Rede:
ID0710100400

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 7
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Herr: 1
    6. Abgeordnete: 1
    7. Wehner.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 101. Sitzung Bonn, Montag, den 20. Mai 1974 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Götz 6625 A Bestellung des Abg. Dr. Häfele zum Vertreter des Abg. Windelen im Vermittlungsausschuß an Stelle des ausscheidenden Abg. Dr. Heck . . . . . . . . . 6625 A Überweisung von Vorlagen an Ausschüsse 6625 B Amtliche Mitteilungen 6625 C Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Carstens (Fehmarn) (CDU/CSU) 6627 A Wehner (SPD) 6637 A Mischnick (FDP) 6647 A Schmidt, Bundeskanzler . . . . 6655 C Dr. Barzel (CDU/CSU) . . . . . 6658 C Friedrich (SPD) 6666 A Dr. Graf Lambsdorff (FDP) . . . 6669 D Dr. Althammer (CDU/CSU) (Bemerkung nach § 35 GO) . . 6679 C Nächste Sitzung 6679 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 6681* A Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Montag, den 20. Mai 1974 6625 101. Sitzung Bonn, den 20. Mai 1974 Stenographischer Bericht Beginn: 15.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Abelein 20. 5. Dr. Aigner * 22. 5. Dr. Artzinger * 22. 5. Batz 22. 5. Dr. Becher (Pullach) 22. 5. Blumenfeld 21. 5. Brandt 6. 6. Damm 20. 5. Erhard (Bad Schwalbach) 20. 5. Dr. Evers 20. 5. Ferrang 22. 5. Flämig * 21.5. Dr. Freiwald 22. 5. Gerlach (Emsland) * 21. 5. Gewandt 19. 6. Dr. Gölter *** 22. 5. Dr. Götz 20. 5. Dr. Gradl 10. 6. Groß 20. 5. Dr. Haenschke 31. 5. Handlos 22. 5. Jäger (Wangen) 1. 6. Dr. Jahn (Braunschweig) * 22. 5. Kahn-Ackermann *** 21. 5. Kiep 20. 5. Dr. Klepsch *** 22. 5. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments *** Für die Teilnahme an Sitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Lampersbach 25. 5. Lange * 21.5. Lautenschlager 20. 5. Lemmrich *** 22. 5. Lenders 20. 5. Lenzer *** 22. 5. Dr. Lohmar 22. 6. Lücker * 26. 5. Memmel * 22. 5. Dr. Mende *** 21.5. Müller (Mülheim) * 21. 5. Dr. Müller (München) *** 21. 5. Mursch (Soltau-Harburg) * 22. 5. Frau Dr. Orth * 21. 5. Pawelczyk *** 22. 5. Pohlmann 20. 5. Richter *** 22. 5. Dr. Riedl (München) 20. 5. Schlaga *** 22. 5. Schmidt (Kempten) *** 22. 5. Frau Schroeder (Detmold) 20. 5. Schröder (Wilhelminenhof) 20. 5. Dr. Schwencke *** 22. 5. Seefeld * 21. 5. Dr. Slotta 21. 5. Dr. Freiher Spies von Büllesheim 24. 5. Springorum * 21. 5. Dr. Starke (Franken) 23. 5. Vogel (Ennepetal) 22. 5. Dr. Vohrer *** 21. 5. Walkhoff * 22. 5. Frau Dr. Walz * 22. 5. Frau Dr. Wex 20. 5. Wurbs 20. 5. Zeyer 8. 6.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident, ich möchte keine Fragen beantworten. Ich möchte, ebenso wie der Herr Bundeskanzler die Gelegenheit gehabt hat, auch meinerseits die Gelegenheit haben, eine Erklärung für die CDU/CSU-Opposition ohne Fragen abzugeben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Zum Thema Mitbestimmung äußert sich die Regierungserklärung vage. Aus den wenigen Sätzen, die dazu gesagt werden, ist nicht zu entnehmen, wie die neue Regierung die unerledigt gebliebenen Fragen lösen will, die ihr die alte Regierung hinterlassen hat.
    Im Bereich der beruflichen Bildung schlägt nun allerdings die neue Regierung neue Töne an. Jetzt plötzlich wird der ausbildenden Wirtschaft bescheinigt, daß von ihr große Leistungen im Interesse der auszubildenden jungen Menschen erbracht worden seien, während sich die Handwerks- und Wirtschaftsbetriebe, die Lehrlinge ausbilden, noch bis vor kurzer Zeit von den Parteifreunden des Bundeskanzlers vorwerfen lassen mußten, daß sie die Lehrlinge ausbeuteten.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    In der beruflichen Bildung steht die Bundesregierung vor einem Scherbenhaufen. Das Bekanntwerden der Pläne, die der letzte Bundesminister für Bildung in seinem Ressort entwickelt hatte, hat sehr negative Wirkungen hervorgerufen. Als Handwerksmeister hörten, daß sie sich künftig einer Prüfung unterziehen sollten, auch wenn sie seit 20 Jahren oder länger erfolgreich Lehrlinge ausgebildet hatten, haben manche von ihnen darauf verzichtet, weitere Lehrlinge einzustellen. Die Vorstellung, daß 3 000 neue Planstellen geschaffen werden sollten, um das Berufsausbildungsprojekt verwaltungsmäßig in die Wirklichkeit umzusetzen, hat auf die breite Öffentlichkeit in unserem Lande erschreckend und alarmierend gewirkt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Folge davon ist, daß die Zahl der Lehrstellen —
    ich bedaure dies sehr — radikal zurückgegangen ist.

    (Lachen und Zurufe von der SPD.)

    — Ich bedaure es in der Tat sehr; ich benutze auch diese Gelegenheit, um an die gewerbliche Wirtschaft zu appellieren, doch noch Lehrlinge einzustellen.
    Aber es ist dies, meine Damen und Herren, ein typisches Beispiel der Folgen der sogenannten Reformpolitiker der sozialliberalen Koalition. Sie bestehen nämlich weitgehend darin, daß diejenigen, die von den Reformen beglückt werden sollen, zunächst einmal die Nachteile eines unsinnigen Reformeifers zu spüren bekommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das kann man nicht nur an der Berufsausbildung nachweisen, sondern ebenso an den Schulreformpro-



    Dr. Carstens (Fehmarn)

    jekten, die in einigen sozialdemokratisch geführten Ländern zur Zeit verfolgt werden. Natürlich denke ich besonders an Niedersachsen,

    (Lachen bei der SPD)

    wo in den letzten Tagen der laufenden Legislaturperiode ein Gesetz, ich muß wohl sagen: durchgepeitscht worden ist, welches die Einführung der integrierten Gesamtschule als Regelschule vorsieht.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD.)

    Von diesem Gesetz steht schon jetzt fest, daß es nicht Bestand haben wird; denn nicht nur die CDU in Niedersachsen hat sich gegen dieses Gesetz gewandt, sondern zahlreiche sozialdemokratische Lehrer — mit einigen habe ich selbst gesprochen —

    (Lachen bei der SPD)

    wenden sich auf das entschiedenste gegen dieses Gesetz, von dem sie überzeugt sind, daß es ein unerprobtes Modell zur Regelschule im Lande Niedersachsen machen wird. Die Folge wird sein, daß nach einiger Zeit auch dieses Modell entweder aufgehoben oder modifiziert werden muß.

    (Zuruf des Abg. Ronneburger.)

    — Ich glaube, die FDP in Niedersachsen ist auch dagegen. Es ist ganz gut, Herr Kollege Ronneburger, daß Sie mich darauf hinweisen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Eine weitere Folge wird sein, daß in Kürze ein neues, ein stark geändertes Schulmodell in Niedersachsen erlassen werden muß. Dabei geht eine der wichtigsten Aufgaben, welche die Schule zu erfüllen hat, nämlich die Schüler in einem ruhigen, gesicherten, ordnungsmäßigen Verfahren auszubilden, verloren.
    Die Steuerreformpläne des Bundesfinanzministers selbst, die von ihm so hochgepriesene Einkommensteuerreform, ist ebenfalls ein Beispiel dafür, daß der übertriebene Reformeifer der sozialliberalen Koalition sich letzten Endes zum Nachteil derer auswirkt, die von ,der Reform beglückt werden sollen. Denn von all den Gründen, die der Finanzminister gegen das steuerliche Entlastungsgesetz der Opposition ins Feld geführt hat, schlug in Wirklichkeit nur ein Grund durch, nämlich der, daß dadurch das große Steuerreformprojekt — wie er es nannte — gefährdet werden könnte.
    Nun steht schon jetzt fest, daß das Steuerreformprojekt in der Form, in ,der es der damalige Finanzminister konzipiert hat, nicht verwirklicht werden kann. Unter anderem ist die Inflation darüber hinweggerollt. Aber um dieses Projekt in seinen Augen nicht zu gefährden, hat sich der Finanzminister anderthalb Jahre lang dagegen gesträubt, diejenigen steuerlichen Entlastungen bei den Beziehern kleinerer und mittlerer Einkommen vorzunehmen, die doch nach unser aller Auffassung sachlich geboten sind, weil die Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen in Folge der inflationsbedingten Steuerprogression in einer unsozialen, in einer ungerechtfertigten Weise steuerlich belastet werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sehen Sie, meine Damen und Herren, das ist der wesentliche Unterschied zwischen der Reformpolitik der CDU/CSU und der Reformpolitik der SPD/FDP: Unsere Reformvorschläge sind realitätsbezogen.

    (Zuruf von der SPD: Welche denn?)

    Für unsere Reformvorschläge ist der Gedanke maßgebend, daß sie denen, für die sie bestimmt sind, nämlich den Bürgern unseres Landes, den Arbeitnehmern, den Schülern und Studenten, wirklich Nutzen bringen sollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das gilt von unserem Mitbestimmungsmodell

    (lautes Lachen bei der SPD) — ja, in der Tat —,


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    das gilt von unserem Vermögensbildungsprojekt, und das gilt von unserem Berufsbildungsprojekt.

    (Lachen bei den Regierungsparteien.)

    Deswegen sollte es niemanden wundern, meine Damen und Herren — und darüber sollten Sie nicht lachen —,

    (erneutes Lachen bei der SPD)

    daß mehr und mehr junge Arbeiter — im Verhältnis zu denen, die zu den Jungsozialisten gestoßen sind — in den letzten Monaten ihren Beitritt zur Jungen Union erklärt haben.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Denn mehr und mehr junge Arbeiter in diesem Lande — und 'darüber sollten Sie nicht lachen, meine Damen und Herren — haben gut verstanden, daß ihre Interessen bei den Unionsparteien besser aufgehoben sind als bei den systemverändernden Jungsozialisten, deren Sprache niemand versteht

    (erneuter lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU)

    und deren Ziele, gelinde gesagt, verworren sind.
    Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung den Bundesrat kritisiert. Er hat ihm die abwegige und unsinnige Absicht unterstellt, als wolle er eine Gegenregierung bilden.

    (Zuruf von der SPD: So ist es!)

    Davon ist in der langen Geschichte des Deutschen Bundesrates mit seinen wechselnden Mehrheiten niemals die Rede gewesen, und davon kann nach der verfassungsmäßigen Rolle des Bundesrates, die dieser immer genau beachtet hat, in Wahrheit auch keine Rede sein. Wohl aber bildet der Bundesrat ein von den Verfassungsgebern unseres Grundgesetzes bewußt in unsere Verfassungsordnung eingefügtes politisches Gegengewicht in der Gesetzgebung des Bundes. Als solches haben wir alle ihn zu respektieren, ob uns im einzelnen Fall seine Entscheidungen gut oder weniger gut gefallen. Vor allem aber ist es ein Gebot der Gerechtigkeit, hervorzuheben, daß im Bundesrat und im Vermittlungsverfahren zahlreiche Bundesgesetze, die den



    Dr. Carstens (Fehmarn)

    Bundestag verlassen hatten, sachlich verbessert worden sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Und nicht ein einziges Bundesgesetz ist — wie der schleswig-holsteinische Ministerpräsident, Dr. Stoltenberg, vor kurzem ausgeführt hat — seit 1970 an dem Einspruch des Bundesrates gescheitert.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Die Regierungserklärung ist nicht nur bemerkenswert durch das, was sie sagt, sie ist vielleicht noch bemerkenswerter durch das, worüber sie sich nicht äußert. Die CDU/CSU vermißt in dieser programmatischen Erklärung jedes Eingehen auf die geistig-politische Auseinandersetzung, die viele Menschen, viele Bürger in unserem Lande tagtäglich zu bestehen haben, nämlich die Auseinandersetzung mit der neomarxistischen Linken.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD: Aha!)

    Diese neomarxistische Linke besteht, wie wir wissen, aus einem Teil der Sozialdemokratischen Partei, der sich seinerseits mit kommunistischen Gruppen zu Handlungsgemeinschaften der verschiedensten Art zusammengefunden hat. Das politische Ziel dieser Gruppen ist die Vergesellschaftung der Produktionsmittel, eine zunehmende Verbürokratisierung des gesellschaftlichen Lebens ebenso wie des Lebens der einzelnen Bürger. Und das Mittel, welches zur Erreichung dieses Zieles propagiert wird, ist der Klassenkampf. Einige von ihnen fordern darüber hinaus den Austritt aus der NATO und den Abzug der amerikanischen Streitkräfte aus Europa.
    Was ich hier schildere, ist keineswegs ein auf die Jungsozialisten beschränktes Problem. In dem größten Unterbezirksverband der SPD, in Hessen-Süd, und in dem Stadtverband der SPD in München finden sich zahlreiche Anhänger dieser Thesen. Der Chefideologe der SPD und Kultusminister des Landes Niedersachsen, Herr von Oertzen, empfiehlt in seinen „Handreichungen für den Schulunterricht" an niedersächsischen Schulen die Abhaltung eines 13stündigen Propagandakurses für Marxismus. Derselbe Herr von Oertzen hat, wie man sich erinnert, vor einiger Zeit den Versuch gemacht, den belgischen Professor Ernest Mandel an eine Hochschule des Landes Niedersachsen zu berufen, obwohl gegen Professor Mandel ein Einreiseverbot des Bundesinnenministeriums vorliegt, weil nämlich Professor Mandel zu denjenigen kommunistischen Theoretikern gehört, die die Einführung des kommunistischen Systems mit Gewalt befürworten.

    (Abg. Dr. Hammans: Hört! Hört!)

    Angehörige dieser neomarxistischen Linken sind als „Stoßtrupps" — ich gebrauche hier den Ausdruck, den Herr von Oertzen vor einigen Jahren geprägt hat — in die Lehrerkollegien der Schulen, in die Schülerschaft und in die Studentenschaft eingedrungen, und sie entfalten hier eine rege Aktivität mit dem Ziel, das Bewußtsein der Schüler und der Studenten im Sinne der neomarxistischen Klassenkampftheorie umzufunktionieren. Sie entfalten darüber hinaus einen beachtlichen Terror und haben
    bewirkt, daß an vielen Schulen und Hochschulen unseres Landes die Lehrfreiheit und die Meinungsfreiheit eingeschränkt worden sind.

    (Abg. Dr. von Bülow: Die Rede haben wir schon mal gehört!)

    Gegen diese Erscheinungen hat sich in den letzten Monaten, vielleicht im letzten Jahr ein zunehmender Widerstand der Elternschaft, der Schülerschaft und der Studentenschaft formiert. Ihn, diesen Widerstand, hätte der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung ermutigen sollen;

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    denn niemand soll so naiv sein, zu glauben, daß die neomarxistische Linke ihren Kampf aufgegeben habe, auch wenn einige dieser Linken jetzt Solidaritätserklärungen für den Bundeskanzler abgeben und wenn gegen andere, wie man hört, Parteiausschlußverfahren eingeleitet werden sollen. Es handelt sich bei den Loyalitätserklärungen nach meiner Beurteilung um taktisch bedingte Positionsveränderungen. Die neomarxistische Linke will ihre Vorstellungen mit Hilfe und durch die SPD verwirklichen. Wenn die SPD infolge einer übermäßigen Aktivität dieser neomarxistischen Linken an Stimmen verliert, wie es in den letzten Wahlen deutlich geworden ist, gebietet es das Ziel der neomarxistischen Linken, sich Zurückhaltung aufzuerlegen. Sobald der SPD wieder Stimmen zufließen sollten, wird — das kann man mit Sicherheit voraussagen — die neomarxistische Linke in Verbindung mit den außerhalb der SPD stehenden Gruppen ihre Aktivität wieder verstärken.
    In diesem Zusammenhang muß die Frage der Einstellung von Mitgliedern der DKP ,in den Staatsdienst gesehen werden. Die Regierungserklärung ist in diesem Punkt ganz unbefriedigend.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Zwar erklärt der Bundeskanzler, daß Gegner der freiheitlich-demokratischen Ordnung nicht in den Staatsdienst eingestellt werden dürften; aber im nächsten Atemzug fügt er hinzu, daß die Bundesregierung eine Regelung dieser Frage auf der Basis der von ihr bereits eingebrachten gesetzlichen Regelung anstrebe.

    (Zuruf von der FDP.)

    Jedermann weiß, daß dieser Gesetzentwurf an einem entscheidenden Mangel leidet: Dem Gesetzentwurf ist nämlich nicht zu entnehmen, ob ein Mitglied der DKP oder anderer links- und rechtsextremer Parteien und Gruppen in den Staatsdienst aufgenommen werden darf oder nicht, mit anderen Worten, ob die bloße Mitgliedschaft in diesen Organisationen ein Hinderungsgrund für die Aufnahme in den Staatsdienst ist. Dies aber ist die entscheidende Frage. Sie zu beantworten ist die Pflicht jeder demokratischen Regierung in diesem Lande.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    In diesem Punkt, muß man leider sagen, versagt die neue Regierung offenbar ebenso wie ihre Vorgängerin, und das ist leicht zu erklären. Die neomarxistische Linke innerhalb der SPD tritt dafür ein,



    Dr. Carstens (Fehmarn)

    daß auch Mitglieder der DKP in den Staatsdienst aufgenommen werden sollen, und der Bundeskanzler hat entweder nicht den Mut oder nicht die Kraft besessen, sich in eine Auseinandersetzung mit dieser neomarxistischen Linken in seiner eigenen Partei einzulassen.
    Wir müssen allerdings hinzufügen, daß die Rolle, die der frühere Bundesminister des Innern, Herr Genscher, in diesem Zusammenhang gespielt hat, ebenfalls enttäuschend war.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Nach eindrucksvollen Reden, die er hier im Parlament gehalten hat und denen wir, auch ich selbst, die Zustimmung gegeben hatten, hat er einen Gesetzentwurf zu dieser entscheidenden Frage vorgelegt, der als ungenügend bezeichnet werden muß.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich vielleicht noch ein Wort zu dieser Frage der Einstellung von Mitgliedern 'der DKP in den Staatsdienst hinzufügen. Es wird immer wieder gesagt, auch in anderen Ländern, in Frankreich und Italien, seien doch viele Kommunisten als Beamte tätig, und das funktioniere doch ganz gut. Darauf ist zu antworten, daß diese anderen Länder nicht die Erfahrungen hinter sich haben, die unser Land hinter sich hat. Unser Land hat sich 1949 entschlossen, sich eine Verfassung zu geben, die alle Demokraten — und das hat der Bundeskanzler nach meinem Dafürhalten gut gesagt — verpflichtet, die freiheitliche Ordnung zu verteidigen. Dazu gehört, daß wir verhindern, was unsere Vorgänger vor 45 Jahren nicht verhindert haben, daß Mitglieder von verfassungsfeindlichen Organisationen Beamte werden.
    Was nun speziell die DKP betrifft, so sollten wir nicht übersehen, daß es sich um eine Partei handelt, die finanziell und politisch von der SED in Ost-Berlin gesteuert wird.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Die DKP ist der verlängerte Arm Ost-Berlins in unserem Lande.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Ich frage mich, was diejenigen im Sinne haben, die die Einstellung der Kommunisten in unseren Staatsdienst befürworten.
    Der Bundeskanzler hat einige anerkennende Worte für die Ostpolitik der Regierung Brandt/ Scheel gefunden. Er hat sie unter anderem als mutig und erfolgreich bezeichnet. Man muß sich fragen, woher der Bundeskanzler den Mut zu dieser Feststellung nimmt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Daß diese Ostpolitik schwere Rückschläge hat hinnehmen müssen, erwähnt er nicht. Die Rückschläge — ich nenne nur die Verdoppelung der Umtauschquote für die Besucher der DDR, den rapiden Rückgang der Zahl der Aussiedler aus Polen und den polnisch verwalteten Gebieten, die Erschwerung der Kontakte im Briefverkehr zwischen Bewohnern der DDR und Bewohnern der Bundesrepublik Deutschland, das immer noch mühsame und in vielen
    Fällen erfolglose Ringen um die Einbeziehung Berlins in die Vereinbarungen mit den osteuropäischen Staaten und mit der DDR — verzeichnet die Regierung nicht. Sie geht auch mit keinem Wort darauf ein, wieso es zu diesen Rückschlägen gekommen ist, nämlich im wesentlichen dadurch, daß in der von dem Bundeskanzler als so erfolgreich bezeichneten Ostpolitik unterlassen worden ist, sich die Forderungen, die wir, die unser Land, die die Bundesregierung Brandt selbst an den Osten richtete, abzusichern, so daß sie von dauerndem Bestand waren. Ich erinnere noch einmal daran, daß in dem Bahr-Papier aus dem Jahre 1970, vom Mai 1970 — es ist jetzt genau vier Jahre her —, alle sowjetischen Positionen enthalten sind, aber nicht eine einzige derjenigen Positionen, die damals und heute die Regierung Brandt und jetzt die Regierung Schmidt vertreten haben. Es findet sich kein Wort von den Bindungen Berlins an die Bundesrepublik Deutschland, kein Wort von den menschlichen Erleichterungen, kein Wort von deutscher Einheit und Selbstbestimmungsrecht, kein Wort von der Priorität der westlichen Politik, der europäischen Einigungspolitik.
    Ähnlich unzulänglich ist der Grundvertrag mit der DDR geschlossen worden. Auch hier ist, wie wir nun alle zu unserem Leidwesen erfahren haben, die Absicherung der Forderungen, die die Bundesrepublik Deutschland, die das deutsche Volk erhebt, unterblieben.
    Immer wieder stellt sich die Frage, wie es möglich war, daß es zu diesen Fehlleistungen kam. War es Dilettantismus? Lag es daran, daß der damalige Unterhändler keine Erfahrungen in wichtigen internationalen Verhandlungen hatte? Lag es daran, daß Bundeskanzler Brandt und seine Berater Illusionen anhingen und glaubten, sie könnten die grundsätzliche Haltung und die Politik der osteuropäischen Staaten gegenüber unserem Lande verändern? Manchmal hat es den Anschein, daß dies so war. Bundeskanzler Brandt zeigte sich persönlich gekränkt darüber, daß ihm die DDR einen Agenten in seine nächste Umgebung, in das Kanzlerbüro, gesetzt hatte. Dies läßt, wie ich finde, den berunruhigenden Rückschluß zu, daß Bundeskanzler Brandt sich über die Ziele und Methoden der Partner, mit denen er Politik gemacht hat, völlig im unklaren war.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aber man muß natürlich auch die Frage stellen, ob es nicht letztlich ganz andere Motive waren, die die damalige Ostpolitik maßgebend bestimmt haben, als die deklarierten Motive. Das Bahr-Papier von 1968 bezeichnet unter drei verschiedenen Modellen dasjenige als das den deutschen Interessen am besten dienende, welches das Ausscheiden der Bundesrepublik Deutschland aus der NATO, die Lockerung der Bindungen an die Europäische Gemeinschaft und die Lockerung der Bindungen zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik Deutschland vorsieht oder — nach seinen eigenen Worten — zur Folge hat.
    Meine Damen und Herren, hier ist bei dem Manne, der die Verhandlungen im Frühjahr 1970 in Moskau geführt hat, ganz offenbar ein anderes Mo-



    Dr. Carstens (Fehmarn)

    tiv im Spiel gewesen als das Motiv, welches die Bundesregierung als ihr politisches Ziel damals verkündet hat und heute verkündet. Trotzdem wurde Herr Bahr ohne eine Instruktion nach Moskau entsandt.
    Die CDU/CSU begrüßt es, daß Bundesminister Egon Bahr nunmehr entlassen worden ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Allerdings kommt diese Entscheidung vier Jahre zu spät.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Bundesrepublik Deutschland stände heute hinsichtlich wichtiger außenpolitischer Positionen besser da, wenn Egon Bahr schon 1970 daran gehindert worden wäre, in der Ostpolitik eine aktive Rolle zu spielen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Eine der wenigen Positionen, die die Bundesregierung bisher — jedenfalls verbal — aufrechterhalten hat, lautet, daß sie nicht bereit ist, die DDR völkerrechtlich anzuerkennen. Aber auch diese Position ist durch den Ablauf der folgenden Ereignisse faktisch weitgehend ausgehöhlt worden. Der bevorstehende Austausch von Vertretern zwischen den beiden Staaten in Deutschland wird ein weiterer Schritt zur Aushöhlung dieser Position sein. Ich benutze die Gelegenheit dieser Debatte zur Regierungserklärung, um an Sie, Herr Bundeskanzler, zu appellieren, daß Sie bei Gelegenheit des Austauschs der Ständigen Vertreter allen Staaten der Welt einschließlich der DDR unsere Position, die Position der Bundesrepublik Deutschland, in der Frage der besonderen Beziehungen noch einmal ausdrücklich notifizieren und dabei darauf hinweisen, daß in diesem Schritt eine völkerrechtliche Anerkennung nicht zu erblicken ist. Ich empfehle Ihnen dringend, dabei die Grundsätze wörtlich zu zitieren, die das Bundesverfassungsgericht für die Gestaltung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland aufgestellt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Mit Befremden und Bestürzung hat die CDU/CSU-Fraktion allerdings festgestellt, daß in der Regierungserklärung von 70 Seiten, die der Bundeskanzler hier vor drei Tagen vorgetragen hat, das Wort von der Einheit der deutschen Nation oder der Einheit des deutschen Volkes nicht vorkommt.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Es ist die erste Regierungserklärung, in der über dieses Thema stillschweigend hinweggegangen wird.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß, damit Mißverständnisse, die systematisch in der Bundesrepublik Deutschland und anderswo verbreitet werden, von vornherein beseitigt werden, noch einmal erklären, welches die Position der CDU/ CSU in der Frage der Ostpolitik und der Deutschlandpolitik ist. Wir bejahen die Entspannung, wir waren und wir sind für Gewaltverzicht; aber wir fordern ausgewogene Verträge, in denen Leistungen und Gegenleistungen in einem vernünftigen
    Verhältnis einander gegenüberstehen. Wir fordern, daß Berlin in diese Politik voll mit einbezogen wird und daß nicht Entspannungspolitik auf Kosten Berlins betrieben wird, und wir fordern, daß die menschlichen Erleichterungen, die das Ziel dieser Politik sind, genügend abgesichert werden.
    Schließlich aber muß deutlich sein, daß die Entspannungspolitik der Bundesrepublik Deutschland nicht bedeutet, daß wir das Ziel der Einheit der deutschen Nation unter Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts preisgeben. Solange wir nicht wissen können — und wir können es nicht wissen —, daß die Deutschen in der DDR dieses Ziel preisgegeben haben, solange sind wir schon um ihretwillen politisch und moralisch verpflichtet, an der Einheit der deutschen Nation und der Forderung nach Selbstbestimmung festzuhalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    In den Abschnitten der Regierungserklärung, die sich mit den Beziehungen zu unseren westeuropäischen Partnern und zu den Vereinigten Staaten von Amerika befassen, sind eine Reihe richtiger Gedanken enthalten. Wir stimmen ihnen zu. Der Bundeskanzler wiederholt hier bewährte Grundsätze Adenauerscher Europapolitik und Adenauerscher Bündnispolitik.
    Mit Bedauern haben wir aber festgestellt, daß in diesem Teil der Regierungserklärung keine Andeutung möglicher Initiativen zur Wiederingangsetzung des europäischen Einigungsprozesses enthalten sind. Dieser Teil der Regierungserklärung — ich muß es leider sagen atmet weitgehend Resignation.
    Nun wird niemand leugnen wollen, daß sich die europäische Szene im letzten Jahr erheblich verdüstert hat und daß die Schwierigkeiten, die in den bisher gestalteten Bereichen der Integration aufgetaucht sind, in der Tat groß sind. Aber ich meine, Herr Bundeskanzler, diese Feststellung sollte uns und sollte Sie und sollte Ihre Regierung nicht daran hindern, nach neuen Bereichen der Zusammenarbeit zu suchen. Ich sehe als solche Bereiche z. B. die Rüstungszusammenarbeit und andere Gebiete der Verteidigung an. Ich weise Sie auch darauf hin — ich habe das auch gegenüber Ihrem Vorgänger mehrfach getan —, daß der Verhandlungskomplex der MBFR, der Verhandlungen über gegenseitige ausgewogene Truppenreduzierungen, nach meiner Auffassung ein Ansatz für eine engere Zusammenarbeit zwischen den westeuropäischen Partnern, vor allem aber für eine engere Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland werden könnte. Nach meiner Auffassung deckt sich in dieser Frage der Truppenreduzierungen das französische Sicherheitsinteresse weitgehend mit dem Sicherheitsinteresse unseres Landes. Ich würde daher dringend raten, hier einen erneuten Versuch zu einer Verständigung mit unserem französischen Partner zu machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dies gilt um so mehr, als das Ergebnis der gestrigen Präsidentenwahl in Frankreich uns zu der Hoffnung berechtigt, daß Frankreich an die große



    Dr. Carstens (Fehmarn)

    Tradition seiner Europapolitik wieder anknüpfen wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich möchte dem neugewählten französischen Staatspräsidenten an dieser Stelle meine und der CDU/ CSU herzlichen Glückwünsche aussprechen.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es tut mir leid, daß ich damit ein kritisches Wort an ein Mitglied der neuen Bundesregierung verbinden muß. Der damalige Staatssekretär und jetzige Finanzminister, Herr Apel, sprach sich vor einigen Wochen für die Wahl des Gegenkandidaten des jetzigen Staatspräsidenten aus,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört! — Volksfront! — Unglaublich! — Mit den Kommunisten!)

    indem er ihm eine gute Politik bescheinigte und weiter sagte, nicht nur werde er keine Probleme bringen, sondern manches werde leichter werden, wenn er gewählt werden sollte.

    (Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Diese Art von Einmischung in die inneren Verhältnisse eines anderen Landes, Herr Bundesminister Apel, empfiehlt sich für ein Mitglied der Bundesregierung nicht, ganz unabhängig davon, wem Ihre persönlichen Sympathien gelten mögen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der Bundeskanzler hat die Verdienste seines Vorgängers in kräftigen Strichen gezeichnet.

    (Abg. Dr. Marx: Warum ist der dann zurückgetreten?)

    Mir fällt es — das muß ich ganz offen sagen — schwer, ein abgewogenes Bild von den Leistungen und den zweifellos auch vorhandenen Verdiensten des letzten Bundeskanzlers zu zeichnen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Guten Willen!)

    Mir fällt es schwer wegen der Umstände seines Abgangs. Daß er es für nötig gehalten hat, ja, daß er es für möglich gehalten hat, zu erklären, er sei davon überzeugt, daß das anständige Deutschland weiter an seiner Seite stünde,

    (Zurufe von der CDU/CSU und Gegenrufe von der SPD)

    dies, meine Damen und Herren, war mehr als eine Entgleisung. Es war eine ungeheure Anmaßung.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die eigentliche Ursache für den Sturz der Regierung Brandt — darüber sind sich alle unvoreingenommenen Betrachter der politischen Szene einig -war nicht die Affäre Guillaume und waren noch weniger die Dinge, die in ihrem Zusammenhang hochkamen, sondern die eigentliche Ursache waren die Fehlschläge der Regierung Brandt/Scheel in wichtigen Bereichen der Politik. Weder gelang es ihr, die Inflation unter Kontrolle zu bringen, noch zeigte Bundeskanzler Brandt in der Auseinandersetzung mit der neomarxistischen Linken eine überzeugende
    Haltung, und die Rückschläge seiner Ostpolitik haben gewiß auch zu seinem Rücktritt beigetragen. Hinzu kamen schwere innere Spannungen innerhalb der Koalition und innerhalb der Partei des früheren Bundeskanzlers. In allen diesen Situationen wurde seine Führungsschwäche offenbar.
    Aber es ist nicht zu übersehen, daß einen entscheidenden Anteil an seinem Sturz die Angriffe hatten, die aus seinen eigenen Reihen, aus den Reihen seiner eigenen politischen Freunde gegen ihn vorgetragen wurden.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der Hauptstoß kam von dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Herrn Kollegen Herbert Wehner.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Seine Äußerungen in Moskau waren ein wohlgezielter und wohlüberlegter Schlag gegen die Regierungsfähigkeit und Führungsfähigkeit des damaligen Bundeskanzlers.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

    „Was der Regierung fehlt, ist ein Kopf", hat Herbert Wehner nach glaubwürdigen Berichten damals gesagt,

    (Abg. Haase [Kassel] : Er hatte ja recht; er hatte es richtig erkannt! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    und Conrad Ahlers spricht von massiven Angriffen Wehners in der Sowjetunion, die wohl — und jetzt wörtlich — „als der Anfang vom Ende der Kanzlerschaft Brandts" anzusehen seien. Hämische Berner-kungen Wehners über Brandt kann man in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 13. Mai dieses Jahres nachlesen; ich will mich damit nicht aufhalten.
    Auch der jetzige Bundeskanzler beteiligte sich, wenn auch in etwas vorsichtigerer Form, an der öffentlich geäußerten Kritik über Brandt. Aber alles dies sind Vorgänge, die sich innerhalb der Sozialdemokratischen Partei abspielten und die letzten Endes für die Außenstehenden, auch für die CDU/ CSU, nur von zweitrangigem Interesse sind.
    Was dagegen von erstrangigem Interesse ist und was an dieser Stelle mit der gebotenen Deutlichkeit zurückgewiesen werden muß, ist die altbewährte Taktik, die Herr Kollege Herbert Wehner auch in dieser Situation wieder anwendet, nämlich durch hemmungslose Beschimpfungen des politischen Gegners, d. h. in diesem Fall der CDU/CSU, die eigene Wehnersche Schuld und Verantwortung an dem Sturz von Bundeskanzler Brandt vergessen machen zu wollen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU.)

    Diese Taktik, Herr Kollege Wehner, wenden Sie nicht zum erstenmal an.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich erinnere mich sehr wohl an die Szene, als Sie
    und andere führende Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei dabei ertappt worden waren, daß



    Dr. Carstens (Fehmarn)

    Sie hinter dem Rücken des damaligen Bundeskanzlers, in dessen Regierung Sie saßen, Kontakte zur italienischen Kommunistischen Partei und über die italienische Kommunistische Partei zur SED aufgenommen hatten.

    (Beifall von der CDU/CSU.)

    Als diese Kontakte bekanntgeworden waren, haben Sie, Herr Kollege Wehner, eine der für mich eindrucksvollsten und unvergeßlichsten Schimpfkanonaden gegen Ihre damaligen Koalitionspartner von der CDU/CSU losgelassen. Dies ist Ihre Technik der Auseinandersetzung, insbesondere dann, wenn es sich darum handelt, eigenes Versagen, eigenes Verschulden, eigene Verfehlungen zu vertuschen. Ich begrüße es in gewisser Weise, daß dem deutschen Volk in seiner überwältigenden Mehrheit anläßlich des Rücktritts von Bundeskanzler Brandt endlich deutlich geworden ist, welcher politischen Methoden Sie, Herr Kollege Wehner, sich in der Auseinandersetzung bedienen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU.)

    Zusammen mit Bundeskanzler Brandt sind fünf weitere Bundesminister entlassen worden, darunter drei — nämlich die Bundesminister Bahr, Ehmke und Lauritzen —, deren Entlassung die CDU/CSU seit langem, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen gefordert hatte.

    (Lachen bei der SPD.)

    Die CDU/CSU bedauert, daß bei dieser Gelegenheit nicht ebenfalls Bundesminister Eppler aus dem Kabinett ausgeschieden ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Er hat vor einiger Zeit das geltende Recht, welches die Beziehungen zwischen Bundesregierung und Parlament regelt, verletzt, als er Jugoslawien einen Kredit zusagte, ohne zuvor den zuständigen Ausschuß des Bundestages davon zu unterrichten. Er hat in der Folgezeit die deutsche Öffentlichkeit darüber getäuscht, daß ein weiterer Kredit von 750 Millionen DM an Jugoslawien gewährt werden sollte und inzwischen gewährt worden ist. Er gehört 'außerdem zu den sozialdemokratischen Politikern, die durch aufputschende Reden

    (Lachen bei der SPD)

    mit klassenkämpferischen Untertönen

    (anhaltendes Lachen bei der SPD)

    viel zur Verwirrung der Geister in diesem Lande beigetragen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Fortgesetztes Lachen und Zurufe von der SPD.)

    Der Fall Guillaume, meine Damen und Herren — ich sagte es schon —, war nur der auslösende Faktor, nicht die tiefere Ursache für das Scheitern der 'Regierung Brandt. Dennoch ist es notwendig, einige Worte über den Fall Guillaume zu sagen. Auch der Bundeskanzler hat es getan, wiewohl ich meine, in einer sehr unzulänglichen Weise.
    Fehler sind bei der Einstellung Guillaumes in das Bundeskanzleramt gemacht worden. Die Einstellung wurde vorgenommen, obwohl eine klare Warnung eines der Nachrichtendienste, nämlich des Bundesnachrichtendienstes, vorlag. Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes empfahl, Guillaume an einer anderen Stelle und nicht ausgerechnet im Bundeskanzleramt zu beschäftigen. Auch über die Einwände des Personalrats, der darauf hinwies, daß Guillaume nicht die vorgeschriebene Ausbildung für das von ihm zu bekleidende Amt besaß, setzte sich der damalige verantwortliche Bundesminister Ehmke hinweg. Dies war ein folgenschwerer Fehler.
    Was daran aber besonders hervorgehoben werden muß, ist die Tatsache, daß dieses rücksichtslose Beiseiteschieben sicherheitspolitischer und laufbahnmäßiger Bedenken letzten Endes darauf zurückzuführen war, daß Guillaume das richtige Parteibuch besaß.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Weil er altes SPD-Mitglied war, setzte man sich
    über alle Bedenken hinweg. Das ist leider ein typisches Beispiel sozialdemokratischer Personalpolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich denke, es ist es wert, das an dieser Stelle einmal deutlich zu sagen, in der Hoffnung, daß sich Sozialdemokraten, die in Zukunft für die Einstellung von Bewerbern in den öffentlichen Dienst verantwortlich sein werden, durch diesen Fall warnen lassen.
    Einen weiteren schweren Fehler stellte es dar, daß Guillaume nach einiger Zeit aus dem Sozialreferat in das persönliche Büro des Bundeskanzlers aufstieg. Wer dafür verantwortlich war, entzieht sich meiner Beurteilung.
    Der dritte schwere Fehler bestand darin, daß Guillaume im Büro des Bundeskanzlers weiter beschäftigt wurde, nachdem ein dringender Verdacht gegen ihn aufgetaucht war.

    (Abg. Haase [Kassel] : Das hat ihm der Genscher eingebrockt!)

    Ja, nach diesem Zeitpunkt — das war der 29. Mai 1973 — gewann Guillaume erst wirklichen Einblick in die intimsten und geheimsten Regierungsgeschäfte, und zwar dadurch, daß der damalige Bundeskanzler ihn nach Norwegen mitnahm und er dort Gelegenheit hatte, sämtliche für den Bundeskanzler eingehenden Telegramme zu studieren. Die Verantwortung für diesen Teil des Falles Guillaume hat der damalige Bundeskanzler Brandt selbst auf sich genommen; er wird dafür seine Gründe haben. Dies aber kann uns nicht daran hindern, festzustellen, daß auch den damaligen Innenminister Genscher, der in diesem Fall eine falsche Entscheidung getroffen hat, dafür die Mitverantwortung trifft.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Haase [Kassel] : Dafür ist er befördert worden! Zum Außenminister hat man ihn promoviert!)

    Im Falle Guillaume hat die Regierung Brandt dasselbe praktiziert, was sie bei so vielen anderen früheren Skandalen zu praktizieren pflegte: sie hat der Öffentlichkeit die Informationen bruchstück-



    Dr. Carstens (Fehmarn)

    weise zugeleitet und sie teilweise falsch informiert. Man kann ruhig sagen, daß sie in der Anfangsphase die Öffentlichkeit irregeleitet hat, indem sie den Eindruck erweckte, Guillaume sei im wesentlichen damit beauftragt gewesen, den Terminkalender des Bundeskanzlers zu führen.
    Herr Bundeskanzler Schmidt, auch hier möchte ich mich direkt an Sie wenden. Sie würden Ihrer Regierung, aber auch zugleich unserem Lande und unserem Regierungssystem insgesamt einen guten Dienst erweisen, wenn Sie diejenigen Ihrer Mitarbeiter, die künftig für die Informationspolitik verantwortlich sind, mit der strikten und kategorischen Weisung versehen würden, niemals und unter keinen wie immer gearteten Umständen die Unwahrheit zu sagen oder die Öffentlichkeit irrezuführen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Niemand verlangt von einem Sprecher der Bundesregierung, daß er in jedem Zeitpunkt alles sagt, was er weiß, aber wenn er die volle Wahrheit nicht sagen kann, dann sollte er sagen: Ich sehe mich nicht in der Lage, die an mich gestellte Frage zu beantworten. Das mag für den betreffenden Sprecher und vielleicht auch gelegentlich für die Bundesregierung unbefriedigend sein, aber es ist das einzige Mittel, um dem rapiden Verfall an Ansehen und Glaubwürdigkeit, dem sich die frühere Bundesregierung ausgesetzt hat, endlich Einhalt zu gebieten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die FDP, meine Damen und Herren, hat innerhalb der Regierungskoalition den verständlichen Wunsch, in der besten aller möglichen Welten zu leben. Sie möchte Erfolge der Regierung für sich verbuchen und die Mißerfolge anderen anlasten.

    (Zuruf von der FDP: Na und? — Lachen bei der CDU/CSU.)

    Indessen kann sie so leicht das Problem, um das es hier geht, nicht lösen. Tatsächlich trägt die FDP die volle Mitverantwortung für die Fehlschläge der Regierung Brandt im Bereich der Stabilitätspolitik, im Bereich der Ostpolitik und gegenüber dem Vordringen linksradikaler neomarxistischer Gruppen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Speziell für die Ostpolitik muß sie in der Person ihres früheren Außenministers die volle Mitverantwortung auf sich nehmen. Er hätte mit Hilfe des ihm anvertrauten Apparats des Auswärtigen Amtes manches verhindern können, was wir heute alle — er sicherlich eingerechnet — beklagen.

    (Abg. Wehner: Hört! Hört!)

    Für die unzulängliche Regelung der Frage der Aufnahme von Mitgliedern der DKP und anderer radikaler Parteien in den Staatsdienst trägt der frühere Innenminister und jetzige Außenminister, Herr Genscher, die volle Verantwortung.

    (Zuruf von der SPD: Sie wiederholen sich ja! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    — Ich erwähnte es schon, in der Tat, und ebenso erwähnte ich seine Mitverantwortung im Spionagekomplex Guillaume.

    (Abg. Haase [Kassel] : So ist es!)

    Die FDP legt sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit im Bund und in den Ländern auf eine Zusammenarbeit und ein Zusammengehen mit der SPD fest. Sie kann sich nicht darüber wundern, wenn die CDU/CSU ihr, der FDP, die Verantwortung vorhält, die sie dadurch auf sich nimmt, und die Fehler, die sie in diesem Zusammenhang begeht, auch beim Namen nennt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Gegenüber der neuen Regierung Schmidt/Genscher wird sich die CDU/CSU so verhalten, wie es ihrem eigenen Verständnis von der Rolle der Opposition im deutschen Parlament entspricht. Sie wird sich dabei ausschließlich von den Interessen unseres Landes leiten lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie wird die Arbeit der Regierung kritisch beobachten. Sie wird — wie bisher — bereit sein, Maßnahmen der Regierung zu unterstützen, die im Interesse unseres Landes notwendig sind. Sie wird aber auch schonungslos die Aufmerksamkeit der deutschen Bürger auf Schwächen und Fehler lenken, wenn die Regierung solche Schwächen zeigt und solche Fehler macht. Die Regierungserklärung, der erwartungsvoll entgegengenommene Auftakt, gibt nicht das beruhigende Gefühl, daß das Staatsschiff der Bundesrepublik Deutschland unter der neuen Führung den Klippen, an denen es bisher Schaden genommen hat, in Zukunft besser entgehen wird. Eine Wende in der Politik ist nicht erkennbar. Im Gegenteil, die neue Regierung bleibt weitgehend in den Vorstellungen ihrer Vorgängerin befangen.
    Wie bisher gilt, daß die CDU/CSU die einzige Alternative zur Regierungspolitik,

    (Lachen bei der SPD)

    zur Regierungkoalition, zum Bündnis der SPD mit der FDP bildet.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Viele Wähler in unserem Lande haben dies erkannt und haben daraus die Konsequenz gezogen, der CDU/CSU bei Wahlen ihre Stimme zu geben.
    Die bisherige Bundesregierung und die Koalition haben unser Land in eine Krise geführt. Tiefe Verunsicherung in unserer Bevölkerung ist die Folge. Wir werden darauf drängen, daß die deutsche Politik wieder zu Nüchternheit, zu Augenmaß, zu Solidität und Stabilität zurückkehrt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dabei werden wir unseren kritischen Beitrag leisten. Die CDU/CSU wird den neuen Bundeskanzler und seine Regierung nicht an ihren Worten, sondern an ihren Taten messen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)






Rede von Dr. Hermann Schmitt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Herbert Wehner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein geehrter Herr Vorredner, der Kollege Carstens, hat gegen Schluß seiner Rede erklärt, daß gegenüber der neuen Regierung Schmidt/ Genscher die CDU/CSU sich so verhalten werde, wie es ihrem eigenen Verständnis von der Rolle der Opposition im deutschen Parlament entspreche. Sie werde sich dabei ausschließlich von den Interessen unseres Landes leiten lassen, sie werde die Arbeit der Regierung kritisch beobachten, und sie werde — abgeschwächt: wie bisher — bereit sein, Maßnahmen der Regierung zu unterstützen, die im Interesse unseres Landes notwendig sind. Sie werde aber auch schonungslos — wie bisher — die Aufmerksamkeit der deutschen Bürger auf Schwächen und Fehler lenken.
    Das ist das gute Recht der Opposition, und die Debatte über die Regierungserklärung ist natürlich auch, allerdings nicht nur, die Stunde der Opposition.
    Herr Carstens hat erklärt, eine Wende in der Politik sei nicht erkennbar; im Gegenteil, die neue Regierung bleibe weitgehend in den Vorstellungen ihrer Vorgängerin befangen. Ich danke Ihnen, Herr Carstens, für dieses Kompliment für Kontinuität und Konzentration.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Reddemann: Der Kurs wird bestätigt!)

    Ich muß allerdings ein wenig Ihren Slalomlauf nachziehen,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    den Sie gemacht haben durch die Fähnchen mit Behauptungen und durch Negativtafeln. Dieser Spur wird sicher in dieser Debatte unsere Aufmerksamkeit gelten, es sei denn, einer Ihrer nachfolgenden Redner werde diese Spur so gut wie verlöschen. Aber das werden wir ja sehen.

    (Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

    Sie haben von einem grundlegenden Widerspruch gesprochen, weil die Regierungserklärung vom Jahre 1973 übernommen wurde und in Geltung befindlich ist und angeblich Teile ausdrücklich aufgegeben würden. Ich nehme an, daß Sie das so gesagt haben, weil Sie natürlich einen Einstieg brauchten; denn wenn Sie dann sagten, der Widerspruch werde verschärft durch Aussagen über Stabilität, so kommen Sie ja genau an das Thema, das Sie während dieser ganzen Jahre sozusagen wund geritten haben. Zur wirtschaftlichen Lage ist von Ihnen nichts Neues gesagt worden. In der Regierungserklärung ist das, was Sie gesagt haben, widerlegt, und meine Kollegen werden sich dazu noch eingehender äußern.
    Sie haben einige Feststellungen getroffen zu den Forderungen der Opposition nach gleichzeitigen Steuersenkungen und Haushaltsmehrausgaben. Wissen Sie, wie ich Ihre Haltung sehe? Sie ist eine klassische Art von Opposition: durch Anträge und Programme Milliardenforderungen stellen, zugleich Haushaltsmittel ablehnen und drittens von inflatorischen Bundeshaushalten sprechen. Das ist doch
    ungefähr die Drei-Säulen-Theorie, auf der das fußt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich mache Ihnen das nicht zum Vorwurf; Ihre Haushaltsexperten werden sich sowohl in der Debatte über die Regierungserklärung — das wird schon mit Herrn Strauß anfangen — als auch in der Debatte über den Haushaltsplan 1974 sicher dieser Sache näher annehmen.
    Das ist so, wenn Sie anbieten: Sobald die Bundesregierung ein ernsthaftes, konkretes Programm zur Wiedergewinnung von Stabilität in der Haushalts-, Finanz- und Steuerpolitik vorlege, dann werde die CDU/CSU auch ihrerseits 'bereit sein, im Rahmen ihrer eigenen Zielvorstellungen mitzuwirken. Bitte sehr, beim Haushaltsplan 1974 — und dann in Bälde 1975 — wird Gelegenheit sein, darüber in der Sache — und auch hart; aber jedenfalls zur Sache — zu sprechen, meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen von der Opposition.
    Nun haben Sie, Herr Kollege Carstens, ein Kapitel mit dem wehmütigen Titel versehen: Abschied von der Reformpolitik. Ei, ei, wie Sie das doch beherrschen!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wissen Sie, da kommt gleich die Sache mit dem 312-Mark-Gesetz. Ich habe gemerkt, hinter meinem Rücken waren meine Kolleginnen und Kollegen schon ganz unruhig, was das wohl heißen sollte. Aber ich habe gemerkt, als Sie redeten: Der Pfiff beim 312- und 624-Mark-Gesetz ist Ihnen nicht bekannt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber Sie haben sicher Kollegen in Ihrer Fraktion, die werden Sie darin eines Besseren belehren.
    Denn Sie sind damit hausieren gegangen

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    — ich bitte um Entschuldigung, Sie sind ein vornehmer Vertreter dieser Art — und haben gesagt, wir hätten einfach die Summe verdoppelt. Glauben Sie, daß deswegen z. B. im letzten Jahr nach der Statistik sich zirka 17 Millionen Arbeitnehmer dieses 624-Mark-Gesetz zunutze gemacht hätten?

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Glauben Sie das? Das können Sie doch im Ernst nicht glauben. Nein, Herr Carstens, Ihnen ist hier ein Fehler passiert: Sie haben übersehen, daß bei dem 312-Mark-Gesetz ernsthafte Mängel bestanden, daß diese Mängel diejenigen, die von ihm Gebrauch machen wollten, in Nachteil brachten bei ihrer Sozialversicherung. Das ist es. Darüber werden Sie sich genau, auch bei Ihren Kollegen, orientieren können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das 624-Mark-Gesetz ist eben nicht nur einfach das Doppelte, sondern es ist zugleich frei von den Mängeln des 312-Mark-Gesetzes. Sehen Sie, wenn ich mich darüber so verbreitere, dann kann ich damit das, was Sie sachkundig über Reformen sagten, von



    Wehner
    denen man Abschied genommen habe, verlassen. Wir kommen auf diese Dinge noch zurück.
    Was Sie dort z. B. über Vermögensbildung sagen, dazu, ganz privat beinahe, folgendes. Auf dem Hannoverschen Parteitag meiner eigenen Partei, der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, habe ich nach heftigen Diskussionen über das, was dort dann mit großer Mehrheit als ein Konzept für die Anteilnahme der Arbeitnehmer am Zuwachs des Produktivvermögens angenommen worden ist, gesagt: „Kinder, glaubt nicht, daß in absehbarer Zeit eine einzige Partei außer der unseren sich dieses Konzept voll zu eigen machen kann. Das wird wohl eine ganze Weile dauern." Wir sind damit nicht aufgelaufen. Aber Sie werden es ja sehen. Sie hätten es auch noch im Gedächtnis haben können. Sie haben inzwischen auch die Regierungserklärung des Bundeskanzlers gehört. Da steht doch ganz genau, was und aus welchen Gründen es unter solch großen Mühen gemacht wird. Wenn Sie einige Ihrer Steuerfachleute aus der Fraktion fragen und wenn wir hier unsere entsprechenden Fachleute in der Debatte hören werden, dann werden Sie sehen: wenn da an die 50 Gesetze geändert werden müssen — ich greife diese Zahl nicht; sie ist von jemandem, der etwas davon versteht, genannt worden —, so heißt das eben eine etwas längere, aber deswegen doch keineswegs aufgegebene Arbeit. Da bleiben wir dran. Dafür ist uns das gesellschaftspolitisch viel zu wichtig.
    Nun haben Sie aber, nachdem Sie die Reform so
    behandelt haben, sehr breit und auf Niedersachsen
    gezielt die Sache mit der Berufsausbildung vorgebracht. Ich bin sehr froh, daß Sie hier ein wenig knirschen, weil jene Finte nicht gezogen hat, als ob wir sozusagen Berufsausbildung verstaatlichen wollten.

    (Abg. Stücklen: Das wollten Sie doch!)

    —Aber nein, Sie kennen die Sache doch noch aus der Zeit der Großen Koalition. Da haben Sie plötzlich, wie Ziethen aus dem Busch — entschuldigen Sie den Vergleich mit dem preußischen Husarengeneral —,

    (Heiterkeit bei der SPD)

    das Ultimatum mit den Kammern gestellt. Das wissen Sie doch noch. Wir haben damals nicht anders gekonnt, um überhaupt ein Berufsbildungsgesetz jener Möglichkeiten zu machen, als hier in einen sauren Apfel zu beißen. Wir werden uns einander hier schon näherkommen.
    Ich wende mich dem geistigen Kapitel des Herrn Kollegen Carstens zu. Ich hatte darüber vorher schon beim Generalsekretär gelesen. Wahrscheinlich war es auch die Meinung, daß es eine ernste Sache mit uns ist. Das zielt natürlich auf Niedersachsen, was Sie da über geistig-politische Auseinandersetzung mit der neomarxistischen Linken gesagt haben.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Da merkt man bei Ihnen das Heimweh nach den fünfziger Jahren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Heimweh bei Ihnen!)

    Herr Kollege Carstens, was Sie sagen über öffentlichen Dienst, über DKP und über Extremisten: Lassen Sie doch erstmal das, was der Innenminister als Kabinettsbeschluß eingebracht hat, durchberaten werden. Hier reden Sie plötzlich in einen erst in der Entwicklung befindlichen Pfannkuchen hinein, so daß der gar nicht wirklich wachsen kann. Hier ist sogar von der Bundesratsseite nicht abgelehnt worden, daß man nach einer Lösung suche. Brauchen Sie das jetzt so dringend, daß man, ehe man mit der Sache weiterkommt, sie schon sozusagen einseitig glaubt verwerfen zu können? Aber, verehrter Herr Kollege und meine Damen und Herren von der Opposition, immer geht es in diesen Fragen, auch dort, wo es sich um ganz schwerwiegende Dinge handelt, darum, daß jeder Fall für jede Person rechtsstaatlich einwandfrei geklärt werden muß.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.) Das ist alles, meine Damen und Herren.

    Und nun, Herr Carstens, weil Sie so im Neomarxismus und im Marxismus herumpaddelten: Ich habe mir das Jahrbuch der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands für die Jahre 1950/51 geben lassen. In diesem Jahrbuch ist als Vorwort ein Text für den Parteitag 1952 enthalten, dem ersten Parteitag, den wir ohne Kurt Schumacher zu führen hatten; denn er war im August gestorben. Ich weiß ganz genau: Das gehörte mit zu dem, was ihm am Schluß — wenn man es einmal so sagen darf — das Herz hat brechen lassen. Schumacher schrieb in der einen seiner beiden letzten Niederschriften:
    Die schwerste Versündigung am deutschen Volk ist nicht von der alliierten Seite selbst, sondern von den Parteien der heutigen Regierung erfolgt, als sie die Formel aufstellten, Christentum oder Marxismus, nach der das eine das andere ausschließen soll. Das ist die Zerreißung auch des Volkes der Bundesrepublik in zwei Teile. Es ist unmöglich, daß der eine Teil bestimmt, wer Christ und was unter Marxismus zu verstehen ist. Vor 1949, als die Sozialdemokratie praktisch allein den Abwehrkampf gegen die politische Überflutung Deutschlands durch den Kommunismus führte, war die Handhabung des Begriffs Marxismus eine andere als heute. Heute versucht man, die Sozialdemokratie als Vorfrucht des Kommunismus zu verdächtigen.
    Es heißt weiter bei Schumacher:
    Die Grundlage des Antimarxismus ist völlige Unwissenheit und Unkenntnis der Materie. Die sogenannten Antimarxisten von heute übernehmen die Propagandaformeln, mit denen die Hitlerdiktatur zur Macht gekommen ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Sie haben ihnen geistig nichts Neues hinzugefügt. Sie appellieren dementsprechend auch an die alten Instinkte der 12 Jahre und erhoffen sich hieraus, eine Antipathie gegen die Sozialdemokratie neu zu erwecken.



    Wehner
    Dann schrieb Schumacher:
    Der Marxismus ist eine Methode der soziologischen und politischen Erkenntnis und kein Gebäude von dogmatischen Lehrsätzen.
    Das ist seine Auslegung.
    Jetzt herrscht die Methode, alles als kommunistisch hinstellen zu wollen, was die Sozialdemokratie an selbständiger und entschiedener Vertretung der Interessen des arbeitenden Volkes zeigt. Das ist dieselbe Methode, mit der Hitler und Goebbels jeden Versuch, sich gegen ihre Diktatur aufzubäumen, als Kommunismus abzutun versuchten. Damit haben sie dem Kommunismus
    — so sagte Schumacher —
    im Bewußtsein der Massen eine Bedeutung gegeben, die ihm seiner tatsächlichen Stärke nach gar nicht zukam. Damit haben sie erreicht, daß nach der Zertrümmerung der Hitlerdiktatur der Kommunismus als ein Faktor galt, den auch die Alliierten nicht übergangen haben.
    Meine Damen und Herren, Herr Carstens, wenn Sie sich diese bitteren, aber nicht nur bitteren Worte und Sätze Kurt Schumachers einmal ansehen, werden Sie doch manches von Ihrer Fanfare über das Fehlen einer geistigen Auseinandersetzung, einer geistig-politischen Auseinandersetzung mit der neomarxistischen Linken finden.

    (Abg. Reddemann: Was hat denn Kurt Schumacher mit der Regierungserklärung Helmut Schmidts zu tun?)

    — Was hat denn der Neomarxismus mit der Erklärung Helmut Schmidts zu tun, kluger Herr Reddemann?

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Reddemann.)

    Nun zur Ostpolitik, wie Sie sie bezeichnen. Ich fand es schade, daß es zu nicht mehr gereicht hat, als die alte Legende von den sogenannten Bahr-Papieren hier noch einmal aufzublättern.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Herr Kollege Carstens, können Sie sich denn nicht erinnern — wenn Sie damals auch nicht Fraktionsvorsitzender waren; Sie waren damals aber doch schon einige Wochen im Bundestag —, daß wir hier in der Debatte über die Regierungserklärung vom Januar 1973 diese Dinge und die zum Teil unverschämten Unterstellungen gegen Egon Bahr ausgekämpft haben?

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Widerspruch bei der CDU/CSU.)

    Das können Sie doch in den Protokollen nachlesen. Natürlich kann man das nicht in „Quick" nachlesen; in „Quick" können Sie sich erquicken. In den Protokollen, die Sie genauso haben wie ich, können Sie das nachlesen.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Im übrigen, Herr Kollege Carstens, apropos Planungsstabarbeiten: Sie haben in Ihrem Buch dazu geschrieben — ich habe das ganze Buch sehr aufmerksam gelesen, nicht nur deswegen, sondern schon vorher —:
    Planungsstäbe müssen unabhängig sein, jedenfalls in dem Sinne, daß niemand ihnen das Ergebnis ihrer Untersuchungen vorschreiben darf. Das bedeutet, daß der Planungsstab unter Umständen Projekte vorlegt, die den jeweils vorherrschenden Intentionen der Regierung in keiner Weise entsprechen.
    Aber, wie gesagt, das sind Anklänge an das, was wir schon einmal und ein wiederholtes Mal ausgekämpft haben.
    Und im übrigen: Ich kann mich noch entsinnen, wie ich von dieser Stelle aus in den fünfziger Jahren über gewisse Planungsstab- und dann bald schon mehr gewordene Arbeiten im Hinblick auf die Wiedervereinigungsmöglichkeiten geredet habe. Das können Sie in den damaligen Protokollen nachlesen. Wissen Sie, damals gab es nicht nur Planungsstabarbeiten, sondern damals gab es sozusagen auch Vorbereitungen für den Fall, daß die Sowjetunion der Wiedervereinigung durch freie Wahlen zustimmen sollte, damit das nicht sofort dazu führen könne, daß sie bei dieser Gelegenheit usw. usw. Das sind Dinge aus den fünfziger Jahren. Ich merke, Sie haben überhaupt eine Sehnsucht nach den fünfziger Jahren. Soll das noch einmal nachgeschlagen werden? Dabei werden Sie keine sehr glückliche Figur machen, meine Damen und Herren. Ich meine nicht Herrn Carstens selbst; der kennt das von der anderen Seite.
    Ich war sehr froh, daß Sie, Herr Carstens, den Versuch gemacht haben, einiges sozusagen konkret Positive zu sagen, welches — wie Sie es ausdrückten — die Position der CDU/CSU in der Frage der Ostpolitik und der Deutschlandpolitik ist. Sie betonen: Wir bejahen Entspannung, wir sind für Gewaltverzicht, aber wir fordern ausgewogene Verträge, in denen Leistungen und Gegenleistungen in einem vernünftigen Verhältnis einander gegenüberstehen,

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    wir fordern, daß Berlin in diese Politik voll mit einbezogen wird, daß nicht Entspannungspolitik auf Kosten der Interessen Berlins betrieben wird, und wir fordern -- was übrigens eine ziemliche Unterstellung ist; aber ich nehme an, Sie wollen uns das nicht unterstellen, sondern Sie sagen: das muß in jedem Falle so sein; da wären wir wieder sehr nahe beieinander —, daß die menschlichen Erleichterungen, die das Ziel dieser Politik sind, genügend abgesichert werden, usw. usw. Ich sage: Das sind Sätze, über die ernsthaft zu sprechen lohnen sollte, und es ist nicht zu schlecht, daß das auch in Ihrer Erklärung zur Regierungserklärung gefunden werden kann.
    Sehr mager, finde ich, war das, Herr Kollege Carstens, was Sie über Westeuropa und die Vereinigten Staaten von Amerika gesagt haben. Liegt das an dem, was in der Regierungserklärung des Kabinetts Schmidt/Genscher so präzis an Definitionen über die Kontinuität der Positionen der Politik



    Wehner
    der Bundesrepublik Deutschland seit Jahren steht? Mag sein. Sie haben selbst gesagt, in diesen Teilen der Regierungserklärung sei eine Reihe wichtiger Gedanken enthalten, denen Sie zustimmten. Sie haben allerdings wieder gesagt und das fand ich nirgendwo begründet, nirgendwo belegt, auch nirgendwo durch eine Alternative deutlicher gemacht —, daß Sie keinerlei Initiativen, keine Andeutungen von möglichen Initiativen zur Wiederingangsetzung des europäischen Einigungsprozesses darin gefunden hätten. Und Sie sagen, dieser Teil der Regierungserklärung atme weitgehend Resignation. Ich finde genau das Gegenteil: Dieser Teil ist ein mutiger Teil, ist ein tapferer Teil, ist ein Teil, der die Europäische Gemeinschaft nicht dem Verfall ausgesetzt lassen will,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    ein Teil, der auch angesichts der Schwierigkeiten Geltung hat, mit denen es diese Gemeinschaft zu tun hat — nicht nur in wirtschaftlicher Beziehung — und die doch weiß Gott nicht unserer Regierung Brandt/Scheel angelastet werden dürfen, die 1969 bei jener Konferenz in Den Haag endlich der europäischen Vereinigungs- und Zusammenarbeitspolitik eine weitere Dimension gegeben hat — das wäre doch sonst gar nicht denkbar gewesen; bis dahin hing das doch an einer Stelle oder war auf dem toten Gleis — und die 1972 in Paris das Fahrzeug erneut nach vorne gelenkt hat. Nein, nein, hier bin ich ganz anderer Meinung.
    In einem Punkt bewundere ich Sie, Herr Carstens. Sie hatten unlängst einmal Gelegenheit genommen
    — entweder selbst oder so, daß man merkte: das ist von Ihnen autorisiert —, sagen zu lassen, die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich sollten bei jenen Wiener Konferenzgesprächen, wo es um die Truppenbegrenzung, Rüstungsverminderung und Rüstungsbegrenzung geht und wo sich Frankreich ja expressis verbis nicht beteiligt, zusammenarbeiten. Jetzt kommt von Ihnen wieder: Das könnte vor allem eine engere Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland werden. Ich hoffe sehr, daß es, nachdem in Frankreich wieder innenpolitische Voraussetzungen vorhanden sein werden, nachdem die Präsidentenwahl dort durchgegangen ist, — —

    (Abg. Stücklen: Gut gelaufen ist!)

    — Ja nun, sicher: Jede Wahl, wenn sie in Ordnung vor sich geht, ist gut gelaufen.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ich muß hier nicht Glück wünschen; das hat meine Regierung und hat der Regierungschef schon getan.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich finde es gut, daß auch die Opposition dies tut. Es wird so einfach nicht sein. Das ist doch nicht einfach mit Namen zu machen; das wissen einige von denen, die in den europäischen Dingen stecken, ganz genau. Das kann man also nicht mit Namen allein markieren.
    Ich habe Hoffnungen, daß wir im Gespräch — ich beneide die nicht, die die Gespräche von unserer Seite aus zu führen haben — allmählich ein paar
    Zoll weiterkommen und daß einiges von dem gelockert wird, was dort, gleichgültig, unter welchem der beiden letzten Präsidenten, eben doch ziemlich steif geworden war, bei allem Respekt vor der bedeutenden Persönlichkeit jedes der beiden Vorgänger.
    Meine Damen und Herren, Sie haben mich für das Ende der Regierung Brandt — Sie haben sich ziemlich ausführlich gerüstet und sich hier geäußert — zum Prügelknaben gemacht. Schönen Dank! Das zielt auf das, was Ihnen jemand gesagt hat, dieser Regierung fehle ein Kopf.

    (Abg. Seiters: Der „Spiegel" !)

    — Ja, Sie sind Geschäftsführer; Sie müßten das doch besser wissen. Sie dürfen doch Ihrem Chef nicht etwas Falsches, längst Dementiertes wieder ins Ohr sagen. Der läuft damit auf. Er ist heute damit auch aufgelaufen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ja, meine Herren. Herr Carstens, Sie haben zu Bremen ein besonderes Verhältnis. Am 17. März dieses Jahres habe ich auf dem Landesparteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Bremen diese Dinge an Hand meines Briefwechsels mit dem „Spiegel" — hin und zurück — und mit der „Zeit" — hin und zurück — klargelegt.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU.)

    — Wenn Sie so außer Kurs sein sollten, daß Sie das, was ich am 17. März gesagt habe, weil es die Zeitungen, die ich hier nannte, selbst nicht für genehm hielten, das, was ich ihnen widerlegt hatte — —

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Da lachen Sie. Sie brauchen ja auch etwas. Sehen Sie, in diesen Dingen leben Sie ja voneinander.

    (Abg. Haase [Kassel]: Märchenstunde! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    So muß ich hier — ich kann nicht anders —, weil Ihnen das Spaß zu machen scheint, meinen Brief vom 9. Oktober 1973 an Herr Schreiber vom „Spiegel", der die Reise mitgemacht hatte, verlesen:
    Entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie nochmals wegen zurückliegender Ereignisse im „Spiegel"-Bild behellige. Es liegt mir fern, Sie belehren zu wollen. Ich rede Ihnen auch nicht hinein in das, was Sie von mir denken und schreiben. Doch die auf Seite 27 des „Spiegel" vom 8. Oktober 1973 mir in den Mund gelegte Stelle: „ .. und, was der Regierung fehlt, ist ein Kopf"

    (Abg. Dr. Jenniger: Welche?)

    ist in Verbindung mit dem, was vorher gedruckt steht, schlichtweg falsch.
    Und dann habe ich das erklärt.

    (Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Haase [Kassel] : Sie hatten doch recht, Herr Wehner! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ja, da lachen Sie. Wissen Sie, der Brief kommt trotz Ihres Gelächters in das Protokoll, und andere

    Wehner
    werden ihn nachlesen und werden sich wundern, wieso Sie so gelacht haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rawe: Herr Wehner, wir freuen uns ja nur darüber, daß Sie das damals schon richtig gesehen haben!)

    Vielleicht
    — so heißt es weiter —
    erinnern Sie sich, daß ich im Zusammenhang mit den Schwierigkeiten, die in den Erwartungen der Vertragspartner UdSSR, Volksrepublik Polen, Rumänien und des hoffenlich baldigen Vertragspartners CSSR liegen, insofern wir nämlich unmöglich alle Erwartungen erfüllen können und doch genötigt sind, auch in der Frage der Wirtschaftsbeziehungen etwas zu tun, was dem Aufeinander-Zugehen dient, gesagt habe: Es fehlt ein Kopf, der durch und durch wirtschaftlich denken und disponieren kann, außerdem aber die politischen Impulse begreift und schließlich nicht den Ehrgeiz haben darf, sich selbst zu „profilieren" oder in den Vordergrund zu schieben. Ein solcher Kopf, der unserer Regierung fehlt, müßte koordinieren können, ohne ein Amt dazu aufbauen zu wollen. Er müßte jeweils das Kettenglied herausfinden, das dem jeweiligen Partner hilft, auch wenn wir nicht „alles" erfüllen können, was sich eigentlich jeder von unseren Partnern wünschte.
    Das war es, was ich in meinem Schreiben gesagt habe:
    Weder der Bundeskanzler noch der Außenminister werden von mir als kopflos gesehen oder bewertet.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Übrigens habe ich Grund anzunehmen, daß dem Bundeskanzler dieser Gedanke, den ich ihm gegenüber schon in einigen Zusammenhängen ausgesprochen hatte (z. B. nach einem Koschnick-Bericht über Polen-Eindrücke), nicht fremd ist.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich gebe allerdings zu, daß der Stümmelsatz, den ich eingangs zitiert habe, besser ins damalige „Spiegel"-Bild paßt als meine „skurrile" Erklärung, die ich Ihnen hiermit in Erinnerung rufen möchte.
    Daraufhin hat der Herr Schreiber vom Spiegel geantwortet:
    Vielen Dank für Ihren Brief vom 9. Oktober, der mich kurz vor der Abreise nach Israel erreicht hat. Ich habe die insgesamt neun Schreibmaschinenseiten mit Zitaten und Reiseeindrükken, die ich den Autoren der von Ihnen erwähnten Titelgeschichte an Hand gegeben hatte, noch einmal durchgelesen. Das von Ihnen beanstandete Zitat steht nicht drin. Ich erinnere mich aber ganz gut an Ihre jetzt brieflich wiederholte Definition des koordinierenden Kopfes, der unserer Regierung fehlt,

    (Zurufe von der CDU/CSU) und erinnere mich auch, daß ich diesen Punkt in meinem ohnehin zu umfangreichen Informationsbericht für die Verfasser der Titelgeschichte gar nicht aufgenommen habe, nicht weil ich Ihre Erklärung „skurril" fand, sondern weil es zu viel Platz gekostet hätte, sie komplett und exakt wiederzugeben.

    So der „Spiegel".

    (Lachen bei der CDU/CSU.) Das soll nicht heißen,

    — schließt Herr Schreiber —
    daß ich mich vor der kollektiven Verantwortung für die von Ihnen monierte Titelgeschichte drücken will.

    (Zuruf des Abg. Reddemann.)

    Ich war daran beteiligt, und ich bin der einzig Beteiligte, der in der Sowjetunion mit dabei war. Auch habe ich den „Stümmelsatz" im Manuskript gelesen und meinerseits nicht moniert,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    da er mir durchaus ins Bild, nicht bloß ins „Spiegel"-Bild zu passen schien. Wenn das eine Fehleinschätzung war, bitte ich um Entschuldigung.

    (Zuruf von der CDU/CSU.)

    — Mein sehr verehrter Herr Carstens, wenn Sie also nach etwas suchen,

    (Abg. Reddemann: Das hätten Sie im „Vorwärts" veröffentlichen sollen!)

    dann müssen Sie etwas anderes als dieses suchen. Dasselbe könnte ich jetzt weiter mit dem Brief erläutern, den mir der Chefredakteur der „Zeit" geschrieben hat, aber das lohnt nicht. Ich will Ihnen helfen — —

    (Zuruf des Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] sowie weitere Zurufe von der CDU/CSU: Ahlers!)

    — Nein, das lohnt nicht.

    (Weitere Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Breidbach meldet sich zu einer Zwischenfrage.)