Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich bekannt:
Der Fraktionsgeschäftsführer der SPD hat mich gebeten, die auf 17.30 Uhr ordnungsgemäß einberufene Sitzung um eine Viertelstunde, also bis 17.45 Uhr zu vertagen. Ich habe diesem Antrag stattgegeben.
Der Fraktionsgeschäftsführer der CDU/CSU hat mich gebeten, die Sitzung erst um 18 Uhr einzuberufen. Ich habe diesem Antrag stattgegeben.
Wenn das Haus den Wunsch hat, weiter zu vertagen, muß ich das der Entscheidung des Hauses anheimgeben. Der Bundestagspräsident fühlt sich nicht frei, das von sich aus beliebig zu tun.
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Rasner!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um eine weitere Vertagung um 30 Minuten.
Meine Damen und Herren, ich bitte Platz zu nehmen. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen.
— Ich bitte Platz zu nehmen und die Türen zu schließen.
Wer diesem Antrag des Fraktionsgeschäftsführers der CDU/CSU zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; die Sitzung ist bis 18.30 Uhr unterbrochen.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Rasner.
Herr Präsident! Namens der Fraktionen der CDU/CSU und — jetzt auch — der FDP beantrage ich eine erneute Unterbrechung der Sitzung bis 19.00 Uhr.
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß an der Erklärung des Kollegen Rasner eine kleine Klarstellung vornehmen: die CDU-Fraktion hat uns gebeten, sie wolle die Pause noch um eine halbe Stunde verlängern, und gefragt, ob wir diesem Wunsche willfahren würden; da haben wir ja dazu gesagt. Ein eigenener Antrag von uns ist es nicht.
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Mommer.
Herr Präsident, darf ich Sie auf das Bedenkliche der Situation hinweisen? Vertagungsanträge dieser Art werden in der Regel vom Hause akzeptiert. Aber jedermann weiß, daß hier mit dem Vorrücken des Zeigers eine Frist abläuft: heute um 24 Uhr.
Wir bitten den Präsidenten — wir bitten Sie, sehr geehrter Herr Präsident —, die Rechte des Hauses wahrzunehmen und auf jeden Fall sicherzustellen, daß das Recht zur Aufhebung der Verordnung an diesem Tage nicht geschmälert wird.
Es ist besonders freundlich, Herr Abgeordneter Mommer, daß Sie den Präsidenten bitten beziehungsweise ermahnen, seine Pflicht zu tun. Sie können sich darauf verlassen: der Präsident des Hauses wird die Pflicht tun so, wie die Geschäftsordnung d. h. das Gesetz
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Präsident D. Dr. Gerstenmaierdieses Hauses es vorschreibt. Und ich würde außerordentlich dankbar sein, wenn das in jedem Augenblick, auch außerhalb der Sitzung von allen Mitgliedern des Hauses respektiert würde.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei allen politischen Gegensätzlichkeiten — ich glaube, es besteht für die sozialdemokratische Fraktion keine Veranlassung, anzunehmen, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in diesem Hause die Methode des Filibusterns einführen will. Das sind Unterstellungen, die ich scharf von mir weisen muß.
Von den Möglichkeiten der Geschäftsordnung, die im allgemeinen Minderheitenrechte schützt, haben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, oft, wir am vergangenen Freitag mal Gebrauch gemacht. Von der Möglichkeit des Einführens des Filibusterns ist bei keiner Fraktion dieses Hauses je die Rede gewesen. Ich bitte, das auch nicht der unseren zu unterstellen.
Ich lasse über den Antrag auf Vertagung — Herr Abgeordneter Rasner, Sie sagten: bis 19 Uhr?
— bis 19 Uhr abstimmen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Herr Abgeordneter Rasner zur Geschäftsordnung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir bleibt für den Augenblick nichts anderes übrig, als im Zusammenhang mit dem nächsten Sachantrag, dessen Stellung ich mir vorbehalte — ich weiß, daß ein solcher Antrag nur in Verbindung mit einem Sachantrag üblich und möglich ist —, die Beschlußfähigkeit dieses Hauses anzuzweifeln.
Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben, obwohl ich eine Erklärung bezüglich des Filibusterns abgegeben habe, die Unterbrechung der Sitzung zur Fortsetzung von Fraktionsberatungen verweigert. Sie sind sich darüber im klaren, daß Sie selbst oft genug in der gleichen Situation waren, und Sie sind sich hoffentlich auch darüber im klaren, daß wir von der Mehrheit Ihnen, der Minderheit, solche Anträge niemals abgeschlagen haben. Sie nutzen hier die Situation, in der der parlamentarische Geschäftsführer einer Fraktion ist, dessen Fraktion nicht anwesend ist, für meine Begriffe in einer sehr wenig feinen, sehr unkollegialen Weise aus.
Herr Abgeordneter, ich muß bitten, bei der Geschäftsordnung zu bleiben.
Herr Präsident, ich bin bei der Geschäftsordnung. — Ich behalte mir also vor, beim nächsten Sachantrag den Antrag einzubringen, die Beschlußunfähigkeit des Hauses festzustellen. Mehr kann ich, Herr Präsident, im Augenblick nicht tun.
Meine Damen und Herren, ich rufe den einzigen Punkt der Tagesordnung dieser Sitzung des Bundestages auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Außenhandelsausschusses über die von der Bundesregierung erlassene Vierte Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage zur Außenwirtschaftsverordnung (Drucksachen IV/858, IV/1071).
Berichterstatter ist der Herr Abgeordnete Dr. Löhr. Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort zu nehmen wünscht. — Das Wort hat der Herr Berichterstatter, Dr. Löhr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Außenhandelsausschuß hat sich mit der vorliegenden Vierten Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz —, Drucksache IV/858 vom 21. Dezember 1962, in der Zeit von Januar bis März 1963 in fünf Sitzungen als federführender Ausschuß beschäftigt. Mitbeteiligt an den Beratungen war auf Veranlassung des Außenhandelsausschusses der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten, der zu diesem Zweck einen Unterausschuß eingesetzt hatte.Auf Grund vorliegender Verordnung bedarf die Ausfuhr von Großrohren und Großrohrleitungen aus Stahl, die nach Meinung der Experten für den Transport von Gas, aber auch von 01 verwendet werden können, einer besonderen Ausfuhrgenehmigung seitens der Bundesregierung. Damit soll eine Ausfuhrbeschränkung derartiger Rohre in Staaten des Sowjetblocks geschaffen werden. Diese Ausfuhrbeschränkung bezweckt die Durchführung eines einstimmig gefaßten NATO-Ratsbeschlusses im Interesse strategischer Sicherheit. Soweit zum Vermerk der Drucksache IV/858.In den Aussprachen des Außenhandelsausschusses und des mitbeteiligten Ausschusses wurde im einzelnen folgendes festgestellt. In den Jahren 1959 bis 1962 erfolgten aus dem Bereich der deutschen Bundesrepublik Großrohrlieferungen mit mehr als 19 Zoll Außendurchmesser im Umfange von 459 000 t. Dies waren ausschließlich Liefergeschäfte gegen Barzahlung im Rahmen der deutsch-sowjetrussischen Handelsabkommen, die nicht genehmigungspflichtig waren. Ab Frühjahr 1962 wurden weitere 210 000 t Großrohr-Aufträge — aber nicht mehr als Liefergeschäfte gegen Bazahlung, sondern als aktive Lohnveredelungsaufträge für Großrohre gleicher Kategorie — von deutschen Industriefirmen angenommen. Bis Mitte September 1962 belief sich das
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Dr. LöhrGesamtauftragsvolumen dieser Art auf 230 000 t. Diese Lohnveredelungsaufträge sind inzwischen restlos ausgeliefert worden.Für diese Lohnveredelungsgeschäfte waren nach § 48 des Zollgesetzes zollamtliche Genehmigungen erforderlich. Diese Genehmigungen sind erteilt worden. Bei diesen Genehmigungen von aktiven Lohnveredelungsgeschäften handelt es sich wohlweislich nur darum, daß die abgabebegünstigte Einfuhr der zur Verarbeitung hereinkommenden Rohstoffe zugelassen wird. Da bis zum Inkrafttreten der vorliegenden Vierten Verordnung die eben erwähnten 230 000 t Großrohre noch nicht völlig ausgeliefert waren, mußten für ca. 30 000 t Großrohre Ausfuhrgenehmigungen auf Grund der Vierten Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste beantragt werden, die von dem Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft auch erteilt worden sind, genauso wie es damals auch von anderen NATO-Ländern gehandhabt worden ist. Mit diesen Ausfuhrgenehmigungen wird nur die Ausfuhr von Waren genehmigt und nicht — wie oft irrtümlich angenommen wird — der der Ausfuhr zugrunde liegende privatrechtliche Vertrag.Ab zweiter Hälfte September 1962 wurden erneut Lohnveredelungsverträge auf Lieferung von Großrohren außerhalb des deutsch-sowjetrussischen Handelsabkommens mit mehr als 19 Zoll Außendurchmesser in einer Gesamtmenge von ca. 203 000 t kontrahiert, die sich auf Grund nicht ausgenutzter Option um 40 000 t verminderten, so daß gegenwärtig die Lieferung von rund 163 000 t Großrohren im aktiven Lohnverdelungsverkehr ansteht. Wohlgemerkt: außerhalb des deutsch-sowjetrussischen Handelsabkommens!Für diese rund 163 000 t Großrohre sind am 8. Januar 1963, durch das Bundesfinanzministerium veranlaßt, von den zuständigen Zollämtern Genehmigungen für diese Lohnveredelungsgeschäfte erteilt worden, jedoch mit der Einschränkung, daß die zusätzlich auf Grund der Vierten Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste erforderlichen Ausfuhrgenehmigungen vom Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft noch erteilt werden müßten.Zu der Frage einer seitens der Bundesregierung bewußt verzögerten Genehmigungserteilung hinsichtlich dieser Lohnveredelungsgeschäfte ist die Bundesregierung der Auffassung, daß man ihr hierbei keine Böswilligkeit unterstellen könne, dies deshalb nicht, weil gegen die abgabebegünstigte Einfuhr von Roheisen aus der Sowjetunion berechtigte Interessen der deutschen Eisen- und Stahlindustrie stünden, deren eingehende Erörterung die zeitliche Verzögerung verursacht habe.Den bei dem Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft vorliegenden Anträgen auf Erteilung der Ausfuhrgenehmigungen ist jedoch bis heute nicht entsprochen worden. Die betroffenen deutschen Industriefirmen haben für die Herstellung dieser rund 163 000 t Großrohre im aktiven Lohnveredelungsverkehr nach Aussage der Bundesregierung keinerlei Rohstofflieferungen aus der Sowjetunion erhalten.Die Bundesregierung hat in den Ausschüssen wiederholt ihren Standpunkt vertreten, daß alle abgeschlossenen Lohnveredelungsverträge auf Lieferung von 163 000 t Großrohren schwebend unwirksam sind, weil die zur Rechtswirksamkeit erforderlichen Ausfuhrgenehmigungen nicht erteilt worden sind. Es sei deshalb — so argumentiert die Bundesregierung — auch rechtlich ausgeschlossen, daß die betroffenen bundesdeutschen Firmen durch Nichtlieferung vertragsbrüchig werden könnten, zumal auch noch in den von der sowjetrussischen Staatshandelsgesellschaft den Verträgen zugrunde gelegten allgemeinen Bedingungen die Klausel der höheren Gewalt enthalten sei, nach der der bundesdeutsche Partner von seinen Verpflichtungen befreit werde, wenn die Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen beispielsweise durch Exportverbot unmöglich gemacht werde. Außerdem sei auf Grund des § 2 Abs. 2 des Außenwirtschaftsgesetzes ein Eingriff in abgeschlossene Verträge möglich, wenn der angestrebte Zweck, also hier das Röhrenembargo, sonst erheblich gefährdet werde. Auch die Auffassung, daß die Bundesregierung durch Verweigerung der Ausfuhrgenehmigungen für die in Rede stehenden Lohnveredelungsgeschäfte gegen das deutsch-sowjetrussische Handelsabkommen verstoßen würde, sei irrig, weil Lohnveredelungsgeschäfte überhaupt nicht in den deutschsowjetrussischen Abkommen vorgesehen sind. Soweit die in den Ausschüssen vertretene Meinung der Bundesregierung zur rechtlichen Seite des anstehenden Problems.In den Auschußsitzungen hat die Bundesregierung wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß sie sich aus politischen Gründen außerstande sehe, die erforderlichen Ausfuhrgenehmigungen zu erteilen. Der NATO-Rat habe am 21. November 1962 einstimmig, also auch mit Zustimmung der deutschen Bundesregierung, beschlossen, daß die NATO-Mitgliedsländer nicht nur den Abschluß von neuen Verträgen auch über Großrohre und Rohrleitungen, wie schon mehrfach erwähnt, nach Ländern des Ostblocks verhindern, sondern auch dafür Sorge tragen, daß Lieferungen derartiger Großrohre auf Grund bestehender Verträge unterbleiben.Zu dem Verhalten ausländischer Regierungen und fremdstaatlicher Industriefirmen zu dem Röhrenembargo äußerte die Bundesregierung folgendes:Erstens. Nach ihrer Information haben sich die in der NATO zusammengeschlossenen Staaten sowie auch die wichtigsten Röhrenlieferanten außerhalb der NATO, nämlich Japan und Schweden, an das im NATO-Rat getroffene Übereinkommen gehalten bzw. werden sie zu entsprechenden Ersatzlieferungen nicht in der Lage sein.Zweitens. Soweit gegenwärtig noch kleinere Lieferungen durchgeführt werden, handelt es sich dabei um solche, die auf Grund länger zurückliegender Verträge noch ausgeführt werden, genauso wie die aus der Bundesrepublik ausgeführten zirka 30 000 t Restlieferungen aus älteren Lohnveredlungsgeschäften. Für diese Restlieferungen hatte die Bundesregierung, wie bereits erwähnt, auch die erforderlichen Ausfuhrgenehmigungen nach der Vier-
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Dr. Löhrten Verordnung erteilt. Diese Restlieferungen sindbis in diesen Monat hinein durchgeführt worden.Der Außenhandelsausschuß als federführender Ausschuß und der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten selbst wie sein Unterausschuß haben in all ihren Sitzungen — außer in der letzten Außenhandelsausschußsitzung vom 14. März — den Standpunkt vertreten, daß die anstehende Vierte Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste durch den Bundestag auf Grund des § 27 Abs. 2 des Außenwirtschaftsgesetzes nicht aufgehoben werden soll.Dabei ist die Bundesregierung immer wieder ersucht worden, aus handelspolitischen und industriewirtschaftlichen Gründen im Rahmen der NATO zu prüfen, ob nicht eine geeignete Kompromißformel gefunden werden könnte, die sowohl den Empfehlungen des NATO-Rats entspräche als auch den bundesdeutschen handelspolitischen und industriewirtschaftlichen Interessen Rechnung tragen würde, nämlich die bereits vor dem Inkrafttreten der Vierten Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste kontrahierten Lohnveredlungsgeschäfte noch zur Abwicklung kommen zu lassen.Der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten hatte am 21. Februar 1963 beschlossen, daß die Durchführung der vor dem Inkrafttreten der Vierten Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste abgeschlossenen Verträge durch diese Verordnung nicht beeinträchtigt werden soll und daß die Bundesregierung ersucht werden soll, die Bündnispartner der Bundesrepublik hiervon in Kenntnis zu setzen.In der Sitzung des Außenhandelsausschusses vom 14. März 1963 hat der Vertreter der Bundesregierung eindeutig erklärt, daß sie nicht imstande sei, dem Ersuchen der beteiligten Ausschüsse zu entsprechen, und die beantragten Ausfuhrgenehmigungen nicht erteilen könne. Sie bat den federführenden Ausschuß, seine volkswirtschaftlichen Gesichtspunkte den höheren allgemeinpolitischen Interessen hintanzustellen und nicht die Aufhebung der Verordnung zu beantragen.Die Mehrheit des Ausschusses faßte daraufhin folgenden neuen Beschluß, den ich gleichzeitig als Antrag des Außenhandelsausschusses hiermit dem Hohen Hause unterbreite:Der Bundestag wolle beschließen,von dem Recht der Aufhebung Gebrauch zu machen, es sei denn, daß die Bundesregierung bereit ist, eine verbindliche Erklärung abzugeben, den Lieferungen aus den abgeschlossenen Verträgen über 163 000 t Röhren die Genehmigung zu erteilen.Die Minderheit des Ausschusses war dagegen der Meinung, der Bundestag solle von dem Recht der Aufhebung der Vierten Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste keinen Gebrauch machen. Sie ließ sich dabei insbesondere von folgenden Gedanken tragen:Erstens. Die Verträge über die Lieferung von 163 000 t Großrohre im aktiven Lohnveredelungsverkehr nach der Sowjetunion sind schwebend unwirksam.Zweitens. Die Bundesregierung war an dem einstimmig gefaßten NATO-Rat-Beschluß vom 21. November 1962 beteiligt.Drittens. Deshalb kann der deutschen Bundesregierung aus politischen Gründen auch nicht zugemutet werden, durch die Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen für die Lieferung von 163 000 t Großrohre nach der Sowjetunion dem erwähnten NATO-Rat-Beschluß zuwiderzuhandeln und sich damit von einer endlich einmal gezeigten Solidarität des freien Westens gegenüber dem Ostblock abzuwenden.Soweit mein Bericht.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir treten in die Beratung ein.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte jetzt keine längeren Ausführungen zur Sache machen, sondern im Namen der Bundesregierung auf zwei Umstände aufmerksam machen, die bisher vielleicht nicht genügend berücksichtigt worden sind. Hier wird es um die Frage gehen, ob das Hohe Haus die Verordnung aufheben will oder nicht. Es wird natürlich auch die Frage sein, ob das Hohe Haus die Verordnung aufheben kann oder nicht. Das erste ist eine politische, das zweite eine juristische Frage.Zu der juristischen Frage zwei Anmerkungen. Wir befinden uns heute an einem Tage nach der Dreimonatsfrist. Dieses Argument benutze ich nur vorsorglich.Mein Hauptargument findet sich im § 27 des Außenwirtschaftsgesetzes, wo der Erlaß von Rechtsverordnungen geregelt ist. In dem vorletzten Satz dieses Absatzes 2 heißt es:Die Rechtsverordnungen sind unverzüglich aufzuheben, soweit es der Bundestag binnen drei Monaten nach ihrer Verkündung verlangt.Es heißt dann weiter:Satz 3— den ich soeben verlesen habe —findet keine Anwendung auf Vorschriften, durch welche die Bundesregierung in Erfüllung von Verpflichtungen oder in Wahrnehmung von Rechten aus zwischenstaatlichen Vereinbarungen, denen die gesetzgebenden Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes zugestimmt haben, Beschränkungen des Warenverkehrs mit fremden Wirtschaftsgebieten aufgehoben oder angeordnet hat.Wir sind der Meinung, daß der NATO-Vertrag und der NATO-Beschluß einschlägig sind.
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Ehe ich weiter das Wort gebe, möchte ich zu der Bemerkung des Herrn Bundesministers des Auswärtigen folgendes feststellen. Dem Bundestag ist diese Vierte Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste von der Bundesregierung — gezeichnet: der Stellvertreter des Bundeskanzlers — unter dem 21. Dezember 1962 mit dem Vermerk zugeleitet worden: „Die Verordnung wurde im Bundesanzeiger Nr. 238 am 18. Dezember 1962 veröffentlicht.", Ich stelle fest, daß nach der Übung dieses Hauses die Dreimonatsfrist — bis jetzt übrigens unbestritten — am 18. März, 24 Uhr, abläuft.
Das Wort hat der Abgeordnete Bading.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben von dem Berichterstatter, dem Kollegen Dr. Löhr, einen Bericht gehört. Ich muß sagen, ich finde es etwas sehr eigenartig, daß in diesem Bericht immer nur die Meinung der Bundesregierung bzw. der Minderheit in den Ausschüssen zum Ausdruck gekommen ist.
Zu einem Bericht gehört meines Erachtens, wenn man sich schon nicht nur auf das rein Formale beschränkt, sondern auch die Gründe angibt, die von der Bundesregierung vorgebracht worden sind, daß man auch auf die Gründe eingeht, die von der Mehrheit in den Ausschüssen vorgetragen worden sind und die dann zu den Beschlüssen geführt haben.
Sowohl im Außenpolitischen Ausschuß wie auch im federführenden Außenhandelsausschuß hat die Mehrheit gegen die von der Bundesregierung vorgebrachten Gründe gestimmt. Die Mehrheit hat sich keineswegs in allem den Gründen verschlossen. Die beiden Ausschüsse haben in sehr vielen und eingehenden Beratungen das Für und das Gegen erwogen und sich dann in ihrer Mehrheit für das Gegen entschieden.
Ich halte es daher für notwendig, daß hier auch noch einmal etwas zu den Gründen gesagt wird, die die Mehrheit der Ausschüsse bewogen haben, einen Beschluß zu fassen, der auf die Aufhebung der Verordnung unter der Voraussetzung abzielt, daß die Bundesregierung sich nicht entschließen kann, die Genehmigung zur Durchführung der abgeschlossenen Verträge zu erteilen.
Ich möchte hierbei nicht auf die rechtlichen Grundlagen eingehen, sondern ,das Wirtschaftliche in den Vordergrund stellen, und zwar insoweit, als es sich hier darum handelt, daß Verträge nicht ausgeführt werden sollen, die privatrechtlich gesehen völlig einwandfrei sind und zu einem Zeitpunkt abgeschlossen wurden, als die Verordnung, um die es sich hier handelt, von der Bundesregierung noch nicht erlassen worden war. Die Verträge sind in der Zeit vom 5. bis 10. Oktober abgeschlossen worden, während die Verordnung erst im November verkündet worden ist.
Selbstverständlich sind die Verträge unter der Voraussetzung abgeschlossen worden, daß die Genehmigung erteilt wird. Natürlich kann es sich aber immer nur um Genehmigungen handeln, die zu der Zeit, als die Verträge abgeschlossen wurden, eben eingeholt werden mußten. Dazu gehört aber nicht die Verordnung zur Einschränkung der Ausfuhrliste. Insofern bin ich und ist mit mir auch meine Fraktion der Ansicht — und nicht nur meine Fraktion; ich möchte hier nur von den Mitgliedern der Ausschüsse sprechen: die sozialdemokratischen Mitgliedern der Ausschüsse, die FDP-Mitglieder der Ausschüsse und auch einige CDU-Mitglieder der Ausschüsse waren dieser Ansicht —, daß diese Verträge erfüllt werden müssen und daß man sich nicht darauf berufen kann: Es gibt höhere Gründe, politische
Gründe, die nachträglich durch eine Verordnung manifestiert wurden, wodurch die Ausführung die ser Verträge unterbunden wird.
Auch die Mehrheit der Ausschüsse war der Ansicht, daß selbstverständlich die deutsche Bundesregierung gebunden ist durch den NATO-Beschluß. Wir haben auch gar nichts dagegen eingewandt. Es ist überhaupt nicht darüber gesprochen worden, daß künftige Verträge, die nach dem Erlaß der Verordnung abgeschlossen werden, nun unter Umständen ebenfalls durchgeführt werden müßten. Darüber bestand völlige Einigkeit. Es handelt sich, wie gesagt, immer nur um die bereits vorher abgeschlossenen Verträge.
Es ist vom Berichterstatter, wenn ich ihn richtig verstanden habe, auch gesagt worden, daß sich andere Länder ebenfalls diesem Beschlusse der NATO gefügt hätten. Ich kann nur sagen, daß nach unseren Informationen — und diesen Informationen ist im Ausschuß auch nicht von den Herren Regierungsvertretern widersprochen worden — nach dem NATO-Beschluß Firmen in England Verträge zur Lieferung von Großrohren mit Ostblockstaaten abgeschlossen haben und daß die Regierung von Großbritannien nichts gegen die Durchführung dieser Verträge unternommen hat. Insofern glaube ich, daß der Bericht in diesem Fall die Tatsachen nicht ganz richtig wiedergegeben hat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich verpflichtet gefühlt, diese Ausführungen zu machen; denn ich glaube, daß ein solcher Bericht, wie er hier gegeben worden ist, unvollständig gewesen ist und infolgedessen richtiggestellt werden muß.
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er dazu das Wort wünscht.
Das Wort hat als Berichterstatter der Herr Abgeordnete Dr. Löhr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe versucht, in meinem Bericht die verworrene Situation, entstanden durch Erklärungen vieler Seiten über diese Geschäfte, klarzulegen, indem ich zunächst einmal, gestützt auf die Debatte in den Ausschußsitzungen und die Auskünfte der Bundesregierung, den Sachverhalt klar-
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Dr. Löhrgestellt habe. Ich habe mich weiterhin eindeutig und klar bemüht, die Meinung der Mehrheit, Herr Kollege Bading, dahin gehend klarzulegen, daß wir entgegen dem am 10. Januar in der ersten Außenhandelsausschußsitzung gefaßten Beschluß, der vorliegenden Vierten Verordnung nicht zu widersprechen
— verzeihen Sie —, ausdrücklich hinzugefügt haben, daß die Regierung wiederholt gebeten worden ist, durch Interventionen beim NATO-Rat die Ausführung der bereits vor Inkrafttreten der Vierten Verordnung getätigten Verträge und der folgenden Lieferungen zu ermöglichen. Ich habe weiterhin dargelegt, daß in der letzten Außenhandelsausschußsitzung die Mehrheit beschlossen hat, die Aufhebung der Verordnung zu fordern, und ich habe mir erlaubt, den Standpunkt der Minderheit, die die Nichtaufhebung dieser Verordnung gewollt hat, im einzelnen darzulegen.
Ich glaube, meine Damen und Herren, damit voll und ganz meiner Pflicht als Berichterstatter Genüge getan zu haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Brentano.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß über den dieser Diskussion zugrunde liegenden Sachverhalt im Hohen Hause kaum Meinungsverschiedenheiten bestehen. Auch ich lege Wert auf die Feststellung, daß niemand von uns bestritten hat, daß die Verträge, die, ich glaube, am 3. Oktober 1962 von den einzelnen Firmen abgeschlossen worden sind, in gutem Glauben abgeschlossen wurden, weil damals ein Embargo noch nicht beschlossen war.Ich möchte aber feststellen, daß diese Verträge genehmigungsbedürftig waren, und zwar als Veredelungsverträge. Sie bedurften einer Zollgenehmigung. Diese wurde am 8. Januar 1963 erteilt. Damit war diese aufschiebende Bedingung für das Zustandekommen der Verträge beseitigt. Aber im Genehmigungsbescheid vom 8. Januar 1963 heißt es:Die Ausfuhr in Länder des Ostblocks ist auf Grund der Vierten Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste genehmigungspflichtig. Die mit der Bewilligung des Lohnveredelungsverkehrs verbundene Abgabevergünstigung kann deshalb praktisch nur wirksam werden, wenn entsprechende Ausfuhrgenehmigungen erteilt werden.Damit war — das ist die Auffassung meiner Freunde und auch meine Auffassung — auch den Vertragspartnern mitgeteilt worden, daß die Zollgenehmigung zwar erteilt war, diese Zollgenehmigung aber noch nicht der letzte Hoheitsakt war, der die Gültigkeit der Verträge herbeiführte, sondern daß es infolge der inzwischen ordnungsgemäß verkündeten Vierten Verordnung einer weiteren Genehmigung bedurfte.Nun, meine Damen und Herren, hat Herr Kollege Bading auf die wirtschaftliche Bedeutung dieser Verträge und auf den wirtschaftlichen Aspekt des ganzen Problems hingewiesen. Ich glaube, wir sind uns alle über die wirtschaftspolitische Bedeutung dieser Verträge weitgehend einig. Aber ich bin auf der anderen Seite der Meinung, daß wir hier nicht eine wirtschaftspolitische Entscheidung zu treffen haben,
so erwünscht sie vielleicht auch sein kann, auch mit Rücksicht auf unsere Industrie, auf die großen Firmen, die sich auf diese Verträge eingestellt haben. Dieses legitime Interesse, ein Interesse, daß auch ein Interesse der deutschen Volkswirtschaft ist, wird von uns in keiner Weise bestritten. Aber wir haben hier, wie ich glaube, eine politische Entscheidung zu treffen, und das ist der Grund, weswegen wir mit dem Antrag des Außenhandelsausschusses, den unser Kollege Herr Dr. Löhr als Berichterstatter vorgetragen hat, nicht einverstanden sind.Es wird davon gesprochen — und ich nehme dieses Argument durchaus ernst —, daß Verträge erfüllt werden sollten, daß in abgeschlossene Verträge nicht ohne zwingende Not, nicht ohne echten politischen Anlaß eingegriffen werden sollte. Das ist auch die Meinung meiner politischen Freunde und meine Meinung.Aber ich möchte, um Mißverständnisse zu vermeiden, darauf hinweisen, daß es sich bei diesen Lohnveredelungsgeschäften nicht um Vereinbarungen allgemeiner Art mit der Sowjetunion handelt. Die Bestimmungen etwa des langfristigen Abkommens über den Waren- und Zahlungsverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken für die Jahre 1961 bis 1963 beziehen sich nicht auf die Lohnveredelungsverträge. Diese Lohnveredelungsverträge wurden außerhalb dieses Abkommens abgeschlossen.Ebensowenig — und ich lege Wert auf diese Feststellung — wird durch die Beschränkung der Ausfuhr von Großrohren nach der Sowjetunion im Zusammenhang mit diesen Lohnveredelungsgeschäften das Abkommen über Allgemeine Fragen des Handels und der Seeschiffahrt zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 25. April 1958 tangiert. Denn dessen Art. 3 sieht ausdrücklich vor — und das ist eine Erklärung, die von beiden Seiten abgegeben worden ist —, daß die Ausfuhr aus Gründen der Sicherheit beschränkt werden kann. Zu Beschränkungen dieser Art ist also jeder Vertragspartner nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a dieses Abkommens berechtigt. Also weiß auch die Sowjetunion als Vertragspartner, daß auch im Rahmen dieses Abkommens, das die Bundesregierung sicherlich einzuhalten bereit und entschlossen ist, Eingriffe in Einzellieferungen erfolgen können, ohne daß der Bundesregierung der Vorwurf gemacht werden könnte, daß sie vertragswidrig handle.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Montag, den 18. März 1963 3067
Dr. von BrentanoNun ist ein neuer Sachverhalt entstanden durch den Beschluß, den der NATO-Rat am 21. November 1962 einstimmig gefaßt hat. Über die Einzelheiten dieses Beschlusses hier zu sprechen, verbietet der Raum, in dem wir sind.
— Herr Kollege Erler, ich glaube, er wäre jederzeit im Auswärtigen Ausschuß vorgelegt worden.
— Ich war nicht anwesend.
— Meine Damen und Herren, beschimpfen Sie mich nicht für etwas, für das ich keine Verantwortung trage! Ich kann mich nicht hierherstellen und Auskunft über einen Beschluß geben, den ich selber nicht im einzelnen kenne.
Ich weiß nur, daß die Bundesregierung — und es hat bisher niemand behauptet, daß sie das gegen besseres Wissen tut — darauf hingewiesen hat, daß im NATO-Rat ein einstimmiger Beschluß gefaßt worden ist des Inhalts, daß Lieferungen dieser Art, auch wenn schon Verträge darüber abgeschlossen sind, nicht ausgeführt werden sollten, und zwar mit Rücksicht auf die Sicherheit der NATO-Partner.Auf diese eine schwerwiegende Feststellung möchte ich mich beschränken und möchte dazu folgendes sagen. Die Bundesregierung hat entsprechend diesem Beschluß, den der NATO-Rat einstimmig gefaßt hat, diese Vierte Verordnung erlassen, die nach § 2 des Außenwirtschaftsgesetzes auch rückwirkende Kraft haben kann. Das Außenwirtschaftsgesetz sieht ausdrücklich vor, daß Verordnungen dieser Art auch mit rückwirkender Kraft erlassen werden können. Sie hat dann erklärt, daß sie diese abgeschlossenen Geschäfte, die nach meiner Überzeugung noch schwebend unwirksam waren, nicht genehmigen könne.Ich glaube, wir stehen hier in einem echten Konflikt, einem Konflikt, den wir nicht leicht nehmen dürfen, einem Konflikt nämlich, ob wir die wirtschaftspolitische Bedeutung der Abwicklung dieser Verträge höher stellen als die Zusammenarbeit in der NATO.
Das ist der Grund, weswegen ich ohne jede Polemik — ich glaube, diese Sache verträgt keine unsachliche Polemik — auch jetzt noch einmal in diesem Augenblick an das Hohe Haus appelliere und sage: wenn wir den Beschluß des Außenhandelsausschusses hier akzeptieren, so bedeutet das, daß die Bundesregierung vor der Alternative steht: entweder wird die Außenhandelsverordnung aufgehoben und der Bundesregierung das Instrument ausder Hand geschlagen, das sie braucht, um einen einstimmigen NATO-Beschluß zu verwirklichen,
oder die Bundesregierung behält dieses Instrument, muß aber hier eine Erklärung abgeben, daß sie die schwebend unwirksamen Verträge genehmigt, mit der Wirkung, daß sie mit einer solchen Erklärung flagrant gegen einen einstimmig gefaßten NATO-Beschluß verstößt.
Ich bitte Sie mit großem Nachdruck, sich doch dieser Konsequenzen bewußt zu sein. Ich glaube, wir alle in diesem Saale wissen, daß unser Schicksal von der Zusammenarbeit mit der NATO abhängt.
— Meine Damen und Herren, ich erlaube mir, hier meine Ausführungen zu machen, ob es Ihnen recht ist oder nicht.
Ich war und bin der Meinung, daß meine Feststellung richtig ist, daß wir in diesem Hohen Hause uns einmütig darüber im klaren sind, was die NATO für unser Volk, und zwar nicht nur für unser Volk in der Bundesrepublik, sondern auch für die Stadt Berlin bedeutet.
Das ist der Grund, weswegen ich noch einmal, auch wenn sich jetzt durch Vorentscheidungen und vielleicht auch durch eine nicht immer ganz sachliche Diskussion die Fronten verhärtet haben, an alle Mitglieder dieses Hauses appelliere und Sie frage: Wollen Sie denn wirklich die Bundesregierung in die Situation versetzen, daß sie nun eine solche Entscheidung des Bundestags vollziehen und ihren NATO-Partnern mitteilen muß?Ich glaube, daß Sie, wenn wir hier zu einer echten Interessenabwägung kommen — und es kann nichts anderes sein, worüber wir zu entscheiden haben; Sie selbst, Herr Kollege Bading, haben gesagt, daß Sie den Sinn der Vierten Verordnung bejahen, daß auch Sie wünschen, daß diese Vierte Verordnung in Kraft bleibt —, dann die Bedingung wegnehmen, die der Außenhandelsausschuß der Genehmigung hinzugefügt hat, die Bedingung nämlich, daß die Bundesregierung sich hier und heute in einem Sinne äußern soll, der mit dem einstimmigen Beschluß der NATO schlechthin unvereinbar ist.Ich warne davor, durch eine Entscheidung die Glaubwürdigkeit der Politik der Bundesrepublik in der NATO zu erschüttern.
— Ich glaube, Sie sind genauso gut darüber unterrichtet wie ich, welche Bedeutung man diesem einstimmigen Beschluß der NATO in unseren Bündnisländern beimißt, nicht zuletzt in den Vereinigten Staaten von Amerika. Es ist nicht mehr und nicht weniger als ein Pflicht, auch der politischen Loyalität, das zu erfüllen, was andere in dem Bündnis-
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Dr. von Brentanosystem einmal mit guten Gründen von uns verlangen, wenn wir immer von neuem an diese Bündnispartner, an der Spitze die Vereinigten Staaten, die Forderung stellen, das deutsche Anliegen nicht zu vergessen, die Sicherheit des deutschen Volkes, die Freiheit von Berlin zu garantieren und mit uns dafür zu sorgen, daß diese Freiheit auch den Menschen wiedergegeben wird, die drüben in der Zone noch darauf warten.
— Ich bedaure es, daß Sie meine Ausführungen offenbar nicht so ernst nehmen wollen, wie sie gemeint sind.
Ich glaube, daß diese Entscheidung, vor der wir hier stehen, unter Umständen das Bündnis — —
— Ich sage ja nicht, daß Sie es sich leicht gemacht haben. Aber ich darf doch diesen Appell an Sie richten aus den Erwägungen, die ich hier sachlich und, ich glaube, ohne Polemik vorgetragen habe.
Ich möchte nicht, daß der Eindruck entsteht, daß es ausgerechnet der Bundestag war, der als erster die Entscheidung getroffen hat, einen einstimmigen Beschluß des NATO-Rates zu ignorieren.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Deist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal klarstellen, daß es sich für uns hier nicht um Verfahrensfragen handelt, auch nicht um eine wirtschaftspolitische Frage in dem Sinne, ob wir der deutschen Wirtschaft Dinge zumuten können, die außenpolitisch erforderlich sind. Ich will gar nicht darüber sprechen, wie das Verfahren gelaufen ist und ob die ernsthaften Einwendungen, die gegen ein solches Embargo vorzubringen sind, genügend zur Geltung gebracht worden sind. Jedenfalls steht für uns genauso wie für Sie, Herr Dr. von Brentano, fest, daß wirtschaftliche Interessen dann zurückzustehen haben, wenn entscheidende außenpolitische und staatspolitische Interessen auf dem Spiele stehen.
Darüber besteht zwischen Ihnen und uns keinerlei Differenz.
Meine Damen und Herren, wir wissen, daß eine Empfehlung der NATO vorliegt, die Großrohraufträge in Zukunft dem Embargo zu unterwerfen. Unabhängig davon, ob der eine oder andere Bedenken gegen eine solche Empfehlung der NATO habenmag, sind wir der Auffassung, daß Deutschland in seiner außenpolitischen Situation einer solchen Empfehlung der NATO Folge leisten sollte.
Aber wir hätten zunächst einmal gewünscht, daß unsdann auf unsere Anforderung im Auswärtigen Ausschuß und im Außenhandelsausschuß der Wortlautdieser NATO-Empfehlung vorgelegt worden wäre.
Das ist uns in beiden Ausschüssen verweigert worden.
Ich glaube, es kann gar kein Zweifel darüber bestehen — und der besteht auch bei unserem Bündnispartner nicht —, daß jede solche Empfehlung einer sinnvollen, vernünftigen Auslegung bedarf und daß jeder sich zu überlegen hat, daß wir — ich nehme Ihre Formulierung auf, Herr von Brentano — nicht ohne Not andere staatsrechtliche Vereinbarungen, die wir selbst getroffen haben, dadurch in Frage stellen.
— Handelsvertragliche, völkerrechtliche! — Darum geht es, meine Damen und Herren. Ist es nicht richtig, daß die britische Regierung erklärt hat, daß sie im Sinne einer solchen NATO-Empfehlung nicht handeln könne, weil ihr entsprechende Möglichkeiten nicht zur Verfügung stehen?
Ist es nicht richtig, daß ein italienisches staatliches Stahlwerk auch heute noch Röhren nach Verträgen ausliefert, die vor dem Embargo-Beschluß abgeschlossen worden sind?
Meine Damen und Herren, da frage ich mich, ob Sie das Recht haben, eine Empfehlung, die Sie hier nicht offen darzulegen wagen, so zu interpretieren, als wenn wir leichtfertig gegen die Interessen der NATO verstoßen.
Meine Damen und Herren, ich will hier nicht die offizielle Haltung der USA ansprechen; vielleicht würden sie sich im Sinne der Regierungsinterpretation aussprechen; das mag möglich sein. Aber wir wissen auch sehr gut, wie in amerikanischen Kreisen dieses Dilemma beurteilt wird, in dem nicht nur wir uns befinden; uns zu entscheiden, ob wir durch rückwirkende Maßnahmen vertragliche Vereinbarungen, die sich im Rahmen völkerrechtlicher Verträge halten, rückgängig machen dürfen.
Meine Damen und Herren, wir haben mit Sowjetrußland einen Handelsvertrag. In diesem Handelsvertrag ist ausdrücklich die Lieferung von Großrohren vorgesehen, nachdem im Jahre 1958 die Großrohre aus der Embargoliste herausgenommen sind. Auf Grund dieses Vertrages und im Rahmen des
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Dr. DeistVertrages sind jene Liefervereinbarungen abgeschlossen worden, die hier zur Erörterung stehen.Vielleicht darf ich auch darauf hinweisen, daß in diesem Handelsvertrag dargelegt wird, daß keiner der beiden Staaten den Warenverkehr zwischen den beiden Staaten Beschränkungen und Verboten unterwerfen wird, die unter analogen Bedingungen nicht gegenüber allen anderen Staaten Anwendung finden.
Und jetzt bringe ich den Satz, den Herr Dr. von Brentano angeführt hat, ausführlich:Diese Grundregel findet keine Anwendung in Fällen, in denen die öffentliche Ordnung und Sicherheit des Staates betroffen wird.Das bezieht sich insbesondere auf Fälle, die nicht unmittelbar im Vertrage geregelt sind. Man wird Großrohrlieferungen, die ausdrücklich im Vertrage vorgesehen sind, für die große Kontingente vorgesehen sind, nicht als eine Bedrohung der Sicherheit des Staates, also der Bundesrepublik, betrachten können. Das hätte man auch bei Abschluß der Handelsverträge wissen können und wissen müssen.Daraufhin sind die zur Erörterung stehenden Verträge im September und Oktober 1962 abgeschlossen worden. Da es sich um eine besondere Art von Verträgen, sogenannte Lohnveredelungsverträge, handelt, war eine zollamtliche Genehmigung, insbebesondere für Roheiseneinfuhren, erforderlich. Ist es nicht merkwürdig, daß diese hier erforderliche zollamtliche Genehmigung nach Erlaß der Verordnung der Bundesregierung noch im Januar dieses Jahres erteilt worden ist?
— Dazu hat mein Freund Bading genügend gesagt, daß ein Vorbehalt bei bestimmten Genehmigungen vorgesehen war, — natürlich jenen Genehmigungen, die bei Abschluß der Verträge erforderlich waren, und dazu gehörten diese zollamtlichen Genehmigungen. Ausgerechnet die haben Sie erteilt.Vielleicht ist es nicht ganz uninteressant in diesem Zusammenhang, daß — jedenfalls so weit ich es sehen kann; ohne daß dies bisher bestritten worden wäre — Herr Bundesaußenminister Schröder am 2. Februar dieses Jahres in einem Brief mitgeteilt hat, daß die NATO-Mitglieder in Zukunft keine neuen Lieferverträge mit dem Ostblock übernehmen sollten. Das ist haargenau die Interpretation, die wir der NATO-Empfehlung geben.Verträge sind auslegungsfähig und dehnbar. Aber eine loyale Auslegung verlangt, daß man nicht gewaltsame Interpretationen vornimmt, wie das hier ganz offensichtlich geschieht.
Wir sind der Auffassung, daß die Auseinandersetzung mit dem Osten, mit einem so harten Gegner, mit dem wir es dort zu tun haben, uns nicht verleiten sollte, ihm leichtfertig das Argument zu liefern, wir hielten es mit abgeschlossenen Verträgen nicht allzu ernst.
Vielleicht bedenken wir auch, daß wir ein umfangreiches Handelsvertragssystem nach Westen und Osten im Laufe der Zeit aufgebaut haben — alle diese Verträge gehören doch irgendwie zusammen —, und daß Sie nach dem Handelsvertrag mit Sowjetrußland jetzt einen Handelsvertrag mit Polen abgeschlossen haben und einen mit Ungarn beabsichtigen.Man wird alle Handelsverträge, die man abschließt, in gleicher Weise loyal handhaben müssen. In diesem Falle steht nicht nur in Frage, wie man im Osten über diese Dinge urteilt, sondern hier steht auch zur Debatte, was man im Westen ganz allgemein von unserer Vertragstreue zu abgeschlossenen Verträgen hält.
Über die politischen Auswirkungen der Lieferungen dieser Rohre ist heute nicht gesprochen worden, obwohl darüber in der Öffentlichkeit viel Wirbel veranstaltet wurde. Ich darf nur sagen, daß wir der Auffassung sind, daß alle diese Argumentationen nicht ziehen.
Ich habe aber nicht die Absicht, die Auseinandersetzung über diesen Punkt hier weiter auszudehnen.
Meine Damen und Herren, es handelt sich hier, wie ich betonte, für uns um außenpolitische Überlegungen, nicht uni die Berücksichtigung irgendwelcher wirtschaftlicher Interessen.
Wir hätten gewünscht, daß Sie diese außenpolitischen Überlegungen in einem anderen, viel entscheidenderen Fall mit gleicher Intensität angestellt hätten.
Sie wissen nur zu gut, daß die Art der Verhandlungen und der Zeitpunkt der Unterzeichnung des deutsch-französischen Vertrages das europäische Verhältnis, die europäische Zusammenarbeit arg belastet haben, daß die Zusammenarbeit mit unserem atlantischen Partner jenseits der Meere dadurch sehr gefährdet wurde und daß der russischen Politik damit ein billiges Argument gegeben wird.
Wir hätten gewünscht, daß Sie dort jene Überlegungen so ernsthaft angestellt hätten, wie Sie es jetzt auf einem Nebenschauplatz tun.
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3070 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Montag, den 18. März 1963
Dr. Deist— Nein, die NATO ist kein Nebenschauplatz. Aber das, was Sie hier aufführen, ist ein Nebenschauplatz,
und das, was Sie uns heute in den letzten zwei Stunden vorgeführt haben, macht den ganzen Akt geradezu zu einer Tragikomödie.
Wir halten es nicht für gut, wenn die Bundesregierung auf diese Weise den Eindruck hervorzurufen versucht, als seien Abgeordnete, die sich, wie Herr Dr. von Brentano sagte, sicherlich ebenso ehrlich um gute außenpolitische Beziehungen bemühen, die Mehrheit von Ausschüssen dieses Bundestages und viele, viele politisch verantwortliche Menschen in Deutschland, darunter z. B. auch Ihr Parteifreund, der Ministerpräsident Meyers, hinsichtlich der loyalen Zusammenarbeit mit unseren westlichen Bündnispartnern nicht ganz zuverlässig.
Wir Sozialdemokraten haben durch die Tat bewiesen, insbesondere in kritischen Situationen, daß wir sehr wohl wissen, was es heißt, loyaler Partner des westlichen Bündnisses zu sein.
In den letzten Monaten, in denen es darauf ankam, manche Mißverständnisse, die durch Ihre Haltung hervorgerufen wurden, zu beseitigen, sind auch die Sozialdemokraten mit in die Bresche gesprungen,um das Klima in der übrigen Welt wieder zu verbessern.
Wenn es darauf ankam, sowjetischen Zumutungen hart entgegenzutreten, dann haben wir es an der genügenden Härte nicht fehlen lassen. Aber wir werden nicht mitwirken, wenn die Bundesregierung versucht, durch geschäftsordnungsmäßige Maßnahmen und durch Pressionen einen Beschluß in diesem Bundestage herbeizuführen, den wir für außenpolitisch außerordentlich gefährlich halten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zoglmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, für die Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei folgende Erklärung abzugeben.
Die Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei ist bereit, der Vierten Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste vom 14. Dezember 1962 zuzustimmen. Sie bejaht das damit von der NATO empfohlene Embargo für die Lieferung bestimmter Waren.
Die Bundestagsfraktion der FDP ist jedoch der Auffassung, daß durch die Vierte Verordnung die Ausführung schon geschlossener Verträge nicht beeinträchtigt werden darf. Glaubwürdigkeit und Vertragstreue der Bundesrepublik Deutschland lassen
es nicht zu, daß die Ausführung wirksam geschlossener Verträge nachträglich untersagt wird.
Aus diesem Grund allein muß die Bundestagsfraktion der FDP für die Aufhebung der Vierten Verordnung zum Außenwirtschaftsgesetz stimmen, um damit die Ausführung der jetzt zur Diskussion stehenden rechtsgültig abgeschlossenen Verträge über die Lieferung von Gasrohren an die Sowjetunion zu ermöglichen. Die Bundestagsfraktion der Freien Demokraten erwartet, daß die Bundesregierung nach Aufhebung der Vierten Verordnung unverzüglich die für die Ausführung des Embargos notwendigen neuen Rechtsvorschriften in Kraft setzt, damit die Ziele der NATO-Empfehlung nicht gefährdet werden.
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier einige Erklärungen von Herrn Kollegen Deist berichtigen. Er sprach von „NATO-Empfehlungen", die ein Embargo „für die Zukunft" vorgesehen haben. Das ist nicht richtig. Die NATO-Empfehlung bezieht sich ausdrücklich auf alle Anstrengungen, um auch aus laufenden Verträgen Lieferungen zu unterbinden und für die Zukunft keine neuen Verträge dieser Art abzuschließen. Insofern steht diese Aussage nicht lotrecht im Raum.Im übrigen habe ich mir sagen lassen, daß in den Ausschüssen der Text dieser NATO-Vereinbarung — wenn auch nicht genau dem Buchstaben nach, so doch dem Sinne nach — wortgetreu wiedergegeben wurde.
Wenn Sie behaupten, Italien liefere noch auf Grund von Verträgen, dann darf ich Ihnen sagen, daß wir das gleiche getan haben. Wir haben aus den rückliegenden Verträgen, also den bis zum September vorigen Jahres geschlossenen, die rechtsgültig mit zollrechtlichen Genehmigungen versehen sind, auch die Lieferungen nach dem 21. November bis in den Januar dieses Jahres hinein vollziehen lassen. Auch nach der NATO-Empfehlung sind also noch 20 000 t Röhren geliefert worden, weil hier ordnungsgemäße Verträge mit Zollgenehmigungen vorgelegen haben.
Ich darf aber noch auf etwas Weiteres verweisen. Die einschlägigen Verträge sind am 5. Oktober abgeschlossen worden — guten Glaubens —, denn auch rückliegend sind solche Lohnveredelungsverträge abgeschlossen worden, obwohl sie sozusagen nicht gerade die Ultima ratio der handelspolitischen Weisheit darstellen. Trotzdem haben wir sie genehmigt. Die Industrie und die Firmen konnten also darauf vertrauen und durften annehmen, daß sie die
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Bundesminister Dr. Dr. h. c. Erhard Zollgenehmigungen erhalten würden. Ich sage das ausdrücklich deshalb, weil ich Wert darauf lege, daß unsere deutsche Industrie und die großen deutschen Unternehmungen vor der internationalen Öffentlichkeit ihre Glaubwürdigkeit behalten und für die Vertragstreue einstehen.Aber, meine Damen und Herren, am 5. Oktober sind die Verträge geschlossen worden. Normalerweise werden die zollrechtlichen Genehmigungen fünf, sechs, sieben Wochen nach dem Antrag erteilt. Das ist immer so gewesen, und so ist es auch jetzt geschehen. Wir haben uns lange überlegt, ob wir die Zollgenehmigungen erteilen sollen, weil man sagte, die Beschäftigung in der Eisen- und Stahlindustrie lasse es jetzt auch geboten erscheinen, Volllieferungen durchzuführen. Wir haben jedenfalls die zollrechtlichen Genehmigungen nicht bewußt hinausgezogen, sondern wir haben verhandelt und wir haben beraten. Dann kam der NATO-Beschluß vom 21. November. Das war also ungefähr sechs Wochen nach dem Antrag auf Zollgenehmigung. Halten Sie es für vertretbar, daß wir in dem Augenblick, als der einstimmige NATO-Beschluß vorlag, nachher noch die Zollgenehmigung ohne weiteres aussprechen? Das ist meiner Ansicht nach außenpolitisch ein Ding der Unmöglichkeit.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Bundeswirtschaftsminister, trifft es nicht zu, daß tatsächlich diese zollamtliche Genehmigung nach diesen Beschlüssen im Januar erteilt worden ist?
Vor der Erteilung der Zollgenehmigung im Januar lag die Verordnung vom 14. Dezember, verkündet am 18. Dezember.
Und in der Zollgenehmigung ist ausdrücklich auf diese Verordnung vom 14. Dezember verwiesen worden.
Im übrigen ist auch noch etwas nicht richtig, was Sie gesagt haben. Diese Lohnveredelungsverträge sind nicht Bestandteil des Handelsvertrages, sondern sie wickeln sich außerhalb des Handelsvertrages ab. Im Handelsvertrag sind wohl für einen Betrag von 210 Millionen DM Lieferungen von Walzwerkserzeugnissen vorgesehen, darunter auch von Großrohren, aber nicht mit diesem Gewicht, wie es die Lohnveredelungsverträge ausmachen.
Diese Großrohre, die im Rahmen des Lohnveredelungsvertrages zur Auslieferung gelangen, machen
zusammen mit dem Roheisen, das von russischer
Seite geliefert wird, immerhin einen Wert von 180 Millionen DM aus. Wenn Sie das außerhalb des im Handelsvertrag vorgesehenen Kontingents von 210 Millionen DM betrachten, dann kommen Sie doch zu Größenordnungen, die im Interesse unserer Sicherheit — und das ist ja die Grundlage dieses NATO-Beschlusses — ernst zu nehmen sind.
Und, meine Damen und Herren, außenpolitische Überlegungen! Wir alle wissen, daß, aus welchen Gründen auch immer, in den Augen der Welt die innere Festigkeit der NATO etwas getrübt erschien. Sollen jetzt ausgerechnet wir Deutsche, um deren Schutz es in allererster Linie geht, von unserer Seite noch einmal etwas dazu tun, um die innere Geschlossenheit der NATO zu zerstören?
— Sie können die Anliegen, die Sie haben, bei Behandlung des Deutsch-Französischen Vertrages vorbringen. Aber hier stehen wir in einer unmittelbaren Verantwortung vor der ganzen Weltöffentlichkeit und vor allen Dingen vor unseren Verbündeten in der NATO. Ich bin der Meinung, die Bundesrepublik kann es sich aus ihrem vitalsten Interesse unter gar keinen Umständen leisten, etwas zu tun, was gegen einen einstimmigen NATO-Beschluß verstößt
und was im letzten Grunde unsere Sicherheit, unsere Freiheit gefährden müßte.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sache ist doch zu wichtig, als daß man nicht noch etwas näher darauf eingehen müßte. Zunächst zu der Rechtsfrage! Ich habe bereits eingangs meine beiden Vorbehalte gemacht. Ich darf gegenüber einer anderen Meinung, die hier geäußert worden ist, folgendes sagen: Eine Frist, die am 1. Januar beginnt und drei Monate läuft, läuft am 31. März, nicht am 1. April ab. Das kann wohl nicht bestritten werden. Die Frage, die hier zweifelhaft ist — sie wird eingehender geprüft werden —, ist die, ob bei öffentlich-rechtlichen 'Fristen, wenn die Frist an einem Sonntag abliefe, der folgende Montag als Ablauftag gilt. Das ist ein wunderbarer Gegenstand für lange juristische Diskussionen, und wir werden sie ja ohne Zweifel bekommen.Mein wirksameres Argument aber ist der letzte Satz des § 27 des Außenwirtschaftsgesetzes. Ich möchte das nur noch einmal in Erinnerung bringen.Meine Damen und Herren, hier ist der Eindruck erweckt worden, als ob die Bundesregierung, nun, ich sage ganz offen, mit falschen Karten spielen wollte. Es ist der Eindruck erweckt worden, als ob die Bundesregierung etwa nicht den NATO-Beschluß, so wie er lautet, zur Grundlage der Verordnung und ihres Verhaltens in den Ausschüssen gemacht habe.
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3072 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Montag, den 18. März 1963
Bundesminister Dr. SchröderDas ist wirklich eine ganz unnütze Unterstellung. Ich bin es nicht selbst gewesen, es waren Vertreter der Bundesregierung — einmal ist es, glaube ich, Staatssekretär Carstens gewesen —, die den NATO-Bechluß inhaltlich völlig korrekt wiedergegeben haben.
— Ich kann ja schließlich Protokolle lesen!
— O doch, das kommt von Ihrer Seite, Herr Kollege Wehner! Ich habe wirklich sehr gut hingehört bei dem, was Herr Kollege Deist gesagt hat.
— Nein, nein, hier hat man ganz nachdrücklich den Eindruck hervorzuheben versucht, als ob wir einen Beschluß in anderer Weise benutzt hätten. Das werden wir nicht auf uns sitzen lassen, seien Sie sicher!
— Ich sage noch einmal: Der Beschluß ist inhaltlich absolut exakt wiedergegeben.
— Weil ich Protokolle lesen kann!
Der NATO-Beschluß hat zwei Teile und faßt zwei Fälle ins Auge. Das eine ist der Stopp laufender Kontrakte — dies ist übrigens ein Kontrakt, der nicht einmal angefangen hat —, und das andere das Verhindern neuer Kontrakte. Das sind seine beiden Teile, und wenn das wirklich noch irgend einem Zweifel unterliegen sollte, werde ich mich doch bereit erklären, den Herren, die das bezweifeln, unter Verletzung der Geheimhaltungsvorschriften der NATO das auch wirklich zu zeigen.
— Das muß ich mir energisch verbitten, Herr Kollege Wehner. Dieser Angriff hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Bundesregierung ist von Ihrer Seite gekommen. Darauf haben wir das Recht, uns zu verteidigen.
Meine Damen und Herren, hier wird immer mit großem Nachdruck gesagt, Eingriffe in schwebende Verträge seien nicht nur unerwünscht — darüber sind wir alle einer Meinung —, sondern seien gesetzlich ausgeschlossen. Ich darf Sie vielleicht an § 2 des Außenwirtschaftsgesetzes erinnern und Ihnen folgenden Satz vorlesen:Beschränkungen dürfen abgeschlossene Verträge nur berühren, wenn der angestrebte Zweck erheblich gefährdet wird.Meine Damen und Herren, Sie werden uns hoffentlich zubilligen, daß wir uns das sehr genau überlegt haben. Glauben Sie nicht, daß wir Freunde von Auseinandersetzungen sind, wie sie sich heute hier in dem Hohen Hause ereignen! Das geht ganz gegen die Grundlinie, die die Bundesregierung verfolgt. Wir würden es sehr gern sehen, wenn wir in dieser Sache, die eine Sache der Verteidigung ist, eine möglichst übereinstimmende Auffassung haben könnten. — Ja, Herr Kollege Deist, wenn Sie das mit der Verteidigung bezweifeln, dann darf ich Sie darauf hinweisen, daß das ein einstimmiger NATO-Beschluß ist, also ein Beschluß des Gremiums, das für die Verteidigung zuständig ist.
Wenn es sich wirklich nur darum handelte — bitte nehmen Sie das sehr ernst, was ich jetzt sage —, daß hier noch ein gewisser Lieferposten fertig stünde und abgeliefert werden sollte, wenn also hier eine ganze Menge von Röhren fertiggestellt wären in einem bescheideneren Umfang, dann würden wir nicht einen Augenblick zögern. Herr Kollege Erhard hat Ihnen ja gesagt, daß ein Posten von 20 000 t Rohren, der nicht ganz ausgeliefert ist, sogar in dem kritischen Stadium — —
— Es war in einem kritischen Stadium. Es war — Herr Kollege Mommer, damit Sie sich nicht täuschen — vor Erlaß der Verordnung, also in einem Übergangsstadium, in dem Sie sagen können: Hier könnte man noch einen Restposten erledigen. Da ist also jedes Entgegenkommen gezeigt worden.Ich sage übrigens ganz offen im Gegensatz zu manchen, die das nicht so auszusprechen wagen: Ich bin hier mit meinem Herzen absolut bei der Eisen- und Stahlindustrie, ich bin mit meinem Herzen bei einer Vollbeschäftigung der deutschen Industrie, ich bin mit meinem Herzen bei der vollen Ausnutzung unserer Kapazitäten. Das wage ich ganz offen zu sagen. Hier wird so getan, als ob man das nicht sagen könnte. Ich sage das. Aber ich habe hier zu wählen zwischen den Interessen der auswärtigen Politik und den Interessen der Wirtschaft, Gott sei Dank nur in einem begrenzten Umfang. Da wähle ich die auswärtige Politik.
Meine Damen und Herren, da das doch immerhin auch für Sie der springende Punkt sein wird — ich argumentiere in einem Sinne, daß wir uns in der Sache nicht weiter verärgern, sondern daß wir uns in der Sache zusammenfinden können —, möchte ich Ihnen die Größenordnung darstellen. Dafür muß man einmal die Zahlen hören, selbst wenn Zahlen langweilig sind. Im Jahre 1959 sind aus Deutschland 159 000 t Großrohre dieser Art in die Sowjetunion geliefert worden, 1960 180 000 t, 1901 weniger, nämlich 110 000 t, 1962 220 000 t, davon waren 10 000 t Liefergeschäfte und 210 000 t fielen unter einen ganz neuen Begriff, nämlich den der Lohnveredlungsgeschäfte. Nun, um was handelt es sich jetzt noch? Jetzt handelt es sich bei den drei Verträgen,
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Bundesminister Dr. Schröderdie aus dem Oktober stammen, insgesamt um 163 000 t, also, wie Sie mit einem Blick sehen, um eine ganze durchschnittliche Jahreslieferung, um eine Lieferung, die in ihrer Größenordnung zwischen 600 und 700 km Rohrleitung darstellt, einen Punkt also, von dem wir wissen, daß er tatsächlich — das haben sehr viele Sachverständige festgestellt — relevant ist in der Auseinandersetzung mit der Sowjetunion.Nun, meine Damen und Herren — was soll man sagen? Ist nicht eines völlig klar: Wenn die Bundesregierung sich entschließen würde oder sollte genötigt werden können, die 163 000 t zu genehmigen, dann bedeutet das, daß das Embargo praktisch unwirksam ist, daß das ganze Jahr 1963 hindurch Röhren, die überhaupt noch nicht hergestellt sind, sondern die überhaupt erst hergestellt würden, geliefert werden, und die natürlich die Embargomauer absolut zum Einsturz bringen und beseitigen würden. Das ist doch der Punkt. Meine Damen und Herren, man kann nicht — das sage ich Ihnen in aller Aufrichtigkeit — mit gutem Gewissen sagen: Für das Embargo — dafür sind wir; aber wir sind auch dafür, daß das ganze Jahr 1963 Röhren geliefert werden. Das geht eben nicht.
Das geht eben nicht!
Meine Damen und Herren, uns ist die Vertrauenswürdigkeit der deutschen Wirtschaft bestimmt ein gemeinsames Anliegen hier. Darüber braucht gar nicht des längeren gesprochen zu werden. Wir sind stolz auf die Vertrauenswürdigkeit und auf die Vertragstreue der deutschen Firmen. Hier aber wird gehandelt in einem Rahmen, der unseren Vertragspartnern durchaus bekannt ist als jener öffentlichrechtliche Rahmen, in dem es möglich ist, daß Beschränkungen eintreten. Die Sowjetunion weiß ganz genau, daß sie im Interesse des Röhrenbezugs hier einen Weg gegangen ist, der außerhalb des deutschsowjetischen Abkommens liegt. Das Lohnveredelungsgeschäft ist kein Bestandteil dieses Abkommens. Die Sowjetunion hat keine große Röhrenkapazität, sie hat aber eine sehr große ungenutzte Roheisenkapazität, und ich kann sagen, Herr Kollege Deist — damit die Sache ganz klar ist —: sie hat eben nicht die Möglichkeit, alles Roheisen, das sie herstellt, in Röhren zu verwandeln, sonst würde sie nicht nach draußen gehen, und sie hat deshalb ein Veredelungsgeschäft gemacht. Alles, worum es sich hier handelt, sind keine klaren Liefergeschäfte aus dem Vertrage, sondern es +sind Veredelungsgeschäfte. Die unterlagen einer besonderen Genehmigung; diese Genehmigungsbedürftigkeit machte das Geschäft unvollkommen, und in dieses unvollkommene Stadium ist die Verordnung hineingetroffen.Nun, meine Damen und Herren, ich gebe zu, hier hat sich die Bürokratie eine Sache geleistet, die einen Politiker im Grunde ein bißchen amüsiert. Das ist aber gerade falsch aufgefaßt oder falsch dargestellt worden. Dieser sogenannte Zollbescheid vom 8. Januar, den ich für völlig unnütz halte, war eine Sache, wo mit der linken Hand angeblich etwasgegeben wurde, was mit der rechten Hand um so energischer weggenommen wurde. Ich will Ihnen das einmal vorlesen. Ich sage noch einmal: das sind solche Bürokratenkunststücke, die ich selber gar nicht liebe, die aber vorkommen, weil die Leute, die sie machen, sich für ganz besonders intelligent halten, weil sie meinen, eine Sache damit zunächst einmal losgeworden zu sein. Dieser Bescheid heißt folgendermaßen:Die Ausfuhr in Länder des Ostblocks ist auf Grund der Vierten Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste genehmigungspflichtig. Die mit der Bewilligung des Lohnveredelungsverkehrs— die gerade vorgenommen wurde —verbundene Abgabevergünstigung kann deshalb praktisch nur wirksam werden, wennn entsprechende Ausfuhrgenehmigungen erteilt werden.
Der Mann, der diesen Bescheid verfaßt hat, glaubte natürlich etwas sehr Gutes und Richtiges zu tun.
— Herr Kollege Wehner, bringen Sie bitte keine falschen Argumente in die Sache hinein.
Der Bescheid lautet, wie ich ihn vorgelesen habe, und Sie werden mir zustimmen, daß man das doch nicht als einen Genehmigungsbescheid für ein anderes Geschäft ansehen kann.
Meine Damen und Herren, das ist der Tatbestand. Der springende Punkt in der Sache sind zwei Dinge: erstens ein ganz klarer NATO-Beschluß, darauf eine ganz klare Regierungsverordnung, und jetzt eine ganz klare Haltung hier in dem Hohen Hause. Die Freien Demokraten sagen es, die CDU sagt es, Sie sagen es: das Embargo soll wirksam sein. Wenn es wirksam sein soll, dann durchstoßen Sie es nicht mit einer Jahreslieferung, wie ich das gerade ausgeführt habe.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Brentano.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich nur noch einmal gemeldet, weil ich einige Irrtümer in der Darstellung des Herrn Kollegen Dr. Deist richtigstellen wollte. Ich wollte zunächst richtigstellen, daß es sich nicht — Herr Bundesminister Erhard hat das schon in einem Nebensatz gesagt — um eine Lieferung handelt, die im Rahmen .des deutsch-russischen Abkommens erfolgt. Es handelt sich nicht um Kontingente, die in diesem Abkommen festgelegt sind.
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3074 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Montag, den 18. März 1963
Dr. von BrentanoDiese Kontingente laufen nebenher. Es handelt sich um ein Abkommen, das außerhalb dieses deutschrussischen Abkommens im Lohnveredelungsverkehr getroffen worden ist.Zum zweiten! Herr Kollege Dr. Deist sagte, beim Abschluß des deutsch-russischen Vertrages hättte man wissen müssen, daß Lieferungen dieser Art nicht zulässig sind. Ich glaube, Sie überfordern doch die zuständigen Stellen. Sie sagen: Man hätte wissen müssen! Wir stellen fest, daß man in der NATO bei pflichtgemäßer Prüfung der militärpolitischen Lage jetzt zu einem Ergebnis gekommen ist. Da scheint es mir müßig, zu sagen, man hätte das vor drei Jahren schon wissen müssen. Daß man es vor drei Jahren nicht verboten hat, ist ein Zeichen dafür, daß man mit Verboten sehr vorsichtig vorgehen will.Herr Kollege Dr. Deist hat weiter — darauf ist Herr Minister Schröder schon eingegangen — darauf hingewiesen, daß die Verträge genehmigt worden seien. Ich lege besonderen Wert darauf, festzustellen, daß die zollamtliche Genehmigung mit dem ausdrücklichen Vorbehalt versehen war, daß inzwischen die Vierte Verordnung in Kraft getreten sei und daß deswegen diese Ausfuhrgenehmigungen zusätzlich erteilt werden müssen. Es kann sich also niemand darauf berufen, daß seine Verträge durch die erforderliche Genehmigung wirksam geworden seien.
Herr Kollege Deist hat dann — ähnliches hat Herr Kollege Zoglmann in der Erklärung gesagt, die er für seine Fraktion abgegeben hat — auf die Glaubwürdigkeit und die Vertragstreue der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft hingewiesen. Ich muß noch einmal sagen — ich sage das in aller Klarheit —: es handelt sich hier nicht nur um die Vertragstreue und die Glaubwürdigkeit im handelspolitischen Verkehr, es handelt sich um die Vertragstreue und die Glaubwürdigkeit im weltpolitischen Geschehen.
Wir stehen hier als Partner der NATO im Wort. Selbst wenn Ihre Ausführungen, Herr Kollege Dr. Deist, zutreffend sein sollten — ich darf Ihnen sagen: sie sind es nicht —, Großbritannien habe geliefert — was Sie da sagen, beruht auf einer falschen Information —, selbst wenn zutreffend sein sollte, daß ein anderer Vertragspartner der NATO gegen die NATO-Vereinbarung verstoßen hätte: wäre das ein hinreichendes Argument, daß auch die Bundesregierung das gleiche tut?
Sie haben dann, Herr Kollege — und das hat mich ein wenig bestürzt —, von einer Tragikomödie gesprochen. Ich finde nicht, daß irgend etwas hier komisch ist. Man könnte in dieser Diskussion von einer Tragik sprechen. Aber eines möchte ich doch zu Ihren Ausführungen sagen. Sie haben sich Sorgen darüber gemacht, ob es uns gelingt, die Vereinigten Staaten von dem Inhalt und der Bedeutung des deutsch-französischen Abkommens zu überzeugen. Ich werde, wie Sie wissen, morgen nachWashington fliegen. Ich habe keinen Zweifel, daß es mir gelingt, unsere amerikanischen Partner davon zu überzeugen, daß dieses Abkommen nicht abgeschlossen worden ist, um die NATO zu schwächen, sondern allenfalls, um die NATO zu stärken.
Aber ich habe auch keinen Zweifel, daß es mir nicht gelingen wird, unsere amerikanischen Partner morgen etwa davon zu überzeugen, daß der vorliegende Beschluß des Bundestages gefaßt worden sei, um die NATO zu stärken.
Ehe ich das Wort weitergebe, möchte ich im Hinblick auf eine zweite Bemerkung des Herrn Bundesaußenministers darauf hinweisen, daß der Präsident dieses Hauses bei der Fristenberechnung den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches, insbesondere dem § 187 Abs. 1 in Verbindung mit § 186 unterworfen ist. Danach läuft die Frist für diese Sache ab am 18. März, 24 Uhr.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wittrock.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Hinweis des Herrn Präsidenten enthebt mich der Aufgabe, zu der von dem Herrn Bundesaußenminister aufgeworfene Frage der Fristberechnung Ausführungen zu machen.Aber die wiederholten Ausführungen des Herrn Bundesaußenministers zu § 27 Abs. 2 des Außenwirtschaftsgesetzes müssen von dieser Stelle aus zurückgewiesen werden.
— Das will ich Ihnen gleich sagen; seien Sie nicht so ungeduldig! Meine Damen und Herren, es wäre zu erwarten gewesen, daß Herr Bundesminister Schröder sich die Aufgabe, den Rechtsstandpunkt, den er hier vertreten hat, zu begründen, nicht so leicht gemacht hätte. Wir hätten es nämlich begrüßt, wenn der Herr Bundesaußenminister hierzu einige nähere Ausführungen gemacht hätte. Das hat er unterlassen. Das hat er ganz einfach deshalb unterlassen, weil er den von ihm vertretenen Standpunkt auf § 27 Abs. 2 des Außenwirtschaftsgesetzes gar nicht stützen kann.Er hat sich auf den letzten Satz dieses § 27 Abs. 2 berufen, wonach Satz 3 keine Anwendung findet. Dieser Satz 3 lautet wie folgt:Die Rechtsverordnungen sind unverzüglich aufzuheben, soweit es der Bundestag binnen drei Monaten nach ihrer Verkündung verlangt.Das heißt: Der Bundestag äußert das Verlangen, und die Bundesregierung hat die Verordnungen auf Grund dieses Verlangens aufzuheben. Was der Herr Bundesaußenminister vorgetragen hat, hat inhaltlich keine andere Bedeutung als die: Der Bundesaußenminister ist der Aufassung, der Bundestag ist überhaupt nicht legitimiert, das zu verlangen; wenn er es dennoch tut, ist die Bundesregierung nicht verpflichtet, diesem Verlangen Folge zu leisten.
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WittrockWenn der Bundesaußenminister eine so weitgehende Auffassung vertritt, dann liegt darin der Keim für einen möglichen Konflikt zwischen Parlament und Regierung, und es wäre die Pflicht des Sprechers der Bundesregierung gewesen, im Hinblick auf diesen mindestens im Keim möglicherweise drohenden Konflikt seine Auffassung etwas näher zu begründen.
— Das kommt jetzt; seien Sie nicht so ungeduldig!Meine Damen und Herren, diesen letzten Satz, auf den sich der Bundesaußenminister beruft, muß man einmal etwas auflösen. Er enthält zwei Alternativen. Die erste Alternative ist die folgende:Satz 3— d. h. also, daß der Bundestag das Verlangen äußern kann —findet keine Anwendung auf Rechtsverordnungen, durch welche die Bundesregierung in Erfüllung von Verpflichtungen aus ratifizierten Vereinbarungen Beschränkungen des Warenverkehrs angeordnet hat.Meine Damen und Herren, Verpflichtungen aus ratifizierten Vereinbarungen! Die ratifizierte Vereinbarung, um die es sich hier handelt, ist nicht die mehrfach erwähnte Empfehlung des NATO-Rates; denn die ist mindestens den meisten Mitgliedern überhaupt gar nicht bekannt.
— Ja, gut, daß Sie das sagen, Herr Kollege Schmidt. Der Bündnisvertrag kann nur der NATO-Vertrag sein, und dieser enthält keine unmittelbare Verpflichtung, auf die sich die Bundesregierung bei der Anordnung einer Beschränkung des Warenverkehrs berufen kann.
— Das ist die zweite Alternative, Herr Kollege Löhr, dazu kommen wir gleich. — Jedenfalls räumen Sie damit ein, daß die eben hier von mir dargelegte Alternative, die aus dieser Bestimmung zu entnehmen ist, hier keine Anwendung findet.
Das möchte ich ausdrücklich feststellen.
— Natürlich tue ich das.Jetzt die zweite Alternative. Nach Satz 3 kann der Bundestag das Verlangen erheben, daß keine Anwendung auf Rechtsverordnungen stattfindet, durch welche die Bundesregierung in Wahrnehmung von Rechten aus ratifizierten Vereinbarungen Beschränkungen des Warenverkehrs angeordnet hat. Meine Damen und Herren, der Bundesaußenminister hat hier nicht vorgetragen, um welche Rechte aus ratifizierten Vereinbarungen es sich handelt, welche die Bundesregierung bei der Anordnung einer Beschränkung des Warenverkehrs geltend macht. DerBundesaußenminister ist sowohl zu der ersten Alternative dieses letzten Absatzes
— und wenn Sie noch so ungeduldig sind — wie auch zu der zweiten Alternative jede Begründung für die Untermauerung des Rechtsstandpunktes der Bundesregierung schuldig geblieben. Ich komme deshalb zu der Feststellung,
daß das, was der Bundesaußenminister hier vorgetragen hat, keine Rechtsansicht ist, sondern das ist nichts anderes als der Versuch, das Parlament zu bluffen; nichts anderes ist das.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bading.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Ihre Aufmerksamkeit noch für ein paar Minuten in Anspruch nehmen muß. Ich sehe mich veranlaßt, hier eine Bemerkung zu den Ausführungen des Herrn Bundesaußenministers zu machen.
Es handelt sich um die Frage, ob die Ausschüsse richtig über den tatsächlichen Inhalt des NATO-Beschlusses informiert worden sind. Der Herr Außenminister hat gesagt, er sei zwar nicht vorgelegt, aber von den Vertretern der Ministerien richtig wiedergegeben worden. Ich weiß nicht, wie der Herr Außenminister das so ganz genau weiß, und ich weiß auch nicht, wie es möglich ist, daß er seine Weisheit aus einem Protokoll, wie er sagte, bezogen hat. Ein Protokoll über die letzte Sitzung des Außenhandelsausschusses ist überhaupt noch nicht erschienen.
Wir haben mit Absicht — —
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr Dr. Löhr.
Herr Kollege Bading, sind Sie nicht der Meinung, daß der Herr Bundesminister des Auswärtigen seinen Staatssekretär Lahr konsultiert hat, der ja der letzten Außenhandelsausschußsitzung beigewohnt hat?
Selbstverständlich wird er ihn konsultiert haben. Herr Staatsekretär Lahr wird seinem Minister wahrscheinlich einen Bericht erstattet haben. Ich habe gar keinen Grund, an der Glaubwürdigkeit von Herrn Staatssekretär Lahr zu zweifeln; dazu kenne ich ihn schon viel zu lange. Aber man kann nicht sagen: „Ich habe das im Protokoll gelesen", wenn es sich auf einen Bericht eines
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3076 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Montag, den 18. März 1963
BadingStaatssekretärs bezieht. So etwas soll man nicht sagen.
Man soll hier überhaupt nicht so leichtfertig sein und so tun, als ob wir- es uns in den Ausschüssen leicht gemacht hätten.Hier sind Zahlen genannt worden, über die in den Ausschüssen stundenlang diskutiert worden ist. Die sind einfach nicht richtig.
— Wir haben Konsequenzen daraus gezogen, -nur andere als Sie, Herr Majonica. Und wenn Sie behaupten, daß nur Ihre Konsequenzen immer die richtigen seien, dann liegen Sie halt schief.
Es ist hier gesagt worden — um nur eine Zahl zu nennen —, die Rohre, die geliefert werden, dienten zu einer Leitung in Länge von 700 km.
— Nein, 6- bis 700 km. Das ist nicht richtig. Die ursprüngliche Länge, die kontrahiert worden ist, war etwa 700 km. Da sie aber um 40 000 t gekürzt worden ist, kann man sich nach Adam Riese ausrechnen, wieviel es weniger ist.
— Selbstverständlich, meine Herren! Ich könnte Ihnen noch viel mehr sagen!
Auch über die Frage, wozu diese Röhren dienen, ist im Ausschuß sehr ausführlich gesprochen worden: ob es sich um Rohrleitungen handelt, die von Osten nach Westen oder von Süden nach Norden führen.
— Das ist ein ganz großer Unterschied, denn im letzteren Falle fallen die ganzen strategischen Bedenken etwas hinten ab.Ich will nichts weiter, als hier zum Ausdruck bringen: Die Ansichten, die hier von den Herren Ministern und von den Sprechern, von Herrn von Brentano z. B. — die so tun, als ob einzig und allein bei ihnen die große Verantwortung verankert ist — geäußert worden sind, darf man einfach nicht so im Raume stehen lassen. Wir haben uns sehr viel Gedanken gemacht, und wir sind uns auch vollkommen darüber klar, daß wir uns in der NATO solidarisch verhalten müssen.
Das geht gar nicht anders. Aber es gibt auch noch andere Grundsätze, die gewahrt werden müssen. Es gibt den Grundsatz von Treu und Glauben.
Wer in der Wirtschaft steht, wird diesen Grundsatz von Treu und Glauben als eine der wichtigsten Grundlagen
auch im politischen Leben ansehen müssen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Hinweis auf das Bürgerliche Gesetzbuch, zu dem möglicherweise im öffentlichen Recht eine Analogie gezogen werden kann — eine schwierige und nicht unstreitige Frage —, kann mich nicht bewegen, von meiner Argumentation abzugehen, daß nach meiner Auffassung die Frist am 17. abgelaufen ist. Wenn das streitig bleibt, gibt es in Deutschland eine Stelle, die das entscheidet: die Gerichte.
— Meine Damen und Herren, es tut mir leid, daß ich mich heute mit Jurisprudenz befassen muß; aber in dieser Auseinandersetzung werden wir vielleicht nicht ohne Jurisprudenz auskommen.
— Nein, Herr Kollege Schäfer, das muß ich energisch zurückweisen, in Deutschland entscheiden die Gerichte. Sie haben gerade den Zwischenruf gemacht: „Sie können machen, was Sie wollen". Das ist eine sehr unfreundliche Unterstellung. Herr Kollege Schäfer, wir leben in einem Land, in dem die Herrschaft des Rechts und schließlich der Vollzug des Rechts durch die Gerichte gilt. Das gilt für uns alle.
Das bezieht sich natürlich auch auf die Auslegung des § 27. Ich habe mit großem Vergnügen Herrn Kollegen Wittrock — man hat immer ein gewisses fachmännisches Vergnügen, wenn es zu einer Unterhaltung unter Juristen kommt — zugehört. Die Sache war für Sie überraschend, und Sie haben die Sache interpretiert. Ich bin anderer Auffassung, und Sie werden sich erinnern, daß ich eingangs der Sitzung dieses Argument nur gebraucht habe, damit nicht der Bundesregierung in einem späteren Stadium vorgeworfen wird, sie hätte nicht alle rechtlichen Argumente in diese Debatte hineingebracht. Das ist jetzt geschehen. Wer in diesem Punkte recht hat, wird — wenn wir uns darüber verständigen können — wiederum nur eine Stelle in Deutschland entscheiden können: die Gerichte. Aber das gilt, wie ich schon sagte, für uns alle, und der Hinweis auf die Gerichte — Herr Kollege Wittrock, das werden Sie mir sicherlich zugeben — ist kein Versuch zu bluffen, sondern ist ein Hinweis auf die Stelle, die letztlich endgültig Recht schafft. Mehr kann man nicht tun.
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Bundesminister Dr. SchröderNun ist bezweifelt worden, daß meine Behauptung, die Sache sei in den Ausschüssen so und nicht anders wiedergegeben worden, richtig sei. Ich verfüge über die Aussage von zwei der Beteiligten, die ihre Auszeichnungen darüber kennen ; das ist Herr Krautwig und das ist Staatssekretär Lahr. Das eine war ein Unterausschuß des Auswärtigen Ausschusses und das andere war ein Außenhandelsausschuß; der eine tagte am 19. Februar und der letztgenannte am 14. März. Herr Lahr hat mir soeben noch einmal angestrichen, was er vorgetragen hat, und es trifft absolut zu, daß bis auf eine Einleitungsfloskel und bis auf einen Schluß das Materielle richtig wiedergegeben worden ist. Ich sage es jetzt noch einmal, um die Sache endgültig zu klären, daß der Beschluß dahin geht, laufende Verträge, existierende Verträge zu stoppen und neue Verträge zu verhindern. Das ist der Inhalt des NATO-Beschlusses.Nun noch ein letztes Wort. Meine Damen und Herren, hier wird wieder und wieder gesagt — ich begrüße das —, daß man für das Embargo sei. Wer für das Embargo ist — ich sage es noch einmal —, der kann es nicht zunächst auf Jahresfrist und damit im Effekt endgültig durchstoßen.
Keine weiteren Wortmeldungen.
Wir kommen zur Abstimmung. Zur Abstimmung steht der Antrag des Ausschusses auf Drucksache IV/1071. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das Präsidium ist im Zweifel; ich muß die Abstimmung wiederholen. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Keine Einigung im Präsidium; wir stimmen im Hammelsprung ab. —
Meine Damen und Herren, ich werde gefragt, ob die Berliner Mitglieder des Hauses Stimmrecht haben. Ich bedaure, darauf aufmerksam machen zu müssen, daß sie in dieser Sache kein Stimmrecht haben. Meine Damen und Herren, ich bitte die Türen zu schließen.
Ehe ich das Ergebnis der Auszählung bekanntgeben kann, mache ich darauf aufmerksam, daß — so leid es mir tut — die Berliner Mitglieder des
Hauses in dieser Abstimmung nicht stimmberechtigt sind. Es wird mir gesagt, daß einige Berliner Mitglieder mitgestimmt hätten. Stimmt das?
— Gut, ich werde nachher noch die Schriftführer, die die Auszählung durchgeführt haben, befragen.
— Was ist denn, meine Damen und Herren? — Ich bitte, die Türen geschlossen zu lassen.
Wer sich nicht an der Abstimmung beteiligen will, muß so lange warten, bis der Bundestagspräsident das Ergebnis mitgeteilt hat.
Meine Damen und Herren, die Abstimmung in Gestalt der Auszählung hat ergeben: für den Antrag des Ausschusses haben gestimmt 244 stimmberechtigte Mitglieder des Hauses, ein Mitglied mit nein.
Es haben sich also 245 Mitglieder des Hauses an der Abstimmung beteiligt. Das Quorum für die Beschlußfähigkeit sind 250 Stimmen. Das heißt, das Haus ist nicht beschlußfähig.
Sie können die Türen öffnen. Aber der Präsident des Hauses sieht sich nach der Geschäftsordnung gezwungen, die Sitzung aufzuheben.
— Herr Kollege Schmid, ich könnte natürlich die nächste Sitzung für eine Viertelstunde später einberufen. Ich fürchte nur, daß das Ergebnis genau das gleiche wäre. Hier liegt ein politischer Akt vor, der einer Willenskundgebung gleichkommt. Das ist nicht eine zufällige Beschlußunfähigkeit des Hauses. Aber ich gebe anheim, den Antrag zu stellen. Auf jeden Fall hebe ich die Sitzung auf und berufe unverzüglich den Ältestenrat ein.