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ID0602900100

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    Deutscher Bundestag 29. Sitzung Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 Inhalt: Anteilnahme an dem Anschlag auf das Altersheim der israelitischen Kultusgemeinde in München 1245 A Überweisung einer Vorlage an den Haushaltsausschuß 1245 B Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Berlin, Dr. von Nordenskjöld, Dr. Erhard, Frau Seppi und Becker (Pirmasens) 1245 B Amtliche Mitteilungen 1245 C Beratung des Jahresgutachtens 1969 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Drucksache VI/100) in Verbindung mit Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1970 der Bundesregierung (Drucksache VI/281) Dr. Schiller, Bundesminister 1247 B, 1297 A, 1328 A Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) 1255 A Kienbaum (FDP) 1263 B Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) (zur GO) 1267 B Junghans (SPD) 1267 B, 1323 D Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) 1272 A Brandt, Bundeskanzler 1281 C Mertes (FDP) 1282 D Dr. Schachtschabel (SPD) 1284 B Höcherl (CDU/CSU) 1288 A Dr. von Dohnanyi (SPD) 1294 D Graaff (FDP) 1303 D Zander (SPD) 1304 C Dr. Luda (CDU/CSU) 1306 D Lenders (SPD) 1310 D Dr. Burgbacher (CDU/CSU) 1313 C Rosenthal (SPD) 1314 B Gewandt (CDU/CSU) 1316 B Wolfram (SPD) 1318 B Springorum (CDU/CSU) 1321 A Dr. Frerichs (CDU/CSU) 1322 C Dr. Warnke (CDU/CSU) 1324 A Wehner (SPD) 1325 B Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär 1326 C Nächste Sitzung 1330 II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten 1331 A Anlage 2 Schriftliche Antwort auf die Zusatzfrage des Abg. Niegel betr. Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände 1331 B Anlage 3 Schriftliche Antwort auf die Zusatzfrage des Abg. Meister betr. Freigabe von Wohnungen durch die Stationierungsstreitkräfte 1331 D Anlage 4 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Strohmayr betr. Wohngeld für Sozialhilfeempfänger 1332 A Anlage 5 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Breidbach betr. Kompetenzen in bezug auf Hilfsmaßnahmen für Nigeria 1332 B Anlage 6 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Dr. Wulff betr. Hilfsmaßnahmen für Biafra 1332 C Anlage 7 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Petersen betr. Verfolgung von Mängelrügen durch Käufer von Eigentumswohnungen und Eigenheimen im Prozeßwege 1332 D Anlage 8 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Baier betr. Maßnahmen gegen den Mietwucher 1333 A Anlage 9 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Mertes betr. Übergang von mit Bundesmitteln geförderten Wohnungen in Privatbesitz 1333 B Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1245 29. Sitzung Bonn, den 17. Februar 1970 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Adams * 17. 2. Adorno 20. 2. Dr. Artzinger * 17. 2. Dr. Bayerl 28. 2. Behrendt * 17. 2. Biechele 28. 2. Dr. Dittrich * 20. 2. Frehsee 28. 2. Geldner 20. 2. Freiherr von und zu Guttenberg 20. 2. Hauck 28. 2. Kater 20. 2. Memmel * 20. 2. Müller (Aachen-Land) * 20. 2. Dr. Prassler 20. 2. Richarts * 19. 2. Schirmer 17. 2. Stücklen 18. 2. Vogel 17. 2. Dr. Freiherr von Weizsäcker 20. 2. b) Urlaubsanträge Burgemeister 31. 3. Dohmann 31.3. Dr. Pohle 28. 2. Schröder (Sellstedt) 6. 3. *Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments Anlage 2 Schriftliche Antwort des Bundesministers Ertl vom 28. Januar 1970 auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Niegel zu seiner Mündlichen Frage *). Die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände e. V., Bonn, (AGV) ist ein Zusammenschluß von 20 Verbänden und Organisationen, die sich laut Satzung überwiegend mit Verbraucherfragen beschäftigen; die Finanzierung erfolgt durch Mitgliedsbeiträge, Verkaufserlöse der Publikationen und zweckgebundene Zuwendungen der öffentlichen Hand für spezielle Aufklärungsmaßnahmen. Die AGV erhält vom BML keine globalen Zuschüsse zur Deckung ihrer laufenden Personal- und Sachkosten. Die AGV verfügt über gute Verbindungen zur Tagespresse sowie zum Rundfunk und Fernsehen; sie ist für die Information der Verbraucher über das *) Siehe 22. Sitzung Seite 833 B Anlagen zum Stenographischen Bericht aktuelle wirtschaftspolitische Geschehen eine wichtige Einrichtung. Da mir an einer schnellen und weitgestreuten Verbraucherinformation gelegen ist, erhält die AGV von meinem Hause zweckgebundene Zuwendungen mit dem Auftrag, a) jahrlich bis zu 70 Rundfunksendungen und 40 Fernsehsendungen zu warenkundlichen und verbraucherpolitischen Themen auf dem Ernährungsgebiet im überregionalen Programm eingenverantwortlich durchzuführen, b) wöchentlich Angaben über Verbraucherpreise für Nahrungsmittel im gesamten Bundesgebiet - besonders in Mittel- und Kleinstädten - zu sammeln und die Ergebnisse der Zentralen Markt- und Preisberichtstelle der Deutschen Landwirtschaft und der Unterabteilung für Verbraucherangelegenheiten in meinem Hause für Auswertungen zur Verfügung zu stellen, c) jährlich bis zu 100 Schreibmaschinenseiten Informationen über verbraucherpolitische Themen sowie Warenkunde, Marktzusammenhänge und richtiges Verhalten beim Einkauf von Nahrungsmitteln in der Verbraucherpolitischen Korrespondenz (VPK) oder Verbraucherrundschau (VR) zu veröffentlichen. Eine Beeinflussung der AGV etwa in der Richtung, daß sie ihre Veröffentlichungen mit den agrar- und ernährungspolitischen Zielsetzungen der Bundesregierung in Einklang bringt, ist nicht möglich und auch nicht beabsichtigt. Es besteht mit dem Vorstand und der Geschäftsführung der AGV Übereinstimmung darüber, daß sich die Arbeitsgemeinschaft bei ihren Veröffentlichungen um eine objektive Darstellung des Sachverhalts zu bemühen und bei ihrer Meinungsäußerung jede Polemik zu vermeiden hat. Anlage 3 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischl vom 10. Februar 1970 auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Meister zu seiner Mündlichen Frage *). Die Unterhaltskosten für die freigegebenen und wegen der laufenden Instandsetzung zur Zeit noch nicht besetzten rd. 1400 Wohnungen betragen pro Monat schätzungsweise rd. 31 220 DM (22,30 je Wohnung und Monat im Durchschnitt). Die Kosten werden vom Bund als Eigentümer getragen. Die Wohnungen befinden sich zur Zeit in einem Zustand, der es nicht gestattet, sie sofort zu beziehen. Da sie unmittelbar nach der notwendigen Instandsetzung vermietet werden, ist ein Mietausfall nicht zu erwarten. *) Siehe 25. Sitzung Seite 1012 B 1332 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 Anlage 4 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Ravens vom 30. Januar 1970 auf die Mündliche Frage des Abgeordnerten Strohmayr (Drucksache VI/273 Frage A 49): Welche Maßnahmen sind erforderlich oder bereits getroffen worden, daß die Sozialhilfeempfänger nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum § 29 des Wohngeldgesetzes vom 1. April 1965 nunmehr und noch nachträglich Wohngeld erhalten? In einem gemeinsamen Rundschreiben vom 19. Dezember 1969 haben die Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen, für Jugend, Familie und Gesundheit sowie für Arbeit und Sozialordnung die für die Durchführung des Wohngeldgesetzes, der Sozialhilfe und der Kriegsopferfürsorge zuständigen obersten Landesbehörden über den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 1969 unterrichtet. Das Rundschreiben stellt klar, daß alle Empfänger von Sozialhilfe und Kriegsopferfürsorge einen Rechtsanspruch auf Wohngeld haben, wenn die sonstigen Voraussetzungen nach dem Wohngeldgesetz erfüllt sind. Ab November 1969, dem Monat, in dem der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts erlassen worden ist, werden die Anträge des genannten Personenkreises unter Nichtbeachtung des § 29 Wohngelde vom 1. April 1965 beschieden. Es ist sichergestellt, daß die Antragberechtigten neben dem ihnen zustehenden Wohngeld soviel Sozialhilfe oder Kriegsopferfürsorge erhalten, daß sie nicht schlechter gestellt sind, als wenn sie wie früher lediglich Sozialhilfe oder Kriegsopferfürsorge erhalten würden. Im Interesse einer zügigen und möglichst reibungslosen Abwicklung der etwa 350 000 Wohngeldanträge werden zunächst die Anträge bearbeitet, die sich auf den Zeitraum ab November 1969 erstrecken. Die Entscheidungen über das Wohngeld für die zurückliegende Zeit werden vorerst zurückgestellt, weil die damit zusammenhängenden Fragen noch nicht abschließend geklärt sind. Dem begünstigten Personenkreis entstehen dadurch jedoch keine Nachteile. Zur Erörterung des gesamten Fragenkomplexes hat im Bundesministerium für Städtebau und Wohnungswesen am 15. Januar 1970 eine Ressortbesprechung und gestern eine Besprechung mit Vertretern der zuständigen Länderminister stattgefunden. Anlage 5 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Dahrendorf vom 30. Januar 1970 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Breidbach (Drucksache VI/273 Frage A 98) : Wie lange haben die Kompetenzschwierigkeiten zwischen dem Bundesinnenministerium und dem Auswärtigen Amt gewisse Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung an Nigeria verzögert, und erklärt sich damit die Tatsache, daß der Vertreter des für humanitäre Hilfe angeblich zuständigen Bundesinnenministeriums nicht nach Lagos ausreisen konnte? Zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium des Innern hat es keine Kompetenzstreitigkeiten gegeben, noch hat es in irgend einer Weise Verzögerungen der Hilfsmaßnahmen durch die Bundesregierung gegeben. Wie mir der Bundesminister des Innern mitgeteilt hat, ließen sich die bisher in Frage kommenden Soforthilfen weitgehend anhand der Berichte der Deutschen Botschaft in Lagos und der Hilfsorganisation aus Nigeria in die Wege leiten. Eine Reise eines Vertreters des Bundesministeriums des Innern nach Nigeria ist deshalb bis jetzt nicht vorgesehen worden. Erweist sich eine Prüfung an Ort und Stelle als zweckmäßig, wird dei Bundesminister des Innern unverzüglich einen Vertreter nach Nigeria entsenden. Anlage 6 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Dahrendorf vom 30. Januar 1970 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Wulff (Drucksache VI/273 Frage A 101) : Zu welchem Zeitpunkt hat die Bundesregierung begonnen, Hilfsmaßnahmen für Biafra zu koordinieren? Die Bundesregierung hat seit Bekanntwerden der Not in der Ostregion Nigerias im Sommer 1968 die nach dortigen Verhältnissen mögliche Hilfe geleistet. Seit diesem Zeitpunkt werden auch die deutschen Hilfsmaßnahmen koordiniert, und zwar sowohl zwischen den in Frage kommenden Bundesministerien als auch mit den nichtstaatlichen Hilfsorganisationen. Diese Koordinierung ist auch jetzt laufend fortgesetzt worden. Anlage 7 Schriftliche Antwort des Bundesministers Jahn vom 30. Januar 1970 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Petersen (Drucksache VI/273 Fragen A 109 und 110) : Ist der Bundesregierung bekannt, daß die in der Regel hohen Abzahlungsquoten die Inhaber von Eigentumswohnungen oder Kaufeigenheimen hindern, mögliche Mängelrügen angesichts des hohen Streitwertes im Prozeßwege zu verfolgen? Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um in solchen Fallen den Bürgern den Rechtsweg zu erleichtern? Fälle, in denen die Eigentümer von Eigentumswohnungen und Kaufeigenheimen durch die hohen Belastungen aus dem Erwerb ihres Eigentums ernsthaft daran gehindert worden sind, Mängelrügen im Prozeßwege zu verfolgen, sind der Bundesregierung nicht bekannt. Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß dem Erwerber einer Eigentumswohnung oder eines Eigenheimes in Fällen, in denen er die zusätzlichen Mittel für eine Prozeßführung zur Verfolgung von Mängel- Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 17. Februar 1970 1333 rügen nicht aufbringen kann, bereits im Rahmen des geltenden Rechts hinreichend durch die Inanspruchnahme des Armenrechts geholfen werden kann. Anlage 8 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Ravens vom 30. Jannuar 1970 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Baier (Drucksache VI/273 Frage A 129) : Was gedenkt der Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen zu unternehmen, nachdem er im Süddeutschen Rundfunk am 10. Januar 1970 erklärte, daß die vorhandenen Vorschriften gegen den Mietwucher nicht ausreichen? Die Mietwuchervorschrift des § 302 Buchst. e Strafgesetzbuch ist nicht sehr wirksam, denn die Straftatbestände sind so gefaßt, daß man in der Praxis damit sehr wenig anfangen kann, insbesondere was die subjektive Seite dieser Rechtsnorm angeht. Deshalb soll die Mietwuchervorschrift des § 302 e Strafgesetzbuch im Zuge der Strafrechtsreform geändert werden. Das hat der Herr Bundesminister der Justiz bereits in der Fragestunde am 4. Dezember 1969 in Aussicht gestellt. Seine Ausführungen zu diesem Fragenkreis bitte ich im Protokoll der 17. Sitzung auf Seite 612 nachzulesen. Wir werden Herrn Minister Jahn in seinem Bemühen um eine Lösung dieses Problems voll unterstützen. Anlage 9 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Ravens vom 30. Januar 1970 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Mertes (Drucksache VI/273 Fragen A 130 und 131) : In welchem Umfang sind Wohnungen, die mit Bundesmitteln gefördert wurden, nach Kenntnis der Bundesregierung in Privatbesitz übergegangen und in welchem Umfang befinden sich derartige noch in Händen von Kommunen oder Baugesellschaften? Welche Überlegungen hat die Bundesregierung hinsichtlich eines verstärkten Einsatzes des öffentlich geförderten Wohnungsbaues als Mittel der privaten Vermögensbildung? Insgesamt sind in den Jahren 1949 bis 1968 rd. 1,3 Millionen Eigentümerwohnungen — das sind Wohnungen, die der Eigentümer selbst bewohnt - mit öffentlichen Mitteln gefördert worden. Das sind etwas mehr als ein Viertel aller mit Bundes- und Landesmitteln geförderten Sozialwohnungen. Für den Bereich der Kommunen liegen keine Zahlen vor, die als Antwort auf Ihre Frage dienen können. Die Gemeinden haben im allgemeinen auch keine Wohnungen selbst gebaut. Für den Bereich der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen ist zu sagen, daß in den letzten Jahren durchschnittlich 23 v. H., also nahezu ein Viertel, ihrer gesamten Bauleistung in eigener Bauherrschaft Wohnungen waren, die sie anschließend an Einzelbewerber zur Eigennutzung veräußert haben. Von den in den Jahren 1949 bis 1968 in eigener Bauherrschaft von den gemeinnützigen Wohnungsunternehmen errichteten Wohnungen sind nahezu 600 000 in Ein- und Zweifamilienhäusern und fast 75 000 Wohnungen in Wohnungseigentum in Mehrfamilienhäusern, zusammen also fast 700 000 Sozialwohnungen von den Unternehmen zur Veräußerung erstellt und dementsprechend als privates Einzeleigentum veräußert worden. Daneben haben die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen noch den Bau von mehreren hunderttausend Wohnungen in Eigenheimen und in Mehrfamilienhäusern also Eigentumswohnungen — für private Bauherren betreut. Sie haben hiermit einen beachtlichen Beitrag zur privaten Vermögensbildung geleistet. Die Bundesregierung wird auch weiterhin an der im Zweiten Wohnungsbaugesetz festgelegten Förderung der Eigentumsbildung für breite Volksschichten festhalten. Das Förderungsvolumen wird sich in erster Linie am Bedarf orientieren sowie an den im II. Wohnungsbaugesetz vorgeschriebenen Förderungsschwerpunkten. Das gilt auch für das vorgesehene langfristige Wohnungsbauprogramm.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Liselotte Funcke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Die Sitzung ist eröffnet. Meine Herren und Damen!

    (Die Abgeordneten erheben sich.)

    Am Freitag, dem 13. Februar, wurde ein verbrecherischer Anschlag auf das Altersheim der israelitischen Kultusgemeinde in München verübt, bei dem sieben Menschen den Tod fanden. Der amtierende Präsident des Bundestages hat an den Zentralrat der Juden in Deutschland das folgende Telegramm gerichtet:
    Der verbrecherische Anschlag auf das Altersheim der israelitischen Gemeinde in München hat in unserem Volke Entsetzen und Empörung ausgelöst. Der Deutsche Bundestag gedenkt in tiefem Mitgefühl der Angehörigen und der Opfer dieses schmachvollen Verbrechens und des so schwer geprüften jüdischen Volkes. Wir wenden den Verletzten unsere Anteilnahme zu und wünschen ihnen baldige und vollständige Genesung.
    Der Deutsche Bundestag ist davon überzeugt, daß die Bundesregierung und die mit der Aufklärung dieses Verbrechens befaßten Stellen alles tun werden, um der Täter habhaft zu werden und sie einer gerechten Bestrafung zuzuführen.
    Der Bundestag hat durch Erheben seine Zustimmung bekundet. Ich danke Ihnen.
    Der Bundesminister der Finanzen hat am 30. Dezember 1969 gemäß § 33 Abs. 1 der Reichshaushaltsordnung die Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben im Betrag von 10 000 DM und darüber für das 3. Vierteljahr des Rechnungsjahres 1969 — Drucksache VI/247 — übersandt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird diese Vorlage dem Haushaltsausschuß überwiesen. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
    Geburtstag haben gefeiert: am 31. Januar die Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus, 60 Jahre,

    (Beifall)

    am 2. Februar der Abgeordnete Berlin, 60 Jahre,

    (Beifall)

    am 3. Februar der Abgeordnete Dr. von Nordenskjöld, 60 Jahre,

    (Beifall)

    am 4. Februar der Abgeordnete Dr. Erhard, 73 Jahre, (Beifall)

    am 6. Februar die Abgeordnete Frau Seppi, 60 Jahre,

    (Beifall)

    und am 8. Februar der Abgeordnete Becker (Pirmasens), 65 Jahre.

    (Beifall.)

    Allen Geburtstagskindern unsere herzlichsten Glückwünsche!
    Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
    Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 13. Februar 1970 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:
    Gesetz fiber den Volksentscheid im Gebietsteil Baden des Landes Baden-Württemberg gemäß Artikel 29. Abs. 3 des Grundgesetzes
    Gesetz zu dem Vertrag vom 27. August 1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über die Schiffahrt
    Gemäß § 5 Abs. 3 des Richterwahlgesetzes rückt die Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus für den verstorbenen Abgeordneten Dr. Haas als Mitglied im Richterwahlausschuß nach. Aus der Reihe der nicht mehr Gewählten rückt für die Abgeordnete Frau Dr, Diemer-Nicolaus der Abgeordnete Bauer (Würzburg) als Stellvertretendes Mitglied im Richterwahlausschuß nach.
    Der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministers des Auswärtigen hat am 28. Januar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dröscher, Dr. Müller-Emmert, Tallert, Matthöfer, Dr. Lohmar, Becker (Niesberge), Mattick, Bauer (Würzburg), Pöhler, Seidel, Schwabe, Dr. Fischer, Zebisch, Kaffka Brandt (Grolsheim), Dr. Schmitt-Vockenhausen, Collet, Flämig, Schmidt (Würgendorf), Biermann, Hauck, Dr. Müller (München), Dr. Rutschke, Jung, Schmidt (Kempten) und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Beschäftigte bei den Stationierungsstreitkräften -Drucksache VI/242 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/323 verteilt.
    Der Bundesminister für Verkehr hat am 30. Januar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hauser (Bad Godesberg), Dr. Kliesing (Honnef), Rösing, Dr. Frerichs, Stein und Genossen betr. Verkehrsverhältnisse im bundeshauptstädtischen Raum — Drucksache VI/241 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/326 verteilt.
    Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat am 28. Januar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Griesinger, Pfeifer, Dr. Jenninger, Alber und Genossen betr. Zusammenschluß kleinerer Fernsprechortsnetze — Verbesserung des Notrufsystems — Drucksache VI/230 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache V17328 verteilt.
    Der Bundesminister des Innern hat am 2. Februar 1970 die Kleine Anfrage des Abgeordneten Strauß und Genossen betr. Einreise von Anfrage Mitgliedern der amerikanischen Farbigenorganisation Schwarzer Panther — Drucksache VI/238 — beantwortet. Sein Schreiber' ist als Drucksache VI/333 verteilt.
    Der Bundesminister der Verteidigung hat am 3. Februar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Seefeld, Dr. Apel, Dr. Ahrens, Haar (Stuttgart), Buchstaller, Mertes, Ollesch und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Allgemeiner Rettungsdienst in der Bundesrepublik Deutschland — Drucksache VI/256 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/368 verteilt.



    Vizepräsident Frau Funcke
    Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 3. Februar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Burgbacher, Dr. Luda und der Fraktion der CDU/CSU betr. Vermögensbildungs- und Sparprämiengesetz — Drucksache VI/257 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/370 verteilt.
    Der Bundesminister für Verkehr hat am 5. Februar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Mursch (Soltau-Harburg), Lemmrich, Erpenbeck und Genossen und der Fraktion der CDU/ CSU betr. Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr durch Mitführen eines Handfeuerlöschers im Personenkraftwagen — Drucksache VI/259 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/374 verteilt.
    Der Bundesminister des Innern hat ans 6. Februar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß, Stücklen, Ott, Dr. Kreile, Weigl und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Steuerliche Auswirkung der neuen Einheitswerte zum 1. Januar 1964 — Drucksache VI/318 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/380 verteilt.
    Der Bundesministerdes Innern hat am 6. Februar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. h. c. Kiesinger, Biechele, Dr. Eyrich, Adorno und Genossen betr. Sicherung von Standorten von Kernkraftwerken am Rhein — Drucksache VI/254 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/383 verteilt.
    Der Bundesminister des Innern hat am 11. Februar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Stücklen, Wagner, Dr. Riedl (München), Geisenholer, Dr. Kreile, Dr. Schneider (Nürnberg) und Genossen betr. Finanzierung der Olympischen Spiele 1972 — Drucksache VI/65 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/384 verteilt.
    Der Bundeskanzler hat am 2. Februar 1970 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Nachtrag zum Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1969 sowie den Nachtrag zum Stellenplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1969 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Die beiden Nachträge liegen ins Archiv zur Einsichtnahme aus.
    Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat am 27. Januar 1970 mitgeteilt, daß der federführende Ausschuß für Wirtschaft und der mitberatende Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten die EWG-Verordnungen Nr. 2617 bis 2619/69 über Gemeinschaftszollkontingente für Rinder — Drucksache V1/202 — zur Kenntnis genommen haben. Da die Verordnungen in der Zwischenzeit im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften verkündet wurden, erübrige sich eine besondere Berichterstattung an das Plenum.
    Der Vorsitzende des Innenausschusses hat am 6. Februar 1970 mitgeteilt, daß der Innenausschuß zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Berichtigungskoeffizienten für die Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten — Drucksache VI/29 — nicht Stellung genommen hat, weil der materielle Inhalt des Verordnungsentwurts durch eine in der Zwischenzeit bereits im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichte Verordnung zur Änderung des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten dieser Gemeinschaften überholt war.
    Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
    Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1043/68 über die Grundregeln zum Ausgleich der Auswirkungen der Berichtigungsbeträge, die auf die Interventionspreise gewisser Milcherzeugnisse angewandt werden — Drucksache VI/284 —
    überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften
    der Mitgliedstaaten für Kaseine und Kaseinate
    — Drucksache VI/285 —
    überwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Mayonnaise, Soßen auf Grund von Mayonnaise und andere emulgierte Gewürzsoßen
    — Drucksache VI/286 —
    überwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Verordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Aluminiumoxyd der Tarifnummer ex 28.20 A des Gemeinsamen Zolltarif s
    Verordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Ferrosiliziumchrom der Tarifnummer 73.02 E II des Gemeinsamen Zolltarifs
    — Drucksache VI/287 —
    überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Richtlinie des Rates über die Verlängerung der in Artikel 7
    Absatz 1 C) der Richtlinie des Rates vom 26. Juni 1964 zur
    Regelung des innergemeinschaftlichen Handelsverkehrs mit
    Lebendvieh vorgesehenen Frist
    — Drucksache VI/288 —
    überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Gaszähler
    — Drucksache VI/290 —
    überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Richtlinie des Rates über die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für einige selbständige Tätigkeiten (aus Hauptgruppe 01 bis Hauptgruppe 90 CITI)

    — Drucksache VI/291 —
    überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Verordnung des Rates über die Verlängerung der in Artikel 12 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 130/66/ EWG über die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik vorgesehenen Frist
    — Drucksache VI/292 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend), Finanzausschuß, Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Verordnung des Rates über die luxemburgische Landwirtschaft
    — Drucksache VI/294 —
    überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend), Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Verordnung des Rates mit Durchführungsbestimmungen zu Artikel 11 und Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1975/69 zur Einführung einer Prämienregelung für die Schlachtung von Kühen und die Nichtvermarktung von Milch und Milcherzeugnissen
    — Drucksache VI/295 —
    überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend), Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Richtlinie über die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für die selbständigen Tätigkeiten der Hebamme
    Richtlinie über die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise der Hebamme
    Richtlinie zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Aufnahme und Ausübung der selbständigen Tätigkeiten der Hebamme
    — Drucksache VI/296 —
    überwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Verordnung des Rates über die Mitteilung von Investitionsvorhaben von gemeinschaftlichem Interesse in den Bereichen der Erdöl-, Erdgas- und Elektrizitätswirtschaft
    Verordnung des Rates über die Mitteilung der beabsichtigten Einfuhren von Kohlenwasserstoffen an die Kommission der Europäischen Gemeinschaften
    — Drucksache VI/297 —
    überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Verordnung des Rates zur Ergänzung der Verordnung Nr. 122/67/EWG in bezug auf die vorherige Festsetzung der Erstattungen bei der Ausfuhr auf dem Eiersektor
    — Drucksache VI/298 —
    überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über natriumarme diätetische Lebensmittel
    — Drucksache VI/316 —
    überwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Verordnung des Rates zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 1541 und 1542/69 des Rats über die Einfuhr von Zitrusfrüchten aus Spanien und Israel
    — Drucksache VI/317 —
    überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinien des Rates vom 27. Juni 1968 und vom 13. März 1969 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe
    — Drucksache VI/336 —



    Vizepräsident Frau Funcke
    überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Verordnung des Rates über die Einführung gemeinsamer Regeln für den Pendelverkehr mit Kraftomnibussen zwischen den Mitgliedstaaten
    — Drucksache VI/371 —
    überwiesen an den Ausschuß für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Verordnung des Rates zur Ergänzung der Verordnung Nr. 175/67/EWG in bezug auf die Grundregeln für die vorherige Festsetzung der Erstattungen bei der Ausfuhr auf dem Eiersektor
    — Drucksache VI/375 —
    überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Richtlinie des Rates zur fünften Änderung der Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für konservierende Stoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen
    — Drucksache VI/376 —
    überwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Verordnung des Rates zur Aufnahme weiterer Waren in die gemeinsame Liberalisierungsliste der Verordnung (EWG) Nr. 2041/68 des Rates vom 10. Dezember 1968
    — Drucksache VI/379 —
    überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft (federführend), Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Verordnung (EWG) des Rates über die Ausgleichsabgabe bei der Einfuhr bestimmter rette gemäß Artikel 3 Absatz 6, erster Unterabsatz der Verordnung Nr. 136/66/EWG
    Verordnung (EWG) des Rates über die in Artikel 3 Absatz 6, zweiter Unterabsatz der Verordnung Nr. 136/66/EWG vorgesehene Ausgleichsabgabe bei der Einfuhr bestimmter Fette — Drucksache V/4661 —
    überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend), Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
    Verordnung (EWG) Nr. 2541/69 des Rates vom 15. Dezember 1969 über die Aufstockung des Gemeinschaftszollkontingents für Rohmagnesium der Tarifnummer 77.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs
    überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werden
    Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
    Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 23/69 — Zollaussetzung für Sprotten und Kaviar)

    — Drucksache VI/314 —
    überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 29. April 1970
    Verordnung zur änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 2/70 — Angleichungszölle für Verarbeitungsweine griechischer Erzeugung)

    - Drucksache VI/315 —
    überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 29. April 1970
    Wir treten nun in die Tagesordnung ein. Erster und einziger Punkt:
    a) Beratung des Jahresgutachtens 1969 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
    — Drucksache VI/100 —
    b) Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1970 der Bundesregierung
    — Drucksache VI/281 —
    Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister Professor Schiller.
    Dr. Schiller, Bundesminister. für Wirtschaft: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat Ihnen mit Datum vom 27. Januar termingerecht den Jahreswirtschaftsbericht 1970 vorgelegt. Dieser Bericht ist wirtschaftspolitisch eine Eröffnungsbilanz für 1970 und eine Liquidationsbilanz für 1969.
    Unsere Ausgangsdaten und unsere Zielsetzungen sind von den Realitäten des Jahres 1969 oder — besser — seines Vor-Septembers nicht zu trennen; sie sind von ihnen mitgeformt.
    Geschichte kann man nicht abspülen wie Seife, auch nicht jenen vorigen Sommer der stabilitätspolitischen Versäumnisse.

    (Beifall bei der SPD. — Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU.)

    — Sie sind doch auch für 'Sauberkeit, nicht wahr! — Realitäten sind oft unangenehm und unbequem, vor allem wenn man Vergangenes nicht mehr rückgängig machen kann.

    (Sehr wahr! in der Mitte.)

    Wer für die Zukunft — und jetzt sind wir bei der Zukunft —

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    die Realitäten verändern will, muß sie zunächst erkennen und anerkennen, er darf nicht darüber hinwegschauen.
    Die Realität, von der ich jetzt spreche, ist der Lebenshaltungskostenindex. Er lag im Januar 1970 um 3,5 % höher als im Januar 1969.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, ich bekenne hier ohne jeden Vorbehalt: Eine solche Preissteigerung ist mir zuviel.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU. — Zurufe von der CDU/ CSU.)

    Gewiß, man kann zum Januarindex verschiedenes abschwächend in Rechnung stellen. Wir hatten im Berichtszeitraum Mitte Dezember bis Januar eine ungewöhnliche Kälte. Ihr Einfluß auf gewisse Nahrungsmittel und Brennstoffe und Preissenkungen bei anderen wichtigen Lebensmitteln, vor allem Fleisch, setzten erst Ende Januar ein und werden damit im Lebenshaltungskostenindex des Februar stabilisierend wirken. Man könnte noch dieses und jenes sagen. Aber ich bin der Meinung, meine Damen und Herren, bei diesem Januarindex darf überhaupt nichts beschwichtigt oder gar beschönigt werden.

    (Beifall und Zurufe in der Mitte.)

    Allerdings muß man auch darauf hinweisen, daß es in der Regierungserklärung von Bundeskanzler Brandt vom 28. Oktober schon klipp und klar hieß: Der Höhepunkt der Preisentwicklung kann sogar noch vor uns liegen. Soweit das Zitat. Dennoch steht die neue Zahl unübersehbar im Raum. Ich sage es ebenso deutlich und ebenso freimütig und ohne Vorbehalt: Auch eine anvisierte Preissteigerungsrate des privaten Verbrauchs von 3 °Io im Jahresdurchschnitt ist nicht befriedigend. Sie entspricht auch nicht unseren mittelfristigen Zielvorstellungen.

    (Beifall bei der SPD.)




    Bundesminister Dr. Schiller
    Aber auch bei der Festsetzung dieser Jahresprojektion waren wir nicht frei; denn die ganze Preisentwicklung 1970 ist doch erst einmal ein negativer Saldovortrag aus der stabilitätspolitischen Liquidationsbilanz des Jahres 1969.

    (Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Meine Damen und Herren, eine statistische Analyse des nicht saisonbedingten Januarindex hat folgendes ergeben. Der Überhang der Preissteigerungen für die folgenden Monate des Jahres beträgt + 2,5 %. Das heißt, selbst bei absoluter Preisruhe von Februar bis Dezember 1970 müssen wir, bedingt durch die vorhergehende Entwicklung, für den Jahresdurchschnitt 1970 bereits von einem Anstieg der Preise von 2,5 % gegenüber dem Vorjahr ausgehen. Dieser Überhang, dieser Betrag, um den der Sockel des Preisniveaus über dem Pegel von 1969 liegt, schon allein diese Vorbelastung zeigt die Herausforderung, vor der jede Stabilitätspolitik in diesem Jahr gestellt ist, sowohl quantitativ, was die Höhe der Niveauverschiebung betrifft, als auch qualitativ. Wir können den negativen Saldovortrag aus der Vergangenheit jetzt nicht abrupt abschreiben; denn durch eine deflationäre Kur à la Doktor Eisenbarth würden wir andere Ziele unserer Wirtschaftspolitik, gemeinsame Ziele dieses Hauses wie Vollbeschäftigung und angemessenes Wachstum gefährden.
    Das Jahr 1970 muß wirtschaftspolitisch ein Jahr der Stabilisierung und der Konsolidierung werden. Dem entsprechen unsere Zielprojektionen, wie sie im Jahreswirtschaftsbericht 1970 beschrieben sind.
    Erstens. Die Wachstumsrate des realen Bruttosozialprodukts ist mit 4 bis 5 °% — gegenüber 8,5 % im Jahre 1969 — in Anbetracht der Stabilisierungsnotwendigkeiten und in Anbetracht der mittelfristigen Wachstumsmöglichkeiten durchaus angemessen.
    Zweitens. Bei einer Arbeitslosenquote von knapp 1 % wird der hohe Beschäftigungsstand von 1969 auch 1970 gehalten werden können.
    Drittens. Schließlich wird der Außenbeitrag, also unser gesamtwirtschaftlicher Überschuß gegenüber der Außenwelt im Vergleich zu 1969, im Jahre 1970 um 4 bis 5 Milliarden DM zurückgehen.
    Mit diesem Fächer von Zielen erfüllen wir eine gemeinsame Zielsetzung aller Parteien des Bundestages, wie sie im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz ihren gültigen Ausdruck gefunden haben.
    Meine Damen und Herren, die Zielvorstellungen des Jahreswirtschaftsberichts der Bundesregierung 1970 sind ausgewogen und in keiner Weise extravagant. Wie angesichts jenes Zahlenbildes heute noch jemand davon phantasieren kann, die Bundesregierung und vor allem natürlich der Bundeswirtschaftsminister hätten etwa um die Jahreswende 1969/70 von Stabilität auf Wachstum umgeschaltet, das bleibt mir schlechterdings unerfindlich.
    Nein, mit der heutigen Realität der Preisbewegungen finden wir uns ganz und gar nicht ab. Auch dann nicht, wenn die Preissteigerungen in anderen Industrieländern über unsere Rate hinausgehen, mitunter sogar sehr erheblich; auch dann nicht, wenn wir daran denken, daß ohne die Aufwertung der
    D-Mark die Teuerung jetzt, in diesem Jahr bisher nicht 3,5 %, sondern 5 bis 6 % betragen hätte, wie die Deutsche Bundesbank eindeutig festgestellt hat.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

    Und damit Sie auch die andere Seite sehen: Schon gar nicht ist diese Bundesregierung willens, die Bevölkerung der Bundesrepublik durch eine einlullende Propaganda — ich hätte beinahe gesagt: „Lebenshilfe" —(Lachen bei der CDU/CSU)

    sich erst einmal an 3 %, dann an 3,5 % und schließlich gar an 4 % und mehr gewöhnen zu lassen. Dazu sind wir nicht bereit.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Wir alle — der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung - haben die heutige Realität also zum Besseren zu verändern.
    Eine Voraussetzung ist dabei, die erforderlichen Instrumente zu wählen, sie zu wählen, wie das Gesetz es befiehlt, im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung und ohne sich dabei von vornherein festzulegen, daß auf dieses oder jenes Mittel ein für allemal verzichtet werden müsse. „Aufwertung niemals!", das war das Dogma des Verzichts vor dem September 1969, vor der Entscheidung des Wählers. Aber heute dürfen wir auf keinen Fall, meine Damen und Herren, in einen analogen Fehler verfallen und nun gar andere, binnenwirtschaftlich wirksame Instrumente verfemen, obgleich sie im Gesetz vorgesehen und durchaus marktkonformer Natur sind.
    Wir haben Stabilität und Wachstum in wechselnden Situationen zu sichern. Das heißt auch: man sollte niemals „nie" sagen. Wir haben das Gesetz, und wir haben unsere Ordnung. Beide verlangen von uns zeitgerechte und angemessene Aktionen.
    Diese Bundesregierung hat gehandelt. Sie hat im Jahreswirtschaftsbericht ein Stabilisierungsprogramm vorgelegt.

    (Abg. Dr. Luda: Nach drei Monaten!)

    Sie wird, falls notwendig, weitere Maßnahmen ergreifen. — Auf die drei Monate komme ich gleich.

    (Abg. Dr. Luda: Hoffentlich!)

    Die. Bundesregierung hat die D-Mark zum frühestmöglichen Termin aufgewertet und im unmittelbaren Anschluß daran — das war auch stabilitätspolitisch äußerst wichtig — in Brüssel und in diesem Hohen Hause den Einkommensausgleich für die deutsche Landwirtschaft durchgesetzt. Bei der Neufestsetzung der Parität der D-Mark mußten wir uns anfänglich die Kritik gefallen lassen, der gewählte Satz sei zu hoch. Wenige Wochen später erlebten wir einen Meinungsumschwung: die Aufwertung sei wirkungslos.
    Insgesamt sind damit drei Monate vergangen. In dieser Zeit mußten wir in besonderem Maße eine Wirtschaftspolitik ,der guten Nerven betreiben, d. h. wir mußten trotz aller nervösen Reaktionen und



    Bundesminister Dr. Schiller
    Angriffe erst einmal die praktischen Auswirkungen dieser Aufwertung der D-Mark abwarten. Das war der Sinn.

    (Beifall bei der SPD. — Unruhe bei der CDU/CSU.)

    Die deutsche Wirtschaft hat es anerkannt, daß wir ihr drei Monate Pause gaben, sich an dieses neu gesetzte Datum zu gewöhnen und auf die neue Lage einzustellen.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Verunsicherung haben Sie betrieben!)

    Heute geht es nun nicht mehr um erste Emotionen, es geht nicht mehr um Hypothesen und Meinungen, jetzt haben wir klare Daten. Und auf diese können wir unser Urteil stützen und unsere Aktionen begründen.
    Erstens. Durch die Aufwertung wurde geldpolitisch zweierlei bewirkt: Jetzt konnte die Deutsche Bundesbank nach den Monaten einer erzwungenen Handlungsunfähigkeit ihre Instrumente wieder in den Dienst der Konjunkturpolitik stellen. Das ist das eine. Sie kann wieder entscheiden. Zugleich wurde, um ein modernes Wort der neuen marktwirtschaftlichen Politik und Theorie zu gebrauchen, ein Regelmechanismus von großer Kraft in -Gang gesetzt, nämlich die Liquiditätsverknappung durch die Devisenabflüsse in Höhe von über 20 Milliarden DM. Dies kam für viele völlig überraschend.

    (Abg. Leicht: War aber zu erwarten!)

    Aber die Aufwertung hat, wie Vizepräsident Emminger kürzlich formulierte, damit den „gefährlichen Geldschleier" der vorher „nicht mehr zu bändigenden Überliquidität", der über der deutschen Wirtschaft lag, zerrissen und die Bilanzwahrheit der deutschen Gesamtwirtschaft wiederhergestellt. Soweit die Deutsche Bundesbank.

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Ich würde ganz gern wissen, was der Präsident der Deutschen Bundesbank gesagt hat!)

    — Der kommt gleich; ich stufe so ein bißchen ab.

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Dort gibt es verschiedene Leute! — Abg. Wehner: Jetzt ja, damals gab's nur einen!)

    Natürlich, ich komme gleich auf den anderen. — Im Gegenteil, Herr Kollege Kiesinger, gerade in den letzten Wochen und im abgelaufenen Jahr habe ich mir ein Motto gemerkt: Fahr sicher mit der Deutschen Bundesbank!

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Sie wissen genau, was ich meine!)

    Die restriktive Wirkung dieser Liquiditätsverknappung wird konjunkturpolitisch von Woche zu Woche spürbarer.
    Zweitens. Die Neufestsetzung der D-Mark-Parität bewirkte auch eine Abkühlung in der Entwicklung der Einfuhrpreise. In einer Zeit stark steigender Weltmarktpreise — die einschlägigen internationalen Indizes berichten über Preissteigerungsraten von 10 % im 4. Vierteljahr 1969 - lagen die deutschen Einfuhrpreise Ende 1969 wieder auf der Höhe des Vorjahres 1968. Das ist ein großer Erfolg der Aufwertung. Den deutschen Unternehmen in der Produktions- und Verteilungsstufe sind dadurch Milliarden an Kosten erspart worden.
    Drittens. Auf die Konjunkturlage konnte dies alles nicht ohne Auswirkung bleiben. Die Phase der akuten und unbändigen Überhitzung und der extremen Anspannung unseres Produktionsapparates läuft aus. Die vorliegenden Frühindikatoren zeigen einen Übergang in eine ruhigere Wirtschaftsentwicklung an. Die Auftragspolster werden nicht mehr dicker. Seit Monaten sind die Zuwachsraten der Auftragseingänge unserer Industrie konjunkturell gegenüber den jeweiligen Vorjahresmonaten rückläufig. Die Auslandsaufträge sind seit November und Dezember 1969 praktisch auf das Vorjahresniveau herabgedrückt. Demgemäß nehmen die Lieferfristen nicht mehr zu. Die Geschäftserwartungen der Unternehmer normalisieren sich wieder.
    Viertens: Es gehört zu dieser Phase des Übergangs, daß sie für den oberflächlichen Betrachter ein kaum zu vereinbarendes Doppelgesicht trägt. Zwei ganz verschiedene Prozesse können sich hierbei jetzt überlagern: die reale Abschwächung setzt ein bei weiterlaufenden Preissteigerungsprozessen. Beide Phasen treten nicht fein säuberlich nacheinander auf — als zeitlich getrennte Perioden —, sondern überlappen einander. Das inflationäre Klima vom Sommer und Herbst vorigen Jahres hatte in den verschiedensten industriellen Erzeugerstufen Preis- und Kostensteigerungen mit sich gebracht. Niemand konnte das hinterher ungeschehen machen. Nun kommen diese Preiserhöhungen auf der Erzeugerstufe in einem zeitlichen Anpassungsprozeß auf ihrem Marsch durch die Produktionsstufen allmählich beim Verbraucher an; das ist die Situation. Aber es wäre in jedem Falle falsch, jetzt nur diese eine Hälfte des Konjunkturbildes zu sehen. Wir können nicht in einer „Überreaktion" heute die „Unterreaktionen" vom vorigen Jahr ausgleichen wollen.
    Wirtschaftspolitik gleicht in dieser Lage einem sehr vorsichtigen Balanceakt: die Preissteigerungen müssen gedämpft werden, aber die Dämpfung darf nicht zur programmierten oder gar gewollten Rezession führen. Das ist das Problem.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Vor allem dürfen wir nicht in der schlechtesten aller möglichen Welten landen, nämlich bei Stagnation ohne Stabilität.
    Im Rahmen und unter dem Eindruck dieser Lagebeurteilung hat die Bundesregierung ihr 7-PunkteProgramm zur binnenwirtschaftlichen Stabilisierung beschlossen, das im Jahreswirtschaftsbericht niedergelegt ist. Die ersten vier Maßnahmengruppen sind haushalts- und vermögenspolitischer Natur. Sie bestehen insbesondere — der Kollege Möller wird morgen darüber berichten — in einer Haushaltspolitik des Ausgabentransfers von der Gegenwart in die Zukunft

    (Abg. Leicht: Na, na!)


    Bundesminister Dr. Schiller
    und in der gleichgerichteten obligatorischen Konjunkturausgleichsrücklage des Bundes und der Länder von 2,5 Milliarden D-Mark.
    Im übrigen ein Blick auf die Vergangenheit: diese Konjunkturausgleichsrücklage des Jahres 1970 ist nicht nur eine Gestalt aus der „Welt als Wille und Vorstellung", sondern es ist eine echte Konjunkturausgleichsrücklage ohne Escape-Klausel, ohne Klausel, daß man sich durch Entschuldung von der Pflicht zur Einzahlung in die Konjunkturausgleichsrücklage befreien könnte.

    (Unruhe bei der CDU/CSU.)

    — Sie sind ja in Wirklichkeit meiner Meinung, Herr Leicht, wie ich gehört habe, nicht wahr!?

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Aber ,das haben Sie doch mitgemacht, Herr Schiller! Trägt doch Ihre Unterschrift neben der des Finanzministers!)

    — Sie wissen ganz genau, daß das die mindere Lösung war gegenüber besseren, die auch vorgeschlagen wurden, Herr Kollege Stoltenberg; Sie waren dabei.
    Alle diese haushaltspolitischen und fiskalpolitischen Maßnahmen sind eine Ergänzung zu der nunmehr voll wirksamen Geldpolitik 'der Bundesbank. Sie sollen ihre erklärte Hauptwirkung in der ersten Jahreshälfte 1970 entfalten.
    Die Punkte 5 bis 7 des Stabilitätsprogramms der Bundesregierung beziehen sich tauf die Belebung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs gerade in dieser Konjunkturphase. Dazu gehört eine verschärfte Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen und über Unternehmen, ,die das Institut der Preisbindung der zweiten Hand gebrauchen.
    Eine Schlüsselstellung haben in dieser Lage schließlich die sogenannten administrierten Preise. Meine Damen und Herren, es ist kein Geheimnis geblieben, daß ich persönlich gegenüber Erhöhungen staatlich beeinflußter Preise nicht nur für möglichste Zurückhaltung, sondern für äußerste Zurückhaltung auf diesem Gebiet eintrete. Die Ländervertreter im Konjunkturrat für die öffentliche Hand haben mich da besonders unterstützt, genauso wie sie den Vorschlag auf Einrichtung einer obligatorischen Konjunkturausgleichsrücklage sofort akzeptiert haben.
    Doch zurück zu den staatlich beeinflußten oder genehmigten Preisen! Wir sollten die immanenten Schwächen bei ihrer „administrativen Festsetzung" mildern. Deswegen trete ich dafür ein, daß einestärkere marktwirtschaftliche Durchlüftung dieser administrierten, dieser staatlich regulierten Preise eintritt.

    (Abg. Dr. Luda: 'Sehr gut!)

    Ich halte das für die bessere Lösung. Daher trete ich für Margentarife, für Von-bis-Tarife ein.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Endlich!)

    Meine Damen und Herren, diese Punkte sind keine
    Arabesken des Programms. Die Bundesregierung
    weiß, daß sie in harten und mühseligen Einzelauseinandersetzungen mit wichtigen, aber doch begrenzten Interessengruppen durchgefochten werden müssen.
    Fünftens. Der Kampf um die Stabilität vollzieht sich im marktkonformen Eindämmen von weiteren Kostensteigerungen und vollzieht sich ein der Ablehnung von Preisen, die ihrerseits 'zu neuen Mehrkosten werden können. In diesem Zusammenhang hebe ich die Zinskosten und die Lohnentwicklung klar hervor.
    Die Bundesregierung wird, sobald dies konjunkturpolitisch vertretbar ist — diese Einschränkung möchte ich in voller Übereinstimmung mit der Deutschen Bundesbank deutlich unterstreichen —, auf eine internationale Zinsabrüstung hinarbeiten. Vorgespräche habe ich mit dem amerikanischen Finanzminister und mit dem französischen Wirtschafts- und Finanzminister sowie im Kreise der Europäischen Gemeinschaft geführt. Kredit- und Kapitalzinsen sind in der Tat längerfristig auf dem gegenwärtigen Mount-Everest-Niveau nicht zu halten. Eine Aufhebung der Kuponsteuer würde zur Stabilisierung der Kapitalbewegungen beitragen. Die Bundesregierung wird einen entsprechenden Gesetzentwurf dem Hohen Haus in Kürze vorlegen.
    Nun zu den Löhnen! Im Jahreswirtschaftsbericht hat die Bundesregierung Orientierungen für die Einkommensentwicklung zur Verfügung gestellt in der Form der Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen und in der Form des effektiven Lohnniveaus. Für die Effektivlöhne je Stunde wurde von der Bundesregierung eine Zunahme von 10 bis 11 % für möglich und vertretbar gehalten — Effektivlöhne wohlgemerkt! —, obwohl diese Größenordnung im Kreise der konzertierten Aktion nicht unumstritten war. Die Bundesregierung wußte bei ihrem Urteil sehr wohl, daß mit dieser Rate die Löhne in diesem Jahr schneller steigen werden als die Produktivität. Dennoch ist 1970 die gesamtwirtschaftliche Bilanz von Angebot und Nachfrage ausgeglichen. Denn der durch die Aufwertung verringerte .Außenbeitrag erschließt hier für die Nachfrage zusätzliche Güterreserven.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Vorsicht, Vorsicht!)

    Es gibt einfach keine simple Gleichung, die da lautet: Lohnsteigerungen, die höher sind als Produktivitätszunahmen, bringen ohne weiteres Preissteigerungen mit sich. Diese simple Gleichung existiert nicht.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ein weiteres Mittel, um die Einkommensentwicklung mit dem Stabilitätserfordernis in Einklang zu bringen, sind Tarifverträge mit vermögenswirksamen Leistungen. Wir werden mit der angekündigten Erweiterung und mit der sozialen Verbesserung des 312-DM-Gesetzes einen neuen Anreiz für solche Abschlüsse geben und prüfen, wie diese stabilisierenden Wirkungen auch einer intensivierten Vermögenspolitik für 1970 möglichst schnell aktiviert werden können.
    Trotz der Lohnentwicklung — und nun wende ich mich an die Unternehmer — wird 1970 kein Jahr der Gewinnschrumpfung sein; im Gegenteil, die Unter-



    Bundesminister Dr. Schiller
    nehmer werden ihre Gewinne weiter steigern können, allerdings nicht mehr in dem Tempo und in dem Umfang wie in den letzten zwei Jahren. Wenn die Unternehmer im Jahre 1970 dieselbe Steigerungsrate ihrer Gewinne in toto durchsetzen wollten, dann würden sie sogar der Jahresprojektion des Gemeinschaftsausschusses der deutschen Wirtschaft widersprechen, der seinerseits ungefähr einer Halbierung der Zuwachsrate der Gewinne für das Jahr 1970 gegenüber dem Jahr 1969 in Aussicht genommen hat. Die Bundesregierung ist mit dem Sachverständigenrat der Meinung, daß die Tarifparteien gegen diese durch den Markt vorgegebene Entwicklung nicht mit einer Art Kopf-durch-die-Wand-Politik anrennen sollten. Auch mächtige Gruppen können die Logik der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht einfach übersehen oder überspringen. Der Versuch, in einem Verteilungskampf aller gegen alle dennoch mehr aufteilen zu wollen, als verfügbar ist, bringt nur Beulen und blaue Flecke, aber keinen zusätzlichen gesamtwirtschaftlichen Gewinn.
    Meine Damen und Herren, wir haben in der Konzertierten Aktion auf diese gegebenen Rahmenbedingungen des Jahres 1970 hingewiesen. Die Konjunkturlage ,und die reale wirtschaftliche Entwicklung sind zwar ein dehnbarer Rahmen, der aber auch zum Schaden aller gesprengt werden könnte. Kritikern dieses Informationsverfahrens möchte ich entgegenhalten: Tarifpartner, die gemeinsam die gesamtwirtschaftliche Lage analysieren und diskutieren, die ihre Zielprojektionen, nun zum erstenmal von Unternehmern wie Gewerkschaften vorgelegt,
    1) mit denen der Bundesregierung vergleichen, Tarifpartner, die die geplanten Konjunkturmaßnahmen der Bundesregierung kennen und die auch genau wissen, welche zusätzlichen Pfeile im Köcher stecken, diese Tarifpartner werden sich sachgerechter verhalten als solche, die im Stadium der Interessentenunschuld, der Uninformiertheit ihre Konflikte in „freier Wildbahn" austragen. Das ist die Philosophie des Informationsverfahrens der Konzertierten Aktion, aber nicht nur die Philosophie, sondern auch die über dreijährige Praxis dieser Konzertierten Aktion.

    (Beifall bei der SPD.)

    Und nun sechstens ein sehr nachdenkliches Wort. Wenn wir die Gesamtlage und das im Jahreswirtschaftsbericht dargelegte Stabilisierungsprogramm der Bundesregierung betrachten, so wird mancher mit Recht die Frage stellen: Sind wir für alle weiteren, auch für die unvorhergesehenen Ereignisse gewappnet? Darauf antworte ich folgendermaßen: Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz ist mit dem Stabilisierungsprogramm der Bundesregierung nicht außer Kraft gesetzt. Es bleibt selbstverständlich weiter in Geltung. Außerdem hat sich der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 ausdrücklich zu diesem Gesetz bekannt.
    In diesem Zusammenhang sage ich wohlgemerkt — und ich wiederhole das —: ich sage niemals nie. Wenn z. B. der Präsident der Deutschen Bundesbank, Dr. Klasen — nun kommt er, Herr Dr. Kiesinger —, in seiner Einführungsrede am 13. Januar im Namen des Zentralbankrats unmißverständlich
    auf den § 26 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes hinwies, so fand er damit mein volles Verständnis und meine persönliche Zustimmung.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Auch die der Regierung?)

    — Die kommt jetzt. Es wäre in der Tat denkbar, daß bei exzessiven Verhaltensweisen von Marktpartnern bei der Preispolitik oder von Tarifvertragsparteien diese Regierung — wie hoffentlich jede andere Regierung — zu einem solchen oder ähnlichen Mittel greifen müßte, wie das Gesetz es vorschreibt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich möchte da noch ein persönliches Wort hinzufügen, Herr Müller-Hermann.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Vorsicht!)

    Es ist das selbst gewählte und daher verdiente Schicksal des Bundeswirtschaftsministers — einige in diesem Saal kennen das —,

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Aha!)

    in jahrelangen Auseinandersetzungen folgendes zu beweisen: Es gibt einfach kein stabilitätspolitisches Mittel, das allen Betroffenen wie Nektar und Ambrosia schmeckt. Das muß ich einmal sagen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Stoltenberg: Da ist die FDP gemeint!)

    Der Bundeswirtschaftsminister ist nach wie vor der Meinung — und da treibt er die Fortsetzung seiner !Politik mit anderen Mitteln, Herr Müller-Hermann —: Die bitteren Früchte der Stabilitätspolitik sind auf die Dauer bekömmlicher als das süße Gift der Inflation, und daran hätten Sie — —

    (Beifall bei den Regierungsparteien — demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Wem sagen Sie das?!)

    — Sie haben mir durch Ihren Beifall gute Amtshilfe geleistet; Sie haben nur zu früh Beifall gegeben: als das süße Gift der Inflation, und daran hätten Sie im Jahre 1969 denken müssen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Herr Schiller, warum haben Sie nicht 1968 daran gedacht?)

    - Herr Kollege Kiesinger, jetzt gehen Sie wieder in die Vergangenheit.

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Sie sind dauernd in der Vergangenheit! — Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig! Lachen bei der CDU/CSU.)

    — Sie sehen, wie ich der Vergangenheit taktvoll nur einige Fußnoten widme.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Herr Kollege Kiesinger, wenn Sie schon vorn Jahre 1968 reden: Wir sind alle klüger geworden.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Aha! — Bravo!)

    Ich muß Ihnen zum Beispiel dies einmal sagen. Das imaginäre „dritte Konjunkturprogramm", das Sie



    Bundesminister Dr. Schiller
    während des ganzen Jahres 1969 dem Karl Schiller für 1968 anhängen wollten,

    (Abg. Dr. Luda: Lesen Sie den letzten Jahreswirtschaftsbericht!)

    war nicht mehr nur ein Wunschgebilde; es war Realität. Es ist durch jene dicke Panne im Bundesfinanzministerium mit der Investitionsteuer verwirklicht worden, die in den beiden Jahren 4 Milliarden DM an zusätzlichen Erleichterungen gebracht hat.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Wir haben uns damals gestritten, ob man die Investitionsteuer für ein Jahr von 8 Punkten auf 7 oder 6 Punkte reduzieren und dann wieder erhöhen sollte. Herr Kiesinger, hinterher haben wir die Bücher aufgemacht: Das war alles ein Streit um des Kaisers Bart. In Wirklichkeit war die Investitionsteuer durch die interne Auslegung des Bundesfinanzministeriums tatsächlich auf etwa 4 % oder 3 % reduziert. So ist die Lage gewesen. So entstand das durch staatliche Kraftnahrung finanzierte dritte Konjunkturprogramm. Das ist die Wahrheit über die Vergangenheit.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte jetzt über unsere marktwirtschaftliche Ordnung sprechen, leider bin ich nicht immer ganz sicher, ob sie noch das große Interesse aller Mitglieder der CDU/CSU findet.

    (Abg. Dr. Luda: Wollen Sie jetzt von den Stahlkontoren sprechen. Herr Minister Schiller? — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

    Ein gesundes Unternehmensklima, ein aktives dynamisches Unternehmerverhalten ist nur in einer marktwirtschaftlichen Ordnung möglich, die stets aufs neue gesichert und belebt wird.
    In den nächsten Monaten wird die Bundesregierung ihre Novelle zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vorlegen, und dann wird sich zeigen, wer es mit der Marktwirtschaft ernst meint.

    (Abg. Wehner: Sehr gut!)

    Es wird sich zeigen, wie ernst die allgemeinen Bekenntnisse zur Marktwirtschaft in concreto gemeint sind.

    (Zuruf von der CDU/CSU.)

    Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium hat die beabsichtigte Fusionskontrolle im Interesse der Wettbewerbsordnung einstimmig begrüßt. Hoffentlich kann sich die Opposition — zumindest in ihrer Mehrheit; ich hätte beinahe gesagt: in ihrer marktwirtschaftichen Minderheit — diesem Votum anschließen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Stoltenberg: Das müssen gerade Sie sagen!)

    Wir hoffen auch, daß Sie sich einen Stoß geben und
    unsere Absicht unterstützen, in das System der
    Preisbindung der zweiten Hand etwas mehr Auflockerung zu bringen. Auch hier muß die Verkrustung ein bißchen abgebaut werden,

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Da haben Sie ganz schön Abstriche gemacht!)

    und zwar indem wir gemeinsam — Sie und wir — in diesem Hohen Hause prüfen, wie wir das Zulassungsverfahren für neue Preisbindungen verschärfen.
    Ein Mauerblümchen im Bewußtsein der Öffentlichkeit ist bisher vielfach die Ordnungspolitik im Bereich der Kreditwirtschaft. Je mehr sich die Sparformen differenzieren, um so differenzierter müssen die ordnungspolitischen Sicherungen werden. Wir müssen z. B. die Börsen zu einem offenen Umschlagplatz machen, auf dem sich auch der kleinste Sparer einer fairen Behandlung sicher weiß. Wir müssen die Konsequenzen bei der Fortentwicklung des organisatorischen Rahmens der Kreditwirtschaft ziehen, und zwar in freundschaftlicher laufender Unterhaltung mit den Vertretern der deutschen Kreditwirtschaft.
    Und im übrigen: das verabschiedete AusländerInvestmentgesetz liefert eine gültige Form, die in Europa beispielhaft ist. Bei der Reform des Börsenwesens selbst wurden ebenfalls bereits gute Teilergebnisse erzielt: Die Umsätze vollziehen sich nicht mehr im Halbdunkel außerbörslicher Kompensation, sondern sind an die Börse zurückverlagert worden.
    Drittens. Der Bundeswirtschaftsminister hat in unserem verkleinerten Kabinett die Verwaltung des ERP-Sondervermögens übernommen. Wir haben da 1970 neue Schwerpunkte gesetzt. Die Mittel für kleine und mittlere Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft sollen z. B. in dem neuen Wirtschaftsplan um 20 % gesteigert werden. Ein Schwerpunkt wird die Verbesserung der Kapitalausstattung kleiner und mittlerer Unternehmen sein. Es gibt das bewährte Instrument der Kreditgarantiegemeinschaften. Wir wollen jetzt eine Beteiligungs-Garantiegemeinschaft privater Natur für die mittelständischen Unternehmen schaffen helfen, und zwar als reine Selbsthilfeeinrichtungen.
    Meine Damen und Herren, alle diese Maßnahmen dienen der Stärkung unserer marktwirtschaftlichen Ordnung. Bundesregierung und Bundestag haben in den .fünfziger Jahren zur Sicherung des Wettbewerbs Entscheidungen getroffen, die bis heute gültig sind. Wir machen diese Entscheidungen nicht rückgängig, wir wollen sie weiterentwickeln. Gestern hat einer der aufrechtesten Kämpfer für eine aktive Wettbewerbspolitik — nämlich Franz Böhm — seinen 75. Geburtstag gefeiert, der lange Jahre Mitglied dieses Hauses und Mitglied der CDU/CSU-Fraktion war. Ich erinnere immer wieder an die alte Aussage Franz Böhms aus dem Jahre 1953: „Marktwirtschaft von links kontra Marktwirtschaft von rechts — das wäre noch lange nicht das Schlechteste, was sich in unserem Lande ereignen könnte". Und er fuhr dann fort, dies sei wahrscheinlich der einzige Weg, auf dem eine gute Marktwirtschaft herauskommen könne. Nun haben wir die Situation: eine politische Konkurrenz um die Marktwirtschaft zwischen Opposition und Regierung. Ich möchte heute,



    Bundesminister Dr. Schiller
    fast 17 Jahre später, sagen: genau auf diesen Wettbewerb um eine gute Marktwirtschaft sollten wir uns alle einstellen, und ich hoffe, daß die Opposition dabei wirklich mitspielt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.) Und nun als letzten Abschnitt:

    Seit dem Herbst vorigen Jahres hat sich unsere internationale Wirtschaftsposition verändert, und zwar hat sie sich eindeutig verbessert.
    Erstens. Die internationale Währungslage ist wieder stabilisiert. Dazu haben wir einen wesentlichen Beitrag geleistet, was jedermann draußen anerkennt. Die internationalen Spekulationserwartungen sind bis auf kleine Restbestände — die sich nicht gegen uns richten — verschwunden. In dem neuen Wirtschaftsbericht des amerikanischen Präsidenten kommt sehr deutlich zum Ausdruck: Die Aufwertung der D-Mark im Oktober vorigen Jahres hat zusammen mit der Abwertung des Franc im August 1969 und zusammen mit der Abwertung des Pfundes vom November 1967 doch schon so etwas wie ein allgemeines Realignment der Wechselkursparitäten zustande gebracht. Weitere Schritte zur Reform des Weltwährungssystems werden nach dieser „Grobeinstellung" der drei Paritäten nur erleichtert.
    Zweitens. Noch wichtiger für den Welthandel ist im Augenblick folgendes : Durch die D-Mark-Aufwertung haben wir draußen eine breite Bresche in den Verhau internationaler Handelshemmnisse geschlagen. Wir haben nämlich viele Länder von der Versuchung befreit, sich in ihren Zahlungsbilanznöten durch protektionistische Maßnahmen zu helfen. Die Aufwertung der D-Mark war auch ein Beitrag, und zwar ein ganz wesentlicher Beitrag, zur Festigung des freien Welthandels. Das muß hier deutlich gesagt werden.
    Drittens. Der Abfluß der spekulativen Gelder scheint hier im Lande manche Gemüter besonders verwirrt zu haben. Ich kann mich noch gut erinnern, mit welchem Zorn oder gar Abscheu hier von diesem Podium von der Devisenspekulation gesprochen wurde.

    (Abg. Wehner: Die Beschwörung der Weisen von Zion!)

    — So war es. — Aber heute setzt eine große Klage ein: Man weint jedem Dollar nach wie einem verlorenen Sohn.

    (Abg. Wehner: Sehr wahr!) Mit Logik hat das gar nichts mehr zu tun.


    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Viertens. Im übrigen: Unsere amtlichen Währungsreserven sind mit 7 Milliarden Dollar immer noch die zweitgrößten der Welt. Währungsreserven sind nicht dazu da, bis zum Sankt-NimmerleinsTag stillzuliegen, wenn sie sich sinnvoll verwenden lassen. Außerdem haben wir damals jahrelang als scheinbar reicher Onkel Milliardenbeträge als Stützungskredite an andere Notenbanken geben müssen.

    (Abg. Wehner: Sehr wahr!)

    Das waren oft — Sie wissen es — Besänftigungsgelder, ich hätte beinahe gesagt: Schweigegelder .für unsere ,eigene Nichtaufwertung an andere Leute.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Damit ist es nun vorbei, und unsere Bundesbank konnte mit Recht einige solcher Stützungskredite wieder einfordern.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Fünftens. Nach der Aufwertung steigen die Chancen für Direktinvestitionen. Dafür müßten Sie ja sein, und ich bin es auch. Gleichzeitig wird 1970 der übermäßig große langfristige Kapitalexport in Form von Wertpapieren zurückgehen. Damit verbessern sich Umfang und Struktur unserer Anlagen im Ausland, und es werden binnenwirtschatfliche Investitionsansprüche nicht mehr wie bisher allzusehr zurückgedrängt. Abbau der außenwirtschaftlichen Überschüsse, Abbau der übermäßig hohen Kapitalexporte der letzten beiden Jahre bedeutet doch, daß wir für unsere heimischen Investitionen mehr Mittel zur Verfügung haben. Eine Politik der heimischen Reformen ist, ökonomisch gesehen, in vielem eine Politik langfristiger Investitionen, eine Politik steigenden inländischen Investitionsbedarfs. Diesen Zusammenhang müssen wir immer wieder sehen.
    Nun möchte ich nur noch einige Punkte nennen, in denen wir unsere Internationale Wirtschaftspolitik besonders ausbauen.
    Erstens. Im Wirtschaftsverkehr mit unseren osteuropäischen Nachbarn sollten wir den notwendigen industriellen Aufbau dieser Länder nicht einseitig durch die Brille des Lieferanten sehen. Wir müssen umgekehrt die eigenen Märkte unseren östlichen Partnern öffnen. Und nicht nur das: Zum industriellen Aufbau oder zur industriellen Weiterentwicklung jener Länder in Osteuropa gehört auch der Kredit. Die Bundesregierung will helfen, den Ländern Osteuropas — wie anderen Ländern bisher —unseren Kapitalmarkt zu öffnen. Er soll ihnen in ähnlicher Weise offenstehen wie der ganzen übrigen Welt. Freilich: unsere osteuropäischen Partner müssen dabei lernen, ,daß Kapitalmärkte ihre eigenen, mitunter höchst eigenwilligen Gesetze haben. Wer die Chancen unserer Märkte nutzen will, muß auch ihre Risiken akzeptieren.
    Zweitens. Die Zukunft unserer Wirtschaft und Währung wird immer deutlicher von der Entwicklung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bestimmt. Nachdem die Zollunion Wirklichkeit geworden ist, geht es jetzt um die Ausgestaltung zur Wirtschaftsunion hin. Meine Damen und Herren, unser Ziel ist eine weltoffene Gemeinschaft der Stabilität und des Wachstums, in der man gemeinsam und wirksam allen protektionistischen und inflationistischen Tendenzen entgegentritt. Der Weg nach Europa darf nicht mit einem 'entscheidenden Verlust an Stabilität erkauft werden.
    Sie wissen, wir haben gerade für die Zwecke der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft unsere mittelfristige Projektion bis zum Jahre 1974 im Anhang des Jahreswirtschaftsberichts vorgelegt. Dort wurde eine Preissteigerungsrate von 21/2 bis 2 % angege-



    Bundesminister Dr. Schiller
    ben. Ich höre jetzt schon — in Gedanken diesmal — einige voreilige Zwischenrufer; doch ich muß entgegnen: In einem Zeitraum von vier Jahren schlägt das Basisjahr 1970 nun einmal mit erheblichem Gewicht durch. Ohne 1970 kämen wir rechnerisch schon auf einen Durchschnitt von 1,6 %.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Das ist aber schlecht gerechnet, Herr Schiller!)

    Unsere Perspektive bedeutet bei der gegebenen Ausgangslage eine sukzessive Verminderung der Preissteigerungsraten. Wir wollen da die Treppe hinunter- und nicht hinaufgehen.
    Meine Damen und Herren, wir sind auch in der EWG — und zuletzt im Ministerrat — sehr deutlich geworden und haben darauf beharrt, daß die deutsche Öffentlichkeit eine mittelfristige Politik hoher Preissteigerungen nicht tolerieren wird.

    (Abg. Dr. Luda: Sehr gut! Das ist der entscheidende Gesichtspunkt!)

    Ein mahnender Brief des Deutschen Industrie- und Handelstages, auf den ich hinweisen und den ich verlesen konnte, blieb nicht ohne Eindruck.

    (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Sehr schön!)

    Die Kommission ist im übrigen beauftragt, ihre mittelfristigen Perspektiven bis zum Herbst dieses Jahres neu zu überdenken, nicht zuletzt unter dem Eindruck der deutschen Mahnungen.
    Drittens. Alle Stabilitätsschwüre in der EWG und auch alle rechnerischen Annäherungen in den mittelfristigen Orientierungsdaten nützen gar nichts, wenn wir nicht wirklich konkret und praktisch zu einer gemeinsamen Wirtschafts- und Währungspolitik kommen. Der Beschluß der Staats- und Regierungschefs in Den Haag zur Ausarbeitung eines Stufenplans für den Aufbau der Wirtschafts- und Währungsunion geht vor allem auf deutsche Initiative zurück.
    Wir haben inzwischen in Brüssel ein erstes Konzept für einen solchen Stufenplan skizziert. Dieses Konzept wird in der nächsten Woche auf der Tagung der Wirtschafts- und Finanzminister der EWG-Staaten in Paris beraten werden. Eines ist klar: die bestehenden Divergenzen in den wirtschaftspolitischen Zielsetzungen und Verhaltensweisen zwischen den Mitgliedstaaten können nur in einem längeren Prozeß mit mehreren Stufen abgebaut werden. Wenn in Brüssel Konvergenz die Parole ist, so dauert die Periode der Konvergenz eben mehrere Jahre.
    Wir haben in unserem Stufenplan kein starres zeitliches Schema fixiert, sondern wir sind pragmatisch vorgegangen. Der Übergang von der ersten zur zweiten und von der zweiten zur dritten Stufe soll von der Erfüllung der wesentlichen Erfordernisse der vorherigen Stufe abhängig gemacht werden. Erst wenn die ökonomischen und politischen Voraussetzungen für eine gleichgewichtige wirtschaftliche Entwicklung in der Gemeinschaft auf diese Weise geschaffen sind, wird dann auch die Zeit dafür reif sein, in das endgültige Stadium der Währungsunion einzutreten, einer Währungsunion
    mit untereinander festen und garantierten Wechselkursparitäten.
    Meine Damen und Herren, die Bundesregierung sagt bewußt ja zu einer solchen Entwicklung, an deren Ende nicht nur eine gemeinsame Währung steht, sondern auch gemeinsame wirtschafts- und währungspolitische Instanzen mit Kompetenzen zu stehen haben.
    Aber — und das ist das vierte — die EWG darf nicht zu einer Riesendiskrimination gegenüber Drittländer werden,

    (Abg. Wehner: Sehr wahr!)

    wovor Wilhelm Röpke schon vor mehr als einem Jahrzehnt gewarnt hat. Wir müssen in der Gemeinschaft nach wie vor stärker in einen wachsenden Welthandel eingeflochten werden. Es gilt ganz generell: unsere Importe sind die Exporte der anderen, auch außerhalb der Gemeinschaft. Auch hier besteht Interdependenz.
    Die Bundesregierung unterstützt daher vorbehaltlos die Bemühungen des GATT und des Internationalen Währungsfonds für einen freien Handels- und Zahlungsverkehr. Für viele in jenen großen Weltorganisationen — kürzlich hatten wir den Besuch des Generaldirektors des GATT — sind wir, die Bundesrepublik und die Bundesregierung, die Verbündeten jener, die draußen, außerhalb der Gemeinschaft, für einen freien Welthandel und gegen Diskriminationen kämpfen. Die zweitstärkste Handelsnation der Welt, die Bundesrepublik Deutschland, kann sich in der Tat, meine Damen und Herren, keinen ökonomischen Isolationismus leisten, nicht nach West, nicht mehr nach Ost und schon gar nicht nach Süden. Wir sind zu einer stabilen Entwicklung verpflichtet. Unser Wachstum zu Hause bringt den Entwicklungsländern trade und aid, Handel und Hilfe. Wir sehen unsere Entwicklungshilfe weiß Gott nicht unter dem bornierten Gesichtspunkt, daß wir damit unsere Industrieexporte in jene Länder fördern wollten. Nein, wir kennen Rosa Luxemburg, und wir wissen, daß Entwicklungshilfe nicht ein neues Mittel des industriellen Imperialismus sein darf.

    (Beifall bei der SPD.)

    Viel wichtiger als alles andere ist für uns der Export von Wachstum, von Wachstumskraft und von Arbeitsplätzen in die Dritte Welt hinein.
    Unser Leitbild in der Entwicklungshilfe ist das Leitbild einer offenen, interdependenten und sich im Miteinander entwickelnden Weltwirtschaft. Mit unserer neuen offensiven Handels- und Außenwirtschaftspolitik gen Osten und nach Süden wollen wir auf unsere Weise jene Vision von Wendell Wilkie aus den vierziger Jahren bestätigen, jene Vision, die er in Amerika im Wahlkampf während des zweiten Weltkrieges aufzeigte, und die da lautet: Wir leben tatsächlich in „e i n e r Welt".

    (Anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Müller-Hermann.




  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ernst Müller-Hermann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die Opposition bietet die Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht die erste Gelegenheit, sich gründlicher mit der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung und des Herrn Bundeswirtschaftsministers kritisch auseinanderzusetzen. Wir werden dabei durchaus nicht alles und jedes verdammen, was oder nur weil es aus dem Hause Schiller kommt. Das hieße verleugnen, daß es durchaus auch mancherlei Gemeinsamkeiten gibt. Aber diese Debatte wäre unergiebig, wenn sie nicht auch ganz deutlich machte, worin sich Regierung und Opposition unterscheiden und wo die Opposition der Bundesregierung schon jetzt Unterlassungssünden, schwere Fehlbeurteilungen und bedenkliche Zielsetzungen vorzuwerfen hat.
    Es wäre außerordentlich reizvoll gewesen, weite Passagen von Schiller-Reden aus der Oppositionszeit, die seine Glanzzeit war, vorzulesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Selbst die Damen und Herren der Koalition würden aus dem Schmunzeln darüber nicht herauskommen,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ganz sicher nicht!)

    wie schön so vieles auf die heutige Situation gepaßt hätte.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Wir werden aber Herrn Schiller mit Sicherheit an dem Maß messen, das er selbst in seiner Oppositionsrede am 29. November 1965 treffend gesetzt hat. In seiner eleganten Art verkündete Herr Schiller damals:
    Die Bevölkerung braucht eine Regierung, der sie vertrauen kann, ... die in ihren Worten glaubwürdig und in ihrem Handeln vertrauenswürdig ist. Das ist die erste Vorbedingung.
    Nun, wir finden diesen Spruch sehr passend und werden sehen, ob Herr Schiller und seine Politik ihm auch wirklich Genüge tun.
    Ich will zunächst einmal an vier Paradebeispielen verdeutlichen, wie es um die Glaubwürdigkeit der Schillersehen Wirtschaftspolitik tatsächlich bestellt ist.
    Erstens. Ich greife etwas weiter zurück und beginne im Jahre 1965, in der Oppositionszeit von Herrn Schiller. Damals beklagte er, daß man den Prozeß der Preis- und Lohnsteigerungen nicht unter Kontrolle zu bringen verstehe. Im ersten Halbjahr 1965 seien die Gesamtausgaben des Bundes um 12,6 % angestiegen, während die reale Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts nur 5,2 % betragen habe. Daraus folgerte Herr Schiller, daß sich im ersten Halbjahr 1965 eine enorme inflationäre Lücke aufgetan habe. Das sei ein Beweis dafür, daß man den Konjunkturprozeß nicht zu steuern verstehe.
    Heute bietet uns Herr Schiller als Bundeswirtschaftsminister fast genau die gleichen Fakten an:

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    eine Expansion der Bundesausgaben um rund
    12 Prozent — ohne die Haushaltssperren, die ja
    aber nach 'dem Willen der Bundesregierung im Laufe des Jahres wiederaufgehoben werden sollen —

    (Zuruf von der CDU/CSU: Am 1. Juli!)

    und ein reales Wachstum des Bruttosozialprodukts um etwa 41/2 % für das Jahr 1970.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Im Gegensatz zu damals will uns Herr Schiller heute glauben machen, daß diese finanzpolitische Tat ein Beitrag zur Konjunkturstabilisierung sei, und läßt in einem Interview die Bundesregierung sogar als europäischen Musterschüler feiern.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Zweitens. Der Jahreswirtschaftsbericht vom 31. Januar 1969 ist heute genauso lesenswert, vielleicht noch lesenswerter als vor einem Jahr.

    (Abg. Dr. Lucia: Sehr gut!)

    Damals hat sich Herr 'Schiller in der Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts für das Jahr 1969 im wahrsten Sinne des Wortes um hundert Prozent verschätzt.

    (Sehr richtig! 'bei der CDU/CSU.)

    Denn statt bei den von ihm geweissagten 41/2 % lag ,der 'tatsächliche Zuwachs über 81/2 %. Das Bruttosozialprodukt war um 22,5 Milliarden DM höher als von Herrn Schiller im Jahreswirtschaftsbericht prognostiziert. Die Ausfuhr lag um 9,5 Milliarden, die Inlandsnachfrage um 23 Milliarden und die Einfuhr um 7 Milliarden DM höher.
    Mir scheint, meine Damen und Herren, wir haben Anlaß, Herrn Minister Schiller nicht nur seine vielfältigen Fehlprognosen vorzuwerfen, sondern eigentlich noch mehr, daß er die Eigendynamik unserer Wirtschaft nie richtig eingeschätzt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Diese Erfahrung haben wir ,eigentlich schon im Jahre 1968 machen müssen, als Herr Schiller zu einer Zeit, in der die Konjunktur wieder auf vollen Touren lief, noch kräftig auf das Gaspedal treten wollte.

    (Zustimmung bei 'der CDU/CSU.)

    Dieser Tatbestand wird gewiß noch einmal eine Rolle spielen, wenn objektive ,Geschichtsschreiber die währungspolitische Diskussion. der letzten Jahre zu analysieren haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Denn wenn wir hier schon Vergangenheitsbewältigung betreiben, dann sollte sie nicht im Jahre 1969, sondern im Jahre 1968 ianfangen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich verweise hier auf Aussagen dies Bundesbankpräsidenten Blessing, die an Deutlichkeiteigentlich nichts zu wünschen übriglassen.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Beim Jahreswirtschaftsbericht im Januar 1969 jedenfalls verließ sich Herr Schiller noch ganz auf das Absicherungsgesetz vom November 1968. Damals plädierte er ,aus diesem Grunde für eine entscheidende weitere Stärkung der Kaufkraft, um die allzu



    Dr. Müller-Hermann
    konjunkturdämpfenden Wirkungen ,des Absicherungsgesetzes in etwa zu neutralisieren.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Zu jener Zeit plädierte Herr Schiller auch in der Konzertierten Aktion für nur sehr bescheidene Zuwachsraten in der Lohnbewegung. Die Folge war, daß sich die Stahlarbeiter als die Anführer durch wilde Streiks später das holten, was ihnen in der Konzertierten Aktion auf Grund falscher Prognosen vorenthalten worden war.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Unglaublich!)

    Herr Minister Schiller, wenn Sie in Ihren Ausführungen so viel von den stabilitätspolitischen Versäumnissen des vergangenen Sommers reden, dann müssen Sie sich auch vorhalten lassen, ,daß Ihr Fehlverhalten in der Konzertierten Aktion einen großen Teil der Schwierigkeiten heraufbeschworen haßt, mit denen wir uns heute auseinandersetzen müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Drittens: Zeitpunkt der Abgabe der Regierungserklärung im Oktober 1969. Heute wissen wir es alle: Die Bundesregierung muß sich — offenbar doch unter dem Einfluß des Herrn Bundeswirtschaftsministers —in der Beurteilung der konjunkturpolitischen Landschaft völlig vertan haben.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Offensichtlich verließ man sich eben völlig auf die Auswirkungen der Aufwertung und meinte, konjunkturpolitisch nichts mehr hinzutun zu brauchen. Daß die erhofften Wirkungen der Konjunktur- und Preisdämpfung ,auf jeden Fall nicht eingetreten sind, das wissen wir inzwischen wohl alle.
    Aber das Signal, das die neue Koalition in ihrer Regierungserklärung der Öffentlichkeit setzte, hieß: Leichtfertigkeit und Geldausgeben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Leichtfertig ging die neue Bundesregierung zunächst einmal ans Geschenkemachen.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Mit der Ankündigung von Einstandsgeschenken versuchte man für gut Wetter zu sorgen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Wahlgeschenke! — 50 Mark!)

    Später hat dann erst der Vorschlag unseres Fraktionsvorsitzenden Barzel, bis zum Vorliegen der mittelfristigen Finanzplanung keine ausgabewirksamen Anträge mehr einzubringen — mit den bekannten Ausnahmen —, für eine erste Beruhigung in der öffentlichen Ausgabenpolitik gesorgt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Versprechungen, die in der Regierungserklärung enthalten waren — Abbau der Ergänzungsabgabe, Arbeitnehmerfreibetrag, zusätzliche Leistungen für die Rentner —, hätten doch zwangsläufig die Konjunktur anheizen müssen, wären sie realisiert worden. Sie mußten deshalb auch wieder von der Regierung selbst zurückgenommen werden, natürlich mit der Folge einer erheblichen Enttäuschung in der Bevölkerung.

    (Abg. Wehner: Es würde Ihnen ja nur gefallen, wenn es wahr wäre!)

    Nach drei Monaten dieser Anbiederungsversuche mußte die Regierung dann das konjunkturpolitische Steuer herumdrehen. Man sprach auf einmal von Steuererhöhungen und der Herabsetzung der degressiven Abschreibung. Gleichzeitig ließ man allerdings die Steuersenkungsversprechen weiter im Raum 'stehen, und das nennt die Bundesregierung dann Konjunkturpolitik und Herr Schiller heute auch noch eine Konjunkturpolitik der guten Nerven.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Wehner.)

    Man könnte diese Konjunkturpolitik mit dem Zusatz versehen: Mach mal Pause!

    (Erneute Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dieses Hin und Her der letzten Monate ist geradezu ein klassisches Beispiel dafür, wie man Vertrauen in die Beständigkeit und Zielsicherheit der Wirtschaftspolitik verspielen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    Viertens. Damit komme ich zum Jahreswirtschaftsbericht 1970. Herr Bundeskanzler und meine Damen und Herren von der Koalition, im Grunde müßten sie Verständnis dafür haben, daß wir in der Opposition nach den Erfahrungen dieser ersten hundert Tage, aber auch nach den Erfahrungen mit dem Jahreswirtschaftsbericht 1969 außerordentlich skeptisch sind, ob die Bundesregierung die Konjunkturlage in ihrem neuen Jahreswirtschaftsbericht wirklich richtig beurteilt. Ich kann mir vorstellen, daß Herr Kollege Schiller gestern und vorgestern bemüht sein mußte, sein ursprüngliches Konzept für diese Debatte etwas umzuarbeiten.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Denn der neueste Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, der uns dieser Tage auf den Tisch geflattert ist, bestätigt doch im Grunde nur, wie sehr unsere Skepsis angebracht ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dieser Bericht ist — nun, ich will es milde ausdrücken — eine scharfe Zurechtweisung des Bundeswirtschaftsministers.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

    So viel scheint jetzt, nicht einmal drei Wochen nach Veröffentlichung des Jahreswirtschaftsberichtes 1970, doch sicher zu sein: daß die Preisauftriebstendenzen wesentlich über das hinausgehen werden, was die Bundesregierung der deutschen Bevölkerung als Prognose anbietet.

    (Abg. Dr. Luda: Auch bei den Lebensmitteln!)

    Auch gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, daß — wie
    es zumindest maßgebliche Mitglieder Ihres Ministeriums doch für eine ausgemachte Sache zu halten



    Dr. Müller-Hermann
    scheinen — am 1. Juli das große Fest der Konjunkturwende zu feiern sein wird.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    In der Presse ist diese Auffassung, die mit einer drohenden Rezession schon jetzt Stimmung für eine neue Anheizpolitik zu machen versucht, treffend „Krisenastrologie" genannt worden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Damit möchte ich zunächst einmal meinen Nachruf auf die Kunst der Feinsteuerung durch Herrn Schiller abschließen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Bei der Beurteilung der Konjunkturlage müssen wir — das klang in den Ausführungen von Herrn Schiller jetzt schon an — viel differenzierter vorgehen, als es die Bundesregierung zumindest vorher getan hat. Zweifellos wirken viele widerstreitende Tendenzen und Faktoren auf unsere Konjunktur ein, und gewiß wird das Wirtschaftswachstum 1970 nicht mehr so ausgeprägt sein wie in den letzten Monaten. Auch wissen wir nicht zuverlässig, ja, nicht annähernd zuverlässig, wie sich die Konjunktur bei unseren Handelspartnern, vor allem in den Vereinigten Staaten, entwickeln wird. Aber im Gegensatz zur Bundesregierung sind wir der Meinung, daß alle zur Verfügung stehenden Konjunkturdaten auf keinen Fall schon als ein Anzeichen für einen sich deutlich abzeichnenden Konjunkturabschwung gewertet werden können.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Im Gegenteil, bei einer nüchternen Analyse muß man wohl zu dem Schluß kommen: die meisten Indikatoren sprechen bisher noch eindeutig für ein Anhalten der Hochkonjunktur. Der Arbeitsmarkt ist nach wie vor äußerst angespannt. Zweifellos hat nur der harte Winter neue Rekordziffern verhindert, wie auf der anderen Seite trotz des starken Winters in der Bautätigkeit erhebliche Leistungen vollbracht worden sind. Die Zahl der Gastarbeiter hat einen neuen Höhepunkt erreicht, und wir wissen, daß die Nachfrage nach Gastarbeitern unverändert hoch ist. Die Investitionsnachfrage hat noch nichts von ihrer Kraft eingebüßt. Die Kapazitätserweiterung rangiert immer noch vor den Rationalisierungsinvestitionen. Zur Zeit geht, ich möchte fast sagen, ausschließlich von dem hohen Zinsniveau, das größtenteils außenwirtschaftlich bedingt ist und sicher noch für eine geraume Zeit von uns als ein Faktor in Rechnung gestellt werden muß, und von der zunehmenden Liquiditätsverengung ein gewisser Dämpfungseffekt aus.
    Eine gewisse Sorge bereitet uns — in diesem Zusammenhang will ich das )einflechten — die Entwicklung der Zahlungsbilanz. Wir von der Opposition wollen hier durchaus nichts dramatisieren und der Bundesregierung auch nicht falsche Vorwürfe machen. Ich erinnere aber in diesem Zusammenhang — Herr Bundeskanzler Brandt ist ja hier anwesend — an die These Nr. 1 im wirtschaftspolitischen Teil der Regierungserklärung Brandt, in der man zum Ausdruck brachte, daß man eine graduelle Umorientierung des Güterangebots auf dem Binnenmarkt anstrebe. Meine Damen und Herren, wenn die Regierung eines Industriestaates vom Range der Bundesrepublik die ungeheure Bedeutung unserer Exportwirtschaft und den Beitrag des Exportüberschusses für den Ausgleich unserer Zahlungsbilanz etwa — ich sage ausdrücklich „etwa" — in Frage stellt, dann muß uns das auch im Blick auf die langfristige Entwicklung der Zahlungsbilanz allerdings mit außerordentlicher Sorge erfüllen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich komme noch einmal auf den Bericht der Bundesbank zurück. Er spricht eine sehr unmißverständliche Sprache. Die Lebenshaltungskosten sind im Januar gegenüber dem Vorjahr um 31/2 % angestiegen. Auch die Bandesbank betont. daß der Höhepunkt des Preisauftriebs noch nicht erreicht sei. Auch weist die Bundesbank nachdrücklich darauf hin, daß die Ausweitung der Binnennachfrage in keinem angemessenen Verhältnis zu dem Produktivitätsfortschritt steht. Das gleiche gilt für die beträchtlichen Kostensteigerungen, die mögliche noch erzielbare Produktivitätsfortschritte erheblich übersteigen. Aus dieser Tatsache heraus hat sich der allgemeine Preisauftrieb entwickelt. Ich zitiere aus dem Bundesbank-Bericht:
    Die Nachfrageexpansion muß aber nicht nur in dem Maße gebremst werden, wie sich der Spielraum für das reale Wachstum verengt, sondern urn erheblich mehr, wenn die vorhandene Übernachfrage abgebaut und ,den Preissteigerungen im Inland allmählich die Basis entzogen werden soll.
    Mit anderen Wort ausgedrückt heißt das doch, daß wir nach den ersten hundert Tagen der neuen Bundesregierung vor einer ausgemachten hausgemachten Inflation stehen.

    (Beifall bei ,der CDU/CSU.)

    Von einer importierten Inflation kann heute mit Sicherheit keine Rede sein.
    Wir als Opposition haben am 20. Januar dieses Jahres, also noch vor der Bundesregierung, ein eigenes Konjunkturprogramm vorgelegt, das ganz darauf abgestellt ist, Stabilität und eine möglichst gleichmäßige Weiterentwicklung unserer Wirtschaft zugewährleisten. Auch wir warnen dringend davor, eine Stabilitätspolitik zu betreiben, ,die etwa in eine Rezession einmündet. Die Opposition forderte Klarheit in ,der Steuerpolitik, um die langfristigen Dispositionen im unternehmerischen Bereich nicht aus dem Tritt bringen zu lassen. Das Programm tritt auch für eine verstärkte Vermögensbildung ein, die sowohl dem Aspekt der Konsumabschöpfung als auch dem Bemühen um eine gerechtere Vermögensverteilung entspricht. Dabei sind wir uns durchaus darüber im klaren, meine Damen und Herren, daß die Vermögensbildungspolitik erst mittelfristig ein wirksames Konjunktursteuerungsinstrument sein kann. Der Schwerpunkt muß nach unserer Auffassung nach wie vor auf einer gezielten und bewußt antizyklischen Haushaltspolitik aller öffentlichen Hände liegen mit einer beispielhaften Haushaltspolitik des Bundes.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)




    Dr. Müller-Hermann
    Meine Damen und Herren, wir können uns nicht von der Überzeugung lösen, daß die Bundesregierung auf diesem Gebiet viel zu spät gehandelt hat und daß auch heute noch nicht genügend geschieht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Offensichtlich hat die Bundesregierung nicht den Mut, im haushaltspolitischen Bereich die Möglichkeiten des Stabilitätsgesetzes voll auszuschöpfen.

    (Abg. Leicht: So ist es!)

    Zwar sind von der Bundesregierung Konjunkturausgleichsrücklagen in Höhe von 2,5 Milliarden DM für Bund, Länder und Gemeinden und eine Reihe von Haushaltssperren für den Haushalt vorgesehen — dieses ganze Thema wird ja in der Haushaltsdebatte noch sehr vertieft werden —, aber immerhin ergibt sich auch dann noch eine Zuwachsrate von mindestens 8,8 % für den Bundeshaushalt bei dem bekannten geschätzten Anstieg des realen Bruttosozialproduktes von 4,5 %. Aber auch diese Vergleichsbasis ist außerordentlich problematisch, wenn man berücksichtigt, in welchem Umfang im Dezember 1969 noch liquide Mittel in den Wirtschaftskreislauf gebracht worden sind.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Berücksichtigt man, daß die Steuereinnahmen im Jahre 1969 um 18 % gestiegen sind, ist man versucht, die jetzt vorgesehene Konjunkturausgleichsrücklage, ich möchte einmal sagen: als einen Griff in die Westentasche zu bezeichnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es erscheint uns jedenfalls als ein Ausdruck von Selbsttäuschung oder Selbstgerechtigkeit, einen solchen Haushalt schon als konjunkturneutral oder gar als antizyklisch zu bezeichnen. Ich erlaube mir, aus der heutigen Ausgabe der „Welt" eine Stellungnahme der Bundesbank zu zitieren, in der es heißt:
    Es wird also von den öffentlichen Ausgaben voraussichtlich kein dämpfender Effekt auf die Gesamtnachfrage ausgehen.

    (Abg. Dr. Luda: Hört! Hört!)

    Auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium hat im Januar 1970 nachdrücklich ein antizyklisches Verhalten der öffentlichen Haushalte gefordert.
    Wir in der Opposition — ich glaube, wir alle — müssen bei der Betrachtung der Konjunktursituation davon ausgehen, daß im Laufe des Jahres 1970 die Lohnbewegungen mit Sicherheit weiterhin prozyklisch verlaufen und die Produktivitätsentwicklung der Wirtschaft ganz erheblich übersteigen werden. Um so mehr muß von seiten der öffentlichen Hände der Konjunktur entgegengesteuert werden, und zwar mit aller Entschiedenheit, möglicherweise auch mit unbequemen und unpopulären Maßnahmen,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    es sei denn, man wolle die Konjunktursteuerung wieder allein der Bundesbank überlassen, die damit überfordert wäre.
    Herr Bundesminister Schiller hat heute hier erklärt, man müsse binnenwirtschaftlich „marktkonforme Instrumente" einsetzen. Er hat dabei keusch und züchtig und vorsichtig auf den § 26 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes verwiesen.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Das waren persönliche Bekenntnisse!)

    - Ich weiß nicht, ob das ein persönliches Bekenntnis war. Ich nehme an, das war ein Hinweis wohl auch im Namen der Bundesregierung. Aber dann würde ich doch die Damen und Herren der Bundesregierung einmal auffordern, hier und heute Roß und Reiter zu nennen und zu sagen, was man vorhat, statt um den heißen Brei herumzureden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    An die Adresse der Regierungskoalition und speziell an die Adresse des Bundeswirtschaftsministers muß die Opposition immer wieder die Frage stellen: Karl August Schiller, wie hältst du es mit der Preisstabilität bzw. Geldwertstabilität?

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Uns allen klingen noch die hervorragenden Ausführungen von Herrn Schiller in den Ohren, mit denen er uns in Anlehnung an den Bericht des Sachverständigenrates 1965 seinen schon Geschichte gewordenen Stufenplan zur Wiederherstellung der Geldwertstabilität vorklopfte: 4, 3, 2, 1 %.

    (Zurufe: Null!, Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Heute, wo Herr Schiller Gelegenheit hätte, die Probe aufs Exempel zu machen, geht es: „Links, zwei, drei, vier" in Prozenten nach oben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich frage daher den Herrn Bundeswirtschaftsminister, ob er uns jetzt als verantwortlicher Minister in einer maßgeblich von der SPD gesteuerten Regierungskoalition einen Stufenplan wie 1965 vorlegen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: An Ihr Haushaltssicherungsgesetz denken Sie nicht mehr! — Unruhe bei der CDU/ CSU. — Abg. Wehner: Sie sind doch nur Denkmäler einer Vergangenheit!)

    — Herr Kollege Wehner, darf ich jetzt weitersprechen.

    (Abg. Wehner: Immer; es ist ein Genuß!)

    Nun versucht der Herr Bundeswirtschaftsminister auch in seiner heutigen Rede, den Schwarzen Peter für die Preissteigerungen immer wieder anderen in die Schuhe zu schieben. Wenn man den Jahreswirtschaftsbericht 1970 liest, heißt das „ceterum censeo": Die verspätete Aufwertung ist an allem schuld. Ich weiß nicht, Herr Minister Schiller, wie lange werden Sie es denn eigentlich noch nötig haben, sich an diesem Lieblingsthema als Alibi festzuhalten?

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Mir scheint, je länger, desto weniger wird Ihnen das jemand in der Öffentlichkeit abnehmen. Für die Zukunft ist die vollzogene Aufwertung einfach ein wirtschaftspolitisches Datum und kein ernsthafter



    Dr. Müller-Hermann
    Diskussionsgegenstand mehr, obwohl wir die Diskussion nicht zu scheuen brauchen. Wir müssen den Herrn Bundeswirtschaftsminister schlicht und einfach fragen, was er heute und morgen zur Sicherung der Preisstabilität zu tun gedenkt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Nach den Ausführungen von Herrn Schiller habe ich den Eindruck, daß er in der Beurteilung der Preisentwicklung doch etwas vorsichtiger geworden ist. Die Schwerpunkte seiner sogenannten Stabilitätspolitik waren eigentlich schon recht deutlich erkennbar. Vor den Wahlen hatte er ja das Seine dazu beigetragen, daß die Preissteigerungen herbeigeredet wurden.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Jetzt, meine Damen und Herren, haben wir eine Darstellung hören müssen, es sei ja alles gar nicht so schlimm. Ich könnte mir denken, daß Herr Schiller manchmal schon bereut, daß er die Geister, die er rief, nicht mehr los wird. Daher wurde lange alles auch sehr verniedlicht: „Gemessen an den Sünden der anderen, sind wir eigentlich noch recht tugendsam". — Diese Art der Stabilitätspolitik, die mit dem Vertrauen der Wirtschaftsbürger spielt, lehnen wir auf jeden Fall entschieden ab.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Zu seiner Rechtfertigung hat der Bundeswirtschaftsminister dann versucht, durch ein im Grunde völlig marktwidriges und auch kostenwidriges Festhalten der administrativen Preise Stabilität vorzutäuschen. Ich höre sehr gern aus seinem Munde, daß er zumindest eine gewisse Beweglichkeit in die administrativen Preise hineinbringen will. Ein typisches Beispiel ist die Lage der Bundesbahn, die 1970 900 Millionen DM mehr an Kosten zu verkraften hat und der man nun verweigern will, daß sie im Güterverkehrsbereich eine gewisse Preisanpassung vornimmt. Der Verbraucher wird diese Mehrbelastung auf jeden Fall tragen müssen, und Stabilitätspolitik hat doch gewiß nichts mehr mit der optischen Aufpolierung von Preisstatistiken zu tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Was hier im Blick auf die administrativen Preise bisher von der Regierung getan worden ist, ist doch eine reine Augenwischerei.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Ein neues Mittel der Schillerschen Stabilitätspolitik scheint auch zu sein, den Unternehmen vorzurechnen, wie sie sich am Markt verhalten sollen. Vor der Hauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels haben Sie, Herr Schiller, am 4. November 1969 verkündet: „Sie vom Einzelhandel können das, was an Preisdruck auf Sie zukommt, auf die Dauer nicht auffangen." In Ihren Anzeigenserien versuchen Sie nun, dem Handel vorzuschreiben, was er alles an Preissenkungen vornehmen könne, unterlassen es aber, in diesen Anzeigen auch nur ein Wort zu den Kostensteigerungen zu sagen, mit denen Produzenten und Handel fertig werden müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Luda: Das ist die Marktwirtschaft von links!)

    Was ist das alles anderes als die früher so belächelte Seelenmassage?

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aber möglicherweise steckt doch etwas mehr dahinter. Meine Damen und Herren, hier wird doch versucht, mit staatlicher Intervention in die unternehmerische Preisgestaltung hineinzuregieren. Das ist eine Intervention, die über die vielgepriesene Globalsteuerung hinaus zu einer Beeinflussung der privaten Entscheidungsfreiheit übergeht. Wir sollten alles nur mögliche tun zur Senkung der Preise gerade im Lebensmittelbereich. Aber wir können die Marktfaktoren nicht hinwegdiskutieren oder einfach leugnen.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Ich kann mir vorstellen, meine Damen und Herren von der Koalition und auch sehr verehrter Herr Minister Schiller, daß es Ihnen an die Nerven geht, wenn wir ständig die Frage wiederholen,

    (Zuruf von der SPD: Vor allen Dingen MüllerHermann! — Heiterkeit bei der SPD)

    wie Sie es mit der Preisstabilität halten. Es ist kein Geheimnis — ich sage das nicht im Sinne eines Vorwurfs —, das sich der Bundeswirtschaftsminister weitgehend mit Beratern umgeben hat, die bereit sind, für schnelles Wachstum bewußt eine schleichende Inflation in Kauf zu nehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Nicht zufällig, meine Damen und Herren, ist der von mir persönlich sehr geschätzte Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium zugleich Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, eines Instituts, dessen Vorliebe für keynesianische Wachstumspolitik überall bekannt ist.

    (Abg. Wehner: Was sind Sie denn zugleich?)

    Auch die Abreden auf EWG-Ebene sollte man doch nicht ganz so verharmlosen, wie der Herr Minister das hier getan hat. Wenn man sich innerhalb der EWG mit einer mittelfristigen jährlichen Preissteigerungsrate von 2,5 % abzufinden geneigt ist, so sollten wir nicht aus einem falsch verstandenen Solidaritätsgefühl hier einen Kurs mitsteuern, der zwangsläufig über diese Inflationsrate hinausgehen muß. Herr Minister Schiller hat dankenswerterweise in seiner Rede heute selbst gesagt: Der Weg nach Europa darf nicht mit einem entscheidenden Verlust an Stabilität erkauft werden. Ich hoffe, daß sich die Bundesregierung an diese Aussage auch dann hält, wenn es nachher um die konkreten Entscheidungen geht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Selbstverständlich unterstützen wir alles, was zu einer Koordinierung der Konjunktur- und Währungspolitik innerhalb der EWG und auch zu einer Koordinierung der internationalen Zinspolitik beitragen könnte. Aber gerade in dem letzten Punkt warne ich davor, anzunehmen, daß wir mit schnellen Erfolgen rechnen können, die in die heutige Konjunkturlandschaft hineinpassen.



    Dr. Müller-Hermann
    Ich muß jetzt hier ein sehr ernstes Wort sagen, und ich bitte, das auch sehr ernst aufzufassen.

    (Abg. Mattick: Alles andere war Spaß?!)

    Die Glaubwürdigkeit und Redlichkeit unserer Gesellschaftsordnung hängen von der Stabilität des Geldwerts ab.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Anreize zur Sparbildung müssen sinnvoll bleiben, und die Sparzinsen dürfen nicht de facto zum Ersatz für Geldentwertung degradiert werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Eine permanente Geldentwertung ist nach unserer Auffassung zutiefst unsozial. Sie bewirkt praktisch eine einseitige Vermögensverschiebung zugunsten der Sachwertbesitzer und begünstigt die Schuldner auf Kosten der Sparer.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der Geschäftsbericht der Deutschen Bundesbank für das Jahr 1968 drückte das einmal so aus:
    (Zuruf des Abg. Mattick.)

    Preissteigerungen zu tolerieren heißt daher, eine ständige Verschiebung der realen Vermögensverhältnisse zugunsten der Netto-Schuldner zu dulden.

    (Abg. Mattick: 20 Jahre geht die Geldentwertung schon, und nun soll alles sofort in Ordnung sein! — Abg. Dr. Stoltenberg: Seien Sie nicht so nervös, meine Herren! Weitere Zurufe von der CDU/CSU. — Erneuter Zuruf des Abg. Mattick.)

    Meine Damen und Herren, Geldentwertung geht natürlich auch stets zu Lasten der Eigenvorsorge und Eigenverantwortung der Wirtschaftsbürger.

    (Anhaltende Zurufe des Abg. Mattick. — Gegenrufe von der CDU/CSU.)

    — Hören Sie jetzt doch einmal mit den Zurufen auf, und lassen Sie mich sprechen. Sie können ja nachher sprechen, Herr Kollege Mattick.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Sie reden doch die ganze Zeit!)

    Eine sozialistische Politik, 'die ohnehin die kollektive Absicherung als das Ideal ansieht, mag auch eine das Kollektiv fördernde Geldentwertung vielleicht leichter hinnehmen. Hier jedenfalls scheiden sich die Geister.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Sie sind aber keiner! Sie scheiden nur, aber Geist sind Sie nicht! — Gegenrufe von der CDU/CSU.)

    — Sehr verehrter Kollege Wehner, natürlich wissen wir auch,

    (Abg. Wehner: Natürlich wissen Sie auch!)

    wie schwierig es ist, absolute Geldwertstabilität zu garantieren.

    (Lachen bei der SPD. — Abg. Mattick: Warum haben Sie sie in den 20 Jahren nicht hergestellt?!)

    — Ich wollte es gerade sagen.

    (Abg. Mattick: Gucken Sie sich mal die Statistik an!)

    — Sie haben völlig recht. Auch in den vergangenen 20 Jahren hat es Preissteigerungsraten gegeben, die alles andere als schön waren. Aber niemand wird der CDU/CSU vorwerfen können,

    (Zuruf des Abg. Mattick)

    daß wir solche Preissteigerungsraten hingenommen hätten.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD. — Abg. Wehner: Das war das Ernsteste, was heute gesagt wurde!)

    Ich will jetzt einen Satz aus einem Artikel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zitieren. Das Entscheidende ist, „daß derjenige, der sich mit ständigen Preiserhöhungen von zwei bis drei Prozent achselzuckend abfindet, in der Wirklichkeit schnell bei vier oder fünf Prozent landen kann". Das ist genau die Situation, in der wir uns heute befinden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir wenden uns mit Entschiedenheit gegen die gefährliche These, daß die schleichende Inflation der notwendige Preis für stetiges Wachstum sei. Diese Annahme ist theoretisch in keiner Weise gestützt, und auch die praktischen Erfahrungen, die wir in der Vergangenheit gemacht haben, zeigen, daß ausschließlich Preisstabilität die Grundlage für solides Wachstum sein kann.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Neuere empirische Forschungsarbeiten haben in der jüngsten Zeit hierauf auch aufmerksam gemacht, und es überrascht — oder vielleicht auch nicht —, daß die Auswertung der wissenschaftlichen Literatur im Bundeswirtschaftsministerium offenbar recht einseitig erfolgt.
    Untersuchungen zum Verhältnis von Strukturwandel und Wachstum zeigen, daß Wachstum bei Vollbeschäftigung nur realisiert werden kann, wenn Produktionsfaktoren in den Sektoren freigesetzt werden, wo die Nachfrage nachläßt, und in die Sektoren hineinwandern, die sich einer erhöhten Nachfrage erfreuen. Bei einer schleichenden Inflation, die zu einem Überdruck in der Volkswirtschaft, zur Vollauslastung der Kapazitäten führt und damit Strukturmängel überdeckt, wird die Mobilität der Produktionsfaktoren künstlich unterbunden.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

    Nach der modernen wissenschaftlichen Theorie und auch nach voller Überzeugung der CDU/CSU ist jedenfalls die Preisstabilität eine der wesentlichsten Voraussetzungen für die optimale Zuordnung der Produktionsfaktoren. Natürlich wünschen auch wir eine systematische Wachstumspolitik, allerdings nicht um den Preis des schleichenden Geldwertverfalls. Die Öffentlichkeit muß sich allerdings darüber im klaren sein, daß ein wichtiger Faktor für Wachstum, nämlich die menschliche Arbeitskraft, immer knapper wird. Wachstum muß daher über qualitative Prozesse angestrebt werden. Dazu gehört ein funk-



    Dr. Müller-Hermann
    tionsfähiger Wettbewerb, die Verbesserung des Managements, die schnellere Durchsetzung des technischen Fortschritts. Gerade deshalb gebührt auch der Kapitalbildung besondere Aufmerksamkeit, und mit aus diesem Grunde werden wir auch alles unterstützen, was einen Anreiz zur weiteren Sparförderung gibt, damit wir eben das nötige Kapital für die Modernisierung unserer Wirtschaft zur Verfügung stellen können.
    Fortschritt und Expansion machen es angesichts der Begrenztheit unserer Reserven notwendig, daß die Wirtschaftspolitik der Strukturverbesserung und dem Ausbau der Inftrastruktur besonders hohe Priorität einräumt. Wir müssen sicherstellen und wollen daher gewährleistet wissen, daß in der Ausgabenpolitik der öffentlichen Hände den Zukunftsaufgaben und Zukunftsausgaben generell ein höheres Gewicht gegeben wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich denke an die Ausgaben für Wissenschaft, Forschung, Bildung und Ausbildung, Verkehrswege, Gesundheitsvorsorge, Luft- und Wasserreinhaltung und ähnliches. Ich nehme an, daß in diesem Punkt sogar generell Übereinstimmung in diesem Hause besteht. Wir müssen aber wohl alle immer wieder mit Bedauern feststellen, daß Antizyklik in der Regel zu Lasten gerade dieser Sozialinvestitionen geht. Deshalb möchten wir sichergestellt wissen, Herr Bundesfinanzminister und Herr Bundeswirtschaftsminister, daß die heute in der Phase der Hochkonjunktur unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten zurückgestellten und stillgelegten öffentlichen Mittel zum geeigneten Zeitpunkt und mit der nötigen Elastizität für diese großen Aufgaben der Zukunftsvorsorge eingesetzt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ein fundamentaler Unterschied in den wirtschaftspolitischen Auffassungen von Sozialdemokraten und CDU/CSU besteht zweifellos in der Einschätzung der Eigendynamik unserer Wirtschaft. Wir vertrauen eben offenbar stärker als die Sozialdemokraten auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft. Das bedeutet durchaus kein Laissez-faire des Staates. Wir anerkennen durchaus die Notwendigkeit einer staatlichen Aktivität in der Wirtschaftspolitik. Aber wir sehen auch sehr viel eindeutiger deren Grenzen. Der Glaube an die Machbarkeit wirtschaftlicher Prozesse und die Manipulierbarkeit der Wirtschaft sind ja geradezu ein Charakterzug der Schillerschen Wirtschaftspolitik geworden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir vertrauen vor allem auf die automatisch wirkenden wirtschaftspoltischen — marktwirtschaftspolitischen, müßte ich sagen — Wirkungen einer freiheitlichen Wettbewerbsordnung. Wir sind daher auch bereit, an einer Novellierung des Kartellgesetzes mitzuwirken, soweit damit der Wettbewerbsmechanismus unter veränderten technologischen Bedingungen funktionsfähig erhalten bleibt oder noch funktionsfähiger gemacht wird. Wir sind aber mit Sicherheit nicht bereit, meine Damen und Herren, zusätzliche Instrumente zu schaffen, die zu einer weitere Gängelung unserer Wirtschaft mißbraucht werden könnten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich habe schon an anderer Stelle auf die massiven Fehlprognosen von Herrn Schiller hingewiesen, und ich weiß eigentlich nicht recht, wie Herr Schiller immer noch so sehr auf seine eigenen Projektionen vertraut. Sie sind im Grunde unzuverlässiger als so mancher Wetterbericht.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Letztlich ist ja auch die konzertierte Aktion im Januar 1970 an der Prognosepolitik von Herrn Schiller gescheitert. Denn verständlicherweise sind Schillers Daten auch für die Gewerkschaften einfach nicht mehr glaubwürdig. Für detaillierte Prognosen fehlen eben auch auf seiten der Wissenschaft noch die nötigen technischen Voraussetzungen.
    Um auch hier keinerlei Mißverständnisse aufkommen zu lassen: auch wir halten eine gründliche, vielleicht sogar noch verbesserte Information über alle verfügbaren wirtschaftpolitischen Daten im nationalen und internationalen Bereich für dringend erforderlich. Das ist schon angesichts der Tatsache nötig, daß die öffentlichen Hände, die immerhin 40 % unseres Volkseinkommens bewegen, auch selber entsprechende Entscheidungshilfen zur Verfügung haben müssen. Aber die staatliche Informationspolitik muß sich davor hüten, mit der amtlichen Abstempelung von Daten, möglichst noch mit Stellen hinter dem Komma, anderen das Denken abnehmen zu wollen oder das Denken in falsche Bahnen zu lenken.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Eines sollten wir doch ,eigentlich ,alle erkannt haben, meine Damen und Herren: Man muß auch die psychologischen Wirkungen richtig einschätzen, die von jeder ,amtlichen Aussage, speziell aber von amtlichen wirtschaftspolitischen Prognosen ausgehen. Die Vorgabe von Inflationsraten - um nur ein Beispiel zu nennen — gewöhnt die Wirtschaft an das Klima der schleichenden Inflation und fördert gerade ,die Trends, die die 'amtliche Wirtschaftspolitik einzudämmen bemüht ist. Bei Lohnverhandlungen werden .diese Inflationsraten als selbstverständlich einkalkuliert, und die Unternehmer glauben, über einen entsprechenden Spielraum für Preiserhöhungen verfügen zu können. Preisprognosen ,sind nun einmal von der Art, daß sie die Eigenschaft der Selbstverwirklichung in sich bergen. Dafür gibt es auch .eine wissenschaftliche Theorie der „Self-fulfilling Prophecy".
    Unsere Fraktion geht bei der nachdrücklichen Bejahung des staatlichen Instrumentariums für die Steuerung der Konjunktur von der Voraussetzung aus, daß dieses Instrumentarium zur Erhaltung unserer freiheitlichen marktwirtschaftlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung eingesetzt wird. Wir haben auch das Vertrauen dazu, daß Sie das so zu tun beabsichtigen. Wir sollten uns aber auch darüber im klaren sein, daß dieses Instrumentarium mißbraucht werden kann, um unsere freiheitliche



    Dr. Müller-Hermann
    Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung aus den Angeln zu heben.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Hier haben wir auf seiten !der Opposition unsere Sorgen im Hinblick auf so manches, was schon heute geschieht, mehr aber noch im Hinblick auf die Zukunft. Hier haben wir sehr konkrete Fragen an die Adresse der SPD. Die Jungsozialisten, meine Damen und Herren,

    (Lachen bei dien Regierungsparteien)

    haben jüngst sehr dezidierte Vorstellungen über eine künftige Gesellschaftsordnung vorgetragen, die mit den marktwirtschaftlichen Grundlagen unseres Gesellschafts- und Wirtschaftssystems nichts 2u tun haben und nichts zu tun haben wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Jetzt kommt der heitere Teil!)

    — Die Jungsozialisten sind ja nicht irgendwer, Herr Kollege Wehner.

    (Abg. Wehner: Eben!)

    Sie sind auch keine kleine Gruppe von Einzelgängern und Querulanten.

    (Erneuter Zuruf !des Abg. Wehner.)

    Es handelt sich immerhin um 180 000 eingeschriebene SPD-Mitglieder, wenn ich richtig informiert bin.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Diese Kräfte werden Ende der 70er Jahre voraussichtlich !den Kurs der ,SPD bestimmen.

    (Abg. Wehner: So weit denken Sie schon voraus! Wie alt sind Sie denn dann?)

    Herr Ernst Eichengrün, Ihnen ja kein Unbekannter, hat auf diese Gefahren in einem Memorandum an den Bundesvorstand !der SPD ausdrücklich hingewiesen.

    (Abg. Dr. Apel: Lesen Sie mal vor, was Herr Simon vom RCDS über Herrn Strauß gesagt hat!)

    Wenn man den Kernsatz des Programms der Jungsozialisten liest, fragt man sich, wie und wo sich die zukünftige Struktur der Bundesrepublik, sollte das einmal Wirklichkeit werden, von der der sogenannten sozialistischen Staaten noch unterscheiden soll.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der Kernsatz heißt: „Es gibt nur eine Möglichkeit, präventiv gegen die Krisenanfälligkeit dieses Systems" — und damit ist unsere soziale Marktwirtschaft gemeint — „vorzugehen: indem man es abschafft." Sie wissen ja, was das Programm im einzelnen vorsieht: Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel durch gesetzlich kontrollierte Organe, Leitung und Lenkung der Wirtschaft durch ein staatlich kontrolliertes und koordiniertes System lokaler, regionaler und zentraler Organe.

    (Abg. Wehner: Das konnten Sie alles schon in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts lesen!)

    Das private Eigentum soll eingeschränkt und Vermögensbildung nur noch in Kollektivform betrieben werden. Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren — jetzt komme ich zu dem Entscheidenden, Herr Kollege Wehner —,

    (Abg. Wehner: Haben Sie etwas Entscheidendes?)

    muß man einen Satz wie diesen lesen: „In nüchterner Erkenntnis, daß die gegenwärtige parlamentarische Situation die Handlungsfähigkeit der Regierung einengt, verlangt die Entscheidung für den demokratischen Sozialismus, daß eine sozialdemokratische Regierung alle ihre Handlungen an den Bedürfnissen einer kommenden sozialistischen Gesellschaft mißt."

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Damit komme ich auch zum Schluß meiner Ausführungen.

    (Abg. Wehner: Das ist gut! Der einzige gute Vorsatz!)

    — Ja, das ist nicht alles ganz bequem zu hören; das kann ich mir denken.

    (Abg. Wehner: Na, hören Sie mal, es ist lustig!)

    Meine Damen und Herren, erfolgreiche Wirtschaftspolitik ist eben weitgehend eine Sache des Vertrauens,

    (Abg. Wehner: Ja, ja!)

    und Vertrauen setzt Glaubwürdigkeit und Stetigkeit des Handelns voraus.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Man mag hundert Tage Regierungstätigkeit noch so zurückhaltend beurteilen: Die neue Bundesregierung hat im Bereich der Wirtschaftspolitik auf jeden Fall herzlich wenig getan, was Vertrauen zu ihr rechtfertigen könnte.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Die Rede sollten Sie in Schweinsleder binden lassen!)

    Man sollte vielleicht auch gewisse Indizien in der Entwicklung unserer Zahlungsbilanz sehr ernsthaft in seine Erwägungen über die Beständigkeit des Vertrauens mit einbeziehen.

    (Vorsitz: Vizepräsident Dr. SchmittVockenhausen.)

    Unsere Skepsis und unser Mißtrauen, meine Damen und Herren, — und gewiß auch das weiter Teile der Öffentlichkeit —, gründen sich eben nicht allein auf die Taten, Unterlassungen und die offiziellen Äußerungen der Bundesregierung. Sie gründen sich noch mehr auf das, was von dem sozialdemokratischen Teil der Regierungskoalition heute noch nicht offen ausgesprochen wird. Die Jungsozialisten haben hier möglicherweise nur etwas den Vorhang gelüftet, offenbar weil sie weniger Rücksicht als die Regierungskoalition zu nehmen brauchen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Der „Kinderschreck" Müller-Hermann! — Weitere Zurufe von der SPD.)




    Dr. Müller-Hermann
    Auf jeden Fall ist diese Opposition zu außerordentlicher Wachsamkeit gegenüber der Regierung verpflichtet.

    (Abg. Wehner: „Wachsamkeit", ein beliebtes russisches Wort!)

    Wir werden nicht zulassen, daß das, was in 25 Jahren von unserem ganzen deutschen Volk aus Schutt und Trümmern aufgebaut worden ist, etwa leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Oh-Rufe und weitere lebhafte Zurufe von der SPD.)

    Wir wollen, daß unsere harte deutsche Mark auch in Zukunft stabil, hart, wertbeständig bleibt. Wir werden nicht zulassen, meine Damen und Herren, daß die freiheitliche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, die mit Sicherheit die weit überwiegende Mehrheit unseres Volkes bejaht, heute oder auf lange Sicht durch irgendwelche sozialistischen Experimente gefährdet wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir wollen und werden als Opposition in diesem Bundestag mit allen Kräften dafür sorgen, daß auch in Zukunft Solidität, ideologiefreie Nüchternheit

    (Abg. Wehner: Wie war das? „Kniefreie" Nüchternheit!? — weitere Zurufe von der SPD)

    und die Verantwortung für Freiheit und Würde des Menschen Richtschnur des Handelns in der Wirtschaftspolitik bleiben.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU. — Zurufe von der SPD.)