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ID0710104200

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    Deutscher Bundestag 101. Sitzung Bonn, Montag, den 20. Mai 1974 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Götz 6625 A Bestellung des Abg. Dr. Häfele zum Vertreter des Abg. Windelen im Vermittlungsausschuß an Stelle des ausscheidenden Abg. Dr. Heck . . . . . . . . . 6625 A Überweisung von Vorlagen an Ausschüsse 6625 B Amtliche Mitteilungen 6625 C Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Carstens (Fehmarn) (CDU/CSU) 6627 A Wehner (SPD) 6637 A Mischnick (FDP) 6647 A Schmidt, Bundeskanzler . . . . 6655 C Dr. Barzel (CDU/CSU) . . . . . 6658 C Friedrich (SPD) 6666 A Dr. Graf Lambsdorff (FDP) . . . 6669 D Dr. Althammer (CDU/CSU) (Bemerkung nach § 35 GO) . . 6679 C Nächste Sitzung 6679 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 6681* A Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Montag, den 20. Mai 1974 6625 101. Sitzung Bonn, den 20. Mai 1974 Stenographischer Bericht Beginn: 15.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Abelein 20. 5. Dr. Aigner * 22. 5. Dr. Artzinger * 22. 5. Batz 22. 5. Dr. Becher (Pullach) 22. 5. Blumenfeld 21. 5. Brandt 6. 6. Damm 20. 5. Erhard (Bad Schwalbach) 20. 5. Dr. Evers 20. 5. Ferrang 22. 5. Flämig * 21.5. Dr. Freiwald 22. 5. Gerlach (Emsland) * 21. 5. Gewandt 19. 6. Dr. Gölter *** 22. 5. Dr. Götz 20. 5. Dr. Gradl 10. 6. Groß 20. 5. Dr. Haenschke 31. 5. Handlos 22. 5. Jäger (Wangen) 1. 6. Dr. Jahn (Braunschweig) * 22. 5. Kahn-Ackermann *** 21. 5. Kiep 20. 5. Dr. Klepsch *** 22. 5. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments *** Für die Teilnahme an Sitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Lampersbach 25. 5. Lange * 21.5. Lautenschlager 20. 5. Lemmrich *** 22. 5. Lenders 20. 5. Lenzer *** 22. 5. Dr. Lohmar 22. 6. Lücker * 26. 5. Memmel * 22. 5. Dr. Mende *** 21.5. Müller (Mülheim) * 21. 5. Dr. Müller (München) *** 21. 5. Mursch (Soltau-Harburg) * 22. 5. Frau Dr. Orth * 21. 5. Pawelczyk *** 22. 5. Pohlmann 20. 5. Richter *** 22. 5. Dr. Riedl (München) 20. 5. Schlaga *** 22. 5. Schmidt (Kempten) *** 22. 5. Frau Schroeder (Detmold) 20. 5. Schröder (Wilhelminenhof) 20. 5. Dr. Schwencke *** 22. 5. Seefeld * 21. 5. Dr. Slotta 21. 5. Dr. Freiher Spies von Büllesheim 24. 5. Springorum * 21. 5. Dr. Starke (Franken) 23. 5. Vogel (Ennepetal) 22. 5. Dr. Vohrer *** 21. 5. Walkhoff * 22. 5. Frau Dr. Walz * 22. 5. Frau Dr. Wex 20. 5. Wurbs 20. 5. Zeyer 8. 6.
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    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr



    Dr. Graf Lambsdorff
    Kollege Barzel, ich möchte die Vergangenheitsbewältigung, so interessant insbesondere Ihr Ausblick auf die beiden Matadoren der Fraktionen der Großen Koalition für jemanden ist, der zu dieser Zeit noch nicht hier im Hause an den Debatten teilgenommen hat, nicht fortsetzen. Wir müßten sonst als Reaktion auf Ihre Antwort den verehrten Professor Ludwig Erhard um seine Darstellung bitten. Aber ich meine, wir sollten das nicht tun, wir sollten es bei der Autogrammbitte belassen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Herr Kollege Barzel, ich darf hier zwei Korrekturen anbringen, um richtigzustellen: Der Bundeskanzler hat nicht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, sondern die Initiative des Freistaates Bayern als schädlich bezeichnet — dies ist, glaube ich, ein wesentlicher Unterschied —,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    und zum zweiten: er hat in der von Ihnen zitierten Denkschrift nicht den Zusammenbruch der parlamentarischen Institutionen in diesem Lande befürchtet, sondern er hat als Beispiel ausdrücklich Italien erwähnt. Auch dies, scheint mir, ist ein wesentlicher Unterschied. Wir können nachher die Denkschrift miteinander vergleichen. Ich habe das Original in meiner Aktentasche.

    (Abg. Dr. Barzel: Ich auch!)

    Nun ein weiteres: Ich darf Ihnen, Her Kollege Barzel, für den Beitrag, den Sie heute geboten haben, mein Kompliment machen. Ich glaube, dies war aus den Reihen der Opposition der Beitrag, der am ehesten zum Nachdenken angeregt hat. Wenn Sie mir erlauben, es in der Sprache der Wettbewerbspolitik, mit der ich mich ja gelegentlich beschäftige, zu sagen: Es scheint mir, daß in einem System, das auf Wettbewerb ausgerichtet ist, Marktbeherrschung eben kein Dauerzustand ist.

    (Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

    Wer Marktanteile verloren hat, kann sie wiedergewinnen, selbst wenn für sein Gesamtprodukt nur ein schrumpfender Markt vorhanden ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Heiterkeit.)

    Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat mit vollem Recht gesagt, daß wir nicht nur in der Vergangenheit herumkramen sollten, sondern uns die Mühe machen sollten, an Hand der Regierungserklärung auf das einzugehen, was vor uns liegt und was an Aufgaben vor uns steht, die wir zu bewältigen haben.
    Ich darf für meine Fraktion sagen, daß wir dem wirtschaftspolitischen Teil der Regierungserklärung uneingeschränkt zustimmen. Vor allem gilt das für das Bekenntnis zur Marktwirtschaft, das Bekenntnis zum Wettbewerb, die Absage an jedwede Form von Protektionismus.
    Ich mache hier halt in einer Aufzählung, die ich noch fortsetzen möchte, weil wir gerade im Hinblick auf protektionistische Regungen und Abwehrmaßnahmen anderer Länder — leider auch Länder im
    Gemeinsamen Markt — befürchten müssen, daß sich eine solche Entwicklung fortsetzt, und weil wir dringlich die Warnung aussprechen möchten, daß die Bundesrepublik nicht etwa in den Fehler verfallen möge, mit gleichen Maßnahmen auf derartige Fehlentwicklungen zu antworten. Wir sind angesichts unseres hohen Exportanteils diejenigen, die sich das am allerwenigsten leisten können. Wenn ich mir die Struktur unserer Zahlungs- und Handelsbilanz, die Entwicklung unseres Exportüberschusses, in den letzten Monaten ansehe, so muß die Frage gestellt werden, auch wenn sie dem einen oder anderen höchst lästig ist, ob wir die Importrestriktionen, die Kontingente, die Selbstbeschränkungsmaßnahmen, die wir in verschiedenen Branchen in der Bundesrepublik noch haben, wirklich ungeprüft aufrechterhalten können.
    Wir begrüßen die Zusage zur konstruktiven Mitarbeit in der Europäischen Gemeinschaft. Wir müssen die Zollunion funktionsfähig erhalten; denn wenn auch die noch leiden sollte, dann wäre für Europa nicht mehr viel Hoffnung. Wir begrüßen die Zusage für die Mitarbeit im GATT, im internationalen Währungssystem und auch in der europäischen Restschlange.
    Ich will nicht unnütz wiederholen, was in der Regierungserklärung gesagt worden ist und was unsere Zustimmung findet. Aber ich will doch noch einmal sagen, daß wir bei der Bekundung stabilitätspolitischer Entschlossenheit auf der Seite des Bundeskanzlers stehen. Die zwangsläufige Abmagerungskur, die gegenüber der Regierungserklärung vom vorigen Jahr deutlich geworden ist, ist in manchen Bereichen schmerzlich; sie ist aber richtig, und sie ist verantwortungsbewußt. Denn eines kann nicht oft genug wiederholt werden: Zügellose und ungehemmte Inflation zerstört die soziale Marktwirtschaft, sie zerstört damit nach Auffassung sicherlich nicht nur der Liberalen in diesem Hause unsere Gesellschaftsordnung und mit ihr die Grundlage unseres freiheitlichen Zusammenlebens in diesem Lande.
    Mit der Bundesregierung vertrauen die Liberalen auf die Kraft des Wettbewerbs, auf seine ordnende Funktion. Deshalb bekräftige ich, was ich an dieser Stelle schon zur Regierungserklärung der zweiten Bundesregierung Brandt/Scheel gesagt habe: Der Staat hat die Rahmenbedingungen des Wettbewerbsrechts zu setzen.
    Mit der Kartellnovelle hat die vorige Regierung der marktwirtschaftlichen Entwicklung nach langer und fruchtloser Diskussion einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Die Bundesrepublik Deutschland hat heute dank der Regierung Brandt/Scheel das modernste Wettbewerbsrecht aller Industriestaaten. Dieses Gesetz, meine Damen und Herren, ist ein scharfes Instrument, und es soll auch so gebraucht werden. Es soll aber nicht durch falsche Anwendung stumpf gemacht werden, und wir würden es bedauern, wenn die Autorität des Kartellamtes durch Äußerungen und Bestrebungen, die hin und wieder sichtbar werden, leiden könnte. Das Kartellamt muß mit voller Autorität das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen anwenden können und muß



    Dr. Graf Lambsdorff
    diesen Gesichtspunkt immer ernsthaft im Auge behalten.
    Der Mißbrauch von Marktmacht und Preisabsprachen ist ein ernsthaftes Vergehen gegen die freiheitliche Wirtschaftsordnung. Dies sei jedem immer wieder ins Gedächtnis gerufen, gleichgültig, ob er Dortmunder Bierbrauer ist oder ob er aus anderen Branchen stammt.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP.)

    Solche Maßnahmen schaden dem Verbraucher, und
    diesem Verbraucher — das ist der Sinn der Marktwirtschaft — soll unsere Wirtschaftsordnung dienen.
    Wir wissen, daß wir gerade im Wettbewerbsrecht in den letzten Monaten in zwei Gebieten Probleme auf den Tisch bekommen haben, mit denen sich auseinanderzusetzen lohnt. Es sind Fragen, die wir zu lösen haben.
    Das Verhalten der internationalen, der multinationalen Gesellschaften und besonders der Mineralölgesellschaften hat in unserem Lande zu Beanstandungen, zu Mißtrauen und zu Beunruhigung geführt. Hier und jetzt will ich keine Wertung vornehmen, denn dies ist Sache der Gerichte, des Kammergerichts und des Bundesgerichtshofes.
    Eines ist aber jetzt schon klar: Die Wirkungsmöglichkeiten unseres Kartellrechts enden an den Landesgrenzen, und es ist sehr fraglich, ob wir Wirkung über die Landesgrenzen hinaus auf diejenigen ausüben können, die hier ihre Geschäfte betreiben. Deswegen müssen wir, wenn solche Möglichkeit nicht gegeben ist, uns darum kümmern, und deshalb geht unsere Bitte an die Bundesregierung, sich um eine internationale Rechtsetzung auf dem Wettbewerbsgebiet nachhaltig zu bekümmern. Dies ist erforderlich.

    (Abg. Dr. Barzel: Das ist richtig!)

    Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion hält es trotz der schwierigen und oft kritisierten Entwicklung auf dem Gebiete der Mineralölversorgung für richtig, daß der Bundeswirtschaftsminister den Gesprächsfaden zu diesen Gesellschaften nie hat abreißen lassen. Das Ergebnis ist — und dies ist sicher nicht seine Verantwortung — nach wie vor unbefriedigend. Es handelt sich um mangelnde Transparenz. Es bestehen ungute Gefühle bei allen Beteiligten, inzwischen wohl endlich auch bei den Ölgesellschaften selbst.
    Ein zweiter Punkt. Es sind Tendenzen erkennbar, daß auch § 22 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, den wir neu formuliert haben, über die Absicht des Gesetzgebers hinaus — das war verschärfte Mißbrauchsaufsicht — zu einem Instrument der Preiskontrolle und der Preisprüfung gemacht werden könnte oder gemacht werden sollte.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Sehr richtig!)

    Nach unserer Überzeugung darf dies auch nicht auf dem Umweg über das Kartellgesetz geschehen, auch nicht über eine Anmeldepflicht oder über ein Preisprüfungsverfahren.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Preiskontrolle bedeutet in einem solchen Falle — und die Beispiele der letzten Zeit haben dies noch einmal deutlich sichtbar werden lassen — Kostenkontrolle, und Kostenkontrolle führt zur Produktion von Kosten,

    (Sehr richtig! bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

    d. h. zu unnützen Kosten. Auch im Anmeldeverfahren ist das kostenungünstigste Unternehmen immer der Vorreiter, und alle anderen bekommen staatlich sanktionierte Differentialrenditen zu Lasten des Verbrauchers. Dies kann nicht in der Absicht des Wettbewerbsrechts liegen. Das Endergebnis eines solchen Verfahrens ist nämlich das Gütesiegel z. B. an den Zapfstellen an der Autobahn: „Preis vom Bundeskartellamt genehmigt". Dies wollen wir nicht! Damit wird die Reagibilität auf den Markt eingeschränkt, rückläufige Preisbewegungen werden erschwert, und der Verbraucher hat das Nachsehen. Deshalb plädieren wir dafür, am Vergleichsmarktkonzept festzuhalten und den Einblick in die Kostenkalkulation so, wie es das Gesetz vorsieht, allenfalls dann zu fordern und möglich zu machen, wenn es keine Vergleichsmärkte gibt.
    Meine Damen und Herren, ein letztes Wort in diesem Zusammenhang zur Lage eines speziellen Industriezweiges, der unsere besondere Aufmerksamkeit erfordert. Ich meine die Automobilindustrie. Hier sind immerhin 6 Millionen Arbeitsplätze nicht unmittelbar, aber die mittelbar Beschäftigten hinzugerechnet, angesprochen. Die Lage der Automobilindustrie — das wissen wir alle — ist zur Zeit nicht befriedigend. Auch die Frühjahrsbestellung war nicht so, daß man mit dem üblichen Polster in das Sommergeschäft gehen kann. Wir wissen, daß konjunkturpolitische Erleichterungen in dieser Richtung gezielt kaum oder nicht möglich sind. Aber uns scheint, daß auf den Autokäufer in den letzten Jahren ein wenig zuviel eingehagelt ist. Deswegen die Bitte an die Bundesregierung, dem potentiellen Autokäufer zu sagen:

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Weniger Ideologie bei der Koalition!)

    Keine weiteren administrativen Erschwernisse, die einem die Freude am Autofahren verleiden!

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Müller-Hermann: Sagen Sie das Ihrem Koalitionspartner!)

    Meine Damen und Herrren! Es ist nicht notwendig, daß wir den Autofahrer und das Automobil überhaupt zum Hätschelkind der Bundesregierung oder der Nation machen, aber es muß auch nicht unbedingt das Stiefkind der Nation sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dies sage ich nicht mit Rücksicht auf die Automobilwerke — die würden sich schon zu helfen wissen —, sondern im wesentlichen mit Rücksicht auf die große Anzahl von Beschäftigten, die in diesen Bereichen tätig sind.



    Dr. Graf Lambsdorff
    Ein letztes abschließendes Wort zu dem, was in der Regierungserklärung gesagt worden ist! Der Bundeskanzler hat gesagt: Bis 1976 ist vieles zu tun. Ich kann dem Bundeskanzler versichern, daß meine Fraktion auf seiner Seite stehen wird, wenn er mit genau demselben Zugriff an die Lösung der Aufgaben und Probleme herangeht, der sich in den letzten Tagen gezeigt hat.
    Von der Opposition ist nach der heutigen Debatte nicht viel Rat und Trost zu erwarten. Ich will nicht behaupten, daß sie rat- und trostlos sei. Aber immerhin: Wir sehen nicht viel Ansporn aus Ihren Reihen. Meine Fraktion ist bereit, mit dieser Aussage, unter diesem Schlußwort „Es ist noch viel zu tun" mit der Regierung Schmidt/Genscher gemeinsam ans Werk zu gehen.
    Lassen Sie mich auf das eingehen, was wir in den letzten Monaten und auch heute wieder — das kann von Ihnen nicht anders erwartet werden, Herr Professor Carstens und Herr Dr. Barzel — zur Frage der Wirtschaftspolitik und der Stabilitätspolitik gehört haben. Seit der Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht haben Sie, Herr Professor Carstens, die Zahl der wirtschaftspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion vergrößert. Erlauben Sie mir zu sagen: Ich bin nicht der Ansicht, daß Sie sie bereichert haben! Sie haben bald mehr wirtschaftspolitische Sprecher als Kanzlerkandidaten oder umgekehrt.

    (Beifall bei der FDP.)

    Nun haben Sie dankenswerterweise, Herr Carstens, am 22. April dieses Jahres eine Zusammenstellung Ihrer Argumente nachgeliefert. Es lohnt sich schon, dem nachzugehen, denn das ist im Grunde genommen der Duktus und die Argumentation, die Sie seit Juni 1973 benutzen. Ich habe das gerade in den Protokollen nachgelesen. Das ist ein mühsames Verfahren, denn die Argumente wiederholen sich zum großen Teil sogar wörtlich. Ich will Ihnen das nicht vorwerfen, aber vielleicht kann der eine oder andere Ihrer Mitarbeiter einmal eine neue Formulierung finden. Das liest sich dann im Nachhinein sicherlich besser!

    (Beifall bei der FDP. — Abg. Reddemann: Sie sind ein Hilfsschulmeister neuer Art!)

    Es mag propagandistisch wirkungsvoll sein, aber ob es der Sache dient, wenn man sich mit einer so differenzierten Frage wie der Konjunkturpolitik mit dem schnellen Wechsel, mit der Notwendigkeit, die Argumente immer wieder zu überprüfen, so beschäftigt, weiß ich nicht. Ich habe, Herr Professor Carstens, bei Ihnen von diesen Dingen viel zuwenig gefunden.
    Sie beginnen mit dem Argument — darüber haben wir uns in diesem Hause mit Herrn Ministerpräsident Stoltenberg auseinandergesetzt —, daß die Inflation zu spät bekämpft worden sei.

    (Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] : Stimmt auch!)

    Lesen Sie doch bitte den Jahresbericht 1973 der Bundesbank! Herr Barzel, diesen Vorwurf muß ich Ihnen
    machen! Wir können nicht einfach die Bundesbankberichte immer in dem Abschnitt zitieren, der einem gerade gefällt.

    (Zurufe von der CDU/CSU: 1969! — Abg. Dr. Barzel: Herr Kollege Lambsdorff! Das hat doch 1969 angefangen und nicht erst 1972!)

    — Ich bin im Augenblick bei der Überlegung, daß die Bundesbank im Jahresbericht 1973 noch einmal ausdrücklich feststellt, daß eine erfolgreiche binnenwirtschaftliche Stabilitätspolitik nur betrieben werden konnte, nachdem die außenwirtschaftliche Absicherung durch die Einführung des Floating und das Abkoppeln von der Dollar-Ankaufs-Pflicht möglich war.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Zu spät!)

    Dieses war der entscheidende Punkt im Mai 1973. Vorher war bei dem Zustrom von Geldmengen dieses sagenhaften Umfanges eine wirksame Stabilitätspolitik nicht möglich. Wer sich darüber nicht im klaren ist — Herr Müller-Hermann, wir haben so häufig darüber gesprochen — wer immer noch nicht akzeptieren will, daß ohne eine Beschränkung der Geldmengenvermehrung Stabilitätspolitik mit Aussicht auf Erfolg nicht oder kaum betrieben werden kann, dem ist schwer zu helfen.

    (Abg. Dr. von Bismarck: Aber Herr Lambsdorff, wie können Sie so etwas unterstellen! Das ist ein starkes Stück!)

    — Herr von Bismarck, ich unterstelle Ihnen diese Argumentation nicht,

    (Abg. Dr. von Bismarck: Ach, hören Sie doch auf! — Abg. Dr. Wagner [Trier]: Außerdem geht es um die Zeit vorher!)

    aber von Herrn Carstens haben wir sie wieder gehört. Lesen Sie in dem Papier vom 22. April nach, lesen Sie die Argumentation von Herrn Stoltenberg heute im „Spiegel" noch einmal nach: Es ist immer wieder derselbe Punkt. Dieser Vorwurf kann wirklich in der Sache nicht aufrechterhalten werden.
    Herr Carstens, Sie schreiben dann, dies alles sei im Grunde genommen auch völlig klar; denn der Wille zur Stabilitätspolitik habe niemals bestanden. Sie zitieren den Bundeskanzler mit seinem Ausspruch der 5 % auf der einen Seite und 5 % auf der anderen Seite.

    (Abg. Stücklen: Und Modewort „Stabilität"!)

    Herr Carstens, ich mache keinen Hehl daraus, daß ich diese Alternative nie befürwortet und nie so gesehen habe. Daß man sich auf der einen Seite — anders als Herr Barzel es heute getan hat — mit dieser Argumentation, mit dieser Alternative auch ernsthaft auseinandersetzen kann, das können Sie in einem Aufsatz von Professor Hankel nachlesen, der in der vorigen Woche in diesem Zusammenhang in der „Zeit" erschienen ist.

    (Abg. Reddemann: Ist das der mit der Hessischen Landesbank?)

    — Herr Reddemann, ich bin Ihnen dankbar für den Zwischenruf. Das ist der mit der Hessischen Landes-



    Dr. Graf Lambsdorff
    bank, völlig richtig, den Herr Strauß mir hier noch vor sechs oder acht Monaten als wirtschaftspolitischen Berater und Anreger empfohlen hat. Ich will Ihnen aber in allem Ernst eines sagen: Herr Hankel hat als Bankpräsident offensichtlich eine Bruchlandung gemacht. Dies halte ich für keinen gerechtfertigten Anlaß, die Hexenjagd auf Herrn Hankel mitzumachen, die Herr Dregger in Hessen in den Vorbereitungen des Wahlkampfes veranstaltet.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Es geht um die Steuergelder der kleinen Leute! — Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Was sagen Sie über den Aufsichtsratsvorsitzenden der Hessischen Landesbank?)

    — Ich kritisiere das Verhalten der Hessischen Landesbank genauso wie mancher von Ihnen; aber für micht bleibt dies immer noch ein kompetenter Finanz- und Währungswissenschaftler.
    Meine Damen und Herren, die unterschiedliche Gewichtung der Stabilitätsziele, vor allen Dingen die verbale unterschiedliche Gewichtung, heißt doch nicht, daß der Wille zur Inflationsbekämpfung fehlt. Diesen Schluß, Herr Carstens, den Sie da gezogen haben, der ist genauso logisch wie das, was Herr Barzel vorhin erwähnt hat. Ich hatte mir leider dasselbe aufgeschrieben: Daß es nachts kälter als draußen sei. Entscheidend sind nicht Worte — und schon gar nicht Wahlkampfworte —, sondern entscheidend sind Taten.

    (Abg. Dr. Zeitel: Richtig!)

    Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung hat nun im Mai 1973 ein Stabilitätsprogramm auf den Tisch gelegt und durchgeführt, daß ein klassisches Beispiel von dem ist, was Keynes als policy-mix aus Geld- und Finanzpolitik bezeichnet hat. Von all dem ist in Ihrer Argumentation, Herr Professor Carstens, leider kein Wort zu finden.

    (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Zu spät!)

    Statt dessen schreiben Sie, daß Reformankündigungen die Inflationsmentalität angeheizt haben und sie förderten.
    Hier bestreitet wohl niemand mehr, daß 1969 in der Regierungserklärung etwas mehr an Reformen anvisiert worden ist, als sich hinterher als möglich herausgestellt hat.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Etwas ist wohl untertrieben!)

    — Aber zunächst einmal, Herr Müller-Hermann, sollte man sich vielleicht darüber im klaren sein, daß ein solcher unbestrittener Überschwang nicht zuletzt die Folge langer Reformunfähigkeit und langer Reformunwilligkeit gewesen ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie heute Reformen als Buhmann an die Wand zu nageln versuchen. In den Meinungsumfragen der letzten Zeit antworten
    immer noch mehr als 50 % der Bevölkerung, daß Reformen notwendig seien,

    (Abg. Dr. Wagner [Trier] : Herr Graf will ein Tänzchen wagen!)

    natürlich solche mit Vernunft und mit Augenmaß. Aber Reformen sind notwendig.
    Die Regierungserklärung, die wir vor wenigen Tagen zu diesem Thema gehört haben, ist unbestritten — so scheint mir — nüchtern und maßvoll.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Nichtssagend!)

    Was an Reformankündigungen, meine Damen und Herren, kann denn Inflationsbewußtsein und Inflationsmentalität erzeugen: der Hinweis, daß wir mehr Studienplätze wollen, der Hinweis auf Steuererleichterungen — ich komme auf das sogenannte Inflationsentlastungsgesetz, Sie wissen, wir haben es anders genannt, zurück —, der Hinweis auf Verkehrswegebau, Energie- und Umweltschutzinvestitionen? Diese Hinweise doch wohl nicht! Was aber inflationsbewußtseinsfördernd ist, Herr Carstens — und dies muß allen Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion immer wieder deutlich gesagt werden, weil sie hier bereits auf dem Abwege sind —, das ist jede Form von Indexlösung; die heizt die Inflationsmentalität an, die kurbelt die Inflationsmentalität an, die wird ein Schwungrad für Inflationsmentalität.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    — Ja, Herr Kollege Barzel, dann verhindern Sie es doch bitte; zollen Sie nicht hier Beifall, sondern gehen Sie in den mittelstandspolitischen Ausschuß und verbitten Sie sich, daß die VOB in Zukunft mit Inflationsklauseln versehen werden soll.


Rede von Kai-Uwe von Hassel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. von Bismarck?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Darf ich den Satz noch zu Ende führen. — Dann sorgen Sie bitte dafür, daß das Land Baden-Württemberg im Bundesrat keine Anträge einbringt, die steuerfreie Bildung von Rücklagen zur Wiederbeschaffung von Investitionsgütern vorzusehen; denn selbstverständlich ist auch dies Indexdenken und inflationsfördernd. — Herr von Bismarck, bitte; entschuldigen Sie.