Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren,
wir gedenken unseres Kollegen Richard Reitzner, der am 11. Mai verstorben ist. Mit ihm verläßt uns einer aus 'dem Kreise derer, die von Anfang an die politische Verantwortung im Deutschen Bundestag getragen haben.Richard Reitzner ward am 19. August 1893 in Einsiedel bei Marienbad im Sudetenland geboren. Er besuchte die Lehrerbildungsanstalt in Hollabrunn in Niederösterreich und war lange Jahre als Lehrer tätig. Am 1. Weltkrieg nahm er als Offizier der österreichischen Armee teil. 1920 trat er der Deutschen Sozialdemokratischen Partei in der Tschechoslowakei bei und wurde dort führend tätig. Er bekleidete in der Bezirks- und Gemeindeverwaltung verantwortungsvolle Ämter.1938 mußte er als Gegner des Nationalsozialismus seine Heimat verlassen. Er lebte in England und leitete dort die Flüchtlingsfürsorge der Sudetendeutschen in London. Nach dem 2. Weltkrieg widmete er sich in Bayern dem politischen Wiederaufbau. Sein Wirken galt vor allem den Nöten der Vertriebenen und der Flüchtlinge. 1947 und 1948 war er Stellvertretender Staatssekretär für das Flüchtlingswesen in Bayern. Er bekleidete 1948 unid 1949 das Amt des Stellvertretenden Landesvorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Bayern. Er war Geschäftsführender Vorsitzender der Seliger-Gemeinde und Präsidiumsmitglied des Sudetendeutschen Rates. Hier im Hause war er führendes Mitglied des Ausschusses für Heimatvertriebene und des Ausschusses für Kulturpolitik und Publizistik.Ich spreche den Hinterbliebenen unid der durch diesen Verlust betroffenen Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands die Anteilnahme des Hauses aus. Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von den Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen. —Für den verstorbenen Abgeordneten Finckh ist der Abgeordnete D. Hahn am 9. Mai1962 in den Bundestag eingetreten. Ich begrüße den Kollegen in unserer Mitte und wünsche ihm eine gedeihliche Zusammenarbeit.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird die Tagesordnung erweitert um dieErste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Rutschke, Ramms, Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Keller, Opitz, Murr, Ollesch und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes — Drucksache IV/ 404 —als Punkt 8 b) der Tagesordnung;Erste Beratung des von ,der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung ,des Spar-Prämiengesetzes —Drucksache IV/ 407 —als Punkt 6 b) der Tagesordnung;Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Milch- und Fettgesetzes — Drucksache IV/ 408 —als Punkt 9 b) der Tagesordnung. Ich höre keinen Widerspruch; das Haus ist einverstanden.Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 11. Mai 1962 beschlossen, zu den nachstehenden Gesetzen einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen:Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1962 ,Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP- Sondervermögens für das Rechnungsjahr 1962 .ZumHaushaltsgesetz 1962hat der Bundesrat eine Entschließung angenommen, die als Anlage 2 dem Sitzungsprotokoll beigefügt ist.Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 111. Mai 1962 gemäß § 77 Abs. 5 des Zollgesetzes beschlossen, gegen die Neunte Verordnung zur Änderung dse Deutschen Zolltarifs 1962 — Drucksache IV/ 361 — keine Bedenken zu erheben. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/ 401 verteilt.Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat am 10. Mai 1962 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 12. Juni 1959 das Energie-Gutachten der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute e. V. vorgelegt. Es ist als Drucksache IV/ 394 verteilt.Der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 8. Mai 1962 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. EWG-Getreidemarktordnung — Drucksache IV/ 332 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/ 400 verteilt.Der Herr Präsident des Bundesrechnungshofes hat unter dem11. Mai 1962 ein Gutachten über die Organisation und Wirt-
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1246 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962
Vizepräsident Dr. Dehlerschaftlichkeit des Bundesministeriums für Verkehr erstattet, das im Archiv zur Einsichtnahme ausliegt.Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 den Entwurf einer Verordnung zur Durchführung einer Erhebung über die Löhne in gewissen Industriezweigen in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft — Drucksache IV/ 398 — dem Ausschuß für Arbeit mit der Bitte um Berichterstattung an das Plenum bis Ende Mai überwiesen.Wir kommen zum ersten Punkt der Tagesordnung:Fragestunde .Ich rufe zunächst eine Frage auf, die den Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen berührt. Die Frage X/7 — deis Herrn Abgeordneten Peiter —:Welcher Auffassung ist das Bundesgesundheitsministerium hinsichtlich der Anwendung von Richtzahlen bei der Prüfung der Angemessenheit ärztlicher Verordnungen bei Mitgliedern von Pflicht- und Ersatzkassen und der daraus resultierenden Regreßpflicht der Ärzte?wird vom Herrn Bundesarbeitsminister beantwortet. — Bitte.
Die Prüfung der ärztlichen Behandlungs- und Verordnungsweise ist für die zugelassenen Kassenärzte in § 368 n Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung und dem Bundesmantelvertrag zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Bundesverbänden der Krankenkassen, für die Ersatzkassenärzte in den entsprechenden Verträgen geregelt. Die kassenärztliche Versorgung, zu der außer ärztlichen Maßnahmen auch die Verordnung von Arzneien gehört, muß ausreichend und zweckmäßig sein. Leistungen, die für die Erzielung des Heilerfolges nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, darf der Arzt nicht bewirken oder verordnen . Die Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Versorgung überwachen die kassenärztlichen Vereinigungen durch Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse; gegen die Entscheidungen der Beschwerdeausschüsse ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben. Die Gerichte haben hierzu folgende Grundsätze entwikkelt:
1. Wenn die Prüfung der einzelnen ärztlichen Maßnahmen nicht oder nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten oder Aufwendungen möglich ist, können als Maßstab für die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise eines Arztes auch Durchschnittswerte dienen, die aus den von anderen Ärzten abgerechneten Leistungen oder verordneten Arzneimitteln errechnet sind. Dies sind die sogenannten Prüfrichtzahlen.
2. Eine schematische Anwendung der Durchschnittswerte ist unzulässig. Außer den Prüfrichtzahlen sind die besonderen Verhältnisse der zu prüfenden Praxis zu berücksichtigen.
3. Die Prüfinstanzen haben in diesen Fällen das Ausmaß der unwirtschaftlichen Behandlungsoder Verordnungsweise pflichtgemäß zu schätzen und entsprechende Honorarabstriche vorzunehmen.
Da die kassenärztlichen Vereinigungen landesunmittelbare Körperschaften sind, habe ich keinen Einfluß darauf, daß sie nach den dargelegten Grundsätzen verfahren.
Eine Zusatzfrage — Bitte sehr.
Herr Minister, sind Sie nicht auch der Auffassung, daß durch diese Regelung die Ärzte in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt sind
Nein, der Auffassung bin ich durchaus nicht Ich bin der Meinung, daß die Leistungen, die dort bewirkt werden, auch im Interesse der Versicherten und der Versicherungseinrichtungen wirtschaftlich gehalten werden müssen.
Keine weiterer Fragen? — Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Wir kommen zu der Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz, Frage I — des Abgeordneten Fritsch —:
Beabsichtigt die Bundesregierung eine Änderung des Gesetze: zur Regelung von Ansprüchen aus Lebens- und Rentenversicherungen in der Fassung vom 15. Juli 1959 mit dem Ziele vorzuschlagen, den Stichtag für die Erfüllung der Wohnsitzvoraus setzengen zu beseitigen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung hat über Maßnahmen zur Beseitigung des Stichtages im Gesetz zur Regelung von Ansprüchen aus Lebens- und Rentenversicherungen noch nicht entschieden. Im Hinblick darauf, daß eine Stichtagsregelung nicht nur in diesem Gesetz, sondern auch in einer Reihe von anderen Gesetzen enthalten ist, sind Besprechungen aller an dieser Frage interessierten Bundesministerien im Gange. Zunächst wird eine umfassende Bestandsaufnahme über die zur Zeit geltende Regelung vorgenommen. Außerdem werden die haushaltsmäßigen und politischen Folgerungen einer etwaigen Aufhebung des Stichtages in allen Gesetzen geprüft. Erst dann wird eine Entscheidung der Bundesregierung möglich sein.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Fritsch.
Herr Staatssekretär, kann derzeit schon gesagt werden, wann mit einer derartigen Gesetzesvorlage gerechnet werden kann?
Ich kann darauf nur antworten, daß der Herr Bundesminister der Justiz persönlich an einer schnellen Erledigung interessiert ist.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Fritsch.
Besteht ein Überblick, in welchem Umfang durch eine Realisierung der Ansprüche Ausgleichsforderungen in etwa entstehen werden?
Gerade diese Frage muß zusammen mit
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Staatssekretär Dr. Straußden anderen Ressorts, insbesondere mit dem Bundesfinanzministerium, noch geprüft werden.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Ich rufe auf die Frage II/ 1 — des Abgeordneten Dr. Mommer —
Kann die Bundesregierung die Voraussetzungen dafür schaffen, daß die heim Verkauf eines kraftfahrzeugsteuerpflichtigen Fahrzeugs nicht verbrauchten Steuern auf die Steuerschuld für ein zum gleichen Zeitpunkt ,gekauftes anderes Fahrzeug angerechnet werden können?
Der Fragesteller wird vertreten vom Abgeordneten Dr. Schäfer. — Bitte, Herr Staatssekretär..
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, während der Geltungszeit des alten Kraftfahrzeugsteuergesetzes — bis Ende 1960 — war es möglich, eine Kraftfahrzeugsteuerkarte bei Veräußerungen von einem Fahrzeug auf ein anderes zu übertragen. Das neue Kraftfahrzeugsteuergesetz brachte, wie Sie wissen, ab 1961 einen Steuerbescheid an den jeweiligen Fahrzeughalter. Gleichzeitig mit dieser Änderung des Typs der Kraftfahrzeugbesteuerung ist auch das Erstattungsverfahren bei der Übertragung von Kraftfahrzeugen geändert worden. Nach dem heutigen Recht bekommt jeder Steuerpflichtige, der einen Kraftwagen abmeldet, ohne ihn auf einen neuen Erwerber zu übertragen, die überschüssige Kraftfahrzeugsteuer ohne Antrag auf den Tag genau ausgezahlt. Wird aber das Kraftfahrzeug abgemeldet und auf einen neuen Steuerpflichtigen überschrieben, so wird aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung auf den Monat abgerundet.
In Verhandlungen mit den Ländern haben wir seinerzeit versucht, auch in diesen Fällen eine Abrechnung auf den Tag zu erreichen. Die Ländersteuerverwaltungen haben gebeten, aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung von einer solchen Abrechnung auf den Tag abzusehen.
Eine Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, würden Sie bitte Ihre Antwort auf den letzten Satz der gestellten Frage ausdehnen, wo es heißt, daß die Verrechnung doch auch möglich sein sollte, wenn der bisherige Steuerschuldner ein neugekauftes Fahrzeug zur Zulassung anmeldet. Das ist der Inhalt der Frage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In diesem Fall tritt nach heutigem Recht kein Schaden ein, Herr Abgeordneter, weil der Steuerschuldner für sein altes Fahrzeug, für das eine neue Steuerkarte auf den neuen Halter ausgestellt wird, die Steuer auf den Tag zurückbekommt.
Eine weitere Frage!
Herr Staatssekretär, sicherlich ist der derzeitige Zustand so, aber halten Sie ihn nicht rein arbeitsmäßig für eine Verschlechterung im Vergleich zu der bisherigen Regelung?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich sehe einen Nachteil darin, daß heute bei einer Veräußerung des Kraftfahrzeugs und Neuanmeldung eines neuen Kraftfahrzeugs auf volle Monatsbeträge abgerundet wird. Das würde nur durch eine Gesetzesänderung geändert werden können.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schäfer!
Die Frage ist nicht beantwortet, Herr Staatssekretär. Ich darf noch einmal bitten, die Frage so, wie sie gestellt ist, zu beantworten. Was Sie beantworten, Herr Staatssekretär, bezieht sich auf andere Tatbestände. Hier handelt es sich um folgendes: Wenn ich ein Fahrzeug abmelde, weil ich ein neues gekauft habe, und dieses anmelde, dann bekomme ich jetzt die Steuer zurückgezahlt und zahle sie dann wieder ein, statt daß sie verrechnet werden kann, wie das bisher möglich war.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das gebe ich Ihnen zu, Herr Abgeordneter; es bedürfte aber einer Gesetzesänderung.
Zusatzfrage? — Herr Abgeordneter Ritzel.
Herr Staatssekretär, die Ursache der Steuerpflicht des Herrn XY ist doch der Besitz eines Kraftfahrzeuges, und es kann doch an sich dem Fiskus egal sein, welches Kraftfahrzeug. Zunächst ist doch zu fragen — das ist meine Frage an Sie —, warum man nicht, wenn nötig durch Gesetzesänderung, einen ganz einfachen Tatbestand schafft, der sich auf den Besitz des Fahrzeugs bezieht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bestätige Ihnen die Richtigkeit Ihrer Grundüberlegung. Ich darf wiederholen, daß das geltende Gesetz leider keine Möglichkeit gibt, in der alten Weise durch Übertragung der Steuerkarte zu verfahren. Mir ist gesagt worden, daß bei Beratung des neuen Kraftfahrzeugsteuergesetzes davon aus rechtstechnischen Gründen abgesehen worden sei, weil ein selbständiger Steuerbescheid für jeden selbständigen Steuerschuldner ausgestellt werden sollte.
Eine weitere Frage?
Ist das so zu verstehen, Herr Staatssekretär, daß die Bundesregierung nicht von sich aus an die Beseitigung dieses unleidlichen Zustands durch einen Vorschlag auf Änderung des geltenden Rechts denkt?
1248 Deutscher Bundestag--- 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das Bundesfinanzministerium würde diesen Vorschlag aufnehmen. Es ist mir allerdings zweifelhaft, ob nur aus diesem Grunde eine Novelle zum Kraftfahrzeugsteuergesetz eingebracht werden sollte.
Die Frage II/2 — des Herrn Abgeordneten Dr. Atzenroth —:
Welche Belastung entsteht für den Bundeshaushalt voraussichtlich in den nächsten Jahren aus dem Spar-Prämiengesetz vom 5. Mai 1959?
soll im Einverständnis mit dem Herrn Fragesteller schriftlich beantwortet werden.
Aus der Drucksache IV/ 399 rufe ich die Frage unter I, Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen — Frage des Abgeordneten Seuffert — auf:
Was hat der Herr Bundesfinanzminister bezüglich der Auflegung der Bundesanleihen, die zum Ausgleich des Haushalts 1962 erforderlich sind, nunmehr vorgesehen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Seuffert, der Bund wird in absehbarer Zeit eine Anleihe begeben. Über den Zeitpunkt und über die Bedingungen und die Höhe dieser Anleihe schweben zur Zeit Besprechungen mit der Deutschen Bundesbank und dem Bundesanleihekonsortium.
Herr Staatssekretär, halten Sie
1) es nicht für zweckmäßig, den Anleihemarkt rechtzeitig und bald über die Anforderungen, die an ihn gestellt werden, und über die Bedingungen zu unterrichten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gerade zu diesem Zweck schweben die Besprechungen mit dem Kapitalmarktausschuß sowie mit der Deutschen Bundesbank.
Noch eine Frage!
Glauben Sie einen Zeitpunkt angeben zu können, zu dem das Ergebnis dieser Besprechungen vorliegen wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Als Zeitpunkt, zu dem das Ergebnis der Besprechungen vorliegt, kann ich die Mitte des nächsten Monats in Aussicht stellen.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft, zunächst zu der Frage III/ 1 — des Abgeordneten Dr. Imle —:
Hat die Bundesregierung in Anbetracht der Überhitzung der Baukonjunktur die Absicht, die Einfuhr von Baufertigteilen weiterhin mit 9 bzw. 11 v. H. Zoll plus 4 v. H. Ausgleichsteuer zu belasten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Zollsituation für Baufertigteile bedarf zunächst einer Klarstellung. Wie bereits am 14. Februar und am 5. April auf entsprechende Anfragen hier mitgeteilt wurde, sind sowohl zerlegbare Holzhäuser als auch Betonfertigteile bei der Einfuhr aus Mitgliedstaaten der EWG seit Beginn dieses Jahres zollfrei. Darüber hinaus bereitet der Bundesfinanzminister auf unseren Antrag hin die Aussetzung des Binnenzollsatzes für Fertighäuser aus Stahl vor.
Die Zollsätze gegenüber Nicht-EWG-Ländern betragen für zerlegbare Holzhäuser 11,2 % und für Betonfertigteile 5,9 %. Diese Zollsätze ergeben sich aus den Bestimmungen des EWG-Vertrages über die Anpassung der nationalen Zollsätze an den Gemeinsamen Zolltarif. Sie können nur dann ermäßigt werden, wenn die entsprechenden Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs der EWG durch Beschluß des Rates ermäßigt oder ausgesetzt werden. Die Bundesregierung hat — wie anläßlich der Fragestunde vom 5. April in Aussicht gestellt wurde — inzwischen einen formellen Antrag an den Rat gerichtet, die Außenzollsätze für zerlegbare Holzhäuser und für Betonfertigteile aus baukonjunkturellen Gründen völlig auszusetzen. Dieser Antrag wird auf einer der nächsten Ratstagungen behandelt werden. Allerdings läßt sich heute noch nicht sagen, ob die nach dem EWG-Vertrag für eine Zollaussetzung erforderliche Einstimmigkeit zustande kommen wird.
Was die Umsatzausgleichsteuer anlangt, ist eine Befreiung von ihr nur für überwiegend einfuhrabhängige Roh- und Hilfsstoffe möglich. Für andere Erzeugnisse, wie z. B. Holzfertighäuser und Betonfertigteile, bedürfte es einer Änderung des Umsatzsteuergesetzes. Hiergegen bestehen jedoch wegen der zu erwartenden Berufungen inländischer Unternehmen hinsichtlich der Umsatzsteuer sowie von Importeuren anderer Waren hinsichtlich der Umsatzausgleichsteuer Bedenken.
Keine Zusatzfrage. Frage III/ 2 — des Herrn Abgeordneten Opitz —
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in enormen Mengen Wandergewerbescheine und Stadterlaubnisscheine beantragt und ausgegeben werden, nur um den privaten Bedarf beim Großhandel zu decken, und daß ganze Ortschaften dadurch für den Einkauf beim legitimen Einzelhandel ausfallen?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wandergewerbescheine und Stadterlaubnisscheine werden infolge Änderung der gesetzlichen Bestimmungen der Gewerbeordnung nicht mehr erteilt; an ihre Stelle ist die Reisegewerbekarte getreten.Daß in einzelnen Fällen die Reisegewerbekarte lediglich dazu benutzt wird, beim unmittelbaren Bezug vom Großhandel entsprechende Rabatte zu erzielen, ist der Bundesregierung schon vorgetragen worden. Dagegen liegen noch keine Berichte darüber vor, daß ganze Ortschaften deshalb für den Einzelhandel ausfallen, weil die Einwohner auf Grund einer Reisegewerbekarte ihre Waren unmittelbar vom Großhandel beziehen.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962 1249
Staatssekretär Dr. WestrickReisegewerbekarten werden auf Grund des § 55 der Gewerbeordnung erteilt. Die Durchführung der Gewerbeordnung obliegt den zuständigen Landesbehörden. Mir ist bekannt, daß in den Ländern ein Antragsformular verwendet wird, in welchem der Bewerber angeben muß, welche gewerbliche Tätigkeit er ausüben will. Ist der Behörde erkennbar, daß er kein Gewerbe betreiben, sondern für den eigenen Bedarf verbilligt einkaufen will, so besteht meiner Ansicht nach keine Grundlage für die Ausstellung einer Reisegewerbekarte. Gerichtliche Entscheidungen, die diese Auslegung der Gewerbeordnung bestätigen, liegen mir noch nicht vor.Mit den zuständigen Landesbehörden sind über einzelne Fälle schon Gespräche geführt worden. Mir ist bekannt, daß z. B. der Berliner Senator für Wirtschaft und Kredit seine nachgeordneten Dienststellen angewiesen hat, die Reisegewerbekarte einzuziehen, wenn sich herausstellt, daß bei der Beantragung falsche Angaben gemacht worden sind.
Zu einer weiteren Frage Herr Abgeordneter Opitz.
Herr Staatssekretär, ist es demnach falsch, wenn sich ein Oberkreisdirektor auf den Standpunkt stellt, daß der Inhaber eines solchen Scheines seine Tätigkeit nicht ausüben muß und vor allen Dingen, daß aus diesem Schein nicht die Verpflichtung herzuleiten ist, die Waren nur zum Zwecke des Wiederverkaufs aufzukaufen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach meiner Meinung ist diese Gewerbekarte, wenn der Betreffende sie nur benutzen will, um seinen privaten Bedarf zu decken, unter falschen Voraussetzungen erteilt worden und sollte daher von den Behörden eingezogen werden.
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß der Einzelhandel einer Gemeinde ausfällt, wenn in einer Gemeinde von 4000 Einwohnern über 1000 dieser Scheine ausgestellt werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin der Meinung, daß das ein sehr großer Prozentsatz ist. Ich wäre dem Herrn Abgeordneten dankbar, wenn er uns einmal diesen Fall darstellte. Dann würden wir die entsprechende Landesregierung bitten, diesem Fall doch einmal nachzugehen.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Frage des Herrn Abgeordneten Ertl zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Präsidenten der EWG, Prof. Dr. Hallstein, wonach im Zuge der Verwirklichung des EWG-Agrarmarktes die Absatzmöglichkeiten für landwirtschaftliche Veredelungsprodukte aus den USA sich wesentlich verbessern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, im Zuge der Wohlstandsentwicklung der letzten Jahre hat der Verbrauch an landwirtschaftlichen Veredelungsprodukten, vor allen Dingen der Verbrauch von Geflügelfleisch in den Ländern der Gemeinschaft, insbesondere in der Bundesrepublik, zugenommen. Die von der Kommission der EWG erstellte Vorausschau über die Erzeugung und den Verbrauch landwirtschaftlicher Veredelungsprodukte kommt zu dem Ergebnis, daß ein Anwachsen der Nachfrage anhalten wird. Die Bundesregierung ist ebenfalls der Auffassung, daß bei den Veredelungserzeugnissen wegen des Bevölkerungswachstums und des steigenden Lebensstandards in allen Ländern der Gemeinschaft eine weitere Verbrauchszunahme zu erwarten ist.
Zweifelsohne wird dabei au ch Raum für Einfuhren aus dritten Ländern bleiben. Inwieweit sich an diesen Einfuhren die Vereinigten Staaten beteiligen werden, ist eine Frage der Konkurrenzfähigkeit. Die Abschöpfungsregelung bei liberalisierten Einfuhren wird gegenüber allen Drittländern in gleicher Weise angewendet.
Keine weitere Frage. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Ich rufe auf die Frage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen:
Ist der Herr Bundesminister bereit zu prüfen, ob — ähnlich wie in den USA — ein Dienst für die öffentliche Meinung eingerichtet werden kann, in welchem der Staatsbürger Parlament und Regierung gegenüber seinem Arger Luft machen und seine Sorgen vortragen kann?
Bitte, Herr Minister!
Herr Abgeordneter, ich vermute, daß Ihre Frage auf Zeitungsmeldungen zurückgeht, nach denen eine private amerikanische Telegraphengesellschaft verbilligte Gebühren für solche Telegramme eingeführt haben soll, in denen sich die Staatsbürger beim Parlament und bei der Regierung beschweren können und ihrem Ärger Luft machen können.In der Telegraphenordnung, in der die Gebühren festgesetzt sind, sind Vergünstigungen für derartige Telegramme nicht vorgesehen. Ich halte eine solche Vergünstigung auch nicht für erforderlich. Jeder Staatsbürger kann in einem gewöhnlichen Brief für 20 Pf seinem Unwillen über Maßnahmen der Regierung und des Parlaments Ausdruck geben und damit rechnen, daß seine Kritik den Empfänger rechtzeitig erreicht. Wer es noch eiliger hat, kann ein Brieftelegramm mit einer Wortgebühr von 5 Pf und ein gewöhnliches Telegramm mit einer Wortgebühr von 15 Pf schicken. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß die Telegrammgebühren in den Vereinigten Staaten etwa zwei- bis dreimal so hoch sind wie bei uns. Der Staatsbürger kann also bei uns seinem Ärger selbst bei der vollen Gebührenleistung um die Hälfte billiger Luft machen als in den Vereinigten Staaten.
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1250 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen zu einer Zusatzfrage!
Darf ich fragen, Herr Minister, ob Sie die preisgünstige Möglichkeit, seinem Arger Luft zu machen, dem Staatsbürger auch in Zukunft offenhalten, indem Sie die Gebühren nicht erhöhen?
Herr Abgeordneter, Sie wissen ganz genau, daß der Bundespostminister, alle meine Vorgänger eingeschlossen, sich seit Jahren erfolgreich bemüht hat, die Gebühren stabil zu halten. Sie wissen aber auch, daß es nicht nur vom guten Willen und von der guten Absicht des Ministers abhängt, sondern daß eine ganze Reihe von Faktoren mit dazu beitragen. Ich möchte Ihnen, den Ball zurückwerfend, sagen: Sie sollten von Ihrer Seite aus gerade als der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen alles tun, damit der Haushalt der Deutschen Bundespost nicht so belastet wird, daß der Bundespostminister nun gezwungen wird, die Gebühren zu verändern.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen!
Herr Minister, halten Sie es für richtig und vertretbar, meine weitere Frage wegen der Gebührenerhöhung hier in dieser Form zu beantworten, statt sich zunächst an die Regierung selbst zu wenden, der Sie angehören?
Herr Abgeordneter, auch meine Bemerkung schließt nicht die ganze Problematik, sondern nur einen Teil ein. Es war aber zu reizvoll, Ihnen diesen Ball zurückzuwerfen.
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Ich rufe auf die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Imle aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung:
Hält die Bundesregierung es für richtig, daß in einzelnen Landschaftsgebieten der Bau von Häusern mit Fertigbauteilen, weil angeblich nicht in die Landschaft passend, untersagt wird?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vorschriften, die sich mit der Eingliederung von baulichen Anlagen in die Landschaft befassen, gehören dem Naturschutzrecht oder dem Baugestaltunsrecht an. Diese Vorschriften sind Landesrecht. Daher steht dem Bund eine unmittelbare Einflußnahme auf diese Vorschriften nicht zu. Nach diesen
Bestimmungen müssen sich die baulichen Anlagen der Umgebung einwandfrei einfügen, und es muß auf die Eigenart des Landschaftsbildes Rücksicht genommen werden.
Nach dieser Rechtslage wird es nicht beanstandet werden können, wenn in Landschaftsschutzgebieten die Errichtung von Fertigbauten dann untersagt wird, wenn diese Bauten nach Form und Gestalt die Land- schaft verunstalten. Damit würde für die Fertigbauten das gleiche gelten, was für die in traditioneller Bauart errichteten Gebäude auch gilt.
Herr Dr. Imle zu einer Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, wenn man davon ausgeht, daß in Frankreich bereits 50 % der Häuser aus Baufertigteilen gefertigt werden, was ja immerhin ein erheblicher Ansatz ist, sollte man dann nicht auch hier bei uns in Deutschland selbst bei Landschaftsschutzgebieten dazu kommen, daß man von sehr engen Bestimmungen abgeht und eine Erleichterung bringt? Denn daß eine solche Fertigbauweise immer landschaftsstörend wirkt, kann ich mir schlecht vorstellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, Herr Abgeordneter, ich bitte meine Antwort auch nicht dahin zu verstehen, daß ich der Meinung sei, die Fertigbauweise als solche verunstalte die Landschaft. Es gibt Fertigbauten, die sich z. B. wegen aufgetragenen Putzes oder wegen vorgesetzter Ziegelsteine von den traditionellen Bauten überhaupt nicht unterscheiden. Ich bin nur der Meinung, daß für dein Fertigbau das gleiche gelten muß wie für den traditionellen Bau. Er ist nicht als solcher verunstaltend, aber er kann unter Umständen nach seiner äußeren Form verunstaltend sein. Aber das kann ein traditioneller Bau natürlich auch.
Eine weitere Frage, Herr Dr. Imle?
Sehen Sie eine Möglichkeit, Herr Staatssekretär, von sich aus noch einmal an die Länder mit der Anregung heranzutreten, die Bestimmungen über die verunstaltende Bauweise erneut zu überprüfen, damit eine Verbilligung des Bauens ermöglicht wird?
Dr. Ernst, Staatssekretär. im Bundesministerium für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung: Eine Anregung dieser Art wollen wir den Ländern gern noch einmal nahebringen.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.Es folgen die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Frage VII/ 1 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut — lautet:Dürfen Bundesminister während ihrer Amtszeit, insbesondere bei Auslandsbesuchen, Geschenke annehmen?Herr Minister!
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962 1251
Zu der Frage, ob Bundesminister während ihrer Amtszeit Geschenke annehmen dürfen, vor allem im Ausland, hat bereits mein Herr Amtsvorgänger in der Sitzung des Deutschen Bundestages vom 18. Juni 1959 Ausführungen gemacht, die auch heute noch zutreffen. Ich darf sie wie folgt zusammenfassen.
Geschenke, die einem Bundesminister aus rein persönlichen Gründen und ohne Beziehung zu seinem Amt gewährt werden, können ohne weiteres angenommen werden. Dagegen dürfen Minister keine Geschenke annehmen, mit denen direkt oder indirekt auf Amtshandlungen Einfluß genommen werden soll. Das folgt schon aus den auch für Minister geltenden §§ 331 und 332 des Strafgesetzbuches. Darüber hinaus kann man davon ausgehen, daß der für alle Träger eines öffentlichen Amts geltende Grundsatz, nach dem sie aus ihrer Amtsführung keine persönlichen Vorteile ziehen dürfen, auch für Minister Gültigkeit besitzt.
Die Bundesminister haben stets in eigener Verantwortlichkeit darüber zu entscheiden, ob gegen die Annahme eines Geschenkes Bedenken bestehen. Diese Entscheidung wird immer vom Einzelfall und von der Rücksicht auf die Gebote des Takts und der Höflichkeit abhängen; das gilt vor allem für das Ausland. Dabei kommt es weniger auf den materiellen Wert des Geschenkes als vielmehr darauf an, unter welchen Umständen es angeboten wird, in welchem Verhältnis sein ideeller und sein materieller Wert zueinander stehen und ob die Ablehnung als eine Kränkung empfunden würde.
Damit komme ich zu der von Ihnen besonders angesprochenen Annahme von Geschenken bei Auslandsbesuchen. Ich möchte dazu folgendes sagen. Ein Bundesminister darf Geschenke annehmen, die im internationalen Verkehr gemacht werden und sich als Höflichkeitsgeste oder als Ehrenerweis gegenüber dein Beschenkten darstellen. Es wäre mit den Regeln internationaler Courtoisie unvereinbar, wenn diese Zuwendungen abgelehnt würden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Kohut.
Da es jetzt üblich ist, daß Minister, Abgeordnete usw. Auslandsreisen in alle Länder der Welt machen, besonders in neu zu entwickelnde, besteht natürlich die Möglichkeit zu angemessenen Geschenken, die vielleicht um so wertvoller sind, je höher die Forderung von Zuschüssen aus der Bundesrepublik ist. Ist es dann so, daß die Minister diese Geschenke als ihnen privat gegeben betrachten können, während das Gegengeschenk aus Steuermitteln vom Bund bezahlt wird?
Mir ist kein Fall bekannt, dem eine solche Auffassung zugrunde gelegen hätte, daß auf der einen Seite Geschenke als Privatgeschenke angesehen worden wären und auf der anderen Seite die Meinung vertreten worden wäre, daß Steuergelder oder die Entwicklungshilfe ein Ausgleich dafür seien.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Kohut.
Ist darüber in irgendeiner Form etwas schriftlich niedergelegt, vielleicht in der Art einer Geschäftsordnung innerhalb des Kabinetts? .
Die Bundesregierung ist der Meinung, daß das nicht notwendig ist. Sie glaubt vielmehr, daß jeder Bundesminister von selbst weiß, wie er sich in solchen Fällen zu verhalten hat.
Dr. Kohut (FDP) : Danke schön.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Schäfer.
Herr Minister, darf ich Sie darauf hinweisen, daß im Haushaltsausschuß wiederholt die Frage erörtert wurde, daß Ministern, die ins Ausland reisen, erhebliche Mittel zur Verfügung gestellt werden, um Gastgeschenke mitzunehmen, und daß damit auch die Frage gekoppelt wurde, daß die betreffenden Minister ihrerseits Staatsgeschenke entgegennehmen. Soll ich die von Ihnen jetzt vertretene Ansicht so auffassen, daß Sie es in die Entscheidung des einzelnen Ministers stellen, ob er das Gegengeschenk in sein Privateigentum überführt oder ob er es als Vertreter der Bundesrepublik entgegennimmt?
Ich bin durchaus der Meinung, daß jedes Mitglied der Bundesregierung die notwendigen Unterscheidungen treffen kann.
Aber in der Tat ist das nicht so!
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jahn.
Wieviel Fälle, Herr Minister, sind Ihnen bekannt, in denen Bundesminister die von ihnen in Empfang genommenen Geschenke in den Besitz des Bundes übergeführt haben?
Ich weiß, daß bei der bekannten karitativen Einstellung der Bundesregierung ein großer Teil karitativen Zwekken zugeführt worden ist. Weitere Fälle, die Sie ansprechen, sind mir nicht bekannt.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Jahn.
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1252 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962
Wären Sie bereit, dem Innenausschuß eine entsprechende Aufstellung vorzulegen?
Ich bin der Meinung, daß es doch, sagen wir, vom Takt her gesehen, recht fragwürdig wäre, wenn ich eine solche Umfrage bei meinen Kollegen veranstalten sollte.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Brück.
Herr Innenminister, wäre es nicht nach dieser Diskussion zweckmäßig, wenn Sie diese Frage einmal mit Ihren Länderkollegen in einem kollegialen Gespräch erörterten?
Das kann durchaus geschehen. Aber ich habe sehr viel Vertrauen zu meinen Kollegen, daß sie einer besonderen Anleitung oder einer kollegialen Besprechung nicht bedürfen.
Frage VII/ 2 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut —:
Welche Konsequenzen hat das Bundesinnenministerium aus dem Bericht ,der Sachverständigenkommission für die Vereinfachung der Verwaltung beim Bundesministerium des Innern vom April 1960 bisher gezogen?
Bevor ich Ihre Frage, Herr Kollege Kohut, im einzelnen beantworte, darf ich folgende allgemeine Bemerkung vorausschicken:
Mein Herr Amtsvorgänger hat, als er im April 1960 den Bericht der Sachverständigenkommission für die Vereinfachung der Verwaltung der Öffentlichkeit übergab, bereits auf die Feststellung der Kommission hingewiesen, daß die Bundesverwaltung in ihrem Kern gesund ist und den Erfordernissen unseres 'demokratischen, föderativen und sozialen Rechtsstaates entspricht. Zu einer eigentlichen Verwaltungsreform, also der Einführung eines neuen Verwaltungssystems, bestand demnach kein Anlaß. Der Bericht hat keine Patentvorschläge gebracht, etwa dahingehend, welche Kostenersparnis bei einer Verwaltungsvereinfachung zu erwarten sei und wieviel Stellen etwa im öffentlichen Dienst eingespart werden könnten. Er hat vielmehr zu Recht darauf hingewiesen, daß Verwaltungsvereinfachung keine einmalig zu lösende Aufgabe ist, sondern nur durch eine Dauertätigkeit erreicht werden kann, bei der fortlaufend in Verwaltung und Gesetzgebung darauf geachtet werden muß, nicht nur alte Fehler auszuräumen, sondern besonders auch neue zu vermeiden.
Bei einzelnen konkreten Fällen aus meinem eigenen Geschäftsbereich, in denen der Bericht auf Vereinfachungsmöglichkeiten hingewiesen hat, sind folgende Konsequenzen gezogen worden, die ich wegen der Fülle der Materie nur in gedrängter Kürze wiedergeben kann:
Bedenken gegen die zu große Zahl von interministeriellen Ausschüssen war bereits im Zeitpunkt des Erscheinens des Berichts Rechnung getragen.
Der Bericht hat die Zentralisierung der Gehaltsberechnungen und -zahlungen bei der Zentralen Besoldungsstelle des Bundesministeriums der Finanzen in Mehlem für alle Bundesorgane und Bundesverwaltungen im Raum Bonn unterstützt. Es sollten möglichst auch jene Dienststellen angeschlossen werden, die sich zur Zeit des Erscheinens des Berichts aus gewichtigen Gründen noch nicht dazu in der Lage gesehen hatten. Mein Haus hat sich der Zentralen Besoldungsstelle mit Wirkung vom 1. Oktober 1961 angeschlossen.
Zur Durchführung des Gesetzes zu Art. 131 des Grundgesetzes hat die Kommission drei Vereinfachungsvorschläge gemacht, von denen der erste, in meinen Geschäftsbereich fallende, durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Gesetzes zu Art. 131 des Grundgesetzes vom 21. August 1961 berücksichtigt worden ist. Es handelt sich um den Fortfall der von der Kommission kritisierten getrennten Behandlung und Zahlung der Versorgungsbezüge aus verschiedenen Versorgungszuschüssen.
Die Sachverständigenkommission hat es im Interesse der Verwaltungsvereinfachung als wesentlich angesehen, daß in Bund und Ländern weitgehend übereinstimmende Verwaltungsverfahrensgesetze erlassen werden. Nachdem sich auch der Deutsche Juristentag im Herbst 1960 für die Ausarbeitung des Musterentwurfs für ein Verwaltungsverfahrensgesetz ausgesprochen hatte, ist auf Anregung des Bundesministeriums des Innern eine Kommission eingesetzt worden, der Vertreter aller Innenressorts von Bund und Ländern angehören. Die Arbeiten dieser Bund-Länder-Kommission sind gut vorangekommen. Sie will weitgehend den Vorschlägen der Sachverständigenkommission folgen, in mancher Hinsicht aber den Inhalt des künftigen Verwaltungsverfahrensgesetzes noch erweitern. Die Kommission hofft, noch in diesem Jahr Äußerungen aller Bundes- und Landesministerien zu ihrem Entwurf einholen zu können.
Die Sachverständigenkommission hat im Interesse der Beschleunigung der Verwaltungsrechtspflege und damit auch zur Verwaltungsvereinfachung bestimmte Vorschläge zur Beschränkung des verwaltungsgerichtlichen Instanzenzuges gemacht. Fast gleichzeitig mit der Veröffentlichung ihres Berichts sind die Verwaltungsgerichtsordnung und das Gesetz über die Beschränkung der Berufung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren am 1. April 1960 in Kraft getreten. Es ist vorläufig nicht beabsichtigt, die neue Prozeßordnung mit Rücksicht auf die Anregungen der Sachverständigenkommission zu novellieren. Die statistischen Ergebnisse der verwaltungsgerichtlichen Tätigkeit der Jahre 1960 und 1961 zeigen, daß hierfür kein dringendes Bedürfnis vorliegt; denn die Zahl der anhängigen Verfahren ist beim Bundesverwaltungsgericht, bei den Oberverwaltungsgerichten und auch bei den Verwaltungsgerichten des ersten Rechtszuges zurückgegangen. Es liegt meiner Ansicht nach heute noch weniger als vor zwei Jahren ein Anlaß dafür vor, die sehr einschneidenden Vorschläge der Sachverständigen-
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Bundesinnenminister Höcherl
kommission, die das Revisionsgericht zu einem reinen Vorlagegericht machen wollten, zu übernehmen. Diese Vorschläge würden auch die allseits angestrebte Vereinheitlichung der Prozeßverfahren aller Zweige der Gerichtsbarkeit erschweren.
Der Bund besitzt keine Kompetenz, die in dem Bericht der Sachverständigenkommission behandelten kommunalen Organisationsfragen zu regeln. Insbesondere steht ihm eine Rahmengesetzgebungsbefugnis auf dem Gebiet des Kommunalrechts nicht zu. Mein Haus versucht jedoch, mit den Ländern zu einer Übereinkunft zu kommen, nach der diese in ihre Gemeindeordnungen und Landkreisordnungen Bestimmungen aufnehmen, die die sachgerechte Durchführung von Bundesauftragsangelegenheiten sicherstellen, z. B. unbeschränkte Weisungsbefugnis, einzelverantwortliche Zuständigkeit, Geheimhaltung usw.
Vereinfachungsvorschläge auf dem Gebiet der Statistik sind inzwischen berücksichtigt worden. Hierzu zählen vor allem die Beschränkung der statistischen Erhebung durch Anwendung des Stichprobenverfahrens und Durchführung von Repräsentativstatistiken. Ein Dauergesetz zur Fortführung des bisher mit Erfolg durchgeführten Mikrozensus-Verfahrens ist vorgelegt.
In einem Kapitel zum Berufsbeamtentum sieht der Bericht in dessen Leistungssteigerung auch eine Möglichkeit zur Besserung und Vereinfachung der Verwaltung. Dieser Gedanke ist sicher richtig. Die Sachverständigenkommission gibt hierzu eine Reihe von Empfehlungen, von denen sie selbst sagt, daß sie nicht den Anspruch erheben, neu oder erschöpfend zu sein. So viel ist jedenfalls festzustellen: daß die Vorstellungen, von denen sich die Sachverständigenkommission bei ihren Empfehlungen hat leiten lassen, sich durchaus mit den Grundsätzen decken, auf denen die Beamtenpolitik meines Hauses beruht. Das zeigt nicht nur die umfangreiche gesetzgeberische Arbeit, die auf diesem Gebiet in den vergangenen Jahren geleistet worden ist.
Im übrigen werde ich in meinem Geschäftsbereich in Übereinstimmung mit den grundsätzlichen und allgemeinen Ergebnissen des Berichts der Sachverständigenkommission weiter darauf hinwirken, daß .die Verwaltungsvereinfachung als eine ununterbrochene Dauerarbeit laufend berücksichtigt wird.
Herr Dr. Kohut zu einer Zusatzfrage.
Darf ich, Herr Minister, insbesondere auf Ihre Vorbemerkung zu den Ausführungen Ihres Vorgängers Bezug nehmen, die Sie nicht vollständig wiedergegeben haben. Denn er sagt auch in seinem Vorwort zu diesem berühmten Büchlein vom April 1960:
Die Kommission hat jedoch eine Reihe von Fällen festgestellt, die zeigen, daß es noch umständliche und unwirtschaftliche Organisationsformen und Verwaltungsmethoden sowie entbehrliche Verwaltungsaufgaben gibt.
Darf ich Sie bitten, Herr Minister — denn ich konnte dem rasanten Tempo und der Fülle Ihres Vortrages nicht folgen —, zu präzisieren: Was ist nun eigentlich auf Grund des Vorschlages geschehen?
Ich habe eine ganze Reihe von Mitteilungen darüber gemacht, welche Maßnahmen bereits vollzogen worden sind. Der Hinweis, den Sie eben aus dem Vorwort gebracht haben, betrifft die ganze Verwaltung. Die Frage, die Sie gestellt hatten, richtete sich an die Verwaltung meines eigenen Hauses.
Eine weitere Frage, Herr Dr. Kohut!
Ihr Herr Vorgänger hat auch gesagt — darum möchte ich Sie fragen —:
Mögen die von besonderer Kenntnis der Materie getragenen Vorschläge der Kommission bei allen zuständigen Stellen das notwendige Interesse finden und zu Vereinfachungsmaßnahmen anregen.
Haben Sie wenigstens, wenn das Innenministerium einen solchen Bericht anfordert, auch dafür gesorgt, daß die angeregten Vereinfachungen im kommunalen Bereich durchgeführt werden? Sonst lohnt sich diese ganze Sache doch nicht.
Herr Kollege, von diesem Bericht haben alle Abgeordneten und alle Dienststellen eine Ausfertigung bekommen. Ich habe Ihnen auf die Frage geantwortet, die Sie gestellt haben, nämlich auf die Frage, was im Bereich des Innenministeriums geschehen ist. Sie haben ja feststellen können — auch wenn der Vortrag, durch die Frage bedingt, sehr umfangreich sein mußte —, daß bereits eine ganze Reihe von Folgerungen daraus gezogen worden sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen!
Herr Minister, kann die Öffentlichkeit nicht mit Recht erwarten, daß in absehbarer Zeit eine zusammenfassende Darstellung von der Bundesregierung darüber gegeben wird, in welchen Fällen und warum Vorschläge der Kommission nicht ausgeführt worden sind?
Ich werde mich gern darum bemühen.
Frage VII/ 3 — des Herrn Abgeordneten Dr. Hamm —:
Wird die Bundesregierung im Rahmen der Notstandsgesetzgebung Bestimmungen über eine sinnvoll gestreute, ausreichende Lagerung von medizinischem Versorgungsmaterial und von Heilmitteln für den Katastrophenfall treffen?
Bitte, Herr Minister!
Die Bundesregierung hält die vorhandene Regelung in § 30 des
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1254 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962
Bundesinnenminister HöcherlErsten Gesetzes über Maßnahmen zum Schutze der Zivilbevölkerung vom 9. Oktober 1957 für ausreichend, um eine umfangreiche Bevorratung zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung in einem Verteidigungsfall und eine dezentralisierte Lagerung dieser Vorräte sicherzustellen. Diese Vorräte stehen selbstverständlich auch bei größeren Katastrophen im Frieden, wie das in Hamburg der Fall war, zur Verfügung.Nach Maßgabe der im Rahmen des § 30 ZBG erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Arzneimittelbevorratung sind bisher beschafft und eingelagert worden:1. Arzneimittel im Werte von 115 Millionen DM. Weitere Arzneimittel im Werte von rund 30 Millionen DM werden zur Zeit beschafft, so daß gegen Ende des Jahres 1962 Vorräte im Werte von rund 145 Millionen DM eingelagert sein werden.2. An Trockenplasma sind bisher 100 000 Einheiten mit einem Kostenaufwand von 5 Millionen DM beschafft und eingelagert worden.3. Verbandmittel sind bisher im Werte von 42 Millionen DM eingelagert worden. Für die Jahre 1962 und 1963 ist die Weiterführung der Beschaffungen in einem Umfang von je 10 Millionen DM vorgesehen.4. Weiterhin ist mit der Bevorratung von ärztlichen Geräten begonnen worden. Zur Zeit sind Vorräte im Werte von rund 9 Millionen DM vorhanden. Weitere Beschaffungen im Gesamtbetrage von 18 Millionen DM wurden bereits eingeleitet.Alle Vorräte zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung sind von den Ländern in besonderen Sanitätsmittellagern untergebracht worden. Zur Zeit gibt es im Bundesgebiet etwa '75 Lager. Die Errichtung weiterer Lager wird vorbereitet.Aus den genannten Gründen dürfte es nicht erforderlich sein, im Rahmen künftiger Notstandsgesetze neue Bestimmungen für diesen Bereich vorzusehen.
Keine Zusatzfrage.
Frage VII/ 4 — des Herrn Abgeordneten Höhmann —.
Wie ist der Widerspruch zu erklären zwischen der Äußerung dos Herrn Bundesinnenministers in der 21. Sitzung des Deutschen Bundestages, daß die Bundesregierung mit der hessischen Landesregierung bereits Maßnahmen gegen eine Verlegung des Zonengrenzüberganges Herleshausen/ Wartha besprochen habe, und der Feststellung des Hessischen Ministerpräsidenten, daß der hessischen Landesregierung von einer solchen Fühlungnahme nichts bekannt sei?
Bitte, Herr Minister!
Als mir die Frage in der Fragestunde der 21. Sitzung vorgelegt wurde, lagen drei Anfragen des hessischen Innenministeriums in dieser Angelegenheit beim Bundesinnenministerium vor, so daß die spezifische Frage, ob Verbindungen aufgenommen worden seien, von mir dahin beantwortet wurde, daß solche bestehen. Inzwischen ist auch dem Herrn Ministerpräsidenten von Hessen und dem Herrn hessischen Innenminister mitgeteilt worden, daß sie beide an den Beratungen und Besprechungen, die wir in dieser Frage mit dem Bundeswirtschaftsministerium führen, beteiligt werden.
Herr Abgeordneter Höhmann zu einer Zusatzfrage.
Höhmann (SPD) : Herr Minister, war Ihnen seinerzeit entgangen, daß meine Frage lautete, ob Sie Beziehungen aufgenommen hätten, um gemeinsam mit der hessischen Landesregierung Maßnahmen zu besprechen, die geeignet wären, die Verlegung des Zonengrenzübergangs zu verhindern, und daß Ihre damalige Antwort insofern unzutreffend war?
Höcherl, Bundesminsiter des Innern: Ich möchte sagen: die Antwort war vielleicht nicht ganz genau. Aber ich nehme an, daß in der Zwischenzeit durch den Schriftwechsel, der zwischen uns und den hessischen Dienststellen geführt worden ist, die Dinge in materieller Beziehung in Ordnung gebracht worden sind.
Zu einer weiteren Frage Herr Abgeordneter Höhmann.
Höhmann (SPD) : Sind Sie nicht mit mir der Meinung, Herr Minister, daß solche — vielleicht etwas leichtfertig gegebenen — Antworten durchaus geeignet sind, den Wert einer Fragestunde zu mindern?
Ich möchte den Vorwurf nicht akzeptieren, daß es sich um eine leichtfertige Antwort handelte, sondern ich möchte vielleicht akzeptieren, daß sie noch etwas genauer hätte sein können.
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Nun die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung.
Frage VIII/ 1 — des Herrn Abgeordneten Berberich —
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um zu verhindern, daß im Zuge der Baumaßnahmen zur Erstellung von militärischen Anlagen -Gelände in Anspruch genommen wird, über das der Bund noch nicht verfügungsberechtigt ist, bzw. daß die ausführenden Firmen angrenzende Grundstücke ohne Zustimmung der Nutzungsberechtigten in Mitleidenschaft ziehen?
Mit den „Richtlinien für die Durchführung von Bauaufgaben des Bundes im Zuständigkeitsbereich der Finanzbauverwaltungen vom 2. Januar 1957, und zwar im Abschnitt G: Bauausführung, sind bereits die Baubehörden angewiesen worden, mit der Ausführung einer Baumaßnahme erst dann zu beginnen, wenn die verbindliche Mitteilung der für den Grunderwerb zuständigen Verwaltungsstelle vorliegt, daß der Grunderwerb zugunsten des Bundes restlos geklärt ist; dem ist die „vorzeitige Besitzeinweisung" durch die zuständige Enteignungsbehörde
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Bundesverteidigungsminister StraußI auf Grund des § 38 des Landbeschaffungsgesetzes gleichzustellen.Die den Bau ausführende Firma darf angrenzende Grundstücke ohne Zustimmung des Nutzungsberechtigten weder betreten noch in Mitleidenschaft ziehen; sie muß sich nach § 4 der Verdingungsordnung für Bauleistungen an die ihr von dem Auftraggeber zur Verfügung gestellten Lagerplätze und Arbeitsplätze auf der Baustelle, d. h. dem Grundstück des Auftraggebers, sowie an vorhandene Zufahrtswege halten
Eine Zusatzfrage?
Keine Zusatzfrage, ich danke.
Frage VIII/ 2 — des Abgeordneten Riegel —:
Ist die Bundseregierung bereit, die gesundheitstörende Belästigung durch Tiefflüge von Düsenjägern über dem Kindererholungsheim Nordalb bei Deggingen, Kreis Göppingen, durch eine geeignete Maßnahme für die Zukunft zu verhindern?
Bitte, Herr Minister.
Um die Bevölkerung in der dichtbesiedelten Bundesrepublik möglichst vor gesundheitsschädlichen Folgen des Flugbetriebes zu bewahren, werden in dem unter Vorsitz des Herrn Bundesministers für Verkehr gebildeten Ständigen Ausschuß zur Koordinierung der Luftfahrt auf Veranlassung der Bundesregierung bestimmte Regelungen zum Schutz der Bevölkerung getroffen. Hierzu gehört u. a. auch die Beschränkung der Tiefflüge von Düsenflugzeugen der Bundeswehr und der Stationierungsstreitkräfte auf bestimmte Tiefflugstrecken.
Die im Südraum mit den Landesregierungen abgesprochenen Tiefflugstrecken sind in eine Entwurfskarte im Maßstab 1 : 1 000 000 eingezeichnet. Diese Karte liegt mir zur Zeit zur Stellungnahme vor. Eine dieser Tiefflugstrecken, die in Richtung West-Ost beflogen wird, führt in etwa 3 km Entfernung nördlich der Ortschaft Deggingen vorbei. Bei der Überprüfung dieser Entwurfskarte werde ich feststellen lassen, ob das Kindererholungsheim Nordalb, dessen genaue örtliche Lage mir zur Zeit nicht bekannt ist, unter der Tiefflugstrecke liegt und ob sich gegebenenfalls ein Überfliegen des Kindererholungsheims ausschließen läßt.
Zu einer Zusatzfrage Herrn Abgeordneter Riegel.
Herr Minister, sind Sie bereit, mir Ihre Feststellungen schriftlich mitzuteilen?
Selbstverständlich.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wittrock.
Herr Minister, nimmt Ihr Haus die Tatsache, daß am 8. und 9. Mai 1962 Jäger, die jedenfalls nach amerikanischen Feststellungen von deutschen Piloten geflogen worden sind, Wiesbaden in einer Höhe überflogen haben, die unter der Mindestflughöhe liegt, wie sie in den Vorschriften festgelegt worden ist, zum Anlaß, die Piloten der Bundesluftwaffe erneut zu belehren und nachdrücklich auf die etwa eintretenden disziplinarrechtlichen Folgen einer Verletzung dieser Vorschriften hinzuweisen, zumal bekanntermaßen die Amerikaner, die hier gelegentlich ja auch gegen die Vorschriften verstoßen haben, sehr nachhaltig darauf achten, daß keine Verstöße mehr vorkommen?
Wenn eine Beschwerde vorliegt und der Vorfall somit den zuständigen Stellen zur Kenntnis kommt oder durch Zeitungsberichte ein solcher Verstoß bekannt wird, wie es in diesem Fall geschehen ist, dann wird dem im einzelnen nachgegangen. Wenn ein Verschulden des Piloten vorliegt, werden disziplinare Maßnahmen ergriffen, wie es in einer Reihe von Fällen geschehen ist. Hier kommt zusätzlich der zeitweise oder sogar dauernde Ausschluß vom fliegenden Personal in Betracht, wenn es sich um ganz schwerwiegende Verstöße gegen die Flugsicherheitsbestimmungen handelt. Außerdem ist in diesem Zusammenhang die Frage der Dienstaufsicht durch die zuständigen Vorgesetzten zu prüfen; denn die Befehle sind so klar und eindeutig, daß bei ihrer Einhaltung solche Verstöße nicht möglich wären. Es ist auch zu prüfen, ob diese Befehle dem gesamten fliegenden Personal von den zuständigen Vorgesetzten einwandfrei in Form laufender Belehrungen zur Kenntnis gebracht werden.
Eine weitere Frage des Abgeordneten Wittrock.
Werden Sie, Herr Minister, aus Anlaß des von mir erwähnten Vorfalls insbesondere die Angehörigen des Fliegerhorstes Büchel auf diese Bestimmungen hinweisen? Denn die in Wiesbaden-Erbenheim stationierten amerikanischen Dienststellen behaupten, daß es gerade in letzter Zeit wiederholt zu Verletzungen der Flugsicherheitsbestimmungen über Wiesbaden durch Angehörige des von mir erwähnten Fliegerhorsts gekommen sei.
Ich bin dem Wiesbadener Kurier, den Sie mir vorhin freundlicherweise überreicht haben, für diesen Bericht dankbar. Er ist Anlaß, den Vorfall genau zu überprüfen, besonders das Verhalten der in Büchel stationierten Einheiten. Notfalls wird auf dem Wege ,der Dienstaufsicht eingeschritten; denn die Verletzung der Bestimmungen auf diesem Gebiet ist fast genauso schlimm, wie es Grenzverletzungen sind.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ritzel.
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1256 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962
Herr Verteidigungsminister, ist Ihnen bekannt, daß in der vorigen Woche anläßlich der Erörterung von Fragen Ihres Hauses im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages von Abgeordneten Beschwerde über die Tatsache geführt wurde — der nach Aussage Ihrer Vertreter nachgegangen werden soll —, daß am Tage vorher hier ein Düsenflugzeug mittags um 13.30 Uhr in der rücksichtslosesten Weise in ganz niedriger Höhe Bonn überquert und sehr viele Kranke sehr schockiert hat, so daß es zu lebhaften Beschwerden gekommen ist?
Mir ist dieser Bericht über den Ablauf der Sitzung des Haushaltsausschusses nicht im einzelnen bekannt. Aber jede Meldung wird — gleichgültig, auf welchem Wege sie zu unserer Kenntnis kommt — im einzelnen geprüft. Es wird versucht, die Einheit festzustellen, und es wird versucht, den schuldigen Piloten festzustellen, eventuell auch die Vorgesetzten festzustellen, die ihre Dienstaufsicht mangelhaft ausüben. Und dann wird in jedem Falle, von der Belehrung bis zur Disziplinarstrafe, eingeschritten.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Ritzel. .
Herr Minister, würden Sie die Freundlichkeit haben, sich von den Herren, die in der Sitzung des Haushaltsausschusses Ihr Haus vertreten haben, berichten zu lassen, was in der Zwischenzeit geschehen ist, nach dem Rechten sehen und bei dieser Gelegenheit auch einmal die Frage der Verantwortlichkeit für die durch solche Vergehen verursachten gesundheitlichen Störungen prüfen?
Ich werde selbstverständlich diese mir jetzt darüber von Ihnen gemachte Mitteilung benutzen, um diesen speziellen Vorfall mit der gebotenen Sorgfalt zu überprüfen.
Wir kommen zur Frage VIII/3 — des Herrn Abgeordneten Dröscher —:
Ist die Bundesregierung bereit, den Einwendungen verschiedener Randgemeinden des Truppenübungsplatzes Baumholder Rechnung zu tragen, die sich gegen die Bereitstellung von Gelände zur Durchführung von Artillerie-Scharfschießübungen aus Stellungen außerhalb des Truppenübungsplatzes auf innerhalb des Platzes befindliche Ziele richten?
Herr Minister, bitte!
Auf die Einrichtung von Artillerie-Außenfeuerstellungen in der Umgebung des Truppenübungsplatzes Baumholder kann im Interesse der Ausbildung der übenden Verbände und der Artillerie-Schule Idar-Oberstein nicht verzichtet werden.
Berechtigten Einwendungen hinsichtlich der Lage der einzelnen Stellungsräume wird die Bundesregierung selbstverständlich Rechnung tragen. In dem gegenwärtig laufenden Anhörverfahren nach dem
Landbeschaffungsgesetz sind dementsprechend auch verschiedene Geländeanforderungen für Außenfeuerstellungen zurückgezogen bzw. geändert worden. Von den bisher vorgebrachten Einwendungen kann jedoch eine Reihe nicht als berechtigt anerkannt werden, insbesondere soweit sie sich grundsätzlich gegen die Inanspruchnahme von Gelände für solche Feuerstellungen oder gegen das Überschießen freien Geländes schlechthin richten. Da bereits bei mittleren Schußentfernungen die Größe der Truppenübungsplätze in der Bundesrepublik nicht mehr ausreicht, um Feuerstellungen und Ziele innerhalb der Platzgrenzen unterbringen zu können, läßt sich das seit jeher — auch in der Umgebung anderer Truppenübungsplätze — auch im Ausland übliche Überschießen freien Geländes mit Artilleriewaffen leider nicht vermeiden.
Durch technische Vorkehrungen und strenge Dienstvorschriften, deren Einhaltung ebenfalls überwacht wird, ist sichergestellt, daß hierbei eine Gefährdung der Öffentlichkeit nicht eintritt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dröscher.
Herr Verteidigungsminister, Sie sind also — wie ich Ihrer Antwort entnehme — nicht der Meinung, daß wegen der in den letzten Wochen immer unerträglicher gewordenen Belastung der Landgemeinden durch zunehmende Übungen von einer zusätzlichen Belastung der dort wohnenden Menschen abgesehen werden soll?
Wir stehen hier — dafür darf ich um Verständnis bitten — einer Pflichten- oder Interessenkollision wie häufig gegenüber. Einerseits wird von der Truppe auch vom Steuerzahler, auch von seiner Vertretung, vom Parlament, verlangt, daß die Ausbildung sinnvoll, modern, zweckentsprechend, der Praxis angemessen gehandhabt werden soll. Andererseits steht einer wirklichkeitsnahen Ausbildung der unerhörte Mangel an Gelände in der Bundesrepublik besonders hemmend entgegen. Wir können nur versuchen, einen Kompromiß zwischen den Interessen der jeweils betroffenen Einzelbevölkerung auf der einen Seite und den eben geschilderten dienstlichen Interessen auf der anderen Seite herbeizuführen. Ich bin mir der Schwierigkeit dieses Problems nicht zuletzt auf Grund der bei mir einlaufenden Beschwerden, Wünsche und Bitten sehr wohl bewußt.Ich darf andererseits auch darauf hinweisen, daß die geforderte Verstärkung der konventionellen Streitkräfte, die der NATO-Planung entspricht und von allen politischen Kräften begrüßt wird, zu weiteren Forderungen auf diesem Gebiet führen wird, wenn die Truppe nicht auf dem Kasernenhof stillstehen soll. Ich darf weiter darauf hinweisen, daß das Verteidigungsministerium seit Jahren bemüht ist, im Ausland Übungsmöglichkeiten zu gewinnen, und dabei auch gewisse Fortschritte erzielt hat, den Bedarf allerdings bei weitem nicht in vollem Umfange decken kann.
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Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Dröscher.
Herr Minister, ich darf die Gelegenheit benutzen und in diesem Zusammenhang noch eine Frage stellen. Entbehrt die oft geäußerte Vermutung wirklich der Berechtigung, daß die Anlage von Außenstellungen und die zunehmende Zahl von Übungen, die letztlich die Straßen und Felder in Mitleidenschaft zieht und die Nerven der Menschen zermürbt, schließlich nur eine Ausweitung des Truppenübungsplatzes vorbereiten soll?
Mir ist nichts von einer Ausweitung des Truppenübungsplatzes Baumholder bekannt. Gerade die Anlage von Außenfeuerstellungen soll ein Behelf sein, um einerseits dem Mangel abzuhelfen, andererseits aber einer Ausdehnung mit Inanspruchnahme weiterer großer Geländeteile vorbeugen.
Meine Damen und Herren, wir haben die hohe Ehre des Besuchs einer Parlamentarierdelegation aus Uruguay unter der Führung des bisherigen Präsidenten der Abgeordnetenkammer, Herrn Pivel Devoto. Ich darf die Herren und ihre Damen herzlich willkommen heißen.
Ich rufe auf die Fragen VIII/ 4 und VIII/ 5 — des Herrn Abgeordneten Weigl —:
Warum verzögert sich der Bau der seit Jahren geplanten Garnisonen in Kemnath und Tirschenreuth?
Wann ist mit dem Beginn des Baues der Garnisonen in Kemnath und Tirschenreuth zu rechnen?
Bitte, Herr Bundesverteidigungsminister!
Wegen des Sachzusammenhangs darf ich die beiden Fragen des Abgeordneten Weigl in einer Antwort zusammenfassen. Die auf dem Baumarkt herrschenden Verhältnisse einerseits, die beschränkte Kapazität der Bauplanungsbehörden der einzelnen Finanzbauämter andererseits haben dazu gezwungen, die militärischen Bauplanungen nach der Dringlichkeit zu koordinieren. Hierbei hat es sich ergeben, daß mit dem Bau der Kasernen in einigen bereits seit Jahren geplanten Garnisonen, wozu auch Kemnath und Tirschenreuth gehören, erst zu einem späteren Zeitpunkt begonnen werden kann, und zwar voraussichtlich in Kemnath im Jahre 1963 und in Tirschenreuth im Jahre 1965.
Keine weitere Frage.
Ich rufe dann die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung aus der Drucksache IV/ 399 auf, zunächst die Frage II/ 1 — des Herrn Abgeordneten Lohmar —:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um den Bericht, den der Wehrbeauftragte des Bundestages dem Parlament erstattet hat, den Angehörigen der Bundeswehr zur Kenntnis zu bringen?
Bitte, Herr Bundesverteidigungsminister!
Der Bericht, den der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages dem Parlament erstattet, ist als Bundestagsdrucksache allgemein erhältlich. Die Truppe, der im Rahmen des staatsbürgerlichen Unterrichts Mittel zu seiner Beschaffung zur Verfügung stehen, wird darauf hingewiesen. Dieser Weg erscheint am zweckmäßigsten, da die dafür in Betracht kommenden Mittel reicht zentral verwaltet werden. Im übrigen haben die Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt, daß nicht einmal ein solcher Hinweis notwendig ist. Die Truppe hatte bereits überall den Jahresbericht des Wehrbeauftragten von sich aus beschafft.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe dann auf die Frage II/ 2 — des Herrn Abgeordneten Dr. Imle —:
Besteht beim Bundesverteidigungsministerium die Absicht, die Truppenversorgung mit Lebensmitteln weiterhin über den örtlichen Handel ganz oder zum Teil zu decken?
Bitte, Herr Bundesverteidigungsminister!
Die Frage des Kollegen Imle darf ich mit einem klaren Ja beantworten. Nach wie vor werden alle Lebensmittel für die laufende Versorgung der Truppe im Standort im Wege der öffentlichen oder beschränkten Ausschreibung bzw. der freihändigen Vergabe auf der Grundlage der Verdingungsordnung für Leistungen — VOL —, Teil A und B, sowie der vom Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung herausgegebenen sogenannten „Arbeitsrichtlinien für die Beschaffung von Lebensmitteln durch die Standortverwaltungen" beschafft. Die öffentliche Ausschreibung, die in der örtlichen Tagespresse erfolgt, stellt den Regelfall dar. An ihr kann sich jeder an einer Belieferung von Bundeswehrstandorten interessierte Hersteller von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und jeder Lebensmittelhändler beteiligen. Dem wirtschaftlichsten und preisgünstigsten Angebot wird der Zuschlag erteilt.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Imle.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß die im letzten Jahr eingetretenen Ereignisse Veranlassung gaben, unmittelbar beim Produzenten auch solche Lebensmittel einzukaufen, die jetzt allmählich verbraucht sind, und daß wegen des Ausbleibens von neuen Aufträgen beim örtlichen Handel nach wie vor die Auffassung besteht, daß dieser unmittelbare Einkauf beim Produzenten fortgeführt wird?
Es ist den Standortverwaltungen grundsätzlich freigestellt, bei wem sie den Einkauf vornehmen. Diese Frage ist schon einmal in bezug auf Kartoffel und Eier aufgetaucht. Es ist möglich, den Bedarf auf diesem Gebiet unmittelbar beim Produzenten zu decken. Die Standortverwaltungen haben das Recht und auch die Erlaubnis dazu. Es ist auch möglich, diesen Bedarf beim Groß- oder Einzelhändler zu decken.
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1258 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962
Bundesverteidigungsminister StraußWir lassen hier den Standortverwaltungen freie Hand. Sie müssen sich an die gesetzlichen Bestimmungen und die dazu erlassenen Ausführungsvorschriften halten.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Imle.
Wenn gleiche Einkaufsmöglichkeiten, sowohl beim Produzenten als auch beim örtlichen Handel, bestehen, sollte dann nicht ein Hinweis an die Standortverwaltungen ergehen, insoweit den örtlichen Einzelhandel beim Einkauf zu bevorzugen?
Das wäre ein Verstoß gegen den Zwang, das preisgünstigste Angebot zu berücksichtigen.
Ich sagte ja: bei gleichen Einkaufsmöglichkeiten; das bezieht sich auch auf den Preis.
Bei gleichen Einkaufsmöglichkeiten bin ich .grundsätzlich Ihrer Auffassung. Ich werde diese Auffassung dem Bundesamt für Wehrtechnik, das die Verfahrensrichtlinien festlegt, zur Kenntnis bringen.
Vielen Dank, Herr Minister.
Ich danke Ihnen, Herr Minister. Die weiteren Fragen werden in der Freitagsitzung behandelt werden.
Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Maßnahmen der Bundesregierung auf dem Gebiet der Engerie- und Kohlewirtschaft .
Die Große Anfrage wird von dem Herrn Abgeordneten Arendt begründet. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit Anfang 1958, also seit mehr als vier Jahren, ist das Thema „Energie- und Kohlepolitik" weder aus den öffentlichen Diskussionen noch aus den internen Verhandlungen und Gesprächen wegzudenken. Das ist aber kein Grund für die Feststellung: auf diesem Gebiet unserer Wirtschaftspolitik ist alles in bester Ordnung. Im Gegenteil, diese Auseinandersetzungen zeigen, daß das Kohle- und Energieproblem zu den ungelösten Fragen unserer Zeit gehört.Allein acht Große Anfragen der sozialdemokratischen Fraktion zu diesem Thema sind in diesem Hohen Hause in der Vergangenheit behandelt worden. Zwar wurden jedesmal Maßnahmen zur Steuerung dieses Problems von der Regierung angekündigt, aber grundsätzlich — das muß man einmal feststellen — ist nichts geschehen, um Ruhe, Stabilität und Zukunftsglauben in der deutschen Bergbauwirtschaft zu sichern.
Was bisher unter dem Druck der öffentlichen Meinung von seiten der Bundesregierung geschah, das war alles mögliche, nur war es keine klare Energiepolitik.
Ich habe gar nicht die Absicht, allzu tief und zulange in der Vergangenheit herumzusuchen und nach Schuldigen zu forschen, aber ein wenig muß ich doch an Hand der eingetretenen Entwicklung aufzeigen, wie falsch manches von den verantwortlichen Stellen, insbesondere vom Herrn Bundeswirtschaftsminister, gesehen wurde.Was heute nottut, ist ein echtes Gespräch, ist der Gedankenaustausch, ist vor allen Dingen das Entwickeln einer Konzeption, die den besonderen Umständen, die in der Energiewirtschaft vorliegen, gerecht wird. Recht haben und recht behalten wollen, ist in dieser grundsätzlichen Frage der schlechteste und falscheste Standpunkt, den man sich denken kann.Lassen Sie mich zum besseren Verständnis der Fragen, die wir in unserer Großen Anfrage, Drucksache IV/ 297, vorgelegt haben, ganz kurz die Ausgangsposition schildern. Ich will mich dabei auf die unumgänglich notwendigen Angaben beschränken.Meine Damen und Herren! Bis zum Jahre 1957 war deutsche Kohle nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa Mangelware, in erster Linie deshalb, weil sie die billigste Kohle weit und breit war. Damals gab es viele Bestrebungen, den Bergbau in die sogenannte freie Wirtschaft zu überführen, um die Schwierigkeiten in der Belieferung auszuschalten. Wir, die sozialdemokratische Fraktion, haben damals vor diesen Bestrebungen gewarnt. Wir haben gewarnt, weil der Bergbau nicht eines Mannes Sache ist und nicht sein kann und weil im Bergbau ganz besondere Verhältnisse vorherrschen, die ein Unternehmen allein nicht lösen kann. Die Grundstoffindustrie ist mit der weiterverarbeitenden Industrie nicht zu vergleichen. In der Bergbauwirtschaft sind die Schwierigkeiten ungemein größer. Wenn eine Schachtanlage stillgelegt wird, bedeutet das in den meisten Fällen die Aufgabe der dort anstehenden Kohlenvorräte, und die Schachtanlage ersäuft. Es ist in den seltensten Fällen möglich, diese Anlage wieder in Betrieb zu nehmen.Diese Unterschiede, die zwischen der Grundstoffindustrie und der weiterverarbeitenden Industrie bestehen, müssen bei allen Maßnahmen, die auf diesem Gebiete getroffen werden, berücksichtigt und beachtet werden.Im Oktober 1957 wurde von den Unternehmensleitungen des Steinkohlebergbaus eine Kohlepreiserhöhung vorgenommen. Diese Preiserhöhung hat nicht nur zum damaligen Zeitpunkt Unwillen und Verärgerung ausgelöst, diese Kohlepreiserhöhung fällt, wenn man das einmal rückschauend betrachtet, auch mit dem Beginn der Schwierigkeiten und der Krisenerscheinungen zusammen. Gegen diese Preiserhöhung vom Oktober 1957 hat sich auch der Herr
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962 1259
Arendt
Bundeswirtschaftsminister zur Wehr gesetzt. Ich weiß allerdings nicht, ob das aus grundsätzlichen Erwägungen geschah oder ob nicht der Termin der Kohlepreiserhöhung einen entscheidenden Punkt seines Widerstandes darstellte. Die Kohlepreiserhöhung erfolgte nämlich 14 Tage nach der Bundestagswahl, und diese Wahl stand bekanntlich in dem Zeichen: „Keine Experimente! Stabile Preise!"Nach der berühmten Essener Sitzung des Herrn Bundeswirtschaftsministers erklärte er vor der Presse: Ich werde aus allen Rohren gegen diese Preiserhöhung schießen.
Nun, meine Damen und Herren, im Gegensatz zu anderen Gelegenheiten handelte es sich im Jahre 1957 tatsächlich nicht um Theaterdonner, sondern es wurde scharf geschossen. Nur wurde in die falsche Richtung und zu weit geschossen. Die unmittelbar nach diesem Gespräch vom Bundeswirtschaftsministerium verfügte Aufhebung der Lizenzierungspflicht für Einfuhrkohle und die Verlängerung der Kontraktfrist für Importverträge erwiesen sich — hier muß man sagen: leider — als äußerst erfolgreich. Kohle aus den Einfuhrländern strömte auf dem Markt und machte dem heimischen Steinkohlebergbau allerlei zu schaffen. Für die nächsten drei Jahre, so ergab es sich, sollten 48 Millionen t Kohle eingeführt werden, und einige Zeit später mußten, um diese Entwicklung abzubremsen, mehr als 250 Millionen DM aufgewendet werden, um diese durchgehandelten Verträge wieder abzulösen. Sie mußten abgelöst werden, um noch Schlimmeres zu verhüten. Daran sehen Sie: das waren ganz schöne teuere Schüsse, die damals abgegeben wurden.Meine Damen und Herren, ich habe dieses Beispiel nur deshalb erwähnt, um zu zeigen, daß man in einer so wichtigen und so grundsätzlichen Frage nicht aus persönlicher Freude, aber auch nicht aus persönlicher Verärgerung, wie das in diesem Fall geschah, Politik machen kann.
Bei diesen schwierigen Fragen muß mit Umsicht und Vernunft Politik getrieben werden.Wie falsch damals von entscheidender Stelle die Lage beurteilt wurde, darf ich vielleicht noch an einem anderen Beispiel klarmachen.Am 18. November 1958, zu einem Zeitpunkt also, als insgesamt 13,7 Millionen t Kohle und Koks als nicht absetzbare Menge bei den Zechengesellschaften auf der Halde lagen, als 2,9 Millionen Feierschichten eingelegt waren, als, mit einem Wort, offenkundig geworden war, daß es sich um eine Strukturkrise auf dem Energiemarkt handelte, erklärte der Herr Bundeswirtschaftsminister, es handle sich nicht um eine Strukturkrise, sondern um eine konjunkturelle Abschwächung, und zu Besorgnis bestehe keinerlei Anlaß. Als Rezept zur Linderung dieser Krise schlug er vor, zusätzliche Aufträge in Höhe von 500 Millionen DM an die Deutsche Bundesbahn zu vergeben, die dann die Stahl- und Eisenindustrie zusätzlich beschäftigen würde, die dann wiederum mehr Koks abrufen würde, so daß sich auf diesem Wege die Krise erledigen würde.Der Herr Bundeskanzler tat noch ein weiteres. Er fügte diesem Vizekanzlerwort ein Kanzlerwort hinzu. Der Bundeskanzler sagte: Wir, die deutsche Bundesregierung, betrachten den heimischen Steinkohlenbergbau als die sicherste und die solideste Grundlage unserer Energieversorgung, und ich erkläre, es wird weder eine Schachtanlage geschlossen noch wird ein Bergmann entlassen.
Das war zwar ein großes Wort — gelassen ausgesprochen; aber die Tatsachen sehen heute, im Jahre 1962, wesentlich anders aus. Seit Beginn dieser Krise ist geförderte Kohle in einer Menge von—in der Spitze — etwa 18 Millionen t auf die Halde geschüttet worden. Die Zahlen unterlagen Schwankungen; aber auch heute noch liegen fast 9 Millionen t Kohle und Koks bei den Zechengesellschaften als unverkäufliche Mengen auf der Halde.Seit Beginn dieser Krise sind aber auch mehr als 7,7 Millionen Feierschichten eingelegt worden. Im einzelnen sah die Entwicklung so aus: im Jahre 1958 fast 3 Millionen Feierschichten, im Jahre 1959 4,2 Millionen, im Jahre 1960 fast 505 000, im Jahre 1961 54 000 Feierschichten und bis April 1962 mehr als 8000 Feierschichten. Es ist zuzugeben, daß diese Zahlen rückläufig sind; aber es wäre völlig falsch, daraus zu schließen, daß damit die Krise überwunden ist; denn das kann sich sehr schnell ändern. Man kann keinesfalls davon sprechen, daß eine Normalisierung eingetreten ist.In den letzten Tagen ist in der Offentlichkeit teilweise der Versuch unternommen worden, unsere Große Anfrage zur Energie- und Kohlepolitik so darzustellen, als sei sie unter dem Gesichtspunkt der bevorstehenden Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen eingebracht worden.
Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, was Herr Ministerpräsident Meyers in Nordrhein-Westfalen, der immerhinseit vier Jahren die Regierungsgeschäfte führt, in den zurückliegenden Jahren getan und wie er sich in der letzten Zeit bemüht hat, die Frage der Kohle- und Energiepolitik in den Vordergrund seiner Politik zu bringen.
Ich bin der festen Überzeugung, wenn am 8. Juli 1962 keine Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen stattfänden, dann wäre die Zahl der Feierschichten im Steinkohlenbergbau heute wesentlich höher. Diese Feierschichten bedeuten für die betroffenen Beschäftigten erhebliche Lohnausfälle, und insgesamt sind mehr als 135 Millionen DM Lohnausfall entstanden. Diejenigen Bergleute, die in der Zeit der Hochkrise — wenn ich so sagen darf — drei und vier Feierschichten im Monat einlegen mußten, kamen trotz Beschäftigung mit ihrem Einkommen unter die Grenze der Fürsorgerichtsätze. Was sich hinter diesen Bemerkungen an menschlichem Leid und an menschlicher Not verbirgt, das vermag nur
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jener zu beurteilen, der sich tagtäglich mit den Problemen beschäftigt und auseinandersetzt.Seit Beginn dieser Krise verließen aber auch 150 000 Bergarbeiter ihren Arbeitsplatz. Das taten sie nicht aus freien Stücken, sondern sie gingen teilweise in andere Wirtschaftszweige, weil ihnen der alte Arbeitsplatz im Bergbau zu unsicher geworden war, oder aber sie wurden sogar entlassen. Allein im Jahre 1961 verließen 625 Berglehrlinge den Bergbau. In diesem Jahr schieden aber auch 4058 Knappen, das sind Arbeitskräfte, die nach der Ausbildung produktiv eingesetzt werden, aus dem Bergbau aus; außerdem verließen 778 sonstige jugendliche Arbeiter unter 18 Jahren den Bergbau. Heute muß man sich teilweise um Gastarbeiter bemühen, die nur unter hohen finanziellen Aufwendungen zu gewinnen sind, weil deutsche Arbeitnehmer das Vertrauen in die Stabilität ihres Arbeitsplatzes und den Glauben an die Zukunft der deutschen Bergbauwirtschaft verloren haben.
Schließlich wurden seit Beginn der Krise 18 Schachtanlagen mit einer Gesamtbeschäftigtenzahl von rund 35 000 Arbeitern und Angestellten stillgelegt.
Zwar wurde ein Teil der freigewordenen Arbeitskräfte en anderen Arbeitsplätzen angesetzt, aber dieser Vorgang der Verlegung von Teilen der Belegschaft hat zu einer erheblichen Unruhe geführt; außerdem sind damit sehr große soziale und sonstige Belastungen verbunden. Wenn heute jemand von einer Schachtanlage des Ruhrgebiets seinen Arbeitsplatz in Solingen oder Remscheid aufsuchen muß, dann bedeutet das zeitlich eine so starke Belastung, daß vom Achtstundentag nichts mehr zu spüren ist.
— Darauf komme ich gleich noch zu sprechen.Darüber hinaus werden mit diesen Stillegungen aber auch etwa 1,6 bis 1,8 Milliarden t abbauwürdiger Steinkohlenvorräte aufgegeben. Unter normalen Umständen hätten diese Mengen noch abgebaut werden können. Vielleicht sagt uns der Herr Bundeswirtschaftsminister einmal, welche Vermögensverluste 'für die Deutsche Bundesrepublik dadurch eingetreten sind. Wenn es auch gelang, einen Teil der freiwerdenden Arbeitskräfte in anderen Bereichen unterzubringen, so mußten doch von den Zechengesellschaften teilweise Sozialpläne entwickelt werden, die vorsahen, daß die fünfzigjährigen und älteren Bergleute eine Unterstützung bekamen, weil sie einfach nicht mehr in andere Arbeitsplätze vermittelt werden konnten.Ich darf vielleicht in diesem Zusammenhang an meine Ausführungen vom vergangenen Mittwoch erinnern, als wir unseren Gesetzesantrag zur Herabsetzung der Altersgrenze begründeten.Meine Damen und Herren, das waren, mit wenigen Worten nur gesagt, die seit vier Jahren zu verzeichnenden Ergebnisse der Energiepolitik. Ich möchte Sie wirklich herzlichst bitten, einmal diese Tatbestände mit dem Kanzlerwort vom 18. November 1958 zu vergleichen.Was geschah in diesen vier Jahren von seiten der Regierung, um die Schwierigkeiten, die heute niemand mehr bestreitet, zu beseitigen, und an Stelle von Unruhe und Unsicherheit Ruhe und Stabilität zu gewährleisten? Es gab zwar eine Reihe und sehr vielfältiger Eingriffe von seiten der Regierung, aber von einer klaren, zielbewußten Energiepolitik kann man trotz größter Toleranz nicht sprechen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat anläßlich der Haushaltsdebatte in diesem Hause am 5. April erklärt, daß die Leistungssteigerung, die im Bergbau zu verzeichnen sei, nämlich von 1600 kg im Jahre 1958 auf 2300 kg im Jahre 1962, ein Erfolg seiner Energiewirtschaftspolitik ist. Auch die Tatsache, daß 150 000 Bergarbeiter den Arbeitsplatz verlassen haben, freiwillig oder gezwungen, sei ein Erfolg seiner Energiewirtschaftspolitik.Gestatten Sie dazu ein paar Bemerkungen! Meine Damen und Herren, die festzustellende Leistungssteigerung ist nicht ein Erfolg der Politik, sondern ist in weiten Teilen auch der Ausfluß einer negativen Rationalisierung im Bergbau. Wenn früher nach langfristigen Gesichtspunkten und Überlegungen Abbau getrieben wurde, dann geschieht das seit einiger Zeit unter wesentlich anderen Gesichtspunkten. Natürlich ist die Mechanisierung in den hinter uns liegenden Jahren erheblich forciert worden, aber heute werden vielfach auch gute Flöze in unmittelbarer Schachtnähe abgebaut, und das trägt natürlich in einem entscheidenden Maße zu einer Fördersteigerung bei. Eine solche Abbaupolitik kann sich aber eines Tages bitter, ja sogar sehr bitter rächen. Denn die im Schoße der Erde liegenden Flöze haben neben anderen unangenehmen Eigenschaften einen sehr großen Fehler, der außerhalb unserer Korrekturmöglichkeiten liegt: Die Flöze werden im Laufe der Jahre nicht dicker und mächtiger und abbauwürdiger, sondern sie verändern sich nicht. Eines Tages wird die Leistung zwangsläufig absinken, wenn man nicht mehr einen Ausgleich zwischen guten und weniger guten Flözen vornehmen kann.Außerdem sollte man bei solchen Bemerkungen nicht vergessen, daß diese höhere Leistung der 'Bergarbeiter sozusagen mit der Faust im Nacken zustande kommt.
Ich meine damit, daß eine große Zahl von Bergleuten ihre Arbeitskraft in den letzten Monaten und Jahren über das Normalmaß hinaus zur Verfügung gestellt haben, weil sie den Verlust ihres Arbeitsplatzes befürchteten.
Wie begründet diese Auffassung ist, geht daraus hervor, daß die Zahl der Unfälle in den letzten Monaten und in den letzten Jahren wesentlich angestiegen ist. Ich darf an dieser Stelle einmal die Zahl der Unfälle im Oberbergamtsbezirk Dortmund nennen. Auf der Basis von 100 000 verfahrenen Schich-
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ten im Untertagebergbau waren es 1957, vor Beginn der Schwierigkeiten, 145 Unfälle, und im Jahre 1961 waren es fast 169 Unfälle. Das entspricht einer Steigerung von 15,8 %. Dieses besorgniserregende Bild sollte für alle Verantwortlichen Veranlassung sein, über die so oft mit Stolz erwähnte Leistungssteigerung etwas anders zu denken. Sie ersehen daraus, daß die Leistungssteigerung mit erheblichen Opfern erkauft werden mußte. Wenn das Energiewirtschaftspolitik sein soll, dann ist es zumindest keine gute Energiepolitik.Des weiteren ist festzustellen, daß in immer größerem Umfange insbesondere die jüngeren, leistungsfähigen Jahrgänge den Bergbau verlassen und daß eine erschreckende Überalterung der bergmännischen Belegschaft festzustellen ist. Wenn das Kanzlerwort vom 18. November 1958 Wirklichkeit werden soll, wonach der Bergbau die Basis unserer Energieversorgung darstellt, dann wird es in Zukunft großer Anstrengungen und hoher finanzieller Aufwendungen bedürfen, um diesen Überalterungsprozeß abzustoppen. Auf jeden Fall halte ich es für sehr kühn, zu behaupten, daß die Abwanderung von 150 000 Bergarbeitern und Bergbauangestellten ein Erfolg einer Energiewirtschaftspolitik sei. Vielleicht fehlen uns eines Tages diese Arbeitskräfte in entscheidendem Maße.Meine Damen und Herren, ich darf mich aber auch mit einigen anderen Maßnahmen der Bundesregierung auf dem Gebiete der Energiewirtschaftspolitik beschäftigen. Am 19. November 1956 erklärte der Herr Bundeswirtschaftsminister in diesem Hause:Die Maßnahmen der Bundesregierung sind auf das Ziel gerichtet, eine grundsätzliche Lösung des Problems der künftigen Energiebedarfsdeckung durch die Förderung wettbewerblicher Kräfte auf dem Energiesektor vorzubereiten.Das heißt mit anderen Worten, daß vom Bundeswirtschaftsministerium angestrebt wurde, den Bergbau in die sogenannte freie Wirtschaft zu überführen. Am 26. April 1958 erklärte der Bundeswirtschaftsminister in Stuttgart, für den Bergbau seien auf lange Sicht keine Gefahren vorhanden, da der Kohleverbrauch die Fördermöglichkeiten weit übersteige. Der Bergbau wurde aufgefordert, alles zu tun, um seine Förderung erheblich zu steigern. Am 15. September 1958, einige Monate später, führte der Herr Bundeswirtschaftsminister in der Eröffnungsrede anläßlich der 9. Deutschen Industrieausstellung in Berlin allerdings aus:Ich sehe nur einen Weg, aus diesem Dilemma herauszukommen, und zwar den, daß der Bergbau dem Beispiel der Textilindustrie folgt, die Weiße Wochen veranstaltet, wenn ihre Läger zu voll sind. Der Bergbau muß es mit einer Schwarzen Woche versuchen.Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn für die Lösung von schwierigen Fragen auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik Sonderwochen eingeführt werden sollen, dann ist zu befürchten, daß in Zukunft die52 Wochen des Jahres nicht ausreichen, um mit den Schwierigkeiten fertig zu werden.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, aus diesem Zitatenschatz — ich bin gleich mit den Zitaten am Ende — noch ein weiteres Zitat hinzufügen. Am 3. Dezember 1958 hat der Herr Bundeswirtschaftsminister nach Presseerklärungen vor der CDU/CSU-Fraktion erklärt, es komme gar nicht in Frage, daß eine Heizölsteuer eingeführt werde. — Nun, ich könnte hier sicherlich noch eine Reihe von Zitaten anführen. Aber ich will es damit genug sein lassen und möchte mich mit einigen anderen Bestandteilen dieser Energiepolitik, auf die der Herr Bundeswirtschaftsminister so stolz zu sein scheint, beschäftigen.Da wurde von ihm das sogenannte Kohle-ÖlKartell als Maßnahme angekündigt, um mit den Problemen fertig zu werden, obwohl dieses KohleÖl-Kartell schon nach ganz kurzer Zeit platzte. Dann folgte der Kohlenzoll, dann folgte die Kontingentierung, und schließlich kam doch die Heizölsteuer, die der Herr Wirtschaftsminister kurz vorher so kategorisch abgelehnt hatte.Ich will zugeben, daß sich im Verlaufe der Zeit die eine oder andere Maßnahme als wirksam herausgestellt hat. Aber eines muß man an dieser Stelle mit allem Nachdruck sagen: Alle Maßnahmen, gleichgültig, was auch geschah, kamen zu spät und waren zu wenig durchgreifend, als daß man mit ihnen dieses Problem hätte grundsätzlich lösen können.
Auf keinen Fall waren diese Aktionen geeignet, das Kohlenproblem zu lösen.Die Strukturveränderungen auf dem Energiemarkt sind kein ausschließlich deutsches Problem. Auch andere Länder haben Schwierigkeiten auf diesem Gebiet gehabt. Aber — und das ist das Entscheidende — die meisten dieser Länder sind besser mit ihren Problemen fertig geworden, weil sie den Mut hatten, durchgreifende Maßnahmen einzuleiten.Lassen Sie mich das am Beispiel der Vereinigten Staaten von Amerika zeigen. Hier hat sich seit der Zeit der Weltwirtschaftskrise die Überzeugung durchgesetzt, daß die wirtschaftliche Entwicklung nicht allein dem Marktgeschehen überlassen werden darf. Gerade auf dem Energiesektor ist man in den USA zu einer bewußten Politik übergegangen. Es wurden und werden in den Vereinigten Staaten Anstrengungen unternommen, die praktisch darauf hinauslaufen, das stetige Steigen der Energieproduktion auf Grund einer vorausschauenden Planung zu ermöglichen. Die Gründe für diese Maßnahmen sind zum Teil wirtschaftlicher und zum Teil strategischer Natur. Der amerikanische Energiemarkt war früher dadurch gekennzeichnet, daß ein Konkurrenzkampf rivalisierender Energieträger stattfand und der Anteil der Kohle an der Bedarfsdeckung sank. Die Kohle stand dort unter einem starken Druck, insbesondere von Erdgas und Erdöl. Die wirtschaftlichen
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und die sozialen Auswirkungen, die dieser ruinöse Wettbewerb mit sich brachte, zwang die amerikanische Regierung, sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen. Auf Grund der Forderungen der amerikanischen Bergarbeiter beispielsweise wurde eine Reihe von Schutzmaßnahmen für den amerikanischen Kohlenbergbau eingeführt. Zum erstenmal, meine Damen und Herren, entstand in dem freiesten Land der Erde, in diesem klassischen Land des Liberalismus, ein langfristiger Plan, der einen rigorosen Eingriff in das Wirtschaftsgeschehen bis in den letzten Betrieb hinein gestatten sollte.Nun gibt es in den Vereinigten Staaten Kohle und Öl. Was glauben Sie wohl, was geschehen wäre, wenn, wie in der Bundesrepublik, nur Kohle vorhanden gewesen wäre!Aber auch die amerikanische Ölproduktion wird geschützt. Bereits seit Anfang 1959 besteht in den Vereinigten Staaten eine massive Beschränkung der Öleinfuhren, und es ist sicher, daß ein großer Teil des Rohöls, das in den USA gefördert wird, in den Staaten nicht mehr produziert würde, wenn der amerikanische Markt einer freien Konkurrenz ausgesetzt gewesen wäre. Hier wird klar, daß die Amerikaner eine zielbewußte und eine handfeste Energiepolitik betreiben. Denn sie erkennen die volkswirtschaftliche Bedeutung einer Öl-, aber auch einer Bergbauindustrie, und sie setzen daneben den Gesichtspunkt der Sicherheit sehr hoch an.Auch Kanada hat im Interesse des Gleichgewichts auf dem Energiemarkt Maßnahmen eingeleitet, undbereits 1959 hat die kanadische Regierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Einrichtung eines Energiewirtschaftsrates vorsah.Auch in Großbritannien verfügt man über ein umfangreiches wirtschaftspolitisches Instrumentarium und kann den gesamten Wirtschaftsablauf beeinflussen. Selbst die konservative Regierung Großbritanniens hat diese Entwicklung nicht grundsätzlich unterbrochen.Wenn behauptet wird, daß sich der nationalisierte englische Bergbau auch in einer Krise befindet, so entspricht das zwar den Tatsachen. Aber es gibt einen entscheidenden Vorteil, den die englische Kohle hat. Dort wird nämlich durch das Nationale Kohlenamt eine Anpassung des Bergbaus vorgenommen, so daß Verluste und soziale Schäden für die sozial Schwachen vermieden werden und die Arbeitnehmer unter dieser Umstellung nicht zu leidenhaben.Von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist Frankreich das Land, das die stärkste staatliche Kontrolle und damit den stärksten staatlichen Einfluß auf den Wirtschaftsablauf ausübt. Die entscheidende Bedeutung der französischen Wirtschaftspolitik für diesen Sektor liegt in der konsequenten Anwendung aller zur Verfügung stehenden Instrumente, und deshalb ist es nicht verwunderlich, daß sich die Auswirkungen der Krise auf dem französischen Energiemarkt wesentlich von denen in der Bundesrepublik unterscheiden.Meine Damen und Herren, es ist gar keine Frage, daß die Verbraucher von Energie in der letzten Zeit andere Gewohnheiten entwickelt haben und wahrscheinlich in der nächsten Zeit auch entwickeln werden. Es wäre aber völlig falsch, wollte man annehmen, daß wir, die Sozialdemokraten, den Bergbau um des Bergbaus willen betreiben möchten, koste es was es wolle. Das wollen wir gar nicht. Wir wissen uns einig in der Auffassung mit dem amerikanischen Bergarbeiterführer John Lewis, der einmal gesagt hat: „Wenn wir technisch in den Stand versetzt werden, Kohle zu fördern, ohne daß ein Mensch in die Grube fahren muß, dann sollten wir in die Kirche gehen und sollten beten, weil das nämlich ein Fortschritt für die Menschheit wäre." Aber es geht um den Menschen, und weil es um den Menschen geht, kann man diese Entwicklung nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen.Nach 1945, als wir Kohle um jeden Preis benötigten, um unsere Wirtschaft wieder aufzubauen, da fehlten auch Arbeitskräfte im Bergbau; da war kaum jemand bereit, die Mühsal und die Schwierigkeiten der Bergarbeit auf sich zu nehmen. Damals ist es nur unter großer Mühe, aber auch mit der Zusicherung eines kristenfesten, dauerhaften Arbeitsplatzes, gelungen, ausreichend Arbeitskräfte in allen Teilen der Bundesrepublik anzuwerben. Es wurden Sonderzuteilungen, Verpflegungsaktionen und vieles andere mehr zur Anwerbung von Arbeitskräften gestartet. Ja der Bergmann wurde sogar mit sehr ehrenvollen Bezeichnungen belegt. Damals hieß es: „Der Bergmann ist der Aristokrat der Arbeiter", „Der Bergmann ist der erste Mann im Staat".Noch bei der Verabschiedung des Bergmannsprämiengesetzes in diesem Hause wurde erklärt:Die Bundesregierung hat sich in Anbetracht dieser Entwicklung zu Maßnahmen entschlossen, welche geeignet erscheinen, das Ansehen des Bergmanns wieder zu heben und den Bergmannsberuf, insbesondere die Untertagearbeit, nach der ihm zukommenden Verantwortung und Bedeutung sichtbar herauszustellen.Die Bergleute, meine Damen und Herren, fragen sich, sie fragen aber auch die Bundesregierung heute, im Jahre 1962: Soll das, was damals erklärt wurde, alles vergessen sein?Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat damals auch erklärt:In einem Punkt hat es für mich niemals einen Zweifel gegeben: der deutsche Bergmann muß kraft seines Berufes, kraft seiner fast symbolischen Leistung für die deutsche Volkswirtschaft, aber auch angesichts der Gefahr, die er auf sich nimmt, an der Spitze der Lohnpyramide und an der Spitze der Lohnleistungen stehen.Nun, heute ist ein Streik im saarländischen Bergbau — das ist ein bundeseigenes Unternehmen — zu Ende gegangen. Dort haben 45 000 Bergarbeiter und Bergbauangestellte eine Woche lang streiken müssen, weil das Angebot, das ihnen zur Erhöhung der Löhne und Gehälter unterbreitet wurde, unzureichend war und weil sie sich mit allen Mitteln bemühen mußten, von der elften Stelle der Lohnskala wegzukommen.
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Hier ist doch etwas nicht in Ordnung! Ich meine, wenn sich solche Vorgänge abspielen, müßten dem Herrn Bundeswirtschaftsminister doch ganz sicher Zweifel kommen.Meine Damen und Herren, heute wird erklärt: Ja, wenn irgendeine Zeche stillgelegt wird, dann braucht man keine Sorge zu haben; es gibt ja nach der Statistik noch Tausende freier Stellen auf dem Arbeitsmarkt, und wir haben gar nicht genügend Arbeitskräfte.Glauben Sie mir, die bergmännische Belegschaft, insbesondere die, die im Ruhrgebiet zu Hause ist, besteht zu einem großen Teil aus heimatverbundenen Menschen, die nicht nur ihre Heimat lieben, sondern die auch keinen gleichwertigen Dauerarbeitsplatz in ihrer Nähe sehen. Erstens stehen dort nämlich nicht genügend Arbeitsplätze zur Verfügung, und zweitens sind die Bergleute, die ein bestimmtes Alter erreicht haben, gesundheitlich so angeschlagen, daß sie gar nicht für andere Berufe umgeschult werden können.Die Bergleute fragen deshalb nicht, ob in Untertürkheim oder in irgendeinem anderen Ort der Bundesrepublik noch ein offener Platz ist, sondern sie fragen: Wo bleibt mein Arbeitsplatz, wo bleibt meine Wohnung, wo bleibt meine Familie? Hier liegt die Unsicherheit, und hier liegt auch der Unruheherd.Der Herr Bundeswirtschaftsminister spricht sehr gern davon, man müsse die Flexibilität des Energie- und Kohlemarktes sicherstellen. Das hört sich furchtbar interessant an, bedeutet aber im Grunde genommen nicht mehr und nicht weniger, als daß er der bergmännischen Belegschaft, den sozial Schwächstein also, die Lasten für unzureichende Maßnahmen aufbürden will. Flexibilität des Kohlemarktes bedeutet unter den obwaltenden Verhältnissen nämlich nicht mehr und nicht weniger, als daß in Zeiten des Kohlemangels die Bergleute Überschichten verfahren sollen und daß in Zeiten eines Kohleüberschusses Feierschichten eingelegt werden sollen.Das ist keine gute Sache, Nein, das ist sogar eine sehr schlechte Sache. Denn dieses Rezept ist uralt und hat schon an der Wiege des deutschen Bergbaus Pate gestanden. Nur ist es dadurch nicht besser geworden. Als die Kohlebilanz für das Jahr 1962 von der Hohen Behörde unter Mitwirkung von Vertretern des Bundesministeriums für Wirtschaft erstellt wurde, kam man für die Bundesrepublik zu einem Überschuß von 2,6 Millionen t Kohle und 1,5 Millionen t Koks, insgesamt also auf 4,1 Millionen t Kohle und Koks. Wenn man von diesen Zahlen ausgeht, beträgt der Kohleüberschuß für dieses Jahr in Steinkohleeinheiten ausgedrückt 4,6 Millionen t. Wenn man keine Erhöhung der Haldenbestände hinnehmen will — und diese betragen im Augenblick, wie ich schon sagte, fast 9 Millionen t Kohle und Koks —, kann die Anpassung nur über die Vermehrung von Feierschichten erfolgen. Das bedeutet also, daß die Bergarbeiter mehr Feierschichten einlegen und damit einen entsprechenden Lohnausfall hinnehmen sollen. Der Lohnausfall war in den vergangenen Jahren erheblich. 1958 betrug er 62 Millionen DM, 1959 92 Millionen DM, 1960 111 Millionen DM und 1961 mehr als 1,5 Millionen DM. Zwar erhielten die Bergleute für die zurückliegende Zeit im Jahre 1959 einen gewissen Ausgleich durch den sogenannten Härteausgleich. Aber die nächste Zukunft ist unsicher und ungeklärt.Hier möchte ich auf einen Punkt zu sprechen kommen, der uns außerordentlich interessiert. Der Härteausgleich und andere Maßnahmen wurden aus dem Aufkommen der Heizölsteuer finanziert. Seit dem 1. Mai 1960 wird diese Steuer erhoben. Ihre Laufzeit ist bekanntlich bis zum 30. April 1963 befristet. Von dem Aufkommen in den Jahren 1960 und 1961 in Höhe von 390 Millionen DM wurden 265 Millionen DM verwendet, so daß ein Überschuß von 125 Millionen DM vorhanden Ist. Man kann damit rechnen, daß bis zum Auslaufen dieses Gesetzes etwa 900 Millionen DM aufkommen. Davon ist die Hälfte entweder eingeplant oder wird für Sozialmaßnahmen und Frachthilfen ausgegeben. Im Bundeswirtschaftsministerium wird aber auch daran gedacht — das kommt auch in dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion zum Ausdruck —, auf dem Weg über einen Rationalisierungsverband weitere Stilllegungen zu finanzieren.Meine Damen und Herren, nach unserer Auffassung kann man Anpassungsbeihilfen nicht auf die Unternehmen und die von der Stillegung betroffenen Bergleute beschränken; denn unter der Strukturkrise haben auch jene Bergleute zu leiden, die Einkommensverluste infolge von Feierschichten hinnehmen mußten. Diese Bergleute sind für die Kohlenkrise und für die Strukturkrise nicht verantlich. Wir, die sozialdemokratische Fraktion, sind der Auffassung, daß diese Bergleute Ausgleichszahlungen erhalten können; denn aus dem Heizölsteueraufkommen stehen Beträge zur Verfügung. Hier kommt es ausschließlich auf den Willen der Bundesregierung an.Am 22. Februar dieses Jahres hat das Europäische Parlament in Straßburg mutig eine Entschließung gegen wenige Stimmen, aber mit tatkräftiger Unterstützung der sozialistischen Fraktion — der Vorsitzende des Energieausschusses im Europäischen Parlament, Herr Kollege Burgbacher, wird es sicher bestätigen — angenommen. In dieser Entschließung zur Energiepolitik heißt es, kurz zusammengefaßt, folgendermaßen: In der heutigen Zeit ist eine volle Liberalisierung der Energiewirtschaft in den Ländern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft genausowenig möglich, wie sie sich in den übrigen Ländern der freien Welt als unmöglich . erwiesen hat.In dieser Entschließung wird mit Nachdruck daran erinnert, daß der Wettbewerb zwischen den einzelnen Energieträgern normalisiert werden muß.Den Regierungen wird empfohlen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Einführung einer gemeinsamen Handelspolitik auf dem Energiesektor zu beschleunigen.Es wird anerkannt, daß die geologischen Bedingungen und Verhältnisse, aber auch die Soziallasten, die der europäische Bergbau zu tragen hat,
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es dem Bergbau trotz der durchgeführten Rationalisierungsmaßnahmen nicht gestatten, wettbewerbsfähig zu bleiben oder zu werden.Schließlich wird in der Entschließung auch die Frage der Subventionierung der Gemeinschaftskohle aus öffentlichen Mitteln angesprochen. Dabei wird festgestellt, daß die Subventionierung derart sein muß, daß sie eine der koordinierten Energiewirtschaftspolitik entsprechende Kohleproduktion ermöglicht. Außerdem werden in der Entschließung die zuständigen europäischen Organe ersucht, dafür zu sorgen, daß die Energieeinfuhr aus Ländern, die sich aus Gründen ihrer politischen Lage nicht verpflichtet fühlen, unter allen Umständen eine stabile Energieversorgung zu gewährleisten, so gestaltet wird, daß ein eventuell störendes Eingreifen von dieser Seite keine ernsten Folgen für die Energieversorgung zeitigen kann.Abschließend weist das Europäische Parlament in dieser Entschließung darauf hin, das europäische Bergarbeiterstatut sei zu verwirklichen.In allen Institutionen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft — auch im Ministerrat — sitzen deutsche Vertreter. Wir möchten gern von der Bundesregierung erfahren, welche Haltung die Vertreter der Bundesregierung im Ministerrat einnehmen werden und welche Konsequenzen die Bundesregierung im nationalen Bereich daraus zu ziehen gedenkt. Wenn nicht bald ganz entscheidende Maßnahmen getroffen werden — das hängt, wie gesagt, auch von den deutschen Vertretern in den Institutionen ab —, dann besteht die Gefahr, daß in den nationalen Bereichen Lösungen herbeigeführt werden, die die Möglichkeit in sich bergen, daß die Bundesrepublik zum Tummelplatz der verschiedenartigsten Interessenten wird.Wenn diese Gefahr vorhanden ist — und sie ist nicht auszuschließen —, dann ist eine deutsche zielbewußte Energiepolitik unter Berücksichtigung der heimischen Steinkohle um so notwendiger. Der deutsche Bergbau hat in den letzten vier Jahren durchschnittlich 4,5 Millionen t Absatz an das 01 verloren. Die Ursache für diesen ständig zurückgehenden Absatz ist in erster Linie das zu schnelle Vordringen des Heizöls.Während der Wettbewerb zwischen heimischer Kohle und Einfuhrkohle durch Kohlezoll und Kontingentierung einigermaßen geregelt werden konnte, blieb das Kohle-Öl-Problem ungelöst. Entsprechend den Vorschriften des Montanvertrages ist der Steinkohlebergbau gezwungen, jeden Verbraucher zu gleichen Bedingungen zu beliefern und — von wenigen Ausnahmen abgesehen — die bei der Hohen Behörde hinterlegten Preislisten einzuhalten. Die Mineralölgesellschaften sind an solche Vorschriften nicht gebunden. Sie können einen punktuellen Wettbewerb betreiben, um mit Hilfe von Kampfpreisen der Heizölsteuer die Wirkung zu nehmen.Obwohl die Gefährdung der heimischen Energiegrundlage durch das Vordringen des Heizöls offenkundig ist, konnten sich die für die Energiewirtschaftspolitik verantwortlichen Stellen bisher nicht zu durchgreifenden Maßnahmen entscheiden. Man glaubt immer noch, daß der im Augenblick ungewöhnlich niedrige Marktpreis für Heizöl seiner Rolle als Ordnungsfaktor auf dem Energiemarkt gerecht wird. Die beim Heizölverbrauch entstehenden wesentlichen gesamtwirtschaftlichen Nachteile wie Verschmutzung der Luft oder Gefährdung des Grundwassers bleiben bei einem Preisvergleich unberücksichtigt.Die große Gefahr, daß ein traditionelles Kohle-land in immer stärkerem Maße zu einem Energieeinfuhrland wird, ist nicht von der Hand zu weisen, und zwar insbesondere dann nicht, wenn man berücksichtigt, daß die Raffineriekapazität in der Bundesrepublik in einem so starken Maße ausgebaut wird, daß die Existenzgrundlage des Steinkohlebergbaus immer mehr gefährdet wird. Während die Raffineriekapazität im Jahre 1958 27 Millionen t betrug und der Anteil der Heizölausbeute am Rohöleinsatz bei 29 % lag, betrug 1961 die Raffineriekapazität 43,6 Millionen t und der Anteil der Heizölausbeute war bereits auf 48 % gestiegen. 1966 wird nach einer vorsichtigen Schätzung die Raffineriekapazität im Bundesgebiet bereits 75 Millionen t betragen, und der Anteil der Heizölausbeute steigt bis zu diesem Zeitpunkt voraussichtlich auf 54 %. Dabei ist heute schon bekannt, daß teilweise eine Heizölausbeute von über 60 % zu verzeichnen ist.Im Jahre 1950, also vor 12 Jahren, bestritt die Kahle noch etwa 90 % unseres Energieverbrauchs und das Heizöl 5 %. Im vergangenen Jahr sank der Anteil der Kohle auf 70 %, der des Heizöls stieg aber auf 26 % Es wird geschätzt, daß bis zum Jahre 1970 .die Kohle auf 57 % zurückgeht und das Heizöl auf 38 % ansteigt. Neben der raschen und ständigen Zunahme der eigenen Heizölerzeugung besteht aber auch ein Ansteigen der Heizöleinfuhr. Abgesehen von der Gefahr .der Abhängigkeit kann diese höhere Einfuhr von Mineralöl und Heizöl eines Tages auch ein ernstes Devisenproblem werden.Heute wird dem Bergbau auf Grund des augenblicklichen Oberangebots auf dem Energiemarkt empfohlen, die Steinkohlenförderung durch die Stilllegung von Schachtanlagen zu reduzieren, während man vor gar nicht allzu langer Zeit — ich habe ja daran erinnert — eine Steigerung der Förderung verlangte. Dieser kurzfristige Wandel in der Auffassung und in der Einstellung gegenüber dem Steinkohlenbergbau ist deshalb verhängnisvoll, weil alle Entscheidungen, die auf dem Gebiet der Energiewirtschaftspolitik getroffen werden, langfristige Wirkungen haben und deshalb rechtzeitig getroffen werden müssen. Die Forderung nach einer Verminderung der Steinkohlenförderung mag vielleicht den augenblicklichen Marktverhältnissen entsprechen. Unter Berücksichtigung der mittel- und langfristigen Entwicklung wird sie aber vernünftigen Zielen der Energiewirtschaftspolitik nicht gerecht.Wenn heute Kapazitäten des Steinkohlenbergbaus über ein vertretbares Maß hinaus stillgelegt werden, so kann sich eine solche Maßnahme gerade zu einem Zeitpunkt, in dem der Energiebedarf nicht so leicht durch Einfuhren zu .decken ist. Die zu erwartende Entwicklung des Energiebedarfs erfor-
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dert allein schon eine Erhaltung der heutigen Kapazität des Steinkohlenbergbaus in der Bundesrepublik, zumal ja gerade die westdeutschen Zechen im Vergleich mit vielen anderen westeuropäischen Steinkohlenrevieren die erhaltungswürdigsten sind. Eine Verknappung und Verteuerung von Importenergie kann sehr leicht eintreten, und es ist eine schlechte Sache, die man gar nicht wieder gutmachen kann, wenn man langfristige Entscheidungen, die man treffen müßte, in einen nur für kurzfristige ,Maßnahmen passenden Zeitraum verlegt. Im Bundeswirtschaftsministerium ist man aber trotz aller Gefahren der Auffassung, daß der kurzfristige kommerzielle Vorteil den Vorrang vor der Erhaltung einer sicheren und langfristigen Energieversorgung haben müsse. Immer wieder wird der Bergbau ermahnt, seine Leistung und seine Wirtschaftlichkeit zu steigern. Die Energiepolitik der Bundesregierung muß aber dazu führen, daß allen Anstrengungen der Erfolg versagt bleibt, weil nämlich die Bergwerksgesellschaften nicht mit den Schwierigkeiten auf diesem Markt fertig werden.Die im westdeutschen Bergbau bisher durchgeführten Zechenschließungen haben keinesfalls zu einer Verbesserung der Lage geführt. Viele Stilllegungen erfolgten planlos und überraschend. Auf vielen Zechen wurden kurz vor der Stillegung noch erhebliche Investitionen vorgenommen. Diese Konzeptionslosigkeit wirkt sich aber nicht nur auf einzelne Projekte, sondern auf den gesamten Steinkohlenbergbau aus. Es gibt eine Reihe von Zechengesellschaften, die heute nicht mehr bereit sind, Rationalisierungsinvestitionen vorzunehmen, weil sie befürchten müssen, daß die heute aufgewendeten Mittel morgen als Fehlinvestitionen bezeichnet werden.Es hat sicherlich an sporadischen Eingriffen auf diesem Gebiet nicht gefehlt. Aber — ich muß es noch einmal wiederholen — von einer Konzeption, von einer Planung, von einer zielbewußten Energiepolitik kann man nicht reden. Die Bundesregierung muß deshalb erklären, welchen Platz die heimische Kohle, dieser wichtigste Energieträger — wie es der Herr Bundeskanzler ausführte —, einnehmen soll; denn nur dann, wenn der Bergbau weiß, welche Mengen er fördern muß, nur dann, wenn diese Grundsatzentscheidung getroffen ist, ist man in die Lage versetzt, entsprechende Schritte einzuleiten.Meine Damen und Herren, soweit man Pressemeldungen entnehmen konnte, beabsichtigt der Herr Bundeswirtschaftsminister nicht, einer Lizenzierung der 'Einfuhr von Öl oder einer Kontingentierung zuzustimmen. Wenn die Pressemeldungen richtig sind, hat er ja gestern in der Fraktionssitzung der CDU/CSU einen Sieg über den Herrn Bundeskanzler davongetragen.Wenn man keine Einfuhrbeschränkungen für Mineralölerzeugnisse will — es gibt sicherlich andere Möglichkeiten —, dann muß man aber bereit sein, Politik zu machen. Wenn man nicht bereit ist, andere Maßnahmen konsequent zur Anwendung zu bringen, besteht eine große Gefahr. Man braucht da gar kein Prophet zu sein. Wenn 'die Dinge so weiterlaufen wie bisher, ist der Zeitpunkt nicht mehr fern, wo eine Lizenzierung der Öleinfuhren wahrscheinlich gar nicht mehr ausreicht, wo Sie vielmehr zu einem Einfuhrstopp kommen müssen.Wir sind begierig zu erfahren, was man von seiten der Bundesregierung tun will, um die wichtigste deutsche Energiequelle, den Steinkohlenbergbau, sinnvoll in eine Energiewirtschaftspolitik einzugliedern.Unter Punkt 3 unserer Großen Anfrage wollen wir wissen, was die Bundesregierung zu tun gedenkt, um für alle Verbraucher eine möglichst preisgünstige Belieferung sicherzustellen. Diese Rangfolge in unserer Anfrage 'bedeutet keinerlei Werturteil und keinerlei Wertung des Gesamtproblems.Mit dem Begriff der Preisgünstigkeit ist in der letzten Zeit viel und ausdauernd operiert worden. Aber man muß 'wohl darauf hinweisen: was heute preisgünstig ist, braucht morgen noch lange nicht preisgünstig zu sein. Es kommt darauf an, einen Ausgleich zwischen Sicherheit der Versorgung und preisgünstiger Belieferung vorzunehmen.Preisgünstigkeit kann man aber nicht vom Tage her beurteilen. Hier müssen schon längere Zeiträume zugrunde gelegt werden. — Außerdem —das sollte man nicht verschweigen — sind die 'derzeitigen Ölpreise in der Bundesrepublik ganz eindeutig auf 'die Eroberung des Marktes 'abgestellt. Im Augenblick vollzieht sich in der Bundesrepublik ein Verdrängungswettbewerb. Es ist sehr gefährlich, anzunehmen, daß die Ölpreise über einen längeren Zeitraum hinaus auf dem heutigen Niveau gehalten werden können. Dieser Fall würde aber insbesondere eintreten, wenn die Steinkohle durch die Stilllegung von Schachtanlagen als Konkurrent auf dem Markt ausgeschaltet wäre.Auch die deutschen Steinkohlenreviere könnten ihre Produktivität noch steigern. Das wäre vor allen Dingen dann möglich, wenn die offenkundigen Nachteile einer privatwirtschaftlichen Zersplitterung durch eine vernünftige Felderbereinigung und eine Konzentration der Förderung auf die kostengünstigsten Anlagen erfolgte. Mit der durch steigende Leistung erzielten Kostendegression könnten die Förderkosten günstig beeinflußt werden. Außerdem müßten Überlegungen über einen sehr wichtigen Punkt angestellt werden: der Bergbau sollte von den Lasten 'befreit werden, die sich aus der Regression des Steinkohlenbergbaus ergeben.Unter Berücksichtigung dieser Faktoren müßte ein Preisvergleich zwischen Kohle und Heizöl angestellt werden. Wenn das geschähe, dann — davon bin ich fest überzeugt — kämen wir zu wesentlich anderen Ergebnissen über die Preisgünstigkeit.Noch etwas: der Strukturwandel auf dem Energiemarkt vollzieht sich nicht im luftleeren Raum, auch nicht am Grünen Tisch, sondern er vollzieht sich mitten in unserem pulsierenden Leben. Im Ruhrgebiet gibt es ganze Städte und ganze Gemeinden, die praktisch in ihrer Existenz von der Existenz des Bergbaus abhängen. In diesem Gebiet von Duisburg bis Hamm und von Marl-Hüls bis Witten hängen
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1266 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962
Arendt
nicht nur 1,5 Millionen Menschen unmittelbar von einem gesunden Bergbau ab, sondern die Existenz einer weitaus größeren Zahl ist mittelbar von einem gesunden Bergbau betroffen. Jeder, der im Ruhrgebiet lebt und beheimatet ist, hat nicht nur in den letzten Jahren oder in den letzten Monaten, sondern auch in früherer Zeit erfahren können, welche Erschütterungen bei Zechenstillegungen durch die Gemeinden und Städte gehen. Man hat erleben können, wie weite Kreise der Bevölkerung an solchen Vorgängen Anteil nehmen.Weil das so ist, muß die Struktur unseres wichtigsten Bergbaulandes, die Struktur von NordrheinWestfalen, ge- und verändert werden. Das geschieht aber nicht dadurch, daß man von Zeit zu Zeit beruhigende und besänftigende Reden hält, sondern das kann nur auf der Grundlage von Konzeptionen geschehen. Man muß wissen, was man will. Man muß sich Gedanken machen und mit Entschlossenheit die Maßnahmen treffen, die man als richtig und notwendig erkannt hat. Wir brauchen in der Bundesrepublik eine zielbewußte und planmäßige Energiepolitik, die jedem Träger seinen Platz in diesem Gesamtrahmen zuweist.Wir haben auf Umdruck 98 einen Antrag eingebracht, der dahin geht, für den deutschen Bergbau eine Fördermenge festzusetzen, die nicht nur allen wirtschaftlich arbeitenden Zechen eine volle Ausnutzung ihrer Kapazität gewährleistet, sondern auch den Bergarbeitern eine gleichmäßige und gesicherte Beschäftigungsmöglichkeit garantiert. Wir haben darin vorgeschlagen, die größtmögliche Wirtschaftlichkeit des Steinkohlenbergbaus durch einen sinnvollen Austausch von Grubenfeldern und eine sinnvolle Rationalisierung zu erreichen.Bei dieser Gelegenheit darf ich gleich eine Berichtigung anbringen. Unter Ziffer 3 unseres Antrags Umdruck 98 sollte es zweckmäßigerweise heißen:den Bau von Kraftwerken und die Errichtung von Block- und Fernheizwerken auf Kohlebasis, insbesondere durch Gewährung von zinsgünstigen Krediten zu fördern;Ferner muß der Bergbau von den Lasten befreit werden, die sich aus einer Regression ergeben.Schließlich brauchen wir von seiten der Regierung und der Öffentlichkeit gewisse Kontrollen. Wenn wir bereit sind, die Lasten auf uns zu nehmen, um die Energiewirtschaft in Ordnung zu bringen, dann müssen auch die Gesamtinteressen ihre entsprechende Berücksichtigung finden.Wir werden in der nächsten Zeit im Wirtschaftsausschuß Gelegenheit haben, über diesen Antrag zu sprechen, möchten Sie aber schon heute bitten, diese Punkte sehr genau zu beachten. Die Lösung dieser Fragen ist wichtig für eine zufriedenstellende und zukunftssichere Entwicklung der deutschen Energiewirtschaft und des Kohlebergbaus. Wir meinen, daß unser Antrag eine Grundlage dafür bieten kann, die Fragen im Bereich der Energiewirtschaft, die seit langem in Unordnung geraten ist, vernünftig zu regeln.Ein Wort zum Schluß: Die sozialdemokratische Fraktion wird ihren Rat und ihre Hilfe nicht versagen, wenn die Bundesregierung bereit ist, einen Gesamtrahmen zu entwickeln und Maßnahmen vorzubereiten, die eine wirksame, zielbewußte Energiewirtschaftspolitik ermöglichen.
Die Große Anfrage ist begründet. Sie wird beantwortet vom Herrn Bundesminister für Wirtschaft. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident Meine Damen und Herren! Ich beantworte die Große Anfrage der SPD betreffend Maßnahmen der Bundesregierung auf dem Gebiet der Energie- und Kohlewirtschaft — Drucksache IV/ 297 — wie folgt.Die Frage 1 der Großen Anfrage lautet:Welche Haltung werden die Vertreter der Bundesregierung im Ministerrat zu der vom Europäischen Parlament im Februar 1962 mit großer Mehrheit angenommenen Entschließung bezüglich Maßnahmen zur Koordinierung der Energiewirtschaftspolitik einnehmen, und welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung im nationalen Bereich daraus zu ziehen?Die Bundesregierung mißt der Entschließung des Europäischen Parlaments vom Februar 1962 zur Koordinierung der Energiepolitik ein besonderes Gewicht bei.Sie teilt viele der in dieser Entschließung enthaltenen Auffassungen. Sie teilt insbesondere den Wunsch des Europäischen Parlaments, möglichst schnell auf diesem Wege vorwärtszukommen.Die Bundesregierung hält es indessen für ihre Pflicht, dem Deutschen Bundestag die Schwierigkeiten bei der Verwirklichung einer Koordinierung der Energiepolitik in der Gemeinschaft nicht zu verschweigen. Die Bemühungen zur Koordinierung der Energiepolitik sind seit langem im Gange. Angesichts der unterschiedlichen Interessenlage in den verschiedenen Ländern sind aber entscheidende und nachhaltige konkrete Ergebnisse bisher nicht erreicht worden.Die Ursache läßt sich mit wenigen Worten verdeutlichen. Die energiewirtschaftliche Struktur in den 6 Ländern ist sehr verschieden, je nachdem es sich um Energieeinfuhrländer oder solche mit großer eigener Energieerzeugung handelt, je nachdem, welche Kohle- oder Ölinteressen z. B. vorhanden sind. Dementsprechend unterscheiden sich auch die energiepolitischen Anliegen zum Teil erheblich oder stehen gar einander entgegen. Auch die wirtschaftspolitischen Methoden und die Eigentumsverhältnisse in der Energiewirtschaft weichen zum Teil sehr voneinander ab. Dies alles zeigt die Schwierigkeiten, einen gemeinsamen Nenner zu finden.Selbstverständlich werden die Bemühungen um die Koordinierung der europäischen Energiepolitik im Rahmen der europäischen Gemeinschaften fortgesetzt.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962 1267
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. ErhardDie Bundesregierung wird auch weiterhin stets bemüht sein, alles zu tun, was eine Einigung erleichtern und den Weg zu einer gemeinsamen Energiewirtschaftspolitik beschleunigen kann. Diese positive Grundhaltung wird sie auch im Ministerrat zur Geltung bringen, dabei allerdings betonen, daß die Schaffung eines echten gemeinsamen Marktes eine wichtige Voraussetzung für Fortschrittsmöglichkeiten einer Koordinierung der Energiepolitik bildet.Viele Feststellungen der energiepolitischen Entschließung des Europäischen Parlaments decken sich mit der energiepolitischen Zielsetzung der Bundesregierung, wie sie im folgenden für den nationalen Bereich näher dargelegt wird. Wichtige in der Entschließung genannte Mittel sind in der Bundesrepublik bereits verwirklicht. Andere Überlegungen der Entschließung bedürfen unter dem Gesichtspunkt der nationalen Energiepolitik allerdings einer eingehenden Prüfung. Die Schwierigkeiten wirtschaftspolitischer und haushaltspolitischer Art, die z. B. eine Subventionierung des europäischen Steinkohlenbergbaus mit sich brächte, sollten von niemandem verkannt werden. Europäische Mechanismen zur Koordinierung von Investitionen im Energiebereich, um ein weiteres Beispiel zu nennen, müssen im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Energiepolitik Vorbehalten und Bedenken begegnen.Solange und soweit es eine gemeinsame europäische Energiepolitik noch nicht gibt, wird die Bundesregierung die Verantwortung für die Energiepolitik im nationalen Bereich zu tragen haben. Die in der Entschließung des Europäischen Parlaments enthaltenen Überlegungen werden ohne Zweifel auf der nationalen Ebene fortzuführen sein, um mit den aktuellen energiepolitischen Problemen fertigzuwerden.
Die Frage 2 lautet:
Welche energiepolitischen Ziele hat die Bundesregierung mit ihren bisherigen vielfältigen Eingriffen in die Energiewirtschaft verfolgt?Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß der Kohlebergbau als wichtigste deutsche Energiequelle auch in Zukunft einen entscheidenden Beitrag für die Energieversorgung der Bundesrepublik zu leisten hat?Welchen Umfang soll die Kohleförderung im Rahmen der Energiewirtschaftspolitik der Bundesregierung haben? Ist die Bundesregierung bereit, ihre Entscheidung über die angestrebte Förderhöhe bekanntzugeben, damit der Kohlebergbau eine ausreichende Grundlage für seine Investitionsentscheidungen erhält und der Bergarbeiter weiß, ob sein Arbeitsplatz gesichert ist oder nicht?Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um zu gewährleisten, daß ihre energiepolitischen Ziele erreicht werden?Ich antworte wie folgt.Mit dem einleitenden Teil der Fragestellung erkennt offenbar auch die SPD an, daß die Bundesregierung nicht untätig gewesen ist.Mit ihren vielfältigen Maßnahmen — mögen sie auch als Eingriffe bezeichnet werden — hat die Bundesregierung stets das energiepolitische Ziel einer wirtschaftlichen, d. h. möglichst billigen und gesicherten Energieversorgung verfolgt. Dieses Ziel schließt die Berücksichtigung des Verbraucherinteresses ebenso ein wie die Berücksichtigung schwieriger struktureller Veränderungen, die sich im Bereich der Energiewirtschaft selbst und der in ihr tätigen Menschen auswirken. Beides war und ist abwägend im Interesse der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung miteinander in Einklang zu bringen.Die Bundesregierung kann immer weniger übersehen, daß in allen Industriestaaten der Welt die Gestaltung der Energieversorgung als besonderes wirtschaftspolitisches Anliegen deutlich hervortritt. Überall vollzieht sich ein verhältnismäßig rascher Strukturwandel auf dem Energiegebiet im Zeichen eines anhaltenden Überangebots von Energie. Die dadurch ausgelösten Konkurrenzkräfte wirken sich vor allem gegenüber dem Steinkohlenbergbau aus. Überall ist mehr und mehr zu erkennen, daß Energie zu einem Hauptfaktor für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung geworden ist. Der Energiepreis ist heute ähnlich dem Kapitalzins von erheblicher Bedeutung für die Investitionen, die notwendig sind, um der strukturellen Verknappung der Arbeitskräfte zu begegnen. Energie spart Arbeitskraft und erhöht ihre Produktivität. Angesichts der Tendenz steigender Löhne bildet damit billige Energie einer der wichtigsten Voraussetzungen für die Steigerung des Realeinkommens und des Lebensstandards ganz allgemein. Im Rahmen der Wirtschaftspolitik ist die Energiepolitik der Bundesregierung daher auf die Schaffung der fortschrittlichsten Energiewirtschaft bedacht, weil sonst ein gefährliches Zurückbleiben gegenüber der Entwicklung in anderen Staaten die Folge wäre.Die Bundesrepublik ist als Land mit großer Steinkohlenförderung und großem Kohlenexport von den Schwierigkeiten struktureller Veränderungen am Energiemarkt besonders betroffen. Seit dem Jahr 1958 steht daher die Anpassung des Steinkohlenbergbaus an die durch Wettbewerb der Einfuhrkohlen und des Heizöls grundlegend veränderte Lage im Vordergrund der energiepolitischen Maßnahmen der Bundesregierung. Die Maßnahmen waren darauf gerichtet, bruchartige Entwicklungen am Energiemarkt mit schädlichen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgen zu vermeiden und in diesem Sinne dem Steinkohlenbergbau und den in ihm beschäftigten Menschen einen Anpassungsschutz zu gewähren und zugleich seine Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Damit wurde dem Hauptanliegen der Bundesregierung entsprochen, dem deutschen Verbraucher eine preiswerte und sichere Energieversorgung zu gewährleisten.Diese klare energiepolitische Linie findet ihren Ausdruck in zahlreichen aufeinander abgestimmten Maßnahmen für den Steinkohlenbergbau. Sie geben in ihrer Summierung ein eindrucksvolles Bild über
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1268 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erharddas, was von der Bundesregierung getan wurde. Hier möge ein kurzer Überblick nur über die wichtigsten Maßnahmen genügen; eine Unterteilung gibt zugleich Aufschluß über die damit verfolgten Ziele.Den Grundbestand des Anpassungsschutzes, welcher dem deutschen Steinkohlenbergbau gewährt wird, bilden folgende Maßnahmen: Entliberalisierung der Kohleneinfuhr aus dritten Ländern, Einführung eines Kohlenzolls von 20 DM je t unter Gewährung eines zollfreien Kontingents von gegenwärtig 6 Millionen t im Jahr in erster Linie für küstennahe Verbraucher, Einführung einer Heizölsteuer in Höhe von 25 DM je t für schweres und von 10 DM je t für leichtes Heizöl. Zur Anpassung an die Lage des Energiemarktes können die Steuersätze erhöht oder gesenkt werden.In logischer Ergänzung hierzu stehen Maßnahmen, welche unmittelbar auf die Anpassung des Steinkohlenbergbaus ausgerichtet sind. Hierzu sind zu nennen: Gewährung sozialer Anpassungshilfen für die von Stillegungen betroffenen Bergarbeiter im Zusammenwirken mit der Hohen Behörde, Zahlung eines nachträglichen Härteausgleichs für Feierschichten in der Zeit vom 1. Februar 1958 bis 30. September 1959 in Höhe von rund 75 Mill. DM, steuerliche Hilfen, insbesondere Abschreibungserleichterungen für Rationalisierungsmaßnahmen, Bürgschaften zur Erleichterung der Kreditbeschaffung.Folgende Maßnahmen dienen der Verbesserung von Wettbewerbsbedingungen der Steinkohle: Gewährung einer Frachthilfe für Kohlentransporte der Bundesbahn und der Binnenschiffahrt in Höhe von 8,6 % der Frachttarife aus dem Aufkommen der Heizölsteuer mit dem Ziel, die Frachterhöhung vom 1. Februar 1958 rückgängig zu machen. Dies bedeutet ein Entlastung von rund 100 Millionen DM jährlich; Senkung der Bundesbahntarife für Kohle um durchschnittlich 11 % ab 1. März 1962 zur Annäherung an das europäische Kohlenfrachtniveau. Die daraus sich ergebende Entlastung beträgt etwa 100 Millionen DM jährlich. Einräumung einer Frachtverbilligung für Kohlentransporte in geschlossenen Zügen.Schließlich kann noch in diesem Haushaltsjahr mit dem Bau einer Ferngasleitung in Nordbayern begonnen werden, nachdem im Bundeshaushalt 1962 die haushaltsmäßigen Voraussetzungen geschaffen worden sind. Das in dieser Leitung verwendete Gas unterstützt einerseits den Kohleabsatz und führt andererseits in diesem revierfernen Gebiet zu einer beträchtlichen Verbilligung der gegenwärtig relativ hohen Gaspreise auf durchschnittlich 8,5 Pf je cbm. Dieser Preis kommt dem durchschnittlichen Gaspreis an der Ruhr nahe.Alle diese Maßnahmen machen wohl zur Genüge deutlich, weiche Bedeutung die Bundesregierung dem Steinkohlenbergbau als wichtigster deutscher Energiequelle beimißt. Sie ist sich darüber klar, daß der Steinkohlenbergbau auch in Zukunft einen entscheidenden Beitrag für die Energieversorgung der Bundesrepublik zu leisten hat.Die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung haben dazu geführt, daß die Steinkohlenförderung seit dem Jahre 1959 unter ein Niveau von 140 Mill. t nicht gesunken ist. Im Gegenteil läßt sich feststellen, daß sie seitdem leicht angestiegen ist.Unter dem Schutz ,der bisherigen Maßnahmen, die, wie noch darzulegen sein wird, in umfassender Weise ergänzt werden sollen, ist eine bedenkliche Senkung dieses Förderniveaus nach Überzeugung der Bundesregierung nicht zu erwarten. Die Bundesregierung ist aber nicht in der Lage, eine Absatzgarantie für ein bestimmtes Förderniveau zu gewähren. Gerade auf dem Energiegebiet mit seiner besonderen dynamischen 'Entwicklung ist eine gewisse unternehmerische Beweglichkeit unentbehrlich. Die Folge starrer, von der Regierung festgelegter Produktionsziele wären mit größter Wahrscheinlichkeit Fehlinvestitionen. Die Allgemeinheit hätte die Kosten zu tragen, die Regierung hätte sie zu verantworten. Würde die Bundesregierung die unternehmerischen Entscheidungen übernehmen, welche Anpassungskonsequenzen im einzelnen und konkret gezogen werden müssen, so bestände die privatwirtschaftliche Grundlage ides Steinkohlenbergbaus in der Tat nur mehr 'formal.Dank der Maßnahmen der Bundesregierung und einer ständig guten Konjunktur hat sich die Entwicklung am Energiemarkt seit dem Jahre 1959 verhältnismäßig ruhig vollzogen. Die Fortsetzung der wichtigsten dieser Maßnahmen und ihre vorgesehene Ergänzung durch weitere Maßnahmen werden nach Meinung der Bundesregierung die Aufrechterhaltung der Steinkohlenförderung etwa in ihrer heutigen Größenordnung ermöglichen. Das setzt aber voraus, daß die Entwicklung der Kohlenpreise dies nicht vereitelt. Der Anpassungsprozeß des ,Steinkohlenbergbaus ist im übrigen keineswegs beendet. Es muß damit gerechnet werden, daß der ,Steinkohlenbergbau unter dem Druck verschiedener Faktoren, der Konkurrenz anderer Energieträger, der Kostengestaltung und des zunehmenden Bergarbeitermangels, in ,der kommenden Zeit besonderen Anpassungsschwierigkeiten entgegensidht.Die energiepolitische Linie der Bundesregierung bildet eine ausreichende Grundlage für die Investitionsentscheidungen des Bergbaus. Der Bergbau weiß, 'daß er sich auf zwei Dinge verlassen kann. Erstens: Die Bundesregierung wird keine bruchartige Entwicklung, ausgelöst durch das überstürzte Vordringen anderer Energieträger, zulassen. Zweitens: Die Bundesregierung wird alle Anpassungsbemühungen des Bergbaus so wirksam wie nur möglich unterstützen.
In diesem Zusammenhang soll anerkannt werden, .daß der deutsche Steinkohlenbergbau erfolgreich zur• Steigerung seiner Wettbewerbsfähigkeit beigetragen hat. Er hat sich um eine Anpassung an die veränderte Lage auf Idem Energiemarkt bemüht. Obwohl sich die Zahl der Bergarbeiter seit Anfang 1958 um mehr als 150 000 Personen vermindert hat, konnte die Förderung in den letzten Jahren bei etwa 142 Millionen t gehalten werden. Gleichzeitig sind die Haldenbestände von 18,6 auf 11 Millionen,
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962 1269
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhardalso um 7,5 Millionen t gefallen. Diese Leistungen wurden nur möglich durch die erwähnten Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung und durch erhebliche Rationalisierungen, ,die eine im Vergleich zu anderen Ländern überdurchschnittliche Produktivitätssteigerung zur Folge hatten. Die Schichtleistung hat sich von 1957 bis 1961 von 1600 kg auf 2300 kg erhöht, das sind 38 %.Im Zuge ,der ,weiteren Rationalisierung im Steinkohlenbergbau wird die Budesregierung wie bisher eine wesentliche Aufgabe darin sehen, soziale Nachteile für die von Produktionsumschichtungen betroffenen Arbeitnehmer abzuwenden und für eine reibungslose Wiedereingliederung zu sorgen. Es ist jedoch mit dieser Wirtschaftspolitik nicht vereinbar, Umschichtungen in der Produktion und daraus resultierende Veränderungen des Einsatzes der Arbeitskraft absolut zu verhindern. Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit gezeigt, daß sie bereit und in der Lage ist, eine wirksame soziale Anpassungshilfe für die Bergarbeiter zu gewähren. Daran wird sich in Zukunft nichts ändern.Ich möchte nun als Antwort auf die im 4. Absatz zu Ziffer 2 gestellte Frage eine Darstellung der energiepolitischen Maßnahmen und Vorkehrungen geben, welche die Bundesregierung zu ergreifen gedenkt.a) Um die Kontinuität des erforderlichen Anpassungsschutzes angesichts .der langfristigen Aufgaben des Steinkohlenbergbaus zu gewährleisten, erscheint es bereits heute als notwendig, Kohlenzoll und Heizölsteuer über die bisher festgelegte gesetzliche Geltungsdauer hinaus, d. h. über den 31. 12. 1962 bzw. 30. 4. 1963 hinaus, beizubehalten. Die Bundesregierung wird daher entsprechende Gesetzentwürfe vorbereiten und dem Bundestag alsbald zuleiten.b) Die Bundesregierung bereitet den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung eines Rationalisierungsverbandes für den Steinkohlenbergbau als bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts vor. Durch ein solches Gesetz würde dem Bergbau der Rahmen für eine Selbsthilfeorganisation zur Rationalisierung zur Verfügung stehen. Die vom Verband benötigten finanziellen Mittel sollen durch Beiträge der Mitglieder und durch Zuschüsse der öffentlichen Hand aufgebracht werden. Es ist vorgesehen, daß bei endgültigen Stillegungen eine Prämie von 12,50 DM je Tonne stillgelegter Kapazität aus öffentlichen Mitteln gezahlt wird. Darüber hinaus sollen aus Umlagemitteln weitere 12,50 DM je stillgelegter Tonne aufgebracht werden.c) Um anstehende notwendige Stillegungsmaßnahmen, die gegenwärtig mit Rücksicht auf die Erörterungen über den Gesetzentwurf eines Rationalisierungsverbandes zurückgestellt worden sind, nicht weiter zu verzögern, sollen für Stillegungen von Zechen, die ab 15. Mai 1962 eingeleitet werden, 12,50 DM je stillgelegte Tonne aus öffentlichen Mitteln gezahlt werden.d) Für eine im Rahmen des Rationalisierungsverbandes einzuleitende umfassende Bürgschafts- ist beabsichtigt, dem Rationalisierungsverband unter angemessener Beteiligung des Verbandes am Risiko Rückbürgschaften der öffentlichen Hand zu gewähren.e) und Kreditaktion im Umfang von 1,5 Milliarden DM f) Notwendige Maßnahmen, insbesondere der über den Bereich eines Unternehmens hinausgehenden Rationalisierung im Steinkohlenbergbau, scheiterten häufig an steuerlichen Hemmnissen. Die Bundesregierung bereitet den Entwurf eines Gesetzes über steuerliche Anreize für Rationalisierungsmaßnahmen vor, welche nach dem 15. Mai 1962 vorgenommen werden; sie wird den Entwurf dem Bundestag alsbald vorlegen.g) Darüber hinaus prüft die Bundesregierung weitere Maßnahmen im Interesse einer kontinuierlichen und sicheren Energieversorgung.Im Vordergrund steht dabei die Frage, wie die bisher nicht kontrollierte Einfuhr von Ostblocköl aus dritten Ländern — außerhalb der mit den Ostblockstaaten handelsvertraglich vereinbarten Kontingente — unter Kontrolle gebracht und den handels- und energiepolitischen Interessen der Bundesrepublik angepaßt werden kann. Trotz der divergierenden Interessen der verschiedenen EWG-Staaten soll versucht werden, dies durch direkte Verhandlungen mit Ländern, die mittelbar oder unmittelbar Ostblocköl in die Bundesrepublik einführen, sowie durch ein gemeinsames Vorgehen aller EWG-Staaten zu erreichen. Bei der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Gange befindliche Beratungen sollen seitens der Bundesregierung in diesem Sinne verstärkt beeinflußt werden.Es wird ferner geprüft, welche Möglichkeiten für eine gesetzliche Regelung der Vorratshaltung für die wichtigsten Erergiearten bestehen. Insbesondere durch die in großen Bereichen sehr niedrige Bevorratung von Heizöl bei den Verbrauchern wird den Notwendigkeiten einer sicheren Energieversorgung nicht Rechnung getragen.Schließlich beabsichtigt das Bundesministerium für Wirtschaft, im Wege der Konsultation eine Abstimmung der Investitionen auf dem Gebiet des Neu-und Ausbaus der Raffineriekapazitäten unter den Beteiligten herbeizuführen.Frage 3 lautet:Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um für alle Verbraucher eine möglichst preisgünstige Energieversorgung sicherzustellen?Frage 4:Was gedenkt die Bundesnegierung zu tun, um den notwendigen Anpassungsprozeß in der Energiewirtschaft ohne größere wirtschaftliche Verluste, ohne soziale Not und ohne Gefahr für die betroffenen Gemeinden durchzuführen?Ich darf die Antworten auf diese beiden Fragen zusammenfassen. Mit den dargelegten Maßnahmen soll erreicht werden, dem Steinkohlenbergbau eine ausreichende Hilfe für eine Anpasssung zu bieten, die ohne größere wirtschaftliche Verluste, ohne soziale Not und ohne Gefahr für die betroffenen Ge-
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1270 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhardmeinden vorangehen kann. In gleicher Weise kann erwartet werden, daß die Maßnahmen der Bundesregierung die Entwicklung einer preisgünstigen Energieversorgung für die Verbraucher gewährleisten. Schon die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung haben diesem Anliegen mit beachtlichem Erfolg gedient. Ein Vergleich der heutigen Energiepreise mit denen vor zwei Jahren zeigt, daß in diesem Zeitraum weder für Steinkohle und Koks noch für Strom und Gas oder Benzin eine Erhöhung des Preisniveaus eingetreten ist. Auf einzelnen Teilen des Energiemarktes ergaben sich Preissenkungen, die stärker zu Buch schlagen als Preiserhöhungen, die in anderen, relativ engen Bereichen eintraten. Lediglich für das Heizöl ist in diesem Zeitraum eine gewisse Preissteigerung eingetreten. Dies stellt sich jedoch eher als ein Ausgleich gegenüber dem Preisverfall dar, der in der Zeit vor Einführung der Heizölsteuer beim Heizöl eingetreten war. Dadurch hat sich das Heizölpreisniveau der Bundesrepublik im Vergleich zu den meisten anderen europäischen Staaten nicht überhöht.Am Ende meiner Antwort auf die Große Anfrage der SPD scheint mir ein Hinweis angezeigt. Nunmehr liegt Ihnen das Gutachten der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute über die „Entwicklung der gegenwärtigen und zukünftigen Struktur von Angebot und Nachfrage in der Energiewirtschaft der Bundesrepublik unter besonderer Berücksichtigung des Steinkohlenbergbaus" in gedruckter Form vor. Diese Untersuchung geht auf die Initiative des Deutschen Bundestages zurück. Sie ist jetzt in Ihren Händen.
Ich bedauere mit Ihnen, daß sich die Verzögerung durch die Dauer der Drucklegung nicht hat vermeiden lassen.,
Meine Damen und Herren, Sie haben die Beantwortung der Großen Anfrage der SPD gehört. Ich eröffne die Beratung. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Burgbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß die Große Anfrage der SPD ein willkommener Anlaß ist, über ein sehr wichtiges volkswirtschaftliches Teilproblem zu sprechen, das uns schon lange beschäftigt und noch lange beschäftigen wird.Ich glaube auch sagen zu dürfen, die Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers haben bewiesen, daß die Bundesregierung in der zurückliegenden Zeit mit dem von ihm geschilderten Bukett von Maßnahmen Energiewirtschaftspolitik gemacht hat und daß sie mit den angekündigten neuen Maßnahmen diese Energiewirtschaftspolitik fortzusetzen gedenkt. Die Tatsache, daß sich die Kohlenfördermenge in den letzten Jahren nicht mehr wesentlich verändert hat, sondern nach leichter Steigerung bei etwa 143 Millionen t im Jahr liegt, beweist die Richtigkeit dieser Politik.Man könnte vielleicht der Meinung sein, daß man dann ja noch Zeit habe. Dem ist aber nicht so, weil in der Energiewirtschaft nicht die gleichen Grundvoraussetzungen wie in anderen Zweigen der produzierenden Wirtschaft gegeben sind. Es ist nun einmal so, daß sie von geologischen Voraussetzungen abhängt und daß sowohl bei Kohle wie bei Öl, sowohl bei Kraftwerken wie bei Kokereien jahrelange Planung, jahrelange Bauzeiten und dann festliegende Kapazitäten vorhanden sind, die nicht in wenigen Jahren wie etwa eine unmodern werdende Maschine abgeschrieben werden können.Aus diesen natürlichen Gründen ist auch im Rahmen einer sozialen und freien Marktwirtschaft der legitime Raum für eine aktive Energiewirtschaftspolitik gegeben.Es ist mit Recht auf die Resolution des Europäischen Parlaments hingewiesen worden. Ich bekenne mich zu dem Inhalt dieser Resolution in allen seinen Teilen; ich bin aber auch damit einverstanden, daß man zu einigen Teilen Vorbehalte anmeldet. Es gibt kaum eine mit Mehrheit gefaßte Entschließung eines nationalen oder supranationalen Parlaments, die jedem in allen Teilen restlos gefällt.Die Tatsache, daß wir bei einer vollen Liberalisierung des Energiemarktes in der Bundesrepublik etwa 40 bis 60 Millionen Jahrestonnen Steinkohle im Laufe relativ kurzer Zeit verlieren würden, zusammen mit der Unübersehbarkeit der energiewirtschaftlichen und preislichen Entwicklung in den kommenden zehn Jahren, veranlaßt uns zu den von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen. Die geologischen Voraussetzungen, die wir haben, sind nun einmal so wesentlich verschieden von denen z. B. in den Vereinigten Staaten, daß wir auch bei stärkster Rationalisierung an die Schichtleistungen, wie sie in den Vereinigten Staaten sind, vermutlich nicht herankommen können.Der Ministerrat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wird sich am 5. Juni erneut mit den Fragen der Energiewirtschaftspolitik befassen, und auf Grund der Ergebnisse einer letzten Konferenz des Ministerrates in Rom zeichnen sich vielleicht europäische Lösungsmöglichkeiten ab, die sich mit dem Sinn unserer nationalen Energiewirtschaftspolitik in Übereinstimmung bringen lassen.Ich möchte gleich am Anfang darauf eingehen, daß wir gar nicht wissen, wie sich die Verwendung der Kohle noch weiter entwickeln kann. Hier ist in einem anderen Zusammenhang von der Saar gesprochen worden. An der Saar werden z. B. von der insgesamt geförderten Kohle nur 11% gewandelt oder veredelt, im Ruhrgebiet bereits 47 %. Ich will damit sagen, daß wir mit der Kohleverwendung, der Kohleveredelung, der Erhöhung der Nutzwerte und der Ausnutzungsgrade sowie den Reduzierungen der Wandlungsverluste, die zwischen der Primärenergie, der Sekundärenergie und schließlich der Nutzenergie stehen, noch keineswegs am Ende der Entwicklung angekommen sind.Um auch gleich am Anfang davon zu sprechen, daß die Atomenergie noch kein Gegenstand für unsere heutige Debatte ist, möchte ich sagen — es
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962 1271
Dr. Burgbacherist wohl übereinstimmende Auffassung aller —, daß die Atomenergie frühestens etwa im Jahre 1970 anfängt, wirksam auf einem Teilenergiemarkt, nämlich dem Elektrizitätsmarkt, aufzutreten. Heute werden nur etwa 15 bis 20 % des Gesamtenergiebedarfs von der Elektrizität gedeckt. Es wird also ab 1970 erst langsam anlaufend ein Teil des dann mehr entstehenden Strombedarfs durch Kernenergie gedeckt werden. Diese Feststellung enthebt uns heute und hier nicht der Pflicht, eine aktive Energiewirtschaftspolitik unter den zur Zeit gegebenen Verhältnissen und Erkenntnissen zu treiben.Wir sind uns also darüber einig, daß die Geltung der Heizölsteuer verlängert werden soll. Bei dieser Verlängerung muß man sich wohl auch wieder des legislativen Ausgangspunktes für diese Steuer erinnern, der nicht fiskalischer, sondern energiepolitischer Art war. Wir sind uns einig darüber, daß die Geltung der Kohlekontingente und des Kohlezolls verlängert werden soll, und wir sind uns vor allem über den erwähnten Rationalisierungsverband einig. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat schon anerkannt, welche Leistungen bisher bereits bei der Rationalisierung und bei der Steigerung der durchschnittlichen Schichtleistung um 38 % entstanden sind. Die Steinkohle sollte nach unserer Ansicht die echte Chance haben, bei Ausnutzung aller denkbaren, aller zumutbaren Rationalisierungsmöglichkeiten die heutige Förderung von rund 140 Millionen t in etwa beizuhalten, wobei klar sein muß, daß eine Absatzgarantie nicht gegeben werden kann und auch nicht gegeben werden soll. Wir wollen die Zeit des Übergangs, wie die Regierungserklärung sagt, zur Vermeidung bruchartiger Übergänge vermitteln, um der Kohle die Zeit zu geben, sich der neuen Situation anzupassen.Wir sind uns deshalb auch darüber einig, daß eine laufende Konsultation zwischen dem Bundeswirtschaftsminister — als Repräsentant der Bundesregierung — und der Kohle und vor allem dem Öl über den Ausbau oder den Neubau von Raffineriekapazitäten stattfinden soll. Das liegt nicht nur im Interesse der Kohle, sondern in gleicher Weise auch im Interesse des Öls. Denn man muß in Betracht ziehen, daß ein Arbeitsplatz in einer modernen Raffinerie zwischen 2- und 300 000 DM Investitionskapital kostet. Es wäre nicht fair, Investitionen in einem solchen Maße zuzulassen oder zu fördern, wenn sie nicht ihren Markt haben. Dabei ist völlig klar, daß der relative Anteil der Steinkohle, wenn sie ihren absoluten Mengenanteil am Gesamtenergiemarkt behält, mit ziemlich rasanter Geschwindigkeit zurückgeht und daß, im großen und ganzen gesehen, der Energiezuwachs der kommenden, zunächst einmal übersehbaren zehn Jahre — mit Prophezeihungen wollen wir sehr vorsichtig sein — dem Öl gehört. Das kann und soll nicht bestritten werden. Es soll auch nicht bestritten werden, daß der Verbraucher auf dem Energiemarkt die freie Wahl behalten muß.Der Zweck dieser Abstimmung ist, zu verhindern, daß die Kohle in einem auf längere Sicht nicht notwendigen Maße überrannt wird und zur Stillegung kommt und dann bei einer etwaigen Veränderung in den Veredelungserkenntnissen, in der Minderung der Wandlungsverluste oder auf ,der Seite der Ölpreise nicht mehr vorhanden ist. Wir glauben aber, daß diese Abstimmung, die in völlig freiem Verkehr :des Ministers mit den Interessenten vor sich gehen soll, auch einen Erfolg im Sinne dieser Energiepolitik haben muß. Deshalb möchten wir auch zum Ausdruck bringen, daß wir, wenn das nicht der Fall ist, über zwei Möglichkeiten verfügen, um den Versuch zu machen, 'doch zum Erfolg zu kommen.Die eine Möglichkeit ist die Anwendung des Art. 10 des Außenwirtschaftsgesetzes. Sie ist identisch mit einer Art Lizenzierung. Die Regierung kann sie nach geltendem Recht jeden Tag in Betracht ziehen, wenn sie es will. Die andere Möglichkeit bestünde eventuell in der auch in der Hand der Regierung liegenden Berechtigung der Erhöhung der jetzt in Kraft befindlichen Heizölsteuersätze. Wir wollen aber hoffen, daß es die Vernunft der Beteiligten überflüssig macht, den Art. 10 anzuwenden oder von der Erhöhung der Heizölsteuer Gebrauch zu machen. Man sollte es eigentlich im weitsichtigen Interesse aller annehmen dürfen.Einverständnis besteht in der Zurückdrängung des Ostblocköls, wobei wir selbstverständlich eingegangene handelsvertragliche Verpflichtungen zu beachten haben. Daß aber hier eine echte Gefahr über den energiewirtschaftlichen Rahmen hinaus auf uns zukommt, mögen ganz wenige Zahlen über die Exportpreise der Sowjetunion für Ö1 zeigen. Sie betragen. zum Beispiel in der Bundesrepublik, in Italien, Finnland, Japan und Ägypten zwischen 39 und 50 DM. Sie betragen in den Ländern Polen, Tschechei, Ungarn, Sowjetzone und Volksrepublik China zwischen 78 und 95 DM, d. h. sie sind ausdrücklich politische Preise und haben das Ziel, einmal, Devisen für den Sowjetblock zu bekommen, dann aber auch, eine partielle energiewirtschaftliche Abhängigkeit der Energiewirtschaft des Westens von dem Osten zu erreichen. Hier sind wir mit der EWG und der atlantischen Welt völlig einer Meinung, und wir hoffen, die Dinge in den Griff zu bekommen.Eine große Chance für die Kohle besteht in ihrer — wie die Fachleute sagen — „Verstromung"; ich habe heute von einem Sprachkundler gehört, das sei ein grauenhaftes Wort. Dieses Wort bedeutet: die Umwandlung der Kohle in Elektrizität. Diese Chance kann man nicht groß genug sehen, und zwar deshalb, weil auch heute bei den in der Bundesrepublik relativ niedrigen Ölpreisen für Kraftwerke die Gestehungskostendifferenz bei der Kilowattstunde Strom aus Kohle gegenüber der aus frachtgünstig geliefertem Öl nur zwischen 0,2 und 0,4 Pf ausmacht. Zweifellos wäre das für die Aluminiumindustrie ein wichtiger Punkt; aber für den Großteil der Stromverbraucher ist das kein entscheidender kalkulatorischer Posten.Zur Zeit werden etwa 20 % der Steinkohle in Elektrizität umgewandelt. Man rechnet alle zehn Jahre mit einer Verdoppelung des Elektrizitätsbedarfs. In zehn bis fünfzehn Jahren wäre also — zunächst nur statistisch gerechnet —, wenn die gesamte Zunahme der Nachfrage nach Strom aus
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1272 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962
Dr. BurgbacherSteinkohle gedeckt würde, die in der Gefahr der Substituierbarkeit liegende Steinkohle in Elektrizität umgewandelt. Dann könnten wir auf viele der jetzt erörterten Anpassungsmaßnahmen sozusagen automatisch verzichten. Ich möchte auf diesen Punkt und auf die Förderung dieser Entwicklung besonders hinweisen.In der Erklärung der Bundesregierung ist eine indirekte Förderung vorgesehen. Die Überlegungen gehen dahin, daß alle auf Öl stehenden Großverbraucher — dazu würden die Kraftwerke gehören — eine bestimmte Vorratsmenge an Öl aus Gründen der Sicherheit der öffentlichen Stromversorgung halten müssen. Dann müssen natürlich Anlagen geschaffen werden, die Geld kosten und die Wettbewerbsfähigkeit 'der auf ,Kohle ruhenden Verstromung vergrößern würden.Die Frage der Wettbewerbsangleichung, die Frage, ob man das Energiewirtschaftsgesetz für Gas und Elektrizität unter Umständen auch auf andere Dinge wie Pipelines ausdehnen soll, ist noch nicht entscheidungsreif. Ich möchte sie nur in dem Sinne im Betracht ziehen — nicht, daß es so sein muß —, daß keinerlei Wettbewerbsverzerrung in der Gesetzgebung für die verschiedenen Energieträger bleiben soll. Ich könnte mir auch denken, daß man zukünftiges Heizölsteueraufkommen nur energiewirtschaftspolitisch einsetzt. Damit möchte ich um Gottes willen nicht die verdienstvolle Arbeit unseres Bundesfinanzministers stören, den Haushalt in Ordnung zu halten; ich spreche deshalb ausdrücklich von zukünftig neu aufkommender Heizölsteuer.Es müßte unser Ziel sein, daß zumindest die leitungsgebundene Energie — Gas, Elektrizität und Öl; denn es wird in Zukunft sehr bald auch in Pipelines leitungsgebunden sein — im süddeutschen Raum oder im revierfernen Raum nicht wesentlich mehr kostet als im Revierraum.
Diesen legitimen Anspruch der revierfernen Gebiete unserer Bundesrepublik möchten wir ausdrücklich anerkennen. Wir möchten auch die Politik der Verbilligung der Kohlefrachten in diesen Räumen aus Mitteln der Heizölsteuer — wenn das noch drin ist— fortsetzen.Eine weitere Frage bei der Kohle ist ihre Sozialbelastung. Darüber wird — wenn es der Ablauf der Aussprache zuläßt — ein Kollege noch besonders sprechen. Ich möchte nur — für jeden verständlich— folgendes sagen. Die Kohle hat im Knappschaftssystem eine auf die Branche Kohle begrenzte Alters- und Unfallversicherung. Das war bei deren Entstehung wahrscheinlich ein guter legitimer Gedanke. In den Zeiten, in denen sich aus Gründen der technischen Fortentwicklung aber die aktiv tätige Belegschaft in einer Branche reduziert, die inaktive sich aber nicht reduziert, sondern gar steigert, muß das natürlich in der Sozialbelastung zu außergewöhnlichen Belastungen führen. Wir müssen zunächst studieren, wie das in den übrigen Ländern des Gemeinsamen Marktes und in dem ante portas stehenden Großbritannien gehandhabt wird, um klarzustellen, daß wir hier auch wettbewerblich gleichziehen müssen. Ich möchte über die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten und über alle anderen Einzelheiten nicht sprechen, sondern das meinem Kollegen Scheppmann vorbehalten, wenn er es nachher tun will.Interessant ist, daß in den Vereinigten Staaten — allerdings mit anderen geologischen Voraussetzungen und anderen Kohlepreisen — die Kohle in der „Verstromung" den Platz Nummer Eins einnimmt, und daß man nach neueren Erkenntnissen der Meinung ist, die in den Vereinigten Staaten in den letzten 20 Jahren erheblich zurückgegangene Kohlenförderung — seit einigen Jahren ist sie stabil geblieben — wieder um mindestens 100 Millionen Tonnen pro Jahr steigern zu können, wenn man diese Politik der „Verstromung" der Kohle systematisch fortsetzt.Erlauben Sie mir auch noch folgenden Hinweis. Wenn von der Sicherheit der Energieversorgung gesprochen wird, muß das im richtigen Maße gesehen werden. Es gibt keine autarke Energieversorgung mehr für die Bundesrepublik und auch nicht für den Gemeinsamen Markt. Wir sind zur Zeit mit etwa 27 % importabhängig und werden, wenn die heutige Steinkohlenförderung der europäischen Gemeinschaft aufrechterhalten bleibt, im Jahre 1975 mit mindestens 40% importabhängig sein. Wenn aber voll liberalisiert wird und wenn die Steinkohlenförderung der Gemeinschaft und insbesondere die deutsche auf die nicht substituierbare Menge zurückgeht, dann würde die Energieabhängigkeit etwa 60 % betragen. Nun darf man ja neuerdings wieder über Devisen sprechen. Ich möchte immerhin darauf hinweisen, daß die Frage, ob diese substituierbare Kohle aus dem Lande oder aus dem Import kommt, eine Frage von 3 bis 4 Milliarden DM pro Jahr an Devisen ausmacht. Ich halte dies nicht für die entscheidende Frage; aber im Bukett der Gesamtbetrachtung sollte man sie nicht übersehen.Ein weiteres. Ich bin der Meinung, daß wir bei den Energiedebatten viel zu wenig dem Transportkostenanteil bei den verschiedenen Energieträgern Rechnung tragen. Ich will Ihnen einige Beispiele nennen. Wenn Ölprodukte von der Ruhr nach München transportiert werden, kostet das 45 DM pro Tonne; wenn sie von Stuttgart nach München transportiert werden, kostet es 41 DM pro Tonne; wenn sie von Karlsruhe nach München transportiert werden, 32 DM und von Ingolstadt nach München 15 DM. Ein Beispiel aus einem ganz anderen Sektor dafür, was Transportkosten bedeuten. Ich habe es gerade in Straßburg bei einer Agrardebatte gehört. Der Transport von 20 t Weizen auf 800 km kostet in Italien 26,66 DM, in Frankreich 30,28 DM und in der Bundesrepublik 63,10 DM. Ein weiteres Beispiel: Transportieren Sie Kohle als Kohle auf 500 km mit der Bahn, dann machen die Transportkosten etwa 40 % des Endpreises aus. Transportieren Sie diese Kohle aber umgewandelt in Gas oder Strom über 500 km, dann machen die Transportkosten 7 % des Endpreises aus. Ein weiteres Beispiel: In den Vereinigten Staaten wird bekanntlich etwa das Vierfache an Energiemenge angeboten und verbraucht wie bei uns. Pro Kopf gerechnet, entfällt dort ein Viertel der Energiemenge, das heißt also die Ener-
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Dr. Burgbachergiemenge, die wir in der Bundesrepublik konsumtiv und produktiv für alle Zwecke der Energie brauchen, auf die Transportenergie für Menschen und Güter.Warum sage ich das? Ich sage das, weil mit der Veredelung der Kohle und dem Transport der veredelten Kohle viel Möglichkeiten gegeben sind, um die echte Wettbewerbsfähigkeit der Kohle zu verbessern. Wir sollten diesem Transportkostenproblem unsere Aufmerksamkeit widmen.Wir sind auch wegen des bevorstehenden Beitritts Großbritanniens zum Gemeinsamen Markt zu einer aktiven Energiepolitik verpflichtet. Großbritannien ist mit 200 Millionen t im Jahr ein größerer Steinkohlenproduzent als wir. Wir müssen in Betracht ziehen, daß die französische und englische Kohlewirtschaft verstaatlicht ist. Auch bei der italienischen Energiewirtschaft, die gegenwärtig zur Hälfte in privatem Besitz, zur Hälfte in öffentlichem Besitz ist, wird es vielleicht bald anders sein. Für Deutschland und den deutschen Steinkohlenbergbau erhebt sich die Frage des gemeinsamen Kohleverkaufs. Derartige Überlegungen über die Wettbewerber im Gemeinsamen Markt sind für eine aktive deutsche Energiepolitik sehr wichtig. Ich weise auch darauf hin, daß wir uns in absehbarer Zeit — Ende 1963 — mit dem Auslauf der sogenannten deutschen Erdölprotokolle befassen müssen.Ich möchte deshalb davor warnen, mehr als mittelfristige Überlegungen anzustellen. Ich habe aus einem anderen Grund die soziologische und ökonomische Entwicklung der letzten hundert Jahre auf verschiedenen Gebieten, auch auf dem Energiegebiet, studieren müssen. Hätte ich mir dabei vorgestellt, wir hätten die heutige Debatte im Jahre 1862 oder im Jahre 1882 oder in Abständen von zwanzig Jahren geführt und hätten vorausplanen und -schauen wollen, wie sich die Energiewirtschaft entwickelt, dann kann man nur in Demut schweigen. Deshalb soll man die Erfordernisse der Zeit — das ist die Aufgabe der Politik — erkennen und nach bestem Wissen und Gewissen danach handeln. Man kann dabei aber immer nur Maßnahmen treffen, die, sagen wir einmal, ein Kompromiß aus verschiedenen Lehrmeinungen sind.
Ich warne aber noch einmal vor der mehr oder weniger im Unterbewußten verbreiteten Auffassung, Kohle sei unmodern.Bei der Ausnutzung der Kohle, von der Förderung angefangen, sind wir durchaus noch nicht am Ende der Mechanisierung angelangt. Die Wandlungsverluste zwischen der Kohle, der Sekundär- und Tertiärenergie bewegen sich auch heute noch zwischen 30 und 60% der eingesetzten Primärenergie. Unserer Technik und Chemie und anderen Wissenschaften gelingt es laufend, diese Wandlungsverluste zu reduzieren. Wenn wir dann auch noch dem Transportproblem unsere Aufmerksamkeit schenken und nicht die frachtschwere Kohle, sondern ihre gewandelten Produkte über festliegende Leitungswege transportieren, kommen wir ein Stück weiter, wobei ich der Meinung bin, daß unser Ziel ein Großverbundnetz, sowohl im Gas als auch im Strom und auch im Öl, sein muß, weil diese Großverbundnetze die Tendenz haben, das jetzt für unsere süddeutschen Freunde oft schmerzliche Preisgefälle zu ihren Lasten entweder zu reduzieren oder sogar im Laufe der Zeit zu beseitigen.Nun wird sehr viel davon gesprochen, daß die Energiekosten für die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft entscheidend sind. Ich möchte das so sagen: Die Energiekosten sind einer der Faktoren, die entscheidend sind für die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft; sie sind aber nicht d e r Faktor. Daneben gibt es den Kapitaldienst, also Abschreibung und Verzinsung der Investitionen, es gibt Löhne und Gehälter, es gibt öffentliche Abgaben, und es gibt die schon genannten Transportkosten. Mit anderen Worten: es gibt noch andere Faktoren, die die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft bestimmen, und man kann keinen der Faktoren mit dem Perfektionismus behandeln, daß unter allen Umständen der absolut günstigste Preis immer die auf die Dauer richtige Politik sei.Wir haben Ihnen mit Umdruck 101 eine Entschließung vorgelegt. Einer der nachfolgenden Sprecher wird diese Entschließung noch begründen. An sich ist das schon in meinen Ausführungen geschehen. Ich darf Sie hiermit um Annahme dieser Entschließung bitten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Deist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit dem Jahre 1956, also seit nunmehr sechs Jahren, befassen wir uns hier im Bundestag fast regelmäßig jährlich mit einer Debatte über die Lage der Kohle- und Energiewirtschaft. Wir müssen feststellen, daß es in diesen sechs Jahren jedenfalls nicht gelungen ist, das Problem des Kohlebergbaus und das Problem der Energiewirtschaft in angemessener Weise zu lösen. Im Gegenteil; wir wissen, wie schwer in den übrigen europäischen Staaten gerungen wird, wir wissen, wie schwer in den europäischen Gemeinschaften gerungen wird, und wir sehen, daß wir auch hier nicht sehr viele Schritte weitergekommen sind.Das ist gegenüber den Beschönigungsversuchen, die immer wieder bezüglich der Lage im Kohlebergbau und in der Energiewirtschaft gemacht werden, ein recht trauriges Ergebnis; denn im Grunde genommen ist das, was die Energiewirtschaft heute darstellt, ein Dschungel, in dem die großen Tiere vorherrschen. Darin sind, für die zukünftige Entwicklung der Energiewirtschaft außerordentlich ernste Gefahren zu sehen.
Unter diesem Gesichtspunkt ist es auch bemerkenswert, daß sich die Bundesregierung seit langer, langer Zeit, gezwungen durch unsere Große Anfrage, am vergangenen Montag zum erstenmal wieder mit der Energiepolitik befaßt hat. Mir scheint,
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1274 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962
Dr. Deistdaß diese Haltung, dieser Attentismus der Bundesregierung den tatsächlichen Verhältnissen in der Energiewirtschaft in keiner Weise gerecht wird.Wir haben nunmehr, wiederum auf Veranlassung der Sozialdemokratie, gestern ein Sachverständigengutachten über die Lage der Energiewirtschaft bekommen. Meine Damen und Herren, ich darf Sie daran erinnern, daß wir zum ersten Male im März 1956, vor nunmehr 6 Jahren, die Durchführung einer gründlichen Enquete beantragt haben. Dieser Antrag ist dann wie üblich im letzten Jahre der damaligen Legislaturperiode nicht mehr zur Erörterung gekommen. Wir haben diesen Gesetzentwurf im November 1957 sofort erneut eingebracht.Meine Damen und Herren, inzwischen sind 6 Jahre vergangen. Was könnte uns an ernsthaften Ergebnissen einer gründlichen Untersuchung bereits vorliegen, wenn im Jahre 1956 unserem Antrag entsprechend beschlossen worden wäre! Das Gutachten ist erst im Juni 1959 beschlossen worden, nachdem bereits drei Jahre seit der Stellung unseres ersten Antrages vergangen waren, und der Umfang der Untersuchung ist außerordentlich eingeschränkt worden. Wir hatten eine umfangreiche Enquete mit entsprechenden Anhörungsrechten und Anhörungspflichten, Einsichtnahme in Unterlagen und dergleichen mehr beantragt. Wir haben das leider nicht durchsetzen können. Die Mehrheit hat beschlossen, daß nur ein Bericht über die Entwicklung der gegenwärtigen und zukünftigen Struktur von Angebot und Nachfrage in der Energiewirtschaft der Bundesrepublik gegeben werden solle.Es leuchtet ein, daß 'dieses Untersuchungsthema sehr begrenzt ist. Und wenn ich feststelle, daß das Gutachten infolgedessen für wirtschaftspolitische Entscheidungen nur einen begrenzten Wert hat, dann trifft .das nicht die Gutachter, denn sie mußten sich natürlich an den Umfang des Auftrages halten; diese Feststellung richtet sich vielmehr gegen die Einschränkung der Untersuchungsaufgabe, wie sie nun einmal vorgenommen worden war. Daher kommt es, daß wir auch nach diesem Gutachten — nachdem inzwischen sechs Jahre vergangen sind — keine ausreichenden Unterlagen über die Kosten- und Ertragsstruktur wichtiger Zweige der Energiewirtschaft haben. Was wir Über die Mineralölwirtschaft haben, das sind höchstens einigermaßen zuverlässige Schätzungen; als mehr kann man sie nicht bezeichnen. Wir haben keinerlei Unterlagen über die Marktstruktur der Energiewirtschaft in ihren verschiedenen Bereichen — ein wichtiges Element für die Abschätzung der Möglichkeiten der zukünftigen Entwicklung. Wir haben auch keine Angaben über den Umfang der Unternehmenskonzentration, über die Größenverhältnisse der Unternehmungen und dergleichen mehr. Die Gutachter selbst wissen das sehr genau; denn sie hatten keine Möglichkeiten, weiter vorzustoßen. Sie geben z. B. selbst an, daß auf 'dem Gebiete des Mineralöls überwiegend mit Hypothesen gearbeitet werden mußte. Das ist naturgemäß für wirtschaftspolitische Entscheidungen ein höchst unsicherer Grund.Meine Damen und Herren, wichtig scheint mir zu sein, 'daß .das Gutachten zwar die Entwicklung imJahre 1975 anpeilt, aber nichts über die zwischenzeitliche Entwicklung, insbesondere über die Verhältnisse am Energiemarkt in den Jahren 1965 bis 1970 sagt. Dazu werde ich später noch einige Bemerkungen machen. In dieser Zeit kommen die entscheidenden Schwierigkeiten eines Überangebots an Mineralöl und vielleicht auch an Erdgas auf die Energiewirtschaft zu. Leider sagt das Gutachten über die Überbrückung dieses Zeitraums nichts. Infolgedessen ist das Gutachten im Hinblick auf die Art der Auftragserteilung, die von der Mehrheit des Hauses nicht anders gewollt war, nur eine sehr begrenzte Grundlage für unsere Beratung und für die Schlußfolgerungen, die aus ihr zu ziehen sind.Ergänzend zum Gutachten haben wir heute vom Herrn Bundeswirtschaftsminister einige Darlegungen gehört, hinsichtlich deren er sagte oder jedenfalls zum Ausdruck brachte, das sei nun eine geschlossene Vorstellung von Energiewirtschaftspolitik.Bevor ich darauf eingehe, lassen Sie mich einen Augenblick abschweifen. Es ist nicht ganz uninteressant, daß am 23. Februar im Hause des Präsidenten des Bundesverbandes der Industrie, Herrn Berg, eine Besprechung über die Energiewirtschaftspolitik stattfand, weil bis dahin die Bundesregierung nicht damit zurechtkam, ein eigenes Konzept zu entwikkeln. An dieser Besprechung nahmen auf Einladung des Herrn Berg teil die Herren Burckhardt und Reusch auf der einen Seite und die Herren Geyer und Scheffer von der Mineralölwirtschaft auf der anderen Seite. Der Herr Bundeswirtschaftsminister war von dem Herrn Präsidenten des Bundesverbandes der Industrie geladen und hat sich einige Zeit überlegt, ob er hingehen sollte. Soweit aus der Presse zu entnehmen ist, ist er dann nach einigem Zögern mit einigen hohen Beamten erschienen. Wie die Presse mitteilte, ist das Ergebnis der Besprechungen zunächst streng vertraulich behandelt worden. Aber Ende Februar oder im März ist dann durch die Presse einiges durchgesickert, was dort besprochen worden ist. Insbesondere die Deutsche Zeitung hat am 17. Februar ausführlicher berichtet. Und da sieht man, daß das, was der Herr Bundeswirtschaftsminister heute hier gesagt hat, bis auf einen Punkt eine ziemlich genaue Wiedergabe dessen ist, was dort unter Vorsitz des Herrn Berg mit der Wirtschaft und mit den verschiedenen Interessengruppen der Energiewirtschaft besprochen wurde. Dort findet man natürlich als ersten Punkt das 01 aus der Sowjetunion, den Rationalisierungsverband, die Bevorratung der Importenergie und schließlich auch die etwas sagenhafte Abstimmung der Investitionen in der Mineralölindustrie, eventuell Lizenzverfahren bei Rohöl und Heizöl. Der einzige Punkt, der bei Herrn Berg besprochen, aber heute zunächst nicht vorgetragen wurde, jedoch von Herrn Burgbacher nachgereicht wurde, war die Frage der Verstromung in Kraftwerken.Dann schrieb das „Hamburger Abendblatt" am 6. April 1962:Obwohl im Berg-Kreis — so heißt das dann dort —
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Dr. Deistnoch keinerlei Beschlüsse gefaßt wurden, erwarten informierte Beobachter für die nächste Zeit im Hinblick auf die dort erzielten Absprachen verschiedene energiepolitische Aktionen.
Und prompt hat der Herr Bundeswirtschaftsminister dann diese energiepolitischen Aktionen heute hier sicher erörtert. Meine Damen und Herren, das ist ein bemerkenswertes und höchst bedenkliches Zeichen, in welchem Umfang bei uns in Deutschland die Wirtschaftspolitik der Entscheidung mächtiger Interessengruppen ausgeliefert wird.
Nun lassen Sie, mich einiges zu den Punkten, die der Herr Bundeswirtschaftsminister hier vorgebracht hat, sagen, zunächst zum Rationalisierungsverband. Was heute über diese Frage gesagt worden ist, ist verhältnismäßig wenig konkret gewesen. Wir haben eigentlich nur gehört, daß diejenigen, die stillegen, insgesamt pro stillgelegte Tonne eine Prämie von 25 DM erhalten sollen, 12,50 DM aus öffentichen Mitteln und 12,50 DM aus Umlagemitteln, und daß darüber hinaus steuerliche Anreize gegeben werden sollen.Es gibt über diesen Rationalisierungsverband auch andere Informationen, die in großem Umfange durch die Presse gegangen sind. Danach ist eines bemerkenswert. Es soll sich also wie. ,ich auch aus dem Begriff öffentlicher Verband ergibt, um eine Zwangsmitgliedschaft handeln. Und die wesentliche Aufgabe — sie wurde auch von Herrn Bundeswirtschaftsminister in den Vordergrund gerückt — wäre die Entschädigung der Eigentümer unrentabler Betriebe, d. h. die Abnahme des Kapitalrisikos durch den Staat auf Kosten der Verbraucher und auf Kosten der Steuerzahler. Das ist eine höchst verdächtige Angelegenheit. Eine Entschädigung von 25 DM je Tonne stillgelegter Kohle ist unerhört hoch und ist eine Verschleuderung öfffentlicher Mittel, die wir uns nicht leisten dürften.
Lassen Sie mich ein Zweites sagen. Der öffentliche Verband hat nach dem, was bisher veröffentlicht worden ist — und daran muß ich mich hier halten, da der Herr Bundeswirtschaftsminister leider keine näheren Mitteilungen über sein Aufgaben gemacht hat —, keine Verpflichtung, auf eine Flurbereinigung hinzuwirken. Er hat keine Verpflichtung, zu koordinieren. Es unterliegt keiner öffentlichen Kontrolle, ob die Mittel, die ihm zur Verfügung stehen, im Interesse der Modernisierung verwandt werden. Es ist nur eine rein formal-rechtliche Kontrolle vorgesehen, Was uns hier angeboten wird, ist die primitivste Form der Sozialisierung, nämlich die Sozialisierung der Verluste, nicht viel mehr.
Dann der zweite Punkt: das Sowjetöl. Nun, es ist etwas merkwürdig, wie man immer wieder nach dem Sündenbock sucht. Wie steht es mit dem Sowjetöl? Das Sowjetöl ist pro Tonne sehr viel billiger als das Öl aus den übrigen Staaten derWelt; 75 DM je Tonne Rohöl im Durchschnitt für freies Öl — möchte ich mal sagen —, etwa 51 DM je Tonne Sowjetöl. Der Preis für Sowjetöl liegt dicht unter den Rohölpreisen der Außenseiter auf dem westlichen Weltmarkt. Das ist naturgemäß für die großen internationalen Konzerne, die diesen westlichen Weltmarkt beherrschen, nicht gerade sehr angenehm, insbesondere, da jedermann weiß, daß die Weltmarktpreise überhöht sind und Sowjetöl ebenso wie das Öl anderer Außenseiter als eine unangenehme Konkurrenz betrachtet wird. Das zunächst einmal als Hintergrund.Dann wird von dem Erdöl gesprochen, das über die böse ENI und Herrn Mattei über Italien nach Deutschland hereinströmen solle. Wir sollten auch da etwas ehrlich sein. Wir haben genauso wie Italien ein Handelsabkommen mit der Sowjetunion; wir haben genauso wie Italien mit der Sowjetunion die Einfuhr von „rotem", d. h. Sowjetöl vereinbart. Infolgedessen führten bzw. führen wir in den Jahren 1961 bis 1963 je 1,7 bis 1,9 Millionen t russisches Rohöl und je 425 t russisches Heizöl ein. Unsere gesamte Einfuhr betrug im Jahre 1961 etwa 30 Millionen t, aus der Sowjetproduktion also 1,6 Millionen t Rohöl.
— 1,6 Millionen t bei einer Einfuhr von 30 Millionen t ist ja wohl nicht so enorm.
— Sie können annehmen, daß ich auch diese Zahlen hier habe und Ihnen gleich servieren werde.Was noch ganz interessant ist: Der Hauptverbraucher dieses vermaledeiten roten, d. h. Sowjetöls ist die bundeseigene Scholven-Chemie.
Was geschieht nun — uni Ihren Wissensdurst zu befriedigen — in Italien? Italien hat keine Kohle. Infolgedessen spielt die Einfuhr von Mineralöl dort eine ganz andere Rolle. Italien verfügt auch nur über etwa 10 % eigener Erdölvorkommen im Vergleich zu seinem heutigen Erdölbedarf, so daß es überwiegend Erdöl einführen muß. In Italien regiert eine verantwortungsbewußte Regierung, die weiß, daß mit großen internationalen Konzernen nicht gut Kirschen essen ist und daß man schon einige Konkurrenzprodukte haben muß, um ein einigermaßen tragbares Preisniveau für Mineralölerzeugnisse zu sichern. Auch Italien hat einen Handelsvertrag mit der Sowjetunion und führte bzw. führt danach von 1961 bis 1965 je 4 Ibis 4,5 Milionen t ein; das sind etwa 15 bis 16 % seiner gesamten Einfuhr an Erdöl. Das ist — es soll nicht bestritten werden — etwas mehr als bei uns. Aber niemand wird behaupten können, daß das eine Menge sei, die den italienischen oder gar den Welterdölmarkt in Unordnung bringen könnte. Auf der anderen Seite gewährt es der italienischen Mineralölwirtschaft, der ENI, ein erhebliches Maß von Unabhängigkeit gegen die sehr eng zusammenarbeitenden internationalen Ölkonzerne. Darum hat vielleicht die Financial Times
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Dr. Deistvom 4. April dieses Jahres doch recht, die sagte, man solle die Kapazität des Sowjetölexports nicht überschätzen. Eine Analyse des American Petrol Institute hat festgestellt, daß im Jahre 1965 der Exportüberschuß der Sowjetunion 45 Millionen t betragen würde. Das bedeutet ein Wachstum von jährlich etwa 4 Millionen t. Die Ölimporte Westeuropas im Jahre 1961 betrugen dagegen 210 Millionen t. Die Exportzunahme betrug 25 Millionen t. Meine Damen und Herren, einen jährlichen Anteil von 9 Millionen t an einem Zuwachs von 25 Millionen t wird man nicht als Katastrophe bezeichnen können.
— Hier handelt es sich gerade um die zukünftige Entwicklung und darum, welche Exportmöglichkeiten in 'der Zukunft bestehen.Darum, meine ich, haben die Gutachter wohl recht gehabt, als sie im Energiegutachten sagten, der sowjetische Ölexport werde auch in 'der Zukunft nicht groß genug sein, um den Weltmarkt aus dem Gleichgewicht zu bringen. Allerdings sei er gezielt, so daß für die westlichen Ölgesellschaften empfindliche Störungen eintreten könnten. Nun, marktbeherrschende Unternehmen pflegen immer die Einfuhr von Waren, die billiger sind als ihre eigenen, als eine empfindliche Störung anzusehen.Vielleicht darf ich daran erinnern, daß unter Ihrem Vorsitz, Herr Professor Burgbacher, im Europäischen Parlament ein Gutachten zur Energiewirtschaft erstattet worden ist, in dem ebenfalls davor gewarnt wurde, die Einfuhr von Sowjetöl zu dramatisieren, und in dem erklärt wurde, es liege kein Anlaß zur Dramatisierung vor. Meine Damen und Herren, das mit dem Sowjetöl ist ein schönes Ablenkungsmanöver. Daß da eine ernsthafte Gefahr bestehe und daß darüber hinaus in den von der Regierung angedeuteten Maßnahmen ein ernsthafter Beitrag zur Lösung unserer energiewirtschaftlichen Probleme zu sehen sei, 'das kann weiß Gott niemand behaupten.Und nun zum dritten Punkt: Investitionsabstimmung. Durch Konsultationen mit den verschiedenen Industriezweigen soll eine Investitionsabstimmung herbeigeführt werden. Ich habe mir die Augen gerieben; denn seit 1957 — das sind jetzt fünf Jahre — konsultiert der Herr Bundeswirtschaftsminister mit den verschiedenen Interessengruppen. Er hat einen entsprechenden Beirat. Er hat im Jahre 1957 dem Bundestag die Drucksache 3665 vorgelegt, in der das Ergebnis dieser Gespräche und Konsultationen niedergelegt worden ist. Jetzt kommt das Interessante: In diesem Dokument, das uns vorgelegt worden ist, wurde nach Konsultation mit den Mineralölkonzernen angegeben, daß für 1965 mit einer Durchsatzleistung der Raffinerien von 30 Millionen t zu rechnen sei. Das war im Jahr 1957. Im Jahre 1958 mußte der Herr Bundeswirtschaftsminister berichtigen. Inzwischen hatten ihm die Konsultierten mitgeteilt, das sei nicht mehr richtig; denn es würden nach neueren Planungen 40 Millionen t werden. Jetzt gibt die Mineralölwirtschaft an, daß die Durchsatzkapazität im Jahre 1965 etwa 65 Millionen t sein werde. Wer rechnen kann, weiß, daß wir zur Zeit in etwa schon eine Kapazität von 40 bis 42 Millionen t haben und daß die Neubauprogramme und die Ergänzungsprogramme eine weitere Kapazität zwischen 30 und 35 Millionen t versprechen, so daß wir nunmehr mit 75 Millionen t rechnen können. Dahin führen solche Konsultationen mit mächtigen Interessengruppen in der Wirtschaft. Man komme uns nicht damit, daß das eine besondere Neuigkeit und eine besonders wirksame Maßnahme sei.Meine Damen und Herren, das ist nicht die Methode, die verantwortliche Regierungen gegenüber so mächtigen wirtschaftlichen Gruppen anwenden sollten. Unter diesen Umständen muß ich mich fragen: Reicht das, was der Herr Bundeswirtschaftsminister hier vorgetragen hat — viel mehr ist in den Vorschlägen nicht enthalten —, wirklich aus, um eine verantwortliche deutsche Energiepolitik betreiben zu können? Reicht das wirklich aus, um einen gültigen Beitrag zur Entwicklung einer europäischen Energiewirtschaftspolitik leisten zu können? Soweit ich die Überlegungen kenne, die in Brüssel und in Straßburg angestellt werden — der Herr Kollege Burgbacher kennt sie auch —, kann man dies nicht als einen Beitrag ansehen, der dort drüben sehr ernst genommen werden könnte.Hier fehlt eben ein Konzept dessen, was man will. Im Grunde genommen ist das, was uns heute vorgetragen wurde, die Fortsetzung der bisherigen punktuellen Einzelmaßnahmen ohne ein wirkliches Konzept der Energiewirtschaftspolitik. Wirklich neu an diesen Dingen ist nur der Rationalisierungsverband.Das ist doch eine bedenkliche Angelegenheit. Der Herr Bundeswirtschaftsminister ist stolz darauf, daß er Angebot und Nachfrage auf dem Kohlensektor so etwa ins Gleichgewicht gebracht hat. Nun, bereits für das Jahr 1962 wird das bestritten; ich weiß nicht, ob mit Recht. Ich bin gegenüber diesen Kalkulationen etwas skeptisch. Immerhin gibt es ernsthafte Gruppen, die damit rechnen, daß wir einen Kohleüberschuß von 4 bis 6 Millionen t haben werden. Aber das ist für mein Empfinden nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist vielmehr, was in zwei, drei Jahren auf die Energiewirtschaft aus den überhöhten Kapazitäten der Mineralölwirtschaft zukommt. Das ist gar keine Schwarzmalerei; ich bin weit entfernt davon. Aber wir müssen diese Dinge sehen. Darum genügt es nicht, sich damit zufriedenzugeben, daß man sagt: Na, das geht doch eigentlich ganz gut; welch herrlicher Erfolg unserer Energiepolitik!Lassen Sie mich zu diesem Erfolg ein Wort sagen. Die Mineralölindustrie hat einen sehr heftigen Verdrängungswettbewerb durchgeführt. Ihre Investitionen sind der normalen Entwicklung weit, weit vorausgeeilt. Die geschaffenen Kapazitäten werden in den nächsten Jahren nicht voll ausgenutzt werden können. Aber es wird einen ungeheuerlichen Druck auf den Energiemarkt geben. Die Folge davon ist, daß sich zahlreiche Investitionen innerhalb des Kohlenbergbaus bereits heute als Fehlinvestitionen herausstellen. Ein Teil der in den letzten JahrenDeutscher .Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, .den 16. Mai 1962 1277Dr. Deistneu abgeteuften Schächte, moderne Anlagen mit Kosten von 50 und 100 Millionen DM, werden stillgesetzt.
Herr Abgeordneter Dr. Deist, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Blumenfeld?
Gern.
Herr Abgeordneter Blumenfeld!
Herr Kollege Deist, gestatten Sie eine Frage. Sie haben eben ausgeführt, daß die Kapazitäten im Augenblick überhöht seien. Ist Ihnen bekannt, daß seit geraumer Zeit in der Bundesrepublik, insbesondere im Hinblick auf das schwere Heizöl, ein Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage vorherrscht? Darf ich weiter die Frage stellen, wie Sie sich den Importbedarf der Bundesrepublik an Fertigprodukten erklären können, wenn wir Ihrer These folgen, daß die Kapazitäten der Raffinerien überhöht seien?
Herr Kollege Blumenfeld, zunächst einmal habe ich von den Verhältnissen in zwei, drei Jahren gesprochen. Da werden nämlich diese Kapazitäten wirksam. Ich habe weiter gesagt, daß die Kapazitäten über den Bedarf, der einer normalen Entwicklung entspricht, weit hinausgehen. Inwieweit es der Mineralölindustrie gelingt, mit ihrer großen Finanzmacht und mit ihrer Marktmacht andere aus dem Markt hinauszuwerfen und dann hinterher vielleicht zu behaupten: „Na, so ungefähr entspricht mal wieder die Nachfrage dem Angebot", ist dabei eine ganz andere Frage.
Auch die Grubenstillegungen, die die Folge dieses schnellen Anwachsens der Investitionen in der Mineralölwirtschaft gewesen sind, haben dazu geführt, daß Hunderte von Millionen DM, die in den letzten zwei, drei Jahren im Kohlenbergbau investiert wurden, vergeblich aufgewendet sind und sich endgültig als echte Fehlinvestitionen herausstellen. Man muß doch auch sehen, daß diese Stillegungen sinnlose Kapitalvernichtungen herbeigeführt haben. Volkswirtschaftlich sind das Kapitalverluste, die hier entstanden sind. Die Leidtragenden einer solchen Entwicklung, die kein positives Ergebnis für die Ordnung der Energiewirtschaft, insbesondere des Kohlenbergbaus, gebracht hat, sind zunächst einmal die Verbraucher, die durch Kohlenzoll, Heizölzoll, Heizölsteuer, Entschädigungsleistungen und zahlreiche andere Maßnahmen belastet worden sind. Wir alle wären bereit, für eine vernünftige Entwicklung auch Lasten auf uns zu nehmen. Aber man muß wissen, daß sie sinnvoll sind und daß sie zu einer Bereinigung der Verhältnisse auf dem Energiemarkt führen.
Herr Abgeordneter Deist, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Burgbacher?
Herr Kollege Deist, soll ich Ihre soeben gehörte Kritik an den bisherigen Maßnahmen so auffassen, daß Sie gegen Kohlekontingent, gegen Kohlezoll, gegen Heizölsteuer sind?
Nein; im Gegenteil! Ich habe gesagt: Alle diese Maßnahmen könnten wir als nützlich empfinden, wenn sie wirklich zu einer Lösung der Probleme dies Kohlenbergbaus führten. Nur ist das bisher nicht der Fall gewesen.
Die Leidtragenden sind weiter die Arbeitnehmer. Wenn in den Jahren 1'958/59 mehr als 6 Millionen Feierschichten verfahren worden sind, ohne daß das Kohleproblem gelöst worden ist, dann ist auch das zumindest eine bittere Angelegenheit. Und wenn Sie nicht nur wissen, daß in den Jahren 1957 bis 1962 150 000 Bergarbeiter den Bergbau verlassen haben, sondern auch wissen, daß 30 % von ihnen jüngere Arbeitskräfte sind und daß infolgedessen die Überalterung im Bergbau sehr bedenklich ist, dann ist auch das ein bitteres Ergebnis der Energiewirtschaftspolitik der letzten Jahre. Und wenn wir sehen, welche Sorgen die Gemeinden haben, wie der Arbeitsmarkt belastet wurde, wie die Struktur des Ruhrgebiets beeinträchtigt wird durch diese willkürliche und unplanmäßige Entwicklung, dann müssen wir sagen: auch das kommunale Gemeinschaftsleben ist einer der Leidtragenden dieser Entwicklung.Schließlich: Verlierer ist der Bergbau als Ganzes, und zwar hinsichtlich seiner Alterszusammensetzung. Lassen Sie mich dazu noch ein paar Worte sagen. Der Rückgang der Belegschaften in den Jahren 1957 bis 1961 betrug rund 25 %. Aber von den Lehrlingen von 14 bis 20 Jahren, von den jungen, für die Zukunft des Bergbaus wichtigen Arbeitskräften sind 60 % abgewandert, von denen zwischen 14 und 30 Jahren 40 %.Sehen Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, das ist die Kehrseite der Steigerung der Leistungsfähigkeit des Kohlebergbaus. Das ist eine traurige Bilanz von sechs Jahren. Und wir sollten uns wirklich ernsthaft überlegen, ob wir uns mit solchen punktuellen Maßnahmen begnügen können, wie das bisher geschehen ist und wie das nach den heutigen Darlegungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers auch für die Zukunft vorgesehen ist.Meine Damen und Herren, vor welcher Situation stehen wir? Das Gutachten hat uns einige bemerkenswerte Tatsachen vermittelt, die einen ungefähren Anhaltspunkt geben, was hier geschehen könnte.Zunächst einmal: Wir wissen, daß der Anteil der Kohle an der Energieversorgung rückläufig ist, daß es sich hier um eine weltweite Bewegung handelt und daß es eine unaufhaltsame Bewegung ist. Ich glaube, wir wissen auch — ich möchte das jedenfalls für meine Freunde hier unterstreichen —, daß Mineralöl und Heizöl ein moderner Energiestoff ist, daß diese Entwicklung im Ganzen eine fortschrittliche Entwicklung ist. Niemand sollte sich anheischig machen, diese Entwicklung zu verhindern. Ich
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1278 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962
Dr. Deistmöchte darüber hinaus sagen: Für viele revierferne Gebiete, sei es Süddeutschland, sei es Schleswig-Holstein, seien es andere Gebiete, ist das Heizöl eine Möglichkeit, ihre heute über dem Durchschnitt liegenden Energiekosten auf ein normales Maß her-abzubringen. — Das scheint mir die erste Feststellung zu sein, die Ausgangspunkt einer gesunden Energiepolitik sein muß.Eine zweite Feststellung des Gutachtens besagt, daß wir langfristig mit einem Zuwachs des Primärenergiebedarfs um 2,8 % pro Jahr rechnen könnten. Das sind, in Steinkohle umgerechnet, zur Zeit 6 bis 7 Millionen t pro Jahr. Ich möchte sagen, die Rechnung ist vorsichtig. In den Jahren 1955 bis 1961 — mit Höhen und Tälern — betrug der Zuwachs im Durchschnitt etwa 7 Millionen t jährlich.Drittens ist in den letzten Jahren, seitdem sich der Heizölverbrauch stark ausdehnte, der Heizölverbrauch um etwa 5 Millionen t Steinkohleneinheiten je Jahr gestiegen. Daraus ergibt sich zunächst einmal eine Konsequenz. Wenn der Primärenergiebedarf um etwa 7 Millionen t wächst und der Anstieg der Heizölproduktion — jedenfalls in den letzten drei Jahren — etwa 5 Millionen t Steinkohleneinheiten betrug, so handelt es sich hier um einen Prozeß, der durchaus regulierbar ist. Und die Bundesregierung müßte sich anstrengen, ihn in gesunde Formen zu bringen. Das ist das erste.Ich möchte dann aber noch etwas zum Sicherheitsproblem sagen, weil ich meine, daß dieses Problem vielfach unter falschen Gesichtspunkten behandelt wird und, wenn ich nicht irre, auch heute behandelt worden ist.Im Energiewirtschaftsgesetz steht eine gute Richtschnur für die Energiewirtschaftspolitik: daß es nämlich ihre Aufgabe sei, die Energieversorgung so sicher und so billig wie möglich zu gestalten. Niemand sage: Das verträgt sich nicht miteinander. Viele Dinge vertragen sich im Extrem auf dieser Erde nicht, und in der Politik sind wir immer darauf angewiesen, eine optimale Lösung zu finden.
Wir müssen daher Sicherheit und Preisgünstigkeit in ein gesundes Verhältnis zueinander bringen.Ich meine aber, daß diejenigen, die bei ihren Überlegungen über die Sicherheit der Versorgung mit der Möglichkeit eines langfristigen Zusammenbruchs der Mineralölwirtschaft rechnen, den Tatsachen nicht gerecht werden. Die Mineralölquellen sind in der Welt so weit gestreut, daß Ereignisse, die eine langfristige Unterbrechung herbeiführen, wahrscheinlich auch Energiegrundlagen wie das Ruhr- gebiet nicht unbeeinflußt lassen würden.Etwas anderes ist die politische Instabilität der Staaten, in denen Erdöl gebohrt wird — von Kuweit bis Venezuela —, die — und das ist, glaube ich, ein wichtiger Gesichtspunkt für Sicherheitsüberlegungen — zu zeitweiligen Unterbrechungen führen kann, wie sie z. B. bei der Suezkanal-Affäre eingetreten sind, zu zeitweiligen Unterbrechungen in den traditionellen Lieferwegen. Und dann kommt es darauf an, ob wir Reserven haben, um eine solche zeitweilige Unterbrechung aufzufangen. Das können ' Arbeitsreserven sein — wenn nämlich normalerweise nur fünf Tage gearbeitet wird und in Ernstfällen ein sechster Tag eingeschaltet werden kann —, das können auch Kapazitätsreserven sein.Aber — und hier schlägt das Sicherheitsargument durch — diese Reserven haben nur dann eine Bedeutung, wenn der Anteil der Kohle an der gesamten Energieversorgung wirklich noch ein ernsthaftes, nennenswertes Ausmaß hat. Wenn der Kohleanteil nur klein ist, spielen die Reserven keine Rolle mehr. Das ist ein Gesichtspunkt, dem wir bezüglich der Sicherheit der Kohle Rechnung tragen müßten.
— Ich weiß, Herr Burgbacher, wir stimmen nicht in allem, aber doch in vielen Fragen der Energiepolitik überein. Ich wünschte, das wäre mit Ihrer ganzen Fraktion so!Meine Damen und Herren, ein dritter Gesichtspunkt in der Frage der Sicherheit der Versorgung ist 'die Markt- und Machtstellung der Anbieter. Das ist eine Sache, die sehr selten behandelt wird und die auch von den Gutachtern nicht behandelt worden ist. Ich konzediere: wahrscheinlich lag das auch nicht im Rahmen ihres Auftrages. Aber es ist nun einmal so, daß die großen internationalen Ölkonzerne auch heute noch im wesentlichen den Mineralölmarkt beherrschen. Der Einflußbereich der Ölkonzerne reicht von der Erdölförderung über große Tankerflotten zu den Ölpipelines und über die Raffinerien bis zum Verbraucher über das Tankstellennetz. Das ist eine gewaltige Machtstellung, die sie haben, eine gewaltige Finanzkraft! Sie haben nicht nur Marktmacht, sondern sie haben — ich meine, das merken wir in Deutschland sehr — auf Grund ihrer wirtschaftlichen Machtstellung auch ein ganz Teil wirtschaftlichen und politischen Einfluß.Aber es kommt ein weiterer Punkt hinzu. Nicht nur die Ölkonzerne treten auf der Seite des Erdöls als Marktmacht auf, sondern seit einiger Zeit haben wir ein Kartell der Erdöl produzierenden Länder in der OPEC. Diese Länder haben sich zusammengeschlossen, weil sie ein Interesse an hohen Abgaben der Erdöl fördernden Firmen haben. Hier haben wir also ein gleiches Interesse dieser Länder bei möglichst hohen Preisen hohe Royalties für ihr Erdöl zu erzielen. Unter diesen Umständen kommt es entscheidend darauf an, daß die Verbraucherländer dieser marktbeherrschenden Macht Mineralöl nicht einseitig ausgeliefert sind. Vielmehr muß man einer solchen einseitigen Marktbeherrschung vorbeugen, indem man eine gesunde, ausreichende, eigene Energiewirtschaftgrundlage schafft.Wenn wir im Jahre 1975 140 Millionen t Steinkohle hätten, dann wären das immer noch 40 % des gesamten Primärenergiebedarfs. Das wäre also eine wichtige Größe, die als konkurrierende Größe eine Rolle spielen könnte.Das Gutachten hat weiterhin errechnet, daß die Aussichten für das Jahr 1975 auch wettbewerbsmäßig nicht als ausgesprochen tragisch zu betrachten sind. Das Gutachten kommt bei Annahme einer normalen Lohnsteigerung auf der heutigen Preisbasis — davon
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Dr. Deistwird man ausgehen müssen, weil sich ja auch die übrigen Preise ändern — zu dem Ergebnis, daß sich der Preis bis 1975 von 60 DM — heute — auf etwa 70 DM erhöhen würde, wenn die erforderlichen Umstellungsmaßnahmen — Flurbereinigungen und dergleichen mehr — vorgenommen werden.Lassen Sie mich dazu eines sagen, meine Damen und Herren. Ich bin der Überzeugung — ich möchte das heute nicht des breiteren ausführen —, daß das Gutachten die Möglichkeiten des Fortschritts im deutschen Kohlebergbau unterschätzt hat. Es hat nämlich für amerikanischen Kohlebergbau revolutionäre Veränderungen in der Förder- und Abbautechnik mit einkalkuliert, während es bei uns nur mit weiterer Mechanisierung und Zusammenlegung im bisher erkennbaren Rahmen rechnet. Ich weiß nicht, ob die Gutachter meinen, den deutschen Bergassessoren sei nicht nur in den letzten Jahren nichts eingefallen, sondern ihnen werde auch in Zukunft nichts einfallen. Ich möchte mich dieser Auffassung nicht anschließen. Man muß in solchen Perioden mit einkalkulieren, daß bei uns ebenso wie in den USA und wie in anderen Industriezweigen auch umwälzende technische Veränderungen durchgeführt werden.Unter allen diesen Gesichtspunkten, meine ich, kann man für das Jahr 1975 durchaus annehmen, daß eine Kohlemenge von etwa 140 Millionen t, wenn sie einigermaßen rentabel gefördert werden kann, ein anzustrebendes Ziel sein müßte.
Wenn das so ist und wenn Schwierigkeiten, insbesondere aus der Entwicklung der Mineralölwirtschaft, drohen, dann darf die Regierung nicht sagen: Wir weigern uns, ein Ziel unserer Energiepolitik anzugeben; wir rechnen damit, daß es im freien Markt — den die Bundesregierung dauernd durch Maßnahmen beeinflußt — wohl bei 140 Millionen t bleiben wird; aber die Entscheidung liegt bei den Unternehmern. Sonst würde die Bundesregierung ja die Entscheidung für die Förderung im Jahre 1975 übernehmen.Meine Damen und Herren, ich bin der Auffassung, es ist Aufgabe der Bundesregierung, diese Entscheidung zu fällen; denn außer ihr kann diese Entscheidung niemand anders fällen. Diese Entscheidung ist wichtig,
sie ist wichtig für die Unternehmungen selbst.
— Moment, lassen Sie mich mal erst zu Ende reden! — Diese Entscheidung ist wichtig für die Investitionspolitik der Unternehmungen. Wie sollen diese denn auf lange Sicht, für 10, 20 Jahre investieren, wenn sie nicht wissen, ob es das Ziel der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung ist, diese Förderung von 140 Millionen t zu halten?Das ist auch wichtig für die Arbeitnehmerschaft. Sie werden keine gesunde Altersgliederung in der Arbeitnehmerschaft mehr bekommen, wenn nicht Klarheit darüber besteht, welches der Weg des Kohlebergbaus sein wird.Meine Damen und Herren, schließlich hängt von I einer solchen Entscheidung die Struktur des Ruhrgebietes und seiner Gemeinden ab. Auch sie müssen wissen, wohin der Weg geht; von einer solchen Entscheidung hängt ihr Straßenbauprogramm, hängt ihr Wohnungsbauprogramm, hängt ihre Industriesiedlung ab. Davon hängt ungeheuer viel für diese Kommunen ab.Die Bundesregierung ergreift dauernd Maßnahmen. Wir sind der Auffassung, daß sie sagen muß: Wir steuern diese 140 Millionen t an. An eine Absatzgarantie, etwa in Form der Schaffung einer Vorratsstelle, in der die Bundesregierung überfällige Kohle aufnimmt, denkt kein Mensch. Aber durch die Heizölsteuer und durch Ölkontingente — ich werde nachher noch einige andere Dinge nennen — greift die Bundesregierung ja ein und steuert den Absatz. Es ist von entscheidender Bedeutung, daß sich die Bundesregierung stark dafür macht, daß dieser Absatz von 140 Millionen t in den nächsten Jahren gesichert wird. Aber das muß die Bundesregierung sagen; sie muß dazu sagen: Wir werden zumindest dem Bundestag die erforderlichen Mittel vorschlagen. Das ist ein angesteuertes Ziel, das ist keine Absatzgarantie. Das bedeutet nicht, 'daß ses Programm, auch wenn der Himmel einstürzt, mit Gewalt durchgeführt wird. Aber das ist das erklärte Ziel 'der Wirtschaftspolitik, für das alle wirtschaftspolitischen Mittel eingesetzt werden. Wenn ein solches Ziel feststeht, wenn die Bundesregierung sich verpflichtet, es zu verfolgen, kann man viele, viele Maßnahmen akzeptieren, die man ablehnen muß, wenn sie ins Blaue hinein gemacht werden und eine solche Zielvorstellung nicht gegeben wird.
Das ist besonders für die Jahre 1965 bis 1970 wichtig. Wir haben heute, wie ich schon sagte, in den Rohölraffinerien eine Durchsatzkapazität von 40 Millionen t. Man rechnet für das Jahr 1975 mit 100 Millionen t. Aber in den nächsten drei Jahren tritt bereits eine Steigerung um 40 bis 45 Millionen t ein.Außerdem kommt auf uns das Ferngas zu, insbesondere auch der Gasanfall in den Raffinerien, der ebenfalls verkraftet werden muß. Darum bedauere ich, daß die Bundesregierung nichts dazu gesagt hat, wie sie sich die Entwicklung auf dem Gebiet des Ferngases vorstellt, welche Maßnahmen sie zu ergreifen trachtet, um ein rationelles Ferngasnetz in Deutschland zu sichern, damit nicht noch in weiterem Umfange als bisher über dieselbe Strecke zwei miteinander konkurrierende Ferngasleitungen laufen, wie das in Kürze zwischen Mannheim und Karlsruhe der Fall sein wird.Das sind die Dinge, die in erster Linie geregelt werden müssen. Es geht dabei um das Problem der Investitionspolitik. Ich habe bereits in der Sitzung des Bundestages vom November 1959 auf die Gefahr überstürzter Investitionen in der Mineralölwirtschaft hingewiesen. Ich habe damals gefragt, ob die Bundesregierung wirklich glaubt, das so hinnehmen zu können. Wir wissen jetzt, welche Bedeutung diese Investitionen in der Mineralölwirt-
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Dr. Deistschaft haben und welches riesige Angebot dadurch in den nächsten Jahren auf den Markt kommen wird. Aber der Herr Bundeswirtschaftsminister hat im November 1959 erklärt, die Bundesregierung habe keine Einwendungen gegen die Investitionen der Mineralölwirtschaft zu erheben. Ich bin mir bewußt, daß es sich hier um ein ernstes Problem handelt. Es betrifft nicht nur die Raffinerien, sondern auch den Wettlauf um die Pipelines und den beginnenden Wettlauf um die Erdgasfernleitungen.Die Bundesregierung muß sich darüber klar sein, daß sie hier mit einer einfachen Konsultation nicht auskommt; der CDU/CSU ist das offenbar bewußt. Denn nachdem sie die Frage der Konsultation sehr breit in einem. ersten Absatz behandelt hat, heißt es in Abs. 2: wenn das nicht reicht, wird das Außenwirtschaftsgesetz herangezogen; das heißt: Lizenzierung und praktisch Kontingentierung. Das ist immer der Weg, den die Mehrheit dieses Hauses geht. Sie ist nicht bereit, rechtzeitige Maßnahmen zu treffen, und ist dann nachher zu harten dirigistischen Maßnahmen gezwungen. So kam der Kohlezoll, und so sind Sie auf die Idee eines Baustopps verfallen. So werden wir im Hinblick auf den Verzicht auf eine vernünftige Investitionssteuerung möglicherweise sehr schnell zu einer Lizenzierung der Erdöleinfuhr oder 'gar zu einer Einfuhrkontingentierung kommen.Sie +sollten sich wirklich überlegen, ob es nicht seinen Grund hat, wenn andere Länder, z. B. Frankreich, Italien und die Schweiz, Investitionen in dieser großen Industrie von einer Genehmigung abhängig machen. Sie sollten sich überlegen, ob nicht das Instrumentarium der Montanunion, das gegenüber dem Kohlebergbau angewandt wird, verfeinert auch auf die Mineralölwirtschaft angewandt werden könnte. Wir sollten uns darüber klar sein: ohne wirksamen Einfluß auf die Investitionspolitik der Mineralölwirtschaft sind diese Dinge nicht in Iden Griff zu bekommen. Darum meine ich, daß hier ernsthaftere Schritte unternommen werden sollten, statt ein nichtssagendes Versprechen abzugeben, Konsultationen mit den 'betreffenden Industriegruppen vorzunehmen. Ich meine auch, daß Sie im Anschluß an das 'hier vorgelegte Gutachten eine ernsthafte Untersuchung über die 'Struktur des Energiemarktes, insbesondere auch des Mineralölmarktes und des Gasmarktes, anstellen sollten, damit wir endlich einmal erfahren, was auf diesen Gebieten eigentlich gespielt wird. Das muß der Staatsbürger in einem demokratischen Staat wissen, zumal jedem bewußt ist, welche entscheidende Rolle mächtige, marktbeherrschende Unternehmungen spielen. Hier sollte man nicht allzuviel Angst vor großen Tieren halben. Das ist das erste wichtige Problem: die Investitionssteuerung und die Monopolkontrolle im Bereich der Mineralölwirtschaft und der Ferngaswirtschaft.Ich möchte meine Ausführungen nicht abschließen, ohne eine zweite Frage zu behandeln, die von entscheidender Bedeutung ist, nämlich: eine sinnvolle Umstellung und Rationalisierung des Kohlebergbaus herbeizuführen. Wir wissen, daß nach dem Gutachten mit einer gewissen Steigerung der Kosten in den nächsten Jahren zu rechnen ist, und wir wissen, daß diese Berechnungen erhebliche Maßnahmen zur Rationalisierung unterstellen. Wenn wir dem Staatsbürger, dem Verbraucher und dem Steuerzahler Lasten zugunsten dieser Energierohstoffgrundlage Kohle zumuten, dann müssen wir alles tun, um die Kosten so niedrig wie möglich und damit die Lasten für die Verbraucher ebenfalls so niedrig wie nur möglich zu halten. Dazu gehört insbesondere die Umstellung von Betrieben und Schachtanlagen, die unrentabel arbeiten, auf rentable Schachtanlagen. Dazu ist einiges notwendig. Dazu gehört nämlich — in dem Gutachten ist es deutlich gesagt — eine Felderbereinigung. Die augenblickliche Besitzzersplitterung im Ruhrbergbau verhindert jede vernünftige Zusammenlegung. Und da hilft auch Ihr Rationalisierungsverband nicht viel. Hier müssen Überlegungen angestellt werden, ob nicht auch gesetzliche Änderungen durchgeführt werden müßten, um die notwendige Felderbereinigung herbeizuführen.Es geht aber nicht nur um die Felderbereinigung und die Rationalisierung. Der Umstellungsprozeß wirft auch zahlreiche Arbeitsprobleme auf. Es ist ja nicht damit getan, daß plötzlich Arbeiter freigesetzt werden und sich dann andere Betriebe — ob die Arbeiter dafür geeignet sind oder nicht — in der Vollbeschäftigung mit wer weiß welchen Angeboten an sie wenden und sie irgendwo hinholen. Auch hier muß man eine vernünftige Umsetzung einleiten.Ein Drittes gehört zu diesem gewaltigen Umstellungsprozeß: das sind die Folgen für die Gemeinden, deren wirtschaftliche und soziale Grundlage ernsthaft berührt wird.Ich sage alles das, um klarzumachen, daß man sich schon dazu durchringen muß, diesen Umstellungsprozeß, der ein weitschichtiger, vielfältig wirksamer Prozeß ist, langfristig und planmäßig durchzuführen. Die Voraussetzungen für einen solchen langfristigen organischen Umstellungsprozeß im Kohlebergbau müssen gefunden werden. Dazu gehört die Erkenntnis, daß hier entscheidende öffentliche und gesamtwirtschaftliche Interessen auf dem Spiel stehen.Wir haben feststellen müssen, daß die planlosen und willkürlichen Eingriffe in die Energiewirtschaft in der Vergangenheit zu verhältnismäßig plötzlichen, planlosen und willkürlichen Stillegungen geführt haben. Darum müssen wir die Voraussetzungen dafür schaffen, daß ein langfristiger planmäßiger Prozeß durchgeführt werden kann. Das ist ohne Ordnung und Planung im Kohlebergbau nicht möglich.Zu diesem genannten Fragenkomplex gehört schließlich ein weiteres Kapitel, nämlich die Frage der Forschung, der Entwicklung sowie der Verstromung der Kohle, die der Herr Kollege Burgbacher behandelt hat. Es gehört weiter dazu, daß man die Kosten der Stillegung, nämlich die Kosten für Wasserhaltung und dergleichen mehr sowie die dabei anfallenden zusätzlichen Sozialkosten nicht einfach den bestehenden Betrieben zulasten kann. Die öffentliche Hand muß sich vielmehr bereit finden, diese Kosten der Regression des Kohlebergbaus zu übernehmen.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962 1281
Dr. DeistEin solcher umfangreicher Prozeß, der ein ganzes Kompendium verschiedenster Maßnahmen nötig macht, braucht auch entsprechende institutionelle Einrichtungen. Sie haben die Gründung eines Rationalisierungsverbandes vorgeschlagen. Wir meinen, daß der Rationalisierungsverband als Versorgungskasse für die Inhaber unrentabler wirtschaftlicher Unternehmungen keine sehr zweckmäßige Einrichtung ist. Aber wir sind durchaus der Meinung, daß er Vorschläge für die Umstellung des Kohlebergbaus und die notwendige Einführung einer Selbstverwaltung des Kohlebergbaus machen könnte.
Wenn wir das tun, gehört zur Wahrung der öffentlichen Interessen eine entsprechende öffentliche Kontrolle gegenüber einem solchen Selbstverwaltungsorgan. Sie müßten sich darüber klar werden, meine Damen und Herren, daß man einen solchen Prozeß — unter Umständen mit erheblichen öffentlichen Mitteln — nur durchführen und überhaupt rechtfertigen kann, wenn man die notwendige öffentliche Kontrolle sichert, damit die öffentlichen gesamtwirtschaftlichen Interessen auch gewahrt bleiben. Dafür gibt es in der Welt die verschiedensten Methoden. Wir müssen uns nur klar darüber sein, daß wir auf eine solche öffentliche Kontrolle nicht verzichten können, wenn wir uns nicht dem Vorwurf aussetzen wollen, daß wir sinnlos in rein privatwirtschaftlichem Interesse erhebliche öffentliche Mittel vergeuden und damit auch noch Schwierigkeiten für die übrige Wirtschaft und das Gemeinschaftsleben herbeiführen.Ich habe das ausgeführt, um klarzumachen, daß es sich nicht um die einzelnen Mittel und Maßnahmen handelt, über die wir uns streiten könnten. Es handelt sich vielmehr darum, daß man nicht einige wenige nebeneinandergestellte punktuelle Maßnahmen ergreifen darf, sondern ein geschlossenes Programm in Angriff nehmen muß, das unter Umständen auch die Einleitung gesetzlicher und organisatorischer Maßnahmen erfordert, um solch einen gewaltigen Prozeß erfolgreich abwickeln zu können.Niemand denkt im Ernst daran, daß das Problem der Energiewirtschaft völlig liberal gelöst werden könnte, indem freie Importe billigster Anbieter zugelassen werden. Niemand sollte sich aber auch der Illusion hingeben, daß man auf die Dauer mit einem harten Protektionismus der Kohle durchkommen kann, ja, daß er überhaupt wünschbar wäre. Wir brauchen das, was jeder moderne demokratische Staat braucht: ein Stück Ordnung und ein Stück Planung in einem solchen wichtigen Bereich der Grundstoffindustrie. Das einzige, was nicht möglich ist, ist, daß man den Energiemarkt weiterhin dem Verdrängungskampf mächtiger, miteinander konkurrierender Interessengruppen mit all den schweren Folgen für die Bergarbeiter, die Verbraucher, die gesunden Bergbauunternehmen und das Gemeinschaftsleben in den Städten und Gemeinden dieser Länder überläßt.Herr Bundeswirtschaftsminister, ich fürchte, daß Sie dabei etwas über Ihren Schatten springen müssen. Aber ich möchte Ihnen empfehlen, sich zu Gemute zu führen, was der frühere Herr Bundesfinanzminister Etzel einmal auf dem Frankfurter Wirtschaftstag der CDU im Jahre 1961 gesagt hat. Er hat nämlich gesagt:Mit unserem Ordnungsbild der sozialen Marktwirtschaft haben wir uns ... in einen klaren Gegensatz zur freien Wirtschaft alter liberalistischer Prägung gestellt. ... Die Societas und damit der Staat haben sich um die Wirtschaft zu kümmern. Wir bejahen das Interventionsrecht und die Interventionspflicht des Staates gegenüber dem Ablauf der Wirtschaft. Nur dadurch läßt sich die Gesamtordnung, die wir erstreben, vor Verfälschungen bewahren.Meine Damen und Herren, daran sollten wir uns halten. Auch Sie sollten den Mut haben, aus solchen Bekenntnissen die Konsequenzen zu ziehen. Mit den Vorschlägen der Bundesregierung sind keine angemessenen Konsequenzen aus unserer heutigen Lage gezogen worden.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Deist meinte am Schluß seiner Ausführungen, ich müßte über meinen eigenen Schatten hinwegspringen. Ich bin mir bewußt, daß Kohle nicht wie Damenstrümpfe oder Schnupftabak verkauft werden kann, sondern daß hier andere Gesetze gelten. Alles, was ich heute ausgeführt habe, alles, was wir für die Kohle schon an Maßnahmen eingeleitet und durchgeführt haben, ist ein Beweis dafür, daß von einer starren Dogmatik meinerseits überhaupt nicht die Rede sein kann. Ich glaube aber, Sie werden sich etwas schwerer tun, über Ihre früheren Aussagen hinwegzuspringen, die Sie in bezug auf die Entwicklung der Kohle gemacht haben.Ich hatte an sich gar nicht die Absicht, mich in Zitaten zu ergehen, aber nachdem die Debatte von Ihnen damit eingeleitet wurde, ist es ganz reizvoll, darauf einzugehen. Hier wurde wieder einmal, und zwar nicht von der Wissenschaft — über das Gutachten der Institute wird sicher noch Herr Kollege Friedensburg sprechen —, sondern von der Wirtschaftspolitik gefordert, sie sollte womöglich bis zum Jahre 1975 voraussagen, wie sich die Kohle, wie sich das Öl wie sich das Erdgas und wie sich die Atomkraft entwickeln wird, und müßte heute schon ganz fest und konkret festlegen, womöglich noch in Zahlen ausdrücken, was da kommen wird. — Entschuldigen Sie, Herr Dr. Deist, so oft möchte ich mich nicht blamieren, wie Sie das mit Voraussagen über die Kohle getan haben.
In der Kohledebatte am 29. November 1956 heißt es:Wenn auf Jahre hinaus eine echte Unterversorgung erkennbar wird, dann sollte man die
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1282 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard vorhandene Menge ohne Rücksicht auf die bestehenden kapitalmäßigen Bindungenwenigstens einigermaßen gerecht verteilen.
Am 19. August 1957 heißt es bei Herrn Dr. Deist:Die Pläne, innerhalb von 20 Jahren zusätzlich 40 Millionen t heimischer Steinkohle zu fördern, sind nur durchzuführen, wenn 10 bis 15 moderne Schachtanlagen auf grüner Wiese errichtet werden... .
Sind Sie der Meinung, daß die Voraussage richtig war, angesichts des schon erkennbaren Vordringens des Heizöls in aller Welt und der sich anbahnenden Strukturveränderungen noch neue Kapazitäten von 40 Millionen neben den schon bestehenden zu erschließen?Die Sache geht noch weiter. Es heißt am 5. November 1957 von seiten der Opposition:Die Kanzlererklärung ... kann von uns nicht als ein ausreichender Beitrag angesehen werden; denn sie enthält nichts darüber, wie die drohende Energielücke geschlossen werden soll.Zum Kohlenzoll heißt es — wieder frei nach Herrn Dr. Deist —:Dieser Kohlenzoll bringt unsere ganzen Außenhandelsbeziehungen in Unordnung und kostet uns einen ungeheuren Vertrauensverlust in der übrigen Welt. Außerdem ruinieren Sie völlig den inneren Kohlenmarkt, der bereits jetzt durch die Ankündigung des Kohlenzolls total durcheinandergeraten ist.
Soweit die Zitate. Es tut mir leid, daß ich diese Zitate bringen mußte.
Aber ich wollte nur deutlich machen, daß bei einem so ungeheuer dynamischen Geschehen, wie wir es erleben, Voraussagen keinen Wert haben. Bitte erinnern Sie sich daran, was 1956, 1957 und danach geschehen ist. Alle Berechnungen, die gewiß mit großer Sorgfalt von der Hohen Behörde u. a. angestellt worden sind, hat die lebendige Wirklichkeit einfach vom Tisch gefegt. Ich glaube, das Beste, was man für die Kohle tun kann, ist, ihr die ehrliche Versicherung zu geben — und das habe ich genauso getan wie Sie auch —: Wir wollen unsere Wirtschaftspolitik im ganzen so orientieren, daß sie bei eigenen Anstrengungen ihren Absatz mit 140 Millionen t wird behaupten können. Wenn sowohl die Unternehmer wie die Gewerkschaften das vor drei Jahren schon gesagt hätten — tatsächlich haben wir es ja praktiziert: 141 Millionen, 142 Millionen, 143 Millionen t und dazu noch 71/2 Millionen t Kohle von der Halde —, dann wären wahrscheinlich nicht mehr so viele Bergleute abgewandert, die ja wesentlich deshalb abgewandert sind, weil siedurch das dauernde Bangemachen das Vertrauen 1 verloren haben.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Deist?
Bitte.
Herr Bundeswirtschaftsminister, würden Sie mir erklären, wer dieses „Bangemachen" vorgenommen hat: Hunderttausend Bergleute müssen aus dem Bergbau heraus, damit er gesund werden kann! — und dadurch Panik im Bergbau hervorgerufen hat?
Wir haben nie verkündet: soundsoviel Bergleute müssen aus dem Bergbau heraus, sondern wir haben gesagt: der Bergbau muß rationalisieren. Ich habe einen besseren Beweis für meine Aussage. Ich habe am 28. November 1957 — 1957! — hier unmißverständlich erklärt, daß die fortschreitende Bereinigung des Problems der Grenzzechen nötig sei, und das ist bis heute so geblieben.Herr Arendt sagte, daß wir die Abwanderung aus dem Kohlebergbau als einen wirtschaftspolitischen Erfolg verbuchen.
— Nein, nicht die Abwanderung wird als ein wirtschaftspolitischer Erfolg verbucht, obwohl es in der Gesamtrechnung volkswirtschaftlich zweifellos ein Vorteil ist, wenn der Kohlebergbau mit 150 000 Menschen weniger die gleiche Förderung wie ehedem erzielt und der Volkswirtschaft 150 000 vollwertige Arbeitskräfte an anderer Stelle zur Verfügung stehen.
Daß sie unterkommen konnten, daß wir eine Wirtschaft haben, in der sich durch solche Strukturveränderungen keine sozialen Nöte ergeben, das ist der Erfolg der Wirtschaftspolitik.
Meine Damen und Herren, die Sicherheit des Arbeitsplatzes ist doch volkswirtschaftlich nicht so zu verstehen, daß der Arbeitsplatz genau an derselben Stelle stehen muß, — schön, der Bergmann soll in seiner Heimat bleiben; aber genau derselbe Arbeitsplatz ist damit nicht gemeint.Wenn wir jetzt Kapazitäten stillegen, heißt das auch nicht, daß der Mann aus dem Kohlebergbau ausscheiden soll, sondern daß er an besserer Stelle im Kohlebergbau arbeiten kann. Bedenken Sie, was sich in bezug auf die Landwirtschaft an Strukturveränderungen ergeben hat. Dort gehen die soziologi-
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Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhardschen Folgerungen sehr viel weiter, als das in der Kohlewirtschaft jemals der Fall gewesen ist,
und es wird auch in Zukunft nicht so sein.Meine Damen und Herren: W i r haben doch die Heizölsteuer eingeführt — gegen Ihren Widerstand. Wir sind früher über unseren Schatten gesprungen, als Sie es vermocht haben. Das gilt übrigens auch für den Kohlezoll. Wie die Dinge heute bei der Kohle liegen, ist es falsch, die Dinge zu dramatisieren, das geht schon daraus hervor, daß heute im Kohlebergbau 17 000 Gastarbeiter tätig sind, daß 12 000 Nachwuchskräfte gesucht werden und dazu noch 8000 offene Stellen vorhanden sind. Das ist doch der beste Beweis, daß in der Kohle noch wirkliches Leben ist und daß sie mit unseren Mitteln auf dem besten Wege ist, in sich zu gesunden und ihre Wettbewerbskraft zu stärken. Es ist die Absicht der Bundesregierung, diese Energie-, nein, wenn Sie wollen: auch diese Kohlepolitik energisch voranzutreiben.Wenn Sie im übrigen internationale Vergleiche anstellen, wenn Sie z. B. die Haldenbestände als einen Maßstab für den Erfolg der Kohlepolitik nehmen, — d. h. wenn Sie die derzeitigen Haldenbestände auf die Förderung des Jahres 1958 beziehen, dann ergibt sich, daß die Halden in Deutschland knapp 8 % der Förderung des Jahres 1958 ausmachen, in Großbritannien 13 %, in Belgien 15 % und in Frankreich 21 %.B) Ich habe vorhin gar nicht gesprochen von der Bergmannsprämie. Die war auch unsere Erfindung! Unter diesem Titel sind bis heute immerhin rund 1 Milliarde DM an die Bergleute geleistet worden, und wir sind sehr glücklich, daß wir das in Anerkennung der Tätigkeit des Bergmanns erreichen konnten.Hier ist von Feierschichten die Rede gewesen. Wir haben ,die Feierschichten, die in den vergangenen Jahren wirklich einmal sozial sehr störend gewesen sind, bekanntlich mit 75 Millionen DM abgegolten. Aber im ersten Quartal 1962 sind bei einer Förderung von 35 Millionen t 43 000 t Feierschichten gefahren worden, und zwar nicht aus volkswirtschaftlicher Notwendigkeit, sondern aus innerbetrieblich-technischen Überlegungen, so daß man von Feierschichten überhaupt nicht sprechen kann.Meine Damen und Herren, Herr Dr. Deist behauptet, es sei uns in sechs Jahren nicht gelungen, das Problem Kohle - Öl endgültig zu regeln. Ich habe den Eindruck, „endgültig" wird uns das auch in den nächsten drei Jahren nicht gelingen, weil vielleicht wieder neue Entwicklungen hinzukommen. Wir wissen nicht, was sich in bezug auf das Erdgas ereignet. Sie wissen auch, daß sich an der deutschholländischen Grenze neue Felder auftun. Das alles wird unsere energiepolitischen Entscheidungen so oder so noch einmal tangieren können oder sogar tangieren müssen, aber ich bin nicht so weise oder habe jedenfalls weniger Mut als Sie, mich in exakten Voraussagen, womöglich noch zahlenmäßiger Art, zu bewegen.Nun zum Rationalisierungsverband! Das ist doch eine großartige Sache, aber wie lange haben wir darum gerungen! Die Anfänge des Bemühens des Wirtschaftsministeriums um diesen Rationalisierungsverband zur inneren Stärkung der Kohlewirtschaft gehen zurück auf den Monat Januar 1961. Wir haben uns sowohl gegenüber dem Unternehmensverband wie gegenüber den Gewerkschaften in vielen Besprechungen immer wieder bemüht, Verständnis für diese Notwendigkeit zu finden. Die Liebe ist sehr langsam gewachsen, und erst seit Beginn dieses Jahres, also nach einem einjährigen Bemühen, kann man sagen, ist diese Notwendigkeit entweder toleriert oder mit mehr oder minder freundlicher Gesinnung entgegengenommen worden. Aber die Initiative lag eindeutig bei uns. Da von einem Attentismus zu sprechen ist nicht am Platz; — der Attentismus lag dabei auf einer ganz anderen Seite, aber ganz bestimmt nicht bei der Bundesregierung und beim Wirtschaftsministerium.Dann ist gerügt worden, daß durch Vermittlung von Herrn Berg zwei Besprechungen mit Vertretern von Kahle und 01 stattgefunden haben. Herr Kollege Deist, ich habe Ihnen schon oft gesagt, daß ich immer in Harnisch komme, wenn in Ihrer Sprache und in Ihrer Diktion zum Ausdruck kommen soll, als ob es sich bei solchen Gesprächen um krumme Sachen handeln müsse, 'die das Licht des Tages scheuen. Dagegen wehre ich mich mit aller Entschiedenheit. Wenn ich mich mit jemand sachlich unterhalte, dann könnten Sie dabei sein, Herr Deist, denn dabei geht es korrekt und sauber zu,
und so ist es auch bei diesen Besprechungen gewesen. Diese Besprechungen lagen am Ende langer Überlegungen. Der Rationalisierungsverband und die Einflußnahme auf das Öl waren schon vorher besprochen und sind dann vorgetragen worden. Aus der Interessenlage von Kohle und Öl, aber auch im Hinblick auf die Energiekosten und die Energieversorgung der Gesamtwirtschaft hat schließlich auch der Präsident des Bundesverbandes der Industrie immerhin die Legitimation, sich einzuschalten.Wir haben nicht nur mit Herrn Berg verhandelt, sondern auch mit den Gewerkschaften, in durchaus gleichem Geist und in durchaus gleicher Zielsetzung.Sie meinen, daß die Stillegungsprämie, die wir mit 25 DM angesetzt haben, zu hoch ist. Nun, erstens einmal werden aus öffentlichen Mitteln nur 12,50 DM gegeben. Die anderen 12,50 DM fließen aus Umlagen der Kohlewirtschaft, des Unternehmensverbandes selbst.
Wenn Sie bedenken — das wissen Sie ja vielleicht sogar besser als ich, mindestens vom Technischen gesehen —, was die Stillegung an Totlasten mit sich bringt, an Bergschäden und Deputaten und allem, was damit verbunden ist, dann, glaube ich, ist es eine sorgfältige Berechnung, wenn wir meinen, daß eine Ablösung in Höhe von 12,50 DM an öffentlichen Mitteln und 12,50 DM an Umlagegeldern angemessen ist. Aber wenn Sie anderer Meinung sind,1284 Deutscher Bundestag — 4, Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhardhaben Sie selbstverständlich das Recht, sie vorzutragen. Jedenfalls wissen wir, wie viele Zechen darauf warten, jetzt endlich schon lange geplante Maßnahmen durchführen zu können, und diese Maßnahmen werden ein weiteres Mal zur Gesundung der Kohle beitragen.Wir haben das Handelsabkommen mit Sowjetrußland — das ist Ihnen so bekannt wie uns — nicht um guter Geschäfte willen abgeschlossen, sondern dahinter standen politische Aspekte. Wenn Sie wissen, wie schmal die Palette ist, die uns da geboten wird, dann erkennen Sie, daß wir Rohöl einführen mußten. Und um dieses Rohöl verarbeiten zu können, brauchen wir eine Raffinerie. Die Raffinerien der großen Gesellschaften, mit denen wir auch gesprochen haben, haben uns dieses Rohöl nicht abgenommen; sie haben ihr eigenes 01. Aus diesem Grunde war es zwangsläufig, daß das Sowjetöl dann nach Scholven gegangen ist und dort verarbeitet wurde. Damit wollte sich der Bund nicht bereichern und noch weniger schräge Geschäfte mit der Sowjetunion machen. Das möchte ich zu dieser ganzen Sache sagen.
Im übrigen, meine Damen und Herren: So schlecht hat das Wirtschaftsministerium doch auch nicht die Koordinierung und die Konsultation besorgt; denn bis jetzt, bis zum Jahre 1961, mußten immer noch, um den Bedarf bzw. die Nachfrage nach Heizöl zu decken, zusätzlich neben der eigenen Raffinerieerzeugung Einfuhren getätigt werden. Wir sind der Meinung — aber da zögere ich schon, weil ich eben kein Prophet bin wie Sie —, daß schon in den Jahren 1962 bis 1963 trotz der Ausweitung der Raffinerie-Kapazitäten zur Deckung des deutschen Ölbedarfs immer noch Importe von außen notwendig sein werden. Jedenfalls verspreche ich Ihnen hier noch einmal, meine Damen und Herren, entgegen aller Kritik, daß wir das Beste tun werden, um ein glückliches Schicksal der deutschen Kohle zu gewährleisten.In dem Antrag der Fraktion der SPD lese ich unter Nr. 5:der Bundesregierung — insbesondere im Hinblick auf die Lasten, die Verbraucher und Steuerzahler aufbringen — die wirtschaftspolitischen Mittel zur Verfügung zu stellen, die notwendig sind, um zu sichern, daß die Entwicklung der Energiewirtschaft den volkswirtschaftlichen Gesamtinteressen entspricht.Ich darf meine Freunde von den Koalitionsparteien bitten, diesem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Aschoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Stellungnahme des Herrn Bundesministers für Wirtschaft enthebt mich zum Teil derNotwendigkeit, unmittelbar auf die letzten Ausführungen des Herrn Kollegen Deist einzugehen. Ich kann mich daher kürzer fassen, zumal ich den Eindruck habe, daß wir wieder einmal im Begriff sind, uns etwas mehr mit unbewältigter Vergangenheit als mit zu bewältigender Zukunft in bezug auf das aktuelle Problem zu beschäftigen. Ich glaube daher auch nicht, daß diese Debatte fruchtbar weitergeführt werden kann, wenn wir uns gegenseitig die Richtigkeit oder Unrichtigkeit weiterer Zahlenvorstellungen vermitteln, sondern wir sollten versuchen, auf die beiden eigentlich entscheidenden Punkte noch einmal einzugehen.Bevor ich das tue, darf ich jedoch bemerken, daß mich die Ausführungen von Herrn Kollegen Deist in einigen Punkten etwas erstaunt haben. Man sagt, ein anderer springe offenbar nicht über seinen Schatten. Ich hatte demgegenüber den Eindruck, daß mindestens ein Schatten eben wieder auftauchte. Es ist ja wohl keine Lösung des Problems, daß wir jetzt sagen, anstatt des Rationalisierungsverbandes oder anderer Dinge wollten wir eine unter öffentlicher Kontrolle stehende Organisation schaffen, die mit anderen Worten in klarem Deutsch die durch das Wort Gemeinwirtschaft umschriebene Sozialisierung des Bergbaus bedeutet.
Das also doch wohl nicht! Denn wir haben uns oft genug an anderer Stelle darüber ausgesprochen, daß für die akuten Probleme dadurch wenig erreicht werden dürfte.Was mich aber noch viel mehr interessiert hat, ist eigentlich der Gegensatz in Ihren Ausführungen, Herr Deist. Auf der einen Seite geben Sie selbst zu, daß es notwendig sein wird, zu rationalisieren; auf der anderen Seite aber bringen Sie zum Ausdruck, alle vorgeschlagenen Maßnahmen seien ungeeignet.
— Pardon! Ich wollte gerade sagen, wir müssen ja irgendwo anfangen. Ich bin wie auch in vielen anderen Punkten z. B. in diesem Punkt mit Ihnen einer Meinung: Ich bin sehr glücklich, daß unsere Energieentschließung in Straßburg — hinter die ich mich genauso stelle wie Herr Burgbacher und Herr Arendt — offenbar auf den verschiedensten Ebenen wie eine Spritze gewirkt hat. — Ich schaue aus Befangenheit nicht in die Richtung, nehme aber an, verstanden worden zu sein. Also über dieses Problem braucht man sich nicht zu streiten.Sie sagen, die Zusammenlegung der Schachtanlagen usw. müsse in einer ganz anderen Form erfolgen. Herr Deist, der Rationalisierungsverband ist doch nicht, wie Sie es sehr einseitig darstellen, ein Unternehmen, das dazu gegründet wird, um, wie Sie sich eben ausdrückten, schlafende Kapitalisten oder Eigentümer zu wecken.
— Das ist meine Übersetzung Ihrer Ausdrucksweise.
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Dr. Aschoff— Recht frei, zugegeben. So ist es doch nicht gedacht. Vielmehr soll dieser Rationalisierungsverband, der nach meiner Kenntnis gerade in den Kreisen der Bergbauunternehmungen zum Teil auf sehr starken Widerstand stößt, gegen deren Willen nach der Vorstellung meiner Fraktion als ein Mittel der Wirtschaftspolitik eingeführt werden, um wenigstens zunächst einmal den Versuch zu machen, etwas zu erreichen, wovon wir noch gar nicht gesprochen haben. Wir sprechen die 120, 140, 160 Millionen nicht deshalb nicht mit der akuten Akkuratesse an wie Sie, weil wir sie nicht erreichen wollten, sondern weil wir der Meinung sind, daß das Ergebnis des Rationalisierungsprozesses für die Ertrags-, Kosten- und Marktlage ebenso bedeutend und eine Frage unternehmerischer Entscheidung sein wird, was man machen soll. In einem sind wir mit Ihnen einig — und so habe ich auch den Herrn Bundeswirtschaftsminister verstanden —: daß die von ihm eingeleiteten Maßnahmen alle dahin zielen sollen, dem Bergbau unter der Voraussetzung einer etwas geleiteten Rationalisierung, will ich einmal sagen, die Möglichkeit oder, wie Herr Burgbacher das ausgedrückt hat, die echte Chance zu geben, in seiner bisherigen Förderung zu bleiben. Wir sind selbstverständlich auch durchaus der Meinung, daß eine Fülle anderer Probleme überlegt werden müßte.Herr Burgbacher hat vorhin schon einmal das Problem 'der Devisensituation angesprochen. Sie werden verstehen, daß man in meiner Fraktion nicht gewillt ist, von vornherein einer Absatzgarantie in einer wie auch immer gearteten Form zuzustimmen, weil wir der Auffassung sind, daß die privatwirtschaftliche 'Grundstruktur unserer Wirtschaft es nicht zuläßt, die unternehmerische' Entscheidung durch eine Absatzgarantie zu ersetzen, wie man nach unserer Auffassung eben auch den Preis des Unternehmers nicht durch eine politische Entscheidung ersetzen kann.Daraus ergibt sich für uns, daß wir jedenfalls die Bemühungen der Bundesregierung um 'die Gründung des Rationalisierungsverbandes unterstützen. Meine Fraktion hat sich trotz ihrer stets geäußerten grundsätzlichen Bedenken auch entschlossen, sich zur Erleichterung der Situation in diesem Falle 'der Forderung nicht zu verschließen, über die Frage der Verlängerung des Kohlenzolls und der Heizölsteuer im Sinne der Wünsche der Bundesregierung zu sprechen, wobei man die Frage der Dauer usw. noch ventilieren kann; wir wünschen allerdings nicht eine Erhöhung. Wir sind zu dieser Auffassung gekommen, weil 'wir der Meinung sind, daß ein Fortfall 'dieser 'Maßnahmen, über deren Zweckmäßigkeit, Rechtzeitigkeit und Wirksamkeit in der Vergangenheit wir durchaus diskutieren können, eine erneute Erschwerung bringen würde, weil die Ausgangsgrundlagen verschoben werden.Der nächste Punkt, von dem ich bedaure, daß er in der Erklärung der Bundesregierung offenbar übersehen worden ist, ist die Frage der Schwerpunktbildung bei der Verstromung. Wir .sind allerdings 'der Auffassung, daß man sie unterstützen soll, es aber nur tun kann, wenn damit Überlegungen verbunden sind, die das gesamte Problem der Verbundwirtschaft aufdiesem Gebiete betreffen, und wenn die Möglichkeit ,besteht, etwa 'zu errichtende neue Anlagen auch hinsichtlich der Transportkosten — das ist bereits angeschnitten worden — so zustellen, daß diese Dinge überhaupt im realen Raum des Wettbewerbs wirksam werden.Die nächste Frage, einen der .schwierigsten Punkte, hat Herr Deist 'völlig klar angesprochen. Es ist 'die Frage, wie wir uns im Augenblick bei der Abstimmung der Kapazitäten der Energieträger verhalten. Meine Damen und Herren, wir haben uns überlegt — und ich persönlich unterstreiche das —, 'daß es 'uninteressant 'ist, sich bei einer Überlegung: „Was nun?" auf Prognosen zu stützen, was in 'den nächsten 10 oder 15 Jahren ist. Soweit ich mich erinnere, hat es ,gerade auf dem Gebiet der Atomenergie auch schon erhebliche Fehlziündungen gegeben. Wir wollen Klarheit und wollen nicht herumrechnen, wer verschiedene Prognosen falsch gestellt hat. Ich entsinne mich auch, daß noch im Herbst 1957 ein verstärkter Import von Kohle seitens der Bundesregierung vorgeschlagen und gefordert wurde, was vielleicht auch damals nicht mehr ganz zweckmäßig in der Prognose erschien. Man sollte das alles beiseite lassen.Worauf es jetzt ankommt, scheint uns folgendes zu sein. Wenn die Darstellungen alle vollkommen richtig sind — ich möchte das nicht sofort bejahen —, daß durch eine zu starke Liberalisierung oder aus anderen Gründen Öl in einer zu großen Menge oder zu schnell auf den deutschen Markt drängt, so meint meine Fraktion, daß es nicht im Sinne unserer Wirtschaftsordnung ist, durch eine Lizenzierung oder Kontingentierung dieser Dinge Herr zu werden.Wir sind noch nicht bis zu den Überlegungen im einzelnen gekommen, ob, was bei Herrn Deist anklang, eine Investitionsabstimmung gesetzlich möglich wäre. Wir haben es aber aus diesem Grunde begrüßt, daß die Bundesregierung das Problem einer Investitionsabstimmung zunächst einmal öffentlich zur Erörterung gestellt hat.Herr Kollege Deist, ich glaube, man sollte jedem überlassen, wo er sich seine Ratgeber sucht, wenn man annehmen kann, daß der Ratgeber in Verantwortung handelt. Wenn die Bundesregierung diesen fragt oder jenen fragt, kann man daraus nicht ohne weiteres folgern, daß hier nunmehr InteressentenInteressen vertreten werden; denn was dort gesprochen wurde, war nach meiner Kenntnis schon sehr lange im Raum. Das mag auch dahingestellt bleiben.Das Entscheidende ist — und deshalb ist unsere Fraktion bereit, dem zuzustimmen und es zu begrüßen —, daß der Bundesminister für Wirtschaft dezidiert erklärt, er werde mit der Mineralölwirtschaft eine Investitionsabstimmung vornehmen.Er nennt das Konsultation. Nach meinen Erinnerungen an Latein hat consultatio nur einen Sinn, wenn aus der consultatio eine actio erfolgt.
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1286 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962
Dr. Aschoff — Bitte, Herr Deist, auf die hoffe ich auch, nur daß wir beide uns in dem Grad der Beurteilung unterscheiden. Sie sind der Auffassung, daß grundsätzlich keine kommen wird, während ich hier die Hoffnung vertrete, daß sie kommen wird. Wir werden das erleben.
— Wir werden das erleben. Wenn wir diese Dinge nicht in den Griff bekommen, stehen wir vor einer absolut neuen Situation. Das gebe ich Ihnen zu, das sagt der gesunde Menschenverstand. Wir erwarten jetzt aus einer bestimmten Situation heraus, daß wir mit normalen Mitteln der Wirtschaftspolitik die Dinge in den Griff bekommen. Der Minister ist zur Zeit der Auffassung, daß er es auf diesem Wege wird erreichen können. Wir werden das abwarten. Aus diesem Grunde glaubten wir auch die Regierung darauf hinweisen zu sollen, daß sie sich für den Fall, daß diese Maßnahmen nicht zu dem gewünschten Erfolg führen, überlege, welche Mittel ihr zur Verfügung stehen.Sie haben in Ihrem Antrag im letzten Absatz gebeten, daß dem Ministerium wirtschaftspolitische Mittel zur Verfügung gestellt werden. Alle Leute, die sich mit Wirtschaftspolitik beschäftigen, reden seit Jahren von dem Instrumentarium der Wirtschaftspolitik. Die Frage wird nur sein, ob es Mittel gibt, die nicht angewandt werden, oder ob neue erfunden werden müssen. Ich glaube, daß die zweckmäßige Anwendung der vorhandenen Mittel zur Erreichung der Ziele ausreichen würde.Meine Damen und Herren! Damit ergibt sich, nachdem eine Fülle von Einzelheiten hier erörtert worden ist, aus der grundsätzlichen Betrachtung für uns folgendes.Wir sind mit den Vorschlägen der Bundesregierung einverstanden und sind bereit, sie zu unterstützen. Dabei geben wir durchaus der Erwartung Ausdruck, daß die bisher nur in der Entwicklung angezeigten Dinge sich in einer gewissen konsequenten Durchführung abzeichnen werden.Wir sind bereit, den Kohlenzoll und die Heizölsteuer zu verlängern.Wir fordern von der Bundesregierung, daß die Lösung mit dem Rationalisierungsverband beschleunigt betrieben wird. Dabei legen wir außerordentlichen Wert darauf, daß die Selbstleistung des Bergbaus unter allen Umständen gefordert und beachtet wird.Wir fordern darüber hinaus nicht nur von der Einsicht der Partner, sondern auch von den Bundesministerien, daß die Konsultationen, die wir für richtig halten, mit dem nötigen Nachdruck und der nötigen Eile und mit Unterrichtung des Bundestages betrieben werden.Wir haben aber noch ein Anliegen, und Sie werden verstehen, daß wir von Nordrhein-Westfalen dieses Anliegen auch vortragen. In der Problematik des Bergbaues, soweit er ein Teil der Energie ist, liegt nicht nur so nebenbei ein soziales Problem, das man damit erledigen könnte: 20 Millionen stillgelegte Tonnen verursachen ja nur die Freisetzung von 50 000 Arbeitern, und die bringen wir heute unter! Meine Damen und Herren, ich stamme nicht aus dem Bergbau, bin aber bei ihm tätig und habe dort etwas sehr Interessantes beobachtet: daß es ein Industriezweig ist, in dem — und zwar gilt das gerade auch für die Arbeitnehmer, für den Bergmann — im Vergleich zu anderen Berufen erfreulicherweise eine große innere Geschlossenheit und ein lebendiges Berufsbewußtsein bestehen, die man nicht unnötig zerschlagen sollte. Es ist nach unserer Meinung nicht Sinn einer Sozialpolitik, nur zu sagen: „Du kannst woanders arbeiten!" Man soll dafür sorgen, daß der Mensch dort arbeiten kann, wo er arbeiten will.Es liegt deshalb für uns in Nordrhein-Westfalen in diesen Dingen natürlich ein ganz erhebliches Strukturelement und ein sehr bedeutsames soziales Element. Wir haben das für die Bundesebene dahin zum Ausdruck gebracht: wir haben nicht sofort Forderungen auf sozialem Gebiet gestellt, sondern wollten die Bundesregierung zunächst einmal bitten diejenigen Untersuchungen vorzunehmen, die notwendig sind, um zu Entschlüssen zu kommen, wie sie in dem SPD-Antrag angestrebt werden, nämlich unter Umständen den Bergbau sowohl wegen Großbritanniens als auch wegen sonstiger Wettbewerbsverzerrungen von gewissen Lasten zu befreien, die ihm ungerechterweise aufgelegt sind. Das Thema Wettbewerbsverzerrungen lasse ich im übrigen hier weg, weil es ein Thema für die einzelnen Spezialisten ist, das laufend bearbeitet wird, das aber mit der Grundsatzthematik nichts zu tun hat.In diesem Sinne glauben wir, daß die heutige Debatte doch einen Sinn hat. Wir werden ja in den Ausschüssen, namentlich im Wirtschaftsausschuß, noch Gelegenheit haben, über das Ergebnis und die Überweisungen, die aus dieser Debatte kommen, zu beraten und auch unsererseits mitzuhelfen, diese Beratung zu einem erfolgreichen Ende zu bringen.
Das Wort hat der Abgeordnete Blumenfeld.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man in den vergangenen Wochen und Monaten die Presse in der Bundesrepublik las, war man geneigt, zu glauben, daß die Auseinandersetzungen über den Kohlenbergbau und die Energiefrage von einer großen Dramatik seien. Wenn man den Ablauf unserer heutigen Debatte miterlebt hat, stellt man fest, daß von der Dramatik, die draußen so häufig beschworen wird, 'eigentlich wenig zu verspüren war. Dem Betrachter drängt sich eher das Bild auf, als ob hier der oft zitierte Ölstrom recht träge daherfließt.Nun, ich glaube aber, daß 'auf Grund der Ausführungen aller Kollegen hier und insonderheit der Bundesregierung der Bergbau in der Bundesrepublik wieder mit Hoffnung und mit Mut — wenn er ihn bisher nicht gehabt hat — in die Zukunft schauen kann. Meiner Meinung nach war auch in der Vergangenheit relativ wenig Veranlassung für
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Blumenfeldden deutschen Kohlenbergbau, keinen Mut an den Tag zu legen; denn so schlecht ist es dem Bergbau auch in den vergangenen Jahren nicht gegangen.Meine Damen und Herren! Das Kernstück der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion ist die Herausstellung des Rationalisierungsverbandes, dieser Gemeinschaft, die sowohl mit öffentlichen Mitteln wie auch unter Selbsthilfe nunmehr 'die Gesundung Ides deutschen Bergbaus in den nächsten Jahren vorantreiben soll.
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Herr Blumenfeld, auch Sie haben auf dem Klavier gespielt: Diese finsteren Absichten: Sozialisierung, Gemeinwirtschaft und dergleichen mehr. Ich frage Sie: Wenn wir dem Kohlenbergbau ein öffentliches Instrument — eine öffentlich-rechtliche Körperschaft mit Zwangsmitgliedschaft — zur Verfügung stellen, mit dem also ein Stück öffentliche Gewalt ausgeübt wird, und wenn wir diesem Instrument auch öffentliche Mittel, Steuermittel oder durch Preisfestsetzungen, Heizölsteuer und dergleichen mehr Mittel aus den Verbrauchertaschen zuführen, ist es dann nicht berechtigt, zu verlangen, daß ein solches Instrument— das ich als Selbstverwaltungsorgan bejahen würde — von der Öffentlichkeit kontrolliert wird, weil dort öffentliche Mittel verwendet werden?
— Ich spreche jetzt mit Herrn Aschoff.
— Moment, ich habe für Herrn Aschoff gesprochen, der etwa sagte: Wenn ich das höre: öffentliche Kontrolle, dieser Pferdefuß ! — Und dann kam eine ganze Litanei, die dazu dient, das Verlangen, der Staat solle seine Verantwortung wahrnehmen, als ganz finstere Absicht von Leuten, die die ganze Gesellschaftsordnung von oben bis unten umkrempeln wollen, zu diffamieren.Meine Damen und Herren, für diese öffentlichen Gelder trägt die Regierung die Verantwortung. Sie trägt die Verantwortung dafür, daß bei der Macht, die eine solche öffentlich-rechtliche Körperschaft doch hat und auch bekommen soll, der Verbraucher nicht zu kurz kommt, daß die Entwicklung der Gemeinden gesichert ist und daß schließlich das, was dort geschieht, in die gesamtwirtschaftliche Entwicklung eingepaßt wird. Darum geht es uns. Also bitte nicht, wie Herr Aschoff das hier getan hat, dieses berechtigte Anliegen, daß die zuständigen öffentlichen Stellen das öffentliche Interesse einem solchen In-
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Dr. Deiststrument gegenüber wahren, als einen unzulässigen Eingriff des Staates in die Wirtschaft diffamieren!
Das war Punkt 1.
Ein zweites, Herr Bundeswirtschaftsminister. Ich weiß, daß Äußerungen über die Machtstruktur in unserer Wirtschaft und Gesellschaft und über den Einfluß der großen Verbände auf gesellschaftliches und politisches Leben Sie immer wieder, wie Sie selbst sagten — das soll keine Kritik sein — irgendwie erregen. Sie lieben es dann, das auf die persönliche Linie zu bringen: man werfe Ihnen vor, daß Sie nicht korrekt und nicht sauber handelten. Es geht hier um das sehr ernsthafte Problem, wieweit sich der moderne Staat, die verantwortliche Regierung und die sonstigen verantwortlichen Stellen gegenüber mächtigen Gruppen verhalten und dafür sorgen, daß diese Gruppen in ein gesundes Ordnungsverhältnis zum Staat kommen.
Herr Bundeswirtschaftsminister, da sind wir nun leider aus Erfahrung sehr mißtrauisch. Ich spreche nicht von Ihnen persönlich; das ist auch nicht die Frage. Wir sind vielmehr mißtrauisch gegenüber dieser Regierung und dieser Regierungsmehrheit, um es ganz deutlich zu sagen.Ich denke an das Kartellgesetz. Wir wissen, wie selbst der Vorschlag der Bundesregierung und die Meinung des Bundesrats durch den Einfluß des Bundesverbandes der Deutschen Industrie abgewandelt worden sind, so daß die vorher beschlossene Vorlage durch Ihre Mehrheit, im Sinne der Wünsche des Bundesverbandes der Deutschen Industrie geändert worden ist.
Das war ein Fall.
Wir kennen einen zweiten Fall, Herr Bundeswirtschaftsminister. Das war die Einflußnahme des Bundesverbandes der Deutschen Industrie bei jenen konjunkturpolitischen Erörterungen im Herbst 1961, die schließlich ein rechtzeitiges konjunkturpolitisches Handeln verhindert hat, und die besonderen Umstände, unter denen diese Unterhaltung im Hause des Herrn Berg, im Berg-Kreis, stattfanden. So etwas macht uns auch sehr stutzig gegenüber dieser Art, öffentliche Dinge, politisch zu verantwortende Dinge zu behandeln.Meine Damen und Herren, wir sind überzeugt — und glauben, dafür gute Gründe zu haben —, daß der Einfluß der großen Gruppen auf die Politik, auf die Gesetzgebung und auf die Verwaltungspraxis bei uns in Deutschland unerhört groß ist. Und weil wir das für eine wichtige Frage unserer demokratischen Grundordnung halten, werden wir uns nicht davon abbringen lassen, das bei jeder Gelegenheit sehr deutlich zu sagen.
— Herr Bundeswirtschaftsminister, daß das Problem der Macht nicht auf Sie beschränkt ist, sondern alle gesellschaftlichen Gruppen, und zwar nicht nur die politischen Gruppen berührt, darüber brauchen wir uns nicht zu streiten. Die Frage ist, wo politisch verantwortliche Stellen diesen Gruppen einen unzulässig starken Einfluß auf die politischen Entscheidungen geben.
Das ist die Frage, die hier zu beantworten ist und über die wir eine ganz klare Meinung haben.Eine letzte Bemerkung, Herr Bundeswirtschaftsminister. Sie sagen: Wer macht sich wohl anheischig, zu sagen, wie die Energiewirtschaft im Jahre 1975 aussehen wird. Nun, Herr Bundeswirtschaftsminister, Politiker sind keine Propheten und sollen sich nach Möglichkeit auch nicht auf dieses Gebiet begeben. Wir verlangen von Ihnen keine Prophetie, und wir hüten uns auch, prophetische Gaben bei uns vorzutäuschen. Es ist aber etwas ganz anderes, ob eine Politik gewisse Ziele ansteuert und ob deutlich gesagt wird: Auf diese Ziele werde ich meine wirtschaftspolitischen Maßnahmen ausrichten.
— Nein, das hat er nicht einmal gesagt. Er hat gesagt: Ich meine, es wird sich erreichen lassen, daß wir die 140 Millionen usw. Ich brauche ja nicht alles zu wiederholen. Ich habe dann gesagt, was erforderlich ist, um wirklich sicherzustellen, daß jeder überzeugt sein kann, daß dieses Ziel angesteuert wird. Daß das, was Sie heute sagten, eine verbindliche Erklärung sei, das wird Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister, und der Bundesregierung leider auch vom Kohlenbergbau bestimmt nicht abgenommen werden können.
Herr Abgeordneter Dr. Deist, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Dr. Burgbacher?
Sehr verehrter Herr Kollege Dr. Deist, glauben Sie, daß in der von Ihren politischen Freunden vorgelegten Resolution präzisere Formulierungen sind als in der Regierungserklärung?
Durchaus.
Dann beweisen Sie mir das bitte!
Das können wir beide mal machen. Da sind viel präzisere Erklärungen drin, sie gehen viel weiter als Ihre. Ich möchte mal wissen, was in Ihrer Erklärung präzis gewesen ist außer der Ankündigung des Rationalisierungsverbandes.Eine letzte Bemerkung zu diesem Problem der Zielsetzung. Der Herr Bundeswirtschaftsminister sagt, wenn ich es mir recht notiert habe, man könne der Entwicklung keine Gewalt antun und sie nicht in einen festen Rahmen stecken. Nun, meine Damen
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1292 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962
Dr. Deistund Herren, wir wollen der Entwicklung keine Gewalt antun. Wenn wir von Zielsetzung sprechen, die ernsthaft zu verfolgen ist, dann veranschlagen wir immer, daß sich möglicherweise nach Ablauf geraumer Zeit die Notwendigkeit ergibt, einmal festgesetzte Ziele zu überprüfen. Aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn die Mineralölwirtschaft ihre Investitionen auf 20 bis 30 Jahre planen muß und wenn der Kohlenbergbau seine Investitionen auf 20 bis 30 Jahre planen muß, dann kann .sich die Wirtschaftspolitik, die die Grundlage für diese Planungen der Industrie schafft, nicht darauf beschränken, von der Hand in den Mund zu leben. — Danke sehr.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Friedensburg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meinen Wunsch, meine Wortmeldung zurückzuziehen, habe ich nach den letzten Ausführungen des Herrn Kollegen Deist aufgegeben. Ich frage ihn in der Tat, was 'er durch ,eine öffentliche Planung und Ordnung, die er :in irgendeiner Form einführen will, mehr erreichen will, als tatsächlich in den letzten Jahren im Steinkohlenbergbau bereits geleistet worden ist. Die gemeinwirtschaftlich geleiteten Steinkohlenbergbaue Englands und Frankreichs haben einen wesentlich geringeren Leistungsfortschritt erzielt
als unser privatwirtschaftlicher Steinkohlenbergbau.
Um es in Zahlen zu sagen: Frankreich mit seinem voll verstaatlichten Bergbau hat seit Beginn der Krise seine Schichtleistung um 10 % gesteigert, England mit seiner ebenfalls voll verstaatlichten Bergbauwirtschaft hat einen Fortschritt von 20 % erreicht, und der deutsche Steinkohlenbergbau hat einen Fortschritt von 50 %, in Worten: fünfzig Prozent, erreicht.
Herr Abgeordneter Dr. Friedensburg, gestatten Sie leine Frage des Abgeordneten Dr. Deist?
Ja, natürlich.
Bitte sehr.
Herr Professor Friedensburg, es ist nicht so, daß die Rationalisierung und die Zunahme der Leistung im französischen Kohlenbergbau bis zur Krise wesentlich größer waren als in Deutschland? Und ist es nicht so, daß die Leistungssteigerung im deutschen Steinkohlenbergbau seit der Krise das genaue Spiegelbild der Tatsache ist, daß 100- bis 150 000 Menschen aus dem Kohlenbergbau herausgedrückt wurden und sich damit rechnerisch diese Leistungssteigerung ergeben mußte?
Herr Kollege Deist, Sie wissen, daß der Steinkohlenbergbau eine dringende Nachfrage nach Leuten hat, daß er also diese Kräfte gar nicht gern abgibt, daß er aber unter dem Zwang der Verhältnisse rationalisiert hat.
Ich möchte nur feststellen, daß durch eine öffentliche Ordnung und Planung keine bessere Leistungssteigerung erzielt werden könnte. Ich warne deshalb auf das allerdringlichste vor Experimenten, von denen wir nicht wissen, wo sie eines Tages enden werden.
Ich habe also große Sorge vor einer solchen Entwicklung.
Ich möchte hinzufügen: Man könnte nach dem, was wir heute hier gehört haben, überhaupt ein merkwürdiges Bild vom deutschen Steinkohlenberbau bekommen. Er ist in Gottes Namen der führende in Europa, seine Schichtleistung ist die höchste, er hat die niedrigsten Haldenbestände. Und — Herr Deist, bitte hören Sie mal zu! —
während die verstaatlichten Bergbaubetriebe in England und Frankreich ständig mit gewaltigen Verlusten arbeiten, bringt es der privatwirtschaftlich geleitete Bergbau fertig, immer noch eine, wenn auch nicht hohe, Rente zu erwirtschaften. Ich glaube, das sollte doch einmal ausgesprochen werden gegenüber den Gedanken, die nicht nur von Herrn Gutermuth angedeutet worden sind. Herr Kollege Arendt, 1 auch Sie haben das in sehr netter und geschickter Form einfließen lassen: Der Bergbau müsse von den Nachteilen der privatwirtschaftlichen Struktur befreit werden, damit er zu einer vollen Leistungssteigerung kämmen könne. Ich habe die größte Sorge, daß durch die Einführung einer bürokratischen Planung und Ordnung gerade das Gegenteil erreicht wird.
— Entschuldigen Sie, ich habe Herrn Arendt sehr sorgfältig zugehört. Er hat davon gesprochen — ich beziehe mich nicht auf Herrn Gutermuth, er ist nicht Mitglied des Hauses, ich beziehe mit auf Herrn Arendt —, daß der deutsche Steinkohlenbergbau, um zu einer Sanierung zu gelangen, von den Nachteilen der privatwirtschaftlichen Struktur befreit werden müsse.
Herr Abgeordnter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ist Ihnen bekannt, Herr Kollege, daß beispielsweise die im Bundesbesitz befindliche Zechengruppe Hibernia eine Schachtanlage stillgelegt hat, nämlich Wilhelmine Victoria? Dann ist diese Schachtanlage verkauft worden, und heute wird sie von der Hoesch AG wieder betrieben. Meinen Sie nicht auch, daß hier beispielsweise ein sehr deutlicher und sichtbarer Beweis dafür ge-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962 1293
Arendt
liefert wurde, daß ein Austausch der Grubenfelder erforderlich ist?
Ich bin mit Ihnen völlig der Ansicht, daß das eine sehr gesunde und notwendige Entwicklung ist. Ich habe auch keineswegs den Eindruck, daß das auf dem Wege über die heutigen Besitzstruktur und über die heutigen Wirtschaftsgrundsätze im Ruhrgebiet und in anderen Gebieten dadurch verhindert würde. Wir sind doch im Begriff, eine sehr gesunde Entwicklung nach dieser Richtung einzuleiten. Jedenfalls möchte ich feststellen, daß der Steinkohlenbergbau, so sehr er uns Sorge bereitet — und ich bin keineswegs geneigt, diese Sorge zu verkleinern —, innerhalb Europas immer noch einen ausgezeichneten, ich möchte sogar sagen, den führenden Platz einnimmt.
Ich habe aber dann noch ein Wort an den Herrn Bundeswirtschaftsminister zu richten. Herr Bundeswirtschaftsminister, wir sind mit Ihrem Programm voll einverstanden. Wir sind glücklich, daß das verkündet worden ist. Herr Kollege Deist, ich weiß nicht, was Sie sich an Programm gedacht haben. Herr Kollege Burgbacher hat schon versucht, von Ihnen eine Erklärung darüber zu bekommen, was Sie sich eigentlich vorstellen. Sie sind doch in der glücklichen Lage, daß Sie ruhig Pläne machen können. Sie können schöne Programme entwerfen und brauchen nachher nicht die Verantwortung für die Ausführung zu tragen. Ich habe deshalb geradezu mit der Brille und mit dem Mikroskop gesucht, was nun an Vorschlägen da ist. Ich habe allerlei wunderschöne Ausdrücke gehört, was alles an Maßnahmen notwendig ist: sie sollen gesund sein, sie sollen normal sein, sie sollen zumutbar sein, sie sollen erträglich sein, sie sollen sinnvoll sein, sie sollen herzhaft sein, sie sollen vernünftig sein, sie sollen planmäßig sein — aber worin sie bestehen, Herr Kollege Deist, darüber sind Sie und Kollege Arendt uns den Nachweis völlig schuldig geblieben.
Es war auch von Ihrem Standpunkt aus so wesentlich einfacher. Ich muß sagen, ich beneide Sie beinahe um die Rolle der Opposition, die so schön Pläne machen und sagen kann: Soundso soll es geschehen. Sicher, auch wir würden gern sehen, daß die Regierung eine schönes Konzept auf 20, 30 Jahre hinaus entwickelte. Aber wir haben andere Erfahrungen gemacht, die auch vom Bundeswirtschaftsminister mit Recht hervorgehoben worden sind. Er hat Ihnen die Irrtümer, die nicht n u r von Ihnen — ich weiß das genau —, aber auch von Ihnen begangen worden sind, nicht vorgehalten. Aber er hat Ihnen eine Vorhaltung auf Grund der Vorwürfe gemacht, die Regierung plane nicht genug. Da hat er Ihnen vorgehalten, daß der Wechsel in den Auffassungen eine langfristige Planung nicht gut gestattet und nicht gut verantworten läßt. Deshalb möchte ich die Bundesregierung durchaus loben, daß sie nicht mit einem starren Programm in eine Entwicklung hineinstößt, von der niemand hier im Saal sagen kann, was
sie in den nächsten fünf oder zehn Jahren bringen wird.
Zum Schluß noch eine Bemerkung, die sich auf das Wort des amerikanischen Bergarbeiterführers John Lewis bezieht, das, glaube ich, Herr Kollege Arendt zitiert hat und nach dem er in die Kirche gehen würde, wenn es gelänge, durch irgendeine technische Erfindung die Steinkohlenbergleute von ihrer Arbeit zu entbinden. Ich bin gewiß, Herr Kollege Arendt, daß Sie es richtig und gut gemeint haben. Aber das Wort kann herzlich leicht mißverstanden und mißdeutet werden. Ich glaube, wir sollten uns weniger darum kümmern, daß der letzte Bergmann aus der Grube herausgeht, als dafür sorgen, daß der letzte Bergmann unter menschenwürdigen Umständen arbeitet und die Sicherheit seines Arbeitsplatzes behält. Das wäre eine wesentlich bessere Auffassung. Dann wollen wir uns klar sein, daß das, was wir hier besprechen, nicht Wirtschaftstheorien und seelenlose Zahlen sind, sondern daß es sich um das Schicksal von 400 000 Menschen handelt, daß es darum geht, für sie zu sorgen, ihnen zu ersparen, daß sie dort weggehen, und ihnen die Freude an diesem schönen und anständigen deutschen Beruf zu erhalten. Ich glaube, das ist unsere Aufgabe hier.
Das Wort hat der Abgeordnete Scheppmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte im wesentlichen über das Verhältnis von Sozialkosten und Belegschaftsentwicklung im Steinkohlenbergbau sprechen. Zu Beginn meiner Ausführungen gestatten Sie mir einige Bemerkungen zum Grundsätzlichen vorweg zu machen. Meine Damen und Herren, die energiepolitische Diskussion der letzten Jahre in der Bundesrepublik, aber auch auf europäischer Ebene hat deutlich gemacht, daß die Probleme der Energiewirtschaft nur aus einer einheitlichen Sicht behandelt werden können. Von seiten der Europäischen Gemeinschaften ist mit Recht die Forderung nach einer koordinierten Energiepolitik der Mitgliedstaaten erhoben worden. Im Rahmen eines funktionsfähigen Gemeinsamen Marktes müssen die verschiedenen Maßnahmen der einzelnen nationalen Regierungen aufeinander abgestimmt werden.Was für die europäische Energiepolitik gefordert wird, ist aber erst recht auf nationaler Ebene notwendig. Die schwierigen Fragen, die durch die Anpassung des Steinkohlenbergbaues an eine wesentlich geänderte Absatzlage aufgeworfen werden, können nur gelöst werden, wenn alle wichtigen energiepolitischen Entscheidungen koordiniert werden.Das Grundsätzliche der Energiepolitik im Rahmen einer Marktwirtschaft ist klar umrissen: Die Energie soll den Verbrauchern zuverlässig zu möglichst niedrigen Preisen zur Verfügung gestellt werden. Das bedeutet die Verwirklichung von zwei Prinzipien.Erstens. Die verschiedenen Energieträger dürfen nur mit den echten volkswirtschaftlichen Kosten belastet werden, die durch ihre Produktion, ihren Transport
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Scheppmannund ihre Verteilung verursacht werden. Sonderbelastungen eines einzelnen Energieträgers sind mit dem Prinzip ebenso wenig vereinbar wie Sondervergünstigungen.Zweitens. Durch einen echten Leistungswettbewerb der Energieträger untereinander muß sichergestellt werden, daß die Verbraucher keine Energiepreise zu zahlen haben, die über den volkswirtschaftlichen Kosten einschließlich eines angemessenen Gewinnzuschlages liegen, und daß zugleich ein ständiger Zwang zur Rationalisierung und damit zur Kostensenkung ausgelöst wird.Diese allgemeine Zielsetzung ist nicht unvereinbar mit vorübergehenden Schutzmaßnahmen zugunsten eines einzelnen Energieträgers, wenn dies aus politischen, sozialen oder Gründen der Sicherheit notwendig erscheint.Es ist in der Offentlichkeit viel über die verschiedenen Staatshilfen für den Bergbau gesprochen worden. Objektiverweise sollte aber auch gesehen werden, daß der Bergbau auch eine ganze Reihe von Lasten tragen muß, die zu einer Zeit, in der er praktisch eine Monopolstellung bei der Energieversorgung innehatte, vertretbar sein mochten, die aber heute neu überdacht werden müssen. Die Produktion des Steinkohlenbergbaus ist durch eine besonders hohe Arbeitsintensität gekennzeichnet. Die Arbeitskosten im Steinkohlenbergbau betragen rund 60 % des gesamten Produktionswertes. Die auf dieser hohen Grundlage errechneten lohnbezogenen Abgaben sind deshalb für die Wirtschaftlichkeit desB) Steinkohlenbergbaus von entscheidender Bedeutung.Bei den lohnbezogenen Abgaben sind .an erster Steile die Sozialabgaben zu nennen. Man kann ohne Übertreibung sagen, daß der Sozialgesetzgebung eine für die Wettbewerbsfähigkeit des Steinkohlenbergbaus ausschlaggebende Bedeutung zukommt. Der Anteil der vom Arbeitgeber zu zahlenden Sozialkosten an den gesamten Lohnkosten des Steinkohlenbergbaus hat sich seit 1950 wie folgt entwickelt: 1950 36,8 %, 1952 37,4% 1954 41 %, 1956 38,9 %, 1958 44 %, 1959 47,1 % und 1960 46,9 %.Während der Anteil der Sozialkosten am Gesamterlös im Steinkohlenbergbau im Jahre 1960 10,6% betrug, machte er im Durchschnitt der gesamten Industrie nur 4,1% aus.Der hohe Anteil der Sozialkosten im Bergbau erklärt sich einmal aus der Arbeitsintensität der Steinkohlenförderung, zum anderen aber auch daraus, daß die Sozialabgaben im Bergbau wesentlich höher sind als in der übrigen Industrie.Im Bergbau betragen die Arbeiitgeberbeiträge zur Rentenversicherung 15 %, zur Berufsgenossenschaft zur Zeit 13,4% — die sicherlich bis zum nächsten Jahr noch auf 15 % ansteigen werden —, in der Krankenversicherung 4,1 %, für die Kindergeldausgleichskasse 1,2 %. Das sind insgesamt 35,3 %.In der übrigen Industrie sind die Arbeitgeberbeiträge: 7% in der Rentenversicherung, 1,1 % in der Berufsgenossenschaft, 4,3 % in der Krankenversicherung, 1 % in der Arbeitslosenversicherung und 1 % für das Kindergeld. Das sind insgesamt 14,4 % gegenüber 35,3 % im Bergbau.Der Steinkohlenbergbau muß jährlich rund 570 Millionen DM an Beiträgen an die Bergbau-Berufsgenossenschaft, die die Unfallversicherung wahrnimmt, zahlen. Das ist fast die Hälfte der gesamten jährlichen Investitionen im Steinkohlenbergbau. Im Jahre 1955 waren es 264 Millionen DM. Dieser außerordentlich starke Anstieg der Beiträge zur Bergbau-Berufsgenossenschaft erfolgte, obwohl sich die Zahl der Arbeiter im Steinkohlenbergbau seit Beginn der Absatzkrise rum 151 000 Mann — die Zahl ist heute schon wiederholt genannt worden, das sind 27 % — verringert hat.Die Problematik der Bergbau-Berufsgenossenschaft liegt darin, daß die Rentenlast, die auf Unfälle in früheren Jahren zurückgeht, mit einer immer kleiner werdenden Belegschaft erwirtschaftet werden muß. Rund 89 % der gesamten Rentenlast geht auf die Vor- und Nachkriegszeit zurück, in der der Bergbau unter ganz anderen Verhältnissen arbeitete und jeden verfügbaren Arbeiter einstellen mußte.Die Belastung durch die Beiträge zur Bergbauberufsgenossenschaft wird, so meine ich, in den nächsten Jahren noch größer werden, weil die Rationalisierung und die damit verbundene Belegschaftsverminderung weitergehen wird. Der Erfolg der im Rahmen des Rationalisierungsverbandes geplanten Maßnahmen wäre in Frage gestellt, wenn die gesunden Bergwerksunternehmen die Rentenlast der stillgelegten Schachtanlagen übernehmen müßten.Innerhalb der Bergbauberufsgenossenschaft gibt es keine Möglichkeit zu einem Ausgleich zwischen den in ihr zusammengeschlossenen Bergbauzweigen, da sowohl der Metallerzbergbau als auch der Eisenerzbergbau und der Steinkohlenbergbau in einem Schrumpfungsprozeß begriffen sind.Es wird sich daher immer dringender die Frage stellen, ob nicht die übrigen gewerblichen Berufsgenossenschaften im Wege eines Gemeinlastverfahrens die Spitzenbelastung der Bergbauberufsgenossenschaft aufnehmen können. Die Beitragssätze der übrigen gewerblichen Berufsgenossenschaften liegen im Durchschnitt bei 1,15 %, in der Bergbauberufsgenossenschaft beträgt der Beitragssatz 15 %. 1949 hatten wir einen Beitragssatz von 7,08 %, einen Umlagegesamtbetrag von 134 Millionen DM; 1954: Beitragssatz 8,54 %, Umlagegesamtbeitrag 276 Millionen DM; 1958: Beitragssatz 10,45 %, Umlagegesamtbeitrag 445 Millionen DM; 1960: Beitragssatz 11,33 %, Umlagegesamtbeitrag 493 Millionen DM; 1961: Beitragssatz 13 %, Umlagegesamtbeitrag 570 Millionen DM. In der übrigen Wirtschaft dagegen liegt der Satz des Beitrags zu den Berufsgenossenschaften seit 1949 gleichbleibend bei 1,1 %.Wie außerordentlich hoch die Belastung des Bergbaus durch die Berufsgenossenschaft ist, dürfte auch aus folgenden Zahlen hervorgehen: Je Versicherten mußten im Bergbau 436 DM für Berufskrankheiten, in der übrigen Wirtschaft aber nur 271 DM aufge-
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Scheppmannbracht werden. Von den gesamten Entschädigungsleistungen der Berufsgenossenschaften für Berufskrankheiten entfallen 85,6 % auf die Bergbauberufsgenossenschaft.In diesen Zahlen, meine Damen und Herren, kommen die besonders gefahrvollen Bedingungen der bergmännischen Arbeit zum Ausdruck.Die Altersversorgung der Bergarbeiter wird nicht durch die allgemeine Rentenversicherung, sondern durch eine besondere knappschaftliche Rentenversicherung gewährleistet. Die Leistungen, aber auch die Beitragssätze in der knappschaftlichen Rentenversicherung sind wesentlich höher als in der allgemeinen Rentenversicherung. Das besondere Versicherungssystem für den Bergbau findet seine Berechtigung in den ganz andersartigen und sehr viel schwereren Bedingungen der bergmännischen Arbeit.Innerhalb der allgemeinen Rentenversicherung findet ein Risikoausgleich zwischen den verschiedenen Wirtschaftszweigen statt. Ist der Anteil der Renter in einem bestimmten Wirtschaftszweig besonders hoch, so wird die dadurch verursachte Belastung von den übrigen Wirtschaftszweigen mitgetragen. Der Bergbau mit seiner besonders hohen Rentenbelastung von diesem Risikoausgleich ausgeschlossen.Die Knappschaft ist in besonderem Maße durch die Teilung und das Nachkriegsschicksal Deutschlands belastet worden. Sie muß nämlich die gesamten Renten für die ehemaligen Bergarbeiter der Reviere Mitteldeutschlands und der Ostgebiete — ich denke an den Bereich Niederschlesien und Oberschlesien —, die in die Bundesrepublik kamen, tragen. Auch dies sind letztlich politische Lasten, die bei einer genauen volkswirtschaftlichen Kostenrechnung nicht dem Bergbau zugerechnet werden können.Noch schwerer wirkt sich für die Knappschaft die ständige Verringerung des Beitragsaufkommens infolge des Belegschaftsrückganges im Steinkohlenbergbau aus. Seit dem Beginn der Absatzkrise — die Zahl nannte ich eben schon — sind 151 000 Bergarbeiter aus dem Steinkohlenbergbau ausgeschieden, die jetzt in der allgemeinen Rentenversicherung als Beitragszahler in Erscheinung treten. Im gleichen Umfang hat natürlich auch das Aufkommen an Beiträgen zur Knappschaft abgenommen. Die Lasten der Knappschaft dagegen haben zugenommen.Ich möchte in diesem Zusammenhang noch auf ein Problem hinweisen, das die soziale Stellung des deutschen Bergmanns berührt. Es handelt sich dabei um die Frage, in welcher Form dem Urteil des Gerichtshofs der europäischen Gemeinschaften zur Bergmannsprämie Rechnung getragen wird. Schon bei Erlaß des Urteils — so möchte ich meinen — waren sich der Deutsche Bundestag und die deutsche Bundesregierung darin einig, daß sich die soziale Stellung des deutschen Bergarbeiters durch dieses Urteil nicht verschlechtern darf.Aus Luxemburg hört man, daß die Hohe Behörde auf eine baldige Änderung des gegenwärtigen Zustandes drängt. Ich möchte hier der Hoffnung Ausdruck geben, daß es der Bundesregierung nun auch in diesem Punkt bald gelingt, eine befriedigende Lösung herbeizuführen, die den Belangen des deutschen Bergarbeiters gerecht wird, andererseits aber die Wettbewerbssituation des deutschen Steinkohlenbergbaus nicht weiter verschlechtert. Dabei gehe ich davon aus, daß die Bergmannsprämie in ihrem Charakter als öffentliche Anerkennung des schweren Bergmannsberufs in irgendeiner Weise erhalten werden muß.Der Bergbau hat in den letzten Jahren sehr stark rationalisiert. Die Leistungen sind um mehr als 30 % gestiegen. Der Rationalisierungsverband, der, wie wir heute gehört haben, vorgesehen ist und der als Körperschaft des öffentlichen Rechts gebildet werden soll, hat doch sicher auch die Aufgabe, auf dem Gebiete des Bergbaus besonders wirksam zu werden.Ob es ohne Lizenzierung möglich ist — das ist meine persönliche Meinung —, die Dinge in der Öleinfuhr vernünftig zu regeln, wage ich wirklich zu bezweifeln. Bei allem, was wirtschaftlich und sozialpolitisch auch geschehen mag, sollten wir davon ausgehen, daß wir aus volkswirtschaftlichen Gründen unseren einzigen heimischen Energieträger Kohle erhalten und so gestalten müssen, daß er durchaus in der Lage ist, weiterhin den Energiebedarf zu decken, und daß wir zweitens den im Bergbau schaffenden Leuten die soziale Sicherheit geben müssen, auf die sie berechtigten Anspruch erheben können.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir an die Entlastung des Bergbaus von den hohen Sozialabgaben herangehen — und das dürfte mit eine der ernstesten Aufgaben sein —, dürfen 'wir unsere Blicke nicht nur auf den Bundeshaushalt richten. Das ist nicht nur meiner persönliche Meinung, sondern — ich darf es hier wohl sagen — auch die Auffassung eines Teils meiner politischen Freunde. Welche Lösungsmöglichkeiten zur Entlastung des Bergbaus auch immer erwogen werden, ob die Länder der Bundesrepublik oder die supranationalen Stellen oder die mit erheblichem Abstand niedrig belastete übrige Wirtschaft einzuschalten ist, — alle müssen wir uns darüber klar sein, daß die Maßnahmen sehr rasch ergriffen werden müssen, wenn damit der Steinkohlenbergbau, über dessen volkswirtschaftliche Bedeutung in diesem Hohen Hause sicherlich kein Zweifel besteht, in der vertretbaren Förderkapazität erhalten bleiben soll.Denken wir — das möchte ich zum Schluß sagen — auch an die Menschen im Bergbau, die jahrzehntelang in schwerer und verantwortungsvoller Arbeit für die Allgemeinheit in der Vergangenheit großartige Leistungen vollbracht haben! Sie sind es wert, daß wir ihnen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln vor einem sozialen Absinken helfen. Im besonderen sind es die älteren Bergleute, die vom Stillegungsprozeß am härtesten getroffen werden. Hier sollten wir ganz eindeutige Maßnahmen treffen.Ich glaube, in nächster Zeit wird sicherlich Gelegenheit sein, etwas für die älteren Bergleute im
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ScheppmannAlter von 55 bis 59 Jahren zu tun, damit hier keine besonderen sozialen Härten entstehen.
— Herr Kollege Behrendt, Sie nennen gerade die Herabsetzung des Pensionsalters auf 55 Jahre. Ich habe in der vergangenen Woche zu diesem Thema hier Stellung genommen. Ich habe Ihnen gesagt: Wir werden uns ganz eindeutig mit der Angelegenheit beschäftigen. Ich glaube, ich kann hier auch sagen, daß das eingehend geprüft werden muß. Ich bin der Auffassung, daß den Menschen, die bis zu diesem Alter im Bergbau gearbeitet haben und aus irgendwelchen Gründen, z. B. durch Stillegung, her-ausgesetzt werden, nach jeder Richtung hin geholfen werden muß; und das ist ja auch bisher geschehen. Es kann sicherlich nicht behauptet werden, daß für diesen Personenkreis nichts getan worden sei. Ich bin der festen Überzeugung, daß das auch weiterhin geschehen wird.Ich bin nur der Meinung, daß die Maßnahmen für den Bergbau recht bald in Angriff genommen und nicht noch monatelang hinausgeschoben werden sollten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Memmel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verzeihen Sie gütigst, wenn ich mit der althergebrachten Regel breche und keine Captatio benevolentiae, sondern ein paar kritische Bemerkungen mache.Erstens. Warum haben die antragstellende Fraktion und der Begründer der Anfrage mit keinem Wort die Atomkernenergie erwähnt? Wir widmen dieser Materie ein ganzes Ministerium. Ihre Anfrage betrifft Maßnahmen der Bundesregierung auf dem Gebiete der Energie- und Kohlewirtschaft. Die Atomkernenergie hätte also erwähnt werden können. Auch der Herr Bundeswirtschaftsminister hätte dazu, glaube ich, ein Wort sagen können. Ich bin Herrn Kollegen Burgbacher dankbar, daß er einiges dazu gesagt hat. Ich weiß, daß auf dem Gebiet noch viel los ist, aber erwähnt werden mußte es.Ich möchte jetzt nicht, daß Kohle und Öl als Verbündete gemeinsam gegen die Atomkernenergie zu Felde ziehen und dieses kleine, zarte und, ach, so schwache Pflänzlein vielleicht gar tottrampeln. Aber erwähnt werden mußte sie, zumal auch das Buch, auf das ich noch zu sprechen komme, auf den 300 Seiten, die es hat, immerhin 16 Zeilen dem Thema widmet: Die voraussichtliche Kernkraftkapazität in der Bundesrepublik bis 1975.Die zweite kritische Anmerkung. War es denn wirklich nicht zu umgehen, daß uns das Gutachten gestern nachmittag um 15 Uhr in unsere Fächer gelegt wurde? Wir müssen glücklich sein, daß wir es gestern um 15 Uhr bekommen haben; es hätte auch heute um 15 Uhr darin liegen können. War es nicht möglich, es uns ein bißchen eher auszuhändigen? Es hat immerhin 2,5 Millionen DM gekostet, wie der Haushaltsspezialist mir vorhin gesagt hat. Es war für die heutige Debatte sicher notwendig. Aber kein Mensch konnte es von gestern nachmittag bis heute lesen. In diesem Zusammenhang auch eine Frage an Sie: Hätten Sie nicht mit einer Verlegung der Debatte um 24 Stunden einverstanden sein können? Bis Freitagmorgen hätte man das Wichtigste — die Zusammenfassung — lesen können.Das waren die zwei kritischen Bemerkungen. Nun komme ich zur Großen Anfrage. Man kann sie als Europäer betrachten; das ist geschehen. Man kann sie als Bundesrepublikaner betrachten; auch das ist geschehen. Man kann sie als Norddeutscher betrachten; das ist ebenfalls geschehen. Nun könnte ich sie als Süddeutscher betrachten; das tue ich nicht. Man könnte sie auch als Bayer betrachten. Nun sagen Sie nicht: Bayern und Süddeutschland sei das gleiche. Es ist ein großer Unterschied zwischen Hof, Nürnberg, Regensburg und Passau und etwa Karlsruhe, Mannheim, Heilbronn und Stuttgart, obwohl alle acht Orte in Süddeutschland liegen. Ich darf nur sagen: Rhein, Neckar und Kanal! Ich möchte also nicht als Süddeutscher sprechen. Man kann auch noch etwas anderes machen. Man kann die Sache als Abgeordneter des Wahlkreises 99 — Gelsenkirchen — betrachten; solche ganz leisen Töne klangen an, Herr Kollege Arendt.Ich möchte ein paar Worte aus der Sicht eines Mannes sagen, der zumindest geographisch genau in der Mitte zwischen Passau und Bottrop beheimatet ist und der von dem Datum des 8. Juli nicht belastet ist. Ich möchte sagen, die bisherigen Förderungsmaßnahmen für den Bergbau müssen fortgesetzt werden. Auch wir von der CSU unterstützen rückhaltlos die Vorschläge des Bundeswirtschaftsministers, an der Spitze die Errichtung des Rationalisierungsverbandes. Wir nehmen auch die Beibehaltung der Heizölsteuer in Kauf. Dabei darf ich betonen: nicht leichten Herzens, weil diese Heizölsteuer doch zumeist zu Lasten der verkehrsfernen Gebiete Bayern und Schleswig-Holstein geht. Aber wir möchten der Ruhr wirklich helfen. Wir haben einen Grünen Plan, den wir absolut bejahen. Warum soll man dann nicht ruhig auch einen Schwarzen Plan haben und den mit unterstützen?Aber eines muß gewährleistet sein. Wir müssen weiterhin eine gesicherte und billige Energieversorgung haben. Das ist für ein Gebiet wie Bayern schon eine kritische Frage. Wir sind da ein bißchen „gebrannte Kinder". Ich will nicht so sehr in der Vergangenheit herumwühlen; keine Angst, Herr Kollege Philipp! Ich könnte dazu einiges sagen. Ich weiß, daß die Vertreter des Ruhrbergbaus und das oberrheinische Kohlenkontor, das für uns zuständig war, uns einmal geraten haben, uns auf 01 umzustellen oder amerikanische Kohle zu kaufen, die damals sehr teuer war und vor allen Dingen den einen Nachteil hatte, daß sie unsortiert war. Deswegen mußten wir — ich denke jetzt an meine Vaterstadt — eine eigene Mahl- und Mischanlage einrichten, um diese amerikanische Kohle in unserem Gaswerk verwerten zu können. Wir sind also auf diesem Ge-
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Memmelbiet ein bißchen gebrannt. Aber ich betone: wir stimmen rückhaltlos zu.Zur Frage der Kontingentierung und Lizenzierung will ich nichts sagen. Ich hoffe mit Herrn Kollegen Burgbacher, daß das — nach meiner persönlichen Ansicht recht drohend geschwungene — Schwert im Abs. 2 der Ziffer 2 unseres Entschließungsantrages seine Wirkung tun wird und daß die Beteiligten verständig und vernünftig handeln werden.
Das Schlußwort hat der Abgeordnete Arendt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, in meinem Schlußwort ziemlich kurz zu sein. Sie werden mir aber gestatten, daß ich noch ein paar Bemerkungen zu den hier gemachten Ausführungen vorbringe.
— Ich bringe keine neuen Punkte; Sie können beruhigt sein.Es wurde bedauert, daß diese Debatte ohne Dramatik sei und daß der Eindruck entstehe, es sei alles in bester Ordnung. Ich muß Ihnen sagen, daß man sich natürlich auch an schlechte Verhältnisse gewöhnen kann, und ich halte es für ein schlechtes Verhältnis, daß an der Ruhr mehr als 9 Millionen t Kohle und Koks auf der Halde liegen.Es wurde gesagt, wir hätten nicht über die Atomenergie gesprochen. Ich glaube, Herr Kollege, es wird noch eine Zeitlang dauern, bis die Atomenergie neue Schwierigkeiten auslöst. Zunächst geht es uns darum, festzustellen, daß diese Frage durch unsere Initiative — das haben wir, glaube ich, in der Vergangenheit bewiesen — erneut aufgegriffen wurde, und wenn die Große Anfrage nicht eingebracht worden wäre, hätte wahrscheinlich die Regierung keinen Vorschlag gemacht.Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat von uns erwartet, daß wir hier detaillierte Pläne vorlegen, wie wir uns die Lösung vorstellen. Ich möchte Herrn Minister Erhard zitieren, der auf der Generalversammlung der IG Bergbau und Energie im Jahre 1960 in Dortmund erklärt hat: „Wer kann heute schon sagen, das oder das ist die richtige Energiepolitik?! Ich muß Ihnen sagen, ich weiß es nicht." Wenn der zuständige Minister es nicht weiß, dann geht es wohl zu weit, von uns die Vorlage detaillierter Pläne zu erwarten.
Ich darf auch meinen Kollegen Scheppmann vielleicht noch einmal zitieren, um zu zeigen, daß die Maßnahmen, die von der Bundesregierung bisher auf dem Gebiet der Energiepolitik eingeleitet worden sind, doch nicht das sind, wofür man sie gerne ausgeben möchte. Herr Kollege Scheppmann hat am 5. April 1962 hier von dieser Stelle aus, als er über die Lage im Steinkohlenbergbau sprach, gesagt: „Ich bin der Auffassung, daß man hier nicht lange zögern darf, sondern daß wirksame Maßnahmen zur Erhaltung des heimischen Kohlebergbaus zu treffen sind." Wenn diese Worte einen Sinn haben, dann ist es der, daß das, was hier angeblich an Maßnahmen zur Koordinierung der Energiepolitik von seiten der Bundesregierung verfügt wurde, nicht die Wirkung gehabt hat, daß man sagen könnte, der heimische Kohlenbergbau, die Basis unserer Energieversorgung, sei gesichert.Ich möchte noch auf etwas anderes aufmerksam machen. Im Jahre 1958 hat der Herr Bundeswirtschaftsminister in Wulfen beim ersten Spatenstich zur Ingangsetzung einer neuen Schachtanlage gesagt:Was hier geplant ist, entspricht so sehr den kohlepolitischen Vorstellungen der Bundesregierung, daß ich den Fall Wulfen geradezu als einen Modellfall dafür betrachten möchte, was im Interesse der Gesunderhaltung unseres Bergbaus in breitem Umfange geschehen muß und geschehen soll.Heute trägt man sich mit dem Gedanken, die Schachtanlage Wulfen, bevor sie überhaupt in Betrieb genommen worden ist, wieder stillzulegen.In dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion ist von dem sogenannten Rationalisierungsverband die Rede. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat diesen zu gründenden Rationalisierungsverband als eine großartige Sache bezeichnet. Wenn für die stillzulegende Tonne Kohle ein Betrag von 25 DM gezahlt werden soll — 12,50 DM vom Bund und 12,50 DM im Wege der Umlage —, dann besteht die große Gefahr, daß dieser Rationalisierungsverband zu einem Beerdigungsinstitut wird; denn dann besteht die Gefahr, daß eine Reihe von Großunternehmungen, die über mehrere Schachtanlagen verfügen, schlechte Anlagen stillegen und die Förderung auf die guten Schächte konzentrieren, während Sie die einzelnen Schachtanlagen, Herr Burgbacher, die nicht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten fördern, mit diesem Rationalisierungsverband unter Umständen nicht erfassen.
— Man muß erst einmal sehen, ob dieser Verband ausreicht.Es wurde ferner gesagt, daß die Bundesregierung eine Reihe von Anpassungsmaßnahmen auch im Rahmen des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl für die betroffenen Bergarbeiter trifft. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal darauf aufmerksam machen, daß es sehr lange gedauert hat, bis sich die Bundesregierung entschließen konnte, die Anpassungsgelder im Rahmen des Vertrages an die betroffenen Bergleute zu zahlen, und es dürfte Ihnen auch nicht unbekannt sein, daß die Bundesregierung versucht, diese Anpassungsmaßnahmen laufend zu verschlechtern.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Es geht — das habe ich in der Begründung der Großen Anfrage ausgeführt — nicht nur um die eine oder andere Schachtanlage oder um
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Arendt
die eine oder andere Pipeline, es geht in erster Linie um den Menschen. Jene Menschen, die seit 1945 dem deutschen Bergbau ihre Arbeitskraft, ihre Gesundheit zur Verfügung gestellt haben, damit das möglich wurde, was man so gern als deutsches Wirtschaftswunder bezeichnet, haben wohl ein Anrecht darauf, daß die verantwortlichen Stellen alles tun, um ihre soziale Sicherheit zu gewährleisten. Nachdem der Herr Bundeswirtschaftsminister empfohlen hat, unseren Antrag anzunehmen, hoffe ich zuversichtlich, daß dieser Antrag jetzt Ihre Zustimmung finden wird.
Ich schließe die Aussprache über die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD.
Es liegen zwei Anträge vor. Ich rufe zunächst auf den Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 98 mit den Änderungen in Ziffer 3, die der Abgeordnete Arendt angegeben hat, wonach es heißen sollte:
... um den Bau von Kraftwerken und die Errichtung von Block- und Fernheizwerken auf
Kohlebasis .. .
Ich stelle dann diesen Antrag zur Abstimmung. Wer zustimmen will, — —
— Es ist kein Antrag auf Überweisung an den Ausschuß gestellt. Wird dieser Antrag gestellt?
— Es wird der Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft gestellt.
— Herr Dr. Burgbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure sehr, mitteilen zu müssen, daß die Fraktionen der CDU/CSU und FDP bitten, den Antrag auf Umdruck 98 abzulehnen und den Antrag auf Umdruck 101 anzunehmen. Der Hauptgrund dafür ist, daß wir meinen, der letzte Antrag sei präziser.
Es ist Antrag auf Überweisung des Antrags der Fraktion der SPD auf Umdruck 98 an den Wirtschaftsausschuß gestellt worden. Darüber stimmen wir ab. Wer dem Antrag zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag auf Überweisung ist abgelehnt.
Ich lasse jetzt über den Antrag als solchen abstimmen. Sind die Antragsteller einverstanden?
Wer dem Antrag auf Umdruck 98 zustimmen will, gebe bitte ein Zeichen. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen dann ab über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Umdruck 101 . Wer dem Antrag zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung:'
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache IV/ 387)
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verteidigung (Drucksache IV/ 244) (Erste Beratung 11. Sitzung)
Berichterstatter sind die Abgeordneten Leicht und Dr. Morgenstern. Wünschen die Herren Berichterstatter ihre Berichte zu ergänzen? — Bitte, Herr Dr. Morgenstern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß der guten Ordnung halber folgende Berichtigung vortragen. Das Soldatengesetz ist nach Ende der Beratungen im Verteidigungsausschuß über das vorliegende Gesetz noch einmal geändert worden. Deswegen ist die Einreitungsformel zu Artikel 1 nicht mehr korrekt. Es muß dort berichtigt heißen:
Das Soldatengesetz vom 19. März 1956 , zuletzt geändert durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes vom 22. März 1962 (Bundesgesetzbl. I S. 169), wird wie folgt geändert:
Ich bitte um Kenntnisnahme und Berücksichtigung.
Diese vom Herrn Berichterstatter vorgetragene Änderung ist festgelegt. Ich darf dem Herrn Berichterstatter für seinen Bericht danken.Wir treten in die Einzelberatung ein. — Das Wort wird nicht gewünscht.Ich rufe auf Art. 1, — Art. 2, — Art. 3 — sowie Einleitung und Überschrift. — Wer zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme in der zweiten Lesung fest.Wir kommen zurdritten Beratung.Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer dem Gesetz mit der vom Herrn Abgeordneten Dr. Morgenstern bekanntgegebenen Änderung zustimmen will, möge sich erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe aus Punkt 5 der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962 1299
Vizepräsident Dr. Dehlera) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache IV/ 285)b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verteidigung (Drucksache IV/ 335)
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Der Bericht des Haushaltsausschusses von Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer sowie der Schriftliche Bericht des Ausschusses für Verteidigung von den Abgeordneten Rommerskirchen und Berkhan liegen Ihnen vor. Wird eine Ergänzung der Berichte gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich darf den Herren Berichterstattern danken.Ich eröffne die Einzelberatung und rufe zunächst Art. I auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 100 vor. Wird hierzu das Wort gewünscht? — Bitte, Herr Abgeordneter Cramer.
Gestatten Sie, Herr Präsident, daß ich gleichzeitig den Änderungsantrag zu Art. II mit begründe.
Einverstanden.
Meine Damen und Herren, ich bedaure, daß ich Ihre kostbare Zeit noch ein wenig in Anspruch nehmen muß, will mich aber bemühen,3) die Sache so kurz wie möglich zu machen. Vielleicht habe ich dann das Glück, daß Sie unseren Änderungsanträgen ohne Debatte zustimmen werden.Unser Änderungsantrag Umdruck 100 — heute morgen ist wohl schon ein anderer verteilt worden; Umdruck 100 (neu) gilt also — bringt noch einmal den Fragenkomplex zur Sprache, der am 22. Februar hier schon ausführlich diskutiert worden ist. Sie wissen, daß der eine Antrag — die Wehrsolderhöhung — abgelehnt und der andere Antrag, der die Erhöhung des Entlassungsgeldes betrifft, noch einmal an den Ausschuß zurückverwiesen wurden, weil hier der Eindruck entstand, daß man eventuell in bezug auf die Argumente der SPD- Fraktion doch noch etwas tun könnte.Wir haben also noch einmal den Antrag wiederholt, den Wehrsold der Wehrpflichtigen um etwa 10 % zu erhöhen. Der Wehrsold wurde schon einmal mit Wirkung vom 1. September 1961 um 15 % erhöht. Wir sind aber angesichts der allgemeinen Erhöhung der Lebenshaltungskosten und der Erhöhung der Preise für Bedarfsartikel des täglichen Lebens, die sich der Soldat in der Kaserne anschaffen muß, der Meinung, daß der Wehrsold um 25 %, ausgehend von der ursprünglichen Höhe des Wehrsoldes, heraufgesetzt werden sollte.Sie werden mir vielleicht wie damals heute wieder erneut vorhalten, daß man den Wehrsold eines Soldaten nicht einfach mit dem Einkommen eines jungen Mannes, der im freien Erwerbsleben steht, gleichstellen könne. Meine Damen und Herren, das mag teilweise stimmen; auf der anderen Seite können Sie den Wehrsold des Soldaten nicht einfach losgelöst von den allgemeinen Preisverhältnissen in der Wirtschaft betrachten.
Wer Gelegenheit hat, öfters mit jungen Soldaten in der Kaserne zusammenzukommen, der weiß, zu welcher Mißstimmung die Tatsache führt, daß ein Teil — es sind immerhin über 153 000 Wehrpflichtige —dieser jungen Soldaten nach der jetzigen Regelung pro Tag 2,30 DM bekommt — das sind 69 DM im Monat — der andere Teil aber, nämlich diejenigen, die Gehalt bekommen, das dreifache Einkommen hat. Man muß dabei 'bedenken, daß diese Soldaten, die mit zweierlei Maßstäben gemessen werden, in der Kaserne in derselben Stube nebeneinander liegen, daß sie abends zusammen ausgehen, daß aber der eine eine weit gefülltere Brieftasche zur Verfügung hat als der andere.Man wird diese Differenzen nicht ganz ausmerzen können; das wollen wir auch nicht. Wir wollen ja anerkennen — auch in der finanziellen Leistung —, daß derjenige, der sich freiwillig meldet, für eine längere Zeit zu dienen, auch entsprechend bessergestellt sein soll. Wir glauben aber, daß man diesen krassen Unterschied doch ein wenig abmildern sollte, und das kann man, wenn man unseren Anträgen folgt.Wir wollen nichts anderes, als daß der Grenadier pro Tag 20 Pfg mehr bekommt als heute, der Gefreite auch 20 'Pf und der Unteroffizier 30 Pf. Das steigert sich bis zum General, der nach unseren Vorstellungen eine Mark pro Tag mehr haben soll.Meine Damen und Herren, ich kann mir nicht denken, daß unser Haushaltsplan bei einer Gesamtlast von fast 54 Milliarden DM zusammenbrechen sollte, wenn wir auf Grund dieser Anträge — ich weiß nicht genau, wieviel das ausmacht; es wurde von 12 bis 13 Millionen DM gesprochen — diese erhöhten Ausgabesätze beschließen.Die Erhöhung des Wehrsolds soll auch einen kleinen Ausgleich für die Verlängerung der Wehrdienstzeit darstellen. Bisher haben die jungen Soldaten nur 12 Monate lang ihren Grundwehrdienst abzuleisten brauchen. Heute müssen sie 18 Monate dort bleiben, werden also sechs Monate länger von ihrem Beruf und vom Geldverdienen ferngehalten. Wir meinen, daß man das hier irgendwie honorieren sollte.Meine Damen und Herren, in engster Verbindung mit diesem Antrag auf Erhöhung des Wehrsoldes steht der zweite Teil unseres Antrages. Ich habe die Genehmigung des Herrn Präsidenten erhalten, diesen Teil gleich mitzubegründen, damit die Sache schneller über die Bühne geht. Dieser Antrag sieht eine Erhöhung des Entlassungsgeldes vor.Ich sagte soeben schon: Sie haben -- es waren die Herren Kollegen Leicht und Schmücker — in der Debatte am 22. Februar zum Ausdruck gebracht, unsere Argumente seien nicht ganz von der Hand zu weisen, und sie wollten die Sache noch einmal prüfen. Leider zeigt uns der Schriftliche Bericht des
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1300 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962
CramerVerteidigungsausschusses, daß man doch wieder auf den Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion zurückgekommen ist. Dieser Vorschlag sieht einen Satz vor, der zwischen dem Satz liegt, den die Regierung bewilligen wollte, und dem, den wir gefordert hatten. Er ist nun wieder unverändert an das Plenum zurückgekommen. Wir meinen, wenn die damalige Vertagung und die nochmalige Beratung im Verteidigungsausschuß einen Sinn gehabt haben soll, hätte man doch unserem Standpunkt etwas näher kommen sollen. Wir fühlen uns deshalb verpflichtet, unseren Antrag noch einmal einzubringen, noch einmal dieselben Sätze vorzuschlagen, und wir bitten Sie dringend, diesen Vorschlag zu unterstützen und unserem Antrag in dieser Beziehung zuzustimmen.Wir haben am 22. Februar ausführlich begründet, warum wir dieses erhöhte Entlassungsgeld wünschen. Es ist ja auch von allen Diskussionsrednern zum Ausdruck gebracht worden, daß man die Verlängerung der Wehrdienstzeit von 12 auf 18 Monate durch die Erhöhung des Entlassungsgeldes anerkennen sollte. Wir stehen auch heute noch zu unserer Argumentation von damals. Ich will dem also nichts hinzufügen. Ich möchte Sie bitten, trotz aller haushaltsmäßigen Bedenken unserem Änderungsantrag Umdruck 100 zuzustimmen.Heute nachmittag haben wir noch festgestellt — deshalb ist der Umdruck durch einen neuen ersetzt worden —, daß der Verteidigungsausschuß eine Übergangsregelung vorgeschlagen hatte, die für diejenigen Soldaten gelten soll, die nicht 12 und auch nicht 18, sondern 15 Monate Grundwehrdienst ableisten. Da ist der Verteidigungsausschuß über die Vorschläge hinausgegangen, die wir hier unter Ziffer 2 gemacht haben. Deshalb haben wir auch noch zu Art. II einen Änderungsantrag gestellt, den Sie aus dem neuen Umdruck ersehen. Allerdings muß ich Sie bitten, hier eine Berichtigung vorzunehmen. Es muß nämlich heißen:In Artikel II wird in § 2 in Absatz 1 und 2 die Zahl „150" durch die Zahl „240", die Zahl „200"— und jetzt kommt etwas, was eingefügt werden muß —zweimal durch die Zahl „300" und die Zahl „250" durch die Zahl „360" ersetzt.Meine Damen und Herren, wir hatten eigentlich vor, diese Debatte durch eine namentliche Abstimmung zu beschließen, weil wir es für durchaus angebracht hielten, daß die Soldaten, die diese Vorlage betrifft, draußen sehen, wer für und wer gegen die Erhöhung ist. Aber wir haben in Anbetracht der vorgeschrittenen Zeit und weil einige Damen und Herren andere Verpflichtungen hatten, davon abgesehen. Trotzdem, meine Damen und Herren, bitte ich Sie dringend, die Entscheidung ebenso ernst zu nehmen, als wenn wir hier unseren Namenszettel abgeben müßten. Ich bin davon überzeugt, daß die Soldaten in den Kasernen genau darauf achten werden, welche Fraktionen dieses Hauses für eine gerechte Regelung und für einen gerechten Ausgleich der verlängerten Grundwehrdienstzeit sind und welche nicht. Ich bitte Sie also nochmals, unseremÄnderungsantrag in all seinen drei Teilen zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Rommerskirchen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident, ich bitte, mir zu gestatten, zu Art. II mit zu sprechen.
Ich bin mir voll bewußt, angesichts des SPD-Antrags keine angenehme Aufgabe zu haben. Aber es geht hier im Hause ganz zweifellos nicht um Sympathiewerbung bei dieser oder jener Personengruppe, sondern es geht um politische Entscheidungen aus Verantwortung gegenüber dem Ganzen.
Aus dieser Verantwortung gegenüber dem Ganzen haben wir unter Ablehnung des SPD-Antrags gemeinsam mit der Fraktion der FDP den Antrag Drucksache IV/ 248 eingebracht, der keine Erhöhung des Wehrsoldes, aber eine Verbesserung des Entlassungsgeldes vorsieht. Wir sind fest davon überzeugt, daß die betroffenen Soldaten bei sachlicher Würdigung der entscheidenden Gesichtspunkte Verständnis für unsere Entscheidung haben.
Zunächst möchte ich die gewiß von uns allen geteilte Grundauffassung allen Einzelüberlegungen noch einmal voranstellen. Das besonders große Opfer, das wir zur Erhaltung, zur Sicherung und gegebenenfalls zur Verteidigung 'unserer Freiheit den wehrfähigen jungen Deutschen zumuten und das sie für die Gemeinschaft 'bringen sollen, ist materiell nicht, auch nicht annähernd, zu entgelten.
Ich 'bin mir als einer, der in 'Frieden und Krieg Soldat sein mußte, des Umfangs und der Schwere der besonderen Belastung gegenüber Nicht-Wehrpflichtigen voll bewußt. Wer dieses Opfer, Idas die jungen Soldaten bringen müssen, bagatellisiert oder heroisierend verbrämt, ist nicht redlich. Ich weiß aber auch, daß der Soldat, der diesen Sonderbeitrag zur Erhaltung und zum Schutz unserer freiheitlichen Lebens- und Rechtsordnung nicht aus ethisch-staatsbürgerlicher Verpflichtung vollzieht, nicht als einen Ehrendienst, der nun einmal im Wesen 'der staatlichen Gemeinschaft liegt und ihm von der konkreten Weltsituation auferlegt wird, zu erkennen und innerlich anzuerkennen vermag, stets unzufrieden sein und bleiben wird.
Im einzelnen: Der Wehrsold, neben 'freier Unterkunft, Verpflegung, Bekleidung, Heilfürsorge, 'den Leistungen der Unterhaltssicherung und allgemeinen Betreuung, kann und will gar nicht mehr sein als ein Taschengeld. Die 'derzeitig gültigen Sätze wurden erst vor gut einem halben Jahr vom Bundestag festgelegt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962 1301
Herr Kollege Rommerskirchen, ist Ihnen nicht bekannt, daß die Wehrpflichtigen mit den Betragen, die Sie hier diskutieren, Dinge bezahlen müssen, die in den letzten sechs Wochen, trotz Maßhalteparolen des Herrn Bundeswirtschaftsministers, wie z. B. bei Zahnpasta, eine Verteuerung um 50 % erfahren haben?
Herr Kollege, mir ist nicht bekannt, daß sie eine Verteuerung um 50 % erfahren haben. Ich bin Vater von sieben Kindern und habe das tatsächlich noch nicht festgestellt.
Ich glaube auch nicht, daß es so ist. Wenn Sie aber noch die weiteren Ausführungen abwarten, werden Sie darin auch eine Antwort darauf finden, Herr Kollege.Ich sagte, die derzeitig gültigen Gesetze wurden erst vor gut einem halben Jahre vom Bundestage festgelegt. Sie entsprechen nach unserer Auffassung einem normalen, bescheidenen Bedürfnis. Ganz zweifellos reichen sie für besondere Sprünge nicht aus. Aber wir sind ja auch alle der Auffassung, daß wir innerhalb unserer Gesellschaft guttun, da zu einem normalen Maßstab zurückzufinden, wo er verlorengegangen ist.
Aber vielleicht ist das überzeugender: Unsere derzeitigen Wehrsoldsätze halten nicht nur einen Vergleich unter den europäischen NATO-Partnern aus, sondern sie liegen absolut an der Spitze. Das ist auch und gerade bei der Berücksichtigung des Lebenshaltungsindex innerhalb der in Betracht kommenden Staaten so. Vielleicht darf ich Ihnen doch ganz kurz einmal die Vergleichstabelle aufzeigen.Ein Soldat, der noch keinen Dienstgrad hat, bekommt in der Bundesrepublik Deutschland täglich 2,30 DM Wehrsold; in Belgien 80 Pf; in Dänemark 1,88 DM; in Frankreich 26 Pf zusätzlich Kantinenbons und Tabakration. Ich habe heute nachmittag mit einem Deputierten der französischen Kammer gesprochen und ihn gefragt, ob er der Auffassung sei, daß der Wert der Kantinenbons und der Tabakration den Unterschied zwischen 26 Pf und 2,30 DM auffüllt, und da sagte er: „Bei weitem nicht!" Von Griechenland will ich nicht sprechen. In Italien beträgt der tägliche Wehrsold 1 DM, in den Niederlanden 1,10 DM, in Norwegen 2,24 DM.
-- In Amerika? — Ich glaube, das ist im Hinblick auf den Lebenshaltungsindex nicht vergleichbar. Wenn wir diesen wirklich redlich mitbetrachten, dann sieht die Geschichte — das haben wir auch im Verteidigungsausschuß miteinander besprochen — allerdings anders aus. Aber ich sprach von den europäischen NATO-Partnern.
— In Amerika bekommt der Soldat 10,40 DM.
— In Belgien — das habe ich erwähnt, Herrr Kollege — 80 Pf, gegenüber 2,30 DM in der Bundesrepublik Deutschland. Sie wissen wahrscheinlich selber, daß gerade die Dinge, um die es geht und von denen hier etwas angesprochen wurde, in Belgien keineswegs billiger sind als in der Bundesrepublik Deutschland.
Aber wir würden der derzeitigen Regelung, so meine ich, nicht gerecht, wenn wir nicht bedenken — das ist noch gar nicht zur Sprache gekommen —, daß, wiederum vor kurzem, eine Verbesserung der vorher bestehenden Lage durch die Ergänzung des § 2 des Wehrsoldgesetzes geschaffen wurde. Dadurch erhalten nunmehr alle Wehrpflichtigen automatisch nach Ablauf von zwölf Monaten die Sätze der gegenüber ihrem jeweiligen Dienstgrad nächsthöheren Wehrsoldgruppe. Das bedeutet praktisch, daß sehr viele Wehrpflichtige bereits nach sechs Monaten Grundwehrdienst, weil sie dann nämlich Gefreite geworden sind, einen Wehrsold von 2,90 DM und alle Soldaten spätestens nach zwölf Monaten mindestens diesen Satz von 2,90 DM bekommen. Die nach sechs Monaten zum Gefreiten Beförderten erhalten bereits nach zwölf Monaten einen Wehrsold-Tagessatz von 3,20 DM.Wenn wir das Ganze verantwortlich betrachten, ist es wohl auch durchaus gerechtfertigt, auf die angespannte Haushaltslage zu verweisen, auch wenn der Herr Vorredner meinte, das solle man nicht tun. Sie wird auf Grund der weltpolitischen Situation und der damit zusammenhängenden Erwartungen unserer Partner im Verteidigungsbündnis durch weitere Sicherheitsvorkehrungen — ich nenne z. B. das Stichwort „Zivildienstverpflichtung" — möglicherweise noch angespannter. Ich meine, daß auch ein Betrag von mindestens 12,5 Millionen DM, der bei einer Wehrsolderhöhung nach dem SPD-Antrag in Frage käme, nicht unerheblich ins Gewicht fällt und ein ganz massiver Batzen ist.
Was das Entlassungsgeld für die Wehrpflichtigen anlangt, so haben wir gemeinsam mit dem Koalitionspartner und in Abstimmung mit dem Bundesverteidigungsministerium die im Regierungsentwurf zur Wehrpflichtnovelle bereits vorgesehene Verbesserung noch einmal überprüft. Wir haben dabei auch die Argumente berücksichtigt, die von den Kollegen der Opposition bei der Beratung der Wehrpflichtnovelle Mitte Februar- dieses Jahres vorgetragen wurden. Die Beträge, die wir für angemessen und für haushaltsmäßig vertretbar halten, finden Sie in dem gemeinsamen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP. Es handelt sich bei unserem Antrag um eine Aufwendung von 7,25 Millionen DM gegenüber einer Aufwendung von 22,5 Millionen DM, die bei einer Anerkennung des SPD-Antrages erforderlich wäre.
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1302 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962
RommerskirchenWir bitten, auch in diesem Zusammenhang noch einmal zu bedenken, daß es sich beim Entlassungsgeld nicht um eine Abfindung für eine abgeleistete Ehrenpflicht handeln kann, sondern nur um eine Überbrückungshilfe für den Anschluß an die ersten Lohn- bzw. Gehaltsbezüge im wiederaufgenommenen Beruf. Wir meinen, daß angesicht der konjunkturellen Situation für die allermeisten der Betroffenen diese Übergangszeit nur sehr kurz sein wird. Sollte sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt verschlechtern, was wir nicht hoffen wollen, würden wir uns selbstverständlich sofort den veränderten Gegebenheiten stellen.Meine verehrten Damen und Herren, noch ein kurzes Wort zu einem Sonderproblem, das bereits erwähnt wurde, zu dem Problem, das der sogenannte Z-2-Soldat nach Einführung der 18monatigen Wehrpflicht stellt. Der Unterschied zwischen dem Betrag, den ein solcher Soldat, der sich freiwillig für zwei Jahre verpflichtet hat und dann ausscheidet, nach der Regelung der Übergangsbeihilfe und der Übergangsgebührnisse erhält, und dem Entlassungsgeld des nach 18 Monaten ausscheidenden Wehrpflichtigen ist sehr groß, man kann ruhig sagen: kraß. Wir ersuchen deshalb den Herrn Bundesminister der Verteidigung, die neu entstandene Situation mit dem Ziel der Entschärfung und einer beiden Gruppen gerecht werdenden Regelung zu überprüfen. Allerdings kann ich mir im Interesse der Verstärkung unserer Abwehr- und Verteidigungsbereitschaft den Hinweis nicht versagen — und Sie wollen mir ihn nicht verübeln —, daß es möglich und wünschenswert ist, daß möglichst viele junge Deutsche sich freiwillig für mindestens zwei Jahre verpflichten, wodurch sie zugleich in den Genuß besserer Bedingungen kämen.Aus den vorgenannten Gründen bitte ich das Hohe Haus, den Antrag der Fraktion der SPD abzulehnen und dem gemeinsamen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Cramer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß Herr Kollege Rommerskirchen seinen Standpunkt nicht gerade sehr glücklich vertreten hat. Wenn es wahr ist, daß er einmal Bataillionskommandeur gewesen ist, dann glaube ich nicht, daß er sehr oft den Gesprächen auf den Stuben der einfachen Soldaten zugehört hat.
Ich bin sehr oft in den Kasernen und ich höre sehr oft von den jungen Soldaten, daß sie sagen: „Kann das nicht etwas anders gestaltet werden, daß der Unterschied zwischen den Wehrpflichtigen, die Wehrsold bekommen, und den freiwillig Längerdienenden, die ein Gehalt bekommen, etwas gemindertwird?" Und sie kommen immer wieder mit denselben Begründungen, daß sie doch denselben Dienst machen, daß sie nebeneinander auf der Stube liegen und abends zusammen ausgehen und dann so verschieden gestellt sind.Was wir hier verlangen, ist doch gar nicht so ungeheuer viel. Es sind im Einzelfall nur 20 Pfennig. Das ist es eigentlich gar nicht wert, daß wir uns in diesem Hause darüber streiten sollten.Herr Kollege Rommerskirchen, Sie scheinen sich nicht allzusehr um Ihre Familienkasse zu kümmern; sonst müßten Sie eigentlich auch feststellen, daß unsere Frauen auf den Märkten von Tag zu Tag mehr ausgeben für Gemüse, für Frühkartoffeln usw. Der Bundeskanzler hat das ja auch schon festgestellt.
— Jawohl, auch die Zahnpasta wird teurer und all die anderen Dinge, die der Soldat sich in der Kantine seiner Kaserne kaufen muß, von der Schuhwichse angefangen bis zur Zahnpasta. Wir hören es doch immer wieder, daß die jungen Soldaten uns sagen: „Wenn wir alles angeschafft haben, was wir unbedingt haben müssen, um unsere Sachen in Ordnung zu halten, dann ist das Geld alle, dann können wir uns nichts mehr erlauben!"Herr Rommerskirchen hat zum Vergleich angeführt, was die anderen Nationen zahlen, von 26 Pfennig angefangen. Wollen Sie denn unseren Soldaten zumuten, daß sie wieder für 26 Pfennig Soldat spielen?
Ich könnte Ihnen andere Beispiele aus dem letzten Krieg sagen. Wir sind ja alle Soldat gewesen. Ich war 51/2 Jahre Soldat, und ich weiß, daß zu unseren Verbündeten Streitkräfte gehörten, die überhaupt keinen Wehrsold zahlten und wo dreierlei verschienenes Essen ausgegeben wurde. Aber was waren das für Truppen! Das sind doch keine Verhältnisse, die wir etwa bei uns einführen möchten.Wohlweislich haben Sie erst auf Drängen angegeben, was unsere Freunde, die Amerikaner, an Wehrsold zahlen. Wenn diese Soldaten sich im Ausland befinden, bekommen sie noch ganz anderen Summen ausgezahlt.Es war auch nicht gerade gut, daß Sie meinten, das Entlassungsgeld, das wir beantragten, sei nicht notwendig, um den Übergang vom Soldatenleben zum Privatleben wieder zu ermöglichen. Sicher, jeder Soldat kann heute auf seinen alten Platz zurückkehren. Aber diejenigen, die im Angestelltenverhältnis stehen, müssen einen Monat warten, bis sie wieder Geld bekommen. Wenn sie Familie haben, wenn sie Miete zahlen müssen, wenn sie den Unterhalt ihrer Familie bestreiten wollen, dann sind die Beträge, die wir hier beantragt haben — 480 DM für den Gefreiten und 600 DM für den Unteroffizier —, für einen Familienvater bestimmt nicht zu hoch gegriffen.
Meine Damen und Herren! Wir haben unseren Standpunkt, glaube ich, genügend klargemacht. Ich
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962 1303
Cramerbitte Sie dringend, im Interesse der Gerechtigkeit — nicht im Hinblick auf unsere Finanzlage, sondern im Hinblick auf die Gerechtigkeit — unseren Anträgen zuzustimmen.
Herr Abgeordneter Dr. Mommer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die namentliche Abstimmung findet nicht statt. Aber wir legen Wert darauf, daß aus dem Protokoll zitierbar hervorgeht, daß hier die beiden Fraktionen der CDU/CSU und der FDP unserem Antrag widersprechen und ihn ablehnen.
— Ja, das wollen wir also aus dem Protokoll eindeutig entnehmen.
Deshalb ergreife ich noch einmal das Wort, und ich darf auch noch einen Beitrag zu dieser Diskussion liefern.
Herr Kollege Rommerskirchen liebt die Vergleiche. Ich will Ihnen sagen: wir Sozialdemokraten lieben in sozialen Dingen ebenfalls die Vergleiche; aber wir nehmen unsere Bezugspunkte da, wo die sozialen Verhältnisse besser sind, oben,
während Sie immer nach unten blicken. Wir mußten Herrn Rommerskirchen erst durch Zwischenrufe bewegen, den Wehrsold zu nennen, der um das Vierfache höher ist als der, der bei uns hier dein Grenadier gezahlt wird.
Nun, da wir bei den Vergleichen sind, noch einmal ein Vergleich, der Ihnen nicht unsympathisch sein dürfte. Vergleichen wir einmal die Ausgaben für Menschen und für Maschinen. Wir schlagen hier Ausgabenerhähungen vor; jawohl. Was machen sie aus? 12,5 Millionen DM beim Wehrsold und rund 25 Millionen DM beim Entlassungsgeld. Übersetzen Sie das in Maschinen, dann heißt das: für Wehrsold den zusätzlichen Wert von zwei Starfightern und beim Entlassungsgeld den von vier Starfightern.
— Doch, diese Vergleiche sind — wenn Sie schon vergleichen — sehr angebracht.
Und, meine Damen und Herren; bei der Verteidigung sind die Menschen immer noch wichtiger als die Maschinen.
Die Maschinen gehen nämlich nicht von selber, die werden von Menschen betätigt, und Sie müssen bereit sein, da das Nötige zu tun.
Auch ich habe dafür gestimmt, daß unsere jungen Männer die 18 Monate auf sich nehmen; und 18 Monate — das sind große Opfer, das sind große materielle Opfer, das sind Opfer in der Entwicklung, in ihrer Karriere, in ihrer Ausbildung, in ihrem persönlichen Leben. Da muß man bereit sein, hier wenigstens das zu tun, was in unseren Verhältnissen jetzt nötig und möglich ist, um sie materiell zu entschädigen.
Herr Rommerskirchen, Sie sagen: das ist Ehrendienst. Natürlich ist Verteidigung, ich würde sagen: Ehrenpflicht, wenn man in Freiheit leben will; jawohl. Aber wenn Sie damit Ansprüche zurückschrauben wollen, also andeuten wollen, daß alles Geld, das man da .gibt, sozusagen eine Kränkung der Ehre sei,
dann müssen wir's streichen. Sonst erwähnen Sie bitte dieses Wort „Ehrendienst" nicht, wenn wir hier über die Höhe der materiellen Entschädigung diskutieren.
Und noch einmal: Im Protokoll wird stehen, daß die Fraktion der CDU/CSU sich gegen diese bescheidenen Erhöhungen in 'den Leistungen an die Soldaten ausgesprochen hat. Nachdem wir das nicht durch namentliche Abstimmung feststellen, stellen wir es auf diese Art im Protokoll fest.
Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen ab über Ziffer 1 des Änderungsantrages der Fraktion der SPD Umdruck 100 . Wer dem Antrag zustimmt, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe!
— Das Präsidium ist sich nicht einig. Wir wiederholen die Abstimmung durch Erheben von den Plätzen. Wer dem Antrag zustimmt, erhebe sich. — Gegenprobe! — Das Präsidium ist sich nicht einig; wir müssen auszählen. —Ich gebe das Ergebnis 'der Auszählung bekannt: mit Ja haben 121, mit Nein 161 Abgeordnete gestimmt. Enthalten hat sich ein Abgeordneter. Der Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 100 unter Ziffer 1 ist damit abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über den Art. I in der Fassung des Ausschusses. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Der Artikel ist in dieser Fassung angenommen.
— Auch einige Enthaltungen.
— Verzeihung! Darf ich noch einmal wiederholen.— Also viele Enthaltungen ,auf der linken Seite des Hauses.Ich rufe auf Art. II. Dazu liegt der Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 100
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1304 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Mai 1962
Vizepräsident Dr. Dehlerunter Ziffer 2 vor, den Herr Abgeordneter Cramer eben interpretiert hat. Wer diesem Antrag zustimmt, gebe bitte ein Zeichen. — Gegenprobe! — Dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.Wir stimmen ab über Art. II in der Fassung des Ausschusses. Wer zustimmt, gebe ein Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei vielen Enthaltungen angenommen!Ich rufe Art. III sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmt, gebe Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.Damit ist 'die zweite Beratung beendet. Ich eröffne diedritte Beratung.Wer idem Gesetz in der vorliegenden Form zustimmt, erhebe sich bitte. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Prämien für Sparbeiträge ,b) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU— und nach der Erklärung der FDP auch der FDP —eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Spar-Prämiengesetzes .
— Ich halbe Sorge, daß wir am Freitag mit unserer Tagesordnung nicht fertig werden, wenn wir nicht heute noch diese Punkte erledigen.
— Das Haus wünscht, aß wir jetzt schließen, daß wir also auch den schon aufgerufenen Punkt 6 der Tagesordnung am Freitag behandeln.Dann schließe ich die Sitzung und 'berufe die nächste Sitzung 'ein auf Freitag, den 18. Mai, 9 Uhr.