom 16. Oktober 1972 (Rente nach Mindesteinkommen, Flexible Altersgrenze, Öffnung der Rentenversicherung, Bearbeitungsdauer von Rentenanträgen)

Bezug: Beschlüsse des Bundestages vom 20. Dezember 1972, 15. Juni 1973 und vom 4. Februar 1974
— Drucksache 7/2046 —
zuständig: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ich frage, ob sich Widerspruch erhebt. — Das ist nicht der Fall. — Ich stelle fest, daß dem so entsprochen worden ist.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 10. Mai 1974 den nachfolgenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:
Gesetz zu dem Übereinkommen Nr. 126 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 21. Juni 1966 über die Quartierräume an Bord von Fischereifahrzeugen
Gesetz zu dein Übereinkommen Nr. 134 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 30. Oktober 1970 über den Schutz der Seeleute gegen Arbeitsunfälle
Gesetz zu dem Übereinkommen Nr. 133 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 30. Oktober 1970 über die Quartierräume der Besatzung an Bord von Schiffen (zusätzliche Bestimmungen)

Gesetz zu dem Übereinkommen Nr. 92 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 18. Juni 1949 über die Quartierräume der Besatzung an Bord von Schiffen (Neufassung vom Jahre 1949)

Gesetz zu dem Abkommen vom 25. April 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Sozialversicherung von Arbeitnehmern, die in das Gebiet des anderen Staates vorübergehend entsandt werden
Gesetz zur Ausführung des Europäischen Übereinkommens vom 7. Juni 1968 betreffend Auskünfte über ausländisches Recht
Gesetz zu dem Europäischen Übereinkommen vom 7. Juni
1968 betreffend Auskünfte über ausländisches Recht
Gesetz zu dem Vertrag vom 1. Oktober 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über die Rechtshilfe in Strafsachen
Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Errichtung des Bundesamtes für zivilen Bevölkerungsschutz und des Gesetzes über die Erweiterung des Katastrophenschutzes
Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse (Konsulargesetz)

Gesetz zur Regelung besonderer dienstrechtlicher Fragen der
Bediensteten in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Deutschen Demokratischen Republik
Der Bundesrat hat in der gleichen Sitzung beschlossen, hinsichtlich der folgenden Gesetze zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird:
Gesetz über ergänzende Maßnahmen zum Fünften Strafrechtsreformgesetz (Strafrechtsreform-Ergänzungsgesetz — StREG)

Zweites Steueränderungsgesetz 1973 Gesetz über Umweltstatistiken
Zweites Gesetz zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes (2. FStrÄndG)

Fünftes Gesetz zur Reform des Strafrechts (5. StrRG) Gesetz zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters
Seine Schreiben sind als Drucksachen 7/2088, 7/2089, 7/2090, 7/2091, 7/2092, 7/2093 verteilt.
Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat mit Schreiben vom 26. April 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Erhard (Bad Schwalbach), Pfeffermann, Picard, Katzer,



Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Dr. Müller-Hermann, Pfeifer und der Fraktion der CDU/CSU betr. unbesetzte Lehrstellen Im Bereich der Post — Drucksache 7/1903 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/2053 verteilt.
Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat im Einvernehmen mit den Bundesministern des Innern, für Wirtschaft und für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau mit Schreiben vom 26. April 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Kern, Barche, Bäuerle, Esters, Flämig, Dr. Haenschke, Dr. Holtz, Dr. Jens, Konrad, Dr. Lohmar, Müller (Nordenham), Scheffler, Stahl (Kempen), Wuttke, Dr. Hirsch, Hoffie, Frau Schuchardt und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Kernenergie und Kernkraftwerke — Drucksache 7/1896 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/2061 verteilt.
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft und dem Bundesminister der Finanzen mit Schreiben vom 9. Mai 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Vogt, Dr. Blüm, Breidbach, Frau Stommel, Dr. Hupka, Nordlohne, Link und Genossen betr. Auswirkungen des Zigarettenrauchens — Drucksache 7/1442 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/2070 verteilt.
Der Bundesminister der Verteidigung hat mit Schreiben vom 13. Mai 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Zimmermann, Kiechle, Biehle, Gierenstein, Graf Stauffenberg, Handlos, Dr. Wörner, Frau Tübler, Werner, Dr. Marx und Genossen betr. Tätigkeit der „roten Zellen" in der Bundeswehr — Drucksache 7/2029 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/2096 (neu) verteilt.
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit Schreiben vom 14. Mai 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rollmann, Dr. Marx, Josten, Kroll-Schlüter, Frau Stommel, Braun, Dr. Jenninger und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Deutsch-Französisches Jugendwerk — Drucksache 7/2052 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/2119 verteilt.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lenzer, Benz, Engelsberger, Dr. Franz, Hösl, Pfeffermann, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Schröder (Lüneburg), Frau Dr. Walz, Weber (Heidelberg) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Rationalisierung, Kosten- und Erfolgskontrolle im Bundesministerium für Forschung und Technologie — Drucksache 7/1967 — wird als Drucksache 7/2036 (neu) verteilt.
Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat mit Schreiben vom 29. März 1974 unter Bezugnahme auf § 17 Abs. 5 des Postverwaltungsgesetzes den Voranschlag der Deutschen Bundespost für das Rechnungsjahr 1974 übersandt, der im Archiv zur Einsichtnahme ausliegt.
Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 9. Mai 1974 im Nachgang zu seinem Schreiben vom 31. Januar 1974 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Stellenplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1974 übersandt, der im Archiv zur Einsichtnahme ausliegt.
Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 9. Mai 1974 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgenden, bereits verkündeten Vorlagen keine Bedenken erhoben hat:
Verordnung des Rates zur zeitweiligen und teilweisen Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für frische Süßorangen der Tarifstelle ex 08.02 A I a) sowie für Pampelmusen und Grapefruits der Tarifstelle 08.02 D
— Drucksache 7/1755 —
Verordnung des Rates über die Einführung eines Genehmigungsverfahrens für die Einfuhr von Baumwollgarnen aus dritten Ländern in das Vereinigte Königreich
— Drucksache 7/1772 —
Der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 8. Mai 1974 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgenden, bereits verkündeten Vorlagen keine Bedenken erhoben hat:
Verordnung (EWG) des Rates zur Festsetzung der Orientierungspreise für die in Anhang I Abschnitte A und C der Verordnung (EWG) Nr. 2142/70 aufgeführten Fischereierzeugnisse für das Wirtschaftsjahr 1974.
— Drucksache 7/1367 —
Verordnung (EWG) des Rates über die Verwendung des aktiven Veredelungsverkehrs im Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen zwischen den ursprünglichen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und den neuen Mitgliedstaaten sowie zwischen den letztgenannten untereinander während eines bestimmten Zeitraums.
— Drucksache 7/1419 -
Verordnung des Rates zur Verlängerung des Zeitraums für Übergangsmaßnahmen für landwirtschaftliche Erzeugnisse in den neuen Mitgliedstaaten.
— Drucksache 7/1557 —Verordnung (EWG) des Rates zur Festsetzung von Beihilfen an Hopfenerzeuger für die Ernte 1972. Dieser Vorschlag ist mit Schreiben des Herrn Präsidenten der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 10. Dezember 1973 dem Herrn Präsidenten des Rates der Europäischen Gemeinschaften übermittelt worden.
— Drucksache 7/1522 —
Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung einiger Verordnungen über die Finanzierung der Interventionen des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft, Abteilung Garantie.
— Drucksache 7/1639 —
Verordnung des Rates zur Ergänzung der Liste der Waren, die Gegenstand von Maßnahmen privater Lagerhaltung im Rindfleischsektor sein können.
— Drucksache 7/1756 —
Verordnung (EWG) des Rates zur Festsetzung des Beginns des Wirtschaftsjahres 1974/75 für Rindfleisch zur Festsetzung des Beginns des Milchwirtschaftsjahres 1974/75.
— Drucksache 7/1727 —
Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1968/73 und (EWG) Nr. 2737/73 zur Festlegung der im Falle von Störungen auf dem Getreidesektor bzw. auf dem Reissektor anzuwendenden Grundregeln.
— Drucksache 7/1757 —
Entscheidung des Rates zur Verlängerung der Mindestpreisregelung.
— Drucksache 7/1392 — Überweisung von EG-Vorlagen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung des Rates über die Errichtung eines Europäischen Zentrums für Berufsbildung
— Drucksache 7/2038 —
überwiesen an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend), Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Mitteilung an den Rat über die Probleme in der Halbstoff-, Papier- und Pappenerzeugung
— Drucksache 7/2039 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft (federführend), Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung (EWG) des Rates
zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für 30 000 Stück Färsen und Kühe bestimmter Höhenrassen, nicht zum Schlachten, der Tarifstelle ex. 01.02 A II b) 2 des Gemeinsamen Zolltarifs
zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für 5 000 Stück Stiere, Kühe und Färsen bestimmter Höhenrassen, nicht zum Schlachten, der Tarifstelle ex. 01.02 A II b) 2 des Gemeinsamen Zolltarifs
— Drucksache 7/2048 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung (EWG) des Rates über Sondermaßnahmen für Sojabohnen
— Drucksache 7/2072 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung (EWG) des Rates über die Beihilfe für Trockenfutter
— Drucksache 7/2073 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung (EWG) des Rates über die zolltarifliche Behandlung bestimmter Erzeugnisse, die im Jahre 1974 zur Verwendung bei der Instandhaltung und Instandsetzung von Flugzeugen der Typen Mercure und Airbus bestimmt sind
— Drucksache 7/2074 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung (EWG) des Rates zur Verlängerung der Verordnung (EWG) Nr. 1174/68 über die Einführung eines Margentarifsystems im Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten
— Drucksache 7/2075 —
überwiesen an den Ausschuß für Verkehr mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat



Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Richtlinie des Rates zur Bekämpfung der Nelkenwickler — Drucksache 7/2076 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung (EWG) des Rates über die Ausdehnung des mit Verordnung (EWG) Nr. 3590/73 vom 28. Dezember 1973 eröffneten Gemeinschaftszollkontingents für Zeitungsdruckpapier der Tarifstelle 48.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs auf bestimmte Papiere der Tarifstelle 48.01 E
— Drucksache 7/2078 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates über die zolltarifliche Behandlung von Waren, die in das Zollgebiet der Gemeinschaft zurückkehren
— Drucksache 7/2079 —
überwiesen an den Finanzausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Ich rufe nunmehr Punkt I der Tagesordnung auf: Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Dr. Carstens.

Dr. Karl Carstens (CDU):
Rede ID: ID0710100100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Analyse der Regierungserklärung — wir hatten ja nun alle Gelegenheit, uns die Erklärung während der drei verflossenen Tage genauer anzusehen — ergibt, daß sie durch einen grundlegenden Widerspruch gekennzeichnet ist. Auf der einen Seite werden die weitgreifenden Ankündigungen und Versprechungen des früheren Bundeskanzlers Brandt vom Anfang der Legislaturperiode übernommen. Es heißt, daß die Erklärung vom 18. Januar 1973 für die ganze Legislaturperiode Geltung behalten solle. Wenige Sätze später werden jedoch Teile dieses Programms dann ausdrücklich aufgegeben. Jetzt wird plötzlich erklärt — ich zitiere —:
Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche, auf das, was jetzt notwendig ist, und lassen anderes beiseite.
Dieser Widerspruch wird verschärft durch die Aussagen zur Stabilität. Stabilität gilt offensichtlich jetzt nicht mehr als ein „Modewort" — so hörte man es vor gar nicht so langer Zeit aus dem Munde des jetzigen Bundeskanzlers —, nachdem in den letzten Monaten Millionen Wähler mit ihrem Stimmzettel klargemacht haben, daß sie diese leichtfertige und laxe Behandlung des zentralen wirtschaftspolitischen Themas zunehmend für unerträglich halten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der neue Bundeskanzler vertritt jetzt verbal eine andere Auffassung über die Rolle der staatlichen Finanzpolitik in der Konjunkturpolitik als noch vor sechs oder zwölf Monaten. Grundsätzlich ist dies zu begrüßen, und es ist zu begrüßen, wenn die jahrelange Forderung der Opposition nach Steuerentlastung und Begrenzung des Wachstums der Haushalte nunmehr als wesentlicher Beitrag zur Stabilitätspolitik betont wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.) Aber es fehlt in der Regierungserklärung an jedem konkreten Programm, wie eine geringere Zunahme der Staatsausgaben erzielt werden soll.

Der Bundeskanzler meint, unsere wirtschaftliche Lage sei gut. Wenn wir nur eine 7,1 %ige Inflationsrate hätten, so sei dies ein beachtlicher Erfolg. Indessen machen es sich hier der Bundeskanzler und die Bundesregierung zu leicht. Wir müssen von der wirtschaftlichen Lage in unserem Lande ein deutlicheres Bild zeichnen.
Die Inflation hat in Wahrheit dazu geführt, daß seit dem Bestehen der SPD/FDP-Regierung sozialer Wohnungsbau und Eigentumsbildung breiter Schichten unserer Bevölkerung rückläufig geworden sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Spareinlagen unterliegen einem schweren Substanzverlust. Allein in diesem Jahr beträgt der Verlust, den 30 Millionen deutsche Sparer erleiden, zwischen 40 und 50 Milliarden DM. Unsere bäuerlichen Betriebe stehen in einem harten Existenzkampf, ausgelöst durch einen unerträglichen inflationsbedingten Kostendruck, den es zu keiner Zeit der von CDU und CSU getragenen Bundesregierung gegeben hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Lage vieler unserer mittelständischen Betriebe, die das Rückgrat unserer sozialen und marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung sind, ist bedrohlich. Wir wissen alle: Mut und Ansporn erlahmen bei vielen von ihnen, sich dem Risiko des selbständig Tätigen auszusetzen. Die Inflation hat dazu geführt, daß neue soziale Randgruppen entstanden sind, wozu die Sparer, die Lastenausgleichsempfänger gehören. Ich nenne ausdrücklich die Lastenausgleichsempfänger; bei einem Teil von ihnen liegt die Rente, die sie beziehen, unter dem Existenzminimum. Es gehören die Rentner und kinderreichen Familien dazu, denen der seit 1949 mühsam errungene soziale Besitzstand langsam wieder entzogen wird. Wir registrieren zur Zeit 550 000 Arbeitslose; das sind 2,4 %. Das ist ein höherer Arbeitslosenanteil als in dem sogenannten Krisenjahr 1967.

(Abg. Rawe: Hört! Hört!)

220 000 Arbeitnehmer leisten Kurzarbeit. In einigen großen Bereichen der Wirtschaft — der Automobilindustrie und der Bauindustrie — hat sich die Lage krisenhaft zugespitzt. Dadurch sind weitere Arbeitsplätze in Gefahr.
Wenn die CDU/CSU diese Dinge ausspricht, Herr Bundeskanzler, so macht sie keine Panik und schürt nicht Angst, sondern sie nennt die Dinge beim Namen, wie es die Pflicht der Opposition ist.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Schutzbehauptung der Bundesregierung, die Bundesrepublik Deutschland bilde das Schlußlicht in der Reihe der übrigen europäischen und westlichen Länder in ihrer Inflationsrate, zieht in Wahrheit nicht, denn schon immer, auch in den Jahren 1949 bis 1969, als CDU und CSU in diesem Land regierten, stand die Bundesrepublik Deutschland am Ende der Statistik der Preissteigerungsraten.

(Widerspruch bei der SPD.)




Dr. Carstens (Fehmarn)

1969 übernahm die Regierung Brandt ein Land, welches sich in einem geordneten wirtschaftspolitischen Zustand befand.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Arbeitslosenquote betrug 0,8 %, der Zuwachs des realen Bruttosozialprodukts lag bei 8 % und die Preissteigerungsrate bei 2,8 %. In fünf Jahren hat sich diese Lage grundlegend zum Schlechteren verändert. Hier hilft es nichts, daß der Bundeskanzler Zeitungen zitiert, in denen ihm bescheinigt wird, daß unser Land das Schlußlicht in der Reihe der inflationsgeschädigten Länder ausmacht. Besser wäre es gewesen, wenn der Bundeskanzler das Gutachten der fünf wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute vom 4. April dieses Jahres zitiert hätte. Dort heißt es — ich möchte zwei der Sätze, die dort stehen, wiedergeben —:
Von den vier im Stabilitätsgesetz genannten Zielen ist die Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik zur Zeit weiter entfernt denn je.
Und dann folgt der Satz:
Die abzusehende Entwicklung läßt wenig Hoffnung, daß sich noch in diesem Jahr an dieser kompletten Fehlentwicklung Grundlegendes ändert.
Meine Damen und Herren, ein vernichtenderes Urteil über die Wirtschaftspolitik aller Bundesregierungen haben die fünf Institute seit ihrem Bestehen noch nicht gefällt!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Bundeskanzler verschweigt auch den Anteil seiner persönlichen Verantwortung an dieser Entwicklung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die ständige Aufblähung der öffentlichen Haushalte, insbesondere des Bundeshaushalts, hat inflatorische Wirkungen gehabt und hat sie noch. Für das Jahr 1974 rechnen wir bekanntlich mit einer Steigerung des realen Bruttosozialprodukts von 2,5 %, während der Bundeshaushalt um 13 % steigt. Die Differenz ist der Beitrag, den die Bundesregierung zur Inflation leistet.

(Hört! Hört! und Beifall bei der CDU/CSU.)

Besonders stark angestiegen sind die Personalhaushalte in der Bundesverwaltung. Zwischen 1969 und 1974 hat sich die Zahl der Beamtenstellen in der Bundesverwaltung um 12 000, das sind 12 %, vermehrt,

(Hört-Hört-Rufe bei der CDU/CSU)

eine Entwicklung, die wir nicht nur wegen ihrer inflationsfördernden Wirkungen beklagen, sondern auch deswegen, weil darin ein typisches Kennzeichen der sogenannten sozialliberalen Politik zum Ausdruck kommt, nämlich die zunehmende Verstaatlichung, Verbürokratisierung großer Teile unseres gesellschaftlichen Lebens.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Eine besondere Verantwortung trägt der jetzige Bundeskanzler und frühere Bundesfinanzminister für die inflatorische Entwicklung in unserem Lande dadurch, daß er die Anträge der CDU/CSU-Opposition auf Abbau der inflationsbedingten Steuererhöhungen im Laufe der letzten zehn Monate dreimal abgelehnt hat. Damit ist eine einzigartige Chance vertan worden, für das Jahr 1973 und erst recht für das Jahr 1974 eine dämpfende Wirkung auf die Inflation zu entfalten.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Katzer: Leider wahr!)

Und selbst in seiner jetzigen Regierungserklärung zieht der Bundeskanzler keine unmittelbaren Konsequenzen, um dem Ziel der Wiedererlangung von mehr Preisstabilität näherzukommen. Offenbar will er den Haushalt 1974 unverändert durchziehen, und offenbar weist er die Vorschläge der Opposition auf Senkung der inflationsbedingten Steuererhöhungen wiederum zurück. Die CDU/CSU hält an dieser Forderung nach Senkung der inflationsbedingten Steuererhöhungen ausdrücklich fest und wird entsprechende Anträge erneut stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Zur Wiedererlangung der Stabilität beschränkt sich die Regierungserklärung weitgehend auf Appelle; auf Appelle an andere, die Länder,

(Abg. Leicht: Sehr gut!)

den Bundesrat, die Tarifpartner, die EWG-Partner, das Ausland allgemein, anstatt zu sagen und zu zeigen, was die Bundesregierung selbst tun wird. Statt dessen wirft der Bundeskanzler der Opposition vor, sie erhebe gleichzeitig Forderungen nach Steuersenkungen und Haushaltsmehrausgaben und stelle dadurch die Leistungsfähigkeit des Staates in Frage.

(Demonstrativer Beifall bei den Regierungsparteien.)

— Sie haben am Freitag schon bei diesem Satz geklatscht, meine Damen und Herren. Sie können es dabei bewenden lassen. —

(Beifall bei der CDU/CSU.) Dieser Vorwurf ist unberechtigt,


(Lachen bei der SPD)

und ich erkläre hier namens der CDU/CSU ausdrücklich das folgende.

(Abg. Schulte [Unna] : Warum so feierlich?)

— Jawohl, das ist feierlich. Das soll sich Ihnen etwas einprägen, Herr Kollege Schulte. —

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Erstens. Es ist Sache der Bundesregierung, für eine stabilitätsgerechte Finanz- und Haushaltspolitik zu sorgen. Dieser ihrer Verantwortung kann sich die Bundesregierung nicht dadurch entziehen, daß sie die Opposition kritisiert.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Auch in ihrer jetzigen Regierungserklärung erfüllt die Bundesregierung diese ihre zentrale Aufgabe wiederum nicht. Sie formuliert in allgemeiner Form Erkenntnisse über die stabilitätsgerechte Gestaltung der Finanzpolitik, insbesondere der öffentli-



Dr. Carstens (Fehmarn)

chen Ausgaben, füllt sie aber wiederum nicht mit Inhalt aus.
Zweitens. Sobald die Regierung ein ernsthaftes, konkretes Konzept zur Wiedergewinnung von Stabilität, insbesondere in der Haushalts-, Finanz- und Steuerpolitik, vorlegt, wird die CDU/CSU, wie sie schon früher erklärt hat, auch ihrerseits bereit sein, im Rahmen ihrer eigenen Zielvorstellungen an der Wiedergewinnung von mehr Stabilität mitzuwirken. Für uns hat Preisstabilität und Geldwertstabilität erste Priorität. Sie ist die unverzichtbare Grundlage nicht nur für die Sicherung der Arbeitsplätze, sondern auch für solides Wachstum und sozialen Fortschritt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Drittens. Unter der Voraussetzung, daß die Bundesregierung ein eigenes konkretes Programm vorlegt, wird die CDU/CSU ihre sachlich begründeten und wohlerwogenen Initiativen im Hinblick auf ihre finanzielle Wirkung und auf den Zeitpunkt ihres Inkrafttretens überprüfen und wird dann auch bereit sein, eigene Anträge zurückzustellen. Im übrigen werden wir bei der Lesung des Haushalts 1974 noch in dieser Woche, wie wir es schon im Vorjahr getan haben, Anträge auf Kürzung dieses Haushalts stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Viertens. Davon unberührt bleibt es unsere Aufgabe und unsere demokratische Pflicht, Zielvorstellungen für Reformen zu entwickeln, die wir für nötig halten, insbesondere im Bereich der Familienpolitik. Die CDU/CSU ist nicht bereit, auf eigene Reformvorstellungen zu verzichten, weil Regierung und Regierungskoalition im Haushalt und in der mittelfristigen Finanzplanung über die Verwendung der Haushaltsmittel nach ihren Vorstellungen entscheiden, die mit den Vorstellungen der CDU/CSU nicht übereinstimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Bundeskanzler nimmt in seiner Regierungserklärung Abschied von einer Reihe von Reformprojekten, mit denen die SPD/FDP-Koalition die Wahlkämpfe von 1969 und 1972 bestritten und mit denen sie erfolgreich versucht hat, Wählerstimmen zu fangen. Um so größer muß die Enttäuschung der Wähler und Bürger sein über das, was sie nunmehr aus dem Munde des neuen Regierungschefs hören.
Das Projekt der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand wird auf unbestimmte Zeit vertagt. Und es bleibt festzustellen, daß bisher die einzige wirklich zu Buch schlagende Leistung auf dem Gebiet der Vermögensbildung das sogenannte 312-Mark-Gesetz der CDU/CSU-Regierung aus dem Jahre 1961 war.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD.)

Der einzige geistige Beitrag, Herr Kollege Ehrenberg, den Sie und Ihre politischen Freunde dazu geleistet haben, bestand darin, daß Sie den Höchstsatz dieses Gesetzes von 312 DM auf 624 DM erhöht haben.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0710100200
Herrr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Ehrenberg?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0710100300
Herr Präsident, ich möchte keine Fragen beantworten. Ich möchte, ebenso wie der Herr Bundeskanzler die Gelegenheit gehabt hat, auch meinerseits die Gelegenheit haben, eine Erklärung für die CDU/CSU-Opposition ohne Fragen abzugeben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Zum Thema Mitbestimmung äußert sich die Regierungserklärung vage. Aus den wenigen Sätzen, die dazu gesagt werden, ist nicht zu entnehmen, wie die neue Regierung die unerledigt gebliebenen Fragen lösen will, die ihr die alte Regierung hinterlassen hat.
Im Bereich der beruflichen Bildung schlägt nun allerdings die neue Regierung neue Töne an. Jetzt plötzlich wird der ausbildenden Wirtschaft bescheinigt, daß von ihr große Leistungen im Interesse der auszubildenden jungen Menschen erbracht worden seien, während sich die Handwerks- und Wirtschaftsbetriebe, die Lehrlinge ausbilden, noch bis vor kurzer Zeit von den Parteifreunden des Bundeskanzlers vorwerfen lassen mußten, daß sie die Lehrlinge ausbeuteten.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

In der beruflichen Bildung steht die Bundesregierung vor einem Scherbenhaufen. Das Bekanntwerden der Pläne, die der letzte Bundesminister für Bildung in seinem Ressort entwickelt hatte, hat sehr negative Wirkungen hervorgerufen. Als Handwerksmeister hörten, daß sie sich künftig einer Prüfung unterziehen sollten, auch wenn sie seit 20 Jahren oder länger erfolgreich Lehrlinge ausgebildet hatten, haben manche von ihnen darauf verzichtet, weitere Lehrlinge einzustellen. Die Vorstellung, daß 3 000 neue Planstellen geschaffen werden sollten, um das Berufsausbildungsprojekt verwaltungsmäßig in die Wirklichkeit umzusetzen, hat auf die breite Öffentlichkeit in unserem Lande erschreckend und alarmierend gewirkt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Folge davon ist, daß die Zahl der Lehrstellen —
ich bedaure dies sehr — radikal zurückgegangen ist.

(Lachen und Zurufe von der SPD.)

— Ich bedaure es in der Tat sehr; ich benutze auch diese Gelegenheit, um an die gewerbliche Wirtschaft zu appellieren, doch noch Lehrlinge einzustellen.
Aber es ist dies, meine Damen und Herren, ein typisches Beispiel der Folgen der sogenannten Reformpolitiker der sozialliberalen Koalition. Sie bestehen nämlich weitgehend darin, daß diejenigen, die von den Reformen beglückt werden sollen, zunächst einmal die Nachteile eines unsinnigen Reformeifers zu spüren bekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das kann man nicht nur an der Berufsausbildung nachweisen, sondern ebenso an den Schulreformpro-



Dr. Carstens (Fehmarn)

jekten, die in einigen sozialdemokratisch geführten Ländern zur Zeit verfolgt werden. Natürlich denke ich besonders an Niedersachsen,

(Lachen bei der SPD)

wo in den letzten Tagen der laufenden Legislaturperiode ein Gesetz, ich muß wohl sagen: durchgepeitscht worden ist, welches die Einführung der integrierten Gesamtschule als Regelschule vorsieht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD.)

Von diesem Gesetz steht schon jetzt fest, daß es nicht Bestand haben wird; denn nicht nur die CDU in Niedersachsen hat sich gegen dieses Gesetz gewandt, sondern zahlreiche sozialdemokratische Lehrer — mit einigen habe ich selbst gesprochen —

(Lachen bei der SPD)

wenden sich auf das entschiedenste gegen dieses Gesetz, von dem sie überzeugt sind, daß es ein unerprobtes Modell zur Regelschule im Lande Niedersachsen machen wird. Die Folge wird sein, daß nach einiger Zeit auch dieses Modell entweder aufgehoben oder modifiziert werden muß.

(Zuruf des Abg. Ronneburger.)

— Ich glaube, die FDP in Niedersachsen ist auch dagegen. Es ist ganz gut, Herr Kollege Ronneburger, daß Sie mich darauf hinweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Eine weitere Folge wird sein, daß in Kürze ein neues, ein stark geändertes Schulmodell in Niedersachsen erlassen werden muß. Dabei geht eine der wichtigsten Aufgaben, welche die Schule zu erfüllen hat, nämlich die Schüler in einem ruhigen, gesicherten, ordnungsmäßigen Verfahren auszubilden, verloren.
Die Steuerreformpläne des Bundesfinanzministers selbst, die von ihm so hochgepriesene Einkommensteuerreform, ist ebenfalls ein Beispiel dafür, daß der übertriebene Reformeifer der sozialliberalen Koalition sich letzten Endes zum Nachteil derer auswirkt, die von ,der Reform beglückt werden sollen. Denn von all den Gründen, die der Finanzminister gegen das steuerliche Entlastungsgesetz der Opposition ins Feld geführt hat, schlug in Wirklichkeit nur ein Grund durch, nämlich der, daß dadurch das große Steuerreformprojekt — wie er es nannte — gefährdet werden könnte.
Nun steht schon jetzt fest, daß das Steuerreformprojekt in der Form, in ,der es der damalige Finanzminister konzipiert hat, nicht verwirklicht werden kann. Unter anderem ist die Inflation darüber hinweggerollt. Aber um dieses Projekt in seinen Augen nicht zu gefährden, hat sich der Finanzminister anderthalb Jahre lang dagegen gesträubt, diejenigen steuerlichen Entlastungen bei den Beziehern kleinerer und mittlerer Einkommen vorzunehmen, die doch nach unser aller Auffassung sachlich geboten sind, weil die Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen in Folge der inflationsbedingten Steuerprogression in einer unsozialen, in einer ungerechtfertigten Weise steuerlich belastet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sehen Sie, meine Damen und Herren, das ist der wesentliche Unterschied zwischen der Reformpolitik der CDU/CSU und der Reformpolitik der SPD/FDP: Unsere Reformvorschläge sind realitätsbezogen.

(Zuruf von der SPD: Welche denn?)

Für unsere Reformvorschläge ist der Gedanke maßgebend, daß sie denen, für die sie bestimmt sind, nämlich den Bürgern unseres Landes, den Arbeitnehmern, den Schülern und Studenten, wirklich Nutzen bringen sollen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das gilt von unserem Mitbestimmungsmodell

(lautes Lachen bei der SPD) — ja, in der Tat —,


(Beifall bei der CDU/CSU)

das gilt von unserem Vermögensbildungsprojekt, und das gilt von unserem Berufsbildungsprojekt.

(Lachen bei den Regierungsparteien.)

Deswegen sollte es niemanden wundern, meine Damen und Herren — und darüber sollten Sie nicht lachen —,

(erneutes Lachen bei der SPD)

daß mehr und mehr junge Arbeiter — im Verhältnis zu denen, die zu den Jungsozialisten gestoßen sind — in den letzten Monaten ihren Beitritt zur Jungen Union erklärt haben.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Denn mehr und mehr junge Arbeiter in diesem Lande — und 'darüber sollten Sie nicht lachen, meine Damen und Herren — haben gut verstanden, daß ihre Interessen bei den Unionsparteien besser aufgehoben sind als bei den systemverändernden Jungsozialisten, deren Sprache niemand versteht

(erneuter lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU)

und deren Ziele, gelinde gesagt, verworren sind.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung den Bundesrat kritisiert. Er hat ihm die abwegige und unsinnige Absicht unterstellt, als wolle er eine Gegenregierung bilden.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Davon ist in der langen Geschichte des Deutschen Bundesrates mit seinen wechselnden Mehrheiten niemals die Rede gewesen, und davon kann nach der verfassungsmäßigen Rolle des Bundesrates, die dieser immer genau beachtet hat, in Wahrheit auch keine Rede sein. Wohl aber bildet der Bundesrat ein von den Verfassungsgebern unseres Grundgesetzes bewußt in unsere Verfassungsordnung eingefügtes politisches Gegengewicht in der Gesetzgebung des Bundes. Als solches haben wir alle ihn zu respektieren, ob uns im einzelnen Fall seine Entscheidungen gut oder weniger gut gefallen. Vor allem aber ist es ein Gebot der Gerechtigkeit, hervorzuheben, daß im Bundesrat und im Vermittlungsverfahren zahlreiche Bundesgesetze, die den



Dr. Carstens (Fehmarn)

Bundestag verlassen hatten, sachlich verbessert worden sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Und nicht ein einziges Bundesgesetz ist — wie der schleswig-holsteinische Ministerpräsident, Dr. Stoltenberg, vor kurzem ausgeführt hat — seit 1970 an dem Einspruch des Bundesrates gescheitert.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Die Regierungserklärung ist nicht nur bemerkenswert durch das, was sie sagt, sie ist vielleicht noch bemerkenswerter durch das, worüber sie sich nicht äußert. Die CDU/CSU vermißt in dieser programmatischen Erklärung jedes Eingehen auf die geistig-politische Auseinandersetzung, die viele Menschen, viele Bürger in unserem Lande tagtäglich zu bestehen haben, nämlich die Auseinandersetzung mit der neomarxistischen Linken.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD: Aha!)

Diese neomarxistische Linke besteht, wie wir wissen, aus einem Teil der Sozialdemokratischen Partei, der sich seinerseits mit kommunistischen Gruppen zu Handlungsgemeinschaften der verschiedensten Art zusammengefunden hat. Das politische Ziel dieser Gruppen ist die Vergesellschaftung der Produktionsmittel, eine zunehmende Verbürokratisierung des gesellschaftlichen Lebens ebenso wie des Lebens der einzelnen Bürger. Und das Mittel, welches zur Erreichung dieses Zieles propagiert wird, ist der Klassenkampf. Einige von ihnen fordern darüber hinaus den Austritt aus der NATO und den Abzug der amerikanischen Streitkräfte aus Europa.
Was ich hier schildere, ist keineswegs ein auf die Jungsozialisten beschränktes Problem. In dem größten Unterbezirksverband der SPD, in Hessen-Süd, und in dem Stadtverband der SPD in München finden sich zahlreiche Anhänger dieser Thesen. Der Chefideologe der SPD und Kultusminister des Landes Niedersachsen, Herr von Oertzen, empfiehlt in seinen „Handreichungen für den Schulunterricht" an niedersächsischen Schulen die Abhaltung eines 13stündigen Propagandakurses für Marxismus. Derselbe Herr von Oertzen hat, wie man sich erinnert, vor einiger Zeit den Versuch gemacht, den belgischen Professor Ernest Mandel an eine Hochschule des Landes Niedersachsen zu berufen, obwohl gegen Professor Mandel ein Einreiseverbot des Bundesinnenministeriums vorliegt, weil nämlich Professor Mandel zu denjenigen kommunistischen Theoretikern gehört, die die Einführung des kommunistischen Systems mit Gewalt befürworten.

(Abg. Dr. Hammans: Hört! Hört!)

Angehörige dieser neomarxistischen Linken sind als „Stoßtrupps" — ich gebrauche hier den Ausdruck, den Herr von Oertzen vor einigen Jahren geprägt hat — in die Lehrerkollegien der Schulen, in die Schülerschaft und in die Studentenschaft eingedrungen, und sie entfalten hier eine rege Aktivität mit dem Ziel, das Bewußtsein der Schüler und der Studenten im Sinne der neomarxistischen Klassenkampftheorie umzufunktionieren. Sie entfalten darüber hinaus einen beachtlichen Terror und haben
bewirkt, daß an vielen Schulen und Hochschulen unseres Landes die Lehrfreiheit und die Meinungsfreiheit eingeschränkt worden sind.

(Abg. Dr. von Bülow: Die Rede haben wir schon mal gehört!)

Gegen diese Erscheinungen hat sich in den letzten Monaten, vielleicht im letzten Jahr ein zunehmender Widerstand der Elternschaft, der Schülerschaft und der Studentenschaft formiert. Ihn, diesen Widerstand, hätte der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung ermutigen sollen;

(Beifall bei der CDU/CSU)

denn niemand soll so naiv sein, zu glauben, daß die neomarxistische Linke ihren Kampf aufgegeben habe, auch wenn einige dieser Linken jetzt Solidaritätserklärungen für den Bundeskanzler abgeben und wenn gegen andere, wie man hört, Parteiausschlußverfahren eingeleitet werden sollen. Es handelt sich bei den Loyalitätserklärungen nach meiner Beurteilung um taktisch bedingte Positionsveränderungen. Die neomarxistische Linke will ihre Vorstellungen mit Hilfe und durch die SPD verwirklichen. Wenn die SPD infolge einer übermäßigen Aktivität dieser neomarxistischen Linken an Stimmen verliert, wie es in den letzten Wahlen deutlich geworden ist, gebietet es das Ziel der neomarxistischen Linken, sich Zurückhaltung aufzuerlegen. Sobald der SPD wieder Stimmen zufließen sollten, wird — das kann man mit Sicherheit voraussagen — die neomarxistische Linke in Verbindung mit den außerhalb der SPD stehenden Gruppen ihre Aktivität wieder verstärken.
In diesem Zusammenhang muß die Frage der Einstellung von Mitgliedern der DKP ,in den Staatsdienst gesehen werden. Die Regierungserklärung ist in diesem Punkt ganz unbefriedigend.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Zwar erklärt der Bundeskanzler, daß Gegner der freiheitlich-demokratischen Ordnung nicht in den Staatsdienst eingestellt werden dürften; aber im nächsten Atemzug fügt er hinzu, daß die Bundesregierung eine Regelung dieser Frage auf der Basis der von ihr bereits eingebrachten gesetzlichen Regelung anstrebe.

(Zuruf von der FDP.)

Jedermann weiß, daß dieser Gesetzentwurf an einem entscheidenden Mangel leidet: Dem Gesetzentwurf ist nämlich nicht zu entnehmen, ob ein Mitglied der DKP oder anderer links- und rechtsextremer Parteien und Gruppen in den Staatsdienst aufgenommen werden darf oder nicht, mit anderen Worten, ob die bloße Mitgliedschaft in diesen Organisationen ein Hinderungsgrund für die Aufnahme in den Staatsdienst ist. Dies aber ist die entscheidende Frage. Sie zu beantworten ist die Pflicht jeder demokratischen Regierung in diesem Lande.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

In diesem Punkt, muß man leider sagen, versagt die neue Regierung offenbar ebenso wie ihre Vorgängerin, und das ist leicht zu erklären. Die neomarxistische Linke innerhalb der SPD tritt dafür ein,



Dr. Carstens (Fehmarn)

daß auch Mitglieder der DKP in den Staatsdienst aufgenommen werden sollen, und der Bundeskanzler hat entweder nicht den Mut oder nicht die Kraft besessen, sich in eine Auseinandersetzung mit dieser neomarxistischen Linken in seiner eigenen Partei einzulassen.
Wir müssen allerdings hinzufügen, daß die Rolle, die der frühere Bundesminister des Innern, Herr Genscher, in diesem Zusammenhang gespielt hat, ebenfalls enttäuschend war.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nach eindrucksvollen Reden, die er hier im Parlament gehalten hat und denen wir, auch ich selbst, die Zustimmung gegeben hatten, hat er einen Gesetzentwurf zu dieser entscheidenden Frage vorgelegt, der als ungenügend bezeichnet werden muß.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich vielleicht noch ein Wort zu dieser Frage der Einstellung von Mitgliedern 'der DKP in den Staatsdienst hinzufügen. Es wird immer wieder gesagt, auch in anderen Ländern, in Frankreich und Italien, seien doch viele Kommunisten als Beamte tätig, und das funktioniere doch ganz gut. Darauf ist zu antworten, daß diese anderen Länder nicht die Erfahrungen hinter sich haben, die unser Land hinter sich hat. Unser Land hat sich 1949 entschlossen, sich eine Verfassung zu geben, die alle Demokraten — und das hat der Bundeskanzler nach meinem Dafürhalten gut gesagt — verpflichtet, die freiheitliche Ordnung zu verteidigen. Dazu gehört, daß wir verhindern, was unsere Vorgänger vor 45 Jahren nicht verhindert haben, daß Mitglieder von verfassungsfeindlichen Organisationen Beamte werden.
Was nun speziell die DKP betrifft, so sollten wir nicht übersehen, daß es sich um eine Partei handelt, die finanziell und politisch von der SED in Ost-Berlin gesteuert wird.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Die DKP ist der verlängerte Arm Ost-Berlins in unserem Lande.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Ich frage mich, was diejenigen im Sinne haben, die die Einstellung der Kommunisten in unseren Staatsdienst befürworten.
Der Bundeskanzler hat einige anerkennende Worte für die Ostpolitik der Regierung Brandt/ Scheel gefunden. Er hat sie unter anderem als mutig und erfolgreich bezeichnet. Man muß sich fragen, woher der Bundeskanzler den Mut zu dieser Feststellung nimmt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Daß diese Ostpolitik schwere Rückschläge hat hinnehmen müssen, erwähnt er nicht. Die Rückschläge — ich nenne nur die Verdoppelung der Umtauschquote für die Besucher der DDR, den rapiden Rückgang der Zahl der Aussiedler aus Polen und den polnisch verwalteten Gebieten, die Erschwerung der Kontakte im Briefverkehr zwischen Bewohnern der DDR und Bewohnern der Bundesrepublik Deutschland, das immer noch mühsame und in vielen
Fällen erfolglose Ringen um die Einbeziehung Berlins in die Vereinbarungen mit den osteuropäischen Staaten und mit der DDR — verzeichnet die Regierung nicht. Sie geht auch mit keinem Wort darauf ein, wieso es zu diesen Rückschlägen gekommen ist, nämlich im wesentlichen dadurch, daß in der von dem Bundeskanzler als so erfolgreich bezeichneten Ostpolitik unterlassen worden ist, sich die Forderungen, die wir, die unser Land, die die Bundesregierung Brandt selbst an den Osten richtete, abzusichern, so daß sie von dauerndem Bestand waren. Ich erinnere noch einmal daran, daß in dem Bahr-Papier aus dem Jahre 1970, vom Mai 1970 — es ist jetzt genau vier Jahre her —, alle sowjetischen Positionen enthalten sind, aber nicht eine einzige derjenigen Positionen, die damals und heute die Regierung Brandt und jetzt die Regierung Schmidt vertreten haben. Es findet sich kein Wort von den Bindungen Berlins an die Bundesrepublik Deutschland, kein Wort von den menschlichen Erleichterungen, kein Wort von deutscher Einheit und Selbstbestimmungsrecht, kein Wort von der Priorität der westlichen Politik, der europäischen Einigungspolitik.
Ähnlich unzulänglich ist der Grundvertrag mit der DDR geschlossen worden. Auch hier ist, wie wir nun alle zu unserem Leidwesen erfahren haben, die Absicherung der Forderungen, die die Bundesrepublik Deutschland, die das deutsche Volk erhebt, unterblieben.
Immer wieder stellt sich die Frage, wie es möglich war, daß es zu diesen Fehlleistungen kam. War es Dilettantismus? Lag es daran, daß der damalige Unterhändler keine Erfahrungen in wichtigen internationalen Verhandlungen hatte? Lag es daran, daß Bundeskanzler Brandt und seine Berater Illusionen anhingen und glaubten, sie könnten die grundsätzliche Haltung und die Politik der osteuropäischen Staaten gegenüber unserem Lande verändern? Manchmal hat es den Anschein, daß dies so war. Bundeskanzler Brandt zeigte sich persönlich gekränkt darüber, daß ihm die DDR einen Agenten in seine nächste Umgebung, in das Kanzlerbüro, gesetzt hatte. Dies läßt, wie ich finde, den berunruhigenden Rückschluß zu, daß Bundeskanzler Brandt sich über die Ziele und Methoden der Partner, mit denen er Politik gemacht hat, völlig im unklaren war.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber man muß natürlich auch die Frage stellen, ob es nicht letztlich ganz andere Motive waren, die die damalige Ostpolitik maßgebend bestimmt haben, als die deklarierten Motive. Das Bahr-Papier von 1968 bezeichnet unter drei verschiedenen Modellen dasjenige als das den deutschen Interessen am besten dienende, welches das Ausscheiden der Bundesrepublik Deutschland aus der NATO, die Lockerung der Bindungen an die Europäische Gemeinschaft und die Lockerung der Bindungen zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik Deutschland vorsieht oder — nach seinen eigenen Worten — zur Folge hat.
Meine Damen und Herren, hier ist bei dem Manne, der die Verhandlungen im Frühjahr 1970 in Moskau geführt hat, ganz offenbar ein anderes Mo-



Dr. Carstens (Fehmarn)

tiv im Spiel gewesen als das Motiv, welches die Bundesregierung als ihr politisches Ziel damals verkündet hat und heute verkündet. Trotzdem wurde Herr Bahr ohne eine Instruktion nach Moskau entsandt.
Die CDU/CSU begrüßt es, daß Bundesminister Egon Bahr nunmehr entlassen worden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Allerdings kommt diese Entscheidung vier Jahre zu spät.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Bundesrepublik Deutschland stände heute hinsichtlich wichtiger außenpolitischer Positionen besser da, wenn Egon Bahr schon 1970 daran gehindert worden wäre, in der Ostpolitik eine aktive Rolle zu spielen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Eine der wenigen Positionen, die die Bundesregierung bisher — jedenfalls verbal — aufrechterhalten hat, lautet, daß sie nicht bereit ist, die DDR völkerrechtlich anzuerkennen. Aber auch diese Position ist durch den Ablauf der folgenden Ereignisse faktisch weitgehend ausgehöhlt worden. Der bevorstehende Austausch von Vertretern zwischen den beiden Staaten in Deutschland wird ein weiterer Schritt zur Aushöhlung dieser Position sein. Ich benutze die Gelegenheit dieser Debatte zur Regierungserklärung, um an Sie, Herr Bundeskanzler, zu appellieren, daß Sie bei Gelegenheit des Austauschs der Ständigen Vertreter allen Staaten der Welt einschließlich der DDR unsere Position, die Position der Bundesrepublik Deutschland, in der Frage der besonderen Beziehungen noch einmal ausdrücklich notifizieren und dabei darauf hinweisen, daß in diesem Schritt eine völkerrechtliche Anerkennung nicht zu erblicken ist. Ich empfehle Ihnen dringend, dabei die Grundsätze wörtlich zu zitieren, die das Bundesverfassungsgericht für die Gestaltung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland aufgestellt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Mit Befremden und Bestürzung hat die CDU/CSU-Fraktion allerdings festgestellt, daß in der Regierungserklärung von 70 Seiten, die der Bundeskanzler hier vor drei Tagen vorgetragen hat, das Wort von der Einheit der deutschen Nation oder der Einheit des deutschen Volkes nicht vorkommt.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Es ist die erste Regierungserklärung, in der über dieses Thema stillschweigend hinweggegangen wird.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß, damit Mißverständnisse, die systematisch in der Bundesrepublik Deutschland und anderswo verbreitet werden, von vornherein beseitigt werden, noch einmal erklären, welches die Position der CDU/ CSU in der Frage der Ostpolitik und der Deutschlandpolitik ist. Wir bejahen die Entspannung, wir waren und wir sind für Gewaltverzicht; aber wir fordern ausgewogene Verträge, in denen Leistungen und Gegenleistungen in einem vernünftigen
Verhältnis einander gegenüberstehen. Wir fordern, daß Berlin in diese Politik voll mit einbezogen wird und daß nicht Entspannungspolitik auf Kosten Berlins betrieben wird, und wir fordern, daß die menschlichen Erleichterungen, die das Ziel dieser Politik sind, genügend abgesichert werden.
Schließlich aber muß deutlich sein, daß die Entspannungspolitik der Bundesrepublik Deutschland nicht bedeutet, daß wir das Ziel der Einheit der deutschen Nation unter Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts preisgeben. Solange wir nicht wissen können — und wir können es nicht wissen —, daß die Deutschen in der DDR dieses Ziel preisgegeben haben, solange sind wir schon um ihretwillen politisch und moralisch verpflichtet, an der Einheit der deutschen Nation und der Forderung nach Selbstbestimmung festzuhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

In den Abschnitten der Regierungserklärung, die sich mit den Beziehungen zu unseren westeuropäischen Partnern und zu den Vereinigten Staaten von Amerika befassen, sind eine Reihe richtiger Gedanken enthalten. Wir stimmen ihnen zu. Der Bundeskanzler wiederholt hier bewährte Grundsätze Adenauerscher Europapolitik und Adenauerscher Bündnispolitik.
Mit Bedauern haben wir aber festgestellt, daß in diesem Teil der Regierungserklärung keine Andeutung möglicher Initiativen zur Wiederingangsetzung des europäischen Einigungsprozesses enthalten sind. Dieser Teil der Regierungserklärung — ich muß es leider sagen atmet weitgehend Resignation.
Nun wird niemand leugnen wollen, daß sich die europäische Szene im letzten Jahr erheblich verdüstert hat und daß die Schwierigkeiten, die in den bisher gestalteten Bereichen der Integration aufgetaucht sind, in der Tat groß sind. Aber ich meine, Herr Bundeskanzler, diese Feststellung sollte uns und sollte Sie und sollte Ihre Regierung nicht daran hindern, nach neuen Bereichen der Zusammenarbeit zu suchen. Ich sehe als solche Bereiche z. B. die Rüstungszusammenarbeit und andere Gebiete der Verteidigung an. Ich weise Sie auch darauf hin — ich habe das auch gegenüber Ihrem Vorgänger mehrfach getan —, daß der Verhandlungskomplex der MBFR, der Verhandlungen über gegenseitige ausgewogene Truppenreduzierungen, nach meiner Auffassung ein Ansatz für eine engere Zusammenarbeit zwischen den westeuropäischen Partnern, vor allem aber für eine engere Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland werden könnte. Nach meiner Auffassung deckt sich in dieser Frage der Truppenreduzierungen das französische Sicherheitsinteresse weitgehend mit dem Sicherheitsinteresse unseres Landes. Ich würde daher dringend raten, hier einen erneuten Versuch zu einer Verständigung mit unserem französischen Partner zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dies gilt um so mehr, als das Ergebnis der gestrigen Präsidentenwahl in Frankreich uns zu der Hoffnung berechtigt, daß Frankreich an die große



Dr. Carstens (Fehmarn)

Tradition seiner Europapolitik wieder anknüpfen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte dem neugewählten französischen Staatspräsidenten an dieser Stelle meine und der CDU/ CSU herzlichen Glückwünsche aussprechen.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Es tut mir leid, daß ich damit ein kritisches Wort an ein Mitglied der neuen Bundesregierung verbinden muß. Der damalige Staatssekretär und jetzige Finanzminister, Herr Apel, sprach sich vor einigen Wochen für die Wahl des Gegenkandidaten des jetzigen Staatspräsidenten aus,

(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört! — Volksfront! — Unglaublich! — Mit den Kommunisten!)

indem er ihm eine gute Politik bescheinigte und weiter sagte, nicht nur werde er keine Probleme bringen, sondern manches werde leichter werden, wenn er gewählt werden sollte.

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Diese Art von Einmischung in die inneren Verhältnisse eines anderen Landes, Herr Bundesminister Apel, empfiehlt sich für ein Mitglied der Bundesregierung nicht, ganz unabhängig davon, wem Ihre persönlichen Sympathien gelten mögen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Bundeskanzler hat die Verdienste seines Vorgängers in kräftigen Strichen gezeichnet.

(Abg. Dr. Marx: Warum ist der dann zurückgetreten?)

Mir fällt es — das muß ich ganz offen sagen — schwer, ein abgewogenes Bild von den Leistungen und den zweifellos auch vorhandenen Verdiensten des letzten Bundeskanzlers zu zeichnen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Guten Willen!)

Mir fällt es schwer wegen der Umstände seines Abgangs. Daß er es für nötig gehalten hat, ja, daß er es für möglich gehalten hat, zu erklären, er sei davon überzeugt, daß das anständige Deutschland weiter an seiner Seite stünde,

(Zurufe von der CDU/CSU und Gegenrufe von der SPD)

dies, meine Damen und Herren, war mehr als eine Entgleisung. Es war eine ungeheure Anmaßung.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Die eigentliche Ursache für den Sturz der Regierung Brandt — darüber sind sich alle unvoreingenommenen Betrachter der politischen Szene einig -war nicht die Affäre Guillaume und waren noch weniger die Dinge, die in ihrem Zusammenhang hochkamen, sondern die eigentliche Ursache waren die Fehlschläge der Regierung Brandt/Scheel in wichtigen Bereichen der Politik. Weder gelang es ihr, die Inflation unter Kontrolle zu bringen, noch zeigte Bundeskanzler Brandt in der Auseinandersetzung mit der neomarxistischen Linken eine überzeugende
Haltung, und die Rückschläge seiner Ostpolitik haben gewiß auch zu seinem Rücktritt beigetragen. Hinzu kamen schwere innere Spannungen innerhalb der Koalition und innerhalb der Partei des früheren Bundeskanzlers. In allen diesen Situationen wurde seine Führungsschwäche offenbar.
Aber es ist nicht zu übersehen, daß einen entscheidenden Anteil an seinem Sturz die Angriffe hatten, die aus seinen eigenen Reihen, aus den Reihen seiner eigenen politischen Freunde gegen ihn vorgetragen wurden.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Hauptstoß kam von dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Herrn Kollegen Herbert Wehner.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Seine Äußerungen in Moskau waren ein wohlgezielter und wohlüberlegter Schlag gegen die Regierungsfähigkeit und Führungsfähigkeit des damaligen Bundeskanzlers.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

„Was der Regierung fehlt, ist ein Kopf", hat Herbert Wehner nach glaubwürdigen Berichten damals gesagt,

(Abg. Haase [Kassel] : Er hatte ja recht; er hatte es richtig erkannt! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)

und Conrad Ahlers spricht von massiven Angriffen Wehners in der Sowjetunion, die wohl — und jetzt wörtlich — „als der Anfang vom Ende der Kanzlerschaft Brandts" anzusehen seien. Hämische Berner-kungen Wehners über Brandt kann man in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 13. Mai dieses Jahres nachlesen; ich will mich damit nicht aufhalten.
Auch der jetzige Bundeskanzler beteiligte sich, wenn auch in etwas vorsichtigerer Form, an der öffentlich geäußerten Kritik über Brandt. Aber alles dies sind Vorgänge, die sich innerhalb der Sozialdemokratischen Partei abspielten und die letzten Endes für die Außenstehenden, auch für die CDU/ CSU, nur von zweitrangigem Interesse sind.
Was dagegen von erstrangigem Interesse ist und was an dieser Stelle mit der gebotenen Deutlichkeit zurückgewiesen werden muß, ist die altbewährte Taktik, die Herr Kollege Herbert Wehner auch in dieser Situation wieder anwendet, nämlich durch hemmungslose Beschimpfungen des politischen Gegners, d. h. in diesem Fall der CDU/CSU, die eigene Wehnersche Schuld und Verantwortung an dem Sturz von Bundeskanzler Brandt vergessen machen zu wollen.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU.)

Diese Taktik, Herr Kollege Wehner, wenden Sie nicht zum erstenmal an.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich erinnere mich sehr wohl an die Szene, als Sie
und andere führende Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei dabei ertappt worden waren, daß



Dr. Carstens (Fehmarn)

Sie hinter dem Rücken des damaligen Bundeskanzlers, in dessen Regierung Sie saßen, Kontakte zur italienischen Kommunistischen Partei und über die italienische Kommunistische Partei zur SED aufgenommen hatten.

(Beifall von der CDU/CSU.)

Als diese Kontakte bekanntgeworden waren, haben Sie, Herr Kollege Wehner, eine der für mich eindrucksvollsten und unvergeßlichsten Schimpfkanonaden gegen Ihre damaligen Koalitionspartner von der CDU/CSU losgelassen. Dies ist Ihre Technik der Auseinandersetzung, insbesondere dann, wenn es sich darum handelt, eigenes Versagen, eigenes Verschulden, eigene Verfehlungen zu vertuschen. Ich begrüße es in gewisser Weise, daß dem deutschen Volk in seiner überwältigenden Mehrheit anläßlich des Rücktritts von Bundeskanzler Brandt endlich deutlich geworden ist, welcher politischen Methoden Sie, Herr Kollege Wehner, sich in der Auseinandersetzung bedienen.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU.)

Zusammen mit Bundeskanzler Brandt sind fünf weitere Bundesminister entlassen worden, darunter drei — nämlich die Bundesminister Bahr, Ehmke und Lauritzen —, deren Entlassung die CDU/CSU seit langem, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen gefordert hatte.

(Lachen bei der SPD.)

Die CDU/CSU bedauert, daß bei dieser Gelegenheit nicht ebenfalls Bundesminister Eppler aus dem Kabinett ausgeschieden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Er hat vor einiger Zeit das geltende Recht, welches die Beziehungen zwischen Bundesregierung und Parlament regelt, verletzt, als er Jugoslawien einen Kredit zusagte, ohne zuvor den zuständigen Ausschuß des Bundestages davon zu unterrichten. Er hat in der Folgezeit die deutsche Öffentlichkeit darüber getäuscht, daß ein weiterer Kredit von 750 Millionen DM an Jugoslawien gewährt werden sollte und inzwischen gewährt worden ist. Er gehört 'außerdem zu den sozialdemokratischen Politikern, die durch aufputschende Reden

(Lachen bei der SPD)

mit klassenkämpferischen Untertönen

(anhaltendes Lachen bei der SPD)

viel zur Verwirrung der Geister in diesem Lande beigetragen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Fortgesetztes Lachen und Zurufe von der SPD.)

Der Fall Guillaume, meine Damen und Herren — ich sagte es schon —, war nur der auslösende Faktor, nicht die tiefere Ursache für das Scheitern der 'Regierung Brandt. Dennoch ist es notwendig, einige Worte über den Fall Guillaume zu sagen. Auch der Bundeskanzler hat es getan, wiewohl ich meine, in einer sehr unzulänglichen Weise.
Fehler sind bei der Einstellung Guillaumes in das Bundeskanzleramt gemacht worden. Die Einstellung wurde vorgenommen, obwohl eine klare Warnung eines der Nachrichtendienste, nämlich des Bundesnachrichtendienstes, vorlag. Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes empfahl, Guillaume an einer anderen Stelle und nicht ausgerechnet im Bundeskanzleramt zu beschäftigen. Auch über die Einwände des Personalrats, der darauf hinwies, daß Guillaume nicht die vorgeschriebene Ausbildung für das von ihm zu bekleidende Amt besaß, setzte sich der damalige verantwortliche Bundesminister Ehmke hinweg. Dies war ein folgenschwerer Fehler.
Was daran aber besonders hervorgehoben werden muß, ist die Tatsache, daß dieses rücksichtslose Beiseiteschieben sicherheitspolitischer und laufbahnmäßiger Bedenken letzten Endes darauf zurückzuführen war, daß Guillaume das richtige Parteibuch besaß.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Weil er altes SPD-Mitglied war, setzte man sich
über alle Bedenken hinweg. Das ist leider ein typisches Beispiel sozialdemokratischer Personalpolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich denke, es ist es wert, das an dieser Stelle einmal deutlich zu sagen, in der Hoffnung, daß sich Sozialdemokraten, die in Zukunft für die Einstellung von Bewerbern in den öffentlichen Dienst verantwortlich sein werden, durch diesen Fall warnen lassen.
Einen weiteren schweren Fehler stellte es dar, daß Guillaume nach einiger Zeit aus dem Sozialreferat in das persönliche Büro des Bundeskanzlers aufstieg. Wer dafür verantwortlich war, entzieht sich meiner Beurteilung.
Der dritte schwere Fehler bestand darin, daß Guillaume im Büro des Bundeskanzlers weiter beschäftigt wurde, nachdem ein dringender Verdacht gegen ihn aufgetaucht war.

(Abg. Haase [Kassel] : Das hat ihm der Genscher eingebrockt!)

Ja, nach diesem Zeitpunkt — das war der 29. Mai 1973 — gewann Guillaume erst wirklichen Einblick in die intimsten und geheimsten Regierungsgeschäfte, und zwar dadurch, daß der damalige Bundeskanzler ihn nach Norwegen mitnahm und er dort Gelegenheit hatte, sämtliche für den Bundeskanzler eingehenden Telegramme zu studieren. Die Verantwortung für diesen Teil des Falles Guillaume hat der damalige Bundeskanzler Brandt selbst auf sich genommen; er wird dafür seine Gründe haben. Dies aber kann uns nicht daran hindern, festzustellen, daß auch den damaligen Innenminister Genscher, der in diesem Fall eine falsche Entscheidung getroffen hat, dafür die Mitverantwortung trifft.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Haase [Kassel] : Dafür ist er befördert worden! Zum Außenminister hat man ihn promoviert!)

Im Falle Guillaume hat die Regierung Brandt dasselbe praktiziert, was sie bei so vielen anderen früheren Skandalen zu praktizieren pflegte: sie hat der Öffentlichkeit die Informationen bruchstück-



Dr. Carstens (Fehmarn)

weise zugeleitet und sie teilweise falsch informiert. Man kann ruhig sagen, daß sie in der Anfangsphase die Öffentlichkeit irregeleitet hat, indem sie den Eindruck erweckte, Guillaume sei im wesentlichen damit beauftragt gewesen, den Terminkalender des Bundeskanzlers zu führen.
Herr Bundeskanzler Schmidt, auch hier möchte ich mich direkt an Sie wenden. Sie würden Ihrer Regierung, aber auch zugleich unserem Lande und unserem Regierungssystem insgesamt einen guten Dienst erweisen, wenn Sie diejenigen Ihrer Mitarbeiter, die künftig für die Informationspolitik verantwortlich sind, mit der strikten und kategorischen Weisung versehen würden, niemals und unter keinen wie immer gearteten Umständen die Unwahrheit zu sagen oder die Öffentlichkeit irrezuführen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Niemand verlangt von einem Sprecher der Bundesregierung, daß er in jedem Zeitpunkt alles sagt, was er weiß, aber wenn er die volle Wahrheit nicht sagen kann, dann sollte er sagen: Ich sehe mich nicht in der Lage, die an mich gestellte Frage zu beantworten. Das mag für den betreffenden Sprecher und vielleicht auch gelegentlich für die Bundesregierung unbefriedigend sein, aber es ist das einzige Mittel, um dem rapiden Verfall an Ansehen und Glaubwürdigkeit, dem sich die frühere Bundesregierung ausgesetzt hat, endlich Einhalt zu gebieten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die FDP, meine Damen und Herren, hat innerhalb der Regierungskoalition den verständlichen Wunsch, in der besten aller möglichen Welten zu leben. Sie möchte Erfolge der Regierung für sich verbuchen und die Mißerfolge anderen anlasten.

(Zuruf von der FDP: Na und? — Lachen bei der CDU/CSU.)

Indessen kann sie so leicht das Problem, um das es hier geht, nicht lösen. Tatsächlich trägt die FDP die volle Mitverantwortung für die Fehlschläge der Regierung Brandt im Bereich der Stabilitätspolitik, im Bereich der Ostpolitik und gegenüber dem Vordringen linksradikaler neomarxistischer Gruppen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Speziell für die Ostpolitik muß sie in der Person ihres früheren Außenministers die volle Mitverantwortung auf sich nehmen. Er hätte mit Hilfe des ihm anvertrauten Apparats des Auswärtigen Amtes manches verhindern können, was wir heute alle — er sicherlich eingerechnet — beklagen.

(Abg. Wehner: Hört! Hört!)

Für die unzulängliche Regelung der Frage der Aufnahme von Mitgliedern der DKP und anderer radikaler Parteien in den Staatsdienst trägt der frühere Innenminister und jetzige Außenminister, Herr Genscher, die volle Verantwortung.

(Zuruf von der SPD: Sie wiederholen sich ja! — Weitere Zurufe von der SPD.)

— Ich erwähnte es schon, in der Tat, und ebenso erwähnte ich seine Mitverantwortung im Spionagekomplex Guillaume.

(Abg. Haase [Kassel] : So ist es!)

Die FDP legt sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit im Bund und in den Ländern auf eine Zusammenarbeit und ein Zusammengehen mit der SPD fest. Sie kann sich nicht darüber wundern, wenn die CDU/CSU ihr, der FDP, die Verantwortung vorhält, die sie dadurch auf sich nimmt, und die Fehler, die sie in diesem Zusammenhang begeht, auch beim Namen nennt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Gegenüber der neuen Regierung Schmidt/Genscher wird sich die CDU/CSU so verhalten, wie es ihrem eigenen Verständnis von der Rolle der Opposition im deutschen Parlament entspricht. Sie wird sich dabei ausschließlich von den Interessen unseres Landes leiten lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie wird die Arbeit der Regierung kritisch beobachten. Sie wird — wie bisher — bereit sein, Maßnahmen der Regierung zu unterstützen, die im Interesse unseres Landes notwendig sind. Sie wird aber auch schonungslos die Aufmerksamkeit der deutschen Bürger auf Schwächen und Fehler lenken, wenn die Regierung solche Schwächen zeigt und solche Fehler macht. Die Regierungserklärung, der erwartungsvoll entgegengenommene Auftakt, gibt nicht das beruhigende Gefühl, daß das Staatsschiff der Bundesrepublik Deutschland unter der neuen Führung den Klippen, an denen es bisher Schaden genommen hat, in Zukunft besser entgehen wird. Eine Wende in der Politik ist nicht erkennbar. Im Gegenteil, die neue Regierung bleibt weitgehend in den Vorstellungen ihrer Vorgängerin befangen.
Wie bisher gilt, daß die CDU/CSU die einzige Alternative zur Regierungspolitik,

(Lachen bei der SPD)

zur Regierungkoalition, zum Bündnis der SPD mit der FDP bildet.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Viele Wähler in unserem Lande haben dies erkannt und haben daraus die Konsequenz gezogen, der CDU/CSU bei Wahlen ihre Stimme zu geben.
Die bisherige Bundesregierung und die Koalition haben unser Land in eine Krise geführt. Tiefe Verunsicherung in unserer Bevölkerung ist die Folge. Wir werden darauf drängen, daß die deutsche Politik wieder zu Nüchternheit, zu Augenmaß, zu Solidität und Stabilität zurückkehrt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dabei werden wir unseren kritischen Beitrag leisten. Die CDU/CSU wird den neuen Bundeskanzler und seine Regierung nicht an ihren Worten, sondern an ihren Taten messen.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)





Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0710100400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (SPD):
Rede ID: ID0710100500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein geehrter Herr Vorredner, der Kollege Carstens, hat gegen Schluß seiner Rede erklärt, daß gegenüber der neuen Regierung Schmidt/ Genscher die CDU/CSU sich so verhalten werde, wie es ihrem eigenen Verständnis von der Rolle der Opposition im deutschen Parlament entspreche. Sie werde sich dabei ausschließlich von den Interessen unseres Landes leiten lassen, sie werde die Arbeit der Regierung kritisch beobachten, und sie werde — abgeschwächt: wie bisher — bereit sein, Maßnahmen der Regierung zu unterstützen, die im Interesse unseres Landes notwendig sind. Sie werde aber auch schonungslos — wie bisher — die Aufmerksamkeit der deutschen Bürger auf Schwächen und Fehler lenken.
Das ist das gute Recht der Opposition, und die Debatte über die Regierungserklärung ist natürlich auch, allerdings nicht nur, die Stunde der Opposition.
Herr Carstens hat erklärt, eine Wende in der Politik sei nicht erkennbar; im Gegenteil, die neue Regierung bleibe weitgehend in den Vorstellungen ihrer Vorgängerin befangen. Ich danke Ihnen, Herr Carstens, für dieses Kompliment für Kontinuität und Konzentration.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Reddemann: Der Kurs wird bestätigt!)

Ich muß allerdings ein wenig Ihren Slalomlauf nachziehen,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

den Sie gemacht haben durch die Fähnchen mit Behauptungen und durch Negativtafeln. Dieser Spur wird sicher in dieser Debatte unsere Aufmerksamkeit gelten, es sei denn, einer Ihrer nachfolgenden Redner werde diese Spur so gut wie verlöschen. Aber das werden wir ja sehen.

(Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

Sie haben von einem grundlegenden Widerspruch gesprochen, weil die Regierungserklärung vom Jahre 1973 übernommen wurde und in Geltung befindlich ist und angeblich Teile ausdrücklich aufgegeben würden. Ich nehme an, daß Sie das so gesagt haben, weil Sie natürlich einen Einstieg brauchten; denn wenn Sie dann sagten, der Widerspruch werde verschärft durch Aussagen über Stabilität, so kommen Sie ja genau an das Thema, das Sie während dieser ganzen Jahre sozusagen wund geritten haben. Zur wirtschaftlichen Lage ist von Ihnen nichts Neues gesagt worden. In der Regierungserklärung ist das, was Sie gesagt haben, widerlegt, und meine Kollegen werden sich dazu noch eingehender äußern.
Sie haben einige Feststellungen getroffen zu den Forderungen der Opposition nach gleichzeitigen Steuersenkungen und Haushaltsmehrausgaben. Wissen Sie, wie ich Ihre Haltung sehe? Sie ist eine klassische Art von Opposition: durch Anträge und Programme Milliardenforderungen stellen, zugleich Haushaltsmittel ablehnen und drittens von inflatorischen Bundeshaushalten sprechen. Das ist doch
ungefähr die Drei-Säulen-Theorie, auf der das fußt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich mache Ihnen das nicht zum Vorwurf; Ihre Haushaltsexperten werden sich sowohl in der Debatte über die Regierungserklärung — das wird schon mit Herrn Strauß anfangen — als auch in der Debatte über den Haushaltsplan 1974 sicher dieser Sache näher annehmen.
Das ist so, wenn Sie anbieten: Sobald die Bundesregierung ein ernsthaftes, konkretes Programm zur Wiedergewinnung von Stabilität in der Haushalts-, Finanz- und Steuerpolitik vorlege, dann werde die CDU/CSU auch ihrerseits 'bereit sein, im Rahmen ihrer eigenen Zielvorstellungen mitzuwirken. Bitte sehr, beim Haushaltsplan 1974 — und dann in Bälde 1975 — wird Gelegenheit sein, darüber in der Sache — und auch hart; aber jedenfalls zur Sache — zu sprechen, meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen von der Opposition.
Nun haben Sie, Herr Kollege Carstens, ein Kapitel mit dem wehmütigen Titel versehen: Abschied von der Reformpolitik. Ei, ei, wie Sie das doch beherrschen!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wissen Sie, da kommt gleich die Sache mit dem 312-Mark-Gesetz. Ich habe gemerkt, hinter meinem Rücken waren meine Kolleginnen und Kollegen schon ganz unruhig, was das wohl heißen sollte. Aber ich habe gemerkt, als Sie redeten: Der Pfiff beim 312- und 624-Mark-Gesetz ist Ihnen nicht bekannt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aber Sie haben sicher Kollegen in Ihrer Fraktion, die werden Sie darin eines Besseren belehren.
Denn Sie sind damit hausieren gegangen

(Zuruf von der CDU/CSU)

— ich bitte um Entschuldigung, Sie sind ein vornehmer Vertreter dieser Art — und haben gesagt, wir hätten einfach die Summe verdoppelt. Glauben Sie, daß deswegen z. B. im letzten Jahr nach der Statistik sich zirka 17 Millionen Arbeitnehmer dieses 624-Mark-Gesetz zunutze gemacht hätten?

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Glauben Sie das? Das können Sie doch im Ernst nicht glauben. Nein, Herr Carstens, Ihnen ist hier ein Fehler passiert: Sie haben übersehen, daß bei dem 312-Mark-Gesetz ernsthafte Mängel bestanden, daß diese Mängel diejenigen, die von ihm Gebrauch machen wollten, in Nachteil brachten bei ihrer Sozialversicherung. Das ist es. Darüber werden Sie sich genau, auch bei Ihren Kollegen, orientieren können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das 624-Mark-Gesetz ist eben nicht nur einfach das Doppelte, sondern es ist zugleich frei von den Mängeln des 312-Mark-Gesetzes. Sehen Sie, wenn ich mich darüber so verbreitere, dann kann ich damit das, was Sie sachkundig über Reformen sagten, von



Wehner
denen man Abschied genommen habe, verlassen. Wir kommen auf diese Dinge noch zurück.
Was Sie dort z. B. über Vermögensbildung sagen, dazu, ganz privat beinahe, folgendes. Auf dem Hannoverschen Parteitag meiner eigenen Partei, der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, habe ich nach heftigen Diskussionen über das, was dort dann mit großer Mehrheit als ein Konzept für die Anteilnahme der Arbeitnehmer am Zuwachs des Produktivvermögens angenommen worden ist, gesagt: „Kinder, glaubt nicht, daß in absehbarer Zeit eine einzige Partei außer der unseren sich dieses Konzept voll zu eigen machen kann. Das wird wohl eine ganze Weile dauern." Wir sind damit nicht aufgelaufen. Aber Sie werden es ja sehen. Sie hätten es auch noch im Gedächtnis haben können. Sie haben inzwischen auch die Regierungserklärung des Bundeskanzlers gehört. Da steht doch ganz genau, was und aus welchen Gründen es unter solch großen Mühen gemacht wird. Wenn Sie einige Ihrer Steuerfachleute aus der Fraktion fragen und wenn wir hier unsere entsprechenden Fachleute in der Debatte hören werden, dann werden Sie sehen: wenn da an die 50 Gesetze geändert werden müssen — ich greife diese Zahl nicht; sie ist von jemandem, der etwas davon versteht, genannt worden —, so heißt das eben eine etwas längere, aber deswegen doch keineswegs aufgegebene Arbeit. Da bleiben wir dran. Dafür ist uns das gesellschaftspolitisch viel zu wichtig.
Nun haben Sie aber, nachdem Sie die Reform so
behandelt haben, sehr breit und auf Niedersachsen
gezielt die Sache mit der Berufsausbildung vorgebracht. Ich bin sehr froh, daß Sie hier ein wenig knirschen, weil jene Finte nicht gezogen hat, als ob wir sozusagen Berufsausbildung verstaatlichen wollten.

(Abg. Stücklen: Das wollten Sie doch!)

—Aber nein, Sie kennen die Sache doch noch aus der Zeit der Großen Koalition. Da haben Sie plötzlich, wie Ziethen aus dem Busch — entschuldigen Sie den Vergleich mit dem preußischen Husarengeneral —,

(Heiterkeit bei der SPD)

das Ultimatum mit den Kammern gestellt. Das wissen Sie doch noch. Wir haben damals nicht anders gekonnt, um überhaupt ein Berufsbildungsgesetz jener Möglichkeiten zu machen, als hier in einen sauren Apfel zu beißen. Wir werden uns einander hier schon näherkommen.
Ich wende mich dem geistigen Kapitel des Herrn Kollegen Carstens zu. Ich hatte darüber vorher schon beim Generalsekretär gelesen. Wahrscheinlich war es auch die Meinung, daß es eine ernste Sache mit uns ist. Das zielt natürlich auf Niedersachsen, was Sie da über geistig-politische Auseinandersetzung mit der neomarxistischen Linken gesagt haben.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Da merkt man bei Ihnen das Heimweh nach den fünfziger Jahren.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Heimweh bei Ihnen!)

Herr Kollege Carstens, was Sie sagen über öffentlichen Dienst, über DKP und über Extremisten: Lassen Sie doch erstmal das, was der Innenminister als Kabinettsbeschluß eingebracht hat, durchberaten werden. Hier reden Sie plötzlich in einen erst in der Entwicklung befindlichen Pfannkuchen hinein, so daß der gar nicht wirklich wachsen kann. Hier ist sogar von der Bundesratsseite nicht abgelehnt worden, daß man nach einer Lösung suche. Brauchen Sie das jetzt so dringend, daß man, ehe man mit der Sache weiterkommt, sie schon sozusagen einseitig glaubt verwerfen zu können? Aber, verehrter Herr Kollege und meine Damen und Herren von der Opposition, immer geht es in diesen Fragen, auch dort, wo es sich um ganz schwerwiegende Dinge handelt, darum, daß jeder Fall für jede Person rechtsstaatlich einwandfrei geklärt werden muß.

(Beifall bei den Regierungsparteien.) Das ist alles, meine Damen und Herren.

Und nun, Herr Carstens, weil Sie so im Neomarxismus und im Marxismus herumpaddelten: Ich habe mir das Jahrbuch der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands für die Jahre 1950/51 geben lassen. In diesem Jahrbuch ist als Vorwort ein Text für den Parteitag 1952 enthalten, dem ersten Parteitag, den wir ohne Kurt Schumacher zu führen hatten; denn er war im August gestorben. Ich weiß ganz genau: Das gehörte mit zu dem, was ihm am Schluß — wenn man es einmal so sagen darf — das Herz hat brechen lassen. Schumacher schrieb in der einen seiner beiden letzten Niederschriften:
Die schwerste Versündigung am deutschen Volk ist nicht von der alliierten Seite selbst, sondern von den Parteien der heutigen Regierung erfolgt, als sie die Formel aufstellten, Christentum oder Marxismus, nach der das eine das andere ausschließen soll. Das ist die Zerreißung auch des Volkes der Bundesrepublik in zwei Teile. Es ist unmöglich, daß der eine Teil bestimmt, wer Christ und was unter Marxismus zu verstehen ist. Vor 1949, als die Sozialdemokratie praktisch allein den Abwehrkampf gegen die politische Überflutung Deutschlands durch den Kommunismus führte, war die Handhabung des Begriffs Marxismus eine andere als heute. Heute versucht man, die Sozialdemokratie als Vorfrucht des Kommunismus zu verdächtigen.
Es heißt weiter bei Schumacher:
Die Grundlage des Antimarxismus ist völlige Unwissenheit und Unkenntnis der Materie. Die sogenannten Antimarxisten von heute übernehmen die Propagandaformeln, mit denen die Hitlerdiktatur zur Macht gekommen ist.

(Beifall bei der SPD.)

Sie haben ihnen geistig nichts Neues hinzugefügt. Sie appellieren dementsprechend auch an die alten Instinkte der 12 Jahre und erhoffen sich hieraus, eine Antipathie gegen die Sozialdemokratie neu zu erwecken.



Wehner
Dann schrieb Schumacher:
Der Marxismus ist eine Methode der soziologischen und politischen Erkenntnis und kein Gebäude von dogmatischen Lehrsätzen.
Das ist seine Auslegung.
Jetzt herrscht die Methode, alles als kommunistisch hinstellen zu wollen, was die Sozialdemokratie an selbständiger und entschiedener Vertretung der Interessen des arbeitenden Volkes zeigt. Das ist dieselbe Methode, mit der Hitler und Goebbels jeden Versuch, sich gegen ihre Diktatur aufzubäumen, als Kommunismus abzutun versuchten. Damit haben sie dem Kommunismus
— so sagte Schumacher —
im Bewußtsein der Massen eine Bedeutung gegeben, die ihm seiner tatsächlichen Stärke nach gar nicht zukam. Damit haben sie erreicht, daß nach der Zertrümmerung der Hitlerdiktatur der Kommunismus als ein Faktor galt, den auch die Alliierten nicht übergangen haben.
Meine Damen und Herren, Herr Carstens, wenn Sie sich diese bitteren, aber nicht nur bitteren Worte und Sätze Kurt Schumachers einmal ansehen, werden Sie doch manches von Ihrer Fanfare über das Fehlen einer geistigen Auseinandersetzung, einer geistig-politischen Auseinandersetzung mit der neomarxistischen Linken finden.

(Abg. Reddemann: Was hat denn Kurt Schumacher mit der Regierungserklärung Helmut Schmidts zu tun?)

— Was hat denn der Neomarxismus mit der Erklärung Helmut Schmidts zu tun, kluger Herr Reddemann?

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Reddemann.)

Nun zur Ostpolitik, wie Sie sie bezeichnen. Ich fand es schade, daß es zu nicht mehr gereicht hat, als die alte Legende von den sogenannten Bahr-Papieren hier noch einmal aufzublättern.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Herr Kollege Carstens, können Sie sich denn nicht erinnern — wenn Sie damals auch nicht Fraktionsvorsitzender waren; Sie waren damals aber doch schon einige Wochen im Bundestag —, daß wir hier in der Debatte über die Regierungserklärung vom Januar 1973 diese Dinge und die zum Teil unverschämten Unterstellungen gegen Egon Bahr ausgekämpft haben?

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Das können Sie doch in den Protokollen nachlesen. Natürlich kann man das nicht in „Quick" nachlesen; in „Quick" können Sie sich erquicken. In den Protokollen, die Sie genauso haben wie ich, können Sie das nachlesen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Im übrigen, Herr Kollege Carstens, apropos Planungsstabarbeiten: Sie haben in Ihrem Buch dazu geschrieben — ich habe das ganze Buch sehr aufmerksam gelesen, nicht nur deswegen, sondern schon vorher —:
Planungsstäbe müssen unabhängig sein, jedenfalls in dem Sinne, daß niemand ihnen das Ergebnis ihrer Untersuchungen vorschreiben darf. Das bedeutet, daß der Planungsstab unter Umständen Projekte vorlegt, die den jeweils vorherrschenden Intentionen der Regierung in keiner Weise entsprechen.
Aber, wie gesagt, das sind Anklänge an das, was wir schon einmal und ein wiederholtes Mal ausgekämpft haben.
Und im übrigen: Ich kann mich noch entsinnen, wie ich von dieser Stelle aus in den fünfziger Jahren über gewisse Planungsstab- und dann bald schon mehr gewordene Arbeiten im Hinblick auf die Wiedervereinigungsmöglichkeiten geredet habe. Das können Sie in den damaligen Protokollen nachlesen. Wissen Sie, damals gab es nicht nur Planungsstabarbeiten, sondern damals gab es sozusagen auch Vorbereitungen für den Fall, daß die Sowjetunion der Wiedervereinigung durch freie Wahlen zustimmen sollte, damit das nicht sofort dazu führen könne, daß sie bei dieser Gelegenheit usw. usw. Das sind Dinge aus den fünfziger Jahren. Ich merke, Sie haben überhaupt eine Sehnsucht nach den fünfziger Jahren. Soll das noch einmal nachgeschlagen werden? Dabei werden Sie keine sehr glückliche Figur machen, meine Damen und Herren. Ich meine nicht Herrn Carstens selbst; der kennt das von der anderen Seite.
Ich war sehr froh, daß Sie, Herr Carstens, den Versuch gemacht haben, einiges sozusagen konkret Positive zu sagen, welches — wie Sie es ausdrückten — die Position der CDU/CSU in der Frage der Ostpolitik und der Deutschlandpolitik ist. Sie betonen: Wir bejahen Entspannung, wir sind für Gewaltverzicht, aber wir fordern ausgewogene Verträge, in denen Leistungen und Gegenleistungen in einem vernünftigen Verhältnis einander gegenüberstehen,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

wir fordern, daß Berlin in diese Politik voll mit einbezogen wird, daß nicht Entspannungspolitik auf Kosten der Interessen Berlins betrieben wird, und wir fordern -- was übrigens eine ziemliche Unterstellung ist; aber ich nehme an, Sie wollen uns das nicht unterstellen, sondern Sie sagen: das muß in jedem Falle so sein; da wären wir wieder sehr nahe beieinander —, daß die menschlichen Erleichterungen, die das Ziel dieser Politik sind, genügend abgesichert werden, usw. usw. Ich sage: Das sind Sätze, über die ernsthaft zu sprechen lohnen sollte, und es ist nicht zu schlecht, daß das auch in Ihrer Erklärung zur Regierungserklärung gefunden werden kann.
Sehr mager, finde ich, war das, Herr Kollege Carstens, was Sie über Westeuropa und die Vereinigten Staaten von Amerika gesagt haben. Liegt das an dem, was in der Regierungserklärung des Kabinetts Schmidt/Genscher so präzis an Definitionen über die Kontinuität der Positionen der Politik



Wehner
der Bundesrepublik Deutschland seit Jahren steht? Mag sein. Sie haben selbst gesagt, in diesen Teilen der Regierungserklärung sei eine Reihe wichtiger Gedanken enthalten, denen Sie zustimmten. Sie haben allerdings wieder gesagt und das fand ich nirgendwo begründet, nirgendwo belegt, auch nirgendwo durch eine Alternative deutlicher gemacht —, daß Sie keinerlei Initiativen, keine Andeutungen von möglichen Initiativen zur Wiederingangsetzung des europäischen Einigungsprozesses darin gefunden hätten. Und Sie sagen, dieser Teil der Regierungserklärung atme weitgehend Resignation. Ich finde genau das Gegenteil: Dieser Teil ist ein mutiger Teil, ist ein tapferer Teil, ist ein Teil, der die Europäische Gemeinschaft nicht dem Verfall ausgesetzt lassen will,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

ein Teil, der auch angesichts der Schwierigkeiten Geltung hat, mit denen es diese Gemeinschaft zu tun hat — nicht nur in wirtschaftlicher Beziehung — und die doch weiß Gott nicht unserer Regierung Brandt/Scheel angelastet werden dürfen, die 1969 bei jener Konferenz in Den Haag endlich der europäischen Vereinigungs- und Zusammenarbeitspolitik eine weitere Dimension gegeben hat — das wäre doch sonst gar nicht denkbar gewesen; bis dahin hing das doch an einer Stelle oder war auf dem toten Gleis — und die 1972 in Paris das Fahrzeug erneut nach vorne gelenkt hat. Nein, nein, hier bin ich ganz anderer Meinung.
In einem Punkt bewundere ich Sie, Herr Carstens. Sie hatten unlängst einmal Gelegenheit genommen
— entweder selbst oder so, daß man merkte: das ist von Ihnen autorisiert —, sagen zu lassen, die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich sollten bei jenen Wiener Konferenzgesprächen, wo es um die Truppenbegrenzung, Rüstungsverminderung und Rüstungsbegrenzung geht und wo sich Frankreich ja expressis verbis nicht beteiligt, zusammenarbeiten. Jetzt kommt von Ihnen wieder: Das könnte vor allem eine engere Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland werden. Ich hoffe sehr, daß es, nachdem in Frankreich wieder innenpolitische Voraussetzungen vorhanden sein werden, nachdem die Präsidentenwahl dort durchgegangen ist, — —

(Abg. Stücklen: Gut gelaufen ist!)

— Ja nun, sicher: Jede Wahl, wenn sie in Ordnung vor sich geht, ist gut gelaufen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich muß hier nicht Glück wünschen; das hat meine Regierung und hat der Regierungschef schon getan.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich finde es gut, daß auch die Opposition dies tut. Es wird so einfach nicht sein. Das ist doch nicht einfach mit Namen zu machen; das wissen einige von denen, die in den europäischen Dingen stecken, ganz genau. Das kann man also nicht mit Namen allein markieren.
Ich habe Hoffnungen, daß wir im Gespräch — ich beneide die nicht, die die Gespräche von unserer Seite aus zu führen haben — allmählich ein paar
Zoll weiterkommen und daß einiges von dem gelockert wird, was dort, gleichgültig, unter welchem der beiden letzten Präsidenten, eben doch ziemlich steif geworden war, bei allem Respekt vor der bedeutenden Persönlichkeit jedes der beiden Vorgänger.
Meine Damen und Herren, Sie haben mich für das Ende der Regierung Brandt — Sie haben sich ziemlich ausführlich gerüstet und sich hier geäußert — zum Prügelknaben gemacht. Schönen Dank! Das zielt auf das, was Ihnen jemand gesagt hat, dieser Regierung fehle ein Kopf.

(Abg. Seiters: Der „Spiegel" !)

— Ja, Sie sind Geschäftsführer; Sie müßten das doch besser wissen. Sie dürfen doch Ihrem Chef nicht etwas Falsches, längst Dementiertes wieder ins Ohr sagen. Der läuft damit auf. Er ist heute damit auch aufgelaufen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ja, meine Herren. Herr Carstens, Sie haben zu Bremen ein besonderes Verhältnis. Am 17. März dieses Jahres habe ich auf dem Landesparteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Bremen diese Dinge an Hand meines Briefwechsels mit dem „Spiegel" — hin und zurück — und mit der „Zeit" — hin und zurück — klargelegt.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)

— Wenn Sie so außer Kurs sein sollten, daß Sie das, was ich am 17. März gesagt habe, weil es die Zeitungen, die ich hier nannte, selbst nicht für genehm hielten, das, was ich ihnen widerlegt hatte — —

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

— Da lachen Sie. Sie brauchen ja auch etwas. Sehen Sie, in diesen Dingen leben Sie ja voneinander.

(Abg. Haase [Kassel]: Märchenstunde! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

So muß ich hier — ich kann nicht anders —, weil Ihnen das Spaß zu machen scheint, meinen Brief vom 9. Oktober 1973 an Herr Schreiber vom „Spiegel", der die Reise mitgemacht hatte, verlesen:
Entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie nochmals wegen zurückliegender Ereignisse im „Spiegel"-Bild behellige. Es liegt mir fern, Sie belehren zu wollen. Ich rede Ihnen auch nicht hinein in das, was Sie von mir denken und schreiben. Doch die auf Seite 27 des „Spiegel" vom 8. Oktober 1973 mir in den Mund gelegte Stelle: „ .. und, was der Regierung fehlt, ist ein Kopf"

(Abg. Dr. Jenniger: Welche?)

ist in Verbindung mit dem, was vorher gedruckt steht, schlichtweg falsch.
Und dann habe ich das erklärt.

(Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Haase [Kassel] : Sie hatten doch recht, Herr Wehner! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ja, da lachen Sie. Wissen Sie, der Brief kommt trotz Ihres Gelächters in das Protokoll, und andere

Wehner
werden ihn nachlesen und werden sich wundern, wieso Sie so gelacht haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rawe: Herr Wehner, wir freuen uns ja nur darüber, daß Sie das damals schon richtig gesehen haben!)

Vielleicht
— so heißt es weiter —
erinnern Sie sich, daß ich im Zusammenhang mit den Schwierigkeiten, die in den Erwartungen der Vertragspartner UdSSR, Volksrepublik Polen, Rumänien und des hoffenlich baldigen Vertragspartners CSSR liegen, insofern wir nämlich unmöglich alle Erwartungen erfüllen können und doch genötigt sind, auch in der Frage der Wirtschaftsbeziehungen etwas zu tun, was dem Aufeinander-Zugehen dient, gesagt habe: Es fehlt ein Kopf, der durch und durch wirtschaftlich denken und disponieren kann, außerdem aber die politischen Impulse begreift und schließlich nicht den Ehrgeiz haben darf, sich selbst zu „profilieren" oder in den Vordergrund zu schieben. Ein solcher Kopf, der unserer Regierung fehlt, müßte koordinieren können, ohne ein Amt dazu aufbauen zu wollen. Er müßte jeweils das Kettenglied herausfinden, das dem jeweiligen Partner hilft, auch wenn wir nicht „alles" erfüllen können, was sich eigentlich jeder von unseren Partnern wünschte.
Das war es, was ich in meinem Schreiben gesagt habe:
Weder der Bundeskanzler noch der Außenminister werden von mir als kopflos gesehen oder bewertet.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Übrigens habe ich Grund anzunehmen, daß dem Bundeskanzler dieser Gedanke, den ich ihm gegenüber schon in einigen Zusammenhängen ausgesprochen hatte (z. B. nach einem Koschnick-Bericht über Polen-Eindrücke), nicht fremd ist.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich gebe allerdings zu, daß der Stümmelsatz, den ich eingangs zitiert habe, besser ins damalige „Spiegel"-Bild paßt als meine „skurrile" Erklärung, die ich Ihnen hiermit in Erinnerung rufen möchte.
Daraufhin hat der Herr Schreiber vom Spiegel geantwortet:
Vielen Dank für Ihren Brief vom 9. Oktober, der mich kurz vor der Abreise nach Israel erreicht hat. Ich habe die insgesamt neun Schreibmaschinenseiten mit Zitaten und Reiseeindrükken, die ich den Autoren der von Ihnen erwähnten Titelgeschichte an Hand gegeben hatte, noch einmal durchgelesen. Das von Ihnen beanstandete Zitat steht nicht drin. Ich erinnere mich aber ganz gut an Ihre jetzt brieflich wiederholte Definition des koordinierenden Kopfes, der unserer Regierung fehlt,

(Zurufe von der CDU/CSU) und erinnere mich auch, daß ich diesen Punkt in meinem ohnehin zu umfangreichen Informationsbericht für die Verfasser der Titelgeschichte gar nicht aufgenommen habe, nicht weil ich Ihre Erklärung „skurril" fand, sondern weil es zu viel Platz gekostet hätte, sie komplett und exakt wiederzugeben.

So der „Spiegel".

(Lachen bei der CDU/CSU.) Das soll nicht heißen,

— schließt Herr Schreiber —
daß ich mich vor der kollektiven Verantwortung für die von Ihnen monierte Titelgeschichte drücken will.

(Zuruf des Abg. Reddemann.)

Ich war daran beteiligt, und ich bin der einzig Beteiligte, der in der Sowjetunion mit dabei war. Auch habe ich den „Stümmelsatz" im Manuskript gelesen und meinerseits nicht moniert,

(Zurufe von der CDU/CSU)

da er mir durchaus ins Bild, nicht bloß ins „Spiegel"-Bild zu passen schien. Wenn das eine Fehleinschätzung war, bitte ich um Entschuldigung.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

— Mein sehr verehrter Herr Carstens, wenn Sie also nach etwas suchen,

(Abg. Reddemann: Das hätten Sie im „Vorwärts" veröffentlichen sollen!)

dann müssen Sie etwas anderes als dieses suchen. Dasselbe könnte ich jetzt weiter mit dem Brief erläutern, den mir der Chefredakteur der „Zeit" geschrieben hat, aber das lohnt nicht. Ich will Ihnen helfen — —

(Zuruf des Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] sowie weitere Zurufe von der CDU/CSU: Ahlers!)

— Nein, das lohnt nicht.

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Breidbach meldet sich zu einer Zwischenfrage.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0710100600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten — —

Herbert Wehner (SPD):
Rede ID: ID0710100700
Das lohnt nicht! Die Briefe läßt man mich nicht vorlesen, aber Zwischenfragen von Leuten soll ich beantworten. Ich gedenke das nicht zu tun.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD. — Zuruf des Abg. Reddemann sowie weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Herr Kollege Carstens, Sie haben mit besonderem Nachdruck aus der Zeit der Regierung Kiesinger, der ich als Mitglied des Kabinetts angehört habe, eine



Wehner
Erinnerung hervorgegraben und ein wenig, na, sagen wir einmal, massiert.

(Abg. Dr. Kunz [Weiden] und Abg. Stücklen: Na, na!)

— Ich kann mir gut denken, warum Ihnen das so gefallen hat. Damals ging es um gewisse Geheimdienstberichte mit Entstellungen von Gesprächen, die einige unserer Freunde in Italien geführt hatten.

(Zuruf des Abg. Dr. Kunz [Weiden].)

An Geheimdienstberichte erinnern Sie sich besonders, auch wenn sie entstellt waren. Daß es Ihnen dazu gerade gut genug ist, zu sagen, Sie hätten mich noch nie so in Erregung gesehen: Schönen Dank für dieses Kompliment! Ich war nur — die anderen Beteiligten werden eine etwas andere Erinnerung haben als Sie; es waren ja noch einige von Ihrer Seite dabei — gegen das Ausschlachten von Gesprächen in einer Weise, wie sie aus diesen Berichten hervorleuchtete oder hervorschimmerte.
Nun zum Fall Guillaume. Die Tatsache

(Zurufe von der CDU/CSU)

— das habe ich ja gesagt; Sie haben vielleicht Zugang zu den entsprechenden Papieren von Herrn Carstens —, daß damals einige Sozialdemokraten, darunter Leo Bauer, den ich hoch schätzte und schätze, gesprochen haben —(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Müssen Sie einen Toten noch, nachdem er tot ist und schwer gelitten hat, durch Ihr Gegröhl kränken oder beleidigen? Das ist nicht in Ordnung!

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

Nein, ich bin überzeugt, wenn wir darüber einmal in Ruhe reden könnten, einschließlich des Herrn Carstens,

(Zuruf des Abg. Reddemann)

würde sich in Ihrer Erinnerung einiges sozusagen zurechtbewegen.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

— Ich bitte Sie um Entschuldigung, Sie urteilen nach gewissen Geheimdienstberichten, die Ihnen damals zugespielt wurden. Ich habe dem Bundeskanzler gesagt, was ihm zu sagen war.

(Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU. — Abg. Reddemann: Wie bei Brandt!)

Und nun zum Fall Guillaume!

(Fortgesetzte Zurufe von der CDU/CSU.)

— Wollen Sie mir vielleicht sagen, ich hätte auch Herrn Kiesinger gestürzt? Das können Sie doch wohl nicht annehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU.)

Der ist durch etwas ganz anderes vergangen.
Zum Fall Guillaume, Herr Kollege Carstens, haben Sie so gesprochen, als ob Sie nicht wüßten, daß die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft im Gange sind und daß es untunlich ist, nun über — —

(Lachen bei der CDU/CSU.)

— Ich bitte Sie um Entschuldigung! Man kann ja die Bundesanwaltschaft fragen. Man kann ja im Vertrauensmännergremium danach fragen, was sie bereit und imstande ist, Ihnen, den Vertrauensmännern, zu sagen. Ich unterstelle mich dem absolut. Sie dürfen aber doch nicht so tun, als ob man über Dinge, die in der Ermittlung sind und wegen deren Leute vernommen werden, wegen deren die Spuren anderer noch verfolgt werden, hier in aller Öffentlichkeit sprechen könnte. Ich habe ja aus Ihrer Ecke schon gehört — jetzt ist das etwas leiser geworden —, Sie wollten vielleicht einen Untersuchungsausschuß darüber einsetzen. Na gut! Ich finde, Herr Kollege Carstens, daß Ihre Angaben über das, was Sie den Fall Guillaume nennen, nicht frei von einseitigen Wertungen sind, obwohl Sie es — jedenfalls in einigen der Punkte, die Sie hier schief dargestellt haben — genauer wissen könnten.

(Abg. Stücklen: Zum Beispiel? — Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Welche?)

— Das werden wir im Vertrauensmännergremium erörtern.

(Widerspruch bei der CDU/CSU. — Abg. Wohlrabe: Schutzbehauptung!)

— Sie glauben, das ginge so auf offenem Markt. Wehe dem, der Ihnen folgte. Dann wäre so gut wie nichts von raffinierter Geheimdiensttätigkeit aufzudecken.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Widerspruch und Lachen bei der CDU/ CSU. — Abg. Wohlrabe: Raffinierte Schutzbehauptung!)

Ich komme noch einmal auf eine Passage zurück, die in den Augen von Herrn Carstens sehr mager ausgefallen ist, die ich aber für ein ganz wesentliches Stück Darlegung von Kontinuität und Konzentration in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers Schmidt halte.

(Abg. Haase [Kassel] : Im alten Geist geht es weiter!)

Der Bundeskanzler hat für die politischen Leitlinien Kontinuität und für die Bestandteile der Politik der Koalition Konzentration angepeilt und definiert. Er hat gesagt:
Binnen zweieinhalb Jahren wird sich das sozialliberale Bündnis der Entscheidung der Bürger stellen. Bis dahin ist vieles zu tun.
Dies ist eine nüchterne Sprache, die Sie nicht schelten können.
An anderer Stelle heißt es in der Regierungserklärung:
Unsere Freunde und Nachbarn, unsere Bündnis- und Vertragspartner in der Welt sollen wissen, daß die Positionen unserer Außen- und Sicherheitspolitik unverändert bleiben. Wir werden die Politik der Friedenssicherung fortsetzen und die Sicherheit unseres Landes wah-



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ren und festigen. Wir werden aktiv mitarbeiten ..., um das zum Frieden notwendige Gleichgewicht der Kräfte zu erhalten.
Es folgen das Bekenntnis zur politischen Einigung Europas — in Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika — und die Feststellung, daß die Europäische Gemeinschaft die unersetzliche Grundlage dafür ist. Es wird gesagt, daß die Schaffung einer europäischen politischen Union dringender denn je ist. Zusammenfassend heißt es in der Regierungserklärung dann:
Zusammen mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft werden wir bestrebt sein, dieses Ziel zu verwirklichen.
Daß das Atlantische Bündnis die elementare Grundlage unserer Sicherheit und der notwendige politische Rahmen für unsere Bemühungen um Entspannung in der Welt ist, daß wir auch künftig an der politischen Stärkung der Allianz arbeiten und mit der Bundeswehr unseren im Bündnis vereinbarten Beitrag zur gemeinsamen Sicherheit leisten werden — diese Aussage wurde mit dem Dank an unsere Soldaten verbunden, die diese Aufgabe erfüllen —, finden wir in folgender Passage zusammengefaßt:
Das Gleichgewicht in der Welt und die Sicherheit Westeuropas bleiben auf absehbare Zeit . .. von der militärischen und von der politischen Präsenz der USA in Europa abhängig. Übereinstimmende sicherheitspolitische Interessen bestimmen das europäisch-amerikanische Verhältnis.
Meine Damen und Herren, Sie können doch nicht sagen — wie es der Herr Führer der Opposition im Bundestag getan hat —, aus diesen Worten spreche so etwas wie Resignation. Wir haben in der Regierungserklärung unsere Entschlossenheit betont, zusammen mit unseren Verbündeten eine Politik der Rüstungskontrolle und Rüstungsverminderung zu unterstützen, um die Gefahr machtpolitischer und militärischer Pressionen einzuschränken. Es wurde gesagt, daß die Regierung nicht ohne Sorge die wachsenden Rüstungsanstrengungen im Warschauer Pakt betrachtet und deshalb auch den Erfolg der sowjetischamerikanischen Bemühungen um die Begrenzung nuklear-strategischer Waffensysteme wünscht, daß sie ihre eigenen Anstrengungen für eine ausgewogene, beiderseitige Verminderung von Truppen und Rüstungen in Europa — mit dem ernsten Willen zum Erfolg — fortsetzt, ebenso wie sie das wünscht, was mit der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in ganz Europa geplant und gedacht ist. Denn wir möchten — so betont es die Regierung —, daß diese Konferenz, der wir eine vertrauensbildende Bedeutung für ganz Europa zumessen, zu positiven Ergebnissen führt, und es ist unser Ziel, über bloße Entschließungen hinaus zu praktischen Ergebnissen zu gelangen, um der Entspannungspolitik in Europa mehr Substanz zu geben.
Im Geiste dieser politischen Ziele ist es, daß die Bundesregierung unseren Willen zur Zusammenarbeit mit jenen Staaten in Europa betont, die selbst keiner der politischen oder militärischen Gruppierungen oder Allianzen angehören, doch deshalb nicht etwa weniger an Fortschritten der Entspannung und der Friedenssicherung interessiert sind.
Ich finde, daß die Regierungserklärung realistisch feststellt, die internationale Entwicklung zeige uns, daß es richtig war, mit der Vertragspolitik gegen-
über unseren östlichen Nachbarn die Chance nicht zu versäumen, unsere eigenen Interessen mit dem weltweiten Entspannungsprozeß zu verbinden.
Die Verträge von Moskau und Warschau und der vor der Ratifikation stehende Vertrag von Prag sind Ergebnisse unserer internationalen Entspannungsbemühungen, und ohne diese Verträge — Herr Carstens, Sie haben hier eine kritische Bemerkung in bezug auf Berlin angebracht — wäre das Viermächteabkommen über Berlin nicht zustande gekommen. Es hat die Lebensfähigkeit dieser Stadt auf eine sicherere Basis gestellt und zur Befriedung in Mitteleuropa beigetragen. Daß die Bundesregierung ihrerseits alles tun wird, um die Lebensfähigkeit Berlins zu sichern, das Vertrauen der Berliner in die Zukunft zu stärken sowie die Bindungen ihrer Stadt an die Bundesrepublik Deutschland aufrechtzuerhalten und zu entwickeln, sollte doch wohl von allen Seiten des Deutschen Bundestages nachhaltig unterstützt werden können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Mit der Vertragspolitik, die von mir an Hand dieser Regierungserklärung wiedergegeben oder angedeutet worden ist, hat unsere sozialliberale Koalition insbesondere durch den Abschluß des Vertrages über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR der Politik den praktischen Weg eröffnet, in Deutschland zu einem geregelten Miteinander zu kommen; und trotz aller Schwierigkeiten und Rückschläge werden wir in dem Bemühen nicht nachlassen, die gegenseitigen Beziehungen zu verbessern. Sie sind nach unserer Auffassung, so haben wir gesagt, Beziehungen von besonderer Art.
An dieser Stelle erinnere ich und lenke Ihre Aufmerksamkeit, meine Damen und Herren, auf die am 26. Januar 1973 vom damaligen Bundeskanzler Willy Brandt gegen Schluß der Debatte über die Regierungserklärung der Bundesregierung Brandt/Scheel vorgenommene Zusammenfassung der Schwerpunkte dieser Debatte. Er behandelte zunächst die Außen- und Deutschlandpolitik und kam zu folgenden Feststellungen.
Erstens: die entschlossene Verwirklichung der europäischen Union, damit wir das in Paris gesetzte Ziel in der verabredeten Frist — wie er es ausdrückte: womöglich früher — erreichen können. Ich habe nicht erkennen können, sagte er damals, daß die Opposition dies wesentlich anders sieht.
Zweitens: die Fundamentierung der europäischamerikanischen Allianz durch Prüfung und Ausgleich der gemeinsamen Interessen und Bewahrung der Sicherheit. Ich habe, sagte Brandt damals, nicht sehen können, daß die Opposition dies wesentlich anders sieht.



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Drittens: Abbau der Spannungen von ihren Ursachen her. Das ist die Aufgabe, die wir uns durch die Teilnahme ran den beiden Konferenzen setzen, die jetzt — damals — mühsam vorbereitet werden. Darüber werden wir miteinander — so, wie die Dinge voranschreiten — sehr ernsthaft reden müssen.
Viertens: geduldige Arbeit für eine gute Nachbarschaft mit Osteuropa als Erfüllung und Ergänzung der Verträge, die wir beschlossen haben. „Das sieht mancher bei ihnen" — so sagte er, an die Opposition gewandt — „weiterhin anders; aber der Herr Kollege Strauß hat ja vorgestern — damals im Januar — ausdrücklich gesagt, man müsse vom Boden der demokratisch so geschaffenen Tatsachen aus Politik machen."
Fünftens: Ratifizierung und Ausfüllung des Grundvertrages. Brandt fügte damals hinzu — damit hätte er auch 'anfangen können —: von zwei deutschen Staaten unter der konsequenten 'Forderung von uns, egal wie lang es braucht, bis sie erfüllt ist, daß auch an der Grenze zur DDR täglicher Friede einkehren kann und ein Höchstmaß an Freizügigkeit hinüber und herüber erreicht wird.
Der Bundeskanzler Helmut Schmidt hat in seiner Regierungserklärung die gleichen außen-, sicherheits-, europa- und deutschlandpolitischen Positionen markiert, die 1973 in der Regierungserklärung bestimmend waren. Ich halte das nicht für einen Nachteil, sondern ich halte das für das, was wir unter Kontinuität verstanden wissen wollen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es kann also nicht kritisiert werden, wie es hier geschehen ist. Die Regierungserklärung Helmut Schmidts konzentriert sich auf die Notwendigkeiten, die sich aus der internationalen und europäischen Entwicklung ergeben und denen wir uns stellenmüssen, wenn die Ziele nicht verfehlt werden sollen.
In den Punkten der Regierungserklärung — ich glaube, sie haben die Ziffern 31 bis 35 — ist die Regierungserklärung mitten 'hineingegangen in unsere ökonomische, politische, soziale Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland, immer im Geflecht der europäischen Gemeinschaft. Denn genauso, meine Damen und Herren, das wissen Sie doch genau, wie es töricht wäre, als Bundesrepublik allein von militärischer Sicherheit zu sprechen — Sicherheit besteht nur im Verbund mit anderen —, ist es eben auch in bezug auf die inflationären Strömungen und Tendenzen in der Welt, denen wir uns nicht willenlos hingeben. Aber wer sich die Mühe macht, in der von mir erwähnten und zitierten Rede Brandts vom 26. Januar 1973 nachzulesen, der wird — damals bei den Schwerpunkten im Innern an die Spitze gestellt, eins, zwei und drei — diese Bemühungen sehen.
Heute zwingt uns die Entwicklung zur Konzentration. Ich nenne nur Stichworte. Meine Kollegen werden darüber ausführlich 'mit ihnen reden und, wenn notwendig, ringen. Ich nenne: Auf Grund der Ölpreisentwicklung und sonstiger Rohstoffpreisentwicklungen inflationäre Erscheinungen in der Welt, in die wir verflochten sind und in der wir leben.
Wenn die Opposition — es ist auch heute wieder angekündigt, und besonders deutlich hat das der schleswigholsteinische Ministerpräsident Stoltenberg gestern in einem Blatt getan — erklärt, daß sie die Steuerreform 'zum Gegenstand ihrer Bemühungen machen werde, das Regierungsprogramm Helmut Schmidts und seines Kabinetts aus den Angeln zu heben, so zielt sie damit — ich sehe das so — auf das Feld, dessen Verwüstung innen- wie europapolitisch unsere Rolle als ein Partner in West und Ost, in Nord und Süd lähmen könnte. Denn dies ist innenpolitisch lebenswichtig für unsere Partnerrolle in West, Ost, Nord und Süd.
Denn ich persönlich — ich kann mich hier nicht darüber ausbreiten, will es nur erwähnen, weil dies als zentraler Punkt des Angriffs auf die Regierungserklärung bezeichnet worden ist — will zu der Steuerreform sagen: sie ist ein wesentlicher Faktor als ein gesellschaftspolitischer Stabilisator mit Konsequenzen für die haushalts- und für die finanzpolitische Leistungsfähigkeit unseres demokratischen und sozialen Bundesstaates in der Europäischen Gemeinschaft. Denn — ich wiederhole — nationale Maßnahmen allein würden sowenig wie bei Verteidigung und Sicherheit ausreichen. Aber unser Beitrag, das, womit wir uns bei uns selbst Mühe geben, wie aber auch die Beiträge der anderen, das ist es, wo wir uns jetzt der Konzentration widmen.
Ich will noch einige Bemerkungen zum vertraglich geregelten Verhältnis zur DDR sagen — als einem besonders schwierigen und zugleich besonders wichtigen Feld unserer Bundesrepublik. Die Regierungserklärung hat mit Recht betont, daß wir im Geiste der Entspannungspolitik und im Interesse aller Deutschen mit der DDR Verträge geschlossen haben, die nicht nur aus Buchstaben bestehen. Beide Vertragspartner müssen sich auch an den Geist abgeschlossener Verträge halten, heißt es in der Regierungserklärung. Es ist eine gewichtige Feststellung, daß mit diesem Geist der schwerwiegende Spionagefall nicht vereinbar ist, der die Menschen in Ost und West in diesen Tagen tief beunruhigt. Mit Recht heißt es deshalb in der Regierungserklärung:
Wir kennzeichnen diesen Fall in aller Offenheit als eine ernste Belastung des Verhältnisses zwischen den Vertragspartnern, ... zumal wir selbst entschlossen sind, von unserer Seite aus den Vertrag nach Buchstaben und nach seinem Geiste voll zu erfüllen.

(Beifall bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, im Gefüge der Verträge, die wir mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken als einer der Vier Mächte, die besondere Verantwortung für Deutschland als Ganzes, wie es 1945 hieß, in Berlin besonders tragen, geschlossen haben — die Sowjetunion verfügt zugleich über besonderes Gewicht im Rahmen der im Warschauer Pakt zusammengeschlossenen Staaten, mit denen wir ja ebenfalls Verträge geschlossen haben —, spielt der Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland



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zur DDR eine Rolle, die sowohl für das Verhältnis unseres Staates zur Gruppe der Staaten des Warschauer Pakts als auch bilateral von hochrangiger Bedeutung für unsere Politik der Friedenssicherung ist.
Diese Verträge über unsere Beziehungen zu jedem dieser Staaten sind für sich genommen präzise einzuhalten und entwicklungsfähig. Jeder muß zugleich als Bestandteil eines Systems von Verträgen gesehen und gepflegt werden. Das gilt auch für die Wirtschaftsbeziehungen; es gilt für multilaterale Vorhaben wie die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in ganz Europa und für die Konferenz zur schrittweisen Rüstungs- und Truppenbegrenzung. Nicht zu vergessen ist auch folgendes: Auf uns zuzukommen — oder wir werden uns bemühen müssen — scheint in absehbarer Zeit eine Abrüstungskonferenz.
In dem Bericht, den ich am 1. Juni des vergangenen Jahres dem Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands über Gespräche gegeben habe, die ich am 30. und 31. Mai mit dem ersten Sekretär der SED, Erich Honecker, und Vertretern der Fraktion in der Volkskammer der DDR geführt hatte — der Bericht ist damals im Wortlaut veröffentlicht worden —, heißt es in Honeckers damaliger Eigendiktion:
Er unterstrich die Erwartung, daß der Grundlagenvertrag baldigst in Kraft gesetzt werden kann. Seine strikte Einhaltung und volle Anwendung wird es ermöglichen, günstige Bedingungen für die Zusammenarbeit zwischen der DDR und der Bundesrepublik zu schaffen, was dem Wohl der Menschen in beiden deutschen Staaten dient. Im Zuge der Normalisierung der Beziehungen zwischen der DDR und der BRD werden praktische und humanitäre Fragen gelöst, wie es im Grundlagenvertrag vorgesehen ist. Eine besondere Rolle werden die Abkommen spielen, die entsprechend diesem Vertrag auf dem Gebiet der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Technik, des Verkehrs, des Rechtsverkehrs, des Post- und Fernmeldewesens und über andere beiderseits interessierenden Fragen abzuschließen sind. Das wird eine neue, für die Beteiligten vorteilhafte Seite in der Herstellung gutnachbarlicher Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik aufschlagen.
Daran wollte ich erinnert haben.
Ich habe seinerzeit — das geht aus demselben Bericht hervor — unsere Auffassung von der Schlüsselrolle des Viermächteabkommens über Berlin dargelegt und seine Ausführung als entscheidend für das Verhältnis von Bundesrepublik Deutschland und Deutscher Demokratischer Republik zueinander sowie für die weitere Entwicklung in dem durch dieses Abkommen und durch die Vertragsgrundlagen der Bundesrepublik Deutschland bestimmenden Gefüge der obersten Verantwortung der Vier Mächte bei den Bemühungen um Frieden und gutnachbarliche Beziehungen in Europa und für den Frieden in der Welt begründet.
Meine Damen und Herren, ich erinnere auch an folgendes. Bei aller Kritik an den bisherigen Ergebnissen aus den Vertragsregelungen zwischen diesen beiden Staaten im getrennten Deutschland darf daran doch nicht vorbeigesehen werden: Die Zahlen sprechen eine positivere Sprache, Besucherzahlen hinüber und herüber, Zahlen über Ausreisegenehmigungen, Familienzusammenführungen und Transitverkehr. Vor allem gibt es Verträge als Grundlage für die Austragung von Streitfragen, die sich aus den verschiedenen Interessen beider Seiten ergeben. Wie wir gesehen haben, ist bezüglich des Sportverkehrs ein Schritt voran gegangen worden.
Ich halte für aktuell, Bemühungen um eine Korrektur z. B. der Mindestumtauschbeträge für Besucher, Entwicklung und Sicherung der Wirtschaftsbeziehungen und des Energieverbunds — auch zum Nutzen Berlins — und Folgevereinbarungen aus dem Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen sorgfältig und gediegen zustande zu bringen.
Ich komme noch einmal zurück auf die interessanten sachlichen Bemerkungen, die der Herr Kollege Carstens in bezug auf das, was die CDU/ CSU zur Ost- und zur Vertragspolitik in dieser Richtung zu sagen hatte, gemacht hat. Ich erinnere an eine Erklärung, die das Kuratorium „Unteilbares Deutschland" im vorigen Jahr zum 20. schmerzlichen Jahrestag des 17. Juni herausgegeben hatte. In ihr hieß es:
Die Teilung Deutschlands ist gegen den Willen der Deutschen, aber nicht ohne deutsche Schuld zustande gekommen. Das System der Mächte, das sich als Antwort auf den unmenschlichen Nationalsozialismus schließlich ergeben hat, wird die Grundstruktur des europäischen Kontinents für eine überschaubare Zukunft bleiben. Gegenwärtig leben wir Deutsche in zwei völlig gegensätzlichen gesellschaftlichen und politischen Ordnungen. Gerade deshalb müssen wir auf die Sicherung des Friedens und den Abbau der Spannungen hinarbeiten.
Es ist Aufgabe der vor uns liegenden Zeit, das Bewußtsein der Einheit der Nation zu erhalten. Gemeinsame Geschichte, Sprache und Kultur sind unauslöschliche Bestandteile dieser Einheit der Nation. Die durch jahrelange Trennung verschütteten menschlichen Beziehungen gilt es Schritt für Schritt neu zu beleben.
Mit sachlichem Ernst ist damals erklärt worden:
Bis in diese Tage ist um die Politik der Verträge und um die Verträge selbst leidenschaftlich gerungen worden. Nachdem die Verträge gütig geworden sind, gelten sie für die Befürworter wie für die Kritiker.
Alle Parteien sind sich darüber einig. - So hieß es damals.
Auf dieser Basis muß nunmehr versucht werden, das Beste für alle Deutschen aus der neuen Situation zu machen. Niemand sollte sich Illusionen hingeben, jedoch darf sich auch niemand von der Schwere der Aufgabe zu Resignation verleiten lassen. Eine Sprache und



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Politik der bloßen Gegensätze würde nicht weiterführen. Es ist Aufgabe der kommenden Monate und Jahre, Annäherung für die Menschen in beiden Richtungen Stück für Stück in die Wege zu bringen.
Ich habe mich im vorigen Jahr veranlaßt gesehen, in der 44. Sitzung des Deutschen Bundestages diese Erklärung, an der Kollegen aller drei Bundestagsfraktionen, aller im Bundestag vertretenen Parteien mitgewirkt haben, Wort für Wort vorzulesen, weil es damals leider eine sehr konträre Rede des Herrn Kollegen Carstens außerhalb des Bundestages dazu gegeben hatte. Sie finden diesen ganzen Text in dem Protokoll der 44. Sitzung der 7. Wahlperiode, Seite 2469 und Seite 2470.
Zum Schluß einiges zum Verhältnis der Opposition zur Koalition! Da komme ich zu dem zurück, wo ich mich zu dem geäußert habe, was Herr Kollege Carstens am Schluß seiner Rede gesagt hatte. In der Debatte über die Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 hatte ich Erklärungen des damaligen Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Herrn Dr. Barzel, zitiert:
Das Wahlergebnis gibt diesem 7. Deutschen Bundestag einen ganz anderen Charakter und verlangt von der Opposition eine andere Strategie und Taktik als im 6. Deutschen Bundestag. Wir sind nicht mehr verhinderte Regierungspartei, sondern wir sind klar Opposition, und die anderen sollen regieren. Das heißt, daß man der Regierung die Zeit lassen muß, jetzt mit ihren Vorlagen zu kommen. Das heißt, daß wir nicht jeden Tag, wie wir dies im letzten Bundestag gemacht haben, mit Initiativen und Alternativen hervortreten müssen. Unsere Opposition darf nicht tagespolitisch sein, sie muß gerichtet sein auf morgen, auf die bessere Alternative für 1976.
Damals standen Ihnen, meine Damen und Herren. noch Klausurtagungen der CDU/CSU und der CDU als Partei bevor. Wenige Monate später hatten Sie einen Führungswechsel in der Fraktion der CDU/ CSU und auch einen in der Partei der CDU vorgenommen. Im Juni hatten Sie umgruppiert, und zugleich zeigte sich, daß der Vorsatz vom 16. Dezember 1973, den ich hier zitiert hatte, ausgelöscht schien.
Wenn nun heute gefragt und spekuliert und prophezeit wird, wie es um die Führung auf der Seite der Koalitionsparteien — Sozialdemokraten, Freie Demokraten —, ihrer Parlamentsfraktionen und der Bundesregierung stehe, respektive wie sich das entwickeln werde oder müsse, so sage ich Ihnen ganz trocken: Lösen Sie bitte Ihre Führungsprobleme!

(Beifall bei den Regierungsparteien.) Die unseren sind von anderer Natur.


(Ironischer Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Dazu wissen wir, daß wir den Bundeskanzler Helmut Schmidt und sein Kabinett mit konzentrierten Kräften

(Abg. Haase [Kassel] : Das letzte Aufgebot!) der Parlamentsfraktion, der Koalition und der großen Kraft der Mitgliederpartei SPD zu unterstützen haben. Das gilt, meine Damen und Herren, in Personen ausgedrückt für den Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands wie für den Vorsitzenden der Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag.


(Beifall bei der SPD.)

Schließlich lassen Sie mich am Schluß sagen: Bei allem bitteren Streit und bei einem hohen Maß von Vergiftung dieses Streites durch Kampagnen der Verteufelung und der Feindschaft — —

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich habe Ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das merke ich seit zweimal 24 Stunden an dem Gerede, daß Sie neuerdings jetzt Ihre Nummer 1 bald bestimmen müssen, während Sie vorher sagten, es habe noch Zeit bis tief in das Jahr 1975 hinein.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Marx: Sie haben doch keinen Strich durch die Rechnung gemacht! Das machen doch wir, wie wir wollen!)

— Nein, Kampagnen sind von Ihnen geführt worden. Setzen Sie sich bitte mit denen auseinander, die Sie in solche Kampagnen hineinlocken, hineintreiben und sie fortgesetzt steigern. Das werden Sie auch noch eines Tages tun.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Reddemann: Wer hat denn die Kampagne eröffnet?! Das waren doch Sie, Herr Wehner! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Bei all dem haben Sie und wir nicht weniger, in dem wir übereinzustimmen haben, als daß wir Gegensätzliches haben. Die Grundübereinstimmung ist die freiheitlich-demokratische Grundordnung als Boden und als Rahmen für die Austragung unserer Streitigkeiten im Ringen um die spezifischen Gewichte des Sozialen, des Freiheitlichen in unserer demokratischen Ordnung. Damit wir dieses Ringen führen können, brauchen wir Sie, und was Sie immer von uns halten und wir von Ihnen kennengelernt haben, — um dies kommen Sie nicht herum. Wir wissen, was wir dem Ganzen schuldig sind. Sie müssen sich auch bald daran erinnern.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das, worin Sie, meine Damen und Herren, und wir übereinstimmen, wiegt nach meiner Ansicht nicht weniger schwer als das, worüber wir streiten, um es sehr nüchtern zu sagen. Da komme ich — entschuldigen Sie — noch einmal zurück auf die Regierungserklärung der ersten Regierung Brandt/Scheel von 1969, in der es damals nach bitteren Auseinandersetzungen diesen schlichten Satz gab: „Im sachlichen Gegeneinander und im nationalen Miteinander." Vielleicht bedurfte es erst vielen Durcheinanders, um dazu zu kommen. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.

(Anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien.)





Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0710100800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0710100900
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich mich mit der Regierungserklärung und — soweit überhaupt notwendig — mit der Stellungnahme des Oppositionsfraktionsführers auseinandersetze, ein Wort des Dankes an den bisherigen Bundeskanzler und an den bisherigen Außenminister.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, ich selbst wie auch meine Freunde haben den Schritt von Bundeskanzler Brandt tief bedauert, wenngleich wir ihn respektieren. Das partnerschaftliche Zusammenwirken mit ihm und in der von ihm geführten 'Regierung trug entscheidend zu der erfolgreichen Arbeit der letzten Jahre bei.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir würdigen dies nicht nur jetzt, es wird bei uns auch fortwirken. Fairneß und Loyalität sind nicht selbstverständlich in der Politik. Wir Freien Demokraten haben das oft erleben müssen. Mit Willy Brandt haben wir diese Fairneß und Loyalität erlebt. Wir danken dafür.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die FDP ist bereit, diese vertrauensvolle Zusammenarbeit auch unter Bundeskanzler Helmut Schmidt fortzusetzen.

(Beifall bei der FDP. — Zuruf von der CDU/ CSU: Bravo!)

Ihnen, lieber Walter Scheel, unseren Dank dafür, mit welcher Entschlossenheit und Zielstrebigkeit Sie die liberale Partei in schwerer Zeit erfolgreich geführt haben. Dies stellte sicher, daß in der Außenpolitik neue Möglichkeiten erschlossen und in der Innenpolitik das Tor zur Verwirklichung notwendiger vernünftiger Reformen geöffnet werden konnte. Wir bedauern Ihr Ausscheiden aus der aktiven Tagespolitik und sind stolz darauf, daß unser Parteivorsitzender zum Bundespräsidenten gewählt worden ist. Herzlichen Dank für Ihre Arbeit.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, beide Männer zusammen haben ein Regierungsprogramm geschaffen, daß auch für die künftige Arbeit der sozialliberalen Koalition bestimmend sein wird. Die am 18. Januar 1973 in der Regierungserklärung festgelegte Gesamtrichtung bleibt bestehen. Ihre Aktualisierung ist erfolgt. Dies hat, wie der Herr Bundeskanzler dargelegt hat, seinen plausiblen Grund auch darin, daß FDP und SPD eine stattliche Reihe von Vorhaben in den vergangenen Monaten erfolgreich abschließen konnten. Dazu nur einige Stichworte: Kartellrecht, Ausbau der Umweltschutzgesetzgebung, Verbesserung des Verbraucherschutzes, Neuordnung des Rentenrechts, laufende Verbesserung der Einrichtungen und der gesetzlichen Grundlagen zur Erhaltung der inneren Sicherheit. Und dieses und vieles mehr noch soll nach Meinung der Opposition gescheiterte Politik sein? Dieses hätten
Sie gern, und Sie versuchen, mit wechselndem Erfolg, dies den Menschen draußen weiszumachen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die lange Liste der verwirklichten Vorhaben widerlegt doch bereits jetzt, kurz vor Halbzeit der Legislaturperiode, diese vorschnelle, durch Fakten nicht beweisbare Behauptung der CDU/CSU. Das ganze ist doch ein durchsichtiges Manöver: Unruhe überall dort zu erzeugen, wo die Opposition selbst jede ausreichende Alternative vermissen läßt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, im übrigen ist mir unverständlich — Herr Kollege Carstens hat selbst darauf hingewiesen —, wieso eigentlich die Opposition — doch wohl offenbar mangels besserer Alternativen — über 90 % der Gesetze zugestimmt hat, wenn angeblich die gesamte Politik gescheitert sein soll. Das ist doch wiederum ein Widerspruch in sich selbst.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, was wir uns weiter vorgenommen haben — Steuerreform, Mitbestimmung, Vermögensbildung, berufliche Bildung, Reform des Bodenrechts —, ist doch durch die jüngste Entwicklung nicht etwa unaktuell oder weniger dringlich geworden, ganz im Gegenteil. Wenn man sich aber die Erklärungen der Führungsgremien von CDU und CSU vor Augen führt, in denen verbrauchte Rezepte als „Wertpapiere" für eine angeblich neue Politik herhalten müssen, bleibt für uns nur eine Erkenntnis übrig: mit Energie und Zielstrebigkeit das Programm der sozialliberalen Koalition zu erfüllen — und nichts anderes.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, der Ausbau unseres sozialen Rechtsstaates und die Absicherung unserer marktwirtschaftlichen Ordnung durch weiterentwikkelte sowie ausgleichende Regelungen dürfen ebensowenig zum Stillstand kommen wie die Fortführung der Politik der guten Nachbarschaft, wie sie Willy Brandt und Walter Scheel eingeleitet haben. Dazu gab es und gibt es keine Alternative.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, für uns heißt reformieren Bestehendes verbessern, aber nicht das System verändern. Wir wollen unserer als grundsätzlich richtig erkannten Gesellschaftsreform eine bessere Qualität geben, also bei der freiheitlich-rechtsstaatlichen Ordnung bleiben, sie weiterentwickeln, aber weder abschaffen noch auf den Kopf stellen, wie es uns immer wieder von manchen Rednern der Opposition unterstellt wird.

(Dr. von Bismarck: [CDU/CSU] : Von der SPD vorgeschlagen! Sie verwechseln das!)

— Ich spreche für die FDP. Das wissen Sie doch ganz genau.
Die Politik der Friedenssicherung und Entspannung wird beharrlich fortgesetzt werden. Diese Politik beruht weiterhin auf der notwendigen europäischen Integrations- und der atlantischen Bündnis-



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politik, ergänzt durch eine realistische Ost- und Deutschlandpolitik. Durch unseren Beitritt zur UNO im Jahre 1973 hat diese Politik eine zusätzliche Dimension erhalten. In der Ost- und in der Deutschlandpolitik kommt es jetzt vor allem darauf an, den vorgegebenen vertraglichen Rahmen weiter wie bisher auf den verschiedensten Gebieten mit Leben zu erfüllen.
Wir sind uns alle in diesem Hause über die politische Wertung, die politische Beurteilung der Spionageaffäre Guillaume einig. Aber diesen Fall, wie das oft im Lande draußen geschieht, als Beweis dafür zu mißbrauchen, die gesamte Vertragspolitik mit unseren östlichen Nachbarn sei falsch, ist unsachlich, primitiv und unpolitisch zugleich.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, gerade unsere Generation ist doch aufgerufen, auf die tiefgreifenden Nachwirkungen des letzten Weltkrieges so entschlossen wie möglich und so realistisch wie nötig zu reagieren. Daß das ein langwieriger Prozeß ist, wissen wir; wir haben immer wieder darauf hingewiesen.
Wir begrüßen die intensiven Bemühungen der Bundesregierung und der europäischen Partner, auf den Konferenzen für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sowie über die Rüstungskontrollen zu tragbaren und allen Menschen dienenden Kompromissen zu kommen. Dies muß unbeirrt fortgesetzt werden.
Die Politik der Entspannung und Zusammenarbeit ist besonders gegenüber der DDR notwendig und hat trotz einiger negativer Punkte eine insgesamt positive Bilanz aufzuweisen. Herr Kollege Wehner hat schon darauf hingewiesen, wie die Verbindungen zu Berlin gefestigt worden sind, daß der Transitverkehr auf den Zugangswegen von und nach Berlin seit Juni 1972 im wesentlichen, bis auf kleine Punkte, reibungslos verläuft, daß bei der Zahl der Reisenden — 1973 13,6 Millionen — eine Zunahme gegenüber 1972 um 30 %, gegenüber 1971 sogar um 78 % zu verzeichnen ist. Das alles will man nicht wahrhaben, wenn man in Bausch und Bogen diese Politik verurteilt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Bindungen Westberlins und die Außenvertretung durch den Bund konnten auf der Grundlage des Viermächteabkommens gestärkt und gefestigt werden. Wer von Ihnen, meine Damen und Herren, Gelegenheit hatte, in der vom Fernsehen gezeigten Dokumentation über 25 Jahre Bundesrepublik die schweren Auseinandersetzungen und die Schwierigkeiten im Berlin-Verkehr in den letzten Jahren zu sehen, der weiß erst richtig zu würdigen, wie weit und wie gut wir heute hier vorangekommen sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Natürlich ist nicht alles erreicht. Wir wollen weitere Verbesserungen erzielen und auf der Basis des Grundlagenvertrags über Fragen des Umweltschutzes, des Rechtshilfeverkehrs, der Kultur, der Wissenschaft und Technik, des Handels, des Post- und Fernmeldewesens weiter verhandeln. Inzwischen wurden auch Abkommen abgeschlossen: im Gesundheitswesen, Vereinbarungen im Bereich des nichtkommerziellen Zahlungsverkehrs, zwischen den beiden Sportorganisationen. Diese Bilanz ließe sich noch verlängern. Mir schéint jedoch, sie spricht schon für sich, für jeden, der bereit ist, objektiv zu urteilen und nicht die Propaganda zum Maßstab seines Urteils zu machen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wie recht wir mit dieser Beurteilung haben, ist ja auch zum Teil von Kollegen der Opposition zu hören. Ich kann nur Herrn Kollegen Leisler Kiep zustimmen, wenn er ein vitales Interesse der Bundesrepublik Deutschland an einer Weiterführung der Entspannungspolitik gerade gegenüber der DDR konstatiert und vor einer Stagnation der deutsch-deutschen Beziehungen warnt. Gerade in diesem Bereich der Politik müssen wir die Interessen und die Bedürfnisse der Menschen in beiden Teilen Deutschlands unseren Überlegungen voranstellen, vor allen anderen Fragen, die innenpolitisch eine Bedeutung haben mögen.
Meine Damen und Herren, mit Recht ist schon in den Diskussionsbeiträgen der Kollegen Carstens und Wehner auf die europäische Entwicklung hingewiesen worden. Die Maßnahmen der italienischen und dänischen Regierung erfüllen uns alle mit großer Sorge, geht es bei diesen Maßnahmen, nämlich die Importe dieser Staaten aus den Partnerländern erheblich zu erschweren, wenn nicht gar zu stoppen, doch um die Substanz der Verträge von Rom. Es ist selbstverständlich, daß wir Freie Demokraten alle Maßnahmen und Initiativen der Bundesregierung tatkräftig unterstützen werden, um diese Probleme zu meistern. Wir hoffen, daß der neue französische Präsident, dem wir unsere besten Wünsche aussprechen, die europäische Einigung als genauso vordringlich ansieht, wie wir selbst, denn sie liegt im beiderseitigen Interesse von Frankreich und Deutschland.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, die allgemeine Grundtendenz der Regierungserklärung, unveränderte Fortsetzung der Politik der letzten Bundesregierung, gilt auch auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik. Ich brauche deshalb nicht im einzelnen zu widerholen, was ich für meine Fraktion am 18. Januar 1973 ausgeführt habe. Auch heute steht im Vordergrund: Die von uns angestrebte Sicherheit sehen wir nach wie vor in einer engen Zusammenarbeit im Rahmen der NATO verwirklicht, wobei wir unsere alte Forderung wiederholen, die Bemühungen um eine Arbeitsteilung im Bündnis trotz aller Schwierigkeiten verstärkt fortzusetzen. Wir verstehen darunter, daß nicht jeder Mitgliedstaat in jeder Teilstreitkraft und auf jedem Gebiet eines jeden Waffensystems tätig zu sein braucht.
Mit der Strukturreform bei der Bundeswehr sind wir in der Zwischenzeit ein gutes Stück weitergekommen. Zu unserem Bedauern hat der Bundesrat am 10. Mai 1974 keine Zustimmung gegeben. Da dies aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, insgesamt sechs Entwürfen an diesem Tag so ergangen ist, glaube ich, daß die Opposition damit demonstrieren wollte, daß die Ablehnung im halben Dutzend



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eben billiger ist. Besser geworden ist dadurch die Argumentation der Opposition auch in der Sicherheitspolitik um keinen Punkt.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Franke [Osnabrück] : Das war aber nicht sehr stark, Herr Mischnick!)

— Wenn Sie meinen, daß es das richtige Verfahren ist, pauschal Gesetzentwürfe abzulehnen, dann steht das im Widerspruch, was Kollege Carstens hier vorhin gesagt hat. Ich werde aber auf dieses Kapitel noch im einzelnen zurückkommen.

(Abg. Franke [Osnabrück]:: Ich meinte nur den Inhalt Ihrer Bemerkung!)

In der Wirtschafts- und in der Finanzpolitik ist das Nahziel die Steuerreform. Sie wird zu weitgehenden Entlastungen unterer und mittlerer Einkommen und zu mäßigen Mehrbelastungen bei höheren Einkommen bei gleichzeitigem Abbau von Steuervergünstigungen führen.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Eineinhalb Jahre zu spät!)

Durch die Entlastung werden insbesondere auch diejenigen Personengruppen berücksichtigt, die nicht durch mächtige Interessenverbände vertreten sind. Aus Zeitgründen ist es jetzt nicht möglich, das hier im Detail darzulegen. Dazu werden wir in 14 Tagen Gelegenheit haben, wenn dieses Haus vor der Entscheidung steht. Meine Fraktion hält zusammen mit der Bundesregierung gerade diese Reform für äußerst vordringlich, auch wenn sie — das sei unumwunden zugegeben — sehr viel Geld kostet. Aber ich glaube, man sollte hier in erster Linie die Chance und nicht die Gefahr sehen. Wenn ich „Chance" sage, dann meine ich, daß damit der Zwang zu einer konsequenten, restriktiven Haushaltspolitik von Bund, Ländern und Gemeinden verbunden ist, die sich als Notwendigkeit aus dieser Steuerentlastung ergibt. Da die Opposition in diesem Hause Steuerentlastungsvorschläge zu Lasten von Bund, Ländern und Gemeinden vorgelegt hat, die zusätzlich noch einmal fast die gleichen Kosten verursachen würden — allerdings ohne die gleichen sozialpolitischen Wirkungen zu erzielen —, erwarten meine Freunde und ich, daß die von der CDU bzw. CSU geführten Länder im Bundesrat einer fairen Aufteilung der Steuermindereinnahmen auf Bund, Länder und Gemeinden ihre Zustimmung nicht verweigern werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Diese Mindereinnahmen sollen und müssen Bund, Länder und Gemeinden zu einer sparsamen Haushaltsführung zwingen.
Herr Kollege Carstens hat wieder darüber gejammert, daß die CDU/CSU-Anträge zur Steuersenkung abgelehnt worden seien. Wir halten an der Steuerreform fest, weil sie die einzige Möglichkeit ist, vom Augenblickserfolg weg, den Sie haben wollen, zu einer grundsätzlichen Reform zu kommen, die wirklich eine Entlastung auf längere Zeit mit sich bringt und nicht nur für den Tag wirkt, wie Sie es mit Ihren Anträgen vorhaben.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, mir scheint es notwendig zu sein, daß die durch die Steuerreform erzwungene Politik der Sparsamkeit auch auf die überquellenden Personalausweitungen der öffentlichen Hand in Bund, Ländern und Gemeinden bezogen wird. Allerorten sind Gebietsreformen, Verwaltungsreformen im Gange. Es gebricht aber oft an dem Mut, dies auch mit den notwendigen. Funktionalreformen zu verbinden, um daraus auf Sicht Personaleinsparungen zu ermöglichen. Hier müssen wir gemeinsam in Bund, Land und Gemeinde wirken, damit diese Ziele erreicht werden.
Nicht zuletzt deshalb halte ich es auch für notwendig, daß die Arbeit an der Beamtenrechtsreform oder, besser gesagt, an der Reform des gesamten öffentlichen Dienstrechts mit Nachdruck vorangetrieben wird, um hier bald zu wohldurchdachten langfristigen Lösungen zu kommen.
Ich möchte im Zusammenhang mit der Steuerpolitik ausdrücklich 'begrüßen, daß die Bundesregierung zum Ausgleich der Mindereinnahmen keine Steuererhöhungen vorsieht. Hier trägt auch die Opposition eine gesamtpolitische Verantwortung, aber man kann Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, nicht bescheinigen, daß Sie sich immer dessen bewußt sind.
Ein Beispiel dafür sind die Änderungsanträge der CDU/CSU im Finanzausschuß zur Steuerreform. Diese Anträge allein — und das steht wieder im Widerspruch zu dem, was wir vorhin gehört haben — hätten insgesamt einen Steuerausfall von weiteren 9 Milliarden DM — über die vorgesehenen 10 bis 12 Milliarden DM Steuerentlastung hinaus — mit sich gebracht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie wissen, daß das gar nicht terminiert war!)

Solche Anträge, denen nicht ein einziger konkreter Vorschlag beigefügt ist, wo das dazu benötigte zusätzliche Geld herkommen soll, sind politisch un-verantwortbar.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Opposition muß sich die Frage gefallen lassen, ob sie damit nur Propaganda machen will, ob sie sich für die Gesamtbelange unseres Staates nicht mehr mitverantwortlich fühlt. Und wenn wir schon gehört haben, daß diese Anträge nur in den Ausschüssen gestellt werden sollen, in der zweiten Lesung im Plenum aber möglicherweise nicht, so macht das ja deutlich, wie Ihre eigenen Finanz- und Haushaltsexperten sich miteinander im klaren sind, daß hier für bestimmte Gruppen nach draußen propagandistisch etwas gegeben werden, dann aber hier im Plenum Stabilität verlangt werden soll. Das ist eben die Doppelzüngigkeit, gegen die wir uns immer wieder gewehrt haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es ist davon gesprochen worden, wir hätten nur an Länder und Gemeinden appelliert. Wer wirklich ernsthaft die Wiedergewinnung der Stabilität in den Vordergrund stellt und dabei erfolgreich sein will, der muß auch Länder und Gemeinden in diese Politik mit einbinden.



Mischnick
Dasselbe gilt nach unserer Meinung in einer Wirtschaftsordnung, in der die Tarifpartner frei sind, in der Tarifautonomie für die Tarifpartner herrscht. Die gleiche Verantwortung muß jedoch auch in der Geschäftspolitik unserer Unternehmen zum Ausdruck kommen. Wer ,sich einen großen Marktanteil in unserem Lande aufgebaut hat, muß wissen, daß seine Entscheidungen von allergrößtem Einfluß auf das gesamte Preisgefüge ,sind. Für den Fall, daß diese Verantwortung nicht genügend gesehen wird, haben wir nach der Verabschiedung der Kartellnovelle das notwendige Instrumentarium geschaffen, um dem Mißbrauch entgegenzuwirken. Die ergriffenen Maßnahmen auf diesem Gebiete dürfen uns aber nicht dazu verleiten, stabile Preise von einstweiligen Verfügungen, Verordnungen oder sonstigen bürokratischen Maßnahmen zu erwarten. Gerade die Erfahrungen in anderen Ländern mit Preis-und Lohnreglementierungen zeigen, wie falsch solche Hoffnungen wären.
Das gilt auch — um das in aller Deutlichkeit zu sagen — für die in jüngster Zeit aufgetauchten Vorschläge zur Indexierung. Diese kommen manchmal sogar von besonderen Anhängern der Marktwirtschaft. Gerade die Indexierung wird nach Ansicht meiner Fraktion nur als ein Beitrag zur Verstärkung der Inflationsmentalität bewertet werden können und niemals etwa die Möglichkeit in sich bergen, sie aufzuhalten.

(Beifall bei der FDP.)

Meine Damen und Herren, der beste Schutz gegen Mißbrauch von Marktmacht und überhöhte Preise ist nach unserer Ansicht nach wie vor die Verstärkung des Wettbewerbs, der auch die vorbeugende Fusionskontrolle und die Kooperationserleichterungen für den gewerblichen Mittelstand im Rahmen der beschlossenen Kartellnovelle dienen. Darüber hinaus müssen die Erhaltung und Förderung des gewerblichen Mittelstands, den wir als einen wesentlichen Motor des Wettbewerbs ansehen,

(Abg. Haase [Kassel] : Mit der „Aktion Gelber Punkt" !)

bei der vor 'uns liegenden Gesetzesarbeit verfolgt werden.
Der hohe Anteil unserer Volkswirtschaft am Außenhandel zwingt jede Regierung in unseren Lande dazu, Stabilitätspolitik so weit wie möglich gemeinsam mit unseren Handelspartnern zu verwirklichen. Währungs- und konjunkturpolitische Alleingänge werden uns immer mindestens mit einem Ziel des magischen Vierecks, nämlich Preisstabilität, hoher Beschäftigungsstand, Wachstum und Zahlungsbilanz, in Konflikt bringen müssen. Die in den letzten Jahren eigentlich kaum unterbrochenen starken Devisenzuflüsse in die Bundesrepublik sind ein objektiver und über alle Parteigrenzen hinausreichender Maßstab dafür, daß wir Stabilität exportieren und Instabilität importieren.
Neben den weiterhin verstärkten Anstrengungen im Rahmen unserer nationalen Konjunkturpolitik müssen gleichzeitig auch die Bemühungen weitergeführt werden, auf den verschiedenen Ebenen der internationalen Zusammenarbeit zu einem gleichgerichteten konjunkturpolitischen Verhalten unserer Handelspartner zu kommen. Die Fraktion der FDP unterstützt daher die Bemühungen der Bundesregierung, die Europäische Gemeinschaft insgesamt zum gleichen Verhalten zu bewegen.
Meine Damen und Herren, da davon gesprochen worden ist, daß wir so vieles aufgegeben hätten, noch ein paar Bemerkungen zu Punkten, die in der Arbeit sind, die wir in der Regierungserklärung 1973 angekündigt haben und die Sie doch nicht einfach hinwegdiskutieren können. Wir werden das Bundesbaugesetz in dieser Legislaturperiode novellieren; der Entwurf liegt vor.

(Abg. Dr. Barzel: Was hattet Ihr Großes vor!)

Im Namen meiner Fraktion habe ich bereits darauf hingewiesen, daß es vor allem in den Ballungsräumen darum geht, eine sinnvollere Nutzung der Bodenreserven zu erreichen. Es geht um die Bekämpfung der Spekulation, um die Dämpfung des Preisauftriebs und darum, mehr Menschen die Chance zum Erwerb von Grund und Boden zu geben. Die Bundesregierung hat zu Recht auf die Bedeutung der Bodenreform für die Eigentumsbildung hingewiesen. Meine Fraktion wird auch die weiteren Gesetzentwürfe, die hier mit Wohnbesitzbrief und Mietkaufsystem zur Vorlage gekommen sind, unterstützen, um das Einzeleigentum auch dadurch zu fördern.
Unverändert bleiben als Ziel der Agrarpolitik die Versorgung der Bevölkerung mit hochwertigen Erzeugnissen der Landwirtschaft zu angemessenen Preisen sowie die Teilnahme der in der Landwirtschaft Tätigen an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung. Lassen Sie mich hier einen Satz einfügen: Was auf der Dortmunder Kundgebung an Falschem über die Agrarpolitik der letzten Jahre behauptet worden ist, ist ein schlechter Dienst für unsere Landwirtschaft insgesamt gewesen. Das möchte ich hier einmal in aller Deutlichkeit klarstellen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Verbesserung der Lebensverhältnisse im ländlichen Raum, die Erhaltung und Entwicklung der Leistungs- und Nutzungsfähigkeit von Natur und Landschaft gehören dazu. Meine Damen und Herren, in dieser Lage sind die Fortsetzung des Grenzausgleichs — das sage ich ganz freimütig — und die Ausweitung auf bisher ausgeschlossene Produkte kein Element der Behinderung des Warenverkehrs, sondern ein notwendiges Mittel zur Erhaltung des gemeinsamen Marktes.
Bei einer gerechten Beurteilung der Agrarpolitik darf nicht übersehen werden, was in den letzten Jahren in der Agrarsozialpolitik durch die Dynamisierung und Staffelung der landwirtschaftlichen Altershilfe, der Landabgaberente, durch die Pflichtkrankenversicherung, mit der Gratisversicherung der landwirtschaftlichen Rentner und mit Zuschüssen an die landwirtschaftlichen Unfallversicherungen nicht nur beschlossen, sondern vom Bund direkt materiell geleistet wurde.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD.)




Mischnick
Meine Damen und Herren, auch in der Gesellschafts- und Sozialpolitik wird es bei unseren Grundsätzen bleiben, d. h. Erweiterung der Möglichkeiten zur eigenverantwortlichen Vorsorge, gezielte Maßnahmen zu sozialen Sicherung besonders schutzbedürftiger Minderheiten, Verhinderung weiterer Konzentrationen gesellschaftspolitischer Macht, Ausbau der Selbstbestimmung des einzelnen im Arbeits- und Sozialleben.
Die sozialliberale Koalition hat mit ihrer Vorlage zur Mitbestimmung ihren Willen zur Weiterentwicklung dieses wichtigen gesellschaftspolitischen Bereiches bewiesen. Wir werden in Kürze hier im Parlament darüber zu diskutieren haben. Der Faktor Disposition und damit der besondere Sachverstand der leitenden Angestellten wird in die neue Unternehmensverfassung einbezogen werden. Zur Abgrenzung des Begriffs „leitende Angestellte" ist kürzlich eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ergangen, die besonderes Interesse gefunden hat. Die CDU/CSU-Mehrheit des Bundesrates hat daraus sogar den Schluß gezogen, damit sei die Konzeption der Regierungsvorlage in Frage gestellt.

(Abg. Franke [Osnabrück]:: 11 zu 9 heißt das!)

Offenbar hatten die Vertreter dieser Länder die schriftliche Begründung der Entscheidung bei ihrer Beschlußfassung noch nicht voll zur Kenntnis genommen, sonst hätten sie gewußt, daß das Bundesarbeitsgericht gegenüber der bei der Verabschiedung der Regierungsvorlage bekannten Rechtsprechung und Kommentierung keine einengende Maßstäbe zur Auslegung des Begriffes „leitende Angestellte" aufgestellt hat.
Meine Damen und Herren, die Grundzüge einer Vermögensbeteiligung

(Abg. Franke [Osnabrück]:: Sind aufgegeben!)

sind der Öffentlichkeit bekannt. Das Ziel entsprechend unserer Vorstellung ist es, eine sozial gerechtere Verteilung des Zuwachses am Produktivvermögen der Großunternehmen durch Begründung individuellen Eigentums zu erreichen. Entscheidend sind nicht die D-Mark-Beträge, die auf Grund der vorgesehenen Vermögensbeteiligung auf den einzelnen Berechtigten entfallen, sondern die längerfristige Wirkung, die damit erreicht werden soll. Nicht Sozialisierung der Produktionsmittel ist unsere Devise, sondern breit gestreute private Vermögensbildung über diesen Weg.

(Abg. Franke [Osnabrück] : Aber Herr Mischnick, Sie müssen doch auch sagen, daß Sie das in dieser Legislaturperiode nicht machen wollen!)

— Aber entschuldigen Sie, ich komme doch noch dazu. Das unterscheidet uns doch, Herr Kollege Franke,

(Abg. Franke [Osnabrück]:: Das ist doch Spiegelfechterei!)

wir haben immer den Mut, offen zu sagen, was ist, während Sie eine Verschleierungstaktik anwenden. Das ist der entscheidende Unterschied.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU.)

Die Ausarbeitung dieses Gesetzentwurfes erfordert die weitere Klärung einer Reihe wichtiger, sehr komplizierter, auch rechtstechnisch schwieriger Fragen. Die Fortsetzung der Gesetzgebungsarbeiten hat der Herr Bundeskanzler dargelegt. Wir werden die Bundesregierung in ihrem Bemühen unterstützen, einen ausgereiften, in sich ausgewogenen Gesetzentwurf vorzulegen. Darüber brauchen Sie sich gar nicht aufzuregen.

(Abg. Haase [Kassel] : Wir regen uns gar nicht auf!)

Wir werden das so zeitgerecht tun, wie wir das in der Regierungserklärung vorgesehen haben.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Gerade Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, haben immer den Anspruch erhoben, besonders für Minderheitengruppen in unserem Volk -- insbesondere für die Behinderten — einzutreten.

(Abg. Picard: Wir haben keinen Anspruch erhoben, wir haben etwas getan!)

Wenn Sie sich einmal den Katalog der Leistungen dieser Regierung

(Abg. Haase [Kassel] : Welcher Regierung? Der zurückgetretenen Regierung?)

gerade für die Behinderten ansehen, werden Sie feststellen, daß diese Koalition für die Behinderten in wenigen Monaten mehr getan hat, als in den vergangenen Jahren von Ihnen geleistet worden ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Haase [Kassel] : Da waren Sie doch Minister! — Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU: Wer beurteilt das?)

— Wenn Sie meinen, Sie müßten es im einzelnen hören, so sage ich es Ihnen gern: Wir haben ein neues Schwerbehindertengesetz verabschiedet. Wir haben die 3. Novelle zum Bundessozialhilfegesetz verabschiedet.

(Abg. Haase [Kassel] : Minister war er!)

Die Beratungen des Gesetzes zur Angleichung der Rehabilitationsleistungen stehen kurz vor dem Abschluß. Schließlich stehen wir vor den Beratungen des Gesetzes über die Einbeziehung der in Werkstätten arbeitenden Behinderten in die Sozialversicherung. Das sind die konkreten Leistungen dieser Koalition, die Sie nicht abstreiten können.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich möchte hier kurz einen Teil der Gesundheitspolitik ansprechen, weil darüber bewußt manches an Falschem über die Haltung der Freien Demokraten verbreitet wird. Wir sind der Meinung, daß das Gesetzgebungsverfahren zur Reform der Arzneimittelsicherheit eingeleitet werden muß. Wir begrüßen das Hauptanliegen, dem Patienten durch den



Mischnick
Übergang von der bloßen Registrierung zur inhaltlichen Zulassung von Arzneimitteln mehr Schutz vor Gesundheitsgefahren zu geben.
Ich möchte allerdings auch auf ein Kapitel hinweisen, von dem wir meinen, daß hier das Zusammenwirken zwischen den im gesundheitspolitischen Bereich Tätigen und den in der Verantwortung Stehenden notwendig ist. Kostensteigerungen in Krankenhaus und Arztpraxis sowie Ungleichmäßigkeiten in der ärtzlichen Versorgung stellen Ärzteschaft und Staat vor die Notwendigkeit dringlicher Reformmaßnahmen. Wir Freien Demokraten vertrauen dabei in erster Linie auf die Reformfähigkeit und den Reformwillen der Ärzte und bekräftigen daher erneut den Grundsatz einer freien Ausübung der Heilbrufe und seine konsequente Ergänzung durch das Recht der Patienten auf freie Arztwahl. Wir betreiben eine Gesundheitspolitik mit den Ärzten für die Patienten. Das heißt aber nicht, daß wir alles für richtig halten, was Ärzteverbände für richtig halten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir appellieren vielmehr an die deutsche Ärzteschaft, die Zeichen der Zeit zu erkennen

(Abg. Haase [Kassel] : Das werden wir ihnen erzählen!)

und nicht jeden Vorschlag zu Strukturverbesserungen als Systemveränderung abzuwehren. Herr Kollege Haase, wenn Sie sagen „Das werden wir ihnen erzählen", spricht daraus wieder Ihr Unvermögen, hier reformerisch tätig zu sein. Sie können nur Unruhe stiften. Das ist Ihre Politik. So sieht sachgerechte Politik aber nicht aus.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Haase [Kassel] : Nach dem Einzelhandel kommen jetzt die Ärzte und Apotheker dran!)

Die von dem Herrn Bundeskanzler angekündigte Konzentration im innenpolitischen Bereich zur Intensivierung der Arbeit bezieht sich nach unserer Meinung in besonderem Maße auf die Reform des Familienrechts mit dem Scheidungsrecht. Wir sind bei den Beratungen schon ein erhebliches Stück weitergekommen und halten an dem Zeitplan fest, den wir uns vorgenommen haben.
Unter entscheidender Initiative der Freien Demokraten hat dieser Deutsche Bundestag die Reform des § 218 des Strafgesetzbuches verabschiedet. Wir haben uns nach langen, gründlichen und ernsthaften Diskussionen für die Fristenregelung entschieden. Wir stehen dazu und sind überzeugt, daß sie auch geltendes Recht werden wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, es ist darauf hingewiesen worden, daß die Opposition ihre Aufgabe darin sehen wird, da, wo sie es für richtig hält, auch mitzuwirken. Nun, meine verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie werden eine große Möglichkeit dazu haben, wenn ich an den weiten Bereich der Umweltpolitik denke. Hier wird es darum gehen, den Widerstand der Bundesländer gegen eine Erweiterung der Bundeskompetenz für das
Wasserrecht endlich zu überwinden. Hier kann die Opposition einmal mehr beweisen, ob Lippenbekenntnisse oder sachgerechte Taten der Inhalt ihrer Politik sind. Daß der Sprecher der Opposition zu diesen Sachfragen überhaupt nicht Stellung genommen hat, beweist mir, daß Sie nicht in der Lage sind, hier Alternativen aufzustellen oder das, was notwendig ist, mitzumachen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Herr Kollege Carstens, Sie haben die Frage der Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst angesprochen und dabei den Eindruck zu erwecken versucht, als gebe es da bei uns keine klare Meinung.

(Abg. Dr. Barzel: Eine unzureichende!)

Wir wollen den öffentlichen Dienst von Verfassungsfeinden freihalten.

(Abg. Dr. Marx: Dann machen Sie es doch auch!)

Zur Bekräftigung dieses Willens, den wir in einem einmütigen Parteitagsbeschluß zum Ausdruck gebracht haben, bieten wir unsere Mitarbeit an der raschen Verabschiedung des Gesetzentwurfes an, der in den letzten Wochen in das Gesetzgebungsverfahren gegeben worden ist.

(Abg. Dr. Marx: Das reicht doch nicht!)

Wir hoffen, daß das Gesetz möglichst bald in einer Fassung in Kraft treten kann, die unseren Vorstellungen von einem rechtsstaatlichen Verfahren entspricht. Das ist das Entscheidende!

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Marx: Eine solche Vorstellung haben wir ja auch! Was soll denn diese unangemessene Betonung?! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Wir haben gesehen, daß eine einheitliche Handhabung des geltenden Rechts nicht gewährleistet werden konnte, und mußten uns deshalb zu einer gesetzlichen Regelung entschließen. Der Gesetzentwurf macht allerdings auch deutlich, daß wir uns vor dem Irrtum zu bewahren wissen, die Gefährlichkeit der Extremisten von rechts und der von, links für unser demokratisches Staatswesen in unterschiedlicher Weise zu bewerten.
Das in Art. 5 unseres Grundgesetzes statuierte Grundrecht der Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit und Pressefreiheit gilt es gerade dann in jeder Beziehung zu sichern, wenn es durch tatsächliche Entwicklungen gefährdet erscheint. Pressefreiheit ist in der Wirklichkeit unlösbar mit der Existenz einer vielfältigen, privatwirtschaftlich organisierten Presse verbunden; das gleiche gilt für mich für die Freiheit der Medien. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Grundsatzentscheidung beiden, den Verlegern und den Redakteuren, die gleiche Trägerschaft der Pressefreiheit zuerkannt. Der von uns vorzulegende Gesetzentwurf eines Presserechtsrahmengesetzes wird auf der Grundlage dieser Rechtsprechung einen fairen Interessenausgleich zwischen Verlegern und Redaktionen enthalten.



Mischnick
Meine Damen und Herren, ein paar Bemerkungen zur Bildungspolitik! Solange die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern so ist wie heute, wird sie für uns immer eine Art Zwitter bleiben. Als richtig erkannte Notwendigkeiten stehen immer wieder im Gegensatz zu den tatsächlichen Möglichkeiten. Aber man kann doch nicht, wie es die Opposition in einer Kleinen Anfrage getan hat, einerseits den Numerus clausus an unseren Hochschulen beklagen und andererseits pauschal vor einem drohenden Akademikerüberschuß sowie einem akademischen Proletariat warnen; beides zugleich geht doch wohl nicht.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Marx: Das Vermögen der Differenzierung ist Herrn Mischnick überhaupt nicht gegeben!)

Man kann auch nicht scheinheilig danach fragen, was man konkret unternommen habe, um die Studienreform voranzubringen, wenn man weiß, daß der wichtigste Beitrag des Bundes zu dieser Studienreform, nämlich die Verabschiedung des Hochschulrahmengesetzes, bisher von der CDU/CSU behindert worden ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Picard: Ihr habt doch die Mehrheit! Ihr hättet es doch machen können! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Das ist doch ein Tatbestand! Die Verabschiedung dieses Hochschulrahmengesetzes bleibt für uns vorrangig,

(Abg. Dr. Barzel: Macht's doch! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Dann macht es doch!)

denn sie wird ein geeignetes Instrumentarium für die Studienreform schaffen können,

(Zuruf von der CDU/CSU: Worauf wartet ihr?)

die angesichts wachsender Studentenzahlen und immer größer werdender Kapazitätsprobleme besonders dringlich ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie viele Minister wollen Sie denn noch auswechseln? — Weitere Zurufe.)

Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich glaube, Sie wären gut beraten, wenn Sie hier, statt ablenkende Bemerkungen zu machen, dafür sorgten, daß Ihre Kollegen in den Ländern mit dazu beitragen, daß das, was hier beschlossen wird, dann auch im Bundesrat über die Bühne geht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es wird hier auf das Selbstverständnis des Bundesrates ankommen: ob er weiter Nothelfer der Opposition sein will, sein kann, sein sollte. Ich bin davon überzeugt, daß es hier endlich für Sie darauf ankommt, in solchen Fragen nicht nur verbal mit uns übereinzustimmen, sondern diese Ihre eigenen Standpunkte zu konkretisieren und auszufüllen.
Das gilt auch für den Bereich der beruflichen Bildung. Das, was wir hier vorgesehen hatten, was die Regierung sich vorgenommen hat, was die Koalition will, hat nichts mit Verstaatlichung oder Verschulung der außerschulischen beruflichen Bildung zu tun.

(Abg. Picard: Ganz neu!)

Das duale System mit den Lernorten Schule, Betrieb und überbetriebliche Ausbildungsstätte bleibt erhalten. Davon sind wir nicht abgegangen. Die Integration von beruflicher und allgemeiner Bildung, die wir überall anstreben, wird die notwendige Nähe zur Praxis nicht beeinträchtigen; im Gegenteil. Wir begrüßen ausdrücklich die Klarstellung, die hier von der Bundesregierung vorgenommen worden ist, und erwarten, daß die teilweise unverständliche und jeglicher Tatsachenkenntnis bare Kampagne draußen im Lande endlich eingestellt wird. Der beruflichen Bildung, meine Damen und Herren, schaden am meisten diejenigen, die mit falschen Parolen — bewußt oder unbewußt, mag hier dahingestellt bleiben — Unruhe in die Betriebe, in Ausbilder, Eltern, Lehrlinge hineintragen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Das gilt gleichermaßen — ich nehme an, Sie sind
jetzt noch einmal mit mir einer Meinung — für diejenigen, die alles schlechtmachen, was bisher war,

(Abg. Dr. Marx: Ab 1969!)

die nicht wahrhaben wollen, daß nicht zuletzt im
schulischen Bereich manches verbessert werden muß.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Opposition wirft der Regierung vor, ihre Politik sei gescheitert, sie habe keine Konzeption, sie lebe in den Tag hinein, es fehle an zukunftweisenden Perspektiven.

(Abg. Dr. Marx: Sehr gut!)

Nicht nur daß diese Vorwürfe völlig aus der Luft gegriffen sind und durch die Erfolgsbilanz sowie die Regierungserklärung widerlegt werden; auch die eigene Handlungsfähigkeit von Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, ist insbesondere in der Außenpolitik, aber auch in weiten Teilen der Innenpolitik in Frage gestellt. Bei gewichtigen außenpolitischen Entscheidungen fiel die Opposition fast regelmäßig in zwei Bleichstarke Teile auseinander: UNO-Beitritt, Atomwaffensperrvertrag. Aber auch innenpolitisch sind Sie gelähmt, weil sich die widerstreitenden Kräftegruppen in Ihren Reihen zu keinem tragfähigen gemeinsamen Nenner finden können. Im November vergangenen Jahres kündigten Sie an, daß Sie einen Gesetzentwurf zur Mitbestimmung noch vor der Regierung einbringen wollten. Aber bis zur Stunde konnten sich CDU und CSU auf keine gemeinsame Basis einigen.

(Abg. Dr. Jenninger: Wo ist denn Ihr Entwurf?)

— Der Entwurf liegt doch vor.

(Lachen bei der CDU/CSU.)




Mischnick
Aber Sie wissen doch ganz genau, daß der Entwurf da ist.

(Abg. Dr. Marx: In der Schublade!)

Wenn Sie bezweifeln, daß der Entwurf da ist: im Juni werden Sie, wenn Sie es bis jetzt noch nicht gemerkt haben sollten, hier im Plenum merken, daß er vorliegt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aber, Herr Kollege, so viel Vergeßlichkeit hatte ich Ihnen nicht zugetraut.
Es fehlt das umfassende Konzept der Steuerreform. Hier liegt eine totale Fehlanzeige vor.

(Abg. Haase [Kassel] : Bei euch, ja!)

Statt dessen flüchtet sich die Opposition in taktische Einzelanträge von Milliardenhöhe.

(Abg. Picard: Aber richtige!)

Aber wie es wirklich um die Einheit der Opposition bestellt ist, machen die immer wieder aufflackernden Versuche deutlich, die CSU über die bayerischen Landesgrenzen hinaus wirksam werden zu lassen.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Selbst wenn dahinter keine ernsthafte Absicht der CSU-Parteileitung stehen sollte,

(Abg. Dr. Marx: Passen Sie auf, daß Sie nicht alles merken! Erzählen Sie uns mal, warum der Brandt zurückgetreten ist!)

so reichen doch die Diskussionen darüber aus, die CDU unter ständigem Druck ihrer bayerischen Schwesterpartei zu halten und damit besonders außenpolitisch an die Kandare zu nehmen. Das ist doch der Hintergrund dieser ganzen Überlegungen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, über die Stellung von Bundestag und Bundesrat ist in diesem Hause schon oft diskutiert worden. Das Verfassungsrecht und die Verfassungswirklichkeit scheinen mir gerade in der Frage der Stellung des Bundesrats manchmal auseinanderzuklaffen. Der Rang des Bundesrats ist unbestritten. Worüber man aber einmal nachdenken sollte, ist die Formulierung im Grundgesetz — Herr Kollege Stoltenberg hat es ja vor einiger Zeit angesprochen —, wonach die Länder durch den Bundesrat an der Bundesgesetzgebung mitwirken. Der gleiche Ausdruck „mitwirken" ist auch in Art. 21 gebraucht worden, der sich mit der Stellung der Parteien in unserem Staat auseinandersetzt.
Die Auseinandersetzung um das Verhältnis zwischen Bundestag und Bundesrat hat ja dadurch eine neue Variante bekommen, daß der frühere Bundeskanzler Kollege Kiesinger, Ehrenvorsitzender der CDU, in einer Rundfunksendung davon sprach, daß die CDU/CSU im Bundestag in der Opposition sei, damit in der gesamten Bundesrepublik Opposition sei, woraus er schlußfolgerte, daß das dann gleichermaßen für den Bundesrat gelte. Dies haben nach meiner Überzeugung die Väter des Grundgesetzes bei ihrer Festlegung, daß die Länder über den Bundesrat mitwirken, mit Sicherheit nicht im Auge gehabt.
Herr Kollege Carstens, Sie haben davon gesprochen, daß wir uns einseitig festgelegt haben, daß wir in den Ländern die Koalition mit der SPD vorziehen. Haben Sie wirklich einmal darüber nachgedacht, ob nicht letztendlich die Entscheidung der CDU/CSU, schon im Dezember 1969, beim Kriegsopfergesetz beginnend, den Bundesrat als Hilfsinstrument für die Opposition des Bundestages zu benutzen, wesentlich zu solchen Entscheidungen mil beigetragen haben könnte?

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Baron von Wrangel: Gleichschaltung! — Abg. Dr. Marx: Wenn der Bundesrat Ihren Thesen folgt, gilt das alles nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Wenn Sie das nicht sehen, dann bedaure ich, daß Sie offensichtlich das, was Sie an Bewegungsfreiheit von anderen verlangen,

(Abg. Baron von Wrangel: Grauer Konformismus!)

sich selbst in ihren eigenen Landesregierungen, wenn es um bundespolitische Fragen geht, nicht geben wollen.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen. Wir haben im Bundesrat die Festlegung, daß die Stimmen nur geschlossen abgegeben werden können.

(Abg. Dr. Barzel: Tatsächlich? Ist das so?)

Es handelt sich um ein gebundenes Mandat. Ganz nebenbei: Manche meinen — das ist das Pikante dabei —, daß hier ein verfassungsrechtlich verankertes imperatives Mandat besonderer Art geschaffen worden sei. Da ich generell etwas gegen imperative Mandate habe, ganz gleich, wo sie sind, ist meine Skepsis darüber, ob sich diese Form der Stimmabgabe im Bundesrat wirklich bewährt hat, nur größer geworden. Man muß vielleicht auch in der Verfassungsenquete-Kommission einmal darüber nachdenken, ob dies so, wie es ursprünglich gedacht war, bei der anderen Handhabung der Mehrheit auf Dauer beibehalten werden kann.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Eben!)

Als das Grundgesetz geschaffen wurde, ist die Stimmenzahl für die einzelnen Länder festgelegt worden. Damals war der Bevölkerungsunterschied zwischen den Ländern nicht so groß, wie es heute der Fall ist.

(Abg. Dr. Cartens [Fehmarn] : Genau so groß wie heute!)

— Er war nicht so groß.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Doch!)

— Aber vergessen Sie doch nicht, Herr Kollege Carstens, als das damals festgelegt wurde, gab es in dem baden-württembergischen Raum drei Länder. Heute gibt es dort ein Land. Dadurch waren schon von vornherein die Stimmenzahlen im Bundesrat anders.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich staune, daß Sie so etwas vergessen können.



Mischnick
Die von SPD und FDP regierten Länder haben heute — ohne Berlin — bei insgesamt 32 Millionen Einwohnern 20 Stimmen im Bundesrat, die CDU/ CSU-regierten Länder mit 27 Millionen Einwohnern 21 Stimmen.

(Abg. Stücklen: Wir lassen die kleinen Länder auch mal zum Zuge kommen!)

Man komme mir jetzt nicht mit dem Hinweis — wie das oft geschehen ist — auf den amerikanischen Senat. Das ist eine andere Struktur, das kann man nicht vergleichen.
Aus diesen Fakten, meine sehr verehrten Damen und Herren, ergibt sich für mich, daß man entweder der Neugliederung mehr Aufmerksamkeit widmen muß oder sich über die Stimmverteilung im Bundesrat erneut Gedanken machen muß. Dies, meine ich, ist notwendig ohne Rücksicht darauf, wie die jeweilige Mehrheit im Bundestag und Bundesrat aussieht. Hier sollten wir versuchen, auf einer gemeinsamen Basis um unserer föderalistischen Struktur willen Lösungen zu finden, die diese politischen Schwierigkeiten, die wir im Augenblick hier haben, nicht zu einer verfassungsrechtlichen Schwierigkeit werden lassen.
Meine Damen und Herren, die Stellungnahme der FDP-Fraktion zur Regierungserklärung habe ich mit einer mehr persönlichen Bemerkung begonnen. Ich möchte sie auch in dieser Richtung beschließen. Die Anmerkung ist, daß Opposition und Öffentlichkeit jetzt die Regierungserklärung 1974 und das heute Gesagte mit dem vom Januar 1973 vergleichen werden. Um allen Mißverständnissen, Mißdeutungen und Fehlinterpretationen vorzubeugen: Wir stehen zu unseren Aussagen von 1973, die an gleicher Stelle zu der Erklärung der Regierung Brandt/Scheel gegeben wurden. Sie gelten zusammen mit den heutigen Ergänzungen und Fortschreibungen.
Die Erklärung der Regierung Schmidt/Genscher hat verdeutlicht,

(Abg. Dr. Barzel: Wehner/Schmidt/Genscher!)

daß sie fest in der Kontinuität sozialliberaler Politik steht. In der Außen-, Deutschland- und Sicherheitspolitik knüpft die neue Bundesregierung an das Bewährte an; ein Richtungswechsel findet nicht statt.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Baron von Wrangel.)

Die Öffentlichkeit ist über den Stand und die realistischen Möglichkeiten der Regierungsarbeit ohne falsche Rücksichtnahme unterrichtet worden. Bundeskanzler Helmut Schmidt kann der Unterstützung der FDP sicher sein, wenn es darum geht, unsere soziale Wirklichkeit durch fundierte Reformen Schritt für Schritt auszubauen

(Abg. Seiters: Sprüche!)

und die Glaubwürdigkeit unserer demokratischen Gesellschaftsordnung zu erhöhen.
Wir stimmen der Regierungserklärung zu.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0710101000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.

(Abg. Stücklen: Nein, der Bundeskanzler spricht!)

— Entschuldigung, der Herr Bundeskanzler.

(Zurufe von der CDU/CSU.) Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0710101100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von mir aus hätten Sie aber auch gern sprechen können, Herr Barzel.

(Abg. Stücklen: Wir lassen dem Bundeskanzler den Vortritt!)

— Sehr liebenswürdig, Herr Stücklen.
Ich möchte nach dieser ersten Runde durch die Fraktionsvorsitzenden ein paar wenige Bemerkungen zu dem machen, was wir gehört haben. Ich möchte mich bei den Herren Kollegen Wehner und Mischnick für ihre Ausführungen bedanken.

(Abg. Stücklen: Wehner auch?!)

Herr Professor Carstens hat Bemerkungen zur Affäre Guillaume gemacht. Ich möchte hier klarstellen, Herr Kollege Carstens, daß die Bundesregierung im Vertrauensmännergremium zu jeder Auskunft bereit ist, die Sie für notwendig halten sollten — durch jede Auskunftsperson, die Sie für wünschenswert halten sollten. Ich mache eine einzige Einschränkung: Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, in bezug auf Auskünfte im Vertrauensmännergremium der Bundesanwaltschaft Weisungen zu geben, aber das werden Sie verstehen; die Bundesanwaltschaft wird selber gefragt werden können.

(Abg. Stücklen: Und wer bekommt die Informationen von der Bundesanwaltschaft?! — Gegenruf des Abg. Wienand: Herr Stücklen!)

— Ich habe den Eindruck, daß die Opposition, Herr Kollege Stücklen, in den letzten 14 Tagen reichlich mit Informationen aus dubioser Quelle versehen worden ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Kroll-Schlüter: Nennen Sie mal Roß und Reiter! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Zu einem anderen Punkt: Herr Kollege Carstens hat an die Bundesregierung appelliert, man möge dafür sorgen, daß die Angehörigen oder die Beamten der Bundesregierung die Wahrheit sagten, wenngleich sie natürlich nicht immer alles sagen müßten, was sie wüßten; so habe ich die Äußerung in Erinnerung. Ich weiß nicht, ob es dieses Appelles bedarf, aber der ihm zugrunde liegenden inneren Einstellung des Herrn Professor Carstens stimme ich zu. Ich nehme an, daß dieser Appell nicht nur für die Regierung und ihre Personen gilt, sondern für jedermann in diesem Saal Geltung haben müßte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Bei diesem Appell, die Wahrheit zu sprechen, muß dann natürlich auch eine gewisse Sorgfalt in der



Bundeskanzler Schmidt
eigenen Aussage beachtet werden. Herr Kollege Carstens hat Äußerungen in bezug auf den Bundesminister der Finanzen, Herrn Dr. Apel, getan. Herr Professor Carstens, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß die Bemerkung, die Sie heute angezogen haben, oder der Vorfall, auf den Sie sich bezogen haben, bereits Gegenstand einer Fragestunde dieses Bundestages gewesen sind und daß Sie sich im Protokoll des Bundestages über das orientieren können, was Sie meinen bemängeln zu sollen. Wenn Sie es gelesen haben, werden Sie, nehme ich an, Ihre Bemerkungen nicht wiederholen.

(Zurufe von der CDU/CSU. — Hört! Hört! bei der SPD.)

— Ich habe gesagt, ich nehme das an; wir werden es ja hören. Jemand, der moralisch appelliert wie der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, muß auch seinerseits genau wissen, auf welche Quellen er sich stützt, wenn er Mitglieder der Bundesregierung angreift.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich habe persönliche Veranlassung, dies zu sagen, denn ich bin vor sechs oder acht Wochen in einer Plenarsitzung von dem Kollegen Carstens angegriffen worden. Ich halbe ihm daraufhin einen höflichen Brief geschrieben mit der Bitte, mir doch zu belegen, wo das, was er mir vorwarf, passiert sei, und ich erhielt von Herrn Carstens dann statt eines Belegs einen Ausschnitt aus einer Zeitung zugeschickt, der aus Paris datiert war. Wenn das Ihre Quellen sind, dann würde ich bitten, etwas vorsichtiger mit dem Austeilen von Vorwürfen an Ihre politischen Gegner umzugehen!

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Der Oppositionsführer hat sodann einige Bemerkungen zu dem ökonomischen Teil der Regierungserklärung gemacht. Ich kann nur hoffen, daß dazu von der Opposition noch weiter gesprochen wird, denn dies war nicht so beschaffen, daß es sehr viel Stoff zur Auseinandersetzung bietet.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aber falls noch jemand von der CDU/CSU zu diesem Thema zu sprechen die Absicht haben sollte, Herr Professor Carstens, so würde ich doch dankbar sein, wenn Sie nicht nur auf der einen Seite verlangten, daß Steuern gesenkt werden — das machen wir ja doch im Zusammenhang mit der Steuerreform —, sondern wenn Sie genauso klar erklärten, daß auch Sie bereit sind, zu Ihrem Teil überall dort, wo die CDU und wo die CSU Verantwortung trägt — im Bund, im Bundesrat und in den Ländern und Gemeinden —, dieselben zehn bis zwölf Milliarden DM tatsächlich einzusparen, die wir — und Sie, wie ich hoffe, auch — dem Steuerzahler und den Eltern zugute kommen lassen wollen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es war eine Reihe von nicht ganz exakten Bemerkungen in dem diesbezüglichen Teil der Rede des Oppositionsführers enthalten. Herr Professor Carstens, ich nehme nicht an, daß Sie selbst dies alles geprüft haben können, aber z. B. Ihre Bemerkung, daß in den Jahren vor 1966 die Bundesrepublik Deutschland international immer hinsichtlich der Preisentwicklung an der günstigsten Stelle gelegen habe, empfehle ich dringend nachzuprüfen, ehe Sie sie wiederholen. Ich will Sie nicht konfrontieren mit den tatsächlichen Zahlen der vergangenen 20 Jahre.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Derjenige, der für die Opposition auf diesem Felde morgen vormittag, wie ich annehme, spricht, muß im übrigen diesem Parlament und der öffentlichen Meinung darlegen, wie denn, wenn doch Sie das alles für unzureichend erklärt haben, was wir Ihnen am Freitag dargelegt haben, anders und mit welchen anderen Instrumenten alternativ die Opposition meint, etwas Besseres bewirken zu können. Hier liegt der Fehler Ihrer ganzen Argumentation.
Und nun ist es ja so — ich verstehe das sehr gut —, daß sich die Opposition vielleicht lange vorgestellt hat, sie käme ohne Alternative aus der Situation heraus oder darum herum. Sie haben gemeint, es würde eine lange dauernde Abnutzungskrise innerhalb der sozialliberalen Koalition geben. Das ist nicht eingetreten; wir haben schnell reagiert, und jetzt sind Sie ohne Antwort.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

Es wird doch Zeit, daß Sie dem deutschen Volk einmal erklären, db Herr Professor Carstens die Alternative darstellt oder ob es Herr Strauß ist oder Herr Kohl oder Herr Stoltenbeg. Das wird doch Zeit!

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

Herr Professor Carstens hat eine außenpolitische Bemerkung gemacht und hat an die Bundesregierung appelliert, aus Anlaß der Beglaubigung eines Vertreters der DDR in Bonn allen Staaten der Welt den Spruch des Bundesverfassungsgerichts zu notifizieren, mit dem im vergangenen Sommer die Klage der bayerischen Staatsregierung in Karlsruhe abgewiesen worden ist. Ich sehe keinen Anlaß, daß wir dieser Anregung folgen sollten,

(Zuruf von der CDU/CSU: Warum?) und ich gebe Ihnen dafür Gründe.

Die Initiative Bayerns, zu der sich damals die Opposition — jedenfalls in Teilen — bekannt hat, war für den Ruf der Bundesrepublik Deutschland im Ausland und in der Welt schädlich.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — OhRufe und Lachen bei der CDU/CSU.)

— Ich sage ja nicht, daß sie nicht legitim gewesen sei.

(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

Das Gericht hat festgestelllt, daß sie nicht gerechtfertigt war, und wir sagen: Sie war schädlich;

(Beifall bei den Regierungsparteien)




Bundeskanzler Schmidt
denn sie hat in West und in Ost Anlaß gegeben - ob gerechtfertigt oder nicht, lasse ich dahingestellt — zu der Vermutung

(Zuruf von der CDU/CSU)

— ich spreche nicht vom Verfassungsgericht, sondern von dem Begehren des Freistaats Bayern; das wird wohl jeder verstanden haben —,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

daß es in der Bundesrepublik Deutschland Kreise gebe, die grundsätzlich gegen Entspannung und Zusammenarbeit in Europa eingestellt seien.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Die Regierungen in der Welt, auf die es ankommt, sind bei der Behandlung der deutschen Fragen

(Abg. Dr. Marx: Nur so weiter!)

von Anfang an und immer wieder über die Auffassungen der Bundesrepublik Deutschland unterrichtet worden, auch darüber, daß eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR für uns nicht in Betracht kommt. Es liegt nach dieser selbstverständlichen und wiederholten Unterrichtung ausländischer Regierungen durch unsere Botschafter kein Grund vor, nun durch Übersendung von Gerichtsurteilen — wie bedeutungsvoll sie auch immer sind oder von Ihnen angesehen werden mögen — die politische Linie der Bundesregierung zu dokumentieren. Das werden wir nicht tun.

(Abg. Stücklen: Sehr bedauerlich!)

Sie haben außerdem eine Bemerkung gemacht des Inhalts, die Erklärung der Bundesregierung habe verschwiegen, daß es in der Ostpolitik auch Rückschläge gegeben habe. Auch das ist ein bißchen unscharf formuliert, wenn man Ihren Appell an die Wahrheit im Ohr hat. Ein bißchen unscharf formuliert, sage ich vorsichtig; denn wörtlich heißt es im Text der Regierungserklärung: „trotz aller Schwierigkeiten und Rückschläge" — wörtlich so formuliert! —, und Sie sagen, wir hätten nicht davon gesprochen.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Das haben Sie auch nicht! Sie haben kein Wort über die Sache gesagt! — Abg. Dr. Marx: Sie haben Formeln verwendet, sonst nichts!)

Wir haben vielleicht die Rückschläge nicht so ausgemalt, wie manche von Ihnen wünschen möchten, daß wir es täten, auf daß darauf hin noch mehr Rückschläge eintreten. Das haben wir nicht getan.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aber ich darf, Herr Professor Carstens, in Ihr Ohr und in die Erinnerung des Kollegen Dr. Gerhard Schröder etwas aus der Vertragsdebatte im Frühjahr 1972 oder bei anderer Gelegenheit zurückrufen, wie oft, wie stark und wie eindringlich Sprecher der sozialliberalen Koalition und auch der damaligen Bundesregierung von diesem Pult aus darauf hingewiesen haben, daß sie mit schweren Rückschlägen rechnen, daß es ein langer Weg, gekennzeichnet durch Rückschläge, sein würde, und daß es geradezu im Wesen dieser Operation liegt, von vornherein zu
wissen, erstens daß Rückschläge eintreten und zweitens daß man den Weg gleichwohl weiterhin beschreiten muß. Das haben wir Ihnen immer gesagt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nicht nur im Westen, auch in anderen Teilen Europas gibt es gewißlich Personen, die sich nicht darüber grämen würden, wenn auf Grund solcher Schwierigkeiten der Weg abgebrochen würde; die gibt es überall. Denen möchten wir nicht in die Hände spielen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


(Vorsitz: Vizepräsident von Hassel.)

Sie haben sich dann außenpolitisch der Lage Europas und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zugewandt. Es fehlten Ansätze zu neuen europäischen Initiativen, so meine ich mich Ihrer Worte zu erinnern, Herr Kollege Carstens. Sie haben zwei Möglichkeiten genannt; das waren die Initiativen, die ich glaubte, bei Ihnen heraushören zu sollen. Die eine bezog sich auf Rüstungszusammenarbeit mit Frankreich. Die geschieht ja, und nicht erst seit gestern. Sie wollen ja nicht zusätzlich noch ein Flugzeug bestellen außer dem, das gemeinsam mit den Franzosen in Entwicklung ist; das kann ich mir jedenfalls nicht vorstellen.

(Lachen und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das ist ja ein Feld, von dem Sie spezifisch und aus eigener beruflicher Erfahrung eine ganze Menge wissen, genau wie ich auch.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Alles, was auf diesem Felde gemeinsam mit Frankreich möglich ist und möglich schien, ist eingeleitet.
Die zweite Anregung war, hinsichtlich MBFR gemeinsam mit Frankreich zu überlegen und zu operieren. Da muß ich Sie fragen, ob Sie wirklich davon ausgehen, daß das nicht geschähe.
Wenn das alle Anregungen sind, die auf diesem Felde von seiten der Opposition kommen, dann wäre es ein bißchen wenig, um damit allein ein Zusammentreffen zwischen dem neugewählten französischen Staatspräsidenten und dem neugewählten deutschen Bundeskanzler zu bestreiten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es steht nämlich im Ernst — Herr Kollege Mischnick hat vorsichtig ein paar Hinweise gegeben z. B. an die Zahlungsbilanzsituation einiger EG-Partner erinnert — anderes aktuell zur Debatte als gemeinsame Rüstungsvorhaben.
Ich war eigentlich, wenn ich das sagen darf, und ich gebe mir Mühe, nicht zu polemisieren, Herr Professor Carstens

(große Heiterkeit bei der CDU/CSU) — warten Sie ab, was kommt! —,


(Beifall bei den Regierungsparteien)




Bundeskanzler Schmidt
durch das, was der Kollege Stoltenberg, der uns heute ausnahmsweise nicht die Ehre gegeben hat,

(Heiterkeit bei der SPD)

und was der Ministerpräsident Kohl über das Wochenende gesagt haben, darauf vorbereitet — Sie haben das alle gesagt —, es würde für die Bundesregierung keine Schonfrist geben. Aber das, was Sie geboten haben, war wirklich Schonkost, Herr Carstens.

(Große Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn man es recht vergleicht, glaube ich nicht, daß es sich allzuweit von der Wahrheit entfernt,

(Dr. Marx: Der muß furchtbar böse sein auf Wehner!)

wenn ich sage, die Erklärung des Oppositionsführers unterscheidet sich von der Erklärung, die die Regierung vorgelegt hat, dadurch, daß sie weniger konkret und weniger präzis ist und daß sie keine nennenswerten Alternativen enthält.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Herr Kollege Carstens, Sie haben im wesentlichen — das kann ich Ihnen nicht übelnehmen — das, was diese Regierung vor drei Tagen vorgetragen hat, mit dem verglichen, was früher einmal gewesen, gesagt oder getan worden ist. Es ist Ihr gutes Recht, dies zu tun. Ich will Ihnen auch keine Ratschläge geben, nur meine ich: Es wäre uns beiden im Zusammenspiel zwischen Opposition und der Gesetzgebungsmehrheit — der Regierungskoalition — besser gedient, wenn wir mehr in die Zukunft gewandt

(Lachen bei der CDU/CSU — Beifall bei den Regierungsparteien)

— mehr in die Zukunft gewandt, sicherlich! — miteinander stritten als über die Vergangenheit. Aber ich habe nichts dagegen: Je länger Sie in der Vergangenheit verharren, Herr Kollege Carstens, desto deutlicher wird es werden, daß Sie und Ihre Anhänger im Lande sich täuschen, wenn Sie meinen, die sozialliberale Koalition stünde mit dem Rücken an der Wand. Erstens ist es nicht der Fall, zweitens sind wir schon wieder weg von der Wand. Sie werden es noch merken!

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Haase [Kassel] : Warten Sie auf Niedersachsen! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

Ich habe eine persönliche Bemerkung hinzuzufügen. Der Oppositionsführer hat eine Reihe bisheriger und im Amt befindlicher Bundesminister namentlich genannt und sie herabgesetzt. Ich muß diese Bemerkungen zurückweisen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Marx: Er muß zurückweisen!)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0710101200
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0710101300
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Trotz dieser Intervention des Herrn Bundeskanzlers, auf die ich gleich, soweit es geboten scheint, zurückkommen werde, halte ich es aus gutem Grund für richtig — schon der politischen Gewichtigkeit wegen —, zunächst noch auf den Herrn Kollegen Herbert Wehner in dieser Debatte zu sprechen zu kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Marx: Der freut sich!)

Wer nämlich die Absicht hat, sich mit der Bundesregierung Schmidt/Genscher auseinanderzusetzen, wie dies heute und morgen geschieht, muß sich, glaube ich, zuerst dem Kollegen Wehner zuwenden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich tue dies, Herr Kollege Wehner, obwohl ich nicht recht weiß, was die — sehr höflich gesagt — schwache Zitatensammlung, die Sie hier als eine „Rede" brachten, eigentlich soll. Ich kann nur denken, sie sollte von der starken Rolle ablenken, die Sie in den vergangenen Wochen gespielt haben.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Das kann Ihnen nicht erspart werden. Ich möchte zunächst etwas zum Tatsächlichen dartun. Der Kollege Carstens hat Ihnen bestimmte Vorwürfe gemacht über Ihre Explosionen anläßlich der Mitteilung durch den Bundeskanzler Kiesinger, daß es hinter seinem Rücken eine Begegnung mit der Kommunistischen Partei Italiens gab. Ich kann nur sagen, daß das, was der Kollege Carstens hier gesagt hat, hanseatisch unterkühlt mitgeteilt war.

(Abg. Stücklen: Sehr richtig!)

Ich war ein Zeuge Ihrer Explosionen, Herr Kollege Wehner. Der Bundeskanzler außer Diensten Kurt Georg Kiesinger hat mir eben bestätigt, daß er erst post festum — wobei das Wort „festum" wahrscheinlich besser durch ein anderes ersetzt werden sollte — von Ihnen, Herr Kollege Wehner, von diesem unglaublichen Vorgang erfahren hat. Sie waren Minister in dieser Regierung und haben hintenrum diese Dinge getan. Herr Carstens hat mit Recht davon gesprochen.

(Abg. Wehner: Das ist eine Unwahrheit, Herr Barzel! Deswegen dürfen Sie wiederkommen!)

— Herr Kollege Wehner, Sie können dazu rufen, und Sie können schreien, was Sie wollen: Die Fakten werden Sie auf diese Weise auf gar keinen Fall verändern!

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Marx: Darüber gibt es ja wissenschaftliche Abhandlungen, wer dabei war!)

Zu den Fakten, Herr Kollege Wehner, gehört, daß Sie — deshalb wende ich mich an Sie — nicht nur eine Krise Ihrer Partei auf den Staat gewälzt haben,

(Abg. Dr. Marx: Herr Bauer, Herr Franke und Herr Bahr waren dabei!)




Dr. Barzel
nicht nur der Manager der Kanzlerkrise waren, sondern auch das Drehbuch dazu geschrieben haben. Dies muß hier heute einmal gesagt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, ich gehöre nicht zu denen, die noch darauf hereinfallen, wenn Sie hier irgendwelchen Rauch und Nebel erzeugen; ich kümmere mich um das Feuer, das Sie legen. Ich habe nicht vergessen, was Sie im Herbst bei Ihrer Moskaureise alles fabriziert haben.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Hier ist in der Öffentlichkeit nur die Rede davon gewesen, die Berlin-Position sei „überzogen". So Herbert Wehner! Die Koalition ist ihm gefolgt. Es ist auch die Rede davon, Herr Kollege Wehner — ob Sie hier noch ein paar Briefe vorlesen über eine der mindestens zwölf Injurien, die Sie gegen den früheren Bundeskanzler getroffen haben; soll vielleicht die ganze Presse falsch gehört und falsch berichtet haben? —, daß Sie im Grunde — ich fasse das jetzt zusammen — den früheren Bundeskanzler als doch nicht voll geeignet für diese Position bezeichnet haben. Wieder ist man Ihnen gefolgt. Ihre eigene Fraktion — dies war doch eben peinlich — ist bei Ihrer Entlastungsoffensive doch in keiner Weise mitgegangen.
Aber der dritte Punkt ist vergessen worden! Herr Kollege Wehner, Sie haben sich doch wohl von Moskau aus dagegen gewehrt — ich muß dies jetzt aus dem Gedächtnis zitieren und bin gern bereit, dies in der Debatte ganz konkret zu machen; ich erinnere an die Aussprache vom 3. Oktober vergangenen Jahres hier —, daß auf das Vertragswerk irgend etwas „draufgebastelt" würde, daß da „rumgefummelt" würde. Damit haben Sie doch die Entschließung dieses Hauses gemeint, der Sie zugestimmt haben!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das alles sollte doch weg! Jetzt haben Sie einen neuen Kanzler, der in seiner Regierungserklärung eben nicht mehr von der Einheit der Nation und der Einheit des Volkes gesprochen hat. Das ist für mich der Schlüssel zu all diesen- Dingen, die sich in diesen letzten Wochen ereignet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0710101400
Gestatten Sie, Herr Abgeordneter Dr. Barzel, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0710101500
Gerne, Graf Lambsdorff!

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0710101600
Herr Kollege! Nachdem Sie eben einen Drehbuchautor für einen Kanzlersturz genannt haben: Könnten Sie uns auch den Drehbuchautor des. Kanzlersturzes 1966 nennen?

(Beifall bei den Regierungsparteien. Lachen bei der CDU/CSU. Zurufe von den Regierungsparteien: Barzel! Barzel!)


Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0710101700
Ich kann Ihnen gern einen nennen, Herr Kollege Lambsdorff! Sie können sich natürlich vorstellen, Herr Kollege Lambsdorff, daß es mich geradezu delektiert, eine solche Frage zu beantworten! Der Kollege Scheel sitzt jetzt nicht hier. Er kam, nachdem seine Kabinettskollegen in der Regierung Erhard sich bereitgefunden hatten und der Kollege Bucher, damals Minister, vor dem Fernsehen diese Bereitschaft der freidemokratischen Minister erklärt hatte, die Steuern zum Haushaltsausgleich mit uns zu erhöhen, des nachts aus Paris und sagte: Freunde, wir müssen ganz etwas anderes machen.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Dann kam der Rückzug der Minister der FDP. Dann haben wir Beschlüsse gefaßt. Wenn ich einen Fehler gemacht habe — ich räume dies ein —: Ich habe einen Beschluß mit einer sehr vernünftigen Formulierung auch öffentlich vertreten, der ein Beschluß unserer Fraktion war. Ich habe, meine Damen und Herren, nicht geredet, wie jetzt der Kollege Wehner, ich habe dann hingenommen, als Sie aus der Koalition austraten, daß der Kollege von Kühlmann-Stumm, jetzt unser Kollege — lesen Sie es nach, z. B. in der „Rheinischen Post" vom 29. Oktober 1966 —, erklärte: „Mit dem Bundeskanzler Erhard können wir keine Regierung mehr bilden." Dann haben wir eine Mehrheit gesucht. Als dann meine Freunde beschlossen hatten, einen anderen Weg zu gehen, war ich Manns genug, dies zuzugeben und nicht gegen politische Gegner, Herr Kollege Wehner, wie Sie das jetzt machen, mit Brunnenvergiftung eine Dolchstoßlegende aufzubauen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Sehr gut! — Abg. Dr. Graf Lambsdorff meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage.)

— Ich wollte, Graf Lambsdorff, mit Ihrer Erlaubnis — —

(Zurufe von der CDU/CSU. — Glocke des Präsidenten. — Abg. Dr. Marx: Graf Lambsdorff, noch eine Frage!)

— Meine Damen und Herren! Lassen wir es mit dieser Ablenkung sein Bewenden haben!

(Zuruf von der SPD: Herr „Oppositionsführer" !)

Ich wollte mich jetzt gern dem Herrn Bundeskanzler zuwenden: Herr Bundeskanzler, ich war bei der Deutschlandpolitik. Ich meine, Sie sollten mir persönlich erlauben zu sagen: das war ein weiter Weg von unserer gemeinsamen Unterschrift unter den Antrag vom 26. September 1968 mit dem Beschwören des Ziels der Wiedervereinigung nach dem Modell des Deutschland-Vertrages und mit der Ablehnung jedweder, auch staatsrechtlicher Anerkennung des anderen Teils Deutschlands. Das war ein weiter Weg, Herr Bundeskanzler, von dieser Unterschrift bis zu dem Nichts zu dieser Frage in Ihrer Regierungserklärung jetzt — und ein weiter Weg von der Entschließung vom 17. Mai von 1972 bis zu diesem Punkt heute.
Ich möchte nun ein paar Worte zu dem sagen, was der Herr Bundeskanzler eben gesagt hat, das war eine aufschlußreiche Rede. Zunächst hat er dar-



Dr. Barzel
getan, man sei schon wieder „weg von der Wand". An welcher Wand stand denn da eigentlich wer?

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Marx: Wer?)

Dies ist doch ein Eingeständnis. Sie haben gesagt, wir hätten auf eine „lang dauernde Abnutzungskrise" gehofft, die nicht stattfinde. Also gab es doch, Herr Bundeskanzler, irgendwo eine Abnutzungskrise, die der Herr Wehner zuerst offengelegt hat.

(Abg. Dr. Ehrenberg: In Ihrer Hoffnung!)

Meine Damen und meine Herren, erlauben Sie mir zu der Frage des Vertrauensmännergremiums einen kleinen Hinweis: Der jetzige Bundeskanzler war zur Zeit der Großen Koalition mein Kollege als Fraktionsvorsitzender, und wir hörten aus der Presse und dann im Vertrauensmännergremium — keine Sorge, ich werde das Geheime hier nicht ausbreiten — von einem Spionagefall des Admirals Lüdke. Herr Bundeskanzler, wir haben damals miteinander erklärt, daß kein Vorgang in dem Vertrauensmännergremium uns irgendeines der parlamentarischen Rechte nähme, einschließlich dessen der Verwertung von uns anders zugegangenen Informationen, einschließlich der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Sehr gut!)

Wir haben ihn damals sogar als vertraulichen und geheimen Ausschuß eingesetzt. Wir beide, der Kollege Mischnick, der Kollege Stücklen und Herr Hirsch — jetzt in Karlsruhe — haben sich der Mühe
) unterzogen, diese Arbeit zu leisten. Da ist ein Bericht herausgekommen mit einem Teil für das Parlament und einem anderen geheimen Teil für den Kanzler. Sie haben ihn noch, wir haben ihn nicht. Das heißt, eine solche Untersuchung ist sehr wohl möglich.
Ich wollte aus gutem Grunde hieran gern erinnern.
Meine Damen und meine Herren, erlauben Sie mir, bevor ich auf die innenpolitischen Aussagen des Bundeskanzlers eingehe, noch ein Wort zu dem, was er mit dem Blick auf das Bundesverfassungsgericht gesagt hat.
Ich bin hier in einer, ja, ich glaube: sehr freimütigen Situation. Ich unterstelle niemandem hier, daß er in dem Augenblick, wo er hier redet oder wo er hier zuhört, vielleicht vergißt, was er ohnehin weiß. Es weiß jedermann in diesem Hause, daß ich persönlich in dieser Frage gegen die Anrufung des Gerichts war. Aber, meine Damen und Herren, dann zu sagen, wenn andere von dem Recht Gebrauch machen, dorthin zu gehen, dies sei „schädlich" und das Urteil sei schädlich, — das muß doch vom Tisch, bevor hier am Freitag Festreden über das Grundgesetz gehalten werden.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Ich möchte gerne auf den Versuch des Bundeskanzlers zurückkommen, meinem Kollegen Carstens — wie soll ich sagen — einen leichtfertigen Umgang mit Informationen — so war es wohl — zu unterstellen.

(Zurufe von der SPD.)

Meine Damen und Herren, das, was wir eben erlebt haben, halte ich nur deshalb fest, weil wir uns wahrscheinlich für die Zukunft darauf werden einrichten müssen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

Herr Kollege Carstens bezog sich auf Pressemeldungen. Ich habe hier einen ganzen Stoß, alle mit derselben Überschrift. Was immer Sie nehmen: „Frankfurter", „Süddeutsche", alle sagen das, was der Kollege Carstens dem Kollegen Apel vorgeworfen hat. Dann kommt der Bundeskanzler und sagt: Aber wie können Sie das machen?! Da gab es doch eine Fragestunde! Ich habe inzwischen, dank liebenswürdiger Hilfe, das Protokoll vom 25. April 1974 bekommen. Da wird konkret nach dieser Meldung gefragt, und in der Frage heißt es, ob das etwa unzutreffend sei. Die Antwort der Bundesregierung, meine Damen und Herren, nachzulesen auf Seite 6460 B, war nicht: Das war unrichtig, sondern ein Drumherumreden;

(Abg. Dr. Marx: Wie oft!)

das sei wirklich gemeint, und das wirklich Gemeinte sei auch in Paris bekannt. Das war die Antwort. Meine Damen und Herren, dies ist kein Dementi. Ich kann uns allen deshalb nur empfehlen, für solche Debatten künftig auch die Akten zur Hand zu haben, damit nicht hier Eindrücke erweckt werden, die sich einfach nicht bewahrheiten lassen, wenn man hier genau hinguckt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nun, Herr Bundeskanzler, zu dem, was Sie hier am Freitag unter dem Wort „Zwischenbilanz" vorgelegt haben. Sie haben sich, indem Sie sich zur Kontinuität dieser Politik bekannt haben, natürlich auch bekannt — wie sollte es anders sein — zu der Mitverantwortung, die Sie an dem Erbe haben — „an der Wand stehen" haben Sie das genannt und „Abnutzung" —, das Sie hier übernehmen mußten. Also ist dies zum Teil Ihr eigenes Erbe. Diese Zwischenbilanz aber kann doch wohl kaum mit dem Wort „Eröffnungsbilanz" hier eingebracht werden; das war doch wohl mehr eine Schönfärberei.
Aber, meine Damen und Herren, was ist das eigentlich für eine Bilanz und für eine Buchhaltung, die nur von der Habenseite spricht und das Soll vollkommen unterschlägt? Bilanz — das ist doch schon das Wort — soll eine ausgewogene Darstellung der Aktiva und der Passiva sein, um dann festzustellen, was unter dem Strich ist. Was ist das eigentlich für eine Art, wohin käme jemand im Privatleben, der die offenbaren Schulden unterschlägt und nicht von diesen spricht? Meine Damen und Herren, dies wäre doch gegen Treu und Glauben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber ich will es politischer sagen: Herr Bundeskanzler, wir haben doch innerhalb der Großen Koalition zu Ostern und zu Pfingsten 1966 jene heiße Zeit gehabt - ich erinnere auch den Herrn Bundeskanzler Kiesinger daran —, in der es sehr schwierig



Dr. Barzel
war. Damals gab es noch in allen Parteien Gespräche. Haben sich damals nicht viele von uns vorgenommen, wenigstens einer Forderung junger Menschen immer zu entsprechen, nämlich der nach mehr Transparenz der politischen Vorgänge, um die Unruhe auch durch Transparenz, Aufrichtigkeit und mehr Mut, Fehler auch einzugestehen, aufzufangen?
Glauben Sie, Herr Bundeskanzler, daß Sie damit einen guten Start machen, daß Sie eine ganze Menge von Tatsachen verschweigen? Warum verschweigen Sie die Tatsache, daß die Zahl der Arbeitslosen im April dieses Jahres mehr als doppelt so hoch gewesen ist wie vor einem Jahr? Daß die Zahl der Kurzarbeiter achtmal höher ist als vor Jahresfrist? Daß die Sorge um den Arbeitsplatz ständig steigt und daß unter dem Kostendruck der Inflation zahlreiche Selbständige auf der Strecke bleiben? Das sind doch, Herr Bundeskanzler, Fakten und kein „Oppositionsgerede".
Warum verschweigen Sie, daß nach dem jüngsten Bericht der Deutschen Bundesbank — das ist doch keine finstere Oppositionsorganisation; sie wird doch von Ihrem guten Freund, dem auch von uns verehrten Präsidenten Klasen, geleitet — die Sparer in der Bundesrepublik Deutschland — Herr Kollege Carstens sprach davon — allein im Jahre 1973 40 Milliarden Deutsche Mark durch Inflation verloren haben? In einem Jahr, in dem Sie der zuständige Minister für diese Fragen waren?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und meine Herren, warum wird hier verschwiegen — ich zitiere diesen Bericht der Bundesbank —, daß „die gesamten Ausgaben der Gebietskörperschaften 1973 um 13 % und damit stärker als das nominale Sozialprodukt gestiegen sind"; daß — immer noch die Bundesbank — gleichwohl „der Anteil der öffentlichen Investitionsausgaben am Sozialprodukt weiter zurückgegangen ist?"
Obgleich die volkswirtschaftliche Steuerquote 1973 mit 24,3 % einen neuen Höchststand erreichte,
— so immer noch die Bundesbank —
ist der Anteil der staatlichen Investitionen am Sozialprodukt gesunken. Der überproportionale Zuwachs an Steuern wurde dazu benötigt, um den überproportionalen Zuwachs an konsumtiven Staatsaufgaben zu finanzieren.
Der verantwortliche Minister für diese objektiv unverantwortliche Politik, die Deutschland um Investitionen gebracht hat, die wir für ein modernes Land morgen doch brauchen, und welche heute junge Menschen schädigt, und der für die Bundesbank zuständige Minister — das ist der gegenwärtige Herr Bundeskanzler.
Die Bundesbank sagt, die Preissituation im Inland habe sich zu Beginn des Jahres 1974 merklich verschlechtert; die außenwirtschaftliche Flanke sei weitgehend abgesichert. Sie fügt hinzu:
Die Beschäftigungsrisiken sind weitgehend die
direkte oder die indirekte Folge von Verzerrungen und strukturellen Problemen, die der Inflationierung zuzuschreiben sind.
Herr Bundeskanzler, was ist das für eine Bilanz, die an diesen amtlichen Erklärungen der Deutschen Bundesbank vorbeigeht? Diese amtlichen Erklärungen besagen doch nichts anderes, als daß diese Bundesrepublik Deutschland über ihre Verhältnisse lebt und daß der größte Teil der Inflation hier „hausgemacht" ist, weil wir mehr verbrauchen, als wir uns leisten können, — vor allen Dingen dann leisten können, wenn wir für die Zukunft ausreichende Vorsorge treffen, d. h. Investitionen vornehmen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich hätte diese Passage hier natürlich nicht, auf die Bundesbank abgestellt, gebracht; ich bringe sie deshalb, weil der Bundeskanzler dies ja alles selber weiß, denn er sagt in seiner Regierungserklärung — ich zitiere —:
Ohne Investitionen kein Wachstum; ohne Investitionen keine Arbeitsplatzsicherheit, keine höheren Löhne und auch kein sozialer Fortschritt.
Soweit der Kanzler. So reden Sie nun. Aber als Finanzminister haben Sie doch die Voraussetzung für das alles, nämlich die Stabilität, als ein „Modewort" abgetan; Herr Carstens hat daran erinnert. Herr Bundeskanzler, Sie haben diese Entwicklung unterlassener Investitionen zu verantworten.

(Abg. Haase [Kassel] : So ist es!)

Meine Damen und Herren, wir erinnern uns doch alle noch an den Satz: Lieber um 5 % höhere Preise als 5 % Arbeitslose. Mit dieser bösen Aussage ist der letzte Wahlkampf bestritten worden. Dieser Satz — Herr Kollege Ehrenberg, Sie werden mir das zugeben — ist doch von einer Logik wie etwa die Sätze „Nachts ist es kälter als draußen" oder „Im Regen ist es weiter als bis Bonn". Von ähnlichen Widersprüchen ist doch auch jetzt Ihre Bilanz wieder voll.

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Sie reden davon, wir suchten dem Volk hier etwas einzureden, was gar nicht vorhanden sei.

(Abg. Mattick: Sehr gut!)

— Herr Mattick, Sie rufen „Sehr gut!". Nehmen Sie doch einmal den Bericht der Arbeitsgemeinschaft der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute vom 4. April zur Hand. Herr Kollege Carstens hat Ihnen noch den harmloseren Teil daraus vorgelesen. Ich nehme an, Sie haben den Bericht ganz gelesen. Ich empfehle Ihnen, auf Seite 36 — meine Redezeit reicht nicht aus, um hier näher darauf einzugehen — die vorzüglichen Ausführungen der Professoren und ihrer Mitarbeiter zum Thema des Einflusses der gestiegenen Rohstoffpreise auf die Lebenshaltungskosten nachzulesen. Der Herr Bundeskanzler hat dies in einer Weise dargestellt, wie ich sie vorher zu skizzieren versuchte.
Ich möchte dartun, daß ich dem Kanzler zustimme, wenn er schreibt — übrigens, das, was wir in der „Zeit" lesen konnten, war sicherlich sehr viel



Dr. Barzel
konkreter, sehr viel subtiler und auch härter und präziser als das, was hier in der Regierungserklärung gesagt wurde; aber vielleicht kommt hier noch mehr in der Debatte; das war ja immer so —: „Unsicherheit ist Gift." — Ich glaube, dem stimmen wir alle zu. Nur, Herr Bundeskanzler: Unaufrichtigkeit ist dann Müll. Auf diesen Müll können Sie nicht einen soliden „neuen Anfang" setzen. Die Bilanz, die Sie vorlegen, ist entweder eine Summe von Ausreden oder — es tut mir leid, dies sagen zu müssen — eine Täuschung. Dies muß gesagt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, wenn Unsicherheit oder — ein anderes Wort von Ihnen, Herr Bundeskanzler — eine „Angstlücke" entstanden ist: Wer hat dies eigentlich produziert? Wer regiert eigentlich seit beinahe fünf Jahren in diesem Lande? Doch diese Regierung, deren Finanzminister jetzt Bundeskanzler geworden ist! Wenn „Angstlücke" und „Unsicherheit" entstanden sind, dann — ich hätte beinahe gesagt: greifen Sie sich an Ihre Nase; aber das wäre kein ganz guter Ausdruck — nehmen Sie den Vorwurf an Ihre Adresse, und wälzen Sie es nicht auf die Opposition ab.
Wir leugnen gar nicht, daß so eine Regierung auf der Habenseite natürlich auch die Verabschiedung von ein paar Gesetzen — darunter auch ein paar guten Gesetzen, denen wir dann zugestimmt haben — zu verbuchen hat. Man muß dann aber auch von der Sollseite sprechen. Wir halten fest, daß Reformen im Strudel der Inflation untergegangen sind. Wir könnten jetzt, wenn wir, wie mein Kollege Wehner, heute den Zettelkasten mitgebracht hätten, natürlich endlose Zitate aus früheren Reden von uns allen vorlesen. Wir halten nur fest, im Strudel der Inflation gehen unter: die Vermögensbildung, das umfassende Bodenrecht, die berufliche Bildung, der Numerus clausus. Damit ist nicht nur bewiesen, daß man mit Inflation Reformen nicht machen kann. Ich füge hinzu: Auch wenn Sie solche Reformen nicht durchsetzen können, sie bleiben objektiv notwendig, freilich nicht aus dem Geist des Sozialismus, sondern aus dem der sozialen Gerechtigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es ist doch nicht so, als hätten wir — Sie und wir und andere — diese Themen erfunden, weil es uns Spaß gemacht hätte. Vielmehr verlangen die Zeit und die Probleme der Bundesrepublik Deutschland hier Antworten; und zu denselben Themen unterschiedliche Antworten zu geben, das war der Sinn des Wettbewerbs um die Mitte, von dem wir hier nach der letzten Bundestagswahl gesprochen haben.
Aber Sie haben die Reformmarge, die Möglichkeit von Reformen durch eine Politik der Inflation verspielt, von der — das will ich dem Kollegen Apel doch mit auf den Weg geben; vielleicht können Sie, Herr Kollege Vogel, es ihm nachher sagen — Herr Apel ist gerade nicht da —, denn ich habe hier gerade ein vorzügliches Zitat, das ich gern vortragen möchte — Herr Mendès-France im Wahlkampf sagte: „Inflation, das ist eine Subvention für die Reichen und eine Steuer für die Armen."

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte noch einmal darauf zurückkommen, daß der Kollege Carstens hier — doch völlig zutreffend — folgendes vorgetragen hat. Er hat die Daten genannt, die besagen, in welcher Situation dieses Koalitions-Bündnis im Jahre 1969 mit seiner Politik begann. Die Daten sind unbestreitbar. Wie jeder, der mit. Zahlen umgeht, müssen Sie, Herr Bundeskanzler, doch davon ausgehen, auf welchem Sockel man beginnt. Sie haben im Jahre 1969 finanzielle und politische Stabilität bei weitgehender Nichtverschuldung der öffentlichen Haushalte und bei Vollbeschäftigung übernommen. Daß Sie sich, der Sie erst vor fünf Jahren ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen wie die Bundesrepublik Deutschland übernommen haben, dann des „Erfolges" rühmen zu können glauben, daß Sie am Schluß des internationalen Geleitzuges sind, das, meine Damen und Herren, ist schon ein starkes Stück.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das kann man wohl sagen!)

Sie sollten doch nicht die Maßstäbe dauernd verschieben. Sie lassen sich auch sonst nicht an Durchschnittszahlen messen, die an dem müdesten Dampfer eines Geleitzuges ausgerichtet sind. Der Maßstab, nach dem ein verantwortlicher demokratischer Politiker hier Rechenschaft zu geben hat, ist das, was er den Wählern gesagt hat, und den Wählern haben Sie etwas anderes versprochen als das, was Sie jetzt zum Maß nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte gern daran erinnern, daß ich am 29. Oktober 1969 in der Aussprache über die erste Regierungserklärung eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers als Vorsitzender der Fraktion geglaubt habe es für richtig halten zu müssen, einige wenige Sätze über eine Eröffnungsbilanz aus unserer Sicht zu sagen, weil ich mir dachte: darauf wird man zurückkommen müssen, wenn es einmal historische Legenden gibt.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein]: Sehr gut!)

Ich möchte gern, obwohl dies ungefähr acht Sätze sind, Ihre Geduld mit diesem Zitat in Anspruch nehmen; man hätte natürlich gern den früheren Bundeskanzler gefragt, wie er dazu steht, aber ich will dies nicht tun.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist er denn?)

— Es spricht alles für oder gegen sich selbst; das brauchen wir, glaube ich, gar nicht zu kommentieren, Herr Kollege.

(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Wehner.)

Nun zum Zitat. Diese Bilanz hieß, Herr Kollege Wehner:
Der Schutt der Nachkriegsjahre ist weggeräumt. Die Hektik des Wiederaufbaus ist vorbei. Sie treten Ihr Amt an bei Vollbeschäftigung, stabilem Geld und wohlgeordneten Finanzen. Sie



Dr. Barzel
finden auf den Gebieten der Bildungspolitik, der Finanz- und Wirtschaftspolitik bessere Kompetenzen und ein gerade geschaffenes modernes Instrumentarium vor. Dazu treten die neuen Möglichkeiten des Arbeitsförderungs- und des Berufsausbildungsgesetzes sowie die anderen Reformwerke der Großen Koalition.
Außenpolitisch bleibt festzuhalten: Frankreich setzt seine Akzente der Europa-Politik näher zu den unseren. Polen zeigt Gesprächsbereitschaft. Die Sowjetunion denkt, so scheint es, neu nach über Mitteleuropa. Die Verantwortlichen in Ost-Berlin beginnen sich von starren Formeln zu lösen. Das weltpolitische Gespräch der beiden Großmächte wendet sich den Raketen-Problemen zu und nimmt damit zugleich — endlich — auch politische Spannungsursachen als Thema auf. Seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland stand kein Bundeskanzler bei seinem Amtsantritt in einer vergleichbaren Situation. Wir werden sehen, Herr Bundeskanzler, wie Sie von diesem soliden Fundament aus „den Nutzen des deutschen Volkes mehren".

(Zuruf von der CDU/CSU: Alles verspielt!)

Und jetzt müßte eine neue Rede beginnen, in der hier Punkt für Punkt dargetan würde, was aus dieser Eröffnungsbilanz, die wir damals geben konnten, geworden ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Konkurs!)

Wenn Sie das mit dem Wort des jetzigen Bundeskanzlers „Nun an der Wand" vergleichen, dann ist dies, meine Damen und Herren, noch eine vergleichsweise milde Formulierung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte dies aber nicht tun, weil ich auf einen anderen Punkt noch zu sprechen kommen möchte.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0710101800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ehrenberg?

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0710101900
Aber mit Vergnügen.

Dr. Herbert Ehrenberg (SPD):
Rede ID: ID0710102000
Herr Kollege Barzel, wenn Sie schon so lange und ausführlich aus dem Jahre 1969 zitieren: da der Zettelkasten sicher nicht da ist, würden Sie es vielleicht einem Ihrer Nachredner weitergeben, doch bitte vielleicht auch einige Aussagen Ihres Kollegen Strauß damals zur Aufwertung der Deutschen Mark zu zitieren und daran eine Vision anzuschließen, wie es wohl um die außenwirtschaftliche und binnenwirtschaftliche Bilanz dieser Volkswirtschaft ausgesehen hätte, wenn wir damals auf Herrn Strauß gehört hätten?

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0710102100
Lieber Herr Kollege Ehrenberg, ich kann Ihnen die Frage gern beantworten, weil man damals noch etwas netter miteinander umging. Bevor der Bundeskanzler Brandt sich entschloß aufzuwerten, bat er mich ins Palais Schaumburg, unvorbereitet, um welche Frage es ging. Da saß der Kollege Schiller noch dabei. Er sagte mir, in einer halben Stunde werde das Kabinett zusammentreten, er werde um folgenden Prozentsatz aufwerten und fragte, was ich wohl dazu meine. Ich habe ihm gesagt: Sie haben sich den Wählern gegenüber festgelegt. Wenn Sie dies schon aus dem Handgelenk tun, kann ich nur für mich etwas sagen; und da muß ich Ihnen sagen: wenn Sie das nicht begleiten von einem binnenwirtschaftlichen, wirksamen innenpolitischen Stabilitätsprogramm, wird das Ganze nichts nutzen. Dies war der erste Satz des Oppositionsführers, der leider recht gehabt hat, meine Damen und meine Herren.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte mich aber noch in ein paar Sätzen mit dem selbstgeflochtenen Lorbeerkranz des Herrn Bundeskanzlers beschäftigen, der sich nun rühmt der 7 % Preissteigerungen, nur; verzeihen Sie: nicht rühmt — das war nicht korrekt —, sondern feststellt: „Wir sind Gott sei Dank am Schluß des Geleitzuges", und der 2 % Reallohnsteigerung im vergangenen Jahr anpreist. Herr Bundeskanzler, ich möchte Ihnen empfehlen, zur Kenntnis zu nehmen: Bei allem Vorbehalt gegen Durchschnittszahlen — sie geben doch ein Bild über eine 20jährige Regierungszeit: 1,9 % Preissteigerung im Durchschnitt der Jahre von 1949 bis 1969 bei 5,4 % Reallohnsteigerung in diesen Jahren — das sind Daten, an denen Sie gemessen werden. Ich meine, Herr Bundeskanzler, daß wir hier in der Bundesrepublik Deutschland in der Arbeitswelt doch eine Qualität leisten müssen, um uns auf dem Weltmarkt zu behaupten, und daß die Männer und Frauen, die das leisten, denselben Qualitätsanspruch an ihre Regierung bringen; und da soll man sich nicht mit 7,1 % zufriedengeben, sondern den Anspruch höher stellen.
Wenn Sie sich hier auch loben, im Grunde den größten gesellschaftspolitischen Fortschritt aller Zeiten gemacht zu haben, dann haben Sie den Durchbruch zur sozialen Marktwirtschaft, den sozialen Wohnungsbau, die soziale Partnerschaft, die dynamische Rente, all die großen Dinge verschlafen. Kurzum, ich möchte Ihnen empfehlen, Herr Bundeskanzler, daß Sie mir erlauben — ich habe Ihnen schon manches Buch schenken dürfen —, Ihnen das Buch von Professor Erhard und Müller-Armack über Soziale Marktwirtschaft zu schenken.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Da ist die Bilanz bis 1972 gezogen. Ich würde empfehlen, daß Sie Ihren Vorgänger im Amt Ludwig Erhard um ein Autogramm bitten, und er ist dann sicher bereit, Ihnen bei der Gelegenheit auch einen guten Rat zu geben.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Noch zur Vermögensbildung zwei Gedanken, weil das auch bei Herrn Mischnick eine große Rolle spielte. Herr Kollege Mischnick, es gibt eine Zeit — sie ist bis 1969 —, da haben wir miteinander beklagt, daß von der sozialdemokratischen Seite dieses Hauses zum Thema Vermögensbildung an Gesetzesinitiativen Null eingegangen sei. Das hat sich dann verändert. Wir haben dann im vergangenen Bundestag den Beteiligungslohn eingebracht. Sie haben



Dr. Barzel
ihn abgelehnt, mit allen Folgen für die Eigentumsstruktur in der Bundesrepublik Deutschland. Vergangene Periode haben Sie sich damit delektiert, jeden Tag neue Pläne und Daten zu versprechen. Gemacht haben Sie nichts. Dann haben Sie im Wahlkampf von Vermögensbildung gesprochen. Jetzt haben Sie ein Papier, und da stellt jetzt der Kanzler plötzlich fest — wofür halten Sie uns eigentlich? —, daß eine Bewertungsfrage nicht geklärt sei. Kollege Graf Lambsdorff, es gibt doch ganz andere Gründe als nur diese eine Bewertungsfrage, wegen derer man nun dieses Gesetz nicht vorlegen kann. Und wenn der Kollege Carstens mit Recht von dem 312-Mark- und dem 624-Mark-Gesetz gesprochen hat und dem Kollegen Wehner dies aufgestoßen ist, dann hätte er nur noch hinzufügen können, daß eben vorher seitens der SPD überhaupt nichts war.
Ich gehe nicht so weit, zu unterstellen, daß dies eine Verbeugung des Kanzlers vor den Jusos ist, die das Ganze ja nicht wollen. Mit denen haben Sie Ärger genug, Herr Bundeskanzler. Ich habe gelesen, was die Juso-Vorsitzende heute gesagt hat. Das ist wieder ein Schuß ins Knie; dafür mein herzliches Beileid und sonst gar nichts.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie haben sich bemüht, die Umverteilung des Volkseinkommens hier als einen großen Erfolg darzutun. Aber, Herr Bundeskanzler, ein bißchen solider sollte man im Umgang mit Zahlen doch sein, zumal wenn es sich um Zahlen handelt, die allen Kollegen des Hauses durch den Sozialbericht ohnehin bekannt sind. Die berühmte Vermehrung des Anteils des Einkommens aus unselbständiger Arbeit am Volkseinkommen ist zu unser aller Freude in der der sozialen Marktwirtschaft immanenten Tendenz kontinuierlich weitergegangen. Das fing 1950 an: Einkommen aus unselbständiger Arbeit 58,6 %, Unternehmertätigkeit und Vermögen 41,4 %. 1969 — der politische Einschnitt —: aus Arbeitnehmertätigkeit 65,2 %, aus Unternehmertätigkeit nur noch 34,8 %. Wenn sich die Zahlen jetzt so fortentwickelt haben, wie Sie sagen, Herr Bundeskanzler, dann ist das ein Punkt, wo man nicht mit einem Trick arbeiten darf; diese Umverteilung ist der Sozialen Marktwirtschaft immanent und gehört von Anfang an zu den politischen Punkten unseres Programms. Das ist nicht eine Erfindung der gegenwärtigen Koalition.
Meine Damen und Herren, ich höre von Ihnen öfter den Ruf nach der Alternative. Ich sitze da ja jetzt ein bißchen weiter bei Ihnen, was mir ein großes Vergnügen macht, natürlich nur gelegentlich, nicht immer, Ihnen wahrscheinlich auch nicht; das kann ich gut verstehen. Auch Herr Mischnick hat eigentlich nach der Alternative gerufen. Ich würde uns alle gern einmal einladen — das ist ein Punkt, den sicher mein Kollege Katzer im Laufe der Debatte deutlicher machen wird —, zu überlegen, warum eigentlich die Bundesregierung z. B. ihren ganzen ideologischen Ballast in Sachen berufliche Bildung über Bord geworfen hat. Da muß es doch eine Alternative zum Thema gegeben haben. Unser Antrag liegt hier vor.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn Sie, meine Damen und Herren, uns — und ich füge hinzu, Herr Bundeskanzler: mit Recht — auch nach der wirtschaftspolitischen Alternative fragen, dann ist das natürlich so lange komisch, wie Sie selber in Ihrer Regierungserklärung kein Wort darüber sagen, wie Sie Ihre ökonomischen Ziele zu erreichen die Absicht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das ist sicherlich so lange merkwürdig, wie durch diese Rede, die Sie gehalten haben, die Inflation natürlich weiter verniedlicht wird. Zumindest erkennt man keinen Stopp und keinen Beginn des nötigen Entwöhnungsprozesses, der doch am Anfang eines Stabilitätskurses stehen müßte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir sehen kein Stück, daß Sie aufhören, zugleich expansive Haushaltspolitik und restriktive Bundesbankpolitik zu machen.
Sie sollten das doch weitgehende Angebot des Kollegen Carstens überdenken. Er hat hier etwas ganz Konkretes für die Opposition gesagt. Aber das heißt: Zuerst eine solide Bestandsaufnahme und eine wirkliche Zwischenbilanz.
Ich sehe Sie hier, Herr Kollege Möller. Wir hatten schon einmal einen sehr führenden Politiker — Sie wissen, wen ich meine —, der nicht gleich verstand, was die Opposition in diesem Hause gesagt hatte. Dann sind Sie zu dem führenden Mann gegangen. Vielleicht machen Sie einen solchen Weg über Nacht, damit man hier wirklich ernsthaft begreift, was der Kollege Carstens gesagt hat. An dieser Opposition scheitert es nicht, wenn hier ein konstruktives, aber solides, auf Fakten gegründetes, ernsthaftes Gespräch über die Wiederherstellung der Stabilität herbeigeführt werden soll, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte noch eine Frage aus dem rechtspolitischen Bereich aufgreifen, weil ich mir dies freilich vorgenommen hatte heute zu tun. Der Herr Bundeskanzler hat mit Recht ein Wort aufgenommen, das wir früher als erste von dieser Stelle aus in die Debatte geworfen haben, das Wort vom inneren Frieden. Ich möchte dieses Wort mit dem Blick auf die Diskussion und die laufende Gesetzgebungsarbeit bei der Reform des § 218 des Strafgesetzbuchs in Erinnerung rufen. Herr Bundeskanzler, Sie können doch nicht die Augen davor verschließen, daß hier Gewissenskonflikte im Volk sind, nicht nur bei Ärzten und Krankenschwestern, sondern inzwischen auch bei Angestellten und Beamten von Krankenkassen. Dies ist nicht etwas, was man reformieren kann wie den § 87 Abs. 4 Satz 3 Buchstabe soundso der Reichsversicherungsordnung. Dies ist eine fundamentale Frage. Ich möchte an Sie appellieren, hier doch einen Weg zu suchen, wie wir alle miteinander bei dieser Sache aus den Konflikten herauskommen. Es ist doch die Regierung gewesen, der Sie angehört haben. Ich kann nicht glauben, daß Sie in einer solch fundamentalen Frage die Sätze überlesen haben, die in Drucksache VI/3434 aus der vorigen Wahlperiode vom 15. Mai 1972, einer Vorlage der dama-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 101. Sitzung, Bonn, Montag, den 20. Mai 1974 6665
Dr. Barzel
Ligen Regierung, zu lesen sind. Da heißt es ich
zitiere drei Sätze —:
Die Fristenlösung würde dazu führen, daß das allgemeine Bewußtsein von der Schutzwürdigkeit des ungeborenen Lebens während der ersten drei Schwangerschaftsmonate schwindet. Sie würde der Ansicht Vorschub leisten, daß der Schwangerschaftsabbruch — jedenfalls im Frühstadium der Schwangerschaft — ebenso dem freien Verfügungsrecht der Schwangeren unterliegt wie die Verhütung der Schwangerschaft. Eine solche Auffassung ist mit der Wertordnung der Verfassung unvereinbar.

(Abg. Dr. Marx: Hört! Hört! kann man da nur sagen!)

Das sind die Worte der letzten Bundesregierung. Darüber kann man doch nicht mit Opportunismus hinweggehen, auch nicht dann, wenn es so sein sollte, daß hier die Kleineren in der Koalition gesagt haben sollen: Entweder besorgt ihr hier eine Mehrheit, oder es platzt hier etwas. Das kann man doch in diesen letzten Gewissensfragen nicht machen. Herr Bundeskanzler, hier ist Platz für eine Initiative eines neuen Kanzlers.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich will es mir jetzt versagen, auf die außenpolitischen Fragen zu sprechen zu kommen, mit zwei Ausnahmen. Der Kollege Wehner hat hier eine Rede gehalten, die an manchen Stellen — nun, ich will sie nicht kritisieren — nicht gleich auf den ersten Blick verständlich war. Man muß sie wahrscheinlich lesen. Vielleicht ist sie eine Änderung. Wir haben hier vor sieben oder acht Wochen durch den Mund des früheren Bundeskanzlers Kiesinger gesagt: Wollen wir nicht wenigstens einmal anfangen, über europapolitische Elemente miteinander zu reden? Das wurde damals kalt abgelehnt. Nun, vielleicht gibt es hier über Europapolitik etwas zu reden, das wollen wir doch sehen! Aber wir würden natürlich auch gern — nicht nur mit den allgemeinen Worten der Regierungserklärung und denen von Herrn Wehner — über das Konkrete in Wien reden: Kommt dort etwa zustande eine Verabredung, an deren Schluß die Sowjetunion ein Mitspracherecht über die Größe der Bundeswehr hätte? Dies wäre doch eine schreckliche Geschichte. Und kommt vielleicht in Genf etwas zustande, was etwas anderes beinhaltet als die Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Meinungen — und wenn dies in Stufen geht — als die Basis für reale Entspannungspolitik? Das gehört hier — neben den Punkten, die der Kollege Carstens hier genannt hat — herein.
Meine Damen und Herren, es war erstaunlich und eigentlich eine Offenbarung, daß sich der Kollege Wehner auf die kritischen Vorhaltungen des Kollegen Carstens zu geistig-politischen Dingen half, indem er Kurt Schumacher zitierte. Nun, nichts dagegen. Aber ich muß hier doch an die Adresse des Herrn Bundeskanzlers noch ein Wort auch aus diesem Zusammenhang sagen.
Meine Damen und Herren, ich habe — dies ist ein ganz persönliches Wort, Herr Bundeskanzler - gesagt — damit waren nicht alle meine Freunde gleich einverstanden —, als Sie gewählt waren: Ein „respektabler Gegner", eine „Herausforderung", auf die wir uns einstellen müssen. Und ich habe nach Ihrer Regierungsbildung und Ihrer Regierungserklärung ebenso öffentlich gesagt, ich sei „enttäuscht". Ich habe einige der Punkte genannte, deretwegen ich enttäuscht bin. Ich will noch einen — und das ist fast der wichtigste — hinzufügen.
Ich verstehe die Lage, in der Sie, Herr Bundeskanzler, die Amtsgeschäfte übernommen haben, sehr gut. Aber wenn Sie dann eine Regierungserklärung abgeben und sich das ganze Programm im Grunde auf einen Teil reduziert, dann möchte ich Ihnen noch sagen: In unserem demokratischen Gemeinwesen muß nicht nur die Kasse stimmen, so wichtig die Kasse ist!
Sie reden vom Machbaren und vom Möglichen, ohne zu sagen, möglich wozu und machbar warum. Sie reden nirgendwo von einer Perspektive, von einer Konzeption, vom Sinngehalt von Einschränkungen und Opfern — zu all dem — warum Verzicht, wofür — kommt kein Wort. Kein kulturrelevantes Wort kommt in Ihrer Regierungserklärung über Ihre Lippen. Und der Stabilitätsbegriff schrumpft auf den rein materiellen Stabilitätsbegriff zusammen. Herr Bundeskanzler, wenn Ihr Vorgänger das nach der anderen Seite übertrieben hat, müssen Sie doch nun nicht in das andere Extrem fallen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Und ich muß Ihnen sagen: Ich hatte eigentlich — und dies ist eben das persönliche Wort — vom ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, der wie ich zur Kriegsgeneration gehört, etwas mehr erwartet: ein Wort zu den geistigen Spannungen dieser Zeit, zu unseren Erfahrungen, zu dem, was wir jungen Menschen hier und in der DDR über den Vorrang von Menschlichkeit vor jeder Politik zu sagen haben. Denn wir haben doch miteinander gelernt, daß einer der Punkte, an denen es mit der ersten Republik nicht so gut ist, die leider berechtigte Mahnung von Max Scheler aus dem Jahre 1925 war, wo er vom „konstitutiven Gegensatz von Macht und Geist" sprach. Herr Bundeskanzler, ich glaube, hier müssen Sie noch etwas nachholen.
Ich komme darauf, weil ich schon von Ihrem Zitat in der „Zeit" sprach. „Die Zeit" zitiert Sie, Sie haben dort nicht mitgearbeitet. Aber Sie haben dort von „Gift" gesprochen, wenn man Unsicherheit und Zweifel säe, Sie haben nach der „Zeit" vom 17. Mai in dieser Studie, die dort abgedruckt wird, folgendes gesagt — ich zitiere —:
Die Ölkrise war Beginn des ersten Aktes. ... Der zweite Akt könnte von weitgehendem Rückfall in handelspolitischen Bilateralismus ..., in Autarkieversuche, von Stagnation ... gekennzeichnet sein. Bei einem solchen Verlauf würden in einem dritten Akt die parlamentarischen Strukturen in der Industriegesellschaft zerbrechen.
Mit Verlaub, dieser letzte Satz stört mich. Ich glaube
— und ich meine, Sie auch, Herr Bundeskanzler —



Dr. Barzel
an die Überlegenheit dieses Systems in jedweder Not, in jedweder materiellen Bedrängnis. Ich glaube daran, daß hier nur kämpferische Demokraten, die davon überzeugt sind, solche Situationen meistern können und nicht Zweifel an der Überlegenheit dieser Ordnung, die der Kanzler selbst auch noch äußert, meine Damen und meine Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Im französischen Wahlkampf, dessen Zeugen wir waren, spielte, wie man uns sagt, das Argument eine ausschlaggebende Rolle, ein politischer Führer dürfe nicht nur verwalten, er müsse auch Anregungen geben und Anlehnung ermöglichen; er müsse auch „inspirateur" und „orienteur" sein. Mit Ihrem Einstand, Herr Bundeskanzler, so wie er bisher vorliegt, haben Sie, so fürchte ich, die Führung abgegeben. Und auf diese Weise werden Sie die politische Führung verlieren, denn die behält nur, wer die geistige Führung behält.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0710102200
Das Wort hat der Abgeordnete Friedrich.

Bruno Friedrich (SPD):
Rede ID: ID0710102300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß gestehen, daß ich mit einer neugierigen Erwartung in diese Debatte gegangen bin, denn ein Regierungswechsel inmitten einer Periode gibt selbstverständlich einer Opposition eine gewisse Chance. Die Frage war also, wie die Union diese Chance nützen würde. Soweit war es auch ganz konsequent, daß Herr Strauß in den ersten Stunden des Rücktritts des Kanzlers sofortige Neuwahlen gefordert hat. Ich erinnere mich daran, wie er vor einigen Wochen sagte: „Ich werde ein neues Kabinett innerhalb von acht Stunden bilden." Heute sind 14 Tage vorbei, und wir wissen immer noch nicht, wie das Kabinett der Union und wie ihr Kanzler aussehen würden.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

— Ja, Sie sind jetzt über ein Jahr in der Opposition, aber Sie sind nicht fähig, sich zu einigen, weil Sie sich nicht einig sind, wen man als nächsten ins Feuer schicken kann, damit man ihn stürzen kann. Dies ist doch die Frage.

(Abg. Gerster [Mainz] : Keine Sorge! — Abg. Graf Stauffenberg: Ihr wißt doch selbst nicht, ob jetzt der Brandt oder der Schmidt oder der Wehner in diesem neuen Triumvirat regiert!)

Sie haben weder eine Antwort gegeben, wer in diesem Land die Union als Regierungschef repräsentieren soll, noch haben Sie eine politische Alternative gegeben. So wie sich die Opposition heute hier repräsentiert hat: so wie Herr Barzel keine Alternative zu Brandt/Scheel war, so waren heute Carstens und Barzel keine Alternative zu Schmidt und zu Genscher.

(Beifall bei der SPD.)

Ich habe mich gefragt, was eigentlich damit signalisiert werden soll, daß heute Herr Barzel ins Gefecht
geschickt wird. Er vermißt die geistige Auseinandersetzung, wobei ich allerdings nichts davon vernommen habe — insoweit ist Ihnen Herr Biedenkopf da in der Artikulierung dessen einiges voraus, Herr Barzel —, was die Union unter Konservatismus versteht. Bei Ihnen hört man immer nur noch „Rettet die Freiheit", während inzwischen nicht nur die Freiheit gesichert, sondern ein größeres Stück Sozialstaatlichkeit in diesem Staate erreicht worden ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Eines muß ich für die Sozialdemokratische Partei mit aller Entschiedenheit zurückweisen. In diesem Lande dürfen demokratische Marxisten — wegen der Geschichte Deutschlands in den letzten hundert Jahren — nicht diffamiert werden. Denn es waren demokratische Marxisten, die diesem Land 1918 als Sozialdemokraten die erste Demokratie gegeben haben. Es waren demokratische Marxisten, die in diesem Land 1933 diese erste Demokratie als einzige verteidigt haben, als Sie sie aufgegeben hatten.

(Beifall bei der SPD.)

Auch ein Kurt Schumacher wird von Ihnen diffamiert, wenn Sie das Wort Marxismus in dem Jargon chilenischer Juntagenerale aussprechen. Das muß ich hinzufügen.

(Beifall bei der SPD.)

Es wäre nicht gut um dieses Land bestellt, wenn wir nicht zur Kenntnis nähmen, daß es in der ganzen westlichen Welt Parteien gibt, die sich als demokratische Sozialisten auch zum Marxismus bekennen. Und ich füge hinzu: Die deutsche Sozialdemokratie hat ihren eigenen Weg gewählt. Sie werden uns im 15. Jahr der Gültigkeit des Godesberger Programms nicht davon abbringen können, daß in der sozialdemokratischen Partei alle mitwirken können, ob sie nun von der katholischen Soziallehre, ob sie von der evangelischen Sozialethik her oder ob sie als kritische Rationalisten oder ob sie als demokratische Marxisten ihr politisches Handeln begründen. Das ist Grundsatz.

(Beifall bei der SPD.)

Es ist gut für dieses Land, daß die Zerrissenheit in Weltanschauungskämpfen durch das Godesberger Programm beendet worden ist.

(Abg. Franke [Osnabrück] : Da ist sie erst begründet worden!)

Ich habe, als Herr Barzel zu reden begann, mir einen Zeitungsausschnitt holen lassen, weil Herr Barzel ja eine Alternative sichtbar machen sollte. Hier geht es doch vor allem um die Frage: Wie würde eine Union in diesem Lande die Außenpolitik und die Deutschlandpolitik bestimmen? Wenn ich zitieren darf vom 14. Mai 1973 - auf ein Jahr und eine Woche genau zurück —, wo es heißt:
Barzel macht sich Sorgen, daß die CDU/CSU „rechthaberisch nur immer nein sagt".
Sie haben recht, Herr Kollege Barzel.
Nach seinen jüngsten Besuchen im Ausland
sehe er die Gefahr einer außenpolitischen Isolierung der Partei. Er fürchtet, daß die CDU/



Friedrich
CSU auf den Oppositionsbänken kleben bleibe, wenn sie sich nicht als Alternative für die FDP empfiehlt.
Hier kann ich nur ganz schlicht anfügen: Die Schnelligkeit der Regierungsbildung hat gezeigt, daß Sie in Ihrem Zustand keine Alternative sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien.) Weiter heißt es:

Gefragt, was die wichtigste Aufgabe der Opposition sei, meint er: „Das ist die gesellschaftspolitische Aussage für die Zukunft. Es interessiert keinen mehr zu hören,
— „es interessiert keinen mehr zu hören" ; — Rainer Barzel —„daß die soziale Marktwirtschaft das Beste war. Die Leute wollen wissen, was sie für die Zukunft bedeutet, wie es mit der Vermögensbildung, der Mitbestimmung und dem Bodenrecht werden soll."

(Abg. Dr. Barzel: Sehr gut!)

— Sie haben ja bald Gelegenheit, bei der Mitbestimmung und beim Bodenrecht mit uns die Hände zu heben. Dann können Sie beweisen, wie reformfähig Sie sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich darf auch noch, Herr Präsident — ich will nicht zu lange zitieren, aber mein Herr Vorredner hat es auch getan —, den Artikel aus der Zeitung, die „immer im Bilde ist" zitieren; er begann: „Die Krise schlaucht ihren Mann, Rainer Barzel. Seit der 48jährige den Vorsitz der CDU/CSU-Bundestagsfraktion niederlegte, hat er einige Pfunde verloren. Sein Gesicht ist kantiger geworden. Die Hose neigt zum Rutschen." Ich nehme an, daß die Hose inzwischen paßt, Herr Barzel, ich weiß nicht, ob Sie heute der neue oder der alte sind. Ich würde sagen, Sie sind der alte, es ist sogar d'as alte 01.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dir. Marx: Du lieber Gott! — Abg. Gerster [Mainz] : Ist das Ihr Niveau?)

Wenn ich einmal prüfe, warum Sie vor einem Jahr abgetreten sind, Herr Kollege Barzel, dann sind Sie als Fraktionsvorsitzender gescheitert; und es gab von Ihrer Seite heute keinen einzigen neuen politischen Ansatz. Als Sie versuchten, aus den alten Geleisen der Union in der Außen- und Deutschlandpolitik auszubrechen, mußten Sie als Fraktionsvorsitzender gehen.

(Beifall bei der SPD.)

Insoweit ist Ihre heutige Rede eine Selbsttäuschung des früheren CDU- und Fraktionsvorsitzenden Dr. Rainer Barzel.

(Abg. Haase [Kassel] : Herr Friedrich, erzählen Sie mal die Geschichte von Willy Brandt!)

— Das haben Sie wiederholt getan.

(Abg. Haase [Kassel] : Wo ist der eigentlich?)

— Mein Gott, Sie sind ja furchtbar erregt! Herr Abgeordneter Karnickel, ich höre Ihnen ja gerne zu, wenn Sie so viele Zwischenrufe bringen.
Ich möchte einen Versuch zitieren,

(Abg. Dr. Jenninger: Wie viele Zeitungen leisen Sie noch vor?)

den der frühere Fraktionsvorsitzende der Union, Barzel, unternommen hat, und von dem ich wissen möchte, was heute hier gesagt würde, hätte Egon Bahr diesen Versuch unternommen. Ich zitiere aus dem Europa-Archiv:
Von der Öffentlichkeit stark beachtet wurde eine Rede, die der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Rainer Barzel, in Washington hielt. Er befaßte sich besonders eingehend mit der Frage, wie das Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion

(Dr. Barzel [CDU/CSU] : Sehr wahr!)

bei einer Wiedervereinigung betrieben werden könnte, und kam zu dem Schluß,

(Zuruf des Abg. Dr. Marx)

— Sie können es nicht hören, Herr Marx, ich verstehe, daß Sie das nicht hören können —daß auf dem Boden eines wiedervereinigten Deutschland im Rahmen eines europäischen Sicherheitssystems Platz auch für die Truppen der Sowjetunion bleiben könne.

(Abg. Dr. Barzel: Haben Sie was dagegen?) Dr. Rainer Barzel 1966 in Washington!


(Hört! Hört! bei der SPD. — Beifall des Abg. Dr. Barzel. — Abg. Dr. Barzel: Sehr gute Rede!)

Ich hoffe, Sie geben auch dem Kollegen Egon Bahr das Recht, in Fragen der Deutschlandpolitik Überlegungen anzustellen. Wir haben Sie wegen dieser Rede hier nicht diffamiert.

(Abg. Dr. Barzel: Das ist nicht wahr!)

Ich stelle nur fest, daß Sie dieser Fairneß nicht fähig sind.

(Abg. Dr. Marx: Herr Friedrich hat früher ein Plakat getragen, auf dem stand: Willy Brandt muß Kanzler bleiben!)

In Wirklichkeit hat die Union heute hier eine große Chance vertan. Sie können sich mit dieser Polemik gegen Egon Bahr, gegen Herbert Wehner nicht auf die Dauer darüber hinwegtäuschen, daß die Bundesrepublik Deutschland in Europa nicht in einem ungeregelten Verhältnis mit ihren Nachbarn leben kann. Sie können sich außerdem nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht eine Außenpolitik betreiben kann, die im Gegensatz zur Ostpolitik ihrer Verbündeten steht.

(Abg. Dr. Kiesinger: Es kommt darauf an, wie diese Regelung aussieht!)

Das ist eigentlich die Kernfrage der Auseinandersetzung.

(Beifall des Abg. Wehner.)




Friedrich
Hier hat die Union — dies hätte ich eigentlich vom Fraktionsvorsitzenden Carstens erwartet — die Chance eines 30. Juni 1960 vertan. Welche Chance wäre dies gewesen, wenn Herr Carstens hierher getreten wäre und gesagt hätte: „Die Union hatte eine andere Position. Aber aus Verantwortung für das Interesse des Ganzen, aus Verantwortung für die Bundesrepublik Deutschland müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß die Regierung vor uns im Einverständnis mit unseren Verbündeten über eine Neuordnung unserer Außen- und Deutschlandpolitik entschieden hat, und wir als Union sind, weil dieses Land eine gemeinsame Vertretung unserer Interessen braucht, bereit, künftig gemeinsam mit der Regierung die Außen- und Deutschlandpolitik zu tragen." Dies wäre für Sie eine große Stunde gewesen. Sie aber haben diese mögliche Stunde schmählich vertan.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0710102400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Althammer?

Bruno Friedrich (SPD):
Rede ID: ID0710102500
Ja, bitte schön.

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0710102600
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß ein Bundeskanzler der SPD zurückgetreten ist?

(Heiterkeit bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Marx: „Kanzler des Vertrauens" !)


Bruno Friedrich (SPD):
Rede ID: ID0710102700
Ja. Ich kann Ihnen die Antwort mit Herrn Althammer geben, wenn ich zitieren darf. Sie waren nämlich gerade dran, Herr Althammer.

(Zuruf des Abg. Dr. Barzel.) Sie schrieben:

Es ist geradezu grotesk, wenn jemand auf das Ende der Weimarer Republik hinweist, der selbst damals an führender Stelle als Kommunist an der Zerstörung der Demokratie zusammen mit den Nazis gearbeitet hat.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Eine solche Brunnenvergiftung kann nur ein Mann begehen, der auch heute wieder in seiner gegenwärtigen Position zielbewußt an der Zerstörung der Demokratie arbeitet.
So der Abgeordnete Althammer in der „Augsburger Allgemeinen Zeitung". Gemeint ist der Fraktionsvorsitzende der SPD.

(Pfui-Rufe von der SPD. — Beifall des Abg. Sauer [Salzgitter].)

Sie sollten sich schämen, Herr Althammer; Sie sollten sich vor allem der Geburtstagsreden schämen, die die Union auf den Fraktionsvorsitzenden der SPD an seinem 65. Geburtstag gehalten hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0710102800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke (Osnabrück)?

Bruno Friedrich (SPD):
Rede ID: ID0710102900
Nein, danke schön, weil ich noch ein ähnliches Zitat habe, nämlich das des bayerischen Staatsministers Heubl.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Das ist doch Ihre deutschlandpolitische Konzeption, nicht das, was diesem Lande dient, sondern wie man die Regierungsparteien und ihre Politiker verleumdet und diffamiert. Das ist Ihre Konzeption, und die muß hier öffentlich ausgehängt werden,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

nämlich: daß es ein geplantes Zusammenwirken zwischen Ost-Berlin und Herbert Wehner gewesen sei, daß Willy Brandt gestürzt wurde.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0710103000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke (Osnabrück)?

Bruno Friedrich (SPD):
Rede ID: ID0710103100
Nein, ich gestatte sie nicht.

(Abg. Dr. Marx: Zitieren Sie doch alles, wenn Sie so fleißig sind, auch das, was Strauß dazu gesagt hat!)

— Aber, Herr Marx, seit wann lesen Sie denn Herrn Strauß?

(Abg. Dr. Marx: Ich habe ihn gehört!)

— Sie lesen doch sonst nur Kommunisten, Herr Marx!

(Abg. Dr. Marx: Die Einfachheit Ihres Denkens ist kaum mehr zu übertreffen! — Abg. Haase [Kassel] : Das ist der Chefideologe der Partei! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0710103200
Meine Damen und Herren, darf ich bitten, daß wir uns im ganzen Hause darum bemühen, die Aussprache auf allen Seiten des Hauses in einem Ton fortzuführen, welcher der Debatte über die Regierungserklärung gemäß ist. Ich darf darum bitten, daß das für alle gilt.
Bitte, Herr Abgeordneter, fahren Sie fort.

(Abg. Franke [Osnabrück] : Das ist die Geheimwaffe der SPD! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)


Bruno Friedrich (SPD):
Rede ID: ID0710103300
Ich möchte etwas zu der Art sagen, wie Sie hier über den Agenten Guillaume gesprochen haben.

(Abg. Franke [Osnabrück] : Bitte!)

Sie haben in einer Art davon gesprochen, als ob
er das Produkt einer bestimmten Parteibuchlogik sei.

(Abg. Windelen: Etwa nicht?)

— Lassen Sie mich doch ausreden; ich werde sehr ausführlich dazu Stellung nehmen.
Ich habe diesen Guillaume gekannt. Ich habe auch den Mann gekannt, der ihn empfohlen hat; das war Gerhard Weck. Wer war dieser Gerhard Weck? Er kam aus der Sozialistischen Arbeiterjugend und wurde dann unter Hitler zuerst ins Zuchthaus und dann ins KZ Buchenwald gesteckt. Dann hat er 1948



Friedrich
in Sachsen wieder die SPD mitgegründet. Weil er Sozialdemokrat bleiben wollte, landete er 1948 im Zuchthaus, hatte als Saalältesten seinen ehemaligen SS-Offizier aus Buchenwald und als Volkspolizeioffizer einen Kommunisten, dem er im KZ Buchenwald das Leben gerettet hatte.
Dieser Gerhard Weck saß acht Jahre in der DDR, acht Jahre! Dieser Gerhard Weck war mit zwei, drei anderen Sozialdemokraten, die ich Ihnen hier nennen könnte, so etwas wie das Sinnbild von Sozialdemokratie, von Sozialdemokraten, die eigenes Leben und eigene Freiheit nicht achte, wenn es um menschliche Würde geht. Aus diesem deutschen Schicksal, weil Guillaume fähig war, diesen Gerhard Weck zu täuschen — eine der letzten Handlungen Guillaumes war, an das Grab dieses Mannes zu fahren —, wollen Sie heute einen Vorwurf herleiten. Die Sozialdemokratie hat der Union nie Vorwürfe gemacht, wenn in ihren Büros Spione entlarvt worden sind. Auch dies muß hier einmal festgestellt werden.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Gerster [Mainz] : Das ist simpel, was Sie sagen!)

Sie haben sich mit Ihren ersten beiden Rednern bisher doch überhaupt nicht mit dem befaßt, was künftig die Bundesrepublik Deutschland gestalten soll.

(Abg. Gerster [Mainz] : Was tun Sie denn?)

Es kann aber nicht unwidersprochen bleiben, was Sie hier an Diffamierungen vor der deutschen Öffentlichkeit in die Welt setzen. Dies mußte hier einmal gesagt werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0710103400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haase (Kassel)?

Lothar Haase (CDU):
Rede ID: ID0710103500
Herr Kollege Friedrich, registrieren Sie denn gar nicht, daß wir die Empfehlung Ihres Parteifreundes aus der sowjetisch besetzten Zone gar nicht kritisieren, sondern daß Gegenstand unserer Kritik ist, daß Herr Guillaume im Kanzleramt eingestellt und beschäftigt wurde trotz schwerwiegender Hinweise der Sicherheitsdienste? Das ist Gegenstand unserer Kritik. Registrieren Sie das doch bitte!

Bruno Friedrich (SPD):
Rede ID: ID0710103600
Nein, das kann ich Ihnen so nicht abnehmen.
Aber ich muß Ihnen sagen: Wir unterschätzen die Kommunisten nicht. Ich erinnere mich hier an Trotzki, der sich sehr dick eingemauert hatte. Und was Honecker hier in der Bundesrepublik getan hat, war für mich so etwas wie ein stalinistischer Reflex, den wir als Sozialdemokraten der SED nicht vergessen werden. Auch dies muß hier festgestellt werden.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0710103700
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sauer (Salzgitter)?

Helmut Sauer (CDU):
Rede ID: ID0710103800
Herr Kollege, können Sie mir eine Erklärung dafür geben, warum dieser Vorgang Weck, den Sie soeben geschildert haben, im „Gelben Elend von Bautzen" von Herrn Kreutzer im „Vorwärts" dargelegt werden sollte, dort aber nicht abgedruckt wurde als Empfehlung an Herrn Roth, sondern anschließend in der „Welt" gebracht worden ist?

Bruno Friedrich (SPD):
Rede ID: ID0710103900
Ich weiß nicht, was da in der Redaktion gelaufen ist. Nur etwas kann ich Ihnen sagen. Sowohl Herr Kreutzer als auch Herr Weck waren sehr oft meine persönlichen Gäste. Ich gehe davon aus — auch wenn ein Redakteur, der noch nicht lange in der SPD ist, dies nicht erkennt —, daß die Sozialdemokratische Partei das Opfer eines Gerhard Weck respektiert.

(Abg. Sauer [Salzgitter] : Die Frage ist nicht beantwortet!)

Sie haben hier in der Debatte bis jetzt nicht sagen können, was die außen- und deutschlandpolitische Konzeption der Union ist. Wir gehen davon aus, daß die Außenpolitik der Regierung Brandt/Scheel sich als Grundlage der internationalen Beziehungen durchgesetzt hat. Diese Politik war richtig, und sie hat sich bewährt. Deshalb begrüßen wir die eindeutigen Erklärungen des Bundeskanzlers Schmidt, diese Politik fortzusetzen. Denn allein diese Politik garantiert die Übereinstimmung der Interessen der Bundesrepublik mit denen unserer Verbündeten.
Die Union hat hier keine realistische Alternative geboten. Deshalb wird in den restlichen Jahren dieser Legislaturperiode das Bündnis Schmidt—Genscher, das Bündnis FDP—SPD genauso fest sein wie das Bündnis Brandt—Scheel.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Anders, als die Union gestürzte Vorsitzende behandelt, wird die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ihren Vorsitzenden, Willy Brandt, behandeln.

(Beifall bei der SPD. — Lachen bei der CDU/ CSU. — Abg. Haase [Kassel] : Eine Beerdigung dritter Klasse Nichtraucher! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Willy Brandt — dies werden Sie noch spüren — wird in der deutschen und internationalen Politik auch künftig Gewicht haben. Dieser Staat braucht so, wie Sie sich heute hier von diesem Platze aus als Opposition dargestellt haben, die sozialliberale Koalition. Denn Sie haben den Menschen in diesem Lande nicht sagen können, mit welchen politischen Vorstellungen Sie regieren würden, hätten Sie die Chance gehabt, eine Regierung zu bilden.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Haase [Kassel] : Ich dachte, jetzt geht es los, da sind Sie schon fertig!)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0710104000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Graf Lambsdorff.

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0710104100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr



Dr. Graf Lambsdorff
Kollege Barzel, ich möchte die Vergangenheitsbewältigung, so interessant insbesondere Ihr Ausblick auf die beiden Matadoren der Fraktionen der Großen Koalition für jemanden ist, der zu dieser Zeit noch nicht hier im Hause an den Debatten teilgenommen hat, nicht fortsetzen. Wir müßten sonst als Reaktion auf Ihre Antwort den verehrten Professor Ludwig Erhard um seine Darstellung bitten. Aber ich meine, wir sollten das nicht tun, wir sollten es bei der Autogrammbitte belassen.

(Beifall bei der FDP.)

Herr Kollege Barzel, ich darf hier zwei Korrekturen anbringen, um richtigzustellen: Der Bundeskanzler hat nicht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, sondern die Initiative des Freistaates Bayern als schädlich bezeichnet — dies ist, glaube ich, ein wesentlicher Unterschied —,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

und zum zweiten: er hat in der von Ihnen zitierten Denkschrift nicht den Zusammenbruch der parlamentarischen Institutionen in diesem Lande befürchtet, sondern er hat als Beispiel ausdrücklich Italien erwähnt. Auch dies, scheint mir, ist ein wesentlicher Unterschied. Wir können nachher die Denkschrift miteinander vergleichen. Ich habe das Original in meiner Aktentasche.

(Abg. Dr. Barzel: Ich auch!)

Nun ein weiteres: Ich darf Ihnen, Her Kollege Barzel, für den Beitrag, den Sie heute geboten haben, mein Kompliment machen. Ich glaube, dies war aus den Reihen der Opposition der Beitrag, der am ehesten zum Nachdenken angeregt hat. Wenn Sie mir erlauben, es in der Sprache der Wettbewerbspolitik, mit der ich mich ja gelegentlich beschäftige, zu sagen: Es scheint mir, daß in einem System, das auf Wettbewerb ausgerichtet ist, Marktbeherrschung eben kein Dauerzustand ist.

(Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

Wer Marktanteile verloren hat, kann sie wiedergewinnen, selbst wenn für sein Gesamtprodukt nur ein schrumpfender Markt vorhanden ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Heiterkeit.)

Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat mit vollem Recht gesagt, daß wir nicht nur in der Vergangenheit herumkramen sollten, sondern uns die Mühe machen sollten, an Hand der Regierungserklärung auf das einzugehen, was vor uns liegt und was an Aufgaben vor uns steht, die wir zu bewältigen haben.
Ich darf für meine Fraktion sagen, daß wir dem wirtschaftspolitischen Teil der Regierungserklärung uneingeschränkt zustimmen. Vor allem gilt das für das Bekenntnis zur Marktwirtschaft, das Bekenntnis zum Wettbewerb, die Absage an jedwede Form von Protektionismus.
Ich mache hier halt in einer Aufzählung, die ich noch fortsetzen möchte, weil wir gerade im Hinblick auf protektionistische Regungen und Abwehrmaßnahmen anderer Länder — leider auch Länder im
Gemeinsamen Markt — befürchten müssen, daß sich eine solche Entwicklung fortsetzt, und weil wir dringlich die Warnung aussprechen möchten, daß die Bundesrepublik nicht etwa in den Fehler verfallen möge, mit gleichen Maßnahmen auf derartige Fehlentwicklungen zu antworten. Wir sind angesichts unseres hohen Exportanteils diejenigen, die sich das am allerwenigsten leisten können. Wenn ich mir die Struktur unserer Zahlungs- und Handelsbilanz, die Entwicklung unseres Exportüberschusses, in den letzten Monaten ansehe, so muß die Frage gestellt werden, auch wenn sie dem einen oder anderen höchst lästig ist, ob wir die Importrestriktionen, die Kontingente, die Selbstbeschränkungsmaßnahmen, die wir in verschiedenen Branchen in der Bundesrepublik noch haben, wirklich ungeprüft aufrechterhalten können.
Wir begrüßen die Zusage zur konstruktiven Mitarbeit in der Europäischen Gemeinschaft. Wir müssen die Zollunion funktionsfähig erhalten; denn wenn auch die noch leiden sollte, dann wäre für Europa nicht mehr viel Hoffnung. Wir begrüßen die Zusage für die Mitarbeit im GATT, im internationalen Währungssystem und auch in der europäischen Restschlange.
Ich will nicht unnütz wiederholen, was in der Regierungserklärung gesagt worden ist und was unsere Zustimmung findet. Aber ich will doch noch einmal sagen, daß wir bei der Bekundung stabilitätspolitischer Entschlossenheit auf der Seite des Bundeskanzlers stehen. Die zwangsläufige Abmagerungskur, die gegenüber der Regierungserklärung vom vorigen Jahr deutlich geworden ist, ist in manchen Bereichen schmerzlich; sie ist aber richtig, und sie ist verantwortungsbewußt. Denn eines kann nicht oft genug wiederholt werden: Zügellose und ungehemmte Inflation zerstört die soziale Marktwirtschaft, sie zerstört damit nach Auffassung sicherlich nicht nur der Liberalen in diesem Hause unsere Gesellschaftsordnung und mit ihr die Grundlage unseres freiheitlichen Zusammenlebens in diesem Lande.
Mit der Bundesregierung vertrauen die Liberalen auf die Kraft des Wettbewerbs, auf seine ordnende Funktion. Deshalb bekräftige ich, was ich an dieser Stelle schon zur Regierungserklärung der zweiten Bundesregierung Brandt/Scheel gesagt habe: Der Staat hat die Rahmenbedingungen des Wettbewerbsrechts zu setzen.
Mit der Kartellnovelle hat die vorige Regierung der marktwirtschaftlichen Entwicklung nach langer und fruchtloser Diskussion einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Die Bundesrepublik Deutschland hat heute dank der Regierung Brandt/Scheel das modernste Wettbewerbsrecht aller Industriestaaten. Dieses Gesetz, meine Damen und Herren, ist ein scharfes Instrument, und es soll auch so gebraucht werden. Es soll aber nicht durch falsche Anwendung stumpf gemacht werden, und wir würden es bedauern, wenn die Autorität des Kartellamtes durch Äußerungen und Bestrebungen, die hin und wieder sichtbar werden, leiden könnte. Das Kartellamt muß mit voller Autorität das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen anwenden können und muß



Dr. Graf Lambsdorff
diesen Gesichtspunkt immer ernsthaft im Auge behalten.
Der Mißbrauch von Marktmacht und Preisabsprachen ist ein ernsthaftes Vergehen gegen die freiheitliche Wirtschaftsordnung. Dies sei jedem immer wieder ins Gedächtnis gerufen, gleichgültig, ob er Dortmunder Bierbrauer ist oder ob er aus anderen Branchen stammt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP.)

Solche Maßnahmen schaden dem Verbraucher, und
diesem Verbraucher — das ist der Sinn der Marktwirtschaft — soll unsere Wirtschaftsordnung dienen.
Wir wissen, daß wir gerade im Wettbewerbsrecht in den letzten Monaten in zwei Gebieten Probleme auf den Tisch bekommen haben, mit denen sich auseinanderzusetzen lohnt. Es sind Fragen, die wir zu lösen haben.
Das Verhalten der internationalen, der multinationalen Gesellschaften und besonders der Mineralölgesellschaften hat in unserem Lande zu Beanstandungen, zu Mißtrauen und zu Beunruhigung geführt. Hier und jetzt will ich keine Wertung vornehmen, denn dies ist Sache der Gerichte, des Kammergerichts und des Bundesgerichtshofes.
Eines ist aber jetzt schon klar: Die Wirkungsmöglichkeiten unseres Kartellrechts enden an den Landesgrenzen, und es ist sehr fraglich, ob wir Wirkung über die Landesgrenzen hinaus auf diejenigen ausüben können, die hier ihre Geschäfte betreiben. Deswegen müssen wir, wenn solche Möglichkeit nicht gegeben ist, uns darum kümmern, und deshalb geht unsere Bitte an die Bundesregierung, sich um eine internationale Rechtsetzung auf dem Wettbewerbsgebiet nachhaltig zu bekümmern. Dies ist erforderlich.

(Abg. Dr. Barzel: Das ist richtig!)

Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion hält es trotz der schwierigen und oft kritisierten Entwicklung auf dem Gebiete der Mineralölversorgung für richtig, daß der Bundeswirtschaftsminister den Gesprächsfaden zu diesen Gesellschaften nie hat abreißen lassen. Das Ergebnis ist — und dies ist sicher nicht seine Verantwortung — nach wie vor unbefriedigend. Es handelt sich um mangelnde Transparenz. Es bestehen ungute Gefühle bei allen Beteiligten, inzwischen wohl endlich auch bei den Ölgesellschaften selbst.
Ein zweiter Punkt. Es sind Tendenzen erkennbar, daß auch § 22 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, den wir neu formuliert haben, über die Absicht des Gesetzgebers hinaus — das war verschärfte Mißbrauchsaufsicht — zu einem Instrument der Preiskontrolle und der Preisprüfung gemacht werden könnte oder gemacht werden sollte.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Sehr richtig!)

Nach unserer Überzeugung darf dies auch nicht auf dem Umweg über das Kartellgesetz geschehen, auch nicht über eine Anmeldepflicht oder über ein Preisprüfungsverfahren.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Preiskontrolle bedeutet in einem solchen Falle — und die Beispiele der letzten Zeit haben dies noch einmal deutlich sichtbar werden lassen — Kostenkontrolle, und Kostenkontrolle führt zur Produktion von Kosten,

(Sehr richtig! bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

d. h. zu unnützen Kosten. Auch im Anmeldeverfahren ist das kostenungünstigste Unternehmen immer der Vorreiter, und alle anderen bekommen staatlich sanktionierte Differentialrenditen zu Lasten des Verbrauchers. Dies kann nicht in der Absicht des Wettbewerbsrechts liegen. Das Endergebnis eines solchen Verfahrens ist nämlich das Gütesiegel z. B. an den Zapfstellen an der Autobahn: „Preis vom Bundeskartellamt genehmigt". Dies wollen wir nicht! Damit wird die Reagibilität auf den Markt eingeschränkt, rückläufige Preisbewegungen werden erschwert, und der Verbraucher hat das Nachsehen. Deshalb plädieren wir dafür, am Vergleichsmarktkonzept festzuhalten und den Einblick in die Kostenkalkulation so, wie es das Gesetz vorsieht, allenfalls dann zu fordern und möglich zu machen, wenn es keine Vergleichsmärkte gibt.
Meine Damen und Herren, ein letztes Wort in diesem Zusammenhang zur Lage eines speziellen Industriezweiges, der unsere besondere Aufmerksamkeit erfordert. Ich meine die Automobilindustrie. Hier sind immerhin 6 Millionen Arbeitsplätze nicht unmittelbar, aber die mittelbar Beschäftigten hinzugerechnet, angesprochen. Die Lage der Automobilindustrie — das wissen wir alle — ist zur Zeit nicht befriedigend. Auch die Frühjahrsbestellung war nicht so, daß man mit dem üblichen Polster in das Sommergeschäft gehen kann. Wir wissen, daß konjunkturpolitische Erleichterungen in dieser Richtung gezielt kaum oder nicht möglich sind. Aber uns scheint, daß auf den Autokäufer in den letzten Jahren ein wenig zuviel eingehagelt ist. Deswegen die Bitte an die Bundesregierung, dem potentiellen Autokäufer zu sagen:

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Weniger Ideologie bei der Koalition!)

Keine weiteren administrativen Erschwernisse, die einem die Freude am Autofahren verleiden!

(Sehr gut! bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Müller-Hermann: Sagen Sie das Ihrem Koalitionspartner!)

Meine Damen und Herrren! Es ist nicht notwendig, daß wir den Autofahrer und das Automobil überhaupt zum Hätschelkind der Bundesregierung oder der Nation machen, aber es muß auch nicht unbedingt das Stiefkind der Nation sein.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dies sage ich nicht mit Rücksicht auf die Automobilwerke — die würden sich schon zu helfen wissen —, sondern im wesentlichen mit Rücksicht auf die große Anzahl von Beschäftigten, die in diesen Bereichen tätig sind.



Dr. Graf Lambsdorff
Ein letztes abschließendes Wort zu dem, was in der Regierungserklärung gesagt worden ist! Der Bundeskanzler hat gesagt: Bis 1976 ist vieles zu tun. Ich kann dem Bundeskanzler versichern, daß meine Fraktion auf seiner Seite stehen wird, wenn er mit genau demselben Zugriff an die Lösung der Aufgaben und Probleme herangeht, der sich in den letzten Tagen gezeigt hat.
Von der Opposition ist nach der heutigen Debatte nicht viel Rat und Trost zu erwarten. Ich will nicht behaupten, daß sie rat- und trostlos sei. Aber immerhin: Wir sehen nicht viel Ansporn aus Ihren Reihen. Meine Fraktion ist bereit, mit dieser Aussage, unter diesem Schlußwort „Es ist noch viel zu tun" mit der Regierung Schmidt/Genscher gemeinsam ans Werk zu gehen.
Lassen Sie mich auf das eingehen, was wir in den letzten Monaten und auch heute wieder — das kann von Ihnen nicht anders erwartet werden, Herr Professor Carstens und Herr Dr. Barzel — zur Frage der Wirtschaftspolitik und der Stabilitätspolitik gehört haben. Seit der Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht haben Sie, Herr Professor Carstens, die Zahl der wirtschaftspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion vergrößert. Erlauben Sie mir zu sagen: Ich bin nicht der Ansicht, daß Sie sie bereichert haben! Sie haben bald mehr wirtschaftspolitische Sprecher als Kanzlerkandidaten oder umgekehrt.

(Beifall bei der FDP.)

Nun haben Sie dankenswerterweise, Herr Carstens, am 22. April dieses Jahres eine Zusammenstellung Ihrer Argumente nachgeliefert. Es lohnt sich schon, dem nachzugehen, denn das ist im Grunde genommen der Duktus und die Argumentation, die Sie seit Juni 1973 benutzen. Ich habe das gerade in den Protokollen nachgelesen. Das ist ein mühsames Verfahren, denn die Argumente wiederholen sich zum großen Teil sogar wörtlich. Ich will Ihnen das nicht vorwerfen, aber vielleicht kann der eine oder andere Ihrer Mitarbeiter einmal eine neue Formulierung finden. Das liest sich dann im Nachhinein sicherlich besser!

(Beifall bei der FDP. — Abg. Reddemann: Sie sind ein Hilfsschulmeister neuer Art!)

Es mag propagandistisch wirkungsvoll sein, aber ob es der Sache dient, wenn man sich mit einer so differenzierten Frage wie der Konjunkturpolitik mit dem schnellen Wechsel, mit der Notwendigkeit, die Argumente immer wieder zu überprüfen, so beschäftigt, weiß ich nicht. Ich habe, Herr Professor Carstens, bei Ihnen von diesen Dingen viel zuwenig gefunden.
Sie beginnen mit dem Argument — darüber haben wir uns in diesem Hause mit Herrn Ministerpräsident Stoltenberg auseinandergesetzt —, daß die Inflation zu spät bekämpft worden sei.

(Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] : Stimmt auch!)

Lesen Sie doch bitte den Jahresbericht 1973 der Bundesbank! Herr Barzel, diesen Vorwurf muß ich Ihnen
machen! Wir können nicht einfach die Bundesbankberichte immer in dem Abschnitt zitieren, der einem gerade gefällt.

(Zurufe von der CDU/CSU: 1969! — Abg. Dr. Barzel: Herr Kollege Lambsdorff! Das hat doch 1969 angefangen und nicht erst 1972!)

— Ich bin im Augenblick bei der Überlegung, daß die Bundesbank im Jahresbericht 1973 noch einmal ausdrücklich feststellt, daß eine erfolgreiche binnenwirtschaftliche Stabilitätspolitik nur betrieben werden konnte, nachdem die außenwirtschaftliche Absicherung durch die Einführung des Floating und das Abkoppeln von der Dollar-Ankaufs-Pflicht möglich war.

(Zuruf von der CDU/CSU: Zu spät!)

Dieses war der entscheidende Punkt im Mai 1973. Vorher war bei dem Zustrom von Geldmengen dieses sagenhaften Umfanges eine wirksame Stabilitätspolitik nicht möglich. Wer sich darüber nicht im klaren ist — Herr Müller-Hermann, wir haben so häufig darüber gesprochen — wer immer noch nicht akzeptieren will, daß ohne eine Beschränkung der Geldmengenvermehrung Stabilitätspolitik mit Aussicht auf Erfolg nicht oder kaum betrieben werden kann, dem ist schwer zu helfen.

(Abg. Dr. von Bismarck: Aber Herr Lambsdorff, wie können Sie so etwas unterstellen! Das ist ein starkes Stück!)

— Herr von Bismarck, ich unterstelle Ihnen diese Argumentation nicht,

(Abg. Dr. von Bismarck: Ach, hören Sie doch auf! — Abg. Dr. Wagner [Trier]: Außerdem geht es um die Zeit vorher!)

aber von Herrn Carstens haben wir sie wieder gehört. Lesen Sie in dem Papier vom 22. April nach, lesen Sie die Argumentation von Herrn Stoltenberg heute im „Spiegel" noch einmal nach: Es ist immer wieder derselbe Punkt. Dieser Vorwurf kann wirklich in der Sache nicht aufrechterhalten werden.
Herr Carstens, Sie schreiben dann, dies alles sei im Grunde genommen auch völlig klar; denn der Wille zur Stabilitätspolitik habe niemals bestanden. Sie zitieren den Bundeskanzler mit seinem Ausspruch der 5 % auf der einen Seite und 5 % auf der anderen Seite.

(Abg. Stücklen: Und Modewort „Stabilität"!)

Herr Carstens, ich mache keinen Hehl daraus, daß ich diese Alternative nie befürwortet und nie so gesehen habe. Daß man sich auf der einen Seite — anders als Herr Barzel es heute getan hat — mit dieser Argumentation, mit dieser Alternative auch ernsthaft auseinandersetzen kann, das können Sie in einem Aufsatz von Professor Hankel nachlesen, der in der vorigen Woche in diesem Zusammenhang in der „Zeit" erschienen ist.

(Abg. Reddemann: Ist das der mit der Hessischen Landesbank?)

— Herr Reddemann, ich bin Ihnen dankbar für den Zwischenruf. Das ist der mit der Hessischen Landes-



Dr. Graf Lambsdorff
bank, völlig richtig, den Herr Strauß mir hier noch vor sechs oder acht Monaten als wirtschaftspolitischen Berater und Anreger empfohlen hat. Ich will Ihnen aber in allem Ernst eines sagen: Herr Hankel hat als Bankpräsident offensichtlich eine Bruchlandung gemacht. Dies halte ich für keinen gerechtfertigten Anlaß, die Hexenjagd auf Herrn Hankel mitzumachen, die Herr Dregger in Hessen in den Vorbereitungen des Wahlkampfes veranstaltet.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Es geht um die Steuergelder der kleinen Leute! — Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Was sagen Sie über den Aufsichtsratsvorsitzenden der Hessischen Landesbank?)

— Ich kritisiere das Verhalten der Hessischen Landesbank genauso wie mancher von Ihnen; aber für micht bleibt dies immer noch ein kompetenter Finanz- und Währungswissenschaftler.
Meine Damen und Herren, die unterschiedliche Gewichtung der Stabilitätsziele, vor allen Dingen die verbale unterschiedliche Gewichtung, heißt doch nicht, daß der Wille zur Inflationsbekämpfung fehlt. Diesen Schluß, Herr Carstens, den Sie da gezogen haben, der ist genauso logisch wie das, was Herr Barzel vorhin erwähnt hat. Ich hatte mir leider dasselbe aufgeschrieben: Daß es nachts kälter als draußen sei. Entscheidend sind nicht Worte — und schon gar nicht Wahlkampfworte —, sondern entscheidend sind Taten.

(Abg. Dr. Zeitel: Richtig!)

Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung hat nun im Mai 1973 ein Stabilitätsprogramm auf den Tisch gelegt und durchgeführt, daß ein klassisches Beispiel von dem ist, was Keynes als policy-mix aus Geld- und Finanzpolitik bezeichnet hat. Von all dem ist in Ihrer Argumentation, Herr Professor Carstens, leider kein Wort zu finden.

(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Zu spät!)

Statt dessen schreiben Sie, daß Reformankündigungen die Inflationsmentalität angeheizt haben und sie förderten.
Hier bestreitet wohl niemand mehr, daß 1969 in der Regierungserklärung etwas mehr an Reformen anvisiert worden ist, als sich hinterher als möglich herausgestellt hat.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Etwas ist wohl untertrieben!)

— Aber zunächst einmal, Herr Müller-Hermann, sollte man sich vielleicht darüber im klaren sein, daß ein solcher unbestrittener Überschwang nicht zuletzt die Folge langer Reformunfähigkeit und langer Reformunwilligkeit gewesen ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie heute Reformen als Buhmann an die Wand zu nageln versuchen. In den Meinungsumfragen der letzten Zeit antworten
immer noch mehr als 50 % der Bevölkerung, daß Reformen notwendig seien,

(Abg. Dr. Wagner [Trier] : Herr Graf will ein Tänzchen wagen!)

natürlich solche mit Vernunft und mit Augenmaß. Aber Reformen sind notwendig.
Die Regierungserklärung, die wir vor wenigen Tagen zu diesem Thema gehört haben, ist unbestritten — so scheint mir — nüchtern und maßvoll.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Nichtssagend!)

Was an Reformankündigungen, meine Damen und Herren, kann denn Inflationsbewußtsein und Inflationsmentalität erzeugen: der Hinweis, daß wir mehr Studienplätze wollen, der Hinweis auf Steuererleichterungen — ich komme auf das sogenannte Inflationsentlastungsgesetz, Sie wissen, wir haben es anders genannt, zurück —, der Hinweis auf Verkehrswegebau, Energie- und Umweltschutzinvestitionen? Diese Hinweise doch wohl nicht! Was aber inflationsbewußtseinsfördernd ist, Herr Carstens — und dies muß allen Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion immer wieder deutlich gesagt werden, weil sie hier bereits auf dem Abwege sind —, das ist jede Form von Indexlösung; die heizt die Inflationsmentalität an, die kurbelt die Inflationsmentalität an, die wird ein Schwungrad für Inflationsmentalität.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

— Ja, Herr Kollege Barzel, dann verhindern Sie es doch bitte; zollen Sie nicht hier Beifall, sondern gehen Sie in den mittelstandspolitischen Ausschuß und verbitten Sie sich, daß die VOB in Zukunft mit Inflationsklauseln versehen werden soll.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0710104200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. von Bismarck?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0710104300
Darf ich den Satz noch zu Ende führen. — Dann sorgen Sie bitte dafür, daß das Land Baden-Württemberg im Bundesrat keine Anträge einbringt, die steuerfreie Bildung von Rücklagen zur Wiederbeschaffung von Investitionsgütern vorzusehen; denn selbstverständlich ist auch dies Indexdenken und inflationsfördernd. — Herr von Bismarck, bitte; entschuldigen Sie.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0710104400
Graf Lambsdorff, wollen Sie nicht dem Hause bestätigen, daß Sie von den entscheidenden Sprechern der Fraktionen zu dieser Sache eine klipp und klare Antwort auch neulich im Ausschuß bekommen haben, daß Sie einen Pappkameraden aufbauen, wenn Sie den Eindruck erwecken, als spielten wir mit Indexlösungen?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0710104500
Ich muß mal überlegen, Herr von Bismarck. Bei der Abstimmung, die wir im Wirtschaftsausschuß über diese Frage hatten, hat es ein Mitglied Ihrer Fraktion gegeben, das entschieden mit nein gestimmt hat, weil es Befürchtungen — berechtigte Befürchtungen — vor einem Indexdenken hatte. Das war der Kollege Frerichs.



Dr. Graf Lambsdorff
Alle anderen haben gerade noch den Mut gehabt, sich der Stimme zu enthalten.

(Aha bei der FDP. — Zuruf von der CDU/ CSU: Dann nehmen Sie es jetzt zur Kenntnis!)

Ich erinnere nur an eines: Als vor etwa einem Jahr unser verstorbener Kollege Klaus-Dieter Arndt von dieser Stelle aus die Bemerkung gemacht hat, daß man sich mit den Indexfragen befassen müsse, und ich geantwortet habe: „Sie können mich mit dieser kurzen Bemerkung von der Richtigkeit Ihrer Überlegungen noch nicht überzeugen", da gab es von Ihnen noch ungeteilten Beifall. Inzwischen ist zu meinem Erstaunen diese Überlegung immer weiter in Ihre Reihen eingezogen. — Ja, Herr Stücklen, damit, daß Sie den Kopf schütteln, sind die Initiativen des Herrn Schäfer, sind die VOB-Anträge, sind die Anträge des Landes Baden-Württemberg doch nicht aus der Welt geschafft. Existiert das alles nicht? Das habe ich mir doch nicht aus den Fingern gesogen.

(Abg. Stücklen: Wir sind die Bundestagsfraktion, wir entscheiden!)

— Das ist sehr gut. Aber vielleicht können Sie doch gelegentlich auch mal auf die Länder Einfluß nehmen, wenn es darum geht, was Vernünftiges zu tun, und nicht nur, wenn es darum geht, uns zu blokkieren.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Müller-Hermann: Das Nachdenken über solche Probleme ist doch nicht verboten!)

Herr Professor Carstens hat weiter von „unverantwortlicher Haushaltspolitik" gesprochen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Mit Recht! — Völlig richtig!)

— Wir werden das hier in Ruhe abhandeln, Herr Zeitel. Sie haben das, Herr Carstens, begründet mit der Zunahme der Staatssekretärspositionen.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Einer von vielen!)

— Nun, diesen haben Sie jedenfalls erwähnt. Das kommt mir ungefähr so vor, als wenn ich in meiner Aktiengesellschaft argumentierte: „Wir haben jetzt einen Vorstand aus drei Mann, in Zukunft haben wir einen aus vier Mann, damit haben wir den Personaletat der Gesellschaft um 25 % aufgebläht."

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Ich habe von 12 000 Beamtenstellen mehr gesprochen!)

— Ich komme sofort darauf; ich werde das noch fortsetzen.

(Abg. Gerster [Mainz] : Dort gibt es bestimmt keine Versorgungsposten!)

Diese Rechenart, Herr Carstens, erinnert einen an die etwas faulen Witze über die Relativitätstheorie, wonach drei Flaschen im Keller relativ wenig, aber drei Flaschen im Vorstand einer AG relativ viel sind.

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

So kann man doch nicht argumentieren. Jedermann weiß, daß die Stellenausweitung in der Breite durchschlägt.
Und wie sehen denn eigentlich die Zahlen aus? Herr Carstens, darüber gibt es eine Zusammenstellung des Statistischen Bundesamtes; ich darf sie
— mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — zitieren, es ist nur ein Satz:
Insgesamt hat die Zahl der Kräfte im unmittelbaren Bundesdienst ohne Berücksichtigung des zivilen Personals der Verteidigung von 1960 bis 1973 trotz teilweise erheblich angewachsener Aufgaben nur um 2,7 %, d. h. im Jahresdurchschnitt nur um 0,2 % zugenommen.
Ende des Zitats. Statistisches Bundesamt vom Januar 1974.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Sehen Sie sich mal die Zahl von 1969 an!)

— Ich bin noch gar nicht zu Ende, Herr Carstens. — Es hat in dieser Zeit ein Jahr einer Bewegung gegeben, die Ihrer Argumentation recht geben könnte, ein einziges Jahr, nämlich 1968; und das wählen Sie zur Begründung aus nach dem Motto: mit Statistik kann man alles beweisen, wenn man nur den Vergleichszeitraum nach Lust und Laune auswählt. Aber, Herr Carstens, entschuldigen Sie vielmals: dies sind Methoden der Verkäufer von Investment-Zertifikaten, die auf diese Weise die Erfolge anpreisen, aber nicht die Methoden seriöser wirtschaftspolitischer Auseinandersetzung.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Natürlich ist in diesem Zusammenhang auch die Besoldungshöhe entscheidend; ganz klar. Es geht nicht nur um die Zahl. Ich habe den Eindruck, daß die Entwicklung im öffentlichen Sektor im Vergleich zur Entwicklung in der gewerblichen Wirtschaft für die Betroffenen recht zufriedenstellend gelaufen ist; vielleicht ist sogar manchmal des Guten zu viel getan worden, insbesondere im Stellengefüge. Aber hier, Herr Carstens, hat Sie der Bundeswirtschaftsminister in einer unserer letzten Debatten darauf hingewiesen, daß Ihre Fraktion dem Besoldungsneuregelungsgesetz, das dieses Stellengefüge so nachhaltig verändert hat, voll und ganz zugestimmt hat.
Es gibt im übrigen auch hierzu ganz verläßliches Material, nämlich das Gutachten der „Treuarbeit" zum Problem des Besoldungsrückstandes im Öffentlichen Dienst, das im März 1971 veröffentlicht worden ist. Ich bin nicht der Auffassung, Herr Carstens, daß sich der Vorsitzende der Oppositionsfraktion eine solche dicke Schwarte durchlesen muß. Wenn Sie allerdings darüber reden, dann müßte es mindestens Ihr Mitarbeiter durchgelesen und Sie darauf aufmerksam gemacht haben, oder Sie müßten es vielleicht doch selber tun.
Schließlich und letztens. Sie haben offensichtlich die freundlichen Begleitkommentare Ihrer Parteifreunde Filbinger, Katzer und Strauß zur OTV-
Runde, nämlich zum Anfeuern und zum Unterstützen der Forderungen, im Januar 1974 gar nicht zur Kenntnis genommen; denn sonst könnte Ihnen ein



Dr. Graf Lambsdorff
solcher Vorwurf an die Adresse der Bundesregierung nicht ganz leicht fallen.
Herr Professor Carstens, Sie haben das, was ich jetzt anführen will, heute noch einmal getan. Ich gestehe ganz offen: dies finde ich außerordentlich unerfreulich. Sie haben die Zunahme der Staatsausgaben 1973 mit 14 % beziffert.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn]: 13!) — Bitte, 13. Geschenkt!


(Abg. Reddemann: Bei Ihnen kommt es auf ein Prozent nicht an!)

In dem Papier vom 22. April stehen noch 14, inzwischen sind es 13. Es hat sich also geändert. Sie haben dem den Zuwachs im Bruttosozialprodukt 1973 mit 5,3 % gegenübergestellt. Herr Carstens, das ist ein unredlicher Vergleich, denn wenn Sie einmal die reale Entwicklung und zum anderen die nominale Entwicklung anführen, dann vergleichen Sie zwei Dinge, die völlig unvergleichbar sind. Dies dient der Täuschung der Öffentlichkeit.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie können nur entweder beides in konstanten Preisen vergleichen — das ist gewiß beim Öffentlichen Haushalt sehr schwierig — oder Sie müssen selbstverständlich den nominalen Haushaltszuwachs und das nominale Bruttosozialwachstum vergleichen. Dann aber haben Sie für 1973 14 % beim Haushalt und 11,6 % beim Sozialprodukt. So kann nicht argumentiert werden.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Und 1974?)

— Ich komme auf 1974 gleich zurück. Sie haben das heute noch einmal wiederholt. Ich bitte dringend darum, das zu korrigieren, denn in diesem Lichte klingt Ihre Aufforderung zur Wahrhaftigkeit an die Aussage der Regierung nicht glaubhaft.

(Abg. Dr. Zeitel: Die Sachaussage bleibt doch dieselbe!)

- Die Sachaussage ändert sich, Herr Zeitel, dadurch, daß Sie einmal eine Differenz von nahezu 10 % der Öffentlichkeit suggerieren wollen, und in Wirklichkeit sind es 2,4 %. Wenn man Ihnen das auch noch klarmachen muß, wird es immer bedauerlicher, dann sieht man darin sogar Methode.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0710104600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Professor Zeitel?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0710104700
Mit Vergnügen, immer.

Dr. Gerhard Zeitel (CDU):
Rede ID: ID0710104800
Der Herr Fraktionsvorsitzende hat nur darauf hingewiesen, daß die Expansionsraten des Haushalts höher sind als die des Sozialprodukts. Ändert sich das bei Ihren Zahlen?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0710104900
Es ist doch überhaupt gar keine Frage, daß es ein riesiger Unterschied ist, ob ich mit dem Haushaltsvolumen um 10 °/o oder um 2,4 % über dem Bruttosozialzuwachs liege. Ihnen muß ich doch nicht sagen, daß ich nur die nominalen Ziffern miteinander vergleichen kann und nicht die realen Ziffern.

(Abg. Dr. Zeitel: Aber die Sachaussage bleibt gleich!)

— Bemühen Sie sich doch nicht darum, diesen Täuschungsversuch auch noch zu rechtfertigen. Das ist doch völlig witzlos.
Dann kommt als nächstes, Herr Carstens, die Mineralölsteuererhöhung. Sie haben allen Ernstes formuliert: Die Mineralölsteuererhöhung setzte die Lawine in Gang, die die Preise im Herbst emporschnellen ließ. Es ist eine alte Frage, ob die fünf Pfennige, die wir da zugeschlagen haben, ob überhaupt die Steuerbelastung den Produzentenländern einen Anreiz gibt zu sagen: Wenn die noch so viel Steuern verdienen, können wir die Preise ja ruhig noch ein bißchen erhöhen. Jeder weiß natürlich genau, daß wir die Infrastruktur bezahlen müssen, sonst geht es mit den Autos nicht, Herr Müller-Hermann. Das würde Sie treffen und mich auch. Aber jeder weiß auch genauso, daß darüber hinaus aus diesem Steueraufkommen noch einiges finanziert wird. Aber daß die Mineralölkrise und diese Preiserhöhung durch den Nahostkrieg ausgelöst worden sind, Herr Carstens, das wußten auch Sie. Daß die Kartelle der Ölproduzenten nicht durch unsere fünf Pfennige in Bewegung gesetzt worden sind, das wissen auch Sie. Sie werden letztlich noch soweit gehen und der Bundesregierung sagen, sie habe den Nahostkrieg ausgelöst.

(Abg. Wehner: Warum denn nicht? — Abg. Wagner [Trier] : Geht alles zurück an den Absender! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU: Das war aber schwach!)

Der nächste Vorwurf, meine Damen und Herren, lautet — ich zitiere Herrn Professor Carstens wörtlich —: Die unsinnige Ankündigung der Postgebühren habe zur Instabilität beigetragen. Dazu möchte ich Sie fragen, was die Opposition uns gesagt hätte, wenn wir Ihnen entgegen der gesetzlichen Verpflichtung, einen Verlust, der sich bei der Bilanz der Post herausgestellt hätte, verschwiegen hätten.

(Abg. Wehner: Sehr wahr! — Abg. Stücklen: Das geht nicht!)

— Na, eben. Also mußten Sie offengelegt werden.

(Abg. Stücklen: Sie hätten eine Sondersitzung gemacht!)

— Herr Kollege Stücklen, würden Sie diese Belehrung — ich weiß es — Ihrem Fraktionsvorsitzenden zuteil werden lassen; dann wär es gut!

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Oder wollten Sie die Postverluste in den Haushalt übernehmen? Der ist doch nach Ihrer Meinung schon zu hoch.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer macht denn die Inflation?!)

Also ging's doch wohl nur auf diese Weise!



Dr. Graf Lambsdorff
Meine Damen und Herren, damit kommt immer der Vorwurf — darüber will ich mich nicht lange unterhalten —, die Bundesregierung habe keine Orientierungsdaten gegeben.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Warum ist Herr Ehmke entlassen worden, nach Ihrer Meinung, Graf Lambsdorff? — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Früher war die Post gesund!)

- Nach Ihrer Meinung doch wohl nicht wegen der Gebührenerhöhungen! Herr Carstens, Sie würden sich Ihrer besten Argumente begeben, wenn Sie das jetzt aufgreifen würden: daß dieser alte Schuh der Gebührenerhöhung dazu beigetragen hätte!

(Abg. Dr. Wagner [Trier] : Jetzt wird der Spezialist die Post in Ordnung bringen! Jetzt wird's gut bei der Post!)

Das glauben Sie doch selber nicht. Sie haben doch überall draußen verkündet, daß dafür völlig andere Gründe maßgebend seien!

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Mindestens vier habe ich genannt!)

Meine Damen und Herren, die Orientierungsdaten will ich hier kurz überspringen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0710105000
Gestatten Sie zuvor eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stücklen?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0710105100
Aber bitte, gern!

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0710105200
Herr Kollege Graf Lambsdorff, ist Ihnen bekannt, daß die Gebührenerhöhung bei der Deutschen Bundespost in den letzten vier Jahren 7,2 Milliarden DM ausmacht, und sind Sie der Meinung, daß eine Kostenbelastung und Preissteigerung von 7,2 Milliarden DM völlig ohne Einfluß auf die inflationäre Entwicklung ist?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0710105300
Herr Stücklen, selbstverständlich ist eine Kosteninflation gerade auch von den Kosten, die die öffentliche Hand produziert, mit beeinflußt. Darüber gibt's gar keinen Streit.

(Abg. Stücklen meldet sich erneut.)

- War die Frage noch nicht zu Ende? — Dann bitte ich um Entschuldigung.

(Abg. Stücklen: Ich habe noch eine Zusatzfrage!)

— Also, vor der Antwort wissen Sie schon die Zusatzfrage; das ist großartig.

(Abg. Gerster [Mainz] : Er schätzt Sie richtig ein!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0710105400
Herr Kollege Graf Lambsdorff, ist Ihnen auch bekannt, daß trotz dieser astronomischen Gebührenerhöhung bei der Deutschen Bundespost

(Zuruf von der FDP: Astrologischen!) er hat es nicht kapiert — im Jahre 1974 noch ein Defizit von rund 900 Millionen DM besteht und daß die Deutsche Bundespost eine Fremdverschuldung von 36 Milliarden DM hat? Dies alles, Kollege Lambsdorff, ist doch ein Zeichen dafür, daß die inflationäre Entwicklung selbst ein so gesundes Unternehmen wie die Deutsche Bundespost ruinieren kann.


Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0710105500
Herr Stücklen, nachdem ich zunächst einmal Ihren Vorwurf, mein Kollege hinter Ihnen habe es nicht kapiert, gebührend zurückgewiesen habe,

(Heiterkeit)

möchte ich Ihnen doch noch sagen, daß wir über dieses Thema ja schon manchen Abend ausführlich diskutiert haben. Und Sie wissen ebenso wie ich, daß ein Betrieb, der seinen Umsatz nicht ausdehnen kann, der deswegen nur dem Druck von der Kostenseite ausgesetzt ist und durch Umsatzausweitung seine Rendite nicht verbessern kann, in einer Schere ist, aus der er kaum — ich sage: kaum — herauskommen kann. Wir werden das sicherlich im Zusammenhang mit der Postverfassung erörtern.

(Abg. Dr. Müller-Hermann meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Herr Müller-Hermann, erlauben Sie, daß wir dieses Thema nicht weiter auswalzen.

(Abg. Dr. Wagner [Trier] : Das ist doch wohl das letzte! Warum kann denn die Post den Umsatz nicht ausweiten?!)

— Wie soll sie das denn machen?

(Abg. Dr. Wagner [Trier] : Indem sie im Fernsprechsektor investiert!)

— Da geht aber die Fremdverschuldung hoch.

(Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Hören Sie, die Verluste sind doch nicht gottgegeben!)

Entschuldigen Sie, mit dieser fröhlichen Haltung bin ich hier hergekommen. Ich habe mir gesagt: Ein bißchen mehr unternehmerischer Geist, und dann wird das mit der Bundespost schon gehen! Tatsache ist: Jeder Fernsprechanschluß mehr verschlechtert die Rendite der Bundespost. Herr Stücklen, vielleicht können Sie da auch noch ein bißchen Unterricht erteilen; Sie wissen das ja alles sehr genau.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, ich darf dieses Thema als abgeschlossen betrachten. Wir werden darüber noch zu diskutieren haben; denn der neue Postminister wird uns in dieser Frage ganz sicherlich noch Probleme auf den Tisch legen.

(Abg. Gerster [Mainz] : Das glaube ich auch! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Herr Kollege Carstens, ich darf noch einmal auf die Lohnverhandlungen im öffentlichen Dienst zurückkommen, auf die immer wieder vorgebrachte Behauptung, diese Lohnverhandlungen hätten anders auslaufen können, wenn wir Steuersenkungen angekündigt hätten. Sie haben — und dies finde ich



Dr. Graf Lambsdorff
sehr unerfreulich — die Ablehnung des Inflationsentlastungsgesetzes als arbeitnehmerfeindlich

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Das ist sie doch!)

oder als den Lohnabhängigen gegenüber feindlich bezeichnet.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Was ist es denn sonst?)

— Herr Kollege Carstens, sie ist es natürlich nicht, weil uns die Gewerkschaften in der Konzertierten Aktion bekundet hatten, daß ihnen dies keine Möglichkeit gebe, auf wesentliche Forderungen zu verzichten. Auch die Bundesbank hatte sich dagegen ausgesprochen. Herr Barzel hat die Bundesbank heute noch einmal gelobt. Ich bin einig mit Ihnen; ich bin beglückt über die Regierungserklärung hinsichtlich unserer Haltung zur Bundesbank. Nur kann man natürlich nicht beim einen Mal erklären, daß sie etwas Gutes sagt, und beim nächsten Mal, wenn es einem nicht in den Kram paßt, dann nicht auf sie hören. Die Bundesbank hat uns deutlich gesagt, daß das Freisetzen von 7 bis 8 Milliarden DM Konsumkraft im Jahre 1974 konjunkturpolitisch unerträglich gewesen wäre, und davon müssen Sie doch Kenntnis nehmen.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Das ist doch eine Milchmädchenrechnung, die Sie da aufstellen!)

Demzufolge, Herr Carstens: Wenn Sie sagen, Instabilität ist unsozial — worin ich Ihnen zustimme —, dann können Sie nicht Maßnahmen treffen, die diese Instabilität vergrößern, sondern dann war es im Interesse derjenigen, die von Instabilität betroffen werden, daß wir dieses Inflationsentlastungs-, sprich: Inflationsförderungsgesetz abgelehnt haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0710105600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. von Bismarck?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0710105700
Gerne, bitte!

Dr. Philipp von Bismarck (CDU):
Rede ID: ID0710105800
Graf Lambsdorff, wollen Sie nicht zugeben, daß die Frage, die Sie eben behandeln, nur dann vollständig behandelt ist, wenn Sie auch sagen, von welchem Zeitpunkt ab die Regierung wirklich ernsthaft die Absicht geäußert hat, diese Entlastung vorzunehmen; denn nur dann konnten die Gewerkschaften auf die Sache eingehen. Da das nicht geschehen ist, müssen Sie doch zugeben, daß das der eigentliche Fehler in der Sache war.

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0710105900
Nein, Herr von Bismarck, Sie wissen, daß die Regierung von Anfang an gesagt hat — und diesen Fahrplan wollten Sie uns ja gar zu gerne durcheinanderbringen —, daß wir am 1. Januar 1975 die Steuerreform in Kraft setzen.

(Abg. Windelen: Nein, 1976!) - Entschuldigung, das war falsch. Herr Windelen, Sie haben recht: Wir haben den Termin um ein Jahr vorgezogen auf den 1. Januar 1975.


(Abg. Dr. Wagner [Trier] und Abg. Windelen: Warum wohl?)

— Weil wir damals in der Hoffnung waren — die sich inzwischen sehr mühsam erfüllt —, daß Sie sich diesem Verfahren anschließen würden. Wir werden deswegen am 1. Januar 1975 ein Gesetz in Kraft setzen, das den notwendigen Ausgleich bei der Besteuerung, d. h. auch die notwendige Verteilung von Belastung und Entlastung mit sich bringt. Sie können schlechterdings nicht nur entlasten. Was Sie aber von uns wollten, war eine Zustimmung nur zur Entlastung. Ich habe es Ihnen von dieser Stelle aus schon einmal gesagt: Sie wollten uns ein Rosinengesetz aufs Auge drücken und uns nachher auf den trockenen Krümeln dieses Kuchens sitzen lassen.

(Beifall bei der FDP.)

Aber es geht natürlich nicht, Herr Carstens, daß in der Frage der Lohnverhandlungen im öffentlichen Dienst Vorwürfe gemacht werden, daß wir das nicht durchgehalten hätten, daß wir in der Frage der Besoldung zu großzügig gewesen seien, während gleichzeitig Ihre eigenen Kollegen uns aufgefordert haben, anders zu verfahren.

(Abg. Gallus: Das war Herr Filbinger!)

— Natürlich, Herr Filbinger, Herr Strauß und Herr Katzer; ich habe sie vorhin schon genannt. Vielen Dank, Herr Gallus!
Zur Haushaltspolitik des Jahres 1974 wird mein Kollege Kirst — Sie haben vorhin danach gefragt, Herr Carstens — morgen Stellung nehmen. Über das Jahr 1973, Herr Barzel, lesen Sie bitte noch einmal sowohl im Jahresbericht der Bundesbank wie auch im Monatsbericht April 1973 nach! Darf ich nur einen Satz zitieren, um das hier nicht über Gebühr auszuwalzen:
Von den öffentlichen Finanzen ging im vergangenen Jahr ein stark dämpfender Einfluß auf den Konjunkturverlauf aus.
Deutsche Bundesbank, April 1974! Dies zieht sich durch den ganzen Bericht hindurch. Ich bitte davon Kenntnis zu nehmen. Wir können doch nicht immer so tun, als wäre dies alles völlig aus der Welt, und uns immer nur das aus den Bundesbankberichten herauszuholen, was dem einen oder dem anderen gerade in die Landschaft paßt.
Die Bundesregierung, Herr Carstens, so haben Sie gesagt, hätte mit entschlossener Politik — dies finde ich für jemanden, der außenpolitisch so interessiert ist wie Sie, merkwürdig — Stabilitätsanstrengungen in anderen Ländern veranlassen können. Herr Carstens, sind Ihnen die Berichte des Internationalen Währungsfonds über das Deutschland-Gespräch, das im vorigen Herbst dort stattgefunden hat, überhaupt nicht auf den Tisch gelegt worden

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Sie zitieren mich jetzt falsch, Graf Lambsdorff!)




Dr. Graf Lambsdorff
— ich werde das gleich herausfinden , in dem der Internationale Währungsfonds mit aller Deutlichkeit erklärt hat, daß die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer harten Stabilitätspolitik als einziges Land der westlichen Welt einen entscheidenden Beitrag dazu geliefert hat, daß auch in den anderen Ländern in der Tendenz diese Politik betrieben worden ist?

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. von Bismarck: Zu spät!)

— Herr von Bismarck, kommen Sie jetzt nicht wieder mit „zu spät". — Herr Carstens, ich darf Sie wörtlich zitieren, weil Sie glauben, Sie hätten es nicht geschrieben:
Zudem sollte man auch berücksichtigen, daß konsequentere Stabilitätsbemühungen der Bundesregierung ihre Außenhandelspartner ihrerseits zu größeren Stabilitätsanstrengungen veranlassen können.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Das ist etwas anderes!)

Genau dies haben wir getan, und genau dies ist uns vom Internationalen Währungsfonds bestätigt worden. — Und dann sagen Sie zum Schluß:
Die Bundesregierung fährt mit sich beschleunigender Inflationsrate mit.
Nein, eben gerade nicht! Wir haben die Inflationsrate sowohl bei uns wie auch im internationalen Vergleich verringert. Ich habe es niemals als eine Entschuldigung und niemals als einen wünschenswerten Zustand bezeichnet, am Ende einer Skala zu stehen, die im Grunde niederträchtig ist; ich wiederhole das. Aber wir sind jedenfalls aus dem oberen Drittel ans Ende gerutscht. Wir haben unsere Position im Vergleich zu allen anderen relativ und absolut verbessern können.
Dann wird schließlich das Gemeinschaftsgutachten des Jahres 1974 — Herr Barzel, Sie haben es heute auch noch einmal zitiert als ein „vernichtendes Urteil" — vorgebracht. Ja, meine Damen und Herren, dazu hat es ein interessantes Gespräch mit einem der Mitverfasser, mit dem Professor Filusch, im „Spiegel" gegeben.

(Abg. Reddemann: „Dieses Blatt"!)

— Herr Reddemann, sprechen Sie von Ihrem Blatt und nicht von „diesem"!

(Abg. Reddemann: Ich zitiere nur Herbert Wehner!)

Da ist die Frage angeschnitten worden, ob man mit dem, was uns das Gemeinschaftsgutachten empfiehlt, eigentlich Politik machen kann. Denn das Befolgen dieses Gutachtens bedeutet die Stabilisierungskrise. Es war ja die entwaffnende, naive, bei einem Wissenschaftler vielleicht vertretbare und verständliche Antwort: Die politischen Entscheidungen und die politischen Auswirkungen unserer Vorschläge können wir nicht bedenken; wir können nur sagen, wie ihr wieder zur Stabilität kommt! — Aber wenn Sie das vertreten, Herr Barzel, dann sagen Sie bitte
dazu, daß Sie die Stabilisierungskrise ernsten Ausmaßes wirklich wollen. Denn das ist die Konsequenz.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir sind in den letzten Monaten immer der Meinung gewesen, daß in unserer stabilitätspolitischen oder wirtschaftspolitischen Landschaft zur Zeit zwei Ziele verletzt sind und daß deshalb die Doppelstrategie — nämlich Sich-Kümmern um die Beschäftigungslage in den strukturell schwierigen Gebieten auf der einen Seite und Stabilitätspolitik auf der anderen Seite, Geld- und Kreditpolitik mit knappem Geld und hohen Zinsen — richtig ist.
Zur Kritik der Institute an den Beschlüssen vom 19. Dezember 1973, die auch noch einmal zitiert worden ist: Ich kann darauf nur antworten, was Staatssekretär Schlecht aus dem Bundeswirtschaftsministerium — besser kann ich es nicht formulieren — vor dem Institut Finanzen und Steuern gesagt hat; ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren:
Die Institute erwähnen aber selbst, daß sie bis vor kurzem ebenfalls die Möglichkeit einer Rezession gesehen haben. Ihren tatsächlichen Eintritt mit kumulativen Abwärtsbewegungen zu riskieren, hätte wohl für den wissenschaftlichen Betrachter ein interessantes Experiment sein mögen; eine verantwortlich handelnde Regierung durfte mit dem Schicksal von Millionen Menschen jedenfalls nicht so verfahren und mußte, wie sie es ja auch mit Erfolg getan hat, der Rezession vorbeugen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Hier muß man außerdem sagen, daß die Argumentation der Opposition auch deswegen unaufrichtig ist, weil das Arbeitsplatzsicherungsprogramm, das Sie uns am 5. Dezember 1973 vorgelegt haben, ja noch weitergehende Lockerungen der Stabilitätsmaßnahmen verlangt hat, als sie die Bundesregierung am 19. Dezember 1973 beschlossen hat. Denn Sie wie wir, Herr Carstens, Ihre wirtschaftspolitischen Sprecher wie unsere — Herr Müller-Hermann, wir haben uns über das Arbeitsplatzsicherungsprogramm noch gestritten; Sie wollten mehr als wir -haben damals die konjunkturelle Lage noch pessimistischer eingeschätzt als wir. Das eben ist das Problem der Konjunkturpolitik: der Mut zur Voraussage, auch wenn sie hinterher falsch sein kann. Aber dann bitte auch der Mut, drei Monate später zu sagen: Jawohl, sie ist falsch gewesen!, und nicht den anderen vorhalten, was man selber noch falscher gesehen hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn wir uns einmal — das als letztes Argument
— die CDU/CSU-Anträge zur Steuerreform ansehen
— ich will sie nicht im einzelnen aufzählen, ich will nur die Gesamtsumme nennen; aber wenn es Protestgeschrei geben sollte, bin ich auch gerne bereit, das aufzugliedern —: Mehreinnahmen - Ausfälle
nach Ihren Anträgen 10,3 Milliarden DM, Mehrausgaben nach Ihren Anträgen 2,4 Milliarden DM.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Die Zahlen sind falsch!)




Dr. Graf Lambsdorff
- Nein, nein, das sind nicht die korrigierten Zahlen. Herr Müller-Hermann, ich kenne die Darstellung Ihres Kollegen Leicht. Dies sind die Zahlen aus dem Finanzausschuß, aus den Anträgen zur Steuerreform, nicht die alten Haushaltszahlen, die Sie im Sinne haben.
Wenn die Alternative der Opposition darin besteht, mehr auszugeben und weniger einzunehmen, dann muß ich allerdings dem Herrn Bundeskanzler widersprechen: Das ist nicht Schonkost, das ist unverdaulich.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Müller-Hermann: Die Zahlen sind korrigiert!)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0710106000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wagner (Trier) ?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0710106100
Bitte, Herr Wagner!

Dr. Carl-Ludwig Wagner (CDU):
Rede ID: ID0710106200
Graf Lambsdorff, da Sie vom Finanzausschuß reden: Ist Ihnen bewußt — wenn es Ihnen nicht bewußt ist, wollen Sie das bitte zur Kenntnis nehmen —, daß die CDU/ CSU im Finanzausschuß sowohl bei allen Anträgen einzeln als auch anschließend noch einmal global betont hat, daß sie bereit ist, über jeden dieser Anträge — was den Zeitpunkt des Inkrafttretens und was das Volumen angeht — mit sich reden zu lassen, daß sie bereit ist, mit sich reden zu lassen über ein Gesamtprogramm

(Lachen bei der FDP — Abg. Gallus: Warum habt Ihr die Anträge denn gestellt?)

— Gallus cantat, der Hahn kräht —, und daß es zu diesem Gespräch über ein eventuelles gemeinsames Programm zur Steuerreform nicht gekommen ist, weil es die Koalitionsparteien im Ausschuß vorgezogen haben, unsere Anträge schlicht, ohne Diskussion über Einzelheiten, abzulehnen?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0710106300
Herr Kollege Wagner, Sie wollen uns doch nicht im Ernst sagen, daß ein solches Paket von Änderungen zur Steuerreform dadurch entschärft werden kann, daß Sie das mit irgendwelchen Terminen versehen, über die Sie bereit sind, zu verhandeln. Sie müssen sich schon sagen lassen, daß eine solche Zusammenstellung nicht in die Landschaft paßt. Wenn Sie die Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages oder die Erhöhung der Kilometerpauschale verlangen: wollen Sie denn den Weihnachtsfreibetrag ab Neujahr und die Kilometerpauschale ab nächsten Frühjahr erhöhen? Dies alles ist doch keine ernstzunehmende Diskussion.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Herr Professor Carstens, wir haben die wirtschaftspolitische Auseinandersetzung mit Ihnen ad personam nicht gesucht. Sie haben aber diese Auseinandersetzung aufgenommen. Wenn ich mir ansehe, was dabei herausgekommen ist, so bitte ich um Ihr gütiges Verständnis und Ihre Nachsicht, wenn ich hier zitiere, was Winston Churchill gesagt haben soll, als er erfuhr, daß Eisenhower Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika geworden ist: Good man, wrong place!

(Heiterkeit und anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0710106400
Meine Damen und Herren, bevor ich die Aussprache über die Regierungserklärung und damit die Sitzung bis morgen früh unterbreche, hat Herr Dr. Althammer zur Abgabe einer persönlichen Bemerkung nach § 35 der Geschäftsordnung das Wort. Herr Dr. Althammer!

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0710106500
Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Friedrich von der SPD hat vorhin ein Zitat aus einer Äußerung gebracht, mit der ich auf eine Kolumne erwidert habe, die der Kollege Wehner in der „Augsburger Allgemeinen" veröffentlicht hat. Leider hat der Kollege Friedrich nicht das zitiert, auf das sich meine Erwiderung bezogen hat. Ich möchte deshalb zur Kenntnis geben, auf welche Äußerung von Herrn Wehner ich mich bei meiner Erwiderung bezogen habe.
Herr Wehner hat am 10. Mai 1974 in der „Augsburger Allgemeinen" geschrieben:
Im „Bayernkurier" wird dem Regierungssprecher Beschönigung vorgeworfen, wenn er der Öffentlichkeit erklärt, wie die Sicherheitsüberprüfung bei Guillaume durchgeführt wurde. Das ist entlarvend. Zeigt es doch deutlich die Stoßrichtung der Rechtsopposition: Staatsstreich auf kaltem Weg.

(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Nächster Absatz:

Manches von dem, was in diesen Tagen geschieht, erinnert an Ereignisse, die zum Ende der ersten deutschen Demokratie geführt haben. Alle demokratischen Kräfte müssen in ihrem Lebensinteresse unseren freiheitlichen Rechtsstaat verteidigen, nach rechts und nach links. Die SPD/FDP-Koalition gewährleistet, daß es kein neues Weimar geben wird, wie sehr sich die Rechtstruppen auch bemühen mögen. In der CDU ist Besinnung notwendig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich halte es schlechthin für skandalös, daß der Fraktionsvorsitzende der SPD hier von einem Versuch eines Staatsstreichs auf kaltem Wege spricht. Ich bin der Meinung, die SPD müßte ihrerseits überprüfen, ob das der Stil einer künftigen Auseinandersetzung innerhalb demokratischer Parteien sein soll.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0710106600
Nach diesen Bemerkungen des Abgeordneten Dr. Althammer gemäß § 35 der Geschäftsordnung sind wir am Ende der heutigen Sitzung. Wir setzen die Aussprache über die Regierungserklärung morgen früh fort.
Ich schließe die Sitzung und berufe die nächste Sitzung auf morgen, 9 Uhr.