Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 33. Sitzung des Deutschen Bundestages. Ich bitte um Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach: Abgeordneter Schlick für weitere sechs Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Dr. Becker für fünf Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Lenz (Trossingen) für vier Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Eschmann für vier Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Wagner (Deggenau) für weitere zwei Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Karpf für zwei Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme, Abgeordneter Richter für zwei Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme, Abgeordneter Elsner für zwei Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme.
Meine Damen und Herren, ich unterstelle, daß dieser Urlaub vom Hause genehmigt wird.
Der Herr Präsident hat Urlaub erteilt für zwei Tage den Abgeordneten Frau Kipp-Kaule, Morgenthaler, Bauer , Dr. Dollinger, Neuburger, Hilbert, Frau Dr. Steinbiß, Franke, Dr. Jentzsch, Dr. Siemer, Dr. Gleissner (München), Fürst von Bismarck, Dr. Gülich, Frau Schroeder (Berlin), Dr. Conring, Kurlbaum, Seuffert, Geiger (Aalen), D. Dr. Gerstenmaier, Dr. Maier (Stuttgart), Dr. Orth, Dr. Hammer.
Der Herr Präsident hat Urlaub erteilt für die heutige Sitzung den Abgeordneten Dr. Seffrin, Scheppmann, Dr. Bürkel, Dr. Pohle , Schmücker, Rademacher, Goldhagen, Brockmann (Rinkerode).
Außerdem sind entschuldigt für zwei Tage die Mitglieder des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films wegen einer Dienstreise nach Berlin.
Meine Damen und Herren! Ich habe Glückwünsche zu Geburtstagen auszusprechen. Trotz der Gleichberechtigung der Männer gestatte ich mir, das erreichte Lebensalter zu nennen.
Am 6. Juni feierte Herr Abgeordneter Kirchhoff den 69. Geburtstag,
am 5. Juni Herr Abgeordneter Frühwald den 64. Geburtstag
und am 6. Juni Herr Abgeordneter Kunze den 62. Geburtstag.
Ich spreche allen Abgeordneten herzliche Glückwünsche des Bundestages aus.
Der Abgeordnete Dr. Kather hat mir mit Schreiben vom 15. Juni mitgeteilt, daß er aus der CDU-Fraktion ausgeschieden sei und ab sofort der Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE angehöre.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 11. Juni 1954 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht gestellt:
Gesetz über die staatliche Genehmigung der Ausgabe von Inhaber- und Orderschuldverschreibungen;
Gesetz zu dem Abkommen vom 3. Juni 1953 Ober den Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 8. Dezember 1923 mit seinen Abänderungen;
Gesetz betreffend die Erklärung vom 24. Oktober 1953 Ober die Verlängerung der Geltungsdauer der Zolizugeständnislisten zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen ;
Gesetz über die Wiederaufnahme der nichtgewerbsmäßigen Arbeitsvermittlung durch die Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege;
Gesetz betreffend die Erklärung vom 24. Oktober 1953 Ober die Regelung der Handelsbeziehungen zwischen Vertragspartnern des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens und Japan;
Gesetz über das deutsch-österreichische Protokoll vom 14. Dezember 1953 über die Verlängerung des deutschen Zolizugestdndnisses für Loden;
Gesetz über den Handelsvertrag und den Notenwechsel vom 1. August 1953 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ecuador;
Gesetz über den deutschchilenischen Briefwechsel vom 3. November 1953 betreffend die zollfreie Einfuhr von 50 000 t Chilesalpeter in der Zeit vom 1. Juli 1953 bis 30. Juni 1954;
Gesetz über das Zollabkommen vom 30. Dezember 1953 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen.
Das Gesetz über die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages hat den Bundesrat im zweiten Durchgang ohne Stellungnahme passiert.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 20. Mai 1954 gemäß § 47 der RHO in Verbindung mit § 57 und § 3 der Anlage 3 der RWB eine Mitteilung wegen der Veräußerung eines Grundstücks in Siegburg an die Stadt Siegburg im Wege des Grundstücksaustausches an den Bundestag zur nachträglichen Kenntnisnahme gesandt, die im Archiv zur Einsichtnahme ausliegt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 31. Mai 1954 die Kleine Anfrage 51 der Fraktion der SPD betreffend Korruptionsfälle im Zusammenhang mit Besatzungsbauten in der Pfalz — Drucksache 437 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 544 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 19. Mai 1954 die Kleine Anfrage 57 der Fraktion der FDP betreffend Ausgaben aus Anleihemitteln im außerordentlichen Haushalt 1953 — Drucksache 504 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 567 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 2. Juni 1954 die Kleine Anfrage 62 der Fraktion der FDP betreffend Durchführung des Bundesbeamtengesetzes und des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen — Drucksache 532 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 575 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 5. Juni 1954 die Kleine Anfrage 63 der Abgeordneten Wehr. Dr. Bärsch, Hansing und Genossen betreffend Requisition von Grundstücken in Bremerhaven durch die Besatzungsmacht — Drucksache 537 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 579 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte hat unter dem 11. Juni 1954 die Kleine Anfrage 66 der Fraktion der SPD betreffend nicht aufgenommene Sowjetzonenflüchtlinge in Berlin — Drucksache 552 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 581 vervielfältigt.
Meine Damen und Herren, entsprechend der vereinbarten Praxis wird die Frage 21 der letzten Fragestunde, die wegen Abwesenheit des Herrn Bundesministers für Wirtschaft zurückgestellt worden ist, heute gestellt.
Herr Abgeordneter Stücklen! — Jetzt scheint mir der Herr Fragesteller nicht anwesend zu sein. Wünscht jemand anders die Frage für Herrn Abgeordneten Stücklen zu stellen?
— Der Herr Abgeordnete Dr. Krone stellt sich auf den Standpunkt, daß die Frage als gestellt betrachtet werden könne. Bitte, Herr Staatssekretär, seien Sie so liebenswürdig, sie zu beantworten.
Meine Damen und Herren, ich unterstelle, daß Sie die Drucksache nicht vor sich haben. Ich lese die Frage vor, damit Sie wissen, worum es sich handelt:
Was gedenkt die Bundesregierung gegen die Willkürmaßnahmen des Militärischen Sicherheitsamtes in Koblenz gegenüber deutschen Antragstellern auf Erteilung einer Ausfuhrlizenz zu tun?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf die Anfrage des Herrn Abgeordneten Stücklen habe ich folgendes zu erwidern.
Das Gesetz der Alliierten Hohen Kommission Nr. 24, Neufassung Nr. 61, über die Überwachung bestimmter Gegenstände, Erzeugnisse, Anlagen und Geräte sowie die Gesetze Nrn. 22, 53, 68 betreffend Überwachung von Stoffen, Einrichtungen und Ausrüstungen auf dem Gebiet der Atomenergie sind noch in Geltung. Diese Gesetze werden aufgehoben, wenn der Deutschland-Vertrag mit dem Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft in Kraft treten werden.
Auf dem Gebiete der Atomenergie besteht eine Verpflichtung gemäß Schreiben des Herrn Bundeskanzlers vom 27. Mai 1952 an die Außenminister der drei Westmächte, ein deutsches Gesetz zu erlassen. Solange aber die alliierten Gesetze noch in Kraft sind, ist das Militärische Sicherheitsamt in Koblenz die Stelle der Alliierten Hohen Kommission,
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Zusammentritt der Bundesversammlung .
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Hoogen. Ich darf ihn bitten, den Bericht zu erstatten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht als federführendem Ausschuß und dem Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen als mitberatendem Ausschuß war der Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 492 betreffend Zusammentritt der Bundesversammlung überwiesen worden. Der Ausschuß hat den gleichlautenden Antrag der sozialdemokratischen Fraktion mitberaten.
Während der Beratung der Ausschüsse, besser gesagt: vor Beginn der Beratung der Ausschüsse hat der Herr Präsident des Deutschen Bundestages beiden Ausschüssen mitgeteilt, er beabsichtige, die Bundesversammlung für den 17. Juli 1954 nach Berlin einzuberufen. Daraufhin haben beide Ausschüsse den Antrag für erledigt erklärt. Die Sprecher mehrerer Fraktionen haben jedoch hinzugefügt, daß sie durch die Zustimmung zu
dieser Erledigungserklärung die mit dem Antrag in Zusammenhang stehenden Rechtsfragen nicht präjudiziert wissen möchten. Ich halte mich für verpflichtet, das dem Hohen Hause zusätzlich mitzuteilen, und habe die Ehre, Sie zu bitten, dem Antrag des Ausschusses, Drucksache 592, zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. — Das Wort wird nicht gewünscht.
Meine Damen und Herren, ich darf dann unterstellen, daß der Antrag des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht sich nicht nur auf die Drucksache 492, sondern auch auf die Drucksache 577, auf den Antrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei, bezieht.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag Drucksache 592 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. -
Enthaltungen? — Bei zwei Enthaltungen ist dieser Antrag angenommen.
Ich rufe Punkt 2 auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Preise für Getreide inländischer Erzeugung für das Getreidewirtschaftsjahr 1954/55 sowie über besondere Maßnahmen in der Getreide- und Futtermittelwirtschaft (Drucksache 524, Umdrucke 119, 128); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (26. Ausschuß) (Drucksache 563).
Berichterstatter des Ernährungsausschusses ist Herr Abgeordneter Dr. Horlacher. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu der Drucksache 563 habe ich zunächst ergänzend festzustellen, daß es in § 8 Abs. 2 des Gesetzentwurfs statt „anerkanntem Hochzuchtsaatgut" „Saatgut" heißen soll. Ich bitte, das noch zu berichtigen. Es war übersehen worden. Es ist notwendig, diese Bestimmung auf Saatgut im allgemeinen auszudehnen.
Ich darf darauf hinweisen, daß noch eine Berichtigung zu Drucksache 524 auf Umdruck 119 *) vorliegt. Ich bitte, das bei der Abstimmung zu berücksichtigen. Ich hoffe, daß jetzt sämtliche Berichtigungen, die sachlich unwesentlich sind, vorgenommen sind. Ich bin mir aber nicht ganz sicher
und möchte beantragen, daß soweit es sich nur um redaktionelle Änderungen handelt, diese vor Veröffentlichung des Gesetzes noch vorgenommen werden können. — Also das Haus ist damit einverstanden.
Damit ist diese Sache erledigt; sonst macht mir das noch weitere Sorgen.
Vor der Erörterung der einzelnen Paragraphen hat der Regierungsvertreter zunächst eine allgemeine Erklärung über die Gesamtlage abgegeben. Ich darf das kurz wiederholen. Erstens: am System und an der Preishöhe treten keine wesentlichen Veränderungen ein. Es bleibt also bei dem vorjährigen System und im allgemeinen bei den vorjäh*) Siehe Anlage 1.
rigen Preisen. Weiterhin: an dem System der VonBis-Preise wird festgehalten. Eine Veränderung der Reports tritt ein, indem eine Verlagerung vorgenommen wird. Insgesamt bleibt es bei den 24 DM Reports beim Brotgetreide für das gesamte Wirtschaftsjahr. Nur tritt eine Verlagerung ein, indem die Reports für den Monat September, die bisher 4 DM je Tonne betrugen, auf 2 DM je Tonne ermäßigt werden. Für Oktober und November werden die Reports von bisher 4 DM je Tonne auf 5 DM je Tonne erhöht. Hierdurch soll die Lagerung von inländischem Getreide bei den Erzeugern, beim Handel und bei den Genossenschaften gefördert und die von der Einfuhr- und Vorratsstelle aufzunehmende Menge an inländischem Getreide im Rahmen des Möglichen verringert werden.
Es wird an den bisherigen Preisgebieten festgehalten. Dabei hat der Regierungsvertreter darauf hingewiesen, daß das Gefälle in den Preisgebieten nicht ausreiche und daß die Einfuhr- und Vorratsstelle sich hier entsprechende Maßnahmen zur Regulierung der Verhältnisse vorbehalte.
Weiterhin hat der Regierungsvertreter darauf hingewiesen, daß die Lieferprämie für Roggen beibehalten wird. Die Lieferprämie für Roggen beträgt bekanntlich 20 DM je Tonne. Sie soll für Roggen, der als Brotgetreide Verwendung findet, beibehalten werden, um das Preisniveau dem Weizenpreis anzunähern sowie eine den betriebswirtschaftlichen Belangen der Landwirtschaft angepaßte, auf das ganze Jahr verteilte Ablieferung und eine Einschränkung der Verfütterung von Roggen herbeizuführen, gleichzeitig aber eine Erhöhung der Mehl- und Brotpreise zu vermeiden. Es muß berücksichtigt werden, daß Roggen auf dem Weltmarkt nur in begrenztem Maße verfügbar ist. Aus diesem Grunde ist es notwendig, von der Preisseite her einen Anreiz für eine erhöhte Marktleistung der Landwirtschaft an Roggen zu bieten. Außerdem ist man beim Brotgetreide daran interessiert, daß nicht nur die Verfütterung des Roggens vermieden wird, sondern daß auch auf eine Erhöhung der Anbaufläche für Roggen hingewirkt wird. Wir hatten in den Jahren 1935/38 1 652 000 Hektar Roggenanbaufläche, auf das jetzige Bundesgebiet gerechnet. Diese ist im Erntejahre 1951 auf 1 290 000 Hektar zurückgegangen und im Erntejahr 1953/54 wieder auf 1 394 000 Hektar angestiegen. Damit würde auch eine Ausdehnung der Weizenanbaufläche auf nicht mehr weizenfähige Böden und das dadurch drohende Absinken des Hektarertrages bei Weizen verhindert.
Dann ist das umstrittene Kapitel der Lagerverträge mit Handel und Genossenschaften berührt worden. Die Frage wird überprüft. Wahrscheinlich wird hier eine andere Regelung Platz greifen. Insbesondere kommt hier, wie von dem Regierungsvertreter ausgeführt wurde, das vorsorgliche Eingreifen der Einfuhr- und Vorratsstelle in Betracht.
In der Einzelberatung sind zu § 1 keine Bemerkungen gemacht worden; er wurde einstimmig angenommen.
Zu § 2 wurde darauf hingewiesen, daß eine Änderung der Marktlage bei Hafer eingetreten ist, einmal durch einen Rückgang der Anbaufläche, weiter durch eine stärkere Verfütterung des Hafers. Beim Hafer ist also eine Stabilisierung der Preisverhältnisse eingetreten, und zu einer Herab-
setzung der Haferpreise besteht kein Anlaß. Der Hafer spielt bekanntlich in den Gebieten mit ärmlichen Bodenverhältnissen eine besondere Rolle. Deswegen wurde beantragt, es bei dem Preisgefüge für Industrie- und Futtergetreide zu belassen. Im Gegensatz zur Regierungsvorlage wurden durch einstimmigen Beschluß des Ausschusses die Preise des Vorjahres wiederhergestellt. Der Braugerstepreis blieb dabei unverändert.
Eine besonders lebhafte Debatte hat sich bei § 3 des Gesetzentwurfs entwickelt. Grundsätzlich war der Ausschuß einstimmig der Auffassung, daß der § 3 auf alle Getreidearten ausgedehnt werden sollte. Dabei hat man sich auf § 10 des Getreidegesetzes berufen, wo es heißt:
Der Bundesminister hat seine Aufsichts- und Weisungsbefugnisse über die durch dieses Gesetz geschaffenen Organe so auszuüben, daß die Einhaltung dieser Preise gewährleistet ist.
Was hier in § 3 niedergelegt ist, ist also eigentlich eine Auslegung des Getreidegesetzes selber.
Über die Methode der Sicherung der Mindestpreise war man sich im Ausschuß nicht ganz einig. Es wurde besonders darauf hingewiesen, daß die Marktordnung keinen Sinn habe, wenn die Preise für den Erzeuger nicht gesichert seien. Infolgedessen wurde grundsätzlich auf die vorjährige gesetzliche Regelung zurückgegriffen, wobei also eine gewisse Preisgarantie für den Erzeuger wiederhergestellt wird, wie sie im Vorjahr durch einstimmigen Beschluß des Bundestages geschaffen worden ist. In der Vorlage sind zwar gewisse technische Änderungen enthalten, aber der Grundgedanke ist der gleiche geblieben. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, daß man mit dieser Garantieregelung für den Erzeuger eine gewisse erzieherische Wirkung auf die beteiligten Wirtschaftskreise ausüben will. Ich glaube, so habe ich das richtig geschildert.
Damit habe ich das Wesentliche gesagt. Diese Gedanken sind in den Abs. 1 des § 2 aufgenommen worden; der Abs. 1 entspricht dem Sinn der vorjährigen Gesetzgebung und ist einstimmig angenommen worden.
Dann wurde noch ein Abs. 2 angefügt, der praktisch die Bestimmungen der Regierungsvorlage enthält, allerdings mit der Änderung, daß sie auf alles Getreide — mit Ausnahme von Saatgetreide — ausgedehnt werden. Dieser Abs. 2 des § 3 wurde mit Mehrheit angenommen.
Weiter ergaben sich Änderungen beim § 4. Von einer Seite wurde beantragt, die Höchstzuschläge für anerkanntes Saatgut auf 20 DM je Tonne zu erhöhen. Der Betrag wurde dann auf 10 DM je Tonne ermäßigt. Der Antrag wurde darauf mit 11 zu 10 Stimmen, also mit knapper Mehrheit, angenommen.
Dagegen wurde mit größerer Mehrheit ein Antrag angenommen, mit Rücksicht auf die großen Auswinterungsschäden die Höchstzuschläge für Wintergerste um 10 DM zu erhöhen. Der Antrag ist in der Ausschußvorlage enthalten, die Entscheidung über ihn wird bei der Abstimmung fallen.
Beim § 9 ist insofern eine neuerliche Schwierigkeit entstanden, als die Geltungsdauer des Wirtschaftsstrafgesetzes in seiner jetzigen Fassung am 30. Juni endet. Infolgedessen wird von Regierungsseite folgende Änderung des § 9 vorgeschlagen — es ist ja eine Änderung, die den tatsächlichen Verhältnissen entspricht —: nach den Worten „nach den Vorschriften des Wirtschaftsstrafgesetzes" zu sagen: „in der jeweils geltenden Fassung." Dadurch wird sichergestellt, daß die Fassung des Wirtschaftsstrafgesetzes hier gilt, die in Kraft tritt, wenn das neue Wirtschaftsstrafgesetz herauskommt. Ich glaube, das Hohe Haus wird dem zustimmen. Sollte das Wirtschaftsstrafgesetz als Ganzes aufgehoben werden, dann ist die Regierung natürlich verpflichtet, für sämtliche Einfuhr- und Vorratsstellen eine neue Regelung der Strafbestimmungen herbeizuführen. Ich bitte also, Herr Präsident, diese textliche Änderung in § 9 einzutragen.
Weiter kamen noch besondere Wünsche zum Ausdruck. Wenn die Mindestpreise für den Erzeuger nicht gehalten werden können, dann sollen die obersten Landesbehörden das Recht haben, nach Anhörung der Wirtschaftskreise entsprechend zu bestimmen. Das hat der Ausschuß für überflüssig gehalten, weil sich die beteiligten Kreise in einem solchen Fall ja sowieso rühren werden.
Ein Antrag, daß das nach Ablauf der Reports noch vorhandene Brotgetreide bei Handel und Genossenschaften von der E- und V-Stelle zu übernehmen sei, wurde nicht aufrechterhalten. Man hat sich gesagt, das sei eine Frage, die mit der Einfuhr-und Vorratsstelle selber verhandelt werden müsse, und es sei infolgedessen notwendig, sie in die gesetzliche Regelung aufzunehmen. Auch hat man es für nicht notwendig gehalten, hier auf die Abgabepreise für Auslandsgetreide hinzuweisen, da es nach den gesetzlichen Bestimmungen die Aufgabe der Einfuhr- und Vorratsstelle ist, das selber zu manipulieren.
Damit habe ich die wesentlichen Gesichtspunkte zu diesem Getreidepreisgesetz hervorgehoben. Ich darf noch erwähnen, daß der Antrag auf Einbeziehung der Braugerste durch die Beschlußfassung zu § 3 erledigt ist. Ich bitte, so auch hier zu beschließen.
Im übrigen darf ich das Hohe Haus darauf hinweisen, daß in der Schlußabstimmung das Getreidepreisgesetz einstimmig angenommen wurde. Ich habe im Namen des Ausschusses den Auftrag, Sie zu bitten, das gleiche zu tun.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, damit kein Zweifel besteht, möchte ich, obwohl der Herr ehemalige Präsident des Bayerischen Landtages das bereits getan hat, noch einmal feststellen, daß hinsichtlich der Berichtigungen Einmütigkeit besteht. Das ist einmal die Berichtigung in Umdruck 119 betreffend § 1 Abs. 1 und die Anlage zu § 1 Abs. 4; das ist der Bericht des Ausschusses. Dann die beiden Änderungen, die Herr Abgeordneter Dr. Horlacher vorgetragen hat, zu § 9, Strafbestimmungen, und zu § 8, wo es lediglich „Saatgut" heißen soll. Ist das auch gemeinsam zur Kenntnis genommen? — Offenbar ist das der Fall.
Dann rufe ich zur Einzelbesprechung der zweiten Beratung auf § 1. — Dazu wird das Wort nicht gewünscht. Ich bitte die Damen und Herren, die dem § 1 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf § 2. — Auch keine Wortmeldungen.
Ich bitte die Damen und Herren, die § 2 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist mit wesentlich größerer Mehrheit angenommen.
Zu § 3 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor, Umdruck 128.*) Soll er begründet werden? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In § 3 Abs. 2 des vorliegenden Getreidespreisgesetzes ist noch einmal festgelegt, welche Aufgaben und welche Funktionen die Einfuhr- und Vorratsstelle haben soll. Meine Fraktion hat den Antrag eingebracht, diesen Abs. 2 des § 3 zu streichen, und zwar aus folgendem Grunde -
— Augenblick! Ich will es Ihnen vorlesen. Es heißt hier in Abs. 2:
Im allgemeinen hat die Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide- und Futtermittel die Aufgabe, durch Aufnahme oder Abgabe von Getreide inländischer Erzeugung, außer Saatgetreide, durch Vorratshaltung oder Abgabe von Auslandsgetreide und durch sonstige geeignete Maßnahmen dafür zu sorgen, daß die durch dieses Gesetz festgesetzten Preisgrenzen innegehalten werden.
Meine Fraktion hat den Eindruck, mit Hilfe dieser Formulierung solle erreicht werden, daß die Einfuhr- und Vorratsstelle ermächtigt wird, so wie in den voraufgegangenen Jahren von sich aus in den Markt einzugreifen und Marktpolitik zu betreiben. Sie ist in diesem Gedanken dadurch bestärkt worden, daß diese Forderung ursprünglich in viel konkreterer Form vorgetragen worden ist, nämlich in der Weise, daß die beteiligten Kreise der Genossenschaften und des Getreidehandels das Recht haben sollen, die Einfuhr- und Vorratsstelle zu verpflichten, ihnen das Getreide zuzüglich aller Kosten abzukaufen, wenn die Mühlen nicht in der Lage seien, das Getreide von Handel und Genossenschaften zu übernehmen, unter der Voraussetzung, daß das jeweils zuständige Landesministerium für Ernährung und Landwirtschaft dieses Verlangen von Handel und Genossenschaften als gerechtfertigt bezeichnet.
Was jetzt aus dieser Formulierung des Abs. 2 geworden ist, ist im Grunde überflüssig; denn es besteht kein Zweifel darüber, welche Funktionen die Einfuhr- und Vorratsstelle nach dem Getreidegesetz hat. Danach ist sie verpflichtet, einzugreifen, wenn der Mindestpreis nicht mehr gehalten werden kann. Das heißt, wenn auf dem Markt der Preis unter den Mindestpreis abzusinken droht, dann muß sie von Gesetzes wegen eingreifen und Getreide aus dem Markt nehmen; und sie ist nach dem Getreidegesetz verpflichtet, Getreide abzugeben, wenn die Verarbeitungsbetriebe zum Höchstpreis auf dem Markt Getreide nicht mehr bekommen können.
Das sind die Funktionen, die der Einfuhr- und Vorratstelle durch das Getreidegesetz, das diesem Getreidepreisgesetz zugrunde liegt, zugewiesen sind. Wir sind infolgedessen der Auffassung, daß es nicht sinnvoll wäre, durch ein neues Gesetz noch
*) Siehe Anlage 2.
einmal festzulegen, was durch das Getreidegesetz im Grunde unumstritten ist. Deshalb meinen wir, daß es sich erübrigt, diesen Paragraphen in das Getreidepreisgesetz hineinzuschreiben, und wir plädieren daher für die Streichung des Abs. 2.
Das Wort hat der Abgeordnete Horlacher.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einerseits bin ich mit dem Kollegen Müller im Grundgedanken einverstanden, anderseits muß ich ihm widersprechen. Es handelt sich nämlich darum, daß man — nach seiner Auffassung ganz richtig — manches eigentlich gar nicht brauchte, wenn das Getreidegesetz richtig gehandhabt würde;
denn das Getreidegesetz enthält schon die notwendigen Bestimmungen. In der Praxis hat sich aber gezeigt, daß das Getreidegesetz eben nicht ausreichend ist — das haben wir bei der Debatte im vorigen Jahr erlebt —, sondern daß hier gewisse Garantien und Sicherungen für den Mindestpreis und den Höchstpreis auch in das Getreidepreisgesetz eingebaut werden müssen.
Worum handelt es sich jetzt bei dem § 3? Ich möchte das den Damen und Herren erläutern. Es handelt sich um zwei Bestandteile, aber die zwei Bestandteile bilden wieder ein einheitliches Ganzes und können nicht auseinandergerissen werden. Der eine Bestandteil stipuliert ein gewisses Recht für den Erzeuger, sich in den Markt einzuschalten, wenn er die entsprechenden festgelegten Preise nicht erhält. Allerdings ist die Einschaltung des Erzeugers dann überflüssig, wenn die Wirtschaftskreise, die am Markt tätig sind, mit der Einfuhr-und Vorratsstelle entsprechend in den Markt eingreifen, um die Preisverhältnisse zu sichern.
Das ist in Abs. 1 des § 3 stipuliert, also ein gewisses Recht des Erzeugers auf seinen Mindestpreis, wie es auch im Getreidegesetz vorgeschrieben ist.
Dazu gehört aber iauch die Regierungsvorlage, die wir jetzt als Abs. 2 eingebaut haben. Die Worte „Im allgemeinen" in Abs. 2 — das ist das wesentliche; der Antrag stammt ja von mir, wenn ich das verraten darf — bedeuten, daß die Einfuhr- und Vorratsstelle hier die Hauptaufgabe zu erfüllen hat.
Neben der Sicherung der Preisgarantie durch die Erzeuger selbst kommt die Sicherung des ganzen Marktverlaufs durch die Einfuhr- und Vorratsstelle in Betracht, und das ist hier gesetzlich stipuliert. Deswegen gehört beides zusammen: das Recht des Erzeugers und die Manipulierung des Marktverlaufs.
Im Abs. 2 ist geschildert, was die Einfuhr- und Vorratsstelle im einzelnen zu tun hat. Ich will jetzt keine weiteren Worte mehr verlieren. Ich bitte die Damen und Herren, den Streichungsantrag der SPD 'abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf unterstellen, daß allen Mitgliedern des Hauses die große Bedeutung des Getreidepreisgesetzes bekannt ist.
Als auf Grund eines Antrages meiner Freunde seinerzeit bei der Schaffung des Getreidepreisgesetzes im Gegensatz zur Regierungsvorlage beschlossen wurde, daß der Bundestag in jedem Jahr durch ein Getreidepreisgesetz die Getreidepreise festsetzen solle an Stelle einer Festsetzung auf dem Verwaltungswege, hatten wir uns vorgestellt, daß auf diese Weise und n u r auf diese Weise jedes Jahr aufs neue die Aufmerksamkeit des Hauses und hoffentlich auch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf dieses nicht nur für die Landwirtschaft, sondern für unsere Volkswirtschaft im ganzen sehr bedeutungsvolle Gesetz gelenkt werden könne. Nach unserer Meinung sind in der Praxis der Vergangenheit Vorgänge zu beobachten gewesen, die uns nun wieder dazu veranlassen, durch den von meinem Kollegen Müller soeben begründeten Antrag die Aufmerksamkeit des Hauses auf diese Dinge zu lenken.
Ich weiß, daß es auch hier unter uns, ebenso wie draußen in der Öffentlichkeit, erklärte Gegner der Marktordnung gibt. Die werde ich hier nicht überzeugen können, ich werde sie nicht einmal bewegen oder interessieren können; denn es ist ja durchaus im Sinne der Betreffenden, wenn die Marktordnung sich etwa in ihre Bestandteile auflöst und zum Schluß überhaupt aufhört. Aber ebenso wie in der Öffentlichkeit gibt es auch in diesem Hause eine Reihe von grundsätzlichen Anhängern der Marktordnung, und an die wende ich mich. Denn unserer Auffassung nach ist die Marktordnung in einer sehr erheblichen Gefahr. Diese Gefahr ist insbesondere durch den Mißbrauch gegeben, der mit der Marktordnung in vieler Hinsicht getrieben wird; die Gefahr beruht im wesentlichen auf den Auswüchsen, die sich im Laufe der Entwicklung der Marktordnungsgesetze, nicht zuletzt gerade auf dem Gebiete der Getreidewirtschaft, ergeben haben. Wer von uns hätte, als wir damals die Einfuhr- und Vorratsstelle Getreide geschaffen haben, geglaubt, daß schon nach so wenigen Jahren daraus eine so mächtige, umfangreiche und kostspielige Bürokratie mit einem recht anspruchsvollen Verhalten im Markt entstehen würde! Ich bin auch heute noch der Überzeugung, daß man uns damals, als wir die Einfuhr- und Vorratsstelle schufen, nicht einmal die Meinung abgenommen hätte, sie könnte irgendwann einmal in ihren zentralen Stellen mit vielleicht 200 Personen besetzt werden. Über 400 Personen sind heute auf diesem Gebiet tätig,
und alle diejenigen, die sich mit der Getreidewirtschaft zu befassen haben, bekommen das zu spüren, zu spüren bekommt es der öffentliche Haushalt, und zu spüren bekommen es, nebenbei bemerkt, auch die privaten Haushalte in der Auswirkung all der völlig überflüssigen Eingriffe der Einfuhr- und Vorratsstelle Getreide in den Ablauf der Getreidewirtschaft.
Als überzeugter Anhänger der Marktordnung, d. h. als einer von denen, die glauben, daß man auf diesem Gebiet die Dinge nicht sich selber und
vor allen Dingen auch nicht der Spekulation überlassen kann, bin ich doch der Meinung, daß hierin nur ein Mißbrauch der Marktordnung liegt, der abgestellt werden soll.
Daß von den verschiedensten Seiten versucht wird, die Einfuhr- und Vorratsstellen Gruppeninteressen, Sonderinteressen dienstbar zu machen, dafür haben wir eine Fülle von Beweisen. Der vielleicht eklatanteste Beweis hat in einem Antrag gelegen, der auch an einer Stelle dieses Hauses diskutiert werden mußte — glücklicherweise abgelehnt wurde — und nach dem die Einfuhr- und Vorratsstelle sage und schreibe durch Gesetz verpflichtet werden sollte, in einem bestimmten Monat alle noch im Besitz des Handels — des Handels, nicht der Erzeuger! — befindlichen Getreidemengen zuzüglich aller Kosten und der vollen Spanne zu übernehmen.
Wir möchten mit unserem Antrag die Einfuhr-und Vorratsstelle Getreide ausdrücklich auf das beschränken, was unserer Meinung nach in voller Eindeutigkeit schon im Getreidegesetz selbst steht, nämlich auf die Sicherung des Mindestpreises für den Erzeuger, wenn dieser Mindestpreis im Markt nicht erzielt werden kann, und die Sicherung der Versorgung der Verbraucher — das sind hier die Verarbeiter und die Verbraucher, die Futtergetreide verbrauchenden Landwirte, die Getreide verarbeitenden Betriebe — über die Einfuhr- und Vorratsstelle, wenn ihre Versorgung zum Höchstpreis auf dem freien Markt nicht ermöglicht werden kann. Wir möchten die Einfuhr- und Vorratsstelle darauf ausdrücklich beschränken und nicht noch einmal im Gesetz eine Pseudo-Legitimation für alles das geben, was im vergangenen Jahr — in früheren Jahren übrigens auch schon — mit sehr wesentlichen Kosten völlig überflüssigerweise geschehen ist. Deshalb bitten wir Sie, den Abs. 2 zu streichen.
Meine Damen und Herren! Wenn ich die Ausführungen meines Kollegen Müller hier zu ergänzen versucht habe, dann deshalb,
um Ihre volle Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was sich in der Praxis wirklich abspielt. Denn irgendwann müssen wir uns schließlich auch in diesem Hause immer wieder einmal mit den Konsequenzen befassen, die aus den von uns beschlossenen Gesetzen für die beteiligten Wirtschaftskreise entstehen. Hier ist dazu eine gute Gelegenheit.
Das Wort hat der Abgeordnete Fassbender.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu meinem Bedauern bin ich nicht in der Lage, den Ausführungen des Herrn Kollegen Kriedemann zuzustimmen. Wenn man den Abs. 2 des § 3 streichen wollte, dann würde das in seiner Konsequenz praktisch darauf hinauslaufen, daß wir ein Getreidemonopol bekämen. Was sagt denn der Abs. 2, Herr Kollege Kriedemann? Nicht mehr und nicht weniger, als daß die Vorratsstellen dazu da sind, einen ordnungsmäßigen Ablauf der Dinge zu gewährleisten. Ich möchte Sie wirklich einmal fragen, ob Genossenschaften und Handel dann, wenn Abs. 2
gestrichen werden würde, überhaupt noch daran interessiert wären, sich mit der Aufnahme von Getreide zu befassen. Ich sehe hier jedenfalls die eklatante Gefahr, daß dadurch die Festigkeit der gesamten Getreidewirtschaft ins Rutschen kommt, und das wollen Sie genau so wenig wie wir. Wir wollen grundsätzlich für eine sichere und ruhige Entwicklung der Preise auf dem Brot- und Futtergetreidemarkt Sorge tragen. Deshalb können wir auf Abs. 2 von § 3 nicht verzichten. Ich bitte das Hohe Haus, den Antrag des Kollegen Kriedemann abzulehnen.
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 128 auf Streichung des Abs. 2 von § 3. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Streichungsantrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem § 3 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der § 3 ist bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf — ich bitte freundlichst um Mitteilung, wenn jemand zu einem Paragraphen zu sprechen wünscht — § 4, — § 5, — § 6, — § 7, —§ 8 unter Berücksichtigung der Änderung in Abs. 2, die von Herrn Abgeordneten Horlacher vorgetragen worden ist, — § 9 ebenfalls unter Berücksichtigung der Änderung, die Herr Abgeordneter Horlacher vorgetragen hat, — § 10, — § 11, — Einleitung und Überschrift. — Keine Wortmeldungen?
— Ich bin noch in der zweiten Beratung, Herr Abgeordneter Müller.
Ich bitte die Damen und Herren, die den aufgerufenen Paragraphen, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Diese aufgerufenen Paragraphen, Einleitung und Überschrift sind bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Allgemeine Aussprache. Bitte, Herr Abgeordneter Müller!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Sinn des Getreidepreisgesetzes besteht darin, einmal dem Erzeuger, dem Landwirt, eine Sicherung für den Mindestpreis, den das Gesetz vorsieht, zu gewähren und auf der anderen Seite dem Verbraucher eine Garantie zu geben, daß die Entwicklung der Getreidepreise nicht über den Höchstpreis hinausgehen kann. Diese Aufgabe könnte zweifelsohne auch auf einem anderen, vielleicht zweckmäßigeren, sinnvolleren und vielleicht auch eleganteren Wege gelöst werden. Allerdings hängt diese Frage auf das engste mit der Tatsache zusammen, daß die Brotgetreidemengen, die wir in Deutschland benötigen, nicht nur aus unserer inländischen Getreideernte resultieren, sondern auch aus den Importen. Hier haben wir insbesondere für Weizen, der ja die hauptsächlichste Brotgetreideart in Deutschland darstellt, zu verzeichnen, daß der weitaus größere Teil der Menge, die auf den Brotgetreidemarkt gelangt, aus dem Ausland kommt. Wir setzen also für die geringere Menge, die aus dem Inland kommt, den Preis fest und lassen die Preisfestsetzung für das Auslandsgetreide zunächst aus. Ich meine, daß man den umgekehrten Weg verfolgen könnte, nämlich für die Getreideimporte einen Einschleusungspreis festzulegen und danach sich den inländischen Getreidepreis ausrichten zu lassen, wobei durchaus das derzeitige Niveau der Getreidepreise und die gleichen Sicherungen für Erzeuger und Verbraucher beibehalten werden könnten. Ich glaube, dieses zweite System, d. h. die Ausrichtung der Preise nach dem Einschleusungspreis, würde den sogenannten marktgerechten Vorstellungen in weit stärkerem Maße entsprechen als das, was wir heute tun und was ja weitgehend noch aus den Requisiten der Zwangswirtschaft seine Erklärung findet, die wir auf den Getreidesektor, mindestens was die Importe anlangt, bis zum heutigen Tag noch nicht überwunden haben.
Ich darf in dem Zusammenhang darauf verweisen, daß bei all den vielen Diskussionen, die wir hier in diesem Hause und draußen in Wahlversammlungen erlebt haben, immer wieder davon die Rede war, hier stünden auf der einen Seite die Vertreter der sogenannten freien Wirtschaft und auf der anderen Seite die Vertreter der Planwirtschaft. Tatsächlich werden aber auf diesem Sektor genau umgekehrt Prinzipien der Zwangswirtschaft von denen vertreten, die sich sonst für die freie Wirtschaft erklären.
Wir hatten an dieser Stelle zu wiederholten Malen Gelegenheit, darauf zu verweisen, welche Ungereimtheiten auf dem Sektor der Getreidewirtschaft dadurch gegeben sind, daß beispielsweise die Verarbeitungsbetriebe bis zum heutigen Tag das Inlandgetreide ab Erzeugerstation zu übernehmen haben, also in diesem Falle die Frachten selber tragen, während das Auslandsgetreide auf Kosten der Steuerzahler, auf Kosten des Herrn Finanzministers bis zu sogenannten 100-Paritätspunkten innerhalb der Bundesrepublik Deutschland frachtmäßig subventioniert wird. Dieses Verfahren wird, wie wir zu unserer Genugtuung hören, demnächst eine gewisse Änderung und Lockerung erfahren.
Das hängt zusammen mit der vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten geplanten Änderung des Importverfahrens. Danach soll wenigstens der sogenannte Füllweizen, der aus dem Ausland kommt — das ist die zweite, geringere Sorte —, nicht mehr frachtmäßig subventioniert werden, sondern für diese Menge soll der Cif-Preis eingeführt werden, also praktisch das, was wir beim inländischen Getreide haben, daß nämlich die Frachten ab Erzeugerstation bzw. hier beim Auslandsweizen ab Seehafen oder ab grüner Grenze vom Käufer getragen werden. Dagegen sollen bei dem qualitativ wertvolleren Auslandsweizen die Frachten nach wie vor subventioniert werden, wenn auch nicht zu sogenannten 100-Paritätspunkten innerhalb der Bundesrepublik, sondern, wie man neuerdings sagt, zu Frachtzonen, von denen, wenn ich recht informiert bin, neun festgesetzt werden sollen.
Wir sehen also, daß sich in dieser Hinsicht gewisse zeitgemäße Änderungen vollziehen. Aber wir sehen darin nur einen Schritt zu einer größeren Freiheit. Ich möchte keinen Zweifel darüber lassen — das hat mein Kollege Kriedemann ja auch ausgeführt —, daß wir uns prinzipiell zu den Grundsätzen der Marktordnung bekennen, daß wir aber auf diesem Gebiet nur so viel Reglementierung wollen wie unbedingt notwendig und so viel Freiweit wie überhaupt nur möglich. Deswegen möchte ich wünschen und hoffen, daß diejenigen, die für den freien Wettbewerb eintreten, uns dabei helfen, auf diesem Sektor in der Zukunft etwas mehr freien Wettbewerb, freie Initiative und Entfaltungsmöglichkeit zu gewährleisten.
Herr Abgeordneter Horlacher!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ewig schade und bereitet mir sehr großen Kummer, daß ich die Rede des Herrn Kollegen Baade im Augenblick nicht zur Hand habe, die er seinerzeit bei der Verabschiedung des Getreidegesetzes gehalten hat. Er war mit uns überschäumend glücklich, daß man hier einen monopolartigen Charakter des Getreidegesetzes und eine Marktordnung geschaffen hat, die sowohl für den Erzeuger wie für den Verbraucher mustergültig ist. Ich habe sogar noch Geburtshilfe geleistet,
indem ich auf die scharfe Formulierung manches Paragraphen verzichtet habe, um eine einstimmige Annahme des Gesetzes herbeizuführen.
Nur ganz kurz ein paar Bemerkungen. Ich will die Debatte nicht vertiefen, weil das eigentlich mit dem Getreidepreisgesetz nicht unmittelbar zusammenhängt. Aber eines darf ich hervorheben: Wir haben ja nicht mehr dieselben Zustände wie früher. Wir haben erstens einen größeren Einfuhrbedarf — das ist schon festgestellt —, zweitens haben wir eine Verschiebung in den Wettbewerbsverhältnissen. Der Verkehr mit dem Osten ist abgerissen, wo wir früher den Getreideverkehr aus Bulgarien, Rumänien und Ungarn hatten. Hier war die Wettbewerbsfähigkeit der bayerischen und süddeutschen verarbeitenden Industrie gegenüber den zu den Seehäfen günstig gelegenen verarbeitenden Industrien ohne weiteres hergestellt. Das ist nun ausgefallen. Deswegen ist es jetzt für die Einfuhr- und Vorratsstelle schwierig, zu manipulieren und die Wettbewerbsfähigkeit der verarbeitenden Industrie im ganzen Bundesgebiet aufrechtzuerhalten. Dabei zeigt sich die ungünstige Lage der Erzeugergebiete zu ,den Verbrauchergebieten im Inland sowie die ungünstige Lage der süddeutschen Verarbeitungsgebiete gegenüber den Seehäfengebieten des Nordens. So ist die Lage, und das muß ausgeglichen werden.
Ich sage: das System des Ausgleichs durch Frachtensubvention ist absolut unerläßlich. Sonst funktioniert das Ganze nicht. Die binnenländischen Verarbeitungsindustrien müssen durch Hereinnahme von Qualitätsauslandsgetreide in die Lage versetzt werden, die gleichen Qualitätsprodukte herzustellen wie die in frachtgünstigeren Gebieten gelegenenen Verarbeitungsindustrien. Das ist praktisch die Lage.
Wir sind im allgemeinen mit der Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel einverstanden. Das ist die Einfuhr- und Vorratsstelle, die sich noch am leichtesten tut. Warum? Weil man Getreide eher aufheben kann als beispielsweise Butter und weil man hier die Dinge besser manipulieren kann als woanders. Hier ist auch der Einfuhrbedarf sehr stark. Deshalb ist es notwendig, daß die Einfuhr- und Vorratsstelle ständig mit der Einfuhrschleuse die Preise und auch die Mengen abstimmt, damit das ganze inländische Preis- und Verarbeitungsgefüge existieren kann. Das ist ein sehr komplizierter Apparat, und ich möchte mich hier hüten — gerade auch im Interesse der Verbraucher und der Erzeuger —, von einer allzu freien Wirtschaft zu sprechen. Denn das Brot des deutschen Volkes ist eine so eminent wichtige Sache, daß ich es nicht den Zwischenfällen der ständig wechselnden Konjunktur und den ständig wechselnden Preisverhältnissen ausliefern will. Der landwirtschaftliche Markt ist nun einmal ein anderer als der übrige Markt. Die Bewegung vollzieht sich auf ihm stoßweise, saisonweise. Er bedarf einer größeren Manipulation, und hier sind die Dinge nicht so einfach zu handhaben wie auf den übrigen Märkten. Deswegen hier die wichtige Aufgabe der Einfuhr- und Vorratsstelle.
Ich glaube Ihnen mit wenigen Sätzen bewiesen zu haben, daß es bei dem bisherigen System doch verhältnismäßig immer noch am besten ist. Ich bin nicht gegen Verbesserungen. Aber ich bin so lange gegen Verbesserungen, solange ich nicht weiß, ob sie nicht eine Verschlechterung des bisherigen Zustandes bedeuten.
Das Wort hat der Abgeordnete Fassbender.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein paar Worte. Ich bin erstaunt darüber, Herr Kollege Müller — andererseits aber auch erfreut —, wie sich so die Auffassungen im Laufe der Jahre wandeln. Ich entsinne mich einer Zeit — damals, im Wirtschaftsrat —, da war die Auffassung Ihrer politischen Freunde in bezug auf die Freiheit auf dem Ernährungssektor etwas anders als heute.
— Das war einmal, jawohl. Damals haben wir die Preise für die bäuerliche Produktion bewußt angehalten, um den Verbrauchern die Möglichkeit zu geben, sich satt zu essen. Heute, wo die Dinge umgekehrt liegen, erwarten wir von Ihnen, daß Sie sich auch der hart ringenden bäuerlichen Bevölkerung erinnern. Im übrigen werden wir noch bei der Frage des Paritätspreisgesetzes Gelegenheit haben, uns über diese Dinge zu unterhalten.
Zur Mühlenfrage möchte ich mich heute nicht äußern. Sie kennen unsere Einstellung. Eines möchte ich allerdings grundsätzlich sagen: daß wir niemals einer Regelung zustimmen werden, die nicht sicherstellt, daß die Existenz der Klein- und Mittelmühlen abseits der Wasserstraßen und der Seehäfen gesichert wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es trotz ausreichender Veranlassung auch in diesem Jahr wieder nicht möglich gewesen ist, etwas an dem viel zu komplizierten und überflüssig komplizierten und deshalb auch überflüssig kostspieligen System unserer Getreidewirtschaft zu ändern, dann möchte ich wenigstens den Versuch unternehmen, ein paar Irrtümer auszuräumen oder mich gegen ein paar Vermutungen zu wehren, die aus dem, was meine beiden Herren Vorredner eben vorgetragen haben, vielleicht gehört werden konnten. Das wäre uns im Wahlkampf genau so unsympathisch wie Ihnen.
Ich stelle zunächst einmal fest: Mit unverminderter Überzeugung, wie sie damals etwa Herr Professor Baade oder irgendein anderer Sozialdemokrat ausgedrückt hat, stehen wir auch heute noch zum Prinzip der Marktordnung. Wir halten es heute noch für unbedingt erforderlich, daß mindestens für eine Reihe von Produkten den Erzeugern Absatz- und Preisgarantien geboten werden. Als im vergangenen Jahr — Sie erinnern sich sicherlich mit großem Vergnügen daran — auf Ihrer Seite die Auffassung vertreten worden war, daß es trotz der bestehenden Gesetze eine solche Preisgarantie nicht gäbe, haben wir Ihnen vorgeschlagen, sie in das Getreidegesetz hineinzunehmen. Nach einer von mir als recht peinlich empfundenen Redeschlacht und erst nach der Forderung einer namentlichen Abstimmung ist diese Bestimmung entsprechend unserem Antrag hineingekommen.
Ich glaube, eines überzeugenderen Beweises für unsere konsequente Zustimmung zur Marktordnung bedarf es überhaupt nicht.
Ich stelle weiter gegenüber Herrn Fassbender fest, daß hier über die Getreidepreise überhaupt nicht geredet worden ist. Sie haben also weder notwendig, uns darauf aufmerksam zu machen oder uns daran zu erinnern, daß die Getreidepreise damals niedrig gehalten wurden, noch haben Sie Veranlassung, uns zu ermuntern, auf der anderen Seite etwas zugunsten der Landwirtschaft zu tun und die Getreidepreise hinaufgehen zu lassen. Die Getreidepreise standen hier überhaupt nicht zur Debatte, und mindestens von unserer Seite ist nirgendwo und nirgendwann einmal auch nur erwogen worden, ob man nicht etwa die deutschen Getreidepreise mehr an das Weltmarktgetreidepreisniveau anpassen sollte, als es heute tatsächlich der Fall ist. Also auch in dieser Beziehung sollte es, glaube ich, gar nicht den Versuch eines Mißverständnisses geben.
Ich möchte nur noch einmal sagen, daß unserer Meinung nach die Marktordnung in der größten Gefahr schwebt, weil ihre Einrichtungen sich mittlerweile auf eine Weise entwickelt haben, die man einfach nicht hinnehmen kann. Ich bewundere und bedaure zugleich, daß niemand von Ihrer Seite das Wort ergreift, niemand aus dem Kreise derjenigen, die nun in ihrer täglichen Praxis mit den Auswirkungen der Tätigkeit der Einfuhr- und Vorratsstellen zu tun haben. Ich bin überzeugt, daß das Leute tun könnten, die, obwohl sie sich zur Notwendigkeit der Marktordnung bekennen, die für die Landwirtschaft nun einmal nicht bestritten werden kann, auch das Bedürfnis haben sollten, etwas gegen diese Auswüchse zu unternehmen. Denn niemand wird behaupten können, daß das, was in dieser Einfuhr- und Vorratsstelle — im übrigen nicht nur in der einen — geschieht, wirklich notwendig ist, um das zu erreichen, was im Getreidegesetz als das Ziel der Marktordnung eindeutig festgelegt ist, nämlich die Sicherung der Mindestpreise — mindestens für den Erzeuger — und auf der anderen Seite die Absicherung der Höchstpreise durch einen entsprechenden Bundesvorrat.
Meine Damen und Herren, entschuldigen Sie, daß ich Ihre Aufmerksamkeit für dieses meiner Ansicht nach zentrale volkswirtschaftliche Problem noch einmal in Anspruch genommen habe. Ich glaube, wir — mindestens diejenigen, die sich ernsthaft für die Marktordnung einsetzen — sollten ein gemeinsames Interesse daran haben, diese Marktordnung zu schützen gegen alle Schwierigkeiten und gegen alle Angriffe, gegen die offenen Angriffe, die von außen kommen, und gegen die Gefahren, die eben in dem Mißbrauch der Einfuhr-und Vorratsstelle liegen. Es wird unter Ihnen genügend Leute geben, von denen — wenn Sie glauben, das Problem sei von uns vielleicht ein bißchen übertrieben — Sie sich sagen lassen können, was denn dieser Mißbrauch in Mark und Pfennig — besser gesagt: in Millionen DM — ausgedrückt uns alle gemeinsam kostet. Das aus der Welt zu schaffen, glaube ich, sollte unser gemeinsames Anliegen sein. Ganz egal, was Sozialdemokraten früher einmal in einer völlig anderen Zeit, in einer Zeit des Mangels, zu irgendwelchen Vorstellungen von mehr Freiheit — und unter anderem ja auch mehr Spekulation —gesagt haben mögen, jedenfalls im Augenblick liegen die Verhältnisse ganz anders. Daß sie anders liegen, braucht am allerwenigsten die enragierten Vorreiter der sogenannten Freiheit in der Wirtschaft daran zu hindern, für dieses Maß an Freiheit einzutreten, das heute nun einmal gegeben werden kann.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Besprechung der dritten Beratung. Eine Einzelbesprechung entfällt, da Änderungsanträge zur dritten Beratung nicht gestellt sind.
Ich komme zur Schlußabstimmung über den Entwurf eines Gesetzes über Preise für Getreide inländischer Erzeugung für das Getreidewirtschaftsjahr 1954/55 sowie über besondere Maßnahmen in der Getreide- und Futtermittelwirtschaft . Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetzentwurf in seiner Gesamtheit in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünschen, sich von ihren Plätzen zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist bei einigen Enthaltungen in der Schlußabstimmung angenommen worden.
Meine Damen und Herren, mir ist der Wunsch der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei mitgeteilt worden, die Sitzung auf eine halbe Stunde zu unterbrechen, um noch Gelegenheit zu einer Fraktionsbesprechung über das Straffreiheitsgesetz zu haben. Wie ich gehört habe, haben die übrigen Fraktionen zugestimmt.
Bevor ich die Sitzung unterbreche, darf ich noch die Ziffer 2 des Antrags des Ausschusses Drucksache 563, den von den Abgeordneten Dr. Horlacher und Genossen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Getreidepreisgesetzes 1953/54 für erledigt zu erklären, zur Abstimmung bringen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Das ist die Mehrheit. Dieser Antrag des Ausschusses ist ebenfalls angenommen.
Es ist 10 Uhr 5. Wir beginnen um 10 Uhr 35 wieder mit der Sitzung.
Die Sitzung wird um 10 Uhr 48 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Ehlers wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren! Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (Drucksache 523; Anträge Umdrucke
114, 115, 116, 117, 121, 122, 125, 127, 129).
Zunächst erfolgt die Erstattung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht. Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Furler. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Hen Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht erhielt die beiden Entwürfe eines Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit durch den Plenarbeschluß vom 26. Februar 1954 überwiesen. Er hat mit der Beratung am 16. März begonnen und sich in sechs, darunter vier ganztägigen Sitzungen mit der Materie befaßt und seine Arbeit am 7. Mai beendet. Er legt dem Hohen Hause auf Grund seiner Beschlüsse einen neuen Entwurf vor, den ich als Berichterstatter deshalb etwas eingehender darstellen muß, weil er vielfach sowohl von dem Regierungsentwurf wie von dem Entwurf der Kollegen Höcherl, Strauß, Stücklen und Genossen abweicht.
Wenn der Ihnen vorliegende Entwurf Gesetz wird, haben wir innerhalb von fünf Jahren zwei Amnestien erhalten. Dies könnte zu der Meinung verleiten, es entstehe eine Reihe von Straffreiheitsgesetzen, die einander in einem gewissen zeitlichen Rhythmus folgen. Wer so denkt, verkennt völlig das Wesen dieser Amnestie. Bei diesem zweiten Straffreiheitsgesetz handelt es sich im Grunde um eine Ergänzung des ersten. Vorgänge, die mit den außergewöhnlichen Verhältnissen des Krieges und der Nachkriegszeit zusammenhängen, sollen endgültig und letztmals auch strafrechtlich bereinigt werden. Dies konnte 1949 nicht geschehen, weil man die Situation nicht voll überblickte, vor allem auch deshalb nicht, weil die wirtschaftlichen . und moralischen Folgen jener katastrophalen Zeiten damals nicht allgemein überwunden waren, sondern noch länger weiterwirkten. Um diese Zusammenhänge klarzustellen, sagt § 1, die Straffreiheit trete ein zur Bereinigung der durch Kriegs- und Nachkriegsereignisse geschaffenen außergewöhnlichen Verhältnisse. Dieser Satz enthält insoweit keine echte Rechtsnorm. Ihm obliegt die Aufgabe, Ziel und Gründe des Straffreiheitsgesetzes klarzustellen und damit auch eindeutig zu zeigen, daß an periodische Amnestien nicht gedacht ist.
§ 1 setzt daneben den Stichtag der Amnestie, also den Tag, bis zu dem die Taten begangen sein müssen, die für straffrei erklärt werden, auf den 1. Januar 1954 fest. Zweifellos ist es ungewöhnlich, hier ein Datum zu nehmen, das erheblich nach den
öffentlichen Debatten über eine Amnestie und auch nach dem Tage liegt, an dem der erste Gesetzentwurf der Regierung an die gesetzgebenden Körperschaften weitergeleitet wurde. Der Grund für diese Fixierung auf das Jahresende 1953 war vor allem auch der Wille, klarzustellen, daß diese Amnestie weder äußere noch innere Zusammenhänge mit den Wahlen vom 6. September 1953 hat.
Neben diesem grundsätzlich geltenden Stichtag sind einige besondere zeitliche Fixierungen für einzelne Delikte vorgenommen, die ich je bei den verschiedenen Paragraphen erwähnen werde.
Der § 2 enthält nun die zentrale Norm des Gesetzes. Er bringt eine allgemeine Straffreiheit, die dem Regierungsentwurf an sich unbekannt war, aber einen wesentlichen Vorschlag des CSU-Entwurfs darstellt. Diese allgemeine Straffreiheit tritt ein, wenn die rechtskräftig verhängte, aber noch nicht vollstreckte Strafe eine Freiheitsstrafe ist, die drei Monate nicht übersteigt, oder eine Geldstrafe, bei der die Ersatzfreiheitsstrafe höchstens drei Monate beträgt, wobei diese Strafen allein oder nebeneinander ausgesprochen sein können. Anhängige Verfahren werden eingestellt, wenn höhere Strafen nicht zu erwarten sind. Neue Verfahren werden unter denselben Voraussetzungen nicht eingeleitet. Diese allgemeine Straffreiheit, die Übertretungen, Vergehen und Verbrechen gleichermaßen erfaßt, unterliegt für Vorbestrafte einer Einschränkung. Wer bei Begehung der Tat wegen vorsätzlicher Vergehen oder Verbrechen zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt mehr als einem Monat verurteilt war, kommt nicht in den Genuß dieser Straffreiheit. Diese Ausnahme ist für Übertretungen wieder gemildert. Da es sich um eine besondere Amnestie handelt, lag der Gedanke nahe, die Straffreiheit sachlich zu begrenzen, wie dies der Regierungsentwurf auch tat. Der Rechtsausschuß folgte jedoch dem im Entwurf der CSU entwickelten Gedanken einer allgemeinen, allerdings auf drei Monate begrenzten Amnestie. Er erwog hierbei, daß es zu großen praktischen Schwierigkeiten führen müßte, wenn die kausalen Zusammenhänge in jedem Einzelfalle zu überprüfen wären. Er war weiterhin der Meinung, daß die beabsichtigte generelle Bereinigung bei den leichteren Straftaten durch eine allgemeine Regelung am besten erreicht werde.
In voller Deutlichkeit entwickelt sich in § 3 der besondere und einmalige Sinn dieser Amnestie. Der Zusammenhang der Tat mit den Kriegs- und Nachkriegsereignissen ist hier zur notwendigen Voraussetzung der Straffreiheit erhoben. Infolge dieser Verhältnisse muß sich der Täter oder derjenige, dem geholfen werden soll, in einer unverschuldeten Notlage befunden haben. Wird diese Notlage festgestellt, dann tritt in einem gegenüber § 2 auf sechs Monate erhöhten Rahmen die Straffreiheit ein.
Die dem Hohen Hause vorgelegten ersten Entwürfe hatten von einer wirtschaftlichen Notlage gesprochen. Der Rechtsausschuss lehnte diese Einschränkung einstimmig ab, da sie verhindere, Notlagen moralischer, persönlicher oder sonstiger Art zu berücksichtigen. Der weitergehende Antrag, auch eine vom Täter verschuldete Notlage für die Straffreiheit genügen zu lassen, fand keine Mehrheit.
Die Amnestie vom 31. Dezember 1949 hatte Steuervergehen vom Anwendungsbereich grundsätzlich ausgeschlossen. Die Entwürfe der Regie-
rung und der CSU blieben im wesentlichen bei dieser Einstellung. Der Rechtsausschuß ging hier aber einen anderen Weg. Er hielt es schon deshalb nicht für richtig, bei dieser Amnestie die allgemeinen Straftaten und die Steuer- und Monopolvergehen verschiedenartig zu behandeln, weil gerade auf steuerlichem Gebiet die besonderen Verhältnisse der Kriegs- und Nachkriegszeit sich sehr stark auswirkten und zu Gesetzesverletzungen Anlaß gaben, die in geordneten, normalen Zeiten nicht begangen worden wären. Die Wirren der Reichsmarkzeit, die anerkannt überhöhten Steuersätze auch in den Jahren nach der Währungsreform, verursacht durch die Gesetzgebung des Kontrollrats, die Not weiter Kreise und eine Reihe anderer zeitlich bedingter Umstände brachten auch steuerstrafrechtliche Vorgänge, deren Bereinigung gerechtfertigt erscheint. Daß es im Steuerstrafrecht die Möglichkeit einer tätigen Reue gibt, konnte nach Meinung des Rechtsausschusses eine Amnestie nicht grundsätzlich, zumindest aber dann nicht ausschließen, wenn eine Periode der Verwirrung und der Auflösung der Steuermoral beendigt werden sollte.
So sehr der Rechtsausschuß wegen dieser außergewöhnlichen Verhältnisse eine Steueramnestie für notwendig hielt, so klar war er sich darüber, daß es sich hier um eine einmalige und besondere Maßnahme handelt, deren Wiederholung nicht in Betracht kommt. Der Rechtsausschuß sah die Steueramnestie auch im Zusammenhang mit der in Gang befindlichen Steuerreform, deren Ziel es ist, die Steuerlast weitgehend zu normalisieren, um so die notwendige Steuermoral allgemein zu gewährleisten. Dabei muß nach Auffassung des Rechtsausschusses die Zeit der steuerlichen Sonderlage mit dem Jahr 1952 als abgeschlossen gelten, weshalb die Amnestie auf keinen Fall solche Delikte erfassen kann, die Steueransprüche betreffen, welche nach dem 31. Dezember 1952 entstanden sind.
Der Rechtsausschuß hat in der ersten Lesung des Gesetzes seinen Entschluß, die allgemeinen und die Steuerdelikte grundsätzlich gleichzubehandeln, durch eine Streichung des § 5 des Regierungsentwurfs verwirklichen wollen. Spätere Erwägungen ergaben, daß damit in verschiedener Richtung zuviel getan war, während andererseits aber nicht das erreicht worden ist, was man gewollt hatte. Das hängt mit der steuerstrafrechtlichen Eigenart der Steuerdelikte zusammen. Der Amnestie unterliegen ja grundsätzlich nur vor dem 1. Januar 1954 begangene Straftaten. Das normale Steuerdelikt aber ist weder mit der unkorrekten Vereinnahmung eines bestimmten Betrages noch mit der Erreichung der in diesem Zusammenhang unrichtigen Steuererklärung, sondern erst dann begangen als unter die Amnestie an sich fallend, wenn dem Steuerpflichtigen die endgültigen Steuerbescheide zugegangen sind. Die Vollendung der Tat wäre also im Regelfall erst Jahre nach dem Zeitpunkt eingetreten, in dem der Steuerpflichtige einen Betrag nicht gebucht hatte.
Die völlig neue Norm des § 5 dieser Steueramnestie muß von mir noch ganz kurz erläutert werden. Zunächst ist klar, daß Steuer- und Monopolvergehen nur in dem Rahmen amnestiert werden, der für die allgemeinen Delikte in den §§ 2 und 3 gilt. Die Straffreiheit erfaßt also die kleinen und mittleren Fälle, nicht die großen Steuerdefraudanten, die auch für ihre in der Vergangenheit liegenden Taten zu bestrafen sind. Die Begriffe „Steuer- und Monopolvergehen" sind umfassend zu verstehen und durch Bezugnahme auf die Reichsabgabenordnung und die Gesetze über das Branntwein- und das Zündwarenmonopol klargestellt.
Normaliter beeinträchtigen diese Steuerdelikte Steuer- und Monopolforderungen. Mit diesen steuerverkürzenden Taten befaßt sich die Ziffer 1 des Abs. 1 des § 5. Wie schon gesagt, liegt jede Straftat außerhalb der Amnestie, die sich auf Steuer- oder Monopolforderungen bezieht, welche nach dem 31. Dezember 1952 entstanden sind. Hinterziehungen oder Verkürzungen, die die mit dem 1. Januar 1953 beginnende Zeit betreffen, bleiben also auf jeden Fall strafbar. Maßgeblich ist somit zunächst die Frage, wann eine Steuerforderung entstanden ist. Dieser Zeitpunkt wird durch das Steueranpassungsgesetz klargestellt. Danach ist bei den veranlagten Steuern eine Forderung regelmäßig am Ende des Steuerjahres entstanden, in das die steuerpflichtige Einnahme fällt. Wer also eine derartige Einnahme im Jahre 1950 bezog, sie aber nicht in seine Bücher aufnahm, verkürzte eine Steuerschuld, die im Jahre 1950 als entstanden gilt.
Liegt die Steuerschuld im Rahmen dieses Zeitraums, dann müssen noch folgende Voraussetzungen erfüllt sein, wenn die Amnestie zutreffen soll. Die Steuerstraftat muß zunächst einmal grundsätzlich vor dem 1. Januar 1954 begangen sein. Um aber die hier durch die Technik der finanzamtlichen Arbeit und die Überlastung der Finanzämter entstehenden Verzögerungen wirkungslos zu machen und weil für den Steuerpflichtigen der Unrechtsvorgang in der Regel mit der Abgabe der unrichtigen Erklärung abgeschlossen ist, wurde vorgesehen, daß es bei Taten, die sich auf erklärungspflichtige Steuern beziehen, für den Eintritt der Amnestie genügt, daß die unrichtige oder unvollständige Steuererklärung vor dem 1. Januar 1954 abgegeben wurde. In diesem Rahmen kann also ein erst später zugehender Steuerbescheid die Straffreiheit weder verhindern noch beseitigen.
Die Ziffer 2 des Abs. 1 bezieht sich auf Steuerstraftaten, denen eine Steuer- oder Monopolforderung nicht zugrunde liegt, also auf Spezialdelikte wie der Bannbruch, die Steuerzeichenfälschung und die Verletzung des Steuergeheimnisses. Hier wurde der Stichtag der Amnestie, wie allgemein, auf den 1. Januar 1954 festgelegt.
Diese Steueramnestie ist aber auch durch zwei ausdrückliche Ausschlüsse eingeengt. Auf keinen Fall werden Straftaten die Straffreiheit genießen, die sich auf Abgaben nach dem Lastenausgleichsgesetz beziehen. Die Kreditgewinnabgabe bezieht sich hierauf, ist also von der Amnestie ebenfalls ausgeschlossen. Politische, wirtschaftliche und allgemeine Gründe rechtfertigen diesen Ausschluß, der im übrigen für die Vermögensabgabe auch ohne diese Sonderbestimmung schon deshalb gegolten hätte, weil die vorgesehenen Erklärungen vor dem 1. Januar 1954 nicht abgegeben waren. Der letztere Gesichtspunkt schließt auch die Hypothekengewinnabgabe ohne weiteres von der Amnestie aus. Allerdings sind nicht ausgeschlossen alle unter die Amnestie fallenden Vergehen, die mit dem Soforthilfegesetz zusammenhängen.
Die zweite Ausnahme ist folgende. Im Zusammenhang mit der Freigabe deutscher Vermögenswerte in der Schweiz brachte ein Gesetz vom 7. März 1953 eine besondere Möglichkeit, Straffrei-
heit für Steuerdelikte zu erlangen. Der Rechtsausschuß hielt es nicht für verantwortbar, Personen nunmehr zu amnestieren, die trotz dieser Chance strafbar geblieben sind. Dies ist der Sinn der zweiten Ausnahme von der steuerlichen Straffreiheit.
Nun zu den sehr umstrittenen Interzonengeschäften. Der Handelsverkehr zwischen den Westzonen einschließlich der Westsektoren Berlins und der sowjetisch besetzten Zone nebst dem Ostsektor Berlins unterlag bis in die zweite Hälfte des Jahres 1949 keinen strafrechtlichen Beschränkungen. Der Koreakrieg und die durch ihn veranlaßte Embargo-Politik der Vereinigten Staaten brachten einen grundlegenden Wandel. Gesetze der westlichen Militärregierungen und die Ende 1949 und im Laufe des Jahres 1950 erlassenen Berliner Verordnungen stellten wirtschaftliche Vorgänge unter Strafe, die zuvor durchaus erlaubt gewesen waren. Die Erfüllung korrekt begonnener Lieferverträge konnte ebenso strafbar werden wie die Anbahnung und Durchführung neuer Geschäfte. In einer Übergangszeit bestanden Unklarheiten über die strafrechtliche Situation. Vielfach wurden aber trotz Kenntnis der Verbote Geschäfte zwischen West und Ost durchgeführt, im besonderen innerhalb des früheren einheitlichen Wirtschaftsgebietes von Berlin. In erheblichem Umfang lieferte der Westen Stahl und sonstige Rohmaterialien. Diese Vorgänge führten zu Strafverfahren, die in der Öffentlichkeit Aufsehen erregt haben. Um sich zu entschuldigen, hoben die Täter vielfach darauf ab, man habe alte Kunden jenseits des Sperrgürtels bedienen und habe ihnen helfen wollen, ihre Betriebe, die gefährdet waren, aufrechtzuerhalten, oder man habe zwar die gesetzlichen Bestimmungen gekannt, ihre wirtschaftliche und politische Bedeutung aber nicht richtig erfaßt. Die verschiedensten Stellen setzten sich für eine Amnestierung ein, die auch in dem CSU-Entwurf vorgeschlagen wurde.
Der Rechtsausschuß hat gerade diesen Teil des Amnestiegesetzes sehr eingehend erwogen. Die Mehrheit des Ausschusses trat für eine Straffreiheit deshalb ein, weil die in Betracht kommenden Vorgänge offensichtlich auf die außergewöhnlichen Verhältnisse des Krieges und der Nachkriegszeit zurückgehen, also im Rahmen der Gesamttendenz dieser Amnestie liegen, weil vielfach Menschen schuldig wurden, die in normalen Verhältnissen nicht mit dem Strafgesetz in Konflikt gekommen wären, weil mancherorts Rechtsunsicherheit oder Rechtsunkenntnis bestanden und weil im übrigen, wie die gegenwärtigen Debatten über den OstWest-Handel zeigen, die politischen Grundlagen jener Sondergesetze nicht unbestritten sind. Die Minderheit des Ausschusses verkannte diese Gesichtspunkte nicht, war aber der Meinung, die Straffreiheit führe deshalb zu besonderen Ungerechtigkeiten, weil die kleinen Sünder damals sofort abgeurteilt wurden und nach Vollstreckung der Strafe keine Möglichkeit mehr haben, an dieser Amnestie teilzunehmen. Einig waren sich allerdings alle Mitglieder des Ausschusses darin, daß üble Schiebergeschäfte nicht straffrei ausgehen sollen. Deshalb wird gerade hier der § 10 eine Rolle spielen, der Taten von der Amnestie ausschließt, die eine gemeine Gesinnung des Täters erkennen lassen oder die auf Gewinnsucht zurückgehen.
Über den Strafrahmen fanden längere Auseinandersetzungen statt. Der Rechtsausschuß folgte
dem CSU-Entwurf. Es sollen also Wirtschaftsstraftaten, die gegen die Vorschriften für Interzonengeschäfte verstoßen, dann amnestiert werden, wenn keine höhere Strafe als eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe zu erwarten ist.
Eine der schwierigsten Normen stellt diejenige des § 8 dar, die für bestimmte Straftaten während des Zusammenbruchs Straffreiheit gewährt. Ich stelle zunächst die Grundzüge der vorgeschlagenen Bestimmung dar.
Die Amnestie erfaßt eng begrenzt nur Straftaten, die zwischen dem 1. Oktober 1944 und dem 31. Juli 1945 begangen worden sind. Der Strafrahmen ist hier auf Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren und auf Geldstrafen in nicht begrenzter Höhe festgesetzt. In diesen vor allem zeitlich sehr eng gezogenen Grenzen werden Taten aber nur dann für straffrei erklärt, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind.
Zunächst muß die Tat unter dem Einfluß der außergewöhnlichen Verhältnisse des Zusammenbruchs begangen worden sein. Dann muß der Täter auf Grund eines Befehls oder in der Annahme gehandelt haben, eine Amts-, Dienst- oder Rechtspflicht zu erfüllen. Selbst wenn aber diese Voraussetzungen gegeben sind, bleibt derjenige strafbar, dem nach seiner Stellung oder Einsichtsfähigkeit zuzumuten war, die Straftat zu unterlassen. Diese Herausnahme von Tätern, die persönlich oder durch ihre dienstliche Bedeutung qualifiziert sind, erfolgte aus der Tendenz, führende Persönlichkeiten nicht zu amnestieren. Der Straffreiheit würdig erschienen dem Ausschuß nur Menschen, die in abhängiger Situation schuldig wurden und von denen nicht gesagt werden kann, daß sie die grauenhaften Vorgänge jener Monate mit zu verantworten haben.
Wer die entsprechende Norm des Regierungsentwurfs mit der nunmehr vorgeschlagenen Fassung vergleicht, versteht, daß im Rechtsausschuß sehr lange um eine Formulierung gerungen wurde, welche die der Amnestie würdigen Taten von jenen abgrenzt, die auch in Zukunft wegen ihres hohen Unrechtsgehaltes noch der sühnenden Strafe zugeführt werden müssen. Die vorgeschlagene Fassung geht auf die Bemühungen des Bundesjustizministeriums, speziell aber auf die Formulierungen der Kollegen Dr. Arndt und Dr. Greve zurück. Sie wurde in der zweiten Lesung vom Rechtsausschuß mit 14 zu 2 Stimmen bei einer Enthaltung angenommen.
Wegen der allgemeinen Erwägungen, die zu dieser Norm überhaupt führten, darf ich auf die Rede des Herrn Bundesjustizministers und auf die Debatte bei der ersten Lesung der Gesetzentwürfe verweisen.
Es kommt nun eine Amnestie für diejenigen Straftaten, die mit der Verschleierung des Personenstandes zusammenhängen. Ich kann mich hier kurz fassen. Der Entwurf und der Vorschlag des Rechtsausschusses stimmen im wesentlichen überein. Der § 9 wurde im ersten Durchgang auch vom Bundesrat einstimmig gebilligt. Im Rahmen von Geldstrafen und Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren sollen alle Straftaten amnestiert werden, die zur Verschleierung des Personenstandes aus politischen Gründen begangen worden sind. Der Entwurf will daneben eine unbegrenzte Straffreiheit demjenigen geben, der freiwillig eine falsche Angabe richtig-stellt. Wegen der bedauerlich langen Dauer des
gesetzgeberischen Verfahrens war es notwendig, die ursprünglich vorgesehene Frist bis zum 31. Dezember 1954 zu verlängern.
Der 1. Deutsche Bundestag hatte mit Zustimmung des Bundesrates im Juli 1953 ein spezielles Straffreiheitsgesetz beschlossen, die sogenannte Platow-Amnestie. Dieses zustande gekommene Gesetz ist bis heute weder gegengezeichnet noch verkündet. Es wurde mit der Behauptung angegriffen, daß es gegen materiell-rechtliche Normen des Grundgesetzes verstoße. Zu diesem Streit kam ein zweiter verfassungsrechtlicher Konflikt, der sich aus der Verweigerung der Gegenzeichnung und der Verhinderung der Publikation entwickelte. Die Bundesregierung will diese wenig erfreuliche verfassungsrechtliche Situation bereinigen. Der Entwurf der Abgeordneten Höcherl, Strauß und anderer enthält hier keine Bestimmung, möchte also jene Platow-Amnestie ihrem sich weiter entwickelnden verfassungsrechtlichen Schicksal überlassen. Nach eingehenden Beratungen entschloß sich der Rechtsausschuß mit großer Mehrheit, den früheren Gesetzesbeschluß durch eine neue Regelung zu ersetzen, hierbei aber den Umfang der ursprünglich beabsichtigten Amnestie beizubehalten. Der Rechtsausschuß möchte damit den politischen Willen des ersten Bundestags, der in einer großen Mehrheit aus allen Fraktionen zum Ausdruck gekommen war, respektieren, zugleich aber dazu beitragen, verfassungsrechtliche Differenzen zu bereinigen, wobei er jedoch weder die gegen den Gesetzesbeschluß erhobenen Einwendungen billigen noch ein Recht der Bundesregierung anerkennen will, einem zustande gekommenen Gesetz die Gegenzeichnung deshalb zu verweigern, weil es gegen materiell-rechtliche Normen des Grundgesetzes verstoße. Der Rechtsausschuß ging dabei auch davon aus, daß es sich bei den hier in Betracht kommenden Vorgängen um solche handelt, die letzten Endes noch mit den Verwirrungen einer außergewöhnlichen Zeit zusammenhängen, also in den eigentlichen Anwendungsbereich dieses neuen Straffreiheitsgesetzes fallen.
In Abänderung des einschränkenden Regierungsentwurfs schuf der Rechtsausschuß mit dem Ihnen vorliegenden § 9 a eine Norm, die alle mit dem Komplex zusammenhängenden Straftaten erfaßt ohne Rücksicht auf ihre rechtliche Qualifikation, ohne Begrenzung des Strafrahmens und ohne Einschränkung auf Verleger, Journalisten, Angehörige des öffentlichen Dienstes, womit sich auch die verfassungsrechtlichen Angriffe gegen den Gesetzesbeschluß von 1953 erledigen. Dieser § 9 a liegt im Gesamtaufbau des neuen Amnestiegesetzes, weshalb für ihn selbstverständlich die allgemeinen Bestimmungen gelten, also auch der § 10 des Entwurfs, der aber für die praktische Anwendung der Straffreiheit hier deshalb ausscheidet, weil die Delikte des Katalogs keine Rolle spielen und die besonders qualifizierten Voraussetzungen der Gewinnsucht und der gemeinen Gesinnung nicht zutreffen.
Der Rechtsausschuß hielt es für richtig, die formalen Folgerungen dieser neuen Regelung zu ziehen und Ihnen in § 22 b vorzuschlagen, den Beschluß des Deutschen Bundestags vom 18. Juni/ 29. Juli 1953 über die Annahme des Entwurfs eines Gesetzes über Straffreiheit ausdrücklich aufzuheben.
Die von mir soeben entwickelten Normen befassen sich mit den materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Amnestie. Die sich anschließenden §§ 10 bis 21 enthalten überwiegend formelle Bestimmungen, von denen ich nur diejenigen kurz streifen will, die allgemeinere Bedeutung haben. Dies gilt zunächst für § 10 Abs. 1. Dort steht eine Liste von schweren Straftaten, die keinesfalls amnestiert werden sollen. Die relativ geringen Strafrahmen zeigen schon, daß Delikte wie Mord, Raub usw. nicht amnestiert werden sollen. Die Liste interessiert aber hier mehr durch das, was nicht oder, besser gesagt, nicht mehr in ihr steht. Es handelt sich vor allem um die Vergehen gegen Vorschriften zur Sicherung des Straßenverkehrs, die der Regierungsentwurf von der Amnestie ausnehmen wollte. Nach langen Debatten hat sich die Mehrheit des Rechtsausschusses dafür entschieden, auch den Verkehrssündern Straffreiheit zu gewähren. Bis zuletzt war es allerdings sehr strittig gewesen, ob nicht wenigstens die Delikte der Fahrerflucht und der Trunkenheit am Steuer ausgenommen werden sollten. Nach eingehenden, ja geradezu leidenschaftlich geführten Debatten wurden die entsprechenden Anträge abgelehnt. Auch die Gegner einer solchen Beschränkung der Amnestie verkannten nicht die Notwendigkeit, den Kampf um die Sicherheit des Straßenverkehrs mit aller Entschiedenheit fortzusetzen und vor allem auch strafrechtlich dagegen einzuschreiten, daß alkoholische Genüsse auf die Fahrtüchtigkeit des Kraftwagenführers einwirken. Bei der Entscheidung spielte eine Rolle, daß echte Fahrerflucht und deutlicher und schuldhafter Alkoholmißbrauch durch Strafen geahndet werden, die über den vorgesehenen drei Monaten liegen. Die Mehrheit des Ausschusses — und dies war letztlich entscheidend — hielt es aber für ein Gebot der Gerechtigkeit, in leichteren Fällen die hier in Betracht kommenden Täter gegenüber einem Dieb oder Betrüger nicht zu disqualifizieren.
Im nächsten Absatz dieses § 10 ist der Begriff der Gewinnsucht wichtig. Hierzu ist zu bemerken, daß eine Gewinnsucht, die die Amnestie ausschließt, nicht schon dann vorliegt, wenn der Täter mit der Tat einen Vermögensvorteil erstrebte. Bei vielen Straftaten gehört die Absicht, einen solchen Vorteil zu erreichen, zum gesetzlichen Tatbestand. Von Gewinnsucht kann auch dann noch nicht gesprochen werden, wenn durch die Tat große, bedeutende Gewinne erzielt wurden. Der Entwurf übernimmt den Begriff der Gewinnsucht aus dem Strafgesetzbuch, im besonderen aus dessen § 27 a. Er übernimmt ihn mit dem Inhalt, der ihm durch die Rechtsprechung der höchsten Gerichte, des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes, gegeben wurde. Danach ist Gewinnsucht — ich darf wörtlich zitieren — „die Steigerung des berechtigten Erwerbssinnes auf ungewöhnliches, ungesundes, sittlich anstößiges Maß. Sie ist vorhanden, wenn das Verlangen des Täters nach Gewinnerzielung ihn mit solcher Gewalt beherrscht, daß er hemmungslos unterliegt, ohne auf die Schranken zu achten, deren Innehaltung Gesetz und Recht, geschäftlicher Anstand und die schuldige Rücksicht auf seine Mitmenschen von ihm fordern." Diese besonders qualifizierten Voraussetzungen sind zu beachten, wenn der § 10 Abs. 2 angewandt werden soll.
Wegen der übrigen, mehr formalen Bestimmungen darf ich auf die amtliche Begründung verweisen.
Zum Verständnis der Gesamtamnestie will ich nur noch sagen, daß unter die Amnestie nur Strafen und Maßnahmen strafartigen Charakters fallen, also Nebenstrafen, gesetzliche Nebenfolgen, Bußen und auch die Kosten der Strafverfahren. Maßnahmen aber, die nur im Zusammenhang oder aus Anlaß eines Strafverfahrens getroffen wurden, jedoch nicht unter den Begriff der Strafe gefaßt werden können, werden von der Amnestie nicht berührt. Es bleiben also bestehen Maßnahmen zur Sicherung und Besserung, Einziehung, Unbrauchbarmachung und Verfallerklärungen. Es bleibt also z. B. auch aufrechterhalten die gerichtliche Entziehung des Führerscheins; die polizeiliche hat von vornherein keinen strafrechtlichen Charakter.
Aus dieser Grundhaltung ergibt sich auch das Wichtige, daß die Amnestie Dienststrafen, ehrengerichtliche Strafen und die entsprechenden Verfahren ebensowenig berührt wie zivilrechtliche Folgen, die sich an strafbare Handlungen anschließen.
Sie wissen, daß im Zusammenhang mit Strafverfahren wegen Zuwiderhandlungen gegen das Branntweinmonopolgesetz in vielen Fällen Brennrechte und die Vergünstigungen, unter Abfindung zu brennen, verlorengingen. Es wurde eingehend erörtert, ob diese gesetzlichen Nebenfolgen durch die Amnestie ergriffen werden sollten. Selbst bei einer Ausdehnung der Amnestie wären die schon früher eingetretenen Verluste bestehengeblieben. Die hier vorhandenen besonderen Wünsche werden nunmehr durch einen neuen Erlaß des Bundesfinanzministers erfüllt, der in weitem Umfange die Wiederherstellung verlorener Brennrechte und Vergünstigungen im Verwaltungswege im Einzelfall anordnen läßt. Eine entsprechende Praxis wurde für den Wegfall der Steuererleichterung nach § 82 Buchstabe b des Tabaksteuergesetzes zugesagt. Damit konnte § 14 a Abs. 2 unter allgemeiner Billigung in die Amnestie aufgenommen werden.
Ähnliches gilt prinzipiell für .die Behandlung der Jugendstrafverfahren. Soweit Jugendstrafen ausgesprochen sind, fallen diese unter die Amnestie. Soweit Maßnahmen zur Sicherung und Besserung getroffen worden sind, kommt die Amnestie nicht in Betracht. Der Jugendarrest gilt dogmatisch und systematisch nicht als Strafe, weshalb der Rechtsausschuß es für richtig gehalten hat, den Jugendarrest nicht in die Amnestie einzubeziehen. Die entsprechenden Verfahren werden daher weitergeführt.
Aus den formellen Bestimmungen muß ich nur noch auf diejenige des § 18 a hinweisen, die eine neue und grundsätzliche Bedeutung hat. Der Rechtsausschuß hat hier eine sehr bedeutsame Ergänzung eingefügt. Während nach den Entwürfen der eines Verbrechens oder Vergehens Beschuldigte trotz der Amnestie die Fortsetzung des Verfahrens erzwingen kann, um seine Unschuld geltend zu machen, fehlte — im Gegensatz zum ersten Straffreiheitsgesetz — eine entsprechende Norm für denjenigen, der durch eine Beleidigung, üble Nachrede oder Verleumdung verletzt war. Der Rechtsausschuß hielt es einstimmig für notwendig, die Möglichkeit zu geben, über derartige Tatsachen auch dann eine Feststellung treffen zu können, wenn das diese Tatsachen behandelnde Strafverfahren durch die Amnestie eingestellt wird. Die hier vorgeschlagene Norm ist den gesetzlichen Vorarbeiten entnommen, die das Bundesjustizministerium im Hinblick auf die Reform strafprozessualer Vorschriften seit Jahren durchgeführt hat. Grundsatz ist, daß der Verletzte die Weiterführung eines Strafverfahrens trotz der Amnestie mit dem Ziel verlangen kann, festzustellen, daß eine ehrenrührige Behauptung tatsächlicher Art, die der Beschuldigte aufgestellt oder verbreitet hat, unwahr oder haltlos ist. Ich muß dazu drei Dinge kurz bemerken. Zunächst, die Möglichkeit wird nur bei Verfahren wegen Beleidigung, übler Nachrede oder Verleumdung gegeben und nicht in den Fällen der §§ 95 und 97 des Strafgesetzbuchs. Sodann kann nur der Verletzte einen entsprechenden Antrag stellen. Die Staatsanwaltschaft ist also auch bei Offizialverfahren nicht in der Lage, hier gegen den Willen des Verletzten zu handeln. Ergibt sich im Laufe eines solchen trotz der Amnestie fortgesetzten Verfahrens, daß die vom Beschuldigten aufgestellte Behauptung unwahr ist, so hat das Gericht dies durch Urteil festzustellen. Aber zwischen einer als unwahr erwiesenen und einer Behauptung, deren Wahrheit nicht als bewiesen angesehen werden kann, gibt es eine Reihe von Grenzfällen, im besonderen dann, wenn es sich um Vorwürfe handelt, die nach der Überzeugung des Gerichts jeder Grundlage entbehren, bei dienen aber ein schlüssiger Beweis der Unwahrheit nicht zu führen ist. Man denke an Vorgänge, die lange Zeit zurückliegen oder die sich z. B. in Gebieten ereignet haben, in denen wir heute irgendwelche Beweisaufnahmen nicht mehr durchführen können. In derartigen Fällen wäre es unbefriedigend, den Verletzten mit dem non liquet, also mit dem Spruch abtun zu müssen, die Unwahrheit der ihn verleumdenden Behauptung sei nicht erwiesen. Hier ermöglicht der Entwurf zwar nicht die Feststellung der Unwahrheit, wohl aber die der Haltlosigkeit der Behauptung.
Ein ebenso wichtiges wie ernstes Anliegen vieler Mitglieder des Rechtsausschusses war es, im Rahmen dieser Amnestie auch das Strafregister zu bereinigen. Mit dem Regierungsentwurf schlägt der Rechtsausschuß vor, Strafregistervermerke über Verurteilungen wegen Wirtschaftsstraftaten in weitem Umfang zu tilgen. Diese Tilgung soll bei Verurteilungen, die vor dem 8. Mai 1945 liegen, bis zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und bei allen Geldstrafen erfolgen. Liegen die Verurteilungen zwischen dem 8. Mai 1945 und dem 31. Dezember 1949, so werden Gefängnisstrafen bis zu einem Jahr, Geld- und Haftstrafen getilgt.
Mit dieser Bereinigung des Strafregisters werden aber die erwähnten besonderen Wünsche nur teilweise erfüllt. Diese gehen nach doppelter Richtung. Einmal hält man es für unbefriedigend, daß die Amnestie Täter in erheblichem Umfang von der Strafe befreit, während diejenigen, deren Strafe vollstreckt ist, nicht nur dies in Kauf nehmen müssen, sondern auch noch als vorbestraft im Strafregister vermerkt bleiben. Es sei mithin, meinen diese, ein Gebot der Gerechtigkeit, im Rahmen der Strafgrenzen dieser Amnestie für einen erheblichen Zeitraum vor dem Stichtag wenigstens eine beschränkte Auskunft aus dem Strafregister anzuordnen. Sodann wird darauf hingewiesen, daß in der Zeit zwischen der ersten Veröffentlichung über eine beabsichtigte Amnestie und deren Inkrafttreten verschiedene Strafen vollstreckt wurden und mithin die Strafregistereinträge bleiben, auch wenn ohne diese Vollstreckung nunmehr die Amnestierung einträte und
das Strafregister überhaupt keinen Eintrag bekäme. Nach eingehenden Erörterungen erkannte die Mehrheit des Rechtsausschusses zwar die allgemeine Berechtigung dieses Verlangens an, glaubte jedoch eine gesetzliche Norm wegen der außerordentlichen verwaltungsmäßigen Schwierigkeiten nicht verantworten zu können, Schwierigkeiten, die vor allem den Landesjustizverwaltungen entstehen würden, in deren Zuständigkeit ja die Strafregister liegen. Um j edoch offensichtliche Ungerechtigkeiten, die sich gerade wegen der so bedauerlich langsamen Entstehung dieses Straffreiheitsgesetzes ergeben können, zu beseitigen, war der Rechtsausschuß einstimmig dafür, dem Bundestag die Entschließung zur Annahme zu empfehlen, die Ihnen auf Drucksache 523 unter Ziffer 2 vorliegt.
Nun noch ganz wenige Worte zu den Ordnungswidrigkeiten. Sie stehen in grundsätzlichem Gegensatz zu den strafbaren Handlungen. Sie werden nicht als kriminell, sondern durch Geldbußen gesühnt. Aber wegen der strafähnlichen Wirkung der Geldbußen und weil es nicht gerechtfertigt erscheint, Straftaten zu amnestieren, die im allgemeinen weniger schwerwiegenden Ordnungswidrigkeiten aber der vollen Strenge des Gesetzes auszusetzen, stellten die Amnestie von 1949 und die Entwürfe Straftaten und Ordnungswidrigkeiten amnestierechtlich gleich. Der Rechtsausschuß folgt dem, läßt aber die isystematischen Unterschiede durch die Überschrift und dadurch deutlich werden, daß die Ordnungswidrigkeiten in einem besonderen Abschnitt 3 geregelt werden. Der Antrag, zwei getrennte Gesetze zu schaffen, wurde abgelehnt.
Es war lange sehr strittig, in welcher Höhe Ordnungswidrigkeiten iamnestiert werden sollen. Der Rechtsausschuß entschloß sich, die von der Regierung vorgeschlagene Strafhöhe von 10 000 DM auf 5000 DM herabzusetzen.
Die Beschlüsse des Rechtsausschusses haben die Entwürfe nach den verschiedensten Richtungen umgestaltet, erweitert und, wie der Ausschuß meint, auch verbessert. Der Rechtsausschuß ist sich wohl bewußt, daß jede Amnestie mit Mängeln verbunden und unvollständig ist und daß ein Straffreiheitsgesetz weder allen Wünschen gerecht werden noch alle Bedenken ausschalten kann. Wenn er aber nach langer Beratung gerade auch der grundsätzlichen Frage dem Hohen Hause die Annahme seines Entwurfs empfiehlt, dann deshalb, weil er von der Notwendigkeit einer endgültigen Bereinigung der aus dem Zusammenbruch und seinen Folgen kommenden strafrechtlichen Vorgänge ebenso überzeugt ist wie davon, daß seine Beschlüsse diesem Ziele und den Forderungen der Gerechtigkeit so nahe kommen, wie dies bei einer so komplexen und schwierigen Materie überhaupt möglich ist.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten nunmehr in die zweite Beratung ein, die als Einzelberatung durchgeführt werden muß. Zunächst eine Frage: Es scheint offensichtlich nicht völlige Klarheit darüber zu bestehen, wie mit den Änderungsanträgen verfahren werden soll. Wenn ich richtig berichtet bin, sollen die Änderungsanträge mit einer Ausnahme aufrechterhalten werden.
Ich rufe § 1 auf. Dazu ist ein Änderungsantrag Dr. Mocker und Fraktion, Umdruck 125*), angekündigt. Wird der Antrag begründet? — Das ist nicht der Fall.
— Umdruck 125. fn § 1 sollen die Worte „vor dem 1. Januar 1954" durch die Worte „bis zum 31. März 1954" ersetzt werden. Meldet sich niemand? — Wird der Antrag nicht aufrechterhalten?
— Er wird aufrechterhalten.
Dann lasse ich abstimmen. Wer für diesen Änderungsantrag ist, den bitte ich um ein Handzeichen.
— Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit. Damit ist der Antrag gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt.
§ 2. Kein Antrag. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
§ 3. Hierzu liegt unter Ziffer 1 des Umdruckes 127**) ein interfraktioneller Änderungsantrag vor. Der Antrag wird nicht begründet?
Wer für diesen Änderungsantrag ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen.
— Ich hatte danach gefragt. Entschuldigen Sie bitte, ich hatte Sie nicht gesehen. Wer ist dagegen?
— Ich stelle fest, daß außer den Enthaltungen noch 3 Gegenstimmen zu verzeichnen sind.
§ 4 entfällt. In der Drucksache ist auf § 21 a v erwiesen.
§ 5. Hierzu liegt unter Ziffer 1 des Umdrucks 114***) 011enhauer und Fraktion ein Änderungsantrag vor. Wird er begründet? — Das Wort hat der Abgeordnete Rehs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anläßlich der ersten Lesung sind von meinem Fraktionsfreund Greve schwerwiegende und grundsätzliche rechtspolitische Bedenken gegen den seinerzeit von der Regierung vorgelegten Entwurf eines Straffreiheitsgesetzes vorgetragen worden. Gleichwohl haben wir uns eindringlich bemüht, zu einer gemeinsamen Lösung des nun einmal aufgeworfenen Problems zu gelangen. Wir sind der Auffassung, daß, wenn man eine Amnestie macht, ein solch außerordentlicher Eingriff in die Rechtspflege von der Zustimmung und Verantwortung des ganzen Parlaments getragen werden sollte und auch sollte getragen werden können.
Ein Teil unserer damaligen Bedenken ist durch die Beratungen im Rechtsausschuß behoben worden. In einigen uns wesentlich erscheinenden Punkten allerdings sind wir der Meinung, daß die richtige Lösung noch nicht gefunden ist. Bereits im Rahmen der ersten Lesung ist auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. April 1953 hingewiesen worden, wo gesagt ist, daß die Auffassungen über die Amnestie einer Wandlung unterworfen gewesen sind und daß sie im Bewußtsein der Be-
*) Siehe Anlage 8. **) Siehe Anlage 9. ***) Siehe Anlage 3.
völkerung heute weniger eine Gnade als eine gewisse Rechtskorrektur darstellt. Ich will auf diese These nicht weiter eingehen. Aber ganz off ensichtlich haben Vorstellungen in dieser Richtung auch bei der Begründung eine Rolle gespielt, die der Herr Bundesjustizminister anläßlich der ersten Lesung gegeben hat. Er sprach davon, das alleinige Ziel und der alleinige Zweck der Amnestie sei, eine Befriedung zu schaffen. Wenn wir diesem Begriff der Rechtskorrektur Platz geben, d. h. das rechtliche Gleichgewicht zwischen zeitlichen Verhältnissen, Tat und Gesetz und das Gleichgewicht zwischen zeitverflochtenen Handlungen und normalisiertem Rechtsbewußtsein herstellen wollen, dann ist es ein Grunderfordernis, daß diese Rechtskorrektur in sich ausgewogen und gerecht ist. Eine Amnestie, die mit ungleichen Maßstäben messen, die einzelne Gruppen begünstigen und andere benachteiligen würde, würde diesem Erfordernis der inneren Gerechtigkeit nicht entsprechen. Auch nur der Anschein einer gewissen Ungleichheit würde sich für das sich gerade erst wieder stabilisierende Rechtsbewußtsein bei uns sehr bedenklich auswirken können. Eine Amnestie darf gerade bei dem kleinen Mann nicht das Gefühl erwecken, daß für ihn etwa die Maschen des Gesetzes enger geknüpft werden als für den Großen, den sozial Bessergestellten, den wirtschaftlich Stärkeren, der ohnehin ganz andere Möglichkeiten der Verteidigung zur Verfügung hat. Wir sind daher der Meinung, daß in einigen Punkten des Gesetzes durch die vom Rechts- und Verfassungsausschuß vorgeschlagene Formulierung dem rechten inneren Maß der Amnestie noch nicht entsprochen wird. Wir begrüßen es, daß sich auch die Koalitionsparteien diesem Grunderfordernis nicht verschlossen und durch den interfraktionellen Antrag, der eben die überwältigende Zustimmung des Hauses gefunden hat, dazu beigetragen haben, daß unsere schwerwiegendsten Be lenken gegen das Gesetz ausgeräumt worden sind.
Allerdings ist in dem § 5, der die Steuer- und Monopolvergehen behandelt, noch nicht alles getan, was zur Schaffung der inneren Gerechtigkeit dieser Amnestie möglich wäre. Das Entscheidende dieser Bestimmung ist doch, daß nach ihrer bisherigen Fassung die Straffreiheit ohne Rücksicht auf die Höhe des hinterzogenen Steuerbetrages gewährt wird, also z. B. auch dann, wenn es sich um einen Betrag von 100 000 oder gar 1 Million DM handelt. Wir sind mit Ihnen, meine Damen und Herren, der Auffassung, daß, wenn man eine Amnestie macht, in dieser für den kleinen Steuersünder, den Handwerker oder den kleinen Einzelhandeltreibenden, die insbesondere nach der Währungsreform ihre Existenz erst sehr mühsam wieder festigen mußten und bei denen noch manche Buchführungssünden aus der Vorzeit nachhängen, die Rechtswohltat der Amnestie selbstverständlich zum Zuge kommen soll. Die Amnestie sollte aber nicht den ausgesprochenen Großschiebern aus jener trüben Vor- oder Nachwährungsepoche oder notorischen Steuerbetrügern zugute kommen. Betrachten Sie bitte die Relation zwischen dem Delikt, bei dem einer z. B. ein Pfund Kaffee geschmuggelt hat und wegen Steuerhinterziehung — bei Wiederholung sogar wegen Rückfalls — mit drei Monaten Gefängnis bestraft wird, und einer Steuerhinterziehung, bei der dem Staat Hunderttausende vorenthalten werden und die im Wege des Unterwerfungsverfahrens erledigt wird. Es ist ja charakteristisch, daß der größte Teil dieser Fälle mit der Unterwerfung endet. Hier würde also die Amnestie praktisch sehr viel weiter gehen als sonst, wo durch den Strafrahmen von drei Monaten eine Grenze gezogen ist. Um des inneren Gleichgewichts willen halten wir es daher für angezeigt, daß die Amnestierung von Steuer- und Monopolvergehen nicht nur an die Voraussetzungen der §§ 2 und 3, sondern auch an die Höhe des hinterzogenen Steuerbetrages anknüpft. Wir meinen, daß sie sich auf Fälle beschränken muß, in denen der hinterzogene Betrag nicht höher als 10 000 DM ist. Deshalb haben wir den Antrag gestellt, in § 5 Abs. 1 Nr. 1 vor den Worten „bis zum 31. Dezember 1952" die Worte „den Betrag von 10 000 Deutsche Mark nicht übersteigt und", ferner nach den Worten „beendet worden ist" die Worte „und die Steueroder Monopolforderung den Betrag von 10 000 Deutsche Mark nicht übersteigt" einzufügen.
Meine Damen und Herren, dieser Antrag enthält für Sie keine Beschwernis. Da in jedem Fall auch die Begrenzung auf die drei Monate bestehenbleibt, sichert unser Antrag lediglich, daß die großen und gerissenen Steuermanipulanten auf irgendeine von uns heute nicht voraussehbare und nicht kontrollierbare Weise im Geleit der Amnestie davonziehen. Wo Steuern von Zehntausenden von D-Mark hinterzogen worden sind, ist von selbst eine „Notlage" ausgeschlossen und ist außer jedem Zweifel eine Einstellung zu der staatlichen Gemeinschaft vorhanden, die die Amnestiewürdigkeit begrifflich ausschließt.
Wir bitten Sie, mit der Annahme unseres Antrags auch in dieser Hinsicht das notwendige innere Gleichgewicht und das gerechte Maß in diesem Gesetz herzustellen.
Wird das Wort weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung über Ziffer 1 des Antrags Umdruck 114.*) Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Meine Damen und Herren, es tut mir leid, daß ich zum Hammelsprung aufrufen muß. Das Haus ist so ungleichmäßig besetzt, daß eine bloß topographische Übersicht nicht genügt, um die Mehrheit festzustellen.
Ich bitte, die Türen zu schließen und mit der Auszählung zu beginnen.
Ich bitte, die Abstimmung zu beschleunigen.
Meine Damen und Herren, ich bitte, die Türen zu schließen. Die Auszählung ist beendet.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis der Abstimmung: an der Abstimmung beteiligt haben sich 351 Mitglieder des Hauses; mit Ja haben gestimmt 148, mit Nein 185, der Stimme enthalten haben sich 18 Mitglieder des Hauses. Damit ist der Änderungsantrag Umdruck 114 Ziffer 1 abgelehnt.
Ich lasse nunmehr abstimmen über § 5 und über § 3, bei dem die Abstimmung aus Versehen unterlassen wurde. Wer für § 3 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Einstimmige Annahme.
*) Siehe Anlage 3.
— Eine Gegenstimme, und da drüben noch eine Gegenstimme. Ich bitte sehr um Entschuldigung, daß ich Sie übersehen habe.
§ 5. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Bei zwei Gegenstimmen und vier Enthaltungen angenommen.
§ 6 entfällt.
§ 6 a. Hier sind Änderungsanträge angemeldet. Antrag Umdruck 114 Ziffer 2 ist zurückgezogen.
Besteht Einverständnis, daß Umdruck 116 Ziffer 1, Antrag der Fraktion des GB/BHE, ebenfalls zurückgezogen ist?
— Ziehen Sie ihn formell zurück?
Umdruck 127*) Ziffer 2 wird nicht besonders begründet. Es ist der interfraktionelle Antrag. Keine Wortmeldung dazu? — Dann stimmen wir ab. Wer für die Annahme des Antrags Umdruck 127 Ziffer 2 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Gegenstimme angenommen.
§ 7 entfällt.
§ 8. Dazu liegt der Änderungsantrag Umdruck 114**) Ziffer 3 vor.
Das Wort hat der Abgeordnete Bauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es erweist sich als notwendig, einige Worte der Begründung zum Änderungsantrag meiner Fraktion zu § 8 zu sagen, weil wir diesen Antrag unbeschadet des interfraktionellen Antrags Umdruck 127 aufrechterhalten. Der Paragraph ist überschrieben „Taten während des Zusammenbruchs". Wie lautet die Bestimmung?
Für Straftaten, die unter dem Einfluß der außergewöhnlichen Verhältnisse des Zusammenbruchs in der Zeit zwischen dem 1. Oktober 1944 und dem 31. Juli 1945 in der Annahme einer Amts-, Dienst- oder Rechtspflicht, insbesondere auf Grund eines Befehls, begangen worden sind, wird über die §§ 2, 3 hinaus Straffreiheit gewährt, wenn nicht dem Täter nach seiner Stellung oder Einsichtsfähigkeit zuzumuten war, die Straftat zu unterlassen und keine schwerere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren und Geldstrafe, allein oder nebeneinander, beim Inkrafttreten dieses Gesetzes rechtskräftig verhängt oder zu erwarten ist.
Im Zusammenhang mit dieser Formulierung muß aber auch darauf hingewiesen werden, daß der § 10 der Vorlage von den Straftatbeständen, die die Straffreiheit ausschließen, den Totschlag ausdrücklich ausnimmt. Das bedeutet, daß der Tatbestand des Totschlags für die Fälle des § 8 ebenfalls in die Amnestie einbezogen werden kann. Nun sind auch wir Sozialdemokraten uns darüber klar, daß man bei der Problematik, die allgemein mit dem Begriff Befehlsnotstand verbunden ist, ein äußerst diffiziles Gebiet betritt. Auch der Verhärtetste unter uns weiß, daß diese Taten nicht etwa nach dem alttestamentarischen Grundsatz „Auge um Auge,
*) Siehe Anlage 9. **) Siehe Anlage 3.
Zahn um Zahn" nachträglich voll gesühnt werden könnten. Auch wir haben deutlich zu erkennen gegeben, daß wir für den Fall des Erlasses einer allgemeinen Amnestie diesen Rechtskomplex als solchen nicht ausgeschlossen sehen wollen. Wir vertreten dabei allerdings die Meinung, daß ein Strafmaß von drei Jahren, wie es in diesem Vorschlag vorgesehen ist, bei allem guten Willen zum Verständnis und zur Milde zu weitgehend ist.
Wie verhalten sich nun die Dinge im einzelnen? Unter den mannigfachen Argumenten, die im Ausschuß für eine möglichst weitgehende Amnestie auf diesem Gebiet vorgetragen worden sind, ist auch der Grund angeführt worden, der Richter gerate zusehends in den Bereich der Willkür, wenn er über die Tatbestände urteilen solle, die wegen der Länge der seitdem verstrichenen Zeit in der damaligen Atmosphäre kaum genügend rekonstruiert, geschweige denn hinreichend gewürdigt werden könnten. Insofern sei eine einwandfreie Rechtsfindung kaum gewährleistet, und eine besonders ausgedehnte Amnestie sei daher empfehlenswert.
Demgegenüber muß doch wohl festgestellt werden, daß bei jedem weiter zurückliegenden Tatbestand, vor allen Dingen dann, wenn er sich etwa dem Ablauf der Verjährungsfrist nähert, sowohl objektiv wie subjektiv rekonstruiert, gewürdigt und ein Urteil gefällt werden muß, auch dann, wenn die Umstände zwischen der Begehung der Tat und der Aburteilung sich inzwischen erheblich gewandelt haben sollten.
Dann ist argumentiert worden, die Fällung neuer Urteile und die Vollstreckung bereits auf diesem Gebiet verhängter Strafen bedeuteten eine schlechte Hilfestellung oder vielleicht sogar das Gegenteil einer Hilfestellung im Hinblick auf die gegen Deutsche im Ausland noch zu verhandelnden sogenannten Kriegsverbrecherprozesse. Dem muß wohl entgegengehalten werden, daß einmal die Prozesse im wesentlichen abgeschlossen sein dürften, die Zahl der noch zu erwartenden kaum nennenswert sein dürfte. Zum andern, glaube ich, dürfen wir letzten Endes die Wirkungen im Ausland nicht unterschätzen, die durch eine so weitgehende Amnestierung der auf diesem Gebiet zu verzeichnenden Straftaten entstehen müssen. Gerade dafür hat man, vielleicht leider, auch noch heute nicht nur bei unseren direkten Nachbarn, sondern auch im übrigen Europa und vor allen Dingen in Übersee ein ziemlich feines Gehör.
Nun scheint es mir notwendig, einige Beispiele aus der Praxis der Rechtsprechung herauszugreifen. Bei diesen Fällen kommt es mir darauf an, möglichst verschiedenartige Tatbestände zu erfassen. Ich versuche, Sie zu überzeugen, daß im Hinblick auf die Urteile gleichwohl eine gewisse Linie beobachtet werden kann. Ein erster Fall: Der SS-General Gutenberger läßt im März 1945 den Aachener Oberbürgermeister Oppenhoff erschießen. Ergebnis der Verhandlung vor dem Aachener Schwurgericht im Dezember 1953: 2 1/2 Jahre Gefängnis. Der Fall fiele unter die Amnestie, wenn die Strafe nicht schon verbüßt wäre.
Eine zweite Gruppe, die mir typisch zu sein scheint, betrifft die Fälle der sogenannten „Lynchjustiz". SS-Sturmbannführer Seidel erschießt im Eifelgebiet im Dezember 1944 einen nach Abschuß mit Fallschirm abgesprungenen US-Piloten. Urteil des Aachener Gerichts Dezember 1953: 1 Jahr Ge-
fängnis. Ich erwähne den Fall extra deshalb, um zu zeigen, daß er auch nach dem sozialdemokratischen Änderungsvorschlag noch unter die Amnestie fallen würde.
Ein dritter Fall, der in der breiteren Öffentlichkeit bekanntgeworden ist, ist der des Standgerichts Helm. Dabei handelt es sich um jene Kolonne der Schande, die ihren Tätigkeitsbereich in meinem Heimatgebiet Unterfranken gehabt hat und sich mit ihren Urteilen bis in den Sudetengau erstreckt hat. Die Bilanz dieser Kolonne zählt 30 vollstreckte Todesurteile, wobei eine Kopfprämie von 50 RM oder einer Flasche Schnaps festgesetzt war.
Das Urteil für den maßgeblichen Beteiligten Engelbert Michalski: 3 Jahre Gefängnis.
Ich habe keinen Zweifel darüber, daß dieser Herr, wenn die Vorlage angenommen würde, unter die Amnestie fallen würde.
Ich erwähne einen vierten und fünften Fall als Beispiele für die Neigung zur Milde bei Urteilen, soweit es sich um Vorgänge aus dem rein militärischen Bereich handelt. Der Kommodore Petersen läßt drei nach der Kapitulation fahnenflüchtige Matrosen erschießen. Freispruch durch Urteil vom Februar 1953! 20 Angehörige des Polizeibataillons 62 haben nachweislich im Sommer 1942 in Warschau 110 Juden erschossen. Freispruch durch Urteil in Dortmund im April 1954!
Nun möchte ich noch vier Fälle erwähnen, bei denen man allein schon nach den Umständen der Tat und auch nach dem Zeitpunkt der Begehung schwerlich von einem Befehlsnotstand sprechen kann, die aber für die verhältnismäßige Milde bezeichnend sind. Herr Berthold Ohm läßt in der sogenannten Penzberger Mordnacht am 28. April 1945 7 Bürger erschießen. Urteil des Schwurgerichts Augsburg im Januar 1954: 4 1/2 Jahre Gefängnis, verbüßt durch Untersuchungshaft.
Das neueste Urteil auf diesem Gebiet ist ein Urteil von Anfang Mai 1954. Ein Kompanieführer und sein Hauptfeldwebel bewirken zu einer Zeit, die noch keineswegs durch Auflösungserscheinungen gekennzeichnet war, nämlich im Jahre 1942, im Raum von Smolensk die Erschießung von 60 jüdischen Greisen, Frauen und Kindern, von denen ausdrücklich festgestellt wird, daß keinerlei Verdacht des Paktierens mit Partisanen bestanden hat. Neuestes Urteil des Schwurgerichts Darmstadt Anfang Mai 1954: Drei und vier Jahre Gefängnis.
Ein weiterer besonders krasser Fall: SS-Hauptsturmführer Seebach liquidiert im Juni 1945 im Lager Eberfing den SS-Oberscharführer Eulitz. Urteil München Februar 1953: Vier Jahre Gefängnis.
Als letztes möchte ich einen bezeichnenden Fall herausgreifen, der eine gewisse Aktualität dadurch hat, daß sich seiner eine illustrierte Zeitung angenommen hat. Es handelt sich um die Begebenheit bei der historischen Brücke von Remagen, die ja gar nicht weit von hier entfernt ist. Bei Betrachtung dieses Tatbestandes ergibt sich, wenn man alles Beiwerk der geschickten Reportage abstreicht, daß immerhin vier absolut unschuldige deutsche Offiziere erschossen worden sind. Verurteilt wurde lediglich der Chefrichter, nämlich der Herr Generalleutnant
Huebner, wahrscheinlich deshalb, weil er als oberster NS-Führungsoffizier und Standrichter von vornherein entsprechend qualifiziert war. Die beiden Richterkollegen Penth und Ernsberger sind vollkommen straffrei ausgegangen, und die Staatsanwaltschaft Koblenz hat das Verfahren eingestellt.
Gerade die zuletzt erwähnten vier Fälle tun nach meiner Ansicht wohl zur Genüge dar, daß es in der Regel nur dann zu einer Verurteilung kommt, wenn die Straftat so gravierend erscheint, daß man es vor der inländischen und ausländischen Öffentlichkeit nicht gut verantworten kann, den Täter ohne jede Sühne davonkommen zu lassen. Weiter scheint mir aus den Urteilen hervorzugehen, daß in so weitgehendem Maß mildernde Umstände in Ansatz gebracht werden, daß wirklich langjährige Haftstrafen als eine Seltenheit bezeichnet werden müssen.
Im übrigen wissen wir ja, daß man in den meisten Fällen Sachverständige zu Wort kommen läßt — wie z. B. im Falle Ohm/Penzberger Mordnacht und auch in der Remagener Brückenaffäre den Herrn Generalfeldmarschall a. D. Kesselring —,
die bestimmt ihr Urteil nicht zuungunsten, sondern eher zugunsten der Delinquenten abgeben.
Nun wird gern auf die Amnestiebremse des § 10 Abs. 2 verwiesen. Die Bestimmung besagt, daß von der Straffreiheit Straftaten ausgeschlossen sind, bei denen die Art der Ausführung oder die Beweggründe eine gemeine Gesinnung des Täters erkennen lassen. Bei dieser Auslegungsfrage liegt alles in der Praxis der Gerichte begründet, und hier müssen wir nun einmal befürchten, daß bei der Neigung zur Milde, wie ich sie aufzuzeigen versucht habe, im Gebiet des sogenannten Befehlsnotstandes die Qualifikation „gemeine Gesinnung" wohl so gut wie nie getroffen werden wird; d. h. die Amnestiewürdigkeit wird wohl überwiegend bejaht werden.
Aus den gleichen Gründen befürchten wir, daß die zweite gut gemeinte Bremse sich nicht entsprechend auswirken wird, nämlich die gegenüber dem ursprünglichen, dem Regierungsentwurf veränderte Fassung, daß Straffreiheit bei Annahme einer Amts-, Dienst- oder Rechtspflicht, insbesondere auf Grund eines Befehls, nur insoweit gewährt werden soll, als nicht dem Täter nach seiner Stellung oder Einsichtsfähigkeit zuzumuten war, die Straftat zu unterlassen. Wir glauben nach der Rechtsprechung der Gerichte auch hier nicht, daß diese Bestimmung dazu angetan ist, die Amnestiefreudigkeit im richtigen Sinne einzudämmen.
Wir vermögen nur einen Weg zu sehen, auf dem die Amnestie im Gebiet der Befehlsnotstände auf die wirklich vertretbaren Fälle, die tatsächlich einer Bereinigung bedürfen, beschränkt werden könnte: die Methode der Beschränkung auf das Strafmaß, d. h. auf Delikte des Befehlsnotstands bis zur Höhe von einem Jahr Gefängnis. Wir können beweisen, daß die Verurteilungen, soweit sie auf diesem Sektor erfolgt sind, nur in wirklich schwerwiegenden Fällen die Grenze eines Jahres Gefängnis überschreiten. Die gleiche Vermutung kann man erst recht für die Urteile, die etwa noch in Zukunft gefällt werden sollten, gelten lassen.
Bei allem Willen zur Milde und dem auch bei uns vorhandenen Wunsch, allmählich hinter diese
traurigen Vorgänge einer unheimlichen Ära der Auflösung einen Schlußstrich zu ziehen, scheint es uns doch geboten, gewisse absolute Maßstäbe im Rechtsdenken unangetastet zu lassen. Die leider allenthalben in so erheblichem Umfang abhanden gekommene Achtung vor dem Menschenleben wird durch eine so weitgehende Amnestierung wie im vorgelegten § 8 nicht gehoben.
Dies bedeutet nach unserer Meinung gerade bei der heranwachsenden Generation alles weniger als eine Festigung und Stärkung des Rechtsgefühls.
Wir fürchten, daß eine so weitgehende Fassung wie im vorgeschlagenen § 8 das mühsam gewonnene Fundament unserer Demokratie als Rechtsstaat eher unterhöhlt als festigt, und vermögen dieser Bestimmung daher nicht zuzustimmen. Aus diesen übergeordneten Gesichtspunkten glauben wir, eine Amnestierung von Straftaten auf diesem Sektor über ein Jahr Gefängnis hinaus nicht verantworten zu können, und haben Ihnen daher unseren Änderungsantrag vorgelegt. Wir bitten um Ihr Verständnis und um Ihre Zustimmung.
Das Wort hat der Herr Justizminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der § 8 war vielleicht diejenige Bestimmung des ganzen Amnestiegesetzes, die am genauesten und eingehendsten überprüft worden ist. Bevor wir uns seitens des Justizministeriums dazu entschlossen haben, Ihnen ein Strafmaß von drei Jahren als unter die Amnestie fallend vorzuschlagen, haben wir sehr genaue Erhebungen gepflogen, und diese Erhebungen sind während der Beratungen des Rechtsausschusses fortgesetzt worden. Man kam zu dem Ergebnis, daß, wenn man hier einen Schlußstrich unter eine sehr unerfreuliche Vergangenheit ziehen will, wenn man vor allen Dingen diejenigen, die in sogenanntem Befehlsnotstand unter einem Gewissenszwang gehandelt haben, mit der Amnestie erfassen will, dann doch ein Strafmaß von drei Jahren notwendig erscheint.
Meine Damen und Herren, es ist mir nicht möglich, im Augenblick auf die einzelnen Fälle, die der Herr Kollege hier angeführt hat, einzugehen. Ich kann nur das eine sagen: der Fall mit der Erschießung der Juden, der vorhin erwähnt worden ist, fällt schon deswegen nicht unter die Amnestie, weil er vor dem Stichtag, dem 1. Oktober 1944, liegt. Ein anderer von dem Herrn Kollegen erwähnter Fall kann auch nicht unter die Amnestie fallen, weil im Amnestiegesetz ein Strafmaß von drei Jahren als Höchstmaß vorgesehen ist.
Nun war die Rechtsprechung bei den Gerichten in all diesen Fragen nicht sehr einheitlich.
Deswegen glaubten wir, eine solche Bestimmung unter den Kautelen, die nach langen Verhandlungen im Rechtsausschuß und nach sehr eingehenden Beratungen gefunden wurden, Ihnen vorlegen zu können. Diese Kautelen, diese Sicherungsbestimmungen, die jeden Mißbrauch dieser Bestimmung ausschließen sollen, sind einmal in dem § 8 selbst
festgelegt, nämlich in der Vorschrift, daß eine Amnestie nicht in Frage kommt, wenn dem Täter nach seiner Stellung oder Einsichtsfähigkeit zuzumuten war, die Straftat zu unterlassen.
Ich glaube, meine Damen und Herren, gerade diese nach sehr eingehender Prüfung und sehr eingehender Beratung im Rechtsausschuß gefundene Formulierung schließt einen Mißbrauch dieser Bestimmung aus.
Ich darf weiter auf § 10 verweisen, der unverändert angenommen worden ist und in dem ausdrücklich festgelegt wird, daß von der Straffreiheit Straftaten ausgeschlossen sind, die auf Gewinnsucht beruhen oder bei denen die Art der Ausführung oder die Beweggründe eine gemeine Gesinnung des Täters erkennen lassen. Ich glaube, diese allgemeine Bestimmung schließt schon Vorkommnisse, wie sie hier vorhin vorgetragen worden sind, im wesentlichen von der Amnestie aus. Hier liegt eine bestimmte Rechtsprechung ja auch bereits vor.
Wir glauben, durch die Sicherungen, die hier eingeführt worden sind, jedem Mißbrauch dieser Bestimmung vorgebeugt zu haben. Denn das dürfen Sie mir glauben, meine Damen und Herren: es liegt uns nichts ferner, als hier Dinge unter die Amnestie fallen zu lassen, die nicht amnestiewürdig sind. Uns hat nur daran gelegen, darauf kam es uns an, hier einmal einen Schlußstrich unter eine Vergangenheit zu ziehen,
die für uns Deutsche wirklich eine sehr bedrückende gewesen ist und die manchen in ihren Strudel gezogen hat, der bei richtiger Überlegung, oder wenn er die entsprechende Einsicht besessen hätte, eben die betreffende Tat nicht begangen hätte.
Ich bitte Sie deshalb, meine Damen und Herren, es bei der vom Rechtsausschuß in seinem Bericht vorgelegten Fassung zu belassen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wir stimmen ab über Ziffer 3 des Umdrucks 114*), Änderungsantrag zu § 8. Wer mit diesem Antrag einverstanden ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Das erste war die Mehrheit; der Änderungsantrag ist angenommen.
— Bestehen Zweifel über den Gegenstand der Abstimmung? Wir haben über den Änderungsantrag Ziffer 3 des Umdrucks 114 abgestimmt. Ich habe mir erlaubt, zweimal auf den Abstimmungsgegenstand hinzuweisen.
Wir haben abgestimmt; das amtierende Präsidium ist einstimmig der Auffassung, daß sich die Mehrheit für den Änderungsantrag ausgesprochen hat.
Wer für § 8 in der nunmehrigen Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit derselben Mehrheit angenommen.
§ 9. — Keine Wortmeldung. Wer für die Annahme von § 9 ist, den bitte ich um ein Hand-
*) Siehe Anlage 3.
zeichen. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
§ 9 a. Hierzu liegt ein Änderungsantrag Dr. Eckhardt und Fraktion Umdruck 116*) Ziffer 2 vor. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gille.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 9 a, zu dem ich sprechen will, umfaßt den sogenannten Platow-Komplex. Dieser Komplex hat insofern eine ungewöhnliche Vorgeschichte, als der erste Bundestag bereits durch Gesetz vom 29. Juli 1953 in einer umfassenden Amnestie alle die Straftaten, die mit dem Wort Platow-Komplex gekennzeichnet werden, für straffrei erklärt hat. Das Gesetz ist beschlossen, aber nicht verkündet worden. Ich bin der Meinung, ,daß das Parlament dem 'damaligen Bundesjustizminister, Herrn D r. Dehler, eigentlich dafür dankbar sein sollte, daß es im Rahmen der Beratung dieser Amnestie noch einmal die Möglichkeit hat, zu überprüfen, ob das, was damals in der Hast und unter dem Zeitdruck der letzten Parlamentswochen beschlossen worden ist, wirklich standhält.
— Ich erkläre ja ausdrücklich, daß wir deswegen, weil das Gesetz noch nicht beschlossen ist, die Möglichkeit haben, noch einmal darüber zu sprechen. Also formelle Bedenken können dem nicht entgegenstehen. Daß auch ich nicht der Meinung bin, daß es sehr erwünscht ist, auf diese Weise das Parlament zweimal mit den verschiedensten Materien zu befassen, möchte ich ausdrücklich unterstreichen. Aber in diesem Falle halte ich den Widerstand, den der Herr Bundesjustizminister damals gezeigt hat, für sehr erfreulich.
Meine Damen und Herren! Da in ,der öffentlichen Erörterung wie auch in den Gremien des Parlaments nicht immer mit letzter Klarheit ausgesprochen wurde, worum es eigentlich geht, müssen hierzu wohl einige Ausführungen gemacht werden. Es geht um ein wirtschaftliches Unternehmen eines Herrn Platow, der etwa seit dem Jahre 1946 einen Informationsdienst unterhalten hat; der Pressedienst kann wohl außer Betracht bleiben, weil er verhältnismäßig frühzeitig zum Erliegen gekommen ist. Bereits seit 1947 war bei führenden Persönlichkeiten des damaligen Wirtschaftsrates die Vermutung aufgetaucht, daß die Informationen der Platow-Briefe unmöglich auf rechtmäßige Weise zur Kenntnis des Herrn Platow gekommen sein könnten. Daraufhin wurden die üblichen Überwachungsmaßnahmen getroffen, und an alle Stellen ergingen entsprechende Mahnungen. Interessant ist, daß einer der Hauptangeklagten, der Haupt„ attentäter" auf seiten der Beamten, ein Beamter immerhin im Range eines Ministerialdirigenten, diese angeordneten Überwachungsmaßnahmen dazu benutzte, seine Mittäter und auch Herrn Platow zu warnen, daß offenbar in Zukunft etwas vorsichtiger operiert werden müsse. Diese Bemerkung ist sehr wichtig, weil man ja in der Begründung der Amnestiewürdigkeit dieses ganzen Komplexes sehr häufig mit dem Argument arbeitet, es habe sich da um arme, nicht einsichtsvolle Beamte gehandelt, die in der Verworrenheit der Verhältnisse nicht recht gewußt hätten, was sie täten. Ich möchte meinen, daß einem Ministerialdirigenten, der eine angeordnete Überwachungs*) Siehe Anlage 5.
maßnahme seines Staatssekretärs dazu benutzt, zu warnen, und nicht, aufklärend zu wirken und diesen Unfug abzustellen, beim besten Willen der gute Glaube nicht zugebilligt werden kann.
Dann ist auch eines für die Beurteilung der Amnestiewürdigkeit unbedingt festzuhalten: Es hat sich nicht etwa um Nachrichten gehandelt, die die große Öffentlichkeit besonders interessiert hätten, also um Informationen über im eigentlichen Sinne politisch wichtige Vorgänge, sondern es hat sich ausschließlich um Nachrichten gehandelt, die sich wirtschaftlich auswerten ließen, also um vertrauliche Mitteilungen oder Mitteilungen über Maßnahmen der Bundesregierung oder des zuständigen Ressorts auf wirtschaftspolitischem, handelspolitischem oder steuerpolitischem Gebiet. Für das letzte ein Beispiel. Bei einer beabsichtigten Veränderung des Luxussteuergesetzes wies der Übermittler dieser Information an Herrn Platow ausdrücklich darauf hin, hier müsse man 'besonders vorsichtig sein, denn die Absicht der Regierung gehe dahin, diese steuerliche Änderung schlagartig durchzuführen, weil nur dann eine Wirkung erzielbar sei. Das geschah nicht, sondern diese Information ging über die Platow-Briefe, und sicherlich sind dadurch auch nicht unerhebliche ungerechtfertigte wirtschaftliche Gewinne erzielt worden.
Daß es sich hier nicht um Fragen der Pressefreiheit, der ungehinderten Wirkung der Presse handelt, die die Aufgabe hat, die Öffentlichkeit zu unterrichten, idafür folgende Angabe. Diese Informationsdienste des Herrn Platow waren wegen ihres wirtschaftlich sehr gut verwertbaren Inhalts nicht ganz billig. Sie haben, wie ich aus der Anklageschrift des Oberstaatsanwalts ersehe, immerhin 300 DM den Monat gekostet. Der recht mühelose Gewinn, der durch diese unkorrekten Handlungen zu erzielen war, ist aus einer Ziffer abzulesen, die auch aus der Anklageschrift zu ersehen ist. Danach hat Herr Platow allein im Jahre 1951 aus diesem sauberen Geschäft 211 000 DM versteuern können.
Das sind alles Dinge, die wir einmal im Zusammenhang sehen müssen, wenn wir wirklich gerecht und billig die Frage der Amnestiewürdigkeit überlegen wollen.
Was steht nun heute im § 9 a? Es ist richtig, daß die stärksten formalen Bedenken gegen die erste Formulierung, wo man nur von Verlegern, Journalisten und Angehörigen der öffentlichen Dienste gesprochen hatte, beseitigt sind. Das bedeutet inhaltlich nichts. Im übrigen ist es dabei geblieben, daß die Amnestie für alle im Zusammenhang mit diesen nicht sehr sauberen Angelegenheiten verübten Taten voll, ohne Rücksicht auf jedes Strafmaß gewährt werden soll. Selbst die schwere passive Bestechung soll — was uns besonders gravierend erscheint, da hier auch Beamte beteiligt sind — im Zusammenhang mit diesen Dingen amnestiert werden.
Damit komme ich jetzt zu dem Kern dessen, was ich hier sagen wollte und womit ich auch den Antrag meiner Fraktion begründe. Wir haben durchaus Verständnis dafür, daß man in etwa im Rahmen dessen bleiben will, was sich gerade noch vertreten läßt, ohne den 1. Bundestag — ich will mal den Ausdruck gebrauchen — zu desavouieren. Ich möchte aber doch dafür plädieren — und das würde nicht bedeuten, daß wir nun alles beseiti-
gen, was der 1. Bundestag auf diesem Gebiet beschlossen hat —, daß wir noch einmal ernstlich überlegen, ob wir nicht wenigstens die Tatbestände der aktiven und passiven Bestechung unter allen Umständen herausnehmen müssen. Bei der Begründung der Platow-Amnestie im 1. Bundestag hat noch eine gewisse Rolle gespielt — ich habe das in den Unterlagen, in den Protokollen nachlesen können —, daß diese ganzen Taten unter die Tatbestände der §§ 353 ff. StGB, also Vertrauensbruch, Geheimnisbruch, fallen, Tatbestände, die im Jahre 1936 mit ungewöhnlich hohem Strafmaß in das Gesetz aufgenommen worden sind. Diese Dinge sind bereits lange überholt, und zwar dadurch, daß sehr verständigerweise der Herr Bundesjustizminister bereits Ende 1952 die Zustimmung zur Verfolgung aus diesen Tatbeständen zurückgezogen hat.
Die Anklageschrift des Oberstaatsanwalts Bonn vom März 1953 bezieht sich heute lediglich noch auf Fälle der aktiven und passiven Bestechung. Wir brauchen uns also nicht mehr den Kopf darüber zu zerbrechen, ob es richtig ist, hier jetzt noch Verfahren nach einer Bestimmung ablaufen zu lassen, die man beim Strafrechtsänderungsgesetz wahrscheinlich lieber hätte beseitigen sollen. Darum geht es heute nicht mehr.
Bezüglich des Umfangs der laufenden Verfahren ist folgendes zu sagen. Zur Anklage stehen heute lediglich noch 23 Personen, nachdem sämtliche Ermittlungen abgeschlossen sind, nachdem 45 Verf ah-ren offiziell gelaufen sind und gegen 170 Personen nichtoffizielle Ermittlungen, also noch nicht seitens der Strafverfolgungsbehörde, vorhergegangen sind. 23 Personen! Meine Damen und Herren, wenn wir uns auch nur in diesem einen Fall dazu bekennen könnten, aktive und passive Bestechung für amnestiewürdig zu halten, dann bedeutete das — darauf hat einmal mit vollem Recht der damalige Bundesjustizminister Dr. Dehler im Juli vorigen Jahres hingewiesen — eine Kränkung und eine Minderung des Ansehens der sauberen Beamtenschaft der Bundesministerien.
Es wird doch gerade so getan, als ob die Notwendigkeit bestünde, im Jahre 1954 Angehörige des öffentlichen Dienstes zu amnestieren, weil sie sich haben bestechen lassen. Wir tun der Gesamtheit unserer Beamtenschaft einen schlechten Dienst, wenn wir im Zusammenhang mit diesem Komplex auch die Bestechung amnestieren.
Unser Antrag bezieht sich also lediglich darauf, den § 9 a, den wir ansonsten unangetastet lassen, durch Hinzufügung eines zweiten Absatzes dahin zu beschränken, daß die Strafverfolgung wegen aktiver und passiver Bestechung aus der Amnestie herausgenommen wird. Ich glaube, das können wir machen, ohne etwa das Ansehen und die Einsicht des 1. Bundestages zu verletzen. Ich glaube, wir tun dem 1. Bundestag wirklich nicht Unrecht, wenn wir feststellen, daß die Dinge damals in den Juliwochen angesichts der Fülle des Arbeitsstoffes, der noch zu erledigen war, unter Zeitdruck und in einer gewissen Hast erledigt wurden. Nachdem wir — und ich habe ja gesagt, daß ich das dankbar begrüße — nun noch einmal die Gelegenheit bekommen haben, die Dinge ruhig und nüchtern zu betrachten, glaube ich, Verständnis dafür zu finden, wenn wir Ihnen die Bitte vortragen, alles beim alten zu lassen, auch den Strafrahmen sowie den Personenkreis gar nicht zu berühren, sondern nur ausdrücklich die aktive und passive Bestechung
herauszunehmen. Dabei darf ich darauf hinweisen, daß das Bundesjustizministerium selbst im Regierungsentwurf, den ja der Ausschuß abgeändert hat, die schwere passive Bestechung hat herauslassen wollen. Der Ausschuß hat aus Gründen, die man schon verstehen kann, die ich aber nicht als durchschlagend ansehe, auch diesen Vorschlag des Regierungsentwurfs fallengelassen. Wir bleiben verfassungsrechtlich, formal durchaus korrekt, und das, was der Herr Berichterstatter eingangs gesagt hat, soll ja wohl auch bedeuten, daß wir hier nicht etwa ein Präjudiz für etwaige zukünftige Fälle im Verhältnis zwischen Parlament und Minister schaffen wollen. Nachdem das alles in aller Deutlichkeit gesagt ist, können wir die verfassungsrechtlichen Dinge formal dadurch in Ordnung bringen, daß wir diese neue Bestimmung annehmen, und, wie das ja auch vorgesehen ist, den Beschluß des Bundestages vom Juli vorigen Jahres insoweit aufheben. Dann ist auch verfassungsrechtlich alles in Ordnung.
Wir bitten, diesem Änderungsantrag zuzustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über diesen Änderungsantrag. Ich wiederhole: Es handelt sich um den Antrag Umdruck 116 Ziffer 2. Wer für diesen Änderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die ablehnenden Stimmen waren die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse nun über § '9 a in der Fassung des Ausschusses abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen eine Anzahl von Gegenstimmen und bei Enthaltungen angenommen.
Zu § 10 liegt ein Änderungsantrag Umdruck 122*), 011enhauer und Fraktion, vor. Das Wort zur Begründung dieses Antrags Umdruck 122 hat der Abgeordnete Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion beantragt, auch die fahrlässige Tötung von der Amnestie auszunehmen. Dieser Antrag meiner Fraktion, den ich zu begründen die Ehre habe, ist das Ergebnis einer allen Fraktionen zugegangenen Anregung, die wir einem unserer ehrwürdigsten Juristen verdanken, dem früheren Reichsgerichtsrat Schneidewin. Der Antrag hat, um das vorweg zu sagen, keine Diskriminierung der Verkehrsdelikte zum Ziel. Glücklicherweise ist keineswegs jedes Verkehrsdelikt eine fahrlässige Tötung. Es gibt aber auch außerhalb des öffentlichen Verkehrs fahrlässige Tötungen, besonders durch Verletzung der Arbeitsschutzbestimmungen in den Betrieben.
Wenn man sich überhaupt jetzt zu einer Amnestie entschließt, obwohl eigentlich kein zwingender Grund dafür besteht, so hätten wir Sozialdemokraten es bekanntlich für richtig gehalten, die Höhe der sonst verwirkten Strafe als einzigen Maßstab für einen Erlaß der Strafe anzuerkennen, weil die Strafhöhe Ausdruck der Schuld ist und der Grad der Schuld darüber bestimmt, wer einer Begnadigung würdig ist oder nicht. Leider entspricht der Gesetzentwurf auch insoweit unseren Vorstellungen noch immer nicht. In § 10 ist das Schuldprinzip als der einzig sinnvolle Gradmesser aufgegeben. Es
*) Siehe Anlage 7.
ist z. B. willkürlich und lebensfremd, die Bigamie von der Amnestie auszunehmen. Unbefriedigender noch ist der Ausschluß von der Amnestie dann, wenn im Einzelfall ein Gericht nach seinem Ermessen annimmt, daß die Tat auf Gewinnsucht beruhe oder eine gemeine Gesinnung erkennen lasse . Begriffe so unbestimmter Art sollten in einer rechtsstaatlichen Strafrechtspflege keinen Platz haben.
Am bedenklichsten ist schließlich die Durchbrechung des Schuldprinzips durch § 2 Abs. 3. Diese Vorschrift verweigert jedem die Gnade, dessen Strafregister noch eine frühere, einen Monat Gefängnis übersteigende Strafe aufweist, die vielleicht schon Jahre zurückliegt, über die aber infolge der langen Fristen des Strafregisterrechts noch immer unbeschränkt Auskunft zu erteilen ist.
Meine Damen und Herren, diese böse Bestimmung sollte uns doch zu der Besinnung bewegen, wann wir in Deutschland endlich einmal damit aufhören wollen, die Vorbestraften gesellschaftlich zu ächten und sie dadurch zu einer mit dem Makel der menschlichen Minderwertigkeit behafteten Kaste zusammenzuschließen.
Angesichts solcher Willkürlichkeiten einer ohnehin fragwürdigen Amnestie müssen wir gewissenhaft prüfen, ob nicht zu den Straftaten, die nicht zu amnestieren sind, jedenfalls die fahrlässige Tötung gehört, falls man schon das Schuldprinzip verläßt und überhaupt Ausnahmen macht. Nach reiflicher Überlegung hat sich meine Fraktion entschlossen, die aus erfahrener Sorge um das Rechte entspringende und unser Gehör fordernde Mahnung Schneidewins nicht von der Hand zu weisen und Sie alle zu bitten, die weniger einsehbaren Ausnahmen von der Amnestie unter diesen Umständen durch die dann notwendige Ausnahme der fahrlässigen Tötung zu ergänzen.
Hierzu bestimmen uns insbesondere zwei Gründe. Der eine ist unsere Pflicht, bei jeder Gesetzgebung die Achtung vor dem Menschenleben als einen höchsten Grundsatz unseres Rechts zu bewähren. Gewiß wird man nicht sagen können, daß in unserem Zeitalter der Technik, das so voller Gefahren ist, jeder tödliche Unglücksfall, sobald irgendeine Fahrlässigkeit mitwirkte, bereits aus einer Geringschätzung des menschlichen Lebens zu erklären sei. Es handelt sich vielmehr um die eigene Haltung der gesetzgebenden Körperschaft. An ihr und somit an uns ist es, sich durch die Achtung vor dem Leben gebunden zu wissen und deshalb gerade bei einem Ausnahmegesetz, das von den allgemeinen Regeln des Rechts abweicht, uns selber dort eine Schranke zu setzen, wo Tote uns gemahnen, daß wir das Opfer ihres Lebens keiner unverbrüchlichen Gleichheit des Strafrechts für wert halten würden, falls wir hier nicht diese Ausnahme machten. Man sage auch nicht, eine Schuld könne nur unerheblich gewesen sein, wenn für sie kein höheres Strafmaß als drei Monate Gefängnis in Betracht komme. Leider sind im Ringen um die gerechte Strafe noch keine überzeugenden Maßstäbe gefunden. Diese Unsicherheit über Sinn und Aufgabe der Strafe wirkt sich noch immer in einer Ungleichheit der Strafzumessung und einer verfehlten Unterschätzung der fahrlässigen Straftaten aus, so daß die Mehrzahl der Strafen bei allen schuldhaften Tötungen dieser Art geringer sind als drei Monate
Gefängnis. Dieser Zustand ist eine offene Not unserer in falscher Weise moralisierenden Strafrechtspflege, ein Mißstand, der die Glaubwürdigkeit des Rechts schwächt und den Rechtsfrieden mindert. Wir sollten nicht die Hand dazu bieten, diese einer geistigen Reform, eines Umdenkens bedürftige Lage unsererseits dadurch zu verfestigen, daß auch wir die fahrlässige Tötung als nur irgendeine Fehlhandlung unter vielerlei anderen behandeln. Denn das Menschenleben ist ein unvergleichlicher Rechtswert.
Ein zweiter Grund ist der, daß eine Amnestie für fahrlässige Tötung in besonderer und unbilliger Weise die Hinterbliebenen des Toten belastet. Während sonst der Verletzte als die Hauptperson imstande ist, selbst seine Rechte wahrzunehmen, fehlt hier die Person, die der eigentliche Zeuge sein und zur Wahrnehmung des Rechts berufen sein sollte.
Wir bringen die Hinterbliebenen in eine außerordentliche Beweisnot, wenn wir trotz des Verdachts einer Schuld hier die strafgerichtliche Aufklärung abschneiden. Im Strafverfahren wird der Staat mit allen Mitteln und Machtmitteln der öffentlichen Hand in einer Prozeßart tätig, die durch ihr Prinzip der Unmittelbarkeit, insbesondere der einheitlichen Hauptverhandlung, ungleich größere Gewähr für die Ermittlung der Wahrheit bietet, als der Zivilprozeß es kann. Nehmen wir den Angehörigen diesen Schutz, machen wir ihre Sache nicht zu einem Anliegen der Allgemeinheit, sondern verweisen wir die oft durch dieses Geschehen auch in materielle Not geratenen Hinterbliebenen darauf, daß sie mit eigener Mühe und auf eigene Kosten und zum eigenen Wagnis ihr Recht aus einem Unfall, der sich meist fern von ihnen abspielte, privat suchen sollen, so muten wir ihnen durch diese Verweigerung der strafgerichtlichen Aufklärung eine fast unerträgliche Erschwerung ihrer Rechtsstellung zu.
Die althergebrachte Regelung, daß jeder Schiffsuntergang objektiv durch eine gerichtsartige Verhandlung vor dem Seeamt zu klären ist, beruht auf dem allgemeinen Rechtsgedanken, daß es eine Pflicht der Gemeinschaft ist, um den Beweis der Wahrheit bemüht zu sein, wie es zu einer Gefahr für Leib und Leben gekommen ist. Die Amnestie soll und kann eine Vergünstigung für Menschen sein, die einmal — und nicht allzu schwer — gefehlt haben; ihre Wohltat darf jedoch nicht zur Last für Schuldlose werden. Das wird sie aber, wenn wir den Tod von Menschen ungeachtet eines Verdachts, daß der Tod schuldhaft verursacht ist, nicht mehr einer Aufklärung mit den öffentlichen Mitteln des strafgerichtlichen Verfahrens für wert halten.
Wir bitten Sie, sich deshalb mit uns in dieser Überzeugung zu vereinigen, daß die fahrlässige Tötung aus dem Amnestiegesetz herausgenommen werden sollte.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich lasse über den Antrag Umdruck 122 abstimmen. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. — Der Änderungsantrag ist angenommen.
Ich lasse nunmehr über § 10 in der so geänderten Fassung abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen bei einigen Enthaltungen angenommen.
§ 11, — § 12, — § 13. — Dazu liegen keine Änderungsanträge vor. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
§ 14. — Dazu liegt der Änderungsantrag Umdruck 129*) der Abgeordneten Dr. Atzenroth, Dr. Starke, Dr. Bucher und Dr.-Ing. Drechsel vor.
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren, das Gesetz sieht weitgehende Straffreiheit für Bußgelder vor. Der § 14 in der Ausschußfassung läßt aber die sogenannten Mehrerlösbescheide grundsätzlich aus. Darin sehen wir eine Ungerechtigkeit. Der Entschließungsantrag der CDU zeigt, daß diese Auffassung von größeren Kreisen geteilt wird. Wir sind aber der Ansicht, daß die Lösung nicht mit einer Entschließung gefunden, sondern im Gesetz selbst verankert werden sollte. Die Ungerechtigkeit ergibt sich insbesondere in den Fällen des § 19 des Wirtschaftsstrafgesetzes. Dieser § 19 bzw. der § 3, der ihn ersetzen soll, ist in den Ausschußberatungen mit großer Mehrheit gestrichen worden. Außerdem sind in dem vorliegenden Wirtschaftsstrafgesetzentwurf Milderungen bezüglich der Abführung des Mehrerlöses vorgesehen, die für die Zukunft unserem Anliegen voll und ganz Rechnung tragen. Das wollen wir auch für die noch anhängigen Verfahren erreichen.
Bei den sogenannten Wirtschaftsstraftaten handelt es sich überwiegend um Vorgänge, die in der Zeit des Übergangs von der staatlichen Lenkung und Bewirtschaftung zur Marktwirtschaft zu Verschiedenheiten in den Auffassungen der Wirtschaft und der Verwaltungsstellen geführt haben. Praktisch wollen wir, daß die Mehrerlösbescheide dort aufrechterhalten bleiben, wo es sich um echte Mehrerlöse handelt, aber überall da in Fortfall kommen, wo keine Mehrerlöse entstanden sind oder wo es sogar zu Mindererlösen gekommen ist. Das ist einfach eine Forderung der Gerechtigkeit.
Wir bitten Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse abstimmen über den soeben begründeten Änderungsantrag, den Sie auf Umdruck 129 finden. Wer für die Annahme dieses Änderungsantrags ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich lasse nunmehr über § 14 in der soeben festgestellten neuen Fassung abstimmen. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; dieser Paragraph ist angenommen.
§§ 14a, — 15, — 16, — 17 entfällt, — 18, — 18a, — 19. — Hier sind keine Änderungsanträge angekündigt. Wortmeldungen liegen nicht vor.
*) Siehe Anlage 10.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Annahme der soeben aufgerufenen Paragraphen entsprechend dem Antrag des Ausschusses ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
§ 20. Hierzu sind Änderungsanträge angekündigt, zunächst Umdruck 115, Antrag Dr. von Merkatz und Fraktion, und dann Umdruck 121.
Herr Dr. von Merkatz, ich erteile Ihnen das Wort zur Begründung Ihres Antrags Umdruck 115.*)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die zur Beratung stehende Vorlage sieht in ihrem § 20 Abs. 2 vor, daß Tilgungen im Strafregister, soweit es sich um Urteile der Spruchgerichte auf Grund der Verordnung Nr. 69 der Britischen Militärregierung handelt, nur vorgenommen werden sollen, wenn Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren, Vermögenseinziehung, Geldstrafe, allein oder nebeneinander, verhängt worden sind.
Wir beantragen, daß die Tilgungen ohne Rücksicht auf die Höhe der Freiheitsstrafen vollzogen werden. Ich möchte es mir, um die Beratung nicht aufzuhalten, ersparen, auf die inneren Gründe unseres Antrags einzugehen, die sich darauf beziehen, daß wir die Verfahren vor den Spruchgerichten allgemein als ein indirektes Fremdrecht, also in ihrer Rechtsgrundlage als zweifelhaft empfinden und infolgedessen — entsprechend dem Grundgedanken dieses Amnestiegesetzes -- gerade diese Straftaten im Sinne des Schlußstrichs aus dem Strafregister gestrichen sehen möchten. Wir bitten Sie, unserem Antrag beizutreten.
Zur Begründung des Antrags Umdruck 121**) hat der Abgeordnete Dr. Bucher das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl ich zu den wenigen Mitgliedern des Hohen Hauses gehöre, die die Amnestie als Ganzes ablehnen, möchte ich Sie doch bitten — da Sie in der Mehrheit wohl entschlossen sind, ihr zuzustimmen —, unserem Änderungsantrag stattzugeben. Er geht dahin, daß Strafregistervermerke über solche Verurteilungen getilgt werden, — und zwar nur auf Antrag —, die nach dem 9. September 1953 erfolgt sind.
Meine Damen und Herren, die Sonne einer Amnestie scheint ja nicht wie die natürliche Sonne auf Gerechte und Ungerechte, sondern nur auf Ungerechte, und nicht einmal auf alle, sondern nur auf die, die es entweder verstanden haben oder die das Glück gehabt haben, daß ihre Verurteilung unterblieben ist oder daß sie noch nicht vollstreckt wurde. Das ist bei jeder Amnestie so. Solche Härten müßten in Kauf genommen werden, hat uns der Herr Berichterstatter bereits gesagt. Gestatten Sie mir allerdings in Klammern die boshafte Frage, ob sie so häufig in Kauf genommen werden müssen.
Diesmal liegt aber doch der besondere Fall darin, daß es sehr lange gebraucht hat, bis die Amnestie zustande kam. Man kann daraus niemandem einen Vorwurf machen, insbesondere nicht dem Rechtsausschuß, der zweifellos mit äußerster Gewissenhaftigkeit gearbeitet hat. Dieser lange Zeitraum hat
*) Siehe Anlage 4. **) Siehe Anlage 6.
zu geradezu untragbaren Verhältnissen geführt. Auf der Konferenz der Justizminister neulich ist erwähnt worden, daß verschiedene Staatsanwaltschaften und Gerichte in Erwartung der Amnestie wahre Aktenfriedhöfe angelegt, andere dagegen weiter gearbeitet, weiter verurteilt, weiter vollstreckt haben. Um das nur einigermaßen auszugleichen, haben wir unseren Antrag gestellt.
Ich bin mir völlig darüber im klaren, daß unser Antrag eine ziemlich große Arbeit für die Strafregister mit sich bringen wird. Ich habe mich auch davon überzeugen lassen, daß es nicht ginge, allgemein eine Tilgung für die Fälle anzuordnen, die unter die Amnestie fallen würden. Aber ich habe aus den auf meine Anfrage erteilten Antworten verschiedener Staatsanwaltschaften entnehmen können, daß unsere Formulierung, in der es ausdrücklich „auf Antrag" heißt, keinen derartig schwerwiegenden Bedenken begegnet, wie es der Fall wäre, wenn die Strafregisterbehörden ihre sämtlichen Fälle von Amts wegen durchsehen müßten. Wir bitten Sie deshalb, die Bedenken, die etwa vom Verwaltungsstandpunkt aus bestehen könnten, hinter den Bedürfnissen der Gerechtigkeit zurückzustellen.
Das Wort zu Umdruck 115 hat der Abgeordnete Wittrock.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe namens der sozialdemokratischen Fraktion unsere ablehnende Stellungnahme zu Umdruck 115 zu begründen. Wir sind der Auffassung, daß, soweit es angängig ist, ein Schlußstrich unter alles das gezogen werden sollte, was an unheilvollen und unglücklichen Dingen geschehen ist. Aber wir müssen uns doch die Frage vorlegen, wo die Grenze zu ziehen ist. Ich darf hier auf die Begründung der Regierungsvorlage verweisen. In der Regierungsvorlage wird eine so weitgehende Tilgungsmöglichkeit, wie sie in Umdruck 115 beantragt ist, ausdrücklich deshalb abgelehnt, weil es sich hierbei um Strafen wegen einer besonders verwerflichen Handlungsweise handelt. Der Strafrahmen der Militärregierungsverordnung Nr. 69 bewegt sich von einem Tag bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe. Man muß sich die Frage vorlegen, was sich ein Gericht, übrigens ein deutsches Gericht
— es hat sich um deutsche Gerichte gehandelt, die mit deutschen Berufsrichtern besetzt waren —, dabei gedacht hat, wenn es eine Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verhängt hat. Schließlich sind ja Überlegungen angestellt worden, man hat sich über die Strafzumessung Gedanken gemacht. Die entscheidende Überlegung, die angestellt worden ist, war die, daß es sich hier nicht um eine reine Mitgliedschaft bei einer Organisation handelt, sondern daß eine strafbare Handlung im Hintergrund steht. So sind die Gerichte in insgesamt 15 Fällen
— ich beziehe mich hierbei auf eine amtliche Statistik — zu dem Ergebnis gekommen, daß auf eine Gefängnisstrafe von mehr als fünf Jahren zu erkennen ist. Das zeigt die außerordentliche Sorgfalt der Spruchgerichte und auch des Obersten Spruchgerichts, mit der hier vorgegangen worden ist. Alle Umstände sind hier abgewogen worden, und nach Abwägung aller Umstände hat man es in insgesamt 15 Fällen für notwendig gehalten, eine höhere Strafe als fünf Jahre Gefängnis zu verhängen. Bei den Strafzumessungsgründen — man kann das in einzelnen Urteilen nachlesen — hat nämlich die entscheidende Rolle gespielt, daß sich derjenige,
der unter Anklage gestellt war, noch der Teilnahme an strafbaren Handlungen, und zwar an durchaus verwerflichen strafbaren Handlungen, schuldig gemacht hat. Wenn wir dazu übergehen, auch in einem solchen Falle eine Tilgungsmöglichkeit zu eröffnen, dann verletzt das unser Rechtsgefühl; denn dann müssen wir in all den Fällen, in denen in den letzten Jahren Strafen verhängt worden sind, eine Tilgungsmöglichkeit eröffnen. Wir glauben, daß das durchaus wünschenswert wäre, aber wir sehen hier — im Rechtsausschuß ist diese Frage ja erörtert worden — erhebliche praktische Schwierigkeiten. Es verletzt also unser Rechtsgefühl, wenn man einer bestimmten Personengruppe eine so weitgehende Vergünstigung verschaffen will, zumal es sich um eine Personengruppe handelt, die, wie bereits ausgeführt, durchaus als kriminell zu beurteilen ist. Es handelt sich nämlich — ich betone das ausdrücklich — hier nur um 15 Fälle von insgesamt etwa 25 000 Verfahren, die durchgeführt worden sind. Aus diesen Erwägungen können wir dem Antrag Umdruck 115 nicht zustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich lasse über diese beiden Änderungsanträge abstimmen, zunächst über den Antrag Umdruck 115. Wer für die Annahme des Änderungsantrages ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die ablehnenden Stimmen sind die überwiegende Mehrheit.
Nunmehr lasse ich über den Änderungsantrag Umdruck 121 abstimmen. Wer für die Annahme dieses Antrages ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Es bestehen Zweifel über die Mehrheit. Wir müssen durch Hammelsprung entscheiden.
Meine Damen und Herren, ich bitte, den Saal zu räumen.
Ich bitte, die Türen zu schließen.
Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
Meine Damen und Herren, ich bitte, die Auszählung zu beschleunigen.
Ich bitte, die Türen zu schließen. Die Auszählung ist beendet.—Meine Damen und Herren! Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. An der Abstimmung haben sich 355 Mitglieder des Hauses beteiligt. Mit Ja haben 200 Mitglieder gestimmt, mit Nein 149, sechs Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten. Der Änderungsantrag Umdruck 121 ist damit angenommen.
Wir stimmen nunmehr ab über den § 20 in der neuen Fassung. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. —
— Meine Damen und Herren, wir stimmen ab! Darf ich um ein wenig Aufmerksamkeit bitten. Wer für die Annahme von § 20 in der neu festgestellten Fassung ist, der möge dies durch Erheben der Hand bekunden. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; § 20 ist angenommen.
§§ 21, — 21 a, — 21 b, — 21 c, — 21 d, — 21 e,
— 22, — 22 a, — 22 b, — 23, — Einleitung und Überschrift. — Wortmeldungen? — Liegen nicht vor!
Wir stimmen über dieaufgerufenen Paragraphen, Einleitung und Überschrift ab. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Gegenstimmen und bei einigen Enthaltungen sind diese Bestimmungen angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Brentano.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte bitten, eine kurze Unterbrechung einzulegen. Ich glaube, es wäre gut, wenn die Fraktionen Gelegenheit hätten, zu dem Ergebnis der zweiten Lesung Stellung zu nehmen, damit wir uns verständigen können. Ich glaube, sonst kann einiges schiefgehen.
Wieviel Zeit schlagen Sie vor?
Ich glaube, es wird genügen, wenn wir für 20 Minuten unterbrechen.
— Ja, bei den großen Anmarschwegen eine halbe Stunde.
Ehe ich unterbreche, eine Mitteilung. Der Ausschuß für den Lastenausgleich läßt seine vorgesehene Sitzung ausfallen. Die nächste Sitzung wird Anfang kommender Woche stattfinden. Ich unterbreche die Sitzung bis 13 Uhr 35.
Die Sitzung wird um 13 Uhr 45 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort.
Wir kommen zur
dritten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit.
Ich bitte festzustellen, ob der sofortigen Beratung des Gesetzentwurfs in dritter Lesung widersprochen wird. — Das ist offenbar nicht der Fall. Ich darf fragen, ob die Änderungsbeschlüsse der zweiten Beratung bereits verteilt sind? — Das ist nicht der Fall. Wollen wir erst in die Beratung eintreten, wenn sie verteilt sind, oder schon vorher?
— Sofort. Dann treten wir in die dritte Beratung ein.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wer wünscht das Wort? — Niemand. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Ich rufe auf § 8 in Verbindung mit dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP auf Umdruck 131:
Der Bundestag wolle beschließen:
§ 8 wird in der Fassung der Beschlüsse des
Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht wiederhergestellt.
Wird dazu das Wort gewünscht? — Herr Dr. von Brentano!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich darauf beschränken, lediglich zu sagen, daß wir aus den Gründen, die im Rechtsausschuß schon eingehend behandelt worden sind, darum bitten, den § 8 in der Fassung der Beschlüsse des Rechtsausschusses wiederherzustellen. Wir glauben, daß die ausdrücklichen Einschränkungen, die dieser § 8 enthält, immerhin so sind, daß dieses Strafmaß von drei Jahren dem Sinn der Amnestie gerecht wird. Die Beschränkung auf ein Jahr könnte, wie wir glauben und auch nach den Feststellungen im Rechtsausschuß, hier restriktiv wirken, und das wollen wir vermeiden.
Wird weiter das Wort gewünscht?
— Herr Dr. Menzel!
Die sozialdemokratische Fraktion beantragt namentliche Abstimmung über diesen Antrag.
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Der Antrag ist durch die sozialdemokratische Fraktion hinreichend unterstützt. Wir kommen zur namentlichen Abstimmung. Mit Ja stimmt ab, wer für den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP, Umdruck 131, ist; wer dagegen ist, mit Nein. Wer sich der Stimme enthalten will, gebe eine weiße Karte ab.
Ich bitte die Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
Ich frage: Sind noch Damen und Herren da, die ihre Stimme abzugeben wünschen?
— Ich bitte, sich beschleunigt zu den Schriftführern zu begeben.
Ich frage nochmals, ob noch jemand seine Stimme abzugeben wünscht. — Dann schließe ich die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren! Ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung bekannt. Es wurden insgesamt von stimmberechtigten Abgeordneten 382 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben gestimmt 240, mit Nein 135, enthalten haben sich 7. Damit ist der Antrag angenommen.
Außerdem haben 16 Berliner Abgeordnete abgestimmt: mit Ja haben gestimmt 5, mit Nein 10, enthalten hat sich einer.
Ich rufe § 10 auf und verlese den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU:
§ 10 Abs. 1 wird in der Fassung der Beschlüsse des 16. Ausschusses, Drucksache 523, wiederhergestellt.
Das Wort hat Herr Dr. von Brentano.
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 1593.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu § 10 beantragen wir die Wiederherstellung der Fassung des Rechtsausschusses. Ich glaube, es handelt sich wirklich um eine Frage der Rechtssystematik und der Logik. Ich habe volles Verständnis für das, was der Kollege Dr. Arndt ausgeführt hat, aber ich glaube, das entspricht nicht mehr dem Sinn unseres Amnestieentwurfs. Wir haben ja im Strafgesetz keine Erfolgshaftung, sondern wir haben eine Schuldhaf- tung. Wenn eine fahrlässige Handlung zur Tötung führt, sieht auch das Strafgesetz für einen solchen Fall bewußt keine Mindeststrafe vor, sondern ermöglicht es sogar, dies mit einem Tag Gefängnis abzugelten. Wir würden, wenn wir die fahrlässige Tötung ausschlössen, der Systematik dieser Amnestievorlage zuwiderhandeln. Deswegen bitten wir um die Wiederherstellung der Fassung des Rechtsausschusses und beantragen namentliche Abstimmung.
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, es ist namentliche Abstimmung beantragt. Der Antrag ist hinreichend — von der Fraktion der CDU/CSU — unterstützt. Ich darf an den Beschluß des Altestenrats erinnern, daß wir die Abstimmungen möglichst bis 14 Uhr erledigt haben wollten. Da es gerade erst 14 Uhr ist und wir uns mündlich geeinigt haben, daß die Frist bis 14 Uhr 15 verlängert werden darf, können wir die Abstimmung jetzt noch durchführen.
Wir kommen also zur namentlichen Abstimmung
über den Antrag, den ich noch einmal verlese:
§ 10 Abs. 1 wird in der Fassung der Beschlüsse des 16. Ausschusses, Drucksache 523, wiederhergestellt.
Ich bitte die Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir während der Auszählung der Stimmen in der Beratung fortfahren, um die Zeit zu nützen.
Ich rufe dann § 20 zur Beratung auf.
— Herr Dr. von Brentano hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei § 20 beantrage ich namens meiner Freunde die Wiederherstellung der Ausschußfassung, d. h. also die Streichung des in zweiter Lesung angenonmmenen Abs. 2. Ich darf darauf verweisen, daß der Rechtsausschuß in Ziffer 2 seines Antrags eine Entschließung vorgeschlagen hat, die inhaltlich dasselbe besagt, was der in zweiter Lesung angenommene Abs. 2 besagen soll. Wir haben lediglich die Bitte, diesen Abs. 2 wieder herauszustreichen, und zwar weil wir fürchten, daß wir damit in die Länderjustizverwaltung eingreifen und daß diese Bestimmung unter Umständen im Bundesrat zur Anrufung des Vermittlungsausschusses führt. Es liegt, glaube ich, uns allen daran, daß dieses Amnestiegesetz nicht durch die Anrufung des Vermittlungsausschusses weiterhin verzögert wird. Wenn wir also Grund zu der Annahme haben, daß wir durch den Entschließungsentwurf Drucksache 523 materiell und sinngemäß dasselbe erreichen wie durch den in zweiter Lesung angenommenen Abs. 2, dann sollten wir, um die Annahme des Gesetzes sicherzustellen, dieser Anregung zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Deutschen Partei hat ihren Antrag auf Umdruck 115 wieder eingebracht mit dem Ziel, daß alle Verurteilungen aus Spruchgerichtsverfahren nach der Militärregierungsverordnung Nr. 69 aus dem Strafregister getilgt werden. Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei hat dagegen eingewandt, es handle sich dabei nur noch um 15 Fälle, bei denen auch nach deutscher Rechtsauffassung die Schwere der Bestrafung gerechtfertigt sei. Ich habe den Eindruck, daß das Haus dieses unser Anliegen bei der vorherigen Abstimmung in seiner prinzipiellen Bedeutung nicht richtig erkannt hat. Es geht uns hier nicht um eine Beurteilung der Schwere oder der Amnestiewürdigkeit dieser 15 Fälle, sondern es geht uns um das Prinzip, ein indirektes Fremdrecht durch Tilgung der auf Grund dieses Fremdrechts ausgesprochenen Strafen aus dem Strafregister zu eliminieren. Es handelt sich nicht um eine Amnestie, sondern um eine Verwaltungsmaßnahme. Das deutsche Recht hat ein Organisationsverbrechen nie gekannt; dieser Tatbestand kommt aus völlig anderen rechtlichen Vorstellungen. Indem wir den Antrag eingebracht haben, unser Strafregister auch von solchen über fünf Jahre liegenden Verurteilungen zu säubern, machen wir ein Prinzip geltend, das sich gegen ein solches Fremdrecht grundsätzlich richtet. Dazu kommt, daß innerhalb des Bundesgebiets dieselben Tatbestände nach verschiedenem Besatzungsrecht, in der britischen Zone nach Kriminalrecht, in der amerikanischen Zone nach einem besonderen Verfahren beurteilt wurden. Dem Hause ist bekannt — wir teilen diese Meinung mit vielen Fraktionen dieses Hauses —, daß die Grundlagen des Entnazifizierungskomplexes — ich möchte mich zurückhaltend ausdrücken — rechtlich zweifelhaft sind.
Damit sich jeder Abgeordnete über die prinzipielle Bedeutung einer Annahme oder Ablehnung unseres Antrages klar ist, beantrage ich namentliche Abstimmung. Ich frage, ob eine andere Fraktion mir die Unterstützung für eine namentliche Abstimmung zu geben bereit ist.
Diese Frage steht dem Präsidenten zu, Herr von Merkatz. Das wird bei der Abstimmung geklärt.
Ich wollte keineswegs in die Kompetenz des Herrn Präsidenten eingreifen. Der Herr Präsident wird die Frage klären.
Ich beantrage unsererseits, allerdings nicht hinreichend unterstützt, namentliche Abstimmung über unseren Antrag Umdruck 115, das Strafregister von allen Eintragungen aus Verurteilungen nach Spruchgerichtsverfahren, die wir als indirektes Fremdrecht bezeichnen, zu bereinigen.
Bevor wir in der Beratung weiterfahren, frage ich, ob noch Damen und Herren hier sind, die bei der namentlichen Abstimmung zu § 10 ihre Stimme abzugeben wünschen. — Das ist offenbar nicht mehr der Fall; ich schließe die namentliche Abstimmung über § 10.
Wir fahren fort in der Beratung zu § 20.
Das Wort hat der Abgeordnete Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, daß dieses Hohe Haus nun in der dritten Lesung alle Beschlüsse, die es vor einer halben Stunde in der zweiten Lesung gefaßt hat, wieder aufhebt,
insbesondere nicht bei unserem Antrag, der ja nicht von einer Zufallsmehrheit, sondern mit sehr großer Mehrheit angenommen worden ist. Auch die Argumente des Herrn Dr. von Brentano können uns nicht überzeugen, daß es damit getan ist, daß man nur eine Empfehlung ausspricht. Gerade diese Empfehlung zur Tilgung der Strafen, die wir nach dem Vorschlag des Rechtsausschusses aussprechen sollen, verkörpert eigentlich das schlechte Gewissen, das man bei dieser Amnestie hat.
Ich möchte nur noch eines erwähnen. Unser Antrag krankte insofern an einem formellen Fehler, als das Verfahren nicht bestimmt war, nach welchem die Strafregistertilgung zu erfolgen habe. Wir haben uns deshalb erlaubt, noch einen Zusatzantrag vorzulegen, nach dem über solche Anträge auf Strafregistertilgung das Gericht entscheidet, das nach § 16 zuständig wäre.
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung über die drei vorliegenden Anträge, zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der Deutschen Partei, der wörtlich genau dem Umdruck 115 entspricht, der bereits in der ersten Beratung hier behandelt wurde. Der Herr Abgeordnete Dr. von Merkatz hat namentliche Abstimmung beantragt. Ich bitte die Damen und Herren, die den Antrag auf namentliche Abstimmung unterstützen wollen, die Hand zu erheben. — Es sind offenbar keine 50 Abgeordnete.
— Es waren schätzungsweise 30. Es ist eindeutig festgestellt, daß es keine 50 waren. Namentliche Abstimmung findet also nicht statt.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag der Fraktion der Deutschen Partei zustimmen wollen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich komme daraufhin zum Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU:
§ 20 Abs. 2 wird in der Fassung der Beschlüsse des 16. Ausschusses — Drucksache 523 — wiederhergestellt. Der in zweiter Lesung eingefügte neue Abs. 2 wird gestrichen.
Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zustimmen wollen, die Hand zu erheben.
— Ich darf es noch einmal verlesen:
§ 20 Abs. 2 wird in der Fassung der
Beschlüsse des 16. Ausschusses — Drucksache 523 — wiederhergestellt. Der in
zweiter Lesung eingefügte neue Abs. 2 wird gestrichen.
Herrscht Klarheit über den Text?
Ich komme nochmals zur Abstimmung und bitte die Damen und Herren, die zustimmen wollen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe.
— Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
— Sie werden mich persönlich nicht verantwortlich machen für die Beschlüsse, die die Mehrheit dieses Hauses fällt. Auf alle Fälle sind sie für mich und für Sie verbindlich.
Damit ist der Antrag der FDP erledigt, Herr Abgeordneter Bucher?
Damit sind sämtliche Änderungsanträge verbeschieden.
Ich darf noch das vorläufige*) Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag auf Wiederherstellung des § 10 Abs. 1 bekanntgeben. Von stimmberechtigten Abgeordneten wurden 381 Stimmen abgegeben. Mit Ja stimmten 251, mit Nein 126, enthalten haben sich 4. Der Antrag ist damit mit Mehrheit angenommen. Die Zahlen der Berliner Abgeordneten wurden mir noch nicht gegeben; sie sind offenbar noch nicht ausgerechnet. Sie können nachher noch verkündet werden.
Meine Damen und Herren, wir kommen damit zur Schlußabstimmung über das ganze Gesetz. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Das erste war die Mehrheit; das Gesetz ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen nunmehr noch zu der Entschließung Umdruck 117. Soll die Entschließung begrüdet werden?
— Das ist nicht der Fall. Dann komme ich zur Abstimmung. Wer der Entschließung auf Umdruck 117 zustimmen will, den bitte ich, die Hand zu erheben.
— Ich bitte um die Gegenprobe. —
Enthaltungen? — Die Entschließung ist mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, darf ich noch einen Augenblick um Ihre freundliche Aufmerksamkeit bitten für die Entschließungsanträge zu dem Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit. Es ist im Zuge der Abstimmung der Umdruck 117, nämlich die Entschließung der Fraktion der CDU/CSU, angenommen worden. Es besteht der Eindruck, daß diese Entschließung sachlich überholt ist. Ist das gemein-
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 1593.
same Überzeugung? Können wir feststellen, daß sich diese Entschließung damit erledigt hat?
Es ist aber noch nicht abgestimmt über den Antrag des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht, Drucksache 523 Ziffer 2, eine Entschließung anzunehmen, die Ihnen in der Drucksache vorliegt. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Entschließungsantrag auf Drucksache 523 Ziffer 2 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die überwiegende Mehrheit; dieser Entschließungsantrag ist angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe nun auf Punkt 4 der Tagesordnung:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ,
b) Erste Beratung des von der Fraktion des GB/BHE ,eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ,
c) Erste Beratung des von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes und des Feststellungsgesetzes ,
d) Erste Beratung des von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes und des Feststellungsgesetzes ,
e) Erste Beratung des von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ,
f) Erste Beratung des von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ,
g) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes und des Feststellungsgesetzes ,
h) Erste Beratung des von den Abgeordneten Kuntscher, Ehren, Dr. Lindrath und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes und des Feststellungsgesetzes .
Zunächst zur Begründung des Gesetzentwurfs der SPD Herr Abgeordneter Ohlig, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat nur einen Antrag auf Änderung des Lastenausgleichsgesetzes gestellt. Damit ist aber nicht gesagt, daß sie außer den in der Drucksache 339 angesprochenen Problemen keine weiteren Wünsche zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes gehabt hätte. Wir haben uns nur nicht an dem Wettlauf beteiligt, der seit einigen Monaten im Gange war, weil wir der Auffassung sind, daß es nicht zweckmäßig ist, zu bereits gestellten Anträgen ähnliche oder gar gleichlautende einzubringen, nur weil man dabei sein will. Die Entscheidung über die Anträge wird ja hier in dem Hohen Hause durch Abstimmung getroffen.
In unserem Antrag sprechen wir zwei Probleme an. Erstens möchten wir den Kreis der Geschädigten, die Aufbaudarlehen für den Wohnungsbau beantragen können, erweitern. Die Schaffung von Wohnraum ist für uns nach wie vor eine der wichtigsten Angelegenheiten auch des Lastenausgleichs. Wir glauben, dadurch die wirtschaftliche Eingliederung wesentlich erleichtern zu können, und wir hoffen, daß auch eine Reihe anderer Spannungen beseitigt werden, die immer noch entstehen, weil die Menschen zu dicht beieinanderwohnen. Deshalb möchten wir im § 254 die Worte „am Ort eines gesicherten Arbeitsplatzes" gestrichen haben.
Das zweite Anliegen, das wir in dieser Drucksache ansprechen, ist, daß wir die Elternrenten, die Eltern oder Elternteile auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes für einen oder mehrere gefallene Söhne erhalten, mit einem Freibetrag ausstatten möchten. Die Elternrente sollte ja ein Ehrensold des ,deutschen Volkes sein. Diese Absicht wird aber durch die jetzt geltende Regelung nicht verwirklicht. Eltern oder Elternteilen, die Unterhaltshilfe beziehen, wird die Elternrente in voller Höhe angerechnet. Deshalb möchten wir gemäß einer Forderung des VdK wenigstens erreichen, daß die Elternrente mit einem Freibetrag von 50 % ausgestattet wird, wobei der Freibetrag jedoch mindestens 30 DM betragen soll. Das gleiche soll auch für Renten Platz greifen, die aus der Unfallversicherung gewährt werden.
Neben dem Freibetrag für die Elternrente möchten wir auch die Freibeträge für die Sozialrenten erhöhen. Nach der letzten Erhöhung der Grundbeträge würden bereits 5 DM, 4 DM und 2 DM als Freibetrag anerkannt. Mit der Änderung des § 267 möchten wir erreichen, daß diese Freibeträge auf 25 DM, 20 DM und 10 DM erhöht werden. Ähnliche Regelungen sieht der § 267 bereits für einige andere Renten vor, und wir möchten, daß für die Sozialrentenbezieher hier gleiches Recht geschaffen wird.
Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten möchte ich gleich einige Bemerkungen zu den anderen vorliegenden Anträgen machen.
Der Erhöhung der Kriegsschadenrente stimmen wir zu. Wir unterstreichen aber auch die von uns immer wieder geforderte Erhöhung der übrigen Sozialrenten. Ja, sie wird, nachdem dieser Antrag auf Erhöhung der Unterhaltshilfe vorliegt, nach unserer Auffassung immer dringlicher, weil man nicht zwei Gruppen von Rentenbeziehern schaffen kann,
eine, der man eine Erhöhung zubilligt, und eine andere, die noch weiter darauf warten soll. Wir würden die Millionenzahl der Geschädigten unnötig differenzieren und neue Spannungen unter den sozial Notleidenden hervorrufen. Das kann nach unserer Auffassung nicht die Absicht dieses Hohen Hauses sein.
Wenn jetzt der Einwand gemacht werden sollte, die Erhöhung der Kriegsschadenrente komme aus dem Ausgleichsfonds, dann sind die gemachten Deckungsvorschläge nicht ganz richtig. Die Dekkungsvorschläge sehen eine Erhöhung der öffentlichen Zuschüsse vor. Der BHE sowohl wie die CDU/CSU wollen die Zuschüsse erhöhen. Der BHE beantragt eine Erhöhung von 410 auf 610 Millionen DM, die CDU/CSU-Fraktion eine Erhöhung von 410 auf 480 Millionen DM. In jedem Falle wird
eine stärkere Heranziehung der öffentlichen Steuermittel gefordert. Außerdem beantragen beide Fraktionen, daß die Vermögensteuer voll und ungekürzt dem Lastenausgleichsfonds zufließen soll. Damit wird der Vermittlungsvorschlag des Vermittlungsausschusses beseitigt, der vorsah, daß bi einer bestimmten Höhe des Aufkommens der Vermögensabgabe in allen drei Spielarten die Vermögensteuer um den Betrag des Mehraufkommens gekürzt werden könnte. Es handelt sich bei diesem Antrag — ich würde die übrigen Kollegen aus den beiden angesprochenen Fraktionen bitten, sich hierüber völlig im klaren zu sein — um eine wesentliche Erhöhung der öffentlichen Zuschüsse. Nach den Mitteilungen, die der Herr Finanzminister uns in diesen Tagen zugestellt hat, beträgt das Aufkommen aus der Vermögensabgabe, der Hypothekengewinnabgabe und der Kreditgewinnabgabe für das abgelaufene Etatjahr rund 2010 Millionen DM. Nach der jetzigen Regelung könnten die Länder 225 Millionen DM von der Vermögensteuer einbehalten. Nach dem vorliegenden Vorschlag sollen diese 225 Millionen DM Ländersteuern restlos dem Ausgleichsfonds zugeführt werden. Das ist nach unserer Auffassung kein guter Weg,
weil hier für die Mittel des Ausgleichsfonds öffentliche Gelder in Anspruch genommen werden, was naturnotwendig allgemeine öffentliche Aufgaben in den Ländern beschneiden muß. Deshalb haben wir gegen diese Anträge unsere starken Bedenken.
Wir möchten besonders darauf hinweisen, daß uns die Forderung auf Erhöhung der öffentlichen Mittel deshalb bedenklich erscheint, weil die BHEFraktion im gleichen Atemzug bereit ist, durch Einbeziehung neuer Gebiete in die Ostschäden die Ausgleichsabgabe zu ermäßigen. Wir möchten auf diesen Widerspruch hinweisen. Auf der einen Seite beantragt man eine stärkere Inanspruchnahme öffentlicher Mittel, und auf der anderen Seite ist man bereit, Einnahmen zu ermäßigen und damit die Einnahmen für den Ausgleichsfonds zu kürzen. Wir haben gegen die beantragte Einbeziehung neuer Gebiete in die Ostschadenregelung besonders starke Bedenken.
Über die Anträge auf Erweiterung des Personenkreises, der in den Genuß der Hausratshilfe kommt, sind wir bereit im Ausschuß zu diskutieren. Der jetzt vorgelegte Antrag enthält unseres Erachtens manche Unklarheiten. Im Prinzip stimmen wir der Erweiterung des Personenkreises zu; wir sind aber der Auffassung, daß im Ausschuß nach besseren und gerechteren Formulierungen gesucht werden muß.
Auch der Änderung des Stichtages vom 31. Dezember 1950 auf den 31. Dezember 1952 werden wir zustimmen.
— Ich wollte Ihre Zeit nicht unnötig in Anspruch nehmen und das Hohe Haus nur auf einige Widersprüche in diesem Ihrem Antrag aufmerksam machen. Wir behalten uns vor, im Ausschuß recht eingehend darüber zu reden.
Besonders starke Bedenken haben wir bei den Anträgen, die eine Änderung des Feststellungsgesetzes bezwecken. Die Erfahrungen, die wir mit dem Feststellungsgesetz gemacht haben, sind nicht
ermutigend. In der bisher geübten Praxis hat es zu einer Verzögerung wirksamer Hilfen geführt.
Ich will Ihnen nur wenige Zahlen nennen. Die Verzögerung trifft vor allen Dingen diejenigen, die aus dem Lastenausgleichsfonds Entschädigungsrenten beziehen wollen. Die Zahl der Unterhaltshilfeempfänger beträgt 871 000; ich nenne nur runde Zahlen. Der Personenkreis, der Unterhaltshilfe und Entschädigungsrente bezieht, konnte bis jetzt nur auf 14 000 ausgedehnt werden, und der Bezieherkreis, der reine Entschädigungsrenten bekommt, umfaßt nur etwas über 5500 Personen. Gerade die älteren Kreise sind über diese Langsamkeit der Durchführung verbittert. Die Schuld liegt aber nicht nur bei den Feststellungsbehörden, sondern die Schwierigkeiten der Beweisführung sind in allergrößtem Umfang auf das Feststellungsgesetz zurückzuführen. Wir möchten deshalb nicht durch eine Erweiterung der Feststellungsbestimmungen noch neue unnötige Verzögerungen und Erschwernisse einführen. Auch hierzu eine Zahl, die uns allen Anlaß geben sollte, zu überlegen, ob wir nicht doch einen besseren Modus finden können, um dieses ganze Feststellungsverfahren abzukürzen. Nach der Statistik des Bundesausgleichsamtes sind am 31. März 1954 7 296 000 Anträge auf Schadenfeststellung gestellt, aber bis zum gleichen Zeitpunkt nur 7275 erledigt worden. Die Ursachen liegen in den Erschwernissen des Feststellungsgesetzes. Wir haben deshalb erhebliche Bedenken dagegen, daß dieses Gesetz noch weiter durch neue Bestimmungen praktisch torpediert wird.
Zum Schluß noch folgendes. Die sozialdemokratische Fraktion wird allen Anträgen auf Änderung des Lastenausgleichsgesetzes zustimmen, die geeignet sind, die sozialen Leistungen zu verbessern, den Wohnungsbau zu fördern und die wirtschaftliche Eingliederung aller Geschädigten voranzutreiben.
Zur Begründung der Gesetzentwürfe des Gesamtdeutschen Blocks/BHE Herr Abgeordneter Dr. Klötzer!
Dr. Klötzer , Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Auftrage meiner Fraktion habe ich die fünf von uns eingereichten Anträge zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes zu begründen. Ich darf mir erlauben, vorher in ganz wenigen Sätzen etwas Grundsätzliches zum Lastenausgleich zu sagen. Dieses im August 1952 verabschiedete Gesetz, das nach langen Beratungen und Kämpfen und nach langen in den vorhergehenden Monaten und Jahren sich in der Öffentlichkeit und in den Verbänden abspielenden Diskussionen endlich zustande gekommen ist, hat — das glaube ich sagen zu dürfen — nach unser aller Ansicht die Aufgabe, die Bereinigung der Schäden und Verluste herbeizuführen, die durch den zweiten Weltkrieg und danach durch Vertreibungsmaßnahmen, durch Kriegssachschäden und andere Folgeerscheinungen eingetreten sind. Durch das Lastenausgleichsgesetz soll das Problem seine Lösung finden, inwieweit und in welcher Weise diese Schäden und Verluste gerecht und bestmöglich — und unter diesem „bestmöglich" verstehen wir vor allem so rasch wie möglich — ausgeglichen werden können. Wir sind uns alle der Schwierigkeit, der Größe und Schwere
dieses Problems bewußt. Wir glauben, daß gerade deshalb auf die Bereitwilligkeit und auf den ehrlichen Willen aller Angehörigen unseres Volkes, an der Lösung dieses Problems mitzuarbeiten, nicht verzichtet werden kann.
Die von den Schäden Betroffenen — es sind nach der Terminologie des Gesetzes etwa 20 bis 21 Millionen Anspruchsberechtigte — wissen von Anbeginn, daß sie mit einer vollen Entschädigung der erlittenen Verluste nicht rechnen können, und sie haben von Anbeginn auch vernünftigerweise mit einer solchen vollen Entschädigung nicht gerechnet. Diese Geschädigten wissen aber umgekehrt auch, daß es auf der Seite der Abgabepflichtigen doch manchmal noch an der Bereitschaft fehlt, die aus dem Chaos ohne eigenen Verdienst durch Zufall oder glückliche Umstände geretteten Vermögenswerte in entscheidendem und ausreichendem Maße zur Lösung dieses Problems heranziehen zu lassen.
Wir sehen in dem Lastenausgleich nicht nur ein Mittel und einen Weg, um den durch Krieg und seine Folgeerscheinungen Betroffenen, all den Heimatvertriebenen, Kriegssachgeschädigten, Währungsgeschädigten und den weiteren im Gesetz aufgezählten Geschädigtengruppen, wieder zu einem angemessenen Lebensstandard zu verhelfen und damit gefährliche soziale Spannungen in unserem Volkskörper zu beseitigen, sondern wir sehen im Lastenausgleich gleichzeitig noch eine zweite wichtige staatspolitische Aufgabe: die Aufgabe, all diese unverschuldet aus der natürlichen und gesunden Sozialstruktur des Volkes Ausgegliederten wieder einzugliedern, ihnen zu helfen bei der Schaffung von Existenzen, bei der Neubildung von Vermögenswerten, und wir sehen das Ziel darin, daß die wertvolle Substanz dieser Teile unseres Volkes erhalten wird. Die Erhaltung der Substanz ist besonders bei den 8 1/2 Millionen Heimatvertriebenen und bei den über 2 Millionen Sowjetzonenflüchtlingen unerhört wichtig. Wir glauben, daß ohne diese Substanzerhaltung auch die Wiedervereinigung in Frage gestellt wird, nicht nur die Wiedervereinigung der Bundesrepublik mit der Sowjetzone, sondern auch die Wiedervereinigung mit den Gebieten, aus denen diese Geschädigtengruppen unter Verletzung ihres Rechtes auf Heimat ausgewiesen wurden. Nur wenn wir ihre Substanz erhalten, werden wir in der Lage sein, auch das Recht auf Heimat und die Wiedervereinigung in diesem weiteren Sinne zu verwirklichen.
Meine Freunde und ich denken politisch viel zu real und nüchtern, um nicht zu erkennen, daß uns das Wahlergebnis des 6. September des Vorjahres gewisse Grenzen gesetzt hat und daß es uns nicht die Möglichkeit gibt, im Augenblick eine grundlegende Umstellung bei der Lösung des Lastenausgleichsgesetzes durchzusetzen. Unsere Anträge lassen diese Erkenntnis auch deutlich werden. Unsere Anträge halten sich im Rahmen des Systems des Gesetzes und haben lediglich das Ziel, unerträgliche Härten zu beseitigen, die sich bei der Durchführung des LAG im Laufe der vergangenen Monate und Jahre herausgestellt haben. Wir begrüßen es deshalb, daß auch andere Fraktionen des Hauses, vor allem auch die Fraktion der CDU/CSU durch ihren noch eingegangenen Entwurf, die Bereitschaft gezeigt haben, an der Beseitigung dieser nach unser aller Meinung zweifellos vorhandenen Härten mitzuarbeiten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun im einzelnen die Begründung zu den von uns eingereichten Novellen geben. Ich halte es nicht für die Aufgabe der ersten Lesung, vor dem Plenum allzusehr in die Einzelheiten einzusteigen, und will versuchen, mich möglichst kurz zu fassen.
Die Novelle 1, Drucksache 344, befaßt sich mit dem wichtigsten Punkt, der Erhöhung der Unterhaltshilfe. Die Sätze, um die die Unterhaltshilfe erhöht werden soll, sind bekannt. Zum Grundsätzlichen kann festgestellt werden, daß seit der Kodifizierung des Gesetzes im Jahre 1951 eine Erhöhung der Lebenshaltungskosten eingetreten ist. Die Teuerung, der man ja auch auf anderen Gebieten durch Erhöhung der Bezüge Rechnung getragen hat — ich denke an die Erhöhung der Beamtengehälter und verschiedene andere Erhöhungen —, muß unbedingt auch auf diesem Sektor der Unterhaltshilfe eine Berücksichtigung finden. Wir halten vor allem auch im Unterschied zu dem Entwurf der CDU/CSU an der Erhöhung des Zuschlags für Kinder nicht auf 30, sondern auf 35 DM monatlich fest. Gerade hier sehen wir eine der wichtigsten Aufgaben, nämlich die, der nachkommenden Generation auch hinsichtlich ihrer Ausbildung und ihrer Gesundheit alle Möglichkeiten der Förderung zu bieten.
Die Drucksache 344 umfaßt u. a. noch das bereits von meinem Vorredner erwähnte Problem der Elternrente. Die Elternrente soll ein Ehrensold an diejenigen Eltern sein, die im Kriege Söhne verloren haben. Wir halten es mit dem Charakter eines Ehrensoldes für nicht vereinbar, wenn man ihn auf der anderen Seite wieder abzieht mit der Begründung, dafür würden ja andere soziale Leistungen gegeben. Man kann den Ehrensold nicht als eine soziale Leistung in diesem Sinne auffassen. Unser Antrag geht daher dahin, die Elternrente von einer Anrechnung auf die Unterhaltshilfe freizustellen.
Ich darf in diesem Zusammenhang gleich sagen, daß meine Freunde selbstverständlich auch das Problem der Anrechnung der übrigen Renten als einer Lösung dringend bedürfig ansehen. Wir werden uns dem Antrag, der von meinem Vorredner hinsichtlich der Sozialrenten gestellt worden ist, anschließen, und wir glauben, daß hier noch verschiedene andere Renten ebenfalls einmal in dieser Richtung einer näheren Betrachtung unterzogen werden müssen.
Wir haben in unserer Novelle versucht, noch eine weitere Härte mit zu beseitigen. Es handelt sich um die Pflegezulage. Nach der augenblicklichen Fassung des Gesetzes ist eine Pflegezulage nur dann möglich, wenn der anspruchsberechtigte Haushaltsvorstand alleinstehend ist. Eine Pflegezulage wird dort nicht gewährt, wo von einem alten Ehepaar beide Teile noch am Leben sind, beide noch zusammenleben und beide pflegebedürftig sind. Es klingt widersinnig, daß man dem Anspruchsberechtigten, wenn seine Ehefrau verstorben ist, die Pflegezulage zubilligt, daß man ihm aber, solange die Ehefrau noch lebt und selbst auch pflegebedürftig ist, diese Zulage streitig machen will.
Der zweiten Novelle, der Drucksache 345, liegt die Überlegung zugrunde, daß bei der Ermittlung der Einheitswerte gewisse Vermögenswerte einfach unberücksichtigt blieben, deren Einbuße zweifellos auch einen Verlust darstellt. Wir denken hier in erster Linie an die Betriebsmittel bei den Landarbeitern, die sich auch mit Viehhaltung beschäftigt haben. Wir denken weiterhin bei landwirtschaftlichen Anwesen, die Vieh- und Saatzucht betrieben haben, an diejenigen Betriebsmittel, die im Ein-
heitswert nicht erfaßt sind, und wir denken schließlich an die Überbestände an umlaufenden Betriebsmitteln eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs. Wir glauben, daß es gerecht ist, diese Vermögenswerte, die bisher keinerlei Berücksichtigung bei der Schadensfeststellung finden konnten und daher auch nicht bei der Entschädigung in Betracht gezogen werden konnten, in Zukunft ebenfalls zu berücksichtigen.
Weiterhin befaßt sich der § 245 der Novelle mit der Anpassung der Einheitswerte. Es ist bekannt, daß der Einheitswert nach dem Reichsbewertungsgesetz mit dem Multiplikator 25 ermittelt wurde, d. h. man hat das 25fache des Jahressollertrages zugrunde gelegt. Bei land- und forstwirtschaftlichen Betrieben ist jedoch seinerzeit aus rein zeitbedingten Gründen, und zwar aus einer Verschiebung des Zinsgefüges heraus, ein anderer Multiplikator, nämlich nur 18, in Anwendung gekommen, so daß im Gegensatz zu der gewerblichen Wirtschaft, wo das 25fache zur Berechnung des Einheitswertes herangezogen worden ist, bei land- und forstwirtschaftlichen Betrieben nur der 18fache Jahressollertrag berücksichtigt wurde. Wir glauben, daß auf diese Weise eine Anpassung, ein gerechter Ausgleich gerade auf dem Sektor der Landwirtschaft erfolgen muß, der den vertriebenen Landwirten die Möglichkeit gibt, mit den ihnen daraus zufließenden gering erhöhten Mitteln wieder ihre Seßhaftmachung, die Gründung einer Existenz zu fördern.
Die nächste Novelle — Drucksache 413 — umfaßt als erstes den Begriff des Ostschadens. Es ist bekannt, daß zur Zeit Ostschäden nur dann Berücksichtigung finden, wenn sie im Gebiet des Deutschen Reichs nach dem Stand von 1937 eingetreten sind. Wir halten es für notwendig, daß auch die später in das Deutsche Reich eingegliederten Gebiete — Sudetenland, Danzig und Memel, die nach völkerrechtlichen Begriffen einwandfrei als Bestandteile des Reichs anerkannt sind — ebenfalls mit in diesen Begriff „Ostschaden" einbezogen werden.
Die Novelle umfaßt schließlich als nächsten Punkt das Problem der zerschnittenen Städte. Das sind diejenigen Städte, die entlang der Oder-NeißeLinie teils auf dem linken, teils auf dem rechten Ufer der Oder-Neiße gelegen sind. Wir wünschen, daß Reichsmarksparanlagen und Anteilsverluste bei Kapitalgesellschaften oder Erwerbsgenossenschaften ebenfalls als Ostschaden Anerkennung finden, wenn der Inhaber dieser Vermögenswerte auf der rechten Seite der Oder-Neiße-Linie seinen Wohnsitz hatte, aber der Sitz der Gesellschaft oder des Sparinstituts auf der linken Seite der Oder-Neiße liegt.
Wir verlangen die Anerkennung dieser Schäden allerdings nur insoweit — und damit möchte ich auf die Ausführungen meines Vorredners erwidern —, als diese Vermögenswerte im Zeitpunkt der Eingliederung bereits vorhanden waren. Wir gehen nicht so weit, auch die nach der Eingliederung dort noch neu erworbenen Vermögenswerte hier mit umfaßt sehen zu wollen, sondern beschränken diese Änderung auf den Rahmen derjenigen Vermögenswerte, die bei der Eingliederung bereits im Eigentum des nunmehrigen Antragstellers oder seines Erblassers standen.
Die gleiche Novelle verlangt schließlich noch eine Anpassung des Stichtags, der bisher im Lastenausgleichsgesetz ein anderer als im Bundsvertriebenengesetz war. Wir glauben, daß diese Anpassung des
Stichtags, indem man in beiden Gesetzen den 31. Dezember 1952 zugrunde legt, notwendig ist, die auch Verwaltungsvereinfachungen bringen wird.
Einer der wichtigsten Punkte dieser Novelle ist die beantragte Änderung des § 254. Auch wir halten es für dringend notwendig, den Kreis der Anspruchsberechtigten auf Gewährung von Aufbaudarlehen für den Wohnungsbau, der bis jetzt begrenzt ist auf Antragsteller mit einem festen und sicheren Arbeitsplatz oder auf diejenigen, die auf Grund des Verlustes von Grund- oder Hausbesitz einen Ersatzbau aufführen können, um alle diejenigen zu erweitern, die als Rentner, als Pensionäre, als Witwen bis jetzt von dieser wichtigen Hilfe auf dem Wohnungsbausektor ausgeschlossen sind. Wir wollen über den Antrag der SPD hinaus aber nicht nur diese Erweiterung anstreben, sondern die Gewährung eines Aufbaudarlehens für den Bau einer Wohnung auch dort möglich machen, wo zwar schon eine angemessene Wohnung vorhanden ist, wo aber aus dringenden Gründen eine Übersiedlung oder Umsiedlung erforderlich ist. Wir denken hier z. B. an Kriegerwitwen, die mit drei, vier schulpflichtigen Kindern irgendwo auf einem verlassenen Dorf wohnen und deshalb die Ausbildung der Kinder rein finanziell nicht bestreiten können, weil der Weg wegen der Entfernung zur nächsten Schule in der Stadt nicht zurückgelegt werden kann und weil ihnen auch aus finanziellen Gründen eine Unterbringung der Kinder in der Stadt nicht möglich ist. Wir glauben, daß aus diesen Gründen eine Gewährung eines Aufbaudarlehens ebenfalls ermöglicht werden sollte.
Die Novelle umfaßt weiter eine Änderung auf dem Sektor der Arbeitsplatzdarlehen. Meine Freunde wünschen, die Möglichkeit zur Gewährung von Arbeitsplatzdarlehen, die bis jetzt bei der Schaffung von fünf Arbeitsplätzen gegeben ist, solle dadurch erleichtert werden, daß in begründeten Fällen auch die Schaffung von drei Arbeitsplätzen ausreicht und daß dort, wo auf einem solchen Arbeitsplatz ein älterer Angestellter untergebracht werden kann, sogar die Schaffung von zwei neuen Arbeitsplätzen genügen soll. Wir halten es allerdings für notwendig, die Höchstgrenze der an den gleichen Antragsteller zu bewilligenden Arbeitsplatzdarlehen auf 200 000 DM festzulegen. Wir glauben, daß diese Begrenzung auch deshalb Verständnis finden wird, weil gerade die großen leistungsfähigen Betriebe auch ohne diese Hilfen aus dem LAG in der Lage sind, neue Arbeitsplätze, sofern es ihr Produktionsvolumen erfordert, zu schaffen, und daß man diese Hilfe den kleineren und mittleren Betrieben in verstärktem Maße zuführen soll.
Eine weitere Änderung betrifft die Anpassung der Krankenversicherung. Wir streben an, die Krankenversicherung, die bis jetzt bei Unterhaltshilfeempfängern anders geregelt ist als bei Fürsorgeempfängern, indem die Unterhaltshilfeempfänger dadurch schlechter gestellt sind, daß sie z. B. keinen Zahnersatz, keine Barleistungen bei Krankenhausaufenthalt wie Hausgeld usw. erhalten können, anzupassen und die Unterhaltshilfeempfänger zumindest so zu stellen wie die Fürsorgeempfänger.
Ein wichtiger Antrag dieser Novelle betrifft schließlich die Hausrathilfe. Es ist bekannt, daß die Hausrathilfe jetzt mit ihren Zuschlägen nach dem Stichtag vom 1. April 1952 gewährt wird. Dadurch
fallen alle diejenigen Familienangehörigen heraus und erhalten keine Familienzuschläge, die am 1. April 1952 — sei es durch Verheiratung oder andere Gründe — nicht mehr zur Familiengemeinschaft ihrer Eltern gehörten. Unser Antrag geht dahin, als Stichtag den Tag der Schädigung, der Vertreibung oder des Kriegssachschadens festzulegen und die Zuschläge an alle diejenigen Familienangehörigen, vor allem Kinder, zu gewähren, die an diesem Stichtag zur Familiengemeinschaft gehörten.
Schließlich umfaßt die Novelle als letzten Punkt den Antrag, die Fälligkeit der Hauptentschädigung auf 1979 festzulegen. Der Zweck dieses Antrags ist es, der Hauptentschädigung schon jetzt einen wirtschaftlichen Wert zu geben, um sie in dringenden Fällen bereits jetzt realisieren zu können. Wir stimmen hier mit dem Antrag der CDU/CSU überein, wollen ihn allerdings mit unserer Novelle dahin erweitern, daß in bestimmten, besonders begründeten Fällen der Zeitpunkt der Fälligkeit vorverlegt werden kann, nämlich wenn es sich darum handelt, mit diesen Mitteln a) die Wiederherstellung der bedrohten Gesundheit des Antragstellers oder seiner nächsten Familienangehörigen, b) die berufliche, schulische und wissenschaftliche Ausbildung oder die Berufsumschulung des Antragstellers und seiner Angehörigen zu finanzieren, c) Gegenstände, die der wissenschaftlichen Forschung dienen, wiederzubeschaffen.
Wir glauben, diese Möglichkeiten müssen im Gesetz gegeben werden. Die drei aufgezählten Fälle sind sehr wichtig. Es darf nicht daran scheitern, daß die Hauptentschädigung des Lastenausgleichs formell erst in 30 Jahren Wirklichkeit werden soll.
In unserem Antrag Drucksache 445 ist der Hauptzweck, die Entschädigungsrente analog der Unterhaltshilfe den gestiegenen Lebenshaltungskosten anzupassen.
Wir beantragen damit erstens, den Einkommenshöchstbetrag von 200 auf 300 DM zu erhöhen. Weiter wünschen wir, daß in § 284 die Sätze der monatlichen Entschädigungsrente angehoben werden, weil sie uns augenblicklich als viel zu niedrig erscheinen. Bedenken Sie, meine Damen und Herren, daß z. B. eine Entschädigungsrente von monatlich 20 DM erst gewährt wird, wenn bei Verlust der beruflichen oder sonstigen Existenzgrundlage ein Jahreseinkommen bis zu 6500 Mark vorhanden gewesen ist. Der Unterschied ist derart kraß, daß auch hier eine Anhebung kaum auf den Widerstand irgendwelcher Kreise stoßen dürfte.
In dieser letzten Novelle halten wir es auch noch für notwendig, das Problem der Anrechnung der Unterhaltshilfe auf die Hauptentschädigung einer genauen Prüfung zu unterziehen. Nach unserem Vorschlag soll der anzurechnende Betrag von bisher 5000 DM entscheidend ermäßigt, und zwar auf 2300 DM festgelegt werden. Der Betrag von 5000 DM Hauptentschädigung entspricht ja einem Schaden von 20 000 Reichsmark. Es ist aber zu berücksichtigen, daß dabei der Einheitswert zugrunde gelegt ist, so daß ein noch viel höherer Schaden vorausgesetzt wird. Man wird es zweifellos nicht für gerecht halten können, daß der eine, der so immens hohe Verluste hat, seine Unterhaltshilfe auf die Hauptentschädigung angerechnet bekommt, während der andere, der keinen Vermögensschaden in diesem Umfang gehabt hat, die gleiche Unterhaltshilfe beziehen kann. Der herabgesetzte Betrag von 2300 DM entspricht einem Schaden von 6000 Reichsmark. Das läßt sich noch einigermaßen vertreten. Wir sind zwar, wie ich eingangs sagte, der Meinung, daß man die Anrechnung überhaupt nicht durchführen dürfte. Da aber die Deckungsfrage so große Schwierigkeiten bereitet, sollte man sich wenigstens bemühen, die Anrechnung in mäßigen Grenzen zu halten.
Lassen Sie mich abschließend ganz kurz unsere Deckungsvorschläge erörtern. Die gesamten Mehraufwendungen, die bei Verwirklichung unserer Vorschläge entstehen, betragen etwa 400 Millionen DM. Zur Aufbringung dieser Mittel schlagen wir vor, die in § 6 des Lastenausgleichsgesetzes vorgesehene Sperrklausel fallen zu lassen und die Vermögensteuer abzüglich der Verwaltungsausgaben in vollem Umfang dem Lastenausgleichsfonds zuzuführen. Wir halten das auch für zumutbar; denn die Länder mußten ja, als das Gesetz seinerzeit beschlossen wurde, damit rechnen, daß die volle Vermögensteuer bei dem Lastenausgleichsfonds verbleibt. Sie konnten sich nicht darauf verlassen, daß durch Vermögensabgabe, Hypotheken-und Kreditgewinnabgabe ein höheres Aufkommen ihnen die Rückzahlung erheblicher Beträge der Vermögensteuer bescheren würde. Wir glauben daher, daß dieser Vorschlag durchaus angemessen und vertretbar ist.
Wir halten es ebenfalls für durchführbar, den weiteren Mehrbedarf an Mitteln dadurch aufzubringen, daß man die in Abs. 3 des § 6 vorgesehenen Zuschüsse der Länder von 410 Millionen DM auf 610 Millionen DM erhöht. Es ist nicht so, daß hierdurch andere dringende soziale Aufgaben der Länder vernachlässigt werden müßten. Man muß vielmehr davon ausgehen — dieser Grundsatz wurde bis jetzt immer widerspruchslos anerkannt —, daß Erhöhungen von Renten und von sozialen Leistungen Maßnahmen des Staates nach sich ziehen, also dem Staate zur Last fallen müssen und nicht auf den Ausgleichsfonds abgewälzt werden können.
Abschließend darf ich darauf hinweisen, daß sich unsere Anträge durchaus im Rahmen des Erfüllbaren halten. Wir bitten jedoch schon jetzt, wegen der Eilbedürftigkeit dieser Anträge, besonders in einigen wichtigen Punkten, vor allem bezüglich der Erhöhung der Unterhaltshilfe, die Beratungen so intensiv zu gestalten und das Gesetz so rasch zu verabschieden, daß alle diejenigen, die seit Jahren auf die Beseitigung dieser Härten warten, dieses Gesetz noch vor den Ferien vor sich sehen. Ich beantrage namens meiner Fraktion die Überweisung dieser Anträge an den Ausschuß für den Lastenausgleich.
Zur Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktion der CDU/CSU Drucksache 571 Herr Abgeordneter Kunze!
Kunze (CDU/CSU), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, es meinen Vorrednern gleichzutun und die Novelle meiner Fraktion Punkt für Punkt darzustellen und Ihnen zu jedem einzelnen Punkt noch eine Begründung zu geben.
— Weil ich glaube, daß wir unsere Zeit besser nutzen können, als wenn wir versuchen, uns gegenseitig in der Einbringung von Anträgen den Rang abzulaufen, wie es jetzt ja schon geschehen ist.
Wir wären auch schon längst weiter, wenn sich die Fraktion des BHE entschlossen hätte, unseren wiederholten Bitten im Ältestenrat, die Angelegenheit ohne eine Generaldebatte in den Ausschuß zu bringen, zu folgen. Wir haben vergebens darauf hingewiesen, daß wir vor dem 18. Juni sonst überhaupt nicht zur ersten Lesung dieser ganzen NovellenAnträge kommen würden.
Ich darf auf folgendes hinweisen. Als der Deutsche Bundestag am 16. Mai 1952 bei der Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes Erklärungen der verschiedenen Fraktionen nach der Abstimmung entgegennahm, habe ich die Ehre gehabt, namens der Regierungsparteien vor der Schlußabstimmung zu sagen:
Alle Parteien wissen, daß mit der Verabschiedung dieses Gesetzes ein weiterer Baustein zu einer Neugestaltung der sozialen Ordnung, für die Eingliederung der Heimatvertriebenen und die Anerkennung der berechtigten Forderung der Kriegsgeschädigten gelegt worden ist. Mit diesem Gesetz haben wir an vielen Punkten Neuland betreten müssen. Die Erfahrung bei der Durchführung wird uns erkennen lassen, an welchen Punkten die Wirklichkeit des Lebens eine Änderung des Gesetzes erforderlich macht. An der Weiterentwicklung werden wir uns in dem Bewußtsein unserer Verantwortung beteiligen, alle Kritik sorgfältig prüfen und allen berechtigten Forderungen auf Änderung in den Grenzen des Möglichen Rechnung tragen.
Als dann nach der Verabschiedung dieses Gesetzes der Bundesrat in 41 Punkten den Vermittlungsausschuß anrief, haben wir in sehr gründlicher Arbeit versucht, die Beschlüsse dieses Hohen Hauses im Vermittlungsausschuß zum Tragen zu bringen. Es gehört zur Politik, daß man, wenn man keine absolute Mehrheit hat, Kompromisse suchen und sich ehrlich auf das politisch Erreichbare zu verständigen versuchen muß.
Am 10. Juli 1952 hat der Vorsitzende der Fraktion der CDU/CSU, Dr. von Brentano, namens der Regierungsparteien des 1. Deutschen Bundestages im Plenum eine Schlußerklärung abgegeben — erlauben Sie mir, Ihnen die nur drei Sätze enthaltende Erklärung vorzulesen —:
Das vom Bundestag mit absoluter Mehrheit beschlossene Lastenausgleichsgesetz ist in dem vom Bundesrat angerufenen Vermittlungsausschuß .... erheblichen Veränderungen unterworfen worden, die fast durchweg als Verschlechterung dieses Gesetzes anzusehen sind. Nur um das besonders von den Geschädigten und Abgabepflichtigen so dringend erwartete Gesetz möglichst bald in Kraft treten zu lassen, haben sich die Fraktionen der Regierungskoalition mit schweren Bedenken entschlossen, dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses ihre Zustimmung zu geben. Die Regierungsparteien werden alle Kräfte daransetzen, die dem neuen Gesetz eingefügten Mängel in allernächster Zukunft zu beseitigen.
Mit der Novelle auf Drucksache 571 haben wir einen entscheidenden und wesentlichen Beitrag zur Einlösung unseres vor eindreiviertel Jahren gegebenen Versprechens geleistet. Ich versage es mir, heute Einzelheiten darzustellen, weil wir im Ausschuß Gelegenheit haben werden, die Dinge Punkt für Punkt durchzugehen. Aber ich möchte doch wenigstens auf drei Dinge aufmerksam machen.
Einmal ist sowohl von dem Vertreter der SPD, meinem Kollegen Ohlig, als auch von Ihnen, Herr Kollege vom BHE, die Elternrente der Kriegsopferversorgung als eine ganz einzigartige Sache, nämlich als ein Ehrensold dargestellt worden. Ich glaube, daß wir im Rahmen unserer gesamten sozialen Konzeption so nicht taktieren dürfen. Denn wenn es ein Ehrensold wäre, dürfte er in seiner Höhe und in seiner Bewilligungsmöglichkeit nicht an relativ beschränkte Einnahmen sonstiger Art gebunden sein.
Zum anderen müssen nicht nur die Elternrente der Kriegsopferversorgung, sondern auch andere Sozialrenten, die mein Kollege Ohlig angesprochen hat, in den Bereich dieser Überlegungen einbezogen werden. Wir können doch die Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz nicht als eine im sozialpolitischen Raum isolierte Angelegenheit sehen. Wir haben vielmehr die Verpflichtung, sie in dem gesamten Rahmen unserer sozialpolitischen Notwendigkeiten und Möglichkeiten zu sehen. Meine Fraktion hat dem alten Grundsatz entsprochen, Herr Kollege Ohlig, daß die Entlastung der öffentlichen Fürsorge nicht auf Kosten des Lastenausgleichs erfolgen darf. Durch die Entwicklung der Fürsorgerichtsätze sind mehr als 250 000 Unterhaltshilfeempfänger wieder zum Teil in die Fürsorge gekommen. Wir haben errechnet, daß das eine Größenordnung von etwa 70 Millionen DM sein würde, und haben darum durch Änderung von § 6 die Erhöhung des Aufkommens für den Lastenausgleich von 410 Millionen DM auf 480 Millionen DM vorgeschlagen.
Auch in dem anderen, Herr Kollege Ohlig, vermag ich Ihnen nicht zuzustimmen. Sie entsinnen sich der zweiten und dritten Lesung des Lastenausgleichsgesetzes in diesem Hohen Hause. Damals sind wir mit Ihnen gemeinsam davon ausgegangen, daß die Länder für eine vorübergehende Zeit auf die Vermögensteuer zugunsten des Fonds verzichten müssen. Jetzt wollen wir nichts anderes, als den Ländern erklären: Damals wurde auf der Basis des durch das Bundesfinanzministerium sehr vorsichtig geschätzten voraussichtlichen Aufkommens die Größe 1 785 Millionen DM als die Stopplinie bezeichnet, von wo aus die Abgabeverpflichtung zwar existent bliebe, aber nicht zugunsten des Ausgleichsfonds, sondern zugunsten der Länder eintreten würde; jetzt hat sich herausgestellt, daß die Vermögensabgabe wesentlich höhere Aufkommen bringt, als wir damals sehen konnten. Die Länder konnten mit diesen höheren Aufkommen ebensowenig rechnen wie wir. Durch unseren Vorschlag, diese Grenze in § 6 fallen zu lassen, ist also jetzt durchaus die Möglichkeit einer ernsthaften Diskussion im Ausschuß gegeben.
Dann ein letztes. Ich habe meinen Fraktionskollegen zugestimmt, die Fälligkeit der Abgaben auf alle Fälle im Gesetz bis 1979 zu erstrecken.
Ich möchte aber keinen Zweifel daran lassen, daß ich es ablehne, durch diese Zustimmung auch nur den Schatten eines Anscheins zu erwecken, als ob die Entschädigungen erst 1979 gezahlt würden.
Wir waren uns, meine Herren vom BHE, bis auf einen unter Ihnen, jetzt neuerdings bis auf zwei unter Ihnen,
im 1. Deutschen Bundestag — Sie haben das ja nicht miterlebt — von vornherein darüber klar: wenn es uns nicht gelingt, durch Maßnahmen der Vorfinanzierung, der Vorleistung und alle weiteren Maßnahmen die entscheidende Problematik der uns gestellten Aufgabe in den ersten fünf bis zehn Jahren zu meistern, werden wir gescheiterte Leute sein.
Nun sollte man uns doch nicht vorhalten, wir hätten auf dem Gebiete nichts getan. Kein Parlament und keine Regierung der Welt sollten sich schämen, wenn das, was sie als Mindestleistung zugesagt haben, nun schon übertroffen worden ist.
Ist es denn kein Faktum, daß wir bereits im ersten Jahr nach dem Inkrafttreten des Gesetzes den ganzen Währungsausgleich für die Heimatvertriebenen, bis auf die wenigen noch unklaren Fälle, über 400 Millionen DM in toto, abgewickelt haben? Ist es denn kein Faktum, daß die Altsparerentschädigungen, soweit die Beträge bei Girozentralen und Sparkassen lagen, ab 1. Februar mit den ersten 100 DM zur Auszahlung kamen und noch in diesem Jahre, 1954, restlos vorfinanziert und freigegeben werden?
— Entschuldigen Sie, wenn wir auf diese Art und Weise statt 3,2 bis 3,4 Milliarden DM im Jahre 1954/55 insgesamt 4,2 bis 4,4 Milliarden DM haben, dann liegen wir alles in allem in den ersten drei Jahren wesentlich über den Maximalzahlen, die wir damals genannt haben und die auch von seiten bestimmter Interessenvertreter gefordert worden sind.
Ich schließe meine Ausführungen, weil ich, wie gesagt, keine Neigung habe, jetzt in all die Details einzusteigen. Ich schließe mich den Vorschlägen an, das gesamte Paket der Vorlagen dem Ausschuß für den Lastenausgleich zu überweisen, und erkläre meinerseits die Bereitschaft, so schnell wie möglich vorwärtszuarbeiten. Lassen Sie uns allerdings mit Erklärungen vorsichtig sein, daß wir dies oder jenes noch vor den Parlamentsferien erledigen. Ich möchte nichts versprechen, von dem ich nicht weiß, daß wir es auch halten können. Versprechen möchte ich unseren guten Willen.
Zur Begründung des Antrags Drucksache 588 Herr Abgeordneter Kuntscher.
Kuntscher , Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich in der Begründung des Antrags Drucksache 588, der gleichfalls eine Änderung des Lastenausgleichsgesetzes in einigen Punkten fordert, sehr kurz fassen. Der Antrag bezweckt, und zwar in Art. 1, eine Änderung des § 12. Der § 12 soll dahingehend erweitert werden, daß auch den ehemaligen Bewohnern der durch Oder und Neiße geteilten Städte — das sind hesonders Frankfurt, Guben und Görlitz — die Sparerentschädigungen zuerkannt werden. Es soll eine gesetzliche Regelung getroffen werden, wonach eine Spareinlage, die bei einer Niederlassung eines Geldinstitutes unterhalten wurde, die ihren Sitz westlich der Oder-Neiße-Linie hatte, sofern die Gemeinde, in deren Bezirk die Niederlassung bestand, sich östlich und westlich der Oder-Neiße-Linie erstreckte, unter die Entschädigungsregelung fällt. Die gleiche Schadensanerkennung soll auf Anteilsrechte bei Kapitalgesellschaften oder Erwerbs- oder Wirtschaftsgenossenschaften ausgedehnt werden.
Zu § 14 bezweckt unser Antrag eine Ausweitung des Begriffs „Ostschäden". Kollege Ohlig hat sein Befremden ausgesprochen über diese Forderung, die ja auch eine Forderung des BHE ist. Es ist klar, daß sich der Ausschuß mit dieser sehr komplizierten Frage — das gestehe ich zu — noch sehr ernstlich wird beschäftigen müssen. Es ist aber ebenso klar, daß die Festlegung der Ostschäden so, wie es im Gesetz bisher geregelt ist, ein Unrecht darstellt. Zehntausende von Menschen sind von der Möglichkeit ausgeschlossen, einen Ostschaden anzumelden oder eine Wiedergutmachung dieses Schadens zu erreichen, weil die Bestimmungen im jetzigen Gesetz zu eng sind.
In Ziffer 3 unseres Antrags wird eine Ausweitung der Vorauszahlung der Hauptentschädigung an diejenigen verlangt, die einen Anspruch auf Hauptentschädigung haben und diesen Anspruch realisieren möchten, um sich eine Existenz zu gründen, die nur durch die Wiederbeschaffung von notwendigen Gegenständen, die für die wissenschaftliche Forschung notwendig sind, ermöglicht werden kann.
In Ziffer 4 fordern wir eine Ausdehnung und Zuerkennung der Pflegezulage auf die Fälle, wo beide Ehegatten als Unterhaltsempfänger pflegebedürftig sind, nach den jetzigen Gesetzesbestimmungen aber keine Pflegezulage erhalten.
In Ziffer 5 beantragen wir die Streichung des Abs. 3 des § 323. § 323 enthält die Sondervorschriften über die Verwendung von Mitteln des Ausgleichsfonds. Für die Honorierung der §§ 301 und 302 wird bestimmt, daß jährlich 150 Millionen DM für den Härtefonds und andere besondere Förderungszwecke 10 Jahre hindurch aus dem Lastenausgleich zur Verfügung zu stellen sind. Nachdem wir aber im Kontrollausschuß zweimal einen wirtschaftlichen Finanzplan des Lastenausgleichsamtes zu behandeln hatten, müssen wir feststellen, daß wir jedes Jahr über diese 150 Millionen DM hinausgehen mußten. Der starke Zustrom von Flüchtlingen aus der Sowjetzone war die Ursache von Erhöhungen der vorgesehenen Mittel. Durch die Streichung dieses Absatzes soll dem Kontrollausschuß die Möglichkeit gegeben werden, die Ansätze den jeweiligen Verhältnissen entsprechend festzulegen.
Der Art. 2 des Antrags beschäftigt sich mit der Änderung des Feststellungsgesetzes und bezieht sich auf alle von mir angeführten einzelnen Paragraphen; denn das Feststellungsgesetz muß ja mit dem Erlaß des Ausgleichsgesetzes korrespondieren, und diese Änderungen müßten also auch im Feststellungsgesetz vorgenommen werden.
Ich beantrage, diesen Antrag dem Lastenausgleichsausschuß zur Behandlung zu überweisen.
Meine Damen und Herren! Damit sind sämtliche Anträge begründet. Ich eröffne die Aussprache über die Anträge.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Beratungen über das Lastenausgleichsgesetz spielen sich bedauerlicherweise ebenso wie die über alle sozialen Gesetze fast immer vor mehr oder weniger leerem Hause ab.
Auch in der Öffentlichkeit ist das Interesse dann nicht sehr groß, wenn man sich über die vorbereitenden Beratungen unterhält. Erst wenn es an die Durchführung geht, melden sich die Interessenten sowohl auf der Aufbringungs- als auch auf der Verteilungsseite, und dann meistens sehr massiv. Es wäre also wirklich der Wunsch an die Bevölkerung heranzutragen, sich mit der Materie in dem Stadium ernster zu befassen, in dem noch Entscheidungen möglich sind.
Ich möchte mich wegen dieses leeren Hauses nur mit einigen grundsätzlichen Fragen beschäftigen.
Wir haben dem Lastenausgleich eine soziale und eine quotale Seite gegeben, und wir haben uns bemüht, dabei eine gerechte Verteilung zu finden. Ob das gelungen ist, kann noch nicht erwiesen werden, weil es zu der quotalen Regelung noch nicht gekommen ist.
Die Anträge, die hier gestellt sind, beschäftigen sich fast durchweg, mit einer Ausnahme, mit der sozialen Seite. Wir waren uns bei der Bemessung der Höhe der sozialen Leistungen darüber klar, daß wir uns wegen der ungeheuer großen Zahl von Fällen auf ein Minimum von Leistungen beschränken mußten.
— Ich bedauere das genau so wie Sie, und erwarten Sie bitte nicht, daß ich in meinen Ausführungen Ihre Anträge nach der Richtung nicht unterstützen werde.
Im Gegenteil, ich bin auch der Meinung, daß diese Sätze sich in dieser Zeit als zu niedrig herausgestellt haben und daß wir hier zu einer angemessenen Erhöhung kommen müssen.
Wenn ich da an die obere Grenze dieser Erhöhung erinnere, so geschieht das nicht deswegen, weil ich nicht noch weiter mit Ihnen gehen wollte. Aber wir haben doch nun einmal in diesem Gesetz das Verhältnis der sozialen Leistung zur quotalen Leistung, und das, was wir auf der sozialen Seite zugeben, nehmen wir auf der quotalen Seite.
Denn die Vorschläge, die Sie in bezug auf ein etwaiges Mehraufkommen gemacht haben, sind sehr fragwürdiger Art. Besonders derjenige, der schon einmal die Verhandlungen im Vermittlungsausschuß mitgemacht hat, wird doch ein ganz großes Maß an Skepsis empfinden, ob die Herren, die
hier bisher noch nicht tätig gewesen sind, jetzt besser durchdringen, als es uns vor zwei, drei Jahren gelungen ist.
Ich möchte also diesen Punkt noch einmal mit aller Deutlichkeit herausstellen: das, was wir auf der sozialen Seite zulegen — und wir müssen zulegen, darüber besteht kein Zweifel —, mindert zweifellos die quotale Seite. Daran dürfen wir nicht vorbeigehen.
Ich muß noch zum Schluß auch die Abgabenseite mit einem kurzen Wort streifen. Wir haben uns seinerzeit vorgenommen, die deutsche Wirtschaft bis zu der Grenze zu belasten, die gerade noch tragbar ist und bei der wir ihre Funktionsfähigkeit nicht beeinträchtigen. Ich glaube, daß wir diese Grenze ziemlich gut erreicht haben.
Es hat sich gezeigt, daß es bestimmten Wirtschaftszweigen leicht gefallen ist, diese Abgabe aufzubringen. Es hat sich aber genau so gezeigt, daß auf dem andern Flügel gewisse Wirtschaftszweige unter dieser Last außerordentlich stöhnen.
— Ja, gerade Sie, meine Herren vom BHE, sollten nicht so leicht darüber hinweggehen, denn gerade aus den Vertriebenenkreisen und ihrer Wirtschaft kommen die allermeisten Klagen.
Ich denke da ganz besonders an die Kreise, die selber große Verluste erlitten haben, aber von dem verbliebenen Vermögen noch Abgaben zahlen müssen.
— Wenn Sie einmal das Protokoll der ersten Lesung dieses Gesetzes nachgelesen hätten, dann würden Sie diesen Zwischenruf nicht gemacht haben; denn ich habe die Auffassung vertreten, daß das nicht richtig ist.
— Nein; die Vorhaltungen sind von Ihrer Seite gemacht worden, daß die gesamte Wirtschaft die Aufbringung durchführen könne. Ich weise nur auf die Kreise hin, denen es schwerfällt, und meine Anregung geht eben an die Bundesregierung, im Rahmen der Vorschläge, die wir hier bearbeiten, uns jetzt auch Vorschläge für gewisse Erleichterungen insbesondere des § 47 zu machen, bei dem der Vermögensvergleich nicht ganz vergleichbarer Einheitswerte zu sehr großen Schwierigkeiten führte. Auch daran müssen wir denken, und ich hoffe, daß wir im Laufe der Beratung von der Bundesregierung noch besondere Vorschläge hierzu bekommen werden.
Ich glaube bei aller Bereitschaft, die Dinge eingehend und schnell zu bearbeiten, ebenso wie Herr Kollege Kunze, daß es eine Utopie wäre, wenn man annehmen wollte, daß wir ein solches Gesetz — denn es wird wieder ein umfangreiches Änderungsgesetz — noch vor den Ferien verabschieden könnten. Aber von meiner Fraktion aus wird die Bereitschaft erklärt, mit allen Mitteln an der Beschleunigung mitzuarbeiten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gille.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte mit der Feststellung beginnen, daß das Interesse offenbar nicht sehr bedeutend ist. In der Mittagspause ist der Saal ja öfters sehr leer; aber ich vermisse insbesondere sehr namhafte Experten auf dem Lastenausgleichsgebiet; gerade heute entbehre ich deren Anwesenheit nur ungern.
Meine Damen und Herren, ich will nur zu den Dingen Stellung nehmen, die von der SPD und von der CDU jetzt angesprochen worden sind und bei denen zu erkennen ist, daß wir uns in einigen doch sehr wesentlichen Fragen unterscheiden.
Zu unserem Deckungsvorschlag hat der Sprecher der SPD gesagt, das sei ein schlechter Weg. Der bessere Weg, den er vorgeschlagen hat, ist sehr billig gewesen. Er hat — ich habe ihn da offenbar recht verstanden — gesagt: Das muß eben der Fonds bezahlen. — Bitte, einen anderen Weg haben Sie bisher nicht vorgeschlagen. Unseren Deckungsvorschlag, der dahin geht, die Sperrklausel zu Lasten der Länder zu beseitigen, und ebenso die Erhöhung der Zuschüsse der öffentlichen Hand haben Sie als einen schlechten Weg bezeichnet, und für einen besseren Weg haben Sie keinen anderen Vorschlag gemacht. Ich nehme also an, daß Sie meinen, der Lastenausgleichsfonds möge das allein verkraften. Es liegt mir entscheidend daran, das ganz klar herauszustellen: Ist es wirklich die Auffassung der SPD-Fraktion, daß die Erhöhung der Unterhaltshilfe ausschließlich zu Lasten des Fonds gehen soll? Ich habe doch die Ausführungen Ihres Sprechers richtig verstanden, meine Herren von der SPD? Das ist für uns eine sehr betrübliche Überraschung! Damit bringen Sie die Dinge nicht weiter. Es hätte wahrscheinlich keiner großen Erörterung hier bedurft, wenn wir diese Erhöhungen allein auf Kosten aller anderen Leistungen des Lastenausgleichsfonds hätten vornehmen wollen.
Ich glaube auch Herrn Atzenroth richtig verstanden zu haben; er scheint sich dem Standpunkt der SPD hinsichtlich der Deckungsfrage zu unserem großen Bedauern zu nähern. Bitte, ich würde mich freuen, wenn ich Sie falsch verstanden hätte! Sie haben aber doch die Auffassung vertreten, man habe damals bei der Verabschiedung des Gesetzes die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft sehr genau getroffen. Darauf erlaubte ich mir den Zwischenruf, es sei bisher noch keiner an den Ausgaben für den Lastenausgleich kaputtgegangen.
Sie brachten dann lediglich die Kritik, daß einige Vertriebenenbetriebe darunter leiden. Aber das ist doch kein echter Einwand; denn das läßt sich ja zur Not beseitigen. Insgesamt aber kann man doch wirklich feststellen, daß die deutsche Wirtschaft den vielleicht anfangs als sehr drückend und hoch empfundenen neuen Abgabeverpflichtungen für den Lastenausgleich bisher erstaunlich leicht und ohne ernste Schwierigkeiten nachkommen konnte.
Wir freuen uns um so mehr, Herr Kunze, daß die CDU/CSU offenbar hinsichtlich der Deckungsvorschläge mit uns weitgehend mitziehen will. Ich möchte ausdrücklich betonen: dies gibt uns die
Hoffnung, daß das eigentliche Kernanliegen dieser fünf Novellen wirklich befriedigt werden kann, ohne daß an anderer Stelle Leistungen des Lastenausgleichs gefährdet werden.
Sie haben zum Schluß eine Formulierung gebraucht, die mich wieder etwas besorgt machte. Sie sprachen von der Möglichkeit einer ernsten Diskussion. Wir hoffen, Herr Kunze, ihre wesentlich hoffnungsvolleren Worte, die Sie am Anfang ausgesprochen haben, sollten durch diese Formulierung nicht eingeschränkt werden; denn wir verstehen den Antrag der CDU/CSU hinsichtlich der Deckungsvorschläge doch so — und da kann doch gar kein Mißverständnis vorliegen —, daß Sie im Grundsatz bereit sind, die Sperrklausel fallenzulassen und auch die öffentliche Hand noch mehr heranzuziehen. In dieser zweiten Frage unterscheiden wir uns lediglich hinsichtlich der Höhe. Sie glauben, mit 70 Millionen auszukommen; wir glauben, mehr verlangen zu müssen. Ich bitte also, mich eventuell zu berichtigen, damit wir heute nicht mit trügerischen Hoffnungen aus dieser Beratung herausgehen. Diese dankbare Freude, die wir hinsichtlich Ihrer Deckungsvorschläge empfunden haben, bitten wir uns doch als berechtigt noch einmal zu bestätigen oder aber uns wenigstens zu widersprechen, wenn wir uns da irren sollten.
Meine Damen und Herren, zu der Kritik, die der SPD-Sprecher am Feststellungsgesetz geübt hat, ist auch einiges zu sagen. Das Feststellungsgesetz ist nicht zu kompliziert und nicht etwa undurchführbar, sondern — das haben wir ja neulich schon einmal angesprochen, und das ist in der öffentlichen Diskussion unzählige Male von den Vertriebenenverbänden gesagt worden — wenn wir bei diesem Gesetz anderthalb Jahre auf die notwendigen Durchführungs- und Rechtsverordnungen warten mußten, dann kann man weiß Gott nicht damit rechnen, daß nun — —
— Ganz klar, ich will nur erklären, woran es liegt. Das Gesetz ist damals — das ist ja kein Geheimnis — gegen den offenkundigen Willen und Widerstand des Bundesfinanzministers zustande gekommen, und nun warten wir anderthalb Jahre auf die Durchführungsbestimmungen. Gebe man uns doch rechtzeitig gute Durchführungsbestimmungen, dann ist dieses sehr schwierige und auch sehr umfassende Problem durchaus zu lösen! Mit den wenigen Zahlen über die Feststellung, die Sie heute vorgetragen haben, kann man jedenfalls das Gegenteil noch nicht beweisen.
Im übrigen folgendes. Wenn Sie überhaupt keine Feststellung der entstandenen Schäden zulassen wollen, dann negieren Sie doch überhaupt jede Möglichkeit, auch nur in bescheidenstem Umfang zu einer Vermögensentschädigung zu kommen.
Ich glaube, daß dieses Problem sehr eingehend erörtert worden ist, und letzten Endes haben auch Sie der Auffassung zugestimmt, daß eine quotale Entschädigung in diesem bescheidenen Rahmen wohl nicht zu vermeiden ist.
Eine sehr herzliche Bitte an die CDU und auch an die Antragsteller Kuntscher und Genossen: Wir hatten gehofft, wenigstens im Antrag Kuntscher eine Unterstützung in einem uns sehr wichtigen Anliegen zu finden. Es handelt sich um die Frage der Neufeststellung, darum, wie der
Einheitswert bei der Landwirtschaft errechnet werden soll. Es ist doch ernstlich nicht zu bestreiten, daß die Landwirtschaft im Unterschied zur gewerblichen Wirtschaft damals aus völlig zeitbedingten Gründen einen anderen Multiplikator bekommen hat. Hier geht es aber nicht um zeitbedingte Gründe, sondern hier muß der Dauerwert des landwirtschaftlichen Vermögens ermittelt werden. Ich glaube, wir könnten uns über diese Dinge vielleicht doch noch einmal verständigen. Ich habe jedenfalls das herzliche Bedürfnis, mich mit Ihnen gerade über diesen Unrechtstatbestand, der sehr viel Ärger und mit Recht Erbitterung hervorruft, noch einmal gründlich zu unterhalten. Ich vermag im Augenblick nicht einzusehen — irgendein Wort der Begründung dieser Ablehnung ist nicht gesagt worden —, welche grundsätzlichen Bedenken Sie gegen diesen Vorschlag haben. Nach ihm sollen lediglich die landwirtschaftlichen Vermögensverluste den gewerblichen Vermögensverlusten gleichgestellt werden. Das ist eine sehr billige Forderung. Wir hoffen insbesondere, daß die Grüne Front der Einheimischen hier mit ihren Berufskollegen aus dem deutschen Osten mitempfindet und uns helfen wird, diese Frage gerecht zu lösen.
Wir freuen uns, Herr Kunze, daß Sie mit uns der Auffassung sind, der Fälligkeitstag solle festgestellt werden. Diese Feststellung des Fälligkeitstages war ja auch Voraussetzung, um einen gewissen wirtschaftlichen Wert, der heute schon darin stecken könnte, zu realisieren. Wir messen der Feststellung des Fälligkeitstages auch nicht die Bedeutung bei, von der Sie hier warnend gesprochen haben. Wir sehen darin nur eine notwendige Grundlage, den wirtschaftlichen Wert unter gewissen Voraussetzungen schon heute realisierbar zu machen.
Wir bitten, auch die Forderungen auf vorzeitige Auszahlung der Hauptentschädigung, die wir vorgeschlagen haben, noch einmal ernstlich zu prüfen. Ich habe mit einem Geschädigten gesprochen, einem Landwirt, der einmal einen sehr großen Besitz gehabt hat, heute im Alter von 80 Jahren. Er bekommt seine Unterhaltshilfe, bekommt auch noch die 20 Mark Entschädigungsrente; für das andere fehlt der Abschluß des Entschädigungsverfahrens. Er sagte mir: „Ich bin gesundheitlich heute so schlecht dran, daß ich unter allen Umständen eine Kur brauche. Ich werde durch diese Kur natürlich niemals wieder arbeitsfähig, denn ich bin schon 80 Jahre. Aber Herr des Himmels, ich habe eine Entschädigungsforderung, die selbst bei den minimalen Leistungen in die Zehntausende geht. Gebt mir doch die Möglichkeit, 1000 oder 2000 DM zu bekommen, damit ich etwas für meine Gesundheit tun kann!" Das ist ein Beispiel, das uns vorgeschwebt hat: eine Vorauszahlung zu ermöglichen für die außergewöhnlichen Aufwendungen, die diese Menschen zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit machen müssen.
Ein anderer Zweck, für den Vorauszahlungen notwendig sind, ist die Berufsausbildung. Ich will als Beispiel den Beruf eines Hochschullehrers anführen. Die Eltern des Betreffenden haben einen ausreichenden Anspruch an den Ausgleichfonds, der nur jetzt noch nicht realisierbar ist. Die Ausbildung für den Beruf des Hochschullehrers, das wissen wir alle, erfordert einen ganz ungewöhnlichen Aufwand. Um dieser Begabung nun voranzuhelfen, wollen wir — so ist das gedacht — auch in diesem Fall die Möglichkeit geben, ein paar tausend Mark der Hauptentschädigung als Vorauszahlung zu zahlen.
— Von der Schulgeldfreiheit allein kann ein Privatdozent, der wahrscheinlich schon eine Familie hat, nicht leben, sondern der muß leider auch zum Unterhalt etwas haben; die Ausbildung des Hochschullehrers dauert ja einige Jahre über die eigentliche Schulzeit hinaus.
Herr Kunze, ich habe nicht verstanden, daß Sie uns den Vorwurf machten, wir hätten schuld daran, daß die Gesetzentwürfe jetzt erst zur ersten Lesung kommen; wenn wir im Ältestenrat auf eine Generaldebatte verzichtet hätten, dann hätte diese erste Lesung schon lange erfolgen können. Ich muß offen sagen, ich habe nach dem Verlauf der heutigen Debatte, besonders nach Ihren Ausführungen, nicht begriffen, weshalb Sie sich so sehr vor der Generaldebatte gesträubt haben. Herr Kunze, Sie haben heute viel mehr gesagt, als wir in unseren kühnsten Träumen erwartet haben. Ich sehr also wirklich nicht ein, warum Sie uns daran hindern wollten, die Gesetzentwürfe in erster Lesung einzubringen, nur weil wir den Wunsch hatten, hier vor dem Hause und vor der Öffentlichkeit unsere maßvollen Anliegen zu begründen. Ich glaube, Sie hätten diese doch sehr maßvolle Generaldebatte getrost auch vor zwei oder drei Monaten über die Bühne gehen lassen können. Das Verlangen, in diesem zentralen Problem die Möglichkeit abzuschneiden, bei der ersten Lesung etwas Notwendiges zu sagen, ist doch wohl nicht ganz berechtigt gewesen.
Nun noch ein Wort zur Frage der Beschleunigung. Herr Kunze hat in den Wein unserer Hoffnungen etwas Wasser geschüttet, indem er sagte, wir möchten alle Hoffnung fahren lassen; vor den Ferien werde das nicht werden. Herr Atzenroth, den wir ja auch als einen Experten des Lastenausgleichsproblems kennen, hat dem zugestimmt. Ich kann mir nicht vorstellen — da es sich hier nicht um den systematischen Neubau eines Gesetzes handelt, sondern um Verbesserungen, um ganz klar umreißbare Tatbestände —, daß wir uns nicht wenigstens auf folgendes Verfahren einigen könnten. Es gibt eine ganze Reihe von Fragen, Herr Kunze, in denen Ihr Entwurf fast wortwörtlich mit unserem übereinstimmt. Ich bitte Sie, zu überlegen, ob wir nicht doch die Punkte, in denen wir einig sind, vorwegziehen können. Denn, wie gesagt, wir ändern an der Systematik des Gesetzes nichts. Wir gefährden auch nicht etwa irgendwelche beachtlichen Dinge, wenn wir die Gesamtvorlage nun in zwei, drei Teile zerschneiden. Das Kernproblem ist doch — und ich glaube, das ist auch eine Frage der sozialen Befriedung, an der wir alle ein Interesse haben sollten —, daß baldmöglichst eine Erhöhung der Unterhaltshilfe eintritt. Dazu genügt, daß wir diese beiden Punkte — wir haben hinsichtlich der Erhöhung und hinsichtlich des Deckungsvorschlages den gleichen Willen — vorwegnehmen. Wenn sonst eine schnelle Erledigung nicht zu erreichen ist, sollten wir wenigstens diesen Teil der vielen Novellen sofort durchziehen.
Dagegen, verehrter Herr Kunze, läßt sich beim besten Willen höchstens noch der Einwand machen: Das ist Flickarbeit; wir wollen lieber etwas Ganzes
machen. Aber das zieht gegenüber der sozialen Not und der sozialen Unzufriedenheit, die es hier zu beheben gilt, nicht und wiegt nicht schwer genug. Ich würde Sie sehr herzlich bitten, gerade nach dieser Richtung hin noch Überlegungen anzustellen. Ich glaube, Herr Atzenroth, auch Sie würden mitmachen. Sie sind allerdings hinsichtlich der Dekkung anderer Meinung. Aber da die CDU als die mächtige Partei in diesem Parlament so freundlich ist und so viel Bereitschaft gezeigt hat, sollten wir über formale Bedenken hinwegkommen.
Deshalb zum Schluß nochmals meine herzliche Bitte, diese Vorschläge hinsichtlich einer beschleunigten Erledigung doch mit der nötigen Sorgfalt und mit der nötigen Bereitwilligkeit, das Bestmögliche zu tun, einmal zu durchdenken.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schlage Ihnen vor, die Vorlagen zu Punkt 4a bis h sämtlich an den Ausschuß für den Lastenausgleich zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes .
Die Fraktion der Deutschen Partei hat mir mitgeteilt, daß sie bereit ist, auf eine Begründung zu verzichten, wenn das Hohe Haus auf eine Aussprache verzichtet. Im Hinblick darauf, daß ein Teil der Abgeordneten bereits abreisen mußte, um am Landtagswahlkampf Nordrhein-Westfalen teilzunehmen, und daher eine Beschleunigung der Sitzung erwünscht ist, halte ich diesen Vorschlag für vorbildlich. Ist das Haus damit einverstanden? — Dann darf ich Ihnen vorschlagen, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag der Abgeordneten Rümmele, Maier (Freiburg), Dr. Hoffmann und Genossen betreffend Aufbauhilfe für die Stadt Kehl (Drucksachen 399 [neu], 285).
Als Berichterstatter hat das Wort der Abgeordnete Wacker .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Drucksache 285 wurde von den Abgeordneten Rümmele, Maier , Dr. Hoffmann und Genossen der Antrag eingebracht, aus dem Sanierungsfonds, Einzelplan 60 Kap. 6002 Tit. 530 und 600, 5 Millionen DM für die Stadt Kehl bereitzustellen.
Die Antragsteller haben zur Begründung ihres Antrags im Ausschuß folgendes vorgetragen. Die Stadt Kehl lag bereits im Jahre 1939 unter Artilleriebeschuß der französischen Armee. Die Zivilbevölkerung der Stadt Kehl wurde damals restlos evakuiert. Verwaltung und Wirtschaft lagen bereits in jener Zeit still. Der Schaden, der hierdurch verursacht wurde, war beträchtlich. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Frankreich im
Jahre 1940 konnte die Bevölkerung teilweise wieder in die Stadt Kehl zurückkehren. Die Wirtschaft jedoch kam während des Krieges nicht mehr richtig in Fluß und kam ganz zum Erliegen, als im Jahre 1944 die Stadt Kehl unter französische Verwaltung und 'französische Zollhoheit gestellt wurde. Die Folge dieser Besatzungsmaßnahme war die vollständige Räumung der Stadt Kehl und die Besetzung durch die französischen Truppen, die mit ihren Familien in die Wohnungen einzogen, die noch mit den Möbeln der evakuierten Familien bestückt waren. Der Räumungsbefehl der französischen Truppen lautete ausdrücklich, daß Möbel und Hausrat in den Wohnungen verbleiben müssen.
Nicht minder hat die gewerbliche Wirtschaft gelitten. Nach den Erhebungen der Industrie- und Handelskammer Lahr beträgt der Gesamtschaden der gewerblichen Wirtschaft rund 62,5 Millionen DM. Aber nicht minder fallen ins Gewicht die sonstigen Kriegssach- und Besatzungsschäden, insbesondere an öffentlichen :und privaten Gebäuden. Die von der Besatzungsmacht und vor allem von den zugezogenen französischen Zivilisten verwendeten Gebäude sind größtenteils in so stark beschädigtem oder verwahrlostem Zustand zurückgegeben worden, daß ihre Wiederbenutzung nur nach beträchtlichen Instandsetzungsaufwendungen möglich war bzw. möglich ist.
Der Wiederaufbau der Stadt Kehl konnte erst im Jahre 1951 beginnen; denn bis zu diesem Zeitpunkt war eine Rückevakuierung infolge des Verbots der französischen Besatzungstruppen nicht möglich. Dank der Finanzhilfen der Bundesregierung in den Jahren 1952 und 1953 und der beträchtlichen Mittel des Landes Baden und des Landes Baden-Württemberg konnte auf kommunalem und wirtschaftlichem Gebiet der Wiederaufbau nunmehr stark vorangetrieben werden. Es war jedoch nicht möglich, den Anschluß an den durchschnittlichen Entwicklungsstand im übrigen Bundesgebiet zu gewinnen. Während die Wirtschaft des übrigen Bundesgebiets den Wiederaufbau bald nach Kriegsende beginnen und nach der Währungsreform forcieren konnte, war ein Wiederaufbau in Kehl infolge der sehr späten Freigabe erst vom Frühjahr 1953 an möglich, also erst zu einem Zeitpunkt, in dem im übrigen Bundesgebiet bereits eine weitgehende Normalisierung eingetreten war.
Das zur Verwendung der Bundessanierungsquote 1952 aufgestellte und von der Bundesregierung gebilligte Sanierungsprogramm ist im wesentlichen abgewickelt. Vom Gesamtbetrag sind 2,5 Millionen DM der gewerblichen Wirtschaft, 2 Millionen DM dem kommunalen Sektor und 500 000 DM dem Kehler Hafen zugeflossen. Nach entsprechenden Gesichtspunkten ist der im September vorigen Jahres genehmigte Verwendungsplan für die Bundesquote 1953 im Betrag von 5 Millionen DM aufgestellt worden. Davon sind 2,5 Millionen DM für kommunale Zwecke, z. B. Kanalisation, Straßeninstandsetzung, Straßenbeleuchtung, Instandsetzung des Kehler Hafens, Wiederherstellung des Schlachthauses und anderes mehr, und 2,5 Millionen DM für Zwecke der Gewerbeförderung wie Darlehensgewährung an Industrie, Handel, Handwerk und anderes mehr bestimmt.
Mit diesen durch entsprechende Landeshilfen verstärkten Finanzmaßnahmen konnte die Aufgabe des Wiederaufbaus der Stadt Kehl noch nicht
gelöst werden. Nach den Ausführungen der Antragsteller sind zu dessen Fortsetzung weitere, aus eigener Kraft der Stadt Kehl und deren Wirtschaft nicht zu deckende Aufwendungen für den Kehler Hafen, für städtische Einrichtungen, Straßenbaumaßnahmen, Wiederaufbau der Stadthalle, Bunkerbeseitigung, Wiederinstandsetzung des Gasrohrnetzes, Erstellung eines Gasometers, Anschluß an das Offenburger Gaswerk und anderes mehr sowie beträchtliche Mittel zur Wohnbauförderung notwendig. Vor allem wurde noch hervorgehoben, daß im Interesse der besonders wichtigen wirtschaftlichen Wiederbelebung der Stadt Kehl nach den angeführten Maßnahmen die Gewerbeförderung mit dem Ziel der Wiedergesundung der jetzt wiedererstandenen Betriebe und der weiteren Ansiedlung geeigneter Industrieunternehmen mit beträchtlichen finanziellen Hilfen fortgesetzt werden muß.
Die beteiligten Ausschüsse haben die Notwendigkeit einer weiteren finanziellen Hilfe für die Stadt Kehl nicht verneint.
Nach eingehenden Beratungen kam der Ausschuß zu dem Entschluß, dem Hohen Hause vorzuschlagen, von den im Bundeshaushalt 1954 Einzelplan 60 Kap. 6002 Tit. 530 und 600 ausgebrachten Mitteln 3 Millionen DM für die Stadt Kehl zur Verfügung zu steilen.
Ich habe den Auftrag, das Hohe Haus zu bitten, diesem Antrag zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann bitte ich diejenigen Damen und Herren, die dem Antrag des Ausschusses Drucksache 399 zustimmen wollen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesvertriebenengesetzes ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Heimatvertriebene (Drucksache 390).
Das Wort als Berichterstatter hat Herr Abgeordneter Dr. Mocker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Heimatvertriebene hat sich in seiner 8. Sitzung mit dem Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesvertriebenengesetzes — Drucksache 222 — befaßt und beschlossen, der dort vorgeschlagenen Änderung von § 84 Abs. 1 Satz 1 mit der in der Drucksache 222 eingehend gegebenen Begründung zuzustimmen. Das gleiche gilt hinsichtlich der Ergänzung des § 86 Abs. 1. Der andauernde Zustrom von Vertriebenen und Sowjetzonenilüchtlingen läßt es nicht als angebracht erscheinen, den Ablauf der Antragsfrist des § 84 Abs. 1 des Bundesvertriebenengesetzes auf einen kalendermäßig bestimmten Zeitpunkt festzulegen; es erscheint vielmehr zweckmäßig, das von dem Tag der Aufenthaltsnahme in der Bundesrepublik oder Berlin abhängig zu machen.
Durch diese Änderung des § 84 Abs. 1 Satz 1 wird der Ablauf der Antragsfrist für diejenigen Gläubiger neu geregelt, deren Schuldner erst nach dem 31. Dezember 1952 in der Bundesrepublik oder in Berlin Aufnahme gefunden haben oder noch finden. Es ist nun notwendig, an diese Neuregelung auch die Fristbestimmung in § 86 Abs. 2 Satz 1 anzupassen und auch dem Schuldner in den entsprechenden Fällen die Möglichkeit zu gewähren, daß in einem von ihm nach dem 31. Dezember 1953 nach den allgemeinen Vorschriften beantragten Vertragshilfeverfahren die Bestimmungen des Bundesvertriebenengesetzes angewendet werden, und zwar aus folgenden Gründen.
Aus dem jetzigen Wortlaut des Bundesvertriebenengesetzes ist zu folgern, daß auf jene Fälle, in denen nach der Vertreibung ein Anspruch ganz oder teilweise durch rechtskräftiges Urteil festgestellt wurde, der in der Zeit vor der Vertreibung und nach dem 20. Juni 1948 begründet wurde, die Bestimmungen des Bundesvertriebenengesetzes nicht anzuwenden sind. Zudem hat der Schuldner auch keine Möglichkeit, den Antrag auf richterliche Vertragshilfe nach den allgemeinen Vorschriften zu stellen. Dies muß in den Fällen als unbillig angesehen werden, in denen ein Gericht außerhalb der Bundesrepublik oder Berlin ohne Rücksicht auf die in der Bundesrepublik und in Berlin (West) geltenden Bestimmungen des Bundesvertriebenengesetzes oder ohne Rücksicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben den Anspruch durch Urteil festgestellt hat. Tatsächlich haben auch die Gerichte in dieser Frage bei Verbindlichkeiten von Sowjetzonenflüchtlingen bisher einander widersprechende Entscheidungen getroffen. Es ist daher dringend geboten, diese Frage gesetzlich zu regeln und diese Regelung nicht nur auf die Sowjetzonenflüchtlinge zu beschränken, sondern auch auf Vertriebene auszudehnen, weil auch jetzt noch Vertriebene in der Bundesrepublik und in Berlin (West) aufgenommen werden.
Auch aus der Gegenüberstellung der §§ 82 und 88 Abs. 1 des Bundesvertriebenengesetzes haben sich in der Praxis Zweifelsfragen ergeben, weil in § 88 Abs. 1 ein Zusatz fehlt, der ausdrücklich klarstellt, daß ein Sowjetzonenflüchtling nicht in Anspruch genommen werden kann, soweit sich aus § 88 Abs. 2 nichts anderes ergibt. Es ist deshalb zweckmäßig, diese Zweifelsfragen im Rahmen einer Änderung von Bestimmungen des Bundesvertriebenengesetzes zu klären.
Schließlich wird es allgemein als richtig angesehen werden, daß die Neuregelung in § 86 Abs. 2 Satz 3 des Bundesvertriebenengesetzes über die Behandlung von rechtskräftigen Urteilen, die nach der Vertreibung erlassen worden sind, auch für Sowjetzonenflüchtlinge gelten soll. Es ist deshalb notwendig, im § 88 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes einen entsprechenden Hinweis aufzunehmen.
So kam der Ausschuß für Heimatvertriebene zu den Beschlüssen, wie sie in der Drucksache 390 unter Art. I Ziffern 3 und 4 niedergelegt sind.
Für Art. II hat der Ausschuß die vom Bundesrat vorgeschlagene Fassung, der auch die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zugestimmt hat, übernommen.
Art. III ist vom Ausschuß unverändert nach der Vorlage angenommen worden.
Ich darf noch auf zwei kleine Formfehler hinweisen und ihre Berichtigung beantragen. In der Drucksache 390 ist in Art. I Ziffer 1, d. h. in § 84 Abs. 1 Satz 1, im letzten Halbsatz zwischen den Worten „oder Berlin " das Wort „in" einzufügen, so daß es dort richtig heißt: „. . . im Geltungsbereich des Grundgesetzes oder in Berlin (West) . . .". Ferner muß es in der Drucksache 390 in Art I Ziffer 3, d, h. in § 86 Abs. 2, in Satz 2 im letzten Halbsatz statt „. . . durch rechtskräftiges Urteil eines außerhalb der Bundesrepublik oder Berlin (West) gelegenen Gerichts . . ." richtig heißen: „. . . eines außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes oder Berlins (West) gelegenen Gerichts . . .".
Der Ausschuß für Heimatvertriebene hat die in Drucksache 390 wiedergegebenen Beschlüsse einstimmig gefaßt. Im Auftrage des Ausschusses bitte ich Sie, dem Antrag Drucksache 390 — mit den von mir beantragten Berichtigungen — zur Erzielung einer einheitlichen Rechtshandhabung zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir kommen zur zweiten Beratung. Ich rufe auf: Art. I, — Art. II, — Art. III, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das ist mit Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Änderungsanträge sind nicht gestellt; Einzelberatung entfällt. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, GB/BHE, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Änderungen von Vorschriften des Zweiten Buches der Reichsversicherungsordnung und zur Ergänzung des Sozialgerichtsgesetzes (Drucksache 528, Umdruck 120).*)
Nach den Beratungen des Ältestenrats sind eine Begründung und Debatte nicht vorgesehen. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik — federführend — und an den Ausschuß für Gesundheitswesen — mitberatend — vor. — Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen.
Ich darf noch einen Augenblick um Ihre Aufmerksamkeit bitten. Die Sitzung des Ausschusses für den Lastenausgleich fällt aus; sie findet Anfang nächster Woche statt. Ebenso fallen die Sitzungen des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen und des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit aus; sie werden auf Dienstag nächster Woche verlegt.
Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste, die 34. Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Samstag, den 19. Juni 1954, 9 Uhr, und schließe die 33. Sitzung.