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ID0710100800

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    Deutscher Bundestag 101. Sitzung Bonn, Montag, den 20. Mai 1974 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Götz 6625 A Bestellung des Abg. Dr. Häfele zum Vertreter des Abg. Windelen im Vermittlungsausschuß an Stelle des ausscheidenden Abg. Dr. Heck . . . . . . . . . 6625 A Überweisung von Vorlagen an Ausschüsse 6625 B Amtliche Mitteilungen 6625 C Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Carstens (Fehmarn) (CDU/CSU) 6627 A Wehner (SPD) 6637 A Mischnick (FDP) 6647 A Schmidt, Bundeskanzler . . . . 6655 C Dr. Barzel (CDU/CSU) . . . . . 6658 C Friedrich (SPD) 6666 A Dr. Graf Lambsdorff (FDP) . . . 6669 D Dr. Althammer (CDU/CSU) (Bemerkung nach § 35 GO) . . 6679 C Nächste Sitzung 6679 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 6681* A Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Montag, den 20. Mai 1974 6625 101. Sitzung Bonn, den 20. Mai 1974 Stenographischer Bericht Beginn: 15.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Abelein 20. 5. Dr. Aigner * 22. 5. Dr. Artzinger * 22. 5. Batz 22. 5. Dr. Becher (Pullach) 22. 5. Blumenfeld 21. 5. Brandt 6. 6. Damm 20. 5. Erhard (Bad Schwalbach) 20. 5. Dr. Evers 20. 5. Ferrang 22. 5. Flämig * 21.5. Dr. Freiwald 22. 5. Gerlach (Emsland) * 21. 5. Gewandt 19. 6. Dr. Gölter *** 22. 5. Dr. Götz 20. 5. Dr. Gradl 10. 6. Groß 20. 5. Dr. Haenschke 31. 5. Handlos 22. 5. Jäger (Wangen) 1. 6. Dr. Jahn (Braunschweig) * 22. 5. Kahn-Ackermann *** 21. 5. Kiep 20. 5. Dr. Klepsch *** 22. 5. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments *** Für die Teilnahme an Sitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Lampersbach 25. 5. Lange * 21.5. Lautenschlager 20. 5. Lemmrich *** 22. 5. Lenders 20. 5. Lenzer *** 22. 5. Dr. Lohmar 22. 6. Lücker * 26. 5. Memmel * 22. 5. Dr. Mende *** 21.5. Müller (Mülheim) * 21. 5. Dr. Müller (München) *** 21. 5. Mursch (Soltau-Harburg) * 22. 5. Frau Dr. Orth * 21. 5. Pawelczyk *** 22. 5. Pohlmann 20. 5. Richter *** 22. 5. Dr. Riedl (München) 20. 5. Schlaga *** 22. 5. Schmidt (Kempten) *** 22. 5. Frau Schroeder (Detmold) 20. 5. Schröder (Wilhelminenhof) 20. 5. Dr. Schwencke *** 22. 5. Seefeld * 21. 5. Dr. Slotta 21. 5. Dr. Freiher Spies von Büllesheim 24. 5. Springorum * 21. 5. Dr. Starke (Franken) 23. 5. Vogel (Ennepetal) 22. 5. Dr. Vohrer *** 21. 5. Walkhoff * 22. 5. Frau Dr. Walz * 22. 5. Frau Dr. Wex 20. 5. Wurbs 20. 5. Zeyer 8. 6.
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    Rede von Herbert Wehner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Das lohnt nicht! Die Briefe läßt man mich nicht vorlesen, aber Zwischenfragen von Leuten soll ich beantworten. Ich gedenke das nicht zu tun.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD. — Zuruf des Abg. Reddemann sowie weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Herr Kollege Carstens, Sie haben mit besonderem Nachdruck aus der Zeit der Regierung Kiesinger, der ich als Mitglied des Kabinetts angehört habe, eine



    Wehner
    Erinnerung hervorgegraben und ein wenig, na, sagen wir einmal, massiert.

    (Abg. Dr. Kunz [Weiden] und Abg. Stücklen: Na, na!)

    — Ich kann mir gut denken, warum Ihnen das so gefallen hat. Damals ging es um gewisse Geheimdienstberichte mit Entstellungen von Gesprächen, die einige unserer Freunde in Italien geführt hatten.

    (Zuruf des Abg. Dr. Kunz [Weiden].)

    An Geheimdienstberichte erinnern Sie sich besonders, auch wenn sie entstellt waren. Daß es Ihnen dazu gerade gut genug ist, zu sagen, Sie hätten mich noch nie so in Erregung gesehen: Schönen Dank für dieses Kompliment! Ich war nur — die anderen Beteiligten werden eine etwas andere Erinnerung haben als Sie; es waren ja noch einige von Ihrer Seite dabei — gegen das Ausschlachten von Gesprächen in einer Weise, wie sie aus diesen Berichten hervorleuchtete oder hervorschimmerte.
    Nun zum Fall Guillaume. Die Tatsache

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — das habe ich ja gesagt; Sie haben vielleicht Zugang zu den entsprechenden Papieren von Herrn Carstens —, daß damals einige Sozialdemokraten, darunter Leo Bauer, den ich hoch schätzte und schätze, gesprochen haben —(Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Müssen Sie einen Toten noch, nachdem er tot ist und schwer gelitten hat, durch Ihr Gegröhl kränken oder beleidigen? Das ist nicht in Ordnung!

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

    Nein, ich bin überzeugt, wenn wir darüber einmal in Ruhe reden könnten, einschließlich des Herrn Carstens,

    (Zuruf des Abg. Reddemann)

    würde sich in Ihrer Erinnerung einiges sozusagen zurechtbewegen.

    (Zuruf von der CDU/CSU.)

    — Ich bitte Sie um Entschuldigung, Sie urteilen nach gewissen Geheimdienstberichten, die Ihnen damals zugespielt wurden. Ich habe dem Bundeskanzler gesagt, was ihm zu sagen war.

    (Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU. — Abg. Reddemann: Wie bei Brandt!)

    Und nun zum Fall Guillaume!

    (Fortgesetzte Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Wollen Sie mir vielleicht sagen, ich hätte auch Herrn Kiesinger gestürzt? Das können Sie doch wohl nicht annehmen.

    (Beifall bei Abgeordneten der Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU.)

    Der ist durch etwas ganz anderes vergangen.
    Zum Fall Guillaume, Herr Kollege Carstens, haben Sie so gesprochen, als ob Sie nicht wüßten, daß die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft im Gange sind und daß es untunlich ist, nun über — —

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    — Ich bitte Sie um Entschuldigung! Man kann ja die Bundesanwaltschaft fragen. Man kann ja im Vertrauensmännergremium danach fragen, was sie bereit und imstande ist, Ihnen, den Vertrauensmännern, zu sagen. Ich unterstelle mich dem absolut. Sie dürfen aber doch nicht so tun, als ob man über Dinge, die in der Ermittlung sind und wegen deren Leute vernommen werden, wegen deren die Spuren anderer noch verfolgt werden, hier in aller Öffentlichkeit sprechen könnte. Ich habe ja aus Ihrer Ecke schon gehört — jetzt ist das etwas leiser geworden —, Sie wollten vielleicht einen Untersuchungsausschuß darüber einsetzen. Na gut! Ich finde, Herr Kollege Carstens, daß Ihre Angaben über das, was Sie den Fall Guillaume nennen, nicht frei von einseitigen Wertungen sind, obwohl Sie es — jedenfalls in einigen der Punkte, die Sie hier schief dargestellt haben — genauer wissen könnten.

    (Abg. Stücklen: Zum Beispiel? — Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Welche?)

    — Das werden wir im Vertrauensmännergremium erörtern.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU. — Abg. Wohlrabe: Schutzbehauptung!)

    — Sie glauben, das ginge so auf offenem Markt. Wehe dem, der Ihnen folgte. Dann wäre so gut wie nichts von raffinierter Geheimdiensttätigkeit aufzudecken.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Widerspruch und Lachen bei der CDU/ CSU. — Abg. Wohlrabe: Raffinierte Schutzbehauptung!)

    Ich komme noch einmal auf eine Passage zurück, die in den Augen von Herrn Carstens sehr mager ausgefallen ist, die ich aber für ein ganz wesentliches Stück Darlegung von Kontinuität und Konzentration in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers Schmidt halte.

    (Abg. Haase [Kassel] : Im alten Geist geht es weiter!)

    Der Bundeskanzler hat für die politischen Leitlinien Kontinuität und für die Bestandteile der Politik der Koalition Konzentration angepeilt und definiert. Er hat gesagt:
    Binnen zweieinhalb Jahren wird sich das sozialliberale Bündnis der Entscheidung der Bürger stellen. Bis dahin ist vieles zu tun.
    Dies ist eine nüchterne Sprache, die Sie nicht schelten können.
    An anderer Stelle heißt es in der Regierungserklärung:
    Unsere Freunde und Nachbarn, unsere Bündnis- und Vertragspartner in der Welt sollen wissen, daß die Positionen unserer Außen- und Sicherheitspolitik unverändert bleiben. Wir werden die Politik der Friedenssicherung fortsetzen und die Sicherheit unseres Landes wah-



    Wehner
    ren und festigen. Wir werden aktiv mitarbeiten ..., um das zum Frieden notwendige Gleichgewicht der Kräfte zu erhalten.
    Es folgen das Bekenntnis zur politischen Einigung Europas — in Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika — und die Feststellung, daß die Europäische Gemeinschaft die unersetzliche Grundlage dafür ist. Es wird gesagt, daß die Schaffung einer europäischen politischen Union dringender denn je ist. Zusammenfassend heißt es in der Regierungserklärung dann:
    Zusammen mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft werden wir bestrebt sein, dieses Ziel zu verwirklichen.
    Daß das Atlantische Bündnis die elementare Grundlage unserer Sicherheit und der notwendige politische Rahmen für unsere Bemühungen um Entspannung in der Welt ist, daß wir auch künftig an der politischen Stärkung der Allianz arbeiten und mit der Bundeswehr unseren im Bündnis vereinbarten Beitrag zur gemeinsamen Sicherheit leisten werden — diese Aussage wurde mit dem Dank an unsere Soldaten verbunden, die diese Aufgabe erfüllen —, finden wir in folgender Passage zusammengefaßt:
    Das Gleichgewicht in der Welt und die Sicherheit Westeuropas bleiben auf absehbare Zeit . .. von der militärischen und von der politischen Präsenz der USA in Europa abhängig. Übereinstimmende sicherheitspolitische Interessen bestimmen das europäisch-amerikanische Verhältnis.
    Meine Damen und Herren, Sie können doch nicht sagen — wie es der Herr Führer der Opposition im Bundestag getan hat —, aus diesen Worten spreche so etwas wie Resignation. Wir haben in der Regierungserklärung unsere Entschlossenheit betont, zusammen mit unseren Verbündeten eine Politik der Rüstungskontrolle und Rüstungsverminderung zu unterstützen, um die Gefahr machtpolitischer und militärischer Pressionen einzuschränken. Es wurde gesagt, daß die Regierung nicht ohne Sorge die wachsenden Rüstungsanstrengungen im Warschauer Pakt betrachtet und deshalb auch den Erfolg der sowjetischamerikanischen Bemühungen um die Begrenzung nuklear-strategischer Waffensysteme wünscht, daß sie ihre eigenen Anstrengungen für eine ausgewogene, beiderseitige Verminderung von Truppen und Rüstungen in Europa — mit dem ernsten Willen zum Erfolg — fortsetzt, ebenso wie sie das wünscht, was mit der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in ganz Europa geplant und gedacht ist. Denn wir möchten — so betont es die Regierung —, daß diese Konferenz, der wir eine vertrauensbildende Bedeutung für ganz Europa zumessen, zu positiven Ergebnissen führt, und es ist unser Ziel, über bloße Entschließungen hinaus zu praktischen Ergebnissen zu gelangen, um der Entspannungspolitik in Europa mehr Substanz zu geben.
    Im Geiste dieser politischen Ziele ist es, daß die Bundesregierung unseren Willen zur Zusammenarbeit mit jenen Staaten in Europa betont, die selbst keiner der politischen oder militärischen Gruppierungen oder Allianzen angehören, doch deshalb nicht etwa weniger an Fortschritten der Entspannung und der Friedenssicherung interessiert sind.
    Ich finde, daß die Regierungserklärung realistisch feststellt, die internationale Entwicklung zeige uns, daß es richtig war, mit der Vertragspolitik gegen-
    über unseren östlichen Nachbarn die Chance nicht zu versäumen, unsere eigenen Interessen mit dem weltweiten Entspannungsprozeß zu verbinden.
    Die Verträge von Moskau und Warschau und der vor der Ratifikation stehende Vertrag von Prag sind Ergebnisse unserer internationalen Entspannungsbemühungen, und ohne diese Verträge — Herr Carstens, Sie haben hier eine kritische Bemerkung in bezug auf Berlin angebracht — wäre das Viermächteabkommen über Berlin nicht zustande gekommen. Es hat die Lebensfähigkeit dieser Stadt auf eine sicherere Basis gestellt und zur Befriedung in Mitteleuropa beigetragen. Daß die Bundesregierung ihrerseits alles tun wird, um die Lebensfähigkeit Berlins zu sichern, das Vertrauen der Berliner in die Zukunft zu stärken sowie die Bindungen ihrer Stadt an die Bundesrepublik Deutschland aufrechtzuerhalten und zu entwickeln, sollte doch wohl von allen Seiten des Deutschen Bundestages nachhaltig unterstützt werden können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Mit der Vertragspolitik, die von mir an Hand dieser Regierungserklärung wiedergegeben oder angedeutet worden ist, hat unsere sozialliberale Koalition insbesondere durch den Abschluß des Vertrages über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR der Politik den praktischen Weg eröffnet, in Deutschland zu einem geregelten Miteinander zu kommen; und trotz aller Schwierigkeiten und Rückschläge werden wir in dem Bemühen nicht nachlassen, die gegenseitigen Beziehungen zu verbessern. Sie sind nach unserer Auffassung, so haben wir gesagt, Beziehungen von besonderer Art.
    An dieser Stelle erinnere ich und lenke Ihre Aufmerksamkeit, meine Damen und Herren, auf die am 26. Januar 1973 vom damaligen Bundeskanzler Willy Brandt gegen Schluß der Debatte über die Regierungserklärung der Bundesregierung Brandt/Scheel vorgenommene Zusammenfassung der Schwerpunkte dieser Debatte. Er behandelte zunächst die Außen- und Deutschlandpolitik und kam zu folgenden Feststellungen.
    Erstens: die entschlossene Verwirklichung der europäischen Union, damit wir das in Paris gesetzte Ziel in der verabredeten Frist — wie er es ausdrückte: womöglich früher — erreichen können. Ich habe nicht erkennen können, sagte er damals, daß die Opposition dies wesentlich anders sieht.
    Zweitens: die Fundamentierung der europäischamerikanischen Allianz durch Prüfung und Ausgleich der gemeinsamen Interessen und Bewahrung der Sicherheit. Ich habe, sagte Brandt damals, nicht sehen können, daß die Opposition dies wesentlich anders sieht.



    Wehner
    Drittens: Abbau der Spannungen von ihren Ursachen her. Das ist die Aufgabe, die wir uns durch die Teilnahme ran den beiden Konferenzen setzen, die jetzt — damals — mühsam vorbereitet werden. Darüber werden wir miteinander — so, wie die Dinge voranschreiten — sehr ernsthaft reden müssen.
    Viertens: geduldige Arbeit für eine gute Nachbarschaft mit Osteuropa als Erfüllung und Ergänzung der Verträge, die wir beschlossen haben. „Das sieht mancher bei ihnen" — so sagte er, an die Opposition gewandt — „weiterhin anders; aber der Herr Kollege Strauß hat ja vorgestern — damals im Januar — ausdrücklich gesagt, man müsse vom Boden der demokratisch so geschaffenen Tatsachen aus Politik machen."
    Fünftens: Ratifizierung und Ausfüllung des Grundvertrages. Brandt fügte damals hinzu — damit hätte er auch 'anfangen können —: von zwei deutschen Staaten unter der konsequenten 'Forderung von uns, egal wie lang es braucht, bis sie erfüllt ist, daß auch an der Grenze zur DDR täglicher Friede einkehren kann und ein Höchstmaß an Freizügigkeit hinüber und herüber erreicht wird.
    Der Bundeskanzler Helmut Schmidt hat in seiner Regierungserklärung die gleichen außen-, sicherheits-, europa- und deutschlandpolitischen Positionen markiert, die 1973 in der Regierungserklärung bestimmend waren. Ich halte das nicht für einen Nachteil, sondern ich halte das für das, was wir unter Kontinuität verstanden wissen wollen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es kann also nicht kritisiert werden, wie es hier geschehen ist. Die Regierungserklärung Helmut Schmidts konzentriert sich auf die Notwendigkeiten, die sich aus der internationalen und europäischen Entwicklung ergeben und denen wir uns stellenmüssen, wenn die Ziele nicht verfehlt werden sollen.
    In den Punkten der Regierungserklärung — ich glaube, sie haben die Ziffern 31 bis 35 — ist die Regierungserklärung mitten 'hineingegangen in unsere ökonomische, politische, soziale Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland, immer im Geflecht der europäischen Gemeinschaft. Denn genauso, meine Damen und Herren, das wissen Sie doch genau, wie es töricht wäre, als Bundesrepublik allein von militärischer Sicherheit zu sprechen — Sicherheit besteht nur im Verbund mit anderen —, ist es eben auch in bezug auf die inflationären Strömungen und Tendenzen in der Welt, denen wir uns nicht willenlos hingeben. Aber wer sich die Mühe macht, in der von mir erwähnten und zitierten Rede Brandts vom 26. Januar 1973 nachzulesen, der wird — damals bei den Schwerpunkten im Innern an die Spitze gestellt, eins, zwei und drei — diese Bemühungen sehen.
    Heute zwingt uns die Entwicklung zur Konzentration. Ich nenne nur Stichworte. Meine Kollegen werden darüber ausführlich 'mit ihnen reden und, wenn notwendig, ringen. Ich nenne: Auf Grund der Ölpreisentwicklung und sonstiger Rohstoffpreisentwicklungen inflationäre Erscheinungen in der Welt, in die wir verflochten sind und in der wir leben.
    Wenn die Opposition — es ist auch heute wieder angekündigt, und besonders deutlich hat das der schleswigholsteinische Ministerpräsident Stoltenberg gestern in einem Blatt getan — erklärt, daß sie die Steuerreform 'zum Gegenstand ihrer Bemühungen machen werde, das Regierungsprogramm Helmut Schmidts und seines Kabinetts aus den Angeln zu heben, so zielt sie damit — ich sehe das so — auf das Feld, dessen Verwüstung innen- wie europapolitisch unsere Rolle als ein Partner in West und Ost, in Nord und Süd lähmen könnte. Denn dies ist innenpolitisch lebenswichtig für unsere Partnerrolle in West, Ost, Nord und Süd.
    Denn ich persönlich — ich kann mich hier nicht darüber ausbreiten, will es nur erwähnen, weil dies als zentraler Punkt des Angriffs auf die Regierungserklärung bezeichnet worden ist — will zu der Steuerreform sagen: sie ist ein wesentlicher Faktor als ein gesellschaftspolitischer Stabilisator mit Konsequenzen für die haushalts- und für die finanzpolitische Leistungsfähigkeit unseres demokratischen und sozialen Bundesstaates in der Europäischen Gemeinschaft. Denn — ich wiederhole — nationale Maßnahmen allein würden sowenig wie bei Verteidigung und Sicherheit ausreichen. Aber unser Beitrag, das, womit wir uns bei uns selbst Mühe geben, wie aber auch die Beiträge der anderen, das ist es, wo wir uns jetzt der Konzentration widmen.
    Ich will noch einige Bemerkungen zum vertraglich geregelten Verhältnis zur DDR sagen — als einem besonders schwierigen und zugleich besonders wichtigen Feld unserer Bundesrepublik. Die Regierungserklärung hat mit Recht betont, daß wir im Geiste der Entspannungspolitik und im Interesse aller Deutschen mit der DDR Verträge geschlossen haben, die nicht nur aus Buchstaben bestehen. Beide Vertragspartner müssen sich auch an den Geist abgeschlossener Verträge halten, heißt es in der Regierungserklärung. Es ist eine gewichtige Feststellung, daß mit diesem Geist der schwerwiegende Spionagefall nicht vereinbar ist, der die Menschen in Ost und West in diesen Tagen tief beunruhigt. Mit Recht heißt es deshalb in der Regierungserklärung:
    Wir kennzeichnen diesen Fall in aller Offenheit als eine ernste Belastung des Verhältnisses zwischen den Vertragspartnern, ... zumal wir selbst entschlossen sind, von unserer Seite aus den Vertrag nach Buchstaben und nach seinem Geiste voll zu erfüllen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, im Gefüge der Verträge, die wir mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken als einer der Vier Mächte, die besondere Verantwortung für Deutschland als Ganzes, wie es 1945 hieß, in Berlin besonders tragen, geschlossen haben — die Sowjetunion verfügt zugleich über besonderes Gewicht im Rahmen der im Warschauer Pakt zusammengeschlossenen Staaten, mit denen wir ja ebenfalls Verträge geschlossen haben —, spielt der Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland



    Wehner
    zur DDR eine Rolle, die sowohl für das Verhältnis unseres Staates zur Gruppe der Staaten des Warschauer Pakts als auch bilateral von hochrangiger Bedeutung für unsere Politik der Friedenssicherung ist.
    Diese Verträge über unsere Beziehungen zu jedem dieser Staaten sind für sich genommen präzise einzuhalten und entwicklungsfähig. Jeder muß zugleich als Bestandteil eines Systems von Verträgen gesehen und gepflegt werden. Das gilt auch für die Wirtschaftsbeziehungen; es gilt für multilaterale Vorhaben wie die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in ganz Europa und für die Konferenz zur schrittweisen Rüstungs- und Truppenbegrenzung. Nicht zu vergessen ist auch folgendes: Auf uns zuzukommen — oder wir werden uns bemühen müssen — scheint in absehbarer Zeit eine Abrüstungskonferenz.
    In dem Bericht, den ich am 1. Juni des vergangenen Jahres dem Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands über Gespräche gegeben habe, die ich am 30. und 31. Mai mit dem ersten Sekretär der SED, Erich Honecker, und Vertretern der Fraktion in der Volkskammer der DDR geführt hatte — der Bericht ist damals im Wortlaut veröffentlicht worden —, heißt es in Honeckers damaliger Eigendiktion:
    Er unterstrich die Erwartung, daß der Grundlagenvertrag baldigst in Kraft gesetzt werden kann. Seine strikte Einhaltung und volle Anwendung wird es ermöglichen, günstige Bedingungen für die Zusammenarbeit zwischen der DDR und der Bundesrepublik zu schaffen, was dem Wohl der Menschen in beiden deutschen Staaten dient. Im Zuge der Normalisierung der Beziehungen zwischen der DDR und der BRD werden praktische und humanitäre Fragen gelöst, wie es im Grundlagenvertrag vorgesehen ist. Eine besondere Rolle werden die Abkommen spielen, die entsprechend diesem Vertrag auf dem Gebiet der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Technik, des Verkehrs, des Rechtsverkehrs, des Post- und Fernmeldewesens und über andere beiderseits interessierenden Fragen abzuschließen sind. Das wird eine neue, für die Beteiligten vorteilhafte Seite in der Herstellung gutnachbarlicher Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik aufschlagen.
    Daran wollte ich erinnert haben.
    Ich habe seinerzeit — das geht aus demselben Bericht hervor — unsere Auffassung von der Schlüsselrolle des Viermächteabkommens über Berlin dargelegt und seine Ausführung als entscheidend für das Verhältnis von Bundesrepublik Deutschland und Deutscher Demokratischer Republik zueinander sowie für die weitere Entwicklung in dem durch dieses Abkommen und durch die Vertragsgrundlagen der Bundesrepublik Deutschland bestimmenden Gefüge der obersten Verantwortung der Vier Mächte bei den Bemühungen um Frieden und gutnachbarliche Beziehungen in Europa und für den Frieden in der Welt begründet.
    Meine Damen und Herren, ich erinnere auch an folgendes. Bei aller Kritik an den bisherigen Ergebnissen aus den Vertragsregelungen zwischen diesen beiden Staaten im getrennten Deutschland darf daran doch nicht vorbeigesehen werden: Die Zahlen sprechen eine positivere Sprache, Besucherzahlen hinüber und herüber, Zahlen über Ausreisegenehmigungen, Familienzusammenführungen und Transitverkehr. Vor allem gibt es Verträge als Grundlage für die Austragung von Streitfragen, die sich aus den verschiedenen Interessen beider Seiten ergeben. Wie wir gesehen haben, ist bezüglich des Sportverkehrs ein Schritt voran gegangen worden.
    Ich halte für aktuell, Bemühungen um eine Korrektur z. B. der Mindestumtauschbeträge für Besucher, Entwicklung und Sicherung der Wirtschaftsbeziehungen und des Energieverbunds — auch zum Nutzen Berlins — und Folgevereinbarungen aus dem Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen sorgfältig und gediegen zustande zu bringen.
    Ich komme noch einmal zurück auf die interessanten sachlichen Bemerkungen, die der Herr Kollege Carstens in bezug auf das, was die CDU/ CSU zur Ost- und zur Vertragspolitik in dieser Richtung zu sagen hatte, gemacht hat. Ich erinnere an eine Erklärung, die das Kuratorium „Unteilbares Deutschland" im vorigen Jahr zum 20. schmerzlichen Jahrestag des 17. Juni herausgegeben hatte. In ihr hieß es:
    Die Teilung Deutschlands ist gegen den Willen der Deutschen, aber nicht ohne deutsche Schuld zustande gekommen. Das System der Mächte, das sich als Antwort auf den unmenschlichen Nationalsozialismus schließlich ergeben hat, wird die Grundstruktur des europäischen Kontinents für eine überschaubare Zukunft bleiben. Gegenwärtig leben wir Deutsche in zwei völlig gegensätzlichen gesellschaftlichen und politischen Ordnungen. Gerade deshalb müssen wir auf die Sicherung des Friedens und den Abbau der Spannungen hinarbeiten.
    Es ist Aufgabe der vor uns liegenden Zeit, das Bewußtsein der Einheit der Nation zu erhalten. Gemeinsame Geschichte, Sprache und Kultur sind unauslöschliche Bestandteile dieser Einheit der Nation. Die durch jahrelange Trennung verschütteten menschlichen Beziehungen gilt es Schritt für Schritt neu zu beleben.
    Mit sachlichem Ernst ist damals erklärt worden:
    Bis in diese Tage ist um die Politik der Verträge und um die Verträge selbst leidenschaftlich gerungen worden. Nachdem die Verträge gütig geworden sind, gelten sie für die Befürworter wie für die Kritiker.
    Alle Parteien sind sich darüber einig. - So hieß es damals.
    Auf dieser Basis muß nunmehr versucht werden, das Beste für alle Deutschen aus der neuen Situation zu machen. Niemand sollte sich Illusionen hingeben, jedoch darf sich auch niemand von der Schwere der Aufgabe zu Resignation verleiten lassen. Eine Sprache und



    Wehner
    Politik der bloßen Gegensätze würde nicht weiterführen. Es ist Aufgabe der kommenden Monate und Jahre, Annäherung für die Menschen in beiden Richtungen Stück für Stück in die Wege zu bringen.
    Ich habe mich im vorigen Jahr veranlaßt gesehen, in der 44. Sitzung des Deutschen Bundestages diese Erklärung, an der Kollegen aller drei Bundestagsfraktionen, aller im Bundestag vertretenen Parteien mitgewirkt haben, Wort für Wort vorzulesen, weil es damals leider eine sehr konträre Rede des Herrn Kollegen Carstens außerhalb des Bundestages dazu gegeben hatte. Sie finden diesen ganzen Text in dem Protokoll der 44. Sitzung der 7. Wahlperiode, Seite 2469 und Seite 2470.
    Zum Schluß einiges zum Verhältnis der Opposition zur Koalition! Da komme ich zu dem zurück, wo ich mich zu dem geäußert habe, was Herr Kollege Carstens am Schluß seiner Rede gesagt hatte. In der Debatte über die Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 hatte ich Erklärungen des damaligen Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Herrn Dr. Barzel, zitiert:
    Das Wahlergebnis gibt diesem 7. Deutschen Bundestag einen ganz anderen Charakter und verlangt von der Opposition eine andere Strategie und Taktik als im 6. Deutschen Bundestag. Wir sind nicht mehr verhinderte Regierungspartei, sondern wir sind klar Opposition, und die anderen sollen regieren. Das heißt, daß man der Regierung die Zeit lassen muß, jetzt mit ihren Vorlagen zu kommen. Das heißt, daß wir nicht jeden Tag, wie wir dies im letzten Bundestag gemacht haben, mit Initiativen und Alternativen hervortreten müssen. Unsere Opposition darf nicht tagespolitisch sein, sie muß gerichtet sein auf morgen, auf die bessere Alternative für 1976.
    Damals standen Ihnen, meine Damen und Herren. noch Klausurtagungen der CDU/CSU und der CDU als Partei bevor. Wenige Monate später hatten Sie einen Führungswechsel in der Fraktion der CDU/ CSU und auch einen in der Partei der CDU vorgenommen. Im Juni hatten Sie umgruppiert, und zugleich zeigte sich, daß der Vorsatz vom 16. Dezember 1973, den ich hier zitiert hatte, ausgelöscht schien.
    Wenn nun heute gefragt und spekuliert und prophezeit wird, wie es um die Führung auf der Seite der Koalitionsparteien — Sozialdemokraten, Freie Demokraten —, ihrer Parlamentsfraktionen und der Bundesregierung stehe, respektive wie sich das entwickeln werde oder müsse, so sage ich Ihnen ganz trocken: Lösen Sie bitte Ihre Führungsprobleme!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.) Die unseren sind von anderer Natur.


    (Ironischer Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Dazu wissen wir, daß wir den Bundeskanzler Helmut Schmidt und sein Kabinett mit konzentrierten Kräften

    (Abg. Haase [Kassel] : Das letzte Aufgebot!) der Parlamentsfraktion, der Koalition und der großen Kraft der Mitgliederpartei SPD zu unterstützen haben. Das gilt, meine Damen und Herren, in Personen ausgedrückt für den Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands wie für den Vorsitzenden der Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag.


    (Beifall bei der SPD.)

    Schließlich lassen Sie mich am Schluß sagen: Bei allem bitteren Streit und bei einem hohen Maß von Vergiftung dieses Streites durch Kampagnen der Verteufelung und der Feindschaft — —

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ich habe Ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das merke ich seit zweimal 24 Stunden an dem Gerede, daß Sie neuerdings jetzt Ihre Nummer 1 bald bestimmen müssen, während Sie vorher sagten, es habe noch Zeit bis tief in das Jahr 1975 hinein.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Marx: Sie haben doch keinen Strich durch die Rechnung gemacht! Das machen doch wir, wie wir wollen!)

    — Nein, Kampagnen sind von Ihnen geführt worden. Setzen Sie sich bitte mit denen auseinander, die Sie in solche Kampagnen hineinlocken, hineintreiben und sie fortgesetzt steigern. Das werden Sie auch noch eines Tages tun.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Reddemann: Wer hat denn die Kampagne eröffnet?! Das waren doch Sie, Herr Wehner! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Bei all dem haben Sie und wir nicht weniger, in dem wir übereinzustimmen haben, als daß wir Gegensätzliches haben. Die Grundübereinstimmung ist die freiheitlich-demokratische Grundordnung als Boden und als Rahmen für die Austragung unserer Streitigkeiten im Ringen um die spezifischen Gewichte des Sozialen, des Freiheitlichen in unserer demokratischen Ordnung. Damit wir dieses Ringen führen können, brauchen wir Sie, und was Sie immer von uns halten und wir von Ihnen kennengelernt haben, — um dies kommen Sie nicht herum. Wir wissen, was wir dem Ganzen schuldig sind. Sie müssen sich auch bald daran erinnern.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das, worin Sie, meine Damen und Herren, und wir übereinstimmen, wiegt nach meiner Ansicht nicht weniger schwer als das, worüber wir streiten, um es sehr nüchtern zu sagen. Da komme ich — entschuldigen Sie — noch einmal zurück auf die Regierungserklärung der ersten Regierung Brandt/Scheel von 1969, in der es damals nach bitteren Auseinandersetzungen diesen schlichten Satz gab: „Im sachlichen Gegeneinander und im nationalen Miteinander." Vielleicht bedurfte es erst vielen Durcheinanders, um dazu zu kommen. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.

    (Anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien.)






Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Mischnick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich mich mit der Regierungserklärung und — soweit überhaupt notwendig — mit der Stellungnahme des Oppositionsfraktionsführers auseinandersetze, ein Wort des Dankes an den bisherigen Bundeskanzler und an den bisherigen Außenminister.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, ich selbst wie auch meine Freunde haben den Schritt von Bundeskanzler Brandt tief bedauert, wenngleich wir ihn respektieren. Das partnerschaftliche Zusammenwirken mit ihm und in der von ihm geführten 'Regierung trug entscheidend zu der erfolgreichen Arbeit der letzten Jahre bei.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir würdigen dies nicht nur jetzt, es wird bei uns auch fortwirken. Fairneß und Loyalität sind nicht selbstverständlich in der Politik. Wir Freien Demokraten haben das oft erleben müssen. Mit Willy Brandt haben wir diese Fairneß und Loyalität erlebt. Wir danken dafür.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die FDP ist bereit, diese vertrauensvolle Zusammenarbeit auch unter Bundeskanzler Helmut Schmidt fortzusetzen.

    (Beifall bei der FDP. — Zuruf von der CDU/ CSU: Bravo!)

    Ihnen, lieber Walter Scheel, unseren Dank dafür, mit welcher Entschlossenheit und Zielstrebigkeit Sie die liberale Partei in schwerer Zeit erfolgreich geführt haben. Dies stellte sicher, daß in der Außenpolitik neue Möglichkeiten erschlossen und in der Innenpolitik das Tor zur Verwirklichung notwendiger vernünftiger Reformen geöffnet werden konnte. Wir bedauern Ihr Ausscheiden aus der aktiven Tagespolitik und sind stolz darauf, daß unser Parteivorsitzender zum Bundespräsidenten gewählt worden ist. Herzlichen Dank für Ihre Arbeit.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, beide Männer zusammen haben ein Regierungsprogramm geschaffen, daß auch für die künftige Arbeit der sozialliberalen Koalition bestimmend sein wird. Die am 18. Januar 1973 in der Regierungserklärung festgelegte Gesamtrichtung bleibt bestehen. Ihre Aktualisierung ist erfolgt. Dies hat, wie der Herr Bundeskanzler dargelegt hat, seinen plausiblen Grund auch darin, daß FDP und SPD eine stattliche Reihe von Vorhaben in den vergangenen Monaten erfolgreich abschließen konnten. Dazu nur einige Stichworte: Kartellrecht, Ausbau der Umweltschutzgesetzgebung, Verbesserung des Verbraucherschutzes, Neuordnung des Rentenrechts, laufende Verbesserung der Einrichtungen und der gesetzlichen Grundlagen zur Erhaltung der inneren Sicherheit. Und dieses und vieles mehr noch soll nach Meinung der Opposition gescheiterte Politik sein? Dieses hätten
    Sie gern, und Sie versuchen, mit wechselndem Erfolg, dies den Menschen draußen weiszumachen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die lange Liste der verwirklichten Vorhaben widerlegt doch bereits jetzt, kurz vor Halbzeit der Legislaturperiode, diese vorschnelle, durch Fakten nicht beweisbare Behauptung der CDU/CSU. Das ganze ist doch ein durchsichtiges Manöver: Unruhe überall dort zu erzeugen, wo die Opposition selbst jede ausreichende Alternative vermissen läßt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, im übrigen ist mir unverständlich — Herr Kollege Carstens hat selbst darauf hingewiesen —, wieso eigentlich die Opposition — doch wohl offenbar mangels besserer Alternativen — über 90 % der Gesetze zugestimmt hat, wenn angeblich die gesamte Politik gescheitert sein soll. Das ist doch wiederum ein Widerspruch in sich selbst.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, was wir uns weiter vorgenommen haben — Steuerreform, Mitbestimmung, Vermögensbildung, berufliche Bildung, Reform des Bodenrechts —, ist doch durch die jüngste Entwicklung nicht etwa unaktuell oder weniger dringlich geworden, ganz im Gegenteil. Wenn man sich aber die Erklärungen der Führungsgremien von CDU und CSU vor Augen führt, in denen verbrauchte Rezepte als „Wertpapiere" für eine angeblich neue Politik herhalten müssen, bleibt für uns nur eine Erkenntnis übrig: mit Energie und Zielstrebigkeit das Programm der sozialliberalen Koalition zu erfüllen — und nichts anderes.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, der Ausbau unseres sozialen Rechtsstaates und die Absicherung unserer marktwirtschaftlichen Ordnung durch weiterentwikkelte sowie ausgleichende Regelungen dürfen ebensowenig zum Stillstand kommen wie die Fortführung der Politik der guten Nachbarschaft, wie sie Willy Brandt und Walter Scheel eingeleitet haben. Dazu gab es und gibt es keine Alternative.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, für uns heißt reformieren Bestehendes verbessern, aber nicht das System verändern. Wir wollen unserer als grundsätzlich richtig erkannten Gesellschaftsreform eine bessere Qualität geben, also bei der freiheitlich-rechtsstaatlichen Ordnung bleiben, sie weiterentwickeln, aber weder abschaffen noch auf den Kopf stellen, wie es uns immer wieder von manchen Rednern der Opposition unterstellt wird.

    (Dr. von Bismarck: [CDU/CSU] : Von der SPD vorgeschlagen! Sie verwechseln das!)

    — Ich spreche für die FDP. Das wissen Sie doch ganz genau.
    Die Politik der Friedenssicherung und Entspannung wird beharrlich fortgesetzt werden. Diese Politik beruht weiterhin auf der notwendigen europäischen Integrations- und der atlantischen Bündnis-



    Mischnick
    politik, ergänzt durch eine realistische Ost- und Deutschlandpolitik. Durch unseren Beitritt zur UNO im Jahre 1973 hat diese Politik eine zusätzliche Dimension erhalten. In der Ost- und in der Deutschlandpolitik kommt es jetzt vor allem darauf an, den vorgegebenen vertraglichen Rahmen weiter wie bisher auf den verschiedensten Gebieten mit Leben zu erfüllen.
    Wir sind uns alle in diesem Hause über die politische Wertung, die politische Beurteilung der Spionageaffäre Guillaume einig. Aber diesen Fall, wie das oft im Lande draußen geschieht, als Beweis dafür zu mißbrauchen, die gesamte Vertragspolitik mit unseren östlichen Nachbarn sei falsch, ist unsachlich, primitiv und unpolitisch zugleich.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, gerade unsere Generation ist doch aufgerufen, auf die tiefgreifenden Nachwirkungen des letzten Weltkrieges so entschlossen wie möglich und so realistisch wie nötig zu reagieren. Daß das ein langwieriger Prozeß ist, wissen wir; wir haben immer wieder darauf hingewiesen.
    Wir begrüßen die intensiven Bemühungen der Bundesregierung und der europäischen Partner, auf den Konferenzen für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sowie über die Rüstungskontrollen zu tragbaren und allen Menschen dienenden Kompromissen zu kommen. Dies muß unbeirrt fortgesetzt werden.
    Die Politik der Entspannung und Zusammenarbeit ist besonders gegenüber der DDR notwendig und hat trotz einiger negativer Punkte eine insgesamt positive Bilanz aufzuweisen. Herr Kollege Wehner hat schon darauf hingewiesen, wie die Verbindungen zu Berlin gefestigt worden sind, daß der Transitverkehr auf den Zugangswegen von und nach Berlin seit Juni 1972 im wesentlichen, bis auf kleine Punkte, reibungslos verläuft, daß bei der Zahl der Reisenden — 1973 13,6 Millionen — eine Zunahme gegenüber 1972 um 30 %, gegenüber 1971 sogar um 78 % zu verzeichnen ist. Das alles will man nicht wahrhaben, wenn man in Bausch und Bogen diese Politik verurteilt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Bindungen Westberlins und die Außenvertretung durch den Bund konnten auf der Grundlage des Viermächteabkommens gestärkt und gefestigt werden. Wer von Ihnen, meine Damen und Herren, Gelegenheit hatte, in der vom Fernsehen gezeigten Dokumentation über 25 Jahre Bundesrepublik die schweren Auseinandersetzungen und die Schwierigkeiten im Berlin-Verkehr in den letzten Jahren zu sehen, der weiß erst richtig zu würdigen, wie weit und wie gut wir heute hier vorangekommen sind.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Natürlich ist nicht alles erreicht. Wir wollen weitere Verbesserungen erzielen und auf der Basis des Grundlagenvertrags über Fragen des Umweltschutzes, des Rechtshilfeverkehrs, der Kultur, der Wissenschaft und Technik, des Handels, des Post- und Fernmeldewesens weiter verhandeln. Inzwischen wurden auch Abkommen abgeschlossen: im Gesundheitswesen, Vereinbarungen im Bereich des nichtkommerziellen Zahlungsverkehrs, zwischen den beiden Sportorganisationen. Diese Bilanz ließe sich noch verlängern. Mir schéint jedoch, sie spricht schon für sich, für jeden, der bereit ist, objektiv zu urteilen und nicht die Propaganda zum Maßstab seines Urteils zu machen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wie recht wir mit dieser Beurteilung haben, ist ja auch zum Teil von Kollegen der Opposition zu hören. Ich kann nur Herrn Kollegen Leisler Kiep zustimmen, wenn er ein vitales Interesse der Bundesrepublik Deutschland an einer Weiterführung der Entspannungspolitik gerade gegenüber der DDR konstatiert und vor einer Stagnation der deutsch-deutschen Beziehungen warnt. Gerade in diesem Bereich der Politik müssen wir die Interessen und die Bedürfnisse der Menschen in beiden Teilen Deutschlands unseren Überlegungen voranstellen, vor allen anderen Fragen, die innenpolitisch eine Bedeutung haben mögen.
    Meine Damen und Herren, mit Recht ist schon in den Diskussionsbeiträgen der Kollegen Carstens und Wehner auf die europäische Entwicklung hingewiesen worden. Die Maßnahmen der italienischen und dänischen Regierung erfüllen uns alle mit großer Sorge, geht es bei diesen Maßnahmen, nämlich die Importe dieser Staaten aus den Partnerländern erheblich zu erschweren, wenn nicht gar zu stoppen, doch um die Substanz der Verträge von Rom. Es ist selbstverständlich, daß wir Freie Demokraten alle Maßnahmen und Initiativen der Bundesregierung tatkräftig unterstützen werden, um diese Probleme zu meistern. Wir hoffen, daß der neue französische Präsident, dem wir unsere besten Wünsche aussprechen, die europäische Einigung als genauso vordringlich ansieht, wie wir selbst, denn sie liegt im beiderseitigen Interesse von Frankreich und Deutschland.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, die allgemeine Grundtendenz der Regierungserklärung, unveränderte Fortsetzung der Politik der letzten Bundesregierung, gilt auch auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik. Ich brauche deshalb nicht im einzelnen zu widerholen, was ich für meine Fraktion am 18. Januar 1973 ausgeführt habe. Auch heute steht im Vordergrund: Die von uns angestrebte Sicherheit sehen wir nach wie vor in einer engen Zusammenarbeit im Rahmen der NATO verwirklicht, wobei wir unsere alte Forderung wiederholen, die Bemühungen um eine Arbeitsteilung im Bündnis trotz aller Schwierigkeiten verstärkt fortzusetzen. Wir verstehen darunter, daß nicht jeder Mitgliedstaat in jeder Teilstreitkraft und auf jedem Gebiet eines jeden Waffensystems tätig zu sein braucht.
    Mit der Strukturreform bei der Bundeswehr sind wir in der Zwischenzeit ein gutes Stück weitergekommen. Zu unserem Bedauern hat der Bundesrat am 10. Mai 1974 keine Zustimmung gegeben. Da dies aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, insgesamt sechs Entwürfen an diesem Tag so ergangen ist, glaube ich, daß die Opposition damit demonstrieren wollte, daß die Ablehnung im halben Dutzend



    Mischnick
    eben billiger ist. Besser geworden ist dadurch die Argumentation der Opposition auch in der Sicherheitspolitik um keinen Punkt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Franke [Osnabrück] : Das war aber nicht sehr stark, Herr Mischnick!)

    — Wenn Sie meinen, daß es das richtige Verfahren ist, pauschal Gesetzentwürfe abzulehnen, dann steht das im Widerspruch, was Kollege Carstens hier vorhin gesagt hat. Ich werde aber auf dieses Kapitel noch im einzelnen zurückkommen.

    (Abg. Franke [Osnabrück]:: Ich meinte nur den Inhalt Ihrer Bemerkung!)

    In der Wirtschafts- und in der Finanzpolitik ist das Nahziel die Steuerreform. Sie wird zu weitgehenden Entlastungen unterer und mittlerer Einkommen und zu mäßigen Mehrbelastungen bei höheren Einkommen bei gleichzeitigem Abbau von Steuervergünstigungen führen.

    (Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Eineinhalb Jahre zu spät!)

    Durch die Entlastung werden insbesondere auch diejenigen Personengruppen berücksichtigt, die nicht durch mächtige Interessenverbände vertreten sind. Aus Zeitgründen ist es jetzt nicht möglich, das hier im Detail darzulegen. Dazu werden wir in 14 Tagen Gelegenheit haben, wenn dieses Haus vor der Entscheidung steht. Meine Fraktion hält zusammen mit der Bundesregierung gerade diese Reform für äußerst vordringlich, auch wenn sie — das sei unumwunden zugegeben — sehr viel Geld kostet. Aber ich glaube, man sollte hier in erster Linie die Chance und nicht die Gefahr sehen. Wenn ich „Chance" sage, dann meine ich, daß damit der Zwang zu einer konsequenten, restriktiven Haushaltspolitik von Bund, Ländern und Gemeinden verbunden ist, die sich als Notwendigkeit aus dieser Steuerentlastung ergibt. Da die Opposition in diesem Hause Steuerentlastungsvorschläge zu Lasten von Bund, Ländern und Gemeinden vorgelegt hat, die zusätzlich noch einmal fast die gleichen Kosten verursachen würden — allerdings ohne die gleichen sozialpolitischen Wirkungen zu erzielen —, erwarten meine Freunde und ich, daß die von der CDU bzw. CSU geführten Länder im Bundesrat einer fairen Aufteilung der Steuermindereinnahmen auf Bund, Länder und Gemeinden ihre Zustimmung nicht verweigern werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Diese Mindereinnahmen sollen und müssen Bund, Länder und Gemeinden zu einer sparsamen Haushaltsführung zwingen.
    Herr Kollege Carstens hat wieder darüber gejammert, daß die CDU/CSU-Anträge zur Steuersenkung abgelehnt worden seien. Wir halten an der Steuerreform fest, weil sie die einzige Möglichkeit ist, vom Augenblickserfolg weg, den Sie haben wollen, zu einer grundsätzlichen Reform zu kommen, die wirklich eine Entlastung auf längere Zeit mit sich bringt und nicht nur für den Tag wirkt, wie Sie es mit Ihren Anträgen vorhaben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, mir scheint es notwendig zu sein, daß die durch die Steuerreform erzwungene Politik der Sparsamkeit auch auf die überquellenden Personalausweitungen der öffentlichen Hand in Bund, Ländern und Gemeinden bezogen wird. Allerorten sind Gebietsreformen, Verwaltungsreformen im Gange. Es gebricht aber oft an dem Mut, dies auch mit den notwendigen. Funktionalreformen zu verbinden, um daraus auf Sicht Personaleinsparungen zu ermöglichen. Hier müssen wir gemeinsam in Bund, Land und Gemeinde wirken, damit diese Ziele erreicht werden.
    Nicht zuletzt deshalb halte ich es auch für notwendig, daß die Arbeit an der Beamtenrechtsreform oder, besser gesagt, an der Reform des gesamten öffentlichen Dienstrechts mit Nachdruck vorangetrieben wird, um hier bald zu wohldurchdachten langfristigen Lösungen zu kommen.
    Ich möchte im Zusammenhang mit der Steuerpolitik ausdrücklich 'begrüßen, daß die Bundesregierung zum Ausgleich der Mindereinnahmen keine Steuererhöhungen vorsieht. Hier trägt auch die Opposition eine gesamtpolitische Verantwortung, aber man kann Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, nicht bescheinigen, daß Sie sich immer dessen bewußt sind.
    Ein Beispiel dafür sind die Änderungsanträge der CDU/CSU im Finanzausschuß zur Steuerreform. Diese Anträge allein — und das steht wieder im Widerspruch zu dem, was wir vorhin gehört haben — hätten insgesamt einen Steuerausfall von weiteren 9 Milliarden DM — über die vorgesehenen 10 bis 12 Milliarden DM Steuerentlastung hinaus — mit sich gebracht.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie wissen, daß das gar nicht terminiert war!)

    Solche Anträge, denen nicht ein einziger konkreter Vorschlag beigefügt ist, wo das dazu benötigte zusätzliche Geld herkommen soll, sind politisch un-verantwortbar.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Opposition muß sich die Frage gefallen lassen, ob sie damit nur Propaganda machen will, ob sie sich für die Gesamtbelange unseres Staates nicht mehr mitverantwortlich fühlt. Und wenn wir schon gehört haben, daß diese Anträge nur in den Ausschüssen gestellt werden sollen, in der zweiten Lesung im Plenum aber möglicherweise nicht, so macht das ja deutlich, wie Ihre eigenen Finanz- und Haushaltsexperten sich miteinander im klaren sind, daß hier für bestimmte Gruppen nach draußen propagandistisch etwas gegeben werden, dann aber hier im Plenum Stabilität verlangt werden soll. Das ist eben die Doppelzüngigkeit, gegen die wir uns immer wieder gewehrt haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es ist davon gesprochen worden, wir hätten nur an Länder und Gemeinden appelliert. Wer wirklich ernsthaft die Wiedergewinnung der Stabilität in den Vordergrund stellt und dabei erfolgreich sein will, der muß auch Länder und Gemeinden in diese Politik mit einbinden.



    Mischnick
    Dasselbe gilt nach unserer Meinung in einer Wirtschaftsordnung, in der die Tarifpartner frei sind, in der Tarifautonomie für die Tarifpartner herrscht. Die gleiche Verantwortung muß jedoch auch in der Geschäftspolitik unserer Unternehmen zum Ausdruck kommen. Wer ,sich einen großen Marktanteil in unserem Lande aufgebaut hat, muß wissen, daß seine Entscheidungen von allergrößtem Einfluß auf das gesamte Preisgefüge ,sind. Für den Fall, daß diese Verantwortung nicht genügend gesehen wird, haben wir nach der Verabschiedung der Kartellnovelle das notwendige Instrumentarium geschaffen, um dem Mißbrauch entgegenzuwirken. Die ergriffenen Maßnahmen auf diesem Gebiete dürfen uns aber nicht dazu verleiten, stabile Preise von einstweiligen Verfügungen, Verordnungen oder sonstigen bürokratischen Maßnahmen zu erwarten. Gerade die Erfahrungen in anderen Ländern mit Preis-und Lohnreglementierungen zeigen, wie falsch solche Hoffnungen wären.
    Das gilt auch — um das in aller Deutlichkeit zu sagen — für die in jüngster Zeit aufgetauchten Vorschläge zur Indexierung. Diese kommen manchmal sogar von besonderen Anhängern der Marktwirtschaft. Gerade die Indexierung wird nach Ansicht meiner Fraktion nur als ein Beitrag zur Verstärkung der Inflationsmentalität bewertet werden können und niemals etwa die Möglichkeit in sich bergen, sie aufzuhalten.

    (Beifall bei der FDP.)

    Meine Damen und Herren, der beste Schutz gegen Mißbrauch von Marktmacht und überhöhte Preise ist nach unserer Ansicht nach wie vor die Verstärkung des Wettbewerbs, der auch die vorbeugende Fusionskontrolle und die Kooperationserleichterungen für den gewerblichen Mittelstand im Rahmen der beschlossenen Kartellnovelle dienen. Darüber hinaus müssen die Erhaltung und Förderung des gewerblichen Mittelstands, den wir als einen wesentlichen Motor des Wettbewerbs ansehen,

    (Abg. Haase [Kassel] : Mit der „Aktion Gelber Punkt" !)

    bei der vor 'uns liegenden Gesetzesarbeit verfolgt werden.
    Der hohe Anteil unserer Volkswirtschaft am Außenhandel zwingt jede Regierung in unseren Lande dazu, Stabilitätspolitik so weit wie möglich gemeinsam mit unseren Handelspartnern zu verwirklichen. Währungs- und konjunkturpolitische Alleingänge werden uns immer mindestens mit einem Ziel des magischen Vierecks, nämlich Preisstabilität, hoher Beschäftigungsstand, Wachstum und Zahlungsbilanz, in Konflikt bringen müssen. Die in den letzten Jahren eigentlich kaum unterbrochenen starken Devisenzuflüsse in die Bundesrepublik sind ein objektiver und über alle Parteigrenzen hinausreichender Maßstab dafür, daß wir Stabilität exportieren und Instabilität importieren.
    Neben den weiterhin verstärkten Anstrengungen im Rahmen unserer nationalen Konjunkturpolitik müssen gleichzeitig auch die Bemühungen weitergeführt werden, auf den verschiedenen Ebenen der internationalen Zusammenarbeit zu einem gleichgerichteten konjunkturpolitischen Verhalten unserer Handelspartner zu kommen. Die Fraktion der FDP unterstützt daher die Bemühungen der Bundesregierung, die Europäische Gemeinschaft insgesamt zum gleichen Verhalten zu bewegen.
    Meine Damen und Herren, da davon gesprochen worden ist, daß wir so vieles aufgegeben hätten, noch ein paar Bemerkungen zu Punkten, die in der Arbeit sind, die wir in der Regierungserklärung 1973 angekündigt haben und die Sie doch nicht einfach hinwegdiskutieren können. Wir werden das Bundesbaugesetz in dieser Legislaturperiode novellieren; der Entwurf liegt vor.

    (Abg. Dr. Barzel: Was hattet Ihr Großes vor!)

    Im Namen meiner Fraktion habe ich bereits darauf hingewiesen, daß es vor allem in den Ballungsräumen darum geht, eine sinnvollere Nutzung der Bodenreserven zu erreichen. Es geht um die Bekämpfung der Spekulation, um die Dämpfung des Preisauftriebs und darum, mehr Menschen die Chance zum Erwerb von Grund und Boden zu geben. Die Bundesregierung hat zu Recht auf die Bedeutung der Bodenreform für die Eigentumsbildung hingewiesen. Meine Fraktion wird auch die weiteren Gesetzentwürfe, die hier mit Wohnbesitzbrief und Mietkaufsystem zur Vorlage gekommen sind, unterstützen, um das Einzeleigentum auch dadurch zu fördern.
    Unverändert bleiben als Ziel der Agrarpolitik die Versorgung der Bevölkerung mit hochwertigen Erzeugnissen der Landwirtschaft zu angemessenen Preisen sowie die Teilnahme der in der Landwirtschaft Tätigen an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung. Lassen Sie mich hier einen Satz einfügen: Was auf der Dortmunder Kundgebung an Falschem über die Agrarpolitik der letzten Jahre behauptet worden ist, ist ein schlechter Dienst für unsere Landwirtschaft insgesamt gewesen. Das möchte ich hier einmal in aller Deutlichkeit klarstellen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Verbesserung der Lebensverhältnisse im ländlichen Raum, die Erhaltung und Entwicklung der Leistungs- und Nutzungsfähigkeit von Natur und Landschaft gehören dazu. Meine Damen und Herren, in dieser Lage sind die Fortsetzung des Grenzausgleichs — das sage ich ganz freimütig — und die Ausweitung auf bisher ausgeschlossene Produkte kein Element der Behinderung des Warenverkehrs, sondern ein notwendiges Mittel zur Erhaltung des gemeinsamen Marktes.
    Bei einer gerechten Beurteilung der Agrarpolitik darf nicht übersehen werden, was in den letzten Jahren in der Agrarsozialpolitik durch die Dynamisierung und Staffelung der landwirtschaftlichen Altershilfe, der Landabgaberente, durch die Pflichtkrankenversicherung, mit der Gratisversicherung der landwirtschaftlichen Rentner und mit Zuschüssen an die landwirtschaftlichen Unfallversicherungen nicht nur beschlossen, sondern vom Bund direkt materiell geleistet wurde.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD.)




    Mischnick
    Meine Damen und Herren, auch in der Gesellschafts- und Sozialpolitik wird es bei unseren Grundsätzen bleiben, d. h. Erweiterung der Möglichkeiten zur eigenverantwortlichen Vorsorge, gezielte Maßnahmen zu sozialen Sicherung besonders schutzbedürftiger Minderheiten, Verhinderung weiterer Konzentrationen gesellschaftspolitischer Macht, Ausbau der Selbstbestimmung des einzelnen im Arbeits- und Sozialleben.
    Die sozialliberale Koalition hat mit ihrer Vorlage zur Mitbestimmung ihren Willen zur Weiterentwicklung dieses wichtigen gesellschaftspolitischen Bereiches bewiesen. Wir werden in Kürze hier im Parlament darüber zu diskutieren haben. Der Faktor Disposition und damit der besondere Sachverstand der leitenden Angestellten wird in die neue Unternehmensverfassung einbezogen werden. Zur Abgrenzung des Begriffs „leitende Angestellte" ist kürzlich eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ergangen, die besonderes Interesse gefunden hat. Die CDU/CSU-Mehrheit des Bundesrates hat daraus sogar den Schluß gezogen, damit sei die Konzeption der Regierungsvorlage in Frage gestellt.

    (Abg. Franke [Osnabrück]:: 11 zu 9 heißt das!)

    Offenbar hatten die Vertreter dieser Länder die schriftliche Begründung der Entscheidung bei ihrer Beschlußfassung noch nicht voll zur Kenntnis genommen, sonst hätten sie gewußt, daß das Bundesarbeitsgericht gegenüber der bei der Verabschiedung der Regierungsvorlage bekannten Rechtsprechung und Kommentierung keine einengende Maßstäbe zur Auslegung des Begriffes „leitende Angestellte" aufgestellt hat.
    Meine Damen und Herren, die Grundzüge einer Vermögensbeteiligung

    (Abg. Franke [Osnabrück]:: Sind aufgegeben!)

    sind der Öffentlichkeit bekannt. Das Ziel entsprechend unserer Vorstellung ist es, eine sozial gerechtere Verteilung des Zuwachses am Produktivvermögen der Großunternehmen durch Begründung individuellen Eigentums zu erreichen. Entscheidend sind nicht die D-Mark-Beträge, die auf Grund der vorgesehenen Vermögensbeteiligung auf den einzelnen Berechtigten entfallen, sondern die längerfristige Wirkung, die damit erreicht werden soll. Nicht Sozialisierung der Produktionsmittel ist unsere Devise, sondern breit gestreute private Vermögensbildung über diesen Weg.

    (Abg. Franke [Osnabrück] : Aber Herr Mischnick, Sie müssen doch auch sagen, daß Sie das in dieser Legislaturperiode nicht machen wollen!)

    — Aber entschuldigen Sie, ich komme doch noch dazu. Das unterscheidet uns doch, Herr Kollege Franke,

    (Abg. Franke [Osnabrück]:: Das ist doch Spiegelfechterei!)

    wir haben immer den Mut, offen zu sagen, was ist, während Sie eine Verschleierungstaktik anwenden. Das ist der entscheidende Unterschied.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU.)

    Die Ausarbeitung dieses Gesetzentwurfes erfordert die weitere Klärung einer Reihe wichtiger, sehr komplizierter, auch rechtstechnisch schwieriger Fragen. Die Fortsetzung der Gesetzgebungsarbeiten hat der Herr Bundeskanzler dargelegt. Wir werden die Bundesregierung in ihrem Bemühen unterstützen, einen ausgereiften, in sich ausgewogenen Gesetzentwurf vorzulegen. Darüber brauchen Sie sich gar nicht aufzuregen.

    (Abg. Haase [Kassel] : Wir regen uns gar nicht auf!)

    Wir werden das so zeitgerecht tun, wie wir das in der Regierungserklärung vorgesehen haben.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Gerade Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, haben immer den Anspruch erhoben, besonders für Minderheitengruppen in unserem Volk -- insbesondere für die Behinderten — einzutreten.

    (Abg. Picard: Wir haben keinen Anspruch erhoben, wir haben etwas getan!)

    Wenn Sie sich einmal den Katalog der Leistungen dieser Regierung

    (Abg. Haase [Kassel] : Welcher Regierung? Der zurückgetretenen Regierung?)

    gerade für die Behinderten ansehen, werden Sie feststellen, daß diese Koalition für die Behinderten in wenigen Monaten mehr getan hat, als in den vergangenen Jahren von Ihnen geleistet worden ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Haase [Kassel] : Da waren Sie doch Minister! — Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU: Wer beurteilt das?)

    — Wenn Sie meinen, Sie müßten es im einzelnen hören, so sage ich es Ihnen gern: Wir haben ein neues Schwerbehindertengesetz verabschiedet. Wir haben die 3. Novelle zum Bundessozialhilfegesetz verabschiedet.

    (Abg. Haase [Kassel] : Minister war er!)

    Die Beratungen des Gesetzes zur Angleichung der Rehabilitationsleistungen stehen kurz vor dem Abschluß. Schließlich stehen wir vor den Beratungen des Gesetzes über die Einbeziehung der in Werkstätten arbeitenden Behinderten in die Sozialversicherung. Das sind die konkreten Leistungen dieser Koalition, die Sie nicht abstreiten können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich möchte hier kurz einen Teil der Gesundheitspolitik ansprechen, weil darüber bewußt manches an Falschem über die Haltung der Freien Demokraten verbreitet wird. Wir sind der Meinung, daß das Gesetzgebungsverfahren zur Reform der Arzneimittelsicherheit eingeleitet werden muß. Wir begrüßen das Hauptanliegen, dem Patienten durch den



    Mischnick
    Übergang von der bloßen Registrierung zur inhaltlichen Zulassung von Arzneimitteln mehr Schutz vor Gesundheitsgefahren zu geben.
    Ich möchte allerdings auch auf ein Kapitel hinweisen, von dem wir meinen, daß hier das Zusammenwirken zwischen den im gesundheitspolitischen Bereich Tätigen und den in der Verantwortung Stehenden notwendig ist. Kostensteigerungen in Krankenhaus und Arztpraxis sowie Ungleichmäßigkeiten in der ärtzlichen Versorgung stellen Ärzteschaft und Staat vor die Notwendigkeit dringlicher Reformmaßnahmen. Wir Freien Demokraten vertrauen dabei in erster Linie auf die Reformfähigkeit und den Reformwillen der Ärzte und bekräftigen daher erneut den Grundsatz einer freien Ausübung der Heilbrufe und seine konsequente Ergänzung durch das Recht der Patienten auf freie Arztwahl. Wir betreiben eine Gesundheitspolitik mit den Ärzten für die Patienten. Das heißt aber nicht, daß wir alles für richtig halten, was Ärzteverbände für richtig halten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir appellieren vielmehr an die deutsche Ärzteschaft, die Zeichen der Zeit zu erkennen

    (Abg. Haase [Kassel] : Das werden wir ihnen erzählen!)

    und nicht jeden Vorschlag zu Strukturverbesserungen als Systemveränderung abzuwehren. Herr Kollege Haase, wenn Sie sagen „Das werden wir ihnen erzählen", spricht daraus wieder Ihr Unvermögen, hier reformerisch tätig zu sein. Sie können nur Unruhe stiften. Das ist Ihre Politik. So sieht sachgerechte Politik aber nicht aus.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Haase [Kassel] : Nach dem Einzelhandel kommen jetzt die Ärzte und Apotheker dran!)

    Die von dem Herrn Bundeskanzler angekündigte Konzentration im innenpolitischen Bereich zur Intensivierung der Arbeit bezieht sich nach unserer Meinung in besonderem Maße auf die Reform des Familienrechts mit dem Scheidungsrecht. Wir sind bei den Beratungen schon ein erhebliches Stück weitergekommen und halten an dem Zeitplan fest, den wir uns vorgenommen haben.
    Unter entscheidender Initiative der Freien Demokraten hat dieser Deutsche Bundestag die Reform des § 218 des Strafgesetzbuches verabschiedet. Wir haben uns nach langen, gründlichen und ernsthaften Diskussionen für die Fristenregelung entschieden. Wir stehen dazu und sind überzeugt, daß sie auch geltendes Recht werden wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, es ist darauf hingewiesen worden, daß die Opposition ihre Aufgabe darin sehen wird, da, wo sie es für richtig hält, auch mitzuwirken. Nun, meine verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie werden eine große Möglichkeit dazu haben, wenn ich an den weiten Bereich der Umweltpolitik denke. Hier wird es darum gehen, den Widerstand der Bundesländer gegen eine Erweiterung der Bundeskompetenz für das
    Wasserrecht endlich zu überwinden. Hier kann die Opposition einmal mehr beweisen, ob Lippenbekenntnisse oder sachgerechte Taten der Inhalt ihrer Politik sind. Daß der Sprecher der Opposition zu diesen Sachfragen überhaupt nicht Stellung genommen hat, beweist mir, daß Sie nicht in der Lage sind, hier Alternativen aufzustellen oder das, was notwendig ist, mitzumachen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Herr Kollege Carstens, Sie haben die Frage der Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst angesprochen und dabei den Eindruck zu erwecken versucht, als gebe es da bei uns keine klare Meinung.

    (Abg. Dr. Barzel: Eine unzureichende!)

    Wir wollen den öffentlichen Dienst von Verfassungsfeinden freihalten.

    (Abg. Dr. Marx: Dann machen Sie es doch auch!)

    Zur Bekräftigung dieses Willens, den wir in einem einmütigen Parteitagsbeschluß zum Ausdruck gebracht haben, bieten wir unsere Mitarbeit an der raschen Verabschiedung des Gesetzentwurfes an, der in den letzten Wochen in das Gesetzgebungsverfahren gegeben worden ist.

    (Abg. Dr. Marx: Das reicht doch nicht!)

    Wir hoffen, daß das Gesetz möglichst bald in einer Fassung in Kraft treten kann, die unseren Vorstellungen von einem rechtsstaatlichen Verfahren entspricht. Das ist das Entscheidende!

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Marx: Eine solche Vorstellung haben wir ja auch! Was soll denn diese unangemessene Betonung?! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Wir haben gesehen, daß eine einheitliche Handhabung des geltenden Rechts nicht gewährleistet werden konnte, und mußten uns deshalb zu einer gesetzlichen Regelung entschließen. Der Gesetzentwurf macht allerdings auch deutlich, daß wir uns vor dem Irrtum zu bewahren wissen, die Gefährlichkeit der Extremisten von rechts und der von, links für unser demokratisches Staatswesen in unterschiedlicher Weise zu bewerten.
    Das in Art. 5 unseres Grundgesetzes statuierte Grundrecht der Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit und Pressefreiheit gilt es gerade dann in jeder Beziehung zu sichern, wenn es durch tatsächliche Entwicklungen gefährdet erscheint. Pressefreiheit ist in der Wirklichkeit unlösbar mit der Existenz einer vielfältigen, privatwirtschaftlich organisierten Presse verbunden; das gleiche gilt für mich für die Freiheit der Medien. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Grundsatzentscheidung beiden, den Verlegern und den Redakteuren, die gleiche Trägerschaft der Pressefreiheit zuerkannt. Der von uns vorzulegende Gesetzentwurf eines Presserechtsrahmengesetzes wird auf der Grundlage dieser Rechtsprechung einen fairen Interessenausgleich zwischen Verlegern und Redaktionen enthalten.



    Mischnick
    Meine Damen und Herren, ein paar Bemerkungen zur Bildungspolitik! Solange die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern so ist wie heute, wird sie für uns immer eine Art Zwitter bleiben. Als richtig erkannte Notwendigkeiten stehen immer wieder im Gegensatz zu den tatsächlichen Möglichkeiten. Aber man kann doch nicht, wie es die Opposition in einer Kleinen Anfrage getan hat, einerseits den Numerus clausus an unseren Hochschulen beklagen und andererseits pauschal vor einem drohenden Akademikerüberschuß sowie einem akademischen Proletariat warnen; beides zugleich geht doch wohl nicht.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Marx: Das Vermögen der Differenzierung ist Herrn Mischnick überhaupt nicht gegeben!)

    Man kann auch nicht scheinheilig danach fragen, was man konkret unternommen habe, um die Studienreform voranzubringen, wenn man weiß, daß der wichtigste Beitrag des Bundes zu dieser Studienreform, nämlich die Verabschiedung des Hochschulrahmengesetzes, bisher von der CDU/CSU behindert worden ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Picard: Ihr habt doch die Mehrheit! Ihr hättet es doch machen können! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Das ist doch ein Tatbestand! Die Verabschiedung dieses Hochschulrahmengesetzes bleibt für uns vorrangig,

    (Abg. Dr. Barzel: Macht's doch! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Dann macht es doch!)

    denn sie wird ein geeignetes Instrumentarium für die Studienreform schaffen können,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Worauf wartet ihr?)

    die angesichts wachsender Studentenzahlen und immer größer werdender Kapazitätsprobleme besonders dringlich ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wie viele Minister wollen Sie denn noch auswechseln? — Weitere Zurufe.)

    Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich glaube, Sie wären gut beraten, wenn Sie hier, statt ablenkende Bemerkungen zu machen, dafür sorgten, daß Ihre Kollegen in den Ländern mit dazu beitragen, daß das, was hier beschlossen wird, dann auch im Bundesrat über die Bühne geht.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es wird hier auf das Selbstverständnis des Bundesrates ankommen: ob er weiter Nothelfer der Opposition sein will, sein kann, sein sollte. Ich bin davon überzeugt, daß es hier endlich für Sie darauf ankommt, in solchen Fragen nicht nur verbal mit uns übereinzustimmen, sondern diese Ihre eigenen Standpunkte zu konkretisieren und auszufüllen.
    Das gilt auch für den Bereich der beruflichen Bildung. Das, was wir hier vorgesehen hatten, was die Regierung sich vorgenommen hat, was die Koalition will, hat nichts mit Verstaatlichung oder Verschulung der außerschulischen beruflichen Bildung zu tun.

    (Abg. Picard: Ganz neu!)

    Das duale System mit den Lernorten Schule, Betrieb und überbetriebliche Ausbildungsstätte bleibt erhalten. Davon sind wir nicht abgegangen. Die Integration von beruflicher und allgemeiner Bildung, die wir überall anstreben, wird die notwendige Nähe zur Praxis nicht beeinträchtigen; im Gegenteil. Wir begrüßen ausdrücklich die Klarstellung, die hier von der Bundesregierung vorgenommen worden ist, und erwarten, daß die teilweise unverständliche und jeglicher Tatsachenkenntnis bare Kampagne draußen im Lande endlich eingestellt wird. Der beruflichen Bildung, meine Damen und Herren, schaden am meisten diejenigen, die mit falschen Parolen — bewußt oder unbewußt, mag hier dahingestellt bleiben — Unruhe in die Betriebe, in Ausbilder, Eltern, Lehrlinge hineintragen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Das gilt gleichermaßen — ich nehme an, Sie sind
    jetzt noch einmal mit mir einer Meinung — für diejenigen, die alles schlechtmachen, was bisher war,

    (Abg. Dr. Marx: Ab 1969!)

    die nicht wahrhaben wollen, daß nicht zuletzt im
    schulischen Bereich manches verbessert werden muß.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Opposition wirft der Regierung vor, ihre Politik sei gescheitert, sie habe keine Konzeption, sie lebe in den Tag hinein, es fehle an zukunftweisenden Perspektiven.

    (Abg. Dr. Marx: Sehr gut!)

    Nicht nur daß diese Vorwürfe völlig aus der Luft gegriffen sind und durch die Erfolgsbilanz sowie die Regierungserklärung widerlegt werden; auch die eigene Handlungsfähigkeit von Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, ist insbesondere in der Außenpolitik, aber auch in weiten Teilen der Innenpolitik in Frage gestellt. Bei gewichtigen außenpolitischen Entscheidungen fiel die Opposition fast regelmäßig in zwei Bleichstarke Teile auseinander: UNO-Beitritt, Atomwaffensperrvertrag. Aber auch innenpolitisch sind Sie gelähmt, weil sich die widerstreitenden Kräftegruppen in Ihren Reihen zu keinem tragfähigen gemeinsamen Nenner finden können. Im November vergangenen Jahres kündigten Sie an, daß Sie einen Gesetzentwurf zur Mitbestimmung noch vor der Regierung einbringen wollten. Aber bis zur Stunde konnten sich CDU und CSU auf keine gemeinsame Basis einigen.

    (Abg. Dr. Jenninger: Wo ist denn Ihr Entwurf?)

    — Der Entwurf liegt doch vor.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)




    Mischnick
    Aber Sie wissen doch ganz genau, daß der Entwurf da ist.

    (Abg. Dr. Marx: In der Schublade!)

    Wenn Sie bezweifeln, daß der Entwurf da ist: im Juni werden Sie, wenn Sie es bis jetzt noch nicht gemerkt haben sollten, hier im Plenum merken, daß er vorliegt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber, Herr Kollege, so viel Vergeßlichkeit hatte ich Ihnen nicht zugetraut.
    Es fehlt das umfassende Konzept der Steuerreform. Hier liegt eine totale Fehlanzeige vor.

    (Abg. Haase [Kassel] : Bei euch, ja!)

    Statt dessen flüchtet sich die Opposition in taktische Einzelanträge von Milliardenhöhe.

    (Abg. Picard: Aber richtige!)

    Aber wie es wirklich um die Einheit der Opposition bestellt ist, machen die immer wieder aufflackernden Versuche deutlich, die CSU über die bayerischen Landesgrenzen hinaus wirksam werden zu lassen.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Selbst wenn dahinter keine ernsthafte Absicht der CSU-Parteileitung stehen sollte,

    (Abg. Dr. Marx: Passen Sie auf, daß Sie nicht alles merken! Erzählen Sie uns mal, warum der Brandt zurückgetreten ist!)

    so reichen doch die Diskussionen darüber aus, die CDU unter ständigem Druck ihrer bayerischen Schwesterpartei zu halten und damit besonders außenpolitisch an die Kandare zu nehmen. Das ist doch der Hintergrund dieser ganzen Überlegungen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, über die Stellung von Bundestag und Bundesrat ist in diesem Hause schon oft diskutiert worden. Das Verfassungsrecht und die Verfassungswirklichkeit scheinen mir gerade in der Frage der Stellung des Bundesrats manchmal auseinanderzuklaffen. Der Rang des Bundesrats ist unbestritten. Worüber man aber einmal nachdenken sollte, ist die Formulierung im Grundgesetz — Herr Kollege Stoltenberg hat es ja vor einiger Zeit angesprochen —, wonach die Länder durch den Bundesrat an der Bundesgesetzgebung mitwirken. Der gleiche Ausdruck „mitwirken" ist auch in Art. 21 gebraucht worden, der sich mit der Stellung der Parteien in unserem Staat auseinandersetzt.
    Die Auseinandersetzung um das Verhältnis zwischen Bundestag und Bundesrat hat ja dadurch eine neue Variante bekommen, daß der frühere Bundeskanzler Kollege Kiesinger, Ehrenvorsitzender der CDU, in einer Rundfunksendung davon sprach, daß die CDU/CSU im Bundestag in der Opposition sei, damit in der gesamten Bundesrepublik Opposition sei, woraus er schlußfolgerte, daß das dann gleichermaßen für den Bundesrat gelte. Dies haben nach meiner Überzeugung die Väter des Grundgesetzes bei ihrer Festlegung, daß die Länder über den Bundesrat mitwirken, mit Sicherheit nicht im Auge gehabt.
    Herr Kollege Carstens, Sie haben davon gesprochen, daß wir uns einseitig festgelegt haben, daß wir in den Ländern die Koalition mit der SPD vorziehen. Haben Sie wirklich einmal darüber nachgedacht, ob nicht letztendlich die Entscheidung der CDU/CSU, schon im Dezember 1969, beim Kriegsopfergesetz beginnend, den Bundesrat als Hilfsinstrument für die Opposition des Bundestages zu benutzen, wesentlich zu solchen Entscheidungen mil beigetragen haben könnte?

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Baron von Wrangel: Gleichschaltung! — Abg. Dr. Marx: Wenn der Bundesrat Ihren Thesen folgt, gilt das alles nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Wenn Sie das nicht sehen, dann bedaure ich, daß Sie offensichtlich das, was Sie an Bewegungsfreiheit von anderen verlangen,

    (Abg. Baron von Wrangel: Grauer Konformismus!)

    sich selbst in ihren eigenen Landesregierungen, wenn es um bundespolitische Fragen geht, nicht geben wollen.
    Meine Damen und Herren, ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen. Wir haben im Bundesrat die Festlegung, daß die Stimmen nur geschlossen abgegeben werden können.

    (Abg. Dr. Barzel: Tatsächlich? Ist das so?)

    Es handelt sich um ein gebundenes Mandat. Ganz nebenbei: Manche meinen — das ist das Pikante dabei —, daß hier ein verfassungsrechtlich verankertes imperatives Mandat besonderer Art geschaffen worden sei. Da ich generell etwas gegen imperative Mandate habe, ganz gleich, wo sie sind, ist meine Skepsis darüber, ob sich diese Form der Stimmabgabe im Bundesrat wirklich bewährt hat, nur größer geworden. Man muß vielleicht auch in der Verfassungsenquete-Kommission einmal darüber nachdenken, ob dies so, wie es ursprünglich gedacht war, bei der anderen Handhabung der Mehrheit auf Dauer beibehalten werden kann.

    (Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Eben!)

    Als das Grundgesetz geschaffen wurde, ist die Stimmenzahl für die einzelnen Länder festgelegt worden. Damals war der Bevölkerungsunterschied zwischen den Ländern nicht so groß, wie es heute der Fall ist.

    (Abg. Dr. Cartens [Fehmarn] : Genau so groß wie heute!)

    — Er war nicht so groß.

    (Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Doch!)

    — Aber vergessen Sie doch nicht, Herr Kollege Carstens, als das damals festgelegt wurde, gab es in dem baden-württembergischen Raum drei Länder. Heute gibt es dort ein Land. Dadurch waren schon von vornherein die Stimmenzahlen im Bundesrat anders.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich staune, daß Sie so etwas vergessen können.



    Mischnick
    Die von SPD und FDP regierten Länder haben heute — ohne Berlin — bei insgesamt 32 Millionen Einwohnern 20 Stimmen im Bundesrat, die CDU/ CSU-regierten Länder mit 27 Millionen Einwohnern 21 Stimmen.

    (Abg. Stücklen: Wir lassen die kleinen Länder auch mal zum Zuge kommen!)

    Man komme mir jetzt nicht mit dem Hinweis — wie das oft geschehen ist — auf den amerikanischen Senat. Das ist eine andere Struktur, das kann man nicht vergleichen.
    Aus diesen Fakten, meine sehr verehrten Damen und Herren, ergibt sich für mich, daß man entweder der Neugliederung mehr Aufmerksamkeit widmen muß oder sich über die Stimmverteilung im Bundesrat erneut Gedanken machen muß. Dies, meine ich, ist notwendig ohne Rücksicht darauf, wie die jeweilige Mehrheit im Bundestag und Bundesrat aussieht. Hier sollten wir versuchen, auf einer gemeinsamen Basis um unserer föderalistischen Struktur willen Lösungen zu finden, die diese politischen Schwierigkeiten, die wir im Augenblick hier haben, nicht zu einer verfassungsrechtlichen Schwierigkeit werden lassen.
    Meine Damen und Herren, die Stellungnahme der FDP-Fraktion zur Regierungserklärung habe ich mit einer mehr persönlichen Bemerkung begonnen. Ich möchte sie auch in dieser Richtung beschließen. Die Anmerkung ist, daß Opposition und Öffentlichkeit jetzt die Regierungserklärung 1974 und das heute Gesagte mit dem vom Januar 1973 vergleichen werden. Um allen Mißverständnissen, Mißdeutungen und Fehlinterpretationen vorzubeugen: Wir stehen zu unseren Aussagen von 1973, die an gleicher Stelle zu der Erklärung der Regierung Brandt/Scheel gegeben wurden. Sie gelten zusammen mit den heutigen Ergänzungen und Fortschreibungen.
    Die Erklärung der Regierung Schmidt/Genscher hat verdeutlicht,

    (Abg. Dr. Barzel: Wehner/Schmidt/Genscher!)

    daß sie fest in der Kontinuität sozialliberaler Politik steht. In der Außen-, Deutschland- und Sicherheitspolitik knüpft die neue Bundesregierung an das Bewährte an; ein Richtungswechsel findet nicht statt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Baron von Wrangel.)

    Die Öffentlichkeit ist über den Stand und die realistischen Möglichkeiten der Regierungsarbeit ohne falsche Rücksichtnahme unterrichtet worden. Bundeskanzler Helmut Schmidt kann der Unterstützung der FDP sicher sein, wenn es darum geht, unsere soziale Wirklichkeit durch fundierte Reformen Schritt für Schritt auszubauen

    (Abg. Seiters: Sprüche!)

    und die Glaubwürdigkeit unserer demokratischen Gesellschaftsordnung zu erhöhen.
    Wir stimmen der Regierungserklärung zu.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)