Protokoll:
3127

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 3

  • date_rangeSitzungsnummer: 127

  • date_rangeDatum: 5. Oktober 1960

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:03 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 19:35 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 127. Sitzung Bonn, den 5. Oktober 1960 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Funk 7297 A Vizepräsident Dr. Preusker legt sein Amt nieder 7297 A Begrüßung einer Delegation des kanadischen Senats . . . . . . . . . . . 7344 C Fragestunde (Drucksachen 2085, 2093) Frage des Abg. Faller: Wehrdienst von deutsch-französischen Doppelstaatern Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 7297 B, D, 7298 A, B, C Faller (SPD) . . 7297 C Dr. Mommer (SPD) . . . 7297 D, 7298 A Dr. Schäfer (SPD) . . . . . , 7298 B, C Frage des Abg. Dr. Kohut: Aburteilung von Straftaten nach dem NATO-Truppenstatut Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 7298 D, 7299 A Dr. Kohut (FDP) . . . . 7298 D, 7299 A Frage des Abg. Dr. Kohut: Übergriffe amerikanischer Soldaten im Kirchenkreis Gelnhausen Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 7299 A Frage der Abg. Frau Nadig: Untersuchungsstellen für die Einfuhr von Lebens- und Futtermitteln . . . 7299 C Frage des Abg. Kroll: Informationstrupps des sowjetzonalen Rundfunks in der Bundesrepublik Dr. Schröder, Bundesminister . , 7299 C, D, 7300 A Kroll (CDU/CSU) . . . . . . . 7299 D Bausch (CDU/CSU) . .. . . . . 7299 D Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 7300 A Frage des Abg. Dürr: Zahl der mit der Liquidation des Vermögens der verbotenen Kommunistischen Partei beschäftigten Personen Dr. Schröder, Bundesminister 7300 B, C, D Dürr (FDP) . . . . . . . . . . 7300 C Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 7300 C Frage des Abg. Wittrock: Ersetzung von Gerichtsakten durch Mikrofilme Schäffer, Bundesminister . 7300 D, 7301 A Wittrock (SPD) . . . . . . . . 7301 A Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Unterlagen für die letzte Besoldungserhöhung Etzel, Bundesminister 7301 B II Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den, 5. Oktober 1960 Frage des Abg. Lohmar: Abgrenzung des Truppenübungsplatzes in der Senne Strauß, Bundesminister . . . . . 7301 B Lohmar (SPD) . . . . . . . . . 7301 C Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Einsatz von Schrottfahrzeugen auf den Baustellen der Bundesautobahn Appenweier—Neuenburg Dr. Seiermann, Staatssekretär . . . 7301 D Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 7302 A Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Überprüfung der FernsprechgebührenOrdnung Stücklen, Bundesminister . . . 7302 B, D, 7303 A Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 7302 B, C Kreitmeyer (FDP) . . . . . . . 7302 D Dr. Bucher (FDP) . . . . . . . . 7303 A Frage der Abg. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders: Kosten der Umstellung der Telefon- bücher Stücklen, Bundesminister . . . 7303 B, C Frau Dr. Dr. h. c. Lüders (FDP) . 7303 B, C Wahl eines Vertreters und eines Stellvertreters der Bundesrepublik Deutschland zur Beratenden Versammlung des Europarates 7303 C Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1961 (Haushaltsgesetz 1961) (Drucksache 2050) — Erste Beratung — Schoettle (SPD) . . . . . . . . 7303 D Dr. Vogel (CDU/CSU) 7312 B Lenz (Trossingen) (FDP) 7322 A Niederalt (CDU/CSU) 7328 A Heiland (SPD) . . . . . . . 7333 C Dr. Starke (FDP) 7337 C Dr. Conring (CDU/CSU) 7344 D Etzel, Bundesminister 7348 C Ritzel (SPD) . . . . . . . . 7353 C Kurlbaum (SPD) 7355 A Entwurf eines Gesetzes über eine Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft (Drucksache 1884) — Erste Beratung — Dr. Westrick, Staatssekretär . . . 7355 C Schmücker (CDU/CSU) . . . . . 7356 B Dr. Atzenroth (FDP) 7357 C Kurlbaum (SPD) 7358 A Antrag betr. Strukturprogramm für die Zonenrandgebiete (SPD); Schriftlicher Bericht des Gesamtdeutschen Ausschusses (Drucksachen 479, 1417); in Verbindung mit Antrag betr. kulturelle Förderungsmaßnahmen im Zonenrandgebiet (SPD); Schriftlicher Bericht des Gesamtdeutschen Ausschusses (Drucksachen 588, 1418) Frau Dr. Brökelschen (CDU/CSU) . . 7360 C Höhmann (SPD) . . . . . . . . 7360 D Wacher (CDU/CSU) . . . . . . 7363 A Dr. Huys (CDU/CSU) . . . . . . 7367 A Kreitmeyer (FDP) . . . . . . . 7369 C Dr. Starke (FDP) . . . . . . . . 7370 C Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (Drittes Änderungsgesetz zum AVAVG) (Drucksache 2044); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (Drucksache 2094) — Zweite und dritte Beratung — 7371 B Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiete des Realkredits (Drucksache 1771); Mündlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (Drucksache 2088) — Zweite und dritte Beratung — 7371 D Entwurf eines Gesetzes über Statistiken der Rohstoff- und Produktionswirtschaft einzelner Wirtschaftszweige (Drucksache 1808); Mündlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (Drucksache 2089) — Zweite und dritte Beratung — . . 7372 A Entwurf eines Gesetzes über die einheitliche Ausbildung der Steuerbeamten (Steuerbeamtenausbildungsgesetz — StBAG) (Drucksache 2048) — Erste Beratung — Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 7372 C Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . 7373 A Dr. Miessner (FDP) 7373 A Nächste Sitzung 7373 C Anlagen 7375 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den. 5. Oktober 1960 7297 127. Sitzung Bonn, den 5. Oktober 1960 Stenographischer Bericht Beginn: 9.03 Uhr.
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich. a) Beurlaubungen Bals 15. 10. Bauer (Wasserburg) 29. 10. Behrisch 7. 10. Frau Bennemann 7. 10. Dr. Birrenbach 5. 10. Dr. Böhm 22. 10. Börner 7. 10. Frau Brauksiepe 9. 10. Dr. Brecht 7. 10. Dr. Bucerius 7. 10. Demmelmeier 7. 10. Frau Dr. Diemer-Nicolaus 9. 10. Dowidat 5. 10. Draeger 9. 10. Eberhard 7. 10. Eilers (Oldenburg) 7. 10. Erler 7. 10. Fuchs 5. 10. Geiger (München) 7. 10. Gontrum 7. 10. Dr. Gradl 9. 10. Dr. Greve 7. 10. Frau Herklotz 9. 10. Dr. Hesberg 7. 10. Heye 9. 10. Hilbert 7. 10. Höcherl 9. 10. Dr. Höck (Salzgitter) 5. 10. Frau Dr. Hubert 7. 10. Huth 7. 10. Dr. Imle 5. 10. Jaksch 7. 10. Jürgensen 31. 10. Dr. Kempfler 9. 10. Dr. Königswarter 7. 10. Dr. Kopf 9. 10. Krammig 31. 10. Kraus 5. 10. Leber 5. 10. Lenz (Brühl) 5. 10. Lermer 15. 10. Majonica 9. 10. Meis 5. 10. Dr. Menzel 22. 10. Merten 9. 10. Müller-Hermann 5. 10. Pohle 31. 10. Dr. Preusker 7. 10. Reitzner 9. 10. Scheel 5. 10. Dr. Schild 7. 10. Dr. Schmid (Frankfurt) 15. 10. Schmidt (Hamburg) 9. 10. Schneider (Bremerhaven) 9. 10. Schneider (Hamburg) 7. 10. Schultz 5. 10. Dr. Seffrin 7. 10. Dr. Serres 9. 10. Anlagen zum Stenographischen Bericht (C) Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Dr. Steinbiß 8. 10. Storch 5. 10. Struve 9. 10. Wegener 9. 10. Wienand 9. 10. Wilhelm 7. 10. Dr. Will 7. 10. Frau Wolff 10. 10 b) Urlaubsanträge Eberhard 15. 10. Goldhagen 20. 10. Maier (Freiburg) 31. 10. Dr. Ripken 10. 10. Dr. Stammberger 17. 10. Stenger 15. 11. Anlage 2 Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiete des Realkredits (Drucksache 2088). Das vorliegende Gesetz hat den Zweck, gewisse Fristen im Bereich des Rechts der Hypothekenbanken, der Schiffspfandbriefbanken und der öffentlich-rechtlichen Kreditanstalten zu verlängern, deren Ablauf am 31. Dezember 1960 bevorsteht. Durch das Gesetz über eine vorübergehende Erweiterung der Geschäfte der Hypotheken- und Schiffspfandbriefbanken vom 5. August 1950 (Bundesgesetzbl. I S. 353) ist es diesen Instituten zunächst bis zum 31. Dezember 1953 und nach zweimaliger Fristverlängerung bis zum 31. Dezember 1960 gestattet worden, zusätzlich zu den nach dem Hypothekenbankgesetz und dem Schiffsbankgesetz erlaubten Geschäften sogenannte Globaldarlehen bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau und (mit Zustimmung der Aufsichtsbehörden) bei anderen Kapitalsammelstellen aufzunehmen, um auf diese Weise in weiterem Umfange Mittel für die Gewährung von hypothekarisch gesicherten Darlehen und Kommunaldarlehen beschaffen zu können. Weiterhin hat das Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiet des Realkredits vom 18. Dezember 1956 (Bundesgesetzbl. I S. 925) bis zu dem gleichen Zeitpunkt den Hypotheken- und Schiffsbanken sowie den öffentlich-rechtlichen Kreditanstalten die Möglichkeit gegeben, in begrenztem Umfange Schuldverschreibungen auf der Grundlage einer Deckung durch gewisse Wertpapiere der öffentlichen Hand und durch Geld anstatt durch Hypotheken und Kommunaldarlehen auszugeben (sogenannte primäre Ersatzdeckung) sowie unter gewissen Voraussetzungen Geldbeträge, die als Ersatzdeckung dienen, bei Kreditinstituten anzulegen. Der Zweck dieser befristeten Maßnahmen bestand darin, durch Anpassung gewisser nicht mehr zeitgemäßer Regelungen des Hypotheken- und Schiffs- 7376 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1960 bankrechts an die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse den Finanzierungsbedürfnissen insbesondere des Wohnungsbaus und Schiffsbaus Rechnung zu tragen, ohne jedoch hierbei der Entscheidung darüber vorzugreifen, wie diese Fragen bei der in Aussicht genommenen umfassenden Reform des Hypotheken- und Schiffsbankrechts endgültig geregelt werden sollen. Diese umfassende Reform kann erst durchgeführt werden, wenn die gesetzliche Neuregelung des Kreditwesens durch das neue Kreditwesengesetz vorliegt. Da sich die Erwartung, das neue Kreditwesengesetz könne noch vor dem 31. Dezember 1960 in Kraft gesetzt werden, voraussichtlich nicht erfüllen wird und die Gründe, die seinerzeit für den Erlaß der genannten Vorschriften maßgebend waren, fortbestehen, ist eine nochmalige Verlängerung der genannten Fristen um zwei Jahre, wie in der Regierungsvorlage vorgesehen, geboten. Die Regierungsvorlage sieht dagegen keine Verlängerung der durch die Gesetze vom 30. April 1954 und vom 18. Dezember 1956 getroffenen Regelung vor, durch die befristet bis zum 31. Dezember 1960 die sogenannte Umlaufgrenze der Hypotheken- und Schiffsbanken für die Ausgabe von Pfandbriefen allgemein erweitert worden ist. Für eine Verlängerung dieser Frist, die von den Verbänden des Kreditwesens gleichfalls erbeten wurde, besteht keine Veranlassung. Die Erweiterung der Umlaufgrenze, deren Höhe bei den einzelnen Instituten jeweils von der Höhe des Grundkapitals zuzüglich der Reserven abhängig ist, wurde seinerzeit mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse am Kapitalmarkt vorgenommen und hatte lediglich Übergangscharakter; eine Übernahme dieser Maßnahmen als endgültige Regelung stand niemals in Frage. Die Gründe für die getroffene Übergangsregelung sind nunmehr weggefallen, nachdem es den betroffenen Realkreditinstituten unter den heutigen Verhältnissen am Kapitalmarkt ohne weiteres möglich ist, eine zur Erhöhung der Umlaufgrenze des Instituts etwa erforderlich werdende Kapitalerhöhung unter zumutbaren Bedingungen vorzunehmen. Das Gesetz soll am Tage nach seiner Verkündung in Kraft treten. Der Wirtschaftsausschuß empfiehlt dem Deutschen Bundestag, dem Gesetz in der Fassung der Regierungsvorlage zuzustimmen. Der Ausschuß teilt dabei die Auffassung der Bundesregierung, daß das Gesetz der Zustimmung des Bundesrates nicht bedarf. Dr. Gerhard Fritz (Ludwigshafen) Anlage 3 Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (16. Ausschuß) über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über Statistiken der Rohstoff- und Produktionswirtschaft einzelner Wirtschaftszweige (Drucksache 1808). Das vorliegende Gesetz faßt Statistiken im Bereich der Eisen- und Stahlwirtschaft, Nichteisen-und Edelmnetallwirtschaft, Mineralölwirtschaft, Textilwirtschaft, Lederwirtschaft und Tabakwirtschaft zusammen, die bisher auf Grund von Rechtsverordnungen nach § 6 Abs. 2 ides Gesetzes über die Statistik für Bundeszwecke vom 3. September 1953 (Bundesgesetzbl. I S. 1314) durchgeführt wurden. Vier dieser Rechtsverordnungen verlieren ihre Gültigkeit mit Ablauf dies 30. September 1960. Da die unveränderte Fortführung dieser Statistiken aus wirtschaftspolitischen Gründen sich als unerläßlich erwiesen hat, entspricht es dem § 6 Abs. 1 des Statistikgesetzes, daß langfristig benötigte Bundesstatistiken durch Gesetz angeordnet werden. Das Gesetz soll mit Wirkung vom 1. Oktober 1960 in Kraft treten, um die Fortführung der genannten Statistiken zu sichern. Lediglich auf idem Gebiet der Mineralölwirtschaft wird wegen der gewachsenen wirtschaftspolitischen Bedeutung eine neue Rechtsgrundlage füreine Erhebung über die Vorratsbewegang zur Aufstellung einer Mineralölbilanz notwendig. Während das Gesetz über die Allgemeine Statistik in der Industrie und im Bauhauptgewerbe vom 15. Juli 1957 für die gesamte Industrie einheitliche Tatbestandsmerkmale festlegt, soll das vorliegende Gesetz darüber hinaus Vorgänge statistisch beleuchten, die sich aus der besonderen Lage der genannten Wirtschaftszweige mit ihrer engen rechtlichen und wirtschaftlichen internationalen Verflechtung ergeben. Dies gilt für die Eisen- und Stahlindustrie als Schlüsselindustrie, bei der statistische Unterlagen sowohl für die amtlichen Stellen der Bundesrepublik als auch für die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl über den üblichen Rahmen hinaus dringend benötigt werden. Über die einfuhrabhängige Nichteisenmetallwirtschaft muß das Bundesministerium für Wirtschaft kurzfristig und in spezifizierter Weise unterrichtet sein, um Marktstörungen rechtzeitig vermeiden zu können. Außerdem bestehen internationale Vereinbarungen über den Austausch entsprechender statistischer Unterlagen. Die Entwicklung des Mineralölmarktes in Verbindung mit der gesamten Energieversorgung macht es nötig, Verbrauchs- und Bestandszahlen zu ermitteln. Die Einfuhrabhängigkeit an Rohstoffen und die strukturellen Wandlungen der deutschen Textilwirtschaft erfordern, daß umfangreiches statistisches Material besonders für die internationalen Verhandlungen verfügbar ist. In gleicher Weise ist die ledererzeugende Industrie in großem Umfange von ihrer Rohstoffversorgung abhängig. Aus handelspolitischen Gründen müssen die amtlichen Stellen laufend unterrichtet sein. Der Bundesrat hat deshalb die Weiterführung einer monatlichen Meldung vorgeschlagen. In ihrer Stellungnahme stimmte die Bundesregierung dem Vorschlag zu. In § 6 Abs. i des vorliegenden Gesetzes soll daher das Wort „vierteljährlich" durch das Wort „monatlich" ersetzt werden. In Übereinstimmung mit der bisherigen Verordnung über die Durchführung einer Lederstatistik vom 24. Sep- Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1960 7377 fernher 1957 (Bundesanzeiger Nr. 186 vom 27. September 1957) muß vor dem Wort „Absatz" das Wort „Erzeugung" wieder eingefügt werden, um eine monatliche Bilanz erstellen zu können. Der in der Bundesrepublik bearbeitete Rohtabak wind zu etwa 80 v. H. ans mehr als 35 Ländern eingeführt. Daher ist eine umfassende Unterrichtung über die Bestandsbewegung des Rohtabaks in sortenmäßiger Hinsicht bei der Tabakindustrie und dem Rohtabakhandel bei Abnahme und Unterstützungszusagen gegenüber Lieferländern von Wichtigkeit. In § 11 dieses Gesetzes ist einzufügen, daß die zwischenzeitlich erlassene Verordnung über die Durchführung einer Eisen- und Stahlstatistik vom 4 August 1960 (Bundesanzeiger Nr. 154 vom 12. August 1960) außer Kraft zu setzen ist. Namens dies Wirtschaftsausschusses bitte ich, dem vorliegenden Gesetzentwurf in der Drucksache 1808 mit den vorgesehenen Änderungen die Zustimmung zu geben. Dr. Burgbacher Anlage 4 Schriftliche Antwort des Bundesministers Dr. Schröder auf die Mündliche Anfrage II — der Abgeordneten Frau Nadig — (Fragestunde der 127. Sitzung vom 5. 10. 1960, Drucksache 2085) : Ist die Bundesregierung bereit, nach den Erfahrungen, die mit der Einfuhr französischer Fleischkonserven und von Känguruhfleisch gemacht worden sind, jetzt Untersuchungsstellen für die Einfuhr von Lebens- und Futtermitteln einzurichten? Die Einrichtung einer allgemeinen Einfuhruntersuchung für Lebensmittel ist bereits anläßlich der Beratung der Novelle zum Lebensmittelgesetz im Gesundheitsausschuß des Bundestages eingehend erörtert worden. Der Ausschuß gelangte damals zu der Auffassung, daß die Lebensmittelüberwachung z. Z. weder über die technischen noch personellen Möglichkeiten für eine allgemeine Importkontrolle verfügt. Die gleichen Schwierigkeiten bestehen auch heute noch. Wie Ihnen bekannt sein dürfte, besteht eine Untersuchungspflicht bei der Einfuhr bestimmter Lebensmittel. Einschlägige Vorschriften finden sich z. B. im Fleischbeschaugesetz, im Weingesetz und in der Verordnung zum Schutze gegen Infektion durch Erreger der Salmonella-Gruppe in Eiprodukten. Auch Futtermittel tierischer Herkunft, die oftmals Salmonellen enthalten, werden bei der Einfuhr untersucht. Meinem Hause ist nicht bekannt, daß mit der Einfuhr französischer Fleischkonserven ungünstige Erfahrungen gemacht worden sind. Eine Untersuchungspflicht für Fleischkonserven wird jedoch in absehbarer Zeit allgemein angeordnet werden. Bei den gelegentlich in Känguruhfleisch nachzuweisenden Parasiten handelt es sich um Fadenwürmer, wie sie vereinzelt im Fleisch aller Tierarten vorkommen. Sie sind für den Menschen unschädlich. Die Einfuhren von Känguruhfleisch sind z. Z. stark rückläufig. Pressemitteilungen zufolge bemüht man sich in Australien um die Einrichtung einer Exportkontrolle.
Gesamtes Protokol
Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312700000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich gratuliere dem Herrn Abgeordneten Funk zum 60. Geburtstag.

(Beifall.)

Ich teile dem Hause mit, daß mir der Herr Abgeordnete Dr. Preusker am 4. Oktober 1960 folgendes Schreiben zugeleitet hat:
Da die politischen Voraussetzungen für meine seinerzeitige Wahl zum Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages entfallen sind, lege ich hiermit dieses Amt nieder. Ich darf Ihnen und dem Deutschen Bundestag für das mir entgegengebrachte Vertrauen danken.
Damit, meine Damen und Herren, sind die Mitteilungen, die ich dem Hause zu machen habe, erschöpft. Ich darf vielleicht noch hinzufügen, daß wir den Versuch machen werden, die Tagesordnung, die für heute und Freitag ausgeschrieben ist, heute zu erledigen. Wir brauchen die Zeit dringend für die Ausschüsse. Der Freitag wird also, wenn wir heute mit der Tagesordnung fertig werden sollten, auf jeden Fall nicht freigegeben werden können. Die Präsenzpflicht bleibt bestehen mit dem Ziele, möglichst viele Ausschüsse noch am Freitag tagen zu lassen.
Damit, meine Damen und Herren, kommen wir zur Tagesordnung. Ich rufe den Punkt 1 auf:
Fragestunde (Drucksachen 2085, 2093).
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf, zunächst die Frage I/1 — des Abgeordneten Faller —:
Kann einem Wehrpflichtigen, der gleichzeitig deutscher und französischer Staatsangehöriger ist (im Elsaß geboren), garantiert werden, daß ihm durch Ableistung des Wehrdienstes in der Bundeswehr bei einem eventuellen späteren Besuch in Frankreich keine Schwierigkeiten entstehen, oder muß er auch in Frankreich Wehrdienst leisten?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amtes.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0312700100
Herr Präsident! Auf die Frage des Herrn Abgeordneten Faller kann ich folgendes erklären. Ein deutsch-französischer Doppelstaater
hat mit der Ableistung des Wehrdienstes von 12 Monaten in der Bundeswehr seine französische Wehrpflicht von gegenwärtig 18 Monaten für einen Zeitraum von 6 Monaten noch nicht erfüllt, da nach Art. 99 a des französischen Gesetzes über die Rekrutierung der Armee vom 31. März 1928 Befreiung von der französischen Wehrpflicht für Mehrstaater der NATO-Staaten insoweit nicht gewährt wird, als der Wehrdienst in dem betreffenden NATO-Staat von kürzerer Dauer ist als der französische. Einem deutsch-französischen Doppelstaater s kann daher nicht garantiert werden, daß ihm nach Ableistung des Wehrdienstes in der Bundeswehr bei einem späteren Besuch in Frankreich keine Schwierigkeiten entstehen. Er kann vielmehr in Frankreich noch für 6 Monate zum Wehrdienst herangezogen werden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312700200
Zusatzfrage?

Walter Faller (SPD):
Rede ID: ID0312700300
Hat die Bundesregierung schon Verhandlungen mit Frankreich geführt, um zu erreichen, daß diese Doppelstaater freiwillig auf eine der Staatsangehörigkeiten verzichten können?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0312700400
Die Bundesregierung steht mit der französischen Regierung in Verhandlungen über den Abschluß eines Abkommens über den Wehrdienst der Doppelstaater. Diese Verhandlungen sollen demnächst fortgesetzt werden. Sie sind schon seit längerer Zeit im Gange, konnten aber nicht abgeschlossen werden, weil sich Schwierigkeiten durch den Wunsch der französischen Regierung ergaben, eine Lösung auf dem Optionswege zu finden; und zwar ohne Beeinträchtigung der Staatsangehörigkeit nur auf dem Weg der Option für den Wehrdienst des einen oder anderen Landes. Dies hätte für uns zu verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten im Hinblick auf § 1 Abs. 2 des Wehrpflichtgesetzes vom 21. Juli 1956 geführt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312700500
Zu einer Zusatzfrage Herr Dr. Mommer!

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0312700600
Herr Staatssekretär, könnte diese Frage, die immerhin eine gewisse Anzahl von Menschen betrifft und ihnen sehr große Ungelegenheiten bereitet, dieser Tage nicht so nebenbei bei einer Tasse Tee mit dem französischen Ministerpräsidenten besprochen werden?
7298 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den, 5. Oktober 1960

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0312700700
Herr Präsident! Ich glaube, dazu sind die Verhandlungen schon zu weit gediehen. Wir bewegen uns in einer Richtung, die ungefähr dem nahekommt, was der Herr Abgeordnete Faller angedeutet hat: eine Option bezüglich der Staatsangehörigkeit, nicht bezüglich des Wehrdienstes. Ich kann nicht sagen, ob das die endgültige Lösung sein wird. Aber die Verhandlungen werden jedenfalls noch in diesem Jahr fortgeführt werden, und wir hoffen, daß sie dann zu einem Abschluß kommen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312700800
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Dr. Mommer!

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0312700900
Herr Staatssekretär, seit wann werden die Verhandlungen geführt, — und finden Sie es nicht auch bedauerlich, daß solche Angelegenheiten, die nicht große Massen betreffen und die deswegen nicht durch ein starkes Interesse unterstützt werden, nicht zur Lösung kommen, vielmehr endlos hingeschleppt werden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0312701000
Die Verhandlungen werden seit dem Jahre 1958 geführt.

(Abg. Dr. Mommer: Zwei Jahre!)

Ich möchte aber doch erwähnen, daß die rechtlichen Fragen, die sich gerade bei der Doppelstaatlichkeit ergeben, außerordentlich verwickelt sind und völkerrechtlich allgemein immer Anlaß zu großen Schwierigkeiten geben.
Ich glaube, man kann in diesem Falle sogar sagen, daß die Verhandlungen durchaus mit gutem Willen und auch mit dem Willen, zu einem Ergebnis zu kommen, geführt worden sind. Wenn das ursprüngliche französische Angebot, das an sich eine Regelung dargestellt hätte, von uns nicht angenommen werden konnte, so hatte das, wie ich schon sagte, verfassungsrechtliche Gründe.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312701100
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Schäfer!

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0312701200
Herr Staatssekretär, darf man nach Ihrer Auskunft davon ausgehen, daß in Zukunft deutsche Staatsangehörige, auf die diese Voraussetzungen zutreffen, in Frankreich nicht mehr ohne weiteres verhaftet werden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0312701300
Herr Abgeordneter, meines Wissens ist auch jetzt kein einziger Fall zu verzeichnen, in dem es wirklich zu ernsthaften Schwierigkeiten gekommen wäre, weil die Fälle, in denen die Wehrpflichtvoraussetzungen nicht erfüllt waren, immer auf dem Verhandlungswege ohne Schaden für die Betreffenden bereinigt werden konnten. Es ist gar kein Zweifel, daß in Zukunft, wenn das Abkommen da ist, jede Schwierigkeit vermieden werden wird.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312701400
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Dr. Schäfer!

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0312701500
Wie soll es geregelt werden? Ich darf trotz der Fragestellung, Herr Präsident, die Sache kurz darstellen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312701600
Nein, ich kann das nicht zulassen. Fragen Sie!

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0312701700
Wird es in Zukunft immer noch möglich sein, daß in der französischen Zone, in der französische Truppen stationiert sind, deutschen Staatsangehörigen Gestellungsbefehle durch die französische Gendarmerie zugestellt werden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0312701800
Das wird nach der vorgesehenen neuen Regelung nicht mehr möglich sein.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312701900
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe weiter die Frage I/2 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut — auf:
Was hat die Bundesregierung dazu veranlaßt, in dem Abkommen zwischen cien Parteien des Nord-Atlantik-Vertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen einer Regelung der Zuständigkeit der Strafgerichte zuzustimmen, durch die auch in Zukunft die Möglichkeit besteht, die Aburteilung von Straftaten gegen Burger der Bundesrepublik Deutschland den deutschen Gerichten zu entziehen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0312702000
Herr Präsident, die Frage bezieht sich auf die Rechtsprechung der verbündeten Truppen. Die Bundesregierung geht mit ihrem Beitritt zum NATO-Truppenstatut keine Verpflichtungen ein, durch die, mit Ausnahme von Handlungen oder Unterlassungen, die in Ausübung des Dienstes begangen werden, die Aburteilung von Straftaten gegen Bürger der Bundesrepublik den deutschen Gerichten entzogen wird. Die Bundesregierung hatte keine Bedenken, dieser im multilateralen NATO-Truppenstatut enthaltenen Regelung zuzustimmen. Diese Regelung gilt nach dem Inkrafttreten des genannten Statuts für die Bundesrepublik auch für die Streitkräfte der Bundeswehr, die in das Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates der NATO entsandt werden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312702100
Zusatzfrage!

Dr. Oswald Adolph Kohut (FDP):
Rede ID: ID0312702200
Wann tritt das Statut in Kraft?

(Abg. Rasner: Wenn es der Bundestag ratifiziert hat!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0312702300
Sobald der Truppenvertrag und das Zusatzabkommen zum Truppenvertrag dem Bundestag vorgelegt und von ihm gebilligt worden sind.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312702400
Zweite Zusatzfrage!




Dr. Oswald Adolph Kohut (FDP):
Rede ID: ID0312702500
Ist der Regierung bekannt, daß im Gegensatz zu Deutschland Japan die volle Gerichtsbarkeit über .die ,dort stationierten fremden Truppen hat?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0312702600
Ich bin über die Einzelheiten dieser besonderen Frage jetzt nicht unterrichtet. Ich weiß ,aber, daß diese Frage in den Verhandlungen geprüft worden ist und das Ergebnis der Prüfang jedenfalls gezeigt hat, idaß die Amerikanerauch dort Vorbehalte haben, die im wesentlichen ihren verfassungsrechtlichen Bestimmungen entsprechen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312702700
Ich rufe die Frage I/3 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut — auf :
Ist der Bundesregierung bekannt, daß im Kirchenkreis Gelnhausen der Besuch der Abendgottesdienste, der Gemeindeabende und des Konfirmandenunterrichts durch ständige Übergriffe amerikanischer Soldaten behindert wird, wobei durch den Freispruch von drei amerikanischen Soldaten, die ein zwölfjähriges Mädchen vergewaltigt hallen, durch ein amerikanisches Militärgericht die Unruhe der Bevölkerung noch verstärkt wird, nod was beabsichtigt die Bundesregierung zum Schutze der deutschen Bevölkerung zu tun?
Zur Beantwortung ,der Herr Staatssekretär!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0312702800
Hier handelt es sich um Zwischenfälle in Hessen. Das Auswärtige Amt hat sich bei Bekanntwerden dieser Anfrage sofort mit dem Herrn hessischen Minister des Innern in Verbindung gesetzt. Dieser hat uns eine Auskunft erteilt, wonach den zuständigen Stellen idort von einer Belästigung von Kirchgängern nichts bekannt ist;entsprechende Beschwerden lägen auch nicht bei den hessischen Behörden vor. Andererseits habe der Freispruch eines amerikanischen Soldaten nach einem ihm zur Last gelegten Notzuchtverbrechen an einer zwölfjährigen Schülerin besondere Beunruhigung in der Bevölkerung hervorgerufen. Der hessische Innenminister hat mitgeteilt, .er habe daher die zuständigen amerikanischen Dienststellen erneut gebeten, alle Maßnahmen zu ergreifen, um Ausschreitungen der geschilderten Art zu verhindern. Aus ähnlichen Fällen in der Vergangenheit sei ihm bekannt, daß die amerikanischen Dienststellen bei solchen Vorkommnissen mit allem Nachdruck einschritten.
Aus ,der Stellungnahme ,des Herrn hessischen Ministers ,des Innerngeht hervor, daß er selber alle Maßnahmen zum Schutz der deutschen Bevölkerung zu ergreifen wünscht und auch schon ergriffen hat. Es besteht daher im Augenblick für die Bundesregierung kein besonderer Anlaß, ihrerseits noch in 'diese Angelegenheit einzugreifen.
Ich möchte jedoch noch darauf hinweisen, daß mit dem Inkrafttreten des NATO-Truppenstatuts und des Zusatzabkommens die Möglichkeit !besteht, daß Notzuchtverbrechen von Mitgliedern ansländischer Stredtkräfte an deutschen Staatsangehörigen nicht mehr wie bisher durch ,die Behörden der Streitkräfte, sondern durch ideutsche Gerichte,abgeurteilt werden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312702900
Wir kommen zu .den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Ich rufe auf die Frage der Abgeordneten Frau Nadig:
Ist die Bundesregierung bereit, nach den Erfahrungen, die mit der Einfuhr französischer Fleischkonserven und von Känguruhfleisch gemacht worden sind, jetzt Untersuchungsstellen für die Einfuhr von Lebens- und Futtermitteln einzurichten?
Ist die Fragestellerin im Hause? — Die Frage wird schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe auf die Frage deis Abgeordneten Kroll:
Hält die Bundesregierung es für vertretbar, daß kommunistische Informationstrupps des sowjetzonalen Rundfunks und Fernsehens unbehelligt in der Bundesrepublik — so in Bayern (für den Propagandabereich Landwirtschaft), im Raum Frankfurt und Ruhrgebiet (für Probleme der Industrie, Wirtschaft und Sozialpolitik) — operieren, während die Machthaber in Pankow alles tun, um den innerdeutschen Verkehr zu behindern?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Bundesminister des Innern.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0312703000
Die Antwort lautet wie folgt:
Die Bundesregierung hält die Tätigkeit der Informationstrupps des sowjetzonalen Rundfunks und Fernsehens im Bundesgebiet für unerwünscht. Sie prüft zur Zeit, wie strafrechtlich oder polizeilich gegen die Tätigkeit dieser Informationstrupps eingeschritten werden kann. Solche Trupps haben z. B. mit Bauern in der Oberpfalz Gespräche über die Flurbereinigung geführt und auf Tonbänder aufgenommen. Diese Tonbänder wurden sodann mit diffamierenden Kommentaren über ein angebliches „Bauernlegen" in der Bundesrepublik vom sowjetzonalen Rundfunk ausgestrahlt. Ich glaube, daß unsere Langmut gegenüber solchen kommunistischen Praktiken allmählich eine Grenze erreicht haben sollte.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312703100
Zusatzfrage?

Ludwig Kroll (CDU):
Rede ID: ID0312703200
Herr Bundesminister, erfordern die Festnahmen und die stundenlangen Verhöre der beiden Journalisten Marquardt und Sorge in Leipzig am 10. September nicht auch eine grundsätzliche Überprüfung der bisherigen Handhabung für den Bereich der Berichterstattung überhaupt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0312703300
Ich habe gerade ausgeführt, Herr Kollege, daß unsere Langmut hier definitiv ein Ende erreicht haben sollte.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312703400
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Bausch!

Paul Bausch (CDU):
Rede ID: ID0312703500
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, darauf hinzuarbeiten, daß unverzüglich die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, damit in Zukunft ein Einschreiten gegen solche kommunistischen Informationstrupps möglich sein wird?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0312703600
Wir sind im Augenblick in Zusammenhang mit anderen Vorkommnissen damit befaßt, die Rechtslage ein-
7300 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den. 5. Oktober 1960
Bundesinnenminister Dr. Schröder
gehend zu prüfen. Ich nehme an, daß in absehbarer Zeit dem Hohen Haus eine Gesetzesvorlage gemacht wird.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312703700
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schmidt (Wuppertal).

Dr. Otto Schmidt (CDU):
Rede ID: ID0312703800
Haben Informatoren des deutschen Rundfunks und Fernsehens irgendeine Möglichkeit, in der Zone Aufnahmen zu machen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0312703900
Grundsätzlich nein.

Dr. Otto Schmidt (CDU):
Rede ID: ID0312704000
Was heißt „grundsätzlich"?

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312704100
Das ist eine zweite Zusatzfrage.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0312704200
Herr Kollege, ich darf es etwas verdeutlichen. Es ist dann und wann so gewesen, daß zu speziellen Anlässen für speziell Ausgesuchte irgendwelche Informationsmöglichkeiten bestanden haben. Aber Ihre Frage ist hinsichtlich einer freien Beweglichkeit, einer Freizügigkeit zu verneinen. Es besteht also keineswegs eine Gleichgewichtigkeit der Möglichkeiten auf beiden Seiten.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312704300
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage des Abgeordneten Dürr auf:
Wie viele Beamte und Angestellte und wie viele vom Bund beauftragte Personen sind heute noch ausschließlich oder teilweise mit der Liquidation des Vermögens der 1956 verbotenen Kommunistischen Partei beschäftigt?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des Innern!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0312704400
Die Antwort lautet wie folgt: Mit der Liquidation des Vermögens der verbotenen Kommunistischen Partei sind nur noch ein Beamter des höheren Dienstes und als Aushilfskraft auf Zeit ein pensionierter Beamter des gehobenen Dienstes beschäftigt. Es sind zur Zeit noch 23 Verwaltungsprozesse anhängig, in denen darüber zu entscheiden ist, ob bestimmte Vermögenswerte unter das Verbotsurteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 17. August 1956 fallen. Die mit der Führung dieser Prozesse verbundene Verwaltungsarbeit ist, wie Sie sich denken können, nicht unbeträchtlich.
Das nach Abzug der Ausgaben verbleibende Reinvermögen beträgt nach dem Stande vom 1. August 1960 rund 4,5 Millionen DM. Das Verbotsurteil hat das Vermögen der KPD zugunsten der Bundesrepublik zu gemeinnützigen Zwecken eingezogen. Nach rechtskräftiger Erledigung der Verwaltungsprozesse wird über die Verwendung des Vermögens im einzelnen entschieden werden können.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312704500
Zusatzfrage!

Hermann Dürr (SPD):
Rede ID: ID0312704600
Sieht die Bundesregierung die Möglichkeit und hält sie es für zweckmäßig, die Verwaltungsprozesse soweit wie möglich im Vergleichswege abzuschließen, um dadurch die Liquidation des Vermögens der KPD schneller zu Ende zu führen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0312704700
Herr Kollege, die Frage, ob man einen Prozeß im Wege des Vergleichs beenden soll, ist eine reine Nützlichkeitsfrage. Das mag von Fall zu Fall verschieden sein. Andererseits liegt auf der Hand, daß es hier bei einem in der Tarnung geübten Gegner manchmal schwerfällt, einen Vergleich abzuschließen, ohne unter Umständen ein Präjudiz zu schaffen. Deswegen läßt sich generell nichts sagen, was für alle Prozesse zuträfe. Selbstverständlich sind wir bemüht, die Liquidation so schnell wie möglich zu Ende zu bringen. Aber angesichts des Umfanges der Sache, würde ich sagen, ist die Zeit von nunmehr rund vier Jahren, in der daran gearbeitet wird, noch relativ kurz.

(Abg. Pelster: Sehr richtig!)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312704800
Eine Zusatzfrage!

Dr. Otto Schmidt (CDU):
Rede ID: ID0312704900
Sind denn darüber hinaus auch noch Beamte und Angestellte der Länder mit der Liquidation dieses Vermögens befaßt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0312705000
Ich kann das nicht im einzelnen sagen und schon gar nicht mit Zahlen belegen. Ich vermute, daß sich das nur, wenn ich mich einmal so ausdrücken darf, im Rahmen der gegenseitigen Rechtshilfe zwischen Bund und Ländern abspielt. Aber ich will der Frage gern noch einmal nachgehen, um die Antwort vielleicht konkretisieren zu können.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312705100
Keine weiteren Zusatzfragen!
Ich rufe auf aus dem Geschäftsbericht des Herrn Bundesministers der Justiz die Frage des Herrn Abgeordneten Wittrock:
Sieht der Herr Bundesjustizminister in dem beim Amtsgericht in Hameln durchgeführten Versuch der niedersächsischen Justizveiwaltung, die aufzubewahrenden Gerichtsakten durch Mikrofilme zu ersetzen, eine erfolgversprechende Möglichkeit, die oft unhygienischen und viel Platz beanspruchenden Aufbewahrungsräume der Justiz zu entrümpeln?

Fritz Schäffer (CSU):
Rede ID: ID0312705200
Die Entwicklung des Mikrofilmverfahrens wird in meinem Hause schon seit langem aufmerksam verfolgt. Die allgemeine Einführung des zweifellos raumsparenden Mikroarchivierungsverfahrens hängt unter anderem davon ab, ob die Gerichte den Mikrofilm als voll beweiskräftig anerkennen. Diese Frage, über die eine gerichtliche Entscheidung noch nicht bekanntgeworden ist, wird zur Zeit in meinem Hause im Benehmen mit dem Herrn Bundesminister des Innern geprüft. Da die allgemeine Anwendung des
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den. 5. Oktober 1960 7301
Bundesminister Schäffer
Mikrofilmverfahrens mit erheblichen Kosten verbunden wäre, läßt sich eine vorherige gründliche Prüfung nicht vermeiden.
lm übrigen wird die Frage der Mikroarchivierung auf der nächsten Rationalisierungskonferenz der in erster Linie daran interessierten Landesjustizverwaltungen erörtert werden. In dieser Konferenz wird Niedersachsen über die Erfahrung bei der Mikroverfilmung weggelegter Akten berichten.

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0312705300
Herr Bundesminister, darf ich Ihren Hinweis auf die Problematik des Beweiswertes der Mikrofilme, die a priori eben nicht den gleichen Beweiswert wie die Originalakten haben, dahin verstehen, daß auch die Frage einer etwaigen gesetzlichen Regelung dieses Problems, nämlich der Sicherstellung des Beweiswertes, in Erwägung gezogen wird?

Fritz Schäffer (CSU):
Rede ID: ID0312705400
Auch diese Frage wird mit den Herren Landesjustizministern bei der nächsten Landesjustizministerkonferenz besprochen.

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0312705500
Danke sehr!

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312705600
Frage IV — des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen — aus dem Geschäftsbereich des Herrn Bundesministers der Finanzen:
Ist es richtig, daß der Herr Bundesfinanzminister sich im Zusammenhang mit der letzten Besoldungsanhebung geäußert hat, er sei bei seiner Meinungsbildung von unvollständigen oder unzureichenden Unterlagen ausgegangen?

Franz Etzel (CDU):
Rede ID: ID0312705700
Ich möchte die vom Herrn Kollegen Schmitt-Vockenhausen gestellte Frage mit einem eindeutigen Nein beantworten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0312705800
Danke!

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312705900
Keine Zusatzfrage!
Frage V — des Herrn Abgeordneten Lohmar — aus dem Geschäftsbereich des Herrn Bundesministers für Verteidigung:
Hat der Herr Bundesverteidigungsminister mittlerweile eine Entscheidung über die Abgrenzung des Truppenübungsplatzes in der Senne getroffen?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0312706000
Wie dem Fragesteller aus der Besprechung vom 19. Juli 1960 persönlich bekannt ist, habe ich mich in seiner Anwesenheit an Ort und Stelle über die Verhältnisse informiert. Hierbei sind mir von kommunalen und landwirtschaftlichen Stellen Bedenken dagegen vorgetragen worden, das Gelände westlich der sogenannten Brunnenreihe in die Erweiterung des geplanten Schießplatzes einzubeziehen. Es ist bisher noch nicht gelungen, eine Lösung zu finden, die den dringenden militärischen Bedürfnissen entspricht, wenn die sogenannte Brunnenreihe als westliche Begrenzung genommen wird.
Der Mangel an Übungs- und Schießplätzen für die Bundeswehr wird nachgerade zu einem kritischen Problem für ihre militärische Qualität. Jede damit zusammenhängende Entscheidung muß besonders genau geprüft werden. Im vorliegenden Falle bemühe ich mich, eine Lösung zu finden, die den vorgetragenen zivilen Interessen entspricht, die auf der anderen Seite aber trotzdem eine einigermaßen rationelle Ausnutzung des Schießplatzes ermöglicht.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312706100
Eine Zusatzfrage!

Dr. Ulrich Lohmar (SPD):
Rede ID: ID0312706200
Herr Bundesminister, bis zu welchem Zeitpunkt glauben Sie eine Entscheidung treffen zu können?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0312706300
Ich lasse zur Zeit eine neue Einteilung des Schießplatzes nach Version A und nach Version B durchführen. Diese Arbeiten sind wegen der damit zusammenhängenden Sicherheitsfragen — deren Lösung eine große Verantwortung einschließt — zeitraubend. Ich bin deshalb nicht in der Lage, Ihnen einen bestimmten Kalendertag als Termin anzugeben.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312706400
Keine weitere Zusatzfrage. — Ich rufe aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr die Frage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen auf:
Entspricht es den Tatsachen, daß auf den Baustellen der Bundesautobahn Appenweier-Neuenburg (Baden) sogenannte Schrottfahrzeuge als Transportmittel für Baumaterial eingesetzt werden, die im internen Baustellenverkehr keine polizeiliche Zulassung benötigen und denen daher zum Teil die primitivsten Sicherheitseinrichtungen fehlen (keine Rücklichter und keine Bremslichter sowie schadhafte Bremsen)?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0312706500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es trifft zu, daß auf der Neubaustrecke Appenweier-Neuenburg bei zwei dort eingesetzten Bauunternehmen Kraftfahrzeuge mit wesentlichen Mängeln festgestellt wurden. Insbesondere wurde die Wirksamkeit der Bremsen beanstandet. Das zuständige Autobahnamt hat daraufhin die beteiligten Firmen aufgefordert, diese Mängel zu beseitigen. Die Firmen haben inzwischen versichert, daß die Fehler abgestellt wurden. Das Arbeitsministerium des Landes Baden-Württemberg hat eine Prüfung veranlaßt, ob die Mängel auch tatsächlich beseitigt worden sind.
Da die Fahrzeuge nicht auf öffentlichen Straßen verkehren, gelten, wie aus Ihrer Frage schon hervorgeht, Herr Abgeordneter, die Bau- und Betriebsvorschriften der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung nicht unmittelbar. Verbindlich sind jedoch die Unfallverhütungsvorschriften der gewerblichen Berufsgenossenschaften. Sie übernehmen die der Unfallverhütung di enenden Bestimmungen der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung über die Einrichtung und Benutzung der Fahrzeuge und erstrecken sie damit auch auf die außerhalb der öffentlichen Straßen verkehrenden Fahrzeuge.



Staatssekretär Dr. Seiermann
Die Fahrzeuge werden durch technische Aufsichtsbeamte der Berufsgenossenschaften und Beamte der örtlichen Gewerbeaufsichtsämter überwacht.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312706600
Eine Zusatzfrage!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0312706700
Halten Sie es für angebracht, Herr Staatssekretär, gelegentlich auch einmal auf anderen Baustellen nachzuprüfen, ob nicht auch dort solche Schrottfahrzeuge noch Verwendung finden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0312706800
Herr Abgeordneter, soweit uns Mitteilungen dieser Art, sei es unmittelbar, sei es durch die Presse, bekanntwerden, gehen wir ihnen in jedem Falle nach.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0312706900
Vielen Dank!

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312707000
Ich rufe aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen die Frage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen betreffend Überprüfung der Fernsprechgebührenordnung auf:
Ist der Herr Bundespostminister bereit, eine Überprüfung der Fernsprechgebührenordnung vorzunehmen, damit in Zukunft einmalige Leistungen der Bundespost nicht laufend mit Gebühren belegt werden?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0312707100
Auf die Frage, wie Sie sie formuliert haben, Herr Abgeordneter, kann ich ganz kurz umfassend antworten. Für einmalige, in sich abgeschlossene Leistungen sind laufende Gebühren an keiner Stelle der Fernsprechgebührenvorschriften festgelegt und werden demgemäß von der Deutschen Bundespost auch nicht erhoben.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312707200
Eine Zusatzfrage!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0312707300
Herr Minister, als was würden Sie dann die laufende Gebühr von monatlich 10 Pf ansehen, die der Fernsprechteilnehmer für einen vier Meter langen Verbindungsdraht von einer Anschlußstelle bis zum Apparat bezahlen muß, oder wie ist etwa die laufende Gebühr zu bezeichnen, die die Post für einen Telefonapparat nur deswegen erhebt, weil er eine andere Farbe hat? Ich glaube, das sind doch einmalige Leistungen, für die von Ihnen wiederkehrende Gebühren erhoben werden.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0312707400
Herr Abgeordneter, ich habe vermutet, daß Sie auf die farbigen Fernsprechapparate zu sprechen kommen würden. Besonders beliebt ist die Kritik daran, daß für die elfenbeinfarbenen Apparate mehr Grundgebühr verlangt wird als für die schwarzen Apparate. Daher habe ich auch diese Antwort vorbereitet.

(Heiterkeit.)

Die Beschaffungskosten für elfenbeinfarbige Apparate sind um 27 % höher als für Apparate in schwarzer Farbe. Wir stellen sie selbst nicht her, wir beziehen sie von der Industrie. Die monatliche Gebühr — sie beträgt 0,70 DM — wird jedoch nur zu einem Teil zur Deckung der hierdurch entstehenden Kapitalmehrkosten herangezogen werden. Der größere Teil der Gebühr wird für die höheren laufenden Aufwendungen benötigt, die von meiner Verwaltung für diese Apparate aufzubringen sind. Es sind dies zusätzliche Kosten für die Lagerhaltung von Ersatzapparaten und Ersatzteilen, durch die geringe Wiederverwendbarkeit gebrauchter Apparate schon nach kurzer Benutzungsdauer und die höheren Unterhaltungskosten insgesamt. Elfenbeinfarbige Apparate verfärben sich sehr schnell. Bei Beschädigung nur eines Teils — z. B. des Handapparates — muß der ganze Apparat ausgetauscht werden, da Farbunterschiede zwischen neuem Handapparat und gebrauchtem Gehäuse vom Teilnehmer — nach meinem Dafürhalten verständlicherweise — nicht in Kauf genommen werden. Diese Apparate sind oft schon nach wenigen Jahren des Gebrauchs so nachgedunkelt und unansehnlich geworden, daß sie bei einem anderen Fernsprechteilnehmer nicht wiederverwendbar sind. Dadurch ist die durchschnittliche Lebensdauer elfenbeinfarbiger Apparate geringer.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312707500
Letzte Zusatzfrage!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0312707600
Sprechen Ihre Ausführungen aber nicht dafür, daß eine einmalige Gebühr erhoben werden muß, und verstößt es nicht gegen betriebswirtschaftliche Grundsätze, wenn Sie eine laufende Gebühr erheben?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0312707700
Herr Abgeordneter, wenn ich den Apparat verkaufen könnte, würde ich nur eine einmalige Gebühr nehmen. Der Apparat bleibt ja im Besitz der Deutschen Bundespost. Der Apparat muß gewartet werden. Jeder Teilnehmer kann verlangen, daß bei einer auftretenden Störung — in langen Zuleitungen sind die Störungen häufiger als in kurzen Zuleitungen — oder bei Beschädigung des Apparats durch Stoß oder Wurf der Apparat ausgetauscht wird. Sie dürfen versichert sein, daß die Teilnehmer, die einen elfenbeinfarbigen Apparat haben, besondere Ansprüche auch bezüglich der Farbtönung stellen.

(Heiterkeit und Beifall.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312707800
Zusatzfrage? — Herr Abgeordneter Kreitmeyer.

Reinhold Kreitmeyer (FDP):
Rede ID: ID0312707900
Herr Bundesminister, treffen Ihre Ausführungen über elfenbeinfarbene Apparate auch für die hellgrünfarbenen Apparate in dem neuen Haus für Abgeordnete zu?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0312708000
Soweit ich informiert bin — ich hoffe, jetzt richtig zu liegen —, hat der Herr Bun-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den. 5. Oktober 1960 7303
Bundespostminister Stücklen
destagspräsident die Nebenstellenanlagen nicht von der Deutschen Bundespost bezogen, sondern von der Industrie.

(Heiterkeit.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312708100
Dort waren sie wahrscheinlich preiswerter!

(Heiterkeit und Beifall.)

Ich wollte eigentlich fortfahren, aber nachdem sich der Präsident vorschriftswidrig eingemischt hat, gebe ich das Wort zu einer Zusatzfrage dem Herrn Abgeordneten Dr. Bucher.

Dr. Ewald Bucher (FDP):
Rede ID: ID0312708200
Ich wollte gerade auf die Frage der Apparate aus der Privatwirtschaft kommen. Warum ist es dort möglich? Ich habe z. B. keinen elfenbeinfarbenen, sondern einen weinroten Apparat, der überhaupt nichts gekostet hat.

(Heiterkeit.)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0312708300
Herr Abgeordneter, wenn Sie einen weinroten Apparat haben, der gar nichts gekostet hat, dann würde ich an Ihrer Stelle sehr vorsichtig sein, das hier in Bonn als Abgeordneter überhaupt zu sagen.

(Erneute Heiterkeit.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312708400
Jetzt gehe ich weiter zur Frage der Abgeordneten Frau Dr. Dr. 1 Lüders:
Welche Sach- und Personalkosten sind durch die Umstellung der Telefonbücher auf die neue Form entstanden, und welche werden durch die Umstellung auf die alte Form entstehen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0312708500
Frau Abgeordnete, Ihre Frage bezieht isich auf die Herausgabe des umgestellten Telefonbuchs von 1960/61 und ,die Neugestaltung des Fernsprechbuchs von 1961/62. Bei der Herausgabe des Fernsprechbuchs 1960/61sind Sachkosten in Höhe von 2,4 Millionen DM erspart worden. Dafür aber mußten Personalkosten aufgewandt werden in Höhe von 1,2 Millionen DM. Da nun das neue Fernsprechbuch 1961/62 wieder umgestellt wird, fallen zwar zum tallergrößten Teil die Ersparnisse — diese 2,4 Millionen DM — wieder weg; dafür entstehen aber Personalkosten von ungefähr 1,2 Millionen DM, so daß diese Umstellung weder dem Fernsprechteilnehmer noch dem Steuerzahler noch der Deutschen Bundespost schlechthin Mehrkosten erbringt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312708600
Zusatzfrage?

Dr. Marie-Elisabeth Lüders (FDP):
Rede ID: ID0312708700
Ich habe nur die Zusatzfrage, ob wir sicher ;sein können, daß es im übernächsten Jahr nicht wieder andersherum geht.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0312708800
Ich hoffe, daß dann die Fernsprechteilnehmer mit dem Fernsprechbuch mit ausgeschriebenen Vornamen und nur mit den Abkürzungen, die amtliche Abkürzungen sind oder zumindest keinen Anlaß zu Mißverständnissen geben, zufrieden sein werden. Ich glaube, der Kundendienst der Bundespost dürfte damit seinen Abschluß gefunden haben, wenigstens ,auf .diesem Gebiet.

Dr. Marie-Elisabeth Lüders (FDP):
Rede ID: ID0312708900
Das wäre ganz wünschenswert. Das Ganze scheint mir höhere Mathematik zu sein.

(Heiterkeit.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312709000
Die Fragestunde ist beendet. Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Wahl eines Vertreters und eines Stellvertreters der Bundesrepublik Deutschland zur
Beratenden Versammlung des Europarates.
Die Fraktion ,der Freien Demokratischen Partei hat mir mitgeteilt, daß sie ,als Vertreter zur Beratenden Versammlung des Europarats an Stelle des verstorbenen Herrn Abgeordneten Dr. Becker den Abgeordneten Dr. Mende und als Stellvertreter den Abgeordneten Dr. Achenbach vorschlägt.
Meine Damen und Herren, wir haben in ähnlichen Fällen durch Handaufheben gewählt. Ich frage das Haus, ob Widerspruch gegen dieseis Verfahren erhoben wind. — Das ist nicht der Fall. Wer dem Wahlvorschlag der Fraktion ,der FDP zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen. Die Herren Dr. Mende als ordentliches Mitglied und Dr. Achenbach Las stellvertretendes Mitglied sind damit gewählt.
Punkt 3 der Tagesordnung:
Fortsetzung der ersten Beratung ,des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1961 (Haushaltsgesetz 1961) — (Drucksache 2050).
Damit wird die allgemeine Aussprache der ersten Lesung eröffnet. Ich gebe dem Herrn Abgeordneten Schoettle das Wort.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0312709100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muß ja zurückblenden auf die vergangene Woche, wo der Herr Bundesfinanzminister hier im Hohen Hause seine Rede zur Einbringung des Entwurfs eines Haushaltsplans für das Jahr 1961 gehalten hat. Daß der Haushaltsplan, den der Herr Bundesfinanzminister mit dieser Rede dem Parlament vorgelegt hat, der Haushaltsplan für ein Wahljahr ist, war sogar dieser Rede anzumerken, von der man vielleicht da und dort den Eindruck gehabt hat, daß der Herr Minister gerne sich als stärker erscheinen lassen möchte, als er tatsächlich ist. Ich meine das jetzt ohne irgendeine Art von Despektierlichkeit, sondern ganz einfach als Charak-



Schoettle
terisierung der Position, die der Bundesfinanzminister in der Regierung einnimmt.
Insbesondere als sich der Herr Bundesfinanzminister gegen Schluß seiner Einführungsrede beinahe in die hohe Sprache der Poesie verstieg, um die Erfolge seiner eigenen Finanzpolitik und der Politik seiner Regierung ganz allgemein zu feiern, war die Absicht unverkennbar, dem Wählervolk von 1961 schon heute klarzumachen, daß man von ihm am Wahltag honoriert werden möchte. Das geschah zwar in einer etwas eleganteren Weise, als wir es vom Chef der Regierung gewohnt sind, aber die Absicht war klar — eine legitime Absicht, das will ich nicht im geringsten bestreiten. Aber ebenso legitim ist es für die sozialdemokratische Opposition, das schöne, zu schöne Bild, das der Herr Bundesfinanzminister von den großen gesellschaftspolitischen Absichten und Taten entworfen hat, mit der Wirklichkeit zu konfrontieren. Ich werde das mit meinen Freunden in dieser Debatte tun.
Doch zunächst einige Bemerkungen zum Haushalt selbst. Der Herr Minister hat sich gleich zu Beginn seiner Rede gegen den Vorwurf zur Wehr gesetzt, daß der Haushaltsplan 1961 unter Verletzung gesetzlicher Vorschriften verspätet vorgelegt worden sei. Man muß sich in einer solchen Haushaltsrede auch mit diesen technischen Dingen beschäftigen; das ist unvermeidlich. Der Herr Bundesfinanzminister hat sich auf die bis zum 31. Dezember dieses Jahres geltenden gesetzlichen Vorschriften berufen. Er mag recht haben, nur soll er dabei nicht vergessen, daß seine eigene Absicht ursprünglich dahin ging, den Haushalt noch vor den Parlamentsferien vorzulegen, und daß die ursprünglichen Planungen dieses Hauses selbst von dieser Absicht des Finanzministers bestimmt waren.

(Abg. Ritzel: Sehr wahr!)

Daß dann im Schoße des Kabinetts ein langes Tauziehen veranstaltet worden ist, wobei gewisse Interessentenwünsche sicher auch mit eine Rolle gespielt haben, ist ein ziemlich offenes Geheimnis. Das hat schließlich die gute Absicht des Bundesfinanzministers und des Hohen Hauses vereitelt, den Haushaltsplan bis zum Ende dieses Jahres zu verabschieden, wie es eigentlich sein sollte; denn darum ging es doch bei der Anpassung des Haushaltsjahres an das Kalenderjahr.
In diesem Zusammenhang muß aber auch das Hohe Haus selbst eine Frage beantworten, die es sich durch die Verabschiedung des Gesetzes zur Anpassung des Rechnungsjahres an das Kalenderjahr vom 29. Dezember 1959 gestellt hat. Ich weiß: es ist jetzt zu spät, über die Fristen zu debattieren, die in diesem Gesetz festgelegt worden sind. Aber eines ist sicher: die Verabschiedung des Bundeshaushalts zum Ende des Haushaltsjahres, wie es Rechtens wäre, und seine Inkraftsetzung zum Beginn des Haushaltsjahres sind absolut unmöglich, wenn der Bundestag an seiner bisherigen Methode, Ferien zu machen, festhält.

(Zustimmung in der Mitte.)

Das muß sich dieses Haus selber einmal klarmachen.
Es hat keinen Sinn, ein Gesetz zu beschließen,
dessen Anwendung man durch die eigene Praxis unmöglich macht.

(Erneute Zustimmung in der Mitte.)

Wir werden nie in der Lage sein, den Haushalt — vom Wahljahr will ich gar nicht reden zum 1. Januar eines Haushaltsjahres in Kraft zu setzen, wenn wir an der bisherigen Methode unserer Zeiteinteilung festhalten.

(Abg. Rasner: Völlig richtig!)

Das muß ich hier sagen, nicht als Vorsitzender des Haushaltsausschusses, sondern als ein Mitglied dieses Hauses, das, wie wir alle, die Verpflichtung hat, auch die haushaltsrechtlichen Fragen korrekt zu behandeln. Die Dispositionen des Hohen Hauses müssen noch dem angepaßt werden, was wir im Gesetz festgelegt haben.
Nun zun Haushalt selbst. Sein zunächst ins Auge fallendes Merkmal ist, daß er wieder einmal um rund 3 Milliarden DM höher liegt als sein Vorgänger. Die Ressortministerien hatten offenbar überhaupt keine Vorstellung von den Grenzen des Möglichen, als sie, wie uns der Herr Minister gesagt hat, gleich 6 Milliarden DM mehr forderten als im Vorjahr. Hier scheint die so oft von den falschen Leuten am falschen Platz gerügte Maßlosigkeit eine Orgie gefeiert zu haben, und hier wenigstens hat der Herr Bundesfinanzminister einen Teilsieg verzeichnen können. Das muß man anerkennen.
Die Erhöhung des Haushaltsvolumens läßt sich verhältnismäßig leicht begreifen; denn mehr als die Hälfte der Steigerung entfällt auf den Verteidigungshaushalt, der damit eine ihm offenbar innewohnende Tendenz enthüllt, auf die wir übrigens schon immer mit Sorge hingewiesen haben, nämlich die Tendenz zum sprunghaften Anwachsen.
Ein weiterer großer Anteil am Mehrbedarf ergab sich aus Beschlüssen dieses Hauses selbst — das muß man auch anerkennend hinzufügen —, Beschlüssen, mit denen gesetzliche Verpflichtungen festgelegt wurden. Wir begeben uns — ich will nicht sagen: wir machen den Fehler; das wäre eine unzulässige Kritik — immer wieder mit unserer Gesetzgebung selber in den Bereich der Finanzpolitik und sorgen so dafür, daß während eines Haushaltjahres die Voraussetzungen, unter denen ein Haushaltsplan aufgestellt wurde, wieder mehr oder weniger angeknabbert werden. Aber das ist nun einmal so und entspricht unserer Finanzverfassung und den Ordnungen, nach denen sich die Gesetzgebung in der Bundesrepublik vollzieht. Man kann den Ausführungen des Herrn Ministers durchaus folgen, mit denen er sagt, daß es sich bei diesen Erhöhungen im wesentlichen um Leistungen für soziale Zwecke und für den Straßenbau gehandelt habe; es gibt noch einige andere, über die man debattieren könnte.
Die Landwirtschaft — ich sage hier nur Dinge, die schon bekannt sind — soll im neuen Haushalt mit insgesamt 2,8 Milliarden DM dotiert werden; das sind 288 Millionen DM mehr als im Haushalt 1960. Man weiß, daß auch hier ein gewisses Tauziehen und ein Ins-Spiel-Bringen von Interessentenwün-



Schoettle
schen eine nicht unbeträchtliche Rolle gespielt haben.
Dafür hat der Wohnungsbau 242 Millionen DM weniger bekommen. Von dem, was im Einzelplan 25 bleibt, werden genau genommen nur 80 Millionen DM für die neue Wohnungsbauförderung verwendet. Der Rest von 545 Millionen DM dient nicht neuen Wohnungsbaumaßnahmen, sondern wird gebraucht, um Bindungsermächtigungen und Vorgriffe für Wohnungsbauten abzudecken, die bereits errichtet sind. Auch das muß man sagen, um die richtige Perspektive zu bekommen.
Der Herr Bundesfinanzminister hat uns hier eine Rechnung aufgemacht, die arithmetisch stimmt. Daraus ergab sich, daß er einen Teil des Mehrbedarfs nur unterbringen konnte, wenn er an anderen Stellen Kürzungen vornahm. Man wird sich die Kürzungen bei den Beratungen im Haushaltsausschuß genau anzusehen haben, und man wird zu untersuchen haben, ob diese Kürzungen in jedem Falle sinnvoll waren. Ich will damit gar nicht irgendeine Tendenz dei Untersuchung andeuten, sondern nur feststellen, daß man nicht einfach en passant hinnehmen kann, was der Herr Bundesfinanzminister in seinem Entwurf dem Hause vorgelegt hat.
Wir werden ebenso scharf darauf bestehen müssen, daß bestimmte Aufwendungen im Bundeshaushalt in der Rangordnung den richtigen Platz erhalten. Ich nenne z. B. die Aufwendungen für Wissenschaft und Forschung. Sie haben sich gegenüber 1960 zwar um rund 111 Millionen DM erhöht, nach ) unserer Auffassung erfahren diese Aufgaben aber noch keineswegs die Förderung, die angesichts der Vernachlässigung in der Vergangenheit notwendig erscheint.

(Beifall bei der SPD.)

Dabei handelt es sich übrigens nicht nur um Versäumnisse des Dritten Reiches, wie der Herr Bundesfinanzminister angedeutet hat. Auch in unseren Tagen, im Zeichen des Wirtschaftswunders und unter der Regierung, der Herr Etzel selber seit 1957 angehört, sind gegenüber unserer kulturellen und geistigen Ausrüstung große Versäumnisse begangen worden; das kann man nicht leugnen.
Nicht uninteressant ist es, auf Grund der Tabelle im Finanzbericht 1961 festzustellen, daß unter den Ausgaben des Bundes für Wissenschaft und Forschung die wehrwissenschaftliche Forschung allein weit mehr als ein Drittel - nämlich 355 Millionen DM — beansprucht.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Wir werden noch in einem anderen Zusammenhang Gelegenheit nehmen, unsere Auffassung zu den Verpflichtungen der Bundesrepublik im Bereich der Kulturpolitik darzutun.
Ich möchte mich nun jenem Punkte zuwenden, der am Anfang aller Ausgabenpolitik steht: den Einnahmen. Der Entwurf geht von der Annahme aus, daß auch im Jahre 1961 eine Steigerung des Sozialproduktes eintreten werde. Die wissenschaftlichen Institute, die den Bundesfinanzminister beraten, sind im Mai dieses Jahres zu dem Ergebnis gekommen, daß beim Sozialprodukt eine Wachstumsrate von 6 % angenommen werden könne. Auf dieser Voraussetzung beruhen die Schätzungen des Entwurfs.
Nun hat sich in den vergangenen Jahren im Zeichen der Hochkonjunktur fast regelmäßig das gleiche Bild ergeben: das reale Steueraufkommen lag immer beträchtlich über den Schätzungen, und der Bundesfinanzminister war in jedem Haushaltsjahr in der für ihn glücklichen Lage, auf die Anleiheermächtigung im Haushaltsgesetz verzichten und den Finanzbedarf des außerordentlichen Haushalts aus Steuereinnahmen befriedigen zu können. Das geschieht nicht nur im Bundeshaushalt, sondern — wie ich gleich hinzufügen will — auch auf der Länderebene. Wir wissen vom Lande Nordrhein-Westfalen, daß es seit Jahren nie eine Anleihe aufgenommen hat, sondern seinen außerordentlichen Haushalt immer aus den beträchtlichen Steuermehreingängen decken konnte, die dann diesem außerordentlichen Haushalt zugeflossen sind.
Hier ist etwas nicht in Ordnung. Das Verfahren, das der Herr Bundesfinanzminister angewendet hat, stützt sich auf das geltende Haushaltsrecht. Dieses Haushaltsrecht verpflichtet und berechtigt den Bundesfinanzminister, überplanmäßige Einnahmen zur Verminderung des Anleihebedarfs, also praktisch zur Bedienung des außerordentlichen Haushalts zu verwenden. Die Überschreitung der Einnahmeansätze durch das tatsächliche Steueraufkommen hat aber solche Formen angenommen, daß der Sinn der erwähnten Vorschrift des Haushaltsrechts völlig ausgehöhlt und dadurch eine Art Nebenhaushalt etabliert worden ist, bei dessen Gestaltung das Parlament weitgehend nicht mitwirkt. Der Finanzminister hat durch diese Entwicklung ein Instrument des Haushaltsvollzugs erhalten, an das die Verfasser der RHO nicht gedacht haben. So war es ganz bestimmt nicht gemeint.
Für 1961 ist schon ganz allgemein die Auffassung verbreitet, daß die Wachstumsrate des Sozialprodukts nicht unbeträchtlich über den angenommenen 6 % liegen und daß sich damit der Vorgang früherer Jahre wiederholen werde. Der Herr Finanzminister hat zwar angekündigt, daß in allernächster Zeit eine nochmalige Überprüfung der Schätzungen erfolgen werde. Wir möchten heute gar nicht darauf drängen, daß die Einnahmeansätze des Entwurfs erhöht werden, weil wir glauben, daß das nicht sinnvoll wäre, ganz egal, was die Sachverständigen hinsichtlich der Steigerung des Sozialprodukts im Jahre 1961 ermitteln. Wir möchten vielmehr von dem auf die Dauer unhaltbaren Zustand wegkommen, daß sich auf dem Wege über die Steuermehreinnahmen ein „Nebenhaushalt" -- übrigens nach des Herrn Bundesfinanzministers eigenen Worten — auftut und daß wiederum die Gelegenheit geschaffen wird, im Vollzug des Haushalts eine Wirklichkeit zu erzeugen, die mit dem Haushalt auf dem Papier nur entfernte Ähnlichkeit hat.

(Beifall bei der SPD.)

Vielmehr glauben wir, daß der Bundesfinanzminister verpflichtet werden sollte, mit den Mehreinnahmen, die erwartet werden können, eine Finanzpolitik zu machen, die wirklich den Namen „antizyklisch"



Schoettle
verdient — eine Bezeichnung, mit der heute so oft
gespielt wird, ohne daß sie einen wirklichen Inhalt bekommt.
Trotz vieler Worte in der Rede des Herrn Bundesfinanzministers über das Thema „antizyklische Finanzpolitik" können wir nämlich in seiner Praxis nicht sehr viel davon entdecken.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Der Verzicht auf die Inanspruchnahme des Kapitalmarkts allein, den der Herr Finanzminister für eine Tugend hält, ist in Wirklichkeit das genaue Gegenteil und im Rahmen einer recht verstandenen antizyklischen Finanzpolitik gar nicht zu verantworten.
Daß man gewisse Voraussetzungen schaffen muß, um den Kapitalmarkt in Anspruch nehmen zu können, ist unter uns allen gar nicht zu diskutieren; aber das Prinzip, das jetzt strapaziert wird, muß von uns attackiert werden. Denn dieser Verzicht auf die Inanspruchnahme des Kapitalmarkts überläßt den Kapitalmarkt uneingeschränkt der privaten Wirtschaft, für die weit eher das Wort von der Konjunkturüberhitzung — auch wieder natürlich ohne Verallgemeinerung — gilt als für die öffentliche Hand, der man sehr häufig zu Unrecht, wie wir meinen, vorwirft, daß sie durch ihr Verhalten zur Konjunkturüberhitzung beitrage. Wenn man öffentliche Bauten ins Auge faßt, die gelegentlich zum Beweis herangezogen werden, dann könnte man übrigens sagen, daß in diesem Punkte sogar die als Hüter der Währung und als Vorkämpfer gegen die Konjunkturüberhitzung angesehene Bundesbank selber im Glashaus sitzt und gelegentlich mit Steinen beworfen werden könnte.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Wir könnten hier im Rheinland Beispiele dafür suchen. Das nur nebenbei!
Wir sind der Meinung, daß die zu erwartenden Mehreinnahmen im Bundeshaushalt in einer Weise neutralisiert werden müssen, die weder ihre Stillegung noch ihre Vernichtung bedeutet. Sie sollen nicht zur Befriedigung der Bedürfnisse des außerordentlichen Haushalts verwendet werden, über dessen Aufbau, Zweck und Notwendigkeit noch in einem anderen Zusammenhang etwas zu sagen wäre. Sie sollten vielmehr für wirklich langfristige Investitionen von nationaler Bedeutung eingesetzt werden, wie zum Beispiel — und das sind langfristige Investitionen von nationaler Bedeutung — für die großzügige Ausgestaltung unseres Bildungswesens

(Sehr richtig! bei der SPD)

oder für die Verwirklichung des von vielen Seiten so sehr begrüßten Goldenen Planes für die Volksgesundheit, den die Deutsche Olympische Gesellschaft ausgearbeitet hat. Die begeisterten Zustimmungen zu diesem Plan, die man auch aus dem Munde von hohen und höchsten Würdenträgern aus dem Kreise der gegenwärtigen Regierung hören konnte, haben im Haushalt 1961 nicht den geringsten materiellen Niederschlag gefunden.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Auch die Entwicklungshilfe, von der jetzt so viel auf jeder Ebene die Rede ist, könnte aus solchen
Quellen mit gespeist werden, und sie könnte, wenn man sich noch dazu verstünde, die Mittel des ERP-Sondervermögens heranzuziehen, jene „ideale Lösung" der Aufgabe bedeuten, die uns als Volk mit der Hilfe für die Entwicklungsländer gestellt ist, nämlich in den Ländern, denen wir helfen, nicht nur Verständnis, Zuneigung und Bindungen unserem eigenen Volk gegenüber zu schaffen, sondern mitzuhelfen, daß diese Länder die neue Form ihrer Existenz finden durch die Schaffung der Grundlagen für wohlfundierte, freie, demokratische Ordnungen. Das ist eine Aufgabe, die uns gestellt ist, gerade uns, die wir ja durch unsere eigene Geschichte über ein so reiches Maß an schmerzlichen Erfahrungen verfügen.
Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Rede vom Freitag die Formen der Entwicklungshilfe, wie sie jetzt in der Bundesrepublik praktiziert wird, als die ideale Lösung bezeichnet. Er muß uns schon gestatten, daß wir in diesem Punkte anderer Meinung sind. Ich vermute sehr, daß ihm dabei, wie auch an anderen Stellen in seiner Rede, der Pegasus der Wahlpoesie davongaloppierte.

(Beifall bei der SPD.)

Donn es ist nicht zu übersehen, daß die Leistungen der Bundiesrepublik im Bereich der Entwicklungshilfe zu einem ganz erheblichen Toil darin bestehen, mit Hilfe von Bürgschaften private Geschäfte und Unternehmungen zu fördern.
Wenn ich nicht ganz falsch orientiert bin, dann ist übrigens dem Herrn Bundeswirtschaftminister bei seinem kürzlichen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten, von wo er ja nur mit einer Zwischenlandung gleich wieder in den Mittleren Osten abgereist ist, —

(Zuruf von der SPD)

— Wirtschaftspolitik iauf Reisen! — sehr nachdrücklich bedeutet worden, daß man dart von der Bundesrepublik erwarte, idaß ihr iseinerzeit von den USA gewährte Marshallplan-Starthilfe jetzt in geeigneter Form an die Entwicklungsländer weitergegeben werde;

(Beifall bei der SPD)

und hier, glaube ich, sind sehr ernsthafte Überlegungen notwendig, Überlegungen, die auch in den Bereich der Konjunkturpolitik gehören und ausgezeichnet dort hineinpassen.
Meine politischen Freunde in diesem Hause haben übrigens vor einer Woche in dieser Richtung Vorschläge gemacht, die einerseits der Konjunkturdämpfung und andererseits der Verstärkung der Entwicklungshilfe dienen sollen. Ich erwähne aus diesen Vorschlägen nur die folgenden.
Da soll einmal das konjunkturbedingte Mehraufkommen an Steuern neutralisiert werden. Wie es getan werden könnte, davon habe ich schon gesprochen.
Zum andern sollen die vom Bund ausgeschütteten Subventionen überprüft und reduziert werden. Dazu ein Wort. Dem Herr Bundesfinanzminister hat gerade auf .diesem Gebiet trotz großer Hoffnungen, die sein mutiger Vorstoß baim Haushalt 1959 erweckte,
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, der. 5. Oktober 1950 7307
Schoettle
bisher kaum etwas Ernsthaftes getan. Ob ihm das zum Vorwurf gereicht, ist eine, andere Frage. Man kann da ,sehr wohl auch die Hintergründe untersuchen. Wir werden auf jeden Fall in dieser Richtung weiterstoßen und dafür eintreten, daß der Herr Bundesbeauftragte für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung und in Personalunion, Präsident des Bundes rechnungshofes, sich gutachtlich zu Umfang, Wesen und Abbaumöglichkeiten dier Subventionen im Bundeshaushalt äußert, damit wir endlich einmal ,auf diesem Gebiet Boden unter ,die Füße bekommen. Denn bisher wird davon geredet, ohne daß überhaupt der Umfang und der Begriff der Subventionen ganz geklärt sind.
Abs Drittes schlagen meine Freunde vor, daß die Verwendung der ERP-Mittel überprüft wird, und zwar in dem Sinne, den sich oben ,angedeutet habe.
Viertens sollen Mittel für die Entwicklungshilfe auch durch öffentliche Anleihen aufgebracht werden. Darüber muß man reden.
Fünftens sollten auch Steuermittel dafür eingesetzt werden, damit die aus den bereits genannten Quellen aufgebrachten Kapitalien auf zwei bis drei Milliarden aufgestockt werden können.
Wir werden jedenfalls den Kampf für die Verwirklichung dieser Vorstellungen in diesem Hause mit aller Entschiedenheit aufnehmen.

(Beifall bei der SPD.) Das kann ich heute schon ankündigen.

Den antizyklischen Reden sollten solche Taten folgen, die nicht nur eine bremsende Wirkung auf die Konjunktur, sondern auch eine positive Wirkung für unsere innere Gesundung und unser Ansehen nach draußen haben werden.

(Zustimmung bei der SPD.)

Der Finanzminister hat sich in seiner Haushaltsrede übrigens zur Einheit von Wirtschafts- und Finanzpolitik bekannt. Ein schönes Wort! Es wäre interessant zu erfahren, worin diese Einheit besteht. Aus seiner Rede selber und aus der Praxis können wir darüber nicht so ganz Aufschluß gewinnen. Nicht nur wir, sondern auch viele der gegenwärtigen Regierung durchaus wohlgesinnte Leute haben in zunehmendem Maße den Eindruck, daß von einer solchen Einheit wenig zu spüren ist, ja, daß die Fäden der bundesrepublikanischen Finanz-und Wirtschaftspolitik überhaupt weit weniger in den Händen der dafür zuständigen Minister als vielmehr in der greisen, aber zupackenden Hand jenes Mannes liegen, zu dem die Interessenten hoffnungsfroh wallfahren,

(Beifall bei der SPD)

wenn sie ihre Wünsche und die damit verbundenen Wahlhilfen oder Wahlstimmen ins Spiel bringen möchten. Wenn ein so braves Organ wie die „Frankfurter Allgemeine" in diesen Tagen einen geradezu sensationellen Artikel zu dem Thema Konjunkturdämpfung mit dem Satz beginnt: „Die bundesrepublikanische Wirtschaftspolitik befindet sich augenblicklich in einem Zustand völliger Konfusion", so ist das sicher mehr als eine brillante journalistische Redewendung, es ist ein Schrei der Verwaltung, den nicht nur die „Frankfurter Allgemeine", ausstößt, sondern den auszustoßen viele, viele andere geneigt sind und der signalisiert, an welchem Punkt wir eigentlich halten. Der strahlende Optimismus, den der Herr Bundesfinanzminister in seiner wahlpolitischen Hymne auf die Erfolgsbilanz der Regierung an den Tag legte, paßt nicht sehr gut dazu.
Ich möchte noch einmal auf den Beginn dieser Überlegung — Einheit von Finanz- und Wirtschaftspolitik — zurückkommen, und zwar jetzt in einem durchaus unpolemischen Sinn. Der Bundesfinanzminister hat mit der Vorlage des Entwurfs eines Haushaltsplans für 1961 eine begrüßenswerte Neuerung verbunden. Die bisherigen „Vorbemerkungen" zum Haushaltsplan haben sich in einen „Finanzbericht" verwandelt. Sie haben ihn alle. Es ist jenes gelbe Heft, das wir in diesen Tagen bekommen haben. Nach dem Grünen Bericht haben wir nun also auch einen Gelben Bericht, der auch seinem Inhalt nach nicht nur eine interessante Lektüre, sondern ein beachtenswertes Studienobjekt für finanz- und haushaltspolitische Fragen darstellt. Ich kann ihn zur Lektüre durchaus empfehlen. Wir begrüßen diese Neuerung und wünschen uns zur Ergänzung dazu nur noch einen blauen oder sonstwie, aber nicht rosarot, gefärbten Wirtschaftsbericht, der den Sektor der industriellen Wirtschaft genauso eingehend analysiert und durchleuchtet, wie das im Bereich der Finanzwirtschaft im wachsenden Umfange geschieht. Dann hätten wir alle Grundlagen jener volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, die nach einem vor einigen Jahren erstatteten Gutachten der wissenschaftlichen Beiräte zum Instrumentarium moderner Finanz- und Wirtschaftspolitik gehört, auf das nicht verzichtet werden kann. Man ist im Bereich der Bundesregierung in dieser Hinsicht offenbar etwas bescheiden.
Der Finanzbericht 1961 enthält übrigens, wie ich bei einem freilich noch nicht sehr gründlichen Durchblättern festgestellt habe, neben einer Fülle guten und wertvollen Materials sehr interessante und, wie ich glaube, auch praktikable Überlegungen zum Thema Umbau des Haushalts und zur Frage „Außerordentlicher Haushalt — ja oder nein?". Ich habe allerdings nicht den Eindruck, daß das Bundesfinanzministerium jetzt schon über die theoretischen Betrachtungen hinausgekommen ist. Eigentlich wäre es dazu höchste Zeit, genauso wie es inzwischen längst höchste Zeit geworden ist, das Haushaltsrecht, von dem alle wissen, daß es unseren Erfordernissen nicht mehr entspricht, endlich zu reformieren. Aber das ist ein Satz, den ich in jeder Haushaltsrede gesagt habe, und es fällt einem nachgerade etwas schwer, ihn noch einmal auszusprechen.
Ein Blick auf den außerordentlichen Haushalt — und damit komme ich auf den Punkt zurück — in dem vorliegenden Entwurf zeigt, daß man sich doch sehr wenig an die eigentliche Funktion des außerordentlichen Haushalts gehalten hat. Es gehört ganz sicher nicht zu den Aufgaben des Extraordinariums, daß seine Ansätze zur Neudeckung von Haushaltsresten des ordentlichen Haushalts herangezogen
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werden, wie dies mit annähernd 600 Millionen DM für den Verteidigungshaushalt geschehen ist. Schließlich ist der außerordentliche Haushalt seinem Wesen, der Funktion nach, die er im Rahmen der Haushaltsordnung hat, dadurch gekennzeichnet, daß er keine Deckung hat, es sei denn durch Anleihen. Man kann also doch nicht etwas zur Neudeckung von Ansätzen verwenden, was praktisch noch in der Luft schwebt oder gar nicht vorhanden ist.
Überhaupt ist die Frage aufzuwerfen, ob der außerordentliche Haushalt unter den heutigen Verhältnissen noch seine Berechtigung hat. Wir werden diese Frage an anderer Stelle vertiefen müssen. Aber sicher ist: wenn wir auch nicht vollständig zu jener Form des Haushalts übergehen können, die man den Funktionenhaushalt nennen könnte, wie er da und dort für richtig gehalten wird, so müssen wir doch zu einer klaren Trennung von regulären Ausgaben der Staatsverwaltung mit all dem Drum und Dran und Investitionsaufwendungen gelangen, damit man einen Überblick darüber bekommt, was die öffentliche Hand an Investitionen tatsächlich vornimmt. Diesen bekommt man jetzt nur auf un- zulängliche Weise dadurch, daß man sich in dem dem Gesamtplan angehängten Funktionenhaushalt zurechtfindet. Ich glaube, daß man in dieser Hinsicht in absehbarer Zeit einmal den ersten Schritt tun muß und nicht immer nur davon reden sollte.
Betrachtet man den Haushaltsentwurf im Ganzen, so begegnet einem wieder das, was wir auch bei früheren Haushalten schon immer festgestellt haben. Ich sage das ohne kritischen Akzent. Ich meine den großen Umfang der durch Gesetz und Rechtsverpflichtungen festgelegten Ausgabenblöcke. Natürlich sind es nicht immer nur Rechtsverpflichtungen, sondern auch politische Überlegungen, die zum Einfrieren, zur Erstarrung bestimmter Haushaltspositionen führen. Es bleibt auch gegenüber diesem Entwurf wahr, daß rund 80 % der gesamten Ausgaben auf diese Weise eingefroren sind.
Der Herr Bundesfinanzminister hat vier Blöcke von Ausgaben unterschieden, die diese insgesamt 80 % der Gesamtausgaben umfassen. Er hat sie auf seine Weise gruppiert, hinsichtlich deren wir nicht mit ihm übereinstimmen, wenn er von den Sozialausgaben im weiteren Sinne sprach und sie mit 17,7 Milliarden bezifferte, also rund 39 % des gesamten Haushalts, wogegen er den Verteidigungshaushalt stellte, mit insgesamt 12,4 Milliarden, rund 28 %, die Verkehrsausgaben mit 3,7 Milliarden, d. h. 8 %, und die Aufwendungen für die Landwirtschaft mit 2,8 Milliarden und 6 %.
Im Finanzbericht war man etwas ehrlicher und ist den dauernden Beschwerden von unserer Seite insofern etwas entgegengekommen, als man die Sozialausgaben im engeren Sinne errechnete und sie mit etwa 12 Milliarden auswies. Das sieht schon besser aus und kommt der Wahrheit näher. Ich glaube, wir haben es doch gar nicht nötig, immer wieder dasselbe Zahlenjonglieren zu veranstalten. Es wäre doch viel besser, wenn man endlich dazu überginge, die wirklichen Schwerpunkte im sogenannten Sozialhaushalt als das zu kennzeichnen, was sie wirklich sind, nämlich als Kriegsfolgeleistungen und gar nichts anderes.

(Beifall bei der SPD.)

Denn weder die Kriegsopfer noch die Empfänger von Lastenausgleichsleistungen sind dem Sozialhaushalt im engeren Sinne zuzurechnen. Erst durch diese Leistungen haben die davon Betroffenen wieder ihren Platz in der Gesellschaft und die Grundlage ihrer künftigen Existenz erhalten. Das war etwas anderes als eine sozialpolitische Maßnahme.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Die Leistungen an sie sind also Folgen des Krieges. Es wäre sogar politisch auch im Verhältnis zu unseren Verbündeten und ihren Wünschen an deutsche Leistungen sehr viel klüger, wenn wir endlich diese Schwerpunkte unserer Belastung ohne Rücksicht auf innerpolitische Propagandabedürfnisse und ohne Zahlengaukelei in ihrem wahren Charakter und Ursprung darstellten.

(Beifall bei der SPD.)

Herr Bundesfinanzminister, was sollen denn in diesem Zusammenhang die Zahlenspielereien mit den 37 Milliarden Sozialaufwand im Ganzen und mit den 1440 DM pro Kopf der Bevölkerung? Es ist doch einfach wahr, daß zwei Drittel von diesen Leistungen von den Versicherten selber aufgebracht werden.

(Beifall bei der SPD.)

Man kann doch nicht einfach diese Leistungen dem Bundesfiskus als eine Blume im eigenen Leistungsbukett an den Hut stecken. Das ist doch nicht möglich, das ist doch nicht ehrlich.

(Beifall bei der SPD.)

Der große Block Verteidigungskosten erfordert vom Standpunkt der Opposition ebenfalls einige allgemeine Bemerkungen. Für ihn gilt, was wir für alle anderen Haushaltspositionen fordern: er muß genauso gründlich auf seine Zusammensetzung, auf die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit seiner Ansätze untersucht werden wie alle anderen Einzelpläne. Es darf kein Tabu Gehen. Gerade wenn man grundsätzlich die Aufwendungen für die Verteidigung des Landes und der Freiheit billigt, muß man auch die Freiheit haben, die Maßnahmen und Absichten, die die Regierung dafür vorsieht, kritisch zu prüfen.
Was ich damit meine, will ich an einem einzigen Beispiel illustrieren. Der Verteidigungsminister betreibt seit geraumer Zeit die Erlaubnis zum Bau größerer Schiffstypen für die Bundesmarine. Der Herr Kollege Heye, dem man als ehemaligem Admiral eine gewisse Sachkenntnis nicht absprechen kann, ist der Ansicht, daß solche Typen für die Gebiete, in denen die Bundesmarine operieren muß, untauglich seien. Eine solche Frage und die darauf beruhenden Programme müssen Gegenstand der Beratungen sein. Etwaige finanzielle Erleichterungen, die sich aus der Entscheidung ergeben können, sollten sich im Gesamtumfang des Einzelplans 14 ebenso niederschlagen wie umgekehrt auch Entscheidungen, die einen materiellen Mehrbedarf ergeben.

Schoettle
Die Höhe dieses Einzelplans darf nicht einfach für tabu erklärt werden. Das gilt für den ganzen Bereich der Verteidigung, für die Personalpositionen ebenso wie für die Organisation. Auch hier ist keineswegs jenes Maß von Zwangsläufigkeit und Unausweichlichkeit vorhanden, das zur Rechtfertigung bestimmter Geldforderungen gern ins Feld geführt wird. Sowenig ich den Bund der Steuerzahler als unbestrittene Autorität in Sachen öffentlicher Haushalte anerkenne, sosehr möchte ich mit ihm übereinstimmen, wenn er in seiner Einzeldarstellung Nr. 56 zum Verteidigungshaushalt sagt: Auch die Bundeswehr soll sparen. Ich glaube, das ist ein Prinzip, das man, ohne in den Verdacht zu geraten, irgendwelche anderen Absichten zu haben, auch auf den Bundesverteidigungshaushalt anwenden kann und muß.
Apropos Sparen, meine Damen und Herren! Wir halten dafür, daß der Bundeshaushalt 1961 durchaus noch Möglichkeiten zum Sparen, d. h. zur Verminderung von Ausgaben, bietet. Ohne allzu sehr in Details zu gehen, möchte ich einige Punkte berühren, von denen wir glauben, daß man Einsparungsmöglichkeiten ernsthaft in Erwägung ziehen muß.
Da sind z. B. die Personalanforderungen. Nicht alles, was zu ihrer Rechtfertigung vom Herrn Bundesfinanzminister gesagt worden ist, kann ohne weiteres akzeptiert werden. Wir Sozialdemokraten haben nie den sturen Standpunkt vertreten, daß es überhaupt keine Personalvermehrungen geben dürfe, weil wir immer der sachlichen Prüfung den Vorzug vor der bloßen Optik der Sparsamkeit geben. Ich glaube, daß die Herren, die im Haushaltsausschuß die Regierung vertreten, davon gelegentlich Beispiele bekommen haben, daß wir gerade bei Personalanforderungen immer einen absolut sachlichen Maßstab angelegt haben, häufig im Gegensatz zu den Vertretern der Regierungsparteien.

(Zurufe von der CDU/CSU: Na, na! — Umgekehrt!)

— Häufig im Gegensatz zu den Vertretern der Regierungparteien, Herr Kollege Vogel! Ich bin bereit, den Beweis anzutreten. Aber, meine Damen und Herren, das Parlament muß sich gegenüber den Wünschen der Bürokratie ein gesundes Maß von Mißtrauen bewahren, wenn es für eigene Entscheidungen überhaupt noch Spielraum haben will.
Nicht jede neue Stelle kann wirklich damit begründet werden, daß neue Aufgaben zu bewältigen seien. Manches, was so im Laufe der Zeit auftaucht, wird als neue Aufgabe deklariert und dann als Rechtfertigung für Personalwünsche angesehen.

(Abg. Dr. Vogel: Sehr wahr!)

Nicht alles, was so aussieht, ist wirklich eine neue Aufgabe, und nicht überall in den Ressorts ist der ernste Wille zu spüren, rationell zu wirtschaften, auch was den Einsatz des Personals betrifft,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

oder Verwaltungsaufgaben, die gar nicht ins Ministerium gehören, nachgeordneten Verwaltungsbehörden zu übertragen.
Auf diesem Gebiet gibt es eine ganze Litanei von Beschwerden.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Ich will nur einen Punkt herausgreifen. Man kann sich durchaus vorstellen, daß die Bemühungen um eine Vereinfachung des Steuerwesens beschleunigt werden und dadurch die Personalvermehrung bei der Finanzverwaltung des Bundes und der Länder verhindert wird. Man muß nur endlich einmal an die Geschichte herangehen und darf nicht immer nur davon reden.
Es wäre auch ein Akt der Sparsamkeit, wenn ein Ministerium, das seine Schaffung nur der Koalitionsarithmetik und keiner sachlichen Notwendigkeit verdankt, endlich aufgelöst würde, nachdem der Amtsinhaber sich aus seiner bisherigen Partei in den Schoß der CDU geflüchtet hat.

(Beifall bei der SPD.)

Ich meine das Ressort des Herrn von Merkatz, für ,den Beschäftigung zu finden sichtbare Schwierigkeiten bereitet.

(Heiterkeit bei der SPD.)

Ich habe damit den Katalog der Möglichkeiten zur Sparsamkeit keineswegs ausgeschöpft. Wir werden bei den Beratungen im Haushaltsausschuß in diesem Sinne Vorschläge zu allen Einzelplänen machen, bei denen wir glauben, sachliche Gründe für Sparmaßnahmen zu haben, z. B. auch bezüglich der Bauabsichten, die bei Bundesregierung, Bundesanstalten und Bundesbehörden bestehen. Man wird untersuchen müssen, ob es sich dabei in allen Fällen um absolut notwendige Vorhaben handelt oder um solche, mit denen ebensogut noch gewartet werden kann.
Schließlich wird zu prüfen sein, in welchem Umfang die Bindungsermächtigungen nötig sind, die stets wie eine dunkle Wolke über den Haushalten liegen und auch die Eigenschaft einer solchen Wolke haben, nämlich die Durchsichtigkeit und Klarheit des Haushalts zu verdunkeln und zu vernebeln.
Nun noch einige Bemerkungen zu Einzelfragen!
Uns gefällt nicht die sehr stiefmütterliche Behandlung des Bundesverfassungsgerichts im Bundeshaushalt. Dieses höchste Gericht der Bundesrepublik, das für unser Verfassungsleben so wichtig und im Aufbau unseres Staates so repräsentativ ist, ist weder seiner Unterbringung nach noch nach der Höhe der Ausstattung mit Repräsentationsmitteln richtig gestellt. Die Unterbringungsfrage haben wir kürzlich in einer Fragestunde abgehandelt. Die Lösung scheint freilich — zu unserem Bedauern — noch längere Zeit zu erfordern. Die Mittel, die dem sicher sehr sparsamen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtshofs zur Verfügung stehen, sind so gering, daß schon im Haushaltsjahr 1961, in das bekanntlich die Feier des 10jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts fällt, etwas getan werden muß, damit das Bundesverfassungsgericht auch die repräsentativen Aufgaben, die es hat, erfüllen kann. Wie gesagt, das ist eine Einzelheit, über die wir im Haushaltsausschuß reden müssen. Ich möchte sie aber hier zur Sprache gebracht haben, weil ich glaube, daß dem Gegenstand selber ein solches inneres Gewicht zukommt, daß davon auch hier zu reden ist.



Schoettle
Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Rede eine Anderung der Haltung der Bundesregierung zur Frage der Leistungen des Bundes an die Länder für die Wohnungsbauprämien angedeutet. Da ist vieles im argen, und er hat selber zugegeben, daß in einigen Ländern die zur Verfügung stehenden Mittel nicht mehr dazu ausreichen, den Bedarf zu decken. Daß er aber eine nur 50 %ige Bundesbeteiligung in Aussicht gestellt hat, entspricht weder der tatsächlichen Lage bei den Ländern, noch wird er damit dem Rechtsursprung dieser Prämien gerecht. Sie beruhen ja schließlich auf der Bundesgesetzgebung.
Ferner hat es mir eine Bemerkung des Herrn Bundesfinanzministers angetan, die er zum Grünen Plan gemacht hat. Sie war so recht typisch für den Unterschied zwischen den oft verkündeten guten Vorsätzen und der Praxis, die aus politischen Gründen der besseren Einsicht häufig den Weg versperrt. „Nach meiner Meinung", so sagte Herr Etzel am Freitag, „sollte der Schwerpunkt der Staatshilfe bei den strukturverbessernden Maßnahmen liegen." Aber die Meinung des Herrn Bundesfinanzministers scheint gerade bei Einzelplan 10, zu dem er diese Bemerkung gemacht hat, nicht besonders schwer zu wiegen. Er hatte seinerzeit seine Tätigkeit mit einigem Mut begonnen, als er auf die zweifellos hohen Subventionen, z. B. die Düngemittelsubvention, und auf die bedenklichen finanziellen Folgen des unter dem Schutz einer mißbrauchten Marktordnung AmMarkt-Vorbeiproduzierens hinwies und mehr gezielte Maßnahmen forderte. In diesem Jahr hat er sich mit der eben erwähnten Formulierung begnügt, und als er das sagte, stand schon fest, daß auch diesmal wieder alle Mittel zur Strukturverbesserung der Landwirtschaft nicht im Haushaltsplan stehen, sondern in den Grünen Plan verschoben werden, wo sie bisher noch immer gegenüber den Subventionen viel zu kurz gekommen sind, wie es den Forderungen der Grünen Front entspricht. Der Herr Bundesfinanzminister wußte auch schon, daß in diesem Jahr die Einfuhr- und Vorratsstelle wieder Getreide aufnimmt, von dem sie weiß, daß es nur unter großem Verlust und mit Exportsubventionen wieder loszuwerden ist. Für diese Art von Geschäften oder versteckten Subventionen sind dieses .Jahr

(Zuruf des Abg. Brese)

— Herr Brese, sie können dazu reden — wieder erhebliche Mittel, nämlich 84 Millionen DM, offen und ein ungenannter Betrag versteckt im Haushalt ausgewiesen. Ob es sich bei der angekündigten Erhöhung der Mittel für den Grünen Plan diesmal um eine Verstärkung der wirksamen Maßnahmen zur Strukturverbesserung oder nur wieder um eine Umbuchung zwecks Augenauswischerei handelt, ist bei der Methode, mit der der Einzelplan 10 auch diesmal wieder verschleiert wird, noch nicht zu sehen.
Zu der Aufstellung des Haushaltsentwurfs gehört auch die Voraussicht auf Dinge, die auf den Haushalt zukommen. Natürlich wird kein Finanzminister alle Eventualitäten in Rechnung stellen können. Das ist klar, das verstehen wir auch. Aber für den Haushalt 1961 hätte mindestens zum Beispiel daran gedacht werden müssen, eine Verbesserung der Beamtenbesoldung vorsorglich auch im Etat einzuplanen.

(Beifall bei der SPD.)

Die Regelung, die wir in der ersten Hälfte dieses Jahres in diesem Hause beschlossen haben, ist keineswegs genügend gewesen. Es muß auch von der Bundesregierung erwartet werden, daß sie begreift, daß in sehr naher Zeit diese Frage erneut auftauchen wird und dann einer befriedigenden Lösung zugeführt werden muß.

(Beifall bei der SPD.)

Dann erst erhält die Bemerkung des Herrn Bundesfinanzministers, daß die Bundesregierung um ihre Fürsorgepflicht für ihre Beamten wisse, einen realen Inhalt.

(Zustimmung bei der SPD.)

Zu den steuerpolitischen Ausführungen in der Rede des Herrn Bundesfinanzministers möchte ich mich nicht im einzelnen äußern. Das wird zu seiner Zeit und durch meine Freunde geschehen, die auf diesem Gebiete sachverständiger und zuständiger sind als ich. Zu gewissen Fragen, die insbesondere die Gemeinden und ihre Finanzprobleme berühren, wollen wir heute schon bei dieser Debatte Stellung nehmen. Das wird mein Fraktionskollege Heiland noch im Laufe der Debatte besorgen. Von mir aus nur soviel: Steuersenkungen sollten trotz des Herannahens des Wahltermins im Zeichen der Hochkonjunktur besonders vorsichtig angefaßt werden. Sie sollten nicht als Wahlspeck benutzt werden.

(Sehr richtig!)

Man hört übrigens auch von Steuerplänen nicht aus dem Munde des Finanzministers, sondern aus der Kulisse der CDU/CSU-Fraktion, die in anderer Richtung gehen. Da ist z. B. die Rede von progressiver Körperschaftsteuer und von progressiver Vermögensteuer. Man muß wohl abwarten, was sich da an wirklichen Absichten auch im Hinblick auf die Wahlen noch enthüllen wird.
Wir möchten aber heute schon dazu sagen: Denken Sie, wenn Sie an Steuern denken, auch daran, daß steuerliche Maßnahmen unter Umständen unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten zu sehen sind und nicht nur unter dem Gesichtspunkt, wie man einigen Personengruppen, die man besonders liebt oder umwirbt, vor den Wahlen Vorteile verschaffen kann. Denken Sie z. B. an den gespaltenen Körperschaftsteuersatz, der wieder beseitigt werden sollte. Bei seiner Einführung hat die Bundesregierung den Ausfall auf 420 Millionen DM geschätzt. Heute wissen wir, daß im Jahre 1959 der Ausfall allein in Nordrhein-Westfalen zwischen 300 und 400 Millionen DM lag.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Hier liegt nach unserer Meinung noch etwas drin, auch konjunkturpolitisch.
Nun muß ich mich schließlich noch jenem Teil der Rede des Herrn Bundesfinanzministers zuwenden, die er in seinem Manuskript unter den Titel „Gesellschaftspolitische Ziele der Finanzpolitik" ge-



Schoettle
stellt hat. Meine Damen und Herren, ich muß mich in diesem Punkte konzentrieren. Ich habe keinen Staatssekretär, der mir den theoretischen Teil meiner Reden liefert; ich muß das selber tun.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch nicht! — Abg. Niederalt: Das müssen wir alle!)

— Da sitzen wir alle im gleichen Boot, Herr Kollege Niederalt. Das bestimmt natürlich Form und Inhalt unserer Reden, auch ,der Ihren.

(Abg. Niederalt: Das stört aber weiter nicht!)

Diese Passagen unter ,dem Titel „Gesellschaftspolitische Ziele .der Finanzpolitik" waren just die Passagen, bei denen die Regierungsmehrheit aufwachte, die Ohren spitzte und die Fanfaren des Wahlkampfes vernahm.

(Beifall bei :der SPD. — Abg. Niederalt: Wir haben von Anfang an .aufgepaßt!)

— Ich hatte nicht den Eindruck, Herr Kollege Niederalt. Vielleicht Sie, aber das Gros Ihrer Fraktion war doch ,den ersten Ausführungen gegenüber ziemlich unbeteiligt und begann erst .aufzumucken, als man merkte: Jetzt kommt Pfeffer in die Geschichte. Es hat lange gedauert.
Mir erging es an dieser Stelle etwas anders. Ich glaubte beinahe zu träumen, ,als ich Worte wie „neue Gesellschaft" und „in sich gerechtere Gesellschaftsordnung" und ähnliche hörte. Ich :stand beinahe unter dem Eindruck, Zitate aus ,dem Godesberger Grundsatzprogramm der Sozialdemokratie zu hören.

(Beifall bei der SPD. — Lachen unid Zurufe bei der CDU/CSU.)

Als ich dann wieder zu mir kam, merkte ich, daß es .der Herr Bundesfinanzminister in ,der von der CDU/CSU getragenen Regierung war.

(Abg. Niederalt: Sie haben ja in Godesberg so viel abgeschrieben! Das war es!)

— Darüber können wir hier auch noch reden. —Als ich wieder zu mir kam, entdeckte ich, daß es der Finanzminister derselben CDU/CSU war, von der Ihr Bundeswirtschaftsminister in .einem unbewachten Augenblick, wie wir heute wissen, erklärt hat, daß sie eigentlich keine Partei, sondern Birne Gruppe von Interessentenhaufen .sei, .die sich in den Haaren lägen.

(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU.)

— Das ist ein freies Zitat, das gebe ich ganz offen zu. Aber dem Sinn nach ist es durchaus korrekt. Die Wirklichkeit in der Bundesrepublik, meine Damen und Herren, wird weit mehr von ,den gesellschaftspolitischen Tatbeständen bestimmt `— die auch die CDU geformt haben — als von dem Idealbild, das der Herr Bundesfinanzminister entwickelt hat und ,das von der Wirklichkeit meilenweit entfernt ist.

(Beifall bei der SPD.)

Nur im Vorbeigehen möchte ich die merkwürdige Geschichtsbetrachtung streifen, zu der sich :der Herr Minister bei einem Vergleich .der 14 Jahre Weimarer Republik und der 12 Jahre Bundesrepublik verleiten ließ.

(Zuruf von .der CDU/CSU.)

— Nein, untersuchen Sie einmal selber unvoreingenommen die Geschichte der 14 Jahre. Dann kommen Sie vielleicht auch darauf. Aber vielleicht liegt .das außerhalb Ihrer Reichweite.

(Beifall bei der SPD.)

Jedenfalls war das schon mehr Geschichtsklitterung mit der unverkennbaren Absicht, sich selber dabei beifällig auf die Schultern zu klopfen und dazu zu sagen: Was sind wir doch so sehr viel tüchtigere und klügere und bessere Regenten als diejenigen, die die Weimarer Republik ruiniert haben! Und dabei werden selbstverständlich im Unterbewußtsein diejenigen, die die Weimarer Republik ruiniert haben, gleichgesetzt mit den bösen Sozialdemokraten, die hier in der Bundesrepublik Opposition machen müssen. Daß dabei die Geschichte vergewaltigt und verbogen wird, das steht auf einem ganz anderen Blatt.
Ich meine, meine Damen und Herren, man sollte sich bei solchen Geschichtsbetrachtungen sehr viel vorsichtiger benehmen, als es der Herr Bundesfinanzminister getan hat. Der Herr Bundesfinanzminister hat zudem noch — er hat ja etwas beweisen wollen—die Startbedingungen völlig übersehen oder gar nicht zur Kenntnis genommen, die für beide Perioden absolut verschieden waren: dort am Beginn die Isolierung nach der Niederlage im Krieg, die Reparationslast, die entscheidenden Einfluß auf die innere Entwicklung hatte, und das völlige Fehlen äußerer Hilfe; hier für die Bundesrepublik eine beträchtliche Starthilfe von außen — von der Sie nicht gern reden; ich weiß das—, der Marshall-Plan nämlich. Der Kampf gegen die Demontagen und das Reparationsproblem waren weitgehend erledigt, ehe es überhaupt eine Bundesrepublik und eine Bundesregierung gab.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Und schließlich, meine Damen und Herren, ist ja in den Jahren vor 1949 in diesem Lande auch gearbeitet, auch wiederaufgebaut worden. Man hat nicht erst gewartet, bis 1949 die Bundesregierung entstand.

(Beifall bei der SPD.)

Man sollte mit solchen Vergleichen vorsichtig und zurückhaltend sein.
Aber nun zu den „gesellschaftspolitischen" Problemen! Gewiß hat die Bundesregierung unter dem Titel „breite Streuung des Eigentums" einige Anläufe unternommen, die zur Bildung von Vermögen auch in der Hand von Leuten führen sollen, die nicht zu den von vornherein mit Vermögen Gesegneten gehören. Sie hat sich dabei aber darauf beschränkt, Objekte heranzuziehen, die im Besitz der öffentlichen Hand sind. Die großen seit 1948 entstandenen Kapitalvermögen zu berühren, hat sie sich wohlweislich gehütet.
Wie immer man die Wirkungen dieser Politik beurteilen mag, eines ist sicher: Die grundsätzlichen Merkmale unserer bundesrepublikanischen Gesell-
7312 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den, 5. Oktober 1960
Schoettle
schaftsordnung hat diese Politik nicht wesentlich verändert. Noch immer ist das Gefälle zwischen den ganz großen und den kleinen Einkommensträgern in der Bundesrepublik im wesentlichen unverändert; noch immer sind die großen Einkommen und Vermögen durch die Steuergesetzgebung gegenüber den kleinen außerordentlich begünstigt, ganz im Gegensatz zu den schönen, aber theoretischen Sätzen ,des Bundesfinanzministers, der in seiner Rede ausgeführt hat, daß das Steuergesetz den kleinen und mittleren Einkommensbeziehern eine größere und vor allem eine reale Chance zur Bildung von Eigentum und Vermögen geben müsse. Das ist die Theorie. Die Praxis spiegelt sich am besten in § 10 des Einkommensteuergesetzes wider. Auch wir sind überzeugt, daß Vermögensbildung in breiter Streuung nicht durch Geschenke oder durch Zwangssparen, sondern allein real aus Einkommen entstehen muß. Auch wir wollen die Steuergesetzgebung nicht, wie der Herr Bundesfinanzminister gesagt hat, als einen Hobel verwendet wissen, der alles gleichmacht. Aber wir wollen den breiten Massen der arbeitenden Menschen wirklich die Möglichkeit zu echter Einkommenssteigerung und damit die Möglichkeit zum Sparen und zur Eigentumsbildung verschaffen.

(Beifall bei der SPD.)

Wir werden in diesem Hause dazu Vorschläge machen, die die Aufgabe einer wirklichen Veränderung unserer gesellschaftlichen Struktur im Sinne einer neuen Ordnung der Gesellschaft weit mehr an der Wurzel anpacken, als es die Politik der gegenwärtigen Regierung vermag und beabsichtigt.
Der Herr Bundesfinanzminister hat sich selber bei seiner Haushaltsrede auf Gebiete begeben, auf denen man sich auseinandersetzen muß. Ich bin ihm auf diesem Wege gefolgt. Was den Haushalt selbst betrifft, so werden wir wie immer an seiner Komplettierung, an seiner Beratung so positiv mitwirken, wie wir das gewohnt sind.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0312709200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vogel.

Dr. Rudolf Vogel (CDU):
Rede ID: ID0312709300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind es Jahr für Jahr gewohnt, anläßlich der ersten Lesung des Haushalts nicht nur in eine Diskussion der technischen Probleme des Haushalts einzutreten, sondern uns auch generell mit der Politik, die die Regierung in dem zurückliegenden Jahre verfolgt hat und die sie in dem kommenden Jahre verfolgen will, zu beschäftigen. Mein Herr Vorredner hat das getan. Es ist das gute Recht der Opposition, an einer Regierung herumzumäkeln.

(Abg. Dr. Schäfer: Von Herummäkeln war nicht die Rede!)

Es ist unser gutes Recht, die Vorzüge und die Leistungen einer Regierung in das rechte Licht zu rücken.

(Zurufe von der SPD.)

In welchem Ausmaß dies angebracht ist, darüber kann man verschiedener Meinung sein, meine Damen und Herren der Opposition!
Jedenfalls möchte ich mich von vornherein gegen eines wenden. Alles, was bis jetzt gegen diesen Haushalt gesagt worden ist, ist doch im Grunde genommen, so möchte ich einmal sagen, eine Kritik an relativ kleinen Mängeln. Niemand von Ihnen hat bis jetzt leugnen können, daß dieser Haushalt ausgeglichen ist, daß er in seiner Art ein Programm der Regierung darstellt, das sich durchaus sehen lassen kann; und niemand hat bis jetzt daran vorbeisehen können, daß die Aufgaben, die diesem Haushalt für das Jahr 1961 finanziell gestellt werden, sich im großen und ganzen mit den Zielsetzungen der Mehrheit dieses Hauses decken. Ich komme auf die einzelnen Probleme später noch besonders zu sprechen.
Der Bundestag befindet sich in diesem Jahr sicherlich in einer ungewöhnlichen Lage. Auf der einen Seite hat er bereits in diesem Frühjahr einen Zwischenhaushalt für neun Monate verabschieden müssen, auf der anderen Seite sieht er sich nun in der bis jetzt noch nicht dagewesenen Lage, vor Ende des Jahres noch einen zweiten Haushalt, nämlich für 1961, beraten zu müssen, den er, so hoffen wir, im Frühjahr 1961 verabschieden wird. Alle Fachleute und sicher das ganze Haus sind sich darüber im klaren, daß das Jahr 1961 uns alle vor eine ganz außergewöhnliche Situation stellen wird. Es ist nun einmal ein Wahljahr. Herr Kollege Schoettle, Sie haben das Wort „Wahljahr" bis jetzt schon sehr häufig erwähnt. Ich wollte es eigentlich vermeiden, aber ich komme nun nicht darum herum, es auch zu gebrauchen. Im Jahre 1961 wird sich infolge der Wahl auch rein staatsrechtlich und haushaltsrechtlich eine ungewöhnliche Situation ergeben, indem wir voraussichtlich mit der rechtzeitigen Vorlage eines Haushalts für 1962 nicht werden rechnen können. Infolgedessen kommt dem Haushalt 1961 eine ganz besondere Bedeutung zu.
Mein Vorredner hat bereits auf den Finanzbericht 1961 hingewiesen — dieses Gelbbuch —, der uns in der Tat eine ungewöhnlich gute Zusammenstellung der Problematik nicht nur dieses Haushalts, sondern auch des Haushaltsrechts bringt. Ich möchte ausdrücklich den Verfassern dieses Finanzberichts den Dank meiner Freunde für eine ausgezeichnete Arbeit, die in diesem Jahr geleistet worden ist, aussprechen.
Wir sind z. B. grundsätzlich einverstanden mit der Forderung auf Seite 90 und 91 einer größeren Beweglichkeit im Haushalt. Um hier gleich eines der schwierigsten Probleme der technischen Seite mit herauszugreifen: sicherlich leidet die Bundesregierung gerade in diesem Jahr — und sie wird es im kommenden Jahre erst recht tun — an der mangelnden Beweglichkeit des Haushaltsrechts, rechtzeitig Maßnahmen konjunkturpolitischer Art zu ergreifen. Das ist ein Mangel, der in der Fachpresse wiederholt unterstrichen worden ist, der sich aber desto mehr bemerkbar macht, je schneller der Ablauf der Konjunkturwellen erfolgt. Wir werden sehr ernsthaft zu überlegen haben, ob wir hier nicht



Dr. Vogel
vielleicht auch sogar — ich spreche das Wort ungern aus — Änderungen im Grundgesetz erwägen müssen, um der Regierung eine schnellere Reaktion auf konjunkturpolitische Vorgänge zu ermöglichen. Ich glaube, das ist eine Angelegenheit, in der sich vermutlich die Opposition und die Regierungsparteien durchaus einigen könnten, wenn sie dieses Problem einmal näher studieren werden.
Auch eine zweite Sache verdient durchaus eine ernsthafte Beratung. Ich meine das auf Seite 94 dieses Finanzberichts erwähnte Nebeneinander von laufendem Haushalt und von Kapitalhaushalt. Auch wir sind der Auffassung, daß es sehr nützlich wäre, an Stelle der bisherigen Unterscheidungen von ordentlichem und außerordentlichem Haushalt einen gesonderten Kapitalhaushalt aufzustellen. Die Nomenklatur, die auf der betreffenden Seite des Finanzberichts dafür ausgebracht worden ist, scheint mir durchaus anwendbar zu sein. Über eines sind wir uns ja alle im klaren: auch dieser Haushalt ist in steigendem Maße von dem Konjunkturablauf abhängig, und diese Erscheinung bezieht sich nicht nur auf den deutschen Haushalt, sondern auf die Haushalte aller Länder der freien Welt.
Sehr ernsthafte Beratungen und Überlegungen waren notwendig, ehe man sich auf eine Basis von 6 % voraussichtlichen Wachstums des Sozialprodukts im Bundesfinanzministerium einigte. Wer von uns fühlt sich eigentlich in der Lage, für das Jahr 1961 eine einigermaßen sichere Prognose des Wirtschaftsablaufs zu stellen? Im Grunde genommen war ich der Überzeugung, daß bereits der Monat September eine erheblichere Abflachung des Konjunkturablaufs mit sich bringen würde. Die bisherige Entwicklung hat etwas anderes gezeigt. Wohl sind auf der einen Seite die abnorm hohen Wachstumsraten des letzten Quartals 1959 und des ersten Quartals 1960 zunehmend schwächer geworden. Die Wachstumsrate betrug im August dieses Jahres z. B. nur noch 9 % gegenüber 13,6 % im ersten Quartal. Die Bestelleingänge — immer ein ziemlich sicheres Barometer — gingen von 28,6 % im ersten Quartal auf 8 % im Juli und August zurück. Die Konsumausweitung hat keineswegs übermäßig zugenommen. Aber das, was jetzt den weiteren Ablauf der Konjunktur bei uns bestimmt, sind in einem überraschend hohen Maßstab die Investitionsgüter und der Export. Das sind zwei Folgeerscheinungen, die ein schweres Risiko in sich bergen. Niemand, der heute in großem Umfang neu investiert, um Arbeitskräfte einzusparen, weiß, ob er nicht unter Umständen schon zu spät investiert hat und ob er gerade noch für den weiteren Konjunkturablauf damit zurechtkommen wird. Solche Erwägungen sollten uns zur Vorsicht mahnen.
Ich möchte hier ganz klar aussprechen, daß ich keineswegs etwa für das Jahr 1961 eine Recession, wie jetzt der schöne Ausdruck im Amerikanischen lautet, also einen wesentlichen Konjunktureinbruch erwarte. Aber wir alle — das hat auch der Bundesfinanzminister in" seinem Bericht ausgesprochen — wünschen einen geregelteren, weniger hektischen Ablauf der Konjunktur, als wir ihn bis jetzt mitgemacht haben. Alle Sozialwissenschaftler und erst recht alle Wirtschaftswissenschaftler sind sich weiter einig, daß wir wohl eine ganze Anzahl von Mitteln gegen eine Abschwächung oder gegen eine Baisse kennen, daß aber ein Heilmittel gegen eine Konjunkturüberhitzung bis jetzt noch nicht gefunden worden ist. Wir tasten alle mehr oder weniger im Dunkeln. Erst die Erfahrungen der Jahre 1959, 1960 und 1961 werden den Wissenschaftlern vielleicht das Rüstzeug für die Erarbeitung von Rezepten liefern. Zunächst aber haben wir der Hochkonjunktur den Tribut zu zollen.
Für das Jahr 1961 erwarten wir ein Sozialprodukt von über 300 Milliarden DM, eine Summe, die uns noch vor Jahren unvorstellbar erschien. An die Erwartung eines steigenden Sozialprodukts knüpfen auch die breiten Massen immer größere Hoffnungen. Ich kann nicht umhin, in diesem Zusammenhang eine sehr kluge Bemerkung von Professor Albert Hahn zu zitieren — sie stammt aus einer sehr bemerkenswerten Rede, die er anläßlich des Internationalen Sparkassentages in Stockholm gehalten hat —:
Die meisten Menschen möchten natürlich ein Wachstum des Sozialprodukts, aber nur wenige scheinen zu erkennen, daß sie zur Erzielung eines solchen höheren Sozialprodukts mehr arbeiten und mehr sparen müssen,

(Zustimmung in der Mitte)

letzteres um die Produktivität durch größere Kapitalausstattung zu erhöhen.
Ich möchte nicht versäumen, einen solchen lapidaren, aber sehr wichtigen Grundsatz zu unterstreichen.
Wir können mit einem gewissen Optimismus in das Jahr 1961 sehen und neue Rekorde erwarten — die entscheidenden Konjunkturmonate, Oktober und November, liegen allerdings noch nicht hinter uns —; dennoch scheint mir die Vorsicht des Bundesfinanzministers, bei seiner Kalkulation in bezug auf die Steuereingänge 1961 bei einer Wachstumsrate von 6 % zu bleiben, durchaus gerechtfertigt zu sein.
Das entscheidende Problem, das sich uns gegen Ende dieses Jahres und im nächsten Frühjahr stellen wird, wird unbestreitbar der Arbeitskräftemangel sein. Höhere Investitionen wirken sich immer erst später in Gestalt von weiteren Arbeitseinsparungen aus. Von den sehr großen Investitionen werden wir vermutlich erst nach Ablauf des zweiten Quartals 1961 etwas zu spüren bekommen. Wer die Einbrüche in die Konjunktur in den Vereinigten Staaten — die Ausnutzung von nur 50 % der Stahlkapazität, die Entlassungen in der Automobilindustrie —, aber auch die schweren Erschütterungen, die jetzt zum Teil den höchst konjunkturempfindlichen Automobilmarkt in Frankreich heimgesucht haben, sowie schon kleinere Rückwirkungen auf den Automobilmarkt in Deutschland selbst aufmerksam verfolgt, der wird zur Wachsamkeit mahnen müssen. Unbestreitbar werden heute in sehr vielen Teilen der deutschen Industrie, vor allen Dingen in der Textilindustrie, Arbeitskräfte gehortet. Hier stellt
7314 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den, 5. Oktober 1960
Dr. Vogel
der pure Besitz einer hinreichenden Zahl von Arbeitskräften für eine Fabrik heute das entscheidende Faktum für das Überleben im Konkurrenzkampf dar. Man riskiert lieber Kurzarbeit und unter Umständen Beschäftigung auf Lager, als daß man sich von Arbeitskräften zu trennen wagt, die sofort abgeworben würden und nie wieder zurückkehrten. Das scheint mir heute ein sehr entscheidendes Symptom für die Lage in sehr vielen Zweigen der deutschen Wirtschaft zu sein. Das ist nicht nur in der Textilindustrie so, sondern auch in der Schuhindustrie und in sehr vielen anderen Industrien.
Daß ein solcher Konjunkturablauf naturgemäß Auswirkungen auf Löhne und Gehälter haben mußte, war vorauszusehen; diese Auswirkungen waren beinahe unvermeidlich. Im Septemberheft 1960 der Deutschen Bundesbank ist über den Ablauf des ersten Halbjahres 1960 sehr Bemerkenswertes ausgesagt worden: Das Masseneinkommen ist im ersten Quartal um 7 % und im zweiten Quartal noch einmal um 8,5 % gegenüber dem Vorjahr gewachsen, obwohl bereits die Wachstumsrate 1959 im Vergleich zu der von 1958 ungewöhnlich hoch war. Im zweiten Quartal 1960 sind die Durchschnittslöhne und -gehälter um 8,8 % gegenüber dem zweiten Quartal 1959 gewachsen.
Ich darf hier vielleicht auf ein ebenfalls sehr bemerkenswertes Symptom unserer gegenwärtigen Lage aufmerksam machen; ich meine die Differenz zwischen den Effektivverdiensten und den Tarifverdiensten. Diese Differenz ist in der Darstellung der Bundesbank sehr deutlich gemacht worden; sie beträgt nahezu 1 1/2 % der Wachstumsrate. Mit anderen Worten heißt das, daß die Tariflöhne und -gehälter längst durch die Effektivlöhne und -gehälter überholt worden sind. Das führt generell zu einer wachsenden Abwertung der Tarifpartner; auf die daraus sich ergebenden Konsequenzen komme ich noch zu sprechen.
Wir können unsere Augen auch nicht davor verschließen, daß rund 5 Millionen Arbeitnehmer, die auf Grund der Steuerreform von 1958 nicht mehr unter die Steuererfassung fielen, heute infolge der Lohn- und Gehaltserhöhungen wieder Steuerzahler geworden sind. Die Zahl von rund 10,2 Millionen Arbeitnehmern, die durch die genannte Steuerreform von der Lohnsteuer freigestellt worden waren, wird sich voraussichtlich auf die Hälfte vermindern. Im ersten Halbjahr dieses Jahres sind rund 10,5 Millionen Arbeitnehmer durch neue Gehalts- und Lohnerhöhungen in den Genuß höherer Löhne und Gehälter gelangt. Die Gehaltserhöhungen bei den Beamten in einer Größenordnung von über 2 Milliarden DM bei Bund, Ländern und Gemeinden haben ebenfalls einen Einkommenszuwachs hervorgebracht. Der gesamte Einkommenszuwachs wird nicht ohne Rückwirkungen auf den Konsum bleiben; der Konsum wird steigen.
Aus der Statistik der Bundesbank ergibt sich für uns bei der Haushaltsbetrachtung eine ungemein interessante Feststellung. Im ersten Halbjahr 1960 wuchs der Betrag der abgeführten Lohnsteuer um nicht weniger als 36 % gegenüber der vergleichbaren Zeit des Vorjahres; das ist eine völlig anomale Steigerung. Allerdings ist die vergleichbare Zeit des
Jahres 1959 nicht unbedingt ein guter Ausgangs punkt. In den ersten Monaten des Jahres 1959 erfolgten sehr erhebliche Steuerrückzahlungen; dadurch ist die Vergleichsbasis nicht ganz normal.
Von entscheidender Bedeutung für die Haushaltsgebarung des Jahres 1961 wird sein, ob der günstige Verlauf der Steuereingänge, der im ersten Halbjahr zu verzeichnen war, sich auch im zweiten Halbjahr fortsetzen wird. Die große Zahl der Tarifkündigungen und die fortlaufenden, schwer erfaßbaren Überbezahlungen tragen hier Unsicherheitsfaktoren hinein. Die Entwicklung führt naturgemäß eher dazu, mit einem höheren Ergebnis für 1961 zu rechnen, als es auf Grund eines normalen Ablaufes zu erwarten gewesen wäre.
Die zunehmende Entwertung der Tarifabkommen scheint also als unvermeidlich hingenommen zu werden, wenn wir uns den Arbeitskräftemangel und die Unmöglichkeit, auch aus dem Ausland genügend Arbeitskräfte hereinzuführen, ansehen. Die 300 000 Ausländer, die gegenwärtig in Deutschland arbeiten, möchte ich einmal, da sie häufig genug bekrittelt werden, in einen Vergleich setzen zu den 450 000 Ausländern, die heute in der gleichfalls in einer Hochkonjunktur befindlichen Schweiz arbeiten — 4;5 Millionen Einwohner in der Schweiz und annähernd 54 Millionen Einwohner in der Bundesrepublik! Hier kann also sicherlich noch einiges geschehen.
Es ist aber kein Wunder, wenn sich angesichts dieser zunehmenden Entwertung der Tarifpartner die Rufe nach einer staatlichen Schlichtung immer stärker bemerkbar machen. Es ist sicherlich auch kein Wunder, daß die Effektivlöhne der Wachstumsrate des Sozialprodukts in einem immer stärkeren Maße voraneilen. Die Schere, die sich hier zwischen dem Sozialprodukt und seinem Wachstum auf der einen Seite und dem schneller wachsenden Masseneinkommen auf der anderen Seite auftut, ist einer der kritischen Punkte unserer heutigen volkswirtschaftlichen Existenz.
Man kann mit dem Hinweis auf eine wachsende Rationalisierung und die wachsende Automation naturgemäß einiges rechtfertigen, aber keineswegs alles, was heute auf diesem Gebiet geschieht. Zur Zeit wird nicht nur ,der volle Preis für die Mangelware Arbeitskraft gezahlt, sondern sie wird vermutlich heute bereits in wesentlichem Maße überbezahlt, und die Folgen machen sich deutlich bemerkbar.
Daß ein derartiges Verhalten der Tarifpartner zwangsläufige Rückwirkungen auch auf die Tarife der öffentlichen Angestellten und auch auf die Beamtengehälter haben muß, ist vorauszusehen. Mein verehrter Herr Vorredner hat ja bereits unter dem Aspekt der Wahlen auf diesen Punkt aufmerksam gemacht. Niemand, der den Ablauf des Haushalts 1959 vor Augen hat, kann die Augen vor der Tatsache der Tarifkündigung der öffentlichen Angestellten zum 1. April 1961 und der neuen Gehaltsforderungen der Beamtenverbände verschließen. Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Haushaltsrede die Fürsorgepflicht des Staates als Dienstherrn gegenüber den Beamten und Angestellten unterstrichen. Wenn während dieses Jahres und des
Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den. 5. Oktober 1960 7315
Dr. Vogel
nächsten Jahres generell eine neue Lage geschaffen wird, dann wird sich auch die Bundesregierung als fürsorgender Dienstherr sicherlich ihrer Verpflichtung nicht entziehen.
Appelle zum Maßhalten sind in der letzten Zeit in reichlicher Fülle, glaube ich, an die Tarifpartner gerichtet worden - wie wir gesehen haben, bis jetzt ohne einen durchschlagenden Erfolg. Es ist aber ein völliger Trugschluß, zu glauben, daß ein falsches und maßloses Verhalten ohne Rückwirkungen auf die Preise bleiben kann.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Bis jetzt hat sich die Preissituation in der Bundesrepublik relativ gehalten. Der Lebenshaltungskostenindex ist vom Mai 1959 bis zum August 1960, gemessen an dem normalen Level von 100, von 119 auf 123, d. h. nur um 4 % gestiegen — dies dank einer massiven Importsteigerung um nahezu ein Drittel und zum anderen auch, worauf mein Freund Niederalt nachher noch besonders zu sprechen kommen wird, auf Kosten der landwirtschaftlichen Erzeugerp reise.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Auch das können wir bei dieser Gelegenheit nicht unterschlagen. Was das für die Landwirtschaft bedeutet, wird später noch im einzelnen ausgeführt werden.
Auch die Entwicklung der Sparquote steht in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt. Wir haben leider eine Abnahme der Sparquote der privaten Haushalte im ersten Halbjahr 1960 gegenüber dem ersten Halbjahr 1959 von 8,9 % auf 8 %; zu verzeichnen. Es hat sich hier wieder einmal der alte Erfahrungssatz bestätigt, daß die Zinsenhöhe ohne wesentliche Einwirkung auf den Sparwillen der Bevölkerung bleibt, daß vielmehr für die Höhe der Sparquote ganz andere Einflüsse wirksam und bestimmend sind.
Nun, all diese Dinge sind von entscheidender Bedeutung für die grundsätzliche Frage, ob der Bundesfinanzminister auf dem Kapitalmarkt 1961 sich 2,1 Milliarden DM an neuen Anleihen wird holen können oder nicht. Das ist eines der Fragezeichen des Haushalts 1961. Dieses Fragezeichen wird nur gemildert durch die Aussicht auf die Fortdauer außergewöhnlich hoher Steuereingänge.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier eine Bemerkung zu den Ausführungen meines Herrn Vorredners machen, der, wie so oft in den vergangenen Jahren dagegen Stellung genommen hat, daß Mehrerträge an Steuern, also Mittel des ordentlichen Haushalts, zur Abdeckung des außerordentlichen Haushalts, also unter Verzicht auf die Aufnahme von Anleihen, verwandt werden. Ich persönlich muß ganz offen gestehen, daß infolge des Konjunkturablaufs dier letzten Jahre und der damit verbundenen Entwicklung des Steueraufkommens die bisherige Anschauung von dem Auseinanderhalten von außerordentlichem und ordentlichem Haushalt sich doch in sehr vieler Hinsicht abgeschwächt hat unid ,daß wir neue Wege gehen müssen. Mir wäre es im Grunde genommen am liebsten, wenn wir zu einem großen Tail überhaupt auf den außerordentlichen Haushalt verzichten und und uns auf den ordentlichen Haushalt beschränken könnten. Das würde sehr viel zur Haushaltsklarheit beitragen und auch eindringlich auf diejenigen wirken, .die bisher immer geglaubt haben, mit Hilfe des außerordentlichen Haushalts könnte man bestimmte Wünsche noch erfüllen und bestimmte Ausweitungen vornehmen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Wenn nur ein ordentlicher Haushalt da ist und man weiß, ,daßdieser von ,den Steuereinnahmen abhängt, ist .die Klarheit sehr viel größer als bei dem Nebeneinander von ordentlichem und außerordentlichem Haushalt, wobei jeder im voraus weiß, daß der außerordentliche Haushalt ja durch Anleihen kaum gedeckt werden kann.
Nun, eines hat mein verehrter Herr Vorredner sicher übersehen. Er bat zwar auf ,eine Menge Dinge aus ,dem Haushalt Bezug genommen. Aber eines wird er uns doch konzedieren müssen, nämlich, daß — wie der Herr Bundesfinanzminister bereits in seiner Rede festgestellt hat — dieser Haushalt keiinen „Wahlspeck" enthält. Herr Kollege Schoettle, ich glaube, nur bei einer völligen Verkennung der Ziffern dieses Haushalts könnte irgend jemand behaupten, es seien besondere Leistungen im Hinblick auf die künftigen Wahlen darin enthalten. Im Gegenteil: man könnte vielleicht sogar .den Vorwurf erheben, daß bestimmte Dinge, die mit .einiger Sicherheit auf uns zukommen werden, in diesem Haushalt noch nicht ihren Niederschlag gefunden haben. Aber es ist ein altes Prinzip von uns, nicht Dinge im voraus in den Haushalt zu nehmen, bevor sie nicht in Gestalt von Gesetzesvorlagen diesem Hohen Hause vorgelegt worden sind.
Nun, was ist denn bis jetzt überhaupt an Kritik gegen diesen Haushalt vorgebracht worden?
Der Vorwurf, er sei nicht termingerecht eingebracht worden, Herr Kollege Schoettle, läßt sich ernsthaft nicht aufrechterhalten. Der Wortlaut des Gesetzes steht nun einmal auf seiten .des Bundesfinanzministers. Wir selber waren im Haushaltsausschuß allerdings einmal noch der frohen Hoffnung gewesen, man könnte die Beratung noch vor den Ferien in Angriff nehmen und die Haushaltsrede des Bundesfinanzministers noch vor den Ferien hören. Aber infolge von Dingen, an denen der Bundesfinanzminister sicherlich den allerkleinsten Teil der Schuld trägt, sind diese Hoffnungen nicht verwirklicht worden.

(Abg. Schoettle: Lesen Sie nach, was ich gesagt habe!)

— Ja, aber wir wollen uns doch einmal selber an die Brust schlagen und sagen: Wenn die Ferienordnung dieses Hohen Hauses diesen Verlauf vorgesehen hat, kann man dem Bundesfinanzminister daraus keinen Vorwurf machen.
Nun zu einem weiteren: der Unterstellung, der Haushalt sei zu wenig antizyklisch. Ich glaube, in einem Punkt hat die Rede des Bundesfinanzmini-



Dr. Vogel
sters bis jetzt sicher zu wenig Beachtung in der Öffentlichkeit gefunden. Das ist der Punkt, in dem er mit vollem Recht darauf hinweist, daß der Vollzug des Haushalts 1960 in hohem Grade antizyklisch war, daß er nämlich durch entsprechende Einsparungen — manchmal sogar sehr scharfe und sehr einschneidende Einsparungen — für ein antizyklisches Verhalten Sorge getragen hat.
Nun, meine Damen und Herren, man hat sich oft genug im Hause und im Haushaltsausschuß über die Möglichkeiten eines antizyklischen Verhaltens unterhalten. Daß bei einem zu 80 % durch Gesetz und Zwangsläufigkeiten festgelegten Haushalt diese Möglichkeiten von vornherein äußerst begrenzt sind, darauf brauche ich hier nicht näher einzugehen; das ist eine Binsenwahrheit. Aber auf der anderen Seite: was ist denn überhaupt im einzelnen noch einzusparen? Ist im Straßenbauhaushalt etwas einzusparen? Meine Damen und Herren, wer würde das heute wagen angesichts des einmütigen Willens des Hohen Hauses, den Haushalt auf diesem Gebiet mit allen Konsequenzen zu verdoppeln, die sich daraus zwangsläufig ergeben? Ist beim Wohnungsbau etwas Wesentliches einzusparen? Auch da ist sich doch das Hohe Haus darüber einig, daß im nächsten Jahr mehr als 500 000 Wohnungen gebaut werden sollen. Die Maßnahme des Bundesfinanzministers, daß er das außergewöhnliche Plus, das im Wohnungsbauhaushalt 1959 enthalten war, 1961 wieder eliminiert, das war, glaube ich, eine Sache, die wir alle von ihm erwartet hatten, die aber mit der prinzipiellen Wohnungsbaupolitik der Bundesregierung an sich nichts zu tun hat. Sie hält nach wie vor daran fest, daß über 500 000 Wohnungseinheiten erstellt werden sollen, und sie hält nach wie vor auch daran fest, daß ein möglichst großer Prozentsatz davon Eigentumswohnungen sein sollen; davon werden wir nicht lassen, meine Damen und Herren.

(Beifall in der Mitte.)

Es kann auch gar kein Zweifel darüber bestehen, daß die Vorwürfe, die wegen einer Ausweitung auf 45 Milliarden DM erhoben worden sind, wenig substantiiert sind. Im Zusammenhang mit einem so gewaltig anschwellenden Sozialprodukt sind bestimmte Dinge unvermeidlich. Daß ein höherer Verteidigungsbeitrag unvermeidlich ist, darauf werde ich später noch eingehen; ich werde darlegen, daß hier wesentliche Einsparungen nicht vorgenommen werden konnten. Auch auf das Problem der Subventionen werde ich nachher noch näher eingehen. Wie es damit steht, wird Einsichtigen nicht verborgen geblieben sein. Daß auf der anderen Seite das Problem der unerfüllten Wünsche in diesem Hohen Hause in allen künftigen Haushalten genauso herumgeistern wird wie in diesem Haushalt, das scheint mir ebenso selbstverständlich zu sein. Denn daß wir den Haushalt sehen werden, der alle Wünsche dieses Hauses befriedigt, glaube ich nicht. Das werden wir nie erleben; das wird kein Parlament der Welt je erleben.
Ich möchte darauf hinweisen, daß das, was bis jetzt von meinem verehrten Herrn Vorredner an Einsparungsmöglichkeiten genannt worden ist, in keinem Verhältnis zu dem steht, was er an Mehrausgaben angekündigt hat. Auch hier ist eine Diskrepanz, über die wir uns im Haushaltsausschuß, wenn es an die Beratung der einzelnen Dinge in den Einzelplänen geht, wahrscheinlich noch eingehend unterhalten müssen.
Diesem Haushalt können Ausgeglichenheit und innere Stabilität nicht bestritten werden. Ich gestehe offen, daß ich, als ich zum erstenmal die Zahlen sah, selber überrascht war, wie ausgeglichen dieser Haushalt ist. Ich hatte nach der bisherigen Entwicklung im Grunde genommen die düstere Befürchtung, daß sich der Haushaltsausgleich 1961 wesentlich schwieriger gestalten würde. Weiter kann nicht bestritten werden, daß es dem Bundesfinanzministerium gelungen ist, zu einem höchst bemerkenswerten Abbau der Reste zu gelangen, vor allem der Reste im Verteidigungshaushalt, wo wir ab 1962 bei Resten stehen werden, die, gemessen an der Größe dieses Haushalts, nach meinem Dafürhalten ein durchaus erträgliches Maß haben werden.
In Presseverlautbarungen und in den ein wenig vorzeitigen Pressekonferenzen ist dem Herrn Bundesfinanzminister vorgeworfen worden, er sei allzu optimistisch gewesen und habe damit Regierungspropaganda betrieben. Nun, meine Damen und Herren, warum soll der Bundesfinanzminister wie ein Rabe krächzen, wenn er allen Anlaß hat, wie eine Amsel zu flöten, weil sich die Dinge besser entwickelt haben, als das vorauszusehen war?

(Beifall in der Mitte.)

Oder will man der Bundesregierung etwa zumuten, daß sie ihr Licht unter den Scheffel stellt? Ich glaube, das wäre eine allzu starke Zumutung für eine Regierung, die auf durchaus beachtliche Erfolge zurückblicken kann und auch in diesem Haushalt Leistungen vorzuweisen hat.
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit doch einmal die Frage aufwerfen: wie hätten sich denn die Haushalte in den vergangenen 10 oder 11 Jahren gestaltet, wenn die Wirtschafts- und Finanzprinzipien der Sozialdemokratie zum Zuge gekommen wären? W i r und nicht Sie haben doch schließlich aufgebaut, nachdem die Entscheidung im Wirtschaftsrat in Frankfurt — damals mit einer sehr knappen Mehrheit— zugunsten der Wirtschaftspolitik von Professor Erhard gefallen war. W i r haben uns damals dafür entschieden, durch eine Entfesselung der Initiative des einzelnen und des Unternehmungsgeistes, durch eine größtmögliche Freiheit im Betätigungsdrang des Arbeiters wie des Unternehmers einen möglichst schnellen wirtschaftlichen Aufstieg des deutschen Volkes herbeizuführen. Erst diese Entfesselung der Initiative und, ich möchte einmal sagen, die Mobilisierung der letzten Reserven, die im deutschen Volke vorhanden waren, haben doch überhaupt diesen Aufstieg und damit das hohe Steueraufkommen und damit auch die Versicherungsbeiträge ermöglicht, auf die wir heute zurückblicken.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das kann doch beim besten Willen nicht bestritten werden.
Wie war doch Ihr Programm, Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition? Sie



Dr. Vogel
haben damals ein „Austerity"-Programm nach englischem Beispiel, eine Nachahmung des englischen Beispiels empfohlen. Das hätte de facto für uns bedeutet: genauso wie in England Jahre hindurch noch nach 1949 Lebensmittelkarten und Bezugsscheine, die Aufrechterhaltung sehr hoher Steuern, überhöhter Steuern,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

einen entsprechend riesigen Verwaltungsapparat zur Durchführung eines solchen staatlichen Dirigismus und wahrscheinlich auch mit einiger Sicherheit die Aufrechterhaltung von Besatzungsleistungen auch über das Jahr 1955 hinaus. Daß wir nach 1955, nach den Pariser Verträgen, in der Lage waren, sehr erhebliche Ersparnisse zu machen, daß diese Ersparnisse in erster Linie dem Sozialhaushalt zugute gekommen sind, kann doch heute niemand mehr ernsthaft leugnen. Wir befinden uns — gerade was diesen Punkt anlangt — in einer sehr, sehr kritischen Lage gegenüber den Aufwendungen anderer Länder für die Verteidigung; davon wird noch näher zu sprechen sein.
Die Opposition hat uns in der Vorkritik des Haushalts mit ihrer Absicht vertraut gemacht, wesentliche Einsparungen und Kürzungen bei den Verteidigungsausgaben vorzuschlagen. Wir werden diesen Anträgen mit ganz besonderer Aufmerksamkeit in den Beratungen des Haushaltsausschusses und bier im Plenum in der zweiten und dritten Lesung entgegensehen. Denn auch nach der Ausweitung des Verteidigungshaushalts im Jahre 1961 wird der deutsche Verteidigungsbeitrag, gemessen am Volks) einkommen, immer noch unter der Hälfte des englischen liegen. Das ist ein Mißverhältnis, das wir auf die Dauer gegenüber unseren Verbündeten um so weniger verteidigen können, als jetzt gerade der Schutz von Berlin nicht nur an uns außerordentliche Anforderungen, sondern auch Anforderungen an unsere Verbündeten stellt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich weiß nicht, wie man in einer solchen Situation überhaupt an dieses Problem mit so viel Forschheit herangehen will, wie das in den Vorankündigungen durchklang.
Hier auch gleich eine Bemerkung zum Verteidigungshaushalt selbst! Herr Kollege Schoettle, Sie haben unseren Kollegen Admiral a. D. Heye als Kronzeugen für das Schiffsbauprogramm zitiert. Auf Grund der letzten Überlegungen und der letzten Ergebnisse der kombinierten Mannöver ist, glaube ich, auch der Kollege Heye zu einer wesentlichen Revision seiner Auffassungen gelangt. Sie wissen, daß ich damals weitgehend mit ihm übereinstimmte. Wir haben gut daran getan, daß wir nicht sofort alle Zerstörer auf Kiel gelegt haben, sondern daß wir ein bißchen zugewartet haben, so daß jetzt ein Zerstörertyp auf Kiel gelegt werden kann, der den Verteidigungserfordernissen in den Ostseezugängen besser entspricht, als es die älteren Typen des Jahres 1957 oder 1958 getan haben. Daß wir nun aber in die Tasche greifen müssen, ist unvermeidbar. Die Forderung, hier den Sparstift anzusetzen, werden wir in einer Diskussion schwerlich durchhalten können, weder in Washington noch in London noch in Paris.
Wenn Sie an die NATO-Parlamentarier-Konferenz im November vergangenen Jahres in Washington denken — Ihre Kollegen waren leider nicht dabei; es wäre sehr gut gewesen, wenn sie dabeigewesen wären —, dann hätte Ihnen etwas in den Ohren geklungen von den nach meinem Dafürhalten berechtigten Vorwürfen, die von der anderen Seite erhoben wurden.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0312709400
Herr Abgeordneter Vogel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schoettle?

Dr. Rudolf Vogel (CDU):
Rede ID: ID0312709500
Bitte sehr!

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0312709600
Bitte, Herr Abgeordneter Schoettle!

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0312709700
Herr Kollege Vogel, haben Sie nicht vielleicht den Sinn meiner Berufung auf Herrn Heye mißverstanden? Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß ich Herrn Heye nicht als Kronzeugen für oder gegen ein Programm, sondern als ein Beispiel dafür angeführt habe, daß auch im Verteidigungshaushalt eine kritische Betrachtung von Programmen möglich ist?

Dr. Rudolf Vogel (CDU):
Rede ID: ID0312709800
Wenn Sie das so gemeint haben, Herr Kollege Schoettle,

(Abg. Schoettle: Genauso und nicht anders!)

gehe ich mit Ihnen einig. Wenn das so ist, dann schön! Aber wir haben bei den Anträgen, die Ihre Fraktion zu den einzelnen Programmen gestellt hat, damals etwas ganz anderes gehört.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte noch eines hervorkehren. Wenn schon von Ihnen hier darauf abgehoben worden ist, daß meine Fraktion in den Kürzungen von Personalhaushalten nicht drastisch genug vorgegangen sei, dann, Herr Kollege Schoettle, möchte ich an Hand der Protokolle des Ausschusses doch einmal nachprüfen lassen, gegen wie viele Personalkürzungsanträge der Regierungskoalition die SPD gestimmt hat!

(Sehr gut! in der Mitte.)

Wir nehmen für uns in Anspruch, daß wir den Verteidigungshaushalt nach seiner personellen Seite hin mit derselben Sorgfalt geprüft haben wie alle anderen Haushalte, obwohl das für uns nicht immer ganz einfach gewesen ist und obwohl wir uns dabei wesentlich schwerer tun als die Opposition.
Da wir schon einmal bei den Verteidigungslasten sind, möchte ich noch folgendes sagen. Die Probleme der Ausrüstung und der, wie ich meine, noch wichtigeren Bevorratung der Bundeswehr stehen jetzt unmittelbar vor uns, und sie werden — das ist unleugbar — nicht nur 1961, sondern auch in den darauffolgenden Jahren weitaus größere Beträge erfordern, als wir das ursprünglich vielleicht ge-
7318 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, der. 5. Oktober 1960
Dr. Vogel
glaubt haben. Was das Problem der Personalausweitung, vor allen Dingen bei den zivilen Bediensteten der Bundeswehr betrifft, so wird sich Kollege Niederalt damit noch im besonderen auseinandersetzen.
Jetzt noch ein Wort zu der in den Haushalten immer beleuchteten Frage, ob die Zusammenfassung unter dem Titel „Soziallasten des Bundes" in der Form geschehen darf oder nicht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, über das technische Unterbringen in den einzelnen Positionen und in den einzelnen Haushalten kann man sich durchaus unterhalten. Aber ich möchte einmal, was z. B. die Einordnung der Leistungen für die Kriegsopfer in den Sozialhaushalt und unter die Sozialleistungen des Bundes anbetrifft, noch an etwas erinnern. Alle, die 1945 his 1948 mit dem Länderrat zu tun hatten, werden sich nur allzu deutlich daran erinnern, daß es uns die Besatzungsmächte damals untersagt haben, irgendwelche Leistungen für die Kriegsopfer in unsere Haushalte einzustellen, und daß wir bereits damals auf dem Standpunkt gestanden haben, es handle sich hier um ausgesprochene Sozialleistungen und um nichts, was nur mit dem Krieg oder den Kriegsfolgen in irgendeiner Weise in Verbindung stehe. Mit diesem Argument haben wir uns damals gegenüber den Besatzungsmächten durchgesetzt, und ich sehe nicht ein, weshalb es heute plötzlich an Zugkraft Verloren haben soll, wenn es sich darum handelt, diese Leistungen des Bundes unter die Sozialleistungen einzureihen.
Gewisse Leistungen sind heute zurückgegangen. Ich zähle hier einmal der Reihe nach auf, was zurückgegangen ist. Die Lastenausgleichsausgaben haben sich naturgemäß verringert. Die Ausgaben für den Wohnungsbau haben sich verringert, aber nur infolge der Beseitigung der einmaligen Ausbuchtung im Jahre 1959, von der bereits die Rede war. Die Kriegsfolgeleistungen haben sich verringert; denn einmal müssen sie sich ja schließlich verringern. Die Arbeitslosenhilfe hat sich um 42 % vermindert. Unserer Überzeugung nach ist sie auch heute noch reichlich hoch, vor allen Dingen, wenn wir den Verwaltungsapparat, der damit verbunden ist, ansehen. Die Kriegsgefangenenentschädigung hat sich uni 72 % verringert, weil es sich hei ihr um eine auslaufende Angelegenheit handelt.
Auf der anderen Seite haben sich erhöht: die Kriegsopferbezüge um 18 %, die Sozialausgaben im engeren Sinne um 22 %, die Zuschüsse des Bundes zur Sozialversicherung dagegen um 37 %. Das heißt, hier ist die Entwicklung vollkommen parallel mit der des Sozialprodukts geblieben. Das sind Dinge, auf die wir nach meinem Dafürhalten durchaus hinweisen können und die jeder Kritik standhalten.
Nun lassenSie mich zu dem Problem Bund—Länder kommen, das von dem Herrn Bundesfinanzminister angesprochen worden ist und das auch in diesem Zusammenhang eine besondere Erwähnung verdient. Das Steueraufkommen der Länder und auch der Gemeinden — Gewerbesteuer — ist schneller als das des Bundes gewachsen. Damit scheint mir der Zeitpunkt gekommen zu sein, wo die Bewältigung der ureigensten Aufgaben der Länder ein wenig stärker in ihrem Bereich vorgenommen werden sollte, als das bisher der Fall war.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Ich möchte die Länder vor allen Dingen daran erinnern, daß sie von jeher den Anspruch erhoben haben, nach der Verfassung auf dem Kultursektor alleinbestimmend zu sein. Wenn das so ist, dann ist es auch die Pflicht und Schuldigkeit. der Länder, jetzt, wo die Steuereinnahmen ihnen die Möglichkeit dazu geben, ihre Steuermittel entsprechend zu verwenden.
Nicht ohne ein gewisses Vergnügen habe ich in der vergangenen Woche im „Münchner Merkur" die Uberschrift gelesen: „Bayern haushälterisch trotz voller Taschen". Ein solches Zugeständnis in Bayern zu hören erfreut das Herz eines Bundeshaushaltsmannes.

(Abg. Niederalt: Wie muß es da erst in Nordrhein-Westfalen ausschauen!)

— Ich wollte gerade darauf zu sprechen kommen, Herr Kollege Niederalt. — Ein .solches Zugeständnis habe ich vom Land Nordrhein-Westfalen bis jetzt noch nicht vernommen, obwohl es dort noch viel eher angebracht wäre. Man ist dort vorsichtiger wegen der größeren Mille Bonns.
Wie war denn .das praktische Verhalten der Länder bis jetzt? In Niedersachsen z. B. erlebten wir es, daß man bereits das 10. Schuljahr — nicht das 9., sondern das 10. — propagiert, obwohl man dafür weder Lehrer noch Schulräume hat,dann .aber die Hand zum Bund streckt und fordert, der Bund solle die dafür erforderlichen Mittel aufbringen, statt zunächst einmal einen erhöhten Finanzausgleich zwischen ,den Ländern zu verlangen. Daraus spricht eine au fond grundfalsche Einstellung. Ich muß noch hinzufügen: die Schulfachleute in meinem etwas sparsameren Land Baden-Württemberg haben mit Recht idarauf hingewiesen, daß sie stolz und froh wären, wenn sie zunächst .einmal die für Glas 8. Schuljahr erforderlichen Schulräume und Lehrkräfte .aufbringen könnten, ehe sie sich dem 9. Schuljahr zuwendeten, auch wenn dieses Ziel nach wie vor aufrechterhalten werde. Aber in Baden-Württemberg und Ländern mit großen Finanzüberschüssen spricht man noch nicht vom 10. Schuljahr. Das scheint .den Ländern vorbehalten zu bleiben, die diese Kasten vom Bund bezahlt haben möchten.
Lassen Sie mich in .diesem Zusammenhang auch eine Bemerkung zu etwas anderem machen. Es ist nur ein Zufall, wenn ich hierbei Niedersachsen ein zweites Mal erwähne; ich könnte es in bezug auf andere Länder genausogut tun. Aus einer mir vorliegenden Statistik geht hervor, daß die Bundeszuweisunge.n im gesamten Agrarhaushalt dies Landes Niedersachsen für 1961 198,4 Millionen DM betragen, während die Landesaufwendungensich nur auf 185,7 Millionen DM belaufen. Aber .dieser Tatbestand bleibt den Bürgern des Landes Niedersachsen durchaus vorenthalten, genauso wie auch die Leistungen des Bundes für den Straßenbau, für den Kanalbau etc. niemals in das Bewußtsein des Landesbürgers eindringen. Denn die Länder haben es sich ja verbeten, 'daß eine Tafel mit der Aufschrift



Dr. Vogel
aufgestellt wird: „Hier bauen der Bund und das Land gemneinsam". Vielmehr baut, so wie es der Mann draußen sieht, nur :das Land. Ich erlebe es .in meinem eigenen Wahlkreis, wie sich Straßeneröffnungen vollziehen: wenn da nicht der Bundestagsabgeordnete .als bescheidener Abglanz der Bundesleistungen auf diesem Gebiet anwesend ist, erscheint das Ganze alseine reine Landesangelegenheit. Die Bänder werden von 'dem betreffenden Regierungspräsidenten, dem betreffenden Landrat etc. zerschnitten,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

und der Bau wird von den Landesbeamten als Leistung ihres Landes gepriesen. Von der Bundesleistung ist da nicht mehr die Rede.

(Zuruf des Abg. Dr. Schäfer.)

— Herr Kollege Dr. Schäfer, Sie können doch gar nicht bestreiten, :daß .das .so ist. Und wenn es überall so ist, dann bleibt es trotzdem ein Fehler, daß es so ist. Der Bund hat einen Anspruch darauf, daß seine Leistungen dem Bundesbürger auch entsprechend zum Bewußtsein gebracht werden und daß sich nicht andere Instanzen seine Leistungen an den Hut stecken.

(Beifall in der Mitte.)

Das ist nach meinem Dafürhalten eine krasse Ungerechtigkeit, die überall geschieht.
Ich möchte hier auch eine Bemerkung meines Freundes, des Wohnungsbauministers Lücke, anführen. Im hessischen Wohnungsbau sind z. B. von 1957 bis 1960 Landesleistungen in einer Größenordnung von 280 Millionen DM, aber Bundesleistungen in einer Höhe von 680 Millionen DM erbracht worden.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Ich weiß nicht, ob allen Bürgern des Landes Hessen dieser Tatbestand so offenkundig geworden ist, wie er tatsächlich existiert.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nun auch noch ein Wort zum Thema „Gemeinden und Bund". Ich möchte generell sagen: diese Problemstellung ist unecht. Nach der Verfassung gibt es sie nicht. Gesprächspartner sind nach der Verfassung die Gemeinden und die Länder. Aus diesem Zusammenhang kann man sie nicht herausbrechen. Bei einem Rückblick auf den Konjunkturablauf bleibt es kein Geheimnis, daß nun einmal mehr als 50 Prozent aller Bauaufträge Aufträge der Gemeinden und nicht des Bundes oder etwa der Länder sind.

(Zuruf von der SPD: Was heißt das?)

Der Schwerpunkt der Bautätigkeit liegt nun einmal bei den Gemeinden. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal auf das zurückkommen, was ich zu Anfang gesagt habe. Daraus folgt- auch, daß der Anteil der Gemeinden an der Verantwortung für die Konjunktur und antizyklisches Verhalten doppelt so groß ist wie der des Bundes, zumindest was die Bauplanung anlangt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Lassen Sie mich jetzt auf einzelne Probleme zu sprechen kommen, die mir besonders aufgefallen sind. Ich erhebe keinen Anspruch darauf, daß ich alles dazu sage, was dazu zu sagen wäre, aber immerhin doch einiges davon. Ich bin bei der kritischen Prüfung eines Titels, der im Bundeshaushalt 1961 immerhin die Summe von 80 Millionen DM beanspruchen wird, nämlich der Titel Studentenförderung, auf Dinge gestoßen, deren Kenntnis für das Hohe Haus sicherlich von großem Interesse ist. Ich beziehe mich hier auf die Bemerkungen und die Denkschrift des Rechnungshofes von Baden-Württemberg zum Landeshaushalt für Baden-Württemberg. Was darin über die praktische Durchführung der von uns nach dem „Honnefer Modell" zur Verfügung gestellten Mittel ausgeführt worden ist, sollte jeden von uns ein wenig stutzig machen. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus dieser Denkschrift zitieren:
Die sieben wissenschaftlichen Hochschulen des Landes Baden-Württemberg haben in den Rechnungsjahren 1957 und 1958, die den hier mitgeteilten Prüfungsergebnissen des Rechnungshofes zugrundeliegen, rund 15,7 Millionen DM zur Förderung der Studierenden erhalten, im einzelnen im Rechnungsjahr 1957 vom Bund 4,3 Millionen DM, vom Land 2,5 Millionen DM, im Rechnungsjahr 1958 vom Bund 6,4 Millionen DM, vom Land 2,5 Millionen DM.
Meine Damen und Herren, Sie sehen, die Bundesleistungen haben sich erheblich erhöht, die des Landes sind nicht mitgegangen. Der Prüfungsbericht stellt im einzelnen auf Seite 33 unter Ziffer 2 a fest, daß allein Zuviel-Förderungen, das heißt also nicht gerechtfertigte Ausgaben auf Grund der Richtlinien des Bundes, bei einer Stichprobe bei nur einem Fünftel der Betroffenen in einer Größenordnung von 500 000 DM rückerstattungspflichtig gemacht worden sind.
Welche Schlüsse müssen wir dann hier aus dem Vollzug des Honnefer Modells ziehen!? Ich kann mir nicht verkneifen, hier einmal einige besondere Ergebnisse dieser Prüfung darzulegen, weil sie sicherlich nicht ohne Interesse sind. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten darf ich wieder zitieren:
Ein Student studiert ohne elterliche Billigung seit 1951 Philosophie und Kunstgeschichte.

(Heiterkeit.)

Da es ihm unmöglich sei, seine Mutter um Unterstützung wie überhaupt um Darlegung der finanziellen Verhältnisse zu bitten, müsse er sein Studium — nunmehr im 17. Semester — selbst finanzieren. Der Vater ist als selbständiger Kaufmann 1943 gestorben. Die Mutter ist Prokuristin. Daraufhin wurde der Student vom regelmäßig erforderlichen Nachweis der finanziellen Verhältnisse der Eltern entbunden; er erhielt trotz seiner hohen Semesterzahl für 3 Semester 3450 DM Stipendien und Darlehen.
Weiter:
Ein Student, der 1956 das Medizinstudium wegen Nichtbestehens des Physikums abbrechen



Dr. Vogel
mußte, hat daraufhin das Jurastudium begonnen.
Welch eine interessante Folge, meine Damen und Herren!

(Heiterkeit.)

Er wurde in beiden Studienrichtungen fortgesetzt mit insgesamt 13 362 DM aus öffentlichen und caritativen Mitteln gefördert, . . . Dem Rechnungshof erscheint der Erfolg der Weiterförderung nach der Gesamtsituation zweifelhaft.

(Heiterkeit.) Ein anderes Beispiel:

Der Sohn eines Arbeitsdirektors (Bergwerksdirektor a. D.) wurde vom Sommersemester 1959 an in 3 Semestern mit zusammen 3240 DM Stipendien gefördert, obwohl der Vater bis zu seiner Zurruhesetzung im August 1958 ein jährliches Einkommen von über 67 000 DM hatte.

(Heiterkeit.)

Und so weiter, und so weiter! Es würde hier sehr amüsant wirken, wenn ich noch weitere Beispiele zitierte.
Aber wie die Reaktion der Hochschulen auf diesen Prüfungsbericht? Das ist das Interessante. Hier wird ein Rektoratsbericht angeführt, den ich vielleicht wörtlich zitieren darf. Das Rektorat erklärt, es müsse sich
nachdrücklichst gegen eine allzu starke Einschränkung des Ermessens der Förderungsausschüsse durch immer weiter ins einzelne gehende Empfehlungen des Rechnungshofs oder sonstige Richtlinien zur Ermittlung der Bedürftigkeit verwahren.
Meine Damen und Herren, die Konsequenzen, die wir daraus zu ziehen haben, liegen auf der Hand.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Wenn nun von der Seite der Studentenwerke mehr Personal im Zusammenhang mit der Studienförderung angefordert wird, so erhebt sich die Frage, ob nicht unter Umständen mehr Personal bei den staatlichen Behörden das Bessere und das Billigere wäre. Auch diese Frage wird sehr ernst zu prüfen sein. Vor allen Dingen wird auch zu prüfen sein, ob nicht ein stärkeres Übergehen zur Darlehensgewährung solche Mißbräuche viel besser ausschließen würde als die bisherige Regelung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, mein verehrter Herr Vorredner hat das auch mich sehr interessierende Problem der Entwicklungshilfe besonders eingehend behandelt. Sie können absolut sicher sein, daß gerade dieses Problem nicht nur mich, sondern auch meine Freunde sehr beschäftigt. Leider ist mein verstorbener Freund, Dr. Leverkuehn, nicht mehr hier unter uns, der an diesem Problem immer besonders stark Anteil genommen hat. Wir werden die Entwicklung in den nächsten Jahren nicht nur mit steigender Aufmerksamkeit beobachten, sondern wir werden auch dafür sorgen, daß die hier nötigen Leistungen sowohl aus dem Bundeshaushalt als auch aus dem ERP-Haushalt in Erscheinung treten.
Aber lassen Sie mich hier einmal ganz offen folgendes sagen. Man sollte doch auch hier die Kirche im Dorf lassen. Wir stehen nun einmal der Tatsache gegenüber, daß die Bundesbank der Weltbank nicht weniger als 1 Milliarde DM an neuen Krediten zur Verfügung gestellt hat und daß eine weitere Milliarde von seiten der deutschen Industrie angekündigt worden ist und als so gut wie sicher bezeichnet werden kann. Das ist ein zusätzlicher Kreditbeitrag von 2 Milliarden DM binnen eines Jahres. Diese Summe kann sich durchaus sehen lassen, auch im Vergleich mit den Leistungen anderer, finanziell gleich starker Länder.
Ich habe aber an der Taktik einiges auszusetzen. Ich halte es z. B. nicht für gut, daß die OECD, die damals in Paris als Nachfolgeinstitution der OEEC eingesetzt worden ist, hier in Bonn zusammentritt, tagelang über die Möglichkeiten einer gesteigerten Leistung auch der Bundesrepublik berät und dann nachher im Grunde genommen ein Kommuniqué nach Hause nimmt, das auf spätere Erläuterungen und auf spätere Bekanntgaben der Bundesregierung vertröstet, und daß dann acht Tage später die Bundesbank bekanntgibt, sie gewähre eine Milliarde Kredit an die Weltbank!

(Abg. Dr. Schäfer: Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren, das ist ein taktisches Verhalten, das einfach unbegreiflich ist. Was wir fordern müssen, ist eine stärkere Koordination auch zwischen den einzelnen Bundesstellen, einschließlich auch der Bundesbank, die als unabhängige Instanz natürlich keine Weisungen empfangen kann, von der wir aber erwarten müssen, daß sie ihre Maßnahmen auch mit den Maßnahmen der Bundesregierung stärker koordiniert. Was hätte es für einen Eindruck im Ausland gemacht, wenn die OECD-Kommission mit der Zusicherung, daß die Bundesbank eine Milliarde D-Mark Kredit für die Weltbank neu bereitstellt, nach Hause gegangen wäre? Das wäre ein Erfolg gewesen!
Ich habe mir erlaubt, in meinem Vortrag anläßlich der Eröffnung der „Deutschen Stiftung für die Entwicklungsländer", die auch eine mittelbare Bundeseinrichtung ist, auf die notwendigen organisatorischen und personellen Voraussetzungen für eine gesteigerte Entwicklungshilfe hinzuweisen. Ohne einen „Generalvertrag" zwischen Bund und Ländern und ohne eine Verständigung zwischen Bund und Wirtschaft sind die personellen Voraussetzungen für eine gesteigerte Entwicklungshilfe einfach nicht zu schaffen. Ein solches Projekt muß so schnell wie möglich in Angriff genommen werden. Ich bin sicher,

(Abg. Dr. Schäfer: Das wurde von uns schon im letzten Jahr gefordert!)

daß das Land Bayern mit einer solchen Initiative durchaus konform gehen würde und daß auch andere Länder in der Beziehung nur auf das Startsignal warten, um mit dem Bund gemeinsam dieses Problem zu lösen. Die Hilfsbereitschaft der Länder gerade in puncto Entwicklungshilfe ist unverkennbar. Man sollte sie so bald wie möglich nutzen. Man sollte auch so bald wie möglich das bereits angekündigte Entwicklungsfondsgesetz vorlegen, um



Dr. Vogel
auch hier Klarheit über die finanziellen Möglichkeiten der Bank für Wiederaufbau zu schaffen.
Lassen Sie mich hier noch eine Bemerkung anfügen. Ich würde es für außerordentlich begrüßenswert halten, wenn der Herr Bundesfinanzminister sich entschließen könnte, die in der Fachpresse ausführlich erörterter Möglichkeiten größerer und schnellerer Abschreibungen für Kapitalanlagen im Ausland sehr schnell zu verwirklichen. Man kann nicht auf der einen Seite von der Notwendigkeit eines größeren Kapitalexports dauernd sprechen — eine dringende Notwendigkeit, um den Devisenüberhang abzubauen — und sich auf der anderen Seite der Notwendigkeit erhöhter Abschreibungen entziehen. Ohne derartig erhöhte Abschreibungsmöglichkeiten werden wir unser Ziel nicht erreichen, vor allen Dingen möglichst kleine und mittlere Unternehmungen draußen im Ausland aufzubauen, die später einmal der Kern eines neuen demokratischen Mittelstandes in all diesen Ländern sein werden.
Angesichts der vorgeschrittenen Zeit will ich es mir versagen, auf das Kapitel der Personaleinsparungen einzugehen. Das wird mein Freund Niederalt dann später um so ausführlicher tun.
Eines möchte ich hier noch sagen. Von meinem verehrten Herrn Vorredner ist auf den Abbau der Subventionen gedrungen worden und auf das Tätigwerden des Unterausschusses, der bereits gegründet worden ist. Ich darf allerdings ergebenst darauf aufmerksam machen, daß sich das Kapitel der Subventionen ja nach zwei oder nach mehreren Seiten wendet.

(Abg. Schoettle: Dessen sind wir uns auch bewußt!)

— Sind Sie sich auch bewußt? Ich wollte nur warnend meinen Finger erheben, wenn Sie glaubten, das könnte eventuell nur auf Kosten der Landwirtschaft oder anderer Industriezweige gehen. Das wird unter Umständen auch die Bundesbahn und sehr viele andere betreffen.

(Zuruf von der SPD.)

— Schön, dann sind wir uns einig darin, dann wollen wir die Subventionen untersuchen.

(Zuruf von der SPD: Das tun wir schon durch laufende Untersuchungen!)

Aber dann wird das Ergebnis vielleicht keine Einsparungsmaßnahme sein, vielmehr werden Sie sich letzten Endes darüber im klaren sein, Herr Kollege Schoettle, daß Steuererhöhungen unvermeidlich sein werden, wenn Sie den Dingen auf den Grund gehen.

(Abg. Dr. Schäfer: Das ist aber eine komische Logik!)

— Wenn Sie die Konsequenzen durchdenken, Herr Kollege Dr. Schäfer, werden Sie dazu kommen, daß das unvermeidlich ist.
Lassen Sie mich noch eine Schlußbemerkung zum Wohnungsbau machen. Wir haben von jeher auf dem Standpunkt gestanden, daß der Wohnungsbau für uns nicht nur unter der Notwendigkeit gesehen werden darf, den Heimatvertriebenen, denjenigen, denen die Wohnungen durch die Bombenangriffe zerstört worden sind, und den Sowjetzonenflüchtlingen so schnell wie möglich wieder eine Wohnung zu schaffen, sondern wir haben gleichzeitig diesen Prozeß auch unter dem Motto der Möglichkeit von Eigentumsbildung für möglichst breite Massen gesehen und werden auch in der Zukunft das Problem unter diesem Gesichtswinkel sehen. Ob die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften uns deswegen gram sind oder nicht, wird uns von diesem Wege nicht abbringen.
Ich darf einmal ein Zitat des, glaube ich, von uns allen verehrten Nestors der Sozialpolitik, Professor Dr. Goetz-Briefs, in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 16. Juli über den „Sündenfall in das Privateigentum" — so war es überschrieben — anführen, wo er am Schluß auf die Untrennbarkeit der Verteidigung von Freiheit und von Eigentum näher eingeht und wörtlich erklärt:
Den freien Nationen wird es obliegen, zu zeigen, daß der arbeitende Mensch auf die Dauer nur frei sein kann, wenn seine Existenz in Eigentumsrechten oder in funktionalem Eigentumsersatz verwurzelt ist.
Meine Damen und Herren, das haben wir uns gerade bei dieser Politik zur Richtschnur gemacht.
Nun lassen Sie mich zum Schluß kommen. Niemand wird die ungemeinen Schwierigkeiten unserer gegenwärtigen außenpolitischen Situation bei der Betrachtung dieses Haushalts auch nur einen Moment aus den Augen verlieren können. Stabile Finanzen waren von jeher die Voraussetzung auch eines stabilen Staatswesens. Wenn man heute dauernd vom Kalten Krieg spricht, dann ist meinem Dafürhalten nach für die Durchhaltung und das Bestehen in einem Kalten Kriege die Existenz guter und stabiler Finanzen genauso wichtig wie in einem heißen Kriege; sie ist die Voraussetzung für das Durchstehen einer so außergewöhnlichen Bedrängnis und die Bewahrung einer harten Währung und damit eines entsprechenden Steuer- und Sozialaufkommens. Sie mögen an unserem Stolz auf eine große Leistung in den vergangenen elf Jahren, auf die wir zurückblicken können, herummäkeln. Das deutsche Volk, das sich bis jetzt sehr wenig von Ihrer Kritik an dieser Leistung hat beeindrucken lassen, weiß, welchen Ideen und welcher Wirtschafts- und Finanzpolitik es diesen Aufstieg in den letzten elf Jahren mit zu verdanken hat.
Wir vergessen dabei keinen Augenblick, daß die Leistung auch der letzten Frau und des letzten Mannes in Deutschland mit dazu beigetragen hat, uns auf die heutige Höhe von 300 Milliarden Volkseinkommen zu bringen. Aber niemand wird es uns verwehren, wenn wir auch jetzt, am Beginn dieser Haushaltsberatungen darauf verweisen: Die Idee der Wirtschaftsführung und die Idee der Finanzpolitik ab 1948 waren es, die entscheidend dazu beigetragen haben, daß wir heute da angelangt sind, wo wir gegenwärtig stehen. Daß uns dieses Ergebnis freut und daß wir darauf stolz sind, meine Damen und Herren, das dürfen Sie uns weiß Gott nicht verargen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

7322 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den. 5. Oktober 1960

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0312709900
Das Wort hat der Abgeordnete Lenz (Trossingen).

Hans Lenz (FDP):
Rede ID: ID0312710000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zwei kurze Vorbemerkungen machen. Ich persönlich habe es als sehr angenehm empfunden, daß zwischen dem Tag der Einbringung des Haushalts, der Haushaltsrede des Herrn Bundesfinanzministers, und der heutigen Aussprache eine Pause eingelegt wurde. Ich habe es früher als nicht angenehm empfunden, daß wir unmittelbar nach der Rede sofort die Aussprache anschlossen und gewissermaßen aus dem Stand springen mußten. Es wäre sicher gut, wenn das jetzt gewählte Verfahren sich einbürgern würde.
Dagegen möchte ich es ein wenig beklagen, daß der Finanzbericht — wie er jetzt heißt; früher: die „Allgemeinen Vorbemerkungen" — spät herausgekommen ist, zu spät, um sich sehr eingehend mit dieser, wie wir ja wissen, hervorragenden Arbeit zu beschäftigen. Es geht immer ein wenig unter, wenn wir so kurz vor der Aussprache zum Haushalt erst in den Besitz dieses Werkes kommen. Es wäre gut, wenn diese Arbeit nicht verpuffen und uns etwas früher in die Hand gegeben würde. Nur ein Übermensch hätte das alles durcharbeiten können, und wer ist das heute schon!
Nun zur Sache selbst. Ich möchte zunächst einiges zum ersten Teil der Rede des Herrn Bundesfinanzministers bemerken, während mein Freund Dr. Starke nachher zur Gesellschaftspolitik — zum zweiten Teil der Rede des Herrn Bundesfinanzministers —sowie zur Unteilbarkeit von Wirtschaftspolitik, Finanzpolitik und Haushaltspolitik Stellung nehmen und einen konjunkturpolitischen Ausblick — keinen kulturpolitischen, Herr Kollege Stoltenberg; da kann ich Sie völlig beruhigen - zu geben versuchen wird.
Der Herr Bundesfinanzminister hat seine Rede selbst als einen Rechenschaftsbericht über die im nächsten Jahr zu Ende gehende Legislaturperiode bezeichnet, möglicherweise auch im Hinblick auf die nächstjährige Bundestagswahl. Er hat gesagt, Wahlgeschenke seien in diesem Haushalt nicht enthalten. Ich gebe zu: nach der ersten Prüfung wird man das bestätigen müssen. Auf den ersten Blick sind keine Wahlgeschenke im üblichen Sinne darin enthalten. Aber wir beginnen ja gerade mit den Beratungen und wissen eben nicht, was uns noch alles in den nächsten Monaten bevorsteht. Uns ist aus der letzten Etatberatung noch sehr gut in Erinnerung, auf welche Weise uns der Herr Finanzminister in den letzten Beratungstagen einen bunten und gewichtigen Strauß neuer Ausgaben auf den Tisch legte, Ausgaben in einer Größenordnung von rund 3/4 Milliarden DM.
In diesem Jahr dürfte eine ähnliche Entwicklung zu befürchten sein. Wir wissen das ja alle. Eine lange Liste von Vorhaben beschäftigt uns schon seit Monaten. Ich will nur einige herausgreifen: die Novelle zum Gesetz nach Artikel 131, die Beihilferegelung für das zweite Kind, die verbesserten Mutterschaftshilfen, die Verbesserung der Bezüge für die Beamten und Angestellten im öffentlichen
Dienst - was die Beamtenbesoldung anlangt, so hat der Herr Bundesfinanzminister in seiner Rede die Berechtigung der Klagen der Beamtenschaft anerkannt —, die bilaterale Entwicklungshilfe und dergleichen mehr, alles Maßnahmen, denen die Bundesregierung zum größten Teil mindestens positiv gegenübersteht.
Sicher sind das für viele Wähler gute Aussichten. Aber bisher stehen für alle diese Zwecke noch keine Mittel im Haushalt. Für die Berlinhilfe sind z. B. 200 Millionen DM weniger als in diesem Jahr eingesetzt worden, ohne daß es zu einem Einvernehmen mit dem Senat von Berlin über die Kürzung der Beihilfe gekommen ist. Ich verweise auf den Vorbehalt, den das Land Berlin im Bundesrat zum Haushalt 1961 gemacht hat. Jedenfalls geht die Forderung Berlins wesentlich weiter, sogar über den Vorjahresbetrag hinaus. Ich habe den Eindruck, daß offenbar mit voller Absicht zu geringe Beträge eingesetzt worden sind, um bei den abschließenden Verhandlungen mit Berlin eine möglichst niedrige Ausgangsposition zu haben. Ich halte das für keinen guten Stil. Mit gutem Willen auf beiden Seiten — ich betone ausdrücklich, daß ich diesen guten Willen voraussetze — sollte künftig eine rechtzeitige Einigung möglich sein, allein schon deshalb, weil wir wohl alle der Meinung sind, daß das Berlinproblem, das sich jetzt wirklich sehr zugespitzt hat, aus dem Haushaltskampf herausgelassen werden sollte.

(Beifall bei der FDP.)

Angesichts dieser mit Sicherheit auf den Haushalt zukommenden Belastungen muß ich den Herrn Bundesfinanzminister fragen, wie er dafür im Haushalt Deckung finden will. Oder sind etwa — was ich persönlich glaube — für diese Belastungen bereits Reserven im Haushalt eingeplant? Bitte antworten Sie uns nicht, daß diese Positionen noch nicht etatreif seien. Die Probleme sind schon viel zu ausgereift, als daß sich der Bundesfinanzminister keine Sorgen zu machen brauchte. Glauben Sie nicht, Herr Finanzminister, daß Sie etwa dem Bundestag die Verantwortung dafür zuschieben könnten, wie dieser Mehrbedarf zu decken ist! Wenn die Bundesregierung die Ausgaben wünscht und für nötig hält, muß sie auch Deckungsvorschläge machen. Wahrscheinlich werden wir aber darüber heute keine präzise Antwort erhalten.
Ich gebe zu, daß man in den eben erwähnten Fällen — daß neue Ausgaben im Grunde erwartet werden, die Höhe der künftigen Belastung aber noch nicht ganz feststeht-- darüber streiten kann, ob der neue Haushaltsplan bereits Deckungsmittel für die erwarteten Ausgaben bereitstellen soll. Auf jeden Fall hätte ich aber erwartet, in der Etatrede des Ministers Einzelheiten darüber zu hören, welche Belastungen auf Grund der schwebenden Probleme dem Haushalt in naher Zukunft drohen und wie sich die Bundesregierung die Deckung denkt.
Das ist eigentlich der Hauptvorwurf, den ich diesem Haushalt mache: ei ist nicht vollständig. Das wird auch ganz offen zugegeben. Wir wissen, daß wir mit dieser Nichtvollständigkeit gegen den Art. 110 des Grundgesetzes verstoßen.



Lenz (Trossingen)

Als einen krassen Verstoß` gegen das Prinzip der Vollständigkeit des Haushaltsplanes muß ich die im § 29 des Haushaltsgesetzes vorgesehene Regelung bezeichnen. Ausgerechnet für diese neue Vorschrift des Haushaltsgesetzes fehlt in der Drucksache 2050 eine Begründung der Regierung. In seiner Rede am letzten Freitag hat der Herr Bundesfinanzminister lediglich erklärt, daß als Folge eines Beschlusses des Zentralbankrates der Deutschen Bundesbank die Finanzierung der Vorratseinlagerung von Getreide durch Wechselkredite eines Bankenkonsortiums allmählich verringert werden müsse. Aus diesem Grunde hätte im Haushaltsgesetz eine Kreditermächtigung für 250 Millionen DM vorgesehen werden müssen. Bis zu dieser Höhe sollen Darlehen an die Einfuhr- und Vorratsstellen für Getreide und Futtermittel gewährt werden. Im Haushaltsplan selber habe ich aber vergeblich nach einer Ausgabeermächtigung für diesen Zweck gesucht. Es kann doch kein Zweifel darüber bestehen, daß diese 250 Millionen DM im Haushalt hätten veranschlagt werden müssen. Da die Darlehen offenbar nicht aus ordentlichen Einnahmen, also aus Steuern bezahlt werden sollen, hätten sie in den außerordentlichen Haushalt eingestellt und die Anleihen von 2,1 Milliarden DM auf 2,35 Milliarden DM erhöht werden müssen. Allerdings wäre dadurch das Gesamtvolumen des Haushalts auf über 45 Milliarden DM angestiegen. Das hat man wahrscheinlich vermeiden wollen. Es muß gesagt werden, daß dieses Vorgehen mit dem geltenden Haushaltsrecht nicht zu vereinbaren ist.
Ich stehe, wie Sie wissen, mit dieser Ansicht nicht allein. Sogar die Finanzminister der Länder haben bei der Beratung im Finanzausschuß des Bundesrates daran Anstoß genommen. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich drei Sätze aus der Niederschrift über die Sitzung des Finanzausschusses vom 15. September verlesen:
An sich hätte man erwarten müssen, daß ein entsprechender Einnahmen- und Ausgabentitel im außerordentlichen Haushalt veranschlagt worden wäre. Der außerordentliche Haushalt hätte dann eine Ausweitung erfahren, die man aber hat vermeiden wollen. Wenn der hier beschrittene Weg Schule macht, kann man auf einen außerordentlichen Haushalt überhaupt verzichten.
Herr Kollege Vogel, ich bin eigentlich mit Ihnen einig: man sollte sich ganz ernsthaft darüber unterhalten, ob es in diesen Zeiten sinnvoll ist, einen außerordentlichen Haushalt aufzustellen. Das Haushaltsrecht zwingt uns dazu nicht. Man kann durchaus fragen, ob man, nachdem es einfach üblich geworden ist, den außerordentlichen Haushalt durch Steuern, d. h. durch ordentliche Einnahmen zu decken, das nicht von vornherein tun sollte. Man würde auf diese Weise manche Unruhe und Unsicherheit vermeiden; sie sind z. B. im Atomministerium und im Verkehrsministerium — hier in der Abteilung Seewasserstraßen — entstanden. In den Haushaltsplänen dieser Ministerien wurden wesentliche Beträge in den außerordentlichen Haushalt in der Hoffnung transferiert, man werde den außerordentlichen Haushalt einmal durch Steuern bedienen können.
Das, was unter dem Vorgänger des Herrn Bundesfinanzministers eine Sünde gewesen ist — sie hat sich dann zu einer konzessionierten Sünde entwickelt —, gehört heute unter dem jetzigen Finanzminister bereits zu den guten Werken, nämlich daß man die Steuern dazu verwendet, das Extraordinarium zu bedienen.

(Beifall bei der FDP.)

Ich glaube, man sollte dem ernsthaft nachgehen. Natürlich müßte man die Investitionsausgaben im Ordinarium kennzeichnen; aber es wäre gut, wenn wir nur noch einen Haushalt hätten.
Der Zufall hat mir eine Pressemeldung aus Wien vom 23. 9. 1960 in die Hand gespielt. Dort sagt der österreichische Finanzminister Dr. Heiligensetzer, der ja ein alter Haushaltsmann ist — er war Sektionschef der Abteilung Haushalt —, er werde das außerordentliche Budget allmählich überhaupt abbauen und in guten Konjunkturjahren kein Extraordinarium in den Haushaltsplan aufnehmen; erst bei einem wirtschaftlichen Rückschlag würde man größere öffentliche Aufträge durch Anleihen finanzieren. Das ist ein Verfahren, das wir vielleicht auch anwenden sollten.
Auf einen ähnlichen Fall habe ich schon bei der Beratung des Haushalts 1960 hingewiesen, nämlich darauf, daß im Haushaltsplan keine Ansätze für die Abgeltung der Ansprüche der Rentenversicherungsträger nach § 90 des Bundesversorgungsgesetzes vorhanden seien. Die ausschließliche Ermächtigung im Haushaltsgesetz, an Stelle von Barmitteln Schuldbuchforderungen hinzugeben, reicht nach meiner Auffassung nicht aus. Zur Sache selbst hören wir mit Befriedigung, daß über die in den letzten Jahren strittige Forderung mit den Rentenversicherungsträgern ein Ubereinkommen erzielt worden sei. Die Bundesregierung bittet daher im § 28 des Haushaltsgesetzes um die Ermächtigung zur Hingabe von 2,1 Milliarden DM Schuldbuchforderungen: Auch hierfür fehlen die entsprechenden Bewilligungen im Haushaltsplan. Noch vor einigen Jahren hat die Bundesregierung die Auffassung vertreten, daß solche Leistungen im Haushalt nachgewiesen werden müssen. Ich verweise hierzu auf die ausführliche Begründung der Regierung in der Haushaltsrechnung 1953.
Nicht zu verstehen ist weiter, warum die Mittel für den Grünen Plan wiederum nur mit einer Globalsumme veranschlagt worden sind. In den früheren Jahren war das wegen des zum 15. Februar zu erstattenden Grünen Berichts noch verständlich. Heute kann dieser Grund nicht mehr gelten. Der nächste Grüne Bericht ist erst am 15. Februar 1961 fällig, also zu einem Zeitpunkt, wo das neue Rechnungsjahr bereits begonnen hat und der Haushaltsplan längst verabschiedet sein müßte. Infolge der Angleichung des Rechnungsjahres an das Kalenderjahr wird daher ein anderes Verfahren Platz greifen müssen.
Ich betone aber, daß kein Anlaß zu einer Änderung des Vorlagetermins im Landwirtschaftsgesetz besteht. Der Termin des 15. Februar für die Vorlage des Grünen Berichts erhält jetzt erst nach der Umstellung des Rechnungsjahres seine Berechtigung;



Lenz (Trossingen)

denn nunmehr kann und muß die Bundesregierung bei der Aufstellung des neuen Haushalts im April die Ergebnisse des Grünen Berichts in den Haushaltsentwurfs einarbeiten. So hätte bereits bei der Aufstellung des vorliegenden Haushalts verfahren werden müssen. Es besteht kein Grund dafür, daß die Vorhaben des Grünen Plans für 1961 noch nicht einzeln veranschlagt worden sind. Sie liegen ja alle in einer Schublade im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Die Geheimniskrämerei bei der Aufteilung der Mittel des Grünen Plans ist unverständlich, und ich bitte, zu verstehen, daß sie uns mißtrauisch macht. Liegt hier eine Absicht vor? Soll irgend etwas im dunkeln bleiben, das man erst zu einem besser geeigneten Zeitpunkt, vielleicht wirklich als Wahlgeschenk für die Landwirtschaft, an die Öffentlichkeit bringen will?

(Abg. Brese: Wahlgeschenke an die Landwirtschaft — haben Sie keine Angst, es kommen keine!)

— Wir wären idankbar, wenn Sie uns diese Angst nähmen.

(Abg. Brese: Fragen Sie einmal Ihre Bauern, die werden es Ihnen sagen!)

— Ich werde es tun.
Aber auch sonst dürfte Anlaß bestehen, die Haushaltsgebarung des Herrn Bundesfinanzministers zu überprüfen. So haben wir z. B. gehört, daß die Ist-Rechnung des Haushalts 1959 um. 1,4 Milliarden DM über der Haushaltssumme liegt. Das ist in der Tat ein derart bemerkenswertes Ergebnis, daß es einer näheren Prüfung bedarf. Bisher blieben die Ist-Ausgaben regelmäßig hinter den Sollzahlen des Haushalts zurück. Der Herr Minister erklärt uns diese Überschreitungen mit durchlaufenden Beträgen und mit der zwangsläufigen Verwendung höherer zweckgebundener Einnahmen. Das mag richtig sein! Zweifel habe ich aber, ob diese Mehreinnahmen nicht vorhergesehen werden konnten. Soweit die höheren Einnahmen und die daraus zu leistenden Mehrausgaben zu ierwarten waren, hätten sie veranschlagt werden müssen. Der Wunsch des Herrn Finanzministers, 'die Gesamtsumme des Haushaltsplans möglichst niedrig zu halten, scheint mir auch hier Pate gestanden zu haben. Wahrscheinlich fühlt sich der Herr Finanzminister an sein Wort gebunden, „an der schrecklichen Treppe ständig steigender Staatsausgaben nicht weiterbauen zu wollen", und weiß, daß dies eben leider in einer Hochkonjunktur nicht möglich ist. Die Haushaltswahrheit erfordert aber, daß alle Ansätze den Erwartungen entsprechend bemessen werden. Die Haushaltstechnik sollte nicht zum Spielball politisch-taktischer Erwägungen werden. Nun, ich glaube, wir werden uns mit diesem Problem in den kommenden Ausschußberatungen noch sehr eingehend beschäftigen müssen.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat uns in seinem Rechenschaftsbericht an Hand von Beispielen vor Augen führen wollen, wie er die Bundesfinanzen geführt habe. Nur mit strengen und harten Mitteln sei es gelungen, den Haushalt 1959 bis auf einen geringen Fehlbetrag auszugleichen. Er hat uns dabei eine Rechnung aufgemacht, die auf den ersten Blick überzeugt. Ich darf sie Ihnen vielleicht ins Gedächtnis zurückrufen. Von den Mehrausgaben des Jahres 1959 seien 1,7 Milliarden DM zusätzlich zu decken gewesen. Hierfür hätten ihm aber nur Mehreinnahmen von rund 600 Millionen DM zur Verfügung gestanden, weil die übrigen Mehreinnahmen Höhe von 1,4 Milliarden DM zur Deckung der außerordentlichen Ausgaben benötigt worden seien. Die restlichen 1,1 Milliarden DM Mehrausgaben seien durch drastische Bewirtschaftungsmaßnahmen und gezielte Einsparungen gedeckt worden. — Das hört sich gut an. Frage: Ist es in Wirklichkeit so?
Wir wissen doch alle, daß jeder Haushalt eine ganze Reihe von Ansätzen enthält, die aus optischen und anderen Gründen auf eine bestimmte Höhe beimessen werden, weil man soundsoviel für einen Zweck entweder ausgeben möchte oder auf Grund bestehender Vorschriften ausgeben soll, es aber nicht kann, weil die Verwaltung die Durchführung der Aufgabe einfach nicht bewältigt.
Nun habe ich mich mit der Rechnung des Herrn Bundesfinanzministers nicht zufriedengegeben und habe mir einmal die Mühe gemacht, einige Einzelpläne, und zwar den der Bundesschuld — Einzelplan 32 — und der Allgemeinen Finanzverwaltung — Einzelplan. 60 —, die beide vom Bundesfinanzministerium selbst bewirtschaftet werden, daraufhin angesehen, um zusammenzustellen, welche größeren Minderausgaben dem Herrn Finanzminister auf diese Weise zugefallen sind, ohne daß er auch nur eine Hand zu rühren brauchte. Ich muß Ihnen sagen: ich war baß erstaunt, was dabei herauskam.
Im Bereich der Bundesanstalt sind es neun größere Positionen, bei denen die IstAusgaben wesentlich hinter dem Haushaltssoll zurückgeblieben sind. Sie ergeben zusammen rund 426 Millionen DM Ausgabeersparnisse. Bei der Allgemeinen Finanzverwaltung sind es sieben Titel mit zusammen rund 570 Millionen DM zwangsläufigen Ersparnissen. Das macht allein bei diesen beiden Plänen eine runde Milliarde aus. Aber auch in anderen Haushalten dürften einige dieser automatischen Haushaltsersparnisse stecken, wenngleich auch nicht in dieser Größenordnung.

(Abg. Dr. Schäfer: Das sind Polster!)

Eine Zahl muß ich aber noch nennen, die ich in den statistischen Veröffentlichungen des Bundesfinanzministeriums über das Ergebnis des Haushalts 1959 gefunden habe, nämlich die Minderausgaben bei den Personaltiteln. Diese beliefen sich bei allen Einzelplänen ohne Einsparung bei den 131 er-Bezügen auf 417 Millionen DM.

(Abg. Dr. Schäfer: Darauf haben wir ja bei der Besoldungsänderung schon hingewiesen!)

Rechnen Sie diese drei genannten Positionen zusammen, so kommen Sie auf eine Gesamteinsparung von über 1,4 Milliarden DM, die dem Herrn Bundesfinanzminister mit mehr oder weniger Zwangsläufigkeit zugefallen sind, ohne daß er irgend jemandem hat



Lenz (Trossingen)

wehe tun müssen. Mit diesen automatischen Einsparungen konnten also die 1,1 Milliarden DM Mehrausgaben mehr als gedeckt werden und ohne daß es dazu einer starken und harten Hand bedurft hätte. Ich muß gestehen, daß mich das Ergebnis dieser Nachprüfungen selbst überrascht hat; aber es stimmt. Ich kann die Titel nennen, und Sie können sie jederzeit im Haushaltsplan nachlesen.
Auch im laufenden Rechnungsjahr wird sich der Herr Bundesfinanzminister nicht besonders anstrengen müssen, um den Bundeshaushalt im Gleichgewicht zu halten. Die Steuereinnahmen, die heute früh im Leitartikel einer Tageszeitung als „Sturzbäche in die Bundeskasse" bezeichnet wurden, fließen reichlicher, als im Haushaltsplan veranschlagt ist. Außerdem dürften auch in diesem Jahr solche zwangsläufigen Einsparungen in entsprechender Höhe anfallen; denn die Soll-Zahlen für 1960 wurden gegenüber 1959 nur wenig verändert.
Der Herr Bundesfinanzminister kann also den außerordentlichen Haushalt dank der Steuermehreinnahmen und der zwangsläufigen Einsparungen ohne Schwierigkeiten finanzieren. Wenn keine wesentlichen Mehrausgaben geleistet werden, müßte sich sogar ein nicht unerheblicher Überschuß bilden lassen. Wenn man diesen Überschuß stillegen würde, wäre das in der Tat ein Beitrag zu einem antizyklischen und konjunkturgerechten Verhalten des Herrn Finanzministers.
Der Herr Finanzminister hat es auch als sein Verdienst herausgestellt, daß er den Ressorts von den Mehranforderungen 3 Milliarden DM gestrichen habe. Nun, ob man es so pathetisch ausdrücken kann, ist eine Frage. Denn wir wissen inzwischen auch einiges davon, in welcher Höhe und Größenordnung die Ressorts anfordern; sie wissen, daß sie davon etwas ablassen müssen. Manche Verwaltungen haben bei diesem Vorhalten eine wahre Meisterschaft entwickelt. Es soll in den letzten Jahren sogar vorgekommen sein, daß einem Ressort auf diese Weise bei einigen Titeln höhere Ansätze zugestanden wurden, als es selber eigentlich haben wollte. Nun, schön, ich kann mich für die Richtigkeit dieser Kolportagen, die begreiflicherweise hier herumschwirren, nicht unbedingt verbürgen. Aber möglich ist es. Auch glauben einzelne Ressorts, vom Referenten angefangen bis hinauf zum Minister, ihre Bedeutung durch das Vorbringen neuer, förderungswürdiger Anliegen unterstreichen zu müssen, obgleich sie ernstlich nicht an die Verwirklichung glauben. Das Vorhalten bei den Haushaltsanforderungen ist also üblich. Daher finde ich in dem Verzicht auf die Hälfte der Mehranforderungen kein Zeichen besonderer Härte.
Ich sage dies auch noch aus einem anderen Grund. Der Herr Finanzminister hat darauf hingewiesen, daß der auf gesetzlicher Verpflichtung beruhende Mehrbedarf im Jahre 1961 rund 1,5 Milliarden DM beträgt, was zusammen mit dem zugestandenen Mehrbedarf für die Verteidigung bereits 3,2 Milliarden DM ausmacht, während der Haushalt 1961 nur um rund 2,9 Milliarden DM steigt; der übrige Mehrbedarf sei an anderen Stellen eingespart worden. Dabei hat der Bundesfinanzminister aber verschwiegen, daß im Jahre 1961 wie in allen früheren Jahren Ansätze weggefallen sind, weil ihr Zweck inzwischen erfüllt war. In den beiden vorhin genannten Einzelplänen der Bundesschuld und der Allgemeinen Finanzverwaltung sind gegenüber dem laufenden Jahr für über 300 Millionen DM Ausgaben weggefallen. Darüber hinaus konnte in den gleichen Plänen eine Reihe von Ansätzen herabgesetzt werden, ohne daß die Maßnahmen selbst etwa eingeschränkt werden sollen. Es handelt sich hierbei ausschließlich um die Anpassung der Soll-Sätze an den tatsächlichen Ausgabebedarf. Es fragt sich nur, ob sie wirklich soweit wie möglich gesenkt worden sind oder ob nicht noch mehr Reserven darin stekken. Die Verminderung bei diesen Ansätzen infolge Minderbedarf beträgt bei diesen Plänen rund 500 Millionen DM. Zusammen ergibt sich daraus also eine Minderung der Ansätze von 800 Millionen DM. Bei der Einzelberatung im Haushaltsausschuß sollten wir daraus eine Lehre ziehen und die Ansätze rigoros dem tatsächlichen Ausgabenbedarf auf Grund der vorliegenden Ist-Zahl anpassen. Diese Maßnahme erscheint mir vordringlich für unsere künftige Arbeit. Denn diese Feststellungen haben doch gezeigt, in welch erschreckendem Maße sich die Haushaltsplanung von der Ausführung in den letzten Jahren entfernt hat. Wir im Bundestag sind an dieser Entwicklung nicht schuldlos, und auch wir müssen es wieder lernen, es mit der Haushaltswahrheit genau zu nehmen.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch ein Wort zu den über- und außerplanmäßigen Ausgaben sagen. Diese sind im Bundestag schon wiederholt kritisiert worden. Um so mehr bedauere ich den Entschluß des Rechnungsprüfungsausschusses, daß die vom Bundesministerium der Finanzen nach § 33 RHO dem Bundestag vorzulegenden Vierteljahresübersichten der über- und außerplanmäßigen Ausgaben erst bei der Rechnungsprüfung, d. h. nach Vorlage der Haushaltsrechnung behandelt werden sollen. Wir begeben uns damit der Möglichkeit einer zeitnahen Rechnungsprüfung. Nach diesem Entschluß des Rechnungsprüfungsausschusses wundert es mich nicht, wenn sich die Verwaltung mit der Vorlage dieser Übersichten reichlich Zeit läßt. Es ist dem Bundestag bis heute, also mehr als ein halbes Jahr nach Schluß des Rechnungsjahres 1959, immer noch nicht die Übersicht für das letzte Vierteljahr des Rechnungsjahres 1959 vorgelegt worden. Gerade die Übersicht des letzten Quartals eines Rechnungsjahres enthält erfahrungsgemäß die meisten und finanziell bedeutendsten Ausgaben.
Etwas kühn war auch die Behauptung des Herrn Bundesfinanzministers, die Erhöhung des Verteidigungshaushalts um 1,7 Milliarden DM beruhe auf der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen. Man kann der Meinung des Herrn Bundesverteidigungsministers sein — ich persönlich neige sogar zu dieser Meinung —, daß wir uns im Laufe der Zeit daran gewähren müssen, einen bestimmten Prozentsatz unseres Volkseinkommens —er spricht von 5 oder 6 % — für die Verteidigung bereitzustellen. Aber zu sagen, die jetzigen Mehranforderungen von 1,7 Milliarden DM des Bundesverteidigungsministeriums beruhten auf der Erfüllung vertraglicher Ver-



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pflichturigen, ist eine sehr eigenwillige Formulierung. Sie führt vielleicht sogar ein wenig irre. Denn die der NATO gegenüber eingegangenen Verpflichtungen bestehen doch nicht darin, daß der Bund jährlich 10 oder 11 Milliarden DM für die Vertreidigung aufwenden muß, sondern ,darin, daß innerhalb einer bestimmten Zeit eine bestimmte Anzahl Soldaten mit Waffen und Ausrüstung aufzustellen sind. Ich brauche wohl nicht daran zu ,erinnern, daß die Bundesregierung in den Jahren 1958 und 1959 Vorauszahlungen auf künftige Rüstungslieferungen in Höhe von mehreren Milliarden geleistet hat, und zwar freiwillig, ohne daß dazu auch nur die Spur einer vertraglichen Verpflichtung vorlag. Man kann darüber streiten, ob das richtig war; ich selbst halte diese Zahlungen für richtig. Aber da das Verfahren der Vorauszahlung und der überhöhten Anzahlung für Rüstungskäufe weiter fortgesetzt wurde, besteht wirklich kein zwingender Grund, den Verteidigungshaushalt 1961 in dem vorgesehenen Umfang zu erhöhen. Die zwingende Notwendigkeit einer Erhöhung der Verteidigungsausgaben ist noch nachzuweisen.
Als besondere Leistung des Herrn Finanzministers — das hat schon der Herr Kollege Dr. Vogel betont — wurde auch der Abbau der überhöhten Ausgabenreste von rund 10 rauf 7 Milliarden DM herausgestellt. Beim besten Willen kann ich hierin keine besondere Leistung erkennen, denn der Abbau der Reste war im Haushaltsplan veranschlagt. Es ist also weiter nichts geschehen, als daß der Haushaltsplan nach dem Willen des Gesetzgebers durchgeführt wurde. Schön, die Reste sind zwar etwas stärker als vorgesehen vermindert worden, aber das dürfte nicht der Härte und Initiative des Herrn Bunde sfinanzministers zu verdanken s ein ; es entspringt vielmehr ,dem Willen der Ressorts, ihre noch vorhandenen Ausgabeermächtigungen möglichst bald auszunutzen. Eine wirkliche Tat — ich sage es nicht zum ersten Male —, die meinen ungeteilten Beifallgefunden hätte, wäre es gewesen, wenn die Reste idurch Verzicht rauf die Realisierung der Ausgabeermächtigungen vermindert worden wären. Aber das hat das Finanzministerirum nicht geschafft. Die Ausgabereste, insbesondere die Reste aus dem Verteidigungshaushalt, hätten in dieser Höhe überhaupt nicht gebildet werden dürfen.
Bitte, meine Damen und Herren, schauen Sie sich doch einmal ran, welche Beträge für Verteidigungsbauten im Jahre 1961 veranschlagt worden sind. Nicht einen einzigen Pfennig finden Sie dafür, obgleich auch im nächsten Jahr Bauten im Gesamtvolumen von 1 bis 1 1/2 Milliarden DM errichtet werden sollen. Alle Ausgaben fürdiesen Zweck sollen wiederum aus Resten bestritten werden ohne Rücksicht darauf, ob es sich um ,angefangene Bauten oder um die Planung neuer Bauten handelt. Die Ausgabenreste stammen aber aus Bewilligungen, die vom Parlament ursprünglich für ganz andere Zwecke gegeben worden sind; das ,aber widerspricht sicher dem Haushaltsrecht.

(C Einzelplan 14 'der letzten zwei Jahre hat die Mehrheit des Hohen Hauses mit der Bewilligung der Haushaltspläne die an sich unzulässige Verwendung der alten Reste für neue Zwecke nachträglich geheilt. Das ist kein schönes Verfahren. Auch die Einnahmenseite ist unvollständig. Ich meine die Steuerschätzung für 1961. Der Herr Bunfinanzminister hat in seiner Rede am letzten Freitag die Möglichkeit von Steuermehreinnahmen zwar nicht bestritten, aber doch als sehr vage hingestellt. Ein paar Tage zuvor hat er aber vor der Presse auf Fragen von Journalisten bereits zugegeben, daß er für das laufende Rechnungsjahr, für das Rumpfrechnungsjahr bis Ende Dezember, mit 500 Millionen DM Mehreinnahmen aus Steuern rechnet. Meine Damen und Herren, wenn ein Finanzminister schon zugibt, daß er mit einer halben Milliarde DM Steuermehreinnahmen rechnet, dann können Sie sicher sein, daß dies die untere Grenze ist. Man kann wahrscheinlich wesentlich höher schätzen. Auf das ganze Rechnungsjahr von 12 Monaten bezogen bedeutet diese Mehreinnahme wahrscheinlich 1 Milliarde DM. Nun frage ich Sie: War jener Antrag der Freien Demokratischen Bundestagsfraktion zur Haushaltsberatung 1960 auf Erhöhung der Steuerschätzungen um 1 Milliarde DM nicht durchaus berechtigt, obgleich er damals in diesem Hause von diesem Platz aus als lächerlich, utopisch und illusionistisch hingestellt wurde? Wir haben uns doch damals etwas überlegt, und die Entwicklung — seitdem sind erst fünf Monate vergangen — hat uns recht gegeben. Die Steuerschätzungen für 1961 sind also schon im gegenwärtigen Augenblick falsch, weil man von einem zu niedrigen Sockel ausgeht. Auch bei der Frage, mit welcher Steigerung des Bruttosozialprodukts für 1961 gerechnet werden kann, hat der Herr Bundesfinanzminister vor der Presse zugegeben, daß unter Umständen ein höheres Wachstum als 6 v. H. möglich sei. Er hat sich allerdings noch nicht auf einen Prozentsatz festgelegt, aber der Möglichkeit eines Wachstums von 8 statt 6 v. H. nicht ernsthaft widersprochen. Diese Annahme würde den Ansatz eines um weitere 800 bis 900 Millionen DM höheren Steueraufkommens begründen. Was bedeutet dies nun für den Augenblick? Sicher ist, daß die Steuerschätzungen des uns jetzt vorgelegten Haushalts nicht den Realitäten entsprechen. Ausgehend von einem Steuermehraufkommen von 700 bis 800 Millionen DM im jetzigen Rumpfjahr und eines Zuwachses des Bruttosozialprodukts von 8 v. H., könnten die Steueransätze für 1961 wahrscheinlich um „1,5 bis 2 Milliarden DM erhöht werden. Auf diese 1,5 bis 2 Milliarden DM werden wir ganz besonders achthaben müssen; darin stecken die kommenden Bewilligungen. Herr Minister, ich kann mir denken, was Sie hierauf entgegnen wollen. Sie werden sagen, Sie hätten den Haushaltsentwurf bereits im April aufgestellt, Lenz und zu dem damaligen Zeitpunkt sei die inzwischen eingetretene Entwicklung noch nicht vorauszusehen gewesen. Das glaube ich auch, und ich würde das akzeptieren, wenn das Bundeskabinett, wie ursprünglich vorgesehen, den Haushaltsentwurf vor den Parlamentsferien beschlossen und dem Bundesrat zugeleitet hätte. Dies ist aber erst Ende August geschehen, und zu diesem Zeitpunkt hätten die Konsequenzen aus der veränderten Situation gezogen werden müssen. Oder aber Sie hätten hier erklären müssen, Herr Finanzminister, daß die Bundesregierung eine formale Ergänzung der Regierungsvorlage nach den entsprechenden Vorschriften der Reichshaushaltsordnung vorbereite und dem Bundestag in Kürze zugehen lassen werde. Das ist leider nicht geschehen. Statt dessen werden Sie uns wieder wie beim vorjährigen Haushalt in der letzten Phase der Ausschußberatungen Nachschiebelisten vorlegen. Gegen diese Methode müssen wir uns wehren. Wir sollten sie nicht länger dulden. Ich habe das bei der Verabschiedung des letzten Haushalts schon einmal gesagt. Wir müssen zu Beginn der Haushaltsberatungen in allen Einzelheiten und mit der größten Genauigkeit wissen, welche Einnahmemöglichkeiten für das nächste Rechnungsjahr bestehen und welche Risiken wir bei den Beratungen zu berücksichtigen haben werden, die sich in Ausgaben für das nächste Jahr niederschlagen. Wir haben uns doch gegenseitig eine loyale Zusammenarbeit zugesichert. Ich möchte daran erinnern und noch einmal bitten, alle aber auch alle Karten offen auf den Tisch zu legen. Keine Partei, ob sie zur Regierungsmehrheit oder zur Opposition gehört, sollte ein Interesse daran haben, den Wahlkampf auf dem Rücken des Haushalts auszutragen. Wahlgeschenke zahlen sich auf die Dauer nicht aus. Wir haben es bei der letzten Wahl in England erlebt, daß auch ohne Geschenke und ohne Versprechungen eine Wahl gewonnen werden kann. Meine Freunde jedenfalls sind gewillt, die Haushaltsberatungen aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Das setzt aber loyale Zusammenarbeit und Offenheit auf allen Seiten voraus. Weil ich den Herrn Bundesfinanzminister bei der letzten Haushaltsberatung wegen des Fortfalls der globalen 10 %-Kürzung beim Wort genommen habe, möchte ich hier ausdrücklich bestätigen, daß er sein Wort gehalten hat. Allerdings muß ich sagen, daß der Versuch, alle Ansätze, die von der globalen Sperre erfaßt wurden, für 1961 um 10 % zu kürzen, wohl nicht gelungen ist. Im Verteidigungshaushalt sind überhaupt keine Kürzungen vorgenommen worden. Auch zahlreiche Ansätze im zivilen Teil haben einer Einzelkürzung widerstanden. Bei den meisten anderen lassen sich die Kürzungen schlecht beweisen, weil sie durch neue Erhöhungen mehr als kompensiert sind. Zum Schluß noch einige Bemerkungen zum Zeitproblem. Wir schreiben heute bereits den 5. Oktober. Das Hohe Haus wird den Haushaltsentwurf dem Haushaltsauschuß zur Beratung überweisen. Dieser kann aber mit seinen Beratungen erst am 20. Oktober beginnen. Wenn der Haushalt fristgerecht in Kraft gesetzt werden soll, muß der Bundestag theoretisch bereits in der ersten Dezemberwoche den Haushalt verabschiedet haben. Die Haushaltsberatungen müssen also spätestens Mitte November abgeschlossen sein. Jedem Mitglied des Hohen Hauses dürfte klar sein, daß dies bei der geringen Zahl von Tagungsmöglichkeiten innerhalb von vier Wochen nicht durchführbar ist. Wir stehen also wiederum vor der Tatsache, daß bei einer gründlichen und eingehenden Prüfung der Haushalt erst mit drei Monaten Verspätung verabschiedet werden kann, wenn nicht auf eine sachliche Einzelprüfung verzichtet wird. Mit einem solchen Verzicht würden wir uns aber selber einen schlechten Dienst erweisen. Das Parlament hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zu einer gründlichen Etatprüfung. In den letzten zwei Jahren haben wir einzelne Titel, soweit sie keine Erhöhungen aufgewiesen haben, ohne genaue Prüfung passieren lassen. Dieser Haushalt ist aber der letzte, den der Bundestag in dieser Legislaturperiode zu verabschieden hat. Daher muß jedem Abgeordneten die Möglichkeit einer gründlichen Prüfung aller Ansätze gegeben werden. Gerade die seit Jahren in ihrer Höhe unverändert gebliebenen Ansätze müssen uns zur Skepsis mahnen. Eine große Anzahl der Titel muß einfach zu hoch dotiert sein. Andernfalls ist es nicht zu erklären, wie es möglich war, daß im Haushalt 1959 neben einer Milliarde DM Einsparungen aus der globalen Prozentsperre noch eine weitere Milliarde überund außerplanmäßiger Ausgaben eingespart werden konnte. Wir werden uns bald entscheiden müssen, welchen Weg wir gehen wollen. Die zeitliche Verzögerung für das Inkrafttreten des Haushalts darf uns nicht schrecken. Eine gründliche Haushaltsprüfung sollte auch ein Anliegen der Regierungsparteien sein. — Ich habe nie an Ihrer Haltung gezweifelt, Herr Niederalt. — Ich hoffe also, daß wir uns zu einer gemeinsamen Front quer durch alle Parteien finden. Lassen Sie mich zum Abschluß noch einen Vorschlag machen. Da angenommen werden kann, daß der neue Haushalt spätestens im März vom Bundestag verabschiedet wird, bleiben uns, bleiben dem Haushaltsausschuß bis zum Ablauf der Legislaturperiode noch ein paar Monate, die wir nicht ungenützt vorübergehen lassen sollten. Ein Teil der Kollegen des Haushaltsausschusses wird sich voraussichtlich in dieser Zeit mit dem Problem der Subventionen auseinanderzusetzen haben. Mein Vorschlag geht nun dahin, aus den Reihen der übrigen Mitglieder einen kleinen Arbeitsstab zu bilden, dem auch einige erfahrene und sachkundige Beamte angehören sollten, die mit der Parlamentsarbeit seit Jahren vertraut sind. Diesem Arbeitsstab sollte die Aufgabe gestellt werden, alle Möglichkeiten einer Verbesserung und Konzentration der Haushaltsberatungen zu untersuchen. In diese Untersuchung wären alle Vorschläge, die in diesem Hause in den letzten Jahren gemacht wurden und leider mehr oder weniger untergegangen sind, einzubeziehen. Es gehen uns laufend Denkschriften, Expertisen, Gutachten des Bundesbeauftragten zu; ebenso sollten die von der Verwaltung gekommenen Anregungen geprüft werden. Lenz Ich gebe mich nicht der Hoffnung hin, daß der Arbeitsstab eine Ideallösung finden wird, daß wir noch in diesem Bundestag wirklich zu einer Rationalisierung der Haushaltsberatungen, vielleicht zu einer Rationalisierung unseres Staatswesens kommen könnten. Aber es muß sich einmal ein kleiner Kreis von Fachleuten ausführlich mit diesem Problem beschäftigen, wenn wir auch in diesem Bundestag keinen Nutzen mehr daraus ziehen können. Ich bin aber sicher, daß diese Arbeit sehr fruchtbar sein und Vorschläge bringen wird, die dem nächsten Bundestag wertvolles Material liefern können, um die leidige Terminnot zu beseitigen und eine fristgerechte Verabschiedung des Haushalts zu ermöglichen. Es wäre ein Geschenk an den nächsten Bundestag; denn wir müssen uns immer vor Augen halten: so wie wir uns heute verhalten, wird die Zukunft aussehen. (Beifall bei der FDP. — Beifall des Abg. Dr. Dr. h. c. Dresbach.)


(Beifall bei der FDP.)





(Beifall bei der SPD.)


(Abg. Niederalt: Ist es auch!)





Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0312710100
Das Wort hat der Abgeordnete Niederalt.

Alois Niederalt (CSU):
Rede ID: ID0312710200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jeder, der die alljährliche allgemeine Aussprache aus Anlaß der Einbringung des Haushaltes mit einiger Aufmerksamkeit verfolgt, jeder, der die Kommentare in der Presse, die Artikel in den Fachzeitschriften registriert, die bei Einbringung des Etats regelmäßig wiederkommen, wird feststellen, daß es im allgemeinen immer die gleichen Problemkreise sind, die in den Vordergrund gerückt werden. Da wird natürlich das ständige Anwachsen des Haushaltsvolumens herausgehoben. Da wird gesagt, der Abbau der Subventionen müsse beschleunigt werden. Dann kommen die Personalunkosten, dann wird das antizyklische Verhalten herausgestellt, um nur einige Beispiele zu nennen. Im großen und ganzen immer wieder dasselbe.
Diese Tatsache beweist nach meiner Meinung, daß es offenbar leichter ist, haushaltspolitische Erkenntnisse und Forderungen herauszustellen und herauszuarbeiten, als sie in die Tat umzusetzen. Haushaltspolitik wird eben nicht irgendwo auf einer Insel der Seligen gemacht, sondern sie vollzieht sich meist in einem sehr, sehr engen Raum, in einem manchmal so engen Raum, daß die politischen Forderungen des Alltags sich mit den schönsten haushaltspolitischen Erkenntnissen stoßen und diese dann meist erheblich ramponiert werden. Offensichtlich gilt eben auch hier wie sehr, sehr oft im Leben der Satz, daß der Geist zwar willig, das Fleisch aber mitunter schwach ist.
Nehmen Sie nur die vielgehörte, vom Kollegen Schoettle auch heute wieder herausgestellte Klage über das Anwachsen des Haushaltsvolumens! Gerade hier, meine ich, meine Damen und Herren, sind wir Sünder allzumal. Und lieber, verehrter Herr Kollege Schoettle, ein kleines bißchen haben Sie heute schon wieder gesündigt. Denn zunächst haben Sie gesagt, es sei bedauerlich, daß das Haushaltsvolumen um fast 3 Milliarden DM höher geworden sei, und gleichzeitig haben Sie erklärt: Wir wollen natürlich Mehrausgaben für Wissenschaft und Forschung. Nun werden Sie, Herr Kollege Schoettle, weil Sie ja ein sehr vernünftiger Mann sind, mir sagen: Wir legen eben auf diese Frage mehr Gewicht und dafür auf eine andere Frage weniger Gewicht. Aber dann hätten Sie der Vollständigkeit halber sagen müssen, auf welche Gebiete Sie weniger Gewicht legen,

(Beifall bei der CDU/CSU)

damit wir uns hier darüber unterhalten können, ob das richtig ist oder nicht.
Ihre Partei hat ein Schattenkabinett aufgestellt.

(Zuruf von der SPD: Wo denn? — Weitere Zurufe von der SPD,)

— Na, so ungefähr. Ob der Ausdruck zutrifft oder nicht, nehmen Sie das nicht so genau; Sie wissen schon, was ich meine.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Warum legen Sie uns nicht einmal einen Schattenhaushalt mit den von Ihnen geschätzten Einnahmen und vor allem Dingen mit den Hauptgewichten der Ausgaben vor? Dann wollen wir darüber reden, was an Ihrer und was an unserer Konzeption besser ist. Dann können wir die Haushaltspolitik versachlichen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Ich sagte, was das Anwachsen des Haushaltsvolumens anlangt, sind wir Sünder allzumal. Wenn ich hier „wir" sage, so meine ich damit den einzelnen Staatsbürger, der nur allzu leicht bereit ist, bei jeder auftretenden Schwierigkeit nach dem Staat zu rufen, ebenso, wie die vielen Interessentenverbände, die immer den Beweis zu erbringen versuchen, daß gerade ihre Forderung von einer solchen politischen Bedeutung sei, daß da fiskalische Bedenken keine Rolle spielen dürften. Ich meine mit dem „wir" schließlich aber auch uns Abgeordnete selber, die wir quer durch alle Fraktionen ohne Ausnahme das ganze Jahr über frisch-fröhlich genehmigen und Gesetze machen, deren finanziellen Auswirkungen, die wir in der Jahresrechnung — das ist ja doch der Etat — sehen, wir dann manchmal etwas staunend gegenüberstehen. 1500 Millionen DM Mehrausgaben gegenüber dem Haushalt 1960 in diesem Jahr sind allein auf gesetzliche Bestimmungen zurückzuführen, also zwangsläufig in den Etat einzustellen.
Ein gewisser Trost, wenn auch ein schwacher Trost, Herr Bundesfinanzminister, ist es, daß sich das Anwachsen des Haushalts im Rahmen des Wachstums des Sozialprodukts gehalten hat. Immerhin bleibt die Tatsache, daß rund 40 % des gesamten Sozialprodukts von der öffentlichen Hand in Anspruch genommen werden. Es muß immer und immer wieder darauf hingewiesen werden, daß wir, die wir doch unseren Staat auf der Grundlage der veranwortungsbewußten Freiheit des einzelnen aufbauen, Gefahr laufen, auf diese Weise unbemerkt und gewissermaßen durch die Hintertür unsere Freiheit weitgehend preiszugeben.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Ich glaube, es ist eine legitime Aufgabe vor allen der Haushaltsleute — und wiederum sage ich: der



Niederalt
Haushaltsleute in allen Fraktionen —, während des gesamten Haushaltsjahres und nicht nur bei den Etatberatungen immer wieder auf die finanziellen Folgen unserer Beschlüsse hinzuweisen, auch wenn wir dadurch — ich habe meine Erfahrungen — da und dort als Fiskalisten hingestellt werden, die noch nicht erkannt hätten, eine wie wichtige politische Frage diese oder jene Frage sei. 1500 Millionen DM Mehrausgaben in einem Jahr allein als Auswirkung gesetzlicher Bestimmungen sind nach meiner Meinung ein deutliches und nicht übersehbares Ausrufezeichen für uns alle.
Neben den erwähnten 1500 Millionen DM Mehrausgaben, die also auf gesetzliche Verpflichtungen zurückzuführen sind, fällt in diesem Haushaltsjahr ganz besonders die Mehrausgabe von 1,7 Milliarden DM für den Verteidigungsetat auf. Die Gründe hierfür hängen eben mit dem weiteren Ausbau unserer Bundeswehr im Rahmen der NATO-Verpflichtungen zusammen. Nun haben Sie soeben, Herr Kollege Lenz, gesagt — dem Sinne nach wenigstens —, konkrete Verpflichtungen, daß wir in diesem Jahre das und das tun müßten, daß wir ein Flugzeugprogramm durchführen müßten, lägen nicht vor. Sie liegen in diesem Sinne selbstverständlick nicht vor, aber es liegt die allgemeine Verpflichtung vor, im Rahmen des Möglichen unseren Beitrag zu leisten, und insofern hat der Herr Bundesfinanzminister recht, wenn er sich auf NATO-Verpflichtungen beruft.
Von den 1,7 Milliarden DM entfallen allein 450 Millionen DM auf die höheren Personalausgaben für die Bediensteten und für die Soldaten. Auf rund 1 Milliarde DM belaufen sich die einmaligen Ausgaben für die Beschaffung von Flugzeugen, für Schiffsneubauten, für die Beschaffung von Liegenschaften, von Fernmeldematerial, Dienstbekleidung usw. Ich nenne diese Beträge nur als Beispiele, um die Größenordnung einigermaßen aufzuzeigen, mit der wir es hier zu tun haben.
Herr Kollege Vogel hat schon zum Ausdruck gebracht: Wir von der CDU/CSU sagen ein Ja, ein eindeutiges Ja zu dieser Mehrausgabe in der Erkenntnis, daß unsere Gesamtpolitik auf :dem Gebiete der Wirtschaft, auf dem Gebiete der sozialen Sicherheit, auf kulturellem Gebiet und wo auch immer auf tönernen Füßen stünde, würden wir nicht alles tun, um die äußere Sicherheit zu erhalten. Diese äußere Sicherheit erhalten wir aber nun einmal nicht durch programmatische Erklärungen für die Landesverteidigung, sondern einzig und allein dadurch, daß wir im Rahmen des NATO-Verbandes unsere Bundeswehr so stark machen und so modern ausrüsten, daß ein Angriff irgendwelcher Art auf die Bundesrepublik ein Risiko darstellt. Das aber kostet Geld, sehr, sehr viel Geld sogar, und da nützt auch nicht die manchmal so im :stillen gewünschte Methode des „Hannemann, geh du voran!", indem wir etwa die Hauptlast unseren verbündeten Freunden zuschieben würden.
Ein Vergleich der Leistungen auf militärischem Gebiet mil denen anderer NATO-Staaten beweist übrigens, daß wir mit unseren Ausgaben für die
Verteidigung noch sehr günstig abschneiden. Alle nach NATO-Kriterien anrechnungisfähigen Verteidigungsausgaben in diesem Haushalt — also die 11,2 Milliarden im Einzelpan 14, die 0,7 Milliarden für die militärische Versorgung im Einzelplan 33, die 638 Millionen für die Besatzungskosten in Berlin, die Aufwendungen für den Bundesgrenzschutz und die anrechnungsfähigen Aufwendungen für Berlin — machen zusammen 5,5 % des erwarteten Bruttosozialprodukts zu Faktor-Preisen aus. Nach den Ergebnissen der Jahre 1955 bis 1959, die auch für das Jahr 1961 in etwa zutreffen werden, beträgt dagegen das vergleichbare Verhältnis in den USA 10,5 % in Frankreich 8,5 %, in Großbritannien 8 % und in Kanada 6 %. Ich glaube, daß es nicht schaden wird, wenn :das deutsche Volk diese Vergleichsziffern zur Kenntnis nimmt.
Ich fasse also zusammen und meine: Wenn es um unsere Freiheit ,geht, dürfen wir uns vor Opfern, die die Erhaltung der Freiheit kostet und die man uns billigerweise zumuten kann, nicht drücken.
Ein weiterer Grund für das Anwachsen des Etats 1961 ist ein ,der Aufstockung ,des Grünen Plans mit rund 222 Millionen zu sehen. Bei der Veröffentlichung des Haushalts ist ,gerade diese Erhöhung in der Presse häufig mehr oder weniger kritisch herausgestellt worden. Manchmal hat man auch lesen können, daß es sich hierbei um ein Wahlgeschenk der Bundesregierung an die Bauern handle. Ich darf deshalb etwas beidiesem Kapitel verhalten.
Ich habe :den Eindruck, daß selten auf einem Gebiet unseres Wirtschaftslebens die Lage eines so wichtigen Wirtschaftszweiges, wie es die Landwirtschaft ist, so einseitig, um nicht zu sagen tendenziös falsch dargestellt wird wie ,auf ,dem Gebiet der Landwirtschaft.

(Beifall in der Mitte.)

Dieser Eindruck drängt sich mir vor allem auf, wenn ich an gewisse Rundfunk- und Fernsehsendungen der jüngsten Zeit denke.

(Zustimmung in der Mitte. — Zuruf von der CDU/CSU: 12. September!)

Oberflächlicher und ,einseitiger, als man dort vorging, geht es kaum noch. Fast möchte man meinen, daß es für deneinen oder anderen, der über die Lage der Landwirtschaft spricht oder schreibt, schon genügt, zu wissen, daß in den Grünen Plänen alljährlich :soundso viel Millionen Subventionen stehen, und bei einer gelegentlichen Fahrt durch das flache Land dann festzustellen, daß unsere Bauern heute nicht mehr mit dem Ochsenfuhrwerk auf das Feld fahren, sondern einen Traktor haben, und daß viele Bauern auch einen Personenwagen besitzen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Mit ,diesem Repertoire an Fachwissen ausgestattet — so scheint es — kann man haute weitgehend über die Lage 'der Landwirtschaft sprechen. Das schlimmste ist, ,daß ein großer Teil unserer Bevölkerung heute schon so verstädtert ist, daß er dieses oberflächliche Bild in sich aufnimmt und für richtig hält.
7330 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den. 5. Oktober 1960
Niederalt
Sie wissen, meine Damen und Herren, ich bin kein Bauer. Trotzdem möchte ich ,aber auseiner genauen Kenntnis der wirklichen Verhältnisse etwas dazu sagen, ohne mich dabei ,auf lange volkswirtschaftliche Berechnungen zu berufen. Das mag Aufgabe der Debatte über dien Grünen Bericht sein. Ich will dieser Debatte nicht vorgreifen. Hier 'aber, im Rahmen der Betrachtungen unserer gesamten Politik, wie sie in den Etatsziffern zum Ausdruck kommt, muß festgestellt werden, daß das, was seit einer Reihe von Jahren von der Bundesregierung und vom Parlament in den Grünen Plänen für die Landwirtschaft getan wurde, gut unid richtig, aber auch dringend notwendig war und daß von einer einseitigen Bevorzugung keine Rede sein kann.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wer sich nur einigermaßen objektiv mit der Gesamtlage der Landwirtschaft befaßt, muß dies zugeben.
Wenn ich von der Gesamtlage spreche, dann meine ich nicht nur die Einnahmen- und Ausgabenseite, sondern dann meine ich eben die gesamten Lebensverhältnisse unseres Bauernstandes. Es ist offensichtlich zuwenig bekannt in unserer deutschen Öffentlichkeit, daß es heute viele Bauernhöfe gibt, in denen der Bauer und die Bäuerin allein die ganze Last der Arbeit jahraus, jahrein zu tragen haben, weil es kaum noch Dienstboten oder landwirtschaftliche Arbeiter gibt und weil man eben auch den Kindem ein besseres Los wünscht und deshalb gestattet, daß die Kinder in die Stadt ziehen. Offensichtlich ist zu wenig bekannt, daß heute Jungbauern gar nicht so selten keine Bäuerin fürihren Hof finden, weil auch Bauerntöchter es sich zwei-, dreimal überlegen, in, einen Bauernhof hinein zu heiraten, nachdem sie aan Beispiel ihrer Mutter erleben, was sie dann für ein Leben haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das meine ich mit „Gesamtlage der Landwirtschaft". Das ist mehr als Soll und Haben, mehr als Einnahmen- und Ausgabenseite. Da gibt es in der Landwirtschaft keine 40- oder 50-Stunden-Woche,

(Abg. Unertl: Und keinen Samstag!)

da kennt man nicht die Sorgen, was man mit dem verlängerten Wochenende anfangen soll.
Eine Untersuchung über die arbeitsmäßige Beanspruchung in Bayern hat ergeben, daß im Jahre 1959 der durchschnittliche Arbeitsaufwand je Bäuerin bei etwa 4000 Stunden liegt. Das sind etwa 11 Stunden pro Tag, wobei nicht eine 6-, sondern eine 7-Tage-Woche zugrunde liegt.

(Hört, hört! bei der CDU-CSU.)

[n einzelnen Fällen wurden sogar noch höhere Ergebnisse festgestellt.
Nun frage ich die deutsche Öffentlichkeit: Geht es einem Berufsstand wirklich so gut, wie dies häufig behauptet wird, wenn alles von diesem Berufsstand wegdrängt, wenn selbst Bauernkinder vielfach nicht hehr zurückgehalten werden können und die Landflucht immer schärfere Formen annimmt? Seit Kriegsende haben fast 1,5 Millionen Vollarbeitskräfte der Landwirtschaft den Rücken gekehrt. Sind das nicht ernste Symptome einer bedenklichen Entwicklung, die jeder Politiker zur Kenntnis nehmen muß? Ist es da nicht eine eminent wichtige und im besten Sinne nationale Aufgabe des Staates, hier zur Erhaltung unseres Bauernstandes helfend einzugreifen, um durch eine möglichst rasche Technisierung in der Landwirtschaft wenigstens dem ärgsten Arbeitskräftemangel zu begegnen?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich wiederhole: bei diesen Erwägungen berücksichtige ich absichtlich noch gar nicht die rein wirtschaftliche Seite, das Soll und Haben, ich spreche nicht von der immerhin vorhandenen Verschuldung in der Landwirtschaft oder davon, daß beispielsweise auf einem ganz wichtigen Gebiet der landwirtschaftlichen Erzeugung, auf dem Getreidesektor, die Preise noch auf dem Niveau von 1951/52 liegen, während die Maschinenkosten und die Löhne längst davongelaufen sind. Ich will auch nicht näher auf die Frage eingehen, ob die vielberufene Milchsubvention mehr eine Subvention für den Erzeuger oder mehr eine Subvention für den Verbraucher ist. Ich erwähne auch nicht, was das Ausland für seine Landwirtschaft tut. Das mag alles Sache des „Grünen Berichts" und der „Grünen Debatte" sein. Heute kommt es mir nur darauf an, in der deutschen Öffentlichkeit mehr Gerechtigkeit für unseren Bauernstand zu fordern.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Bausch: Auch für die Bauersfrau!)

— Ich sagte „Bauernstand"; dazu gehört auch die Bauersfrau. — Wir alle müssen uns dagegen wehren, wenn man da und dort, manchmal recht durchsichtig, versucht, den natürlichen Gegensatz zwischen Verbraucher und Erzeuger noch künstlich zu vertiefen.
Mehr Gerechtigkeit für den Bauernstand, aber auch mehr Gerechtigkeit für die verschiedenen Gruppen innerhalb der Landwirtschaft selber bei der Ausgestaltung des Grünen Plans möchte ich fordern. Auch hier will ich nicht auf Einzelheiten eingehen, sondern nur darauf aufmerksam machen, daß im Rahmen der zur Verfügung gestellten Mittel in Zukunft mehr als bisher die Strukturverbesserungen in den Vordergrund gestellt werden müssen. Dabei sind vor allem jene Gebiete zu berücksichtigen, die es auf Grund der Boden- und der klimatischen Verhältnisse besonders schwer haben. Ich denke besonders an die Mittelgebirgslagen. Die CSU-Landesgruppe wird ihre Vorstellungen darüber noch dem Bundeslandwirtschaftsminister vortragen, und wir geben uns der Erwartung hin, daß insoweit eine Änderung gegenüber dem Vorjahr eintritt.
Einige Bemerkungen zum Personalhaushalt! Der Voranschlag für das Haushaltsjahr 1961 enthält 4268 neue Stellen und 1100 Stellenhebungen. Werden diese Stellen genehmigt, dann beträgt die Zahl der Bundesbediensteten in der zivilen Verwaltung — ohne Bundesbahn und Bundespost — insgesamt 107 727 und im Gesamtbereich der Verteidigungsverwaltung — zivile Kräfte, ohne Soldaten —135 244. Ich muß diese Zahlen nennen, da wir sehr
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häufig von Kollegen den wohlgemeinten Rat hören, uns im Haushaltsausschuß nicht solange mit der Planstelle eines einzelnen Regierungsinspektors oder Regierungsrats zu befassen. Ich glaube, daß der Haushaltsausschuß eine wichtige Pflicht versäumen würde, würde er nicht die Entwicklung auf dem Gebiet des Personalwesens genau und sorgfältig unter die Lupe nehmen.

(Abg. Dr. Conring: Sehr gut!)

Die Mitglieder des Haushaltsausschusses — das glaube ich für alle sagen zu dürfen — unterziehen sich dieser Sisyphusarbeit weiß Gott nicht gerne. Ich glaube auch sagen zu können, daß wir ohne die in der Tendenz strenge Haltung des Haushaltsausschusses heute vermutlich viel mehr Planstellen hätten, als wir sie haben.
Natürlich wissen wir, daß nach zwei Überrollungshaushalten, die wir auf dem Gebiete des Personalwesens praktisch hinter uns haben, da und dort Veränderungen notwendig sind. Ob diese Veränderungen allerdings gleich 1100 Stellenhebungen und 4268 neue Stellen umfassen müssen, das möchte ich bezweifeln. Wie werden die Wünsche der Ressorts prüfen und auf der Grundlage der von der Fraktion der CDU/CSU zum Haushaltsplan 1960 eingebrachten Entschließung von Fall zu Fall untersuchen müssen, ob die Voraussetzungen für eine Stellenmehrung — nämlich neue Aufgaben — und für eine Stellenverbesserung — nämlich wesentliche Veränderungen im Aufgabengebiet — vorliegen. Wir haben im Haushaltsausschuß die Erfahrung machen müssen, daß so mancher Abteilungsleiter nach dem Motto: „es wächst der Mensch mit seinen höheren Aufgaben" nur allzu gern die Aufgaben seiner Referate höher werden läßt, damit dadurch auch die Planstellen wachsen können.

(Zustimmung in der Mitte.)

Zum Personalhaushalt möchte ich zwei allgemeine Gesichtspunkte herausstellen. Die Bundesregierung muß endlich daran gehen, sich zu überlegen, wie ein mehr nach Schwerpunkten des jeweiligen Arbeitsanfalls orientierter Einsatz der Bundesbediensteten und damit ein Ausgleich unter den ververschiedenen Ressorts möglich ist.

(Beifall in der Mitte.)

Ich weiß, daß die Lösung dieser Aufgabe in praktischer und in rechtlicher Hinsicht sehr schwierig ist. Trotzdem muß man an das Problem herangehen. Es ist nicht zu leugnen, daß sich die Arbeitsbelastung in den verschiedenen Ressorts verschieden entwickelt hat. Im übrigen fällt einem aufmerksamen Beobachter auf, daß sogar innerhalb desselben Ressorts manchmal eine sehr unterschiedliche Arbeitsbelastung vorhanden ist. Es gibt in verschiedenen Ministerien Beamte und Angestellte — besonders in Spitzenstellungen —, die bis zur Grenze ihrer physischen Leistungsfähigkeit beansprucht werden. Ich möchte das ausdrücklich feststellen, da man darüber draußen im Lande — offensichtlich als Folge der hohen Gesamtzahlen — ganz anderer Auffassung ist. Diese Beamten verdienen, glaube ich, unser
aller Dank und Anerkennung. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Abteilungen und Referate, in denen es sich wesentlich ruhiger leben läßt. Die Ressortminister müssen sich wohl etwas mehr um die Dinge kümmern und auf eine gleichmäßige Verteilung der Gewichte bedacht sein.
Eine Lockerung der engen Ressortbindung ist auch noch aus einem anderen Grund dringend erwünscht, nämlich um dadurch einigermaßen gleich qualifizierten Beamten auch die gleiche Beförderungschance zu geben. Es gibt keinen Zweifel, daß die kleinerer Ministerien bezüglich der Beförderungsmöglichkeiten im Nachteil gegenüber den größeren sind. Die Folge davon sind die immer wiederkehrenden Anträge auf Stellenhebungen — in diesem Jahr, wie gesagt, 1100 —, die von der Sache her eigentlich nicht genehmigt werden dürfen, weil keine Veränderung des Aufgabengebiets vorliegt, von der menschlichen Seite her manchmal aber nur schwer abzulehnen sind.
Noch ein Zweites scheint mir notwendig. In jedem Ministerium werden Aufgaben erfüllt, die vielleicht vor Jahren unbedingt notwendig waren, auch heute noch nützlich und zweckmäßig sein mögen, aber doch nicht mehr als unabdingbar notwendig oder nicht mehr als in diesem Umfange notwendig zu bezeichnen sind. Wir müssen deshalb zu einer Durchforstung und Überprüfung der Aufgaben kommen, wobei nicht die Zweckmäßigkeit, sondern die unabdingbare Notwendigkeit unter den gegenwärtigen Verhältnissen Maßstab sein muß.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Wir sind deshalb zu diesem strengen Vorgehen gezwungen, meine Damen und Herren, weil von Jahr zu Jahr immer neue Aufgaben auf uns zukommen. Denken Sie nur an die vielen supranationalen Behörden und Organisationen. Wir bauen doch heute praktisch eine völlig neue Instanz auf, und diese neue Instanz wird in wenigen Jahren ein Heer von Beamten und Angestellten kosten. Da kann man dann doch nicht hinsichtlich der bisherigen Aufgaben einfach in den alten Gleisen weiterfahren. Deshalb wird es notwendig sein, daß wir zu einer Durchforstung und Überprüfung der Aufgaben kommen.
Noch ein letztes zum Personalhaushalt! Kein Gebiet ist wohl so ungeeignet für ein einseitiges Vorgehen einzelner Länder wie das Gebiet des Beamtenwesens. Wir müssen die Länder, die es angeht, dringend bitten, hier an den Bund, an das Foedus zu denken. Jedes Land, das sich auf dem Gebiet des Besoldungswesens oder des allgemeinen Stellenkegels Sondertouren erlaubt, bringt die übrigen Länder und den Bund in Schwierigkeiten. Im privaten Leben würde man so etwas Rücksichtslosigkeit nennen — eben ein Verhalten, das keine Rücksicht nimmt. Politisch — das möchte ich nur am Rande bemerken — scheint mir ein solches Verhalten wenig klug, da es den Gegnern des Föderalismus nur handfestes Material dafür liefert, daß es anscheinend doch nicht vernünftig ist, uns in unserer kleinen Bundesrepublik noch einen Föderalismus zu leisten.
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Wir von der Fraktion der CDU/CSU begrüßen die Ankündigung des Bundesfinanzministers in seiner Haushaltsrede, daß er für bestimmte Beamtenkategorien einen besseren Stellenkegel in Angleichung an den Stand in einigen Ländern durchführen will. Wir werden im Haushaltsausschuß diese Vorschläge, die vor allem bei den Zollbeamten von Bedeutung sind, unterstützen.
Einige Worte zum antizyklischen Haushaltsverhalten! Meine Damen und Herren, man sollte hier realistisch und nüchtern sein und auf dem Boden der politischen Wirklichkeit bleiben. Die Ausgaben für den Wohnungsbau, für den Straßenbau, für die Kasernenbauten beispielsweise eignen sich ebensowenig wie etwa die Ausgaben der Länder für den Schulhausbau für ein antizyklisches Verhalten, da diese Aufgaben in sich praktisch so viel politisches Gewicht haben, daß insoweit der Ruf nach antizyklichem Verhalten einfach nicht ankommt. Das müssen wir ganz nüchtern und realistisch sehen.
Wenn es richtig ist — und deshalb erwähne ich diesen Punkt überhaupt —, daß, wie der Bundesfinanzminister in seiner Etatrede ausgeführt hat, fast zwei Drittel aller Ausgaben auf dem Gebiet des Hochbaues, von den Kasernenbauten abgesehen, auf die Gemeinden entfallen, dann erscheint es mir sinnvoll, daß der Bundesfinanzminister mit den Länderfinanzministern gemeinsam berät, ob auf diesem Gebiet etwas getan werden kann, und wenn ja, was. Ich verspreche mir nichts davon, daß bei der Forderung nach antizyklischem Verhalten eine Partei immer der anderen den Schwarzen Peter zuspielt, der Bund auf die Gemeinden und die Länder verweist und die Kommunen und die Länder auf den Bund verweisen. Ich halte auch nichts davon, daß gewisse Kreise der Wirtschaft, wie man dies im Wirtschaftsteil unserer Presse immer wieder lesen kann, nur auf die Investitionen der öffentlichen Hand verweisen und dabei geflissentlich unterschlagen, daß beispielsweise im Jahre 1959 die Investitionen der öffentlichen Hand immerhin nur 7,2 Milliarden DM ausmachten gegenüber einem Gesamtinvestitionsvolumen der deutschen Volkswirtschaft von 60 Milliarden. Auch hier habe ich den Eindruck, daß man mit diesen Hinweisen nur von sich auf andere ablenken will.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Wenn von der öffentlichen Hand auf diesem Gebiet etwas getan werden kann — nach meiner Meinung kann etwas getan werden, wenn es auch nicht überschätzt werden sollte —, dann, Herr Bundesfinanzminister, ist es, glaube ich, das einzig Richtige, daß Sie sich mit Ihren Kollegen in den Ländern zusammensetzen und hierzu ernste Vorschläge ausarbeiten.

(Abg. Unertl: Die Herren Oberbürgermeister belehren!)

— Das tun dann die Länderfinanzminister; denn die Herren Oberbürgermeister sind der Gesprächspartner der Länderfinanzminister, nicht des Bundesfinanzministers.
In der Frage des Haushaltsausgleichs sehe ich eine große Gefahr darin, daß der Schätzung der Einnahmen eine Zuwachsrate von 6 % des Bruttosozialprodukts zugrunde liegt. Nach aller menschlichen Voraussicht wird die Zuwachsrate höher als 6 % sein. Vielleicht wird sie 8 % sein. Und wenn sie 8 % sein wird, wird das rund 800 Millionen DM Mehreinnahmen bedeuten. Ich habe die große Sorge, daß diese erwarteten Mehreinnahmen nun im Schoße von Interessentenverbänden, vielleicht auch bei Beratungen einzelner Gruppen hier im Hause, nicht einmal, sondern zwei-, drei- und viermal verteilt werden. Das ist meine große Sorge. Ich möchte dringend vor solchen Überlegungen warnen, da doch heute schon ziemlich feststeht — nach den Erfahrungen der bisherigen Jahre wenigstens —, daß der Kapitalmarkt kaum die 2,1 Milliarden hergibt, die notwendig sind, um den außerordentlichen Haushalt zu decken, und daß wir deshalb aller Voraussicht nach den außerordentlichen Haushalt doch wieder zum Teil mit Mitteln des ordentlichen Etats, mit ordentlichen Einnahmen speisen müssen. Ob das schön ist oder nicht, ist eine andere Frage.
Über das Verhältnis zwischen Bund und Ländern ist heute schon Verschiedenes gesagt worden. Ich bin nicht der Meinung, die manchmal in der Presse und manchmal auch von politischer Seite ausgesprochen wird, daß die außergewöhnlich günstige Einnahmenentwicklung bei den Ländern dazu führen sollte, an eine Revision des Art. 106 zu denken. Dieser Auffassung bin ich nicht. Die Länder haben noch große Aufgaben vor sich; denken Sie an den kulturellen Sektor, den Krankenhausbau, denken Sie vor allem an die Gemeinden.

(Abg. Dr. Conring: Dann müssen sie aber etwas mehr für sie tun!)

— Herr Kollege Conring, Sie nehmen genau das vorweg, was ich sagen will. Ich bin der Auffassung, daß wir allerdings angesichts der günstigen Einnahmenentwicklung von den Ländern erwarten dürfen, daß sie sich zu ihren eigenen Aufgaben etwas mehr als bisher in aller Öffentlichkeit bekennen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich denke, — ich sagte es schon — an den kulturellen Bereich; ich denke an die Beziehungen zu den Gemeinden; denn — lassen Sie mich das noch einmal aussprechen— nach unserem Grundgesetz ist Gesprächspartner der Gemeinden das zuständige Land.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Nach meiner Meinung hat der Bundesfinanzminister in seiner Etatrede mit Recht herausgehoben, daß das Problem der Gemeindefinanzen heute nicht mehr in erster Linie durch eine wesentliche Vermehrung der Finanzmasse als solcher, sondern durch eine gerechtere Verteilung zu lösen ist.
Wir sollten uns also über die günstige Einnahmeentwicklung in den Ländern freuen, erwarten allerdings, daß dann nicht wieder sofort — manchmal von einigen Ländern stillschweigend geduldet, von anderen kräftig unterstützt — der Ruf nach der Hilfe des Bundes ertönt, wenn auf einem Gebiet, für das nach dem Grundgesetz die Länder zuständig sind, eine finanzielle Enge eintritt.



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Es ließe sich zum Haushalt noch sehr viel Positives sagen. Das ist ja indirekt sogar vom Sprecher der Opposition anerkannt worden.
Die günstige Entwicklung der Ausgabereste, Herr Kollege Lenz — er ist leider nicht mehr da —, halte ich für gar nicht so selbstverständlich, wie Sie es dargestellt haben. Mit dieser günstigen Entwicklung der Ausgabereste ist zumindest von uns Haushaltsleuten ein Alpdruck genommen worden.
Auch das Verschwinden der Globalkürzung von 10 % ist etwas Positives. Als etwas ganz besonderes Positives möchte ich aber — und da stimme ich wieder mit dem Kollegen Lenz überein hervorheben, daß in diesem Haushalt des Wahljahres keine Wahlgeschenke enthalten sind. Ich halte das für einen Vorzug. Wahlgeschenke, wenn sie wirklich nur solche sind, ohne sachliche Begründung, sind in sich ungerecht und führen zu Berufungen. Im übrigen, meine ich, braucht eine gute Politik sich solcher Mittelchen gar nicht zu bedienen, die übrigens draußen gar nicht so gut ankommen. Ich glaube, wir können und sollten auf solche Mittel verzichten.
Es wird nun sehr viel darauf ankommen — damit komme ich zum Schluß —, daß wir im Parlament hei der weiteren Behandlung des Etats die Haushaltsentwicklung nicht aus dem Auge lassen. Das Wahljahr ist ein Jahr der Bewährung, der Bewährung für alle Fraktionen. Auch die Angehörigen der Regierungsparteien sind keine Übermenschen. Wenn die Opposition etwa im Zeichen des Wahlkampfes immer neue populäre Forderungen stellte, könnte niemand voraussagen, wie das endet.

(Abg. Dr. Schäfer: Fürwahr!)

Zum gegenseitigen Hochsteigern der Forderungen nach Art einer Christbaumversteigerung scheint mir die Lage zu ernst zu sein. Ein solches Verhalten würde überdies, abgesehen von den haushalts- und finanzpolitischen Folgen, auch dem Parlament als Institution schweren Abbruch tun. Ich warne davor.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das ganze Parlament steht also in der Verantwortung. Es muß, glaube ich, das Bemühen des ganzen Parlaments sein, dem neuen, dem 4. Deutschen Bundestag nicht eine Hypothek zu übergeben, die angesichts der mit Sicherheit auf uns zukommenden Aufgaben der Zukunft nur mit Steuererhöhungen getilgt werden könnte.

(Beifall hei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0312710300
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein.
Ich unterbreche die Sitzung his 15 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung von 13.05 Uhr bis 15.01 Uhr.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0312710400
Die Sitzung wird fortgesetzt mit der Beratung des Tagesordnungspunktes 3. Das Wort hat Herr Abgeordneter Heiland.

Rudolf-Ernst Heiland (SPD):
Rede ID: ID0312710500
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich mit der Frage der Gemeindefinanzen, die der Herr Bundesfinanzminister in seiner Rede behandelt hat, etwas näher auseinandersetzen. Ich glaube, daß der Herr Minister in dem — wenn auch sehr kurzen — Abschnitt seiner Darlegungen über die Gemeindefinanzen wesentliche Dinge, die die Gemeinde draußen heute interessieren, außer acht gelassen hat. Man muß einmal ein klein wenig Rückschau halten, Herr Minister.
Das Wesentliche ist, daß die Kommunen damals bei der Schaffung des Grundgesetzes und der Bundesrepublik angesichts ihrer wirklichen Funktion zu kurz gekommen sind. Die Ausstattung der Gemeinden als dritter Säule in unserem staatlichen Leben ist bei der Schaffung des Grundgesetzes nicht genügend beachtet worden. Die Frage, ob die Verteilung der öffentlichen Finanzmassen auch den Gemeinden gegenüber gerecht erfolgt, kann man nicht so beurteilen, wie es jetzt in einer in Ihrem Ministerium erarbeiteten Unterlage geschieht, in der man nachweisen will, daß das, was Länder und Gemeinden in Deutschland mit den 48 % bekommen, viel höher sei als in zahlreichen anderen benachbarten Ländern. Ob die Gemeinden, die Länder und der Bund am öffentlichen Finanzabkommen gerecht beteiligt sind, kann man nur an einem messen, nämlich daran, wie die einzelnen Aufgaben auf Bund, Länder und Gemeinden verteilt sind. Ich bin deswegen der Meinung, daß wir bei der Behandlung aller Fragen der Gemeindefinanzen uns erst einmal anschauen müssen, was wir bei der Aufteilung der Aufgaben den Gemeinden zugeteilt haben.
Sie haben in Ihrer Rede darauf hingewiesen, daß im Jahre 1960 gegenüber 1956 die Ausgaben beim Bund um 41 %, die allgemeinen Deckungsmittel aber nur um 35 % gestiegen seien, bei den Ländern die Ausgaben um 39 % und die Deckungsmittel um 47 % und bei den Gemeinden die Ausgaben um 35 % und die Deckungsmittel um 50 %. Mit der Betonung dieses Gesichtspunktes allein, Herr Minister, schürft man nach meiner Meinung nicht tief genug. Man muß bei den Gemeindefinanzen berücksichtigen, daß die Gemeinden einen Teil ihrer Gewerbesteuer, die ihnen schon in früheren Jahren zustand, erst in diesen Jahren bekommen haben. Ihnen wird wie mir bekannt sein, daß erhebliche Zahlungen, die schon früher fällig waren, durch die späte Veranlagung erst jetzt geleistet wurden, so daß dies gar kein Vergleich ist.
Wenn Sie sich die Einnahmen des ersten Vierteljahres — April bis Juni — des laufenden Haushaltsplans ansehen, dann stellen Sie fest, daß bei den Gemeindesteuern eine Steigerung von 10,6 % zu verzeichnen ist, bei den Einnahmen des Bundes eine solche von 14,8 % und bei den Einnahmen der Länder eine solche von 20,3 %. Das geht aus einem Bericht der Deutschen Bundesbank hervor, und ich glaube, wir werden beide seine Richtigkeit anerkennen.
Worauf kommt es den Gemeinden denn jetzt wirklich an? Hier muß einmal etwas in aller Klarheit gesagt werden. Man redet heute in Deutschland soviel von der Selbstverwaltung. Bei vielen Ge-
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meinden besteht aber die Gefahr, daß ihre Selbstverwaltung an Wirksamkeit verliert, weil es ihnen an den notwendigen Finanzmitteln für die Ausübung der Selbstverwaltung fehlt.

(Abg. Dr. Conring: Dann muß der Finanzausgleich zwischen dem Land und den Gemeinden verbessert werden!)

— Das genügt nicht, Herr Conring. So billig können wir es nicht machen, daß wir die Behebung der Schwierigkeiten einer Regelung zwischen dem Land und den Gemeinden überlassen. Ich habe von dem öffentlichen Finanzaufkommen als Ganzes einerseits und den öffentlichen Aufgaben als Ganzes andererseits gesprochen und gesagt, daß die Verteilung des gesamten Finanzaufkommens der Verteilung der Aufgaben auf die öffentlichen Körperschaften der verschiedenen Ebenen entsprechen muß.

(Zustimmung bei der SPD. — Abg. Dr. Conring: Das geht durch den Finanzausgleich!)

— Das geht nicht durch den Finanzausgleich der Gemeinden, Herr Conring; ich werde Ihnen das an Hand von Zahlen darlegen.
Eine der Zahlen, an denen man die finanzielle Belastung durch die zugewiesenen öffentlichen Aufgaben messen kann, ist die Neuverschuldung jeweils des Bundes, der Länder und der Gemeinden
den zehn Jahren seit Bestehen der Bundesrepublik. Die Neuverschuldung des Bundes beträgt ungefähr 1 Milliarde DM, die der Länder ungefähr 4 1/2 Milliarden DM und die der Gemeinden etwa 12 Milliarden DM.
Wir kennen die Kritik an der Verwendung der Finanzmittel durch die Gemeinden. Dabei werden wenig ernsthafte, manchmal sogar leichtsinnige Argumente verwandt. So sucht man die Schuld für die gegenwärtige konjunkturelle Überhitzung allein den Gemeinden aufzubürden; die Gemeinden, so sagt man, ließen ein antizyklisches Verhalten vermissen und brächten in ihrer Eigenschaft als Baulastträger .die ganze Wirtschaft i;n Gefahr. — Demgegenüber darf ich Ihnen einige Zahlen nennen, die angeben, welche Anteile der von den Gemeinden ;aufgenommenen Darlehen für die verschiedenen Zwecke ausgegeben worden sind: Für den Straßenbau 25 %, für den Schulbau 20,9 %, für Kanalisation, Müllabfuhr, Feuerlöschwesen und Bäder 17,1 %, eigener Wohnungsbau für sozial Schwache aus Gemeindehaushalten 8,7 %, für Gesundheitspflege und Jugendsport 6,9 %, für wirtschaftliche Unternehmen 6,3 %. Erst danach kommt die immer wieder angegriffene Mittelverwendung für die allgemeine Verwaltung, die „großen Rathäuser": 3,2 %!

(Hört! Hört! bei ,der SPD.)

Ferner: Für Polizei, Wasserstraßen, Wirtschaftsförderung 2,9 %, für Trümmerbeseitigung 2,8 %, für Grundstückserwerb 2,6 %, für Fürsorgeeinrichtungen 1,9 %. Erst danach kommt an letzter Stelle der so gerne herausgestellte Bauaufwand für Theater und kulturelle Einrichtungen: 1,7 %!

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Wenn die Wirtschaft überheizt ist, dann ist sie nicht von dorther überheizt.

(Sehr richtig bei der SPD.)

Dann sollte man endlich einmal auch den Investitionen im wirtschaftlichen Raum nachgehen, die nicht immer nur aus wirtschaftlichen Gründen, die sehr häufig zur Ausnutzung der Abschreibungsmöglichkeiten gemacht werden und nicht aus wirtschaftlicher Vernunft.

(Beifall bei der SPD.)

Ich möchte auch etwas über die Aufgaben der Gemeinden sagen. Es ist billig, sich immer wieder hinzustellen und zu sagen, die Gemeinden trieben einen zu großen Finanzaufwand.

(Sehr richtig bei der SPD.)

Heute morgen geht durch die Zeitungen, daß mittlerweile rund 25 % der Einwohner der Bundesrepublik Flüchtlinge sind. Das ist ein ernstes Problem, das uns in Bund, Ländern und Gemeinden beschäftigt. Aber wohnen müssen die 25 % der Bevölkerung das Bundesgebietes irgendwo in einer Gemeinde! Die Bevölkerung hat ,damit um insgesamt ein Drittel zugenommen. Für diese zusätzliche Bevölkerung müssen Wohnungen, Straßen, Schulen und alle öffentlichen Einrichtungen gebaut werden. Das hat ganz naturnotwendig einen öffentlichen Bauaufwand zur Folge. Da das Volumen der Wirtschaft, in diesem technischen Zeitalter — Gott sei Dank — stark gewachsen ist, muß man dann auch die öffentlichen Einrichtungen erstellen, um das Leben in der Gemeinde zu ermöglichen.
Ich möchte noch einen Punkt herausgreifen. Der Schulbau in den Gemeinden ist heute immer noch im Rückstand. Es gibt in den sogenannten steuerstarken Städten — —

(Abg. Dr. Conring: Und Landgemeinden!)

— Sie können ruhig von Marl reden, Herr Conring.

(Abg. Dr. Conring: Nein, ich meine die steuerstarken Landgemeinden!)

— Darauf komme ich noch ganz besonders. Ich spreche jetzt einmal von den steuerstarken Städten. Es gibt steuerstarke Städte, die heute die Kriegsfolgelasten im Schulbau noch nicht überwunden haben und heute noch Schichtunterricht haben.

(Zurufe von der CDU/CSU: Weil sie zu üppig bauen! — Das ist traurig!)

— Das ist gar nicht traurig. Das sollte ein Oberkreisdirektor, der die finanziellen Belastungen in den Gemeinden etwas besser kennen sollte, eigentlich nicht sagen.

(Beifall bei der SPD.)

Daran sehen Sie nämlich, daß die Ausstattung der Gemeinden noch nicht gereicht hat. Sie haben nämlich ganz vergessen, daß die Gemeinden in dieser Zeit auch die Kriegsfolgelasten zu einem erheblichen Teil tragen mußten, deren Tragung nach der im Grundgesetz festgelegten Finanzstruktur eigentlich Aufgabe des Bundes ist.

(Beifall bei der SPD.)




Heiland
Ich habe bewußt davon gesprochen, daß, obwohl die Finanzkraft der Gemeinden gewachsen ist, sie nicht allen ihren Aufgaben nachkommen konnten. Ich möchte mich jetzt den Landgemeinden zuwenden, den Tausenden und aber Tausenden Gemeinden, deren Steuerkraft nicht in dem Maße gestiegen ist,. weil eine ihrer wichtigsten Realsteuern, die Grundsteuer, eingefroren ist. Die Gemeinden nehmen deshalb in einem viel geringerem Maße an der Zunahme der Finanzmasse in den öffentlichen Haushalten teil. Aber das Problem der Strukturwandlung unseres Lebens, wodurch der Schulbau auch in den Dörfern heute auf ein anderes Niveau gehoben werden muß,

(Abg. Conring: So ist es!)

wenn wir weiter aus den Schulen der Wirtschaft die notwendigen ausgebildeten Kräfte zuführen wollen, sollte bei dieser Gelegenheit nicht übersehen werden. Ich bin also der Meinung, daß wir uns mit den Fragen der Gemeindefinanzen auf allen drei Ebenen sehr ernsthaft auseinandersetzen müssen. Ich bitte, dabei zu bedenken, daß bei dieser Verschuldung, die enorm ist und bei vielen Gemeinden schon an die Grenze herangekommen ist — bei einem Großteil der Gemeinden kann sie gar nicht an diese Grenze herankommen, weil die Gemeinden nicht einmal die finanzielle Kraft haben, die aus den aufgenommenen Schulden entstehenden Zins- und Amortisationsbelastungen aus dem ordentlichen Haushalt zu tragen —, gerade die schwächsten Gemeinden am schlechtesten wegkommen.
Sehen wir uns jetzt noch einmal an Hand der Statistik an, wie z. B. die Landschaftsverbände — ich spreche vom westfälischen Raum —, die Landkreisverwaltungen oder die Ämter ihre Mittel ausgegeben haben. Bei den Landschaftsverbänden wurden 32 % für das Gesundheitswesen, 12 % für das Fürsorgewesen und 21 % für die Elektrizitätsversorgung ausgegeben; bei den Landkreisverwaltungen 13 % für den Schulbau, 11 % für das Gesundheitswesen, 10 % für die allgemeine Verwaltung, 9 % für Grundvermögen ohne Wohngrundstücke, 16 % für Elektrizitätsversorgung und 8 % für die Wasserversorgung. Und so sieht es auch bei den Ämtern aus.
Die Gemeinden müssen also — das ist das Problem — strukturell mit den erforderlichen Finanzmitteln versehen werden. Wir haben hier vor Jahren um den Grundgesetzartikel 106 gekämpft, um den Gemeinden eine eigene finanzielle Basis als Organ zu geben. Das kann nur den Sinn gehabt haben, die Gemeinden auch faktisch mit diesen Mitteln auszustatten; denn nur dann können sie die dritte Säule in unserem staatlichen Aufbau sein. Wir haben den Eindruck, daß dies heute bei vielen Gemeinden nicht mehr der Fall ist.
Der Herr Minister hat in seiner Rede auch noch Steuersenkungen auf der Gemeindeebene angekündigt. Ich möchte in diesem Zusammenhang einige Zahlen nennen, die sich auf den Anteil von Bund, Ländern und Gemeinden am Steueraufkommen und am reinen Finanzbedarf des Jahres 1958 beziehen. Der Anteil des Bundes am Steueraufkommen des Jahres 1958 betrug 55,8 %, während der Anteil am reinen Finanzbedarf beim Bund 50,4 % betrug. Der Anteil der Länder am Steueraufkommen des Jahres 1958 betrug 29,1 %, während ihr Anteil am Finanzbedarf sich auf 28,3 % belief. Bei den Gemeinden klafft die Schere viel weiter: 15,1 % Anteil am Gesamtaufkommen und 21,3 % Anteil am Finanzbedarf. An diesen Zahlen können Sie ermessen, ob man das Steueraufkommen richtig oder falsch verteilt. Ich bin der Meinung, der Bund muß sich noch etwas einfallen lassen, um das Finanzaufkommen der Gemeinden in das richtige Verhältnis zu ihrem Finanzbedarf zu bringen.
Es ist nicht so, daß das den Bund nichts anginge. Dem Bund steht auf diesem Gebiet zum Teil die Gesetzgebungsbefugnis zu. Im Jahre 1956/57 haben wir es erlebt, daß die Gewerbesteuersenkung die Gemeinden Geld kostete, während sie Bund und Ländern zum Teil wieder Geld einbrachte; denn das Einkommen von Bund und Ländern wurde, da die Gewerbesteuer bei der Einkommen- und der Körperschaftsteuer abzugsfähig ist, neuerdings erhöht. Mit dieser Frage müssen wir uns, glaube ich, auseinandersetzen.
In den letzten Tagen ist von Herrn Minister Erhard gegenüber den Gemeinden ein böses Wort gesprochen worden. Er hat von den Gemeinden oder den Kommunen gesprochen, die nur die Oberkellner des Bundes seien und das servierten, was der Bund gekocht habe. Ich hoffe, daß die Herren Oberbürgermeister in der CDU/CSU-Fraktion das genauso ernst aufgenommen haben wie ich.

(Abg. Dr. Vogel: Natürlich! Die Gemeindewahlen stehen ja vor der Tür!)

— Deswegen ist es auch gesagt worden, Herr Dr. Vogel. Aber dadurch wird es nicht besser.

(Zuruf von der CDU/CSU: Woraus zitieren Sie das?)

— Das zitiere ich aus der KAB-Tagung hier im Hause, auf der Herr Erhard gesprochen hat.

(Abg. Dr. Stoltenberg: Die Protokolle liegen ja noch gar nicht vor! Aus Ihren sozialistischen Zeitungen zitieren Sie wahrscheinlich! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Herr Stoltenberg, ich habe darin, nicht korrekt zu sein, bei Ihnen höchstens einiges zu lernen.

(Abg. Dr. Vogel: Schöne Redensart!)

— Herr Vogel, die haben Sie mir bis heute nicht vorwerfen können; wir sitzen zu lange im Haushaltsausschuß zusammen, als daß Sie mir eine bewußte Unkorrektheit oder irgend etwas unterstellen könnten.
Lassen Sie mich dazu ruhig noch einiges sagen. Es ist eine Überheblichkeit, die Leistungen des deutschen Volkes zur Erreichung der wirtschaftlichen Veränderungen seit 1948 sich allein anzurechnen. Sie haben das in Ihrer heutigen Rede beachtlicherweise nicht getan, Sie haben vielmehr das Gegenteil unterstrichen. Ich möchte dem, was Sie gesagt haben, in aller Deutlichkeit zustimmen. Wir sollten in Deutschland eines begreifen lernen: Daß wir uns aus dem Tiefpunkt der wirtschaftlichen



Heiland
Zerschlagenheit nach dem Experiment des zweiten Weltkrieges haben erholen können, verdanken wir in erster Linie nicht unserer eigenen Leistung, sondern der Wirtschaftshilfe der Amerikaner. Wenn es diese Bluttransfusion in unserer Wirtschaft nicht gegeben hätte, hätten wir Millionen Tote durch Verhungern gehabt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das erkennt jeder ,an!)

— Ich wollte jetzt folgerichtig weitergehen. Dann hat es einen zweiten ungeheuren Faktor gegeben: daß nämlich zunächst einmal auf der Gemeindeebene wieder staatliche Ordnung versucht wurde und daß wiederaufgebaut wurde, als es noch kein Land und keinen Bund geben konnte.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Dann gab es ein Drittes, was man nicht unterschlagen sollte: die Bereitschaft des ,deutschen Arbeitens, seine Wirtschaftswerkzeuge wieder in Ordnung zu bringen' ohne Rücksicht darauf, ob der Lohn nur eine Scheibe trocken Brot war.

(Beifall bei der SPD.)

Wenn wir heute einen wirtschaftlichen Status erreicht haben, wie er zweifelsohne vor zehn Jahren . von keinem von uns, auch nicht von Ihnen, erwartet wurde, sind es viele Komponenten, die zusammengekommen sind; eine der wesentlichsten ist der ungeheure Fleiß des deutschen schaffenden Menschen.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU: Und einer guten Politik!)

Ein weiterer Faktor dafür, daß die Betriebe in Ordnung kommen konnten, war, daß es in Deutschland eine große Zahl fähiger Komunalpolitiker gab, die die kommunalen Einrichtungen in Ordnung brachten, damit auch die wirtschaftlichen Einrichtungen funktionieren konnten. Ich halte ein solches Wort einfach für böswillig und lauch für so überheblich, wie man es, wenn man Wirtschaftsminister dieses Landes ist — sein Fleiß soll gar nicht bestritten werden —, eigentlich nicht nötig haben sollte. Man sollte es nicht nötig haben, auf ein solch tiefes Niveau herabzusteigen.

(Abg. Dr. Stoltenberg: Seit wann spielt der Staat keine Rolle in der sozialistischen Gesellschaftsbetrachtung, Herr Heiland?)

— Wenn ich Vorsitzender der Jungen Union der CDU wäre,

(Abg. Dr. Stoltenberg: Das hat damit nichts zu tun, Herr Heiland!)

würde ich auch versuchen, bei diesen Betrachtungen jetzt mit einem solch billigen Einwurf dazwischenzukommen.

(Zuruf: Ist der so billig? — Weitere Zurufe.)

Meine Damen und Herren, die Gemeinden benötigen ein ausreichendes Gemeindesteuersystem und einen ausreichenden kommunalen Finanzausgleich.

(Abg. Dr. Stoltenberg: Man kann nicht richtig diskutieren, wenn Sie das Niveau anschlagen, Herr Heiland!)

— Das ist doch nicht neu bei Ihnen, Herr Stoltenberg. Wir kennen uns doch schon aus ,dem Haushaltsausschuß. Ich weiß, daß Sie sich manchmal Mühe geben müssen, sachlich zu bleiben. Aber mit zunehmendem Alter wird sich das auch bei Ihnen einstellen.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

— Nein, ich bin nur der Meinung, er ist noch bildungsfähig; ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben.

(Zustimmung bei der SPD.)

Angesichts der in den Gemeinden durch Kriegs-und Nachkriegswirkungen sowie eine ausgesprochene Daseinsvorsorge ständig wachsenden Flut von kommunalen Aufgaben und im Hinblick auf die Steigerung der Gehälter und Löhne, der Sozialleistungen sowie ,der Preise und Entgelte für dein Sachbedarf muß man das gegenwärtige Gemeindesteuersystem als unzulänglich empfinden.
Meine Damen und Herren, jetzt möchte ich mich noch einem anderen Thema in der Rede des Herrn Bundesfinanzministers zuwenden. Er sprach davon, daß die Gewerbesteuer höchstwahrscheinlich noch in diesem Jahr einer gesetzlichen Revision unterzogen würde. Von der Gemeindeebene aus möchte ich sagen, daß wir zu einer Diskussion über die Gewerbesteuer, deren Entwicklung letztlich keinen befriedigt, absolut bereit sind. Eine Kürzung dieser Realsteuer der Gemeinden ist nur möglich — da bei dem augenblicklichen Stand mit jeder Kürzung vielen Gemeinden die Existenzgrundlage entzogen würde —, wenn vorher geklärt und beschlossen ist, was bei Verlust dieser Finanzmasse an anderer Stelle gewährt wird.
Ich könnte Ihnen — da man diese Kürzung der Gewerbesteuer als Mittelstandshilfe offeriert — ein schneller wirksames Mittel als Hilfe für den Mittelstand anbieten: Sie brauchen nur das Kindergeldsystem in der Art und Weise umzustellen, wie wir es Ihnen seit langem vorschlagen, indem Sie nicht mehr das Beitragssystem verwenden, das jetzt den Mittelstand nicht nur finanziell, sondern auch verwaltungsmäßig in einmaliger Weise belastet. Wenn Sie diese Beiträge auf den Haushalt übernehmen — was viel vernünftiger wäre —, hätten Sie sofort die Lösung dieser Frage der Mittelstandshilfe.
Ich darf bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen: Selbst wenn Sie den Gewerbesteuerfreibetrag auf nur 3600 DM erhöhen, bedeutet das, daß den Gemeinden eine Finanzmasse von 300 Millionen DM verlorengeht. Das bedeutet aber nicht, daß diese Finanzmasse den Gemeinden gleichmäßig in Höhe von 10 % der bisherigen Einnahmen verlorengeht, sondern es bedeutet, daß die Finanzmasse den kleinen Gemeinden mit kleinen Betrieben in einer Höhe von zum Teil bis zu 90 % verlorengeht. In einigen Gemeinden, die nur ganz große Betriebe haben, spürt man die Erhöhung des Freibetrags vielleicht gar nicht.
Es wird aber weiter daran gedacht, den Gewerbesteuerfreibetrag sogar auf 7200 DM zu erhöhen. Das würde bei den heute geltenden Staffelungsbeträgen — einmal den ungünstigsten Fall angenommen —



Heiland
bedeuten, daß dann ein Ausfall von 900 Millionen bis 1,7 Milliarden eintreten würde. So groß ist die Differenz, wenn Sie den ungünstigsten Fall bei allen heute geltenden Staffelungsbeträgen annehmen. Das können die Gemeinden einfach nicht ertragen, selbst große Gemeinden nicht. Sogar bei großen Gemeinden würde die Gewerbesteuer dadurch um 10 % und darüber eingeschränkt werden. Wenn die Gemeindeautonomie, wenn die Gewerbesteuergarantie einen Sinn haben soll, dann müßten sie doch auch den Sinn haben, daß sie der Bundesgesetzgeber nicht nur als Organ, als Steuer garantiert, sondern er müßte diese Garantie doch eigentlich auch in dem materiellen Aufkommen effektiv machen. Wenn Sie über die Steuergesetzgebung die Gewerbesteuer, also die Realsteuergarantie aushöhlen und bei gewissen Gemeinden gar keine Realsteuer mehr anfallen lassen, dann ist die Realsteuergarantie in Art. 106 faktisch für einen Teil der Gemeinden nicht mehr wirksam, und es könnte sogar ein Verfassungsproblem daraus entstehen.
Damit möchte ich schließen. Zusammenfassend möchte ich sagen: Was heute auf den Gemeinden als Aufgaben lastet, ist trotz der vollbrachten enormen Leistung noch ungeheuer. Allein der Schulbau stellt heute schon bei der achtklassigen Volksschule noch so viele ungelöste Probleme, und wir alle sind der Meinung, daß die neun- und zehnklassige Volksschule kommen muß. Ich verrate aber auch wohl kein Geheimnis, wenn ich feststelle, daß durch die weitgehende Technisierung unseres Lebens bis aufs Land — Gott sei Dank bis aufs Land — auch die ländlichen Gemeinden vor sehr schwierige Aufgaben — z. B. Wasserversorgung, Abwässerbeseitigung, Straßenbau — gestellt werden. Denn in dem Moment, wo man den Traktor und das Auto aufs Dorf bringt, kommt man mit dem alten Feldwegebau nicht mehr zurecht, und für diese Aufgaben muß man Geld zur Verfügung haben.
Denken Sie daran, daß wir uns in diesem Jahrhundert wohl zwei Kriege geleistet haben — ich will hier nicht die Schuldfrage aufwerfen, sondern das ist einfach eine faktische Feststellung —, daß es uns aber in 50 Jahren nicht gelungen ist und erst nach dem Kriege möglich war, neue Krankenhäuser zu bauen — wir sind auf diesem Gebiet ein unterentwickeltes Land —;

(Sehr wahr! bei der SPD)

denken Sie weiter daran, daß wir den Menschen infolge der veralteten Krankenhäuser nicht den Fortschritt der Medizin nutzbar machen können, daß immer noch der Krankenhaussaal mit seinen seelischen Belastungen vorherrscht und daß auf zahlreichen Gebieten, die erst viel später von dem zivilisatorischen Rhythmus der Welt erfaßt worden sind, weit größere Fortschritte zu verzeichnen sind. Es bleiben eben den Gemeinden so viele ungetane Aufgaben, daß man ihnen auch die Möglichkeit geben muß, die Vorhaben zu finanzieren, damit sie als selbständiges Organ in dem Dreiklang von Bund, Land und Gemeinden ihre Aufgaben erfüllen.
Ich darf daran erinnern, daß der Grundsteuerausfall, der bei den Gemeinden allein durch die beiden
Wohnungsbaugesetze in den zehn Jahren eingetreten ist, vier Milliarden DM beträgt.
Von den festgefrorenen Grundsteuern habe ich bewußt nicht eingehend gesprochen. Wir werden uns mit diesem Problem höchstwahrscheinlich eines schönen Tages doch intensiv beschäftigen müssen. Eine Reduzierung der Gewerbesteuer — die Absicht war vielleicht Ihrer Rede zu entnehmen, Herr Bundesfinanzminister — ist deshalb für die Gemeinden einfach nicht tragbar, wenn man ihnen für den Verlust der Finanzmasse keinen Ersatz zur Verfügung stellt.
Eins sollte man dort, wo man hohe Politik treibt, wirklich spüren: Wenn der Versuch, eine Demokratie in Deutschland aufzubauen, gelingen soll — ich spreche bewußt von einem Versuch, denn das kann in zehn Jahren nicht gelingen —, brauchen wir selbständig funktionierende Gemeinden, die auch in der finanziellen Ausstattung autonom sind. Den freien Staatsbürger werden Sie ohne freie Gemeinden nicht haben.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0312710600
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Starke.

Dr. Heinz Starke (CSU):
Rede ID: ID0312710700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte über Probleme sprechen, zu denen die Fraktion der Freien Demokraten in der letzten Zeit keine Stellung genommen hat. Es ist notwendig, daß wir unseren Standpunkt zu den zur Zeit umstrittenen Fragen der Konjunkturpolitik darlegen. Sie, Herr Bundesfinanzminister, haben in Ihrer Haushaltsrede in der vergangenen Woche gesagt, daß Sie nicht eigentlich zur Konjunkturpolitik sprechen wollten, weil das den Rahmen der Haushaltsdebatte sprengen würde. Das ist sicherlich richtig. In Ihren Ausführungen Herr Bundesfinanzminister, haben Sie aber sehr viel zur Konjunkturpolitik gesagt; in manchen Punkten haben Sie auch etwas anderes gesagt, als Sie es früher gelegentlich getan haben.
Daß man bei einem Haushalt von dieser Höhe er ist nun auf 45 Milliarden DM angewachsen — die konjunkturpolitischen Momente nicht aus dem Auge verlieren darf, ergibt sich schon daraus, daß der Bundeshaushalt und seine Gestaltung wiederum einen maßgeblichen Einfluß auf die Ausgaben der ganzen öffentlichen Hand in Westdeutschland haben. Die öffentliche Hand hat einen Anteil am Sozialprodukt von 40 %. Dadurch wirkt sie maßgeblich auf den konjunkturellen Verlauf ein. Durch ihre Ausgaben ist die öffentliche Hand der bedeutendste Faktor für die Konjunkturpolitik in Westdeutschland.
Wenn man das als Ausgangspunkt nimmt, dann läßt sich natürlich zu diesem Haushalt in der gegenwärtigen Situation sehr viel sagen. Im ersten Teil Ihrer Ausführungen, Herr Bundesfinanzminister, haben Sie sehr stark betont, daß Sie sich bei Ihrer Haushalts- und Finanzpolitik etwas gegenübersehen, was Sie die „Gegebenheiten" nennen. Als solche Gegebenheiten führen Sie an: gesetzliche, verfassungsrechtliche, politische und tatsächliche
7338 . Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den. 5. Oktober 1960
Dr. Starke
Bindungen. Ich möchte demgegenüber folgendes sagen: für die wirksame Gestaltung eines solchen Milliardenhaushaltes in einem so eminent schwierigen und für die künftige Zeit so wichtigen Augenblick wie dem, in dem wir uns jetzt befinden, ist es nicht ganz ausreichend, all das, was Sie zitiert haben, als Gegebenheiten, d. h. als Unumstößlichkeiten anzusehen. Ich bin vielmehr der Meinung, daß es sich dort, wo Sie von Gegebenheiten sprechen, vielfach um Dinge handelt, die zwar nicht in Ihrer Macht — als Finanzminister — liegen, die aber sehr wohl in der Macht des Kabinetts liegen. Nur hat das Kabinett entsprechende, auf die gegenwärtige Situation abgestellte Beschlüsse nicht gefaßt, die Ihnen einen Weg über diese Gegebenheiten hinweg geebnet hätten.
Warum nun eine solche konjunkturpolitische Betrachtung in diesem Moment? Wir stehen jetzt an einem Abschnitt unserer Nachkriegsgeschichte. Hinter uns liegen zehn Jahre Aufbauarbeit, die unter politischen Aspekten durchgeführt wurde, denen die Freie Demokratische Partei nicht nur zugestimmt hat, sondern die sie auch — vor allen Dingen im Wirtschaftspolitischen — sehr stark beeinflußt hat. Wir dürfen jedoch nicht übersehen, daß sich in den letzten Jahren in immer steigendem Maße — ich möchte beinahe sagen: angesichts des Wohlstandes, der erworben worden ist — Übersteigerungen geltend gemacht haben. Sie, Herr Bundesfinanzminister, haben in Ihrer Rede selber von diesen Übersteigerungen gesprochen, indem Sie sagten, daß es darauf ankomme, maßzuhalten und nicht zu hohe Ansprüche zu stellen. Die Forderungen, die gestellt worden sind, sind sowohl von seiten der Regierungspartei wie auch von seiten der Sozialdemokratischen Partei gekommen. Wir haben vor diesen Übersteigerungen immer gewarnt. Heute sehen wir sozusagen die Quittung für diese Ubersteigerungen in der Situation, in der wir uns in dem Augenblick befinden, in dem dieser Bundeshaushalt dem Hohen Hause vorgelegt worden ist.
Es ist doch so, daß z. B. die mangelnde Beweglichkeit im Haushalt, über die Sie sprechen, eine mangelnde Beweglichkeit, die es Ihnen verbietet, die konjunkturpolitische Seite im Haushalt stärker zu betrachten, die es Ihnen verbietet, antizyklisch vorzugehen, darauf beruht, daß von einer Finanzreform und einer Änderung der Finanzverfassung der Gemeinden eben bisher nichts zu hören war und nach dieser Richtung nichts erfolgt ist. Sie haben vor einigen Tagen, glaube ich, oder in der Haushaltsrede selbst gesagt, daß demnächst eine erste Denkschrift darüber vorgelegt werden soll. Es ist weiter auch so, daß die großen Ausgabenblöcke, die Sie als ein Moment anführen, das Ihre Beweglichkeit hindert, ja auch nicht von allein entstanden sind, sondern daß sie doch letzten Endes nicht ohne Willen und nicht ohne die Beschlüsse der Regierungspartei zustande gekommen sind.
Wir haben heute eine Situation, in der eine starke Beunruhigung sowohl in der Bevölkerung wie in der Wirtschaft vorhanden ist, und wir wissen sehr wohl, daß diese Beunruhigung auch inmitten der Regierungspartei lebendig ist. Wir brauchen in diesen Tagen nur morgens die Zeitungen aufzuschlagen und können dort — nicht mit Genugtuung, sondern ich möchte eher sagen, mit Bedauern — feststellen, in welchem Ausmaß sich diese Beunruhigung in der Regierungspartei breitmacht. Es ist ganz sicher, daß man dort einsieht, daß Ihr Wort, daß die Finanzen des Bundes stabil und in Ordnung seien, eben nicht ausreicht, um die Gefährlichkeit dieser Situation zu beseitigen. Es geht um die konjunkturelle Wirkung dieses Haushalts, und die ist immerhin so, daß man dazu doch noch etwas sagen muß.
Wenn man einmal einen groben Vergleich anstellen will, kann man vielleicht sagen, daß die Situation, in der sich unsere westlichen Nachbarn im freien Europa nach der Korea-Krise, anläßlich des Korea-Booms befanden, in etwa jetzt bei uns gegeben ist. Wir haben damals dort eine Vollbeschäftigung gehabt. Dann kam der Korea-Boom, dann hatten diese Länder um uns herum, ob es nun England, Frankreich oder auch andere waren, mit den Preissteigerungen und Lohnsteigerungen und mit einer Geldentwertung zu kämpfen; das ist auch der Anlaß für die Währungsverzerrungen — wie wir es heute nennen — gewesen. In dieser Zeit haben wir in Westdeutschland uns in einer sehr viel glücklicheren Situation befunden. Wir haben damals eine hohe Konjunktur gehabt; aber wir haben in dieser Konjunktur eben nicht die Übersteigerungen wie jetzt gehabt, weil wir bei der Ausschöpfung des Arbeitsmarktes noch nicht an die Grenzen stießen.
Machen wir uns ganz klar, in welcher Situation wir uns heute befinden; es hat ja gar keinen Zweck, daß wir die Augen davor verschließen. Es ist diel Situation, in der sich in den Jahren von 1950 bis 1956 und 1957 unsere westlichen Nachbarn befanden. Ich meine, bevor man jetzt etwa falsche Wege einschlägt und etwa die Fehler macht, die von unseren Nachbarn damals schon gemacht worden sind, sollte man einmal seine Augen zurückwenden. In der Situation, in der unsere westlichen Nachbarn damals waren, befinden wir uns heute, wie ich sagte, und wir können mit uns in der damaligen Situation etwa das heutige Italien vergleichen. So wie wir damals noch nicht an die Grenzen beim Arbeitsmarkt stießen, sehen wir heute in Italien eine hohe Konjunktur, einen hohen Export, einen hohen Beschäftigungsgrad, aber es sind nicht die Übersteigerungen da, die wir hei uns mit so großem Bedauern feststellen.
Wir haben dann im Winter 1958/59 und im Frühjahr 1959 einen Rückschlag in der wirtschaftlichen Entwicklung erwartet. Damals ist — .so ,drückten Sie es aus, Herr Bundesfinanzminister — auch an Sie das Ansinnen herangetragen worden, eine expansive Haushaltspolitik zu betreiben. Ich möchte Ihnen aus vollem Herzen zustimmen, wenn Sie das wohl so etwas mit einem Lächeln gesagt haben, wie schnellsich die Meinungen der Menschen und wie schnell sich die Forderungen ändern, die an Sie gestellt werden. Es war die Zeit, wo zusätzliche Aufträge gegeben wurden, wo man für den Wohnungsbau mehr Mittel einstellte, um den befürchteten Rückschlag besser zu überwinden. Zur gleichen Zeit lief die Zinssenkungspolitik der Notenbank, mit der man zu einem Kapital- und Geldexport kommen



Dr. Starke
wollte. Es lief damals die Politik des billigen Geldes. Es ist ja eine neue Erfahrung für uns gewesen, eine solche Politik einmal mitzumachen.
Festhalten müssen wir für das, was ich später sagen will, daß wir auch damals, auch in einer Zeit, in ,der nicht eine solche Hochkonjunktur war, einen großen Export hatten. Der jetzige hohe Export ist also nicht nur eine Erscheinung des Augenblicks, nicht nur eine Folge dergegenwärtigen Hochkonjunktur.
Die Politik des billigen Geldes und die Maßnahmen der Regierung wirkten sich nicht zuletzt auf den Baumarkt aus. Von der Schlüsselindustrie des Bauwesens aus begann die Entwicklung auf die vom Baumarkt abhängige Konsumgüterindustrie und auf die Investitionsgüterindustnie auszustrahlen.
Wir stießen dann an die Grenzen beim Arbeitsmarkt und kamen zu der Situation, daß vom Arbeitsmarkt her die Weiterentwicklung entscheidend beeinflußt wurde. Es ergab sich daraus der hohe Auftragsbestand, die große Wirtschaftsentwicklung in der Investitionsgüterindustrie, die aus mehreren Gründen, einmal im Hinblick auf die Auswirkungen der Vollbeschäftigung und zum anderen im Hinblick auf den sich aus der Vollbeschäftigung ergebenden Arbeitskräftemangel auf hohen Touren lief. Ich will nur am Rande erwähnen, daß auch die Investitionen im Hinblick auf den sich anbahnenden größeren Markt in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dazu beigetragen haben.
Wir haben dann im Herbst 1959 die Umstellung der Notenbankpolitik erlebt und die Belastung, die sich ,daraus für die Banken — durch die Mindestreservepolitik — und auch quer durch die Wirtschaft ergeben hat. Wir haben aber auch erlebt — was ja vorher oft schon gesagt worden war —, daß jenes ins Ausland transferierte Geld wieder zurückfloß und die Bremsen .der Notenbank nicht in dem erwarteten Maß packten. Es kam dann die andere Form der sogenannten Blessing-Anleihe, der auf der anderen Seite die Weltbank-Anleihe der Notenbank gegenübersteht.
Tatbestand ist, daß die Nachfrage steigt, die Nachfrage aus ,dem Masseneinkommen, die Nachfrage aus •den Investitionen, die Nachfrage aus dem Ausland und die Nachfrage vom Staatsbedarf her. Die letztgenannte Nachfrage ist es nicht zuletzt, die sich geltend macht. Mit ihr vor allem haben wir uns heute zu befassen, weil es eben um den Bundeshaushalt geht, der ein so wesentliches Moment für die ganze Entwicklung der Nachfrage ist; denn — lassen Sie es mich hier noch einmal wiederholen —die 40 % Anteil .der öffentlichen Hand am Sozialproduk.t muß ma.n doch in Beziehung setzen zu unserer Konjunktur, zu der übersteigerten Nachfrage. Das Bemühen um eine Vergrößerung des Angebots stößt auf den Mangel an Arbeitskräften.
Wir dürfen dabei nicht aus den Augen verlieren, daß die Konjunktur im einzelnen sehr unterschiedlich ist, daß wir Branchen haben, in denen es erst vor kurzem zu einer erheblichen Belebung gekommen ist, bis heute aber noch nicht zu einer solchen
Belebung wie in anderen Gruppen, insbesondere in denen, die hoch im Export liegen.
Fragen wir uns nun — und das ist natürlich das, was wir als Oppositionspartei mit gutem Grund tun —: was hat eigentlich die Bundesregierung in dieser Zeit getan? Wir haben von Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, gehört, was Sie im Rahmen Ihrer Haushaltspolitik dabei getan haben. Wir haben davon gehört, daß Sie die Vorauszahlungen auf die Rüstungslieferungen aus dem Ausland erhöht haben. Sie haben dazu auch Zahlen genannt. Sie haben auch auf ihre scharfe Bewirtschaftung bei der Durchführung des Haushalts hingewiesen. Aber das meine ich nicht; denn das liegt eben nur im Rahmen des Haushalts und seiner Durchführung. Der Rahmen aber ist Ihnen durch die Bundesregierung gesteckt. Ich möchte heute fragen: Was hat die Bundesregierung getan angesichts dieser konjunkturellen Entwicklung, die man ja hat kommen sehen, die ja nicht von ungefähr, nicht von heute und gestern ist. Ich glaube, wir müssen feststellen — mit großem Bedauern feststellen —, daß wir ein konjunkturpolitisches Regierungsprogramm nicht kennen.

(Zustimmung bei der FDP.)

Das einzige, was wir kennengelernt haben, ist Ihr Programm zur Konjunkturbeeinflussung im Rahmen des Haushalts, der sich wiederum nur in dem Rahmen bewegen kann, den ihm die Bundesregierung insgesamt gegeben hat. Es ist aber nicht nur kein Programm ersichtlich gewesen, sondern sogar ein Gegeneinander von Meinungen aus der Regierungspartei und darüber hinaus aus der Regierung in die Öffentlichkeit gedrungen, so daß man auch die Besorgnisse in der Wirtschaft, überhaupt in der Bevölkerung, verstehen kann.
Wenn man die Situation bedenkt, die wir ja alle aus der Zeitung kennen - Erklärung und Gegenerklärung, ob das nun den Wohnungsbau, die Aufwertungsfrage oder etwas anderes betraf —, sollte man gewisse Nöte und Sorgen der Wirtschaft etwas besser verstehen, der Wirtschaft, die sehen muß, wie doch nur ein Gegeneinander ist, wie kein Plan, wie kein Programm da ist, wie nichts Überschaubares da ist, an das man sich halten kann. Man sollte verstehen, wenn da die Sorge aufkommt, daß man vielleicht schon morgen plötzlich einer Entscheidung gegenübersteht, mit der man nicht rechnete, die man nicht einkalkulieren konnte. Das ist es, worauf es ankommt. Vielleicht ist es gut, wenn man einer großen Partei, die so lange an der Regierung ist, einmal sagt, wie das draußen wirkt.
Daß die Schwierigkeiten groß sind, daß das nicht einfach ist, wissen wir auch. Aber es ist notwendig zu sagen, welche Konsequenzen sich draußen ergeben. Dieser Haushalt wurde in der Zeit einer sich ständig steigernden Konjunktur, in der Zeit einer Erhitzung in der Wirtschaft aufgestellt, bei dem Sie, Herr Bundesfinanzminister — wir räumen das ein —, eben nur im Rahmen der Ihnen gegebenen Möglichkeiten handeln konnten, in dem aber auf allen anderen Gebieten der Regierungspolitik — ich nehme da kein einziges Gebiet aus, ob es das der Verteidigungspolitik oder des Straßenbaus ist, ob es
7340 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober i960
Dr. Starke
das der Wohnungsbau- oder der Sozialpolitik isst, ob es allgemein die Subventionen sind oder ob es die Agrarpolitik oder die engere Haushaltspolitik ist — eine Koordinierung in dem Sinne nicht stattgefunden hat, daß am Schluß hier im September ein Bundeshaushalt vorgelegt worden wäre, der in diese konjunkturelle Situation paßt. Das ist auch das, was draußen die Öffentlichkeit sieht und beanstandet. Ich will jetzt nicht darüber sprechen, daß man „einsame Entscheidungen" bemängelt, will auch nicht darüber sprechen, daß man die Ausschaltung der Ressortminister sieht und daß man es bemängelt, daß wichtigste Entscheidungen — ich denke an die Entscheidung etwa der Frage der Umsatzsteuerreform — in wenigen Minuten in Abwesenheit der zuständigen Minister im Kabinett gefällt werden. Das sind ja nur ein paar Elemente für das Bild, das ich hier vor Ihnen entwickeln muß, für das Bild einer Uneinigkeit und Unfähigkeit, die Dinge zu meistern, bevor sie noch schlimmer geworden sind.

(Beifall bei der FDP.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist heute doch so, daß auch die große Autorität des Herrn Bundeskanzlers und seine Äußerungen zur Lage, die er im August und September mehrfach gemacht hat, nicht mehr die Besorgnisse und die Unsicherheit verdecken oder überdecken können, die sich draußen über ,den Weg, den man einschlagen wird, breitmachen. Was fehlt, ist eine Koordinierung, eine starke Hand, die die widerstreitenden Interessen ausgleicht. Was fehlt, ist, daß man mit Rücksicht auf die konjunkturelle Lage in unserer Wirtschaft, die ja doch das ganze soziale und gesellschaftspolitische Gefüge unseres Volkes mit umfaßt, zu politischen Entscheidungen im Kabinett kommt, auf denen man aufbauen kann und auf Grund deren auch Sie, Herr Bundesfinanzminister, dem Hause einen Bundeshaushalt vorlegen können, der in diese Konjunktursituation paßt.
Was wir befürchten, ist, daß wegen dieses Schleifenlassens der Zügel, wegen dieser Steigerung der Gefahren, denen wir uns gegenübersehen, eines Tages plötzlich Kurzschlußhandlungen vorgenommen werden, auf die niemand vorbereitet ist, und zwar deshalb vorgenommen werden — und das ist ein Wort, das ich immer wieder aus der Regierungspartei höre und das, obwohl es doch eigentlich sehr unpopulär ist, sogar seinen Weg bis in die Spalten der Zeitungen gefunden hat —, weil man nun eben einfach so weit ist, daß man sagt: „Es muß etwas geschehen." Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, was geschehen soll, darauf kommt es doch an.
Nun möchte ich einmal etwas zu den umhergeisternden Vorstellungen von Vollmachten sagen. Glaubt man denn wirklich, daß dieses Hohe Haus, oder glaubt man denn wirklich, daß die Freie Demokratische Partei mit Vertrauen und mit Genugtuung der Regierung Vollmachten zur Konjunkturpolitik geben würde? Wir wissen doch, in welcher Zerrissenheit und Gespaltenheit die Regierungspartei dasteht. Wir wissen, daß die Entscheidungen, die auf Grund dieser Vollmachten gefällt werden würden, doch, wie wir heute wissen, völlig von Zufällen abhängig wären, je nachdem, wie sich die personellen Gegensätze, wie sich die Machtfragen dort entwickeln. Ich weiß nicht, ob es eine Lösung ist, daß man Vollmachten fordert, wenn man schon so deutlich gezeigt hat, daß man über das, was man tun will, gar nicht einig ist.
Was den Zeitfaktor anlangt, möchte ich auf etwas Bezug nehmen, was der Herr Bundeskanzler in Karlsruhe auf dem Parteitag der Regierungspartei gesagt hat. Er hat dort gesagt — ich kann das verstehen im Hinblick auf die Öffentlichkeit —, die Regierungspartei, die die Mehrheit im Hause habe, solle nun endlich davon Gebrauch machen und sich die Verzögerung durch die anderen nicht mehr gefallen lassen. Das kann man natürlich nach draußen sagen. Aber Sie hier im Hause wissen doch, daß es anders ist; Sie wissen, daß das gar nicht so ist. Sie wissen doch genau, daß Sie von Ihrer Mehrheit deshalb nicht Gebrauch machen, weil Sie sich über das, was in diesen Fragen notwendig ist, nicht einig sind.

(Beifall bei der FDP. — Widerspruch von der CDU/CSU. — Zuruf: Das glauben Sie ja selbst nicht!)

Wir können es verstehen, daß man das nach draußen sagt, aber wir wissen es in diesem Hause besser.

(Abg. Dr. Vogel: Sind Sie sich in Ihrer Fraktion so sehr einig über das, was gemacht werden muß?)

— Dazu möchte ich sagen, Herr Kollege Vogel — es ist gut, daß Sie das fragen —: ich bin nicht nur ausdrücklich beauftragt, sondern ich kann es auch nach einer langen Debatte gestern innerhalb unserer Fraktion erklären, daß ich hier nicht für mich spreche, sondern im Namen der ganzen Fraktion.

(Zustimmung bei der FDP. — Zurufe und Lachen bei der CDU/CSU.)

Das ist ein Punkt nur, vielleicht kommen noch mehr dazu, bei denen Sie mir das noch einmal vorhalten. Ich will noch einige Punkte berühren.
Der Grund, weshalb man das alles heute ansprechen muß, ist doch der, daß jetzt das Schlagwort „Patentlösung Aufwertung" aufgekommen ist. Ich gebe Ihnen zu, daß zu dieser Frage in der Öffentlichkeit Äußerungen gemacht worden sind, die vielleicht nicht sehr glücklich gewesen sind. Aber man muß doch seine Haltung dazu einmal ganz klar kundtun, nachdem man das reiflich überlegt hat. Es geht das Schlagwort von der Aufwertung oder der inneren Inflation, als ob nur darin die Alternative läge. Wir wissen, daß von ökonomisch-theoretischer Seite nur diese Alternative angenommen wird. Aber wir Freien Demokraten wehren uns ganz entschieden dagegen, daß das für die Praxis, für den Bereich der Politik, für den Bereich der Konjunkturpolitik gelten soll. Wir wollen weder eine Aufwertung noch eine innere Inflation.
Aber — nun komme ich wieder auf das zurück, was wir wollen und was Sie müssen — wenn Sie nicht vor der genannten Alternative stehen wollen, dann müssen Sie handeln, die Regierung muß handeln, und sie muß koordiniert handeln. Es wird auch
Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1960 7341
Dr. Starke
nicht ausbleiben, daß man vor die Bevölkerung tritt und sagt: Wir sind in einer Situation, in der es immerhin nicht ganz von der Hand zu weisen ist, daß, das, was in zehn Jahren aufgebaut worden ist, jetzt sehr stark in Gefahr kommt, wenn man die Weichen falsch stellt. Was wir wollen, sind Maßnahmen und Maßhalten in der Wirtschaft und in der Bevölkerung.

(Zuruf des Abg. Brese.)

— Herr Brese, ich will Ihnen zu dem Maßhalten nur etwas sagen! Dazu ist erforderlich, daß das von der Regierung selber erst einmal vorexerziert wird! Erst dann kann man darüber sprechen.

(Beifall bei der der FDP.)

Zu der Frage der Aufwertung möchte ich ganz leidenschaftslos folgendes sagen. Ich habe schon vorhin darauf hingewiesen, daß wir auch in der Zeit einer geringeren Konjunktur einen hohen Export hatten. Es ist also nicht so, daß im Augenblick alles Übel vom Export kommt, wie man das langsam schon hinstellen zu müssen glaubt und wie man das so oft hört.

(Zuruf von der Mitte: Wir sind bei der ersten Lesung!)

— Ich glaube, daß die Fragen der Konjunkturpolitik bei diesem Haushalt eine Rolle spielen. Wenn Sie wollen, können Sie das natürlich weglassen. Sie können natürlich sagen, 45 Milliarden mußten sein, weil es die Gegebenheiten befohlen haben. Dieser Meinung sind wir nicht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind bei der ersten Lesung!)

— Ich glaube, daß es bei der dritten Lesung für diese Dinge zu spät ist; denn wenn Sie das tun wollen, was wir möchten, müssen Sie es nach der ersten Lesung tun und nicht nach der dritten.

(Abg. Dr. Dollinger: Sie hatten MilliardenAnträge auf Mehrausgaben ohne Einsparungsvorschläge gestellt!)

— Das müßten Sie uns vielleicht im einzelnen sagen. Im Laufe der Debatte wird sich dazu wohl die Gelegenheit ergeben.
Sie wissen, wir landen immer wieder bei den Kriegsopfern, die wir auch nicht ganz sitzen lassen wollten, und bei den Beamtengehältern. Über das Problem werden wir uns in diesem Jahr noch einmal unterhalten müssen.

(Abg. Dr. Dollinger: Wahrscheinlich in anderer Besetzung!)

— Da brauchte ich mich sogar nicht einmal vertreten zu lassen, das würde ich auch vertreten; ich habe es schon einmal getan.

(Abg. Dr. Conring: Denken Sie an die 1 Milliarde DM Umsatzsteuer, die Sie streichen wollten! — Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU: Und die Anträge zum Verkehrshaushalt!)

— Wenn Sie das schon einmal anschneiden: Glauben Sie, daß das so falsch war?
Zuruf von der CDU/CSU: Ohne Deckungsvorschlag sicher!)
— Das ist natürlich sehr schade. Wenn Sie diesen Antrag genau durchgelesen hätten, dann wüßten Sie, daß es dafür keines Deckungsvorschlages bedurfte; denn er ergab sich aus dem Antrag selbst.

(Abg. Dr. Conring: Aber die Lücke im Bundeshaushalt war doch da!)

— Sie war nicht da, und sie ist auch jetzt nicht da!

(Zuruf von der CDU/CSU: Denken Sie an . die Agrarsubventionen!)

— Es gibt noch ganz andere Anträge. Solche Anträge können Sie nicht einfach ablehnen. Sehen Sie sich einmal an, welche Steuermehreinnahmen wir von Jahr zu Jahr gehabt haben! Diese Mehreinnahmen wollten wir dem Finanzminister wegnehmen, damit sie nicht wieder für neue Ausgaben verwendet werden.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

— Natürlich wollen wir auch den außerordentlichen Haushalt bedienen. Sicher wollen wir das. Aber ob Sie den Stein der Weisen gefunden haben, wenn Sie das behaupten, ob es also die Kunst aller Künste ist, wenn man den außerordentlichen Haushalt zwar von Jahr zu Jahr aufstellt, ihn dann aber aus den ordentlichen Einnahmen bedient, darüber werden wir auch noch ein paar Worte verlieren. Vielleicht kann man, wenn man darüber etwas intensiver nachdenkt, auch noch einen Weg finden, wie man es etwas anders hätte machen können.

(Abg. Dr. Vogel: Herr Dr. Starke, Ihre Fraktion hat neue Anträge über Mehrausgaben von 2,7 Milliarden DM gestellt, die abgelehnt worden sind!)

— Wenn Sie mir das nachher im einzelnen darlegen, bin ich gern bereit, darauf zu antworten. Mir sind Anträge mit Auswirkungen in dieser Höhe nicht bekannt.

(Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Dollinger: Das war aber schlecht!)

— Das war nicht schlecht! — Ich kenne sie nicht. Aber vielleicht handelt es sich — wie Sie bei genauem Hinsehen wahrscheinlich feststellen werden
— um Anträge, bei denen Sie den größten Teil der 2,7 Milliarden DM von sich aus beantragt haben, und wenn wir diesen Teil abziehen, werden wir zu einem sehr viel geringeren Betrag kommen, um den wir uns unterscheiden, 2,7 Milliarden DM, Herr Dollinger, ganz bestimmt nicht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir haben nicht angekündigt, daß wir keine Anträge mehr stellen werden!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zu meinem Bedauern muß ich bei diesen Fragen doch noch etwas weiter verweilen und sagen: wenn es Sie nicht berührt, wenn Sie glauben, daß diese Fragen heute nicht aktuell sind, dann lesen Sie doch einmal die Zeitung, oder fragen Sie, was die Zeitungen darüber schreiben, wie verschieden die Meinungen in Ihrer Partei über diese Fragen sind. Vielleicht ist er gut, wenn Sie dies einmal von einem anderen hören: Sie einigen sich dann schneller und besser.

(Beifall bei der FDP.)




Dr. Starke
Wir haben in unserem Außenhandel, wie Sie alle wissen, keine Riesenüberschüsse aus der Leistungsbilanz. Dafür haben wir sehr viele Verpflichtungen und darüber hinaus den Überschuß von 4 Milliarden DM aus den Besatzungszahlungen, die kein sicherer Faktor rein ökonomischer Natur sind. Wir haben außerdem das große Problem der Entwicklungsländer. Darüber hinaus wissen wir, daß die Ausfuhr nicht mehr in dem bisherigen Ausmaß steigt, daß dagegen die Einfuhr ständig eine bedeutende Steigerung erfährt, daß wir auf dem Konsumgütersektor in den vergangenen Jahren Einfuhrsteigerungen bis zu 500 % gehabt haben, ja, daß wir in einzelnen Sparten der Konsumgüterindustrie bis zu 40 und 50 % der eigenen Produktion an Einfuhr haben.
Vor allen Dingen ist von Bedeutung, daß wir keine einheitliche, sondern eine differenzierte, eine gespaltene Konjunktur haben; eine Konjunktur, in deren Verlauf in den vergangenen Jahren die am Export beteiligten Branchen und Firmen im allgemeinen besser standen und auch jetzt besser stehen als andere Zweige, vor allen Dingen in der Konsumgüterindustrie. Sie können das an den Auftragseingängen ablesen. Es ist sehr interessant, festzustellen, daß im August 1960 die Auftragseingänge für .die Konsumgüterindustrie insgesamt abgesunken sind. Darin zeigt sich eben das, was wir die gespaltene Konjunktur nennen. Diese Erscheinung macht es so schwierig, zu einer Lösung zu kommen, die nicht allzusehr daneben geht.
Ich möchte hier noch einmal sagen — und das auszusprechen liegt meiner Fraktion besonders am Herzen —: Wir halten die sogenannte Ersatzaufwertung, d. h. den Ersatz der Aufwertung durch Wegfall der Umsatzausgleichsteuer und der Exportrückvergütung, für eine ganz besonders unglückliche Maßnahme.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

— Vielleicht lassen Sie mich ausreden; die Dinge sind ziemlich schwierig.

(Erneuter Zuruf von der CDU/CSU.)

— Für mich sind sie nicht so sehr schwierig; aber so einfach, daß man sie mit dem Spruch „es muß etwas gemacht werden" abtun könnte, sind sie nicht. — Diese Maßnahme der Ersatzaufwertung würde kein positives Ergebnis haben. Vor allem würde sie imeinzelnen die Falschen treffen. Mit ihr würde man am Symptom kurieren, aber in keinem Fall würde man dort treffen, wo vielleicht am ehesten etwas getan werden könnte. Wir würden den Aufwertungsersatz als globale Maßnahme für noch unglücklicher halten als alles andere.
Blicken wir in die Vergangenheit zurück! Es ist nicht so gewesen, daß seinerzeit die Alliierten den Wechselkurs der D-Mark etwa zu niedrig festgesetzt hätten. Vielmehr haben sie ihn damals nach der damaligen überwiegenden Auffassung mit 4,20 DM für den Dollar sehr hoch festgesetzt. Man glaubte damals, dieser Wechselkurs würde unserem Export sehr große Schwierigkeiten bereiten. Auch das dürfen wir nicht vergessen, wenn wir jetzt über eine Aufwertung der D-Mark sprechen. Darüber hinaus sind wir, wie ich anfangs dargelegt habe, ja nicht schuld an der Entwicklung in den Ländern um uns, durch die die Verschiebungen in der Kaufkraft der einzelnen Währungen eingetreten sind. Man darf auch nicht vergessen, daß man eine Aufwertung nicht rückgängig machen kann. Es ist sehr genau zu überlegen, in welcher Höhe, gegenüber wem und ob überhaupt im Alleingang so etwas gemacht werden kann.
Wie ich vorhin schon ausgeführt hatte, läuft im Augenblick die Entwicklung der Preis- und Lohnsteigerungen und damit natürlich auch einer Entwertung des Geldes bei uns schneller als in anderen Ländern. Angesichts dieser Situation ist es sehr fraglich, ob jetzt gerade eine Aufwertung am Platze wäre. Man wird den Eindruck nicht los, daß, da ein Programm der Regierung fehlt und Untätigkeit zu beobachten ist, gewisse Kräfte innerhalb der Regierungspartei mit einer Gewaltlösung das erzwingen wollen, was durch politische Entscheidungen im Kabinett nicht zu erzwingen ist: eben ein Maßhalten. Ich wage zu behaupten, daß man mit politischen Entscheidungen des Kabinetts, mit denen man vor die Bevölkerung tritt, um den Ernst der Situation klarzumachen, mehr erreichen kann als durch eine solche Kurzschlußhandlung, als durch eine solche Überrundung der Politik, die so weitgehend auf die nächsten Wahlen abgestellt ist, mit Hilfe der Aufwertung.
Die Sozialdemokratische Partei hat sichgegen eine Aufwertung ausgesprochen.

(Abg. Dr. Vogel: Die Bundesregierung und wir in der Gesamtheit genauso!)

— Jawohl; ich habe unterstellt, daß das alle wissen. — Die Sozialdemokratische Partei hat sich gegen eine Aufwertung ausgesprochen, und war wissen auch, warum. Hier spielt eine Rolle die Theorie der ,expansiven Lohnpolitik, die ja insbesondere von dem Mitglied dieses Hohen Hauses, dem Kollegen Deist vertreten wird und die man angesichts der beengten Situation auf dem Arbeitsmarkt praktiziert. Es wird darauf hingewiesen, 'daß wir nicht die Folgen sähen, die immer angekündigt worden sind, nämlich zunächst das Steigen der Preise und dann insbesondere die Exportverluste. Wir brauchen uns hier nichts vorzumachen, wir wissen es, daß diese Quittung kommt. Weil eben der Währungsspielraum da ist, hat es vorübergehend dien Anschein, als ob man eine solche Politik auf die Dauer betreiben könnte. Die Vorschläge, die die Sozialdemokratische Partei statt dessen gemacht hat, sind mit einem Wort zusammenzufassen: Belastung der Wirtschaft. Dieses Experiment kann man in seinen Wirkungen in Schweden ablesen, wo eine immer stärker zunehmende Tendenz zum Wohlfahrtsstaat von Maßnahmen begleitet wurde, mit denen man die Wirtschaft belastete und einengte. Das sollten wir auch nicht vergessen, zumal man es so bequem nachlesen kann.
Herr Kollege Niederalt hat heute morgen gesagt, man solle bei den Investitionen der öffentlichen Hand einmal überlegen, ein wie kleiner Teil das von .den Gesamtinvestitionen sei. Ich bin mir nicht



Dr. Starke
ganz sicher, ob das für ,die Investitionen deis Bundes oder auch der Länder gemeint war.

(Zuruf von der CDU/CSU: Bund, Länder und Gemeinden!)

— Die Zahl, die Sie nannten, war nur die der Länder. Wenn idas insgesamt gilt, so ist es sicherlich genauso, wie wir es vorhin von den Gemeinden gehört haben. Jeder tut etwas, und nichts ist ursächlich, alles ist für sich unschädlich. Aber insgesamt sind wir in einer Situation, die, wie ich glaube, Sie alle beunruhigt und nicht nur mich.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch sagen, daß wir es als tragisch empfinden, daß eine Bundesregierung in die Situation kommt, jetzt dazustehen, ohne zu handeln. Sie ist eine bürgerliche Regierung und ist doch von Grundsätzen in der Konjunkturpolitik ausgegangen, die auch die unseren waren und die wir seinerzeit mit aufgebaut und verteidigt haben. Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei hat deshalb gestern beschlossen, bestimmte Forderungen, die die Freien Demokraten angesichts der Situation an die Bundlesregierung stellen wollen, hier heute kundzutun.
Wir wollen, wie ich schon sagte, weder eine Aufwertung der D-Mark noch eine innere Inflation. Um einen dritten Weg zu finden, fordern wir zuallererst einmal Handeln überhaupt. Handeln, nachdem man sich auf ein Programm geeinigt hat. Deshalb fordern wir, ,daß die Regierung ein Programm vorlegt, das auf die Erfordernisse deis Augenblicks abgestellt ist und das insbesondere eine Dringlichkeitsliste für die Maßnahmen enthält, die angesichts ,der jetzigen Situation im Laufe des nächsten Jahres, insbesondere bis zu ,den Wahlen, wirklich mitgutem Gewissen durchgeführt werden können. Die Bundesregierung sollte im Sinne dieses Programmes, das wir fordern, und an Hand der Dringlichkeitsliste den Bundeshaushalt so gestalten, daß er dieser Situation entspricht, insbesondere mit dem Ziele einer Verkleinerung des Volumens, auch unter Streichung von Ausgaben.
Die Bundesregierung soll darüber hinaus unverzüglich unter Überwindung aller Hindernisse in den eigenen Reihen durch Anwerbung von Fremdarbeitern eine größtmögliche Entlastung auf dem Arbeitsmarkt anstreben, in einem viel größeren Maße als bisher und in einem Ausmaß, wie es andere Länder um uns herum mit einem sehr viel größeren Erfolg getan haben.
Die Bundesregierung sollte darüber hinaus nach unseren Vorstellungen — im Sinne der Änderungsanträge der Fraktion der Freien Demokratischen Partei zum Tarifvertragsgesetz — mit dahin wirken, daß in dieser Lage, die man natürlich der Bevölkerung vor Augen führen muß, auch die Lohnverhandlungen mehr unter dem Gesichtspunkt der gegenwärtigen Situation geführt werden. Dazu sehen die von uns gestellten Anträge eine Versachlichung der Gespräche durch Gutachten, durch Veröffentlichung der Gutachten und auch durch Schlichtungsmaßnahmen vor.
Die Bundesregierung sollte dann nach unserer Vorstellung beschleunigt die Frage einer Anleihe von einer Milliarde DM aus der Wirtschaft für die Entwicklungsländer aufgreifen und darüber hinaus mindestens eine weitere Milliarde DM aus Bundesmitteln und aus Mitteln der Länder für diesen Zweck zur Verfügung stellen. Die Verhandlungen mit den Ländern sollten unter Hinweis auf den Ernst der Lage mit allem Nachdruck beginnen.
Die Bundesregierung sollte fernerhin alle Möglichkeiten ausnützen, wie sie der Herr Bundesfinanzminister im Rahmen seiner Möglichkeiten im Haushalt bereits ausgenützt hat, und eine Neutralisierung von Geldmitteln anstreben, und zwar durch weitere Tilgung von Auslandsschulden, durch weitere Vorauszahlung von Verteidigungslieferungen aus dem Ausland, aber auch durch eine verstärkte Vorratshaltung an ausländischen Rohstoffen, ähnlich wie in der Schweiz, sowie durch privaten Kapitalexport in Entwicklungsländer in Europa und in Übersee, in Form von Sachanlagen oder in Form von Anleihen mit einer steuerlichen Begünstigung, um in dieser Situation wirklich einen Effekt zu erzielen.
Die Bundesregierung sollte nach Ansicht der Fraktion der Freien Demokratischen Partei darüber hinaus einen Gesetzentwurf vorlegen, in dem ähnlich wie in der Schweiz die Möglichkeit vorgesehen wird, Investitionsmittel der Wirtschaft unter Steuerbegünstigung bis zu einem späteren Zeitpunkt, den die Bundesregierung bestimmt, bei der Notenbank stillzulegen.
Die Bundesregierung — auch das möchten wir vertreten; wir glauben, daß dies, wenn sich der Bundeskanzler dieser Fragen mit der ganzen Autorität seiner Person annimmt, auch Erfolg haben wird — sollte Verhandlungen mit den Ländern und mit den Gemeinden aufnehmen und mit ihnen über die Investitionspolitik der öffentlichen Hand sprechen, bezüglich deren ich nicht ganz die gleiche Meinung habe, wie Herr Kollege Niederalt sie hier zum Ausdruck gebracht hat. Dabei sollte die Öffentlichkeit über die Haltung der Beteiligten unterrichtet werden.
Die Bundesregierung sollte ferner im Zuge der Umgestaltung des Haushalts, wie wir sie uns denken, ein Programm für Steuersenkungen vorlegen, das die Preisentwicklung zugunsten der ganzen Bevölkerung beeinflussen und Mehreinnahmen mit der Folge höherer öffentlicher Ausgaben verhindern soll. Soweit dabei Steuereinnahmen der Länder und Gemeinden berührt werden, sind entsprechende Finanzausgleichsmaßnahmen vorzusehen und gegebenenfalls mit den Ländern zu beraten. Es muß gelingen, die Mängel unserer Finanzverfassung in dieser kritischen Zeit einmal zu überwinden. Die FDP-Fraktion wird noch Einzelanträge im Sinne dieses geforderten Steuerprogramms vorlegen.
Die Notenbankpolitik sollte nicht nur fortgesetzt, sondern sie sollte durch die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen in Zukunft von der Bundesregierung wirksamer unterstützt werden.



Dr. Starke
Schließlich — das ist zwar der letzte, aber nicht der unwichtigste Punkt — sollte die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit der Notenbank die Wirkung der geforderten Maßnahmen beobachten, sie gegebenenfalls ergänzen und zugleich in internationale Verhandlungen eintreten, um die anstehenden Währungsfragen dort zu besprechen.
Hier möchte ich auf eine Rede verweisen, die der frühere Präsident der Notenbank, Geheimrat Dr. Vocke, in Helsinki am 12. September 1960 gehalten hat. Er hat dort eine Reihe zunächst unscheinbar aussehender Maßnahmen angeregt, mit denen man vielleicht dem Problem der Währungsverzerrungen begegnen kann, das uns ja zu schaffen macht und das man sicherlich nicht mit dem scharfen Schwert der Aufwertung lösen sollte, das so leicht fehlgehen kann.
Eine solche Politik und ein solches Programm, wie wir es hier aufgestellt haben, sind sicherlich ergänzungsbedürftig. Wenn die Regierung sich aber zu einem solchen Programm durchringt, gibt es ihr natürlich auch gegenüber der Bevölkerung und gegenüber der Wirtschaft eine ganz andere Sicherheit. Es erfordert politische Entscheidung. Es wird auch Ausgabensenkungen nötig machen. Es erfordert eine Überprüfung vieler liebgewordener Vorstellungen, nach denen es immer so weitergehen muß, und es erfordert Wertungen, was wichtiger ist als das andere und was deshalb bevorzugt vor anderem getan werden muß.
Ein solches Programm — damit lassen Sie mich schließen — würde insbesondere auch dem entsprechen, was der von der Regierung eingesetzte Sozialbeirat in seinem Gutachten unter dem 12. September 1960 festgestellt hat, das Sie in der Drucksache 2082 am Ende finden. Der Sozialbeirat behandelt dort die Rentenanpassung, für die uns die Regierung ja bereits einen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Es heißt in diesem Gutachten — ich darf das mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:
Auf anderen Gebieten der Wirtschaftspolitik
— auf anderen als dem Gebiet der Rentenanpassung
können weit wirksamere Einschränkungen der Nachfrage herbeigeführt werden.
Er sagt dann weiter:
Nur im Rahmen eines systematischen und erfolgversprechenden Gesamtprogramms auf den Gebieten der Finanz-, Kredit-, Außenhandels-und allgemeinen Wirtschaftspolitik
— nur in einem solchen Rahmen! —
wäre nach Ansicht der Mehrheit der Beiratsmitglieder eine Nichtanpassung gerechtfertigt. Ist dagegen damit zu rechnen, daß die expansiven Tendenzen bei den anderen Teilen der volkswirtschaftlichen Nachfrage — seien es nun Investitionen, Auslandsnachfrage, Staatsbedarf oder Massenkonsum — nicht genügend eingedämmt werden, so erscheint es der Mehrheit des Sozialbeirats sowohl sozialpolitisch nicht vertretbar wie auch konjunkturpolitisch wenig sinnvoll
ich darf den Satz abkürzend zu Ende führen gerade den Verzicht auf die Rentenanpassung auszusprechen.
Ich habe am Anfang behauptet, die Bundesregierung habe ein solches Programm nicht. Das bestätigt sie selber dadurch, daß sie das Gesetz über die Rentenanpassung vorgelegt hat; denn nach dem Rat dieses Sozialbeirats, den sie selber eingesetzt hat, sollte sie das nur dann tun, wenn sie kein Programm hat. Für den Fall dagegen, daß sie glaubt, mit einem Programm diese Nachfragesteigerung und -übersteigerung vermeiden zu können, empfiehlt der Sozialbeirat, das nicht zu tun. Mir kommt es im Augenblick nicht so sehr auf den konkreten Fall der Anpassung an, die später hier noch behandelt wird, sondern vielmehr darauf, daß die Bundesregierung durch diese Handlung selber zugegeben hat, daß sie sich gar nicht zutraut, im Sinne der Empfehlung des Sozialbeirats zu handeln.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0312710800
Wir haben die Freude, eine Delegation des kanadischen Senats, an ihrer Spitze den Herrn Präsidenten des Senats, in unserer Mitte begrüßen zu können.

(Beifall.)

Herr Präsident, der Deutsche Bundestag dankt Ihnen und Ihren Herren Kollegen für die Ehre Ihres Besuches.
Wir fahren fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Conring.

Dr. Hermann Conring (CDU):
Rede ID: ID0312710900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf vielleicht einige wenige Worte auf das erwidern, was Herr Kollege Heiland zu den Gemeindefinanzen vorgetragen hat. Auf der einen Seite steht nach der Verfassung der Bund, auf der anderen Seite stehen die Länder und mit ihnen gemeinsam die Gemeinden und Gemeindeverbände, nicht ohne daß hin und her eine Reihe von Beziehungen und Einwirkungen stattfinden. Verfassungsrechtlich ist das nun einmal so. Es darf nicht durch eine Betonung in der Form, Herr Kollege Heiland, wie Sie das hier getan haben, der Eindruck erweckt werden, als ob etwa der Bund in erster Linie für das, was in den Gemeinden geschieht, was insbesondere mit Bezug auf die Finanzwirtschaft der Gemeinden geschieht, verantwortlich sei.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich meine, es wäre gut, einen Augenblick auch an das zu denken — auch Sie haben es ja gehört —, was der Herr Bundesfinanzminister gesagt hat: daß nach dem Inkrafttreten der geänderten Finanzverfassung die Ausgaben und die allgemeinen Dekkungsmittel sich beim Bund, bei den Ländern und bei den Gemeinden bei Vergleich der Jahre 1956 und 1960 sehr verschiedenartig entwickelt haben.

(Abg. Heiland: Ich habe für das erste Quartal das Gegenteil bewiesen!)

Ich wollte Ihnen nur sagen, daß die Dinge nach unanfechtbaren Unterlagen so sind.



Dr. Conring
Die Ausgaben haben sich beim Bund um 41 v. H. nach oben entwickelt, die allgemeinen Deckungsmittel sind aber nur um 35 v. H. gestiegen. So ist es beim Bund, Der Herr Finanzminister hat mit Recht darauf hingewiesen, daß diese Entwicklung bei den Ländern glücklicher verlaufen sei. Die Ausgaben haben sich dort um 39 v. H. erhöht, also um etwas weniger als beim Bund. Die allgemeinen Deckungsmittel haben sich aber bei den Ländern um 47 v. H. erhöht. Bitte, bedenken Sie: 39 zu 47; eine an sich ganz nette finanzielle Entwicklung der Länder! Wenn Sie sich von den Gemeinden den letzten Stand — 1960 gegenüber 1956 — merken wollen, so wäre das, glaube ich, auch ganz verdienstvoll. Die Ausgaben haben sich nämlich bei den Gemeinden um 35 v. H. gesteigert, liegen also unter denen des Bundes und noch unter denen der Länder. Die allgemeinen Deckungsmittel, die man ja auch Steuermittel nennt, haben sich aber bei den Gemeinden um 50 v. H. vermehrt. Also bei den Ländern das glückliche Verhältnis 39 v. H. Ausgabe-und 47 v. H. Einnahmesteigerung; bei den Gemeinden ist dieses Verhältnis 35 zu 50! Das darf man doch nicht ganz vergessen, wenn man darüber spricht, daß die Gemeinden teilweise — wie ich zugebe — in einer schwierigen Lage sind. Sie sollten doch etwas mehr darauf hingewiesen haben.

(Abg. Heiland: Die Zahlen habe ich selber verlesen, also können Sie mich gar nicht korrigieren!)

— Ich habe auch gar nicht den Wunsch, Sie zu korrigieren. Ich habe den Wunsch, das klar und deutlich zu sagen, damit jeder, der hier im Hause sitzt und zuhört, weiß, wie sich die Einnahmen auf der einen Seite und die Ausgaben auf der anderen Seite entwickelt haben. Das ist das Entscheidende.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich habe Ihnen ja auch schon gesagt, als Sie sprachen, man müßte dann doch wohl etwas daran denken, den Finanzausgleich zwischen Land und Gemeinden zu verbessern. Das müßte der erste Schritt sein.

(Zuruf von der SPD.)

— Ich habe das eingangs gesagt; Sie haben nicht zugehört. Einen Finanzausgleich zwischen Bund und Gemeinden kann es verfassungsrechtlich nicht geben, sondern nur einen Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern.

(Zuruf von der SPD: Es gibt eine Reihe von Gebieten, wo man das tun könnte!)

— Nach der Verfassungsstruktur gibt es keinen Finanzausgleich zwischen Bund und Gemeinden, Sie würden sonst die föderalistische Struktur des Bundes verletzen.

(Anhaltende Zurufe von der SPD.)

— Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in aller Ruhe und Leidenschaftslosigkeit diese Frage erörtern. Warum wird denn eigentlich den Gemeinden nicht dadurch geholfen, daß der Finanzausgleich zwischen ihnen und ihren Ländern verbessert wird? Was wir dazu haben tun können, haben wir eigentlich bei dem Art. 106 durch den Steuerverbund getan. Wie sich dieser Steuerverbund in diesem Jahr 1960 auswirkt, wissen Sie in Nordrhein-Westfalen genau. Es werden nämlich nochmals Nachzahlungen von etwa 25 v. H. der Gesamtsumme erfolgen. Das, was wir vom Bund hätten tun können, haben wir nach meinem Dafürhalten durch die Schaffung des Steuerverbunds getan, und das wirkt sich auch sehr finanzausgleichend aus.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0312711000
Herr Abgeordneter Conring, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ritzel?

Dr. Hermann Conring (CDU):
Rede ID: ID0312711100
Bitte, gerne.

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0312711200
Darf ich fragen, Herr Kollege Dr. Conring: wie beurteilen Sie denn in der Praxis die Wirkung des vor einigen Jahren hier geänderten Art. 106 des Grundgesetzes zugunsten der Gemeinden? Sind Sie mit mir der Auffassung, daß sich diese Grundgesetzänderung bis jetzt in entscheidendem Umfang als weiße Salbe erwiesen hat?
Und eine zweite Frage: können Sie mir eine von der CDU geführte Landesregierung benennen, die auf dem Gebiete des Finanzausgleichs zwischen Land und Gemeinden eine so großzügige Regelung getroffen hat, wie sie die hessische Regierung unter Führung der Sozialdemokraten getroffen hat?

(Lachen in der Mitte. — Lebhafte Rufe bei der CDU/CSU: Düsseldorf!)

— Anscheinend ist es den Herren nicht bekannt, warum sie lachen.

(Zuruf von der Mitte: Sie sind schlecht informiert!)

— Ich bin informiert.

Dr. Hermann Conring (CDU):
Rede ID: ID0312711300
Ich glaube, Herr Kollege Ritzel, der sogenannte Steuerverbund, von dem ich gerade vorhin sprach, hat sich günstig ausgewirkt, und im Lande Nordrhein-Westfalen sind mir sogar die Zahlen bekannt, die ich Ihnen eben genannt habe. Das ist das eine.
Ich weiß nicht, was „weiße Salbe" ist; ich bin kein Quacksalber.

(Heiterkeit.)

Aber ich müßte meinerseits einmal darauf aufmerksam machen — und das ist das andere daß diese Frage, wie man den Gemeinden helfen soll, nicht eine parteipolitische, sondern eine staatspolitische Frage ist. Wenn Sie in das Land Baden-Württemberg sehen, das ja wohl einen CDU-Ministerpräsidenten hatte und hat, so finden Sie dort einen ausgezeichneten Finanzausgleich gerade in dieser Richtung: Dort müssen die steuerstarken Gemeinden — die es ja in nicht unerheblichem Maße unter den Stadt- und Landgemeinden gibt — einen Großteil der Gewerbesteuer in einen Ausgleichstopf tun, der dann nach Gesichtspunkten des Finanzausgleichs unter den Gemeinden verteilt wird, damit auch die finanzschwachen Gemeinden daran teilhaben.

(Zuruf von der SPD: Das stimmt nicht, was Sie eben sagen!)




Dr. Conring
— Das stimmt sehr wohl. Vielleicht haben Sie die Freundlichkeit, sich bei Ihrem heimatlichen Kollegen, Herrn Dr. Vogel, zu erkundigen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0312711400
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Conring, des Abgeordneten Ritzel?

Dr. Hermann Conring (CDU):
Rede ID: ID0312711500
Bitte!

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0312711600
Noch eine kleine Scherzfrage, Herr Kollege Dr. Conring: Unter „weißer Salbe", für deren Beurteilung in diesem Fall nicht etwa die Quacksalber in den Apotheken, sondern eben die Politiker zuständig sind, versteht man in der Politik — und ich wollte wissen, ob Ihnen das ebenfalls bekannt ist — etwas, das man schmiert, ohne daß es etwas bedeutet. Wir sagen „weiße Salbe", vielleicht sagen Sie „schwarze Salbe".

(Heiterkeit und Unruhe.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0312711700
Das ist keine Frage gewesen!

Dr. Hermann Conring (CDU):
Rede ID: ID0312711800
Herr Kollege Ritzel, da muß Ihnen ein Irrtum unterlaufen sein! Dann müßten Sie doch rote Salbe sagen!

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Lassen Sie mich zu der Hauptfrage zurückkehren, ob es denn nicht möglich ist, den finanzschwachen Landgemeinden und Städten, den finanzschwachen Gemeinden und Gemeindeverbänden durch die Verbesserung des Finanzausgleichs zu helfen. Ich möchte diese Frage bejahen. Wir sollten uns dort, wo wir eine größere Anzahl von finanzschwachen Gemeinden und Gemeindeverbänden haben, an die zuständigen Länder halten, damit ein wirkungsvoller Finanzausgleich herbeigeführt wird. Das ist das Primäre. Das Primäre ist nicht die Hilfe des Bundes, sondern die Hilfe der Länder durch einen Finanzausgleich.
Um die Länder wenigstens einigermaßen gleichzustellen, haben wir den vertikalen und den horizontalen Finanzausgleich. Er hat seine Erfolge gehabt. Darüber hinaus gibt es noch sehr viele Sonderzuweisungen, die praktisch einem Finanzausgleich nahekommen. Ich darf Sie daran erinnern, Herr Kollege Heiland — was beispielsweise Herr Dr. Vogel heute morgen erwähnt hat —, daß in einem so charakteristischen Länderhaushalt, wie es der Landwirtschaftshaushalt des Bauernlandes Niedersachsen ist, der Hauptanteil aus Bundesmitteln geleistet wird und ein geringerer Teil aus ordentlichen und außerordentlichen Mitteln des Landes. Das passiert in einem Land, das hauptsächlich landwirtschaftlich orientiert ist, und unter Berücksichtigong dessen, daß die Landwirtschaft wie die Kultur geradezu eine Domäne der Länderverwaltung ist.
Sie sehen daraus, daß neben dem vertikalen und horizontalen Finanzausgleich noch „Finanzausgleiche" zugunsten der Länder stattfinden. Genauso ist es auch bei den Gemeinden. Wenn Sie sich in den kleineren Landgemeinden umsehen, werden Sie feststellen, daß auch dort manches geschieht. Das ist erfreulich, aber es geschieht manches eben auch mit Hilfe des Bundes. Ich erinnere an die Landgemeinden, in denen Wirtschaftswege gebaut werden. Dazu tun die Länder wenig. Die Landgemeinden, die diese Wirtschaftswege wegen der Struktur ihrer Landwirtschaft nötig haben, erhalten die Hauptunterstützung aus Bundesmitteln. Ich erinnere ferner an den Straßenbau. Bitte bedenken Sie — Sie können das in dem vor Ihnen liegenden Etat nachsehen —, daß für die Ortsdurchfahrten — das sind doch in der Hauptsache wohl kommunale Angelegenheiten, die mit dem Bau von Bundesstraßen und Bundesautobahnen zusammenhängen — in der Zeitspanne von 1959 bis 1962 588 Millionen DM aus Bundesmitteln gezahlt werden.
Denken Sie ferner an die Ortumgehungen, deren Schaffung teilweise wohl auch zu den Aufgaben gehört, für die die Gemeinden zuständig sind, wobei ihnen der Bund wesentlich hilft.

(Zuruf von der SPD: Das sind keine Gemeindeaufgaben!)

— Ortsumgehungsstraßen haben, auch wenn ihre Schaffung rechtlich nicht zu den Gemeindeaufgaben gehörte, zumindest für die Gemeinden eine wirtschaftlich große Bedeutung. Das sind Aufgaben, die wir, bevor es diese Regelung gab, in Gemeinden auch schon als Gemeindeaufgaben durchgeführt haben. Für die Ortsumgehungen gibt es in den Jahren 1959 bis 1962 rund 650 Millionen DM aus Bundesmitteln, und für die Aufstufung von Landstraßen I. Ordnung gibt es in diesem Zeitraum weitere 400 Millionen DM. Rechnen Sie das alles zusammen, so ergeben sich 1,5 Milliarden DM. Das sind schließlich keine kleinen Beträge, die vom Bund zugunsten der Gemeinden direkt und indirekt gegeben werden.
Wenn Sie auf das achten, was sich in den Gemeinden abwickelt, finden Sie vieles, was aus dem Bundesjugendplan mitfinanziert wird. Sie finden ferner den Wohnungsbau, der in der Hauptsache aus Bundesmitteln finanziert wird, und Sie finden Sportstätten, die ebenfalls mit Zuschüssen des Bundes errichtet werden.
Warum sage ich das? Nur deshalb: es gibt zwar keinen Finanzausgleich zwischen Bund und Gemeinden, wie mit Recht hervorgehoben wurde, aber es gibt eine ganze Reihe von Hilfen, die der Bund den Gemeinden gewährt.

(Zuruf von der SPD: Die müssen verstärkt werden!)

Sie wissen, daß die Gemeindebetriebe von der Umsatzsteuer freigestellt worden sind. Auch diese Maßnahme könnte etwa hierher gehören. Ich will aber diese Dinge nicht zu weit ausspinnen.—Herr Kollege Heiland, Sie haben damit geschlossen, daß Sie gesagt haben, daß einmal wieder eine ,,freie autonome Gemeinde" da sein möge. Das ist die Gemeinde, die früher Freiherr vom Stein gemeint hat, das ist die Gemeinde, die selbst beschließt, welche Aufgaben sie zu erfüllen und welche Ausgaben sie zu leisten wünscht, und die ihrerseits bereit ist, die Mittel, die dafür nötig sind, aus eigener Kraft aufzubringen. Das ist die autonome freie Ge-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, der, 5. Oktober 1960 7347
Dr. Conring
meinde, das ist die klassische Selbstverwaltung, wie wir sie früher einmal gehabt haben.

(Beifall in der Mitte.)

Aber die Zeiten sind wohl leider vorbei.

(Zuruf von der SPD: Sie gehen an der Gegenwart vorbei!)

— Das wollte ich gerade mit den Worten sagen: die Zeiten sind wohl vorbei. Ihr Freund Heiland forderte in seiner Apotheose aber eine „autonome Gemeinde." Ich habe den Eindruck, daß diese Zeiten leider vorbei sind.

(Zuruf von der SPD.)

-- Das kann man sehr bedauern, denn die klassische Selbstverwaltung hat in ihrer Zeit wirklich hervorragendes geleistet.
Aber vergessen Sie bitte nicht, daß auch heute noch die Aufgaben und Ausgaben in der Hauptsache von den Gemeinden bestimmt werden, daß aber die Einnahmen nicht mehr in vollem Umfange aus der eigenen Finanzkraft der Gemeinden aufgebracht werden. Ein großer Teil der Einnahmen kommt von oben in Gestalt von Finanzzuweisungen durch den Steuerverbund innerhalb der Länder, durch Bundeszuweisungen usw.

(Zuruf von der SPD.)

Sie wissen, daß von der bürgerlichen Seite — wenn ich einmal so sagen darf — der bescheidene Versuch gemacht worden ist, wieder eine Verbindung zwischen den Ausgaben und der Aufbringung der Mittel aus eigener Kraft herzustellen. Derjenige, der die Ausgaben beschließt, sollte durch sie auch belastet werden. Dieser Versuch ging also wenigstens in der Richtung der klassischen Selbstverwaltung. Er ist aber von Ihrer Seite abgelehnt und mit dem berühmten Wort der „Negersteuer" diffamiert worden. Das war nicht gut. Auf die Höhe kam es bei dieser Steuer nicht an. Es kam nur darauf an, daß diejenigen, die zur Zeit nichts unmittelbar in den Gemeindesäckel zahlen, weil sie keinen Grundbesitz haben und weil sie keine Gewerbesteuer abzuführen haben, in irgendeiner geringen, praktisch kaum fühlbaren Weise belastet werden, damit sie wenigstens — in einer Relation mit den anderen Gemeindesteuern — gleichzeitig mit den Ausgabebeschlüssen sich auch selber belasten müssen. Ich glaube, wir brauchen darüber nicht zu reden; diese Form der Selbstverwaltung — --

(Zuruf von der SPD.)

— Nein es handelte sich um eine gewisse Anlehnung an die klassische Selbstverwaltung. Sie haben das aber nicht gewollt. Ich glaube deshalb nicht mehr recht, daß wir zu einer Selbstverwaltung zurückkehren können, die sich an der klassischen Selbstverwaltung orientiert. Ich wollte damit sagen, daß die Apotheose von Herrn Heiland mir wenig real zu sein scheint.
Im übrigen, Herr Kollege Heiland, sagten Sie, die Gemeinden seien nicht so sehr diejenigen, denen man des Bauvolumens wegen Vorwürfe machen dürfe. Sie sehen aus der Finanzübersicht, daß im Jahre 1958 — nur hierfür liegt die Zahl vor — Ausgaben für Verwaltungsbauten in Höhe von insgesamt 6,7 Milliarden DM vorhanden waren; davon entfielen auf den Bund rund 1 Milliarde, auf die Länder 1,3 Milliarden und auf die Gemeinden und Gemeindeverbände 4,2 Milliarden DM.

(Abg. Ritzel: Das ist doch kein Luxus!)

— Ich habe nicht behauptet, daß das Luxus sei. Ich wollte nur darauf aufmerksam machen — der Herr Bundesfinanzminister hat das auch schon gesagt —, daß zwei Drittel der öffentlichen Bauausgaben auf die Gemeinden entfallen. Das ist kein Vorwurf, das ist so. Wenn das aber so ist, müssen Sie wohl auch daran denken, daß von dort aus eine Konjunkturbremsung hätte ausgehen können. Aber ich weiß genau wie Sie, Herr Heiland, daß wir alle reichlich ungeduldig sind; wir müssen alles gleichzeitig und sofort machen. Das ist genau das, was nicht allenthalben so zu sein brauchte und was natürlich dazu beiträgt, die Konjunktur immer wieder zu erhitzen. Man kann sich auch auf den Standpunkt stellen, daß man alles etwas geduldiger und nacheinander machen kann.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0312711900
Herr Abgeordneter Dr. Conring, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer?

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0312712000
Herr Dr. Conring, welchen Bedarf an Krankenhäusern hat der Bund und welchen Bedarf an Krankenhäusern haben die Gemeinden?

(Abg. Ritzel: Wieviel Kanalisationsanlagen, wieviel Abwasseranlagen baut der Bund?)


Dr. Hermann Conring (CDU):
Rede ID: ID0312712100
Danach können wir nicht aufsplittern. Ich bitte Sie, einmal das gelbe Heft zur Hand zu nehmen, den Finanzbericht für 1961. Da finden Sie die Zusammenfassung. Darauf kommt es wohl allein an.
Ich möchte nicht zu lange reden; ich wollte eigentlich nur wenige Worte der Erwiderung sagen. Zum Abschluß muß ich aber noch auf eines aufmerksam machen. Sie haben gesagt, der Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard sei der Auffassung gewesen, die Oberbürgermeister rühmten sich vielfach übermäßig dessen, was in den Gemeinden geschehen sei. Es liegt nahe, daß sie das tun, insbesondere wenn der Wahlkampf da ist. Dann meinen die Oberbürgermeister und Landräte, aus ihrer politischen Sicht heraus der Bevölkerung klarmachen zu müssen, daß alles das, was in der kommunalen Legislaturperiode geschaffen worden sei, das Verdienst der jeweils regierenden Partei in der Gemeinde oder in der Stadt sei. Das ist aber bekanntermaßen, wie wir heute in der Unterhaltung festgestellt haben, gar nicht der Fall, sondern ein großer Teil dessen, was in den Gemeinden geschieht, geschieht, wie ich soeben an den Zahlen des Bundeshaushalts usw. klarmachte, aus Bundesmitteln. Die großen Positionen werden ja überhaupt vorwiegend aus Bundesmitteln bzw. aus dem Steuerverbund mit den Ländern finanziert.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Dr. Schäfer.)

7348 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den. 5. Oktober 1960
Dr. Conring
— Zu den großen Aufgaben rechne ich z. B. den Wohnungsbau, den Bau von Bundesautobahnen und Bundesstraßen. Auf allen diesen Gebieten wird leider verschwiegen — das ist ja heute morgen scho einmal von dieser Stelle aus angeklungen —, welchen großen Anteil der Bund auch finanziell an allen diesen Aufbaumaßnahmen hat. Eins wird dabei in jedem Falle nicht genügend deutlich gesagt: Die Wirtschaftspolitik des Bundes — die wir zu vertreten haben —ist es doch wohl gewesen, die überhaupt diese großen Steuereinnahmen ermöglicht hat, die das Aufblühen der Wirtschaft und das Anwachsen der Steuereinnahmen zur Folge gehabt hat und die unter anderem auch in den Gemeinden diese erhebliche Erhöhung des Gewerbesteueraufkommens hervorgerufen hat. Ich fürchte, wenn wir Ihren Ratschlägen, meine Herren von der Linken, gefolgt wären, hätten wir diesen raschen und guten Aufbau überhaupt nicht gehabt und noch weniger den schönen Aufbau in den Gemeinden, der doch von der Wirtschaftspolitik im Bunde in der Hauptsache abhängig ist. Das muß angesichts des Wahlkampfes, der auf kommunaler Ebene hier und dort vor der Tür steht — und ich verstehe die Rede des Herrn Kollegen Heiland nur unter diesem Aspekt —, wohl auch einmal gesagt werden.

(Abg. Heiland: Das nenne ich geistigen Hochmut!)

Dann noch ein letztes Wort! Es wurde darauf hingewiesen, daß die Aufbauleistungen natürlich nicht nur Leistungen einer Regierungspolitik seien. Das sind sie sicher nicht. Herr Kollege Heiland hat mit vollem Recht darauf aufmerksam gemacht, daß an diesen Aufbauleistungen das gesamte Volk in allen seinen Schichten einen erheblichen Anteil hat und daß der Fleiß und die Gewissenhaftigkeit dieses Volkes über alles Lob erhaben sind. Das wußte schon Goethe, der die wirtschaftliche Tüchtigkeit dieses Volkes seiner politischen Untüchtigkeit gegenübergestellt hat.

(Abg. Ritzel: Damals gab es aber noch keine CDU! — Heiterkeit.)

— Ich wollte aber doch darauf aufmerksam machen.
— Sind denn, Herr Kollege Heiland, unsere in Mittel- und in Ostdeutschland lebenden Deutschen weniger fleißig, weniger gewissenhaft als wir? Müssen sie nicht sogar viel mehr arbeiten bei geringerem Konsum? Woran liegt denn das, daß diese selben Leute — —

(Abg. Schoettle: Weil sie Reparationen bezahlt haben!)

— Einen Augenblick! Ich habe Sie ruhig angehört; lassen Sie mich bitte auch ausreden, zumal ich am Schluß bin. — Daß dieselben Leute mit derselben Tüchtigkeit, mit denselben Eigenschaften wie wir gleichwohl nicht zu einem ebenso guten Ergebnis kommen wie wir, das muß doch eine Ursache haben. Ich meine, das hat die Ursache in der Wirtschaftspolitik, in der Freiheit und der Unfreiheit, die uns unterscheidet.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0312712200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abg. Hermsdorf, Herr Abg. Dr. Conring?

Dr. Hermann Conring (CDU):
Rede ID: ID0312712300
Ja, bitte!

Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0312712400
Herr Kollege Conring, nur um Mißverständnisse auszuräumen — ich bin sicher, daß es nicht so gemeint war —: Ich hoffe, daß Sie das Wirtschaftssystem — —

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0312712500
Eine Frage, Herr Abgeordneter!

Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0312712600
Gewiß, das ist eine Frage. — Ich hoffe, daß Sie das Wirtschaftssystem der sowjetischen Besatzungszone nicht mit den wirtschaftspolitischen Vorstellungen der SPD vergleichen.

Dr. Hermann Conring (CDU):
Rede ID: ID0312712700
Nein, das habe ich allerdings in keiner Weise gemeint. Ich habe nur sagen wollen, daß dieselben Eigenschaften drüben vorhanden sind, aber zu keinem wirtschaftlichen Erfolg führen können, weil das wirtschaftliche System jeden Erfolg für den einzelnen und für die breite Masse zusammen mit der Freiheit hat untergehen lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0312712800
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.

Franz Etzel (CDU):
Rede ID: ID0312712900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stehen, soweit ich sehe, am Ende der Debatte des ersten Durchganges des Haushalts.

(Abg. Ritzel: Mit der Rede des Ministers wird sie neu eröffnet!)

— Damit bin ich durchaus einverstanden. Ich sehe es sehr gern, wenn weiter diskutiert wird. Ich glaube aber, Sie haben einen Anspruch darauf, daß ich wenigstens in einigen globalen Zügen auf die Diskussion eingehe, und deswegen habe ich mich zum Wort gemeldet.
Ich weiß, daß mit der heutigen Debatte die Problematik, die heute hier aufgezeigt worden ist und die ich vorige Woche aufgezeigt habe, nicht erledigt ist. Im Gegenteil, es ist ja der Sinn des Haushalts, daß wir die gesamte Konzeption, die darin niedergelegt ist, im Haushaltsausschuß gemeinsam noch einmal durchdiskutieren und durchprüfen.
Ich werde, da der Herr Präsident heute morgen gebeten hat, die Diskussion nicht allzu lange auszudehnen, weil man gern noch Zeit für Ausschußarbeit gewinnen möchte, auf Einzelfragen der Einzelpläne nicht besonders eingehen. Das ist ohnehin ein Thema, das beim zweiten Durchgang noch einmal ausführlich diskutiert werden wird; da wird Gelegenheit sein, noch zu vielen Ihrer Gedanken Stellung zu nehmen. Ich möchte nur ein paar Gedanken zu einigen Grundfragen darlegen, die hier diskutiert worden sind.
Zu dem Thema „Fristen" und „Zeit der Behandlung" möchte ich auch von mir aus zum Ausdruck bringen — ich habe es in der Rede nicht getan und möchte es hier nachholen —, daß ich durchaus
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den, 5. Oktober 1960 7349
Bundesfinanzminister Etzel
Verständnis und Respekt vor dem Wunsche des Parlaments habe, für die Dinge, die hier zu diskutieren sind, hinreichend Zeit zu haben. Wir werden deswegen vielleicht 'nicht rechtzeitig fertig werden; darin stimme ich Herrn Kollegen Schoettle zu. Ich sehe darin noch keine Tragödie; wir haben ja für die Übergangszeit eine Regelung. Wir sollten in der Tat einmal überlegen, ob man nicht zu neuen Konzeptionen kommen muß, um dem Parlament in den künftigen Beratungen die Zeit zu geben, die man braucht, um den Haushalt so zu beraten, wie man das möchte. Ich habe da ein paar Ideen; wir können das noch einmal diskutieren.

(Abg. Schoettle: Herr Minister, Sie werden auch mit den Fristen des neuen Gesetzes nicht durchkommen!)

— Nein, genau das meine ich auch. Wir könnten aber doch gewisse Konzentrationen in der Arbeit vornehmen. Ich denke nicht an einen Zweijahreshaushalt; das schwebt mir nicht vor; aber man könnte doch gewisse Komplexe, die man jeweils für zwei Jahre behandeln könnte, aussieben und nur die Grundsatzfragen jedes Jahr erörtern. Das scheint mir eine Überlegung zu sein, die wir diskutieren könnten.
Ich möchte nun, meine Damen und Herren, ein paar Gedanken dazu sagen, daß hier von einigen Rednern, vor allen Dingen von den Herren der Opposition — denen ich gern eine ritterliche und sachliche Fechtweise anerkennen will —, einiges kritisiert worden ist, was die Höhe des Haushalts betrifft.
Nun stehe ich wieder vor dem Erlebnis, das ich schon das vorige Mal hier gehabt habe: daß nämlich die Fraktionen in der Beurteilung der Konjunktur im wesentlichen übereinstimmen, aber über notwendige Maßnahmen eine gespaltene Meinungsdarbietung haben. So sind die Herren, die heute hier reden, aus dem Sachzusammenhang, aus der Sacharbeit, aus der Kenntnis der Probleme heraus der Meinung, man müßte hinsichtlich der Ausgaben eine Grenze halten. Überschreitungen dieser Grenze der Ausgaben haben nun einmal Bedeutung hinsichtlich der Freiheit, von der ich gesprochen habe. Je mehr Steuern ich nehmen muß, um so mehr schränke ich die Freiheit ein. Sie haben aber auch Bedeutung hinsichtlich der Konjunktur. Gut; diese Gedanken, die hier heute geäußert worden sind, unterstreiche ich. Ich wäre sehr froh — Herr Kollege Starke ist, glaube ich, nicht mehr da —, wenn in der Tat das Haushaltsvolumen entscheidend eingeschränkt werden würde.
Aber, meine Damen und Herren — und vor allen Dingen: meine Herren aus den Fraktionen —, ich glaube, das ist eine Angelegenheit, die — ich wiederhole es, ich habe es früher schon gesagt — zunächst einmal in allen Fraktionen durchgesetzt werden muß. Die Höhe des Haushalts von knapp 45 Milliarden DM ist doch nichts anderes als das Ergebnis idavon, was dieses Hohe Haus beschlossen hat — und ich glaube, daß das Hohe Haus, soweit das Volumen von 45 Milliarden DM besteht, jedenfalls nach der heutigen Konzeption in den
Grundzügen auch will, daß wir diese 45 Milliarden auszugeben haben, daß wir also Staatsleistungen in dieser Größenordnung zu erbringen haben.

(Zuruf des Abg. Dr. Atzenroth.)

— Herr Atzenroth, ich werde gleich etwas zu Ihrer Fraktion sagen, einen Augenblick, da werden Sie selbst überrascht sein.
Es ist heute früh etwas über die Höhe der Verteidigungslasten gesagt worden. Ich habe aber nach der Rede des Herrn Kollegen Wehner den Eindruck gehabt, daß auch da eine Wandlung eingetreten ist, daß man wenigstens in der Grundsatzkonzeption die Verteidigung will, daß man dafür Geld ausgeben will. Ich will damit nicht sagen, daß man kritiklos das, was wir Ihnen vorgeschlagen haben, übernehmen soll; selbstverständlich nicht; das soll Punkt für Punkt, wie das Gesetz es befiehlt, geprüft werden. Aber an sich sind doch die Leistungen, die sich in diesen 45 Milliarden repräsentieren, nicht nur von der Regierung beschlossen worden — das war der gedankliche Fehler, den Herr Kollege Starke machte —, sondern von Regierung und Parlament.
Ich habe eine Arbeit fertigen lasssen, meine lieben Freunde — ich bitte, mir darüber nicht böse zu sein —, die die Opposition betrifft, die aber doch ganz interessant ist und Aufschluß gibt über das, was geschehen würde, wenn man alle Wünsche erfüllt hätte, die, nun zwar nicht gerade von den Herren, die hier im Saale sitzen, aber doch von den Fraktionen im großen Kreise geäußert worden sind. Wenn ich davon meine Fraktion ausgenommen habe, dann ganz einfach deswegen, weil wir das, was wir gewollt haben, dank unserer Mehrheit auch haben durchsetzen können; aber nicht mehr! Es ist auch ganz natürlich, daß es für die Opposition leichter ist, Anträge zu stellen, als für die die Regierung tragenden Parteien. Das ergibt sich aus dem Wesen der Opposition. Daraus will ich nichts herleiten. Aber ich habe hier Aufstellungen. Ich bin gerne bereit, sie Ihnen zu geben. Ich will sie Herrn Kollegen Schoettle und will sie Herrn Kollegen Lenz gern zustellen — ich muß sie noch abschreiben lassen —mit allen Anlagen. Da haben wir eine interessante Arbeit gemacht.

(Abg. Schoettle: Herr Minister, dieses Spiel kennen wir schon lange!)

— Ja? Ich mache es zum erstenmal.

(Abg. Schoettle: Das hat Ihr Vorgänger schon wiederholt gemacht!)

— So? Das habe ich noch nicht gehört. Aber es ist etwas Erstaunliches, was ich da festgestellt habe; es wird Sie sehr beruhigen, Herr Schoettle: Ihre Fraktion hat weniger Wünsche gehabt als die Fraktion der FDP,

(Hört! Hört! in der Mitte — Heiterkeit — Abg. Dr. Schäfer: Das interessiert uns gar nicht!)

wenigstens per Saldo. Ich gebe Ihnen das einmal in
den wichtigsten Dingen an. Ich habe nicht jede Kleinigkeit genommen; das lohnt ja gar nicht. Die Er-
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Bundesfinanzminister Etzel
füllung der wichtigsten Wünsche, die von Ihrer Fraktion vorgebracht und die entweder abgelehnt wurden oder noch in den Ausschüssen sind, würden das Haushaltsvolumen des Haushaltsjahres 1961 absolut, also ohne Saldo — auf die Deckung komme ich noch — um rund 7 Milliarden DM erweitern. Ihre Saldierungsvorschläge würden 4 Milliarden DM ausmachen. Es wären also im Saldo auch 3 Milliarden DM mehr. Wir hätten dann einen um 3 Milliarden DM — von denen war heute morgen in anderem Zusammenhang die Rede — höheren Haushalt; er wäre jetzt nicht 45, sondern 48 Milliarden DM hoch.

(Zurufe.)

— Ich weiß, daß das für Sie, die Sie hier sitzen, gar keine einfache. Angelegenheit ist. Natürlich haben alle Damen und Herren, die in den Sonderausschüssen arbeiten, ihre Sonderwünsche und haben nicht die Gesamkonzeption, die wir haben, nur dürfen wir nicht übersehen, daß solche Dinge da sind und daß bei dem Geben und Nehmen im Spiel der Kräfte diese Dinge vorangetrieben werden. Es ist doch so, daß immer einer den anderen überbietet: „Wer bietet mehr?" Es war ein typisches Bild bei den Mehraufwendungen für die Kriegsopfer. Dort (zur FDP) wurden die Jahre 1959 his 1961 3 Milliarden, dort (zur SPD) für den gleichen Zeitraum 1,6 Milliarden mehr verlangt. Jedenfalls haben die Regierung und die Regierungsparteien insgesamt weniger gewollt, als dort gewollt wurde.
Jetzt kommt aber eine sehr interessante Zahl, Herr Atzenroth. Ich sage das gar nicht im Sinne des Angriffs; das ist ganz natürlich. Ich habe auch die Wünsche Ihrer Partei zusammenstellen lassen, — es ist eine sehr sorgfältige Arbeit, die so angelegt ist: Inhalt des Antrags, Nummer der Drucksache, und was das finanziell bedeutet, — —

(Abg. Dr. Schäfer: Da werden wir in Zukunft einen Beamten einsparen!)

— Einverstanden; streichen Sie den.

(Abg. Dr. Schäfer: Eine A 16-Stelle!) — Einverstanden.


(Erneute Zurufe von der SPD.)

— Wenn ich die Wünsche, die die FDP hier für das Haushaltsjahr 1961 auf den Tisch gelegt hat, haushaltsmäßig betrachte, soweit sie abgelehnt sind und soweit sie noch in den Ausschüssen sind, so würden das 5 Milliarden mehr ausmachen. Sie haben im vorigen Jahr einen Ausgleichsvorschlag gemacht — Herr Lenz hat darauf Bezug genommen —, nämlich die Steueransätze um 1 Milliarde zu erhöhen, aber dafür wurde von Ihnen gleichzeitig vorgeschlagen, Herr Atzenroth, die Umsatzsteuer entsprechend zu senken. Das hebt sich gegenseitig auf.
Hers Starke, Sie haben einen Vorschlag zur Konjunktur gemacht. Wenn Sie diesen Vorschlag ernst meinen, dann muß zunächst einmal in den Fraktionen Nachdruck darauf gelegt werden, daß die Ausgabenwünsche zurückgeschraubt werden, dann darf nicht eine Fraktion die andere hochtreiben, sondern dann muß aus dem Gefühl der Verantwortung — sie ist heute von allen Rednern betont worden — gesagt werden: Diese 45 Milliarden DM sind eine ganze Menge, diesen Betrag sollten wir nicht wesentlich überschreiten. Das ist unser Anliegen. Die Verantwortung dafür, daß wir jetzt einen Haushalt mit „nur" 45 Milliarden DM behalten, liegt nicht nur bei der Regierung und nicht bei der Opposition allein, sondern bei uns allen. Das sollten wir einmal sehen, und das sollten wir herausstellen. Das ist der Grund, warum ich das Thema überhaupt hier aufgegriffen habe.
Dann sind heute — direkt und indirekt — schon einige zusätzliche Wünsche angeklungen. Herr Kollege Vogel hat das schon erwähnt; ein Wunsch betraf die Wissenschaft. Heute morgen kam am Rande !die Frage der Erhöhung der Beamtengehälter auf. Wir haben also auch hier noch eine Problematik, die rich ganz offen zugebe und die wir in den Haushaltsberatungen diskutieren müssen. Herr Kollege Lenz, sich kann Sie beruhigen: ich habe nicht die Absicht, diese Problematik in 'den letzten Tagen gewissermaßen nachzuschieben, sondern diese Fragen sollen während der Haushaltsberatungen, während der Zeit, die wir haben, in ;dem Geist, den wir im Haushaltsausschuß kennen, gemeinsam diskutiert werden.
Dann ist von Ihnen, Herr Lenz, gesagt worden, ,der Haushalt sei nicht vollständig. Sie wollen die 250-Millionen-Ermächtigung für die Vorratsstellen im Haushalt haben. Das ist eine Rechtsfrage. Ich bin nichtganzihrer Meinung. Aber das können wir später diskutieren.
Die zweite große Frage, nachdem wir über die Höhe ;gesprochen haben, ist ;die Frage des antizyklischen Verhaltens des Bundeshaushalts in der Form, wie sie Herr Schoettle, oder in der Form, wie sie Herr Starke zur Diskussion gestellt hat. Herr Starke, lich bin ;der Meinung, es hat keinen Zweck, ,den Bundesfinanzminister von der Bundesregierung isolieren zu wollen. Der Bundesfinanzminister ist ein Teil der Regierung. Auch er trägt an der Regierungsverantwortung mit, und 'er bekennt sich auch zu dieser Regierungsverantwortung. Es ist nicht so — wie heute hier mehrfach aufgeklungen ist —, als ob ;die Regierung keine Vorstellungen hätte. Im Gegenteil, wir ,diskutieren ;diese Dinge, und zwar mit sehr viel Fundus und sehr viel Gründlichkeit, und da kommt eine ganze Anzahl von den Gedanken wieder, die Sie von der FDP heute vorgetragen haben; die liegen ja in der Luft. Ich habe seit der Rückkehr aus ,dem Urlaub — ich glaube, es war der 1. September — den ,größten Teil meiner Zeit mit dieser Aufgabe verbracht. Ich glaube, daß wir, sobald unser Kollege Erhard wieder da ist, in der Tat mit einem Bild herauskommen werden.
Die Frage ist also: muß sich der Bund antizyklisch verhalten oder nicht? Herr Starke hat gesagt, der öffentliche Haushalt, ;der Bundeshaushalt sei das wichtigste Element der Konjunktur und der Konjunkturbeeinflussung. Herr Starke, ich bestreite Ìhnen nicht, daß der Bundeshaushalt ein sehr wichtiger Faktor ist. Ich bestreite aber, daß er der wichtigste Faktor ist. Ich habe nicht zu Unrecht gesagt, die Hauptverantwortung für die Währung — das ist ja das Entscheidende für die Konjunktur — liegt
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Bundesfinanzminister Etzel
bei der Bundesbank. Aber wir müssen mit ihr zusammenarbeiten, wir können sie nicht isolieren. Nun haben Sie gesagt, Siegehen von den Gagebenheiten ,aus, der Finanzminister tut zwar das Seine, aber ,die Bundesregierung selbst muß handeln.
Ich habe zunächst — aber ich muß das nachträglich zurücknehmen — an das hübsche Wort von Shakespeare gedacht, als Sie das Handeln so herausstellten: „Gewaltige Dinge will ich tun, was —das weiß ich nicht, doch soll die Welt davon sprechen."

(Heiterkeit.)

So wollen wir nicht handeln, sondern -wir wollen wirklich etwas Vernünftiges schaffen.
Nun ist die Frage: hat denn der Bundeshaushalt — da komme ich auf die Bemerkung von Herrn Schoettle zurück — etwas zur antizyklischen Beeinflussung getan, und sind die Gedanken, die Herr Schoettle vorgetragen hat, akzeptabel? Ich glaube, Herr Schoettle, wir sollten uns über Ihre Gedanken doch noch einmal sehr gründlich unterhalten. Ich sage Ihnen ganz freimütig: ich halte Ihre Gedanken, wenn sie realisiert werden können, für ein Element zusätzlicher Beeinflussung des Konjunkturauftriebs. Darüber wollen wir sprechen, das muß diskutiert werden. Es ist aber, glaube ich, doch einfach nicht denkbar, daß gesagt wird, wie Sie zunächst gesagt haben, die Steuermehreinnahmen im ordentlichen Haushalt werden zur Deckung des außerordentlichen Haushalts herangezogen; das sei zwar nicht gegen das Haushaltsrecht, aber doch ganz unüblich, da sei etwas nicht in Ordnung. Ich glaube, so haben Sie sich ausgedrückt.

(Abg. Schoettle: In den Ausmaßen!)

— Ja, für die Ausmaße können der Bundesfinanzminister und die Regierung nicht, sondern es ist das Wesen der Konjunktur, daß sie diese Ausmaße entwickelt.
Wenn Sie verlangen, daß wir uns antizyklisch verhalten, dann müßten Sie, so meine ich, auch verlangen und uns die Möglichkeit geben, daß wir uns elastisch verhalten, damit wir, wenn plötzlich mehr Steuern da sind, diese nicht zu zusätzlichen Ausgaben benutzen, sondern lieber die von Ihnen bereits beschlossenen und bewilligten Ausgaben im Extraordinarium durch das Ordinarium decken. Dann bleibt das Gesamtvolumen des Haushalts dasselbe. — Doch, Herr Heiland, das ist so. Wenn Sie die Deckung im ordentlichen Haushalt vornehmen, dann bekommen Sie die Situation, wie wir sie heute haben, das ist ein großes Problem.
Eine Anleihe, die beim letzten Sparer, also echt untergebracht wird, ist konjunkturpolitisch im allgemeinen neutral. Es erfolgt zwar eine Nachfrageverlagerung, indem der Nachfrager, der Sparer, nicht mehr Konsumgüter verlangt, sondern die öffentliche Hand dafür meinetwegen Investitionen vornimmt. Das gebe ich zu. Aber soweit die Anleihen im Bankenapparat untergebracht werden, dienen sie der Geld- und Kreditschöpfung und haben damit einen zusätzlichen inflationären Effekt.
Ich habe zu meinem Erstaunen und zu meinerFreude gelesen, daß am Montag meine letzte Bundesanleihe zu 6 1/2 % mit 101 notiert worden ist. Man fragt erstaunt: Was ist da passiert? — Ja, das Ausland hat Interesse gezeigt! — Sehen Sie, wenn Sie jetzt an den Kapitalmarkt gehen und das Ausland zeigt Interesse, dann bekommen Sie zusätzliche ausländische Gelder, die die Bundesbank entsprechend der gegebenen Situation in D-Mark umtauschen muß. Das fördert die importierte Inflation und Sie erhöhen damit die Nachfrage nach Gütern. Sie würden damit also konjunkturell nicht beruhigend, sondern anregend wirken. Das ist doch die Konsequenz, wenn die Mehreinnahmen, meinetwegen sehr großen Mehreinnahmen, wie Herr Schoettle heute morgen vorgeschlagen hat, nicht zur Deckung des außerordentlichen Haushalts herangezogen werden, sondern zu anderen Zwecken.
Nun hat Herr Schoettle gesagt: Nicht stillegen, sondern investieren, meinetwegen auf dem Gebiet der Wissenschaft. — Wenn Sie aber für die Wissenschaft investieren, dann heizen Sie damit die Investitionskonjunktur noch zusätzlich an. Sie müssen Apparate kaufen und Universitätsgebäude bauen usw. usw. Alles sind also zusätzliche Ausgaben, die unsere volkswirtschaftliche Kraft heute einfach nicht mehr schafft und die die Preisschraube anregen und nicht stillegen.
Sie sprachen auch davon, das Geld in die Entwicklungshilfe zu geben. Das wäre eine Möglichkeit, über die wir irgendwann einmal diskutieren wollen. Wir haben uns eine Menge Gedanken darüber gemacht. Das hat zwei Seiten. Einmal ist es der Vorschlag, für Entwicklungszwecke etwas zu tun, wozu wir sicherlich alle ein Ja sagen müssen; das ergab die Diskussion heute einwandfrei. Zum zweiten hat es einen konjunkturellen Aspekt. Wenn ich die Gelder vorübergehend im Bankapparat stillege und so zwei, drei Jahre vergehen lasse, müssen vorübergehend neutralisierende Effekte eintreten. Wenn das Geld dann aber sehr schnell herausgeht und dazu führt, daß im Bumerang-Effekt wieder Bestellungen auf die deutsche Wirtschaft zukommen, dann bedeutet das eine Erhöhung der Ausfuhr und damit eine zusätzliche Aktivierung der Zahlungsbilanz. Hier befinden sich also viele ernste Probleme, die wir diskutieren sollten.
Ich bin bei der Kritik des Haushalts 1959 wegen der anderthalb Milliarden DM Mehrausgaben von Herrn Lenz angegriffen worden. Herr Lenz, ich habe
es schon gesagt — Sie haben es irgendwie anerkannt, glaube ich —, daß von den 1,5 Milliarden
Mehrausgaben 1,2 Milliarden sich einfach Ihrer und meiner Einwirkungsmöglichkeit entziehen. Da können Sie sagen, das hätte man voraussehen können. Einer der Redner sagte: Es kam plötzlich auf uns zu, und 10 Minuten später sagte er: Warum hat man es nicht vorausgesehen? Diese Entwicklung war also nicht vorauszusehen. — Wenn man von den 1,5 Milliarden diese 1,2 Milliarden, die außerhalb unserer Einflußmöglichkeiten liegen, abzieht, bleibt gegenüber dem Soll ein faktisches Mehr von 300 Millionen DM. Ich darf mir einbilden, das bedeutet, daß wir ziemlich genau ins Schwarze getroffen haben.
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Bundesfinanzminister Etzel
Sie haben dann gesagt, die 6 % Zuwachs des Sozialprodukts, die wir für 1961 einkalkuliert haben, genügten vielleicht nicht. Ich habe ja zugesagt, dieses Problem im Oktober noch einmal zu überprüfen. Sie haben verlangt, daß dann eine Ergänzung gemacht wird. Das liegt im Rahmen der Zusage, die ich soeben gemacht habe. Ich werde also nicht wieder in den letzten Minuten mit diesen Dingen kommen. In dieser Hinsicht können Sie beruhigt sein.
Es ist die Frage diskutiert worden, ob der außerordentliche Haushalt noch einen Sinn habe. Ich möchte sagen, daß ich den Anregungen zustimme. Wir sollten diese Trennung gar nicht mehr machen, Herr Kollege Schoettle. Das Problem außerordentlicher Haushalt/ordentlicher Haushalt scheint mir ein Problem zu sein, das heute anders als früher zu sehen ist. Wenn ich mich geistig mit diesen Dingen beschäftige, mache ich vor mir selber diesen Unterschied schon lange nicht mehr, mid nur so komme ich zu einem Ergebnis. Die zwei Rangierbahnhöfe führen nicht zu klaren Rechnungen, sondern eher zu einer Unklarheit.
Herr Kollege Lenz, Sie haben mir heute morgen etwas unterstellt, und ich war davon persönlich etwas betroffen. Sie haben gesagt, ich hätte verschwiegen — das Wort „verschwiegen" fiel —, daß die Minderausgaben des Haushalts 1959 nicht nur durch Streichungen, sondern auch ganz automatisch entstanden seien. Ich habe mir daraufhin noch einmal die Haushaltsrede angesehen. Ich habe die Formulierung gebraucht: „Der Mehrbetrag von 300 Millionen DM — und das andere — ist durch Weniger-ausgaben an anderer Stelle gedeckt worden." Unter dem Begriff „Weniger-ausgaben" fallen ja sowohl automatische Ausfälle wie Streichungen. Ich bitte das doch zur Kenntnis zu nehmen.
Sie haben heute morgen in Ihrer Kritik gesagt, diese Ausgaben entfielen alle automatisch, es sei keine Härte und keine Elastizität notwendig, um den Haushalt 1959 auszugleichen. Sie haben dabei Minderausgaben bei den Gehältern, bei der Bundesschuld und bei der allgemeinen Finanzverwaltung addiert. Offenbar haben Sie dabei aber übersehen, daß die Minderausgaben bei den Personalkosten im wesentlichen auf den Verteidigungshaushalt entfallen und daß sie sich infolge des dem Verteidigungsminister eingeräumten Gesamtplafonds für den Bundeshaushalt nicht entlastend auswirken können.
Sie scheinen mir weiter übersehen zu haben, daß im Einzelplan 60 gerade im Hinblick auf den erwarteten Minderbedarf bei der Bundesschuld und der allgemeinen Finanzverwaltung eine Minderausgabe von 500 Millionen DM veranschlagt war, wodurch die von Ihnen genannten Minderausgaben bereits entsprechende Berücksichtigung gefunden haben. Die Ziffern, die Sie genannt haben, sind bei einer näheren Nachrechnung — ich will das gerne mit Ihnen tun — nicht zu halten.
Sie haben dann die wichtige Frage an mich gerichtet, wie ich einen etwaigen Mehrbedarf finanzieren wolle. Ich gebe Ihnen eine ganz einfache Antwort: Der Mehrbedarf muß entweder durch Mehreinnahmen oder durch Kürzungen finanziert werden. Überdie Frage, welche Mehrausgaben wir erwarten, werden wir uns im Laufe der Verhandlungen der nächsten Monate unterhalten müssen.
Zu dem Problem der Ausgabenreste haben Sie gesagt, daß die Restetilgung ja im Haushalt vorgesehen sei. Im Nachsatz haben Sie dann aber wohl gesagt, ein Teil sei allerdings darüber hinaus getilgt worden. Ich darf noch einmal darauf hinweisen, dieses Mehr war im Haushaltsjahr 1959 die Kleinigkeit von einer Milliarde DM, und das ist das, was ich in der Haushaltsrede gesagt habe; 200 Millionen DM im Haushalt des Verteidigungsministers und 800 Millionen DM mehr Tilgung im allgemeinen Haushalt. Zu Ihrer Beruhigung möchte ich auch noch sagen: Diese Reste sind für keine anderen Ausgaben benutzt worden als für die sie bewilligt waren; die Reste sind also genau für die Ausgaben benutzt worden, für die eine Bewilligung vorlag. Das ist mir heute auf meine Rückfrage noch einmal ausdrücklich von dem Sachbearbeiter meines Hauses bestätigt worden.
Ich muß auch dabei bleiben, Herr Kollege Lenz, daß die 1,7 Milliarden DM, die wir für 1961 mehr im Verteidigungshaushalt haben, die Folge vertraglicher Verpflichtungen sind. Die vertraglichen Verpflichtungen sehen natürlich nicht so aus, daß gesagt ist, ich müsse in diesem Jahr 1,7 Milliarden DM mehr geben, natürlich nicht. Aber ich habe mich verpflichtet, im Rahmen des NATO-Bündnisses einen Beitrag zu leisten. Die NATO muß doch planen. Sie plant nach dem berühmten MC-70-Plan. In diesem MC-70-Plan ist genau vorgesehen, welche Verbände aufgestellt werden, welcher Umfang in welchem Zeitraum notwendig ist. Nun ergeben sich Ausgaben. Da diese Ausgaben im Verteidigungsausschuß abgestimmt worden sind, ist, meine ich, doch genügend von dem getan, was man billigerweise von mir und von uns verlangen kann.
Ein Wort, Herr Kollege Heiland, zu den Gemeindefinanzen. Ich sehe natürlich den Zusammenhang zwischen den Finanzbedürfnissen der finanzschwachen Gemeinden und den Problemen, die die Gewerbesteuer stellt. Dieser Zusammenhang ist in meinen Überlegungen und Verhandlungen einkalkuliert. Mehr möchte ich in diesem Augenblick nicht sagen. Im Grundsatz stimme ich Ihnen zu, daß diese Probleme natürlich gelöst werden müssen. Es ist auch klar — auch darin stimme ich zu —, daß es wünschenswert wäre, den Gemeinden wieder die finanzielle Selbstverantwortung zu geben. Das war die alte gute Verwaltung. Nur aus der Verantwortung heraus kann man richtig handeln. Wenn man Gelder einnimmt und keine Verantwortung hat, sondern die Mittel aus Zuweisungen erhält, ist die Reaktion auf die Ausgaben natürlich eine total andere, als wenn die Ausgaben gleichzeitig vor den Gemeindemitgliedern vertreten werden müssen. Das sollten wir alle gemeinsam anstreben. Da sind wir im Grundsatz keineswegs verschiedener Meinung.
Das Problem Entwicklungshilfe ist hier angeführt worden. Ich habe es in meiner Haushaltsrede betont vorsichtig behandelt. Ich habe einmal dargestellt, was wir schon tun. Ich glaube, das sollten wir ruhig laut sagen; denn wir leisten da schon etwas. Ich habe aber auch zugegeben, daß da ein Mehr ge-
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Bundesfinanzminister Etzel
schehen muß. Wie das geschieht, ist ein Problem für sich. Wenn Sie Haushaltsmittel ansetzen wollen, müssen sie — das darf ich vor einem Hause sagen, das zu einem Teil mit Mitgliedern des Haushaltsausschusses besetzt ist — auch im Haushalt gedeckt werden, wieder nach der These: Entweder durch Mehreinnahmen oder aber durch Kürzungen. Eine andere Möglichkeit sehe ich hier nicht. Der Wunsch, Steuermittel einzusetzen, hat doch Auswirkungen nach der Einnahmenseite oder nach der Kürzungsseite. Die Theorie des Bettuches kann, wie ich immer wieder feststelle, doch nicht gelten, nämlich daß der Mann, dem es oben kalt wird, plötzlich die Bettdecke nach oben zieht, ohne zu bedenken, daß er kalte Füße bekommt. So geht das nicht; man muß doch immer die Zusammenhänge sehen.
Gerade die einmal klarzumachen, war mein Versuch in der Haushaltsrede. Die Finanzpolitik muß heute -- gerade wegen des hohen Anteils am Sozialprodukt — Rücksicht nehmen auf Bedürfnisse der äußeren Sicherheit und der inneren Sicherheit der Volkswirtschaft, auf das Wachstum des Sozialprodukts und was alles damit zusammenhängt, einschließlich der Geldwertstabilität, kurz, sie muß elastisch sein. Ich glaube, diese Fragen werden uns hier noch eine Zeitlang beschäftigen.
Das Problem Subventionen ist ein leidvolles Problem. Herr Kollege Schoettle, ich habe gar nichts von meinen früher hier geäußerten Meinungen zurückzunehmen. Ich stimme Ihnen zu. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß das Problem Subventionen einmal begrifflich zurechtgerückt werden muß. Kein Mensch war doch so unsinnig, zu glauben, daß die Zuwendungen zur Rentenversicherung Subventionen seien, die man etwa kürzen könne. Diese Meinung habe ich keine Sekunde lang vertreten. Heute wird aber dieser Betrag friedlich in die Subventionssumme aufgenommen. So sieht die Sache nicht aus. Ich bin dem Haushaltsausschuß sehr dankbar, daß er einen Unterausschuß gebildet hat, der gemeinsam einmal mit uns das Problem, wo und was gemacht werden könnte, zu untersuchen hat.
Es ist dann kritisiert worden, daß wir für den Grünen Plan nur eine Globalziffer angesetzt haben. Das scheint mir aber doch sehr natürlich zu sein. Denn solange der Grüne Plan a) noch nicht ganz festgestellt ist und b) in diesem Hohen Hause der Bericht nicht vorliegt, stoßen wir hier auf Probleme besonderer Art. Das hängt natürlich auch mit den Fristen zusammen. Die Zusammenhänge müssen wir selbstverständlich aufklären.
Meine Damen und Herren, damit bin ich am Ende dessen, was ich noch zusätzlich sagen wollte. Ich möchte allen Rednern, die heute hier gesprochen haben, für die sachliche und ritterliche Diskussion — Herr Starke hat mich ja besonders ritterlich behandelt — danken. Ich meine nur, wir, die wir vor dem Volke die Verantwortung für die Finanzen tragen, sind damit dafür verantwortlich, daß das, was wir politisch wollen, finanziell — selbstverständlich auf der Grundlage einer stabilen Geldwährung — zu tragen ist.
Ich meine, wir sollten die Diskussion so sachlich halten, wie es nur irgend geht. Wir müssen die Zusammenhänge zwischen den Forderungen nach Staatsleistungen und den Staatslasten sehen. Jede Staatsleistung erfordert eine Staatslast. Ich habe in meiner ersten Haushaltsrede von der Kuh gesprochen, die nicht im Himmel gefüttert und auf Erden gemolken werden kann. Wir müssen die Kuh, wenn wir sie hier melken wollen, auch hier auf Erden füttern. Das auch bei der weiteren Arbeit zu bedenken, ist meine Bitte an das Hohe Haus, die ich hier abschließend vortragen möchte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0312713000
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Haushaltsdebatte fort. Ich darf jedoch bemerken, daß es nicht üblich ist, von der Tribüne aus Beifall oder Mißfallen zu bekunden.
Nach dem Herrn Bundesminister der Finanzen hat nunmehr das Wort der Abgeordnete Ritzel.

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0312713100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gerade weil der Herr Bundesfinanzminister mit vollem Recht eine sachliche Debatte wünscht, darf ich sachlich etwas klarstellen. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben mit einem tiefen Verständnis für das Wesen der Opposition vorhin gemeint, daß es das Recht der Opposition sei, ihrerseits andere Anträge zu stellen. Sie haben aber dann errechnet, daß wir, wenn die durch eine Annahme der sozialdemokratischen Anträge der letzten Jahre entstehenden Kosten addiert würden — was Sie in Ihrem Hause veranlaßt hätten heute nicht eine Etatendsumme von 45 Milliarden, sondern eine solche von 48 Milliarden DM hätten, — wenn ich Sie recht verstanden habe, Herr Bundesfinanzminister. Sie haben dabei nur etwas vergessen. Vielleicht können Sie einmal in einem Protokoll aus der Zeit nachlesen, in der der Finanzminister noch einen anderen Namen trug. Es war Herr Bundesfinanzminister Schäffer, der damals ebenfalls einmal eine große Rechnung darüber aufgemacht hat, welche Kosten durch die Annahme der sozialdemokratischen Änderungsanträge zum Haushalt entstehen würden. Er hat dabei genau das gleiche vergessen, verehrter Herr Bundesfinanzminister, was auch Sie heute vergessen haben. Er hat nämlich vergessen, festzustellen, welche Ersparnisanträge die Sozialdemokraten in der gleichen Zeit gestellt haben.

(Zurufe der Abgeordneten Niederalt und Dr. Aigner.)

— Herr Niederalt und Herr Aigner, Sie schädigen lhr eigenes Ansehen, wenn Sie auf Grund Ihrer Erfahrungen im Haushaltsausschuß nicht mehr zu bieten wissen.
Sie haben einen weiteren kleinen Fehler begangen. Sie stocken nämlich einfach die Forderungen der Sozialdemokraten auf den Haushalt auf, wie er Ihnen beliebt. 48 Milliarden errechnen Sie auf der Basis von 45 Milliarden, ohne zu berücksichtigen, daß nach soziademokratischer Vorstellung der Haushalt wesentlich anders aussehen würde. Ich will mit einem Satz das wiederholen, was ich damals in der Unterhaltung mit Ihrem Herrn Amtsvorgänger gesagt habe: Das Ganze ist ein Problem der Verteilung



Ritzel
des Kuchens und sonst nichts, Herr Bundesfinanzminister.
Nun aber noch eine andere Bemerkung. Ich habe mich sehr darüber gefreut, . daß Sie in Beantwortung der Anregung des Kollegen Schoettle zu dem Problem Stellung genommen haben: außerordentlicher Haushalt oder nicht außerordentlicher Haushalt. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß in einer Zeit wie der jetzigen ein außerordentlicher Haushalt nicht unbedingt notwendig ist. Ich glaube jedoch, Sie werden mir zustimmen, wenn ich sage, daß in einer anderen Zeit, in der die Einnahmen im ordentlichen Haushalt nicht so fließen wie jetzt, ein außerordentlicher Haushalt unter Umständen gar nicht zu umgehen ist. Über die technische Form kann man dann reden.
Aber wenn Sie schon diese Meinung haben, Herr Bundesfinanzminister, bin ich erstaunt darüber, daß Sie gerade in diesem Jahre noch den außerordentlichen Haushalt mit einer Anforderung belasten, auf die Sie leider nicht eingegangen sind. Der außerordentliche Haushalt ist nämlich in Einzelplan 14 02 Tit. 300 mit 638 Millionen DM belastet, die durch Schuldenaufnahme gedeckt werden sollen, um die Neudeckung von Resten im Bereich des Verteidigungshaushalts vorzunehmen. Ich habe da in einer sehr guten und sehr wertvollen Schrift — ich sage ausdrücklich: ich bin dankbar dafür — „Finanzbericht 1961" auf Seite 94 zwei sehr nette Sätze gefunden, die ich zur Charakterisierung dieses Verlangens doch mit Genehmigung des .Herrn Präsidenten dem Protokoll und der öffentlichen Meinung anvertrauen darf. Es heißt dort in bezug auf den außerordentlichen Haushalt:
Es wird stets eine Reihe von Projekten geben, ,die zwar nicht werbend sind, deren Finanzierung aus Anleihen aber gerechtfertigt ist, weil sie Hinblick auf die künftige Entwicklung volkswirtschaftlich produktiv sein können.
Der Ansatz und die mangelhafte Erläuterung, die Sie dem außerordentlichen Haushalt in bezug auf die Anforderung von 638 Millionen DM gegeben haben, .deuten nicht im geringsten auf eine Produktivität dieses Ansatzes hin.
Es steht noch ein anderer Satz darin:
Indirekt ergibt sich weiterhin aus den haushaltsrechtlichen Vorschriften, daß diese Ausgaben dann in den ordentlichen Haushalt aufzunehmen sind, wenn sie aus ordentlichen Mitteln gedeckt werden sollen.
Mir ist noch lebhaft in Erinnerung, daß die Planung der Bundesregierung für 1961 darin bestand, den Vorgang von 1960 zu wiederholen, nämlich die Restedeckung im Einzelplan 14 mit einem Ansatz im ordentlichen Haushalt in einer Größenordnung von 1,5 Milliarden DM vorzunehmen. Das hat sie im Bereich des ordentlichen Haushalts nur mit einem Ansatz von 862 Millionen DM wahrgemacht, aber nicht mit einem Ansatz von 1500 Millionen DM.
Nun noch eine ganz kurze Bemerkung zu dem Problem, das Herr Kollege Heiland angesprochen und das die Herren Dr. Conring und Herr Bundesfinanzminister Etzel zum Anlaß genommen haben, kurz Stellung zu nehmen. Herr Kollege Dr. Conring, Ihre sehr instruktiven Meinungen zu der Problematik der kommunalen Finanzen geben diese nicht vollständig wieder. Es ließe sich noch stundenlang darüber reden. Ich will das nicht tun, aber ich empfehle Ihnen doch eines: Sehen Sie einmal zu, wie lange und mit wie großem Erfolg sich der Bund zum Nachteil der Gemeinden bis jetzt gewehrt hat gegen die Übernahme der Kosten, die niemals Kommunalkosten sein können. Ich nenne Ihnen als Beispiel nur die hohen Verwaltungskostenanteile etwa auf Grund des Landbeschaffungsgesetzes, auf Grund des Schutzbereichsgesetzes, auf Grund des Bundesleistungsgesetzes, die 50 % ige Beteiligung der Kreise an den Personalkosten im Lastenausgleichsverfahren und die Belastung der Gemeinden beim Unterhaltssicherungsgesetz. Wir könnten dann Ihrer hohen Rechnung über die Bundesleistungen :durchaus eine Gegenrechnung entgegenstellen und behalten uns das auch vor.
Abschließend nocheines. Herr Bundesfinanzminister, die Anträge, die zu stellen das Wesen und das Recht der Opposition ausmacht, werden her von uns gestellt, weil wir grundlegend andere Begriffe haben. Wir ziehen dabei ungefähr gleichen Strang wie Ihre Parteifreunde. Ich nenne Ihnen als Muster einen Namen: Herr Dr. Fay, Führer der CDU in Hessen, der tapfer Anträge, kritische Anträge gegenüber der Etatsauffassung ,der hessischen Regierung, der hessischen Regierungspartei stellt. Das ist sein gutes Recht, so wie es das unsere ist.

(Bundesfinanzminister Etzel: Habe ich auch gesagt!)

— Aber, Herr Bundesfinanzminister, wir möchten bitten: wenn Sie schon addieren, dann addieren Sie richtig, nicht wahr! Die Nettoziffer ergibt sicherst nach 'dem Abzug dessen, was nach den von uns gestellten Anträgen erspart werden kann, und wir werden Gelegenheit nehmen, bei der Beratung —

(Bundesfiinanzminister Etzel: Gestatten Sie eine Frage?)

— Bitte sehr!

Franz Etzel (CDU):
Rede ID: ID0312713200
Herr Kollege Ritzel, haben Sie übersehen, daß ich bei meiner Rede ausdrücklich von dem Saldo gesprochen habe? Ich habe also die Wünsche saldiert, habe die Ersparnisse abgezogen.

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0312713300
Dann kann Ihre Rechnung nicht stimmen, dann werde ich noch einmal nachrechnen,

(Heiterkeit bei ,der CDU/CSU)

denn .der Saldo scheint mir nicht vertretbar. Aber trotzdem, selbst wenn es so wäre, Herr Bundesfinanzminister, bliebe immer noch Ihr Rechenfehler, daß Sie von der Größenordnung Ihres heutigen Etatentwurfs von 45 Milliarden DM ausgehen, von dem Sie ruhig annehmen .dürfen, daß er in dem Ausmaß unsere Zustimmung nicht finden wird.

(Beifall bei der SPD.)





Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0312713400
Das Wort hat der Abgeordnete Kurlbaum.

Georg Kurlbaum (SPD):
Rede ID: ID0312713500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein paar kurze Sätze an den Herrn Bundesfinanzminister! Ich habe mich sehr darüber gefreut, ,daß er vorgeschlagen hat, sich interfraktionell über die Probleme einer antizyklischen Finanzpolitik zu unterhalten. Ich glaube, daß das sehr nützlich sein könnte.
Nun hat der Herr Bundesfinanzminister Bezug genommen auf Ausführungen meines Freundes Schoettle, die sich wiederum ,auf gewisse konjunkturpolitische Vorstellungen beziehen, ,die ich persönlich im Auftrage meiner Fraktion bei einem Presseabend vorgetragen habe. Ich möchte dazu sagen: Wir haben unseren Vorschlag der Kapitalausfuhr in Entwicklungsländer ausdrücklich an die Bedingung geknüpft, daß den deutschen Herstellern dabei keine Vorzugsstellung eingeräumt wird. Also an das Bedenken, daß eine Verstärkung des deutschen Exports eintreten würde, haben wir von vornhereingedacht.
Das zweite Problem, das Sie, Herr Bundesfinanzminister aufgegriffen haben, war das der Möglichkeit des Verbleibes einer öffentlichen Anleihe im Portefeuille der Banken. Selbstverständlich besteht diese Möglichkeit; aber Sie werden mir darin zustimmen, daß das eine Frage der Mindestreservenpolitik der Bundesnotenbank ist, also die Frage, inwieweit die Bundesnotenbank gewillt ist, den Spielraum ,der Banken ,für ,den Aufkauf solcher Anleihen einzuengen. — Ja bitte, das ist eine Frage der Bundesnotenbank. Damit können wir uns lediglich im Rahmen des Kreditwesengesetzes oder des Notenbankgesetzes beschäftigen.
Schließlich wollte ich auch noch darauf aufmerksam machen, daß wir bei unseren Deckungsvorschlägen für diesen Kapitalexport in die Entwicklungsländer ja auch noch die Überprüfung der Subventionen mit aufgeführt haben. Es ist mir auch bekannt, daß mein Kollege Baade gerade bezüglich der Düngemittelsubventionen ein Gespräch mit Ihnen geführt hat. Aus diesem Gespräch wissen wir, daß zumindest bei diesen Düngemittelsubventionen noch ein erheblicher Spielraum für Einsparungen vorhanden ist. Subventionen haben bekanntlich immer zwei Seiten: Man muß vor allem prüfen, ob der Empfänger der Ware etwas davon hat; das wünschen wir uns alle. Wir möchten, daß der Bauer als Käufer des Düngemittels etwas von der Düngemittelsubvention hat. Meistens aber stellt sich bei solchen Subventionen heraus, daß nicht nur der Käufer der Ware, in diesem Falle der Düngemittel, einen Vorteil von der Subvention hat, sondern auch der Verkäufer einen mindestens gleichen, und das ist das, was dringend der Nachprüfung bedarf.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0312713600
Meine Damen und Herren, wird weiterhin das Wort gewünscht? — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die erste Lesung.
Ich schlage Ihnen vor, ,das Haushaltsgesetz 1961 an den Haushaltsausschuß zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Damit komme ich zu Punkt 4 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft (Drucksache 1884).
Das Wort zur mündlichen Begründung hat Herr Staatssekretär Dr. Westrick vom Bundesministerium für Wirtschaft.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0312713700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Anschluß an die Bundestagsdebatte vom 15. Oktober 1959 ersuchte dieses Hohe Haus die Bundesregierung, den Entwurf eines Gesetzes über eine Untersuchung der Konzentrationsvorgänge in der Wirtschaft vorzulegen. Dabei sollten zugleich etwaige Verschiebungen in den Größenklassen der Unternehmungen und Änderungen in den Wettbewerbsbedingungen in diese Enquete einbezogen werden.
Dieser Antrag, der einer Anregung der Bundesregierung entsprach, ist mit der im Mai dieses Jahres erfolgten Vorlage des jetzt zur Diskussion stehenden Gesetzentwurfs erfüllt. Ein solches Gesetz soll die Voraussetzungen dafür schaffen, daß genaue Kenntnisse gewonnen werden, auf Grund deren Maßnahmen getroffen werden können, um den Wettbewerb zwischen möglichst zahlreichen, möglichst leistungsfähigen selbständigen Unternehmen zu gewährleisten, einen Wettbewerb der zu, einer immer besseren Versorgung von breiten Konsumentenschichten führen soll. Auch der Fortbestand einer freiheitlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur erscheint am ehesten durch einen funktionierenden Wettbewerb gesichert, dem möglichst alle Wirtschaftszweige und Betriebsgrößen gleichermaßen unterworfen sind.
Gewiß mögen das Wachsen der Betriebsgrößen und der Zusammenschluß von Unternehmen häufig guten Grund und völlige Berechtigung in der Rationalisierung, in dem technischen Fortschritt und auch in vernünftigen ökonomischen Überlegungen haben. Zweifellos aber ist das Anwachsen der Betriebe, die Konzernbildung sowie die oft sprunghafte Verschiebung der Marktanteile eine Erscheinung, die in wirtschaftlicher und soziologischer Hinsicht unerwünschten Einfluß auf das menschliche Zusammenleben zumindest haben k a n n. Soweit ein solcher unerwünschter Einfluß wirksam ist, wäre das eine Folge, die der erklärten Mittelstandspolitik der Bundesregierung zuwiderlaufen würde.
Um nun die Beurteilung des Grades der Konzentration, ihre Ursachen, ihre Auswirkungen in den verschiedenen Bereichen der Märkte nicht auf ungewisse Schätzungen gründen zu müssen, soll durch den Ihnen vorgelegten Entwurf die notwendige gesetzliche Grundlage für die Zusammentragung zuverlässigen Materials geschaffen werden. In diesem Entwurf ist bewußt eine relativ kurze Frist für die Vorlage des Berichts gesetzt, um ein möglichst



Dr. Westrick
wirklichkeits- und gegenwartsnahes Bild zu bekommen. Dabei sollte nach unserer Meinung die Gefahr in Kauf genommen werden, daß vielleicht der eine oder andere Bereich bis zu diesem im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Endtermin nicht völlig durchleuchtet werden kann.
Wachstum einzelner Betriebe und Zusammenschluß von Unternehmungen brauchen absolut nicht immer bedenklich zu sein. Es wird auch gar nicht leicht sein, eine gerechte, sozialpolitische und ökonomisch sinnvolle Grenze zwischen den erwünschten und den unerwünschten Konzentrationsvorgängen zu ziehen; denn es ist zu naheliegend, daß Vorteile auf technischem Gebiet mit Nachteilen in anderen Bereichen gleichzeitig auftreten können und oft nur sehr schwer gegeneinander in ihrer Gewichtigkeit abzuwägen sein werden.
Als wirtschaftspolitisch eindeutig unerwünscht aber werden jedenfalls alle jene Konzentrationen zu bezeichnen sein, die das Funktionieren des Wettbewerbs beeinträchtigen und damit die marktwirtschaftliche Ordnung stören. In einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung sind möglichst viele selbständige, mit Eigenverantwortung und Eigeninitiative arbeitende Existenzen erwünscht, weil dadurch eine ausgewogene Sozialstruktur erreicht und die wirtschaftliche und gesellschaftliche Macht angemessen verteilt wird. Um etwaigen Gefahren, die aus einer Veränderung dieser Sozialstruktur und .der Machtverteilung möglicherweise erwachsen, rechtzeitig und wirksam entgegentreten zu können, werden mehr Kenntnisse und genauere Kenntnisse über die Zusammenhänge unbedingt vonnöten sein. Diese Erkenntnisse dem Bundestag und der Bundesregierung zu eröffnen und damit den Weg zu ebnen für wichtige Maßnahmen zur allgemeinen Wohlfahrt unseres Volkes ist der Sinn des dem Hause vorgelegten Gesetzentwurfs.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0312713800
Der Gesetzentwurf ist damit begründet. Wir kommen zur Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.

Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0312713900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Konzentrationsdebatte des vergangenen Jahres hat der Deutsche Bundestag auf Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der DP die Bundesregierung ersucht, den Entwurf eines Gesetzes für eine Enquete über den Grad der Konzentration in der Wirtschaft vorzulegen. Der nun auf Drucksache 1884 eingebrachte Gesetzentwurf erscheint der CDU/CSU geeignet, die von ihr nach wie vor für notwendig gehaltene Untersuchung über die Konzentration in der Wirtschaft durchzuführen. Bei der Fülle des bereits vorliegenden Materials halten wir es für möglich, daß die im Gesetzentwurf vorgesehene Frist von zwei Jahren zur Erstellung des Berichtes eingehalten werden kann. Es kommt uns nicht auf eine bis in kleinste Einzelheiten gehende Untersuchung an, die viele Jahre in Anspruch nehmen würde; wir wollen vielmehr eine rasche Antwort auf noch offengebliebene wichtige Fragen erhalten.
Der § 1 des Gesetzentwurfs ist so weit gefaßt, daß die Durchleuchtung wohl aller Konzentrationsprobleme möglich wird. Wir meinen aber, daß man sich auf die wesentlichsten Dinge beschränken sollte. Dazu gehören allerdings einige Tatbestände mehr, als im § 1 aufgeführt sind. Ich erwähne nur die personelle Konzentration. Es wäre sehr interessant, einmal die Rolle der Banken beim Zustandekommen von Unternehmensverbindungen zu untersuchen. Aber ich wollte nur einige zusätzliche Beispiele erwähnen.
Die Bundesregierung hat das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft mit der Durchführung der Untersuchung beauftragt. Die Fraktion der CDU/CSU hält diese Wahl für richtig. Wir sind der Meinung, daß man das Kartellamt nicht — oder sagen wir: noch nicht — einschalten sollte. Das Bundeswirtschaftsministerium unmittelbar zu beauftragen erscheint uns wegen der vielfältigen anderen Aufgaben dieses Hauses unzweckmäßig. Es gibt noch den Vorschlag, eine parlamentarische Kommission für Monopole einzusetzen. Die Einsetzung einer solchen Kommission wäre nach unserer Auffassung bereits die Vorwegnahme eines möglicherweise auf Grund der Enquete zu machenden Vorschlages. Allerdings — das muß ich im Namen meiner Freunde ausdrücklich betonen — sollte das Kartellamt beratend beteiligt werden. Wir werden im Ausschuß Vorschläge über die Art einer Beteiligung an der Beratung machen.
In der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs legen wir vor allem Wert auf die Feststellung, daß wir möglichst kurzfristig zu Ergebnissen kommen möchten. Wir erlauben uns daher die Anregung an die zu bildende Kommission, die Arbeitsplanung entsprechend der zur Verfügung stehenden Zeit vorzunehmen.
Eine wesentliche, bereits jetzt anzusprechende Detailfrage scheint uns zu sein, ob die Verfahren öffentlich oder nichtöffentlich sein sollen. Die Bundesregierung hat sich für das nichtöffentliche Verfahren entschieden, weil sie glaubt, so einen tieferen Einblick zu bekommen und leichter einzelne Vorgänge zu erfahren. Natürlich gibt es auch viele Gründe für ein öffentliches Verfahren. Aber wir stimmen der Bundesregierung darin zu, daß man zunächst den nichtöffentlichen Weg gehen sollte, sind jedoch bereit, wenn diese Methode sich als nicht ausreichend erweisen sollte, die Möglichkeit öffentlicher Verfahren zu erwägen.
Die in dem Gesetzentwurf vorgesehenen Ordnungsstrafen — ich darf sagen: relativ geringen Ordnungsstrafen — sind von mehreren Seiten beanstandet worden. Wir glauben, daß eine solche Rüge unberechtigt ist. Es wird sich nämlich kaum jemand leisten können, gerade in dieser Sache eine Ordnungsstrafe auf sich zu nehmen. Die Ordnungsstrafen sind es ja nicht allein; es kommt auch auf das Bekanntwerden dieser Ordnungsstrafen in der Offentlichkeit und auf die mögliche Reaktion der Bevölkerung an. Außerdem hat die Höhe des Bußgeldes mit der Erzwingbarkeit der Auskünfte unmittelbar nichts zu tun. Das Bußgeld ist schließlich kein Preis, mit dem eine Weigerung bezahlt und



Schmücker
damit legal gemacht werden kann. Die hier gesetzten Pflichten können nicht abgelöst werden, sondern sie müssen in jedem Fall erfüllt werden.
Wir sind davon überzeugt, daß die Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft nicht nur aus gesellschafts- und strukturpolitischen Gründen notwendig ist. Die in dieser Untersuchung verlangten Angaben sind auch dringend notwendig, damit wir eine Vervollständigung der Marktwirtschaft erreichen können. Wer auf eine längere Sicht gesehen stabilere konjunkturelle Entwicklung wünscht, muß die Vervollständigung des Wettbewerbs unablässig anstreben. Es reicht nicht aus, diesen Wettbewerb über kleinere, mittlere und einige große Firmen zu verhängen. Mit ganz wenigen Ausnahmen müssen alle Unternehmen, alle Betriebe und alle Wirtschaftszweige sich dem Wettbewerb unterordnen. Daß die Konzentrationen den Wettbewerb behindern können, wissen wir. Wir möchten aber möglichst exakt erfahren, wie groß das Ausmaß der Wettbewerbsbehinderung ist. Die CDU/CSU-Fraktion verzichtet darauf, heute einen Katalog der seit der Konzentrationsdebatte bekanntgewordenen neuen Tatbestände vorzutragen. Wir legen nur noch einmal Wert auf die Feststellung, daß man die Konzentration als solche nicht zu einem politischen Schreckgespenst machen darf, sondern daß man stets zu unterscheiden hat zwischen vermeidbaren und unvermeidbaren Konzentrationen und daß man die betriebliche, die unternehmungsmäßige und die vermögensmäßige Konzentration unterschiedlich behandeln soll.
Wir schlagen idem Bundestag vor, die anstehende Drucksache 1884 dem Wirtschaftsausschuß zu überweisen, und haben die Bitte um eine möglichst rasche Behandlung. Wenn der Entwurf nach einigen Wochen wieder hier im Plenum vorgelegt werden könnte, wäre die Bundesregierung in der Lage, bereits zu Beginn des neuen Jahres die Arbeiten aufzunehmen. Der nächste Deutsche Bundestag könnte dann frühzeitig ausreichendes Tatsachenmaterial erhalten, um in gründlicher Beratung die Konzentration in der deutschen Wirtschaft zu besprechen und sie dort, wo sie nachteilig ist, einzuengen.
Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt es, daß die von ihr angeschnittenen Fragen der Wirtschaftskonzentration in einem erfreulichen Ausmaß in der politisch interessierten Öffentlichkeit, von Wissenschaftlern und Fachleuten diskutiert werden. Wir bitten die Bundesregierung, neben den Arbeiten der Kommission ihrerseits die Bemühungen um eine höhere Wettbewerbsneutralität im Steuer- und Gesellschaftsrecht fortzusetzen. Wir haben den Wunsch, daß man idabei die tatsächlichen Verhältnisse in Wirtschaft und Gesellschaft etwas stärker berücksichtigt, als das in der herkömmlichen Betrachtungsweise der Fall ist. Das Ziel meiner Fraktion ist es, die strukturellen und die gesellschaftspolitischen Aspekte der Wirtschaftspolitik mit den konjunkturellen Notwendigkeiten in Übereinstimmung zu bringen. Der vorgelegte Gesetzentwurf bedeutet einen weiteren Schritt in Richtung auf dieses Ziel.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0312714000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.

Dr. Karl Atzenroth (FDP):
Rede ID: ID0312714100
Meine Damen und Herren! Die Vorlage dieses Gesetzentwurfs beruht auf einem Beschluß des Deutschen Bundestages. Der Beschluß ist von der Bundesregierung sehr bewußt herbeigeführt worden. Von seiten der Abgeordneten war es praktisch eine Verlegenheitslösung; denn es lagen keine konkreten Vorschläge darüber vor, wie man sich verhalten wollte und sollte. Aber die Pflicht, etwas Konkretes vorzulegen, lag bei der Bundesregierung, und es kann nicht oft genug die Erklärung wiederholt werden, die der Herr Bundeskanzler im Jahre 1957 in seiner Regierungserklärung abgegeben hat und die wörtlich lautet:
Wir brauchen aus staatspolitischen und kulturpolitischen Gründen unbedingt eine gesunde mittlere Schicht. Wir wollen nicht, daß schließlich bei immer größerer Konzentration der Wirtschaft zu Großbetrieben das Volk aus einer kleinen Schicht von Herrschern über die Wirtschaft und einer großen Klasse von Abhängigen besteht. Wir brauchen unabhängige mittlere und kleine Existenzen im Handwerk, Handel und Gewerbe. Dafür soll das Wirtschaftsministerium sorgen.
Und was ist geschehen? Außer einer gewissen Kredithergabe — die sicherlich anerkannt werden muß — nichts! Mit dieser Kredithergabe ist das eigentliche Problem nur am Rande berührt worden.
Wenn wir nun heute diesen Gesetzentwurf an den Ausschuß verweisen, dann bedeutet der Entwurf ja, daß dieser Bundestag und diese Bundesregierung in dieser Frage nichts mehr beschließen, außer der Untersuchung, die hier vorgenommen werden muß. Das Ergebnis dieser Untersuchung liegt aber erst dem nächsten Bundestag vor. Vielleicht werden Entscheidungen sogar erst von dem übernächsten Bundestag getroffen werden können. Jedenfalls steht so viel fest: Die Bundesregierung hat das Versprechen, das sie in der Regierungserklärung gegeben hat, nicht erfüllt; das wird bei der Bilanz, die wir am Schluß dieser Legislaturperiode zu ziehen haben, klar und deutlich herausgestellt werden müssen.
Nun zu diesem Gesetz. Der Entwurf verschiebt die Lösung, wie gesagt, zunächst einmal um zwei Jahre — vielleicht wird es sogar länger dauern —, und dann beginnt erst die Debatte über die Erfahrungen, die man aus der Untersuchung gewinnen will. Es ist also keineswegs sicher, daß schon der nächste Bundestag irgend etwas Entscheidendes beschließen wird. Die Angelegenheit ist ad calendas graecas verschoben.
Wir bezweifeln deswegen, ob es notwendig ist, derart umfangreiche Untersuchungen anzustellen, um zu einer Lösung dieses Problems, das sich die Bundesregierung und die Regierungspartei ja mit uns gestellt haben, zu kommen. Dazu braucht man eine solch umfangreiche Untersuchung nicht. Wir können Erkenntnisse aus der Praxis heraus schon jetzt gewinnen.



Dr. Atzenroth
Das soll nicht etwa heißen, daß wir diesen Entwurf ablehnen. Wir sind bereit, ihn mitzumachen. Aber die Feststellung treffen wir wiederholt: dieser Entwurf bedeutet nicht die Erfüllung der Zusage, die die Bundesregierung gemacht hat.
Es soll das Bundesamt in Frankfurt mit dieser Aufgabe betraut werden — dasselbe Bundesamt, Herr Schmücker. das wir vor Jahren schon haben auflösen wollen. Es wird also jetzt eine neue Blüte erfahren, und es wird in kürzester Zeit wieder den alten Umfang haben, über den wir vor sechs, acht Jahren so sehr bestürzt waren. Das wird sich nicht verhindern lassen, wenn dieser Gesetzentwurf zum Zuge kommt.
Wir werden uns an den Beratungen über den Gesetzentwurf im Ausschuß beteiligen. Wir hoffen aber, daß er den Ausschuß nicht in dieser Fassung verlassen wird.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0312714200
Das Wort hat der Abgeordnete Kurlbaum.

Georg Kurlbaum (SPD):
Rede ID: ID0312714300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie der Kollege Atzenroth schon gesagt hat, haben wir unsere Konzentrationsdebatte genau vor einem .Jahr, im Oktober 1959, gehabt. Wir haben damals gemeinsam beschlossen, daß das Enquete-Gesetz bis zum 31. März vorgelegt werden sollte. Tatsächlich haben wir es am 25. Mai bekommen, so dicht vor den Ferien, daß mit einer Verabschiedung vor diesen Ferien zweifellos nicht gerechnet werden konnte.
Der Wirtschaftspolitische Ausschuß hat sich einmal — allerdings auch in der vorletzten Woche vor den Sommerferien — nach einem Bericht von Prof. Erhard mit dem Konzentrationsproblem in einer allgemeinen Aussprache beschäftigt; wie zu erwarten war, ohne vor den Ferien zu einem eindeutigen Ergebnis zu kommen.
Meine Damen und Herren, wenn das so weitergeht, dann wird es etwa folgendermaßen aussehen. Man wird die Jahre 1961 und 1962 für die Anfertigung des Berichts benötigen. Im Jahre 1963 wird dem Bundestag, nachdem die Bundesregierung eine Stellungnahme erarbeitet hat, der Bericht zugeleitet werden, und wir werden ihn dann beraten, wahrscheinlich also -4 Jahre nach der Konzentrationsdebatte des vorigen Jahres.
Ich glaube, wer diese Probleme wirklich ernst nimmt, kann sich mit diesem zeitlichen Ablauf nicht zufriedengeben. Wie ernst die Probleme sind, meine Damen und Herren, beweisen z. B. die Tagung des Vereins für Sozialpolitik in Bad Kissingen und die Tagungen der Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmungen. Man hat den Eindruck, daß es gewisse Kreise in der Bundesrepublik gibt, die auf Zeitgewinn arbeiten, um so lange ihre Politik der Stärke in der Wirtschaft forsetzen zu können.

(Beifall bei der SPD.)

Die SPD wendet sich gegen diese Verzögerungspolitik. Wir werden selbstverständlich gern an dem Gesetzentwurf mitarbeiten; aber wir bestehen nach wie vor darauf, daß auch noch Weiteres, und zwar kurzfristig geschieht.
Lassen Sie mich eine Reihe von ganz offenbaren Mißständen aufzählen und kurz beschreiben, da mit ihrer Beseitigung unter keinen Umständen weitere drei Jahre gewartet werden kann.
Das erste: Die Konzentration vollzieht sich für die Öffentlichkeit weitgehend unsichtbar. Der Grund dafür ist eine mangelhafte Publizität gerade der Unternehmungen, die eine wirkliche Macht im Markte besitzen. Die sogenannte kleine Aktienrechtsreform war in dieser Beziehung völlig unbefriedigend. Durch die kleine Aktienrechtsreform sind nunmehr lediglich die Gesamtumsatzziffern der Unternehmungen der Öffentlichkeit zugänglich. Das bedeutet aber im wesentlichen nur, daß die Stellung der kleinen und mittleren Unternehmungen im Markt sichtbar gemacht wird, dagegen in der Regel nicht die der großen Unternehmungen, und zwar deshalb nicht, weil sich ihre Gesamtumsätze auf eine große Anzahl verschiedener Märkte verteilen. Das zeigt deutlich, daß man sich auch bei diesem Problem zunächst einmal wieder mit einer Scheinlösung begnügt hat und offenbar gewillt ist, echte Lösungen weiter auf die lange Bank zu schieben.
Die SPD hat deshalb, wie Sie wissen, in der Drucksache 1279 schon vor einem Jahre ganz konkrete Vorschläge gemacht, die sich auf die Publizitätsvorschriften beziehen, denen Unternehmen bestimmter Größe unterliegen sollen. Diese Unternehmen sollen nach unserer Meinung verpflichtet sein, in ihren Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen ein zutreffendes Bild ihrer Ertrags- und Vermögenslage zu geben, was heute keineswegs der Fall ist. Sie sollen sich in ihren Geschäftsberichten über Art und Umfang ihrer Wettbewerbsbeschränkungen äußern und schließlich ihre finanziellen, organisatorischen und personellen Verflechtungen offenlegen. Eine solche Offenlegung würde die Arbeit der Enquete nicht nur erleichtern, sondern auch beschleunigen; sie würde endlich auch der Öffentlichkeit den Einblick geben, auf den sie in einer Demokratie ein Recht hat. Es entspricht allerdings, das wissen wir, der Interessenlage bestimmter Gruppen, ihre Machtstellung im Markt so lange wie möglich im dunkeln zu halten. Die SPD weiß das, hat aber kein Verständnis dafür, daß man offenbar geneigt ist, diesem Druck weiterhin nachzugeben.
Ein zweiter wesentlicher Mißstand, der nicht weiter bestehen darf, wenn man es mit diesen Problemen ernst nimmt, hängt mit dem Kartellgesetz zusammen. Dieses Gesetz gibt gewisse konkrete, wenn auch nach unserer Auffassung nicht ganz ausreichende Handhaben gegenüber den Kartellen. Inzwischen ist es aber, glaube ich, bei den Sachverständigen zur allgemeinen Meinung geworden, daß die Handhaben der Kartellbehörde gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen völlig unzureichend sind. Es fällt z. B. auf, daß in dem Kartellbericht von 1959, der 130 Seiten hat, dem Problem der marktbeherrschenden Unternehmen nur eine ganze Seite gewidmet werden konnte.

(Hört! Hört! bei der SPD.)




Kurlbaum
Diese offensichtliche Diskrepanz in den Handhaben im Rahmen des Kartellgesetzes gegenüber den Kartellen auf der einen Seite und gegenüber den marktbeherrschenden Unternehmen auf der anderen Seite macht das Kartellgesetz zu einem sehr einseitigen Instrument und fördert und begünstigt damit eindeutig die Flucht in die Konzentration zur Einschränkung des Wettbewerbes, wenn nicht sogar mit dem Endziel, den Wettbewerb in bestimmten Märkten ganz aufzuheben. Dazu ist für alle, die in der Wirtschaft tätig sind, noch erkennbar geworden, daß sich der Konzentrationsvorgang gerade in den letzten zwei Jahren erheblich verstärkt hat. Das hängt erstens einmal mit der EWG und den in Aussicht stehenden größeren Märkten, dann aber auch mit einer teilweise sehr unglücklichen Gesetzgebung zusammen. Ich weise in diesem Zusammenhang nur auf das Umwandlungsgesetz und das Umwandlungssteuergesetz hin.
Erfreulicherweise gibt es nun schon eine ganze Reihe von Veröffentlichungen, die sehr schöne Einblicke in den Stand der Konzentration vermitteln. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, sie durchzusehen. Daraus ergibt sich ziemlich eindeutig, meine Damen und Herren von der Regierungsfraktion, daß z. B. in der deutschen Industrie etwa 25 % der gesamten Industrieumsätze — das ist der Stand von 1957 — bereits durch marktbeherrschende Unternehmen kontrolliert werden. Das hat natürlich auch entscheidenden Einfluß auf die Ertragslage der diese Märkte kontrollierenden Gruppen.
Es gibt, glaube ich, keinen besseren Hinweis darauf, wie die Ertragsverhältnisse solcher bestimmter Großunternehmen beurteilt werden, als die Börsenkurse. Börsenkurse werden bekanntlich nicht von Phantasten gemacht, sondern sie sind ein sehr eindeutiges Spiegelbild der Einschätzung der Ertragslage oder, sagen wir es noch etwas deutlicher, der Einschätzung der Aussichten dieser Großunternehmen auf eine weitere Vermögenskonzentration bei ihnen. Gleichzeitig kommt in den Börsenkursen für diese Unternehmensgruppen die geringe Meinung zum Ausdruck, die man offenbar davon hat, daß diese Bundesregierung wirklich wirksame Maßnahmen treffen wird und treffen will gegen eine weitere Konzentration von Unternehmen und Konzentration von Vermögen bei ihnen.
Der dritte Mißstand, dessen Abstellung nicht weiter aufgeschoben werden kann, ist die Tatsache, daß unsere Steuergesetzgebung weitgehend nicht konzentrationsneutral ist. Ich meine damit nicht nur die Umsatzsteuer. Ich meine damit z. B. auch, daß durch den radikalen Abbau der Körperschaftsteuersätze, der unsere Sätze wesentlich unter die Sätze gebracht hat, die in vergleichbaren maßgeblichen westlichen Industrieländern gelten, eine wesentliche Konkurrenzverschiebung zwischen mittleren und großen Unternehmungen zustande gekommen ist. Diese steuerliche Begünstigung ist an dem Ärgernis der Entwicklung der Aktienkurse mindestens beteiligt.
Lassen Sie mich nur eine Zahl nennen: in sieben Jahren hat sich der Kurswert der deutschen Aktien verachtfacht. Dadurch ist in diesen sieben Jahren ein Vermögenszuwachs von 160 Milliarden entstanden. Wenn Sie davon etwa 20 % für die öffentliche Hand abziehen, kommen Sie zu dem Ergebnis, daß in diesen sieben Jahren der Aktienbesitz, der Privatbesitz ist, ungefähr um 130 Milliarden aufgewertet ist. Ziehen Sie davon noch etwa 10 bis 20 Milliarden für Kleinaktionäre ab, dann kommen Sie auf folgende pauschale Ziffern. Sie wissen, daß das Statistische Bundesamt die Zahl der mittleren Aktionäre auf etwa 50 000 schätzt. Dann kann man ausrechnen, daß in dieser Gruppe ungefähr 2 Millionen an Vermögenszuwachs pro Aktionär in diesem Zeit; raum entstanden sind. Die Gruppe der größeren Aktionäre wird auf etwa 1300 geschätzt. Wenn Sie wieder die Ziffern des Statistischen Bundesamtes heranziehen, kommen Sie bei dieser Gruppe der größeren Aktionäre im Durchschnitt auf einen Vermögenszuwachs von 10 Millionen pro Aktionär. Bitte, bedenken Sie, meine Damen und Herren von der Regierungsfraktion, daß dieser ganze Vermögenszuwachs, so wie unsere Steuergesetzgebung ist, im wesentlichen steuerfrei erfolgt ist. Hier haben wir also nicht ein Stück Vermögensstreuung, sondern hier sehen wir uns einem ganz klaren und eindeutigen Prozeß der Vermögensanhäufung gegenüber. Wir verlangen deshalb vor Beendigung der Enquetearbeiten, daß diese entscheidenden Lücken in der Steuergesetzgebung und in der Kartellgesetzgebung geschlossen werden.
Vorhin ist schon mit Recht gesagt worden: natürlich ist ein bestimmter Teil der Konzentration unvermeidlich. Er ist sogar nötig — das wissen wir Sozialdemokraten auch —, besonders um im inter nationalen Wettlauf bestehen zu können, auch gegenüber dem Osten. Das ist ganz klar. Deshalb muß zwischen volkswirtschaftlich erwünschter und unerwünschter Konzentration unterschieden werden. Wir wissen, daß das nicht ganz einfach ist. Aber gerade deshalb muß die Kartellbehörde in den Stand gesetzt werden, bei der unvermeidlichen Konzentration gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht wirksam vorzugehen. Dazu bedarf es insbesondere einer Neufassung und Verschärfung der §§ 18 und 22 des Kartellgesetzes, die die marktbeherrschenden Unternehmen betreffen. Ferner bedarf die Kartellbehörde eines Rechtes, die Zusammenschlüsse an die Erfüllung bestimmter Auflagen und Pflichten zu binden.
Ich verweise im Zusammenhang mit der Konzentration auch noch auf die ganze Problematik der verbindlichen Preisbindung der zweiten Hand. Wir wissen, daß die Form der verbindlichen Preisbindung der zweiten Hand bevorzugt angewendet wird erstens von Großunternehmen, die infolge ihres großen Reklameaufwandes eine starke Marktstellung haben, und zweitens von Industriegruppen, die gleichzeitig in Rabatt- und Konditionskartellen organisiert sind. In beiden Fällen handelt es sich tatsächlich um Machtprobleme.
Die SPD hält daher ihren Vorschlag aufrecht, den sie schon vor einem Jahr gemacht hat und dem sich zahlreiche Sachverständige inzwischen angeschlossen 'haben, die verbindliche Preisbindung der

Kurlbaum
zweiten Hand für Markenartikel in unverbindliche Preisempfehlungen umzuwandeln.
Ein vierter wesentlicher Mißstand, der auch kurzfristiger Abstellung bedarf, liegt in unserem Gesellschaftsrecht. Ich habe vorhin schon auf die Umwandlungsgesetze hingewiesen. Allerdings liegen Mißstände auch im Aktiengesetz. In beiden gibt es Bestimmungen, die geradezu zur Konzentration herausfordern. Die Erfahrungen im vergangenen Jahr haben gezeigt, daß gewisse Bestimmungen, insbesiondere der Umwandlungsgesetze und des Steuerumwandlungsgesetzes, geradezu demoralisierend auf gewisse Großaktionäre und Verwaltungen von Großunternehmen gewirkt haben. Wir haben es sehr bedauert, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, daß Sie uns seinerzeit nicht unterstützt haben, als wir uns für eine vorzeitige Außerkraftsetzung besonders .des Umwandlungssteuergesetzes eingesetzt haben. Sie haben dem damals aus nicht gerade überzeugenden Gründen widersprochen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß das eine Reihe von wirklichen Mißständen sind, die für jeden Gutwilligen deutlich erkennbar sind und nicht drei weitere Jahre bestehen dürfen. Selbstverständlich werden wir gern an der Schaffung des EnqueteGesetzes mitwirken. Wir werden auch bei der Durchführung gern mitarbeiten. Ich freue mich besonders, daß ich mich vor ein paar Minuten mit Herrn Schmücker darüber geeinigt habe, daß wir bereits morgen mit der Beratung dieses Gesetzes `beginnen. Aber 'dass enthebt uns nicht der Pflicht, Maßnahmen zu treffen, bevor die Enquete-Kommission ihre Arbeiten abgeschlossen hat. Es gibt bereits ausreichende Grundlagen und ausreichende Hinweise für die Mißstände, die ich hier aufgezählt habe. Die SPD wird in Kürze konkrete formulierte Anträge vorlegen, die der Beseitigung dieser Mißstände dienen sollen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0312714400
Wird das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf Drucksache 1884 an den Wirtschaftsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Mittelstandsfragen zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 a) der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für gesamtdeutsche und Berliner Fragen (4. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Strukturprogramm für die Zonenrandgebiete (Drucksachen 479, 1417).
Es ist ein Schriftlicher Bericht vorgelegt worden. Wird eine mündliche Ergänzung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich danke dem Herrn Berichterstatter für den Schriftlichen Bericht.
Sodann Punkt 514:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für gesamtdeutsche und Berliner Fragen (4. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der SPD betr. kulturelle Förderungsmaßnahmen im Zonenrandgebiet (Drucksachen 588, 1418).
Die Berichterstatterin wünscht zur Ergänzung des Schriftlichen Berichts das Wort. Ich erteile es ihr.

Dr. Else Brökelschen (CDU):
Rede ID: ID0312714500
: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag Drucksache 588 ist von der SPD am 28. Oktober 1958 eingereicht worden. Die Beratungen im zuständigen Ausschuß sind am 9. Dezember 1959 abgeschlossen worden, d. h. in einem Augenblick, als der Haushalt für das Jahr 1960 noch in der Beratung war. Inzwischen ist im Haushalt 1960 dem Petitum des Ausschusses im Teil B des Berichtes unter Ziffer 1, den Ansatz in Kap. 2701 Tit. 602 a betreffend Schulbauten im Zonenrand- und -grenzgebiet auf 12 Millionen DM zu erhöhen, nicht nur entsprochen worden, sondern es ist eine weitere Erhöhung um 500 000 DM erfolgt. Daher ist die Ziffer 1 in Teil B des Berichtes hinfällig geworden. Ich bitte also, die Abstimmung über B auf die Ziffern 2 und 3 zu beschränken.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0312714600
Ich danke der Frau Berichterstatterin. Ich schlage vor, die Aussprache über die Punkte a und b zu verbinden. — Kein Widerspruch. — Das Wort hat der Abgeordnete Höhmann.

Egon Höhmann (SPD):
Rede ID: ID0312714700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anträge der Sozialdemokratischen Partei, die hier zur Beratung anstehen, haben die Drucksachennummern 479 und 588. Die Berichte haben die Nummern 1417 und 1418. Das bedeutet, daß inzwischen schon wieder tausend Drucksachen durch unsere Hände gegangen sind. Man kann es wohl niemandem übelnehmen, wenn ihm derweilen völlig entfallen ist, worum es sich damals eigentlich gehandelt hat. Die Anträge sind am 24. Juni 1958 und am 29. Oktober 1958 gestellt worden. Die Blätter der Unterlagen sind schon etwas vergilbt, und es ist wohl notwendig, zu sagen, wie wir dazu gekommen sind, diese Anträge zu stellen.
Anlaß war eine kleine Auseinandersetzung zwischen meinem Freund Behrisch und Herrn Dr. Gradl bei der Haushaltsberatung 1958. Seinerzeit wurde der Vorschlag gemacht, die Mittel für die kulturelle Förderung im Zonenrandgebiet entsprechend zu erhöhen. Dr. Gradl sagte damals:
Hinsichtlich der Anliegen, die durch den Antrag gefördert werden sollen, bestehen zwischen uns keine Meinungsverschiedenheiten. Wir sind genauso wie Sie der Ansicht, daß kulturelle Maßnahmen in den Zonenrandgebieten und in den Grenzlandgebieten noch stärker gefördert und daß dafür nach Möglichkeit noch mehr Mittel als bisher ausgeworfen werden sollen. Man muß allerdings anerkennen, daß schon einiges geschehen ist und auch gegenwärtig geschieht. Im Prinzip bejahen wir jedenfalls Ihr Anliegen.



Höhmann
Ich habe mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus dem Protokoll zitiert.
Der Antrag wurde seinerzeit mit der Begründung abgelehnt, die Dinge seien nicht genügend fundiert. Wir haben uns daraufhin zusammengesetzt und haben ausgearbeitet: ein Strukturprogramm, einen Antrag bezüglich kulturelle Hilfsmaßnahmen für das Zonenrandgebiet und drittens einen Gesetzentwurf über steuerliche Erleichterungen.
Wir haben die Anträge nicht gestellt, weil wir der Meinung wären, das Zonenrandgebiet sei so etwas wie ein Armenhaus der Bundesrepublik. Das Zonenrandgebiet ist nicht das Armenhaus der Bundesrepublik. Das ganze Gebiet hat am konjunkturellen Aufschwung, den wir in der Bundesrepublik zu verzeichnen haben, einen gehörigen Anteil gehabt. Was wir aber wollten, das war die Konsolidierung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Wir wollten erreichen, daß die derzeitige Konjunktur, die über die strukturellen Schwächen der Wirtschaft im Zonenrandgebiet hinwegtäuscht, nicht als ein bereits zufriedenstellender Erfolg der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung und damit schon als endgültige Konsolidierung angesehen wird. Wir sollten die strukturellen Schwächen im Wirtschaftsleben des Zonenrandgebietes erkennen und versuchen, sie zu beseitigen. Außerdem besteht auch kein Zweifel darüber, daß das Zonenrandgebiet hinter den Ballungsräumen der Bundesrepublik wirtschaftlich immer noch um einige Jahre zurückhängt.
Der zweite Grund war für uns, dem Drang nach den Ballungsgebieten in der Bundesrepublik entgegenzuwirken. Ich glaube, darüber könnte man — auch Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion zitieren den Herrn recht gut und sehr oft und ziehen ihn bei wirtschaftlichen Debatten oft zu Rate — bei Herrn Professor Röpke einiges nachlesen.
Der dritte Grund für uns war, das politische Anliegen recht zu würdigen. Das Herablassen des Eisernen Vorhangs hat seinerzeit die Wirtschaft im Zonenrandgebiet sehr stark getroffen und hat ihr einen ungeheuren Schaden zugefügt. Diesen Schaden kann nun nicht der Betroffene tragen, sondern dafür hat das Ganze einzustehen. Daß bei der Bundesregierung die Einsicht vorhanden ist, daß das Ganze für den Schaden einzustehen hat, den ein Teil erleidet, wird dadurch bewiesen, daß Hilfsmaßnahmen angeregt und daß die Anregungen des Parlaments von der Bundesregierung aufgenommen worden sind. Die Hilfsmaßnahmen sind aber nach unserer Ansicht nur halbe Maßnahmen, solange dort nicht entscheidend und strukturell etwas geändert wird.

(Abg. Jahn [Marburg] : Sehr richtig!)

Man kann der Bundesregierung einen Vorwurf dabei nicht ersparen: Die Initiative zu allen Schritten, dem Zonenrandgebiet Erleichterung zu verschaffen, ging jeweils vom Parlament und niemals von ,der Bundesregierung aus.

(Sehr richtig bei der SPD.)

Die Regierung ist also einsichtig gemacht worden.

(Abg. Niederalt: Das ist ja mit eine Aufgabe des Parlaments!)

— Aber natürlich, es ist bei einer Regierung durchaus möglich, daß ihr Mißstände selbst auffallen, ohne daß sie jemand mit dem Finger darauf stößt. Das müßte doch auch möglich sein.

(Beifall bei der SPD.)

Wir hatten also vor, das zu tun, was uns allen eigentlich gemeinsam vorschwebt — Gott sei Dank allen gemeinsam —, das Zonenrandgebiet zu einer Art Schaufenster gen Osten zu machen. Der Antrag bezüglich Förderung der kulturellen Vorhaben im Zonenrandgebiet sollte da unterstützend wirken. Mit wirtschaftlicher Hilfe allein ist es nicht getan. Man kann mit wirtschaftlicher Hilfe allein auch kommunistischer Infiltration nicht begegnen. Dazu gehört einiges mehr. Dazu kam unser Antrag über die kulturellen Hilfsmaßnahmen mit dem Ziele der Förderung des Schulbaus, des Volkshochschulwesens, es ist ein ganzer Strauß, ein ganzes Bukett von Maßnahmen, ein ganzer Katalog, die man alle im Katalog des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen nachlesen kann. Es würde zu weit führen, die einzelnen Punkte hier zu nennen.
Alle diese Maßnahmen werden hier mit insgesamt einmal 12,5 Millionen DM und einmal 4 Millionen DM honoriert. Damit wird 110 Kreisen im Zonenrandgebiet geholfen. Ich meine, so ganz ist es doch nicht von der Hand zu weisen, daß hier doch noch einiges mehr getan werden könnte. Die Bevölkerung soll durch solche Maßnahmen das Gefühl bekommen, daß sie nicht abgeschrieben ist.
Wir sind seinerzeit voller Hoffnung in die Ausschußarbeit gegangen, voller Hoffnung einfach auf Grund der Tatsache, daß Sie, Herr Kollege Gradl, gesagt haben: Wir sehen ein, es muß da mehr getan werden; wir verschließen uns dem Anliegen nicht. Wir waren dann recht enttäuscht bei all dem, was sich im Ausschuß getan hat. Die Beratung dauerte länger als ein Jahr. Ich habe immer gerätselt: Weshalb muß unbedingt dieser oder jener Fachmann auch noch gehört werden? Aber wir haben es dann eingesehen: Bei Abschluß der Beratung habe ich erfahren, warum es solange gedauert hat. Das war etwas enttäuschend. Da wurde mir nämlich gesagt: Na ja, es ist nicht so schlimm, ,daß alles niedergestimmt worden ist — das sagte mir ein Mitglied der CDU/CSU-Fraktion im Unterausschuß „Zonenrandgebiet" —; es ist nicht so schlimm, daß es so ausgegangen ist, die Wahlen in Niedersachsen isind ja vorbei.
Nun, wir haben, als wir diesen Antrag im Jahre 1958, also zu Beginn der Legislaturperiode, stellten, bei Gott nicht daran gedacht, daß einmal im Jahre 1959 Wahlen in Niedersachsen sein würden. Wir haben damit gerechnet, daß wir innerhalb eines halben Jahres unsere Anträge durchgebracht haben würden. Die Wahlen in Niedersachsen haben für uns keine Rolle gespielt. Uns ging es lediglich darum, den Mensch im Zonenrandgebiet zu helfen. Man sucht, wenn ein solcher Ausspruch kommt, sicher niemand hinter dem Busch, wenn man sich nicht schon einmal selbst dahinter versteckt hat.

(Beifall bei der SPD.)




Höhmann
Ich habe noch nicht dahinter gesteckt. Wir hatten nicht daran gedacht.
Auch die Beratungen im einzelnen und die Art und Weise, wie die Niederstimmungsmaschine in Gang gesetzt wurde, waren etwas deprimierend. Nimmt man den Bericht der Frau Berichterstatterin auf Drucksache 1418 zur Hand, so liest man dort:
Der Ausschuß in seiner Gesamtheit verschloß sich nicht dem Ernst und Umfang des Schulraumproblems und der Notwendigkeit seiner Lösung. Von der Mehrheit wurden aber starke Bedenken geltend gemacht, ob man ... die Schulraumfrage dadurch lösen solle, daß der Bund ,generell ein Drittel der Gesamtkosten für Schulbauten übernimmt.
Meine Damen und Herren, der Bund soll nicht generell ein Drittel der Gesamtkosten der Schulbauten übernehmen, sondern er soll ein Drittel der Schulbaukosten im Zonenrandgebiet übernehmen. Also eine Sonderleistung! Das ist etwas völlig anderes.

(Beifall bei der SPD.)

Ein ähnlicher Passus befindet sich in dem Bericht auch hinsichtlich der kulturellen Förderung im Zonenrandgebiet. Hierzu steht in dem Bericht:
Auch hier bejahte der Ausschuß in seiner Gesamtheit die Möglichkeit, weitere Mittel sinnvoll einzusetzen Entscheidend schien der Mehrheit aber nicht so sehr die Höhe der Mittel, als vielmehr der Erfolg, usw.
Nun, daß Erfolge in diesem Falle auch von der Höhe der Mittel abhängen, darüber bestehen keine Zweifel.
Hinsichtlich ,der Anträge der sozialdemokratischen Fraktion auf wirtschaftlichem Gebiet sieht es ganz genauso aus. Wir sind gerade hier zu einigen fast Wischiwaschi-Anträgen gekommen, die sehr viel und auch gar nichts sagen. Man muß sich nicht unbedingt daran halten. So ersucht man beispielsweise die Bundesregierung,
den Bundesminister für Wohnungsbau zu ermächtigen, die besonderen Mittel aus Rückflüssen, die zur Förderung des Facharbeiterwohnungsbaues im Zonenrandgebiet zweckgebunden sind, sowohl für die Förderung des Baues von Familienheimen und Eigentumswohnungen als auch zur Förderung sonstiger sozialer Wohnungen für Schlüsselkräfte im Zonenrandgebiet einzusetzen.
Ein solcher Antrag verpflichtet natürlich zu nichts und ist gegenüber dem, was ganz konkret in dem sozialdemokratischen Antrag gesagt worden ist, wirklich nur Rückschritt.
Dazu wird dann im Brustton der Überzeugung gesagt: Ja, ihr Sozialdemokraten wart ja Utopisten; wir aber, wir sind Realpolitiker. Ich habe das so oft gehört, daß ich mich nun wirklich gezwungen sehe, dazu einmal etwas zu sagen.
Wer sich Gedanken darüber macht, wie bestimmte Verhältnisse gebessert werden können, und wer dazu ideale Vorstellungen hat, der ist noch lange kein utopischer Schwärmer. Im Gegenteilt, Ideale haben und auch anstreben ist nicht einfach Schwärmerei, sondern ganz reale und handfeste Kritik an den bestehenden Verhältnissen. Das hat mit Schwärmerei gar nichts zu tun. Wer da sagt, er sei Realpolitiker, hat sicher einiges bemänteln wollen. Damit soll — auch das darf einmal gesagt werden — einfach verdeckt werden, daß man von vornherein vor denjenigen kapituliert hatte, die auf dem bundesrepublikanischen Geldsack sitzen. Das war es doch. Es war eine Bemäntelung der eigenen Ohnmacht.
Vielleicht sollten die Mitglieder des Unterausschusses Zonenrandfragen aus der CDU/CSU einmal zu der verehrten Kollegin Frau Dr. Probst gehen — die ich hier auch im Raume sehe — und sich verraten lassen, auf welche Art und Weise man dem Herrn Bundesfinanzminister, der sicher in diesen Fragen sehr hartleibig ist, eine Dreiviertelmilliarde aus der Kasse zieht. Das war keine utopische Politik, das war sehr real, und es ist auch gelungen. Der Herr Bundesfinanzminister hätte diese Dinge vorhin nicht so abwertend darstellen sollen, wie er es getan hat. Aber darauf will ich nicht näher eingehen.
Aber um nun zu Hause etwas Entsprechendes vorweisen zu können, sind einige der Herren Kollegen, da man höhere Mittel nicht beschließen konnte, auf den Gedanken gekommen, ein NachholerschlieBungsprogramm für 30 besonders schlecht stehende Kreise im Zonenrandgebiet zu formulieren und auch durchzusetzen. Danach sollen zu besonders günstigen Bedingungen Kredite, Darlehen und Zuschüsse gegeben werden. Ich neide das den 30 Kreisen — von 110 im Zonenrandgebiet —, die es bekommen sollen, durchaus nicht. Ich bin der Meinung, sie sollen es haben. Aber die Mittel, die hier für das ganze Zonenrandgebiet vorgesehen sind, sind nicht nur wegen bestimmter Notstände wirtschaftlicher Art vorgesehen, sondern auch wegen der ganz besonderen politischen Verhältnisse. Man kann dann nicht den Notstandskreisen im Zonenrandgebiet von dem Geld, das der politischen Verhältnisse wegen zur Sicherung und Stabilisierung der Wirtschaft zur Verfügung gestellt wird, noch die Hälfte wegnehmen, so daß für die bisherigen Zwecke lediglich ein Betrag von 13,25 Millionen DM bleibt. Das ist der Endbetrag, der für alle anderen 80 Kreise im Zonenrandgebiet übrigbleibt. Nach Abzug aller Sonderleistungen, nach dem, was da nun noch gekommen ist, bleibt also nicht allzuviel. Daß wir in dieser Hinsicht nicht mit allzu großer Hoffnung in die Beratungen des neuen Haushalts gehen, kann Ihnen sicher auch dadurch klargemacht werden, daß für das Jahr 1961 der Ansatz für Förderung von kulturellen Maßnahmen im Zonenrandgebiet um 400 000 DM gekürzt worden ist.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Sie werden mir sagen: Die Mittel für den Schulbau sind um 250 000 DM erhöht worden. Jawohl, aber dann besteht immer noch eine Differenz von 150 000 DM.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, hier hört jegliche Glaubwürdigkeit auf. Wir haben also die Aufgabe,



Höhmann
Herr Niederalt, und Sie auch, zu verhindern, daß das wahr wird, was im Ansatz zum Haushaltsplan 1961 steht. Wir erklären eines: Mit dieser Art, die Dinge zu behandeln, sind wir nicht einverstanden, und wir werden geeignete Schritte unternehmen, um der Bevölkerung im Zonenrandgebiet zu helfen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0312714800
Das Wort hat der Abgeordnete Wacher.

Gerhard Wacher (CSU):
Rede ID: ID0312714900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es scheint mir eigentlich ein glückliches Zusammentreffen zu sein, daß wir am Tag der Haushaltsdebatte auch über das Zonenrandprogramm sprechen. Den ganzen Tag über haben wir uns heute über die Milliarden unterhalten, die jährlich vom Bundesbürger aufgebracht werden müssen, damit die Probleme gelöst werden, die der Staat in Angriff nehmen muß, weil sie nämlich der einzelne nicht bewältigen kann. Jetzt, am Abend, fast am späten Abend, darf ich Ihnen einen Ausschnitt, nämlich das Zonenrandproblem darlegen, und ich darf die Frage aufwerfen, ob sich diese Steuermittel rentiert haben, wie sie sich ausgewirkt haben und ob sie auch in Zukunft für diesen Zweck weiter verwendet werden müssen.
Die letzte Zonenrand-Debatte — Herr Kollege Höhmann hat schon darauf hingewiesen — liegt einige Zeit zurück. Vielleicht wird der eine oder andere Zuhörer sich noch an die Debatte erinnern, die wir — es war im Januar 1959 — gehabt haben. In dieser Debatte hat Herr Minister Erhard eine Regierungserklärung abgegeben und zwei Dinge herausgestellt. Er sagte nämlich, es müsse zugegeben werden, daß die wirtschaftliche Entwicklung im Zonenrandgebiet im Durchschnitt nicht in dem gleichen Tempo wie im übrigen Bundesgebiet fortgeschritten sei. Er machte — ich möchte das recht kurz fassen — deutlich, daß die Verhältnisse in diesen Gebieten sehr unterschiedlich seien, und er wies darauf hin, daß die Zahl der Industriebeschäftigten in einigen ländlichen Bezirken gleich geblieben oder sogar leicht gesunken sei, daß aber die Entwicklung in anderen, stärker mit Industrie besetzten Teilen durchaus mit der durchschnittlichen Entwicklung in Bund habe Schritt halten können oder sogar manchmal diese Entwicklung im Bund übertroffen habe. Herr Kollege Höhmann hat erklärt, daß hinsichtlich des Strukturwandels in diesen Gebieten eigentlich nichts Entscheidendes geschehen sei, eine Behauptung,

(Zuruf von der SPD: Das hat er nicht!)

die wert ist, untersucht zu werden. Wir wollen also einmal die Frage behandeln, wie es heute in Zonenrandgebieten aussieht. Ich will nicht übertreiben, aber ich darf vielleicht sagen, daß die Expansion der bundesdeutschen Wirtschaft das Zonenrandgebiet in seiner Gesamtheit stärker als in den früheren Jahren erfaßt hat, — eine Formulierung, Herr Kollege Höhmann, der Sie sicher auch beitreten werden.
Es ist aber dabei — und darauf muß man doch besonders hinweisen — sehr bemerkenswert, daß
jetzt auch die Gebiete, bei denen vor zwei Jahren noch so etwas wie eine Stagnation zu verzeichnen war — z. B. der Bayerische Wald, die Rhön, das Elbe-Jeetzel-Gebiet —, mehr und mehr in den Sog dieser Aufwärtsentwicklung hineinzogen wurden. Es war doch früher Übung bei den Rednern, die sich mit diesen Fragen beschäftigt haben, Arbeitslosenzahlen als Kriterium für die mißliche Lage anzuführen. Wir haben uns heute alle miteinander — alle miteinander, ohne parteipolitische Unterschiede — glücklich zu schätzen, daß das jetzt Gott sei Dank ganz anders aussieht! Die Zahl der Arbeitslosen — ich darf Ihnen die Zahl geben — in den 31 Arbeitsamtsbezirken des Zonenrandgebiets hat sich vom 30. 6. 58 bis zum 30. 6. 60 von 100 978 Personen auf 30 885 Personen vermindert. Dabei ist dieser Rückgang in seiner gesamten Ausdehnung zu beachten. Ich darf das wieder verdeutlichen. Es ist nämlich bezeichnend, daß z. B. innerhalb der 31 Arbeitsamtsbezirke, die das ganze Zonenrandgebiet erfassen, nur noch 9 Arbeitsamtsbezirke vorhanden sind — ich darf sie nennen, es sind Flensburg, Kiel, Lübeck, Neumünster, Rendsburg, Schleswig, Cham, Deggendorf und Passau —, in denen die Zahl der Arbeitslosen die Zahl der offenen Stellen übersteigt. Aber auch in diesen Arbeitsamtsbezirken herrscht Vollbeschäftigung. — Ich habe die Zahlen hier; wir werden sie jetzt nicht im einzelnen behandeln. — Das ist eine Erscheinung, die uns, die wir aus den Zonenrandgebieten kommen, wirklich glücklich macht.
Sie wissen — und meine Kollegen aus dem Ausschuß wissen das besonders —, daß uns gelegentlich der Aussagewert der Arbeitsamtsstatistik zu Bedenken veranlaßt hat, weil nämlich diese Statistik die Beschäftigten nicht in ihrem Beschäftigungsort, sondern in ihrem Wohnort erfaßt. Damit ist das Problem der Fernpendler ausgeklammert. Ich habe deshalb heute, um zu wirklich richtigen und wirklichkeitsnahen Zahlen zu kommen, eine andere Statistik zu Rate gezogen, die diese Schönheitsfehler nicht hat, nämlich die Industrieberichterstattung, in der bekanntlich die Industriebeschäftigten an ihrem Arbeitsplatz erfaßt werden. Wie sieht es da aus? Nach dieser Statistik .hat die Zahl der Industriebeschäftigten in der Zeit vom 31. 3. 58 bis 31. 3. 60 von 694 588 auf 733 064 zugenommen. Das ist eine Vermehrung um 5,5 % im Zonenrandgebiet, und dieser Vermehrung im Zonenrandgebiet steht ein Zuwachs von rund 3,7 % im übrigen Bundesgebiet zur selben Zeit gegenüber. Ich darf also hier die erfreuliche Feststellung treffen, daß gerade in den schwierigsten Gegenden des Zonenrandgebietes, die ich oben bereits angeführt habe, diese günstige Entwicklung sich sehr kräftig gezeigt hat.
Ich darf Ihnen dafür eine Zahl nennen, die mir doch beachtlich erscheint und die ich auch deshalb anführen möchte, um den Kollegen, die außerhalb dieser Sanierungs- und Notstandsgebiete wohnen und in den letzten Jahren dafür Verständnis gezeigt haben, zu danken und zu zeigen, daß die uns bewilligten Mittel sicher gut angelegt wurden. Im Bayerischen, Böhmischen und Oberpfälzer Wald — es hat eine besondere Auszählung in diesem Jahr zwischen Passau und Nabburg stattgefunden — hat



Wacher
man festgestellt, daß die Zahl der Beschäftigten von 35 250 auf 41 650 Personen gestiegen ist, sich also um 18 % vermehrt hat.
Nun, meine Damen und Herren, man soll nicht überheblich sein, und niemand kann und wird behaupten, daß diese Entwicklung allein auf alle Maßnahmen des regionalen Förderungsprogramms zurückzuführen ist. Natürlich hat sich die konjunkturelle Situation im Zonenrandgebiet auch hier positiv ausgewirkt. Es ist klar, daß zahlreiche Unternehmen aus den Ballungsgebieten deshalb in diese revierfernen Gebiete des Zonenrandgebiets und der Sanierungsgebiete gegangen sind, weil sie dort noch Arbeitskraftreserven mobilisieren konnten. Es ist aber nicht zu leugnen, daß die Industrieansiedlungskredite des regionalen Förderungsprogramms doch ein sehr starker Anreiz für diese Entwicklung gewesen sind. Die durchgeführten Erschließungsmaßnahmen — es handelt sich um den Ausbau von Straßen und Wasserleitungen in den letzten Jahren - haben die positive Entwicklung in diesen schwierigen Teilen des Zonenrandgebiets sehr vorangetrieben. Im übrigen darf ich bemerken, daß in meinen Zahlen die letzte stürmische Entwicklung dieses Sommers noch nicht enthalten ist. Es gibt Stimmen, denen die Entwicklung in diesen Gebieten schon etwas zu stürmisch voranschreitet. Es gibt Stimmen, die zu einem behutsamen Vorgehen mahnen. Man befürchtet bereits eine Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, die durch die neuen Betriebe ausgelöst werde.
Ich möchte Ihnen mit Genehmigung deis Herrn Präsidenten einige Zeilen aus einem Artikel des „Selber Tagblatts" vom 1. September 1960 vorlesen — eine Meldung aus Regensburg —:
„Erstmalig kann davon gesprochen werden, daß auch bei uns in allen Branchen ein scharfer Wettbewerb um Arbeitskräfte eingesetzt hat", stellt die Industrie- und Handelskammer Regensburg in ihrem Geschäftsbericht für 1959/ 1960 fest. Auf Grund der allgemeinen Arbeitsmarktlage sei der industrielle Sektor des ostbayerischen Regierungsbezirkes Oberpfalz durch Ansiedlung neuer Betriebe erfreulich gestärkt worden.
Im Geschäftsjahr wurden nicht weniger als 49 Betriebe mit zehn und mehr Arbeitskräften im Regierungsbezirk angesiedelt, das sind mehr als in den vorangegangenen vier Jahren zusammen.
In diesem Zusammenhang mahnt die Industrie-und Handelskammer Regensburg, daß in der gegenwärtigen Konjunktursituation die öffentlichen Mittel, die zur Industrieansiedlung zur Verfügung stehen, nur noch nach sehr sorgfältiger Prüfung in bezug auf branchenmäßige und regionale Gesichtspunkte eingesetzt werden sollten. Problematisch sei ,die Förderung von Industrieansiedlungen in j enen Bereichen des Regierungsbezirkes, in denen die Vollbeschäftigung bereits erreicht sei. Andererseitsseien in der Oberpfalz aber auch noch weitere Voraussetzungen für neue Betriebe gegeben ...
Soweit der Artikel. Ich wollte ihn Ihnen zur Kenntnis bringen, weil er mir in gewissem Sinne für die Probleme symptomatisch zu sein scheint, denen wir heute gegenüberstehen und in der nächsten Zeit gegenüberstehen werden.
Natürlich hat es sich gezeigt, daß in einzelneu Teilen dieser Gebiete Spannungen auf dem Arbeitsmarkt bestehen, ähnlich — natürlich in abgemildeter Form — wie es in den Ballungsgebieten zu beobachten Isst. Man wird an den Klagen der ansässigen Wirtschaft über die Schwierigkeiten, die sich 'daraus ergeben, nicht vorübergehen dürfen. Trotzdem muß man sich darüber klar sein, daß solche Spannungen in einer Aufwärtsentwicklung einfach unvermeidlich sind. Niemand hat es in der Hand, einen Weg zu finden, um dieses Gebiet sozusagen nach Maß zu regulieren. Wenn wir jetzt nicht den Mut haben, einzelne Schwierigkeiten bei der Industrialisierung in Kauf zu nehmen, wann sollen wir dann eigentlich an einestrukturelle Ändeirung der zurückgebliebenen Teile der Bundesrepublik herangehen? Wann sollen wir diese Frage auf greifen?

(Abg. Junghans: Sagen Sie das zur Regierungsbank!)

— Ich werde Ihnen die Frage nachher ohne Blick auf die Regierungsbank, vielleicht im Blick auf Sie, noch im Detail beantworten.
Wir wissen alle, daß in einer Zeit der zurückgehenden Konjunktur bestimmt nicht das geeignete Klima vorhanden ist, das wir dafür brauchen.
In dem erwähnten Artikel wird weiter gesagt, daß sich die Ansiedlung der Industrie nicht gleichmäßig auf das ganze Gebiet verteile. Darin liegt natürlich eine Problematik. Es ist selbstverständlich, daß man sich darüber Gedanken machen muß, wie die Streuung am besten erfolgt. Sie muß zumindest so weit gehen, daß alle Arbeitsamtsbezirke — die Arbeitsamtbezirke erstrecken sich bekanntlich über nicht allzu große Räume — an der Aufwärtsentwicklung partizipieren.
Oft ist auch der Wunsch ausgesprochen worden, daß auch im kleinsten Raum, also extrem gesprochen: in jedem Dorf, die Industrialisierung erfolgen solle. Die Damen und Herren des Ausschusses erinnern sich, daß wir gerade dieses Problem sehr ausführlich beraten haben. Wir sind dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß das nicht das Ziel der regionalen Förderung sein kann. Wir glaubten vielmehr, daß es vernünftig sei, in der Bundesrepublik außerhalb der Ballungsräume kleine und mittlere Schwerpunkte des gewerblichen Lebens zu schaffen. Soweit mir bekannt ist, wird im übrigen auch in dem Gutachten, das eine Arbeitsgruppe innerhalb der Bundesregierung zur Zeit erstellt, diese Auffassung geteilt.
Einen ersten Versuch in dieser eben angedeuteten Richtung stellt das Entwicklungsprogramm für zentrale Orte dar. Wir können heute feststellen, daß sich dieses Programm sehr bewährt hat. Das beweisen ,die Zahlen. Nach meinen Informationen sind bereits Projekte in einer Größenordnung von zirka 20 Millionen DM in Bearbeitung. Man kann davon



Wacher
ausgehen, daß nach Abschluß dieser Hilfen Investitionen durchgeführt sein werden, durch die 5- bis 7000 Arbeitsplätze in den zentralen Orten geschaffen werden. Das Programm ist versuchsweise gestartet worden, und wir werden es weiterhin sehr genau beobachten. Wir werden, wenn sich der gute Eindruck dieses Versuchsprogramms bestätigt, einer Ausdehnung dieses Programms — bei einer besonderen Berücksichtigung der Zonenrandgebiete — weitere Beachtung zu schenken haben.
Ich glaube, daß diese Art — ich möchte fast sagen: diese moderne Art — regionaler Wirtschaftsförderung in Gestalt des Ausbaus gewisser Schwerpunkte, wie man es mit dem Programm versucht hat, uns alle miteinander ein wesentliches Stück weitergebracht hat. Es hat sich gezeigt — darüber sind wir froh —, daß eine Kleinstadt mit einigermaßen guten Voraussetzungen durchaus als angenehmer Wohnort empfunden wird. Ich meine, daß wir mit diesem Programm geradezu die Dekonzentration praktizieren.
Außerdem — auch das möchte ich ganz kurz anführen dürfen — wird doch bei dieser Art der Förderung vermieden, daß einzelne Dörfer in ihrer Entwicklung zu sehr vom Schicksal eines Betriebes abhängig gemacht werden. Wenn nur ein einziger Betrieb vorhanden ist, dann besteht die Gefahr, daß das Leben des Dorfes zu sehr durch den Werdegang dieses Betriebes bestimmt wird. Eine Krise des Betriebes wird dann gleichzeitig zu einer Krise für das Dorf. Das dürfen wir in diesem Zusammenhang nicht ganz übersehen.
Die positive Entwicklung, die wir in den Kristallisationspunkten feststellen, können wir im Laufe der nächsten Jahre auch außerhalb der Zonenrandgebiete bei anderen Belangen fördern. Es besteht nämlich nach wie vor die Aufgabe, die Entwicklung der am meisten zurückgebliebenen Landkreise so weit voranzutreiben, daß ein solches Niveau erreicht wird, wie es heute verlangt werden muß.
Die Kollegen aus dem Zonenrandgebiet haben Gerechtigkeit für dieses Gebiet und die Sanierungsgebiete verlangt. Wir müssen jetzt aber auch Gerechtigkeit bei der Verteilung der Mittel innerhalb des Zonenrandgebietes üben.

(Zustimmung in der Mitte.)

Wir müssen also zurückgebliebene Landkreise bevorzugt fördern. Es wird sich dabei in erster Linie um Erschließungsmaßnahmen — also um den Straßenbau und die Wasserversorgung — handeln. Es braucht uns nicht allzu sehr zu wundern, daß sich gegen ein solches Programm, das schwerpunktmäßig einzelne Gebiete hervorhebt und notwendigerweise andere Gebiete weniger als bisher berücksichtigt, die Landkreise und Städte wenden, die bei der bisher breit gestreuten Förderung begünstigt waren. Ich verstehe solche Beschwerden, bin aber nicht der Meinung, daß man ihnen nachgeben muß. Ich habe selbstverständlich erwartet, Herr Höhmann, daß Sie diese Beschwerden aufgreifen würden, und daß Sie es getan haben, war Ihr gutes Recht. Aber meine Meinung, die sich auf eine gute Beobachtung gründet, ist, daß sich jetzt schon zeigt, daß
sich dieses Nachholprogramm bewährt hat. Meine Damen und Herren, es ist ganz einfach falsch, zu sagen, daß dieses Nachholprogramm zu Lasten der Zonenrandgebiete laufe. Das trifft eindeutig nicht zu.
Das Nachholprogramm umfaßt, wie ich feststellen konnte, jetzt insgesamt 30 Landkreise; davon liegen 17 im Zonenrandgebiet. Ich darf Ihnen das an Hand der bayerischen Verhältnisse, die ich besonders gut kenne, etwas näher darlegen. In Bayern liegt es so, daß diese Mittel überwiegend in die Zonenrandgebiete fließen, weil nämlich das schwierigste Gebiet — Sie kennen es, wir haben uns oft genug über dieses Gebiet unterhalten und unterhalten müssen, es ist der Bayerische Wald — im Zonenrandgebiet liegt. Von den 20 bayerischen Landkreisen, die in dieses Programm einbezogen wurden, liegen 14 im Zonenrandgebiet selbst.
Ein zweiter Einwand: Man hat erklärt, daß durch die Schwerpunktbildung Mittel in Gebiete geschleust würden, in denen eine sinnvolle Verwendung nicht gewährleistet sei. Solch ein Argument ist nicht stichhaltig und kann nicht stichhaltig sein, solange es bei der allgemeinen Kritik bleibt und man uns nicht sagt, welche Projekte, die im Nachholprogramm zum Zuge gekommen sind, abzulehnen sind. Ich habe bisher eine Konkretisierung in dieser Richtung noch von nirgendher gehört.
Im übrigen ist es wohl so — das darf ich vielleicht auch sagen, gerade weil ich aus dem Zonenrandgebiet komme —, daß jeder, der in der Vergangenheit irgendwelche Mittel bekommen hat, glaubt, geradezu einen Rechtsanspruch auf Fortsetzung der Zuwendungen zu besitzen. Meine Damen und Herren, so sind wir nicht angetreten und so haben wir auch nie gewettet. Ich weiß, daß sich weite Kreise der Empfänger an diese Mittel gewöhnt haben. Aber wir haben die Mittel in der Absicht ausgegeben — und sollten dabei eigentlich bleiben —, daß sie eine Initialzündung darstellen. Sonst könnten sie nicht berechtigt sein.
Ich möchte aber bitte nicht mißverstanden werden. Ich habe immer und überall erklärt und darf es auch heute tun, daß ich nach wie vor für die Fortführung dieser regionalen Förderungsmaßnahmen bin und daß ich sie für dringend notwendig erachte. Die Kollegen aus dem Unterausschuß haben die Unterlagen und wissen, daß diese weiterhin notwendig sind. Kein Mensch kann bestreiten — Herr Höhmann hat es auch nicht getan —, daß das Zonenrandgebiet aufgeholt hat; aber jeder muß erkennen, daß das Zonenrandgebiet das übrige Gebiet noch lange nicht eingeholt hat. Dasselbe gilt für das Sanierungsgebiet.

(Zuruf von der SPD: Na also!)

Dieses Einholen wird auch weiterhin — in voller Einmütigkeit — unser Ziel sein.
Gestatten Sie mir zum Schluß noch eine Bemerkung über den Umfang der Mittel. Herr Höhmann, Sie waren vorhin daran besonders interessiert. Wir dürfen hier in dem Hohen Hause doch einmal betonen, daß sich der Haushaltsansatz für das regionale Förderungsprogramm in den letzten drei Jahren nicht wesentlich verändert hat — nicht nach



Wacher
oben, aber auch nicht nach unten, wie es manchmal behauptet wird. Im Jahre 1959 standen ohne Rückflüsse 115 Millionen DM zur Verfügung, im Jahre 1960 eine entsprechende Summe, wenn wir das Rumpfjahr berücksichtigen. Es ist uns aber gelungen — und wir haben das sehr begrüßt —, zusätzlich zu diesen Haushaltsmitteln wesentliche Geldquellen zu erschließen. Die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung hat seit dem Jahre 1959 60 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Diese 60 Millionen DM wurden gut angewandt für Industrieansiedlung im regionalen Förderungsgebiet. Sie wurden zu einem Zinsatz von 3,5 % p. a. gegeben, der im übrigen dem Zinssatz für die Haushaltsmittel entspricht. Außerdem hat die Bundesanstalt 20 Millionen DM für den Facharbeiterwohnungsbau im Zonenrandgebiet und Sanierungsgebiet zur Verfügung gestellt. Schließlich darf man auch die 65 Millionen DM ERP-Mittel nicht vergessen, die in dem gleichen Zeitraum zur Verfügung gestellt wurden. Im übrigen ist hier der Zinssatz — nicht zuletzt auf Grund unserer Beratungen im Ausschuß — um 1 % herabgesetzt worden.
Von allen diesen Mitteln ist ein großer Teil — und darum geht es ja heute besonders — in das Zonenrandgebiet geflossen. Es ist, das gebe ich zu, nicht ganz leicht, den genauen Prozentsatz festzustellen. Aber man kann doch mit Sicherheit davon ausgehen, daß mindestens 60 % der gesamten Mittel dem Zonenrandgebiet zugute kommen.
Im übrigen — auch das muß immer wieder erwähnt werden — muß man ja berücksichtigen, daß bestimmte Förderungsmaßnahmen — Zinszuschüsse, Frachthilfen — nur den Zonenrandgebieten und nicht den übrigen verkehrsfernen Gebieten zugute kamen, und ich glaube, auch weiterhin zugute kommen sollen.
Wenn man die Haushaltsmittel und die zu den Haushaltsmitteln hinzukommenden ERP- und Bundesanstalt-Gelder berücksichtigt, kann man, glaube ich, mit Fug und Recht feststellen, daß ein ganz ansehnliches Förderungsvolumen erreicht wurde.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es kann bei dieser Situation sicher nicht davon gesprochen werden, daß die Förderungsmaßnahmen für die Zonenrandgebiete sich als unzureichend erwiesen hätten. Meine Damen und Herren, wir würden diesem Gebiet den schlechtesten Dienst erweisen, wenn wir uns in Übertreibungen hieinsteigerten. Ich glaube, daß wir diesem Gebiet den besten Dienst erweisen, wenn wir an Hand exakter Unterlagen nachweisen — und das können wir —, daß für die nächsten Jahre noch einiges zu tun ist.
Der Weg, den wir beschritten haben, war, das hat sich heute gezeigt, nicht falsch.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ihn folgerichtig den Verhältnissen angepaßt weiter zu verfolgen wird unsere Aufgabe sein.
Die Gründe, die dazu führten, daß wir die weitgehenden Anträge in Drucksache 479 abgelehnt haben, sind in dem Bericht dargelegt.

(Abg. Franke: Bescheidener konnten sie gar nicht gestellt werden!)

Ich glaube, aus Gründen der Zeitökonomie sollte ich im einzelnen nicht darauf eingehen. Meine Damen und Herren, es ist ganz einfach nicht richtig, daß wir im Unterausschuß alles, was Sie vorgebracht haben, niedergewalzt hätten. Das stimmt nicht.

(Abg. Franke: Nein; Sie haben zugestimmt, daß es richtig ist, aber die Anträge haben Sie abgelehnt!)

Sehr verehrter Kollege, Sie wissen, wollen es aber nicht laut sagen, daß Ihre Anträge immerhin die runde Summe von 8,7 Milliarden DM in fünf Jahren beinhalten.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, Sie können ja doch nicht angenommen haben, daß diese 8,7 Milliarden DM hätten realisiert werden können. Ihre Anregungen sind im Ausschuß durchaus nicht einer Ablehnung verfallen. Herr Höhmann, ich bitte doch selbst zu beurteilen, ob 8,7 Milliarden noch als realistische, ob sie nicht vielleicht doch als leicht — ich bin ganz vorsichtig — utopische Anträge gewertet werden müssen.

(Abg. Höhmann: Sagen Sie doch: „17 Milliarden in zehn Jahren!")

— Aber Herr Höhmann, ich traue Ihnen doch zu, daß Sie 8,7 Milliarden durch fünf dividieren können.
Meine Damen und Herren, es geht uns um die Fortführung dieser Programme zumindest in gleicher Höhe. Ich begrüße daher sehr, daß das Bundesfinanzministerium auf Anregung von Herrn Kollegen Niederalt die diesjährige 10 %ige Kürzung für den Einzelplan 60 Titel 571 und für das kulturelle Programm aufgehoben hat.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf.)

— Wie es sie in den letzten Jahren auch aufgehoben hatte. Das ist gar keine Novität, und es soll niemand auf die Idee kommen, daß das wieder etwas mit dem Wahlkampf zu tun habe.

(Zuruf von der SPD: Natürlich!)

Das bedeutet, meine Damen und Herren, daß wir dann auch damit rechnen können, daß im nächsten Jahr die jetzt nicht angesetzten 10 % wegen der Freigabe in diesem wie auch im letzten Jahr hinzukommen würden. Das würde bedeuten, daß wir wieder mit den alten Ansätzen rechnen können. Im übrigen sind auch formell die Anträge bereits gestellt.
Meine Damen und Herren, eine weitergehende Zustimmung der Mehrheit des Ausschusses, als sie aus dem Bericht hervorgeht, zu den SPD-Anträgen war nicht möglich, Ich glaube, die dargelegte Begründung ist einleuchtend.
Herr Kollege Höhmann, Sie haben ja unsere Arbeit im Ausschuß nicht gerade gelobt. Darf ich genau



Wacher
das Gegenteil sagen. Ich möchte als Vorsitzender des Unterausschusses die Feststellung treffen, daß alle Fraktionen sehr ernsthaft und sehr gewissenhaft an der Lösung dieser Probleme mitgearbeitet haben. Dafür möchte ich persönlich danken.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0312715000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Huys.

Dr. Lambert Huys (CDU):
Rede ID: ID0312715100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In kurzen Ausführungen möchte ich zu dem Bericht über den Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 588 betreffend kulturelle Förderungsmaßnahmen im Zonenrandgebiet Stellung nehmen und die Auffassung der CDU/CSU-Fraktion darlegen und begründen.
Wir stimmen mit der Opposition darin durchaus überein, daß die Förderung kultureller Maßnahmen im Zonenrandgebiet auch eine politische Aufgabe von gesamtdeutschem Interesse ist. Das ist von uns immer wieder betont worden. Wir haben auch gemeinsam die praktischen Konsequenzen daraus gezogen, indem wir ein Förderungsprogramm geschaffen und finanziert haben, das bereits große Erfolge erzielt hat, die sowohl von den Vertretern der Kultusministerien der Zonenrandländer als auch von den Antragstellern heute und in den früheren Jahren in den Debatten ausdrücklich anerkannt worden sind. Soweit ist alles klar und selbstverständlich.
Die SPD-Fraktion geht nun in ihrem Antrag davon aus, die praktischen Erfahrungen der letzten Jahre hätten gezeigt, daß die bisher bereitgestellten Mittel zu gering waren.
Die praktischen Erfahrungen sind bekanntlich in den jährlichen Berichten der Vertreter der Kultusministerien der Zonenrandländer und in den zusammengefaßten Berichten des Gesamtdeutschen Ministeriums über die Auswirkung des kulturellen Förderungsprogramms niedergelegt.

(Abg. Franke: Daraus haben wir doch diese Angaben entnommen!)

— Eben, genau das, Herr Kollege Franke. Diese Berichte sind erfreulich positiv, denn sie zeigen den eindrucksvollen Erfolg dieser kulturellen Förderungsmaßnahmen der Bundesregierung auf. Sie schließen — und welcher Bericht an eine geldgebende Stelle würde das nicht tun! — meistens mit einer bescheidenen Bitte: „Gebt uns etwas mehr Geld, dann können wir etwas mehr tun." Ich habe von einer bescheidenen Bitte gesprochen; sie ging nämlich dahin, die Mittel ein wenig zu vermehren. Genau diese Bitte haben auch die Vertreter der Zonenrandländer 1958 bei der Beratung der Haushaltspläne im Bundesrat geäußert; sie haben die Bitte geäußert, die Ansätze für die Förderung der Schulbauten von 9 auf 10 Millionen DM und die Ansätze für die allgemein kulturellen Maßnahmen von 3 auf 4 Millionen DM zu erhöhen. Die Bundesregierung hat sich dieser Bitte nicht verschlossen; sie hat die Mittel 1959 im Einzelplan 27 01 Tit. 602 a auf 10 Millionen DM und auf Anregung des Unterausschusses für Zonenrandländer 1960 auf 12 550 000 DM
und 1961 auf 12 750 000 DM veranschlagt. Außerdem hat sie den Ansatz des Einzelplans 27 01 Tit. 602 b von 3 auf 4 Millionen DM erhöht, wobei betont werden muß, daß die sonst üblichen Sperren von 6, 9 oder 10 % für diese Ansätze nicht durchgeführt worden sind. Wir haben, wie Sie bereits gehört haben, die Zusage des Herrn Finanzministers, daß die 10 %ige Kürzung für 1960 und 1961 wegfällt. Damit erreicht Tit. 602 b entgegen dem vorliegenden Entwurf wieder den Betrag von 4 Millionen DM. Das wollen wir doch dankbar anerkennen. Sehen Sie, das ist eine gute Zusammenarbeit von Bund und Ländern in dieser Frage: Maßvoll die Bitte, maßgerecht die Erfüllung der Bitte!
Nun einige Ausführungen zu den einzelnen Punkten Ihres Antrags. Sie sagen, die Voraussetzung für den Einsatz der Mittel sei noch verbesserungsfähig. Deshalb verlangen Sie in Punkt 1 Abs. 1 die Sicherung der Mittel für einen mehrjährigen Zeitraum. Sie haben in den Beratungen im Ausschuß auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die bei wirtschaftlich schwachen Gemeinden im Zonenrandgebiet entstehen können, wenn sie bei größeren Bauten nicht sicher mit Hilfen bis zur Vollendung der Maßnahmen rechnen können. Das erkennen wir in der Sache als richtig an; aber es gibt etatrechtliche Bedenken. Deshalb haben wir nicht zugestimmt, — aus persönlicher Kenntnis vieler derartiger Vorgämge, möchte ich hinzufügen.
Praktisch geschieht esdoch so, daß die verantwortlichen Männer beim Land unid in den jewelligen Regierungsbezirken die einzelnen Gemeinden gut beraten unid vorausschauend planen und den Gemeinden für 'ein oder zwei Jahre auch Zusicherungen geben, allerdings unter dem Vorbehalt, daß die vom Bund bereitgestellten Mittel weiterhin in derselben Höhe gegeben werden. Darin sind die Länder bisher nicht enttäuscht worden, und keiner in 'diesem Hause denkt daran, die Beträge zu streichen oder zu kürzen; denn die stetige zusätzliche Hilfe für das Zonenrandgebiet ist für uns wesentliche Verpflichtung und eine Voraussetzung des Erfolges auf lange Zeit.
Nach Abs. 2 des Punktes 1 wollen die Antragsteller eine Vergabe der Bundesmittel auch ohne Bindung an die Bereitstellung von Mitteln der Länder und der örtlichen Träger ermöglichen. Sie haben im Ausschuß dargetan, es könnten unter Umständen gerade da keine Maßnahmen durchgeführt werden, wo sie aus politischen Gründen 'am notwendigsten seien. Unsere Fraktion isst jedoch der Auffassung, daß sich die bisherige Praxis bewährt hat, bei der die Empfänger von Beihilfen sich je nach der Eigenart des Einzelfalles an den von ihnen angeregten Maßnahmen in angemessener Weise beteiligen sollen. Das heißt, daß man .auch bei kulturellen Maßnahmen an .dem Subsidiaritätsprinzip festhalten sollte. Zweifellos ist dadurch die staatliche, kommunale und private Initiative angeregt und auch eine Breitenwirkung erzielt worden. Außerdem entspricht es der Grundauffassung dieses Hohen Hauses, daß die kulturelle Förderung des Zonenrandgebietes eine gemeinsame Aufgabe der örtlichen Träger und der Zonenrandländer ist, wobei der Bund im gesamtdeutschen Interesse subsidiär eingreift.



Dr. Huys
Persönlich möchte ich hinzufügen, daß mir beim Durchdenken dieses Punktes die Möglichkeit gegeben schien, bei bestimmten Maßnahmen sollte nicht ,der örtliche Träger sondern nur das Land zur Beihilfe hinzugezogen werden. Ich denke an den Fall, daß man etwa an der Grenzstation am Elbstrom in Schnackenburg, wo die Schiffer, auch die ausländischen, noch einmal an Land gehen, ein Grenzlandhaus errichten wollte. Denn ein solches Haus hat überörtlichen Charakter, und man könnte sagen, dafür könne Schnackenburg nichts aufbringen. Das ist klar. Immerhin ist aber auch in einem solchen Fall bereits die Initiative von anderer Seite ergriffen worden. Denn es gibt einen Verein „Gemeinschaftswerk Zonenrandhäuser e. V." . Man sollte meines Erachtens diesem Gedanken im Gesamtdeutschen Ministerium großes Interesse entgegenbringen.
Die SPD-Fraktion verlangt dann .für die nächsten beiden Haushaltsjahre eine Erhöhung ,des Ansatzes in Kap. 2701 Tit. 602 a — Zuschüsse zur Förderung von Schulbauten — auf jährlich 18 Millionen DM und 'des Ansatzes in Kap. 2701 Tit. 602 b — Förderung von kulturellen Maßnahmen gesamtdeutschen Charakters im Zonenrandgebiet — auf jährlich 10 Millionen DM.

(Abg. Franke: Herr Kollege, das entfällt doch schon; der Antrag war 1958 gestellt, jetzt haben wir 1960!)

— Eben, wir kommen gleich bei Punkt 2 dahin. Herr Kollege Franke, .als die Mehrheit im Ausschuß haushaltsrechtliche Bedenken anmeldete haben Sie gesagt, Sie wollten es auf 1959 beschränken. Sie, Herr Kollege Höhmann, haben heute wieder, auch schon vorhin bei der Haushaltsdebatte, auf die Schulraumnot im Zonenrandgebiet hingewiesen. Keiner von uns verkennt die Schulraumprobleme, keiner verkennt, daß durch die Grenzziehung eine besondere Schulraumnotentstanden ist. Keiner verkennt, daß weiterhin zielstrebig an der Beseitigung dieser Notstände gearbeitet werden muß. Doch glauben wir im Hinblick auf die im Grundgesetz getroffene Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern, daß Schulbauten in erster Linie eine kommunale, in zweiter Linie eine Angelegenheit der Länder sind. Das Grundgesetz gibt auch keinerlei Handhabe dafür, daß sich der Bund generell an den Schulbauten mit einem Drittel beteiligen solle oder müsse. Herr Kollege Höhmann, Sie haben vorhin gesagt, der Bund soll im Zonenrandgebiet generell ein Drittel geben. Sie werden doch wohl zugeben, daß nicht alle Schulräume des Zonenrandgebietes nur deshalb entstehen, weil eine künstliche Grenze geschaffen wurde. Sicherlich werden die Mittel des Bundes nur zusätzlich gegeben, gerade dort, wo Schulbauten errichtet werden müssen, weil die künstliche Grenzziehung solche erforderlich gemacht hat.
Die Auskunft eines Vertreters der Kultusministerien der Zonenrandländer in den Ausschußberatungen gab im Grunde genommen nur einen rohen Überschlag über die noch zu errichtenden Schulbauten und keineswegs eine Zusammenfassung konkret vorliegender Pläne mit gut errechnetem Kostenaufwand. Zudem konnte der Vertreter nichts darüber aussagen, ob und in welchem Umfang die Schulraumrot im Zonenrandgebiet größer ist als im Durchschnitt des Bundesgebiets. Deshalb sind wir der Auffassung, daß das Schulraumproblem des Zonenrandgebiets in das Gesamtproblem der Schulraumnot hineingestellt und mit ihm zusammen gelöst werden muß.
Jedenfalls sind erstens die Mittel, wie bereits erwähnt, für das Zonenrandgebiet von der Bundesregiertung erhöht worden. Zweitens — darauf möchte ich besonders hinweisen — hat auch der Bundesrat diese wohl für ausreichend gehalten; denn er hat keine Erhöhungen beantragt. Drittens — das möchte ich auch betonen — werden sie doch zusätzlich zur Linderung der Nöte des Zonenrandgebietes bereitgestellt. Immerhin wollen wir dankbar anerkennen, daß von 1951 bis heute bereits rund 76 Millionen DM zur Verfügung gestellt worden sind. Ich glaube, das ist sehr beachtlich für eine Spitzenfinanzierung.
Nach dem neuesten zusammenfassenden Bericht des Gesamtdeutschen Ministeriums vom 16. Mai 1960 ist mit den bereitgestellten Bundesmitteln im Jahre 1959 im Zonenrandgebiet der Bau von 114 Volksschulen, 10 Mittelschulen und 23 höheren Schulen finanziert worden.

(Hört! Hört! hei der CDU/CSU. — Abg. Höhmann: Wissen Sie denn, was eine Schule kostet?)

— Ja, das weiß ich ganz genau, Herr Höhmann. Sie wissen auch, daß wir immer wieder betont haben: es sind zusätzliche Mittel und es ist eine Spitzenfinanzierung.

(Zuruf von der SPD: Darin unterscheiden wir uns!)

Ich darf Ihnen gleich auch noch sagen, was zusätzlich gegeben ist; denn es fließen, das wissen Sie doch ganz genau, auch andere Mittel in den Schulbau.
Weiterhin verlangt die SPD-Fraktion eine Erhöhung der Mittel für kulturelle Maßnahmen gesamtdeutschen Charakters von 3 auf 10 Millionen DM. Zur Begründung führte sie im Ausschuß an, es solle erstens indirekt durch Anlage- und Einrichtungsbeihilfen der verschiedensten Art das kulrelle Gesamtbild des Zonenrandgebiets mitbestimmt und zweitens durch finanzielle Unterstützung vieler Einzelmaßnahmen die geistige Abwehrkraft: der Zonenrandbevölkerung gegenüber Infiltrationsversuchen der Ostzone gestärkt werden. Für heide Ziele reichten die bereitgestellten Mittel nicht aus.
Sicherlich bejahen auch wir, daß weitere Mittel sinnvoll eingesetzt werden können. Wesentlich und entscheidend — das haben Sie vorhin allerdings so abwertend hingestellt — scheint uns aber nicht die Höhe der Mittel zu sein, sondern vielmehr die Entwicklung eines vitalen Kulturbewußtseins in den verkehrsfernen Zonenrandgebieten. Daß wir in dieser Hinsicht auf Grund unserer langjährigen Zielstrebigkeit auf diesem Gebiet wirklich große Erfolge zu verzeichnen haben, können Sie aus allen Berichten der Kultusministerien der Zonenrandländer herauslesen. Die Bundesregierung ist auch



Dr. Huys
hier den Bitten auf Erhöhung dieses Titels von 3 auf 4 Millionen DM bereits nachgekommen. Zudem möchten wir bei dieser Gelegenheit auch darauf hinweisen, daß die Zonenrandgebiete keineswegs allein auf diese Mittel angewiesen sind. Sie wie wir wissen, daß in die Zonenrandgebiete beträchtliche Bundesjugendplanmittel geflossen sind und fließen und daß das Bundesinnenministerium Sondermittel für die Spitzenfinanzierung von Turn- und Sportstätten zur Verfügung stellt und daß seit dem letzten Jahr nach der Erhöhung dieses Titels um 5 Millionen DM davon 1 Million DM nur für die Förderung von Sportanlagen in den Zonenrandgebieten reserviert sind.
Denken Sie weiterhin an die erheblichen Beträge, die für wissenschaftliche Forschungseinrichtungen auf Grund des Königsteiner Abkommens ausgegeben werden, und an die Beträge, die den Hochschulen dieser Gebiete auf Grund der Empfehlung des Wissenschaftsrates gegeben werden.
Aus den Mitteln des regionalen Förderungsprogramms 1959 sind allein für den Regierungsbezirk Lüneburg folgende Mittel gezahlt worden: Landkreis Uelzen — Berufsschulbau — 150 000 DM Zuschuß von 50 000 DM Darlehen, Landkreis Gifhorn — Berufsschulbau — 75 000 DM Zuschuß und 75 000 DM Darlehen, Handwerkskammer LüneburgStade — Gewerbeförderungsanstalt — 60 000 DM Zuschuß, Handwerkskammer Lüneburg-Stade — Schulungsgebäude — 55 000 DM Zuschuß und 55 000 DM Darlehen, Landkreis Harburg — Landwirtschaftsschule und Wirtschaftsberatungsstelle Winsen — 12 500 DM Zuschuß und 12 500 DM Darlehen, Landkreis Lüchow-Dannenberg — Landwirtschaftsschule und Wirtschaftsberatungsstelle Lüchow —50 000 DM Zuschuß und 50 000 DM Darlehen. Insgesamt sind 1959 allein für den Regierungsbezirk Lüneburg an Zuschüssen 402 500 DM und an Darlehen 242 500 DM gegeben worden.

(Zuruf von der der SPD: Was ist denn das?!)

— Alles zusätzlich! Kollege Höhmann hat vorhin gesagt, das sei doch eigentlich gar nichts. Aber Sie wissen ja, daß diese Mittel alle zusätzlich gegeben worden sind.
Zusammenfassend möchte ich erklären, daß wir glauben, zur Förderung von kulturellen Maßnahmen Beachtliches getan und gute Erfolge erzielt zu haben, und uns verpflichtet fühlen, auf Jahre hinaus zusätzliche Mittel bereitzuhalten.
Ganz am Rande möchte ich auch über ein Problem sprechen, das meines Erachtens in den Rahmen einer Aussprache über das Problem „kulturelle Maßnahmen im Zonenrandgebiet" gehört. Es handelt sich um die außerordentlich guten Möglichkeiten zum Empfang des sowjetzonalen Rundfunks und des sowjetzonalen Fernsehens in diesen Teilen der Bundesrepublik. Ich hoffe, daß die deutschen Rundfunkanstalten, speziell aber der noch zu errichtende Deutschlandfunk der Rundfunk- und Fernsehbetreuung der Zonenrandgebiete besondere Aufmerksamkeit schenken werden.
Aus den angegebenen Gründen haben wir mit der Mehrheit des Ausschusses die Anträge der SPD-Fraktion abgelehnt. Meine Fraktion stimmt dem Antrag des Ausschusses — nach der vorhin gegebenen Berichtigung handelt es sich nur noch um die Ziffern 2 und 3 — in Drucksache 1418 zu. Ich möchte nochmals betonen, daß wir auf Grund der Berichte der Ländervertreter die Konsequenzen gezogen haben. Die Gesamtansätze dieser beiden Titel sind seit 1958 von 12,3 auf jetzt insgesamt 16,75 Millionen DM erhöht worden. Dafür danken wir ganz besonders dem Gesamtdeutschen Ministerium, bei dem wir Abgeordneten der Zonenrandländer immer Verständnis für unsere Sorgen und Nöte gefunden haben. Besonderer Dank soll bei dieser Gelegenheit aber auch den kommunalen Trägern und den Ländern gezollt werden, die durch ihre finanziellen Opfer zu dem Erreichten beigetragen haben. Wir wissen um unsere Verpflichtung und Verantwortung für diese Gebiete. Stetig und mit langfristiger Planung wollen wir weiterhin unsere bisherigen Erfolge aushauen im gesamtdeutschen Interesse zum Nutzen der Bevölkerung an einer künstlichen Grenze, die wir niemals anerkennen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0312715200
Das Wort hat der Abgeordnete Kreitmeyer.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0312715300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die sehr erfreulichen Ausführungen meines Lüneburger Doppelkollegen muß ich nur in einer Hinsicht etwas ergänzen. Es hat mich sehr gefreut, zu hören, wir seien in kulturpolitischen Angelegenheiten einer Meinung. Betrüblich war aber die Äußerung eines Sprechers in der Haushaltsdebatte heute früh, der meinte: Wie kommt das arme Niedersachsen überhaupt dazu, sich um das neunte Schuljahr zu kümmern!! — Diese Dinge bedürfen einer Ergänzung.
Nicht zustimmen kann ich der Ansicht, eine kontinuierliche Unterstützung der Zonenrandgebiete sei aus haushaltsrechtlichen Gründen nicht zu verantworten. Meine Damen und Herren, in Niedersachsen kann überhaupt nichts gebaut werden, wenn nicht vor vornherein für fünf bis fünfzehn Jahre Zinsverbilligungen in den Haushalt eingestellt sind. Selbstverständlich kann keine Regierung das Risiko übernehmen, zu garantieren, daß die nächste wiederum die Zinsverbilliaung auf 15 Jahre vorsehen wird. Diese Angelegenheit muß eine vorrangige Bewertung erhalten. Deshalb halte ich es nicht für sehrglücklich. sich mit der Erklärung abzufinden. daß ein mehrjähriges Strukturprogramm aus haushaltsrechtlichen Gründen nicht zulässig sei. Wir haben unser Grundgesetz geändert, als es galt, die Bundeswehr aufzubauen, wir hatten für den Luftverkehr sofort eine Grundgesetzänderung bereit, für den Notstand werden wir hoffentlich noch zu einer Grundgesetzänderung kommen. Im vorliegenden Fall geht es um die Erhaltung der kommunalen Selbstverwaltung in den Zonenrandgebieten. Wenn wir nicht in der Lage sind, auch hier eine Grundgesetzänderung durchzuführen, dann werden wir die Grundlagen,



Kreitmeyer
auf denen wir aufbauen, in dem Moment zerstören, wo gerade dort mit ihrer Hilfe in den armen Gebieten am überzeugendsten gewirkt werden soll. Aus diesen Gründen möchte ich doch sehr deutlich klarmachen, daß es so nicht geht.
Meine Damen und Herren, nehmen Sie doch bitte endlich einmal zur Kenntnis, daß zwischen Ländern und Ländern ein erheblicher Unterschied besteht. Der Finanzausgleich setzt zum Beispiel die Steuerstärke des Landes Niedersachsen ohne Ausgleich mit 78,98 %, auf 100 gerechnet, an. Wenn dann der wunderbare Finanzausgleich durchgeführt wird, sind es ganze 88 %. Wir bleiben also immer noch grundsätzlich um 12 % unter 100 zurück. Im Gegensatz dazu bleiben die reichen Länder nach wie vor über 100 %. Man sollte durchaus mit den kleinsten gezielten Beiträgen eines finanzschwachen Landes innerhalb des Zonenkreises zufrieden sein und es begrüßen, daß ein solches Land es überhaupt noch wagt, an diese Aufgaben heranzugehen, und sich in dieser Weise lange Zeit verschuldet. Es ist also. nicht angemessen, in der Form Kritik zu üben, wie es hier geschehen ist.
Zum dritten. Was ist es eigentlich für ein klägliches Mißtrauen, das sich hier offenbart! Es heißt im Bericht, das Land könne dann Verschiebungen innerhalb seines Haushalts vornehmen, weil der Bund ihm gewisse Hilfen gegeben habe. Meine Damen und Herren, unsere Haushalte sind für alle einsehbar, die Rechnungsprüfungsberichte sind ebenfalls für alle einsehbar. Ein armes Land kommt überhaupt nicht auf die Idee, etwas auszugeben, was '1 nicht vor der Allgemeinheit im Dienste der guten Sache verantwortet werden könnte. Im nächsten Satz des Berichts heißt es dann: Um eine elastische Handhabung der Mittel gewährleisten zu können, verlangen wir, daß die Anträge bis nach oben durchlaufen. Wir haben ohnehin schon zu wenig Verwaltungsbürokratie! Wenn jeder einzelne Antrag von jeder Gemeinde bis nach oben durchlaufen muß, dann ist das sicher nicht gerade förderlich; aber immerhin, wir armen Leute in den Zonenrandgebieten sind gewillt, diesen Weg zu gehen, vor allen Dingen deshalb, um wenigstens etwas zu bekommen. Am interessantesten wird dann hinterher sein, welche der drei beteiligten Stellen die Abrechnung den zuständigen Prüfungsstellen vorlegt. Manchmal kommt es auch vor, daß die Belege dreimal hintereinander durchgeprüft werden. Um so mehr kann man die Daseinsberechtigung der Prüfungsstellen hier dokumentieren!
Es ist zweifellos nicht zu leugnen, daß hier etwas geschehen ist. Auch weiterhin sollte etwas geschehen. Aber angesichts der Lage besonders finanzschwacher Gemeinden kann man nicht genug tun. Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam machen: bei der wahrscheinlichen Realisierung der Erleichterungen bei der Gewerbesteuer ist damit zu rechnen, daß die 3500 Gemeinden Niedersachsens, die weniger als 500 Einwohner haben, praktisch ohne jede Einnahme sein werden. Dann, glaube ich, muß der Bund erst recht in einem noch ganz anderen Ausmaß helfen; denn der Hinweis darauf, das Land Niedersachsen habe auch 17,9 % mehr Einnahmen gehabt, ist, wie ich Ihnen zuvor bewiesen habe, nicht stichhaltig, da die Steuerkraft des Landes Niedersachsen immer noch bei 88 % liegt.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

Schließlich — Sie wissen es ja auch, gnädige Frau —, bei unseren weitgestreuten kleinen Gemeinden sind eben das neunte und zehnte Schuljahr ausdrücklich notwendig, weil wir nicht so viel Zweckverbände an Mittelschulen in diesen kleinen und steuerschwachen Gebieten aufbringen können, daß eine weitere Bildung der Landkinder gewährleistet ist.
Kurz gesagt, wir brauchen die Mittel dringend. Uns unsere Armut vorzuwerfen, ist bei den geringen Hilfen, die man uns zuteil werden läßt, mehr als unbillig.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0312715400
Herr Dr. Starke bitte!

Dr. Heinz Starke (CSU):
Rede ID: ID0312715500
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will Sie zu diesem Thema nur noch sehr kurz aufhalten.

(Zuruf von der SPD: Nach der Vorrede!)

— Eben, deshalb wollte ich jetzt Rücksicht nehmen.
Wenn mein Herr Vorredner recht damit hätte, daß Verschiebungen in den Haushalten niemals eintreten könnten, weil man sie einsehen könne, wäre ich sehr glücklich. Es geht ja auch nicht so sehr um Verschiebungen im Haushalt als vielmehr um Verschiebungen in der Ausführung der Haushalte, wo so etwas natürlich eher möglich ist.
Um die Sache kurz zu machen, möchte ich mich im allgemeinen den Ausführungen meines Kollegen Wacher anschließen. Ich möchte nur auf Grund der Erkenntnisse aus meiner Arbeit für die Zonenrandgebiete im Laufe von jetzt schon einer ganzen Reihe von Jahren sagen: dieses Hohe Haus möge den Zonenrandgebieten sein Wohlwollen erhalten; denn darauf sind wir ja bei den jährlichen Bewilligungen angewiesen.
Mir liegt heute ganz besonders daran, dem Bundesfinanzminister für die Freigabe der Kürzungsmittel für das Haushaltsjahr 1960 zu danken. Ich darf daran gleich die Bitte anschließen, daß auch in dem uns jetzt vorliegenden Haushalt der Ansatz in Einzelplan 60 Tit. 571, der gekürzt worden ist, wieder auf die alte Höhe gebracht wird. Unter Bezugnahme auf das, was ich heute bereits einmal gesagt habe, darf ich bemerken, daß es sich hier nicht um eine Erhöhung, sondern nur um eine Wiederherstellung der alten Höhe handelt.
Vergessen wir nicht, daß es sich bei der Lage der Zonenrandgebiete nicht nur um wirtschaftliche, kulturelle oder kommunale Schwierigkeiten und Nöte handelt, sondern daß dem Ganzen ein politischer Gesichtspunkt übergeordnet ist, den wir nicht übersehen dürfen. Ich möchte auch darum bitten, jetzt, wo wir in einer Zeit der Hochkonjunktur leben, nicht die Strukturschäden zu übersehen, die durch die Ziehung der Zonengrenze eingetreten sind und die, auch wenn sie zeitweilig durch die konjunkturellen Ereignisse verdeckt sind, bestehen.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 127. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den. 5. Oktober 1960 7371
Dr. Starke
Auch wir haben das Schwerpunktprogramm, eine Neuerung, begrüßt. Ich bitte jedoch darum, dafür zu sorgen, daß infolge dieses Schwerpunktprogramms in den kommenden Jahren nicht die Höhe der Mittel für die Zonenrandgebiete beeinträchtigt wird.
Sehr viel wird von der Behandlung der im Ausschuß noch anstehenden Steuerfragen abhängen. Die Regelung dieser Steuerfragen ist heute für die Zonenrandgebiete von wesentlicher Bedeutung. Ich hoffe sehr, daß die Beratungen im Ausschuß befriedigend abgeschlossen werden.
Ich möchte noch eine Bemerkung machen, die auch hierhergehört. Für die Zonenrandgebiete sind auch Mittel aus dem ERP-Vermögen vorgesehen. Mir liegt sehr daran, daß man bei aller Bedeutung, die den Fragen der Entwicklungsländer zukommt, diese Mittel auch in Zukunft unangetastet läßt.

(Sehr gut! bei der FDP.)

Zum Schluß möchte ich noch eine Frage berühren, die in dem Gebiet, aus dem ich stamme, nämlich in Oberfranken, eine erhebliche Rolle spielt. Ich meine die Frage des Facharbeiterwohnungsbaues. Im Ausschuß ist darüber gesprochen worden. Ich möchte hier noch einmal dringend darum bitten, bestimmte Grundsätze der Wohnungsbaupolitik nicht mit Fragen der Zonenrandpolitik zu verknüpfen. Ich will gar nicht zu der allgemeinen Frage des Wohnungsbaues Stellung nehmen. Aber eine Verquikkung dieser beiden Fragen hat — das hat die Praxis gezeigt — dazu geführt, daß die Mittel zur Förderung des Facharbeiterwohnungsbaues nicht so verwandt worden sind, wie es eigentlich gedacht war. Es muß möglich sein, daß diese Mittel auch für Mietwohnungen benutzt werden und nicht nur für Eigenheime. Wir haben für die Gedanken, die der Bundeswohnungsbauminister zu dieser Frage geäußert hat, sehr viel Verständnis. Wir möchten aber glauben, daß in dieser Frage nicht so sehr die Grundsätze der Wohnungsbaupolitik in den Vordergrund gestellt werden sollten, sondern die allgemeinen Grundsätze der Zonenrandpolitik.
Im übrigen sind die Fragen alle im Ausschuß eingehend erörtert worden, und ich kann auf diese Beratungen verweisen.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0312715600
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über Antrag Drucksache 1417. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ziffer 1 des Antrages Drucksache 1418 ist gegenstandslos. Ich stelle den Antrag Drucksache 1418 in dieser Form zur Abstimmung. Ich bitte bei der Zustimmung Zeichen zu geben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des
Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (Drittes Änderungsgesetz zum AVAVG) (Drucksache 2044),
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (21. Ausschuß) (Drucksache 2094)

(Erste Beratung 124. Sitzung).

Wir treten in die Aussprache ein. Wünscht der Berichterstatter seinen Schriftlichen Bericht zu ergänzen? — Das ist nicht der Fall. Wir danken dem Herrn Berichterstatter für seinen Bericht.
Wir kommen zur Einzelberatung. Ich rufe auf Art. I. Wortmeldungen erfolgen nicht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich Handzeichen zu geben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Art. II! Wortmeldungen erfolgen nicht. Für den Fall der Zustimmung bitte ich Handzeichen zu geben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ebenfalls einstimmige Annahme.
Ich rufe auf Art. III. Ebenfalls keine Wortmeldungen. Ich bitte bei der Zustimmung Handzeichen zu geben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Einleitung und Überschrift! Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich Handzeichen zu geben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch einstimmige Annahme.
Ich schließe die zweite Beratung. Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer dem Entwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme des Entwurfs fest.
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiete des Realkredits (Drucksache 1771),
Mündlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (16. Ausschuß) (Drucksache 2088)

(Erste Beratung 116. Sitzung).

Es liegt ein Schriftlicher Bericht des Herrn Kollegen Dr. Fritz vor, der als Anlage 2 dem Protokoll der Sitzung beigegeben wird. Wird Ergänzung des Berichts gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann danke ich dem Berichterstatter.
Keine Wortmeldungen. Wir treten in die Einzelberatung ein. Ich rufe auf Art. 1. Ohne Wortmeldungen. Wer dem Art. 1 zuzustimmen wünscht, bitte ich Handzeichen zu geben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Art. 2! Die gleiche Lage. Ich bitte Handzeichen zu geben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Art. 3. — Ich bitte, Handzeichen zu geben im Fall der Zustimmung. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme. Art, 4. — Bitte Hand-



Vizepräsident Dr. Dehler
zeichen zu geben. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
Ebenfalls einstimmige Annahme. Einleitung und Überschrift. — Ich bitte um Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ebenfalls einstimmige Annahme.
Ich schließe die zweite Beratung und eröffne die
dritte Beratung.
— Keine Wortmeldungen. — Wer dem Entwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle die einstimmige Annahme fest.
Ich rufe dann Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Statistiken der Rohstoff- und Produktionswirtschaft einzelner Wirtschaftszweige (Drucksache 1808).
Mündlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (16. Ausschuß) (Drucksache 2089)

(Erste Beratung 118. Sitzung).

Wir danken dem Herrn Kollegen Burgbacher für seinen Schriftlichen Bericht. Der Bericht wird dem Protokoll als Anlage 3 beigefügt.
Wir treten dann in die Einzelberatung ein. Ich rufe auf § 1. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
§ 2. — Keine Wortmeldungen. Wer zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ebenfalls einstimmige Annahme.
§ 3. — Ich bitte um Handzeichen im Fall der Zustimmung. — Gegenprobe! — Enthaltungen. — Einstimmige Annahme.
§ 4. — Ich bitte um Handzeichen. — Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Ebenfalls einstimmige Annahme.
§ 5. — Ich bitte um Handzeichen. — Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
§ 6 in der Fassung des Ausschusses. Ich bitte um Handzeichen für die Zustimmung. — Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
§ 7. Ich bitte um Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ebenfalls einstimmige Annahme.
§ 8. — Ich darf wohl das gleiche feststellen.
§ 9. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
§ 10. Ich darf um Handzeichen bitten. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
§ 11 in der Fassung des Ausschusses. Darf ich um das Zeichen bitten? — Zustimmung. Dann Einleitung und Überschrift. — Zustimmung. Ich schließe die zweite Beratung.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und können zur Schlußabstimmung schreiten.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu
erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die einheitliche Ausbildung der Steuerbeamten (Steuerbeamtenausbildungsgesetz — StBAG) (Drucksache 2048).
Der Entwurf wird nicht begründet. Der Kollege Schmitt-Vockenhausen hat sich zum Wort gemeldet.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0312715700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes über die einheitliche Ausbildung der Steuerbeamten hat leider eine unerfreuliche Vorgeschichte, so daß wir Veranlassung nehmen müssen, hier etwas zu sagen. Es handelt sich um die Fragen des Anhörungsrechts der Spitzenorganisationen der Gewerkschaften und des Bundespersonalausschusses. Leider wird offensichtlich in manchen Fällen die Anhörung der Spitzenorganisation der Vorschrift des Gesetzes nicht genügend gerecht, weil vielfach die Vorlagen den Spitzenorganisationen erst in einem Stadium zugeleitet werden, in dem eine Änderung nicht mehr möglich ist. Ich denke dabei an die Beratung des Besoldungsänderungsgesetzes oder daran, daß sogar die Anhörung überhaupt unterbleibt, wie, wenn ich richtig unterrichtet bin, beispielsweise durch das Verteidigungsministerium beim Truppenbeamtengesetz. In dem vorliegenden Fall hat das Bundesfinanzministerium leider die vorgesehene Anhörung des Bundespersonalausschusses unterlassen. Hier ist offensichtlich eine den Vorschriften des Bundesbeamtengesetzes zuwiderlaufende Behandlung erfolgt, indem der Bundespersonalausschuß, der nach § 98 des Bundesbeamtengesetzes gehört werden muß, nicht rechtzeitig gehört worden ist.
Der Herr Bundesinnenminister meint, daß der Verfahrensmangel geheilt sei. Ich habe gewisse Bedenken, ob der Mangel wirklich geheilt ist. Jedenfalls sollte dieses Verfahren, daß gesetzliche Vorschriften bei dem Gesetzgebungsweg nicht eingehalten werden, in Zukunft nicht mehr vorkommen. Wir appellieren deshalb noch einmal an die Bundesregierung, dazu beizutragen, daß derartige Beanstandungen in diesem Hohen Hause nicht mehr notwendig werden.
Was die Vorlage selbst angeht, darf ich mich auf die Bemerkung beschränken, daß unserer Meinung nach die Kompetenz, die das Grundgesetz dem Bund gibt, nicht genügend genutzt worden ist; denn das Steuerbeamtenausbildungsgesetz gibt dem Bund die einzige Möglichkeit, einen guten und wichtigen Beitrag für die Einheit der Steuerverwaltung zu leisten.
Wir hoffen, daß es in der Ausschußberatung möglich sein wird, einiges zur Verbesserung der Regierungsvorlage zu tun. Wegen der beamtenrechtlichen Bedeutung der Fragen darf ich im Namen der Kollegen des Innenausschusses bitten, die Vorlage auch dem Ausschuß für Inneres als mitberatendem Ausschuß zu überweisen.




Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0312715800
Der Herr Staatssekretär des Finanzministeriums!
Dr. Hettlage, Staatsekretär des Bundesministeriums der Finanzen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, zu den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen eine kurze Bemerkung machen zu dürfen. Herr Abgeordneter, Sie sprachen von der Anhörung der Gewerkschaften. Gewerkschaften und Beamtenverbände sind frühzeitig und dauernd mit dem Gesetzentwurf befaßt worden.
Zweitens sprachen Sie vom Bundespersonalausschuß. Die Anhörung des Bundespersonalausschusses ist leider verspätet geschehen. Das war eine Panne, die ich zu entschuldigen bitte. Wir haben den Bundespersonalausschuß aber noch angehört, bevor die Beratung des Entwurfs im Bundeskabinett erfolgte. Der Bundespersonalausschuß hat dankenswerterweise sein Einverständnis mit dem Entwurf erklärt. Ich hoffe, daß damit die Sache geheilt ist.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0312715900
Herr Abgeordneter Dr. Miessner!

Dr. Herwart Miessner (FDP):
Rede ID: ID0312716000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte auch nicht zum Inhalt des Gesetzentwurfs, sondern namens der FDP nur zum Verfahren sprechen und unserem Bedauern darüber Ausdruck geben, daß dieses nicht in Ordnung gewesen ist. Herr Staatssekretär, Sie haben darauf hingewiesen, daß bezüglich der Anhörung des Bundespersonalausschusses die Dinge geheilt seien. Mir ist bekannt, daß die Organisation, in der über 90 % der Steuerbeamten organisiert sind — der Bund deutscher Steuerbeamter —, bis zum heutigen Tage die Auffassung vertritt, sie sei nicht rechtzeitig und ordnungsmäßig angehört worden. Ich möchte auch bitten, in künftigen Fällen diese Dinge zu beachten.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0312716100
Keine weiteren Wortmeldungen. Ich schließe die erste Beratung.
Es ist angeregt worden, den Entwurf an den Finanzausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Inneres zu überweisen. Ich stelle das Einverständnis des Hauses fest.
Damit sind wir am Ende der Tagesordnung. Es ist schon bekannt, daß der Freitag für Ausschußberatungen freigegeben ist und daß die Präsenzpflicht besteht.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Freitag, den 21. Oktober, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.