Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Meine Herren und Damen!
Am Freitag, dem 13. Februar, wurde ein verbrecherischer Anschlag auf das Altersheim der israelitischen Kultusgemeinde in München verübt, bei dem sieben Menschen den Tod fanden. Der amtierende Präsident des Bundestages hat an den Zentralrat der Juden in Deutschland das folgende Telegramm gerichtet:Der verbrecherische Anschlag auf das Altersheim der israelitischen Gemeinde in München hat in unserem Volke Entsetzen und Empörung ausgelöst. Der Deutsche Bundestag gedenkt in tiefem Mitgefühl der Angehörigen und der Opfer dieses schmachvollen Verbrechens und des so schwer geprüften jüdischen Volkes. Wir wenden den Verletzten unsere Anteilnahme zu und wünschen ihnen baldige und vollständige Genesung.Der Deutsche Bundestag ist davon überzeugt, daß die Bundesregierung und die mit der Aufklärung dieses Verbrechens befaßten Stellen alles tun werden, um der Täter habhaft zu werden und sie einer gerechten Bestrafung zuzuführen.Der Bundestag hat durch Erheben seine Zustimmung bekundet. Ich danke Ihnen.Der Bundesminister der Finanzen hat am 30. Dezember 1969 gemäß § 33 Abs. 1 der Reichshaushaltsordnung die Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben im Betrag von 10 000 DM und darüber für das 3. Vierteljahr des Rechnungsjahres 1969 — Drucksache VI/247 — übersandt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird diese Vorlage dem Haushaltsausschuß überwiesen. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.Geburtstag haben gefeiert: am 31. Januar die Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus, 60 Jahre,
am 2. Februar der Abgeordnete Berlin, 60 Jahre,
am 3. Februar der Abgeordnete Dr. von Nordenskjöld, 60 Jahre,
am 4. Februar der Abgeordnete Dr. Erhard, 73 Jahre,
am 6. Februar die Abgeordnete Frau Seppi, 60 Jahre,
und am 8. Februar der Abgeordnete Becker , 65 Jahre.
Allen Geburtstagskindern unsere herzlichsten Glückwünsche!Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 13. Februar 1970 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:Gesetz fiber den Volksentscheid im Gebietsteil Baden des Landes Baden-Württemberg gemäß Artikel 29. Abs. 3 des GrundgesetzesGesetz zu dem Vertrag vom 27. August 1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über die SchiffahrtGemäß § 5 Abs. 3 des Richterwahlgesetzes rückt die Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus für den verstorbenen Abgeordneten Dr. Haas als Mitglied im Richterwahlausschuß nach. Aus der Reihe der nicht mehr Gewählten rückt für die Abgeordnete Frau Dr, Diemer-Nicolaus der Abgeordnete Bauer als Stellvertretendes Mitglied im Richterwahlausschuß nach.Der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministers des Auswärtigen hat am 28. Januar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dröscher, Dr. Müller-Emmert, Tallert, Matthöfer, Dr. Lohmar, Becker , Mattick, Bauer (Würzburg), Pöhler, Seidel, Schwabe, Dr. Fischer, Zebisch, Kaffka Brandt (Grolsheim), Dr. Schmitt-Vockenhausen, Collet, Flämig, Schmidt (Würgendorf), Biermann, Hauck, Dr. Müller (München), Dr. Rutschke, Jung, Schmidt (Kempten) und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Beschäftigte bei den Stationierungsstreitkräften -Drucksache VI/242 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/323 verteilt.Der Bundesminister für Verkehr hat am 30. Januar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hauser , Dr. Kliesing (Honnef), Rösing, Dr. Frerichs, Stein und Genossen betr. Verkehrsverhältnisse im bundeshauptstädtischen Raum — Drucksache VI/241 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/326 verteilt.Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat am 28. Januar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Griesinger, Pfeifer, Dr. Jenninger, Alber und Genossen betr. Zusammenschluß kleinerer Fernsprechortsnetze — Verbesserung des Notrufsystems — Drucksache VI/230 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache V17328 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat am 2. Februar 1970 die Kleine Anfrage des Abgeordneten Strauß und Genossen betr. Einreise von Anfrage Mitgliedern der amerikanischen Farbigenorganisation Schwarzer Panther — Drucksache VI/238 — beantwortet. Sein Schreiber' ist als Drucksache VI/333 verteilt.Der Bundesminister der Verteidigung hat am 3. Februar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Seefeld, Dr. Apel, Dr. Ahrens, Haar , Buchstaller, Mertes, Ollesch und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Allgemeiner Rettungsdienst in der Bundesrepublik Deutschland — Drucksache VI/256 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/368 verteilt.
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1246 Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Vizepräsident Frau FunckeDer Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 3. Februar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Burgbacher, Dr. Luda und der Fraktion der CDU/CSU betr. Vermögensbildungs- und Sparprämiengesetz — Drucksache VI/257 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/370 verteilt.Der Bundesminister für Verkehr hat am 5. Februar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Mursch , Lemmrich, Erpenbeck und Genossen und der Fraktion der CDU/ CSU betr. Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr durch Mitführen eines Handfeuerlöschers im Personenkraftwagen — Drucksache VI/259 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/374 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat ans 6. Februar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß, Stücklen, Ott, Dr. Kreile, Weigl und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Steuerliche Auswirkung der neuen Einheitswerte zum 1. Januar 1964 — Drucksache VI/318 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/380 verteilt.Der Bundesministerdes Innern hat am 6. Februar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. h. c. Kiesinger, Biechele, Dr. Eyrich, Adorno und Genossen betr. Sicherung von Standorten von Kernkraftwerken am Rhein — Drucksache VI/254 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/383 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat am 11. Februar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Stücklen, Wagner, Dr. Riedl , Geisenholer, Dr. Kreile, Dr. Schneider (Nürnberg) und Genossen betr. Finanzierung der Olympischen Spiele 1972 — Drucksache VI/65 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/384 verteilt.Der Bundeskanzler hat am 2. Februar 1970 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Nachtrag zum Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1969 sowie den Nachtrag zum Stellenplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1969 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Die beiden Nachträge liegen ins Archiv zur Einsichtnahme aus.Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat am 27. Januar 1970 mitgeteilt, daß der federführende Ausschuß für Wirtschaft und der mitberatende Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten die EWG-Verordnungen Nr. 2617 bis 2619/69 über Gemeinschaftszollkontingente für Rinder — Drucksache V1/202 — zur Kenntnis genommen haben. Da die Verordnungen in der Zwischenzeit im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften verkündet wurden, erübrige sich eine besondere Berichterstattung an das Plenum.Der Vorsitzende des Innenausschusses hat am 6. Februar 1970 mitgeteilt, daß der Innenausschuß zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Berichtigungskoeffizienten für die Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten — Drucksache VI/29 — nicht Stellung genommen hat, weil der materielle Inhalt des Verordnungsentwurts durch eine in der Zwischenzeit bereits im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichte Verordnung zur Änderung des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten dieser Gemeinschaften überholt war.Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 1043/68 über die Grundregeln zum Ausgleich der Auswirkungen der Berichtigungsbeträge, die auf die Interventionspreise gewisser Milcherzeugnisse angewandt werden — Drucksache VI/284 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatRichtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriftender Mitgliedstaaten für Kaseine und Kaseinate— Drucksache VI/285 —überwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatRichtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Mayonnaise, Soßen auf Grund von Mayonnaise und andere emulgierte Gewürzsoßen— Drucksache VI/286 —überwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Aluminiumoxyd der Tarifnummer ex 28.20 A des Gemeinsamen Zolltarif sVerordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Ferrosiliziumchrom der Tarifnummer 73.02 E II des Gemeinsamen Zolltarifs— Drucksache VI/287 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatRichtlinie des Rates über die Verlängerung der in Artikel 7Absatz 1 C) der Richtlinie des Rates vom 26. Juni 1964 zurRegelung des innergemeinschaftlichen Handelsverkehrs mitLebendvieh vorgesehenen Frist— Drucksache VI/288 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatRichtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Gaszähler— Drucksache VI/290 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatRichtlinie des Rates über die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für einige selbständige Tätigkeiten
— Drucksache VI/291 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über die Verlängerung der in Artikel 12 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 130/66/ EWG über die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik vorgesehenen Frist— Drucksache VI/292 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten , Finanzausschuß, Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über die luxemburgische Landwirtschaft— Drucksache VI/294 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten , Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates mit Durchführungsbestimmungen zu Artikel 11 und Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1975/69 zur Einführung einer Prämienregelung für die Schlachtung von Kühen und die Nichtvermarktung von Milch und Milcherzeugnissen— Drucksache VI/295 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten , Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatRichtlinie über die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für die selbständigen Tätigkeiten der HebammeRichtlinie über die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise der HebammeRichtlinie zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Aufnahme und Ausübung der selbständigen Tätigkeiten der Hebamme— Drucksache VI/296 —überwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über die Mitteilung von Investitionsvorhaben von gemeinschaftlichem Interesse in den Bereichen der Erdöl-, Erdgas- und ElektrizitätswirtschaftVerordnung des Rates über die Mitteilung der beabsichtigten Einfuhren von Kohlenwasserstoffen an die Kommission der Europäischen Gemeinschaften— Drucksache VI/297 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Ergänzung der Verordnung Nr. 122/67/EWG in bezug auf die vorherige Festsetzung der Erstattungen bei der Ausfuhr auf dem Eiersektor— Drucksache VI/298 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatRichtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über natriumarme diätetische Lebensmittel— Drucksache VI/316 —überwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Aufhebung der Verordnung Nr. 1541 und 1542/69 des Rats über die Einfuhr von Zitrusfrüchten aus Spanien und Israel— Drucksache VI/317 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatRichtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinien des Rates vom 27. Juni 1968 und vom 13. März 1969 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe— Drucksache VI/336 —
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1247
Vizepräsident Frau Funckeüberwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über die Einführung gemeinsamer Regeln für den Pendelverkehr mit Kraftomnibussen zwischen den Mitgliedstaaten— Drucksache VI/371 —überwiesen an den Ausschuß für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Ergänzung der Verordnung Nr. 175/67/EWG in bezug auf die Grundregeln für die vorherige Festsetzung der Erstattungen bei der Ausfuhr auf dem Eiersektor— Drucksache VI/375 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatRichtlinie des Rates zur fünften Änderung der Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für konservierende Stoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen— Drucksache VI/376 —überwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Aufnahme weiterer Waren in die gemeinsame Liberalisierungsliste der Verordnung Nr. 2041/68 des Rates vom 10. Dezember 1968— Drucksache VI/379 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft , Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über die Ausgleichsabgabe bei der Einfuhr bestimmter rette gemäß Artikel 3 Absatz 6, erster Unterabsatz der Verordnung Nr. 136/66/EWGVerordnung des Rates über die in Artikel 3 Absatz 6, zweiter Unterabsatz der Verordnung Nr. 136/66/EWG vorgesehene Ausgleichsabgabe bei der Einfuhr bestimmter Fette — Drucksache V/4661 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten , Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung Nr. 2541/69 des Rates vom 15. Dezember 1969 über die Aufstockung des Gemeinschaftszollkontingents für Rohmagnesium der Tarifnummer 77.01 A des Gemeinsamen Zolltarifsüberwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werdenDer Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksache VI/314 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 29. April 1970Verordnung zur änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
- Drucksache VI/315 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 29. April 1970Wir treten nun in die Tagesordnung ein. Erster und einziger Punkt:a) Beratung des Jahresgutachtens 1969 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung— Drucksache VI/100 —b) Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1970 der Bundesregierung— Drucksache VI/281 —Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister Professor Schiller.Dr. Schiller, Bundesminister. für Wirtschaft: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat Ihnen mit Datum vom 27. Januar termingerecht den Jahreswirtschaftsbericht 1970 vorgelegt. Dieser Bericht ist wirtschaftspolitisch eine Eröffnungsbilanz für 1970 und eine Liquidationsbilanz für 1969.Unsere Ausgangsdaten und unsere Zielsetzungen sind von den Realitäten des Jahres 1969 oder — besser — seines Vor-Septembers nicht zu trennen; sie sind von ihnen mitgeformt.Geschichte kann man nicht abspülen wie Seife, auch nicht jenen vorigen Sommer der stabilitätspolitischen Versäumnisse.
— Sie sind doch auch für 'Sauberkeit, nicht wahr! — Realitäten sind oft unangenehm und unbequem, vor allem wenn man Vergangenes nicht mehr rückgängig machen kann.
Wer für die Zukunft — und jetzt sind wir bei der Zukunft —
die Realitäten verändern will, muß sie zunächst erkennen und anerkennen, er darf nicht darüber hinwegschauen.Die Realität, von der ich jetzt spreche, ist der Lebenshaltungskostenindex. Er lag im Januar 1970 um 3,5 % höher als im Januar 1969.
Meine Damen und Herren, ich bekenne hier ohne jeden Vorbehalt: Eine solche Preissteigerung ist mir zuviel.
Gewiß, man kann zum Januarindex verschiedenes abschwächend in Rechnung stellen. Wir hatten im Berichtszeitraum Mitte Dezember bis Januar eine ungewöhnliche Kälte. Ihr Einfluß auf gewisse Nahrungsmittel und Brennstoffe und Preissenkungen bei anderen wichtigen Lebensmitteln, vor allem Fleisch, setzten erst Ende Januar ein und werden damit im Lebenshaltungskostenindex des Februar stabilisierend wirken. Man könnte noch dieses und jenes sagen. Aber ich bin der Meinung, meine Damen und Herren, bei diesem Januarindex darf überhaupt nichts beschwichtigt oder gar beschönigt werden.
Allerdings muß man auch darauf hinweisen, daß es in der Regierungserklärung von Bundeskanzler Brandt vom 28. Oktober schon klipp und klar hieß: Der Höhepunkt der Preisentwicklung kann sogar noch vor uns liegen. Soweit das Zitat. Dennoch steht die neue Zahl unübersehbar im Raum. Ich sage es ebenso deutlich und ebenso freimütig und ohne Vorbehalt: Auch eine anvisierte Preissteigerungsrate des privaten Verbrauchs von 3 °Io im Jahresdurchschnitt ist nicht befriedigend. Sie entspricht auch nicht unseren mittelfristigen Zielvorstellungen.
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1248 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Bundesminister Dr. SchillerAber auch bei der Festsetzung dieser Jahresprojektion waren wir nicht frei; denn die ganze Preisentwicklung 1970 ist doch erst einmal ein negativer Saldovortrag aus der stabilitätspolitischen Liquidationsbilanz des Jahres 1969.
Meine Damen und Herren, eine statistische Analyse des nicht saisonbedingten Januarindex hat folgendes ergeben. Der Überhang der Preissteigerungen für die folgenden Monate des Jahres beträgt + 2,5 %. Das heißt, selbst bei absoluter Preisruhe von Februar bis Dezember 1970 müssen wir, bedingt durch die vorhergehende Entwicklung, für den Jahresdurchschnitt 1970 bereits von einem Anstieg der Preise von 2,5 % gegenüber dem Vorjahr ausgehen. Dieser Überhang, dieser Betrag, um den der Sockel des Preisniveaus über dem Pegel von 1969 liegt, schon allein diese Vorbelastung zeigt die Herausforderung, vor der jede Stabilitätspolitik in diesem Jahr gestellt ist, sowohl quantitativ, was die Höhe der Niveauverschiebung betrifft, als auch qualitativ. Wir können den negativen Saldovortrag aus der Vergangenheit jetzt nicht abrupt abschreiben; denn durch eine deflationäre Kur à la Doktor Eisenbarth würden wir andere Ziele unserer Wirtschaftspolitik, gemeinsame Ziele dieses Hauses wie Vollbeschäftigung und angemessenes Wachstum gefährden.Das Jahr 1970 muß wirtschaftspolitisch ein Jahr der Stabilisierung und der Konsolidierung werden. Dem entsprechen unsere Zielprojektionen, wie sie im Jahreswirtschaftsbericht 1970 beschrieben sind.Erstens. Die Wachstumsrate des realen Bruttosozialprodukts ist mit 4 bis 5 °% — gegenüber 8,5 % im Jahre 1969 — in Anbetracht der Stabilisierungsnotwendigkeiten und in Anbetracht der mittelfristigen Wachstumsmöglichkeiten durchaus angemessen.Zweitens. Bei einer Arbeitslosenquote von knapp 1 % wird der hohe Beschäftigungsstand von 1969 auch 1970 gehalten werden können.Drittens. Schließlich wird der Außenbeitrag, also unser gesamtwirtschaftlicher Überschuß gegenüber der Außenwelt im Vergleich zu 1969, im Jahre 1970 um 4 bis 5 Milliarden DM zurückgehen.Mit diesem Fächer von Zielen erfüllen wir eine gemeinsame Zielsetzung aller Parteien des Bundestages, wie sie im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz ihren gültigen Ausdruck gefunden haben.Meine Damen und Herren, die Zielvorstellungen des Jahreswirtschaftsberichts der Bundesregierung 1970 sind ausgewogen und in keiner Weise extravagant. Wie angesichts jenes Zahlenbildes heute noch jemand davon phantasieren kann, die Bundesregierung und vor allem natürlich der Bundeswirtschaftsminister hätten etwa um die Jahreswende 1969/70 von Stabilität auf Wachstum umgeschaltet, das bleibt mir schlechterdings unerfindlich.Nein, mit der heutigen Realität der Preisbewegungen finden wir uns ganz und gar nicht ab. Auch dann nicht, wenn die Preissteigerungen in anderen Industrieländern über unsere Rate hinausgehen, mitunter sogar sehr erheblich; auch dann nicht, wenn wir daran denken, daß ohne die Aufwertung derD-Mark die Teuerung jetzt, in diesem Jahr bisher nicht 3,5 %, sondern 5 bis 6 % betragen hätte, wie die Deutsche Bundesbank eindeutig festgestellt hat.
Und damit Sie auch die andere Seite sehen: Schon gar nicht ist diese Bundesregierung willens, die Bevölkerung der Bundesrepublik durch eine einlullende Propaganda — ich hätte beinahe gesagt: „Lebenshilfe" —
sich erst einmal an 3 %, dann an 3,5 % und schließlich gar an 4 % und mehr gewöhnen zu lassen. Dazu sind wir nicht bereit.
Wir alle — der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung - haben die heutige Realität also zum Besseren zu verändern.Eine Voraussetzung ist dabei, die erforderlichen Instrumente zu wählen, sie zu wählen, wie das Gesetz es befiehlt, im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung und ohne sich dabei von vornherein festzulegen, daß auf dieses oder jenes Mittel ein für allemal verzichtet werden müsse. „Aufwertung niemals!", das war das Dogma des Verzichts vor dem September 1969, vor der Entscheidung des Wählers. Aber heute dürfen wir auf keinen Fall, meine Damen und Herren, in einen analogen Fehler verfallen und nun gar andere, binnenwirtschaftlich wirksame Instrumente verfemen, obgleich sie im Gesetz vorgesehen und durchaus marktkonformer Natur sind.Wir haben Stabilität und Wachstum in wechselnden Situationen zu sichern. Das heißt auch: man sollte niemals „nie" sagen. Wir haben das Gesetz, und wir haben unsere Ordnung. Beide verlangen von uns zeitgerechte und angemessene Aktionen.Diese Bundesregierung hat gehandelt. Sie hat im Jahreswirtschaftsbericht ein Stabilisierungsprogramm vorgelegt.
Sie wird, falls notwendig, weitere Maßnahmen ergreifen. — Auf die drei Monate komme ich gleich.
Die. Bundesregierung hat die D-Mark zum frühestmöglichen Termin aufgewertet und im unmittelbaren Anschluß daran — das war auch stabilitätspolitisch äußerst wichtig — in Brüssel und in diesem Hohen Hause den Einkommensausgleich für die deutsche Landwirtschaft durchgesetzt. Bei der Neufestsetzung der Parität der D-Mark mußten wir uns anfänglich die Kritik gefallen lassen, der gewählte Satz sei zu hoch. Wenige Wochen später erlebten wir einen Meinungsumschwung: die Aufwertung sei wirkungslos.Insgesamt sind damit drei Monate vergangen. In dieser Zeit mußten wir in besonderem Maße eine Wirtschaftspolitik ,der guten Nerven betreiben, d. h. wir mußten trotz aller nervösen Reaktionen und
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1249
Bundesminister Dr. SchillerAngriffe erst einmal die praktischen Auswirkungen dieser Aufwertung der D-Mark abwarten. Das war der Sinn.
Die deutsche Wirtschaft hat es anerkannt, daß wir ihr drei Monate Pause gaben, sich an dieses neu gesetzte Datum zu gewöhnen und auf die neue Lage einzustellen.
Heute geht es nun nicht mehr um erste Emotionen, es geht nicht mehr um Hypothesen und Meinungen, jetzt haben wir klare Daten. Und auf diese können wir unser Urteil stützen und unsere Aktionen begründen.Erstens. Durch die Aufwertung wurde geldpolitisch zweierlei bewirkt: Jetzt konnte die Deutsche Bundesbank nach den Monaten einer erzwungenen Handlungsunfähigkeit ihre Instrumente wieder in den Dienst der Konjunkturpolitik stellen. Das ist das eine. Sie kann wieder entscheiden. Zugleich wurde, um ein modernes Wort der neuen marktwirtschaftlichen Politik und Theorie zu gebrauchen, ein Regelmechanismus von großer Kraft in -Gang gesetzt, nämlich die Liquiditätsverknappung durch die Devisenabflüsse in Höhe von über 20 Milliarden DM. Dies kam für viele völlig überraschend.
Aber die Aufwertung hat, wie Vizepräsident Emminger kürzlich formulierte, damit den „gefährlichen Geldschleier" der vorher „nicht mehr zu bändigenden Überliquidität", der über der deutschen Wirtschaft lag, zerrissen und die Bilanzwahrheit der deutschen Gesamtwirtschaft wiederhergestellt. Soweit die Deutsche Bundesbank.
— Der kommt gleich; ich stufe so ein bißchen ab.
Natürlich, ich komme gleich auf den anderen. — Im Gegenteil, Herr Kollege Kiesinger, gerade in den letzten Wochen und im abgelaufenen Jahr habe ich mir ein Motto gemerkt: Fahr sicher mit der Deutschen Bundesbank!
Die restriktive Wirkung dieser Liquiditätsverknappung wird konjunkturpolitisch von Woche zu Woche spürbarer.Zweitens. Die Neufestsetzung der D-Mark-Parität bewirkte auch eine Abkühlung in der Entwicklung der Einfuhrpreise. In einer Zeit stark steigender Weltmarktpreise — die einschlägigen internationalen Indizes berichten über Preissteigerungsraten von 10 % im 4. Vierteljahr 1969 - lagen die deutschen Einfuhrpreise Ende 1969 wieder auf der Höhe des Vorjahres 1968. Das ist ein großer Erfolg der Aufwertung. Den deutschen Unternehmen in der Produktions- und Verteilungsstufe sind dadurch Milliarden an Kosten erspart worden.Drittens. Auf die Konjunkturlage konnte dies alles nicht ohne Auswirkung bleiben. Die Phase der akuten und unbändigen Überhitzung und der extremen Anspannung unseres Produktionsapparates läuft aus. Die vorliegenden Frühindikatoren zeigen einen Übergang in eine ruhigere Wirtschaftsentwicklung an. Die Auftragspolster werden nicht mehr dicker. Seit Monaten sind die Zuwachsraten der Auftragseingänge unserer Industrie konjunkturell gegenüber den jeweiligen Vorjahresmonaten rückläufig. Die Auslandsaufträge sind seit November und Dezember 1969 praktisch auf das Vorjahresniveau herabgedrückt. Demgemäß nehmen die Lieferfristen nicht mehr zu. Die Geschäftserwartungen der Unternehmer normalisieren sich wieder.Viertens: Es gehört zu dieser Phase des Übergangs, daß sie für den oberflächlichen Betrachter ein kaum zu vereinbarendes Doppelgesicht trägt. Zwei ganz verschiedene Prozesse können sich hierbei jetzt überlagern: die reale Abschwächung setzt ein bei weiterlaufenden Preissteigerungsprozessen. Beide Phasen treten nicht fein säuberlich nacheinander auf — als zeitlich getrennte Perioden —, sondern überlappen einander. Das inflationäre Klima vom Sommer und Herbst vorigen Jahres hatte in den verschiedensten industriellen Erzeugerstufen Preis- und Kostensteigerungen mit sich gebracht. Niemand konnte das hinterher ungeschehen machen. Nun kommen diese Preiserhöhungen auf der Erzeugerstufe in einem zeitlichen Anpassungsprozeß auf ihrem Marsch durch die Produktionsstufen allmählich beim Verbraucher an; das ist die Situation. Aber es wäre in jedem Falle falsch, jetzt nur diese eine Hälfte des Konjunkturbildes zu sehen. Wir können nicht in einer „Überreaktion" heute die „Unterreaktionen" vom vorigen Jahr ausgleichen wollen.Wirtschaftspolitik gleicht in dieser Lage einem sehr vorsichtigen Balanceakt: die Preissteigerungen müssen gedämpft werden, aber die Dämpfung darf nicht zur programmierten oder gar gewollten Rezession führen. Das ist das Problem.
Vor allem dürfen wir nicht in der schlechtesten aller möglichen Welten landen, nämlich bei Stagnation ohne Stabilität.Im Rahmen und unter dem Eindruck dieser Lagebeurteilung hat die Bundesregierung ihr 7-PunkteProgramm zur binnenwirtschaftlichen Stabilisierung beschlossen, das im Jahreswirtschaftsbericht niedergelegt ist. Die ersten vier Maßnahmengruppen sind haushalts- und vermögenspolitischer Natur. Sie bestehen insbesondere — der Kollege Möller wird morgen darüber berichten — in einer Haushaltspolitik des Ausgabentransfers von der Gegenwart in die Zukunft
Bundesminister Dr. Schillerund in der gleichgerichteten obligatorischen Konjunkturausgleichsrücklage des Bundes und der Länder von 2,5 Milliarden D-Mark.Im übrigen ein Blick auf die Vergangenheit: diese Konjunkturausgleichsrücklage des Jahres 1970 ist nicht nur eine Gestalt aus der „Welt als Wille und Vorstellung", sondern es ist eine echte Konjunkturausgleichsrücklage ohne Escape-Klausel, ohne Klausel, daß man sich durch Entschuldung von der Pflicht zur Einzahlung in die Konjunkturausgleichsrücklage befreien könnte.
— Sie sind ja in Wirklichkeit meiner Meinung, Herr Leicht, wie ich gehört habe, nicht wahr!?
— Sie wissen ganz genau, daß das die mindere Lösung war gegenüber besseren, die auch vorgeschlagen wurden, Herr Kollege Stoltenberg; Sie waren dabei.Alle diese haushaltspolitischen und fiskalpolitischen Maßnahmen sind eine Ergänzung zu der nunmehr voll wirksamen Geldpolitik 'der Bundesbank. Sie sollen ihre erklärte Hauptwirkung in der ersten Jahreshälfte 1970 entfalten.Die Punkte 5 bis 7 des Stabilitätsprogramms der Bundesregierung beziehen sich tauf die Belebung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs gerade in dieser Konjunkturphase. Dazu gehört eine verschärfte Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen und über Unternehmen, ,die das Institut der Preisbindung der zweiten Hand gebrauchen.Eine Schlüsselstellung haben in dieser Lage schließlich die sogenannten administrierten Preise. Meine Damen und Herren, es ist kein Geheimnis geblieben, daß ich persönlich gegenüber Erhöhungen staatlich beeinflußter Preise nicht nur für möglichste Zurückhaltung, sondern für äußerste Zurückhaltung auf diesem Gebiet eintrete. Die Ländervertreter im Konjunkturrat für die öffentliche Hand haben mich da besonders unterstützt, genauso wie sie den Vorschlag auf Einrichtung einer obligatorischen Konjunkturausgleichsrücklage sofort akzeptiert haben.Doch zurück zu den staatlich beeinflußten oder genehmigten Preisen! Wir sollten die immanenten Schwächen bei ihrer „administrativen Festsetzung" mildern. Deswegen trete ich dafür ein, daß einestärkere marktwirtschaftliche Durchlüftung dieser administrierten, dieser staatlich regulierten Preise eintritt.
Ich halte das für die bessere Lösung. Daher trete ich für Margentarife, für Von-bis-Tarife ein.
Meine Damen und Herren, diese Punkte sind keineArabesken des Programms. Die Bundesregierungweiß, daß sie in harten und mühseligen Einzelauseinandersetzungen mit wichtigen, aber doch begrenzten Interessengruppen durchgefochten werden müssen.Fünftens. Der Kampf um die Stabilität vollzieht sich im marktkonformen Eindämmen von weiteren Kostensteigerungen und vollzieht sich ein der Ablehnung von Preisen, die ihrerseits 'zu neuen Mehrkosten werden können. In diesem Zusammenhang hebe ich die Zinskosten und die Lohnentwicklung klar hervor.Die Bundesregierung wird, sobald dies konjunkturpolitisch vertretbar ist — diese Einschränkung möchte ich in voller Übereinstimmung mit der Deutschen Bundesbank deutlich unterstreichen —, auf eine internationale Zinsabrüstung hinarbeiten. Vorgespräche habe ich mit dem amerikanischen Finanzminister und mit dem französischen Wirtschafts- und Finanzminister sowie im Kreise der Europäischen Gemeinschaft geführt. Kredit- und Kapitalzinsen sind in der Tat längerfristig auf dem gegenwärtigen Mount-Everest-Niveau nicht zu halten. Eine Aufhebung der Kuponsteuer würde zur Stabilisierung der Kapitalbewegungen beitragen. Die Bundesregierung wird einen entsprechenden Gesetzentwurf dem Hohen Haus in Kürze vorlegen.Nun zu den Löhnen! Im Jahreswirtschaftsbericht hat die Bundesregierung Orientierungen für die Einkommensentwicklung zur Verfügung gestellt in der Form der Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen und in der Form des effektiven Lohnniveaus. Für die Effektivlöhne je Stunde wurde von der Bundesregierung eine Zunahme von 10 bis 11 % für möglich und vertretbar gehalten — Effektivlöhne wohlgemerkt! —, obwohl diese Größenordnung im Kreise der konzertierten Aktion nicht unumstritten war. Die Bundesregierung wußte bei ihrem Urteil sehr wohl, daß mit dieser Rate die Löhne in diesem Jahr schneller steigen werden als die Produktivität. Dennoch ist 1970 die gesamtwirtschaftliche Bilanz von Angebot und Nachfrage ausgeglichen. Denn der durch die Aufwertung verringerte .Außenbeitrag erschließt hier für die Nachfrage zusätzliche Güterreserven.
Es gibt einfach keine simple Gleichung, die da lautet: Lohnsteigerungen, die höher sind als Produktivitätszunahmen, bringen ohne weiteres Preissteigerungen mit sich. Diese simple Gleichung existiert nicht.
Ein weiteres Mittel, um die Einkommensentwicklung mit dem Stabilitätserfordernis in Einklang zu bringen, sind Tarifverträge mit vermögenswirksamen Leistungen. Wir werden mit der angekündigten Erweiterung und mit der sozialen Verbesserung des 312-DM-Gesetzes einen neuen Anreiz für solche Abschlüsse geben und prüfen, wie diese stabilisierenden Wirkungen auch einer intensivierten Vermögenspolitik für 1970 möglichst schnell aktiviert werden können.Trotz der Lohnentwicklung — und nun wende ich mich an die Unternehmer — wird 1970 kein Jahr der Gewinnschrumpfung sein; im Gegenteil, die Unter-
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Bundesminister Dr. Schillernehmer werden ihre Gewinne weiter steigern können, allerdings nicht mehr in dem Tempo und in dem Umfang wie in den letzten zwei Jahren. Wenn die Unternehmer im Jahre 1970 dieselbe Steigerungsrate ihrer Gewinne in toto durchsetzen wollten, dann würden sie sogar der Jahresprojektion des Gemeinschaftsausschusses der deutschen Wirtschaft widersprechen, der seinerseits ungefähr einer Halbierung der Zuwachsrate der Gewinne für das Jahr 1970 gegenüber dem Jahr 1969 in Aussicht genommen hat. Die Bundesregierung ist mit dem Sachverständigenrat der Meinung, daß die Tarifparteien gegen diese durch den Markt vorgegebene Entwicklung nicht mit einer Art Kopf-durch-die-Wand-Politik anrennen sollten. Auch mächtige Gruppen können die Logik der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht einfach übersehen oder überspringen. Der Versuch, in einem Verteilungskampf aller gegen alle dennoch mehr aufteilen zu wollen, als verfügbar ist, bringt nur Beulen und blaue Flecke, aber keinen zusätzlichen gesamtwirtschaftlichen Gewinn.Meine Damen und Herren, wir haben in der Konzertierten Aktion auf diese gegebenen Rahmenbedingungen des Jahres 1970 hingewiesen. Die Konjunkturlage ,und die reale wirtschaftliche Entwicklung sind zwar ein dehnbarer Rahmen, der aber auch zum Schaden aller gesprengt werden könnte. Kritikern dieses Informationsverfahrens möchte ich entgegenhalten: Tarifpartner, die gemeinsam die gesamtwirtschaftliche Lage analysieren und diskutieren, die ihre Zielprojektionen, nun zum erstenmal von Unternehmern wie Gewerkschaften vorgelegt,1) mit denen der Bundesregierung vergleichen, Tarifpartner, die die geplanten Konjunkturmaßnahmen der Bundesregierung kennen und die auch genau wissen, welche zusätzlichen Pfeile im Köcher stecken, diese Tarifpartner werden sich sachgerechter verhalten als solche, die im Stadium der Interessentenunschuld, der Uninformiertheit ihre Konflikte in „freier Wildbahn" austragen. Das ist die Philosophie des Informationsverfahrens der Konzertierten Aktion, aber nicht nur die Philosophie, sondern auch die über dreijährige Praxis dieser Konzertierten Aktion.
Und nun sechstens ein sehr nachdenkliches Wort. Wenn wir die Gesamtlage und das im Jahreswirtschaftsbericht dargelegte Stabilisierungsprogramm der Bundesregierung betrachten, so wird mancher mit Recht die Frage stellen: Sind wir für alle weiteren, auch für die unvorhergesehenen Ereignisse gewappnet? Darauf antworte ich folgendermaßen: Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz ist mit dem Stabilisierungsprogramm der Bundesregierung nicht außer Kraft gesetzt. Es bleibt selbstverständlich weiter in Geltung. Außerdem hat sich der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 ausdrücklich zu diesem Gesetz bekannt.In diesem Zusammenhang sage ich wohlgemerkt — und ich wiederhole das —: ich sage niemals nie. Wenn z. B. der Präsident der Deutschen Bundesbank, Dr. Klasen — nun kommt er, Herr Dr. Kiesinger —, in seiner Einführungsrede am 13. Januar im Namen des Zentralbankrats unmißverständlichauf den § 26 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes hinwies, so fand er damit mein volles Verständnis und meine persönliche Zustimmung.
— Die kommt jetzt. Es wäre in der Tat denkbar, daß bei exzessiven Verhaltensweisen von Marktpartnern bei der Preispolitik oder von Tarifvertragsparteien diese Regierung — wie hoffentlich jede andere Regierung — zu einem solchen oder ähnlichen Mittel greifen müßte, wie das Gesetz es vorschreibt.
Ich möchte da noch ein persönliches Wort hinzufügen, Herr Müller-Hermann.
Es ist das selbst gewählte und daher verdiente Schicksal des Bundeswirtschaftsministers — einige in diesem Saal kennen das —,
in jahrelangen Auseinandersetzungen folgendes zu beweisen: Es gibt einfach kein stabilitätspolitisches Mittel, das allen Betroffenen wie Nektar und Ambrosia schmeckt. Das muß ich einmal sagen.
Der Bundeswirtschaftsminister ist nach wie vor der Meinung — und da treibt er die Fortsetzung seiner !Politik mit anderen Mitteln, Herr Müller-Hermann —: Die bitteren Früchte der Stabilitätspolitik sind auf die Dauer bekömmlicher als das süße Gift der Inflation, und daran hätten Sie — —
— Sie haben mir durch Ihren Beifall gute Amtshilfe geleistet; Sie haben nur zu früh Beifall gegeben: als das süße Gift der Inflation, und daran hätten Sie im Jahre 1969 denken müssen.
- Herr Kollege Kiesinger, jetzt gehen Sie wieder in die Vergangenheit.
— Sie sehen, wie ich der Vergangenheit taktvoll nur einige Fußnoten widme.
Herr Kollege Kiesinger, wenn Sie schon vorn Jahre 1968 reden: Wir sind alle klüger geworden.
Ich muß Ihnen zum Beispiel dies einmal sagen. Das imaginäre „dritte Konjunkturprogramm", das Sie
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1252 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Bundesminister Dr. Schillerwährend des ganzen Jahres 1969 dem Karl Schiller für 1968 anhängen wollten,
war nicht mehr nur ein Wunschgebilde; es war Realität. Es ist durch jene dicke Panne im Bundesfinanzministerium mit der Investitionsteuer verwirklicht worden, die in den beiden Jahren 4 Milliarden DM an zusätzlichen Erleichterungen gebracht hat.
Wir haben uns damals gestritten, ob man die Investitionsteuer für ein Jahr von 8 Punkten auf 7 oder 6 Punkte reduzieren und dann wieder erhöhen sollte. Herr Kiesinger, hinterher haben wir die Bücher aufgemacht: Das war alles ein Streit um des Kaisers Bart. In Wirklichkeit war die Investitionsteuer durch die interne Auslegung des Bundesfinanzministeriums tatsächlich auf etwa 4 % oder 3 % reduziert. So ist die Lage gewesen. So entstand das durch staatliche Kraftnahrung finanzierte dritte Konjunkturprogramm. Das ist die Wahrheit über die Vergangenheit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte jetzt über unsere marktwirtschaftliche Ordnung sprechen, leider bin ich nicht immer ganz sicher, ob sie noch das große Interesse aller Mitglieder der CDU/CSU findet.
Ein gesundes Unternehmensklima, ein aktives dynamisches Unternehmerverhalten ist nur in einer marktwirtschaftlichen Ordnung möglich, die stets aufs neue gesichert und belebt wird.In den nächsten Monaten wird die Bundesregierung ihre Novelle zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vorlegen, und dann wird sich zeigen, wer es mit der Marktwirtschaft ernst meint.
Es wird sich zeigen, wie ernst die allgemeinen Bekenntnisse zur Marktwirtschaft in concreto gemeint sind.
Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium hat die beabsichtigte Fusionskontrolle im Interesse der Wettbewerbsordnung einstimmig begrüßt. Hoffentlich kann sich die Opposition — zumindest in ihrer Mehrheit; ich hätte beinahe gesagt: in ihrer marktwirtschaftichen Minderheit — diesem Votum anschließen.
Wir hoffen auch, daß Sie sich einen Stoß geben undunsere Absicht unterstützen, in das System derPreisbindung der zweiten Hand etwas mehr Auflockerung zu bringen. Auch hier muß die Verkrustung ein bißchen abgebaut werden,
und zwar indem wir gemeinsam — Sie und wir — in diesem Hohen Hause prüfen, wie wir das Zulassungsverfahren für neue Preisbindungen verschärfen.Ein Mauerblümchen im Bewußtsein der Öffentlichkeit ist bisher vielfach die Ordnungspolitik im Bereich der Kreditwirtschaft. Je mehr sich die Sparformen differenzieren, um so differenzierter müssen die ordnungspolitischen Sicherungen werden. Wir müssen z. B. die Börsen zu einem offenen Umschlagplatz machen, auf dem sich auch der kleinste Sparer einer fairen Behandlung sicher weiß. Wir müssen die Konsequenzen bei der Fortentwicklung des organisatorischen Rahmens der Kreditwirtschaft ziehen, und zwar in freundschaftlicher laufender Unterhaltung mit den Vertretern der deutschen Kreditwirtschaft.Und im übrigen: das verabschiedete AusländerInvestmentgesetz liefert eine gültige Form, die in Europa beispielhaft ist. Bei der Reform des Börsenwesens selbst wurden ebenfalls bereits gute Teilergebnisse erzielt: Die Umsätze vollziehen sich nicht mehr im Halbdunkel außerbörslicher Kompensation, sondern sind an die Börse zurückverlagert worden.Drittens. Der Bundeswirtschaftsminister hat in unserem verkleinerten Kabinett die Verwaltung des ERP-Sondervermögens übernommen. Wir haben da 1970 neue Schwerpunkte gesetzt. Die Mittel für kleine und mittlere Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft sollen z. B. in dem neuen Wirtschaftsplan um 20 % gesteigert werden. Ein Schwerpunkt wird die Verbesserung der Kapitalausstattung kleiner und mittlerer Unternehmen sein. Es gibt das bewährte Instrument der Kreditgarantiegemeinschaften. Wir wollen jetzt eine Beteiligungs-Garantiegemeinschaft privater Natur für die mittelständischen Unternehmen schaffen helfen, und zwar als reine Selbsthilfeeinrichtungen.Meine Damen und Herren, alle diese Maßnahmen dienen der Stärkung unserer marktwirtschaftlichen Ordnung. Bundesregierung und Bundestag haben in den .fünfziger Jahren zur Sicherung des Wettbewerbs Entscheidungen getroffen, die bis heute gültig sind. Wir machen diese Entscheidungen nicht rückgängig, wir wollen sie weiterentwickeln. Gestern hat einer der aufrechtesten Kämpfer für eine aktive Wettbewerbspolitik — nämlich Franz Böhm — seinen 75. Geburtstag gefeiert, der lange Jahre Mitglied dieses Hauses und Mitglied der CDU/CSU-Fraktion war. Ich erinnere immer wieder an die alte Aussage Franz Böhms aus dem Jahre 1953: „Marktwirtschaft von links kontra Marktwirtschaft von rechts — das wäre noch lange nicht das Schlechteste, was sich in unserem Lande ereignen könnte". Und er fuhr dann fort, dies sei wahrscheinlich der einzige Weg, auf dem eine gute Marktwirtschaft herauskommen könne. Nun haben wir die Situation: eine politische Konkurrenz um die Marktwirtschaft zwischen Opposition und Regierung. Ich möchte heute,
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Bundesminister Dr. Schillerfast 17 Jahre später, sagen: genau auf diesen Wettbewerb um eine gute Marktwirtschaft sollten wir uns alle einstellen, und ich hoffe, daß die Opposition dabei wirklich mitspielt.
Und nun als letzten Abschnitt:
Seit dem Herbst vorigen Jahres hat sich unsere internationale Wirtschaftsposition verändert, und zwar hat sie sich eindeutig verbessert.Erstens. Die internationale Währungslage ist wieder stabilisiert. Dazu haben wir einen wesentlichen Beitrag geleistet, was jedermann draußen anerkennt. Die internationalen Spekulationserwartungen sind bis auf kleine Restbestände — die sich nicht gegen uns richten — verschwunden. In dem neuen Wirtschaftsbericht des amerikanischen Präsidenten kommt sehr deutlich zum Ausdruck: Die Aufwertung der D-Mark im Oktober vorigen Jahres hat zusammen mit der Abwertung des Franc im August 1969 und zusammen mit der Abwertung des Pfundes vom November 1967 doch schon so etwas wie ein allgemeines Realignment der Wechselkursparitäten zustande gebracht. Weitere Schritte zur Reform des Weltwährungssystems werden nach dieser „Grobeinstellung" der drei Paritäten nur erleichtert.Zweitens. Noch wichtiger für den Welthandel ist im Augenblick folgendes : Durch die D-Mark-Aufwertung haben wir draußen eine breite Bresche in den Verhau internationaler Handelshemmnisse geschlagen. Wir haben nämlich viele Länder von der Versuchung befreit, sich in ihren Zahlungsbilanznöten durch protektionistische Maßnahmen zu helfen. Die Aufwertung der D-Mark war auch ein Beitrag, und zwar ein ganz wesentlicher Beitrag, zur Festigung des freien Welthandels. Das muß hier deutlich gesagt werden.Drittens. Der Abfluß der spekulativen Gelder scheint hier im Lande manche Gemüter besonders verwirrt zu haben. Ich kann mich noch gut erinnern, mit welchem Zorn oder gar Abscheu hier von diesem Podium von der Devisenspekulation gesprochen wurde.
— So war es. — Aber heute setzt eine große Klage ein: Man weint jedem Dollar nach wie einem verlorenen Sohn.
Mit Logik hat das gar nichts mehr zu tun.
Viertens. Im übrigen: Unsere amtlichen Währungsreserven sind mit 7 Milliarden Dollar immer noch die zweitgrößten der Welt. Währungsreserven sind nicht dazu da, bis zum Sankt-NimmerleinsTag stillzuliegen, wenn sie sich sinnvoll verwenden lassen. Außerdem haben wir damals jahrelang als scheinbar reicher Onkel Milliardenbeträge als Stützungskredite an andere Notenbanken geben müssen.
Das waren oft — Sie wissen es — Besänftigungsgelder, ich hätte beinahe gesagt: Schweigegelder .für unsere ,eigene Nichtaufwertung an andere Leute.
Damit ist es nun vorbei, und unsere Bundesbank konnte mit Recht einige solcher Stützungskredite wieder einfordern.
Fünftens. Nach der Aufwertung steigen die Chancen für Direktinvestitionen. Dafür müßten Sie ja sein, und ich bin es auch. Gleichzeitig wird 1970 der übermäßig große langfristige Kapitalexport in Form von Wertpapieren zurückgehen. Damit verbessern sich Umfang und Struktur unserer Anlagen im Ausland, und es werden binnenwirtschatfliche Investitionsansprüche nicht mehr wie bisher allzusehr zurückgedrängt. Abbau der außenwirtschaftlichen Überschüsse, Abbau der übermäßig hohen Kapitalexporte der letzten beiden Jahre bedeutet doch, daß wir für unsere heimischen Investitionen mehr Mittel zur Verfügung haben. Eine Politik der heimischen Reformen ist, ökonomisch gesehen, in vielem eine Politik langfristiger Investitionen, eine Politik steigenden inländischen Investitionsbedarfs. Diesen Zusammenhang müssen wir immer wieder sehen.Nun möchte ich nur noch einige Punkte nennen, in denen wir unsere Internationale Wirtschaftspolitik besonders ausbauen.Erstens. Im Wirtschaftsverkehr mit unseren osteuropäischen Nachbarn sollten wir den notwendigen industriellen Aufbau dieser Länder nicht einseitig durch die Brille des Lieferanten sehen. Wir müssen umgekehrt die eigenen Märkte unseren östlichen Partnern öffnen. Und nicht nur das: Zum industriellen Aufbau oder zur industriellen Weiterentwicklung jener Länder in Osteuropa gehört auch der Kredit. Die Bundesregierung will helfen, den Ländern Osteuropas — wie anderen Ländern bisher —unseren Kapitalmarkt zu öffnen. Er soll ihnen in ähnlicher Weise offenstehen wie der ganzen übrigen Welt. Freilich: unsere osteuropäischen Partner müssen dabei lernen, ,daß Kapitalmärkte ihre eigenen, mitunter höchst eigenwilligen Gesetze haben. Wer die Chancen unserer Märkte nutzen will, muß auch ihre Risiken akzeptieren.Zweitens. Die Zukunft unserer Wirtschaft und Währung wird immer deutlicher von der Entwicklung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bestimmt. Nachdem die Zollunion Wirklichkeit geworden ist, geht es jetzt um die Ausgestaltung zur Wirtschaftsunion hin. Meine Damen und Herren, unser Ziel ist eine weltoffene Gemeinschaft der Stabilität und des Wachstums, in der man gemeinsam und wirksam allen protektionistischen und inflationistischen Tendenzen entgegentritt. Der Weg nach Europa darf nicht mit einem 'entscheidenden Verlust an Stabilität erkauft werden.Sie wissen, wir haben gerade für die Zwecke der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft unsere mittelfristige Projektion bis zum Jahre 1974 im Anhang des Jahreswirtschaftsberichts vorgelegt. Dort wurde eine Preissteigerungsrate von 21/2 bis 2 % angege-
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Bundesminister Dr. Schillerben. Ich höre jetzt schon — in Gedanken diesmal — einige voreilige Zwischenrufer; doch ich muß entgegnen: In einem Zeitraum von vier Jahren schlägt das Basisjahr 1970 nun einmal mit erheblichem Gewicht durch. Ohne 1970 kämen wir rechnerisch schon auf einen Durchschnitt von 1,6 %.
Unsere Perspektive bedeutet bei der gegebenen Ausgangslage eine sukzessive Verminderung der Preissteigerungsraten. Wir wollen da die Treppe hinunter- und nicht hinaufgehen.Meine Damen und Herren, wir sind auch in der EWG — und zuletzt im Ministerrat — sehr deutlich geworden und haben darauf beharrt, daß die deutsche Öffentlichkeit eine mittelfristige Politik hoher Preissteigerungen nicht tolerieren wird.
Ein mahnender Brief des Deutschen Industrie- und Handelstages, auf den ich hinweisen und den ich verlesen konnte, blieb nicht ohne Eindruck.
Die Kommission ist im übrigen beauftragt, ihre mittelfristigen Perspektiven bis zum Herbst dieses Jahres neu zu überdenken, nicht zuletzt unter dem Eindruck der deutschen Mahnungen.Drittens. Alle Stabilitätsschwüre in der EWG und auch alle rechnerischen Annäherungen in den mittelfristigen Orientierungsdaten nützen gar nichts, wenn wir nicht wirklich konkret und praktisch zu einer gemeinsamen Wirtschafts- und Währungspolitik kommen. Der Beschluß der Staats- und Regierungschefs in Den Haag zur Ausarbeitung eines Stufenplans für den Aufbau der Wirtschafts- und Währungsunion geht vor allem auf deutsche Initiative zurück.Wir haben inzwischen in Brüssel ein erstes Konzept für einen solchen Stufenplan skizziert. Dieses Konzept wird in der nächsten Woche auf der Tagung der Wirtschafts- und Finanzminister der EWG-Staaten in Paris beraten werden. Eines ist klar: die bestehenden Divergenzen in den wirtschaftspolitischen Zielsetzungen und Verhaltensweisen zwischen den Mitgliedstaaten können nur in einem längeren Prozeß mit mehreren Stufen abgebaut werden. Wenn in Brüssel Konvergenz die Parole ist, so dauert die Periode der Konvergenz eben mehrere Jahre.Wir haben in unserem Stufenplan kein starres zeitliches Schema fixiert, sondern wir sind pragmatisch vorgegangen. Der Übergang von der ersten zur zweiten und von der zweiten zur dritten Stufe soll von der Erfüllung der wesentlichen Erfordernisse der vorherigen Stufe abhängig gemacht werden. Erst wenn die ökonomischen und politischen Voraussetzungen für eine gleichgewichtige wirtschaftliche Entwicklung in der Gemeinschaft auf diese Weise geschaffen sind, wird dann auch die Zeit dafür reif sein, in das endgültige Stadium der Währungsunion einzutreten, einer Währungsunionmit untereinander festen und garantierten Wechselkursparitäten.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung sagt bewußt ja zu einer solchen Entwicklung, an deren Ende nicht nur eine gemeinsame Währung steht, sondern auch gemeinsame wirtschafts- und währungspolitische Instanzen mit Kompetenzen zu stehen haben.Aber — und das ist das vierte — die EWG darf nicht zu einer Riesendiskrimination gegenüber Drittländer werden,
wovor Wilhelm Röpke schon vor mehr als einem Jahrzehnt gewarnt hat. Wir müssen in der Gemeinschaft nach wie vor stärker in einen wachsenden Welthandel eingeflochten werden. Es gilt ganz generell: unsere Importe sind die Exporte der anderen, auch außerhalb der Gemeinschaft. Auch hier besteht Interdependenz.Die Bundesregierung unterstützt daher vorbehaltlos die Bemühungen des GATT und des Internationalen Währungsfonds für einen freien Handels- und Zahlungsverkehr. Für viele in jenen großen Weltorganisationen — kürzlich hatten wir den Besuch des Generaldirektors des GATT — sind wir, die Bundesrepublik und die Bundesregierung, die Verbündeten jener, die draußen, außerhalb der Gemeinschaft, für einen freien Welthandel und gegen Diskriminationen kämpfen. Die zweitstärkste Handelsnation der Welt, die Bundesrepublik Deutschland, kann sich in der Tat, meine Damen und Herren, keinen ökonomischen Isolationismus leisten, nicht nach West, nicht mehr nach Ost und schon gar nicht nach Süden. Wir sind zu einer stabilen Entwicklung verpflichtet. Unser Wachstum zu Hause bringt den Entwicklungsländern trade und aid, Handel und Hilfe. Wir sehen unsere Entwicklungshilfe weiß Gott nicht unter dem bornierten Gesichtspunkt, daß wir damit unsere Industrieexporte in jene Länder fördern wollten. Nein, wir kennen Rosa Luxemburg, und wir wissen, daß Entwicklungshilfe nicht ein neues Mittel des industriellen Imperialismus sein darf.
Viel wichtiger als alles andere ist für uns der Export von Wachstum, von Wachstumskraft und von Arbeitsplätzen in die Dritte Welt hinein.Unser Leitbild in der Entwicklungshilfe ist das Leitbild einer offenen, interdependenten und sich im Miteinander entwickelnden Weltwirtschaft. Mit unserer neuen offensiven Handels- und Außenwirtschaftspolitik gen Osten und nach Süden wollen wir auf unsere Weise jene Vision von Wendell Wilkie aus den vierziger Jahren bestätigen, jene Vision, die er in Amerika im Wahlkampf während des zweiten Weltkrieges aufzeigte, und die da lautet: Wir leben tatsächlich in „e i n e r Welt".
Das Wort hat der Abgeordnete Müller-Hermann.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1255
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die Opposition bietet die Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht die erste Gelegenheit, sich gründlicher mit der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung und des Herrn Bundeswirtschaftsministers kritisch auseinanderzusetzen. Wir werden dabei durchaus nicht alles und jedes verdammen, was oder nur weil es aus dem Hause Schiller kommt. Das hieße verleugnen, daß es durchaus auch mancherlei Gemeinsamkeiten gibt. Aber diese Debatte wäre unergiebig, wenn sie nicht auch ganz deutlich machte, worin sich Regierung und Opposition unterscheiden und wo die Opposition der Bundesregierung schon jetzt Unterlassungssünden, schwere Fehlbeurteilungen und bedenkliche Zielsetzungen vorzuwerfen hat.Es wäre außerordentlich reizvoll gewesen, weite Passagen von Schiller-Reden aus der Oppositionszeit, die seine Glanzzeit war, vorzulesen.
Selbst die Damen und Herren der Koalition würden aus dem Schmunzeln darüber nicht herauskommen,
wie schön so vieles auf die heutige Situation gepaßt hätte.
Wir werden aber Herrn Schiller mit Sicherheit an dem Maß messen, das er selbst in seiner Oppositionsrede am 29. November 1965 treffend gesetzt hat. In seiner eleganten Art verkündete Herr Schiller damals:Die Bevölkerung braucht eine Regierung, der sie vertrauen kann, ... die in ihren Worten glaubwürdig und in ihrem Handeln vertrauenswürdig ist. Das ist die erste Vorbedingung.Nun, wir finden diesen Spruch sehr passend und werden sehen, ob Herr Schiller und seine Politik ihm auch wirklich Genüge tun.Ich will zunächst einmal an vier Paradebeispielen verdeutlichen, wie es um die Glaubwürdigkeit der Schillersehen Wirtschaftspolitik tatsächlich bestellt ist.Erstens. Ich greife etwas weiter zurück und beginne im Jahre 1965, in der Oppositionszeit von Herrn Schiller. Damals beklagte er, daß man den Prozeß der Preis- und Lohnsteigerungen nicht unter Kontrolle zu bringen verstehe. Im ersten Halbjahr 1965 seien die Gesamtausgaben des Bundes um 12,6 % angestiegen, während die reale Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts nur 5,2 % betragen habe. Daraus folgerte Herr Schiller, daß sich im ersten Halbjahr 1965 eine enorme inflationäre Lücke aufgetan habe. Das sei ein Beweis dafür, daß man den Konjunkturprozeß nicht zu steuern verstehe.Heute bietet uns Herr Schiller als Bundeswirtschaftsminister fast genau die gleichen Fakten an:
eine Expansion der Bundesausgaben um rund12 Prozent — ohne die Haushaltssperren, die jaaber nach 'dem Willen der Bundesregierung im Laufe des Jahres wiederaufgehoben werden sollen —
und ein reales Wachstum des Bruttosozialprodukts um etwa 41/2 % für das Jahr 1970.
Im Gegensatz zu damals will uns Herr Schiller heute glauben machen, daß diese finanzpolitische Tat ein Beitrag zur Konjunkturstabilisierung sei, und läßt in einem Interview die Bundesregierung sogar als europäischen Musterschüler feiern.
Zweitens. Der Jahreswirtschaftsbericht vom 31. Januar 1969 ist heute genauso lesenswert, vielleicht noch lesenswerter als vor einem Jahr.
Damals hat sich Herr 'Schiller in der Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts für das Jahr 1969 im wahrsten Sinne des Wortes um hundert Prozent verschätzt.
Denn statt bei den von ihm geweissagten 41/2 % lag ,der 'tatsächliche Zuwachs über 81/2 %. Das Bruttosozialprodukt war um 22,5 Milliarden DM höher als von Herrn Schiller im Jahreswirtschaftsbericht prognostiziert. Die Ausfuhr lag um 9,5 Milliarden, die Inlandsnachfrage um 23 Milliarden und die Einfuhr um 7 Milliarden DM höher.Mir scheint, meine Damen und Herren, wir haben Anlaß, Herrn Minister Schiller nicht nur seine vielfältigen Fehlprognosen vorzuwerfen, sondern eigentlich noch mehr, daß er die Eigendynamik unserer Wirtschaft nie richtig eingeschätzt hat.
Diese Erfahrung haben wir ,eigentlich schon im Jahre 1968 machen müssen, als Herr Schiller zu einer Zeit, in der die Konjunktur wieder auf vollen Touren lief, noch kräftig auf das Gaspedal treten wollte.
Dieser Tatbestand wird gewiß noch einmal eine Rolle spielen, wenn objektive ,Geschichtsschreiber die währungspolitische Diskussion. der letzten Jahre zu analysieren haben.
Denn wenn wir hier schon Vergangenheitsbewältigung betreiben, dann sollte sie nicht im Jahre 1969, sondern im Jahre 1968 ianfangen.
Ich verweise hier auf Aussagen dies Bundesbankpräsidenten Blessing, die an Deutlichkeiteigentlich nichts zu wünschen übriglassen.
Beim Jahreswirtschaftsbericht im Januar 1969 jedenfalls verließ sich Herr Schiller noch ganz auf das Absicherungsgesetz vom November 1968. Damals plädierte er ,aus diesem Grunde für eine entscheidende weitere Stärkung der Kaufkraft, um die allzu
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Dr. Müller-Hermannkonjunkturdämpfenden Wirkungen ,des Absicherungsgesetzes in etwa zu neutralisieren.
Zu jener Zeit plädierte Herr Schiller auch in der Konzertierten Aktion für nur sehr bescheidene Zuwachsraten in der Lohnbewegung. Die Folge war, daß sich die Stahlarbeiter als die Anführer durch wilde Streiks später das holten, was ihnen in der Konzertierten Aktion auf Grund falscher Prognosen vorenthalten worden war.
Herr Minister Schiller, wenn Sie in Ihren Ausführungen so viel von den stabilitätspolitischen Versäumnissen des vergangenen Sommers reden, dann müssen Sie sich auch vorhalten lassen, ,daß Ihr Fehlverhalten in der Konzertierten Aktion einen großen Teil der Schwierigkeiten heraufbeschworen haßt, mit denen wir uns heute auseinandersetzen müssen.
Drittens: Zeitpunkt der Abgabe der Regierungserklärung im Oktober 1969. Heute wissen wir es alle: Die Bundesregierung muß sich — offenbar doch unter dem Einfluß des Herrn Bundeswirtschaftsministers —in der Beurteilung der konjunkturpolitischen Landschaft völlig vertan haben.
Offensichtlich verließ man sich eben völlig auf die Auswirkungen der Aufwertung und meinte, konjunkturpolitisch nichts mehr hinzutun zu brauchen. Daß die erhofften Wirkungen der Konjunktur- und Preisdämpfung ,auf jeden Fall nicht eingetreten sind, das wissen wir inzwischen wohl alle.Aber das Signal, das die neue Koalition in ihrer Regierungserklärung der Öffentlichkeit setzte, hieß: Leichtfertigkeit und Geldausgeben.
Leichtfertig ging die neue Bundesregierung zunächst einmal ans Geschenkemachen.
Mit der Ankündigung von Einstandsgeschenken versuchte man für gut Wetter zu sorgen.
Später hat dann erst der Vorschlag unseres Fraktionsvorsitzenden Barzel, bis zum Vorliegen der mittelfristigen Finanzplanung keine ausgabewirksamen Anträge mehr einzubringen — mit den bekannten Ausnahmen —, für eine erste Beruhigung in der öffentlichen Ausgabenpolitik gesorgt.
Die Versprechungen, die in der Regierungserklärung enthalten waren — Abbau der Ergänzungsabgabe, Arbeitnehmerfreibetrag, zusätzliche Leistungen für die Rentner —, hätten doch zwangsläufig die Konjunktur anheizen müssen, wären sie realisiert worden. Sie mußten deshalb auch wieder von der Regierung selbst zurückgenommen werden, natürlich mit der Folge einer erheblichen Enttäuschung in der Bevölkerung.
Nach drei Monaten dieser Anbiederungsversuche mußte die Regierung dann das konjunkturpolitische Steuer herumdrehen. Man sprach auf einmal von Steuererhöhungen und der Herabsetzung der degressiven Abschreibung. Gleichzeitig ließ man allerdings die Steuersenkungsversprechen weiter im Raum 'stehen, und das nennt die Bundesregierung dann Konjunkturpolitik und Herr Schiller heute auch noch eine Konjunkturpolitik der guten Nerven.
Man könnte diese Konjunkturpolitik mit dem Zusatz versehen: Mach mal Pause!
Dieses Hin und Her der letzten Monate ist geradezu ein klassisches Beispiel dafür, wie man Vertrauen in die Beständigkeit und Zielsicherheit der Wirtschaftspolitik verspielen kann.
Viertens. Damit komme ich zum Jahreswirtschaftsbericht 1970. Herr Bundeskanzler und meine Damen und Herren von der Koalition, im Grunde müßten sie Verständnis dafür haben, daß wir in der Opposition nach den Erfahrungen dieser ersten hundert Tage, aber auch nach den Erfahrungen mit dem Jahreswirtschaftsbericht 1969 außerordentlich skeptisch sind, ob die Bundesregierung die Konjunkturlage in ihrem neuen Jahreswirtschaftsbericht wirklich richtig beurteilt. Ich kann mir vorstellen, daß Herr Kollege Schiller gestern und vorgestern bemüht sein mußte, sein ursprüngliches Konzept für diese Debatte etwas umzuarbeiten.
Denn der neueste Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, der uns dieser Tage auf den Tisch geflattert ist, bestätigt doch im Grunde nur, wie sehr unsere Skepsis angebracht ist.
Dieser Bericht ist — nun, ich will es milde ausdrücken — eine scharfe Zurechtweisung des Bundeswirtschaftsministers.
So viel scheint jetzt, nicht einmal drei Wochen nach Veröffentlichung des Jahreswirtschaftsberichtes 1970, doch sicher zu sein: daß die Preisauftriebstendenzen wesentlich über das hinausgehen werden, was die Bundesregierung der deutschen Bevölkerung als Prognose anbietet.
Auch gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, daß — wiees zumindest maßgebliche Mitglieder Ihres Ministeriums doch für eine ausgemachte Sache zu halten
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Dr. Müller-Hermannscheinen — am 1. Juli das große Fest der Konjunkturwende zu feiern sein wird.
In der Presse ist diese Auffassung, die mit einer drohenden Rezession schon jetzt Stimmung für eine neue Anheizpolitik zu machen versucht, treffend „Krisenastrologie" genannt worden.
Damit möchte ich zunächst einmal meinen Nachruf auf die Kunst der Feinsteuerung durch Herrn Schiller abschließen.
Bei der Beurteilung der Konjunkturlage müssen wir — das klang in den Ausführungen von Herrn Schiller jetzt schon an — viel differenzierter vorgehen, als es die Bundesregierung zumindest vorher getan hat. Zweifellos wirken viele widerstreitende Tendenzen und Faktoren auf unsere Konjunktur ein, und gewiß wird das Wirtschaftswachstum 1970 nicht mehr so ausgeprägt sein wie in den letzten Monaten. Auch wissen wir nicht zuverlässig, ja, nicht annähernd zuverlässig, wie sich die Konjunktur bei unseren Handelspartnern, vor allem in den Vereinigten Staaten, entwickeln wird. Aber im Gegensatz zur Bundesregierung sind wir der Meinung, daß alle zur Verfügung stehenden Konjunkturdaten auf keinen Fall schon als ein Anzeichen für einen sich deutlich abzeichnenden Konjunkturabschwung gewertet werden können.
Im Gegenteil, bei einer nüchternen Analyse muß man wohl zu dem Schluß kommen: die meisten Indikatoren sprechen bisher noch eindeutig für ein Anhalten der Hochkonjunktur. Der Arbeitsmarkt ist nach wie vor äußerst angespannt. Zweifellos hat nur der harte Winter neue Rekordziffern verhindert, wie auf der anderen Seite trotz des starken Winters in der Bautätigkeit erhebliche Leistungen vollbracht worden sind. Die Zahl der Gastarbeiter hat einen neuen Höhepunkt erreicht, und wir wissen, daß die Nachfrage nach Gastarbeitern unverändert hoch ist. Die Investitionsnachfrage hat noch nichts von ihrer Kraft eingebüßt. Die Kapazitätserweiterung rangiert immer noch vor den Rationalisierungsinvestitionen. Zur Zeit geht, ich möchte fast sagen, ausschließlich von dem hohen Zinsniveau, das größtenteils außenwirtschaftlich bedingt ist und sicher noch für eine geraume Zeit von uns als ein Faktor in Rechnung gestellt werden muß, und von der zunehmenden Liquiditätsverengung ein gewisser Dämpfungseffekt aus.Eine gewisse Sorge bereitet uns — in diesem Zusammenhang will ich das )einflechten — die Entwicklung der Zahlungsbilanz. Wir von der Opposition wollen hier durchaus nichts dramatisieren und der Bundesregierung auch nicht falsche Vorwürfe machen. Ich erinnere aber in diesem Zusammenhang — Herr Bundeskanzler Brandt ist ja hier anwesend — an die These Nr. 1 im wirtschaftspolitischen Teil der Regierungserklärung Brandt, in der man zum Ausdruck brachte, daß man eine graduelle Umorientierung des Güterangebots auf dem Binnenmarkt anstrebe. Meine Damen und Herren, wenn die Regierung eines Industriestaates vom Range der Bundesrepublik die ungeheure Bedeutung unserer Exportwirtschaft und den Beitrag des Exportüberschusses für den Ausgleich unserer Zahlungsbilanz etwa — ich sage ausdrücklich „etwa" — in Frage stellt, dann muß uns das auch im Blick auf die langfristige Entwicklung der Zahlungsbilanz allerdings mit außerordentlicher Sorge erfüllen.
Ich komme noch einmal auf den Bericht der Bundesbank zurück. Er spricht eine sehr unmißverständliche Sprache. Die Lebenshaltungskosten sind im Januar gegenüber dem Vorjahr um 31/2 % angestiegen. Auch die Bandesbank betont. daß der Höhepunkt des Preisauftriebs noch nicht erreicht sei. Auch weist die Bundesbank nachdrücklich darauf hin, daß die Ausweitung der Binnennachfrage in keinem angemessenen Verhältnis zu dem Produktivitätsfortschritt steht. Das gleiche gilt für die beträchtlichen Kostensteigerungen, die mögliche noch erzielbare Produktivitätsfortschritte erheblich übersteigen. Aus dieser Tatsache heraus hat sich der allgemeine Preisauftrieb entwickelt. Ich zitiere aus dem Bundesbank-Bericht:Die Nachfrageexpansion muß aber nicht nur in dem Maße gebremst werden, wie sich der Spielraum für das reale Wachstum verengt, sondern urn erheblich mehr, wenn die vorhandene Übernachfrage abgebaut und ,den Preissteigerungen im Inland allmählich die Basis entzogen werden soll.Mit anderen Wort ausgedrückt heißt das doch, daß wir nach den ersten hundert Tagen der neuen Bundesregierung vor einer ausgemachten hausgemachten Inflation stehen.
Von einer importierten Inflation kann heute mit Sicherheit keine Rede sein.Wir als Opposition haben am 20. Januar dieses Jahres, also noch vor der Bundesregierung, ein eigenes Konjunkturprogramm vorgelegt, das ganz darauf abgestellt ist, Stabilität und eine möglichst gleichmäßige Weiterentwicklung unserer Wirtschaft zugewährleisten. Auch wir warnen dringend davor, eine Stabilitätspolitik zu betreiben, ,die etwa in eine Rezession einmündet. Die Opposition forderte Klarheit in ,der Steuerpolitik, um die langfristigen Dispositionen im unternehmerischen Bereich nicht aus dem Tritt bringen zu lassen. Das Programm tritt auch für eine verstärkte Vermögensbildung ein, die sowohl dem Aspekt der Konsumabschöpfung als auch dem Bemühen um eine gerechtere Vermögensverteilung entspricht. Dabei sind wir uns durchaus darüber im klaren, meine Damen und Herren, daß die Vermögensbildungspolitik erst mittelfristig ein wirksames Konjunktursteuerungsinstrument sein kann. Der Schwerpunkt muß nach unserer Auffassung nach wie vor auf einer gezielten und bewußt antizyklischen Haushaltspolitik aller öffentlichen Hände liegen mit einer beispielhaften Haushaltspolitik des Bundes.
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1258 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Dr. Müller-HermannMeine Damen und Herren, wir können uns nicht von der Überzeugung lösen, daß die Bundesregierung auf diesem Gebiet viel zu spät gehandelt hat und daß auch heute noch nicht genügend geschieht.
Offensichtlich hat die Bundesregierung nicht den Mut, im haushaltspolitischen Bereich die Möglichkeiten des Stabilitätsgesetzes voll auszuschöpfen.
Zwar sind von der Bundesregierung Konjunkturausgleichsrücklagen in Höhe von 2,5 Milliarden DM für Bund, Länder und Gemeinden und eine Reihe von Haushaltssperren für den Haushalt vorgesehen — dieses ganze Thema wird ja in der Haushaltsdebatte noch sehr vertieft werden —, aber immerhin ergibt sich auch dann noch eine Zuwachsrate von mindestens 8,8 % für den Bundeshaushalt bei dem bekannten geschätzten Anstieg des realen Bruttosozialproduktes von 4,5 %. Aber auch diese Vergleichsbasis ist außerordentlich problematisch, wenn man berücksichtigt, in welchem Umfang im Dezember 1969 noch liquide Mittel in den Wirtschaftskreislauf gebracht worden sind.
Berücksichtigt man, daß die Steuereinnahmen im Jahre 1969 um 18 % gestiegen sind, ist man versucht, die jetzt vorgesehene Konjunkturausgleichsrücklage, ich möchte einmal sagen: als einen Griff in die Westentasche zu bezeichnen.
Es erscheint uns jedenfalls als ein Ausdruck von Selbsttäuschung oder Selbstgerechtigkeit, einen solchen Haushalt schon als konjunkturneutral oder gar als antizyklisch zu bezeichnen. Ich erlaube mir, aus der heutigen Ausgabe der „Welt" eine Stellungnahme der Bundesbank zu zitieren, in der es heißt:Es wird also von den öffentlichen Ausgaben voraussichtlich kein dämpfender Effekt auf die Gesamtnachfrage ausgehen.
Auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium hat im Januar 1970 nachdrücklich ein antizyklisches Verhalten der öffentlichen Haushalte gefordert.Wir in der Opposition — ich glaube, wir alle — müssen bei der Betrachtung der Konjunktursituation davon ausgehen, daß im Laufe des Jahres 1970 die Lohnbewegungen mit Sicherheit weiterhin prozyklisch verlaufen und die Produktivitätsentwicklung der Wirtschaft ganz erheblich übersteigen werden. Um so mehr muß von seiten der öffentlichen Hände der Konjunktur entgegengesteuert werden, und zwar mit aller Entschiedenheit, möglicherweise auch mit unbequemen und unpopulären Maßnahmen,
es sei denn, man wolle die Konjunktursteuerung wieder allein der Bundesbank überlassen, die damit überfordert wäre.Herr Bundesminister Schiller hat heute hier erklärt, man müsse binnenwirtschaftlich „marktkonforme Instrumente" einsetzen. Er hat dabei keusch und züchtig und vorsichtig auf den § 26 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes verwiesen.
- Ich weiß nicht, ob das ein persönliches Bekenntnis war. Ich nehme an, das war ein Hinweis wohl auch im Namen der Bundesregierung. Aber dann würde ich doch die Damen und Herren der Bundesregierung einmal auffordern, hier und heute Roß und Reiter zu nennen und zu sagen, was man vorhat, statt um den heißen Brei herumzureden.
An die Adresse der Regierungskoalition und speziell an die Adresse des Bundeswirtschaftsministers muß die Opposition immer wieder die Frage stellen: Karl August Schiller, wie hältst du es mit der Preisstabilität bzw. Geldwertstabilität?
Uns allen klingen noch die hervorragenden Ausführungen von Herrn Schiller in den Ohren, mit denen er uns in Anlehnung an den Bericht des Sachverständigenrates 1965 seinen schon Geschichte gewordenen Stufenplan zur Wiederherstellung der Geldwertstabilität vorklopfte: 4, 3, 2, 1 %.
Heute, wo Herr Schiller Gelegenheit hätte, die Probe aufs Exempel zu machen, geht es: „Links, zwei, drei, vier" in Prozenten nach oben.
Ich frage daher den Herrn Bundeswirtschaftsminister, ob er uns jetzt als verantwortlicher Minister in einer maßgeblich von der SPD gesteuerten Regierungskoalition einen Stufenplan wie 1965 vorlegen kann.
— Herr Kollege Wehner, darf ich jetzt weitersprechen.
Nun versucht der Herr Bundeswirtschaftsminister auch in seiner heutigen Rede, den Schwarzen Peter für die Preissteigerungen immer wieder anderen in die Schuhe zu schieben. Wenn man den Jahreswirtschaftsbericht 1970 liest, heißt das „ceterum censeo": Die verspätete Aufwertung ist an allem schuld. Ich weiß nicht, Herr Minister Schiller, wie lange werden Sie es denn eigentlich noch nötig haben, sich an diesem Lieblingsthema als Alibi festzuhalten?
Mir scheint, je länger, desto weniger wird Ihnen das jemand in der Öffentlichkeit abnehmen. Für die Zukunft ist die vollzogene Aufwertung einfach ein wirtschaftspolitisches Datum und kein ernsthafter
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1259
Dr. Müller-HermannDiskussionsgegenstand mehr, obwohl wir die Diskussion nicht zu scheuen brauchen. Wir müssen den Herrn Bundeswirtschaftsminister schlicht und einfach fragen, was er heute und morgen zur Sicherung der Preisstabilität zu tun gedenkt.
Nach den Ausführungen von Herrn Schiller habe ich den Eindruck, daß er in der Beurteilung der Preisentwicklung doch etwas vorsichtiger geworden ist. Die Schwerpunkte seiner sogenannten Stabilitätspolitik waren eigentlich schon recht deutlich erkennbar. Vor den Wahlen hatte er ja das Seine dazu beigetragen, daß die Preissteigerungen herbeigeredet wurden.
Jetzt, meine Damen und Herren, haben wir eine Darstellung hören müssen, es sei ja alles gar nicht so schlimm. Ich könnte mir denken, daß Herr Schiller manchmal schon bereut, daß er die Geister, die er rief, nicht mehr los wird. Daher wurde lange alles auch sehr verniedlicht: „Gemessen an den Sünden der anderen, sind wir eigentlich noch recht tugendsam". — Diese Art der Stabilitätspolitik, die mit dem Vertrauen der Wirtschaftsbürger spielt, lehnen wir auf jeden Fall entschieden ab.
Zu seiner Rechtfertigung hat der Bundeswirtschaftsminister dann versucht, durch ein im Grunde völlig marktwidriges und auch kostenwidriges Festhalten der administrativen Preise Stabilität vorzutäuschen. Ich höre sehr gern aus seinem Munde, daß er zumindest eine gewisse Beweglichkeit in die administrativen Preise hineinbringen will. Ein typisches Beispiel ist die Lage der Bundesbahn, die 1970 900 Millionen DM mehr an Kosten zu verkraften hat und der man nun verweigern will, daß sie im Güterverkehrsbereich eine gewisse Preisanpassung vornimmt. Der Verbraucher wird diese Mehrbelastung auf jeden Fall tragen müssen, und Stabilitätspolitik hat doch gewiß nichts mehr mit der optischen Aufpolierung von Preisstatistiken zu tun.
Was hier im Blick auf die administrativen Preise bisher von der Regierung getan worden ist, ist doch eine reine Augenwischerei.
Ein neues Mittel der Schillerschen Stabilitätspolitik scheint auch zu sein, den Unternehmen vorzurechnen, wie sie sich am Markt verhalten sollen. Vor der Hauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels haben Sie, Herr Schiller, am 4. November 1969 verkündet: „Sie vom Einzelhandel können das, was an Preisdruck auf Sie zukommt, auf die Dauer nicht auffangen." In Ihren Anzeigenserien versuchen Sie nun, dem Handel vorzuschreiben, was er alles an Preissenkungen vornehmen könne, unterlassen es aber, in diesen Anzeigen auch nur ein Wort zu den Kostensteigerungen zu sagen, mit denen Produzenten und Handel fertig werden müssen.
Was ist das alles anderes als die früher so belächelte Seelenmassage?
Aber möglicherweise steckt doch etwas mehr dahinter. Meine Damen und Herren, hier wird doch versucht, mit staatlicher Intervention in die unternehmerische Preisgestaltung hineinzuregieren. Das ist eine Intervention, die über die vielgepriesene Globalsteuerung hinaus zu einer Beeinflussung der privaten Entscheidungsfreiheit übergeht. Wir sollten alles nur mögliche tun zur Senkung der Preise gerade im Lebensmittelbereich. Aber wir können die Marktfaktoren nicht hinwegdiskutieren oder einfach leugnen.
Ich kann mir vorstellen, meine Damen und Herren von der Koalition und auch sehr verehrter Herr Minister Schiller, daß es Ihnen an die Nerven geht, wenn wir ständig die Frage wiederholen,
wie Sie es mit der Preisstabilität halten. Es ist kein Geheimnis — ich sage das nicht im Sinne eines Vorwurfs —, das sich der Bundeswirtschaftsminister weitgehend mit Beratern umgeben hat, die bereit sind, für schnelles Wachstum bewußt eine schleichende Inflation in Kauf zu nehmen.
Nicht zufällig, meine Damen und Herren, ist der von mir persönlich sehr geschätzte Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium zugleich Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, eines Instituts, dessen Vorliebe für keynesianische Wachstumspolitik überall bekannt ist.
Auch die Abreden auf EWG-Ebene sollte man doch nicht ganz so verharmlosen, wie der Herr Minister das hier getan hat. Wenn man sich innerhalb der EWG mit einer mittelfristigen jährlichen Preissteigerungsrate von 2,5 % abzufinden geneigt ist, so sollten wir nicht aus einem falsch verstandenen Solidaritätsgefühl hier einen Kurs mitsteuern, der zwangsläufig über diese Inflationsrate hinausgehen muß. Herr Minister Schiller hat dankenswerterweise in seiner Rede heute selbst gesagt: Der Weg nach Europa darf nicht mit einem entscheidenden Verlust an Stabilität erkauft werden. Ich hoffe, daß sich die Bundesregierung an diese Aussage auch dann hält, wenn es nachher um die konkreten Entscheidungen geht.
Selbstverständlich unterstützen wir alles, was zu einer Koordinierung der Konjunktur- und Währungspolitik innerhalb der EWG und auch zu einer Koordinierung der internationalen Zinspolitik beitragen könnte. Aber gerade in dem letzten Punkt warne ich davor, anzunehmen, daß wir mit schnellen Erfolgen rechnen können, die in die heutige Konjunkturlandschaft hineinpassen.
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1260 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Dr. Müller-HermannIch muß jetzt hier ein sehr ernstes Wort sagen, und ich bitte, das auch sehr ernst aufzufassen.
Die Glaubwürdigkeit und Redlichkeit unserer Gesellschaftsordnung hängen von der Stabilität des Geldwerts ab.
Die Anreize zur Sparbildung müssen sinnvoll bleiben, und die Sparzinsen dürfen nicht de facto zum Ersatz für Geldentwertung degradiert werden.
Eine permanente Geldentwertung ist nach unserer Auffassung zutiefst unsozial. Sie bewirkt praktisch eine einseitige Vermögensverschiebung zugunsten der Sachwertbesitzer und begünstigt die Schuldner auf Kosten der Sparer.
Der Geschäftsbericht der Deutschen Bundesbank für das Jahr 1968 drückte das einmal so aus:•
Preissteigerungen zu tolerieren heißt daher, eine ständige Verschiebung der realen Vermögensverhältnisse zugunsten der Netto-Schuldner zu dulden.
Meine Damen und Herren, Geldentwertung geht natürlich auch stets zu Lasten der Eigenvorsorge und Eigenverantwortung der Wirtschaftsbürger.
— Hören Sie jetzt doch einmal mit den Zurufen auf, und lassen Sie mich sprechen. Sie können ja nachher sprechen, Herr Kollege Mattick.
Eine sozialistische Politik, 'die ohnehin die kollektive Absicherung als das Ideal ansieht, mag auch eine das Kollektiv fördernde Geldentwertung vielleicht leichter hinnehmen. Hier jedenfalls scheiden sich die Geister.
— Sehr verehrter Kollege Wehner, natürlich wissen wir auch,
wie schwierig es ist, absolute Geldwertstabilität zu garantieren.
— Ich wollte es gerade sagen.
— Sie haben völlig recht. Auch in den vergangenen 20 Jahren hat es Preissteigerungsraten gegeben, die alles andere als schön waren. Aber niemand wird der CDU/CSU vorwerfen können,
daß wir solche Preissteigerungsraten hingenommen hätten.
Ich will jetzt einen Satz aus einem Artikel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zitieren. Das Entscheidende ist, „daß derjenige, der sich mit ständigen Preiserhöhungen von zwei bis drei Prozent achselzuckend abfindet, in der Wirklichkeit schnell bei vier oder fünf Prozent landen kann". Das ist genau die Situation, in der wir uns heute befinden.
Wir wenden uns mit Entschiedenheit gegen die gefährliche These, daß die schleichende Inflation der notwendige Preis für stetiges Wachstum sei. Diese Annahme ist theoretisch in keiner Weise gestützt, und auch die praktischen Erfahrungen, die wir in der Vergangenheit gemacht haben, zeigen, daß ausschließlich Preisstabilität die Grundlage für solides Wachstum sein kann.
Neuere empirische Forschungsarbeiten haben in der jüngsten Zeit hierauf auch aufmerksam gemacht, und es überrascht — oder vielleicht auch nicht —, daß die Auswertung der wissenschaftlichen Literatur im Bundeswirtschaftsministerium offenbar recht einseitig erfolgt.Untersuchungen zum Verhältnis von Strukturwandel und Wachstum zeigen, daß Wachstum bei Vollbeschäftigung nur realisiert werden kann, wenn Produktionsfaktoren in den Sektoren freigesetzt werden, wo die Nachfrage nachläßt, und in die Sektoren hineinwandern, die sich einer erhöhten Nachfrage erfreuen. Bei einer schleichenden Inflation, die zu einem Überdruck in der Volkswirtschaft, zur Vollauslastung der Kapazitäten führt und damit Strukturmängel überdeckt, wird die Mobilität der Produktionsfaktoren künstlich unterbunden.
Nach der modernen wissenschaftlichen Theorie und auch nach voller Überzeugung der CDU/CSU ist jedenfalls die Preisstabilität eine der wesentlichsten Voraussetzungen für die optimale Zuordnung der Produktionsfaktoren. Natürlich wünschen auch wir eine systematische Wachstumspolitik, allerdings nicht um den Preis des schleichenden Geldwertverfalls. Die Öffentlichkeit muß sich allerdings darüber im klaren sein, daß ein wichtiger Faktor für Wachstum, nämlich die menschliche Arbeitskraft, immer knapper wird. Wachstum muß daher über qualitative Prozesse angestrebt werden. Dazu gehört ein funk-
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Dr. Müller-Hermanntionsfähiger Wettbewerb, die Verbesserung des Managements, die schnellere Durchsetzung des technischen Fortschritts. Gerade deshalb gebührt auch der Kapitalbildung besondere Aufmerksamkeit, und mit aus diesem Grunde werden wir auch alles unterstützen, was einen Anreiz zur weiteren Sparförderung gibt, damit wir eben das nötige Kapital für die Modernisierung unserer Wirtschaft zur Verfügung stellen können.Fortschritt und Expansion machen es angesichts der Begrenztheit unserer Reserven notwendig, daß die Wirtschaftspolitik der Strukturverbesserung und dem Ausbau der Inftrastruktur besonders hohe Priorität einräumt. Wir müssen sicherstellen und wollen daher gewährleistet wissen, daß in der Ausgabenpolitik der öffentlichen Hände den Zukunftsaufgaben und Zukunftsausgaben generell ein höheres Gewicht gegeben wird.
Ich denke an die Ausgaben für Wissenschaft, Forschung, Bildung und Ausbildung, Verkehrswege, Gesundheitsvorsorge, Luft- und Wasserreinhaltung und ähnliches. Ich nehme an, daß in diesem Punkt sogar generell Übereinstimmung in diesem Hause besteht. Wir müssen aber wohl alle immer wieder mit Bedauern feststellen, daß Antizyklik in der Regel zu Lasten gerade dieser Sozialinvestitionen geht. Deshalb möchten wir sichergestellt wissen, Herr Bundesfinanzminister und Herr Bundeswirtschaftsminister, daß die heute in der Phase der Hochkonjunktur unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten zurückgestellten und stillgelegten öffentlichen Mittel zum geeigneten Zeitpunkt und mit der nötigen Elastizität für diese großen Aufgaben der Zukunftsvorsorge eingesetzt werden.
Ein fundamentaler Unterschied in den wirtschaftspolitischen Auffassungen von Sozialdemokraten und CDU/CSU besteht zweifellos in der Einschätzung der Eigendynamik unserer Wirtschaft. Wir vertrauen eben offenbar stärker als die Sozialdemokraten auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft. Das bedeutet durchaus kein Laissez-faire des Staates. Wir anerkennen durchaus die Notwendigkeit einer staatlichen Aktivität in der Wirtschaftspolitik. Aber wir sehen auch sehr viel eindeutiger deren Grenzen. Der Glaube an die Machbarkeit wirtschaftlicher Prozesse und die Manipulierbarkeit der Wirtschaft sind ja geradezu ein Charakterzug der Schillerschen Wirtschaftspolitik geworden.
Wir vertrauen vor allem auf die automatisch wirkenden wirtschaftspoltischen — marktwirtschaftspolitischen, müßte ich sagen — Wirkungen einer freiheitlichen Wettbewerbsordnung. Wir sind daher auch bereit, an einer Novellierung des Kartellgesetzes mitzuwirken, soweit damit der Wettbewerbsmechanismus unter veränderten technologischen Bedingungen funktionsfähig erhalten bleibt oder noch funktionsfähiger gemacht wird. Wir sind aber mit Sicherheit nicht bereit, meine Damen und Herren, zusätzliche Instrumente zu schaffen, die zu einer weitere Gängelung unserer Wirtschaft mißbraucht werden könnten.
Ich habe schon an anderer Stelle auf die massiven Fehlprognosen von Herrn Schiller hingewiesen, und ich weiß eigentlich nicht recht, wie Herr Schiller immer noch so sehr auf seine eigenen Projektionen vertraut. Sie sind im Grunde unzuverlässiger als so mancher Wetterbericht.
Letztlich ist ja auch die konzertierte Aktion im Januar 1970 an der Prognosepolitik von Herrn Schiller gescheitert. Denn verständlicherweise sind Schillers Daten auch für die Gewerkschaften einfach nicht mehr glaubwürdig. Für detaillierte Prognosen fehlen eben auch auf seiten der Wissenschaft noch die nötigen technischen Voraussetzungen.Um auch hier keinerlei Mißverständnisse aufkommen zu lassen: auch wir halten eine gründliche, vielleicht sogar noch verbesserte Information über alle verfügbaren wirtschaftpolitischen Daten im nationalen und internationalen Bereich für dringend erforderlich. Das ist schon angesichts der Tatsache nötig, daß die öffentlichen Hände, die immerhin 40 % unseres Volkseinkommens bewegen, auch selber entsprechende Entscheidungshilfen zur Verfügung haben müssen. Aber die staatliche Informationspolitik muß sich davor hüten, mit der amtlichen Abstempelung von Daten, möglichst noch mit Stellen hinter dem Komma, anderen das Denken abnehmen zu wollen oder das Denken in falsche Bahnen zu lenken.
Eines sollten wir doch ,eigentlich ,alle erkannt haben, meine Damen und Herren: Man muß auch die psychologischen Wirkungen richtig einschätzen, die von jeder ,amtlichen Aussage, speziell aber von amtlichen wirtschaftspolitischen Prognosen ausgehen. Die Vorgabe von Inflationsraten - um nur ein Beispiel zu nennen — gewöhnt die Wirtschaft an das Klima der schleichenden Inflation und fördert gerade ,die Trends, die die 'amtliche Wirtschaftspolitik einzudämmen bemüht ist. Bei Lohnverhandlungen werden .diese Inflationsraten als selbstverständlich einkalkuliert, und die Unternehmer glauben, über einen entsprechenden Spielraum für Preiserhöhungen verfügen zu können. Preisprognosen ,sind nun einmal von der Art, daß sie die Eigenschaft der Selbstverwirklichung in sich bergen. Dafür gibt es auch .eine wissenschaftliche Theorie der „Self-fulfilling Prophecy".Unsere Fraktion geht bei der nachdrücklichen Bejahung des staatlichen Instrumentariums für die Steuerung der Konjunktur von der Voraussetzung aus, daß dieses Instrumentarium zur Erhaltung unserer freiheitlichen marktwirtschaftlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung eingesetzt wird. Wir haben auch das Vertrauen dazu, daß Sie das so zu tun beabsichtigen. Wir sollten uns aber auch darüber im klaren sein, daß dieses Instrumentarium mißbraucht werden kann, um unsere freiheitliche
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1262 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Dr. Müller-HermannGesellschafts- und Wirtschaftsordnung aus den Angeln zu heben.
Hier haben wir auf seiten !der Opposition unsere Sorgen im Hinblick auf so manches, was schon heute geschieht, mehr aber noch im Hinblick auf die Zukunft. Hier haben wir sehr konkrete Fragen an die Adresse der SPD. Die Jungsozialisten, meine Damen und Herren,
haben jüngst sehr dezidierte Vorstellungen über eine künftige Gesellschaftsordnung vorgetragen, die mit den marktwirtschaftlichen Grundlagen unseres Gesellschafts- und Wirtschaftssystems nichts 2u tun haben und nichts zu tun haben wollen.
— Die Jungsozialisten sind ja nicht irgendwer, Herr Kollege Wehner.
Sie sind auch keine kleine Gruppe von Einzelgängern und Querulanten.
Es handelt sich immerhin um 180 000 eingeschriebene SPD-Mitglieder, wenn ich richtig informiert bin.
Diese Kräfte werden Ende der 70er Jahre voraussichtlich !den Kurs der ,SPD bestimmen.
Herr Ernst Eichengrün, Ihnen ja kein Unbekannter, hat auf diese Gefahren in einem Memorandum an den Bundesvorstand !der SPD ausdrücklich hingewiesen.
Wenn man den Kernsatz des Programms der Jungsozialisten liest, fragt man sich, wie und wo sich die zukünftige Struktur der Bundesrepublik, sollte das einmal Wirklichkeit werden, von der der sogenannten sozialistischen Staaten noch unterscheiden soll.
Der Kernsatz heißt: „Es gibt nur eine Möglichkeit, präventiv gegen die Krisenanfälligkeit dieses Systems" — und damit ist unsere soziale Marktwirtschaft gemeint — „vorzugehen: indem man es abschafft." Sie wissen ja, was das Programm im einzelnen vorsieht: Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel durch gesetzlich kontrollierte Organe, Leitung und Lenkung der Wirtschaft durch ein staatlich kontrolliertes und koordiniertes System lokaler, regionaler und zentraler Organe.
Das private Eigentum soll eingeschränkt und Vermögensbildung nur noch in Kollektivform betrieben werden. Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren — jetzt komme ich zu dem Entscheidenden, Herr Kollege Wehner —,
muß man einen Satz wie diesen lesen: „In nüchterner Erkenntnis, daß die gegenwärtige parlamentarische Situation die Handlungsfähigkeit der Regierung einengt, verlangt die Entscheidung für den demokratischen Sozialismus, daß eine sozialdemokratische Regierung alle ihre Handlungen an den Bedürfnissen einer kommenden sozialistischen Gesellschaft mißt."
Damit komme ich auch zum Schluß meiner Ausführungen.
— Ja, das ist nicht alles ganz bequem zu hören; das kann ich mir denken.
Meine Damen und Herren, erfolgreiche Wirtschaftspolitik ist eben weitgehend eine Sache des Vertrauens,
und Vertrauen setzt Glaubwürdigkeit und Stetigkeit des Handelns voraus.
Man mag hundert Tage Regierungstätigkeit noch so zurückhaltend beurteilen: Die neue Bundesregierung hat im Bereich der Wirtschaftspolitik auf jeden Fall herzlich wenig getan, was Vertrauen zu ihr rechtfertigen könnte.
Man sollte vielleicht auch gewisse Indizien in der Entwicklung unserer Zahlungsbilanz sehr ernsthaft in seine Erwägungen über die Beständigkeit des Vertrauens mit einbeziehen.
Unsere Skepsis und unser Mißtrauen, meine Damen und Herren, — und gewiß auch das weiter Teile der Öffentlichkeit —, gründen sich eben nicht allein auf die Taten, Unterlassungen und die offiziellen Äußerungen der Bundesregierung. Sie gründen sich noch mehr auf das, was von dem sozialdemokratischen Teil der Regierungskoalition heute noch nicht offen ausgesprochen wird. Die Jungsozialisten haben hier möglicherweise nur etwas den Vorhang gelüftet, offenbar weil sie weniger Rücksicht als die Regierungskoalition zu nehmen brauchen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1263
Dr. Müller-HermannAuf jeden Fall ist diese Opposition zu außerordentlicher Wachsamkeit gegenüber der Regierung verpflichtet.
Wir werden nicht zulassen, daß das, was in 25 Jahren von unserem ganzen deutschen Volk aus Schutt und Trümmern aufgebaut worden ist, etwa leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird.
Wir wollen, daß unsere harte deutsche Mark auch in Zukunft stabil, hart, wertbeständig bleibt. Wir werden nicht zulassen, meine Damen und Herren, daß die freiheitliche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, die mit Sicherheit die weit überwiegende Mehrheit unseres Volkes bejaht, heute oder auf lange Sicht durch irgendwelche sozialistischen Experimente gefährdet wird.
Wir wollen und werden als Opposition in diesem Bundestag mit allen Kräften dafür sorgen, daß auch in Zukunft Solidität, ideologiefreie Nüchternheit
und die Verantwortung für Freiheit und Würde des Menschen Richtschnur des Handelns in der Wirtschaftspolitik bleiben.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Kollege Kienbaum.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Der Jahreswirtschaftsbericht - ich wiederhole nahezu wörtlich die Einleitung des Kollegen Müller-Hermann — gibt Gelegenheit zur Erörterung der wirtschaftlichen Situation, allerdings auch, was wichtiger ist, zur Definition der für die nächste Zukunft zweckmäßigen Wirtschaftspolitik. Die Situationsanalyse darf natürlich die Außenwirtschaft nicht unberücksichtigt lassen und muß den Trends drinnen wie draußen, aber auch den wirkenden Kräften, nachspüren.
Eine Definition der zukünftig zweckmäßigen, nicht ausschließlich auf vergangene Betrachtungen abgestellten Wirtschaftspolitik sollte, so scheint mir, wie der Jahreswirtschaftsbericht gegliedert werden in die kurzfristigen konjunkturpolitischen Maßnahmen — —
Herr Kollege Kienbaum, entschuldigen Sie die Unterbrechung! Ich möchte das Haus bitten, die notwendigen Gespräche freundlicherweise in den Wandelgängen zu führen, damit der Redner seine Ausführungen hier zu Gehör bringen kann. — Bitte schön!
Ich darf wiederholen: Ich möchte gliedern in die kurzfristigen konjunkturpolitischen und die mittelfristigen wettbewerbs- und angebotsstärkenden Maßnahmen. Ich würde mich wie bei meiner ersten Rede in diesem Hohen Hause anläßlich der Regierungserklärung bei meinem Beitrag zur Urteilsfindung gern lediglich auf das beschränken, was uns heute aufgegeben. ist, und nur Maßnahmen behandeln, die unsere Probleme lösen können. Denn wir haben dicke Probleme. Ein Narr, wer sie verleugnen wollte! Aber ein ebensolcher Narr, der die Ursachen zu vertuschen sucht!
Es wird allerdings nicht zu vermeiden sein, heute auch auf die Vergangenheit einzugehen.Nun zur Situation Anfang des Jahres 1970. Wir haben eine deftige Überhitzung und dazu einen inflationistischen Preisauftrieb, der zur Zeit 3 % überschreitet, zu meistern. Aber, meine Damen und Herren, beides hat Ursachen, die im Jahre 1969 und in den fehlenden Maßnahmen der damaligen Bundesregierung begründet liegen. Ich will nicht zum Überdruß wiederholen, daß die Aufwertung unterlassen wurde, sondern möchte darauf verweisen, daß die Stillegung öffentlicher Nachfrage, die ebenso nachdrücklich gefordert wurde, im vergangenen Jahr zwar beschlossen, aber praktisch nicht verwirklicht wurde, und daß die Angebotsverstärkung nicht ernsthaft gefördert wurde. Währenddessen aber wurde die Sicherheit der wirtschaftlichen Disposition — sowohl der Verbraucher wie der Anbieter — in extremer Weise gestört.Die Währungsspekulation ist auch in diesem Hohen Hause bereits oft genug behandelt worden. Ich kann mich auf die Erwähnung beschränken.Erwähnt werden müßte aber doch wohl die Verknappung wichtiger Grundstoffe und Halbzeuge. Es ist notwendig, in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß im vergangenen Jahr ein wesentlicher Teil der Preisauftriebsentwicklungen von der Verknappung an Baustahl ausgegangen ist, von der Verknappung eines wichtigen, für die Bauwirtschaft unentbehrlichen Halbzeugs, die angesichts 'der erteilten Bauaufträge zu sprunghaften Steigerungen von Preisen in einem der wichtigsten Wirtschaftszweige geführt hat.Es muß auch, so scheint mir jedenfalls, darauf hingewesen werden, daß im Jahr 1969, ohne daß die eben erwähnten durchaus möglichen Maßnahmen eingeleitet wurden, die Verknappung der Arbeitskräfte zugenommen hat und sich von dort aus preistreibende Tendenzen nicht nur in der industriegütererzeugenden Wirtschaft, sondern in allen Bereichen bis hin zu den Dienstleistungen entwickelt und gesteigert haben. Die hohe Preissteigerung bei Industriegütern, der zunächst eine entsprechende Steigerung der Kosten und Preise bei den Verbrauchsgütern noch nicht folgte, ist ein Störungsfaktor, der sich 1969 zum Teil ausgewirkt hat und 1970 weiterwirkt.
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1264 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
KienbaumWas aber nicht unerwähnt bleiben darf, wenn wir uns nicht an den Dingen vorbeimogeln wollen, die es nunmehr zu meisterngilt, ist die völlig aus dem Rahmen fallende Steigerung der Personalkosten, nicht allein ausgelöst durch Tariferhöhungen, sondern insbesondere durch die gegen Ende des Jahres bewilligten Zulagen nach den wilden Streiks. Angesichts solcher Fakten, Herr Dr. Müller-Hermann — ich wiederhole: die wirtschaftliche Disposition extrem störenden Fakten — ist mir nicht ganz verständlich, was Sie anfags vorgetragenhaben; es erscheint mir fast als ein Symptom andauernder Vergeßlichkeit. Sie als Regierungsfraktion und die von Ihnen gestellten Minister in der Regierung der Großen Koalition haben doch diesen Jahreswirtschaftsbericht vom Januar 1969, den Sie zitierten, verabschiedet. Darüber kann doch wohl kein Zweifel bestehen. Aber ich will mich mit diesen Reminiszenzen nicht lange aufhalten.Wir haben — das ist ,die Situation — Überhitzung und Preisauftrieb. Wir haben beides, obwohl die neue Regierung unverzüglich die Aufwertung durchführte und dabei einen, allerdings nicht alle, Unruheherde beseitigte. Wir haben sie immer noch, obwohl daneben die Deutsche Bundesbank den Kredit verknappte und verteuerte, und zwar 'in Ergänzung zum Abfluß an Liquidität.Beide Maßnahmen reichten also nicht aus. Man muß sich mit der Frage auseinandersetzen, warum sie nicht ausreichten. Ich glaube — darüber ist in eingehenden Beratungen innerhalb der FDP für uns Klarheit geschaffen worden —, weil 1970 neue Impulse wirken, die zum Teil ebenfalls aus den Entscheidungen des Jahres 1969 herüberreichen: die Lohnfortzahlung ab 1. Januar 1970, die aufgestauten Anpassungen administrierter Preise, neuerliche bereits ins Haus stehende Tarifsteigerungen. Es sollte auch ein Indiz bzw. ein Trend nicht verschwiegen werden, der bedenklich werden könnte: der verminderte Zuwachs der Spartätigkeit, im allgemeinen zu werten als ein erstes Anzeichen für einen möglichen Verlust an Vertrauen in die Stabilität, um die wir uns hier heute in der Auseinandersetzung über den richtigen Weg in der Wirtschaftspolitik mühen.Durch alle diese Beispiele, die noch ergänzt werden könnten, durch die wirkenden Impulse ist die Nachfrage erneut angestiegen, und zwar stark. Die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage ist weiter angewachsen. Sie ist nur in einigen Teilsektoren zum Stillstand gekommen. Es muß daher befürchtet werden, daß sich der übernachfragefördernde und damit preistreibende Trend von neuen Tarifvereinbarungen, die den Produktivitätszuwachs weit übersteigen, noch fortsetzen kann. Angesichts der zur Zeit debattierten Tarifsteigerungsraten ist durch die Verhandlungen des Bundesinnenministers ein geradezu erstaunliches Ergebnis im öffentlichen Dienst erzielt worden.In dieser Situation — das ist die Auffassung der Freien Demokraten — gibt es leider keinerlei Sicherheit, daß sich die erforderliche Abschwächung im zweiten Halbjahr 1970 einstellt, und das nicht zuletzt deshalb, weil die Inflation im Ausland fortwirkt. Das war — ich mußte mich natürlich in der Zusammenfassung der Impulse, der Trends und der Indizien beschränken — die Beurteilung der Situation Mitte Februar 1970 durch die Freien Demokraten.Es stellt sich die Frage: Welches sind angesichts dieses Urteils die kurzfristig wirkenden Maßnahmen zur Dämpfung, die wir für wünschenswert halten? Wir sind der Aufassung, die derzeitige Haltung der Bundesbank darf nicht aufgegeben werden, auch dann nicht, wenn Interessentengruppen in der Presse auf eine andere Linie hinwirken wollen;
denn die Kreditverteuerung und die Kreditverknappung bewirken keine Preisauftriebselemente, vielmehr wirken sie in einem ganz entscheidenden Bereich, der Bauwirtschaft, entscheidend dämpfend. Wir sollten auch keine Konterkarieren der Aufwertung — etwa durch Ausnahmeregelungen in großer Zahl, die hier und da von draußen gewünscht werden — zulassen. Wir sollten weiterhin — in der Beurteilung dieser Frage werden sich unsere Meinungen möglicherweise unterscheiden — den bereits bekannten Entscheidungen zur konjunkturgerechten Haushaltsgestaltung und -abwicklung unserer Unterstützung leihen.Wir haben aus diesem Grunde gewünscht und es, wie der Bericht und die inzwischen bekannt gewordenen Entscheidungen des Bundeskabinetts gezeigt haben, auch erreicht — sicher nicht durch uns allein —, daß im Jahre 1970 eine Konjunkturausgleichsrücklage gebildet wird, daß Haushaltssperren vorgesehen werden, daß ein weitgehender Verzicht auf Inanspruchnahme des Kapitalmarkts Beschluß wurde.Diese haushaltswirksamen Maßnahmen, meine Damen und Herren — damit greife ich eine Anregung von Herrn Dr. Müller-Hermann auf —, sollten aber gemessen werden am Gesamtgewicht der volkswirtschaftlichen Leistung. Dabei ist es einfach wichtig, zu wissen, daß sie zusammengenommen immer noch weniger als ein Prozent des Bruttosozialprodukts ausmachen. Von daher können Zweifel an der vollen Wirksamkeit der Maßnahmen, an ihrer von uns allen gewünschten Wirkung durchaus erörtert werden. Das Problem hat die FDP auch erörtert. Aus diesem Grunde wünscht sie über das bisher Bekanntgewordene hinaus eine Einstellung aller Haushaltsersparnisse — insbesondere bei der gedämpften Abwicklung des Haushalts bis zur Verabschiedung des neuen Haushalts 1970 — zusätzlich in die Konjunkturausgleichsrücklage. Falls erforderlich, d. h. falls die uns zu diesem Zeitpunkt bekannten Daten immer noch nicht die gewünschte Dämpfung zur Folge haben, erwarten wir eine weitere zusätzliche Bedienung der Rücklage im dritten und vierten Quartal 1970.Schließlich — auch das ist bereits angedeutet — sehen wir in der Abschöpfung von Kaufkraft durch Vermögensbildungsmaßnahmen, wie sie bereits bekannt wurden und wie sie sich möglicherweise noch durch ein Verziehen der Zahlungsfristen verstärken können, ein geeignetes Mittel.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1265
KienbaumWas wir nicht wünschen, soll allerdings auch in aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht werden. Wir wünschen in dieser Situation unter keinen Umständen eine Behinderung produktivitätsfördernder Investitionen. Diese jetzt zu stoppen, hieße eine lange Wiederanlaufphase heraufbeschwören, möglicherweise zu einem Zeitpunkt, zu dem diese Investitionen lebenswichtig werden. Damit sich aber erst gar nicht ein Image in dieser Richtung entwickelt, wünschen wir auch nichts, was die unternehmerische Investitionsbereitschaft dämpfen könnte. Hier muß bestimmten Äußerungen in der Öffentlichkeit widersprochen werden. Es wird hier nicht falsche Rücksichtnahme geübt — indem man etwa Unternehmen und Unternehmer ausklammern wollte aus dem Paket notwendiger Maßnahmen —, sondern hier wird der Gedanke logisch weiterentwikkelt, daß diese Investitionen notwendig sind, damit morgen und übermorgen die Arbeitsplätze für alle abhängig Beschäftigten auch den ausreichenden und gewünschten Ertrag abwerfen können.Ich möchte mich nun den mittelfristig wirkenden Maßnahmen zuwenden. Ich will sie einmal als ergänzende Maßnahmen bezeichnen. Hier ist eine komplementäre Aufgabe gestellt, die dem gleichen Ziel dient, nämlich einer behutsamen Wiederherstellung des Gleichgewichts, sowohl bei den Gütern und Leistungen als auch am Arbeitsmarkt, damit verbunden einer Wiederherstellung der Preisstabilität und zugleich — das möchte ich unterstreichen — einem Basisaufbau für neues Wachstum. Die FDP wünscht entsprechend den Passagen im Teil C des Jahreswirtschaftsberichts den Ausbau des Wettbewerbs überall dort, wo er bisher unterblieben ist — solche Gebiete gibt es noch — oder wo er behindert wird.Dazu ein paar konkrete Beispiele. Wir wünschen Wettbewerb im Walzstahlbereich; denn wir haben im vergangenen Jahr erlebt, wie sich die Begrenzung und Behinderung durch die Wahlstahlkontore ausgewirkt haben, insbesondere in dem soeben erwähnten Baustahlbereich.
Wir wünschen Ausbau des Wettbewerbs im Energiebereich und wollen hier ganz offen aussprechen, daß wir darunter auch etwas verstehen, was bisher so eine Art Tabu umgeben hat. Wir wollen über die Heizölsteuer sprechen, wenn der Termin des Endes ihrer Laufzeit heransteht.
Wir wünschen Ausbau der Wettbewerbs-Kohle im Verkehr.
— Sie werden es kaum glauben, Herr Dr. MüllerHermann, aber das tue ich sogar und, wie Sie vielleicht nicht vermuten werden, mit Erfolg.
Im Verkehr wünschen wir Wettbewerb durch Verzicht auf einseitige Bevorzugung eines Verkehrsträgers. Wir sind jedenfalls glücklich darüber, daß unsdie technische Entwicklung heute von der MonopolStellung einer einzigen technischen Lösung befreit hat.Ferner wünschen wir — das sollte nicht zuletzt unterstrichen werden - - Ausbau des Wettbewerbs auf dem Arbeitsmarkt. Dort wünschen wir einerseits mehr Mobilität, damit Abbau von Abhängigkeiten der Arbeitsuchenden und der Arbeitnehmer, andererseits aber auch mit dem gleichen Gewicht die Verhinderung von Verknappungsversuchen.Schließlich sind wir der Auffassung, daß uns eine massive Förderung und Verstärkung des Angebots weiterhelfen kann. Hier liegen — ich bedaure, das feststellen zu müssen — seit Jahren Versäumnisse vor. Der Jahreswirtschaftsbericht trägt ihnen erst zum Teil Rechnung.Angesichts unserer Arbeitsmarktsituation wollen wir Produktivität und Rationalisierung fördern. Da erscheint es mir als Anachronismus, daß der RKW-Haushalt seit Jahren bei 10 Millionen DM verharrt, aus denen die Basis- und Projektkosten gedeckt werden sollen. Der Basiskostenanteil ist natürlich wegen der steigenden Aufwendungen für die Bediensteten und für die Sachmittel ständig gestiegen, und der verbleibende Rest für Projektkosten ständig gesunken. Der Anteil im Verhältnis zu unserem Bruttosozialprodukt ist geradezu lächerlich klein geworden. Damit kein Mißverständnis entsteht: die Freien Demokraten plädieren nicht für eine Ausweitung des Haushalts auf diesem Gebiet, sondern für eine Umschichtung innerhalb des Ressorts Wirtschaft. Die dringend notwendige Steigerung ist jederzeit aus I diesem Gesamthaushalt möglich.Wir wünschen — das wird auch im Jahreswirtschaftsbericht als eine Zukunftsnotwendigkeit herausgestellt - die Förderung der angewandten Forschung. Wir müssen endlich von dem Tabu weg, das der öffentlichen Hand nur die nichtangewandte, d. h. die Grundlagenforschung als Aufgabe zuweist. Es ist einfach unerträglich, wenn in Deutschland Grundlagenerkenntnisse durch Forschungsmaßnahmen erarbeitet werden, ihre Nutzanwendung aber erst über dem Großen Teich in den USA ermöglicht wird.
Schließlich ist — auch das wurde zum Ausdruck gebracht , um die Erkenntnisse in die tägliche Praxis der Wirtschaft umzusetzen, die Verbesserung der Information, die Zugriffsbereitschaft zu Informationen in bezug auf den technischen Stand als Angebot auszubauen. Eine der wichtigsten Aufgaben aber scheint uns derzeit die Bestandsaufnahme über die Situation in den sektoralen Bereichen der Wirtschaft wie in den regionalen. Unsere Wirtschaft ist keine Massenwirtschaft, keine etwa aus dem Begriff der Massengesellschaft abzuleitende konformistische Größe. Sie differenziert sich ständig mehr, weil frei verfügbares Einkommen die Möglichkeit zur Differenzierung der Nachfrage bietet. Deshalb müssen die Verantwortlichen mehr als bisher die Situation und die Fakten transparent machen. Hier reichen einfach globale Feststellungen für die Entscheidung der Unternehmen, aber auch für die freie
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1266 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
KienbaumEntscheidung ihrer Mitarbeiter genausowenig aus wie für sektorale Verbände und regionale Kammern. Sie reichen nicht einmal für die Wirtschaftspolitik. Ich erwähne als Beispiele die aufgeführten Wirtschaftsbereiche der Werftindustrie, der Luft- und Raumfahrt und der Datenverarbeitung. Ich ergänze sie nur um ein einziges Beispiel: Papier und Zellstoff, — ein Bereich, in dem die bundesdeutsche Situation eine völlig vom mittleren Trend abweichende Summe von Größe und Fakten widerspiegelt.Schließlich, so glaube ich, wird eine Strukturpolitik dazu beitragen müssen, die Ziele zu erreichen, die die Wanderung bisher immobiler Potentiale, Arbeitskräfte sowohl wie Kapitalien, einleitet und die insbesondere die „stillen Räume" — ein schöner neudeutscher Begriff — bei ihrer Entwicklung unterstützt. Dazu rechnen wir alle Mittelgebirgslagen innerhalb der Bundesrepublik, das Zonenrandgebiet und die übrigen Grenzgebiete. Sicher wird sich das eine oder andere noch dazu ergänzen lassen.Wichtig erscheint uns dabei insbesondere die Mobilisierung mittelständischer Reserven. Ich sprach darüber bereits bei der Debatte über die Regierungserklärung. Ich will nun folgendes hinzufügen. Wir betonen diesen Bereich, über den mein Kollege Mertes sicher noch mehr in der Debatte ausführen wird, weil die FDP nicht an den Fetisch der Mammutgebilde glaubt, sondern diesen mittelgroßen Strukturen eine besondere Impulskraft zurechnet.
Ich muß mich auf diesen Sektor der komplementären Maßnahmen und der Erwartungen, die daraus abzuleiten sind, beschränken. Ich darf zusammenfassend feststellen — zum Wirtschaftsbericht und zu unserer Auswertung -: wir begrüßen den Verzicht auf Zielprojektionen mit Stellen hinter dem Komma, die im Grunde nur vorgespielte Genauigkeit abgeben können.
Nun mögen wir uns unterscheiden. Gegen eine Verbesserung des Analyse- und Informationsinstrumentariums, und zwar für alle Beteiligten, nicht nur für die Administration — für alle Beteiligten heißt: für das Parlament, für den Wirtschaftsausschuß, aber auch für die Wirtschaft, Verbraucher und Anbieter —, haben wir nichts einzuwenden.
Nach der Hektik der Änderungen im Jahre 1969 — das gestatten Sie sicher festzustellen — braucht die Wirtschaft eines am dringendsten: Ruhe.
Verbraucher und Anbieter — ich wiederhole: Verbraucher; von denen wird nämlich so ganz selten gesprochen —
müssen sich im Markt messen und beurteilenkönnen. Die Möglichkeit ist durch die vielfachenÄnderungen, die sich laufend überlagern, füreinen wesentlichen Teil der deutschen Bürger verlorengegangen.
Diese letzte Feststellung, scheint mir, sollten insbesondere die Tarifpartner berücksichtigen, und zwar— damit hier kein Mißverständnis entsteht — beide Tarifpartner.Ein warnendes Beispiel scheint mir eine Meldung zu sein, die gestern in der Presse erschien. In Berlin verzichtet eine Gruppe von Bauauftraggebern auf die Auftragserteilung für Bauaufträge in Höhe von 1 Milliarde DM, weil durch das Verlorengehen der Beurteilungsmöglichkeiten Preissteigerungen von ganz unerträglichem Ausmaß sichtbar geworden sind.Mit diesem warnenden Beispiel möchte ich übergehen zu der Feststellung — das ist für Sie sicher nichts Neues —, daß die FDP die Stabilität gegenwärtig mit dem eindeutigen Vorrang auszeichnet.
Daher sind für uns Prognosen und Zielprojektionen nicht ganz so wichtig wie die Fakten widerspiegelnde Information. Ein Beispiel dafür ist die Richtigstellung der Erwartungen aus der Aufwertung. Der Nachfragebeitrag des Exports hat im Jahre 1969 30 % und nicht 100 % ausgemacht. Daher war nicht mehr und nicht weniger aus der Aufwertung zu erwarten, als bisher eingetreten ist. Es gibt zusätzliche Nachfrageübersteigerungen von 70 %, die im Binnenmarkt wirken und aus dem Binnenmarkt ausgelöst sind. Mit ihnen müssen wir uns auseinandersetzen.
— Ich freue mich ganz besonders, daß die Opposition, die mir hier so nahe ist, auch körperlich nahe ist, so ausgesprochen positiv gestimmt ist. Ich kann das nicht auf mich beziehen.
Ich darf deshalb abschließen.
— Ich freue mich immer über Zustimmung, obwohl ich gelegentlich auch Zielkonflikte gerne austrage. — Die FDP unterstreicht die Textziffern 61 und 66 des Jahreswirtschaftsberichts. Wir wünschen mit Nachdruck ihre Verwirklichung. Damit sie bei der Erörterung von so vielen Einzelheiten nicht in Vergessenheit geraten, möchte ich sie mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren:In der Bundesrepublik hat sich die Marktwirtschaft als grundlegendes wirtschaftliches Ordnungssystem bewährt.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1267
KienbaumUnd um das Handeln einzubeziehen:Die Bundesregierung wird deshalb ... im Jahre 1970 die ... Maßnahmen zur Stärkung der marktwirtschaftlichen Ordnung fortsetzen.— Eigentlich hätte ich erwartet, daß Sie auch da Beifall klatschen.
— Das ist ein gesunder Standpunkt, aber wir können uns später darüber unterhalten. — Die FDP wird daher die Entwicklung der Konjunktur insbesondere in diesem Frühjahr 1970 und im Frühsommer aufmerksam, aber auch unter Verzicht auf hektische Reaktionen beobachten. Sie wird die erforderlichen Maßnahmen — welche wir für erforderlich halten, habe ich soeben mit einigen Strichen skizziert — mit Nachdruck fördern. Sie stellt heute fest, das zur Zeit Notwendige ist eingeleitet.
Meine Damen und Herren, ich darf zunächst dem Redner danken; er hat die angemeldete Zeit um 14 Minuten unterschritten, — ein gutes Symptom, daß wir versuchen, die Debattenbeiträge hier kurz und zusammengefaßt zu leisten.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Kollege Dr. Stoltenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zur Geschäftsordnung und zur Geschäftslage der Erwartung meiner Fraktion Ausdruck geben, daß auch der Bundesminister für Wirtschaft an dieser Debatte teilnimmt, nachdem wir ihn hier angehört haben.
Das Wort hat der Herr Kollege Junghans.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal feststellen, daß auf der Tagesordnung auch die Beratung des Sachverständigengutachtens steht und nehme hierbei die Gelegenheit, im Namen meiner Fraktion dem Sachverständigenrat für seine umfassende und gründliche Analyse zu danken.
Ich werde in meinem Beitrag nur einige Punkte berühren; ein Kollege von mir wird weiter darauf eingehen.Nun zum Jahreswirtschaftsbericht. Auch hier ist einmal anzumerken: daß Sie die Gelegenheit haben, Herr Müller-Hermann, hierüber zu debattieren, verdanken Sie dem § 2 des Stabilitätsgesetzes, der die Bundesregierung verpflichtet, jeweils am Anfang eines Jahres ihre Absichten und ihre Ziele in der Wirtschafts- und Finanzpolitik darzulegen. Wir halten das für einen großen Fortschritt in Richtung auf eine moderne Wirtschaftspolitik.
Im Jahreswirtschaftsbericht 1970 — das möchten wir unterstreichen — und in der Rede des Bundeswirtschaftsministers stellt die Bundesregierung mit großer Offenheit die Probleme dar, mit denen wir es heute zu tun haben. Hier wird nichts beschönigt und verschleiert, Herr Müller-Hermann, hier wird ganz offen gesprochen.Leider hat aber Herr Müller-Hermann nur die bekannten Vorwürfe wiederholt. Er redet von Skepsis, er redet von Verantwortung, er stellt Fragen, er hat Sorgen — wer hat sie nicht! —; aber, Herr Müller-Hermann, eines haben wir hier vermißt: wo bleibt denn hier der konstruktive Beitrag der Opposition? Konkrete Vorschläge auf dem Tisch und nicht sich hier drücken wollen!
Herr Müller-Hermann, Sie sprechen von „wir". Die entscheidende Frage bei der Beurteilung der konjunkturpolitischen Lage ist: wie halten wir es mit der zweiten Hälfte 1970? Da sagen Sie: Wir erwarten nicht, daß ein Konjunkturabschwung eintreten wird. Sie sprechen dann auch zu dem Thema Zuverlässigkeit der Prognosen, psychologische Wirkung, Krisenastrologie, Vertrauen in Regierungen und was alles damit gesagt wird. Ich möchte hier einmal etwas aus dem vergangenen Jahr verlesen. Dort heißt es zu dem „wir" — „wir, CDU/CSU" — :Die jüngsten Konjunkturdaten enthalten erste Anzeichen für eine Abflachung des Konjunkturaufschwungs. Die Nachfrage nach Investitionsgütern scheint abzuklingen. Die binnenwirtschaftlichen Dämpfungsmaßnahmen werden zusammen mit den kreditpolitischen Schritten der Bundesbank auf längere Sicht zu einer Stabilisierung des Wirtschaftswachstums beitragen. Eine Aufwertung könnte dagegen nur zu leicht zu einer unerwünscht starken Konjunkturabschwächung führen.Soweit Herr Strauß am 20. September 1969. — Ich frage Sie nur nach Ihrem „wir".Meine Damen und Herren, wir wollen uns keineswegs vor den Fragen drücken, die die Opposition hier angemeldet hat. Wir lassen uns aber hier nicht das Konzept aufzwingen. Auch die anderen Probleme des Jahreswirtschaftsberichts werden hier noch zu debattieren sein. Wir sind nicht nur zusammengekommen, um über die Preisstabilität zu reden. Wir sind auch zusammengekommen, um einige Dinge zurechtzurücken und die Gewichte richtig zu verteilen.Sie tun hier so, als ob wir in eine große Krise hineinschlittern.
Da möchten wir zunächst einmal feststellen —warum haben Sie es nicht selber gesagt? —, daßdie Wirtschaft seit der „gewollten Rezession"
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1268 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Junghans -1965/66 einen Aufschwung ohnegleichen vollzogen hat.
So ist der Zuwachs des realen Bruttosozialprodukts— im übrigen empfehle ich Ihnen, Herr Müller-Hermann, das nicht zu verwechseln; ich hatte Mühe, mit den Zahlen nachzukommen; Sie haben das manchmal ein bißchen durcheinandergebracht — in den Jahren 1968/69 in der Bundesrepublik mit jeweils 8 % höher gewesen als in jedem anderen westeuropäischen Land. Das hat doch. wohl jeder gemerkt, daß es ihm heute erheblich besser geht als vor zwei Jahren.Der Sachverständigenrat stellt in seinem Gutachten fest, daß in dem gegenwärtigen Konjunkturzyklus der Geldwertschwund seit 1966 erheblich niedriger ist als in 'den vorangegangenen Konjunkturzyklen, und dies — merken Sie auf! — trotz Einführung der Mehrwertsteuer, der man preissteigernde Tendenzen voraussagte, trotz besonderer Steigerungsraten bei den Mieten nach deren Freigabe und trotz erheblich höherem Geldwertschwund in unseren Partnerländern.
1966 hatten Sie eine Preissteigerungsrate von 3,7%.Sie lagen damit — außer den Niederlanden — an derSpitze. Heute haben wir bei uns eine Preissteigerungsrate von 3 %.
— Entschuldigen Sie! Sie rechnen immer, was Ihnen gerade paßt, 5, 6, 7, 8. Heute haben wir eine von 3 %, und alle anderen westlichen Industrieländer liegen zwischen 5 und 6'0/0. Das ist ein kleiner Unterschied.
— Das habe ich ja gar nicht gesagt. Aber es ist doch festzustellen, daß wir in diesem Konjunkturzyklus eine höhere Preisstabilität gehabt haben als in den anderen.In den Jahren 1967 bis 1969 hat sich der Preisindex der Lebenshaltung in der Bundesrepublik um 6 % erhöht. Im gleichen Zeitraum hatten andere Länder, Japan, die USA, Holland, Frankreich, Großbritannien — ich will die einzelnen Prozentsätze hier nicht nennen —, Raten von 12 bis 15 %. Das ist mehr als das Doppelte. Wir werden uns damit nicht zufrieden geben.
— Entschuldigen Sie! Sie hätten die Preissteigerungsrate noch viel niedriger haben können, wenn Sie nicht im Wahljahr 1969 als große Verhinderer und Ausklammerer den Erfolg eines sozialdemokratischen Wirtschaftsministers hätten verhindern wollen. Das ist doch der Punkt gewesen.
Das gleiche Bild haben wir auf dem Arbeitsmarkt. Die Bundesrepublik hat wieder einen Grad an Vollbeschäftigung erreicht, um den uns. die ganze Welt beneidet, und das, obwohl sich in den letzten Jahren die Zahl der Gastarbeiter um fast eine halbe Million erhöht hat. Meine Damen und Herren, Sie von der CDU/CSU haben 1966 dem deutschen Arbeitnehmer wieder das Zittern um den Arbeitsplaz beigebracht.
Auch in der Strukturpolitik — ein Kollege von mir wird noch näher darauf eingehen — ist nach jahrelanger Stagnation ein klarer Erfolg zu verzeichnen. Das Vohlstandsgefälle in den strukturell benachteiligten Regionen wurde vermindert; die Menschen in diesen Gebieten haben wieder Vertrauen in die Zukunft.
Viele vergessen zu schnell - Herr Müller-Hermann, Sie manchmal auch; Sie alle haben ein viel zu kurzes Gedächtnis — und manche möchten vergessen machen, wie pessimistisch die wirtschaftliche Situation z. B. im Zonenrandgebiet — ich komme aus einer solchen Gegend — mit seinen Arbeitslosenquoten, die in der Rezession um das Doppelte, Dreifache und noch mehr über den vergleichbaren Zahlen im übrigen Bundesgebiet lagen, eingeschätzt wurde.Außerdem erinnere ich hier heute — das ist der rechte Ort — an die schwelende Ruhrkrise, die sich fast zu einer Staatskrise ausgeweitet hätte. Auch sie ist behoben; die wirtschaftliche Zukunft des Ruhrgebiets ist wieder gesichert.
Die Bundesregierung hat das außenwirtschaftliche Gleichgewicht durch die Aufwertung der D-Mark am 24. Oktober 1969 wiederhergestellt. Damit wurde endlich die Verpflichtung aus § 1 des Stabilitätsgesetzes erfüllt. Die Bundesrepublik hat damit — der Bundeswirtschaftsminister hat das hier ausgeführt — auch einen wesentlichen Beitrag zur Entzerrung des internationalen Wettbewerbs geleistet.Wer hier nun noch angesichts dieser Tatsachen, um die uns viele Länder beneiden, künstlich in Krisenstimmung machen will und es darauf anlegt, Herr Müller-Hermann, den deutschen Arbeitnehmer, aber auch den deutschen Unternehmer, zu verunsichern,— Sie können sich für ein solches Verhalten das Prädikat selber aussuchen.
— Ich habe eben Herrn Strauß zitiert; ich weiß genau, was Sie meinen.Wir erleben gegenwärtig eine Preisbewegung, die nach unserer Auffassung in ihrem Ausmaß auch über das hinausgeht, was noch erträglich ist, die für uns aber insofern nicht überraschend kommt, als wir sie im letzten Sommer vorausgesagt haben.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1269
Junghans— Als Sie noch die Richtlinien der Politik bestimmten, fielen unsere Appelle und Vorschläge, rechtzeitige Maßnahmen gegen eine Überhitzung zu ergreifen, doch auf taube Ohren!
Ich erinnere daran, daß wir seit dem Frühjahr 1969 unablässig die Aufwertung der D-Mark forderten, um einen Damm gegen den Druck von außen zu errichten. Nicht nur das: später, als sich der Boom verstärkte und auf den Binnenmarkt übergriff, schlug der Bundeswirtschaftsminister mehrfach binnenwirtschaftliche Stabilitätsprogramme vor — ebenfalls vergeblich! Das war im März, Mai, Juni, Juli 1969.
Hierzu zitiere ich auch noch einmal Herrn Strauß, der in der „Neuen Westfälischen" vom 23. September 1969 gesagt hat:Er— damit meint er Herrn Schiller —empfiehlt, auch noch weiter stark zu bremsen, ohne zu merken, daß sich das Konjunkturklima wieder spürbar abzukühlen beginnt. Der Wirtschaftsminister schreibt in seinen Prognosen einfach die statistischen Ergebnisse, die ihm aus der jüngsten Vergangenheit vorliegen, fort, ohne ein Gespür für den Wandel des Konjunkturklimas zu haben. Es ist deshalb auch kein Wunder, daß er mit seinen Vorschlägen stets hinter der Konjunktur herläuft, ohne zu bedenken, daß es eine gewisse Zeit dauert, bis die Maßnahmen wirksam werden, und dann die Konjunkturlage schon wieder ganz anders sein könnte. Würden seine Vorschläge— jetzt kommt ein bedeutsamer Satz, meine Herren! —aus jüngster Zeit jetzt angewendet, dann würde die Konjunktur in wenigen Monaten abgewürgt.So Herr Strauß am 23. September 1969.
Herr Müller-Hermann hat heute morgen behauptet, daß der Bundeswirtschaftsminister noch Mitte 1969 die Konjunktur angeheizt habe, und Herr Strauß gefällt sich gern in der Rolle dessen, der schon mit dem Haushalt 1968 gebremst habe. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat ja heute morgen auch vor diesem Hohen Hause deutlich gemacht,
welche Konjunkturpolitik Herr Strauß damals tatsächlich betrieben hat; er hat deutlich die Verantwortlichkeit für die Manipulationen an der Mehrwerststeuer festgestellt, die in den beiden Jahren rund 4 Milliarden DM gekostet haben. Sehen so die antizyklischen Vorstellungen Ihrer Fraktion aus?Ich möchte auch noch Herr Pohle zitieren — ich sehe ihn hier nicht —, der noch am 14. Mai 1969 in der Aktuellen Stunde sagte:Ich bin der Ansicht, daß in der Tat jede Manipulation mit ,der Währung eine schlechte Sache für alle ist. Ich lasse mich vom Gegenteil nur dann überzeugen, wenn wirklich gesagt wird, daß eine Nichtaufwertung einen weiteren Preisauftrieb zur Folge hat. Das ist aber unter keinen Umständen der Fall. Insofern unterscheide ich mich völlig vom Bundeswirtschaftsminister.Nach der Wahl vom 28. September hörten wir dann andere Töne von Ihnen. Da warnten plötzlich Herr Müller-Hermann und Herr Pohle vor einer Verharmlosung der derzeitigen Preissituation. Ich glaube, ihnen sind diese Erkenntnisse erst auf der Oppositionsbank gekommen.Sie werfen der Bundesregierung Entschlußlosigkeit vor. Was verlangen Sie eigentlich? Zwei Tage nach ihrem Amtsantritt hat die neue Bundesregierung die Aufwertung der D-Mark vollzogen und damit die längst überfällige Absicherung unseres Preisniveaus gegenüber dem inflatorischen Druck von außen getroffen!
— Wir kommen noch darauf! — Es gibt noch andere, die das auch noch bezeugen.Sie sind doch die einzigen im Lande, die einfach nicht zugeben wollen, daß Sie mit ,der Nichtaufwertung, mit der Verhinderung der Aufwertung einen entscheidenden wirtschaftspolitischen Fehler gemacht haben. Es gibt doch überhaupt keinen, der Ihnen das noch abkauft.
— Das wollen wir nachher noch einmal sehen.Die Bundesregierung hat mit diesem Jahreswirtschaftsbericht ein Stabilitätsprogramm vorgelegt, das im Schwerpunkt finanzpolitische Maßnahmen vorsieht. Infolge der vorläufigen Sperrung von 2,7 Milliarden DM wird sich das Haushaltsvolumen 1970 nur um rund 8,8 % vergrößern. Im Rahmen des Haushaltsvolumens wird das Schwergewicht der Bundesausgaben in die zweite Hälfte des Jahres verlegt. Drittens werden Bund und Länder eine Konjunkturausgleichsrücklage von insgesamt 2,5 Milliarden DM bilden. — Ich beschränke mich zunächst auf die Aufzählung dieser Maßnahmen.Ich möchte hier für meine Fraktion nachdrücklich feststellen, daß wir diesen Katalog von Maßnahmen in der gegenwärtigen konjunkturellen Situation für angemessen und zweckentsprechend halten, zumal erst jetzt, Anfang Februar, die Kreditbremsen der Bundesbank sich auszuwirken beginnen. Jetzt erst bekommen nämlich die Unternehmer die sogenannten „blauen Briefe", daß die Geschäftsbanken die Diskonterhöhung voll weitergegeben haben.Ich sage aber bewußt: „in der gegenwärtigen konjunkturellen Situation". Hier unterscheiden wir uns sehr von Ihnen, meine Herren. Für uns gibt es in
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1270 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Junghansder Wirtschaftspolitik keine Tabus. Wirtschaftspolitik ist auch keine Anwendung von Glaubenssätzen.Herr Müller-Hermann, auch hier noch eine Einschaltung. Die SPD-Fraktion und die Sozialdemokratische Partei können Sire mit Zitaten nicht auseinanderdividieren.
Ich könnte Ihnen auch noch tausend Geschichten zitieren, was da alles steht. Für uns ist immer noch das gültig, was im Godesberger Programm steht. Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
Bei Ihnen mußte man den Verdacht haben, daß Sie vor der Wahl sagten: „Keine Manipulationen an der Währung!" Für uns hängt die Beurteilung der wirtschaftspolitischen Maßnahmen allein davon ab, in welcher wirtschaftlichen Situation sie getroffen werden. Da stehen wir jetzt vor der Tatsache, daß wir uns in einer Spätphase der Konjunktur befinden. Es wird Ihnen auch nicht entgangen sein, daß der Sachverständigenrat der Auffassung ist — übrigens diesmal bemerkenswert einhellig auch die wirtschaftswissenschaftlichen Institute der Auffassung sind —, daß sich gegen Ende dieses Jahres eine gewisse Abschwächungstendenz zeigen wird. Wenn die allgemeine Einschätzung der Lage aber so ist, dann hat eine Bundesregierung, die verantwortlich handelt, nur die Möglichkeit, sanft auf die Bremse zu treten, Herr Kollege, in diesem Falle durch eine antizyklische Haushaltsgestaltung dämpfend auf die Nachfrageentwicklung einzuwirken. Das hat keiner so gut gesagt wie Herr Grünewald von der Stuttgarter Zeitung:Die Spätphase der Hochkonjunktur mit ihrer Unsicherheit auf mittlere Sicht läßt nicht mehr viele Dämpfungsmechanismen übrig, will man nicht Gefahr laufen, die Konjunktur zu zerschlagen, statt sie zu glätten.— Ich nehme nicht an, daß Sie das wollen. —In der Tat mußte sich die Regierung in dieser Situation darauf beschränken, rasch wirkende und kurzfristig wieder abzusetzende Medizin zu verordnen. Dafür bietet sich nur noch der Vollzug der öffentlichen Haushalte und ihre unmittelbare Nachfragewirkung an.Das genau wurde getan. Unser Ziel kann nämlich nur sein die Stabilisierung auf hohem Niveau, nicht aber die Einleitung eines Abschwungs. Wir haben noch nie eine Rezession gewollt.Ich möchte mich hier nicht im einzelnen zum Haushalt äußern, denn die Bundesregierung wird dem Hause morgen den Haushalt vorlegen; aber ich glaube, die CDU wird nicht abstreiten können, daß dieser Haushalt in seiner Durchführung auf den Wirtschaftskreislauf antizyklisch wirken wird.
Jedenfalls ist festzustellen, daß sich sogar eine so kritische Organisation wie die Sparerschutzgemeinschaft zu dem von dieser Bundesregierung vorgesehenen Haushaltsvollzug positiv äußert. Sie schreibt:Betrachtet man das Stabilisierungsprogramm der Bundesregierung, so gibt es keinen Zweifel daran, daß es auf das im Jahresbericht formulierte Ziel gerichtet ist. Der wirksame Kern dieses Programms — die finanzpolitischen Maßnahmen — läßt zumindest für das erste Halbjahr 1970 einen stark restriktiven Haushaltseffekt erwarten. Das Maß dieser Restriktionen dürfte, zusammen mit der Politik der Bundesbank, der jetzigen Situation angemessen sein und eine stabilisierende Wirkung nicht verfehlen.Ich möchte auch aus dem Bundesbankbericht zitieren, Herr Müller-Herrmann. Es heißt dort:Die hier durch die Bundesregierng und die zuständigen Koordinierungsorgane (Konjunkturrat und Finanzplanungsrat) gefaßten Beschlüsse und Empfehlungen, gewisse Ausgaben in den Haushalten für 1970 vorerst zu sperren und Konjunkturausgleichsrücklagen bei der Bundesbank zu bilden, verhindern nicht nur eine prozyklische Haushaltsgestaltung, sondern dürften dazu beitragen, die Finanzierungsüberschüsse der öffentlichen Haushalte zu erhöhen, also— so die Bundesbank — antizyklisch zu wirken.Außerdem macht es nicht nur in diesem Hause, sondern auch draußen einen schlechten Eindruck, wenn der eine von Ihnen sagt, die Aufwertung hätte überhaupt keine Wirkung gehabt, und die anderen wiederum behaupten, die Aufwertung hätte die Arbeitsplätze der Arbeitnehmer gefährdet. Sie schreiben doch im „Deutschland-UnionDienst" vom 30. Dezember:Die Bundesregierung hat sich also geirrt, wenn sie der Bevölkerung versprach, mit der Aufwertung zur Stabilisierung des Preisniveaus beizutragen.Herr Müller-Hermann hat aber im Oktober in diesem Hohen Hause erklärt:Wir haben Anlaß, uns sehr mit der Frage zu beschäftigen, -wie wir — um ein Wort meines Fraktionschefs zu gebrauchen — mit dem Klotz am Bein einer überzogenen Aufwertungsquote leben können, ohne jetzt und auf die Dauer Schaden zu nehmen.Hier wird also zur gleichen Zeit mit dem Knüppel der Arbeitslosigkeit und dem Knüppel der Inflation gedroht, — ein bewußter Versuch, die Bevölkerung und die Wirtschaft zu verunsichern. Erstens hat in der Industrie aus diesen Gründen der Aufwertung kein einziger seinen Arbeitsplatz verloren,
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Junghanszweitens können Sie nicht leugnen — darauf komme ich jetzt —, daß sich eine erheblich dämpfende Wirkung auf das Preisniveau ergeben hat. Ich zitiere jetzt aus der „Stuttgarter Zeitung" vom 14. November 1969. Das ist ein entscheidendes Zitat; das sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben.
Dort heißt es:Eine relativ schnelle Wirkung erhofft Emminger— Emminger kennen Sie ja auch, —bei den Konsumentenpreisen, deren Entwicklung durch die Importe gebremst werde; unter diesem Aspekt sei eine Vorausschätzung von 2 bis 3 v. H. Preissteigerung im kommenden Jahr nicht ganz unrealistisch; ohne Aufwertung wären es 5 bis 6 v. H. geworden.
Meine Damen und Herren von der Opposition, mit etwas Phantasie — ich glaube, Sie haben noch welche — können Sie sich vorstellen, wie die Situation heute wäre, wenn Sie nach dem 28. September in die Regierungsverantwortung gekommen wären und sich ein Herr X
— so genau wollte ich es nicht sagen; ich überlasse den Namen zur Auswahl — hier vor diesem Parment für 6 % Preissteigerung hätte verantworten müssen. Ich kann Ihnen nur sagen: Seien Sie dem deutschen Wähler dafür dankbar
— seien Sie ihm dankbar! —, daß er Sie durch die Wahlentscheidung vor dieser peinlichen Situation bewahrt hat.
Ich habe mich vergeblich bemüht, herauszubekommen, was denn nun die CDU/CSU in der Konjunkturpolitik konkret vorschlagen wird. Wir hören immer nur die widersprüchlichsten Vorschläge. Während auf der einen Seite — wie heute von Herrn Müller-Hermann — wiederholt die Vorlage eines antizyklischen Haushalts von der Bundesregierung gefordert wird, wird dieselbe Fraktion — Sie zitierten auch noch Herrn Barzel — auf der anderen Seite nicht müde, sich gegenüber der Bevölkerung ins rechte Licht zu setzen, indem sie uns mit Anträgen, zum Teil noch mit Schubladenanträgen, geradezu bombardiert, die in ihren Ausgabewirkungen weit über das hinausgehen, was die Bundesregierung vorgeschlagen hat.Sehr wahr! bei der SPD. - Abg. Dr. Müller Hermann: Sie sollten abwarten, wie dieKleine Anfrage beantwortet wird!)So erfährt die staunende Umwelt, daß die CDU/CSU-Fraktion, die auf Dämpfung der Konjunkturbedacht ist, allein bis zum Dezember vorigen Jahresausgabewirksame Anträge eingebracht hat, die den Bundeshaushalt 1970 zuzätzlich mit 1,9 Milliarden DM belasten würden.
Dazu gehören Ihre Entwürfe. Sie reden von Personalkosten und stellen hier dumme Anträge auf 12 % Erhöhung. Hören Sie doch damit auf! Ich erinnere z. B. an Ihre Anträge zum Bundesversorgungsgesetz und zur Beamtenbesoldung.Herr Strauß hat vor kurzem gefordert, man solle zusätzliche Milliarden im Bundeshaushalt stillegen. Wir möchten doch sehr bitten, daß solche Vorschläge konkretisiert werden und daß man uns sagt, an welchen Positionen die CDU/CSU Einsparungen vornehmen will. Wollen Sie die Personalausgaben kürzen? Das wollen Sie offenbar nicht, Sie wollen sie erhöhen.
Sie wissen doch, was 1 % Erhöhung der Beamtengehälter kostet. Oder wollen Sie vor allem Ausgaben im Bereich der öffentlichen Investitionen einsparen? Wollen Sie sparen am Bildungswesen, am Straßenbau oder an den Verteidigungslasten?
Hier müssen die Karten auf den Tisch des Hauses gelegt werden.
Ich möchte auch gern wissen, wann denn nun nach Ihren Vorstellung ein Haushalt antizyklisch ist. Ich habe das Gefühl, daß Ihre Vorstellungen hier etwas abenteuerlich sind.
Auch Sie müssen mir zugeben, daß ein Haushalt, bei dem ein Teil der Einnahmen durch die Konjunkturrücklage stillgelegt wird, ein weiterer Teil der Einnahmen gesperrt und schließlich ein dritter Teil im Rahmen des Haushaltsvollzugs zeitlich in die zweite Hälfte des Jahres 1970 verschoben wird, antizyklisch ist. Jeder Einnahmeüberschuß wirkt auf den Wirtschaftskreislauf kontraktiv und damit in der Hochkonjunktur antizyklisch. Der Bund geht hier mit gutem Beispiel voran. Auch die Länder haben sich im Konjunkturrat zur Bildung einer Konjunkturausgleichsrücklage und zu einer antizyklischen Haushaltsgestaltung bereit erklärt. Das begrüßen wir. Sie wissen, was jetzt kommt.
— Ja, Sie wissen es schon. — Genau! Genau! Es wird Ihnen nichts erspart. Laut „Spiegel" erklärte der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Herr Kohl: Ich denke nicht daran, für die Sozis Konjunkturpolitik zu betreiben!
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1272 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
JunghansNehen Sie hier einmal zur Kenntnis: Konjunkturpolitik wird nicht gegen oder für eine Partei, sondern zum Nutzen des ganzen deutschen Volkes gemacht.
Darauf hat der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz einen Eid geleistet — auch daran muß erinnert werden —: den Nutzen des Volkes zu mehren.
Herr Kollege Junghans, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Stoltenberg?
Halten Sie es wirklich für richtig, einen hier nicht anwesenden Ministerpräsidenten an seinen Eid zu erinnern,
obwohl viele Ihrer eigenen Minister bereits solche angeblichen Äußerungen im „Spiegel" in der Vergangenheit dementiert haben,
der, wie Sie genau wissen, keine zuverlässige Quelle ist?
Zum zweiten: Ist Ihnen nicht bekannt, daß diese Rechnung im „Spiegel" deshalb anfechtbar ist, weil dort die Tatsache weggelassen ist, daß durch die Neugestaltung des Länderfinanzausgleichs bei den gebenden Ländern — die sind in der Mehrheit — Ihre 2 % hinzugerechnet werden müssen, die in dieser Tabelle unterschlagen werden?
Ich will mich jetzt auf Tabellen nicht einlassen.
— Entschuldigen Sie, ich habe es bewußt vermieden, mich hier in einer ersten Runde in Prozentrechnungen zu üben, wie Sie das offenbar wollen, auch noch nach dem Komma, Herr Stoltenberg, vielleicht bis zur zweiten Stelle hinterm Komma.Aber eines will ich hier noch sagen: Herr Kohl hat die Möglichkeit, hier auf der Bundesratsbank Platz zu nehmen.
Ja, entschuldigen Sie mal, er hat doch die Möglichkeit, hier teilzunehmen. Sie beschimpfen doch Leute, die überhaupt nicht die Möglichkeit haben, in diesem Hause zu sein.
— Das glaube ich beinahe. Wenn er aber gewußt hätte, was ihm heute morgen entgangen ist, wäre er bestimmt gekommen, Herr Müller-Hermann.
Herr Müller-Hermann wirft dieser Bundesregierung vor, daß sie bereit sei, eine Preissteigerungsrate von 3 % für 1970 als unausweichlich hinzunehmen. Ich sage für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion: In dieser konjunkturpolitischen Situation ist Ziel Nummer eins die Eindämmung des Preisauftriebs. Daran kann kein Zweifel sein.
Aber die Situation ist nun einmal so, daß durch Ihre Stabilitätsverhinderungspolitik im vorigen Sommer und Herbst eine Preiswelle in Gang gesetzt worden ist, die heute in der Spätphase einer Hochkonjunktur bei den Verbraucherpreisen durchschlägt.
Aber es dient nicht der wirtschaftlichen Stabilität und der Ruhe in diesem Lande, wenn Sie überall eine Preishysterie entfachen wollen.
Es kommt jetzt darauf an, dafür zu sorgen, daß die gegenwärtigen Überhitzungserscheinungen durch sanftes Bremsen in ein Gleichgewicht übergeleitet werden. Dazu verpflichtet § 1 des Stabilitätsgesetzes. Erfolgreich kann eine Konjunkturpolitik nur dann sein, wenn sie vorbeugend wirkt. Das hat der Sachverständigenrat in seinem Gutachten gesagt. Dort heißt es in Ziffer 263:Denn wirkt man Fehlentwicklungen nicht vorbeugend entgegen, so besteht, wie gezeigt, die Gefahr, daß das Richtige zu spät geschieht und dadurch falsch wird. Im ersten Fall wird der nächste Rückschlag verstärkt, im zweiten Fall der nächste Boom angeheizt.Nehmen Sie zur Kenntnis: Wir werden uns auch von Ihnen nicht verleiten lassen, in dieser Situation das Falsche zu tun.Die heutige Preisbewegung hätte im vorigen Frühjahr verhindert werden müssen und können, zu dem Zeitpunkt, als unser Wirtschaftsminister dem damaligen Bundeskanzler Kiesinger seine Vorschläge zur Dämpfung der Konjunktur auf den Tisch gelegt hatte.
— Ich weiß, es ist Ihnen unangenehm,
daß Sie das immer wieder aufgetischt bekommen. Aber die Zusammenhänge sind nun einmal so und lassen sich nicht aus der Welt schaffen.Ich möchte in diesem Zusammenhang, damit Sie es noch einmal hören,
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1273
Junghansaus ,der Stellungnahme der Sparerschutzgemeinschaft zum Jahreswirtschaftsbericht zitieren:Die wirtschaftspolitischen Versäumnisse des vergangenen Jahres können in ihren Folgen für den Geldwert natürlich nicht mit einem Schlage behoben werden. Durch sie ist eine ungünstige Ausgangslage entstanden. Gegen Jahresende 1969 lag das Preisniveau um 1,3 % über dem Jahresdurchschnitt. Selbst wenn die Preise im Laufe von 1970 nicht mehr steigen würden, ergäbe sich im Jahresdurchschnitt 1970 gegenüber dem Vorjahr bereits ein erheblicher — statistisch bedingter — Anstieg.Aber die Probe darauf, wie tief denn der Wunsch nach stabilen Preisen bei Ihnen wirklich verwurzelt ist, können wir im übrigen bald machen. Sie wissen, daß diese Koalition bzw. diese Bundesregierung zwei Gesetzentwürfe in Vorbereitung hat, die auch von Bedeutung für die Entwicklung der Preise in einzelnen Sektoren sein werden. Ich denke da zunächst einmal — Sie werden überrascht sein; auch das haben Sie ja verhindert. — an das, Städtebauförderungsgesetz, das in der letzten Woche den Bundesrat passiert hat. Dieses Gesetz hat preispolitisch insofern eine Bedeutung — die man nicht zu gering einschätzen sollte —, als es die Bodenpreisspekulation so weit wie möglich beseitigen will. Durch die Eindämmung der Bodenspekulation hoffen wir, die Entwicklung der Bodenpreise wieder in vernünftige Bahnen zu lenken, Das muß sich dann auch positiv auf die Entwicklung der Mieten auswirken. Wir hoffen dabei besonders auf die Unterstützung der preisbewußten Kollegen der CDU/CSU.Dann steht 'demnächst die Novellierung des Kartellgesetzes an. Der Sachverständigenrat hat in seinem Gutachten schon darauf hingewiesen, daß einer der Faktoren, die im letzten Jahr dämpfend auf den Preisauftrieb gewirkt haben, die verstärkte wettbewerbspolitische Aktivität des Kartellamtes war. Wir hoffen auf Ihre Unterstützung, wenn wir dieses Gesetz ausbauen wollen.Sie werden in der nächsten Zeit bei anderen Debatten von uns auch daran gemessen werden, welche konstruktiven Beiträge Sie leisten können, welche konkreten Vorschläge hier dargelegt werden. Dieses Haus — das muß die Opposition lernen — ist für uns dazu da — —
— Selbstverständlich, Herr Schmidt , aber Sie wollen sich doch in diesem Hause nicht nur hinsetzen und nur meckern. Sie wollen doch Einfluß nehmen auf die Politik. Das ist doch auch Sache der Opposition.
Wenn die nächsten Redner von Ihnen hier konkrete Vorschläge machen würden, wäre ich Ihnensehr dankbar. Wir würden Sie uns auch einmal ansehen
und eingehend prüfen, ob sie zu verwirklichen sind. Wir erwarten Ihre konkreten Vorschläge in der nächsten Runde. —. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stoltenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Professor Schiller hat die erste programmatische Rede dieses Jahres im Januar 1970 in Bremen vor der „Eiswette" mit einer skeptischen Bemerkung von Erich Kästner beschlossen: „Leben ist immer lebensgefährlich." Wir fragen uns, gerade auch unter dem Eindruck der bisherigen Ausführungen des Kollegen Schiller und der Koalition, ob das nun ein Motto für die Wirtschaftspolitik dieses Jahres werden soll. Ein Motto für die neue Regierung, vielleicht zur Eingewöhnung der Bürger unseres Landes an unangenehme Wechselfälle nach all den schönen Dingen, die man ihnen vor der Wahl versprochen hat.
Nun, wie immer das gemeint ist — das wird vielleicht noch interpretiert werden —, es klingt in der Tat anders als die großzügigen Versprechungen Karl Schillers in einer technisch gekonnten Werbekampagne vor der Wahl, auch anders als die ersten Fanfarenstöße, die wir von ihm hier am 30. Oktober in der Debatte nach der Regierungsbildung gehört haben, Fanfarenstöße, denen gegenüber er heute in seinem Bericht doch schon sichtbar auf Moll umgeschaltet hat.
Jetzt sollte es doch „erst richtig losgehen", nicht nur mit der deutschen Demokratie, wie Willy Brandt in Anlehnung an Günther Grass sagte,
sondern auch mit einer wissenschaftlich exakt fundierten, genau geplanten Wirtschaftspolitik, Wachstum nach Maß, solider Stabilität, endlich befreit von den lästigen Hemmnissen und Behinderungen eines mächtigen und zugleich nach Auffassung Schülers auch uneinsichtigen Koalitionspartners.Meine Damen und Herren, statt dessen haben wir in den letzten ,drei Monaten das heute hier vertretene „Prinzip der Pause" erlebt, mit sehr viel verwirrenden Äußerungen, sehr widerspruchsvollen Meldungen — bis 'in die Morgenzeitungen dieses Tages hinein —; wir haben wachsende Besorgnis in der Öffentlichkeit erlebt. Auch Herr Kienbaum hat darauf hingewiesen, daß es mit den zurückgehenden Spareinlagen erste Anzeichen eines Vertrauensschwundes unter den Sparern 'und Bürgern gibt.
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1274 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Dr. StoltenbergDas ist natürlich mit begründet durch die sehr widerspruchsvollen und rasch wechselnden Ankündigungen in der Konjunktur-, Steuer- und Finanzpolitik, die diese Pause der nun fast vier Monate währenden wirtschaftspolitischen Inaktivität bestimmt haben. Es sind ja nun Vokabeln aus dem Regierungslager, zum Teil aus dem Munde des Bundeswirtschaftsministers, die ich hier zitieren möchte: „Droheader Liquiditätskollaps". Was bedeutet das, Herr Kollege Schiller? Wir möchten das gerne genauer hören. „Drohende Eskalation einer Preis- und Lohnspirale". „Hausgemachte Inflation". Ebenso die lapidare Feststellung aus Ihrem Hause um Weihnachten: „Stabilität kann sehr weh tun." Ich hoffe nicht, daß Ihnen diese Feststellung eines Tages in die böse Unterstellung einer gewollten Rezession umgemünzt wird,
wie das Herr Junghans heute wieder einmal mit anderen Zitaten, gewissen Äußerungen von Politikern aus unseren Reihen, getan hat.Im übrigen haben wir den Versuch erlebt, nach dem Motto zu verfahren: Angriff ist die beste Verteidigung. Vergangenheitsbewältigung im Sinne der Legendenbildung soll das fehlende Konzept für die Gegenwart und die Zukunft ersetzen.
Mich hat das ein bißchen an die Prosa eines bekannteren Professors Schiller erinnert, der vor 170 Jahren geschrieben hat — ich darf zwei Sätze aus dem Gedächtnis zitieren —:Der spanische Befehlshaber erkannte jetzt, in was für eine unglückliche Lage er durch seine Irrtümer geraten war. Er versuchte jedoch, durch kühnes Manövrieren und herausfordernde Gesten dem Gegner und seinen eigenen Truppen die wahre Natur der Gefahren zu verbergen.
Meine Damen und Herren! Für Karl Schiller kommt noch ein weiteres belastendes Problem hinzu, nämlich die Uneinigkeit im eigenen Lager, d. h. im Lager der Koalition, aber, wenn man genau sieht, trotz aller nachbarschaftlichen Nähe bis in die letzten Tage hinein auch manche sachlichen Meinungsverschiedenheiten in der eigenen Partei, mit seinem Nachbarn zur Linken. Er hat uns heute genau so wenig wie der Kollege Junghans als Sprecher der SPD gesagt, was die Regierung nun konkret nach dem Bericht der Bundesbank und ihren sehr intensiven internen Auseinandersetzungen und Differenzen in den anstehenden Fragen tun will.
Die heutigen Zeitungen berichten ja darüber, daß die tiefgreifenden Auseinandersetzungen noch in der gestrigen Kabinettsitzung ausgetragen wurden. Sie berichten übereinstimmend von Vorschlägen des Wirtschaftsministers etwa auf dem Gebiete der Steuerpolitik, die er hier nicht vortragen durfte. Er ist wieder einmal mit seinen steuerpolitischen Vorschlägen nicht durchgedrungen, ebensowenig wie im Dezember, als er für die Erhöhung der Investitionsteuer war und als Kollege Alex Möller in einem Interview statt dessen für die Einschränkung der degressiven Abschreibung eintrat. Sie sind sich nicht einig geworden. Offenbar hat er es mit dem neuen Kabinett nicht leichter als mit dem alten,
und offenbar hat es — das ist mein Eindruck, wenn ich mit dem einen oder anderen aus Ihren Reihen spreche — das neue Kabinett mit ihm auch nicht leichter als das alte.
Auch der Bundeskanzler wird darüber einiges sagen können.Wenn Herr Schiller hier heute ausdrücklich vor dem „nie", das man nicht sagen soll, gewarnt hat, so hat er zwar rückblickend Herrn Dr. Kiesinger gemeint, aber natürlich auch Herrn Genscher, auch die FDP. Herr Kienbaum hat hier ein ganz klares Nein, ein bedingungsloses Nein, ein „Nie" zu Ihren Vorschlägen und Gedanken der Steuererhöhung ausgesprochen, weil sie nach Auffassung der FDP die Investitionstätigkeit der Wirtschaft entscheidend treffen können. Aber, Herr Kollege Schiller, wenn Sie diese Meinungsverschiedenheiten in der Koalition und im Kabinett nicht überbrücken können, dann halte ich es doch für sehr bedenklich, daß Sie in der vom letzten Jahr nur zu bekannten Form persönlicher Anmerkungen über die Regierungsbeschlüsse hinaus oder in der Form unklarer Andeutungen zu § 26 des Stabilitätsgesetzes zu erkennen geben, daß Sie etwas wollen, was Sie im gegenwärtigen Augenblick zumindest nicht dürfen. Ich halte es für bedenklich — Sie haben ja den vorbereiteten Text in Ihrer Rede noch etwas verschärft in der Aussage —, daß Sie hier wieder die Möglichkeit von Steuererhöhungen andeuten, ohne präzise zu sagen, was jetzt die Regierung in dieser Situation, in der das Vertrauen schon sehr strapaziert ist, will oder nicht will.
Wer verzögert hier Entscheidungen? Wer vermag sich im Streit der Koalitionsparteien und der Minister nicht zu entscheiden?
Es genügt nicht mehr — Herr Kollege Junghans, Sie haben das ausführlicher getan, und auch Herr Schiller hat es getan —, das abgenutzte Alibi vom Mai auf Oktober 1969 der verspäteten Aufwertung zu benutzen, um diesen tiefgreifenden Dissens innerhalb der Bundesregierung und der Koalition zu übertünchen.
Wir werden die Schlachten des vergangenen Jahres um die Aufwertung nicht wieder aufnehmen. Sie ist ein Datum, das — Herr Kollege Müller-Hermann hat es gesagt — gesetzt ist und bei dem wir uns heute in einer Zwischenbilanz — eine end-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1275
Dr. Stoltenberggültige Bilanz mit dem Für und Wider ist sicher zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich — über die Auswirkungen zu unterhalten haben. Was wir aber nicht akzeptieren, ist der heute wieder eifrig unternommene Versuch der Legendenbildung, der Umschreibung der Geschichte der letzten zwei Jahre, und was wir diskutieren müssen, sind die Auswirkungen dieser Aufwertung im Positiven und Negativen als Grundlage für die Orientierung einer künftigen Politik.Zur Legendenbildung bleibt nicht mehr viel zu sagen. Karl Schiller war ein entschiedener Gegner der Aufwertung,
als die klassischen Befürworter dieser Maßnahme, allen voran die Bundesbank, sie im Herbst 1968 für zeitgerecht und optimal wirksam hielten.
Das hat der ehemalige Präsident der Bundesbank, Karl Blessing, noch vor wenigen Wochen im Haushaltsausschuß klar in der Sache zum Ausdruck gebracht.
Er ist ja noch im Mai 1969, Herr Junghans, für diese Haltung von Ihnen gepriesen worden. In der sozialdemokratischen Wählerzeitung „Dafür", die wahrscheinlich auch in Ihrem Wahlkreis für eine Mark verteilt und verkauft wurde, hat der Münchener Oberbürgermeister Dr. Vogel im Mai 1969 über Karl Schiller folgendes geschrieben:Seine denkwürdigen Bonner Verhandlungen im November 1968 mit den europäischen Partnerstaaten zur Abwendung der Mark-Aufwertung haben gezeigt, daß der Begriff von sozialer Symmetrie eine höchst praktische Seite hat.
Nun, meine Damen und Herren von der Koalition, das ist Ihr Problem. Wir beabsichtigen nicht, uns hier sehr lange mit dieser Art der Umschreibung der Geschichte zu befassen.Im Frühjahr 1969 hat Herr Kollege Schiller seine Meinung geändert. Das ist sein Recht gewesen. Jedermann, der an diesen Verhandlungen teilgenommen hat, weiß, wie schwer ein Votum war, wie stark die Argumente dafür und dagegen standen, jenseits aller billigen Vereinfachungen, vor denen wir uns hüten sollten. Aber Herr Kollege Schiller sollte sich nicht aus einem verspäteten Konvertiten zum Vorkämpfer der angeblich reinen Lehre umstilisieren.
Denn es bleibt nach den Erfahrungen der letzten drei Monate doch manches bedenkenswert. Karl Schiller hat vor seiner Konversion selbst immer wieder über die binnenwirtschaftlichen und die preispolitischen Wirkungen der Aufwertung Zweifel geäußert, etwa als er noch am 27. Februar, vor weniger als einem Jahr, im deutschen Fernsehen sagte:Bei jeder außenwirtschaftlichen Absicherung, auch wenn wir eine klassische Aufwertung gemacht hätten im November, was wir aus wohlüberlegten Gründen nicht getan haben und auch nicht vorhaben,
wäre das, was an Preisbewegung jetzt ist, ohnehin eingetreten.
Vieleicht kann das eine prophetische Bemerkung für den Wirtschaftsablauf des Jahres 1970 sein.
Wir wollen über die Wirkungen diskutieren, ohne Anspruch auf Unfehlbarkeit. Wir halten es auch nicht für richtig, wenn der Bundeswirtschaftsminister, wie er es hier am 30. Oktober getan hat, Kritik an sich und seinen Entscheidungen mit Kritik an der Wissenschaft gleichsetzen will. Das klingt etwas nach dem Motto: „Sobald der Professor seine Meinung geändert hat, ist eine neue unbezweifelbare wissenschaftliche Erkenntnis geboren,
und alle Sozialdemokraten — als eine wissenschaftsbewußte und auch disziplinierte Partei — schließen sich dieser neuen Erkenntnis an."
Meine Damen und Herren, das kann heute nicht einmal mehr in den Universitäten von den Professoren durchgehalten werden, ganz gewiß nicht im Deutschen Bundestag und in der deutschen Öffentlichkeit.
Wir wissen, wie komplex die Ursachen für unsere gegenwärtigen Sorgen„ das starke Steigen der Preise, die Überhitzung in weiten Bereichen der Wirtschaft, sind. Sicher sind die Kräfte des Aufschwungs von vielen unterschätzt worden — wir nehmen uns hier im Prinzip gar nicht aus auch von bedeutenden wirtschaftswissenschaftlichen Instituten. Wenn man die Prognosen etwa des IFO-Instituts vom Frühjahr 1969 und im Jahreswirtschaftsbericht noch einmal nachliest, aber vor allem und in erster Linie auch vom Bundesminister für Wirtschaft, und wenn hier, Herr Kollege Schiller, vom „dritten und vierten Investitionsprogramm" bei Ihnen die Rede war, dann muß doch einmal im Interesse der Wahrheit festgehalten werden, daß wir im Kabinett im März vergangenen Jahres lebhafte Auseinandersetzungen hatten, an denen wir beide persönlich beteiligt waren, über Ihre Absicht, damals noch viele hundert Millionen D-Mark aus dem Absicherungsgesetz zusätzlich zur Konjunkturbelebung auszugeben.
Das ist keine elf Monate her.
Deswegen wollen wir uns über das „dritte und vierte Investitionsprogramm" gern unterhalten. Sie haben damals Mittel für die zusätzliche Belebung der Stahlindustrie vorgesehen, die wenige Wochen später in einem Auftragsboom überbordete. Sie
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1276 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Dr. Stoltenberghaben Ihren Kritikern, darunter mir, damals gesagt: „Rühren Sie nicht an diesen Dingen, sie sind notwendig." Auch das gehört zur Geschichte, Herr Kollege Junghans, wenn wir uns schon, wie Sie es getan haben, über die Vergangenheit unterhalten.Neben den psychologischen Wirkungen dieser Vorgänge einer objektiven Fehleinschätzung über das Wirtschaftsgeschehen, von der viele in allen Lagern ausgingen, hat es auch die ganz negativen psychologischen Wirkungen der überhitzten Debatte vor der Wahl gegeben, auf die Herr Kollege MüllerHermann hingewiesen hat. Ich will auch hierzu nur ein Zitat aus den letzten Wochen sagen, aus dem Artikel einer bedeutenden deutschen Wochenzeitung, die Ihnen etwas kritisch gegenübersteht, aber uns auch, der „Zeit", die am 9. Januar zu diesem Problem, an Sie gewandt, geschrieben hat:Man kann den Menschen nicht Monat für Monat einreden, daß wir vor der größten Preissteigerungswelle der Nachkriegszeit stehen, und sich dann wundern, wenn daraufhin überzogene Forderungen gestellt werden.
Das sind neben den Fragen der außerwirtschaftlichen Absicherung, glaube ich, entscheidende Tatbestände, die man berücksichtigen muß, wenn man über die Ursachen der Schwierigkeiten der Gegenwart spricht.Aber vielleicht. sollten wir uns jetzt stärker den Folgen zuwenden, dem, was vor uns liegt. Im Oktober ist hier von den Sprechern der neuen Regierung die Hoffnung auf eine rasche Dämpfung vor allem des Preisanstiegs als Konsequenz der Aufwertung ausgesprochen worden. Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, daß Ihnen damals das schwere Versäumnis unterlaufen ist, hier kein binnenwirtschaftlich ergänzendes Programm einzubringen. Sie haben am, 30. Oktober so gesprochen. Ihr Parlamentarischer Staatssekretär, Herr Arndt, hat damals gesagt — ich zitiere es aus dem Protokoll —:Schon in ein, zwei Wochen kommt ein neuer Preisindex, der schon für Oktober gilt. Das ist der erste Monat des freien Wechselkurses. Warten wir doch einmal ab, ob der Preisauftrieb sich fortgesetzt hat oder schon gestoppt worden ist!Herr Arndt hat dann im November aus doch etwas einseitigen statistischen Zahlen in einem Vortrag vor der Industrie- und Handelskammer in Mainz oder in Koblenz erklärt, daß jetzt bereits die Spitze erreicht sei und der Boom der Preise, das Ansteigen der Preise, sich breche. Er hat damals im Oktober in diesem Haus hinzugefügt, wir würden nicht noch im Frühjahr sagen, der Höhepunkt der Preissteigerungen liege noch vor uns.Ich glaube, heute müssen Sie sagen, daß diese Erwartungen über die unmittelbaren Wirkungen einer Aufwertung zu optimistisch waren, daß diese Erwartungen stark erschüttert sind und das Versäumnis und der falsche Ansatz Ihrer Steuer- und Wirtschaftspolitik ganz klar werden.Es ist für mich schon damals unbegreiflich gewesen — ich kann mich hier auf meine eigenen Ausführungen am 30. Oktober berufen —, daß sich die neue Koalition in der Hektik ihrer Verhandlungen in der Woche nach der Bundestagswahl auf ein Programm von Steuersenkungen im völlig konjunkturwidrigen Ausgangspunkt geeinigt hat.
Wir haben Woche für Woche bis zum Dezember gesagt — zunächst mit Widerspruch von Ihrer Seite —, daß es unbegreiflich ist, wie man in einer sich abzeichnenden, zum Teil schon überbordenden Hochkonjunktur mit Steuersenkungen beginnen kann, obwohl es für eine Opposition, Herr Kollege Junghans, gar nicht so selbstverständlich und populär ist, gegen Steuersenkungen der Regierung zu sprechen. Sie haben sich sehr spät, für die psychologischen Wirkungen vielleicht zu spät, dazu bekannt, diese Steuersenkungen zu vertagen.Herr Kollege Schiller, wo waren Sie denn damals, als diese Dinge vereinbart wurden? Sie haben doch nach unseren Informationen an diesen Gesprächen teilgenommen. Daß Sie eine längere Zeit geschwiegen hätten, halten alle für ausgeschlossen, die mit Ihnen einmal im Kabinett zusammen waren.
Wir hatten dann den sehr ernsten Mißerfolg der Konzertierten Aktion in zwei Sitzungen im Dezember und Januar, Herr Kollege Schiller. Aus offiziellen Berichten und aus manchem, was darüber hinaus bekannt geworden ist, wissen wir, mit welchem Nachdruck Sie und Herr Arndt versucht haben, das Problem der Eingrenzung eines Spielraums für die Einkommenspolitik dort in den Mittelpunkt der Beratungen zu stellen. Wir haben auch erlebt und gehört, daß Sie damit gescheitert sind. Die Gründe liegen vielleicht doch in. dem, was Herr Kollege Müller-Hermann sagte: Die Tarifpartner sind nicht mehr bereit, Ihren Prognosen und Daten zu vertrauen, und auch Ihre Politik der angekündigten Steuersenkungen gab der Regierung nicht die Glaubwürdigkeit, die sie brauchte, um mit sachlicher Autorität mit den Sozialpartnern zu verkehren.Im Dezember kam dann die Ankündigung von Steuererhöhungen — der eine für Einschränkung der degressiven Abschreibungen, der andere für die Investitionsteuer, der dritte für einen Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer —, danach eine Entscheidung, das nicht zu tun, und nun wieder, wie ich schon eingangs sagte, ein Aufleben dieser Diskussion. Das ist rätselhaft, rätselhaft wie auch der Satz zur degressiven Abschreibung im Jahreswirtschaftsbericht, auf den ich verweisen möchte: „ihre Aussetzung und Einschränkung wäre im Sommer 1969, als sie vom Bundesminister für Wirtschaft vorgeschlagen worden war, richtig gewesen". So heißt es im Jahreswirtschaftsbericht. Wenn es richtig gewesen wäre, warum haben Sie es denn acht Tage nach Sommerschluß, als Sie Ihre Koalitionsvereinbarungen trafen, nicht getan? Warum reden wir jetzt im Februar darüber, ohne zu wissen, was Sie wollen?
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1277
Dr. StoltenbergMeine Damen und Herren, nach diesem Hin und Her, nach der Prüfung und Verwerfung aller anderen Instrumente, liegt jetzt nach dem Willen der Regierung die volle Last der Konjunkturpolitik bei der Hauskaltspolitik. Deshalb müssen wir auch heute schon, ohne den Einzelberatungen am Donnerstag vorzugreifen, doch einige Eckdaten jedenfalls dieses Etats in die kritische Betrachtung einbeziehen. Das ist erschwert durch die späte Vorlage des Haushalts — aus Gründen, die wir kennen, aber dennoch bedauern —, aber auch deshalb, weil wir gelernt haben, leider gelernt haben, statistischen Angaben dieser Regierung auch mit einer gewissen Vorsicht zu begegnen, bevor wir sie selbst geprüft haben.
Aber nach diesen Vorbemerkungen gehen wir einmal von einem Wachstum um 12,1 %, bei den Sperren von 8,8 % und einem Beitrag des Bundes zur Konjunkturausgleichsrücklage von 1,5 Milliarden DM aus. Eine erste Analyse zeigt, daß das tatsächliche Bild noch ungünstiger ist. Wir haben die ungewöhnliche Tatsache, daß im Dezember 1969 durch zusätzliche forcierte Ausgaben die Kassenausgaben des Bundes auf fast 12 Milliarden DM — 11,8 Milliarden — angestiegen sind, 3 Milliarden DM mehr als im Vorjahr und in den Jahren 1967 bis 1969. Diese forcierten Ausgaben haben zu einer Überschreitung des Haushaltssolls geführt, und darunter befinden sich ohne Zweifel Ausgaben — etwa in der Finanzierung der Einfuhr- und Vorratsstellen —, die konjunkturell erst im Jahr 1970 wirksam werden. Damit liegen wohl die konjunkturwirksamen Ausgaben im ersten Halbjahr 1970 über 9 %, vielleicht — auch unter Berücksichtigung der Sperren — sogar eher an 10 als 9 %. Wir werden das genau zu untersuchen haben.Vor allem aber hat uns überrascht — ein Tatbestand, den die Bundesbank noch gar nicht in ihre kritische Würdigung von gestern einbezogen hat —, daß sich offenbar das Volumen der Bindungsermächtigungen im Jahr 1970 verdoppeln soll,, d. h., daß sich der Finanzminister Verpflichtungsermächtigungen für künftige Jahre in der Größenordnung von 17 Milliarden DM statt 8 Milliarden DM im Vorjahr vom Parlament bewilligen lassen will.
Jedermann, der das Einmaleins der Haushalts- und Wirtschaftsdiskussion gelernt hat, weiß natürlich, daß für die konjunkturelle Wirkung Bindungsermächtigungen, Verpflichtungsermächtigungen, die jetzt in der Form von Aufträgen herausgehen, entscheidender sein können als Kassenmittel, die vielleicht für Aufträge gezahlt werden, die schon im vergangenen Jahr abgeschlossen sind. Dies ist ein im höchsten Grade beunruhigender Tatbestand, und hier ist die Regierung uns und der Öffentlichkeit eine Aufklärung schuldig.Aber auch ohne Berücksichtigung des letzten Punktes müssen Sie sich, Herr Kollege Schiller und Herr Kollege Möller und Herr Kollege Junghans, schon mit dem Votum der Bundesbank auseinandersetzen, die vorgestern im Gegensatz zu dem Selbstlob, das Sie sich gezollt haben und das Ihnen manche anderen Stimmen in der Öffentlichkeit gezollt haben, klar gesagt hat: von den öffentlichen Ausgaben wird voraussichtlich kein dämpfender Effekt auf die Gesamtwirtschaftslage ausgehen. Vielleicht wäre diese harte Feststellung, Herr Bundeskanzler, auch eine Sondersitzung des Kabinetts wert, um Ihre finanzpolitischen Beschlüsse für das Jahr 1970 im einzelnen zu überprüfen.
Obwohl wir nicht in der Lage sind, Herr Junghans, jetzt hier Punkt für Punkt zu sagen, wo wir den Haushalt anders ordnen wollen — das werden Sie von uns nicht ernsthaft erwarten, nachdem wir ihn vor zwei, drei Tagen bekommen haben;
— gestern ist er bei mir eingegangen —, können wir Ihnen im Hinblick auf Ihre Frage, was wir wollen, eines schon konkret sagen: Wir werden einer Verdoppelung der Bindungsermächtigung nicht zustimmen, weil wir das für konjunkturwidrig halten.
Wir werden hier mit Einzelanträgen eine einschneidende Begrenzung beantragen, und wir werden auch Anträge mit der klaren Tendenz stellen, das Haushaltsvolumen selbst zu begrenzen und vor allem auch die Sperren, wo immer es möglich ist, auszuweiten.Wenn Sie nun meinen, wir hätten durch unsere Anträge in den letzten Monaten die Legitimation dazu etwas verwirkt, dann müssen wir auf die Richtigstellung verweisen, die wir gegenüber den Zahlen des Bundesfinanzministers über Anträge der Koalition, der Regierung einerseits und der Opposition andererseits vorgenommen haben. Nach unseren Zahlen, die bis heute nicht widerlegt sind, hat die Koalition, die Regierung seit Oktober Ausgabenbeschlüsse vollzogen und für den Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung beantragt in einer Größenordnung von 22,4 Milliarden DM gegenüber Anträgen der Opposition von 13,3 Milliarden DM.
Wir müssen bedauern, Herr Kollege Möller, daß Sie dem Hohen Hause und der Öffentlichkeit eine Antwort vom 15. Januar zuleiten, in der Sie uns z. B. Milliarden für die Beamtenbesoldung einrechnen, aber einen im Dezember vom Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf für die Beamtenbesoldung in Ihre Statistik, in Ihre Belastung einzurechnen vergessen.
Wir müssen erwarten, daß solche elementaren Verstöße gegen die Pflicht der Bundesregierung, sorgfältig zu berichten, nicht vorkommen und daß der Bundesfinanzminister eine Adresse bleibt, auf deren statistische Angaben man sich verlassen kann.
Diese Situation wird natürlich verschärft durch den politischen Druck auf Freigabe der Sperre im Sommer. Der Bundesfinanzminister sagt: Ich kenne nur
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1278 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Dr. Stoltenbergeinen Nettohaushalt, d. h. abzüglich der gesperrten Mittel. Aber jeder Ressortminister operiert heute in seinen politischen Reden und Engagements mit den Bruttozahlen. Das wird Ihnen noch einige Probleme verschaffen, auch hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der einzelnen Ressortminister, die mit Etatzahlen operieren, von denen der Finanzminister sagt, daß sie noch gar nicht existierten und daß es sehr zweifelhaft sei, ob sie freigegeben würden.Herr Kollege Müller-Hermann hat das Problem der Preissteigerungen und der Maßstäbe dafür ausführlich behandelt. Ich will darauf nicht näher eingehen. Aber wir vermissen — ich sage das auch nach Ihren Ausführungen, Herr Kollege Junghans — die Begründung für diesen Meinungswandel. Sie können durch die Berechnung von fiktiven Raten von 5 bis 6 % für dieses Jahr, von denen Herr Blessing uns schriftlich mitgeteilt hat, daß es keine amtliche Feststellung der Bundesbank in diesem Sinne gibt — Sie sollten insoweit etwas vorsichtiger sein —, nicht die Tatsache verharmlosen, daß wir auf der Treppe nach oben, nämlich jetzt in die Nähe der 4 % zu steigen drohen. Sie müssen uns, glaube ich, hier eine Antwort darauf geben, ob das Konzept der schrittweisen, geplanten Verminderung der Preissteigerungssätze weiterhin gilt, ob das ein Konzept der Sozialdemokratischen Partei ist und wie Sie es in den kommenden Jahren verwirklichen wollen.
Die Regierung ist im Wort. Wir wollen eine Wirtschaftspolitik der Vollbeschäftigung, des Wachstums und der wirklichen Stabilität. Wenn es bei dem Mangel an Entschlossenheit, dem Mangel an entschlossenem Handeln bleibt, kann es gefährlich werden. Dann droht auch nach Auffassung mancher bedeutender Nationalökonomen, die sich in den letzten Wochen dazu geäußert haben, eine sich steigernde Wechselwirkung von Preisen und Löhnen, wobei der berühmte Streit, wer was bewirkt, ziemlich unergiebig ist. Hier gibt es Wechselwirkungen, die man nicht mehr streng nach Ursache und Wirkung, Schuld und Unschuld auflösen kann.Dies kann, wie wir alle wissen, bei schwierigeren internationalen Bedingungen die Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit und im schlimmsten Fall — den wir nicht hoffen und nicht beschwören wollen — auch für die Arbeitsplätze bedeuten. Sie können nicht übersehen, daß unsere Partnerländer Großbritannien, die USA und Frankreich ernsthafte Versuche zur Stabilisierung unternehmen, während bei uns die Maßstäbe der vermeintlich vertretbaren Raten etwas laxer werden, wie wir heute morgen gehört haben. Das Ergebnis dieser Bemühungen ist offen. Aber sollten sie Erfolg haben, dann können wir uns allerdings einer erheblich verschlechterten Situation gegenübersehen, in der dann die Aufwertung bei einer schwierigeren Wettbewerbslage gegenüber dem Ausland ohne binnenwirtschaftliche Absicherung ein Bumerang werden könnte.Meine Damen und Herren, was bleibt nun außer einer konsequenteren und stabilitätsgerechteren Finanzpolitik? Die Bundesregierung hat auf die Ausweitung der Vermögensbildung auch im Jahreswirtschaftsbericht hingewiesen. Darin sind wir uns im Grundsatz völlig einig. Aber wenn im Jahreswirtschaftsbericht die Vorlage einer Novelle zum 312-Mark-Gesetz bis zum Sommer angekündigt wird, dann müssen wir sagen: Erstens ist es reichlich spät, und zweitens kann es für die gegenwärtige konjunkturelle Diskussion leider keine Bedeutung mehr haben. Wir halten das für enttäuschend. Wir erinnern daran, daß im Sommer 1968 in der Großen Koalition der Kollege Hans Katzer zusammen mit dem Finanz- und dem Wirtschaftsminister mehrere detaillierte Alternativvorschläge für den Ausbau der Vermögensbildung gemacht hat. Warum legt die Regierung sie nicht jetzt vor? Warum spricht sie von der Zeit bis zum Sommer, wenn das auch nach Auffassung des Wirtschaftsministers für die Beeinflussung der Konjunktur so wichtig ist.Die Bundesregierung spricht vom Wettbewerbsrecht. Auch hier wird eine Novelle in der ersten Jahreshälfte in Aussicht gestellt. Hier gilt das gleiche. Ein Gesetz, das zum Sommer in den Bundestag kommt, kann natürlich keine Wirkungen für 1970 mehr haben. Der Hinweis auf diese Pläne in der aktuellen Debatte, etwa in den Kommuniqués der Konzertierten Aktion zur gegenwärtigen Konjunktursituation, ist dann doch ein Ausdruck der Verlegenheit, so langfristig bedeutsam diese Regelungen auch nach unserer Auffassung für die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik sind.Wir werden unsere eigenen Vorstellungen zum Wettbewerbsrecht hier in diesem Hohen Hause durch andere Kollegen noch ausführlicher darlegen; ich möchte es mir im Augenblick ersparen. Aber wir sehen doch mit Interesse, Herr Kollege Schiller, wie bei Ihnen die entscheidenden Punkte wechseln. Jetzt ist es das Problem der Fusionskontrolle, das wir aufgeschlossen und kritisch diskutieren werden, das in den Mittelpunkt rückt; im vergangenen Jahr haben Sie gesagt, ohne eine entscheidende Maßnahme zur Einschränkung oder Aufhebung der Preisbindung der zweiten Hand seien Sie nicht in der Lage, eine solche Vorlage zu vertreten. Mittlerweile sind Sie auf dem Rückmarsch zu Überlegungen über ein verstärktes Zulassungsverfahren. Darüber werden wir diskutieren.Wir werden aber vor allem auch über die Frage der Vermögensbildung diskutieren. Was die Regierungserklärung hier angekündigt hat, steht in seiner Bescheidenheit in einem bemerkenswerten Gegensatz zu dem; was wir hier vor der. Wahl an scharfer Gesellschaftskritik über eine einseitige Vermögenskonzentration gehört haben.
Es ist nicht sehr einfallsreich, das von uns gegen viele Widerstände geschaffene 312-Mark-Gesetz mit 2 zu multiplizieren und so 'auf 624 DM zu kommen. Das mag nützlich sein, das mag hilfreich sein, es reicht aber nicht aus.Wir werden deshalb auf der Grundlage sorgfältiger Arbeiten weitergreifende Lösungen zur Vermögensbildung in breiten Volksschichten vorlegen, eingepaßt in unser auf persönlichem Eigentum beruhendes wirtschaftliches System und auf die lang-
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Dr. Stoltenbergfristigen konjunkturpolitischen Erfordernisse hin orientiert. Dies ist natürlich auch im Interesse der ausreichenden Eigenkapitalversorgung der deutschen Betriebe und ihrer langfristigen stärkeren Fundierung im internationalen Wettbewerb absolut notwendig.Hier ist ein unmittelbarer Zusammenhang von moderner Wirtschafts-, Finanz-, Gesellschafts- und Bildungspolitik gegeben. Wir brauchen in der Tat in den 70er Jahren eine kohärente Politik in diesen verschiedenen Bereichen. Ich räume gern ein, daß das in den vergangenen zehn Jahren noch nicht voll erreicht wurde. Ich betone aber, daß wir in den letzten Jahren doch wesentliche erste Erfolge erzielt haben: etwa in der modernen Sozialpolitik Hans Katzers, die sich bewußt auf gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge richtete; etwa in der Agrarpolitik unseres Kollegen Hermann Höcherl, der bewußt eine neue agrarpolitische Konzeption entwickelt hat — vom Kabinett der Großen Koalition bewilligt —, die die Landwirtschaft in die Marktwirtschaft, in die europäischen Bezüge, hineinstellt; etwa in dem, was wir, Herr Kollege Kienbaum, in den letzten Jahren auf dem Gebiet ,der angewandten Forschung und technischen Entwicklung, über das Sie gesprochen haben, in ersten Schritten getan haben.Was wir jetzt mit Sorge sehen, ist, daß in diesen Punkten eigentlich kein Fortschritt im Jahreswirtschaftsbericht, in der Praxis der neuen Regierung teilweise sogar ein Rückschritt erkennbar ist. Es geht hier um Modelle zur Vermögensbildung, die vorliegen, um Probleme der Berufsausbildungsgesetze und des Arbeitsförderungsgesetzes, um die Neuverteilung der Finanzierungslasten der Rentenversicherung, die in einer meisterhaften Weise gelungen ist, jetzt aber durch unüberlegte Improvisationen, weil man vor den Wahlen in NordrheinWestfalen leichtfertige Versprechungen gegeben hat, gefährdet wird. Das sind Dinge, die wir, glaube ich, in diesen Zusammenhängen sehen müssen.Wir müssen fragen, was die 'Entscheidung des Bundesministers Arendt bedeutet, seine eigene konzertierte Aktion als „Sozialpolitische Gesprächsrunde" zu installieren.
Ist das ein Konkurrenzunternehmen, wie manche Beobachter in der Öffentlichkeit meinen? Bedeutet das eine Verfestigung der Trennungslinien, wieder eine stärkere Isolierung der verschiedenen Bereiche, die in einer modernen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik zusammengehören? Das müssen wir mit Sorge kommentieren. Wir können die Regierung nur warnen, diesen. Weg der Isolierung der einzelnen Bereiche zu gehen.
Was wir im Jahreswirtschaftsbericht konkret über Bildungspolitik, sektorale Strukturpolitik oder Gesellschaftspolitik lesen, ist auch nicht sehr ermutigend. Es finden sich dort sicher manche guten Einzelgedanken, denen wir völlig zustimmen, aber insgesamt handelt es sich doch mehr um die Arbeit von Fachreferenten des Wirtschaftsministeriums als umeinen Gesamtentwurf der Regierung. Die neue Regierung hat Kompetenzfragen und Kooperationsfragen auch nach der beschlossenen Umorganisation hier nicht gelöst. Ich verweise auf das Gebiet der Entwicklungshilfe, das Herr Kollege Schiller am Schluß seiner Ausführungen zu Recht in seiner eminenten wirtschaftlichen und außenpolitischen Bedeutung gewürdigt hat. Beherzigenswerte Worte! Aber warum wird denn nicht endlich die Kapitalhilfe und technische Hilfe bei dem zuständigen Bundesminister zusammengefaßt,
wie wir es bereits mit dem zuständigen Minister im vergangenen Kabinett in den Diskussionen gefordert haben? Es ist am Widerspruch des Wirtschaftsministers gescheitert. Warum ist es nicht möglich, endlich zwischen angewandter Forschung, technischer Entwicklung und Industriepolitik eine sinnvolle Abgrenzungslinie zu finden, die unsere Beamten, Herr Kollege Schiller, bereits vor anderthalb Jahren in einer Verbesserung der jetzigen Regelung erarbeitet hatten, die an Ihrem Widerspruch gescheitert ist, ohne daß mein Nachfolger offenbar bisher auf diesem Gebiet mehr Glück hatte? Der Bundeswirtschaftsminister sollte weniger ein um seines Kompetenzbewußtseins gefürchteter Kollege sein, mehr der Koordinator und Inspirator übergreifender großer Aufgaben und Erfordernisse der Gesamtpolitik.
Was wir wollen — ich sage das auf der Grundlinie des Berichts und auch der Punkte, die dort nicht angesprochen sind —, ist neben einer Politik der aktiven Vermögensbildung, neben einer Neuordnung des Wettbewerbsrechts und einer antizyklischeren Haushaltspolitik der weitere Ausbau des Arbeitsförderungs- und Berufsausbildungsgesetzes. Das sind entscheidende Erfordernisse auch für eine moderne Wirtschaft, die ja den Menschen unter einen stärkeren Leistungsdruck stellt, die neue soziale Herausforderungen bringt gegenüber den klassischen Bedrohungen, die wir weitgehend gemeistert haben: im Problemkreis der Mobilität, der Automation und Rationalisierung. Wir wollen eine wirkungsvollere Abstimmung neuer bildungspolitischer Vorstellungen mit den Erfordernissen der Menschen im Beruf und in der Arbeitswelt. Ich sehe mit Sorge — und dies ist nicht nur ein Problem dieser Regierung —, daß die pädagogische Theorie und auch die schulpolitische Ideologie zum Teil sich bewußt von der Wirtschaft und der Arbeitswelt distanzieren, stellenweise jedenfalls; die Verallgemeinerung mag falsch sein, aber es gibt hierzu eine starke Tendenz.Ich halte es auch nicht für gut, daß der neue Bundesminister für Bildung und Wissenschaft ein Modell entwirft — auch in amtlicher Eigenschaft vertritt —, bei dem es lapidar heißt: „25 % der Abiturienten des Jahrgangs 1980 sollen direkt in die Arbeitswelt hineingehen", ohne daß es bis heute Gespräche mit den großen Organisationen der Wirtschaft darüber gibt, was das bedeutet, ohne daß es ein entsprechendes Konzept für die Modernisierung und Umstrukturierung der Verwaltung und ihrer
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Dr. StoltenbergAusbildung gibt. Hier sind die Punkte, in denen die kohärente Gesamtpolitik notwendig ist, von der ich soeben sprach.
Meine Damen und Herren, wir brauchen in der Tat genauere Analysen zur Frage der Innovation und ihrer Förderung, entsprechende Schritte in Verbindung mit der Förderung der Rationalisierung. Ich unterstreiche hier völlig, was Herr Kollege Kienbaum im allgemeinen und konkret gesagt hat. Wir brauchen die energische Weiterführung der eingeleiteten technologischen Programme des Bundes, vor allem ihre Anwendung auf die Zukunftserfordernisse der Gesellschaft und Wirtschaft. Hier fehlt eben, Herr Kollege Schiller, im Jahreswirtschaftsbericht jeder ernsthafte Beitrag. Wenn man das schon behandelt, dann muß man es etwas tiefgründiger und allgemeiner behandeln. Es sollte keinen Jahreswirtschaftsbericht mehr geben, der nicht auch die zentralen Probleme der Umweltgestaltung und des Umweltschutzes in einer immer dynamischeren Industriegesellschaft mehr einbezieht.
Wir brauchen auch — Herr Kollege Kienbaum hat zu Recht darauf hingewiesen —, die noch exaktere Eingliederung der Strukturpolitik in wirtschaftsschwachen Gebieten in die allgemeine Wirtschafts- und Konjunkturpolitik. Hier gibt es bei mehreren Einzeltiteln Kürzungen. Wir reden nicht für Erhöhungen — ich möchte hier gar nicht in einen Widerspruch zu meinen Ausführungen zur Haushaltspolitik kommen —; aber es gibt da Kürzungen, während doch gerade jetzt in diesen strukturschwachen Gebieten das Aufholen und die Konsolidierung möglich sind. Das scheint uns kein sehr überzeugendes Konzept der Verbindung von Wirtschaftspolitik und Haushaltspolitik zu sein.Schließlich wird es notwendig sein, nach den Enttäuschungen und den Grenzen, die sichtbar wurden, über die Theorien und das Instrumentarium der Wirtschaftspolitik noch gründlicher zu diskutieren. Der Sachverständigenrat hat das Problem der Regelmechanismen aufgeworfen, Herr Kollege Schiller hat es mit wenigen Sätzen behandelt, vor allem auch das Problem eines kontinuierlichen Wachstums ohne Übersteuerung, die wir unter der Federführung des Kollegen Schiller in den letzten Jahren immer wieder erlebt haben, ohne ein Übermaß an ständigen Interventionen. Er hat dabei die Frage der Bedeutung einer kontinuierlichen Geldmengenpolitik in Anknüpfung an die wissenschaftliche Diskussion, die Entwicklung in Amerika, gestreift. Es kann sich nicht darum handeln, daß wir hier als Parlament oder als CDU/CSU jetzt schnell solche neuen Theorien übernehmen, aber ich glaube doch, daß diese Erwägungen der Sachverständigen und die aktuelle Diskussion in der deutschen Wissenschaft darüber mehr verdient hätten als die dürren und lapidaren Sätze, die der Jahreswirtschaftsbericht und der Bundeswirtschaftsminister ihnen widmeten.
Hier wird für uns alle, die Regierung und die politischen Kräfte dieses Hauses, ein intensiverer Dialog mit der Wissenschaft notwendig sein, das Studium empirischer Untersuchungen, die demnächst auch für Deutschland vorliegen, und natürlich auch die Bewertung der Erfahrungen in den USA, in denen ja solche Konzepte die amtliche Politik teilweise mitbestimmen.Wir wissen — lassen Sie es mich zum Schluß sagen —, daß nationale Entscheidungen immer stärker in die europäische Wirtschaft und die Weltwirtschaft leinbezogen sind, immer stärker von Entwicklungen außerhalb Deutschlands bestimmt werden, die wir selbst nicht in der Hand haben. Das macht die Prognosen schwieriger; das sollte die Ansprüche derer, die Prognosen aufstellen, etwas bescheidener werden lassen, als es in den letzten Jahren der Fall war. Es macht die Risiken, aber auch die Chancen größer. Wir alle hoffen in diesem Hause mit der Bundesregierung, daß es jetzt nach dem Regierungswechsel in Frankreich und der Haager Konferenz neue starke Impulse für eine europäische Politik gibt. Die nationalen Mittel reichen nicht mehr aus, Spannungen zu meistern. Wir haben ja an der Aufwertung gespürt, welche Grundspannung es eben zwischen einer nationalen Währungspolitik und europäischen Verpflichtungen, Regeln und Normen gibt. Deshalb wünschen wir eine nachdrückliche Initiative der Bundesregierung, die der Bundeswirtschaftsminister soeben angekündigt hat, zur europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Dazu gehören die Fragen eines europäischen Reservefonds, die Probleme der Steuerharmonisierung, die Probleme des europäischen Gesellschafts- und Patentrechts, die für das Entstehen europäischer Industriestrukturen von entscheidender Bedeutung sind.
Jeder, der heute einmal konkret verfolgt — wir haben ja einige Beispiele aus den letzten zwei Jahren, die Herr Kollege Schiller noch besser kennt als ich —, auf welche fast unüberwindlichen gesellschaftsrechtlichen Schwierigkeiten europäische Industriezusammenschlüsse über die Grenzen hinweg stoßen, was für ein hemmender Faktor dies im Hinblick auf die Entwicklung ist, die wir brauchen: große leistungsfähige europäische Verbindungen. Jeder muß betonen, daß dieser Punkt eines europäischen Gesellschaftsrechts in der Tat in den Mittelpunkt dieser Debatte gehört.Diese Verhandlungen 1970 sollten nach unserer Auffassung möglichst schon unter fachlicher Beteiligung der beitrittswilligen Staaten geführt werden. Es wäre schlecht, wenn sich hier in einem entscheidenden Bereich die Sechs einigen und dann nach Jahren eine völlig neue Verhandlungsrunde über die zum Teil sehr komplizierten Rechtsprobleme mit Großbritannien und den skandinavischen Ländern beginnen müßte.
In diesem Punkt kann die Regierung mit unserer vollen Unterstützung rechnen.Freilich, Herr Bundesminister Schiller, dies sollte keine Ablenkung von den konkreten Sorgen und Schwierigkeiten des Jahres 1970 bedeuten. Weder
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Dr. Stoltenbergdie Historie, die Legendenbildung, der Streit um die Vergangenheit helfen uns noch jetzt, noch die Flucht in eine schönere Zukunft europäischer Ordnung und Harmonie, die wir alle wollen, die wir aber morgen und übermorgen noch nicht haben. Es geht hier um das Hier und Heute, es geht um die soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhards, die wir in einer modernen Weise weiterentwickeln wollen.
— Sie ist moderner, Herr Kollege Wehner, als manches, was wir von den neomarxistischen Kreisen Ihrer Partei jetzt hören,
die Ihnen doch mehr Sorge bereiten, als Sie in Ihren üblichen unqualifizierten Zwischenrufen — „Quatschen Sie nicht dumm!" — mir hier sagen.
Wir haben doch auch gelesen, was in Frankfurt passiert ist, und Herr Kollege Leber ist ja ein Sachverständiger bezüglich der Probleme dort. Heute ist es schon soweit, daß die linken und zum Teil linksradikalen Kräfte in Ihrer Partei sozialdemokratische Polizeipräsidenten stürzen können!
Das ist nicht nur Ihr Problem, das ist ein Problem unserer gesamten staatlichen Ordnung. Und wir fragen uns, wann durch Beschlüsse solcher Gremien nicht nur Bundestagskandidaturen von Ministern verhindert werden, wie es dem Kollegen Leber beinahe gegangen wäre, sondern unter Umständen direkte Eingriffe in die Personalpolitik nicht nur der kommunalen Instanzen, sondern auch der Landes- und Bundespolitik kommen.
Deshalb ist es nicht notwendig, daß Sie uns ermahnen, die soziale Marktwirtschaft zu behaupten.
Ich glaube, Sie haben hier in den nächsten Jahren in wachsendem Umfang in Ihrer eigenen Partei viel zu tun.
Hier und heute muß die Bundesregierung handeln. Die Opposition wird ihren Beitrag dazu leisten, aber sie läßt sich nicht durch Suggestivfragen nach ihren eigenen Konzepten ablenken oder abbringen von der Verantwortung, die Sie tragen.
Sie müssen sagen, was Sie wollen, Herr Kollege Schiller, dann werden wir uns dazu — auch zu anderen Fragen — so verbindlich äußern, wie wir es konkret in einem eigenen Konzept zur Haushaltsund Finanzpolitik und zur Frage der Bindungsermächtigungen getan haben. Die Bundesregierung muß klarstellen, was Wachstum, Stabilität und ihreFrüchte für Staat, Gesellschaft und die Menschen unseres Landes wirklich bedeuten.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Plenarsitzung bis 15 Uhr.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute morgen ist zuweilen so gesprochen worden, als stünden wir in der Bundesrepublik Deutschland wirtschaftspolitisch an einem Abgrund. Davon kann nun wirklich keine Rede sein. Uninformierte Menschen, die uns zuhören, könnten glauben, die Bundesrepublik Deutschland stünde vor einer Krise. Dieselben Menschen wissen jedoch, daß es ihnen insgesamt nicht schlecht, sondern daß es ihnen gut geht. Wir wollen hier miteinander dafür sorgen — auch im Streit der Meinungen —, daß es ihnen als einzelne und als Gesamtheit zunehmend besser geht. Das wollte ich erst einmal feststellen.
Herr Kollege Stoltenberg hat mehrmals behauptet, die Bundesregierung habe es versäumt, neben die Maßnahme der Aufwertung der Deutschen Mark ein binnenwirtschaftliches Stabilisierungsprogramm zu stellen, sie sei insoweit tatenlos geblieben. Herr Kollege Stoltenberg, hier muß ich Sie darauf hinweisen: Rechtzeitig — wenn man den Begriff in diesem Zusammenhang richtig versteht — wären Aufwertung plus begleitende Maßnahmen im Frühjahr 1969 gewesen.
Die Mehrheit im damaligen Kabinett war nicht dafür. Das wissen wir beide und das brauchen wir jetzt nicht noch einmal auseinanderzunehmen. Auf Details hinsichtlich der veränderten Bedingungen im Frühjahr und im Herbst 1969 will ich hier nicht eingehen. Was dazu an Einzelheiten zu sagen ist, hat der Bundesminister für Wirtschaft deutlich gesagt, und er wird darauf zurückkommen.Aber lassen Sie mich, ohne Detailfragen zu erörtern, folgendes feststellen:Erstens. Die Bundesregierung — und zwar die gesamte Bundesregierung, da gibt es zwischen den Chefs der verschiedenen Ressorts keine Unterschiede — nimmt das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz sehr ernst. Daran hat es in keiner der vielen notwendigen Beratungen Zweifel gegeben und daran wird es keinen Zweifel geben. Aber die Bundesregierung wird sich nicht durch eine zuweilen eben auch hektischen Preisdiskussion
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Bundeskanzler Brandtin unüberlegte und voreilige Handlungen hineinmanövrieren lassen.
Sie wird dies um so weniger tun, als diese hektische Diskussion eben auch mit von jenen anzuheizen versucht wird, mit deren preispolitischem Erbe wir uns herumzuschlagen haben.
Zweitens. Der Bundeswirtschaftsminister hat in seiner Rede darauf hingewiesen, es sei denkbar, daß es bei exzessiven Verhaltensweisen von Marktpartnern oder Tarifparteien zu einer Anwendung des § 26 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes kommen müsse. Hinter dieser Aussage steht die Bundesregierung. Auch dies will ich hier für jeden völlig klarmachen. Die einzelnen Kabinettskollegen prüfen die Lage sehr sorgfältig, und mit ebenso großer Sorgfalt wird die Bundesregierung abwägen, welche Instrumente zu welchem Zeitpunkt einzusetzen sind.Die Bundesregierung ist zum Einsatz der richtigen Instrumente zum gegebenen Zeitpunkt bereit. So ernst sie die Frage der Preisstabilität nimmt und nehmen muß, so ernst sieht sie die Frage der Vollbeschäftigung. Eine gewollte Rezession ist für diese Bundesregierung jedenfalls kein Instrument der Stabilitätspolitik. Auch darum ist in diesen Zusammenhängen größte Sorgfalt geboten.
Drittens. Die Opposition sollte meiner Meinung nach, verehrte Herren von der Opposition, nicht so tun, als enthalte der Jahreswirtschaftsbericht, über den heute beraten wird, kein Konjunkturprogramm. Man mag das Programm für nicht ausreichend halten,
aber man sollte nicht so tun, als enthalte der Bericht kein Konjunkturprogramm. Die Frage, um die es sich handelt, ist, wie und wann das unterbreitete Konjunkturprogramm zu ergänzen sein wird. Dazu wird die Regierung ihre Vorschläge unterbreiten, sobald sie den Zeitpunkt für gekommen hält und die erforderlichen Vorbereitungen getroffen sind.Den Hinweis des Wirtschaftsministers — das darf ich noch einmal sagen — auf § 26 hat jeder verstanden.
Es hat keinen Sinn, die dabei direkt oder indirekt in Betracht kommenden Maßnahmen vorweg öffentlich zu zerreden.
Viertens. Die Bundesregierung hat einen Haushalt der Solidität und des Fortschritts vorgelegt. Ich will der Haushaltsrede des Bundesfinanzministers nicht vorgreifen, doch ich will hier schon betonen, daß dieser Haushalt der angespannten Konjunktursituation Rechnung trägt, ohne die angemessene Inangriffnahme notwendiger Reformen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Hätten wir allerdings die seinerzeitigen Anträge der Opposition dieses Hohen Hauses bei der Erarbeitung des Haushaltsplans 1970 berücksichtigt, dann könnte von einem konjunkturgerechten Haushalt keine Rede sein.
Schließlich möchte ich an dieser Stelle dem Hohen Hause und zugleich der deutschen Öffentlichkeit sagen: Die Stabilitätsprobleme sind ernst, aber wir können und wir werden sie meistern. Lassen sie uns darüber nicht vergessen, daß wir ein Jahr beispiellosen Wirtschaftswachstums hinter uns haben! Um mehr als 60 Milliarden DM hat sich das Angebot an Gütern und Dienstleistungen im Jahre 1969 erhöht, hat sich der private und öffentliche Wohlstand vermehrt. Die Bundesregierung wird diese Erfolge nicht aufs Spiel setzen. Wir werden Vollbeschäftigung und Wirtschaftswachstum und damit Aufstiegschancen und Einkommensverbesserungen für jedermann weiter sichern und schrittweise — es geht leider nicht anders als schrittweise die im Sommer 1969 verlorengegangene Stabilität wiedergewinnen. Das ist die Aufgabe, und von ihr werden wir uns nicht abbringen lassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Mertes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man heute so hört, was einige Kollegen von der CDU/CSU hier sprechen, dann könnte man leicht vergessen, daß sie erst gut hundert Tage in der Opposition sind, hundert Tage und nicht hundert Monate zum Beispiel.
Ich weise deswegen darauf hin, weil die Fehlerquellen, die zu der unerfreulichen Entwicklung geführt und die uns dieses ungute Erbe beschert haben, in einer Zeit liegen, in der Sie von der CDU/ CSU bestimmend waren. Damals sind Sie durch die Lande gezogen und haben erklärt: Auf den Kanzler kommt es an.
Dieser Kanzler hat in der Zeit seiner Kanzierschaft Fehler gemacht, und er hat Fehler mitgemacht. Meine Damen und Herren, davon können Sie sich heute nicht reinwaschen.
So viel Weißmacher gibt es gar nicht.
Ich möchte Ihr Augenmerk aber noch einmal auf die Seite 44 in der Anlage 3 des Jahreswirtschaftsberichts lenken. Hier wird mit einigen Prozentsätzen die globale Zielprojektion der Bundesregie-
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Mertesrung für die nächsten fünf Jahre im Bereich des sogenannten magischen Vierecks umrissen. Die projektierte durchschnittliche Preissteigerung von 21/2 bis 2 0/o scheint mir in diesem Zusammenhang eine besonders kritische Ziffer zu sein.Für diese Projektion ist manches an Begründung vorgetragen worden. Trotzdem — das sage ich hier in aller Offenheit — konnte ich mich zunächst des Eindrucks nicht erwehren, daß in der Vorstellung des Bundeswirtschaftsministers dem Problem der Preisstabilität geringere Bedeutung beigemessen würde als der Projektion der anderen Globaldaten, z. B. der Wachstumsrate. Aber der Herr Bundeswirtschaftsminister hat heute morgen in seinen zusätzlichen Ausführungen meine Bedenken zwar noch nicht ganz, aber sehr weitgehend zerstreut.
Dasselbe hat hier der Kollege Junghans bestätigt. Ich meine, meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sollten das akzeptieren und kein Schattenboxen veranstalten; denn es ist Ihr eigener Schatten.Ich verhehle nicht, daß ich gegenüber mittel- und langfristigen Globalprojektionen skeptisch bin. Dabei gebe ich allerdings zu, daß ich ihren realen Inhalt nicht genau beurteilen kann, weil ich die Modellvorstellungen nicht kenne, die den Berechnungen im einzelnen zugrunde liegen. Dennoch muß festgestellt werden, daß bei einer projektierten durchschnittlichen Preissteigerungsrate, wie sie hier wiederholt diskutiert wurde, die Gemütlichkeit aufzuhören hat. Deshalb werden wir nicht nur verbal eine Stabilitätspolitik machen, sondern auch die entsprechenden wirkungsvollen Maßnahmen ergreifen.
Man braucht kein Prophet zu sein, um die verhängnisvollen gesellschafts- und strukturpolitischen Folgen einer Wirtschaftspolitik zu sehen, die bereit wäre, als Vergleichsbasis und sozusagen als Alibi den preispolitischen Trend in anderen Ländern heranzuziehen, die in diesem Punkt eben weniger empfindlich sind als wir. Aber auch das ist heute bereits durch den Bundeswirtschaftsminister klargestellt worden.Im Jahreswirtschaftsbericht ist einiges über die Vermögenspolitik gesagt. Das ist sehr zu begrüßen. Welchen Erfolg soll aber die Vermögenspolitik haben, wenn die breiten Massen der Arbeitnehmer und der Selbständigen, also diejenigen, die ja gerade Vermögen bilden sollen, mit ihrem Sparkapital einem ständigen Geldwertschwund ausgesetzt werden? Wie soll es möglich sein, unter solchen Umständen den Sparwillen auf die Dauer zu erhalten, und nicht nur zu erhalten, sondern auch zu fördern? Wenn wir diese Gefahren nicht sehen, machen wir das Ziel der Bildung von breit gestreutem Eigentum zu einer Quadratur des Kreises.Dabei ist vor allem darauf hinzuweisen, daß beieiner stetigen Geldwertverschlechterung der selbständige Mittelstand in eine verhängnisvolle Schere gerät. Er muß an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, weil er die durch die Preisentwicklung induzierten erhöhten Lohnforderungen wegen seiner Arbeits- oder Lohnintensität nur besonders schwer verkraften kann. In einem solchen Fall würde sehr wenig von der Mittelstandsförderung übrigbleiben, die erfreulicherweise ebenfalls im Jahreswirtschaftsbericht angesprochen ist.Gerade im Zusammenhang mit der Wachstumspolitik, die hier wiederholt apostrophiert wurde, muß der Wettbewerbsfähigkeit des gewerblichen Mittelstandes hohe Aufmerksamkeit geschenkt werden. In diesem Bereich liegen nämlich noch viele Wachstumsreserven, die bisher nur ungenügend genutzt wurden. Es entbehrt meines Erachtens auch jeder Logik, auf der einen Seite die Konzentration bekämpfen zu wollen und auf der anderen Seite durch eine Verschlechterung der Wettbewerbssituation im Mittelstand eine solche Konzentration zu provozieren. Auch eine noch so ausgeklügelte Kartellgesetzgebung und Fusionskontrolle ändern daran nichts. Alles das würde durch die am Markt wirkenden Kräfte überrollt werden. Eine möglichst große Zahl vielschichtiger mittelständischer Existenzen erhält uns aber die Flexibilität in unserer Wirtschaft, auf die es uns gerade in der heutigen Zeit ankommt.Die Sicherung eines vielfältigen Warenangebots durch die Erhaltung und Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen, die sich nicht so sehr der Massenproduktion als dem spezifischen Angebot in kleineren Serien widmen, erscheint mir ein besonders wichtiges wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Ziel zu sein. Dazu bedarf es vor allem einer Politik der Preisstabilität und einer bewußten Förderung der aktiven Wettbewerbsfähigkeit des Mittelstandes.Ich denke in diesem Zusammenhang besonders an die Unterstützung mittelständischer Arbeitsgemeinschaften für die industrielle Forschung und die Neuentwicklung von Produkten, zur Erforschung der Marktlage und der Absatzchancen und zur Entwicklung der Kooperation zwischen mittleren Betrieben. Derartige Einrichtungen müssen und werden von der Bundesregierung und von den Koalitignsfraktionen stärker angeregt und unterstützt werden.Eine solche Politik macht es notwendig, auch die Wirkungen des derzeitigen Patentrechts auf die Wettbewerbsfähigkeit zu untersuchen. Ich glaube, das Ergebnis einer solchen Untersuchung würde sein, daß der Anteil des gewerblichen Mittelstandes an der Entwicklung neuer Produkte durchaus nicht gering veranschlagt werden kann. Allerdings fehlen diesem Mittelstand vielfach die Mittel, die aus einer solchen Entwicklung resultierenden Möglichkeiten selbst zu finanzieren. Das müssen wir sehr deutlich sehen. Die Entwicklung zur großindustriellen Produktion ist zweifellos in manchen Branchen unvermeidbar. Es wäre deshalb angesichts der technischen Notwendigkeiten und angesichts der größeren Märkte volkswirtschaftlich falsch, die Bremsen zu stark anzuziehen. Wir dürfen auch nicht
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Mertesübersehen, daß überspritzte nationale Lösungen einfach die Aktionsfreiheit deutscher Unternehmen im Vergleich zu den Unternehmen der umliegenden Länder beschränken.Jedoch gibt es auch Fälle, die sehr deutlich zeigen, daß die mittelständische Produktion der Produktion in Großbetrieben überlegen sein kann. Erfindungen z. B. werden nicht nur in Mammutbetrieben gemacht; hier leistet oft auch der gewerbliche Mittelstand eine nicht zu verachtende Pionierarbeit.
Ich habe in meinen Ausführungen die Mittelstandspolitik in den Vordergrund gestellt, weil ich nicht möchte, daß dieser Wirtschaftszweig in der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht „unterbelichtet" erscheint.Selbstverständlich kann ein solcher Bericht nicht alles enthalten und nicht alles in der Ausführlichkeit darstellen, die notwendig wäre. Deshalb möchte ich die Ausführungen zur Vermögenspolitik noch einmal besonders begrüßen. Die Sparförderung ist für die Bildung von breitgestreuten Geldvermögen nicht nur eine gesellschaftspolitische Notwendigkeit. Sie ermöglicht zugleich die Bereitstellung von zusätzlichen Mitteln, die der Staat und die Wirtschaft brauchen, wenn die zusätzlichen Aufgaben, vor allem auch auf dem Gebiet der Infrastruktur, gelöst werden sollen. Eine solche Politik scheint mir jedenfalls wesentlich besser zu sein als der scheinbar leichtere Weg über eine Erhöhung der Steuerlastquote. Voraussetzung ist allerdings, daß die Geldwertstabilität in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen gestellt wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schachtschabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist heute morgen bereits angeklungen — auch der Herr Bundeskanzler hat den rechten Akzent gesetzt —, daß wir in den Erörterungen über den Jahreswirtschaftsbericht durchaus erst einmal die positiven Seiten der bisher praktizierten Wirtschaftspolitik sehen sollten. Es erscheint notwendig, darauf aufmerksam zu machen, daß nach der vom Bundeswirtschaftsministerium im Jahreswirtschaftsbericht für 1970 vorgelegten Jahresprojektion der gesamtwirtschaftliche Verlauf vor allem dadurch beeinträchtigt gesehen wird, daß infolge der konjunkturellen Situation des Jahres 1969 mit einem Anstieg der Verbraucherpreise gerechnet werden muß.Allerdings wird in dem Jahreswirtschaftsbericht zugleich festgestellt — das scheint mir ungemein wichtig, und darüber haben wir zu sprechen —, daß von den vier wirtschaftspolitischen Hauptzielen drei in zufriedenstellender Weise realisiert werden können, währendsich das Ziel der Stabilität des Preisniveaus als wesentliches Problem stellt. Aus den verschiedenen Schätzungen ergibt sich übereinstimmend, daß sich der private Verbrauch voraussichtlich um 3 % verteuern. wird. Diese Annahmen werden auch durch die Angaben der Deutschen Bundesbank im letzten Monatsbericht dahingehend abgestützt, daß bei genereller Beruhigung der Gesamtnachfrage in der Entwicklung der Verbraucherpreise ein neuer Auftrieb konstatiert wird. Diese Vorgänge liegen vor. Sie können und sollen nicht negiert werden.Doch stellt sich immer wieder die Frage — auf die wir gar nicht einzugehen gedenken —, wie es zu einer derartigen Entwicklung gekommen ist. Aber — und das gehört an diesen Platz —: wie wäre es, wenn wir in einer anderen Situation heute über eine konjunkturelle Talsohle diskutieren müßten, über Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit mit all den damit zusammenhängenden politischen Folgen? Man sollte es einmal sagen: Sich über Probleme der Hochkonjunktur zu infomieren und auszusprechen — und ich gebrauche dabei die Ausdrucksweise der Opposition — ist doch wahrlich keine Sünde. Im Gegenteil, ich bin sogar der Meinung, daß damit ein Erfolg der Wirtschaftspolitik konstatiert werden kann.Wenn wir nicht auf die Aufwertung eingehen, so aus naheliegenden Gründen: es ist sehr viel darüber gesagt worden, und das, was ausgesprochen worden ist, braucht nicht wiederholt zu werden. Nur hat man heute morgen so beiläufig gesagt, daß es auf eine objektive Geschichtsschreibung ankomme, und zwar auf eine objektive Geschichtsschreibung — so habe ich es wenigstens verstanden — in dem Sinne, daß man die Hintergründe und Zusammenhänge der Aufwertung aufzudecken gedenke. Wenn man wirklich um eine objektive Geschichtsschreibung im Hinblick auf diese Aufwertung bemüht ist, dann bin ich bereit, meine Damen und Herren, auch von meiner Seite ein Dokument zur Verfügung zu stellen, in dem deutlich und klar gesagt wird, daß man aus wahlpolitischen Erwägungen nicht geneigt gewesen sei, der Aufwertung zuzustimmen.
Soweit diese kurze Bemerkung zur Historie und zu dem, was wir heute morgen gehört haben.Ein entscheidendes Problem scheint mir darin zu liegen, wie wir, wir alle miteinander, die kommende Entwicklung des konjunkturellen Ablaufs beurteilen. Heute morgen sind verschiedene Bemerkungen gemacht worden, mit denen man zum Ausdruck gebracht hat, daß man nicht so recht an die vorausgesagte Abflachung des konjunkturellen Verlaufs glaube. Ich bin der Meinung, daß wir darauf unser besonderes Augenmerk richten sollten. Denn aus den gegebenen Verhältnissen können wir auf Grund der vielfachen Unterlagen, die uns zur Verfügung stehen, doch in etwa zu einem einigermaßen brauchbaren und gesicherten Ergebnis kommen. Wir haben uns vorgenommen, die Auffassung des Sachverständigenrates unter dem Titel der „treibenden Kräfte des Booms" auf deren wahrscheinliche Entwicklung hin zu analysieren und damit den Verlauf für die nächsten Monate in etwa kenntlich zu machen. Mir scheint, daß in dem Zusammenhang einige wesent-
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Dr. Schachtschabelliche Punkte angedeutet und herausgehoben werden müssen.Erstens ist es eindeutig — darauf ist bislang in dem Sinne noch nicht abgehoben worden —, daß die Aulandsnachfrage nach deutschen Gütern zwar nicht zurückgegangen ist, die Zuwachsrate jedoch nahezu auf Null gesunken ist. Ich verweise auf den Monatsbericht des Bundeswirtschaftsministeriums vom Januar 1970 und auf Veröffentlichungen in privaten Zeitschriften. Dies bedeutet — als Folgerung aus diesem Ansatz der Analyse daß sich von dieser Seite her keine weiteren negativen Folgen für die Geldwertstabiltät ergeben werden.Zweitens. Was die inländische Nachfrage nach Ausrüstungsgütern anlangt, so wird sowohl im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung als auch im Gutachten des Sachverständigenrates die Auffassung vertreten, daß die Investitionsausgaben in der zweiten Hälfte 1970 zurückgehen werden. Diese Prognose wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zutreffen; denn einerseits werden mit zunehmendem Kostendruck und damit auch verschlechterten Selbstfinanzierungsbedingungen die Investitionsaussichten wegen der verringerten Gewinnmargen wieder nüchterner beurteilt werden, und andererseits ist mit einem zunehmenden Konsolidierungsbedarf bei den Unternehmern zu rechnen, da in Erwartung hoher Gewinne viele Investitionen kurzfristig finanziert wurden.In diesem Zusammenhang ist nicht zu vergessen, daß vielfach auch Anzahlungen, die von ausländischen Käufern geleistet wurden, um Aufwertungsverluste zu vermeiden, für Investitionszwecke eingesetzt worden sind.Und nun ein dritter Gesichtspunkt, der dabei eine Rolle spielt. Nach den Angaben verschiedener Forschungsinstitute, insbesondere des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, zeigt der Eingang von neuen Aufträgen bei der Investitionsgüterindustrie eher eine rückläufige Tendenz.Um schließlich noch einen Hinweis zu geben: auch vom Lageraufbau her ist nicht mit neuen Auftriebstendenzen zu rechnen, wenn auch nicht zu verkennen ist, daß insbesondere im ersten Halbjahr noch mit einer gewissen Lageraufstockung bei der Fertigwarenindustrie gerechnet werden muß.Fassen wir diese Überlegungen zusammen, so ergibt sich, daß von diesen drei boomtreibenden Kräften keine neuen Gefahren für die Geldwertstabilität ausgehen dürften. Wohl ist im Bereich des privaten Konsums möglicherweise vorübergehend mit einer gewissen boomtreibenden Kraft zu rechnen, doch wird beispielsweise von dem Berliner Institut, das ich nannte, in jüngster Zeit die Prognose aufgestellt, daß auch im Bereich des privaten Verbrauchs für das zweite Halbjahr 1970 ein Rückgang der Zuwachsraten gegenüber den vorausgegangenen Verhältnissen eintreten wird.
Herr Abgeordneter Dr. Schachtschabel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stoltenberg?
Gern. Vizepräsident Dr. Jaeger: Bitte sehr.
Herr Kollege Schachtschabel, haben Sie in diese Bewertung, die von dem in seiner Grundtendenz bekannten Berliner Institut stammt, auch die Feststellung der Bundesbank einbezogen, daß die letzten Auftragsziffern für Dezember immer noch über dem monatlichen Produktionsvolumen liegen, d. h. daß - auch im Gegensatz zu den Ausführungen von Herrn Schiller heute morgen — immer noch ein stärkerer monatlicher Eingangsauftrag da ist als die Produktionskapazität, und glauben Sie, daß man das dann noch so bewerten kann, wie Sie es tun?
Darf ich darauf antworten. Ich glaube ganz sicher, daß die Auftragseingänge im Augenblick noch massiert da sind. Das ist ganz richtig, daran ist auch gar nicht gezweifelt worden. Aber vergessen Sie bitte nicht, in welchen Monaten des Jahres wir uns befinden. Wir befinden uns zu Beginn dieses Jahres, und es ist eine bekannte Tatsache, daß Auftragseingänge — und das ist ein Erfahrungsgrundsatz, den man allgemein kennt -- sehr schnell eine rückläufige Tendenz aufweisen können. Ich schätze und achte die Ergebnisse der Deutschen Bundesbank außerordentlich, aber — ich komme gleich darauf — ich bin auch der Meinung, daß damit noch nicht ein endgültiges Resultat zum Ausdruck gebracht worden ist.Meine Damen und Herren, darf ich noch einmal an die Zusammenfassung anknüpfen, die ich eben für diesen Teil meiner Ausführungen vorgesehen habe. Ich habe gesagt, daß von diesen boomtreibenden Kräften, von denen ich gesprochen habe, keine neuen Gefahren für die Geldwertstabilität ausgehen dürften. Wir sind durchaus der Meinung, daß im Bereich des privaten Konsums vorübergehend mit einer gewissen boomtreibenden Kraft zu rechnen ist. Von anderer Seite ist beispielsweise auch vorausgesagt worden, daß im Bereich des privaten Verbrauchs für das zweite Halbjahr 1970 ein Rückgang der Zuwachsrate gegenüber dem zweiten Halbjahr 1969 anzunehmen ist. Sicherlich kann im Rahmen der Globalsteuerung — und darauf müssen wir nachher noch einige Akzente legen - auch auf den privaten Bereich eingewirkt werden, doch sollte stets beachtet werden, daß stabilitätspolitische Maßnahmen das Ziel eines stetigen Wirtschaftswachstums nicht beeinträchtigen.Die Gefahren einer Rezession, meine Damen und Herren, auf die auch der Sachverständigenrat hinweist, können nicht mit einem Hinweis auf die gegenwärtige Lage vom Tisch gewischt werden. Wenn man nämlich die mit großer Wahrscheinlichkeit - ich sage: mit großer Wahrscheinlichkeit -für das zweite Halbjahr 1970 vorausgesagte Entwicklung im Auge behält, so wäre es unter Berücksichtigung des time-lag zwischen Einleitung und Wirkung wirtschaftspolitischer Maßnahmen — ich möchte vorsichtig formulieren - gefährlich, zu harte stabilitätspolitische Maßnahmen zu ergreifen,
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1286 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Dr. Schachtschabeldie an den gegenwärtigen, aus verzögerter Stabilitätspolitik des vergangenen Jahres resultierenden Folgen nichts mehr ändern, wohl aber zu einer neuen gefährlichen Abflachung im zweiten Halbjahr 1970 führen können. Da, meine Damen und Herren, gilt wohl auch das Wort, daß man sorgsam darum bemüht sein muß, die gegenwärtige Konjunkturpolitik im Sinne der Abschwächung und der Bremsung nicht zu übersteuern. Es ist durchaus richtig, was in diesem Zusammenhang auch vorhin gesagt worden ist, daß Schritt für Schritt das abgebaut werden muß, was auf uns zugekommen ist.Lassen Sie mich noch auf einen Punkt aufmerksam machen, von dem ich glaube, daß er heute morgen in einer gewissen Art und Weise hervorgehoben worden ist, um die Wirtschaftspolitik in Frage zu stellen. Dazu, glaube ich, ist es notwendig, ein paar Bemerkungen zu den Grundlagen der jetzigen Wirtschaftspolitik zu machen, die von der Bundesregierung vertreten wird. Mag man sie nennen, wie immer man will, ich würde sie als eine rationale Wirtschaftspolitik bezeichnen, wobei ganz gewiß die Prognosen und Projektionen als Grundlage einer solchen Wirtschaftspolitik ausschlaggebende Bedeutung haben. Wir haben heute morgen in einem anderen Zusammenhang gehört, daß man Projektionen als schlechte Wetterberichte bezeichnet hat, ganz zu schweigen von einigen anderen Bemerkungen, die über Prognosen und Projektionen gefallen sind, und abgesehen davon, daß ich sicher bin, daß darüber auch von anderer Seite noch gesprochen werden wird.Lassen Sie uns diese Vorgänge einmal verdeutlichen. Denn für die Wirtschaftspolitik und die wirtschaftspolitische Aktivität werden in zunehmendem Maße Wirtschaftsprognosen und Zielprojektionen herangezogen. Ich verweise nicht nur auf den Sachverständigenrat, nicht nur auf das Bundeswirtschaftsministerium, nicht nur auf den Deutschen Gewerkschaftsbund, sondern auch auf die vielen privaten Konjunkturforschungsinstitute. Allerdings — und darüber soll in keiner Weise der Schleier des Geheimnisses gedeckt werden — weichen die gerade für das Jahr 1970 vorausgesagten makroökonomischen Zielgrößen teilweise voneinander ab. Insofern sind Zweifel aufgetaucht, ob Wirtschaftsprognosen und Zielprojektionen geeignete Grundlagen der Wirtschaftspolitik sind, ob sie der Orientierungshilfe zur Abstimmung des Verhaltens autonomer Gruppen dienen, speziell auch für konzertierte Aktionen. Die Frage stellt sich auch für die im Rahmen des Jahreswirtschaftsberichts der Bundesregierung vorgelegten Jahresprojektionen.Prognosen und Projektionen beruhen auf einer Analyse zur Berechnung und Vorbestimmung künftiger Wirtschaftsverhältnisse unter Annahme bestimmter Daten. Die Analyse stellt also — ich zitiere — „ein Urteil über künftige Wirtschaftslagen" auf der Grundlage einer Diagnose der gegebenen Gegenwartslage dar. Sie dient der Festlegung und laufenden Überprüfung wirtschaftspolitischer Zielsetzungen. Die Prognose bildet somit die Voraussetzung und den Ausgangspunkt rationaler Wirtschaftspolitik, rationaler wirtschaftspolitischer Entscheidungen und Maßnahmen.Ich möchte an dieser Stelle gleich noch eines sagen, um damit etwaigen Erwägungen seitens der Opposition in einer bestimmten Richtung entgegenzutreten. Noch nie hat jemand, weder in der Wissenschaft noch in der Politik — es sei denn in Kreisen, die ich nicht kenne —, eine Prognose oder eine Projektion als Dogma oder als Evangelium bezeichnet.
Meine Damen und Herren, an Prognose und Projektion — ich glaube, das wissen wir aus unserem Erfahrungsbereich — sind allerdings zwei Anforderungen zu stellen. Zum einen sollen sie inhaltsvoll sein, und zum anderen müssen sie aller Wahrscheinlichkeit nach sicher und zutreffend sein und damit weitgehend oder gar perfekt realisiert werden können. Erfahrungsgemäß wird diese Bedingung bei langfristigen Wachstumsprognosen eher erfüllt als bei kurzfristigen Konjunkturprognosen.Es besteht kein Zweifel darüber, daß Prognosen und Projektionen seit ihrer Anwendung — auch hier im Rahmen der von der Bundesregierung praktizierten Wirtschaftspolitik — wesentlich verbessert worden sind. Sie sind schon geschmeidiger geworden, und es ist mit Gewißheit anzunehmen, daß sich dieser Vorgang der Verbesserung der Projektionen weiterhin fortsetzen wird. Es muß Ziel sein und bleiben, vor allem die Konjunkturprognosen zu verfeinern und gesichert auszugestalten. Auch der Sachverständigenrat stellt in diesem Sinne fest — ich verweise auf Ziffer 265 —, daß sich die Möglichkeit der Konjunkturprognose nachhaltig erweitern läßt — ich zitiere —, „wenn man die ökonometrische Konjunkturforschung intensiviert".Meine Damen und Herren, hier bietet sich für die Wissenschaft wie für die Praxis ein weites Feld der Betätigung. Herr Kollege Stoltenberg, ich greife Ihren Hinweis von heute morgen auf, den Sie zum Schluß Ihrer Rede gegeben haben, daß es eines intensiven Dialogs mit der Wissenschaft bedarf. So haben Sie es wohl formuliert. Ich möchte das, was ich hier als eine Ausweitung der ökonometrischen Konjunkturforschung bezeichne, auch mit in diesen Katalog eingefügt wissen. Wie hoch die ökonometrische Forschung veranschlagt wird, beweist die erstmalige Verleihung des Nobelpreises an die Wirtschaftswissenschaftler Ragnar Frisch aus Norwegen und Jan Tinbergen aus den Niederlanden. Beide Forscher haben sich u. a. durch ihre Forschungen und ihre praktische Tätigkeit auf dem Gebiet der Wirtschaftsprognose verdient gemacht.Noch eine Bemerkung zur Aussagefähigkeit von Jahresprojektionen. Die Aussagefähigkeit von Jahresprojektionen ist vor allem ein Problem der Informationsbeschaffung. Sowohl der Sachverständigenrat als auch die Bundesregierung haben darauf abgehoben, daß das konjunkturpolitisch relevante Informationssystem dringend verbesserungsbedürftig sei. Die Bundesregierung fügt ergänzend hinzu, daß sie sich bemühen will, „die Statistik" — ich zitiere —„hinsichtlich der Aussagekraft und der Aktualität weiter auszubauen", obwohl dieses Anliegen — darüber sollte man sich im klaren sein — sicherlich auch mit relativ hohen Kosten verbunden ist.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1287
Dr. SchachtschabelZiel muß es aber sein, Zielprojektionen auf der Grundlage einer flexiblen oder rollierenden Planung zu erstellen, wie dies im unternehmerischen Bereich schon längst praktiziert wird, dort allerdings mit dem Unterschied, daß offenbar diese Prognosen und Projektionen oder, wie man gemeinhin sagt, die Planungen nicht ideologisch belastet zu sein scheinen. Bei uns herrscht immer die Vorstellung, daß man, wenn man die Worte „Prognose", „Projektion" oder gar „Planung" in den Mund nimmt, in die Nähe irgendwelcher autoritären und zentralverwaltungswirtschaftlichen Systeme rückt.Im unternehmerischen Bereich ist die Planung eine übliche Angelegenheit; denken Sie an Finanzplanung, Absatzplanung und entsprechende Überlegungen.
— Ich komme gleich darauf. — Wie dort, so lassen sich auch für die gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen gewisse, wenn auch elastisch zu haltende Prognosen und Projektionen erarbeiten.Es kann und soll nicht behauptet werden, daß Prognosen und Zielprojektionen gegenwärtig schon absolut sicher oder gar unfehlbar sind. Doch besteht kein Zweifel darüber, daß sie trotz ihrer derzeitigen Mängel die Grundlage einer zielorientierten und wirkungsvollen Wirtschaftspolitik sind. Sie ermöglichen eine rationale wirtschaftspolitische Aktivität, die unbestreitbar besser und erfolgreicher ist als der im Rahmen wirtschaftlicher Laissez-faire-Vorstellungen praktizierte Interventionismus, der nachträglich an Symptomen herumkorrigiert hat,
wobei es sich um eine Wirtschaftspolitik handelt, die fallweise, punktuell und meistens nur nachträglich dann eingesetzt worden ist, wenn es schon zu spät gewesen ist.
Es geht heute, wie der Sachverständigenrat bereits in seinem Jahresgutachten 1967 Ziffer 282 konstatiert und wie er im Jahresgutachten 1969/70 Ziffer 266 erneut betont, darum, daß — Zitat —„die Wirtschaftssubjekte mit glaubwürdigen Zukunftsinformationen versorgt werden müssen, um die Funktionsfähigkeit des Marktmechanismus" zu verbessern. Ziel ist in der Tat, darüber gibt es keinen Zweifel, ein System der Globalsteuerung zu entwickeln und improvisierte konjunktur- und haushaltspolitische Maßnahmen — ich sage: improvisierte — zu vermeiden, die bekanntlich wenig erfolgreich eingesetzt worden sind.Allerdings ist verschiedentlich behauptet worden, und jüngstens sogar da und dort in gewissen Veröffentlichungen, die den Anspruch erheben, wissenschaftlicher Art zu sein, daß die Zielprojektionen, weil sie der Globalsteuerung im makroökonomischen Bereich dienen, den Verhandlungsspielraum der privaten Wirtschaftssubjekte einengen und wegen der geringen Glaubwürdigkeit das unternehmerische Risiko erhöhen. Es ist, wenn ich es recht verstanden habe, heute morgen am Rande auch darauf abgehoben worden. Nun, meine Damen und Herren: „Einengung des Verhandlungsspielraums" und gar „wegen der mangelnden Glaubwürdigkeit eine Erhöhung des unternehmerischen Risikos" — wir können derartigen Argumentationen nicht folgen. Denn für den Unternehmer sind makroökonomische Größen einerseits Daten, also Größen, die er durch sein Handeln nicht direkt beeinflussen kann, sie sind keine sogenannten Instrumentvariablen. Andererseits erhöhen Prognosen und Projektionen den Grad der Information über diese Daten. Zugleich sind sie Informationsquelle für alle Instanzen der staatlichen Wirtschaftspolitik sowie der Finanz- und Sozialpolitik und Richtschnur ihres Handelns.Auf alle Fälle zeigt die auf diesen Grundlagen aufgebaute Globalsteuerung an, in welcher Richtung der Wirtschaftsprozeß abläuft und welche Maßnahmen von den wirtschaftspolitischen Instanzen gemäß ihren Absichtserklärungen jeweils ergriffen werden. Ich bitte Sie, auch den Jahreswirtschaftsbericht zu vergleichen.Dies allerdings ist eine wesentlich bessere Grundlage für unternehmerische Entscheidungen als die in der Vergangenheit betriebene, wie es der Bundeswirtschaftsminister Professor Karl Schiller einmal formuliert hat, partielle und ad-hoc-Konjunktur- und Wachstumspolitik; wobei zu berücksichtigen ist, daß eine solche partielle und ad-hoc-Konjunktur- und Wachstumspolitik den Unternehmer plötzlich und unvorhergesehen vor völlig neue Situationen stellt.Schließlich ist es völlig abwegig, meine Damen und Herren, das System der Globalsteuerung auch nur in die Nähe zentralverwaltungswirtschaftlicher Systeme zu rücken oder rücken zu wollen. Wer dies tut, hat nicht die geringste Ahnung von einer modernen rationalen Wirtschaftspolitik.
Denn bei der Globalsteuerung handelt es sich nicht um ein imperatives System, um ein befehlendes System, so wie es in der Zentralverwaltungswirtschaft praktiziert wird, sondern um ein indikatives System, um ein richtungweisendes System. Diese Globalsteuerung ist und will nichts anderes sein als eine notwendige Orientierungshilfe, und zwar eine notwendige Orientierungshilfe wirtschaftspolitischer Aktivität im makroökonomischen Raum. Globalsteuerung ist für die unternehmerischen Entscheidungen, so meinen wir, eine grundlegende Hilfe. Sie baut Unsicherheiten und damit Risiken ab. Überdies trägt sie zur Erhöhung der Transparenz der Märkte bei und fördert die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs auch im mikroökonomischen Raum.Dies allerdings sollte zu dem Jahreswirtschaftsbericht gesagt werden, weil dieser Jahreswirtschaftsbericht nicht nur rückblickend ein' Ergebnis aufzeigt, von dem wir alle wissen, wie es politisch und wirtschaftspolitisch entstanden ist, sondern weil dieser Jahreswirtschaftsbericht auch eine
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1288 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Dr. SchachtschabelGrundlage für das darstellt, was vor uns liegt. Ich glaube, wenn man unter Berücksichtigung dieser Ausführungen und der damit gegebenen Einzelheiten, die ich andeuten konnte, auf die kommende Zeit unserer Wirtschafts- und Konjunkturpolitik blickt, daß man wohl das geeignete Instrumentarium hat, um auch der jetzt gegebenen Situation Herr zu werden, also eine Situation zu meistern, die ganz gewiß — und das soll nicht geleugnet werden — doch immerhin den gravierenden Punkt der Preisinstabilität zeigt. Doch sind wir der Meinung, daß ein solch ausgebautes wirtschaftspolitisches Instrumentarium auf der Grundlage der angedeuteten Voraussetzungen den Erfolg sichert, uns auch über die weitere Entwicklung hin in eine wachsende Wirtschaft hineinzuführen, und zwar bei gegebener Preisstabilität.
Das Wort hat der Abgeordnete Höcherl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob es Ihnen ähnlich gegangen ist wie mir, aber ich hatte den Eindruck, die Einbringungsrede des Herrn Bundeswirtschaftsministers wirkte etwas müde. Ich habe durchaus Verständnis für ihn. Er ist in einer schwierigen Situation: kaum 120 Tage an der Regierung und schon so ernste Schwierigkeiten, die auch den Herrn Bundeskanzler veranlaßten, das Wort zu ergreifen mit einer allgemeinen Vertrauenswerbung. Zur Sache selbst ist noch nicht viel gesagt worden. Ich nehme an, daß das noch kommt.
Es ist schade, Herr Bundeswirtschaftsminister Schiller, wir kennen Sie als einen feurigen und angriffslustigen Redner. Das war heute ganz und gar nicht so die Art, wie wir Sie kennen. Aber wenn man unter dem Druck eines so verschwenderisch ausgestatteten Regierungsprogramms steht und halten soll, was so großartig versprochen wurde, dann kann ich verstehen, daß das nicht so einfach ist.
Wie mutig und aggressiv Professor Schiller zu argumentieren wußte, meine Damen und Herren, das sollten Sie einmal aus folgenden Sätzen entnehmen, die am 1. Dezember 1965 in der Jungfernrede — nein, ich muß sagen: Premiere, Jungfernrede ist hier nicht angebracht — gefallen sind:
Aber mich interessiert außerordentlich . . . — und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie darüber Auskunft geben könnten —, . . . was für eine Preissteigerungsrate Sie für die mittelfristige Finanzplanung einsetzen.Darüber möchte ich gern eine Auskunft vonIhnen haben. Ich habe Ihnen gesagt, daß wir inunseren Planungen eine abfallende Preissteigerungsrate eingesetzt haben. Sie mögen darüber reden, wie Sie wollen. Aber wir haben eine Zielgröße, die als solche doch schon von Bedeutung ist, weil sie die Absichten derjenigen, die das machen, wiedergibt.Heute sind Sie diejenigen, die das machen.
— Wir werden sehen, ob der Dank berechtigt ist.Dann wollen wir also wieder auf die Zahlen zurückkommen. Ich war bei der einkalkulierten, antizipierten . . . Preissteigerungsrate für die nächsten vier Jahre.Da hätte ich gern gewußt, was der Herr Bundesfinanzminister vorhat. Wir haben von uns aus bekannt, wie wir uns die Sache vorstellen . . . Vielleicht kommen Sie auch auf die abfallenden Preissteigerungsraten 3 — 2, 2 — 1. Dann würde ich mich sehr freuen. Aber gehört haben wir die Zahlen noch nicht.Wir auch nicht, Herr Bundeswirtschaftsminister.
Das war ein Zitat aus der Bundestagssitzung vom 1. Dezember 1965. Sprecher war der damalige Bundestagsabgeordnete, der letzte und heutige Bundeswirtschaftsminister Professor Dr. Schiller, den wir aus der „Talsohle" über den „Aufschwung nach Maß" — bis zum Übermaß — in der Großen Koalition jetzt auch noch auf eine Konjunktursafari „Stabilität ohne Stagnation" begleiten sollen.
Dieses Zitat, meine Damen und Herren, aus der Premiere des damaligen Bundestagsabgeordneten Schiller, das ich in Ihr Gedächtnis zurückrufen durfte, hat hohen Aktualitätswert. Es stammt sozusagen aus der „klassischen Zeit" von Professor Schiller.
Weil die Frage so klassisch und so aktuell ist, möchte ich sie mir aneignen und die Bundesregierung, vor allem den für die Konjunkturpolitik verantwortlichen Bundeswirtschaftsminister fragen — das ist die berühmte Gretchenfrage, die heute schon gestellt wurde —: Wie halten Sie es mit der Preissteigerungsrate für die nächsten vier Jahre? Haben Sie in Ihrer Planung eine Kadenz 3 — 2 — 1 vorgesehen?Wir alle wissen, wie sehr die Bevölkerung von dieser Entwicklung beunruhigt ist. Niemand sollte sich über diesen Prozeß der Preissteigerungen wundern. Was hat die Regierung in dieser Situation getan? Was sie getan hat, war „Seelenmassage nach freischaffender Künstler Art; aber wohin soll die Reise gehen?" — ebenfalls ein Zitat von Herrn Professor Schiller. „Wo ist das sagenhafte Instrumentarium, wo das moderne Lehrbuch, wo die Wirksamkeit Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik? Wo ist die Politik, um die ungeheuren Preissteigerungsraten" — damals — „Schritt für Schritt zurückzubringen? Im nebligen Dämmerlicht dieser Re-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1289
Höcherlgierung wird nichts klar, nichts deutlich" - sodamals gesagt, so heute gültig.
Der Jahreswirtschaftsbericht, über den wir zu diskutieren haben, ist sozusagen der amtliche Überbau über dem Jahresgutachten des Sachverständigenrates, das im agrarpolitischen Teil eine sehr, sehr schwache Stelle hat,
meines Erachtens die schwächste Stelle. Genau das gilt auch für den Jahreswirtschaftsbericht. Dort wird in allem Ernst die Alternative aufgestellt, daß es dem deutschen Bauern gleichgültig sein könne, ob er das Geld aus der Staatskasse oder über den Markt und über den Preis bekomme.
Der Überbau über dem Jahresgutachten des Sachverständigenrates und alle übrigen mit der Erforschung des Konjunkturverlaufs befaßten Einrichtungen ist für meinen Geschmack zu polemisch und stellenweise sogar feuilletonistisch abgesetzt. An mehr als zehn Stellen wiederholt sich der Hinweis auf die verspätete Aufwertung und ihre Folgen, und auch heute hat es in allen Regierungsbeiträgen nicht nur Fußnoten, sondern nur diesen einzigen Grund gegeben. Der Bericht geht großzügig an den liquiditäts- und zinspolitischen Folgen der Aufwertung vorbei, mit denen wir uns zur Zeit auseinandersetzen müssen. Diese Methode ist nicht neu. Mit der Gründung der Großen Koalition wurde der gleiche Film abgespult, als Sie eine Rezession aus koalitionstaktischen und profiltaktischen Gründen zu einer großen Krisis umfunktionierten.
Ich will nun den unseligen Aufwertungsstreit nicht wieder abspulen. Aber so viel steht nach dem öffentlichen Hearing mit dem früheren Bundesbankpräsidenten Blessing vor dem Bundestag fest, nämlich daß die Bundesbank die Aufwertung schon im September 1968 gefordert hat. Sie haben heute den schönen Leitsatz gebraucht: „Mit der Bundesbank Arm in Arm." Als Sie noch fleißig Koks in den Ofen der Konjunktur schütteten, hat die Bundesbank die Aufwertung gefordert. Wenn man sich also auf den Boden der Aufwertungsbefürworter stellt — das ist für mich kein Dogma, sondern eine technische Frage , war auch das Frühjahr 1969 zu spät;
um auch hier die Dinge einmal klarzustellen.
Ich will auf eine Wiedergabe Ihrer vielen, vom November 1968 his in das Frühjahr 1969 reichenden prozyklischen Äußerungen und Vorschläge zu dieser Frage verzichten. Im Mai 1969 aber war ein Vorschlag von 6,25 % angesichts der bereits bestehenden 4%igen außenwirtschaftlichen steuerlichen Absicherung nicht mehr als seriös zu bezeichnen.Sie, Herr Professor Schiller, haben mehr als jeder andere die Aufwertung zu einem Wahlkampfthemagemacht und die Öffentlichkeit in den Glauben versetzt, daß die Aufwertung die einzige Wunderwaffe sei, den Boom in Wachstum mit Stabilität zu verwandeln. Wenn aber jemandem in öffentlichen Äußerungen Zurückhaltung in bezug auf die Währungsfrage auferlegt war, dann dem für die Währungspolitik verantwortlichen Ressortminister.
Aber damals schien es Ihnen wichtiger zu sein, Schiller-Kreuze für die Wahl zu sammeln. Sie haben Ihre währungspolitischen Vorschläge sogar mit dem sehr seichten Argument des Tourismus unterstützt und dabei die auf der Lauer liegende internationale Spekulation geradezu angereizt.
Wir stehen heute vor den Folgen, nachdem andere Partnerstaaten, mit denen wir eng verflochten sind und die ebenfalls bis zum heutigen Tage aufwertungsverdächtig sind, nicht mitgezogen haben. Es ist auch intellektuell nicht zu rechtfertigen, aus dem dichten Netz von Sachbezügen, das für eine Konjunkturlage verantwortlich ist, einen wenn auch sehr bedeutsamen - das soll nicht bestritten werden - Faktor herauszugreifen und die ganze Analyse darauf zu konzentrieren.Sie haben schließlich Ihre Aufwertung am 27. Oktober vergangenen Jahres de jure vollzogen, aber ohne ausreichende Vorbereitung wenigstens im EWG-Bereich, der sich seit dem 17. Juli 1969 zu einer gemeinsamen Konjunkturpolitik verbunden hatte. Im übrigen hatte ich schon zum Ausdruck gebracht, daß die Koordinierung der wirtschaftlichen Zielvorstellungen innerhalb der EWG nach unserer Auffassung nicht die Preisgabe der Währungsstabilität bedeuten darf.Wir bejahen die in dem EWG-Wirtschaftsbericht programmierten Leitvorstellungen, aber wir vermissen hinrreichend konkrete Harmonisierungsschritte in wichtigen Bereichen und wir bedauern vorschnelle Kompromisse. Wir bezweifeln aber auch, ob bei dem gegenwärtigen Stand das Instrumentarium zur tatsächlichen Koordinierung der Wirtschaftspolitik bereits ausreicht.Der sprachschöpferischen Beredsamkeit, die wir so sehr an Ihnen schätzen, Herr Minister Schiller, folgen ein Tal des Schweigens und eine Zone des Zögerns im Handeln, nachdem Sie immer so viel geredet hatten.
Mit erheblicher Verzögerung ist dann Ende Januar 1970 unter dem Druck der öffentlichen Meinung und dem Drängen der Opposition der Katalog flankierender Maßnahmen gefolgt, den wir im Ansatz für richtig, im Zeitpunkt aber und im Ausmaß für unzureichend, unterernährt und zu schematisch halten. Eine Haushaltsführung über ein halbes Jahr mit einem Zwölftel läßt jede Prioritätsrücksicht vermissen. Vor allem auf dem konjunkturneutralen, ja, ich möchte sagen, antizyklischen Sektor der Strukturpolitik wären heute, in dieser Situation, einmalige Gelegenheiten.
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1290 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
HöcherlSie, Herr Professor Schiller, und ich haben damals zusammen strukturpolitische Projektionen entworfen. Jetzt, in der Zeit des Booms, wäre Gelegenheit und stünden auch die Mittel zur Verfügung, um hier Entscheidendes nachzuholen. Wäre es nicht angebracht, in der jetzigen Phase hoher Steuerüberschüsse und der Haushaltssperren der Strukturpolitik ein verstärktes Augenmerk zu widmen, aber auch auf dem Gebiet der Altenfürsorge, der Krankenfürsorge, der Erholungs- und Sportstätten und nicht zuletzt im Bildungsbereich etwas zu tun? Zu allermindest müßten meines Erachtens die zweifellos zu erwartenden Steuermehreinnahmen, die über die Schätzungen hinausgehen werden, für diese Zwecke sichergestellt und gebunden werden.
Die Reduktion der Ausgaben noch im Haushaltsjahr 1969 hätte dem Aufwertungsbeschluß auf dem Fuße folgen müssen. Dann wäre es auch nicht zu der Ausgabenhypertrophie, zu diesem Wildwuchs im November und Dezember 1969 gekommen. Kollege Stoltenberg hat einen Betrag von 3 Milliarden DM als Vergleichszahl genannt, die dann listig zur Verniedlichung des Ausgabensteigerungssatzes Verwendung gefunden hat. Eine wirkliche Flaggenparade!In diesem Zusammenhang darf nicht die verschwenderische, auf Schau gemachte Regierungserklärung mit dem Füllhorn von Versprechungen vergessen werden. Wir warten aber noch heute auf die Antwort auf die Kleine Anfrage — Drucksache VI/215 — der Abgeordneten Strauß und Genossen, in der auf vier Seiten dieses maßlos übersetzte Programm der inneren Reformen auf den Prüfstand des Haushalts und des Stabilitätsgesetzes gestellt werden muß. Wenn auch ein großer Teil dieses Premierenerfolges in der Regierungserklärung durch Abstriche, Verschiebungen und Korrekturen wieder verblaßt ist, so hätten Sie als der für die Konjunkturpolitik und für die Konjunktur verantwortliche Minister ein solches Tableau nicht durchgehen lassen dürfen. Sie waren drei Jahre in der letzten Regierung und hatten Zugang zu allen Informationen. Es gibt also keine Entschuldigung für eine solche unhaltbare politische Versprechenseskalation.
Meine Damen und Herren, wenn das, was man aus dem schwachen Rinnsal der für die Opposition fließenden Informationen aus dem Regierungslager entnehmen kann, richtig ist, wollten Sie in den Dämpfungsmaßnahmen — genauso wie damals beim Aufwertungssatz — noch etwas höher greifen. Dieses Mal hat Sie aber nicht eine starke Regierungspartei an den guten Werken konjunkturpolitischer Barmherzigkeit gehindert, sondern es waren Ihre eigenen Freunde und der David der Kleinen Koalition.
In diesem Zusammenhang muß ich die Frage stellen, wie einige Textziffern des Jahreswirtschaftsberichts aufzufassen sind. Dort ist in verschleiernden Worten die Möglichkeit angesprochen, offen auch weiterhin in die Saiten des Aufwertungsinstruments zu greifen. Soll das heißen, daß Sie — worüber esInformationen gibt — bei Fortsetzung dieser Preisentwicklung in anderen Ländern, vor allem die zweite Rate der Aufwertung, mit der Sie im Kabinett durchgefallen sind, aus dem Zylinder Ihres magischen Trickkastens holen oder überhaupt immer nach Bedarf hilfreich für die anderen an dieser Schraube drehen wollen? Können Sie, Herr Professor Dr. Schiller, die Inflationspolitik des Auslandes sachgerecht einschätzen?Der Jahreswirtschaftsbericht mündet wie in den vergangenen Jahren in die kurz- und mittelfristigen Zielvorstellungen. Ich brauche hier den Weg der Irrungen und Wirrungen, die bis in Ihre letzte Projektion hineinreichen, nicht nachzumessen. Der Bericht der Bundesbank muß eine arge Enttäuschung für Sie gewesen sein.
Die Zielvorstellungen stimmen zum Teil bis zu hundert Prozent nicht. Projektionen sind sicher ein wichtiges Instrument, aber man sollte sie nicht als Dogma hinnehmen. Zahlenspiele dienen gewöhnlich mehr zur Vernebelung der Schau. Die neuen Projektionen stellen darüber hinaus einen Bruch in der bisherigen Entwicklung dar, den wir als Opposition nur zutiefst bedauern können.Sie haben in der Textziffer 24 die Abweichungen des Ist vom Soll sehr geschickt in absolute Zahlen verpackt und in Relation zum Bruttosozialprodukt gesetzt und damit einen Test Ihrer prophetischen Kraft gegeben. In Prozentsätzen ausgedrückt ist dieses Bild etwas eindrucksvoller. Wir kommen bei den Prozentsätzen zu Abweichungen bis zu 100 % und mehr. Das will schon etwas bedeuten. Wenn auch diesen Zahlen keine verpflichtende Kraft zukommt, so sind sie doch in offizielle Gewänder und Kostüme gekleidet, die in der Regel Aufmerksamkeit und Beachtung bei dem obrigkeitshörigen Bürger — und so ist das System auch angelegt und gemeint — finden. Die kleinen Verbesserungen durch das Abgehen von den letzten Stellen hinter dem Komma und das Ausweichen auf Margen und Bandbreiten ist zwar ein Ansatz, aber eben nur ein Ansatz zu besserer intellektueller Reflexion.Das Bundeswirtschaftsministerium hat im November 1968 in einer Broschüre über die Methoden zur Erstellung und Projektierung der mittelfristigen Wirtschaftsentwicklung mit bemerkenswerter Offenheit die vielen Unbekannten einer solchen Gleichung dargestellt. Für die Öffentlichkeit erscheinen aber schließlich immer wieder kompakte und feste Zahlen, die nach Abstammung und Herkunft regierungsamtlichen Charakter tragen und damit geeignet sind, die Wirtschaftssubjekte zu beeinflussen.
Warum werden im Jahreswirtschaftsbericht, der doch letzten Endes eine politische Aussage darstellt, diese vielen Fehlerquellen angesichts der unübersehbaren Faktoren, die den Wirtschaftsprozeß steuern, bei den nach wie vor dürftigen statistischen Unterlagen — um deren Verbesserung sich die Regierung bemühen sollte — nicht deutlicher herausgestellt? Dabei kommt es entscheidend auf die nicht quantifizierbaren psychologischen Faktoren in
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1291
Höcherleiner freiheitlichen Wirtschaft an, die durch die Entscheidungsträger in diesen Prozeß hineinwirken, so daß es an einer tragfähigen Basis sowohl für eine sichere Prognose als auch noch mehr für eine Globalsteuerung, dem liebsten Kind unseres Bundeswirtschaftsministers, fehlt.Natürlich soll nichts generell gegen das Instrument einer Globalsteuerung, gegen diese Methode gesagt werden. Aber es hat keinen Sinn, dieses Instrument wie ein Evangelium zu behandeln. Viel wichtiger wäre es, das Vertrauen zu stärken, die selbstregulierenden Kräfte in der Wirtschaft zu wecken, um dem Volk das Bild einer Regierung zu geben, die mit Wachstum und Stabilität umzugehen weiß, wachsam, skeptisch und ohne heimliche Fluchtgedanken in eine gemütlichere Welt des sogenannten modernen SPD-Deutschland.
Gravierend und hochpolitisch wird die Sache aber, wenn diese Projektionen als wirtschaftspolitische Zielsetzungen aufgenommen werden und die kurz- und mittelfristige Wirtschaftspolitik allein darauf abgestellt wird. Hier stellt sich für die Opposition die entscheidende Frage, die immer und von allen Rednern hier angesprochen worden ist. Ich möchte sie von einer anderen Seite beleuchten: Das Problem der Stabilität, verbunden mit den weitreichenden Zielen einer besseren Verteilung des Vermögens und der Gesellschaftspolitik, die nicht nur auf lange Sicht die Vollbeschäftigung, Wachstum und eine ausgeglichene Zahlungsbilanz bestimmen. Für die Opposition ist die Stabilität der zentrale Faktor in dem magischen Viereck der Stabilitäts- und Wachstumsgesetze.Es geht um ein entscheidendes wirtschaftliches Gut der breiten Schichten unseres Volkes, was folgende Zahlen zeigen mögen. Eine Preissteigerungsrate von 3 °/o, wie Sie vor wenigen Tagen noch geschrieben haben — die Tinte ist noch nicht trokken —, die heute bereits bei 31/2 % steht, bedeutet einen Kaufkraftverlust für den Verbraucher von jährlich 10 Milliarden DM und für den Sparer einen Verlust von 7 bis 8 Milliarden DM pro Jahr.
Ein solcher Betrag entspricht in etwa den Dimensionen, die für ,die Vermögensbildung insgesamt eingesetzt werden. Das ist eine Zumutung für den deutschen Sparer; denn der Betrag erreicht die Größenordnung aller Förderungsmaßnahmen der Regierung zur Vermögensbildung der breiten Schichten.Für uns ist die Sicherheit der Währungsstabilität das Kernproblem, ebenso wie eine gleichmäßige Verteilung der Vermögen. Wir sind auch nicht bereit, im Interesse kurzfristiger Wachstumsgewinne dieses Anliegen in Frage stellen zu lassen. Wenn sich diese Regierung als Regierung der inneren Reformen deklariert, dann ist es um so unverständlicher und widersprüchlicher, wenn sie von vornherein zuwenig Willen und Tatkraft zur Erhaltung dieser gefährdeten Stabilität bekundet.Es sind so unerhörte Beträge, die hier in der Diskussion stehen und die sich nur kraft des mehr oder weniger anonymen Ablaufs in ihrer Bedeutung nicht mehr und nicht ganz ins Bewußtsein der breiten Öffentlichkeit einprägen. Damit ist ihre Wirkung aber keineswegs erschöpft. In unserer bisherigen Wirtschaftspolitik über 20 schwere Jahre hinweg, in den Aufbaujahren während der Nachkriegszeit, ist es uns gelungen, Sie, die Linken, einmal zur sozialen Marktwirtschaft zu erziehen
und die Kontinuierlichkeit des Wachstums und des Zahlungsbilanzausgleichs sicherzustellen, mit der wir mit einigen wenigen Staaten vergleichbarer Art über 20 Jahre einsam die Spitze der Stabilität gehalten haben. Damit ist nachgewiesen, daß die Stabilität — und nur sie — die wahre Quelle der Vollbeschäftigung, aber auch des Wachstums und damit auch einer geordneten Zahlungsbilanz ist, die uns zu den Leistungen an das Ausland, zu den politischen Zahlungen, dem erstaunlichen Beitrag zur Entwicklungshilfe und dem zunehmenden Kapitalexport befähigen. Wir sind der Auffassung, daß das wirtschaftliche Wachstum langfristig nur durch die Erhaltung der Währungsstabilität gesichert werden kann. Kurzfristige Wachstumsschwankungen, auch wenn es einmal jährlich nur 1 bis 2 % sein sollten, sind langfristig letztlich eine solidere Politik.Nach § 1 des Stabilitätsgesetzes — daran muß neuerdings erinnert werden — ist die Regierung verpflichtet, „bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten". Alle diese Maßnahmen „sind so zu treffen, daß sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus" und zu den übrigen Kategorien beitragen. Nun frage ich Sie: Wo ist der 'Beitrag der Bundesregierung zur Stabilität? Im übrigen hat ein internationaler Vergleich, der jüngst in einer wissenschaftlichen Arbeit an 15 Industriestaaten über 50 Jahre hinweg geführt wurde, ergeben, daß es die Stabilität und nur sie ist, die auch die entsprechenden Wachstumsraten gesichert hat. Das beste Beispiel sind die 20 Jahre, in denen wir selbst die entscheidende Regierungsverantwortung mit der Stabilitätspolitik getragen haben,
Wir verstehen aber diesen Begriff der Stabilität keineswegs in den engen Grenzen einer Zahlenreihe von 1 oder 2 0/0; wir verabsolutieren ihn auch nicht. Selbstverständlich muß dieser Begriff in einer Volkswirtschaft mit unausgenützten Produktionsfaktoren abgewandelt werden. Für uns aber ist Stabilität aus den angeführten Gründen der Basisfaktor jeder auf die Dauer erfolgreichen Konjunkturpolitik, und hier beginnen unsere ernsten Zweifel. Eine Preissteigerungsrate von 3 % für 1970 und von 2 bis 3 % für die mittelfristige Finanzplanung, die ihrerseits methodisch nach Ihrer Ausarbeitung, die ich zitieren konnte, in eine langfristige Vorausschau auf 15 Jahre eingebunden ist, ist für uns unerträglich, nicht nur deshalb, weil schon das Inkaufnehmen1292 Deutscher Bundestag — 6. WahlperIode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970Höcherleines für unsere bisherige Praxis und für unser Empfinden — wir Deutschen sind nach den Währungskatastrophen hochempfindlich — extrem hohen Satzes bedeutet, daß man erst bei Erreichen oder gar bei Überschreiten dieses bereits zu hohen Ansatzes auf die Bremsen tritt. Wir glauben, daß eine Projektion von 3 % auch bei weiter Interpretation des Stabilitätsgesetzes im Widerspruch zu dem Geist und dem Wortlaut dieses Gesetzes steht.Für uns ist es keineswegs eine Empfehlung, daß die EWG in ihrer mittelfristigen Finanzplanung einen ähnlichen Satz für die harmonisierte EWG-Wirtschaftspolitik empfiehlt. Koordinierung der EWG-Konjunkturpolitik muß mehr sein als nur die Mittlung der Inflationsraten, zumal wenn der deutsche Wirtschaftsminister, wie er auch heute bekannt hat, die Federführung und die Initiative für die Koordinierung der EWG-Konjunkturpolitik in Anspruch nimmt. Wir sehen in diesem Vorgehen der EWG vielmehr eine offene Verletzung des Art. 104 der Römischen Verträge und ein trauriges Eingeständnis der Hilflosigkeit der EWG-Wirtschaft, Währungsdisziplin zu halten. Daß andere Staaten noch weit darüber hinaus geraten, erfüllt uns keineswegs mit Selbstgefühl, sondern mit Bedauern für die breiten Schichten von Sparern und Arbeitnehmern in diesen Volkswirtschaften.Das Wort „wirtschaftliches Wachstum" geht Ihnen so leicht von den Lippen, Herr Bundeswirtschaftsminister. Ich will dabei gar nicht auf Ihre sehr anfechtbare Behauptung zurückkommen, 1966 und 19673) seien uns Produktionen im Werte von 30 Milliarden DM entgangen, wobei Sie das Ergebnis des Booms von 1965 großzügig aus der Rechnung herausgelassen haben. Es gibt aber keine Auslegung, auch nicht der Keynes'schen Theorien, die es gestatten würde, wirtschaftliches Wachstum auf andere Gründe zurückzuführen als auf mehr Arbeit oder höhere Produktivität.
Das sind die beiden Elemente des Wirtschaftswachstums. Da für uns die Arbeitszeit nach unserem Menschenbild unter dem Gesetz der Degression steht, gibt es für dauerhaftes Wachstum nur den Weg über die ständig steigende Produktivität der Volkswirtschaft. Diese Produktivität hängt von einem ausreichenden Maß an Investitionen ab. Soweit diese Investitionen nicht durch Eigenfinanzierung entstehen, werden sie volkswirtschaftlich korrekt nur über den Sparprozeß ermöglicht. Es genügt also nicht das Strohfeuer einer manipulierten Konjunkturanheizung, sondern entscheidend ist die Förderung der Sparfähigkeit und des Sparwillens der breiten Bevölkerungsschichten.Ich darf wiederholen: diese Investitionen zur Verbesserung der Produktivität sind in korrekter Form nur über den Sparer zu gewinnen. Der verdienstvolle, unentbehrliche, meist verschwiegene Partner der wachsenden Volkswirtschaft, nämlich der Sparer, braucht Stabilität und Vertrauen. Deshalb auch ist für uns die Stabilität der zentrale Faktor als Voraussetzung für eine gleichgewichtige Entwicklung in Vollbeschäftigung und Wachstum mit geordneterZahlungsbilanz. Für unsere politische Auffassung garantiert die Stabilität auch die freiheitlich-wirtschaftliche Ordnung, die wir im Wettbewerb gegen die kollektiven Kräfte der östlichen Zentralverwaltungswirtschaften einzusetzen haben.Meines Erachtens kommt in den Diskussionen zum Sachverständigengutachten und zum Jahreswirtschaftsbericht ein Gedanke zu kurz, nämlich der Gedanke der rechten Ordnung im ökonomischen Bereich, vor allem einer besseren Vermögensbildung für die breiten Schichten. Die Opposition wird mit eigenen Vorschlägen und Konzeptionen ein weiteres Stockwerk auf ihre bisherige Vermögenspolitik über Sparförderung, Volksaktien und Eigenheime aufzubauen wissen.
Wie könnte diese Sparfähigkeit, diese Sparneigung besser gefördert werden als über die Stabilität, die die bisherigen Werte bewahrt und die neu zu schaffenden ermöglicht und sie garantiert? Wenn Sie aber schon 3 °/o Preissteigerungsrate einsetzen, dann erblicken wir darin eine Schwäche, eine Kapitulation vor den Einflüsterungen falsch verstandener Wachstumspolitik.
Im übrigen ist die Entwicklung bereits über diese 3 %hinweggegangen. Die Preise für die Investitionsgüter sind um mehr als 5 % gestiegen. Bis sie die Produktions- und Handelsstufe erreichen, wird ein weiterer Druck auf die Verbraucherpreise ausgeübt, ganz zu schweigen von den administrierten Preisen. Ich habe durchaus Verständnis und erkenne es an, wenn Sie auf dem Verkehrssektor zu Margentarifen übergehen wollen. Aber sehen Sie sich auf dem breiten Sektor der administrierten Preise die Lage einmal an, vor allem in den städtischen Gemeinwesen, dann wissen Sie, wieviel es geschlagen hat! Die hohen Kreditkosten bei fallender Selbstfinanzierungsrate müssen sich mit der üblichen Verzögerung auf die Verbraucherpreise niederschlagen.Hilft eine internationale konzertierte Aktion oder, wie Sie es genannt haben, eine Abrüstung in der Zinspolitik? Wir haben Erfahrung mit Abrüstungskonferenzen. Diese internationale Abrüstungskonferenz zur Zinssenkung wird genau das Schicksal wie alle bisherigen Genfer Abrüstungskonferenzen haben.
Nach dem letzten Bericht der Deutschen Bundesbank wird auch die Bundesbank — wenigstens für die nächste Zeit — Sie auf dieser Expedition gar nicht begleiten können. Das ist deutlich und klar zum Ausdruck gebracht worden. Ihre Erwartungen hinsichtlich der Senkung der Nahrungsmittelpreise sind nur sehr bescheiden in Erfüllung gegangen. Es hat sich nämlich deutlich gezeigt, daß die Senkung der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise wegen ihres zunehmend geringeren Anteils am Endprodukt, das seinerseits die steigenden Kosten verdauen muß, sich eben nicht niederschlägt. Ihre Kraftanstrengung, der Kraftakt beim Mühlenkartell beleuchtet besser als andere Beispiele diese
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höcherlSituation. Meines Erachtens ist Ihnen hierbei sogar ein Rechenfehler unierlaufen, weil Weizen heute über dem Interventionspreis gekauft wird und eine ganze Reihe von kostensteigernden Faktoren unberücksichtigt geblieben sind.Die kalkulierte Importverbilligung hat ebenfalls enttäuscht. Das Ausland hat seine Preise erhöht und sie, von Ausnahmen abgesehen, auf unseren Markt abgewälzt. Die Preissteigerung des Auslandes hält an. Ob es in den hauptsächlichsten Konkurrenzländern zu einer Konjunkturabkühlung kommen wird, ist fraglich.Deshalb erscheint es unwahrscheinlich, daß die Zinsen auf dem Geld- und Kapitalmarkt angesichts des drohenden Liquiditätskollapses — um eine Neuschöpfung von Ihnen hier zu zitieren, Herr Bundeswirtschaftsminister in absehbarer Zeit fallen. Die Bundesrepublik ist im Bereich der Geld- und Kreditpolitik infolge der zunehmenden Integration im europäischen Bereich und der freien Konvertibilität, die als hoher Wert sicherzustellen ist, in ihrer Währungspolitik nicht mehr unabhängig. Diesem Umstand müssen wir konjunktur- und zahlungsbilanzpolitisch Rechnung tragen. Daher muß man immer mit einer Abhängigkeit des deutschen Zinsniveaus vom internationalen rechnen. Daß Ihnen der Zentralbankrat noch einmal entgegengekommen ist, ändert nichts an der prekären Situation. Es bleibt abzuwarten, ob uns eine Zinserhöhung zu einem Zeitpunkt aufgenötigt wird, zu dem es uns aus zahlungsbilanzpolitischen Gründen noch unangenehmer wäre als heute. Wir halten auch nichts von dem gekünstelten Versuch einer internationalen konzertierten Zinsmanipulation.Alles zusammengenommen stehen wir vor einer Steigerung des Kosten-Lohn- oder Lohn-KostenPaares - wie Sie wollen —, die es heute schon sicher erscheinen läßt, daß die 3 % weit überstiegen werden. Damit ist der Boden der Stabilität verlassen, für die Sie von der Oppositionsbank aus 1965 so goldene und stabile Worte gefunden haben.Auch Ihre Konzertierte Aktion agiert nicht für Sie genauso wenig wie der erfreuliche Versuch des neuen Präsidenten der Bundesbank, mit den Geschäftsbanken zu einer freiwilligen Selbstbeschränkung im Kreditbereich zu kommen, Erfolg hatte. Sie, Herr Professor Schiller, hatten mit Ihren wendungsreichen Soloaktionen im vergangenen Herbst selber dazu beigetragen, die Funktionsfähigkeit dieses Instruments zu mindern.Nachdem die lohnpolitische Entwicklung nun einmal in Gang gekommen ist; kann man sie schweilich für Nachzügler im Lohnprozeß abstoppen. Hier wäre z. B. ein entschiedenes Dirigieren am Beginn der Lohnentwicklungen notwendig und richtig gewesen.
Wir haben volles Verständnis dafür, daß die Arbeitnehmer nicht in der Rezessionsphase der Konjunktur und ebenso in der Hochkonjunktur Zurückhaltung üben wollen. Wir sind auch hier für ein kontinuierliches Verhalten und nicht für ein hektisches Hin und Her. Wir sind für Gespräche, die der Verständigung dienen. Aber sie können Kontinuität und Entschiedenheit im wirtschaftlichen Handeln nicht ersetzen.Im übrigen eine Bemerkung zu der von seiten der Regierungskoalition wiederholt aufgeworfenen Frage der Anhebung der Beamtenbezüge um 12 %. Meine Damen und Herren, studieren Sie einmal ganz genau, was in dem Bundesbankbericht steht! Auch dort ist die Frage abgehandelt. Dort steht, daß der Regierungsentwurf und die Entscheidung der Mehrheit genau die 12 % enthalten. Damit dürfte dieser Streit und dieses Argument wohl aus der Diskussion kommen.
— 12 % insgesamt. Eine Steigerung von 12 % stelltder Bundesbankbericht, den ich Ihnen dringend zulesen empfehle, bei Ihrer Besoldungsregelung dar.
- Da waren es auch 12 %. Hier ist gleichgezogen. Lesen Sie doch erst den Bericht! Sie haben ihn nicht gelesen.
- Nein, nicht in dem Manuskript, sondern in dem Bericht steht es. Auch Ihnen, Herr Wehner, würde es nicht schaden, wenn Sie gelegentlich Ihre Entwürfe mit etwas Material untermauern könnten.
- Das wäre besser, als ohne Bericht Zwischenbemerkungen zu machen.
Wer hätte im übrigen gedacht, daß der Star von einst, Herr Professor Schiller, der Hohn und Spott über die Maßhaltemaßnahmen Ludwig Erhards ausgegossen hat, auf dieses Instrument zurückgreifen muß!
Ich habe in diesem Zusammenhang eine ernste Frage. Aus ihrem Hause stammt das gefährliche Wort von der Preishysterie, das damals bei einer Steigerungsrate von 2,8 % gefallen ist. Ich frage Sie hiermit ausdrücklich: Identifizieren Sie sich mit diesen Äußerungen von maßgeblicher Seite Ihres Hauses? Wird hier in einer geschickten Rollenverteilung mit zwei Zungen gesprochen, die wir auch auf anderen Gebieten — ohne mich näher damit zu befassen — zu erkennen glauben?
Ist das jetzt die Stunde, in der die Preisstabilität im guten Sinne des Wortes Stück für Stück preisgegeben wird?
In der weiteren Folge des Jahreswirtschaftsberichts haben Sie das Programm der inneren Reformen, unter das Sie Ihre Regierung gestellt haben, wieder aufgenommen. Wir warten auf die finanzielle Darstellung dieses Programms und die Ab-
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Höcherlstimmeng mit Ihren Projektionen. Die bisherigen finanzpolitischen Maßnahmen stehen eher in Widerspruch zu den konjunkturpolitischen Notwendigkeiten. Die Sperrungen — nichts gegen die Methode —sind nicht ausreichend, weil sie nachweislich den Rhythmus der öffentlichen Ausgaben, des Haushaltsgebarens, fortsetzen — aber das kommt später, morgen in der Debatte -, wenngleich wir nicht verkennen wollen, daß in der Finanzpolitik ein höheres Maß an Stabilitätsbewußtsein zu erkennen ist. Die Haushaltszahlen lassen sich mit größerer Sicherheit ermitteln als das Zahlenwerk Ihrer Projektionen. Legen Sie diese Zahlen auf den Tisch, dann werden Regierungsprogramm, Konjunkturpolitik und Haushaltspolitik konkretisiert und konfrontiert werden. Sie selber haben 1965 den Satz ausgesprochen, daß die Regierung mit ihrer Opposition die Aufgabe hat, ihre Berechnungen vorzulegen, und entscheidend ist, daß das Parlament durch eine zentrale Stelle, die im vollen Besitz aller Informationen ist, orientiert wird — rechtzeitig orientiert wird — und die Möglichkeiten eines substantiellen politischen Entscheidungsspielraums bekommt.
— Das sollten Sie jetzt praktizieren, damals haben Sie das alles beanstandet. Ich stimme Ihnen zu, Sie sind am Zuge.Sie haben bei der Einführung des neuen Bundesbankpräsidenten von einer Allianz gesprochen, die zwischen der Bundesregierung und der Bundesbank geschlossen ist. Hoffentlich bleibt es eine Allianz und wird keine unheilige Allianz. Stabilität — ich darf es wiederholen — ist für uns die zentrale Aufgabe, weil sich alles andere davon ableitet. Unsere bisherige Politik der Stabilität, des Wachstums und der Vollbeschäftigung und des Zahlungsbilanzausgleichs hat eine Atmosphäre des Vertrauens geschaffen, den Arbeitnehmern eine ständige Wohlstandsvermehrung — der Herr Bundeskanzler hat heute mit Recht die 16 Milliarden Wertschöpfung allein des Jahres 1969 genannt — und ein anhaltendes Wachstum mit Stabilität garantiert, die Sparer überzeugen können und die Unternehmer ermutigt, den Verbraucher geschont und vor allem den Arbeitern eine immer bessere soziale Ausgestaltung ihrer Arbeitsplätze ermöglicht. Dieser ganze Prozeß — Sie haben ihn alle miterlebt und mitgestaltet — steht wohl einmalig im internationalen Vergleich da.Heute müssen wir um die Entwicklung der Preise und der Stabilität der D-Mark schon nach wenigen Monaten Ihrer Regierungszeit Sorge haben.
Die gleiche Sorge bewegt uns um unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit, den Zahlungsbilanzausgleich und die freie Konvertierbarkeit der D-Mark. Der Schlüssel zur Lösung ist nur die Stabilitätspolitik in der modernen Version ohne Frustrierung oder deflatorische Experimente und mit all der Heilkraft, die sie einschließt. Diejenigen, die den entscheidenden Teil unserer Wirtschaft tragen und die im Wirtschaftsprozeß in eigener, freier Verantwortung täglich ihre Aufgaben lösen, brauchen nur Zuversicht und Vertrauen, das ihnen nicht durcheinfallsreiche und schillernde Werbetexte, sondern durch die überzeugende Sachlichkeit moderner Wirtschaftspolitik zuwächst. Was bisher versprochen wurde, meine Damen und Herren, ist nicht zu halten. Was an Voraussicht geboten wurde — nur z. B. in der Einschätzung der Aufwertungsfolgen —, war unzulänglich und kurzsichtig, die Maßnahmen zögernd und ungenügend.Heute hat man einen neuen Sündenbock entdeckt, nämlich einen entlassenen Ministerialdirektor, der seinerseits durch eine Verordnung zu der Konjunkturanheizung beigetragen haben soll. Eine späte Entdeckung. Ich bin überzeugt, daß Herr Kollege Strauß morgen hier in aller Öffentlichkeit diesen späten Sündenbock schlachten wird.
Aber es ist mir ganz unbegreiflich, Herr Kollege Schiller, wie Sie aus einem solchen Vorgang eine Entschuldigung für Ihr drittes und viertes Anheizungsprogramm hernehmen wollen, nachdem Sie angeblich erst heute auf einen solchen Vorgang gestoßen sind. Ihr Bewußtsein konnte er damals nicht beflügeln oder beeinflussen.
Der Arzneimittelschrank des Stabilitätsgesetzes enthält noch eine Reihe von Medikamenten. Den Mut, sie anzuwenden, müssen Sie schon selber aufbringen.Summierung von Leistung, Wettbewerb sind die Herausforderungen unserer Zeit, die nur mit einer soliden Stabilitätspolitik durchgehalten werden können. Die Regierung sollte nicht etwas versprechen, was sie nur um den Preis der Stabilität in unserem Land realisieren könnte. Sie sollte überzeugend handeln, statt Zahlenakrobatik zu betreiben und einem fragwürdigen Prognosenglauben zu huldigen. Für eine ernsthafte, korrekte, stabilitätsbewußte Politik hat die Regierung unsere Unterstützung.
Herr Abgeordneter Höcherl, ich möchte den § 37 der Geschäftsordnung Ihrer besonderen Aufmerksamkeit empfehlen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Dohnanyi.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist hier schon zuvor vermerkt worden, daß die Reden, die von derOpposition heute vorgetragen woren sind, ein fast unverständliches Maß von Selbstgefälligkeit enthalten.
Wer, meine Damen und Herren, hat denn in den vergangenen 20 Jahren den Bundeskanzler gestellt? Meine Damen und Herren, müssen wir Sie an Ihren Spruch im Wahlkampf erinnern: Auf den Kanzler kommt es an? Wer hat denn die rechtzeitige Weichenstellung in der Wirtschaftspolitik 1969 verhin-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1295
Dr. von Dohnanyidert, der Wirtschaftsminister oder der Finanzminister,
der CDU-Bundeskanzler oder der Wirtschaftsminister? Meine Damen und Herren, haben Sie denn wirklich die Termine vom März bis August 1969 alle wieder vergessen?
- Ich weiß, jetzt zitieren Sie 1968. Das ist mirsehr lieb. Meinen sie denn, meine Damen und Herren, im November 1968 hätte der damalige Bundesfinanzminister Strauß seinen Kollegen Kiesinger nicht auch mit Rücktritt bedroht, wenn damals eine Aufwertung verlangt worden wäre?
Also, meine Damen und Herren, das kann doch nicht ziehen.Die Opposition hat in der Preisindexfrage heute die Rolle eines Schuldners gespielt, der dem Vergleichsverwalter — Gott sei Dank mußte es kein Konkursverwalter werden, die Wahlen waren dazwischen — vorwirft, daß das Unternehmen nicht nach drei Monaten schon wieder Gewinn abwirft. Jeder von Ihnen weiß doch, meine Damen und Herren, daß das, was hier vor uns liegt, ein mühsamer und zäher Prozeß der Stabilitätspolitik sein wird. Wer erwartet denn, daß das innerhalb von drei Monaten geschieht?
Nun, meine Damen und Herren, Sie werden dann wieder auf die Diskussion über die Aufwertung im vergangenen Jahr zurückkommen. Wir kennen das ja. Ist es nicht so, daß die Öffentlichkeit dieser Debatte durch eine Äußerung ausgelöst worden ist, die der damalige Bundesfinanzminister am 28. April gemacht hat, in dem er leichtfertig, von der inländischen und ausländischen Presse kritisiert, von 8 bis 10 % Aufwertung gesprochen hat? Meine Damen und Herren, das alles kann man doch nicht einfach wieder vergessen.
— Es ist doch ganz klar, daß das nicht eine Spekulation auf seiten des Wirtschaftsministers war: Diese Äußerung stammt doch vom Finanzminister. Sollen wir Ihnen denn die Spekulationswelle im Anschluß an diese Äußerung einmal graphisch vorführen? Auch das kann man tun, meine Damen und Herren.Und nun zu einzelnen Punkten, die hier heute vorgebracht worden sind.Herr Kollege Müller-Hermann, ich verstehe Ihre merkwürdige Bemerkung über sozialistische Politik und kollektive Absicherung nicht.
Meinen Sie denn damit, daß kollektive Absicherung in Form von Rentenversicherung oder Arbeitslosenversicherung nicht der richtige Weg sei? Sollen wir denn davon eventuell wieder abgehen?
Sie wollen das nicht gesagt haben, Herr Kollege Müller-Hermann? Sind Sie vielleicht ein Anhänger sozialistischer Politik geworden? Man lernt ja nie aus. Aber sagen Sie es uns dann bitte. Sie haben gesagt: sozialistische Politik im Zusammenhang mit kollektiver Absicherung.
— Das brauchen Sie doch nur nachzulesen. Herr Müller-Hermann hat es so formuliert: sozialistische Politik im Zusammenhang mit kollektiver Absicherung. Ich meine, mit solchen Bemerkungen kommen wir hier nicht weiter.Nun ein paar Bemerkungen zu dem, was der Kollege Stoltenberg gesagt hat. Ich sehe ihn im Augenblick nicht im Saal. Er hat ein kohärentes Konzept für die Politik, eine Marktwirtschaft nach Ludwig Erhard verlangt.Wir müssen fragen, ob er auch den zentralen Satz der Politik Ludwig Erhards meint: Wer Wettbewerb will, kann nicht gleichzeitig Planung wollen. Meine Damen und Herren, man kann doch auf die Dauer nicht so arbeiten, daß man auf der einen Seite Planung verlangt und auf der anderen Seite immer dann, wenn die Planunng notwendig wird und über sie gesprochen werden muß — ich erinnere nur an das, was Minister Schiller im Herbst 1968 im Zusammenhang mit den Landwirtschaftsproblemen vorgetragen hat —, zurückschreckt und die Planung verketzert. Herr Kollege Höcherl, Sie haben damals in der Debatte im Bundestag von dieser Stelle aus auch Ihren Teil zu dieser Verketzerung der Planung beigetragen.Meine Damen und Herren, wir sind für eine kohärente Politik, und der Finanzminister wird das morgen sicher auch aus seiner Perspektive darlegen. Wir sind aber zugleich auch für Planung, und zwar gilt für uns der Satz: So viel Wettbewerb wie möglich und so viel Planung wie nötig. Sie werden sich schon daran gewöhnen müssen, daß wir nach diesem Konzept,
das auch im Godesberger Programm steht, regieren werden.Unter dem Gesichtspunkt der Planung müssen wir auch die Bildungspolitik betrachten. Herr Kollege Stoltenberg hat hier heute morgen vor einem gefährlichen Übermaß von pädagogischer Theorie gewarnt und gesagt, die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Bildung gingen verloren. Wer hat denn die Initiative im Hinblick auf das Berufsbildungsforschungsinstitut ergriffen? Wer hat denn seit einem Jahrhundert für eine bessere Bildung und Ausbildung der Arbeitnehmer gekämpft?
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1296 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Dr. von DohnanyiIch meine, es ist unbestritten, daß wir heute nicht an zuviel, sondern an zuwenig Theorie in der Pädagogik kranken. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage der Hochschulkonzeption zu nennen. Hier wird immer wieder gesagt, die Bundesregierung vertrete einen Standpunkt der Ideologisierung oder der Theorie. Ich habe heute mit Interesse gelesen — ich möchte das mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —, daß der VDI, also der Verein Deutscher Ingenieure, schreibt:Nach Meinung des VDI soll die Fachhochschule in den Rahmen der Gesamthochschule hineinpassen.Professor Timm, Generaldirektor der BASF, schreibt Ende Januar:Ansätze zu einer flexibleren Berufsausbildung bestehen bereits in der neuen Konzeption der Gesamthochschule, in der die Studenten nach dem Baukastenprinzip entsprechend ihrer Begabung ihre Berufsbildung gestalten.Ich muß den Kollegen Stoltenberg schon fragen: Wer betreibt hier Bildungspolitik im Sinne der industriellen Gesellschaft und damit auch im Sinne unserer Wirtschaft? Ich muß ihn bitten, doch endlich seine Theorie und Wissenschaftsfeindlichkeit, für die er draußen ja bekannt ist, aufzugeben.
Er muß sie ja nicht aufgeben, um mit uns zu glauben, daß Wissen und Demokratie den Fortschritt dieser Gesellschaft bedeuten. Er brauchte sie nur zugunsten unserer Wirtschaft aufgeben; damit wäre schon viel getan.Der Kollege Stoltenberg hat heute morgen hier auch zu Fragen der Umweltforschung Stellung genommen. Ich muß in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß diesem Problem in dem etwa 280 Seiten umfassenden Bundesforschungsbericht III nur eine Seite gewidmet war und daß in einem Etat von etwa 2,1 Milliarden DM nur knapp 2 Millionen DM für dieses Problem vorgesehen waren.
— Sicherlich, es geht nicht um die Quantität. Herr Kollege, wir haben aber, was viel schlimmer ist, noch nicht einmal eine Planung für diese Fragen vorgefunden. Vielmehr stand der Aspekt neuer Technologien im Vordergrund, aber damit allein ist dieses Problem nicht erfaßt. Es gibt jetzt im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft ein besonderes Referat für diese Fragen. Ich muß wieder fragen: Was soll diese Forderung, wenn sie nicht Selbstgefälligkeit ist, nach drei Monaten dieser Regierung?Zum Schluß: Hier ist von verschiedenen Seiten, von Ihnen, Herr Kollege Müller-Hermann, aber auch von Herrn Stoltenberg und von anderen, immer wieder die Warnung vor den jungen Menschen angeklungen, vor den jungen Menschen auch in unserer Partei, vor den Jungsozialisten. Wir sind, meine Damen und Herren, mit vielem nicht einig, was die Jungsozialisten wollen. Im übrigen sind es wohl 180 000 in den Altersjahrgängen unter 35, die zu unserer Partei gehören; aber nicht alle stimmen immer allem zu. Wir fragen Sie ja auch nicht — oder sollen wir? -, ob Sie dem RCDS voll zustimmen, wenn er im deutschen Fernsehen die völkerrechtliche Anerkennung der DDR fordert. Also so einfach kann man sich das nicht machen.
— Was die Junge Union macht, ist manchmal schwer festzustellen. Aber ich würde sagen: so weit weg ist das ja nicht vom Ring Christlich-Demokratischer Studenten.
Aber, meine Damen und Herren, das Problem ist ja mit all dem nicht erfaßt. Die Gründe für die Probleme, die wir heute in der Jugend spüren, liegen doch viel tiefer. Es mangelt in allererster Linie an einem Gespräch zwischen der Politik und dieser Jugend, und Worte wie „Pinscher" oder „Tiere" sind kein Weg, um mit dieser Jugend im Gespräch voranzukommen.
Die Rauschgiftwelle, vor der wir in manchen Bereichen stehen, ist nicht das Problem dieser oder einer anderen Regierung, sondern ein weltweites Problem einer Jugend, die in einer Entwicklung voller irrationaler Momente und in einer oft ausweglos scheinenden Situation ihren Weg nicht mehr findet.
Wenn diese Jugend von uns nicht richtig angesprochen wird, dann wird sie den Weg, den sie in den vergangenen Jahren einzuschlagen begonnen hat, weiter gehen.
Diese Haltung, meine Damen und Herren, ist die Haltung, die bei den jungen Leuten in die Radikalisierung führt!Nun, was reine Wahltaktik angeht, könnte man ja sagen: Gut! Denn solange von Ihrer Seite — ich meine wieder den leider abwesenden Kollegen Stoltenberg — so gesprochen wird, wie Sie reden, wird Ihre Fraktion — diese Gemeinschaft aus der zweit- und der drittgrößten Fraktion dieses Bundestages -immer kleiner werden. Die Jungen auf jeden Fall werden sich so nicht mehr ansprechen lassen. Wir wissen, daß man nur mit offenen Ohren und mit offenen Augen die Horizonte finden kann,
die die .Jugend sucht, und daß wir dies mit der Jugend zusammen versuchen müssen. Ich frage Sie, meine Damen und Herren, und ich frage insbesondere, weil er sich dafür vorhin in seiner Kritik der Jungsozialisten so stark gemacht hat, den Kollegen Stoltenberg: Haben Sie und hat Ihre Partei nicht am
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1297
Dr. von DohnanyiEnde Angst vor neuen Horizonten? Hat sie Angst vor dem Weg mit dieser Jugend
in eine veränderte Gesellschaft?
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwei Redner der Opposition haben sich zu meiner großen Freude vorgenommen, die Aufwertung als Datum für die weitere ökonomische und wirtschaftspolitische Entwicklung zu nehmen und nicht mehr über die ganze Vorgeschichte zu sprechen. Allerdings gab es dann einen schweren Rückschlag, und zwar durch Herrn Kollegen Höcherl, der wieder die ollen Kamellen der Vergangenheit auspackte. Ich weiß gar nicht, Herr Kollege Höcherl, was in Sie gefahren ist. Sie waren früher so ein netter Mann.
Schauen Sie sich doch Herrn Stoltenberg an! Ihm bekommt die Opposition ganz gut. Er wird munter dabei. Aber bei Ihnen — — Ich weiß nicht, es liegt Ihnen nicht so, was Sie hier betreiben. Tut mir leid.Ich möchte mich aber erst einmal — und ich bin dazu verpflichtet — antwortend an die beiden Redner von der Opposition wenden, die sich im wesentlichen an ihre gute Absicht gehalten haben, nicht über die Vorgeschichte der Aufwertung, über den Aufwertungsstreit, zu reden, sondern die über die Auswirkungen gesprochen haben und über das, was heute und morgen zu tun ist.Bei Herrn Müller-Hermann möchte ich gleich eines bemerken. Es tut mir leid, Herr Müller-Hermann, daß Sie von mir ein stabilitätspolitisches Bild hier aufgezeichnet haben, das vielleicht in Ihrer Rede aufgeschrieben war, bevor Sie heute Nacht mein Manuskript bekamen. Das möchte ich Ihnen zugute halten, denn ein bißchen lagen Sie daneben. Sie haben sich da einen Schiller zurechtgeschneidert in bezug auf Stabilitätspolitik, der nicht ganz dem entspricht, was er tatsächlich tut, was er denkt und was er häufig hier ausgesagt hat.
— Dann nehmen Sie meine anderthalbjährigen Kämpfe um die Stabilität in der Regierung, dann wissen Sie wohl, wo ich stehe.Ich will mich bei Ihnen im wesentlichen auf ein Wort konzentrieren. Sie haben gesagt: „Auch in den vergangenen 20 Jahren hat es Preissteigerungsraten gegeben", — das waren die 20 Jahre der CDU-Herrschaft — „niemand aber wird der CDU/CSU vorwerfen können, daß wir von der CDU/CSU solchePreissteigerungen hingenommen hätten." Lieber Herr Müller-Hermann, da haben Sie ein großes Wort hochgemut und gelassen ausgesprochen. Denken Sie nur daran — —
— Wenn von 20 Jahren gesprochen wird, muß ich hier ja etwas erwähnen. Ich habe sehr deutlich gesagt, daß es da für mich keine friedliche Koexistenz gibt. Wir haben zum erstenmal diese Monatsrate von 3,5 %. Ich habe das sehr, sehr deutlich beurteilt. Sie selbst müssen doch zugeben: Im Jahre 1965 erreichte der deutsche Lebenshaltungskostenindex für alle privaten Haushalte im November zum erstenmal die 4 %. Dann ging es unter Kanzler Erhard und Wirtschaftsminister Schmücker weiter —4 %, 4,1 %, 4,2 % usw. — und erreichte im April 1966 die Spitze mit 4,5 %. Es kam dann noch einmal 4,3 0/o, und von da ab ging es unter 4 %. Da aber hatte man schon — darüber besteht doch heute wirklich kein Zweifel — durch eine falsche Konjunkturpolitik längst den Marsch in die Rezession angetreten. Man hatte noch genau sechs Monate Zeit, und dann war die Regierung zusammengebrochen, und es mußte eine neue Regierung gebildet werden. Das ist die Story, und ich finde, Sie können sich nicht — das geht auch Herrn Höcherl an — auf ein hohes Roß der Stabilitätspolitik setzen nach diesen sieben Monaten mit über 4 %, mit dem Desaster der Jahre 1965/66, das schließlich zur Bildung einer neuen Regierung, eben der Regierung der Großen Koalition, geführt hat. Das ist, glaube ich, etwas, was Sie einfach nicht unterschlagen dürfen,
wenn Sie hier heute als Stabilitätsapostel auftreten.
Leider haben Sie damals zu lange, sieben Monate, diese mehr als 4 0/o der Steigerung des Lebenshaltungskostenindex hingenommen, haben die Bundesbank das Geschäft völlig allein betreiben lassen. Wir alle wissen, welch ein schmerzhafter Prozeß der Reduktion, der Rezession dann eintrat, der im Jahre 1967 kompensiert werden mußte.Und dann, Herr Höcherl, verstehe ich nicht, wenn Sie so nebenbei sagen, später wäre aus Profilsucht das Bild von jener Rezession gegen Ende unserer gemeinsamen Regierung entstanden. Nun, jene Rezession 1966/67 war eine Realität. Das können Sie doch nicht abstreiten.
— Herr Höcherl, ich weiß nicht, was Sie alles dem Schiller zutrauen. Aber Sie sind dabeigewesen, als das gesamte Kabinett zwei Konjunkturprogramme beschloß, eines im Januar 1967 von 2,5 Milliarden und eines im Sommer 1967 von 5,7 Milliarden DM. Das war alles nur Überredung durch Schiller, und es war natürlich alles Torheit?!
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1298 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Bundesminister Dr. Schiller— Ich habe nie von einer schweren Krise im Sinne der Weltwirtschaftskrise gesprochen.
Bundeskanzler Kiesinger hat damals in seiner bekannten Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 von einer lange schwelenden Krise gesprochen, die der Bildung der Regierung vorhergegangen war.
Herr Höcherl, es tut mir wirklich leid, daß wir wieder zu den uralten Argumenten kommen. Aber Sie haben die Kiste wieder aufgemacht, nicht die beiden anderen Herren von der Opposition.
Jetzt fangen Sie wieder an und sagen, 6,25 % Aufwertung der DM, im Mai 1969 von Schiller vorgeschlagen, sei unseriös. Dann muß ich aber einmal fragen: Wer hat denn die Mai-Spekulation entfacht? Das war Herr Strauß mit seinen 8 bis 10 %. Das wissen wir doch alle noch.
Das hat doch die Sache ins Rollen gebracht. Das war eine Strauß-Spekulation.
— Aber haben Sie jemals eine solche Zahl vorher von mir gehört? Sie sehen doch, daß ich mit meinem Antrag im Kabinett nach Herrn Höcherls Meinung zu niedrig gewesen bin.
Ich darf Ihnen ein zweites sagen, wenn Sie schon die alten Kamellen wieder hervorgeholt haben. Ich finde es schade, und ich will mich sehr schnell wieder Ihren und Herrn Stoltenbergs Beiträgen zuwenden. Aber ich finde, wir müssen es klarstellen. Herr Höcherl, Sie wissen ganz genau: wir lebten im Mai 1969 mit der steuerlichen außenwirtschaftlichen Absicherung. Diese bezog sich nur auf industrielle Im- und Exportgüter, nicht auf die Lebensmittel und nicht auf die Dienstleistungen. Ich sage heute noch, daß es damals im Mai 1969, ein besserer Zeitpunkt war: 6,25 % valutarischer Aufwertung hätten mindestens so gut gewirkt wie die 8,5 % im Oktober. Das ist eine Tatsache, das ist die Wahrheit.
— Herr Blessing ist genau derselben Ansicht.
— Er ist der Ansicht, daß man früher hätte aufwerten müssen.
Nun kommen wir zum Herbst 1968; jetzt sind wir dort angelangt. Das ist hier alles schon gesagt worden.
— Schon zweimal habe ich Ihnen hier erklärt, daß die steuerliche Absicherung, die wir einmal gemeinsam in diesem Hause beschlossen haben — wir wollen doch nachträglich nicht alles kaputtmachen —, ein Kompromißvorschlag war, weil Ihr Finanzminister Strauß im Herbst 1968 gesagt hatte: Aufwertung nur über seine Leiche.
Daraufhin habe ich den steuerlichen Absicherungsvorschlag gemacht, und zwar als einen tragbaren Kompromiß, um über die Runden zu kommen.
- Selbstverständlich habe ich als gehorsamer Wirtschaftsminister die Vorlage vertreten.
Im März 1969 war es uns im Bundeswirtschaftsministerium und der Bundesbank klar, daß die steuerliche außenwirtschaftliche Absicherung nicht ausreichte. Von da ab haben wir mit dem Bundeskanzler gesprochen, nicht draußen. Nur stellten wir ab 17. März — das war der Tag des ersten Gesprächs - fest, daß die CDU/CSU in der Stabilitätspolitik für das Jahr 1969 „abgeschnallt" hatte. Da gab es keine Konjunktur- und keine Stabilitätspolitik mehr, da war es aus, und da war der Stillstand der Rechtspflege auf dem Gebiet stabiler Preise und der Preispolitik eingetreten. So war die Geschichte.
— Mitgemacht? Ich habe unaufhörlich Ersatzvorschläge gemacht. Sie wissen es ganz genau. Warum fangen Sie das alles wieder an? Bei der Geschichte kommen Sie schlecht weg.
Sie wissen ganz genau, daß im Sommer 1969 noch ein Paket ohne Aufwertung — ohne das obszöne Wort — auf den Tisch des Kabinetts gelegt wurde, mit außen- und binnenwirtschaftlichen Ersatzmaßnahmen, und daß das die CDU/CSU damals in ihrer Borniertheit und Verranntheit wiederum abgelehnt hat. — Wir sind dann ohne Dämpfung des Booms in den Herbst hineingegangen. So ist es gewesen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1299
Bundesminister Dr. Schiller— Ich weiß ja, lieber Herr Althammer, daß Ihnen seit dem 17. März nichts lieber gewesen wäre, als daß der Schiller aus dem Kabinett gegangen wäre. Aber den Gefallen wollten wir Ihnen nicht tun.
— Wollen wir doch die Vergangenheit lassen! Herr Höcherl, reden wir doch lieber von der Gegenwart.
— Ich habe das Thema heute nicht angefangen. Ein bißchen mußte der von mir sonst so verehrte grüne Nachbar Höcherl ja wohl auch seine Antwort auf das bekommen, was er über die Vergangenheit sagte.
— Aber wenn heute von den Konjunkturhaushalten gesprochen wird als einem manipulierten Strohfeuer oder ähnlichem zur Konjunkturanheizung, lieber Herr Höcherl, so wird es wohl der Vergangenheit und der gemeinsamen Anstrengung des Jahres 1967, uns damals aus der Rezession herauszuholen, nicht gerecht.Aber ich will mich nun der Gegenwart zuwenden. Wie Sie, Herr Höcherl, was die Gegenwart betrifft, bei einer Zielprojektion dieser Bundesregierung und dieses Wirtschaftsministers für das reale Wachstum in diesem Jahr 1970 von 4 bis 5 % von einem Wachstumsfanatismus reden können, ist mir schlechterdings unerfindlich. Das ist eine maßvolle Einschätzung, die mit maßvollen Einschätzungen des Produktivitätsfortschritts in diesem Jahr 1970 übereinstimmt.Sie sprachen von Zinsabrüstung und sagten, so eine Konferenz würde nur ein totgeborenes Kind sein. Herr Höcherl, Sie sollten es miterlebt haben, wenn Sie im Kabinett aufgepaßt haben, daß im Januar 1967 in Chequers auf britische Initiative eine Konferenz stattgefunden hat, in einer Zeit, wo zu hohe Zinsen existierten. Man hat im richtigen Augenblick die dafür zuständigen Minister zusammengeholt und damit eine neue Phase der allgemeinen, gleichmäßigen und gleichzeitigen internationalen Zinssenkung eingeleitet.Genau das will jetzt diese Bundesregierung. Sie will im richtigen Augenblick, auch im konjunkturpolitisch richtigen Augenblick, wie die Bundesbank es sagt, den „turning point", den Wendepunkt, erwischen, um dann zu sagen: Jetzt müssen wir international ,gleichmäßig und gleichzeitig mit den Zinsen hinuntergehen, die jetzt zu hoch sind. Das haben wir vor. Ich glaube, das sollten Sie nicht gleich so miesmachen.Dan zitieren Sie dauernd die Bundesbank in dem Sinne, als ob nun ein neuer Krieg ausgebrochen wäre. Davon kann gar keine Rede sein. Sie haben ja selber gesagt, daß ich betont habe, zwischen der Bundesbank und dem Bundeswirtschaftsminister bestehe seit langem eine Allianz der Stabilität.Sie möchten diese Regierung jetzt so gern in eine Konfrontation bringen. Ich will Ihnen nur ein Zitat aus dem Monatsbericht der Bundesbank vom Februar 1970 bringen, welches zeigt, daß die Dinge nicht so sind, wie Sie und auch ein paar Ihrer anderen Redner — Herr Stoltenberg und Herr MüllerHermann — sie hinzudeuten versuchten. Es heißt im Monatsbericht der Bundesbank:Die hier durch die Bundesregierung und die zuständigen Koordinierungsorgane gefaßten Beschlüsse und Empfehlungen, gewisse Ausgaben in den Haushalten für 1970 vorerst zu sperren und Konjunkturausgleichsrücklagen bei der Bundesbank zu bilden, verhindern nicht nur eine prozyklische Haushaltsgestaltung, sondern dürften dazu beitragen, die Finanzierungsüberschüsse der öffentlichen Haushalte zu erhöhen, also antizyklisch zu wirken.So die Deutsche Bundesbank. Ich bin der Meinung, dieses Zitat sagt eindeutig aus, daß die fiskalpolitischen und haushaltspolitischen Teile des Stabilisierungsprogramms, über die morgen sicherlich der Kollege Möller auch noch sprechen wird, voll die Billigung der Deutschen Bundesbank finden und hier als antizyklisch definiert werden.
Ich wehre mich dagegen, daß hier künstlich ein Dissens
— doch! doch! — von einigen Rednern der CDU/ CSU stipuliert wird, der überhaupt nicht existent ist. Im Gegenteil: die Koordination zwischen der Geldpolitik und der Finanz- und Wirtschaftspolitik ist besser denn je.Ein Letztes noch im Rahmen der Debatte mit Herrn Müller-Hermann! Herr Müller-Hermann, Sie meinten, unsere Anzeigenaktion, alles das, was wir mit bestimmten Aufklärungsanzeigen bei den Lebensmittelhändlern gemacht haben, sei möglicherweise ein Eingriff in die unternehmerischen Entscheidungen. So etwa sagten Sie.
Ich darf Ihnen nur folgendes sagen. Erst einmal kommt es uns nur darauf an nachzuweisen, wo landwirtschaftliche Erzeugerpreissenkungen stattgefunden haben, dabei allerdings darauf aufmerksam zu machen, daß der Marktmechanismus dafür sorgt, daß diese Senkungen anteilig weitergegeben werden — anteilig im Sinne der Erzeugerpreissenkung. Wir fühlen uns dazu verpflichtet. Schließlich hat dieses Haus pro Jahr 1,7 Milliarden DM als Einkommensausgleich für die Landwirtschaft bewilligt — die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise sind ja ab 1. Januar 1970 ruckartig um den Aufwertungssatz gesenkt worden —, 1,7 Milliarden DM, die dazu dienen, diese Senkung für die deutschen Bauern möglich zu machen. Gleichzeitig soll damit aber auch erreicht werden, daß diese Preissenkun-
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1 300 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Bundesminister Dr. Schillergen wenigstens anteilig dem Verbraucher zugute kommen.
Wir haben diesen Ausgleich doch nicht bewilligt, um 1,7 Milliarden DM auszuzahlen und es dann zuzulassen, daß der Handel die Preissenkungen der Bauern verschluckt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, selbstverständlich.
Herr Kollege Schiller, ich habe die Anzeige „Billigere Lebensmittel — ein Erfolg der D-Mark-Aufwertung" hier vor mir. Wollen Sie nicht wenigstens im Nachhinein zugeben, daß mit der Darstellung dieser Anzeige, die es eben vermeidet, auch nur ein Wort über die Kostensteigerungen zu sagen, mit denen Handel und Produzenten fertig werden müssen, ganz bewußt in der Öffentlichkeit ein völlig falscher Eindruck erweckt worden ist oder erweckt werden mußte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Lieber Herr Kollege Müller-Hermann, ich wäre gern bereit, Ihnen das zuzugeben, aber ich möchte noch einmal sagen: Mir kam es darauf an, den Verbraucher darüber aufzuklären, daß auf der Erzeugerstufe mit staatlichem Einkommensausgleich Erzeugerpreissenkungen vorgenommen wurden und daß es wohl Aufgabe des wettbewerblichen Prozesses sei, diese staatlich kompensierten Erzeugerpreissenkungen anteilig an den Verbraucher weiterzugeben.
Daran sollten wir eigentlich alle ein Interesse haben.Herr Stoltenberg hat sich im wesentlichen mit der Gegenwart und mit der Zukunft befaßt. Er hat einmal einen Ausflug in die neuere Geschichte unternommen, nämlich in den März 1969, und hat wieder einmal behauptet, damals, im März 1969, habe der Schiller sein drittes Konjunkturprogramm in der Bundesregierung vorgetragen. Ich kann hier nur noch einmal sagen: Am 18. März 1969 hat die damalige Bundesregierung ein Programm für weitere Maßnahmen zur Sicherung der Preisstabilität beschlossen. Das war ein Programm zur Kürzung von bestimmten Ausgabepositionen, auch zur Kürzung und zur Sperre der Positionen, die für binnenwirtschaftliche Anpassungsmaßnahmen aus dem Absicherungsgesetz hergeleitet wurden. Das waren damals 195 Millionen DM, die mit eingesperrt wurden. Das war die Gesamtausgabesperre von 1,8 Milliarden DM. Diese Ausgabesperre ist nach den Vorschriften des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes von zwei Kabinettsmitgliedern beantragt worden. Die Unterschriften können Sie sehen. Herr Stoltenberg istleider nicht hier; es wird ihn als Historiker interessieren. Unterschrieben haben der Finanzminister Strauß und der Wirtschaftsminister Schiller, d. h. wir haben beide zusammen diesen Antrag auf Sperrung der insgesamt 1,8 Milliarden DM gestellt. Es kann gar keine Rede davon sein, daß der Wirtschaftsminister damals diese 195 Millionen DM nicht gesperrt haben wollte. Auch das zur Rektifikation der neueren Geschichte für einen neueren Historiker.Im übrigen habe ich mich bei Herrn Stoltenberg, auch wenn er hier nicht ist, was ich bedaure, eigentlich zu bedanken; denn er ist hier als ein wackerer Recke für die Stabilitätspolitik eingetreten, sogar noch mit technologischem Zukunftsdrive versehen. Ich kann nur sagen: er unterstützt uns mit diesen seinen Aspekten.Nur, wie sieht es in der Realiät aus? Hier wurde schon Ihr eigenes Konjunkturprogramm heute vormittag von Herrn Junghans z. B. erwähnt, das Konjunkturprogramm der CDU/CSU. Es besteht aus sechs Punkten. Es ist erschienen in Bonn am Rhein am 20. Januar zwischen der Sitzung des Wirtschaftskabinetts der Bundesregierung und der Sitzung der Gesamtregierung. In der Zwischenzeit kam sie da zu ihrem Programm.
Dpa schreibt damals, es sei fast ein Parallelprogramm zum Programm der Regierung. — Ja, Sie stammen ja aus Bremen, nicht wahr? Bremen wurde heute auch zitiert. Da heißt es: navigare necesse est. Zu diesem Ihrem Programm möchte ich sagen: plagiare necesse est.
— Ja, es ist auch ein bißchen billig; denn Sie haben es abgeschwächt. Das, was dort an einzelnen Punkten ist, ist weniger als in dem Regierungsprogramm. Sie haben bestimmte Instrumente ausgeschlossen. Es ist ein verdünnter Aufguß. Es ist ein rachitischer Zwilling zu dem Regierungsprogramm. So möchte ich es nehmen.
Ich nehme an, Herr Stoltenberg ist aus diesem Grunde - das hat mich beeindruckt —, aus dem Gefühl, sein eigenes Programm vom 20. Januar mit den sechs Punkten sei irgendwie zu mager und zu schwach, eben auf die Frage gekommen, die ich heute morgen auch gestellt habe und die ich uns allen gestellt habe! Reicht das Programm der Bundesregierung aus, um allen möglichen oder nicht vorhergesehenen Ereignissen entgegenzutreten? Ich fand diese Frage von Herrn Stoltenberg vollkommen legitim. Er ist auch darauf eingegangen, daß ich z. B. auf das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz verwiesen habe. Aber er hat sicherlich auch dabei das Gefühl gehabt, daß das eigene CDU/CSU-Programm, das im Anspruch viel höher ist, im Vergleich zu den Ansprüchen seine eigenen Kräfte übersteigt. Sie wollen eine Preissteigerungsrate von 3 % für dieses Jahr nicht erreichen, sondern dar-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1301
Bundesminister Dr. Schillerunterbleiben, und schlagen schwächere Instrumente vor. Darüber gibt es gar keinen Zweifel.
— Nun, ich kann doch lesen. Ich sehe nicht, daß Sie da irgendeine harte Kanone drin haben. Das sind alles sehr milde Geschichten. Etwa die zwei Dinge, die jetzt gar nicht mehr zur Debatte stehen, aber ,die in der Debatte waren — heute sind das nur noch Negative und Erinnerungsposten — nämlich eine Ausweitung der Investitionssteuer und eine Veränderung der Sätze der degressiven Abschreibung. Beide Punkte werden von Ihnen abgelehnt. Dafür ist auch kein Ersatz geboten.
Bei uns ist ein ganz harter Punkt drin, den Sie z. B. nicht haben, nämlich die obligatorische Konjunkturausgleichsrücklage ohne Esc ape-Klausel, ohne Entschuldungsklausel. Die fehlt bei Ihnen.
Ich bin ja der Meinung, daß die Frage von Herrn Stoltenberg durchaus legitim war. Der Herr Bundeskanzler hat heute darauf ,geantwortet, und aus seiner Antwort
können Sie auf jeden Fall entnehmen: wir haben jetzt einen Bundeskanzler, der sagt niemals nie.
Das ist doch ein Fortschritt. Jene Schwüre vom Herbst 1968, die damals die ganze Regierung in ihrer Handlungsfähigkeit einzementiert haben, werden von diesem Bundeskanzler nicht geleistet.
Ich möchte noch ein Zweites erwähnen, und da muß ich den Herrn Kollegen Kienbaum gegenüber Herrn Stoltenberg in Schutz nehmen. Kollege Kienbaum hat sich, soweit ich ihn verstanden habe, in seinen Vorbehalten bei steuerpolitischen Maßnahmen ausdrücklich auf solche Maßnahmen bezogen, die möglicherweise unmittelbar den technischen Fortschritt behindern, die die Investitionstätigkeit in dieser Phase drosseln würden. Alles andere hat Herr Kienbaum offengelassen. Ich glaube, das sollte man gegenüber Herrn Stoltenberg hier betonen, der nämlich so tat, als wenn sich Herr Kienbaum schlechthin
gegenüber allen Instrumenten negativ in dieser Richtung ausgesprochen hätte.
Wollen Sie Konjunkturpolitik und Stabilitätspolitik machen oder wollen Sie die Stabilität mit den schönen Worten Ihres Landsmannes Höcherl erreichen? Das müssen Sie doch einmal sagen.
Das ist der Punkt, der mich heute immer wieder beschäftigt.Gewiß, ich gebe Herrn Stoltenberg recht: die Regierung selber hat ihr Programm vorzulegen. Das hat sie getan. Die Regierung hat durch ihren Regierungschef heute auch Auskunft darüber gegeben, daß sie sich in der Überprüfung ihres Programms befindet, entsprechend der neuen konjunkturpolitischen Situation. Aber die Opposition selber muß doch nun auch mal ein bißchen was liefern. Was bringen Sie denn Neues?
Zusatzfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte!
Herr Minister, wollen Sie wirklich davon ausgehen, daß wir, nachdem wir gestern die mittelfristige Finanzplanung der Regierung und die Haushalte des Jahres 1970 vorgefunden haben, dazu schon heute nachmittag ein detailliertes Programm vortragen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Althammer, ein detailliertes Programm habe ich natürlich nicht verlangt. Aber wir sind doch in einer sehr offenen Diskussion, und Herr Stoltenberg hat sicherlich durch seine Frage einen Aktionsbereich angesprochen, um auch selber Überlegungen anzustellen. Er hat sich sogar geäußert. In diesem Sinne fand und finde ich die Diskussion mit ihm erfreulich. Was mir bei Ihnen nur fehlt, ist eine Komplettierung Ihres eigenen Programms.
Ihr Programm ist wirklich ein mageres Programm. Damit können Sie nicht viel Staat machen.
— Na, na. Lieber Herr Müller-Hermann, wir haben Ihnen, fristgemäß im Januar erarbeitet, ein Stabilisierungsprogramm mit sieben Punkten vorgelegt, die weit konkreter sind als das, was Sie da in Ihrer schriftlichen Arbeit am 20. Januar publiziert haben. Darüber ist doch gar kein Zweifel. Sie können uns ja nacheinander beweisen, daß diese Maßnahmen, die die Regierung vorgeschlagen hat, nicht tauglich sind. Das wäre ein Beitrag. Sagen Sie uns: Die und die Maßnahme, z. B. die Konjunkturausgleichsrück-
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1302 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Bundesminister Dr. Schillerlage von 2,5 Milliarden, die langt nicht; wir müssen mehr einstellen. — Bitte!
Sehr verehrter Herr Minister Schiller, sehen Sie nach Ihren Ausführungen heute morgen und nach den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers nicht selber ein, daß Ihr bisheriges Stabilisierungsprogramm eben nicht ausreicht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Müller-Hermann, ich kann Ihnen zu dieser Frage nur folgendes sagen. Sie haben hier eine Regierung vor sich, die die Frage der Stabilität verdammt ernst nimmt.
Ich glaube, diese 3,5 % sind früher — als damals die 4 '0/o herrschten —
nicht so offen und ehrlich zugegeben worden von einem Bundeswirtschaftsminister als eine höchst unerfreuliche Sache, mit der wir so schnell wie möglich fertig werden müssen. Das ist die Einstellung dieser ganzen Regierung.
Da vermisse ich bei Ihnen die wirkliche Kritik. Sie selber haben doch zu sagen, ob es langt oder nicht langt. Wir sind dabei, unsere eigenen Maßnahmen zu überprüfen. Nur: wir wollen unter allen Umständen das, was da ist, sicher halten.
Herr Höcherl möchte eine Frage stellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte!
Herr Minister, ich bezweifle nicht, daß Sie diese Frage ernst nehmen. Aber ich frage mich, warum im November und Dezember — auf der höchsten Stufe des Booms — so viel Geld ausgegeben wurde; das haben Sie bisher nicht gerechtfertigt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was meinen Sie denn — —
Drei Milliarden wurden in diesen beiden Monaten des auslaufenden Haushaltsjahres — im November und Dezember — mehr ausgegeben als z. B. im Haushaltsjahr 1968. Jetzt waren wir auf dem Höhepunkt des Booms. Es geht doch nicht an, drei Monate zu warten mit einem Programm und im November und Dezember fleißig Geld auszugeben, um zwei Tage später, kaum ist es gedruckt, sagen zu müssen: Wir müssen es jetzt überprüfen, weil es offensichtlich nicht funktioniert. -- Das ist doch der Vorwurf, den wir formuliert haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Höcherl, in diesem Punkt geht es um die öffentliche Geldwirtschaft. Darüber wird im Rahmen der Haushaltsdebatte morgen sicherlich sehr ausführlich gesprochen; das ist eigentlich kein Punkt, der hierher gehört.
Ich will Ihnen zwei vorläufige Antworten geben. Erstens kommt es bei der Begrenzung der öffentlichen Nachfrage, Herr Höcherl, auf den Akt der Auftragserteilung an, nicht auf den Akt der Geldüberweisung.
Das ist das Entscheidende. Öffentliche Aufträge wirken nicht zweimal expansiv auf die Gesamtwirtschaft, sondern nur einmal; nicht etwa zweimal: wenn der Auftrag erteilt wird und wenn das Geld von der Finanzkasse in die Wirtschaft überwiesen wird. Das ist das erste.
Nun das zweite! Sie müssen von diesen Zahlen, die der Bundesfinanzminister morgen sehr viel sachkundiger vortragen wird, alles das abziehen, was an Auslandszahlungen für Offset und ähnliches im letzten Dezember zusätzlich ausgegeben worden ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Stoltenberg?
Herr Kollege Schiller, würden Sie einräumen — zur Geschichte der letzten Monate —, daß die CDU/CSU zwei Monate vor Ihnen die Steuersenkung zum 1. Januar für konjunkturwidrig hielt, die Sie jetzt auch vertagen wollen? Und würden Sie zweitens einräumen, daß es einer sehr kritischen Überprüfung im Sinne unserer Vorstellungen bedarf, ob man wirklich jetzt die Bindungsermächtigung in dieser Konjunkturlage auf 17 Milliarden DM steigern soll? Würden Sie zugeben, daß das zwei sehr konkrete und wichtige Beiträge der Opposition zur konjunkturpolitischen Debatte sind, die im ersten Punkt bereits Erfolg gehabt haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Stoltenberg, ich freue mich, daß Sie jetzt in die Debatte wieder eingreifen. Ich habe Sie schon sehr vermißt, weil ich Ihnen einiges zu sagen hatte. Außerdem freue ich mich darüber, daß Sie in antizyklischer Fiskalpolitik sehr gut vorankommen.
Ich bin durchaus Ihrer Meinung, daß wir morgen die Frage der Größe der Bindungsermächtigung hier ganz offen miteinander diskutieren müssen, und ich nehme an, der Bundesfinanzminister ist dazu auch bereit.Zu Ihrem ersten Punkt kann ich Ihnen nur sagen, der Bundesfinanzminister hat bei der Frage der Behandlung der beiden Steuererleichterungen sofort, unmittelbar als Ihr Fraktionsvorsitzender diesen Vorschlag machte, reagiert und ist auf diesen Vorschlag eingegangen.
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Bundesminister Dr. Schiller— Aber ich bitte Sie! Das werden Sie mir ja nun nicht vorwerfen wollen. Das ist ja wohl kein Argument. Wir waren uns also völlig einig, und es bestand auch im Kabinett Einigkeit, daß der Herr Bundesfinanzminister recht getan hat, in diesem Punkte auf die Kooperationsofferte der Opposition einzugehen. So möchte ich das interpretieren. Ich glaube, das entspricht der Wirklichkeit.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn von Dohnanyi?
Herr Minister, würden Sie es für zweckmäßig halten, den Herrn Abgeordneten Höcherl im Zusammenhang mit seiner Frage nach den Steigerungen der Ausgaben im Dezember 1969 auf die Antwort zur Kleinen Anfrage im Januar dieses Jahres hinzuweisen, wo dieses Problem bereits erwähnt worden ist und wo festgestellt worden ist, daß die Steigerungsrate 1969 faktisch nicht größer war als die Steigerungsrate 1968?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann nur sagen: eine Frage, auf die die Antwort zahlenmäßig vorliegt, kann hier im Hause ja durchaus noch einmal diskutiert werden. Ich hätte jedenfalls von mir aus nichts dagegen und nehme an, daß der Herr Bundesfinanzminister nichts dagegen hat, daß die Frage der Auszahlung im Dezember 1969 noch einmal diskutiert wird.
Sie haben so oft auf die alten Zeiten von 1965 verwiesen, Herr Kollege Höcherl. Nehmen Sie sich bitte noch einmal vor — ich möchte Sie daran erinnern —, was damals der von Ihnen zitierte Oppositionssprecher Schiller als Preisstabilisierungsprogramm in acht Punkten vorgelegt hat. Das ist gar nicht so schlecht gewesen.
Ich habe es mir inzwischen angesehen.
Da steht erstens: Keine Deflationspolitik. Sie sehen, da bin ich auf demselben Gleis.
Zweitens: Kein Preis- und Lohnstopp. Das ist klar.
Drittens: Mittelfristige volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Das haben wir inzwischen. Dieser Punkt ist jetzt erfüllt, er war damals nicht erfüllt.
Viertens: Abstimmung der Geld- und Finanzpolitik zwischen Bund und Ländern und zwischen Bund und Bundesbank durch Einsetzung eines Konjunkturrates. Dieser ist inzwischen durch das Stabilitätsgesetz eingerichtet, obgleich damals, als ich diesen Vorschlag hier machte, ein Zwischenruf von der CDU kam: „Noch ein Rat!" So war die Einstellung hei Ihnen. Ich habe im Protokoll nachgesehen.
Fünftens: Abschaffung der Kouponsteuer. Sechstens: Einfuhrerleichterungen.
Siebtens — Sie werden sagen: ein Evergreen; es ist auch ein Evergreen —: Abschaffung der Preisbindung der zweiten Hand.
— Nein, nicht aufgegeben. Wieso habe ich das aufgegeben?
— Wir leben doch wohl in einer parlamentarischen Demokratie. Wir haben Wahlen gehabt. Für die Aufwertung haben wir in diesem Parlament eine Mehrheit bekommen, aber für die Abschaffung der Preisbindung der zweiten Hand nicht. Das ist der Tatbestand, das ist die Realität.
Achtens: Einkommenspolitik der Tarifpartner, zu beeinflussen durch eine Art konzertierter Aktion.
Das ist damals unser Programm gewesen. Herr Höcherl, Sie selber sollten dem eigentlich nacheifern. Daß Sie sich in Ihre neue Rolle noch nicht eingefügt haben, in jene Funktion, die wir damals ausgeübt haben, kann man verstehen. Wir waren etwas länger trainiert. Aber Sie haben ja auch noch alle Zukunft in dieser Beziehung vor sich.
Mir täte es leid, wenn gerade Sie, Herr Höcherl, der Sie sonst ein zukunftsfroher Mensch und überhaupt ein froher Mensch sind, mit diesem Ihrem Dasein nicht so ganz zufrieden wären.
Ich kann es jetzt sagen. Ich freue mich, daß der Kollege Stoltenberg sich in dieser Rolle ganz wohlfühlt.
Er hat Günter Grass zitiert, was aus seinem Munde wirklich auch eine Innovation bedeutet. Auch ich möchte Günter Grass zitieren, indem ich sage: für Herrn Stoltenberg sind die Oppositionsjahre offenbar keine Hundejahre.
Das Wort hat der Abgeordnete Graaff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin dem Herrn Bundeswirtschaftsminister sehr dankbar, daß er vor mir einige aufklärende Fakten dargestellt hat, die ich somit mir und Ihnen ersparen kann. Wenn man als FDP-Mitglied hier heute dieser Diskussion folgt, dann kommt sie einem langsam etwas gespenstisch vor; denn ich stelle eigentlich nichts anderes fest, als daß man nach allen Seiten eine Vergangenheitsbewältigung betreibt, und das teilweise mit sehr polemischen Bemerkungen. Ich habe nicht das Gefühl, daß es Politik ersetzen kann, wenn man sich in dieser Form hier auseinandersetzt.
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1304 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
GraaffWir von der damaligen Opposition erinnern uns noch sehr genau an die Erfindungen von „Plisch und Plum", die doch in bester Eintracht Projektionen erzeugten, die, wie Herr Müller-Hermann heute stolz erklärt, alle völlig daneben gelegen haben. Die Erfindung stammt doch aus dieser Zeit.; ich müßte mich sehr irren. — Mir scheint, Herr Bundeswirtschaftsminister, in diesem Kabinett des Herrn Kiesinger müssen Sie ein Superminister gewesen sein; denn Sie allein scheinen sich immer wieder gegen alle anderen in diesem Kabinett durchgesetzt zu haben. Denn ich könnte mir sonst nicht vorstellen, weshalb die Zielprojektionen in diesem Kabinett mit Mehrheiten gebilligt worden sind.Herr Müller-Hermann, Sie haben gesagt, früher hätte es auch Preissteigerungen gegeben, nur Sie hätten sie sich nicht gefallen lassen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat eben ein paar Zahlen aus einer sehr kritischen Zeit vorgetragen. Ich habe im Statistischen Jahrbuch nachgesehen. In neun Jahren haben sich die Preise jährlich um 3,4 % zu Lasten der Verbraucher verschlechtert, und der Kollege Höcherl hat ja eben mit beredten Worten vorgetragen, wieviel Milliarden, nämlich 10 Milliarden DM beim Verbraucher und 7 Milliarden DM beim Sparer, dadurch eingebüßt worden sind; nur leider auch zu Zeiten der CDU-Regierungen, nämlich in den Jahren 1962 bis 1969 mit jährlich 3,43 % genau. Trotzdem gab es in diesen Jahren noch eine Aufwertung, die die Dinge noch hätte beruhigen müssen. Man sollte, wenn man im Glashaus sitzt, nicht mit Steinen schmeißen.Herr Kollege Müller-Hermann, Sie haben dann die Lohnentwicklung angesprochen und waren der Meinung, sie verlaufe prozyklisch. Ich vermute, Sie haben den Tarifabschluß eines hier im Hause nicht ganz unbekannten Konzerns aus den letzten Tagen im Auge gehabt, als Sie diese Bemerkung machten.Andererseits habe ich in Ihren Ausführungen nichts an neuen Vorschlägen gefunden. Sie haben zwar — der Herr Bundeswirtschaftsminister hat das eben auch gesagt eine stärkere Förderung von Wissenschaft, Forschung und moderner Technik trotz antizyklischen Haushalts gefordert. Herr Müller-Hermann, wir sind sehr gespannt, in der Debatte übermorgen von Ihnen zu hören, wo Sie dann Kürzungen vorschlagen wollen, um trotz antizyklischen Haushalts noch diese Steigerungen zu erreichen.Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben vom „Prinzip der Pause" gesprochen. Ich vermag das nicht ganz einzusehen, und mein Kollege Mertes hat schon einmal darauf hingewiesen, daß hundert Tage nicht hundert Monate sind. Ich frage mich nur, wie lange eigentlich das Prinzip der Pause in der Großen Koalition herrschte, wenn ich mir die Vorstellungen der Sozialpolitiker dieser Großen Koalition ansehe, die nie realisiert werden konnten.Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben dann sehr vorsichtig auf einige neuere Zeitungsäußerungen über Gegensätze in dieser neuen Koalition angespielt. Ich kann Sie beruhigen: noch so gut gemeinte Zeitungsmeldungen werden das Klima dieser Koalition nicht verschlechtern können. Diese Koalition ist sich auch in der Wirtschafts- und Finanzpolitik — ich betone, ich sage das auch vorausschauend -mehr einig, als es der Opposition in Kürze vielleicht lieb sein könnte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Luda. — Er ist nicht im Hause. Dann gebe ich das Wort dem Abgeordneten Zander.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir alle in diesem Hause haben aus der Erfahrung der Rezession der Jahre 1966/67 eine Reihe von Lehren gezogen. Lassen Sie mich heute eine dieser Lehren herausgreifen und einige Bemerkungen dazu machen.Ich meine, die Rezession dieser Jahre hat die Strukturschwächen in der Wirtschaft der Bundesrepublik schonungslos offengelegt. Zu lange waren die Strukturprobleme von einem Konjunkturaufschwung überdeckt worden. Aber als die Rezession begann, zeigte sich ziemlich deutlich, in welchen Gebieten welche Versäumnisse strukturpolitischer Art in der Vergangenheit begangen worden waren. Man kann sehr genau die strukturschwachen Gebiete erkennen und vergleichen, wenn man einmal die Karte der Arbeitslosenzahlen in diesen Jahren 66/67 über die Karte der Bundesrepublik deckt. Man wird erkennen, daß es die traditionellen Gebiete sind, in denen schon immer Strukturschwächen erkannt waren, die aber in der Vergangenheit nicht ausreichend gefördert wurden. Vor den Jahren der Rezession war die Strukturpolitik, die betrieben wurde, unvollkommen. Sie war materiell zu schwach ausgestattet, und sie setzte falsch und an den falschen Stellen an. Lassen Sie mich nur zwei Beispiele dafür nennen, wo in der Vergangenheit Fehler gemacht wurden, um zu zeigen, wie sich bisher die neue Strukturpolitik von dem abhebt, was in der Vergangenheit üblich war.Früher wurde nicht die Dynamik der Wirtschaft insgesamt bewertet und beurteilt und danach die einzelnen Branchen der Wirtschaft gefördert. Früher wurden einzelne Projekte gefördert, ohne die wirtschaftlichen Regionen in ihrem gesamten Zusammenhang zu bewerten und zu beurteilen, um festzustellen, wo und wie man zweckmäßigerweise Strukturpolitik treiben sollte. Damals wurden im Grunde die bestehenden Strukturen erhalten und damit insgesamt der Produktivitätsfortschritt der Wirtschaft gehemmt.Ich darf auch hierzu nur drei Beispiele nennen. Ich nenne die Probleme der Zonenrandgebiete, die im Grunde 20 Jahre lang ungelöst geblieben sind. Die Folgen für diese Gebiete waren in der Rezession für jeden deutlich sichtbar. Ich nenne die Bergbaukrise, die durch einen falschen Einsatz von Subventionen jahrelang überdeckt wurde. Die Folgen für die Beschäftigten in diesem Bereich sind für jeden offenkundig. Ich nenne das Saarland, das
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1305
Zanderimmer noch hinter der allgemeinen wirtschaftlichenEntwicklung der Bundesrepublik zurückgeblieben ist.Ich meine, aus diesen Erfahrungen und Erkenntnissen müssen wir zwei Lehren ziehen. Die erste Lehre besteht für mich darin, daß man erfolgreiche Strukturpolitik nur in der Hochkonjunktur, nicht aber in der Rezession treiben kann. Die zweite Konsequenz, die wir ziehen müssen, ist: Die Strukturpolitik muß planmäßig koordiniert und vorausschauernd zusammengefaßt werden.Ich meine, erst seit der Übernahme des Wirtschaftsressorts durch den Bundeswirtschaftsminister, der eben hier gesprochen hat, und nach Überwindung der ersten großen Schwierigkeit der Rezession — etwa seit Beginn des Jahres 1968 — können wir zum ersten Mal in der Bundesrepublik von Strukturpolitik im eigentlichen Sinne sprechen.
Welches sind ihre Elemente, meine Damen und Herren? Ich möchte drei nennen. Diese neue Strukturpolitik hat die bisher vorhandenen unvollkommenen Ansätze reorganisiert und zusammengefaßt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer?
Herr Präsident, meine Zeit ist knapp bemessen.Sie hat zweitens neue Instrumente geschaffen wie z. B. die regionalen Aktionsprogramme, die ich hier nennen möchte. Sie hat drittens eine erhebliche Ausweitung ihrer materiellen Mittel erfahren.Ich nannte die regionalen Aktionsprogramme als ein wichtiges Instrument der Strukturpolitik. Diese regionalen Aktionsprogramme führen von der Zufälligkeit bisheriger Förderung weg und zur Lösung spezieller Strukturprobleme ganzer Regionen hin. Sie nutzen die Möglichkeit mehrjähriger Planung und setzen so Orientierungsdaten für die Entscheidungen der Kommunalpolitiker und der Wirtschaft. Sie berücksichtigen die Zielsetzungen der Landespolitik, und sie bilden das wichtigste Planungsinstrument für die Lösung der Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern. Die regionalen Aktionsprogramme sind der beste Weg der Kooperation in dem föderalistischen System der Bundesrepublik, wobei, wie ich am Rande bemerken muß, allerdings die Kooperationsbereitschaft aller Bundesländer eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg dieser Politik ist.In Verbindung damit sind die laufenden und beachtlichen Erhöhungen der Mittel zu sehen. Allein vom Bund wurden für die regionalen Förderungsprogramme im Jahre 1966 mehr als 170 Millionen DM, im Jahre 1967 mehr als 170 Millionen DM im Jahre 1968 220 Millionen DM und im Jahre 1969 350 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Für das gemeinsame Strukturprogramm Ruhr, Saar und Zonenrandgebiet wurden 1968 rund 50 Millionen DM und 1969 rund 60 Millionen DM aufgebracht. Für die Folgejahre sind weitere 290 Millionen DM eingeplant. Meine Damen und Herren, ich meine, das sind Summen, die sich sehenlassen können und die für nur eine der zahlreichen Maßnahmen in der Strukturpolitik bereitstanden.Die regionalen Aktionsprogramme und die genannten Summen dienen den betroffenen Gebieten und ihren Menschen ebenso wie der gesamten Volkswirtschaft. Einer höheren Elastizität der Angebotsseite werden wir auch in Zukunft zu einem erheblichen Teil das weitere Wachstum der Wirtschaft zu verdanken haben. Meine Fraktion kann die neue Bundesregierung daher nur ermuntern, auf diesem Weg konsequent weiterzugehen.Die Reorganisation der Strukturpolitik fand ihren ersten und umfassenden Ausdruck im Steinkohlegesundungsgesetz. Dieses Gesetz war die erste umfassende strukturpolitische Maßnahme und in seiner Art ohne Vorbild. Es leitete die längst überfällige Neuorientierung des Steinkohlebergbaus ein und bildete auch die Grundlage für eine dauerhafte Sanierung an Ruhr und Saar. Das Gesetz trug auch der Tatsache Rechnung, daß man dauerhafte wirtschaftliche Sanierung nicht auf Kosten der Arbeitnehmer betreiben kann. Daher war es nur konsequent, daß in diesem Gesetz neben struktur- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen auch Vorschriften für die Lösung der sozialen Probleme enthalten waren. Zusammen mit der Neuorientierung der regionalen Wirtschaftsförderung kam es in der Strukturpolitik zu einer Fortentwicklung von der Förderung unzusammenhängender Einzelprojekte ohne jede wirtschaftliche Perspektive zur planmäßigen und abgestimmen Förderung großer Regionen und zur Sanierung ganzer Branchen.In dem Jahreswirtschaftsbericht, über den wir heute hier sprechen, ist von mehr als 40 000 neuen Arbeitsplätzen die Rede. Ich meine, das ist ein beachtlicher Erfolg. Wir Sozialdemokraten erwarten von Bund und Ländern, daß sie in ihren Anstrengungen nicht nachlassen. Wir begrüßen, daß für 1970 rund 270 Millionen DM für Investitionszulagen und 360 Millionen DM für Investitionszuschüsse bereits wieder eingeplant sind. Dazu kommen weitere Mittel aus dem ERP-Sondervermögen und von der Bundesanstalt für Arbeit.Meine Damen und Herren, man kann nicht oft genug betonen, worin der grundsätzliche Unterschied zwischen dem, was früher Strukturpolitik genannt wurde, und dem, was heute Strukturpolitik ist, besteht. Es werden keine Erhaltungssubventionen mehr gezahlt. die im Grunde bestehende Strukturen nur aufrechterhalten und den Produktivitätsfortschritt hemmen. Es werden keine Einzelprojekte mehr gefördert ohne Beachtung der Probleme eines ganzen Wirtschaftsraumes.Lassen Sie mich einige Schwerpunkte herausgreifen. Die Politik dieser Regierung besteht eben nicht nur — wie manchmal darzustellen versucht wird — in der gesamtwirtschaftlichen Rahmenplanung; sie besteht auch in gezielter und aktiver Strukturpolitik. Das gilt für das Zonenrandgebiet, das gilt für Ruhr und Saar, für Berlin und andere Problemgebiete.
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1306 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
ZanderDie Zonenrandgebiete sind intensiv und sinnvoll gefördert worden. Sie führen kein Schattendasein mehr und haben eine wirtschaftliche Perspektive, die klar ist.
— Ich habe eine Zäsur im Jahre 1968 gesetzt und habe gesagt: als nach Überwindung der ersten Schwierigkeiten der Rezession d e r Bundeswirtschaftsminister, der heute hier gesprochen hat und der seit 1966 im Amt ist, beschlossen hat, Strukturpolitik zu machen; und ich spreche darüber, wie diese Ansätze jetzt erfolgreich fortentwickelt werden.
— Ich sage: erst seit 1967/68 mit dem nötigen Nachdruck. — Was das Zonenrandgebiet angeht, so wurden in diesen Jahren seit 1967/68 rund 1,3 Milliarden DM zur Verfügung gestellt. Wir begrüßen, daß der Wirtschaftsbericht der Bundesregierung im Rahmen des regionalen Förderungsprogramms der Zonenrandförderung erneut hohe Priorität beimißt.Das gilt auch für Berlin. Wir begrüßen die Absicht, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Berlinhilfegesetzes einzubringen. Wir halten es für völlig richtig, wenn der Wirtschaftsbericht klarstellt, daß ein wesentliches strukturpolitisches Problem Berlins das Problem des Arbeitsmarktes ist. Wir stimmen mit dem Jahresbericht der Bundesregierung überein und halten als sozialdemokratische Fraktion die Verbesserung der Präferenzen für die Berliner Arbeitnehmer für erforderlich.
Die vorgeschlagene einheitliche Zulage von 8 % zum Bruttolohn und die zusätzlichen Kindergeldzahlungen sind für diesen Deutschen Bundestag sehr diskussionswürdige Absichten der Bundesregierung.Neben dem Zonenrandgebiet und Berlin spielte schon immer das Saarland in der Strukturpolitik und in der Wirtschaftsförderungspolitik eine besondere Rolle. Sie wissen, daß das Saarland sehr stark montanindustrie-orientiert ist. Infolgedessen zeigte sich dort in den letzten Jahren eine Mischung von regionalen und sektoralen Strukturproblemen. Daher kann eine vernünftige und dauerhafte Abhilfe dieser Probleme auch nur durch eine Mischung der Anwendung sektoraler und regionaler Strukturpolitik erreicht werden. Von 1966 bis 1968, also in den Jahren der Rezession und in dem unmittelbar darauf folgenden Jahr 1968, sank die Zahl der Industriebeschäftigten im Saarland um 10 %.Lassen Sie mich auch hier nur einen kurzen Vergleich bringen. Allein die regionale Förderung für das Saarland umfaßte in den Jahren 1967 und 1968 rund 500 Millionen DM. In zwei Jahren also rund 500 Millionen DM für regionale Förderungsmaßnahmen für das Saarland. In den zehn Jahren vor 1967 wurden für den gleichen Zweck insgesamt nur 700 Millionen DM zur Verfügung gestellt.Ich glaube, diese regionalen Schwerpunkte zeigen, daß die Strukturpolitik insgesamt erfolgreich angefaßt wurde, daß sie aber auch für die Zukunft einen wichtigen Teil der Wirtschaftspolitik bilden wird. Die Bundesregierung ist nach unserer Überzeugung gut beraten, wenn sie sich nicht von dem augenblicklichen wirtschaftlichen Aufschwung täuschen läßt. Sie muß vielmehr zielbewußt, sie muß gemeinsam mit den Bundesländern, sie muß auf der Grundlage mehrjähriger Planung die erfolgreiche Strukturpolitik der letzten Jahre fortsetzen.Sichere, krisenfeste Arbeitsplätze in bisher vernachlässigten Gebieten erleichtern auch die Lösung der Probleme der Agrarstrukturverbesserung. Wirtschaftspolitik und Agrarpolitik haben hier ihren Berührungspunkt, und es ist ganz sicher nicht zufällig, daß sei kurzem auch Vertreter der Landwirtschaft an den Beratungen im Rahmen der Konzertierten Aktion teilnehmen. Ich möchte hier eine Anregung geben und die Bundesregierung bitten, zu prüfen, ob es nicht zweckmäßig wäre, in die regionalen Aktionsprogramme auch Probleme der Wohnungsbeschaffung, der Erhöhung des Freizeitwertes einzelner Regionen, der Verbesserung der Bildungseinrichtungen und der Schulen in solchen regional und strukturell benachteiligten Gebieten einzubeziehen.Meine Damen und Herren, noch einige wenige Bemerkungen zur sektoralen Strukturpolitik. Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt, daß erneut einige Branchen als Schwerpunkt hervorgehoben werden. Es gilt, ihre Anpassungsprobleme zu erkennen und lösen zu helfen. Hier ist insbesondere begrüßenswert, daß die Luft- und Raumfahrtindustrie, die in den vergangenen Jahren vom Schlendrian in der Strukturpolitik betroffen wurde und qualifizierte Fachleute ans Ausland abgeben mußte, besonders gefördert wird. Wir begrüßen die Absicht der Bundesregierung, noch im Jahre 1970 ein Basisprogramm für die Luft- und Raumfahrtindustrie dem Bundestag vorzulegen bzw. zu veröffentlichen. Wir können die Bundesregierung in dieser Absicht nur bestärken.Ein besonderes Problem spielen schon immer die Werften. Sie sind ein Sonderfall, nicht erst seit der Aufwertung. Ich meine, daß die Bundesregierung auch hier gut beraten ist, wenn sie sich insbesondere um einen Abbau der internationalen Probleme und Wettbewerbsverzerrungen bemüht.Meine Damen und Herren, ich glaube, die Bundesregierung hat mit diesen erfolgreichen Maßnahmen zur Strukturpolitik den Auftrag erfüllt, den das Grundgesetz im Art. 72 stellt.
Meine Damen und Herren, wir können Herrn Zander zu einer Jungfernrede beglückwünschen.
Herr Dr. Luda!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur noch zu einigen
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1307
Dr. Ludavon dem Bundeswirtschaftsminister und auch von dem Bundeskanzler aufgeworfenen Fragen kurz Stellung nehmen.Der Bundeswirtschaftsminister hat vorhin bei seinem zweiten Auftritt einige Worte zu den Ausführungen meines Fraktionskollegen Dr. Müller-Hermann gesagt und kritisiert, daß seine Behauptung, die jetzt im neuesten Bundesbankbericht für Februar veröffentlichten Preissteigerungsraten seien einmalig hoch, nicht stimme. Ich muß den Bundeswirtschaftsminister korrigieren. Mein Kollege Dr. Müller-Herrmann hatte durchaus recht, denn es geht nicht nur um den Jahresvergleich für das Land Nordrhein-Westfalen von Januar 1970 auf Januar 1969, sondern zugleich schreibt die Deutsche Bundesbank in diesem Bericht, daß von Dezember 1969 auf Januar 1970 im Bundesland Nordrhein-Westfalen die Lebenshaltungskosten um 1,3 % in die Höhe gegangen seien.
Bei diesem Tatbestand hatte Herr Dr. Müller-Hermann recht, wenn er sagte, so hohe Preissteigerungsraten hätten wir in der Vergangenheit noch nicht gehabt.
Der Bundeswirtschaftsminister hat in seinen Ausführungen heute vormittag einige Punkte berührt, die der Erwähnung, teilweise auch der Richtigstellung bedürfen. Er hat von dem Außenbeitrag gesprochen und gemeint, daß er im -Jahre 1970 geringer werde. Er hat gesprochen von der durch die Aufwertung wiedergewonnenen Handlungsfähigkeit der Deutschen Bundesbank. Dazu möchte ich folgendes sagen. Was er hier über die Bedeutung des Außenbeitrages im Sinne der außenwirtschaftlichen Absicherung gesagt hat, deckt sich mit entsprechenden Ausführungen im Jahreswirtschaftsbericht und ist inhaltlich falsch. Im Jahreswirtschaftsbericht wird gesagt, daß von den vier Zielen des Zielbündels in § 1 des Stabilitätsgesetzes in der Gegenwart und voraussichtlich im Jahre 1970 nur das der Preisstabilität notleidend sei; bei allen drei anderen Zielen dieses Zielbündels sei eine gleichgewichtige Situation gegeben und weiter zu erwarten. Zu dieser Aussage kann der Jahreswirtschaftsbericht nur kommen, weil er den Begriff der außenwirtschaftlichen Absicherung falsch definiert. Nach einer Definition, die Herr Kollege Arndt im Jahre 196& in 'der Fragestunde des Deutschen Bundestages gegeben hat, umfaßt der Begriff der außenwirtschaftlichen Absicherung des Gesetzes nicht nur die Frage des Außenbeitrages, sondern selbstverständlich auch alle Fragen des äußeren monetären Gleichgewichts. Ich bedauere sehr, daß im Jahreswirtschaftsbericht auf das Ungleichgewicht, indem wir uns trotz Aufwertung, vielleicht zum Teil wegen der Aufwertung, befinden, in bezug auf die Zahlungsbilanzentwicklung und die Liquiditätsversorgung der Banken kaum eingegangen worden ist.
Für alle wichtigen Sektoren der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung enthält der Jahreswirtschaftsbericht auch eine Quantifizierung. Aber für die Entwicklung der Zahlungsbilanz im Jahre 1969 wird keine Zahl genannt, und über die voraussichtlichen Zahlen im Jahre 1970 wird insoweit kein Wort gesagt. Meine Damen und Herren, das hat doch einen Grund. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in seiner Antwort auf die Ausführungen von Herrn Müller-Hermann gesagt: Es besteht keine Kontroverse zwischen mir, d. h. dem Bundeswirtschaftsministerium, und der Deutschen Bundesbank. Es besteht aber ausweislich des Jahreswirtschaftsberichts ein sachlicher Dissens zwischen Bundesbank und Bundeswirtschaftsministerium. Denn in dem neuesten Monatsbericht der Deutschen Bundesbank wird der Schwerpunkt in auffälliger Weise auf die Entwicklung der Zahlungsbilanz gelegt und gesagt: Wir müssen dafür Sorge tragen, daß nicht noch mehr Liquidität ins Ausland abfließt. Obwohl der Bundeswirtschaftsminister im Jahreswirtschaftsbericht behauptet, daß in bezug auf die außenwirtschaftliche Lage ein Gleichgewichtszustand bestehe, hat er — das muß ich allerdings jetzt in Klammern hinzufügen — in seiner Rede anläßlich des Stiftungsfestes der Bremer Eiswette Mitte Januar selbst gesagt: Ich befürchte keine Uberkonjunktur im Jahre 1970; ich befürchte einen Kollaps aus Liquiditätsmangel. Meine Damen und Herren, das sagte der Bundeswirtschaftsminister Mitte Januar, und Ende Januar legt er einen Jahreswirtschaftsbericht vor, in dem er diese Problematik einfach übergeht und behauptet, es bestehe ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht!
Die Handlungsfähigkeit der Deutschen Bundesbank ist durch die Aufwertung nicht verbessert worden.
Die gegenteilige Behauptung der Bundesregierung ist objektiv ebenfalls unzutreffend. Richtig ist, daß die Handlungsfähigkeit der Bundesbank vor der Aufwertung beschränkt war, weil ihre restriktiven Maßnahmen von den hereinkommenden Geldern unterlaufen wurden. Aber seit dem Abfluß dieser Gelder steht doch die Deutsche Bundesbank vor dem Dilemma, daß, wenn sie konjunkturgerecht bremsen will, die Gefahr besteht, die Herr Kollege Schiller in Bremen aufgezeigt hat, nämlich daß eventuell ein Kollaps im Bankensystem eintritt. Oder die Bundesbannk läuft, wenn sie es für notwendig hielte, der Wirtschaft durch Kreditschöpfung wieder auf die Beine zu helfen, in der heutigen Situation Gefahr, daß die Gelder, die sie schöpft, gleich ins Ausland fließen und sich dann das außenwirtschaftliche Gleichgewicht, das zur Zeit schon labil ist und leider Gottes wahrscheinlich labil bleiben wird, noch mehr verschlechtert.
Es besteht also ein eklatanter Dissens zwischen diesem Bundeswirtschaftsminister, Herrn Kollegen Schiller, und der Deutschen Bundesbank von der Sache her. Aber nicht nur in diesem Punkt ist das so, sondern auch in der Beurteilung der notwendigen Maßnahmen seit dem Regierungsantritt überhaupt. Ich erinnere mich noch sehr gut: Der Herr
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1308 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Dr. LudaBundeswirtschaftsminister war bei uns im Wirtschaftsausschuß. Das war nach der konzertierten Aktion vom 24. November. Da habe ich mich bemüht, durch verschiedene hartnäckige Fragen aus ihm herauszubekommen, was denn nach seiner Meinung in dieser Situation notwendig sei: zu bremsen oder Gas zu geben. Ausweislich des Protokolls haben Sie, Herr ,Kollege Schiller, keine klare Antwort ,auf 'diese Fragegegeben.Was aber tut die Deutsche Bundesbank seit der erfolgten Aufwertung der D-Mark? Die Deutsche Bundesbank hat seit der Aufwertung keinen Zweifel gelassen, daß ein restriktiver Kurs weiter zu verfolgen sei. Ende des Jahres 1969 hat die Deutsche Bundesbank sogar in einer Presseverlautbarung gesagt, es wäre nicht gut, wenn sie jetzt wieder alleingelassen würde. Ich bitte, das nachzulesen.Also auch insoweit besteht zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und der Deutschen Bundesbank von der Sache her ein eklatanter Dissens. Die Vertrauensgrundlage, die die Wirtschaft und ,die Öffentlichkeit brauchen, und von der Herr Stoltenberg und Herr Müller-Hermann gesprochen haben, wiederherzustellen, hat zur Voraussetzung, daß Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, sich in der Sache mit der Bundesbank endlich über die Frage einigen, ob jetzt gebremst oder Gas gegeben werden muß.Nun, meine Damen und Herren, ist hier mehrfach die Frage des Stabilitätsbegriffs angeschnitten worden. Einer der Herren Kollegen aus dem Wirtschaftsausschuß hat vorhin hier auch über die Frage der Zielprojektion gesprochen. Wie läuft ,das eigentlich mit den Zielprojektionen ides Bundeswirtschaftsministers? Wir haben jetzt den vierten Jahreswirtschaftsbericht. In den drei vorangegangenen Jahreswirtschaftsberichten hat der Bundeswirtschaftsminister Sorge dafür getragen, daß der Stabilitätsbegriff so, wie er ihn sieht, in quantifizierter Weise definiert und im Bericht veröffentlicht wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Porzner?
Herr Luda, meine Frage kann ich erst so spät stellen, weil es etwas gedauert hatte, bis ich zu Wort kommen konnte: Haben Sie übersehen, was die Bundesbank in ihrem letzten Monatsbericht, der am 9. Februar ,abgeschlossen und erst zum Wochenende vorgelegt wurde, geschrieben hat? Meine Frage ist, ob Sie darin nicht eine Übereinstimmung mit dem Bundeswirtschaftsminister und der Bundesregierung feststellen müssen, wenn es heißt — ich zitiere Seite 5, unterer Absatz —:
Der Devisenabfluß aus der Bundesrepublik nach der Aufwertung wirkte binnen wie außenwirtschaftlich stabilisierend. Auf den internationalen Devisenmärkten ist mit der Neubewertung der D-Mark das spekulative Element, das vordem die Ursache hektischer Devisenbewegungen gewesen war, weitgehend weggefallen.
Sehen Sie darin nicht eine völlige Übereinstimmung mit dem Bundesminister für Wirtschaft?
Herr Präsident, wenn ich mein Fragerecht hier nicht überziehe, möchte ich noch eine andere Stelle zitieren, und zwar auf Seite 35.
Stellen Sie Fragen!
Sehen Sie nicht im Gegensatz zu dem, was Sie sagten, Herr Luda, auch darin eine Übereinstimmung zwischen der Bundesbank und der Bundesregierung, wenn es folgendermaßen heißt?
Das Nahziel der Aufwertung, nämlich die Unsicherheit auf den Devisenmärkten zu beseitigen, die spekulativen Geldbewegungen umzukehren und damit auch die Lage am heimischen Kreditmarkt, die vordem durch Überliquidität des Bankensystems gekennzeichnet war, der inneren Konjunkturlage anzupassen, wurde in diesen Monaten rasch und vollständig erreicht
Es waren lange Zitate. Aber ich mußte sie bringen. Können Sie da noch bei Ihrer Behauptung bleiben, es gebe einen Unterschied in der Bewertung dieser Frage zwischen der Bundesregierung und der Bundesbank?
Herr Kollege Porzner, in den Punkten, die Sie zitiert haben, besteht zweifellos diese Übereinstimmung zwischen Regierung und Deutscher Bundesbank. Es gibt zahllose Punkte, die Sie aus diesem Bericht der Bundesbank vorlesen können und wo Übereinstimmung besteht. Aber in der entscheidenden Frage, ob gebremst oder ob Gas gegeben werden sollte, war diese Bundesregierung drei Monate lang handlungsunfähig; die Deutsche Bundesbank hat aber seit vier Monaten gewußt, daß trotz Aufwertung noch weiter gebremst werden mußte."
Ich war aber bei den Zielprojektionen. Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben jetzt erstmals bei der Definition der Stabilität im Jahre 1970 nicht den früher verwendeten Deflatorbegriff des Bruttosozialprodukts benutzt, sondern sind von diesem Deflator, der nämlich von Ihnen diesmal mit 5% angenommen worden ist, für das Jahr 1970 übergegangen zum Lebenshaltungskostenindex, weil der die optisch kleinere Größe von 2,5 bis 3 % auswies, und haben so versucht, die Schockwirkung, die durch Bekanntgabe des Deflators in der Öffentlichkeit ausgelöst worden wäre, zu vermeiden. Ja, meine Damen und Herren, was macht die rationale Wirtschaftspolitik, wenn ihre Zielprojektionen durch die tatsächliche Entwicklung nicht erreicht werden? —Statt die Instrumente der Globalsteuerung einzusetzen, um die tatsächliche Entwicklung zu ändern, ändern Sie einfach Ihre Zielprojektionen und die auf ihr beruhenden Begriffe.
Sehr geehrter Herr Minister Schiller, diese Pause von drei Monaten, von der Sie sprechen, können Sie
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1309
Dr. Ludaguten Gewissens vor dem Sparer in Deutschland nicht rechtfertigen.
Sie sprechen von einer dreimonatigen Pause. Laut Presseberichten ist in Ihrem Hause davon gesprochen worden: „Wir spielen erst mal toter Käfer" ; besser gesagt: Sie haben drei Monate lang eine Konjunkturpolitik des Däumchendrehens getrieben. Die Bundesbank hat gehandelt, hat als einzige in dieser Zeit gehandelt. Ich erinnere mich eines Wortes von Professor Machlup, der gesagt hat: In Notzeiten sind die Zentralbanken die einsamen Torhüter.Meine Damen und Herren! Es ist früheren Bundesregierungen oft vorgeworfen worden, daß sie die Bundesbank im Stich gelassen hätten. Aber was macht der Herr Kollege Schiller? — In einem Zeitpunkt, wo Herr Emminger in Paris gesagt hat — wenige Tage vor dem 21. Januar —: in der Zentralbankratssitzung vom 21. Januar wird der Diskontsatz erhöht, fährt der Bundesminister Schiller in die Zentralbankratssitzung und wirkt dort ganz offensichtlich auf die Beschlußfassung dieses Gremiums im Sinne dessen ein, was schon in dem Sofortprogramm der Bundesregierung in der Regierungserklärung gestanden hat. Dort haben Sie nämlich angekündigt, die Bundesregierung werde veranlassen, daß die Bundesbank ihren restriktiven Kurs korrigiere. Hätte sie das getan, meine Damen und Herren, dann hätten wir in den letzten vier Monaten überhaupt keinen „Torhüter" mehr gehabt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Dr. Schiller, Bundesminister für Wirtschaft. Herr Kollege Luda, darf ich zwei Fragen an Sie richten? Ist Ihnen bekannt, daß zur Frage des Deflators in der Ziffer 45 des Jahreswirtschaftsberichtes, der dem Hohen Hause vorliegt, eine ausführliche statistische Erklärung rein technischer Art gegeben worden ist, dergestalt, daß der Deflator in der Zeit nach Wechselkursänderungen keine Aussagekraft mehr hat? Ist Ihnen das bekannt?
Ist das Ihre erste Frage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Dr. Luda: : Gut. Ich antworte wie folgt: Herr Schiller, ist Ihnen bekannt, daß die Sparerschutzgemeinschaft in ihrer letzten Verlautbarung Ihnen vorgeworfen hat, daß Sie jetzt erstmals nicht mehr das Ziel der Preisstabilität quantitätsmäßig formulieren und erfassen?
— Das ist meine Antwort.
Sie haben früher eine präzise Definition dessen gegeben, was Sie unter Preisstabilität verstehen. Sie
haben sie immer in Verbindung gebracht mit dem Deflator. Um von diesen jetzt ungünstig gewordenen Zahlen herunterzukommen, haben Sie die optisch besesr wirkende Zahl der bloßen Entwicklung der Lebenshaltungskosten, wie sie voraussichtlich im Jahre 1970 sein wird, gewählt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Luda, ich nehme an, Sie geben zu — das ist die Antwort —, daß Sie die Ziffer 45 nicht gelesen haben.
Sie werden in dieser Ziffer genau sehen,
daß das überhaupt nichts mit der Gunst oder Ungunst dieser Zahl zu tun hat,
sondern eine technische Frage ist.
Die zweite Frage, die ich — mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten — an Sie richten darf: Herr Kollege Luda, ist Ihnen bekannt, daß der Zentralbankrat bei seinen Entscheidungen immer in völliger Unabhängigkeit abstimmt, daß der Bundeswirtschaftsminister z. B. auch im Januar überhaupt kein Veto oder irgendeine Einflußnahme dort von seiner Seite hat fühlen lassen? Ist Ihnen das bekannt, daß jene Unabhängigkeit der Meinungsbildung dort in vollem Umfange besteht?
Es ist mir bekannt, daß die Deutsche Bundesbank und ihre Gremien in absoluter innerer und äußerer Unabhängigkeit entscheiden. Aber es ist mir auch bekannt — ich sagte es eben schon —, daß Sie seit der Regierungserklärung im Oktober 1969 eine andere Geldpolitik von der Bundesbank verlangt haben. Nachdem dann Herr Emminger wenige Tage vor der Sitzung vom 21. Januar ankündigt: Wir werden den Diskontsatz erhöhen, macht es optisch einen schlechten Eindruck, wenn der Wirtschaftsminister, der eine gegenteilige Auffassung von den notwendigen Dingen hat, in diese Sitzung reingeht; denn er geht ja schließlich nicht oft in Zentralbankratssitzungen hinein.
Eine weitere Zwischenfrage!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Luda, ist Ihnen nicht bekannt, daß dieser Bundeswirtschaftsminister, wo immer es sein möge, die Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank respektiert hat, und außerdem im Gremium des Zentralbankrats willkommen ist und daß er von den Mitgliedern des Zentralbankrats als Disputant
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1310 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Bundesminister Dr. Schillermehr gesehen worden ist als alle Bundeswirtschaftsminister vorher?
Herr Kollege Schiller, ich will Ihre Bemühungen nicht abwerten. Ich gebe nur den objektiven Eindruck wieder, der sich aufdrängen muß, wenn man sich diese Tatbestände vor Augen hält.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Junghans? — Bitte!
Herr Kollege Luda, haben Sie Ziffer 157 des Jahresgutachtens gelesen? Da steht nämlich:
Aus beiden Gründen stellt der Preisindex für das Bruttosozialprodukt
— Deflator —
kein relevantes Maß für den Geldwertschwund in ,der Bundesrepublik Deutschland dar.
Stimmen Sie damit überein?
Ich habe diesen Punkt ja eben schon mit dem Bundeswirtschaftsminister geklärt.
Ich darf dann vielleicht fortfahren.
Herr Abgeordneter, man hat Ihnen drei Minuten von Ihrer Redezeit genommen. Ich gebe Ihnen vier. Sie müssen ja wieder reinkommen in die Sache.
)
Herzlichen Dank.
Die Bundesregierung, die eben drei Monate lang eine Pause gemacht hat, hat angekündigt, daß sie auf jeden Fall durch verschärfte Mißbrauchsaufsicht und durch Einflußnahme auf die administrierten Preise Maßnahmen ,ergreifen wolle. Nun, ich begrüße das, was die Mißbrauchsaufsicht betrifft, soweit die Einflußnahme nicht mißbräuchlich erfolgt. Aber beide Maßnahmen hören wir aus dem Munde dieses Bundeswirtschaftsministers schon seit der Ersatzaufwertung von Ende 1968. Schon seit damals wird die Öffentlichkeit damit vertröstet, daß man sagt: wir handeln ja, wir sind ja nicht untätig; zum Beispiel wirken wir auf die administrierten Preise ein; zum Beispiel üben wir verschärfte Mißbrauchsaufsicht. Wenn Sie eine solche Vokabel nach einer erfolgten Ankündigung der Automobilpreiserhöhungen aufbringen, Herr Professor Schiller, dann macht sich das vor der breiten Masse, vor dem Zeitungsleser natürlich ganz schön. Aber nachdem seit dieser Ihrer Ankündigung inzwischen etliche Wochen verstrichen sind, möchte ich Sie doch fragen, zu welchem Ergebnis hat die Intervention des Kartellamtes in dieser Frage der Automobilpreiserhöhungen nach der Aufwertung geführt? Ich glaube, die
Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, das zu erfahren.
Ich sage, es steckt da etwas Substanz drin. Aber mache niemand andere Menschen glauben, daß man mit diesen beiden Maßnahmen wesentlich auf das künftige Preisgeschehen Einfluß nehmen könne.
Was die administrierten Preise betrifft, so verweise ich Sie auf eine Äußerung von Professor Bauer, Sprecher des Sachverständigenrats für die volkswirtschaftliche Begutachtung, der Ihnen in der Konzertierten Aktion, Herr Schiller, gesagt hat, daß die administrierten Preise, soweit keine Mißbräuche vorliegen, der Kostenentwicklung folgen und der Kostenentwicklung auch folgen müßten. Das ist der Rat und die Empfehlung, die Ihnen ein Experte gegeben hat. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Aber Sie wollten auch weiterhin für Marktwirtschaft eintreten, und Sie freuen sich über den Wettbewerb zwischen der Marktwirtschaft bei uns der Marktwirtschaft bei Ihnen. Nun, ich möchte sagen: ein Wettbewerb um soziale — auf diesen Zusatz lege ich großen Wert — Marktwirtschaft! Wenn Sie in der geschilderten Weise auf administrierte Preise Einfluß nehmen wollen, so ist es zwar marktwirtschaftlich, wenn Sie die Tarifbandbreiten erhöhen wollen —das gebe ich zu —, aber jede andere Einwirkung, die die Kostenentwicklung negiert, ist nicht marktwirtschaftlich, und das möchte ich Ihnen in diesem Zusammenhang sagen. Sie fordern ein neues internationales Zinsabkommen. Das kann man zunächst einmal nur begrüßen, wenn man nicht wüßte, wie die Realitäten sind.
— Ich muß leider an diesem Punkte abschließen.
Herr Schiller, wie die Realitäten in bezug auf internationale Zinsabrüstung sind, wissen Sie ganz genau. Wie können Sie sich, nachdem am 10. Februar der Zehnerklub in Basel dieserhalb zusammengekommen ist und gesagt hat, die internationale Zinsabrüstung sei zu diesem Zeitpunkt der Hochzinspolitik in USA völlig unrealistisch, nachdem Ihnen sämtliche Kollegen im Zehnerklub einschließlich des Herrn Emminger das gesagt haben, heute vor den Bundestag und die deutsche Öffentlichkeit hinstellen und ihr Trost spenden wollen aus der Ankündigung: Ich, Karl August Schiller, werde eine internationale Zinsabrüstung einleiten?
Meine Damen und Herren, ich muß leider aus Zeitgründen abbrechen. Vielleicht bekomme ich gleich noch Gelegenheit, Ihnen die restlichen Punkte vorzutragen.
Das Wort hat der Abgeordnete Lenders.
Herr Dr. Luda, zunächst ein paar Worte zu Ihnen. Ich meine, die Verrenkungen, die Sie jetzt hier angestellt haben, sind doch nichts anderes als der ständige Versuch, die eigenen Wunden zu lecken.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1311
LendersIch verstehe eigentlich nicht, wieso sie ständig auf die Vergangenheit zurückkommen und diese Wunden selbst immer wieder aufreißen. Sie versuchen hier einen Dissens zwischen dem Bundeswirtschaftsminister und der Bundesbank herbeizureden. Ich kann da nur das unterstützen, was soeben Herr Porzner aus dem letzten Bericht der Bundesbank zitiert hat, und ich weise ferner darauf hin, daß der neue Präsident der Deutschen Bundesbank Mitte Januar ganz klar erklärt hat, er sehe diese Bundesregierung in ihrem Verhalten als Mitstreiter bei der Bewältigung der konjunkturellen Probleme an. Also ich weiß nicht, wo Sie diesen Dissens, diese Unstimmigkeit zwischen Bundesbank und Bundeswirtschaftsminister hernehmen.Meine Damen und Herren, ich darf nur eine Viertelstunde reden, bis die rote Lampe aufleuchtet. Lassen Sie mich darauf hinweisen, daß dieser Bericht des Bundeswirtschaftsministers, über den wir jetzt diskutieren, nicht nur ein konjunkturpolitischer Bericht ist, sondern ein Jahreswirtschaftsbericht und daß er weitere wesentliche Bereiche der Wirtschaftspolitik abdeckt, wie z. B. die Strukturpolitik, auf die hier dankbarerweise mein Kollege Zander schon eingegangen ist, wie die Wettbewerbspolitik, wie die Energiepolitik usw. Diese Bereiche der Wirtschaftspolitik sind genauso wichtig wie die konjunkturpolitischen Fragen, die von der Bundesregierung sehr ernst genommen werden, langfristig vielleicht sogar noch wesentlicher und wichtiger. Bisher habe ich Aussagen der Opposition zu diesen Teilen des Jahreswirtschaftsberichts der Bundesregierung, zu diesen wirtschaftspolitischen Fragen und Vorschlägen, die hier gemacht worden sind, vermißt, abgesehen von der Wettbewerbspolitik, auf die ich kurz eingehen möchte.Ich nehme das, was Herr Müller-Hermann zum Abschnitt Wettbewerbsrecht bzw. Novellierung des GWB gesagt hat. Herr Müller-Hermann, Sie habenich habe mir das aufgeschrieben — erklärt: Wir von der Opposition sind bereit, etwas zu tun, um den Wettbewerb auch unter den veränderten technologischen Bedingungen zu erhalten. Das hören wir sehr gerne, das hört auch sicherlich die Bundesregierung sehr gerne. Nur ist bei Ihnen ausgeblieben, wie Sie sich das vorstellen. Ich muß Sie fragen: gelten da die Aussagen, die etwa im Bereich Ihres Arbeitskreises „Mittelstand" zur Zeit gemacht werden, oder gelten die Aussagen, die der CDU-Wirtschaftsrat dazu macht, oder welche Aussagen gelten dazu im Bereich Ihrer Fraktion?
— Herr Müller-Hermann, wenn Sie sagen - sofort nach der Erklärung der Bereitschaft, mitzuarbeiten —: Aber keine weiteren Instrumente, keine Gängelung der Wirtschaft, — dann kommt mir das sehr bekannt vor.
Wenn ich das, was Sie sagen, vor dem Hintergrund der gegenwärtigen öffentlichen Debatte in der Presse sehe, bedeutet das doch wohl im Endeffekt, daß Sie von Marktwirtschaft viel reden, aber wenn es zum Schwur kommt, sind Sie wegen der Interessengegensätze in Ihrer eigenen Fraktion auch in diesen Fragen nicht handlungsfähig.Wir begrüßen es, daß der Bundeswirtschaftsminister im Jahreswirtschaftsbericht erklärt hat, die Novelle werde noch in diesem Jahr kommen. Dieser neue Anlauf zu einer Reform der Wettbewerbspolitik hat ja doch die sehr lebhafte und engagiert geführte Debatte in der Öffentlichkeit um die Konzentrationsvorgänge sowohl in der Bundesrepublik, als auch in der europäischen Industrie in den letzten Jahren zum Hintergrund.Angesichts dieses Hintergrundes der zur Zeit in der Öffentlichkeit geführten Debatte, möchte ich eine weitere Bemerkung machen. Gegen die geplante Novelle wird z. B. der Vorwurf des Staatsdirigismus oder des Abbaus unternehmerischer Freiheit erhoben; das ist auch bei Ihnen angeklungen, Herr Müller-Hermann. Dieser Vorwurf wird insbesondere im Zusammenhang mit der Fusionskontrolle und dem Ausbau der Mißbrauchsaufsicht laut. Ich möchte für meine Fraktion in aller Deutlichkeit sagen: die Debatte darüber, warum Marktverfassung und Marktverhalten unter der Kontrolle von Parlament, Regierung und Rechtsprechung zu liegen haben, ist für uns ausgestanden. Sie ist im Grundsatz mit der Verabschiedung und Entstehung des Wettbewerbsgesetzes im Jahre 1957 bereits ausgestanden gewesen. Auf dieses Geleise der Debatte lassen wir uns jedenfalls nicht mehr schieben. Uns geht es vielmehr darum — wenn hier schon von Dirigismus gesprochen wird —, den Dirigismus der Großen gegenüber den Kleinen, den der Mächtigen gegenüber den Schwachen in der Wirtschaft selbst in Schranken zu halten und einen funktionsfähigen Wettbewerb zu sichern. Deshalb müssen wir heute vor dem Hintergrund der Konzentrationsvorgänge der letzten Zeit auch den Tatbestand der Macht, der Marktbeherrschung und der Marktmacht durch Fusion, durch die verschiedensten Formen unternehmerischer Zusammenschlüsse sehen.Fusionskontrolle - das scheint mir in dieserDebatte und in der Diskussion in der Öffentlichkeit vielfach bewußt oder unbewußt übersehen zu werden — heißt ja nicht grundsätzliches Fusionsverbot. Durch eine Verschärfung der Mißbrauchsaufsicht, die vielfach als Gegenvorschlag erörtert wird, kann unserer Meinung nach eine vorbeugende Fusionskontrolle schon deswegen nicht ersetzt werden, weil die Fusionskontrolle bereits bei der Entstehung marktbeherrschender Positionen einsetzen muß, damit auf diese Weise von vorherein Fehlentwicklungen vermieden werden.Die SPD — das darf ich für meine Fraktion sagen — wird sich bei der Novellierung des Wettbewerbsrechts von extremen Positionen fernhalten.
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1312 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Lenders- Ich spreche im Augenblick von dem Bereich „Mißbrauchsaufsicht und Fusionskontrolle". Wir haben durchaus erkannt, daß wir uns in Europa in der Anfangsphase eines grundlegenden Strukturwandels der Industrie befinden. Davon legen die Konzentrationsvorgänge der letzten Zeit auch Zeugnis ab. Wir erkennen sehr wohl den wirtschaftlichen Sachzusammenhang an, daß sich in einer wandelnden Welt beispielsweise bestimmte Zusammenfassungen von Unternehmen abspielen müssen.Da wir die Betonung auf Fusionskontrolle und Verschärfung der Mißbrauchsaufsicht legen, möchte ich, um unsere Position auch gegenüber den in der öffentlichen Diskussion geäußerten Meinungen deutlich zu machen, ein Zitat von Professor Kantzenbach bringen, der vor einigen Wochen in einem Aufsatz, bezogen auf die amerikanischen Erfahrungen, geschrieben hat:Die amerikanische Erfahrung lehrt aber auch, daß eine wirtschaftspolitische Konzentrationskontrolle schon dann einsetzen sollte, bevor der Konzentrationsprozeß auf den meisten Märkten die Schwelle fühlbarer Wettbewerbsbeschränkungen erreicht und überschritten hat. Denn nur wenn noch ein Spielraum für weitere Konzentrationen vorhanden ist, kann die Wirtschaftspolitik wirklich lenkend in diesen Prozeß eingreifen, um technisch optimale Lösungen zu erreichen.Das ist unsere Position in dieser Frage.Ein paar Bemerkungen zu den Einzelheiten, die im Jahreswirtschaftsbericht angekündigt sind. Bei der Novellierung kommt es uns darauf an, daß die Wettbewerbsbehörden gesetzlich wie institutionell in die Lage versetzt werden, tatsächlich wettbewerbspolitisch tätig werden zu können. Was ich damit meine, ist sehr schnell verständlich durch einen Hinweis auf die gegenwärtigen Unzulänglichkeiten bei der Mißbrauchsaufsicht, wie sie im GWB geregelt ist.Ein Wort zur vorbeugenden Fusionskontrolle. Wir sind mit der Bundesregierung der Auffassung, daß allein eine vorbeugende Fusionskontrolle, d. h. eine Kontrolle vor Vollzug der Fusion, dazu geeignet ist, den Konzentrationsprozeß zu steuern. Damit würden auch die Probleme eines Entflechtungsmechanismus hinfällig.Die Bundesregierung beabsichtigt, an der Prüfung und an der Entscheidung im Rahmen der Fusionskontrolle das Bundeskartellamt, eine unabhängige Monopolkommission und das Bundeswirtschaftsministerium zu beteiligen. Die Verteilung der Kompetenzen in diesem Dreiecksverhältnis werden wir nach Vorlage des Gesetzentwurfs im Hinblick auf Praktikabilität und Wirksamkeit sehr sorgfältig prüfen.Ein weiterer wesentlicher Aspekt bei dieser beabsichtigten Novellierung des GWB, des Wettbewerbsrechts, ist der Komplex der Selbständigenpolitik. Die Ausführungen im Jahreswirtschaftsbericht zu diesem Bereich lassen erkennen, daß die Bundesregierung die angekündigte Novelle weithin auch unter dein Gesichtspunkt der Selbständigenpolitik sieht. Meine Fraktion begrüßt und unterstützt das Bemühen der Bundesregierung, das Gleichgewicht der Wirtschaft in sich, die Ausgewogenheit zwischen kleinen, mittleren und großen Unternehmen in der Bundesrepublik durch ein unternehmensgrößenbezogenes Wettbewerbsrecht in der Zukunft, in die Zukunft hinein zu erhalten.Die Bundesregierung hat in ihrem ersten Wirtschaftsbericht in dieser Legislaturperiode, so meinen wir, eine ausgewogene marktwirtschaftliche Strategie der Selbständigenpolitik entwickelt, der wir zustimmen. Zum einen stützt sich diese Strategie auf die Festigung der Marktstellung mittlerer und kleinerer Unternehmen durch die soeben angedeutete Verbesserung des Wettbewerbsrechts, zum anderen auf die betriebswirtschaftliche Stärkung dieser kleinen und mittleren Unternehmen. Dem Bundeswirtschaftsminister darf ich sagen: auch am Erfolg dieser Strategie wird die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung gemessen werden.Erstrangige Bedeutung im Rahmen dieses Programms der Selbständigenpolitik auf der wirtschaftliche Seite haben für uns erstens die Maßnahmen zur Förderung der Anpassung kleiner und mittlerer Unternehmen an den technischen Fortschritt durch Bereitstellung entsprechender Mittel für die Verwendung etwa der elektronischen Datenverarbeitung in diesen Betrieben oder beim Aufbau gemeinschaftlicher Rechenzentren, zweitens die Gemeinschaftsforschung und -entwicklung in diesem Bereich und die entsprechende Anwendung und drittens die Verbesserung des Informationsniveaus, insbesondere durch die Vermittlung zeitgemäßer Marktanalysen. Hinzu kommt ein zweiter Schwerpunkt, der hier auch schon mal angesprochen worden ist, nämlich die Förderung privater Kapitalbeteiligungsgesellschaften für kleine und mittlere Unternehmen. Wir haben - das geht eindeutig aus dem Jahreswirtschaftsbericht hervor - in dieser Frage eine andere Konzeption, als sie die CDU bisher anbietet. Wir lehnen in Übereinstimmung mit der Bundesregierung ab, daß solche Gesellschaften direkt oder indirekt nur in öffentlicher Hand sind und damit die mittelständischen Unternehmen auf die Dauer in eine Abhängigkeit zum Staat als Kapitalgeber und Risikoträger kommen würden.Lassen Sie mich mit einem Schlußsatz aus der Regierungserklärung selbst schließen. Der Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung vom 28. Oktober gesagt:Ein verbessertes Kartellgesetz muß zum Instrument einer wirksamen und fortschrittlichen Mittelstandspolitik werden. Auf dieser Grundlage können dann weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Finanzierungsmöglichkeiten, zum Ausbau des Beratungswesens und zu einer vom Betrieb unabhängigen Alterssicherung für Selbständige aufbauen.Diese programmatischen Grundsätze erfahren jetzt. im Jahreswirtschaftsbericht eine weitere Konkretisierung, und - das darf ich als letztes für meine Fraktion sagen - wir wären dem Bundeswirtschaftsminister dankbar, wenn die im Jahreswirtschaftsbericht angekündigten Grundsätze einer Struktur-
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Lenderspolitik für mittlere und kleine Unternehmen bald folgen würden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Burgbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche zum Thema Vermögenspolitik. Im Jahreswirtschaftsbericht sind dieser Frage drei Abschnitte gewidmet. Das ist gut so; denn diese Frage gehört ganz zweifellos nicht zu den retrospektiven und nicht zu den höchst aktuellen, aber zu den Schicksalsfragen einer nahen Zukunft für unser Wirtschaftssystem und unsere Sozialordnung.
Ich treue mich, daß an diesem Tag, wenn auch zu später Stunde, doch noch die Möglichkeit besteht, einige Minuten über entscheidende Zukunftsprobleme zu sprechen, weil ich der Meinung bin, daß dieses Hohe Haus sicherlich mehr Pflichten gegenüber der Zukunft als gegenüber der Vergangenheit hat.
Im ersten Abschnitt wird lobenswert dargestellt, daß die Vermögenspolitik die Beteiligung breiter Schichten am Vermögenszuwachs in der Wirtschaft zum Ziel haben soll. Das ist übersetzt das, was wir auf Grund des CDU-Parteitags in Berlin unter gesetzlichem Beteiligungslohn verstehen.
Im zweiten Abschnitt wird dann eine höchst dünne Suppe serviert, nämlich als Maßnahme der Regierung die Verbesserung des 312-DM-Gesetzes. Ich muß wiederholen, daß ich das absolut nicht als einen wesentlichen Beitrag zu dein im ersten Abschnitt richtig gekennzeichneten Problem ansehen kann.
Das 312-DM-Gesetz, das wir geschaffen haben, ist leider von den Sozialpartnern nur für 1 Million unselbständig Beschäftigte in Anspruch genommen worden, aber unter den unselbständig Beschäftigten aus eigenen Mitteln immerhin von 4 Millionen, zusammen von 5 Millionen. Bei 22 bis 24 Millionen unselbständig Beschäftigten ist das kein Durchbruch, sondern nur ein beachtenswerter Anfang.
Wer nun glaubt, er könnte diesen bescheidenen, unzulänglichen Anfang damit verbessern, daß er den besser Verdienenden die Möglichkeit gibt, zum zweiten Mal 312 DM anzulegen - denn nur für die kommen die zweiten 312 DM in Frage, solange die ersten nicht von der Masse der unselbständig Beschäftigten in Anspruch genommen werden oder ihnen nicht zur Verfügung gestellt werden —, der ist nach meiner Ansicht sicher guten Willens. Aber ich bitte um Entschuldigung, wenn ich sage: Das ist soziale Augenwischerei und sonst gar nichts.
Wir sehen, daß unser Bundeswirtschaftsminister in seiner Gründlichkeit, die wir sicherlich alle anerkennen wollen, in seine Vorausschau Beträge für die Förderung der Vermögensbildung eingesetzt hat, die so gering sind, daß es ganz klar ist, daß die Regierung selbst von ihrem Kind nichts hält. Denn würde sie der Meinung sein, daß die Menge der unselbständig Beschäftigen von der Verdoppelung der 312 DM Gebrauch machen würde, müßte sie ganz andere Mittel 'in ihren Haushalt einsetzen. Damit wird also sozusagen von Amts wegen die Augenwischerei gedruckt bestätigt.
Wir sind der Meinung, daß die Lösung dieses Grundproblems nicht ohne gesetzliche Regelung geschehen kann. Das ist sicherlich ein umstrittenes Thema und wird dieses Hohe Haus noch beschäftigen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Junghans?
Herr Kollege Dr. Burgbacher, bedeutet Ihr letzter Satz, daß die CDU als Partei und insbesondere Ihre Fraktion Ihrem Antrag zugestimmt hat? Ist das die Ankündigung? Ich frage nur zu meiner Information.
Der Bundesparteitag der CDU hat den gesetzlichen Beteiligungslohn beschlossen. Die CDU hat ihn in dem Programm für die 70er Jahre in Essen erneut bestätigt. Die Arbeitsgruppe der Partei und nun die Arbeitsgruppe der Fraktion arbeiten an der gesetzlichen Vorlage. Diese gesetzliche Vorlage erfordert noch einige Arbeit. Dann wird sie der Fraktion zugeleitet, und dann wird diese Frage nach demokratischen Grundsätzen behandelt. Wir glauben für einen gesetzlichen Beteiligungslohn eine Mehrheit in diesem Hohen Hause zu finden.
Wir glauben nicht, daß sich Mitglieder anderer Fraktionen dieses Hohen Hauses dem Zwang der Tatsachen werden entziehen können. Herr Junghans, dazu gehören auch Sie.Nun, jeder gesunde Mensch geht auf zwei Beinen, und dieses Gesetz auch. Das eine Bein ist die gesellschaftspolitische Situation, die Beteiligung aller unselbständig Beschäftigten am Produktivkapital der Wirtschaft. Daß das kein Prozeß revolutionärer, sondern ein Prozeß evolutionärer Art ist, der seine Zeit braucht, das liegt auf der Hand, und das kann gar nicht anders sein.Ich darf wahrscheinlich schon jetzt mit Sicherheit voraussagen, daß in unserer Vorlage stehen wird, daß die Sozialpartner in ihrer Tarifhoheit unangefochten bleiben müssen, ja, daß sie sogar eine Privilegierung der in Tarifverträgen vorgesehenen investiven Anteile enthalten wird. Ich sage das deshalb mit dieser Klarheit, weil wir die Sozialpartner nicht aus diesem Problem entlassen wollen. Wir müssen mit Bedauern feststellen, daß sie sich beide, Arbeitgeber und Gewerkschaften da ist kein moralischer Unterschied zu machen —, bisher dieser Aufgabe nicht gewidmet haben.
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Dr. BurgbacherWir hoffen, daß sie in der Zukunft in der Tarifierung investiver und nicht nur konsumtiver Lohnanteile eine ihrer neuen wichtigen Aufgaben erkennen mögen.
Das andere Bein ist das wirtschaftspolitische. Wir sollten uns überhaupt angewöhnen, wenn sozialpolitische Vorlagen nicht auch wirtschaftspolitisch richtig sind und wirtschaftspolitische nicht auch sozialpolitisch richtig sind, gar nicht mehr die Mühe der Arbeit darauf zu verwenden, sie zu verfolgen.
Für uns sind das zwei Worte für eine Sache.
Zunächst zu dem wirtschaftspolitischen Teil. Er hängt eng mit dem Verlauf der Debatte dieses Tages zusammen. Es ist gar keine Frage, daß die deutsche Wirtschaft im Mittelstand und in der Industrie unterkapitalisiert ist. Es ist weiter keine Frage, daß bei sich verschärfendem internationalen Wettbewerb die Finanzierung über den Preis immer enger wird. Es ist auch keine Frage, daß wir, um die Wirksamkeit, die Effektivität unserer Produktionskraft, der Quelle aller Sozialpolitik, zu erhalten, für eine Eigenkapitalzufuhr durch die Bürger dieses Staates zu sorgen haben.
Das ist der wirtschaftspolitische Teil.
Deshalb möchte ich diesen Tag nicht vorbeigehen lassen, ohne folgendes zu sagen. Eine Erkenntnis aus der heutigen Debatte dürfte doch wohl sein, daß in Zeiten der Konjunktur, wie wir sie haben, in einer hochindustrialisierten Epoche, die ja noch nicht zu Ende ist und auch noch nicht auf dem Kulminationspunkt ist, die Mittel der reinen Fiskalpolitik und der reinen Kreditpolitik nicht mehr genügen, um mit Sicherheit zu konjunkturgreifenden Maßnahmen zu kommen.
Zu den möglichen Maßnahmen darüber hinaus gehört aber, daß alle unsere Bürger außer Konsumlohn auch Kapitallohn erhalten, der, soweit es möglich ist, in Beteiligungswerten angelegt wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Rosenthal.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wenn die Männer müde sind und deren nicht viele, kann eine alte Jungfer überhaupt nur bestehen, wenn sie zwei Dinge tut: erstens sich kurzfassen und zweitens freundlich sein.
Mit der Freundlichkeit, Herr Professor Burgbacher, will ich gleich anfangen. Es wäre unfair, wenn ich nicht feststellen würde, daß wir gewisse Gemeinsamkeiten haben und daß Sie einer von manchen in Ihrer Fraktion sind — in unserer Fraktion gibt es viele, die so denken wie Sie -, die die derzeitige Verteilung des Vermögens für ungerecht und nicht unabänderlich halten.
Sie sind einer von denen, die auf der einen Seite nicht glauben, daß die Vermögensbildung der Arbeitnehmer eine Art Trostpflästerchen oder Lockmittel ist, womit man die Arbeitnehmer von anderen Forderungen abbringt bzw. womit man ihnen andere Forderungen abkaufen kann, und auf der anderen Seite davon überzeugt sind, daß die Bildung eigenen Vermögens etwas ist, was keine Sozialpolitik, so notwendig sie ist, ersetzen kann, weil eigenes disponibles Kapital auch ein Teil der Freiheit ist.Es gibt aber verschiedene Fragezeichen. Ich will die Fragezeichen nicht zu hart setzen, weil ich weiß, daß jeder von uns, der etwas will, es andauernd mit den Ja-aber-Spezialisten zu tun hat. Beginnen wir mit dem kleinsten Fragezeichen: Wo wollen Sie für Ihren Plan das Material hernehmen, nämlich 7 Milliarden DM, Investmentzertifikate, Aktien? Wo soll das Material herkommen?
Das zweite - auch das überbewerte ich nicht — ist das Argument vom Zwangssparen. Auch die Sozialversicherung ist eine Form des Zwangssparens. Das soll man nicht überbewerten.
Es ist aber schon ein größeres Fragezeichen, daß die Sozialpartner mit Ihrem Plan nicht übereinstimmen, denn Sie finden bis jetzt weder bei den Gewerkschaften noch bei den Arbeitgebern Zustimmung zu Ihrem Weg.
Es ist für eine gesellschaftliche Reform natürlich wichtig, daß man die gesellschaftlichen Kräfte nicht gegen sich hat.
Das größte Fragezeichen aber sehe ich in der Fraktion der CDU/CSU selbst.
Ich habe hier eine Äußerung des lieben Herrn Höcherl, der jetzt leider nicht da ist,
aus der CSU-Korrespondenz, in der er zwei Dinge schreibt:Drittens. Die Vermögensbildung muß auf einem freien Entschluß beruhen. Es darf kein gesetzlicher Zwang ausgeübt werden... .Fünftens. Eine Vermögensbildung im Rahmen von Tarifvereinbarungen ist verstärkt anzustreben und besonders zu begünstigen, nachdem ein gesetzlicher Zwang nicht möglich ist.
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RosenthalIch stelle zwei Dinge fest: Die CSU ist ausnahmsweise mit uns d'accord— das freut uns — und wird unseren Antrag unterstützen. Aber, Herr Burgbacher, auf Grund dieser Stellungnahme habe ich leider das Gefühl, daß wieder einmalfolgendes passiert ist: daß Ihr Plan als Wahlkampfkanone aufgeprotzt wird, um dann als Fraktionskrepierer zu enden.
Herr Stoltenberg, Sie haben heute unseren bescheidenenen Anfang — und als bescheiden möchte ich ihn auch bezeichnen — mit der Verdopplung des Betrages von 312 DM etwas unterbewertet, und zwar wegen des Zeitpunkts, zu dem das jetzt geschieht. Einmal sind heute DGB und BDA für diese Sache, weil wir uns nämlich den Mund lange genug in den verschiedenen Richtungen fransig geredet haben. Unterschätzen Sie nicht das Signal, das die ÖTV gegeben und das auf andere Gewerkschaften übergegriffen hat. Heute nehmen die Gewerkschaften das weit ernster, und deshalb ist die Situation für das neue Gesetz sehr viel besser, als sie für das 312-Mark-Gesetz war.Zum anderen darf ich für meine Fraktion hier sagen, wir begrüßen es, daß dieses Gesetz rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres möglichst schnell durchgebracht werden wird. Als noch wichtiger betrachte ich es, daß das Zulagensystem, das, wenn ich richtig informiert bin, in Ihrer Fraktion abgelehnt worden war, von uns durchgebracht wird.
— Ja, aber das Zulagensystem wird jetzt von uns gebracht, und da liegt ein großer Unterschied, denn die Steuerabzüge haben immer nur bedeutet, daß diejenigen, die schon etwas haben, noch mehr bekommen.
Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben gesagt, wir sollen mal schnell voranbringen, was im Arbeitsministerium bereits ausgearbeitet ist. Ich glaube, das Arbeitsministerium ist nicht böse — ich war damals dabei; da wurde etwas gehudelt —, wenn ich sage, daß das noch nicht der Weisheit letzter Schluß ist. Denn wir haben jetzt mehrere Lösungen: a) das, was jetzt beispielsweise mehrere Firmen gemacht haben — Herr Pieroth und Herr Rosenthal sind hier im Raume —, b) den Tarif, den wir jetzt durchbringen wollen, nämlich die Verdopplung des Betrages von 312 DM, c) das, was — wie Sie mir zugeben werden — noch nicht ganz ausgegoren ist, und d) den Burgbacher-Plan. Ich halte es also schon für besser, daß wir, anstatt jetzt von uns aus so hopphopp einen Plan herauszubringen, so wie es die Sozialdemokraten und die Unternehmer machen — obwohl wir 'da am Anfang der Regierungszeit auch einmal gewisse Fehler gemacht haben —, analysieren, planen und dann gemeinschaftlich handeln. Für mich ist an der Kommission, die jetzt bei uns gebildet worden ist, das Wichtigste, daß sie sich nicht wie bei Ihnen immer wieder mit der Fraktion herumschlagen muß. Denn in unserer Kommission sind jetzt die Partei und vor allem die Gewerkschaftenbreit vertreten, und deshalb hoffe ich, daß, wenn wir etwas zusammenbringen, das dann auch durchgeht.Ich habe gesagt, der Unternehmer analysiert und plant. Deshalb und weil ich immer höre, daß unserem Wirtschaftsminister seine 0,5-Prozent-Fehler bei den Zielen und bei den Prognosen angerechnet werden, darf ich einen kleinen Schlenker machen.
— Nun, wissen Sie, die Unternehmer haben schon vor 20 Jahren angefangen, Gewinnpläne, Absatzpläne und Produktionspläne aufzustellen. Ich habe eigentlich erwartet, daß Sie Brecht zitieren, denn der ist den meisten von Ihnen vielleicht sympathisch, und Sie hätten unserem Schiller gesagt: „Mach noch einen Plan! Gehn tun sie beide nicht!" Seien wir einmal ehrlich: alle Pläne, die wir gemacht haben, unsere Pläne allein in den Unternehmen, die wir alle sehr viel besser übersehen können, haben nie genau gestimmt; aber die Unternehmen, die überhaupt Pläne gemacht haben, sind vorangekommen.
Ich betrachte es als Schillers großes Verdienst, daß er in das größte Unternehmen, das es überhaupt gibt, den Staat, die Prognose und die Zielplanung gebracht hat.
Ich bin nicht ganz d'accord mit meinem Freund Schachtschabel, denn die Projektionen sind ja nicht allein indikativ. Wenn wir eine Investitionsteuer ändern, dann ist es auch ein Teil des Kommandos. Wir müssen einmal auf beiden Seiten erkannt haben, daß die Planung auch vom Staat nicht mehr weg kann.Herrr Kollege Stoltenberg, Sie haben, glaube ich, Herrn Schiller gesagt, daß er ein Spätkonvertit für die Aufwertung sei. Nun, die Aufwertung, das ist wie ein Abführmittel, das nimmt man zur rechten Zeit, hingegen glaube ich, in Ihrer Fraktion gibt es sehr viele Spätkonvertiten zur notwendigen Globalplanung.Nun zur Analyse. Diese Geschichte mit der Vermögensstruktur in Deutschland ist sozusagen eine etwas bucklige Alte, die durch drei Schleier verschönt wird. Der eine Schleier ist die Unterteilung, bezogen auf die seit 1950 gebildeten 900 Milliarden Vermögen: 38% Staat, 36% Private, 26% Unternehmen. Ja, wem gehören denn die Unternehmen? Die gehören in großem Maße zu den Privaten: Schleier 1.Schleier 2! Es wird gesagt oder errechnet, daß durchschnittlich die selbständigen Unternehmer ein Einkommen von 150 000 DM haben, die Arbeitnehmer doch schon von 7000 DM. Ja, meine Herren, unter den Selbständigen sind die armen Handwerker, die armen Eifelbauern und die pleite gegangenen Tante-Anna-Geschäfte, und bei den Arbeitnehmern sind die Minister und der Herr Philip
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RosenthalRosenthal. Deshalb ist es ein zweiter und böser Schleier.
— Jawohl, Sie auch, Herr Burgbacher.
Der dritte Schleier sind die Arten. In demselben Papier von der CSU, lieber Herr Höcherl, lese ich den Hinweis auf die 100 Milliarden DM, die die Arbeitnehmer schon haben, und die Selbständigen haben auch nur 72 Milliarden DM.
Darauf muß ich Ihnen aber sagen, daß diese 72 Milliarden DM 3 Millionen Selbständige besitzen — Eifelbauern und alles —, die 100 Milliarden DM jedoch 24 Millionen Arbeitnehmer, inklusive Minister und Rosenthal.
— Ja, ich rede von den Schleiern!
Dann müssen wir uns über noch etwas im klaren sein. Von Ihrer Fraktion wird immer das Vermögen herausgestellt, das im Bau steht — von dem Sozialvermögen, das Sie dann immer noch herausstellen, will ich gar nicht reden —, und vom Kontensparen. Wissen Sie: Bauvermögen ja; Kontensparen: das ist nicht die übliche Sparart der Reichen. Deshalb möchte ich sagen, als erstes brauchen wir eine aussagefähige Vermögens- und Einkommensstatistik,
nach Berufen, nach Höhe und nach Arten gegliedert. Sie ist im Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates vom Jahre 1963 verlangt. In einem Gesetz zur Einkommen- und Körperschaftsteuer hat der Bundestag 1967/68 mit Ihren Stimmen dafür gestimmt, der Bundesrat hat es abgelehnt. Beim zweitenmal haben leider einige von Ihnen — ich kann mir denken, wer — zwar mit uns gestimmt, die anderen aber nicht. Da wird notiert: „Beifall rechts", und die Herren tun mir eigentlich verhältnismäßig leid; denn es ist für eine Vermögenspolitik unsachlich, wenn man sie auf einer völlig irreführenden Statistik aufbauen will. Wenn wir das Geld und die Leute dazu haben, um die Runkelrüben in der Stadt Hamburg und um die einjährigen Ziegen zu zählen, nicht aber, um festzustellen, wer was hat, dann ist das unwürdig.
Auch hier, meine Damen und Herren, haben wir zu einer Jungfernrede zu gratulieren. Aber ich bin nicht mit dem Herrn Vorredner einverstanden, wenn er sagt, es sei eine „Altjungfernrede" gewesen. Er hat so viel mit Schleiern hantiert, wie es alte Jungfern nicht zu tun pflegen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gewandt.
Herr Präsident! Meine geehrten Damen und Herren! Meine verehrten Vorredner haben auf jene Punkte des Jahreswirtschaftsberichts Bezug genommen, die sich nicht mit der Konjunktur befassen. Ich glaube, daß für uns der letzte Beitrag, der Beitrag des Kollegen Rosenthal, außerordentlich ermutigend war, weil man ihm Ansatzpunkte dafür entnehmen könnte, daß auch Sie mit uns für die Bildung von Individualeigentum eintreten. Sie hätten hier die Möglichkeit; uns dabei zu helfen, einer These des Kollegen Müller Hermann zu widersprechen, der Ihnen heute morgen ein anderes Bild gezeichnet hat, ein Bild, das sich nach der Politik, die Sie heute verfolgen, zu Recht zeichnen läßt.Ich möchte nun nicht auf die Frage der Konjunktur eingehen; denn darüber ist heute morgen sehr überzeugend gesprochen worden. Ich habe mich nur gewundert, warum Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, nach der Mittagspause des Schutzes durch den Herrn Bundeskanzler bedurften. Die Couloir-Gespräche haben mich dann allerdings aufgeklärt, warum das wohl nötig war. Nämlich weil gestern offenbar eine sehr dramatische Kabinettsitzung stattgefunden hat, in der Sie stark in Verdrückung geraten sind.
In der Auseinandersetzung heute spielte die Ordnungspolitik eine Rolle. Ich glaube, der Appell des Herrn Bundeswirtschaftsministers an unsere Adresse, wir sollten uns für eine Wirtschaftspolitik des Wettbewerbs einsetzen, ist ziemlich absurd. Ich möchte hier nicht weitere Geschichtsforschung betreiben. Aber wer sich für die Einführung der Marktwirtschaft in diesem Hause eingesetzt und sich dabei bewährt hat, steht außer Zweifel.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir alle stimmen mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister darin überein, daß man die marktwirtschaftliche Ordnung stärken muß. Aber das erste, was wir beanstanden, ist, daß Herr Schiller Ordnungspolitik ständig mit Konjunkturpolitik vermengt. Das zweite ist, daß in die ohnehin hektische Wirtschaftspolitik eine weitere Unsicherheit dadurch hineingetragen worden ist, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister bis heute nicht in der Lage war, ein klares Wettbewerbskonzept vorzulegen, so daß bei uns der Verdacht auftaucht, daß Herr Schiller vor anderthalb Jahren noch gar nicht fähig war, uns eine ausgereifte Vorlage zu präsentieren.Wir möchten darauf hinweisen, daß nach unserer Auffassung und auch nach der Auffassung des Herrn Bundeswirtschaftsministers eine Globalsteuerung lediglich die Kreislaufgrößen der Volkswirtschaft beeinflussen soll. Was wir nicht wollen, ist, daß der Wettbewerb, das Wettbewerbsrecht, ein Instrument der Gängelung und des Dirigismus wird.
Meine Damen und Herren, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister sagt, daß die Grundsatzentscheidung für die Marktwirtschaft nicht ausreiche, sondern daß man ihre Funktion dauernd sichern müsse, geben wir ihm recht. Wir fragen nur: wie?
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GewandtIn dieser Vorlage der Regierung wird wiederum nichts Konkretes gesagt.
Es wird von der präventiven Fusionskontrolle gesprochen. Aber wie diese Kontrolle aussehen soll, sagt man uns nicht. Das bedeutet weitere Unruhe. Es bedeutet, dull viele Unternehmer die Frage stellen, ob denn heute der kleine Unternehmer nicht mehr in der Lage sei, sein Unternehmen zu verkaufen, ohne eine Behörde zu fragen.
Ich gebe zu, wir können auf ein europäisches Wettbewerbsrecht nicht warten. Ich persönlich bin der Meinung, daß unsere Stärke gerade darin liegt, daß wir uns zum Wettbewerb bekennen. Wir sind durch den Wettbewerb stark geworden und sollten diese Position erhalten. Aber wenn wir den Wettbewerb fördern und die Konzentration da, wo sie den Wettbewerb defährdet, unter die Lupe nehmen wollen, dann muß man ganz klar sagen, wie man sich eine praktikable, nichtdirigistische Lösung vorstellt. Das ist bisher die unbeantwortete Frage.Der Herr Bundeswirtschaftsminister, der ja schon über die Regierungserklärung eine Initiative hat ankündigen lassen, läßt jetzt in dem Bericht schreiben, daß wir erst Mitte des Jahres eine Vorlage zu erwarten haben.Das zweite ist, daß wir, wenn die Regierung von einer Verstärkung der Mißbrauchsaufsicht spricht, immer noch nicht wissen, nach welchen Kriterien sie dann vorzugehen beabsichtigt. Wir wissen nicht, was Freistellung der Bagatellekartelle bedeutet. Ist das ein Plazet, den Wettbewerb zu unterlaufen, oder ist es eine sinnvolle Maßnahme der Kooperation?Aber das Schlimme ist, daß in der Hektik, in der ständigen Anwendung von neuen Begriffen nun auch angeblich die Folgetheorie an die Stelle der Gegenstandstheorie treten soll. Was heißt das? Sicher muß man den Anfängen wehren, muß man gegen Maßnahmen sein, deren Folge eine Beschränkung des Wettbewerbs ist. Aber wenn Sie die Folgetheorie konsequent verfolgen, ist jede Kooperation unmöglich, und wir kommen zu einem Zustand der Rechtsunsicherheit. Dieser Zustand wäre bedenklich.Was ich in dem Bericht weiter vermisse, ist, daß man nur Absichtserklärungen gibt. Die Regierung hat ja gesagt, sie wolle Steuern senken, und machte neue Versprechungen. Was man von Absichtserklärungen also zu halten hat, ist klar. Was in dem Bericht zu vermissen ist, sind empirische Daten zur Erhärtung der Thesen der Regierung. Diese Daten fehlen.Lassen Sie mich ganz kurz noch zu dem Bereich über die Struktur- und Mittelstandspolitik etwas sagen. Die Regierung spricht auch hier wieder sehr vage und in Absichtserklärungen. Sie spricht von einer Strukturpolitik in einem Guß. Aber sie sagt nicht, wie die Strukturpolitik in einem Guß denn aussieht. Sie sagt, darüber würde sie später in einemBericht befinden. Bevor wir dazu Stellung nahmen, möchten wir den Bericht kennen.Aber — und das zeigt, daß diese Regierung nicht so entschlußfreudig ist, wie sie immer wieder behauptet — sie sagt, es gebe ein Sonderproblem der sektoralen Strukturpolitik, nämlich das Problem der Werften. Sie verschweigt jedoch, daß sie über ein halbes Jahr hat verstreichen lassen, um durch ein umfassendes Programm Schäden von diesem Wirtschaftszweig abzuwenden. Wir wissen alle, daß wegen des Fehlens dieses Werften-Programms viele Aufträge abgewandert sind.Heute morgen hat einer der Kollegen der SPD, Herr Junghans, gesagt: Ja, da sind schon die Arbeitsplätze verloren gegangen. Wir haben nie behauptet, daß von heute auf morgen eine Gefahr auftritt. Aber wir haben uns darüber unterhalten, daß Gefahren bestehen. Hier hätte die Regierung eine Gefahr beseitigen können; aber sie hat leider keinen Entschluß gefaßt.Was wir begrüßen, ist, daß die Bundesregierung jetzt bereit ist, einer Idee, die wir seit langer Zeit vertreten — —
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Gewandt, ist Ihnen entgangen, daß im Jahreswirtschaftsbericht dem Werften-Programm ein ganz besonderer Punkt gewidmet wird? Ist Ihnen auch entgangen, daß die Werften eine besondere Situation haben, nämlich die Situation, Opfer eines internationalen Subventionswettbewerbs zu sein?
Herr Kollege, das ist mir alles bekannt. Gerade weil man das erkannt hat, hätte man vor einem halben Jahr bereits ein Werften-Programm vorlegen müssen. Aber es ist verschleppt worden. Noch heute weiß die Werftindustrie nicht, woran sie ist. Das ist nur ein Beispiel der Versäumnisse, die ich aufzeigen wollte.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Gewandt, wissen Sie nicht auch, daß wir jetzt bereits in das siebte Werften-Programm hineinkommen, daß es also sechs Vorgänger gibt?
Natürlich. Früher hat das ja auch alles funktioniert. Jetzt ist nur diese Lücke eingetreten, die um so bedauerlicher ist, als durch die Aufwertung die ohnehin vorhandenen Wettbewerbsverzerrungen verstärkt in Erscheinung getreten sind.Zu dem, was hier in den Passagen zur Mittelstandspolitik erklärt wurde, sagen wir: Wir sind bereit, das zu akzeptieren. Wir freuen uns, daß Sie dem Thema der Kapitalförderungsgesellschaften
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Gewandtjetzt auch Ihre Aufmerksamkeit zuwenden. Wir sind offen dafür, über die Form zu diskutieren. Ich bin mit Ihnen, Herr Kollege, der Meinung: Man muß die Selbstverwaltung stärken und eine Möglichkeit finden, die Kapitalausstattung der mittelständischen Wirtschaft zu verstärken. Ich glaube, hier gibt es keinen Dissens. Auch wir haben immer wieder die Gewerbeförderung unterstützt. Wir sind froh, daß sie ausgebaut ist, und wir sind froh darüber, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß in Ihrer Sicht diese Frage nicht mehr unter dem Rubrum „Erhaltungssubvention" betrachtet wird, wie das vor einigen Jahren der Fall war.
Aber, meine Damen und Herren, das entscheidende ist doch auch bei der Wettbewerbspolitik, daß wir zu einer Ruhe, zu einer Solidität kommen und Hektik vermeiden. Wenn man von einer Weiterentwicklung des Wettbewerbsrechts spricht, muß man davon abkommen, hier Prinzipien zu postulieren, man muß vielmehr ganz klar sagen, was man darunter zu verstehen hat. Nur dann werden wir die Ruhe bekommen, die nötig ist. Die Wirtschaft muß von der Hektik befreit werden.Die Basis auch einer Mittelstandspolitik — ich verstehe, daß sich die Herren von der FDP bemüßigt fühlten, auf dieses Thema etwas einzugehen — ist eine solide und stabile Wirtschaftspolitik. Was wir beanstanden, sind weniger die einzelnen Maßnahmen als vielmehr die Tatsache, daß es der Wirtschaft an Orientierungsmöglichkeiten fehlt hei einer Regierung, die Steuern senken will, die Steuern erhöhen will, die mal hü und mal hott sagt. Ich glaube, wir müssen wieder eintreten in eine Phase der Kontinuität. Wir sind hier, gemeinsam mit Ihnen das Wettbewerbsrecht weiterzuentwickeln. Aber das Entscheidende für uns ist die Aufrechterhaltung des Prinzips des Wettbewerbs, die Freihaltung der Wirtschaft von Gängelung und Dirigismus. Wir wollen kein Wettbewerbsrecht, das zu einem Lenkungsinstrument einer Bürokratie wird. Wir haben mit Sorge zur Kenntnis genommen, daß bereits vor einer Novellierung des Kartellgesetzes neue Herrscharen von Beamten in das Kartellamt übergeführt werden sollen.
Wir sind für den Wettbewerb. Wir sind gegen den Dirigismus. Wenn der Bundeswirtschaftsminister das Wettbewerbsrecht wirtschafts- und marktkonform weiterentwickeln will, dann hat er unsere Unterstützung. Wenn er den Dirigismus will, wird er auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfram.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist erfreulich, daß die Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht in ihrer letzten Phase weniger retrospektiv, sondern mehr zukunftsorientiert abläuft. Ich möchte auch unter diesem Aspekt meinen Beitrag, der sich speziell mit Fragen der Energiepolitik befassen soll, primär verstanden wissen.Trotzdem sei mir die Bemerkung gestattet, daß uns manches Problem, das uns in den letzten Tagen und Wochen auf dem Sektor der Energiewirtschaft beschäftigt hat, erspart geblieben wäre, hätten frühere Bundesregierungen auf diesem Sektor so vorausschauend gedacht, geplant und gehandelt, wie es der Wirtschaftsminister Professor Schiller getan hat, als er auf dem Höhepunkt der Kohlenkrise die Voraussetzungen für eine koordinierte Energiepolitik geschaffen hat.
Durch das Kohlegesetz, durch die Neuordnung des Ruhrbergbaus und viele andere energiepolitische Entscheidungen sind die Weichen auf dem deutschen Energiemarkt so gestellt worden, daß die energiewirtschaftliche und energiepolitische Ausgangsbasis zu Beginn des neuen Jahrzehnts ausgewogen und gut ist.
— Herr Stoltenberg, auf das Problem der Kokskohle werden wir noch zu sprechen kommen, Sie sicherlich durch Ihren Sprecher, ich mit einigen späteren Bemerkungen. Seien Sie aber dessen sicher, eine Verantwortung für die derzeitige Koksmangellage dem Bundeswirtschaftsminister anzuhängen, wird auch Ihnen nicht gelingen. Ich nehme an, daß Sie gar nicht den Versuch machen werden.Hauptziel unserer Energiepolitik muß sein, eine langfristig sichere Energieversorgung zu möglichst niedrigen Preisen zu ermöglichen, wie es die Kommission der Europäischen Gemeinschaften in ihrer ersten Orientierung für eine gemeinschaftliche Energiepolitik gefordert hat.Ohne daß die grundsätzliche Steuerungsfunktion des Wettbewerbs in Frage gestellt wird, verlangen Versorgungssicherheit und strukturelle Besonderheiten des Energiesektors ein wirtschaftspolitisches Instrumentarium, das eine Überwachung und dort, wo notwendig, eine Beeinflussung des freien Spiels von Angebot und Nachfrage gestattet. Die SPD- Fraktion unterstützt deshalb die Zielsetzung dieser gemeinschaftlichen Energiepolitik. Mit dem Kohlegesetz, mit dem Beauftragten für den Steinkohlenbergbau und die Steinkohlenbergbaureviere hat sich der Bund ein geeignetes Instrumentarium geschaffen. An den Ministerrat und an die Kommission der Europäischen Gemeinschaften richtet sich unser dringender Appell, den Grundzügen einer gemeinschaftlichen Energiepolitik sehr bald weitere konkrete Regelungen folgen zu lassen. Die Entwicklungen auf dem Energiemarkt können nicht mehr ausschließlich national gesehen werden. Sie können nach unserer Auffassung optimal nur europäisch gelöst werden.Die Nachfrage nach Energie wird weiter steigen. Weitere Strukturveränderungen werden sich ergeben. Die Abhängigkeit der Energie der Europäischen Gemeinschaft von fremden Energiequellen wird zunehmen. Und die Bedeutung der Sekundärenergie
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WolframStrom, die aus allen Primärenergien gewonnen werden kann, als Schiedsrichter mit Ausgleichsfunktionen im Anpassungsprozeß des Strukturwandels wird zunehmen.Wir begrüßen es, daß nach langwierigen Verhandlungen am 30. 11. 1969 die bergbaulichen Betriebe und die Mitarbeiter von 26 Unternehmen des Ruhrbergbaus auf die Ruhrkohle AG überführt worden sind und daß die Gesamtgesellschaft am 1. 1. 1970 die bergrechtliche Verantwortung und die Leitung der Betriebe übernommen hat. Es ist in erster Linie der Zähigkeit und dem Nachdruck unseres Bundeswirtschaftsministers zu verdanken, in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit dem früheren ersten Vorsitzenden der IG Bergbau und Energie, einem Minister dieser Bundesregierung, und zukunftsorientierten Unternehmern, daß diese Neuordnung doch zum Zuge gekommen ist. Dabei muß man berücksichtigen, daß ein solcher Konzentrationsprozeß mit der Übertragung von Vermögensteilen einer Vielzahl von Gesellschaften mit unterschiedlichem Konzernverbund und bei einem Umsatzvolumen von mehr als 6 1/2 Milliarden DM sehr schwierig ist.Aber ich glaube, man darf mit Recht unterstellen, daß die Organe der Ruhrkohle AG bald eine klare Unternehmenskonzeption vorlegen werden, die sich an den von Parlament und Regierung gesteckten energiepolitischen Zielen orientiert und die Chancen des Zusammenschlusses nutzt.Eine Konzentration der Förderung unter besserer Ausnutzung der Lagerstätte, d. h. die bessere Beschäftigung der vorhandenen kostengünstigsten Kapazitäten, wird zur Verbesserung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit des Steinkohlenbergbaus führen und damit den Zielen des Kohlegesetzes entsprechen. Die Förderplanung wird sich nach den zu erwartenden Verhältnissen auf dem Energiemarkt und nach den Ertragsverhältnissen orientieren müssen. Einer verantwortungsbewußten Personalpolitik wird dabei besondere Bedeutung zukommen.Die Ruhrkohle AG muß ihrerseits die notwendigen Entscheidungen, vor allem die erforderlichen Investitionsentscheidungen, sehr bald und zügig treffen.Wir wissen, daß die augenblickliche Lage auf dem Energiemarkt angespannt ist. Versorgungsengpässe sind bei der Steinkohle, insbesondere beim Steinkohlekoks festzustellen. Es besteht meines Erachtens aber kein Anlaß zu dramatisieren. Die derzeitige Koksmangellage hat mehrere Gründe. In den Jahren der ungelösten Kohlenkrise sind zwar Kokereikapazitäten stillgelegt, aber keine neuen gebaut worden. In zunehmendem Maße kommen überalterte Kokereikapazitäten zum Auslaufen. Eine Vielzahl von Kokereien auch kommunaler Gaswerke sind zwischenzeitlich stillgelegt worden, und deren Koksmengen fehlen heute auf dem Markt. Im übrigen ist die Koksmangellage weltweit. Vor allem der Bedarf der Stahlindustrie an Koks ist auf Grund des außergewöhnlichen Stahlbooms besonders gestiegen. In Anbetracht dieser Gründe nun aber der neugegründeten Ruhrkohle-AG oder, wie man es, Herr Stoltenberg, ab und zu aus Oppositionskreisen hört, der Energiepolitik dieser Bundesregierung Vorwürfe zu machen, wäre meines Erachtens schlicht gesagt paradox.
— Und dieser Bundesregierung schon gar nicht; denn sie ist nicht verantwortlich für unterlassene unternehmenspolitische Entscheidungen früher selbständiger Bergwerksgesellschaften.
Im Gegenteil, sie hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß heute wieder der Mut zu neuen Investitionen, die zukunftsorientiert und notwendig sind, an der Ruhr vorhanden ist.
— Das glaube ich nicht, Herr Kollege, sondern hier sind jetzt durch die Energiepolitik und durch die Neuordnung des Ruhrbergbaus die Voraussetzungen dafür geschaffen worden, daß man auf diesem Sektor wieder investitionsbereit ist, was uns sicherlich konjunkturpolitisch in der zweiten Hälfte dieses Jahres sehr, sehr nützlich sein wird.
Wir wissen, daß die Kokereikapazität bis zum äußersten ausgenutzt ist, nachdem 1969 die Kokereierzeugung bereits um rund 2 Millionen t höher war als im Vorjahr. 1970 und 1971 ist mit einer weiteren Zunahme der Kokserzeugung zu rechnen. Ab 1972/73 müßte aber mit einem Kokserzeugungsrückgang gerechnet werden, wenn nicht bald die erforderlichen Investitionsentscheidungen bezüglich des Baues neuer moderner Großkokereien getroffen werden. Im übrigen muß man dabei berücksichtigen, daß die Bundesrepublik auf dem besten Wege ist, der entscheidende Kokserzeuger Europas zu werden.Der Steinkohlenbergbau — das darf von dieser Stelle an seine Adresse gesagt werden — sollte daran interessiert sein, den Hausbrandsektor wegen einer befristeten außergewöhnlich günstigen Absatzlage nicht zu vernachlässigen. Dieser Bereich war in der Vergangenheit ertragsstark und hat oft zu einem positiven Beschäftigungsausgleich beigetragen. Ich erinnere nur daran, daß Hausbrandzechen kaum Feierschichten einlegen mußten. Im übrigen haben die bisher kohletreuen Energieverbraucher einen Anspruch darauf, mit festen Brennstoffen versorgt zu werden, auch wenn die Situation schwieriger ist. Allerdings sollte man auch erwarten, daß der Handel flexibel reagiert und z. B. in Zeiten des Mangels an Koks dem Hausbrandverbraucher verstärkt noch in ausreichender Menge vorhandene Braunkohlenbriketts andient. Die Ruhrkohle ist gut beraten, wenn sie alle Bedarfsanforderungen möglichst gerecht berücksichtigt und sich nicht zu stark in eine einseitige, zusätzlich konjunkturabhängige Lage begibt.In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, welche Bedeutung einer zukunftsorientierten Personalpolitik in der Steinkohle zukommt.
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1320 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
WolframWenn man berücksichtigt, daß heute bereits nur 92 % der Kapazitäten ausgenutzt werden können, wird man zu dem Ergebnis kommen, daß es notwendig ist, eine vernünftige einheitliche Personalplanung und Personalpolitik, ergänzt durch eine entsprechende Tarif- und Sozialpolitik, die die ausreichende Zahl von Bergleuten mit entsprechender Qualifikation in Zukunft sichert, durchzuführen. Die Organe der neuen Gesellschaft werden jetzt ihre Vorstellung verwirklichen, in welcher Form und in welcher Zeit die Förderung auf die ertragsstärksten Anlagen zu konzentrieren ist. Mit spektakulären Zechenstillegungen, wie wir sie aus der Vergangenheit kennen, ist in Zukunft nicht mehr zu rechnen, sondern die Anpassung wird stufenweise unter Berücksichtigung der natürlichen Erschöpfung der Lagerstätte erfolgen, wobei durch die Maßnahmen der Bundesregierung und durch die sicherlich zu erwartende Verhaltensweise der Ruhrkohle sichergestellt ist, daß personelle und soziale Härten nicht mehr auftreten werden.Wir begrüßen .die Erklärung der 'Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht, die flankierenden Maßnahmen zur Gesundung des Bergbaus fortzusetzen, wenn auch teilweise mit anderen Akzenten. Über die weitere steuerliche Behandlung des Heizöls wird dieses Hohe Haus nach Vorlage des entsprechenden Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu beraten und zu entscheiden haben. Wir begrüßen, daß die inzwischen auch von der Kommission beschlossene Verlängerung der Kokskohlenbeihilfe für die Dauer von drei Jahren Gültigkeit haben wird. Bezüglich der Verstromungsbeihilfen möchte ich bemerken, daß die nach zwei Gesetzen gewährten finanziellen Hilfen für die Verstromung auf Steinkohlenbasis Mitte 1971 auslaufen. Aus dem Jahresbericht 1968/69 der Bergbau-Elektrizitäts-Verbund-Gerneinschaft ist heute bereits ersichtlich, daß ab 1972 keine Zubauleistungen der Kraftwerke auf Steinkohlenbasis zu erwarten sind. Die Bundesregierung sollte deshalb ihre angekündigte Prüfung möglichst bald abschließen, damit diese Ergebnisse bei den zukünftigen Investitionsentscheidungen in der Elektrizitätswirtschaft berücksichtigt werden können. Eine schlichte Verlängerung der Verstromungsbeihilfen scheint nicht empfehlenswert zu sein. Vielmehr sollte geprüft werden, ob gezielte Investitionshilfen zweckmäßig und erforderlich sind. Auf jeden Fall sollte sichergestellt werden, daß moderne Kraftwerke auch nach Ablauf der 10-Jahres-Frist im Jahre 1981 weiter Steinkohle einsetzen.Gesetzgeber und Bundesregierung werden vor ihrer Entscheidung außerdem zu berücksichtigen haben, daß der Braunkohle keine Nachteile entstehen. Wenn man z. B. hört, daß 1969 gegenüber dem Vorjahre die Bruttostromerzeugung in der Bundesrepublik Deutschland auf Braunkohlenbasis um rund 9% zugenommen hat, obwohl die Braunkohle der billigste heimische Energieträger ist, auf Steinkohlenbasis um rund 10 % gestiegen ist, auf Heizölbasis um 16% und auf Gasbasis um 22 %, dann müssen diese Zahlen zu denken geben. Die Tatsache, daß ein Bergbauzweig wie die Braunkohle dieses Hohe Haus noch nicht beschäftigt hat, darf nicht zu einer wirtschaftlichen Benachteiligung führen. Die weitere Zielsetzung des Kohlegesetzes, die Monostruktur in den Steinkohlenbergbaugebieten zu verbessern, sollte nicht vernachlässigt werden. Gerade die Hochkonjunktur ist geeignet, die erforderlichen Strukturverbesserungen durchzuführen. Der Bund sollte sehr genau darauf achten, daß die Altgesellschaften in den vier Jahren ihren Reinvestitionsverpflichtungen aus dem Einbringungsanspruch nachkommen. Dabei sollte angestrebt werden, daß die Standorte neuer Betriebe möglichst in von Zechenstillegungen betroffenen Gemeinden und Städten gewählt werden.In Anbetracht der offensichtlich abgelaufenen Redezeit möchte ich nur noch ganz kurz auf folgendes hinweisen. Der Grundlagen- und Zweckforschung auf dem Energiesektor scheint mir besondere Bedeutung zuzukommen. Ich bitte, in dieser Beziehung vor allem zu prüfen, ob es nicht zweckmäßig ist, nach den anerkennenswerten Leistungen des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Förderung der Forschung auch die Bundesmittel zu erhöhen, weil nach meinem Dafürhalten dadurch die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß die Kohle leistungsfähiger und wettbewerbsfähiger wird und immer mehr auf staatliche Subventionen verzichten kann.Zusammenfassend möchte ich folgendes feststellen. Durch die Energiepolitik und die Gründung der Ruhrkohle-AG sind nach langen Jahren einer ungelösten Kohlenkrise die besten Voraussetzungen gegeben, daß auch dieser Wirtschaftszweig endgültig gesundet und im Wettbewerb seine Funktion erfüllen kann. Für die Anfangs- und Übergangsphase bedarf der Bergbau unseres Vertrauens.Zur Mineralölpolitik möchte ich sagen, daß wir die Ziele der Bundesregierung — niedrige Mineralölpreise, Sicherung der Erdölversorgung und Konsolidierung der Wettbewerbsposition der deutschen Erdölindustrie — unterstützen. Ein großräumiges Erdgasverbundsystem in der Bundesrepublik wird zu einer preisgünstigen Belieferung der Verbraucher mit Energie beitragen. Dem dient auch die Diversifizierung des Erdgasangebotes aus modernen Versorgungsquellen. Letztlich sollte die Kernenergie Bestandteil einer zukunftsorientierten energiepolitischen Gesamtkonzeption sein.Die im Jahreswirtschaftsbericht aufgezeigten Grundlinien der Energiepolitik werden unsererseits voll unterstrichen. Sie sind ein wichtiger Teil unserer Wirtschaftspolitik. Durch sachliche und ökonomisch richtige Entscheidungen ist sichergestellt, daß in unserem Lande ein vielgestaltiges Energieangebot auf der Grundlage eines Wettbewerbes in den siebziger Jahren zum Wohle unserer Wirtschaft und der Energieverbraucher zur Verfügung stehen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Springorum.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1321
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wenn ich jetzt ebenfalls einige Worte zu dem sechsten Kapitel des Jahreswirtschaftsberichts, das sich mit Energiepolitik und Energiewirtschaft befaßt, sage, tue ich das nicht, um hier einer Energiedebatte das Wort zu reden. Dafür ist jetzt wohl nicht der richtige Zeitpunkt. Ich möchte vielmehr an Hand dieses konkreten Kapitels - das Energiekapitel ist wohl das konkreteste des ganzen Berichts — einmal unsere Sorge wegen der Art der Selbstdarstellung der Bundesregierung in diesem Bericht deutlich machen. Der Bericht liest sich wie eine Hofberichterstattung alter, vergessener, längst vergangener Zeit.
Alles Positive wird irgendwie auf die Handlungen der Regierung bezogen, sehr breit und deutlich dargestellt. Das Negative wird entweder gar nicht oder so zwischen den Zeilen versteckt gebracht, daß es der unvoreingenommene Leser nicht merkt. Ich meine, für eine Berichterstattung ist die Objektivität einfachste Voraussetzung.
Ich möchte das an der Darstellung der einzelnen Energieträger deutlich machen.
Zum Schluß des Berichts kommt die sowohl von der Länge als auch vom Inhalt her sehr dürftige Stellungnahme zur Kernenergie. Hier gibt die Bundesregierung die Verantwortung für die Leichtwasserbaureihe ab. Sie nimmt die Verantwortung nur noch für die zukünftigen Reaktoren, Hochtemperaturreaktoren und Brutreaktoren in Anspruch. Das Augenblickliche fällt in die andere Verantwortung. Warum?, fragt man sich. Wir wissen, daß der erste Reif auf die Euphorie für die Kernenergie gefallen ist.
Obwohl im vergangenen Jahr die Darbietung um 44 % gestiegen ist und hier eine Leistungsbilanz wirklich einmal am Platz gewesen wäre, schweigt sich der Bericht hierüber aus, weil es nicht zu dem Kommentar der Regierung paßt. Im Kommentar dieses ganzen Berichts heißt es: Die Preise gehen herunter. Das soll dem Leser suggeriert werden.
In dem Bericht über die Stromwirtschaft und Energiewirtschaft wird versucht, mit geradezu schlagzeilenartigen Darstellungen die Hoffnung zu erwecken, daß nun dank der Handlung der Bundesregierung die Preise sinken werden. Hier wird die Auflockerung der Monopolstellung zugesagt. Hier wird eine verbrauchsfördernde Ausgestaltung der Tarife angedeutet. Hier wird die Änderung des Konzessionsabgabenrechts zugesagt, alles Dinge, die bei dem Leser den Eindruck erwecken müssen, daß die Preise sinken. Zum Teil hat die Bundesregierung sich selbst eingeschränkt, indem sie sagt, diese Fragen bedürfen der Prüfung.
Dann kommt das Erdgas. Hier werden zwei wichtige Entscheidungen angekündigt. Die erste Entscheidung betrifft den Vertrag mit der Sowjetunion über die Lieferung von Erdgas. Hier wird gleichzeitig die große Vision des Erdgasverbundes vom
Ural bis zum Atlantik angedeutet. Ich will mich hier nicht über den Vertrag auslassen. Wir müssen uns aber klar sein, daß dieser Vertrag eine ganze Reihe technischer und wirtschaftlicher Probleme mit sich bringt, die sich nicht wegdiskutieren lassen. Darüber schweigt der Wirtschaftsbericht selbstverständlich.
Die zweite Entscheidung, die Senkung der Borderpreise, steht bevor, d. h. daß die Preise für das grenzüberschreitende niederländische Erdgas fallen werden. Ich freue mich darüber, daß sie demnächst fallen werden, obwohl es sich voraussichtlich nur um einige hundertstel Pfennige je 1000 WE handeln wird. Aber die Holländer werden hierfür eine Gegenleistung verlangen. Diese wird wahrscheinlich in einer Aufstockung der Mengenabnahme liegen. Es ist im Grunde nichts anderes als ein Mengenrabatt. Das aber wird wieder in dem Bericht verschwiegen.
Dann zum Mineralöl. Hier wird selbstverständlich der Vertrag mit der Deminex sehr groß herausgestellt. Hier wird gesagt, daß damit der deutschen Mineralölindustrie ein sicheres Fundament gegeben wird. Ich will hier nicht auf Schauerbohrungen vor Gabun und nicht auf die Verhandlungen mit Jordanien eingehen, aber: kein Wort in dem Bericht über die bedrückende wirtschaftliche Situation der deutschen Mineralölindustrie, kein Wort über den Verkauf von Frisia. Ich weiß noch, wie die damalige Oppositionspartei Anfang 1966 dem damaligen Bundeswirtschaftsminister mit großer Lautstärke vorwarf, daß er zuließe, daß deutsche Mineralölunternehmen ans Ausland verkauft würden.
Heute kann ein mittelbar bundeseigenes Mineralölunternehmen verkauft werden, ohne daß irgendeine Stellungnahme dazu erfolgt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? —
Bitte schön!
Herr Kollege Springorum, ist Ihnen bekannt, daß sich die Bundesregierung bemüht hatte, für Frisia einen deutschen Interessenten, zumindest einen europäischen Interessenten, zu finden? Die zweite Frage: Ist Ihnen bekannt, daß zum Verkauf an Gulf sowohl die niedersächsische als auch die saarländische Regierung ihre Zustimmung gegeben haben und daß Gulf bestimmte Zusagen gemacht hat?
Es ist mir bekannt, daß die Bundesregierung, die Landesregierung und der Aufsichtsrat ihre Zustimmung für den noch zu vollziehenden Verkauf gegeben haben. Aber ich behaupte nur, daß diese Dinge in einem Jahreswirtschaftsbericht hätten Erwähnung finden müssen. Darum dreht es sich doch.Das nächste und umfassendste ist natürlich das Kapitel Steinkohle. Hier liest sich dieser Bericht, als ob sämtliche Probleme der Steinkohle dank des
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1322 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
SpringorumAnpassungs- und Gesundungsgesetzes gelöst werden, und mein Herr Vorredner hat auch tatsächlich mit anderen Worten gesagt: diese Probleme sind beseitigt. Ich glaube, hier sollten wir einmal ein ernstes Wort sprechen und sagen, daß sämtliche Probleme des Ruhrbergbaus durch die überschäumende Konjunktur überdeckt sind. Die Strukturprobleme stehen nach wie vor an, und ich möchte hier nicht als Prophet gelten, wenn ich sage, daß die Probleme in absehbarer Zeit mit noch stärkerer Wucht auf den Ruhrbergbau und auf den gesamten Steinkohlenbergbau zukommen werden. In dem Bericht wird natürlich jedem das versprochen, was er hören möchte: den Kohlenproduzenten Beibehaltung der flankierenden Maßnahmen, den Produzenten der konkurrierenden Energie wird Abbau der restriktiven Maßnahmen zugesagt, dem Verbraucher wird zugesagt, daß der Bergbau nun seine Wettbewerbschancen besser nutzen und demzufolge natürlich seine Preise senken könne. Heute wissen wir noch nicht einmal, ob die Preise überhaupt kostendeckend sind. Wir wissen nur, daß sie nach Aussagen des Bundesbeauftragten für Koks nicht kostendeckend sind, und sie sind es nach den Lohnerhöhungen wahrscheinlich auch für Kohle nicht, besonders da die Listenpreiserhöhungen nur in ganz bestimmten Bereichen durchsetzbar waren.
Deutlich für diesen Bericht sind z. B. die Zahlen für die Belegschaftsentwicklung. Hier wird davon gesprochen, die Belegschaften hätten sich beruhigt. Das gehe daraus hervor, daß der Bergbau im Jahr 1968 23 000 Leute verloren habe, im Jahr 1969 nur noch 10 000. Wie sind die Zahlen aber in Wirklichkeit? 1968 bei einer großen Zahl von Stillegungen 34 000, 1969 ohne Stillegungen immer noch 32 000. Hier kann also von einer eingekehrten Beruhigung wirklich nicht die Rede sein.Die Kokslücke, die sich beim besten Willen nicht verheimlichen läßt, wird nur am Rande erwähnt. Sie gilt nach den Tabellen auch nicht für 1969 — da haben wir keine Kokslücke gehabt, und wir werden sie 1971 auch nicht haben —, sondern nur für 1970.Kein Wort zur Kohlenlücke, die in den nächsten Jahren bevorsteht! Hier sollten wir uns einmal vor Augen halten, worauf die zu erwartende Kohlenlücke zurückzuführen ist. 1967 hat der Bundeswirtschaftsminister den Vertretern der Kohle eine Vorausschau vorgelegt, daß für das Jahr 1970 mit einem Absatz von 90 Millionen t gerechnet werden könne. Jetzt werden für das gleiche Jahr 114 Millionen t vorausgeschätzt. Hier zeigt sich, wie gefährlich Voraussagen sind, soweit sie lebenswichtige Güter betreffen.Ich habe hier nur einzelne Punkte deutlich machen wollen, die in dem Bericht zwar nicht expressis verbis falsch, aber einfach nicht vollständig dargestellt sind. Ich möchte an die Nr. 9 des Jahreswirtschaftsberichtes erinnern, wo es heißt, daß die Bundesregierung — meiner Ansicht nach mit Recht — eine bessere Information des Wirtschaftsbürgers fordert, damit er in die Mitverantwortung gestellt werden kann. Er kann in die Mitverantwortung nur gestellt werden, wenn er voll und ganz unterrichtet wird. Das heißt, daß neben das Licht auch der Schatten gestellt werden muß.
Ohne das gibt es keine echte Information. Jede Bundesregierung sollte sich davor hüten, daß ihr der Vorwurf gemacht werden kann, daß sie die Wahrheit manipuliert. Das verträgt auch diese Bundesregierung nicht.
Das Wort hat der Abgeordnete Frerichs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der verehrte Herr Kollege Springorum hat geschlossen, daß bessere Information und wahrheitsgerechte Unterrichtung eine Grundlage für Wirtschaftspolitik und für demokratisches Verhalten ist.
Ich wollte an sich zu dieser Stunde nicht mehr das Wort nehmen. Ich muß es tun, weil der Herr Bundeswirtschaftsminister heute nachmittag in seiner Einlassung noch einmal so mit leichter Hand auf diese Anzeigenkampagne eingegangen ist, die hier von mehreren Sprechern der CDU/CSU angegriffen wurde.Meine Damen und Herren, diese Anzeigenkampagne ist ein typisches Zeichen einer schlechten und unrichtigen Information der Öffentlichkeit.
Sie hat aus diesem Grunde auch erhebliche Empörung in den betroffenen Kreisen der Lebensmittelwirtschaft hervorgerufen. Wenn man daran denkt, daß diese Anzeigen am 16. Januar rund dreiviertel Millionen Mark gekostet haben,
während im Etat knappe 100 000 DM für die Verbraucheraufklärung für ein ganzes Jahr zur Verfügung stehen, dann kann man sich vorstellen, daß aus diesem Mißverhältnis heraus keine echte, gute Verbraucherinformation erwachsen kann.Nun, meine Damen und Herren, wenn man nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb gegen den Herrn Bundeswirtschaftsminister vorgehen könnte
— das Gesetz zieht hier nicht, weil es sich nicht um Geschäftsverkehr handelt —, dann müßte man eine Unterlassungsklage nach § 3 UWG wegen Irreführung des Verbrauchers anstrengen.
Herr Bundeswirtschaftsminister, die Anzeige hat in gekonnt verzerrter Grafik den Lebensmittelhandel in all seinen Gruppierungen derart in Harnisch versetzt, daß Sie eine Reihe von Briefen von Lebensmitteleinzelhändlern bekommen haben, die Ihnen
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Dr. Frerichsspontan ihre Geschäfte angeboten haben, damit Sie, wie es in diesen Briefen heißt, einmal sehen, wie scharf der Wettbewerb im Handel ist, wie hoch die Kosten unter Ihrer Verantwortung nach oben gegangen sind und daß keineswegs mögliche Preissenkungen dem Verbraucher vorenthalten worden sind. Wissen Sie, diese Art der Effekthascherei durch den verantwortlichen Bundeswirtschaftsminister ist eine so schlechte Sache, daß sich inzwischen in den betroffenen Kreisen — und das sind immerhin rund 300 000 Einzelhändler mit ihren Familien — Ihre Einlassung ins Gegenteil verkehrt hat und Sie dort ganz schön an Prestige verloren haben.
Wir fordern Sie auf, dem Lebensmittelhandel in geeigneter Weise, ohne erneut Steuergelder zu verplempern, Genugtuung zu geben. Im übrigen dürfte Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister, auch bekannt sein, daß die Verbilligungen — z. B. bei Schweinefleisch, Eiern und Geflügel —, die Sie gegenwärtig in Ihren Anzeigen anführen, wenig mit den Folgen der D-Mark-Aufwertung zu tun haben, sondern tatsächlich saisonal bedingt sind und daß mögliche Preissenkungen, die Sie in einer Größenordnung bis zu 2,5 % angekündigt haben, inzwischen durch die erhebliche Kostensteigerung überrollt worden sind. Durch die bevorstehenden erheblichen Steigerungen vor allen Dingen im Personalkostenbereich, der im Handel immerhin 50 bis 60 % ausmacht, werden alle Einsparungen durch Rationalisierung und Produktivitätssteigerung einfach aufgezehrt.Herr Bundeswirtschaftsminister, die Beobachtungen lassen im übrigen erkennen, daß z. B. die ausländischen Ablader, also die Exporteure, promt auf die Aufwertung reagiert haben. Sie haben ihre Preise vorher heraufgesetzt, zum Teil über den eigentlichen Aufwertungssatz, so daß die Verlautbarungen der offiziellen deutschen Wirtschaftspolitik hinsichtlich der Preisdämpfung im Lebensmittelbereich einfach nicht stichhaltig sind. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie das nicht gewußt haben. Dazu sind Sie viel zu klug.Jedermann weiß — man kann das bei einem Gang durch unsere Straßen feststellen —, daß gerade im Bereich des Lebensmittelhandels die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Angebotsformen außerordentlich groß ist und daß wir es auf diesem Sektor mit erheblichen Entartungserscheinungen zu tun haben, die den Bundestag in der letzten Legislaturperiode dazu veranlaßt haben, das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb zu ändern, um die Verbraucher vor irreführenden Angaben zu schützen und eine zerstörerische Ausuferung des Wettbewerbs durch sogenannte Lockvogelangebote und Vernichtungspreise zu unterbinden. Wir werden die weiteren Veröffentlichungen der Bundesregierung daher mit wachem Auge, mit größter Sorgfalt und Aufmerksamkeit beobachten und Ihnen auf die Finger sehen, wenn Sie erneut den Versuch machen sollten, fleißige und anständige Berufsgruppen unseres Volkes in Mißkredit zu bringen oder, wie der Einzelhandel sagt, Rufmord zu begehen, wenn Sie den Versuch machen sollten, solche Berufsgruppen in den Augen der breiten Masse unserer Bevölkerung als Profitjäger hinzustellen. Herr Bundeswirtschaftsminister, das ist ein sehr schlechter Stil, der befürchten läßt, daß Sie auch mit der neuen Kartellnovelle den Versuch machen werden, dirigistisch in den Wirtschaftsprozeß einzugreifen.Die Opposition — das soll Ihnen heute klar gesagt werden — wird alle Möglichkeiten nutzen und dafür Sorge tragen, daß das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ein Gesetz der Ordnungs-und Wettbewerbspolitik bleibt und die Institution „Wettbewerb" nicht zu einem manipulierbaren Faktor wird, der je nach der konjunkturellen oder wirtschaftspolitischen Situation opportunistisch zu einem Instrument des Dirigismus ausgebaut werden kann.
Auch hierbei, Herr Bundeswirtschaftsminister, steht die Glaubwürdigkeit der marktwirtschaftlichen Politik dieser Bundesregierung auf dem Prüfstand. Formulierungen, wie Sie sie heute morgen in Anlehnung an überholte Denkschemata gebraucht haben— ich denke z. B. an die Formulierung „Marktwirtschaft von links kontra Marktwirtschaft von rechts" —, führen zu gar nichts, denn es gibt nur eine soziale Marktwirtschaft als Ordnungspolitik, die auf linke und rechte Komponenten verzichten kann, weil sie sonst stets in Gefahr gerät, aus den Angeln gehoben zu werden und nichts mehr mit den Gesetzen des Marktes zu tun zu haben.
Worauf es jetzt ankommt — ich glaube, da gehen wir einig, und damit will ich schließen —, ist, gerade in dieser Konjunkturphase eine gute soziale Marktwirtschaftspolitik zu treiben, ohne Teile des Volkes zum Sündenbock zu stempeln oder an den Pranger zu stellen. Das wollte ich Ihnen in dieser späten Stunde noch einmal ins Stammbuch schreiben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Junghans.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Schluß der Debatte - wahrscheinlich zum Abschluß, ich weiß es nicht — möchte ich einige Bemerkungen machen. Sie von der CDU/CSU, von der Opposition, sind heute mit einem großen Aufwand hier ausmarschiert, jedenfalls was die Zahl der 'Redner angeht.
— Natürlich, natürlich, wir haben aber alles beleuchtet! — Außer der Ankündigung, daß der Burgbacher-Plan nun endlich fertiggestellt und Ihre Zustimmung wahrscheinlich bekommen wird, gibt es für die aktuelle Wirtschaftspolitik keine Vorschläge.
— Es gibt keinen Vorschlag von Ihnen zur Konjunkturpolitik!
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1324 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Junghans— Sie haben keinen Vorschlag gemacht; Sie haben noch nicht einmal verlangt, was man hätte verlangen können, z. B. die Vergrößerung der Konjunkturausgleichsrücklage. Es gibt keine konkreten Vorschläge zur Struktur-, Wettbewerbs- und Energiepolitik; es gibt keine Vorschläge zur Verbesserung des Instrumentariums.Die Opposition hat ihre Möglichkeiten nicht genutzt. Meine Damen und Herren, Kritik allein reicht nicht aus. Sie haben heute die Möglichkeit gehabt, die eigene Wirtschaftspolitik, Ihre eigene Position darzustellen. Konkrete Vorschläge haben Sie nicht vorgebracht. Das war's, was ich Ihnen zum Schluß noch sagen wollte.
Das Wort hat der Herr Abgeordneter Dr. Warnke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Junghans hat das Fehlen konkreter Vorschläge bemängelt. Dem Manne kann geholfen werden, würde ich sagen. Herr Kollege Zander von der sozialdemokratischen Fraktion hat hier in einem formal gefälligen und ansprechenden Diskussionsbeitrag die Strukturpolitik der Großen Koalition gelobt, und das ausgerechnet noch am Beispiel der Investitionszulagen auf Grund des Steueränderungsgesetzes 1969, von dem man wohl als mindestes behaupten kann, daß es eine Gemeinschaftsarbeit der Herren Schiller und Strauß gewesen ist, mit initiiert, beschleunigt und maßgeblich gestaltet durch eine Initiative der CDU/ CSU-Fraktion in diesem Hause. Und da kann ich Herrn Zander nur recht geben und sagen: Das waren strukturpolitisch eben noch Zeiten. Aber heute schreiben wir 1970, und wir wollen wissen: Was hat diese Bundesregierung jetzt in petto? Ich möchte Ihnen, meine Damen und Herren, am Beispiel der Zonenrandpolitik dartun, das die strukturpolitischen Vorstellungen dürftig sind, und Ihnen, Herr Kollege Junghans, Gelegenheit geben, dieser Dürftigkeit durch zwei Vorschläge etwas entgegenzuwirken.Wir haben im Jahreswirtschaftsbericht zur Zonenrandförderung die Feststellung, daß der Zonenrand die Priorität behalten wird, und den Hinweis auf Maßnahmen wie die Frachthilfe, wie die Bevorzugung bei der Erteilung öffentlicher Aufträge, also auf Maßnahmen, die nun nicht aus der Zeit der Großen Koalition, sondern sage und schreibe aus dem Beginn der fünfziger Jahre stammen. Wir haben aber, was Berlin angeht, den Hinweis darauf, daß man ein Förderungsgesetz für die Berliner Wirtschaft vorlegen wird mit neuen Maßnahmen für die Wirtschaft und mit der Einführung von verbesserten Begünstigungen für die Arbeitnehmer in Berlin.Ich frage mich, meine Damen und Herren, was Herr Kollege Wehner, der bis zum Schluß hier ausgeharrt hat, empfindet. Eine Woche vor der Bundestagswahl hat er den Arbeitnehmern in Oberfranken und anderswo im Zonenrandgebiet die Einführung eines Arbeitnehmerfreibetrages für das Zonenrandgebiet bindend für den Fall versprochen, daß seine Partei diese Regierung führt. Ich frage mich, was er empfindet, wenn er nun so eklatant desavouriert wird, einmal durch den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung, der kein Wort dazu enthält, und zum andern durch die expliziten Erklärungen des Bundesfinanzministers hier in diesem Hause, daß man in diesem Punkte mit der Auffassung der vorigen Bundesregierung übereinstimme und zur Erhöhung der Arbeitnehmerfreibeträge keine Vorlagen zu machen gedenke, sondern sich gegen die Einführung von Steuergrenzen im Binnenland verwahre.
Meine Damen und Herren, damit wir uns recht verstehen: Wir kritisieren nicht die konjunkturpolitisch gebotene Zurückhaltung bei Steuersenkungen im gegenwärtigen Augenblick. Das wird von uns mitgetragen, mitgefordert. Wir kritisieren nicht, daß Sie in den ersten hundert Tagen Ihrer Regierung keine fertigen Projekte vorgelegt haben. Wir kritisieren aber, daß Sie sieben Tage vor der Wahl etwas versprechen und es 50 Tage nach der Wahl bereits bindend für diese Legislaturperiode ablehnen.
So kann man die Menschen, so kann man die Arbeitnehmer im Zonenrandgebiet nicht behandeln. Darunter leidet nicht nur die Glaubwürdigkeit einer Partei, darunter leidet nicht nur die Glaubwürdigkeit dieser Bundesregierung, darunter leidet die Glaubwürdigkeit des gesamten Parlaments und des gesamten Parlamentarismus in der Bundesrepublik, wenn alle Jahre wieder vor einer anstehenden Wahl so etwas versprochen und hinterher nicht realisiert wird.
Ich richte deshalb an die Bundesregierung die Frage: Welche Maßnahme gedenkt die Bundesregierung zur steuerlichen Förderung der Arbeitnehmer im Zonenrandgebiet entsprechend den Ankündigungen des Vorsitzenden der SPD-Fraktion vor der Bundestagswahl nach der Ablehnung des Arbeitnehmerfreibetrages durch den Bundesfinanzminister, nach Ablehnung der Verbesserung der Kilometerpauschale durch den Bundesfinanzminister
hier vorzuschlagen, und bis wann gedenkt sie, diese Maßnahmen in Kraft treten zu lassen? Und ich sage Ihnen gleich noch eins: Kommen Sie uns nicht mit einem Arbeitnehmerfreibetrag mit einem effektiven monatlichen Ergebnis von 3,50 DM. 3,50 DM monatlich schaffen keine soziale Symmetrie, und 3,50 DM monatlich helfen diesem Zonenrandgebiet keinen Schritt weiter.
Ein Zweites, meine Damen und Herren. Meine Fraktion wird sich nicht damit abfinden, daß nach
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Dr. Warnkeder gesetzlichen Fundierung der regionalen Wirtschaftspolitik im Gesetz zur Ausführung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftspolitik" und daß nach der Ankündigung eines Gesetzes zur Förderung der Berliner Wirtschaft durch die Versagung eines Zonenrandförderungsgesetzes die Menschen im Zonenrandgebiet und die Grundlagen der dortigen Wirtschaftsförderung rechtlich schlechter und faktisch unsicherer gestellt werden, als das in den anderen Problemgebieten der Fall ist. Auch dieses Gesetz ist von der Sozialdemokratischen Partei vor der Wahl versprochen worden, auch dieses Gesetz ist weder im Jahreswirtschaftsbericht angekündigt noch als Ergebnis der Zonenrandkonferenz, die die Sozialdemokraten in der vorvergangenen Woche abgehalten haben, in der Öffentlichkeit gefordert worden.Meine Damen und Herren, damit wir uns richtig verstehen: Was auch immer die Arrangements in der Ost- und Deutschlandpolitik, die geplant sind, sein mögen, wir werden nicht zulassen, daß in der Zonenrandförderung kurz getreten wird. Dieses Zonenrandförderungsgesetz — auch darauf lege ich Wert — ist nach unserer Auffassung konjunkturpolitisch neutral, weil es im wesentlichen die Kodifizierung bestehender Institute wie Sonderabschreibungen, wie Investitionszulage, wie Arbeitnehmerwohnungsbau, wie Kommunalförderung und wie Infrastrukturverbesserung enthalten soll. Ein Entwurf, Herr Bundeswirtschaftsminister, den die Länder zusammen mit den kommunalen Spitzenverbänden und zusammen mit den Handels- und Handwerkskammern ausgearbeitet haben, liegt Ihrem Hause bereits vor.Dieser Entwurf ist dringlich. Denn angesichts der Durchführung der regionalen Wirtschaftspolitik als Gemeinschaftsaufgabe in den ersten Monaten dieses Jahres brauchen wir, wenn eine Schlechterstellung vermieden werden soll, gleichzeitig die gesetzliche Fundierung der Zonenrandförderung.Meine Aufforderung an Sie geht dahin, uns hier und heute zu erklären, ob Sie bereit sind, diesem Hause ein Zonenrandförderungsgesetz vorzulegen, und wenn ja, ob das in angemessener Frist, d. h. auf jeden Fall vor der Sommerpause, geschehen kann. Wenn Sie es nicht tun, werden wir von uns aus die Initiative ergreifen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, zu später Stunde hier noch zu einer Spezialfrage das Wort nehmen zu müssen. Aber nach der Art, in der ich soeben apostrophiert worden bin, kann ich Ihnen das leider nicht ersparen.Ich kenne nicht das, worauf Sie sich stützen. Es wundert mich nicht, daß Sie glauben, in dieser nicht wiederzugebenden Weise über jemanden losziehen zu können, von dem Sie, wenn Sie wollten, wissen könnten, daß er 1953 die erste Tagung überhaupt, die sich mit dem Problem der Zonenrandförderung befaßt hat, initiiert und politisch geführt hat.
Ich will Ihnen einmal etwas sagen. 1965 hat der Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen, wie er damals hieß, nach großen Mühen und nach Überwindung ziemlicher Widerstände bei den Kollegen der CDU, die ich gut verstehe — die Kollegen von der CSU nenne ich hier nicht, weil sie immer bedenkenlos im bayerischen Grenzgebiet herumgelaufen sind und so getan haben, als könnten sie den Leute alles geben, wenn man sie hier nur gewähren ließe; bei der CDU war die Sache anders; hier unterscheide ich fair — —
— Natürlich, zur Sache! Hier bin ich direkt angegriffen worden, und Sie haben das anzuhören, oder wir brauchen überhaupt nicht miteinander zu reden, wenn Sie das in einer Debatte nicht aushalten.
Ich will Ihnen folgendes sagen. 1965 ist hier zum erstenmal ein Bericht gegeben worden. Den werden Sie wahrscheinlich nicht nachlesen. Dieser Bericht ist dann gebilligt worden. Darin sind die Merkmale, die Kriterien für eine Zonenrandförderung überhaupt zum erstenmal im Bundestag mit seinen früheren Mehrheiten anzubringen gewesen. Es war das, worauf man sich noch heute stützt, wenn man etwas machen will. Ich war glücklich, als dann der Bundesminister für Wirtschaft 1969 den Strukturbericht 1969 herausbrachte. So etwas hatte es vorher nicht gegeben, und Sie werden sich noch nach Jahren auf diesen Strukturbericht 1969 beziehen.Ich komme nun zu dem, was hier soeben gesagt worden ist. Natürlich erinnere ich mich daran, daß es 1965 einen Gegensatz zwischen den Sprechern der CDU/CSU und FDP einerseits und der SPD andererseits in der Frage gegeben hat, ob ein Arbeitnehmerfreibetrag in einer Form, die unangreifbar wäre, möglich ist. Es gab sehr gewichtige Argumente dagegen, die wir hier gehört und abgewogen haben. Meine Fraktion hat damals durch unseren Kollegen Höhmann eine Erklärung abgegeben, in der sie einen solchen Freibetrag nicht einfach versprochen, sondern in der sie gesagt hat, es schiene ihr nicht denkbar, daß eine so wichtige Frage einfach mit Nein oder Ja beantwortet werde. Angesichts der Schwierigkeit, genaue Kriterien aufzustellen und Abgrenzungen vorzunehmen weil es anders ist als in Berlin — wir haben auch einige Erfahrungen, wie es dort durch die andere Lage zu machen war —, erschienen die Vorschläge noch nicht genügend. Wir sind damals in der Minderheit geblieben.Ein Wort zu dem, worauf Sie jetzt in dieser leichtfertigen Weise - das muß ich schon so sagen; entschuldigen Sie das bitte; denn Sie hätten ja einmal fragen können —, abgehoben haben. Ich bin in Versammlungen und Vorträgen auf die zentrale Reform, die wir in den vier Jahren des 1969 gewählten Bundestages durchzuführen haben, nämlich die Steuerreform, zu sprechen gekommen und habe da-
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Wehnerbei dargelegt, daß in Art. 106 des Grundgesetzes -es tut mir leid; ich muß das so zitieren, wie ich es immer gesagt habe — steht:Die Deckungsbedürfnisse des Bundes und der Länder sind so aufeinander abzustimmen, daß ein billiger Ausgleich erzielt, eine Überbelastung der Steuerpflichtigen vermieden und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gewahrt wird.Von dort aus habe ich gesagt: Es muß denkbar sein, daß wir für die besonders schwierigen Verhältnisse im Zonenrandgebiet etwas tun, was Arbeitnehmer hält, und zwar nicht nur Arbeitnehmer schlechthin. Ich war 17 Jahre lang Vorsitzender dieses Ausschusses. Glauben Sie, das können Sie so einfach wegwischen? Ich habe Sanatorien erlebt und gesehen, wie es da mit den Ärzten ist, deren Frauen nicht dorthin wollen, weil sie sagen: Die Russen sind nahe. Das kennen wir doch; wer sich damit befaßt, kennt das.Man muß etwas finden. Es kann nicht irgendein 0815-System sein. Es kann auch angesichts der Schwierigkeiten der Abgrenzung nicht so einfach gesagt werden: nehmen wir den Arbeitsplatz, d. h. die Fabrik, oder: nehmen wir den Wohnort. Für beides spricht das eine oder spricht das andere. Also habe ich gesagt: Es muß — und dabei hoffe ich auf die Hilfe der Gewerkschaften und der Kammern — der Sachverstand aus dem Zonenrandgebiet mobil gemacht werden und muß helfen, damit wir Lösungen finden, die sauber und nicht angreifbar sind.Weil ich respektiere, was damals von Herrn Starke oder von anderen in der Sache 1965 kritisch gesagt wurde, suche ich nach einer Lösung. Da kommen Sie hierher und tun so, als wäre ich ein Demagoge.
Ich habe auch bedauert, verehrter Herr, daß z. B. der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesfinanzminister auf Fragen der CSU, die dazu aufgezogen war, fortgesetzt zu fragen, nicht gesagt hat, was der frühere Minister gesagt hat. Ich, der ich ein Abgeordneter bin, kann in der Fragestunde ja nicht antworten. Ich habe kürzlich von dem Parlamentarischen Staatssekretär eine Darstellung darüber bekommen, wie sich aus jener Sicht die Sache tut. Ich habe große Ruhe; denn meine Äußerungen beziehen sich auf die Steuerreform und darauf, daß diejenigen, die etwas dazu beitragen können, daß im Zonenrand etwas Attraktives für Arbeitskräfte aller Art gemacht wird, es auch wirklich machen sollten, wenn es geht.Das ist kein Versprechen. Dahinter steht auch nicht die Einstellung - wie Sie glauben -, sieben Tage vor der Wahl eine Sensation zu machen und dann nichts mehr davon wissen zu wollen. Da kennen Sie mich schlecht. Auch andere Leute werden Ihnen sagen können, daß es so nicht ist. Aber wenn Sie nicht sachlich diskutieren können, dann ist es überhaupt nicht gut.
— Dies ist eine sachliche Frage, Herr Müller-Hermann, der ich mich sehr gewidmet habe. Aber es hier in dieser Billigen-Jakob-Methode abtun zu wollen, geht nicht.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Arndt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich auf die energiepolitischen Darlegungen beziehen.Ich glaube, daß das, was der Kollege Wolfram gesagt hat, ein sehr wichtiger Beitrag für die künftige Politik des Bundeswirtschaftsministeriums auf diesem Gebiet sein wird. Die Einheitsgesellschaft — das darf ich wiederholen — steht. Aber damit ist es natürlich nicht getan. Sie ist in einem Stadium der Organisation, wo ihre einzelnen Untergruppen, die einzelnen Aktiengesellschaften die notwendigen Rationalisierungen und Felderbereinigungen durchzuführen haben. Das geschieht in einer Situation, wo Kohle relativ knapp ist, einige Kohlesorten sogar sehr knapp sind. Das macht diese Umstellungs- und Organisationsprozesse nicht leichter. Was wir in einem derart schwierigen Wirtschaftszweig brauchen, ist Normalität, also keine extremen Nachfragelagen nach dieser oder nach jener Seite. So ist es an sich nicht die Aufgabe der Ruhrkohlen AG, in der Welt zusätzlichen Koks für die deutsche Bevölkerung zu besorgen. Das macht sie, und wir sind ihr dafür dankbar. Der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages hat sich auf Antrag der Regierung damit einverstanden erklärt, daß ein Teil der Mittel, die an sich zur Förderung der Kohle gedacht sind, dafür verwendet wird, den sehr teuren ausländischen Koks für unsere inländischen Verbraucher zu verbilligen. Dennoch muß sich dieses Unternehmen seinen eigentlichen Aufgaben stellen können und versuchen, auch unter diesen Umständen schnell zur Reorganisation im Ruhrrevier zu kommen.Das Zweite: Herr Kollege Springorum, Sie sagten, die 90-Millionen-Prognose — es war übrigens keine Prognose der Regierung oder des Bundeswirtschaftsministeriums für den Zeitraum 1971/72 habe sich nicht verwirklicht; wir liegen in einem sehr hohen Maße darüber, d. h. es wird viel mehr Kohle nachgefragt, und es kann auch viel mehr Steinkohle gefördert werden.Ich würde dazu sagen: Prognosen sind eine wahrscheinliche Annahme über die Zukunft, die wahrscheinlichste unter vielen Annahmen, die denkbar sind. Es wird also Abweichungen geben. Und wenn es wie hier oder in anderen Fällen - aber hier reden wir von diesem Fall — Abweichungen in erfreulicher Richtung gegeben hat, daß nämlich sehr viel Kohle und Koks nachgefragt wird, daß die Produktionskapazitäten gefordert wurden, daß die Hal-
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Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndtden verschwinden konnten, so spricht das ja nicht gegen eine Prognose, die unter den damaligen Umständen des Sturzfluges, der Reduktion der Kohleförderung in den Jahren 1964/1966 um je 10 Millionen t per anno, gar nicht so pessimistisch schien, sondern eher im Grenzbereich des Realistischen lag. Ich glaube, da sollte man keine Vergleiche machen: warum ist das nicht so gekommen, wie es in der Prognose stand?, d. h. warum ist die Lage nicht so schwarz geworden, wie sie damals geschildert wurde?, sondern man sollte sagen: Aus diesen und jenen Gründen — und zu diesen Gründen gehört auch die Energiepolitik, an der dieses Haus, wie ich glaube, in seiner Gesamtheit beteiligt war —, ist das besser geworden.Sie waren dann so freundlich, die anderen Bereiche der Energiepolitik — Erdgas, Heizöl usw. — zu skizzieren. Dazu nur folgendes: Wir haben Prinzipien. Das eine ist Sicherheit der Versorgung, und das andere sind niedrige Preise. Beides versuchen wir anzugehen mit den Mitteln multipler Versorgungsquellen oder — wie das neuerdings heißt — der Diversifikation. Ein weiteres Mittel ist der Wettbewerb.In diesem Zusammenhang müssen wir den Erdgas-Vertrag sehen. Er erschließt uns, insbesondere natürlich Bayern und anderen süddeutschen Ländern, zusätzliche Versorgungsquellen, ohne deswegen irgendeine dieser Regionen oder gar die Bundesrepublik abhängig zu machen; dazu ist die Größenordnung viel zu gering.In diesem Zusammenhang müssen Sie auch die Bemühungen der DEMINEX sehen, mit den Mitteln, die hier bereitgestellt worden sind, entweder größere Rechte oder Eigentum oder vielleicht direkt Explorationserfolge im Ausland „im Rohölsektor" — wie es so ,schön heißt — zu erzielen. Dabei ist bisher noch nicht viel herausgekommen. Einerseits ist es nur sehr gut, daß das Geld nicht in Experimenten aufgebraucht wird, in Experimenten, die wir nicht wünschen, andererseits teilt selbstverständlich die Bundesregierung mit diesem Hohen Hause den Wunsch, doch das eine oder andere Projekt tatsächlich bald erfolgreich zu sehen.Und Frisia: Die Regierung hat sich bemüht, für die Frisia andere Lösungen zu finden, Lösungen, mit einem Eigentumsübergang in die Hände von Mineralölgesellschaften in überwiegend deutschem Eigentum. Wir wollen — das ist eines der erklärten Ziele unserer Mineralölpolitik — etwa 25 % des Rohöldurchsatzes eben nicht in den Händen ausländischer Gesellschaften sehen. Sicherlich ist diese Zahl gegriffen, aber es ist eine Marke, an die man sich halten muß, damit es nicht nur 15 % oder 5% oder gar einmal null Prozent werden. Es ist viel versucht worden, um für die Frisia eine andere Lösung zu finden. Dies ist nicht gelungen, weil der Standort dort für eine Raffinerie nicht über die Maßen günstig sein soll, wie Fachleute sagen, so daß selbst bei einem besseren Erlös- und Ertragsniveau für dieses oder jenes Mineralölerzeugnis, also z. B. Benzin, ein Weiterbetrieb und Ausbau der Raffinerie dort nicht sehr sinnvoll wäre. Deswegen sind eben jetzt, soviel ich weiß, Verhandlungen imGange — es ist noch kein Abschluß erfolgt —, die eine ausländische Gesellschaft ins Spiel bringen sollen, von der freilich auch verlangt werden muß, daß in Emden die Raffinerie weiter betrieben, d. h. also ausgebaut wird.Auch können sich natürlich laufend die Daten und Einschätzungen ändern, wie Sie es von der Kernenergie mit Recht sagten. Es ist heutzutage nicht mehr selbstverständlich, daß .Kraftwerke, die auf Erdgas, Heizöl, Steinkohle oder gar auf Braunkohle laufen, in den nächsten fünf oder zehn Jahren zwangsläufig Kernkraftwerken in der Stromerzeugung unterlegen sein werden. Das war vor drei Jahren noch anders. Heutzutage mußten wir und mußten alle, die damit zu tun haben, diese Einschätzung der Zukunft revidieren. Das besagt nichts gegen die Kernenergie. Sie wird sich weiter ausdehnen, aber sie wird vielleicht nicht in dem rapiden Tempo vorankommen, wie es vor zwei Jahren schien.Was heißt das? Heißt das, daß wir deswegen z. B. keine Prognosen mehr über die Einschätzung der Rentabilität dieser oder jener Form von Stromerzeugung machen sollen? — Nein, man kommt bei Investitionen dieser Größenordnung nicht daran vorbei.Wenn diese Prognosen nicht eingetreten sind oder nicht zuzutreffen scheinen, kann man selbstverständlich nicht auf der ersten ursprünglichen Auffassung beharren. Man muß sich revidieren, sich vielleicht fragen, ob man den Ausgleich durch mehr öffentliche Subventionen bewirkt — dazu ist die Bundesregierung im Augenblick nicht bereit — oder ob man auf neue technische Innovationen vertraut.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Springorum? - Bitte!
Ich darf nur fragen: sind Sie mit mir der gleichen Meinung, daß diese Schatten, die Sie jetzt angedeutet haben, auch Teil des Jahreswirtschaftsberichts hätten sein müssen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, Herr Kollege Springorum, dann wäre er einfach zu umfangreich geworden. Wir glaubten sowieso, im energiepolitischen Teil recht ausführlich gewesen zu sein. Selbstverständlich steht Ihnen die Bundesregierung, das Bundeswirtschaftsministerium im Wirtschaftsausschuß oder, wenn Ihre Fraktion das wünscht, auch im Plenum zu ausführlichen energiepolitischen Erläuterungen zur Verfügung. In den Jahreswirtschaftsbericht selbst noch mehr über die Energiepolitik hineinzuschreiben, schien uns etwas vermessen. Schließlich dient er ja in erster Linie dazu, sich mit dem Gutachten der Sachverständigen auseinanderzusetzen, Jahresprojektion und die wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen des laufenden Jahres darzulegen. Sie sehen, über den innerdeutschen Handel ist auch geschrieben worden, aber niemand hat davon gesprochen und danach gefragt.
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1328 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Ein Umstand, den ich bedaure; aber hier sind wir anscheinend etwas zu ausführlich gewesen, bei der Energiepolitik dagegen zu kurz.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will in Kürze nur auf ganz wenige Dinge antworten, in denen ich persönlich angesprochen bin.
Herr Kollege Luda, Sie haben nach dem Stand der Mißbrauchsaufsichtsverfahren in Sachen Automobilindustrie gefragt. Ich kann hier ohne Angabe der Firmen nur sagen: die Mißbrauchsaufsichtsverfahren laufen noch. Ich meine, bei einem schwebenden Verfahren sollten wir nicht weiter darüber sprechen.
— Nein, jene Firma ist nicht dabei. Aber wir sollten uns im Moment wirklich nicht weiter darüber äußern. Ich will Sie doch hier nicht durch große Länge strapazieren, sondern Ihnen nur in den Dingen Auskunft geben, in denen Sie mich persönlich gefragt haben.
Sie waren wegen der Zinsabrüstungskonferenz so skeptisch und bezogen sich dabei auf die Bundesbank. Ich kann Ihnen nur sagen: die OECD hat sich durch ihren Generalsekretär van Lennep schon vor geraumer Zeit bereit erklärt, in ihrem Rahmen diese Frage zu beraten. Auch die Absprache zwischen dem französischen Wirtschafts- und Finanzminister und mir ging dahin, diese Frage bei der OECD zu behandeln.
Herr Gewandt, auch Sie haben an mich mehr oder weniger persönliche Fragen gerichtet. Das Werfthilfeprogramm Nr. 7 wird um die Wende vom Februar zum März erscheinen. Also das ist beim letzten „Genietet-Werden", um im Werftbild zu bleiben. Das gilt übrigens nur für den alten Schiffbau, heute wird das ja mit anderen technischen Methoden gemacht.
Ein Wort zur Novelle zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Da habe ich mich ein bißchen gewundert, daß Sie zu dieser sehr detaillierten Materie mehr im Jahreswirtschaftsbericht verlangt haben. Denn mir ist gesagt worden: Der Kartellreferent des Bundeswirtschaftsministeriums ist vor kurzem im Mittelstandskreis Ihrer Fraktion, Herr Gewandt, gewesen und hat dort ausführlich über alle unsere Vorarbeiten zur Novelle zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen berichtet.
Herr Minister, um das klarzustellen — —
Herr Abgeordneter Gewandt, Sie können nur eine Frage stellen.
Darf ich eine Frage stellen. Für uns ist doch nicht entscheidend, Herr Minister, zu welchen Ergebnissen einer Ihrer Herren gekommen ist, sondern wir möchten gern einmal von Ihnen erfahren, wie sich die Regierung dazu stellt; denn sie hat schließlich die Verantwortung. Also das ist die Frage, die uns interessiert, nicht die Vorarbeiten, die sicher sehr schätzenswert sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber wir sind für sorgfältige und gute Vorbereitungen. Wir haben es nicht allein mit der Fixigkeit, sondern mehr mit der Richtigkeit. Es ist schon durch Hearings u. a. m. auf dieser Ebene gearbeitet worden, und Sie werden — —
— Herr Gewandt, es ist doch jetzt die Frage des neuen Starts und des neuen Beginns. Wir haben schließlich auch einiges hinzugelert; Sie ja auch. In Sachen präventiver Fusionskontrolle hoffe ich, daß Ihre Kollegen in der CDU/CSU-Fraktion so viel hinzulernen, daß sie mit Ihnen in dieser Angelegenheit konform gehen. Also Sie werden in Bälde, bei der nächstbesten Gelegenheit, den gewünschten politischen Bericht über den Stand unserer Vorbereitungen bekommen.
— Wieso? Ich kenne das, aber — —
— Wieso denn? Wir bitten um Ihre Mitarbeit im Sinne eines konstruktiven und dynamischen Wettbewerbs um die beste Marktwirtschaft.
Was das Zitat betrifft — es wurde gesagt, es gebe nur eine soziale Marktwirtschaft —, so habe ich ein Zitat von Franz Böhm gebracht, und das muß man wohl wörtlich bringen; denn das hat Franz Böhm verdient, für uns alle, nicht nur für die CDU/CSU. Er hat für die Marktwirtschaft und den Wettbewerb in diesem Hause einiges getan, übrigens auch für andere sehr wichtige Dinge, die uns gerade in diesen Tagen aus anderem Anlaß sehr beschäftigen.
Herr Warnke, ich muß noch ein Wort zu der Zonenrand-Diskussion sagen. Sie haben da in der Tat Herrn Kollegen Wehner in einer Weise angenommen, die seinen Verdiensten um dieses wichtige Thema nicht gerecht wird. Die von Ihnen zitierte Investitionszulage für Investitionen in den Zonenrandgebieten und im bayerischen Grenzland ist primär nicht ein Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen dem Finanzminister und dem Wirtschaftsminister damals gewesen, sondern — das ist die historische Wahrheit — diese Investitionszulage für Investitionen im Zonenrandgebiet und im bayerischen Grenzland ist in einer sehr ausführlichen, sehr intensiven Beratung zwischen dem damaligen
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1329
Bundesminister Dr. SchillerBundesminister für gesamtdeutsche Fragen, Herrn Wehner, und dem Bundeswirtschaftsminister konzipiert worden, und zwar im April 1968. Er ist es gewesen — ich will es nur erwähnen; wir müssen doch gerecht bleiben —, der immer wieder gemahnt hat, bis dann die beiden Ressorts, Finanzen und Wirtschaft, in dieser Sache vorankommen. Sie alle wissen: wir haben so viel Zeit gebraucht, daß der Bundestag das Gesetz erst im Sommer 1969 verabschieden konnte. So ist der Gang der Dinge gewesen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Warnke?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, ich gestatte sie gern. Aber ich weiß nicht, ob ich sie beantworten kann. Zu so später Stunde wollen wir uns nicht noch in weitere Einzelheiten verlieren.
Herr Bundeswirtschaftsminister, stimmen Sie mir zu, daß bei der Beratung des Steinkohle-Förderungsgesetzes im ersten Durchgang im Bundesrat Ende 1967 vom bayerischen Wirtschaftsminister Dr. Schedl die Forderung gestellt und in einer Resolution angenommen worden ist, die darin vorgesehenen Investitionszulagen müßten auch den Fördergebieten zugute kommen? Und stimmen Sie mir zu, daß das natürlich erheblich vor dem von Ihnen genannten Zeitpunkt war?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann Ihnen dazu im Moment keine Auskunft geben. Ich kann nicht über alles hier protokollmäßig Auskunft geben, was jemals im Bundesrat zu einer wichtigen Angelegenheit gesagt worden ist.
Nur eines darf ich noch einmal klar und deutlich betonen. Herr Wehner hat in dieser Sitzung mit dem Bundeswirtschaftsminister — damals, im April 1968 — bei den Überlegungen „was tun wir bei dem beginnenden Gesamtaufschwung der Wirtschaft, damit dort Betriebe hinkommen?" dieses Konzept mit uns erarbeitet; und er hat immer wieder gedrängt, bis es dann so weit war. Das sollten Sie bei Ihrer Kritik auch berücksichtigen.
Ein letztes! Ich wurde von Herrn Frerichs in Sachen Anzeige persönlich gefragt. Herr Frerichs, was die Kosten betrifft, so habe ich mich beim Presse- und Informationsamt erkundigt, soweit das zu so später Stunde noch möglich war. Danach sind es 360 000 DM gewesen. Aber das kann natürlich nur eine vorläufige Auskunft sein. Sie haben selbstverständlich das Recht, in den nächsten Tagen eine genaue Zahl darüber zu erfahren. Natürlich bekommen Sie die genaue Zahl, wenn wir sie festgestellt haben.
Nur, wie auch immer, ich muß dazu sagen: Diese Aktion diente unter anderem dazu, lieber Herr Frerichs, dafür zu sorgen, daß 1,7 Milliarden DM an Steuergeldern, die zum Ausgleich von Preissenkung gezahlt worden waren, sich auch in der Richtung auswirken, daß die Verbraucher etwas davon haben. Das heißt, die Relation von 360 000 zu 1,7 Milliarden, um steuergeldliche Hilfen für die Verbraucher zu mobilisieren, ist immer noch ganz erträglich.
Nun zur Sache selbst! Ich habe mir jetzt auch noch einmal die Anzeige angesehen, Herr Frerichs — ich war ganz erschrocken, als ich so furchtbare Worte hörte wie „Profitjäger" und ähnliches, was mir überhaupt nicht liegt, wie Sie wissen —, und da sehe ich zum Schluß in dieser Anzeige: Der Bundeswirtschaftsminister, Professor Schiller, erklärt zu diesen Möglichkeiten wörtlich: „Die Bundesregierung dankt Handel und Verbrauchern. Wettbewerb und Preisbewußtsein helfen der Stabilitätspolitik." Ich finde, mit einer solchen Anzeige, in der dem Handel gedankt wird — Herr Frerichs, wir wollen das Thema doch nicht weiter vertiefen —,
ist doch keine Publikumsbeschimpfung verbunden gewesen, wie man aus Ihren Worten entnehmen könnte. Ich will diesen Dank, der in der Anzeige zum Ausdruck gekommen ist, heute hier gern wiederholen, auch an die Menschen im Einzelhandel, selbst wenn sie manchmal über das eine oder andere, was dort geschah, ergrimmt waren. Sie haben sich ja auch im Wettbewerb bewährt.
Sie sagten, einige Einzelhändler hätten mir ihren Laden angeboten. Sie kennen die schöne Reaktion in der Konzertierten Aktion. Ich habe Präsident Consten davon berichtet und habe gesagt: ich gehe in der Tat mit dem Gedanken um, diese Läden zu übernehmen und dann ein Unternehmen mit einer großen Kette zu machen. Er hat mir geantwortet: Ich freue mich, Sie in unserer Einzelhändlervereinigung als Mitglied begrüßen zu können. Man kann es also auch so sehen.
— Ich glaube, wir sollten diese Diskussion über die Anzeigenaktion mit einem Dank an diejenigen, die es so aufgefaßt haben, wie es aufzufassen war, beschließen und nicht zu so später Stunde —
Eine Zwischenfrage abzulehnen ist das gute Recht des Herrn Ministers.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nachdem ich mich bedankt habe — —
— Nun, nehmen Sie es nicht so arg in so später Stunde. Im übrigen können Sie, wenn Sie wollen, in der Haushaltsberatung wieder anfangen und in Sachen Bundeswirtschaftsministerium noch einmal über diese Angelegenheit sprechen.Zum Schluß muß ich noch einer versäumten Pflicht nachkommen. Sie nehmen mir dieses Versäumnis
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1330 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970
Bundesminister Dr. Schillerhoffentlich nicht übel, meine sehr geehrten Damen und Herren. Ich möchte an dieser Stelle noch dem Sachverständigenrat danken, dessen Gutachten ja die Basis für die Stellungnahme darstellt, die die Bundesregierung abgegeben hat. Das Gutachten ist die Ausgangsbasis, von der aus wir unseren eigenen Bericht erarbeiten. Ich hole diesen Dank an die Sachverständigen, die — wie in jedem Jahr — in völliger Autonomie ihr Jahresgutachten erstellt haben, nach.
Ich darf gleichzeitig dem Hohen Haus für die Kritik danken. Ich danke besonders dafür, daß wohl zum ersten Mal in der Geschichte dieser Jahreswirtschaftsberichte ein Bericht so früh nach seiner Übermittlung an das Parlament vom Hohen Haus hier diskutiert worden ist. Die Kritik, die gerade hier geleistet wurde, aber auch die Ergänzungsvorschläge werden die Bundesregierung beflügeln, dem neuen Jahreswirtschaftsbericht 1971 noch weitere neue Aspekte hinzuzufügen. Ich darf mich nochmals herzlich bedanken.
Es liegt keine Wortmeldung mehr vor. Damit stehen wir am Ende dieser Debatte, die ich schließe.
Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 18. Februar, 14 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.