Zur Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktion der CDU/CSU Drucksache 571 Herr Abgeordneter Kunze!
Kunze (CDU/CSU), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, es meinen Vorrednern gleichzutun und die Novelle meiner Fraktion Punkt für Punkt darzustellen und Ihnen zu jedem einzelnen Punkt noch eine Begründung zu geben.
— Weil ich glaube, daß wir unsere Zeit besser nutzen können, als wenn wir versuchen, uns gegenseitig in der Einbringung von Anträgen den Rang abzulaufen, wie es jetzt ja schon geschehen ist.
Wir wären auch schon längst weiter, wenn sich die Fraktion des BHE entschlossen hätte, unseren wiederholten Bitten im Ältestenrat, die Angelegenheit ohne eine Generaldebatte in den Ausschuß zu bringen, zu folgen. Wir haben vergebens darauf hingewiesen, daß wir vor dem 18. Juni sonst überhaupt nicht zur ersten Lesung dieser ganzen NovellenAnträge kommen würden.
Ich darf auf folgendes hinweisen. Als der Deutsche Bundestag am 16. Mai 1952 bei der Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes Erklärungen der verschiedenen Fraktionen nach der Abstimmung entgegennahm, habe ich die Ehre gehabt, namens der Regierungsparteien vor der Schlußabstimmung zu sagen:
Alle Parteien wissen, daß mit der Verabschiedung dieses Gesetzes ein weiterer Baustein zu einer Neugestaltung der sozialen Ordnung, für die Eingliederung der Heimatvertriebenen und die Anerkennung der berechtigten Forderung der Kriegsgeschädigten gelegt worden ist. Mit diesem Gesetz haben wir an vielen Punkten Neuland betreten müssen. Die Erfahrung bei der Durchführung wird uns erkennen lassen, an welchen Punkten die Wirklichkeit des Lebens eine Änderung des Gesetzes erforderlich macht. An der Weiterentwicklung werden wir uns in dem Bewußtsein unserer Verantwortung beteiligen, alle Kritik sorgfältig prüfen und allen berechtigten Forderungen auf Änderung in den Grenzen des Möglichen Rechnung tragen.
Als dann nach der Verabschiedung dieses Gesetzes der Bundesrat in 41 Punkten den Vermittlungsausschuß anrief, haben wir in sehr gründlicher Arbeit versucht, die Beschlüsse dieses Hohen Hauses im Vermittlungsausschuß zum Tragen zu bringen. Es gehört zur Politik, daß man, wenn man keine absolute Mehrheit hat, Kompromisse suchen und sich ehrlich auf das politisch Erreichbare zu verständigen versuchen muß.
Am 10. Juli 1952 hat der Vorsitzende der Fraktion der CDU/CSU, Dr. von Brentano, namens der Regierungsparteien des 1. Deutschen Bundestages im Plenum eine Schlußerklärung abgegeben — erlauben Sie mir, Ihnen die nur drei Sätze enthaltende Erklärung vorzulesen —:
Das vom Bundestag mit absoluter Mehrheit beschlossene Lastenausgleichsgesetz ist in dem vom Bundesrat angerufenen Vermittlungsausschuß .... erheblichen Veränderungen unterworfen worden, die fast durchweg als Verschlechterung dieses Gesetzes anzusehen sind. Nur um das besonders von den Geschädigten und Abgabepflichtigen so dringend erwartete Gesetz möglichst bald in Kraft treten zu lassen, haben sich die Fraktionen der Regierungskoalition mit schweren Bedenken entschlossen, dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses ihre Zustimmung zu geben. Die Regierungsparteien werden alle Kräfte daransetzen, die dem neuen Gesetz eingefügten Mängel in allernächster Zukunft zu beseitigen.
Mit der Novelle auf Drucksache 571 haben wir einen entscheidenden und wesentlichen Beitrag zur Einlösung unseres vor eindreiviertel Jahren gegebenen Versprechens geleistet. Ich versage es mir, heute Einzelheiten darzustellen, weil wir im Ausschuß Gelegenheit haben werden, die Dinge Punkt für Punkt durchzugehen. Aber ich möchte doch wenigstens auf drei Dinge aufmerksam machen.
Einmal ist sowohl von dem Vertreter der SPD, meinem Kollegen Ohlig, als auch von Ihnen, Herr Kollege vom BHE, die Elternrente der Kriegsopferversorgung als eine ganz einzigartige Sache, nämlich als ein Ehrensold dargestellt worden. Ich glaube, daß wir im Rahmen unserer gesamten sozialen Konzeption so nicht taktieren dürfen. Denn wenn es ein Ehrensold wäre, dürfte er in seiner Höhe und in seiner Bewilligungsmöglichkeit nicht an relativ beschränkte Einnahmen sonstiger Art gebunden sein.
Zum anderen müssen nicht nur die Elternrente der Kriegsopferversorgung, sondern auch andere Sozialrenten, die mein Kollege Ohlig angesprochen hat, in den Bereich dieser Überlegungen einbezogen werden. Wir können doch die Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz nicht als eine im sozialpolitischen Raum isolierte Angelegenheit sehen. Wir haben vielmehr die Verpflichtung, sie in dem gesamten Rahmen unserer sozialpolitischen Notwendigkeiten und Möglichkeiten zu sehen. Meine Fraktion hat dem alten Grundsatz entsprochen, Herr Kollege Ohlig, daß die Entlastung der öffentlichen Fürsorge nicht auf Kosten des Lastenausgleichs erfolgen darf. Durch die Entwicklung der Fürsorgerichtsätze sind mehr als 250 000 Unterhaltshilfeempfänger wieder zum Teil in die Fürsorge gekommen. Wir haben errechnet, daß das eine Größenordnung von etwa 70 Millionen DM sein würde, und haben darum durch Änderung von § 6 die Erhöhung des Aufkommens für den Lastenausgleich von 410 Millionen DM auf 480 Millionen DM vorgeschlagen.
Auch in dem anderen, Herr Kollege Ohlig, vermag ich Ihnen nicht zuzustimmen. Sie entsinnen sich der zweiten und dritten Lesung des Lastenausgleichsgesetzes in diesem Hohen Hause. Damals sind wir mit Ihnen gemeinsam davon ausgegangen, daß die Länder für eine vorübergehende Zeit auf die Vermögensteuer zugunsten des Fonds verzichten müssen. Jetzt wollen wir nichts anderes, als den Ländern erklären: Damals wurde auf der Basis des durch das Bundesfinanzministerium sehr vorsichtig geschätzten voraussichtlichen Aufkommens die Größe 1 785 Millionen DM als die Stopplinie bezeichnet, von wo aus die Abgabeverpflichtung zwar existent bliebe, aber nicht zugunsten des Ausgleichsfonds, sondern zugunsten der Länder eintreten würde; jetzt hat sich herausgestellt, daß die Vermögensabgabe wesentlich höhere Aufkommen bringt, als wir damals sehen konnten. Die Länder konnten mit diesen höheren Aufkommen ebensowenig rechnen wie wir. Durch unseren Vorschlag, diese Grenze in § 6 fallen zu lassen, ist also jetzt durchaus die Möglichkeit einer ernsthaften Diskussion im Ausschuß gegeben.
Dann ein letztes. Ich habe meinen Fraktionskollegen zugestimmt, die Fälligkeit der Abgaben auf alle Fälle im Gesetz bis 1979 zu erstrecken.
Ich möchte aber keinen Zweifel daran lassen, daß ich es ablehne, durch diese Zustimmung auch nur den Schatten eines Anscheins zu erwecken, als ob die Entschädigungen erst 1979 gezahlt würden.
Wir waren uns, meine Herren vom BHE, bis auf einen unter Ihnen, jetzt neuerdings bis auf zwei unter Ihnen,
im 1. Deutschen Bundestag — Sie haben das ja nicht miterlebt — von vornherein darüber klar: wenn es uns nicht gelingt, durch Maßnahmen der Vorfinanzierung, der Vorleistung und alle weiteren Maßnahmen die entscheidende Problematik der uns gestellten Aufgabe in den ersten fünf bis zehn Jahren zu meistern, werden wir gescheiterte Leute sein.
Nun sollte man uns doch nicht vorhalten, wir hätten auf dem Gebiete nichts getan. Kein Parlament und keine Regierung der Welt sollten sich schämen, wenn das, was sie als Mindestleistung zugesagt haben, nun schon übertroffen worden ist.
Ist es denn kein Faktum, daß wir bereits im ersten Jahr nach dem Inkrafttreten des Gesetzes den ganzen Währungsausgleich für die Heimatvertriebenen, bis auf die wenigen noch unklaren Fälle, über 400 Millionen DM in toto, abgewickelt haben? Ist es denn kein Faktum, daß die Altsparerentschädigungen, soweit die Beträge bei Girozentralen und Sparkassen lagen, ab 1. Februar mit den ersten 100 DM zur Auszahlung kamen und noch in diesem Jahre, 1954, restlos vorfinanziert und freigegeben werden?
— Entschuldigen Sie, wenn wir auf diese Art und Weise statt 3,2 bis 3,4 Milliarden DM im Jahre 1954/55 insgesamt 4,2 bis 4,4 Milliarden DM haben, dann liegen wir alles in allem in den ersten drei Jahren wesentlich über den Maximalzahlen, die wir damals genannt haben und die auch von seiten bestimmter Interessenvertreter gefordert worden sind.
Ich schließe meine Ausführungen, weil ich, wie gesagt, keine Neigung habe, jetzt in all die Details einzusteigen. Ich schließe mich den Vorschlägen an, das gesamte Paket der Vorlagen dem Ausschuß für den Lastenausgleich zu überweisen, und erkläre meinerseits die Bereitschaft, so schnell wie möglich vorwärtszuarbeiten. Lassen Sie uns allerdings mit Erklärungen vorsichtig sein, daß wir dies oder jenes noch vor den Parlamentsferien erledigen. Ich möchte nichts versprechen, von dem ich nicht weiß, daß wir es auch halten können. Versprechen möchte ich unseren guten Willen.