Rede von
Dr.
Alfred
Gille
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GB/BHE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 9 a, zu dem ich sprechen will, umfaßt den sogenannten Platow-Komplex. Dieser Komplex hat insofern eine ungewöhnliche Vorgeschichte, als der erste Bundestag bereits durch Gesetz vom 29. Juli 1953 in einer umfassenden Amnestie alle die Straftaten, die mit dem Wort Platow-Komplex gekennzeichnet werden, für straffrei erklärt hat. Das Gesetz ist beschlossen, aber nicht verkündet worden. Ich bin der Meinung, ,daß das Parlament dem 'damaligen Bundesjustizminister, Herrn D r. Dehler, eigentlich dafür dankbar sein sollte, daß es im Rahmen der Beratung dieser Amnestie noch einmal die Möglichkeit hat, zu überprüfen, ob das, was damals in der Hast und unter dem Zeitdruck der letzten Parlamentswochen beschlossen worden ist, wirklich standhält.
— Ich erkläre ja ausdrücklich, daß wir deswegen, weil das Gesetz noch nicht beschlossen ist, die Möglichkeit haben, noch einmal darüber zu sprechen. Also formelle Bedenken können dem nicht entgegenstehen. Daß auch ich nicht der Meinung bin, daß es sehr erwünscht ist, auf diese Weise das Parlament zweimal mit den verschiedensten Materien zu befassen, möchte ich ausdrücklich unterstreichen. Aber in diesem Falle halte ich den Widerstand, den der Herr Bundesjustizminister damals gezeigt hat, für sehr erfreulich.
Meine Damen und Herren! Da in ,der öffentlichen Erörterung wie auch in den Gremien des Parlaments nicht immer mit letzter Klarheit ausgesprochen wurde, worum es eigentlich geht, müssen hierzu wohl einige Ausführungen gemacht werden. Es geht um ein wirtschaftliches Unternehmen eines Herrn Platow, der etwa seit dem Jahre 1946 einen Informationsdienst unterhalten hat; der Pressedienst kann wohl außer Betracht bleiben, weil er verhältnismäßig frühzeitig zum Erliegen gekommen ist. Bereits seit 1947 war bei führenden Persönlichkeiten des damaligen Wirtschaftsrates die Vermutung aufgetaucht, daß die Informationen der Platow-Briefe unmöglich auf rechtmäßige Weise zur Kenntnis des Herrn Platow gekommen sein könnten. Daraufhin wurden die üblichen Überwachungsmaßnahmen getroffen, und an alle Stellen ergingen entsprechende Mahnungen. Interessant ist, daß einer der Hauptangeklagten, der Haupt„ attentäter" auf seiten der Beamten, ein Beamter immerhin im Range eines Ministerialdirigenten, diese angeordneten Überwachungsmaßnahmen dazu benutzte, seine Mittäter und auch Herrn Platow zu warnen, daß offenbar in Zukunft etwas vorsichtiger operiert werden müsse. Diese Bemerkung ist sehr wichtig, weil man ja in der Begründung der Amnestiewürdigkeit dieses ganzen Komplexes sehr häufig mit dem Argument arbeitet, es habe sich da um arme, nicht einsichtsvolle Beamte gehandelt, die in der Verworrenheit der Verhältnisse nicht recht gewußt hätten, was sie täten. Ich möchte meinen, daß einem Ministerialdirigenten, der eine angeordnete Überwachungs*) Siehe Anlage 5.
maßnahme seines Staatssekretärs dazu benutzt, zu warnen, und nicht, aufklärend zu wirken und diesen Unfug abzustellen, beim besten Willen der gute Glaube nicht zugebilligt werden kann.
Dann ist auch eines für die Beurteilung der Amnestiewürdigkeit unbedingt festzuhalten: Es hat sich nicht etwa um Nachrichten gehandelt, die die große Öffentlichkeit besonders interessiert hätten, also um Informationen über im eigentlichen Sinne politisch wichtige Vorgänge, sondern es hat sich ausschließlich um Nachrichten gehandelt, die sich wirtschaftlich auswerten ließen, also um vertrauliche Mitteilungen oder Mitteilungen über Maßnahmen der Bundesregierung oder des zuständigen Ressorts auf wirtschaftspolitischem, handelspolitischem oder steuerpolitischem Gebiet. Für das letzte ein Beispiel. Bei einer beabsichtigten Veränderung des Luxussteuergesetzes wies der Übermittler dieser Information an Herrn Platow ausdrücklich darauf hin, hier müsse man 'besonders vorsichtig sein, denn die Absicht der Regierung gehe dahin, diese steuerliche Änderung schlagartig durchzuführen, weil nur dann eine Wirkung erzielbar sei. Das geschah nicht, sondern diese Information ging über die Platow-Briefe, und sicherlich sind dadurch auch nicht unerhebliche ungerechtfertigte wirtschaftliche Gewinne erzielt worden.
Daß es sich hier nicht um Fragen der Pressefreiheit, der ungehinderten Wirkung der Presse handelt, die die Aufgabe hat, die Öffentlichkeit zu unterrichten, idafür folgende Angabe. Diese Informationsdienste des Herrn Platow waren wegen ihres wirtschaftlich sehr gut verwertbaren Inhalts nicht ganz billig. Sie haben, wie ich aus der Anklageschrift des Oberstaatsanwalts ersehe, immerhin 300 DM den Monat gekostet. Der recht mühelose Gewinn, der durch diese unkorrekten Handlungen zu erzielen war, ist aus einer Ziffer abzulesen, die auch aus der Anklageschrift zu ersehen ist. Danach hat Herr Platow allein im Jahre 1951 aus diesem sauberen Geschäft 211 000 DM versteuern können.
Das sind alles Dinge, die wir einmal im Zusammenhang sehen müssen, wenn wir wirklich gerecht und billig die Frage der Amnestiewürdigkeit überlegen wollen.
Was steht nun heute im § 9 a? Es ist richtig, daß die stärksten formalen Bedenken gegen die erste Formulierung, wo man nur von Verlegern, Journalisten und Angehörigen der öffentlichen Dienste gesprochen hatte, beseitigt sind. Das bedeutet inhaltlich nichts. Im übrigen ist es dabei geblieben, daß die Amnestie für alle im Zusammenhang mit diesen nicht sehr sauberen Angelegenheiten verübten Taten voll, ohne Rücksicht auf jedes Strafmaß gewährt werden soll. Selbst die schwere passive Bestechung soll — was uns besonders gravierend erscheint, da hier auch Beamte beteiligt sind — im Zusammenhang mit diesen Dingen amnestiert werden.
Damit komme ich jetzt zu dem Kern dessen, was ich hier sagen wollte und womit ich auch den Antrag meiner Fraktion begründe. Wir haben durchaus Verständnis dafür, daß man in etwa im Rahmen dessen bleiben will, was sich gerade noch vertreten läßt, ohne den 1. Bundestag — ich will mal den Ausdruck gebrauchen — zu desavouieren. Ich möchte aber doch dafür plädieren — und das würde nicht bedeuten, daß wir nun alles beseiti-
gen, was der 1. Bundestag auf diesem Gebiet beschlossen hat —, daß wir noch einmal ernstlich überlegen, ob wir nicht wenigstens die Tatbestände der aktiven und passiven Bestechung unter allen Umständen herausnehmen müssen. Bei der Begründung der Platow-Amnestie im 1. Bundestag hat noch eine gewisse Rolle gespielt — ich habe das in den Unterlagen, in den Protokollen nachlesen können —, daß diese ganzen Taten unter die Tatbestände der §§ 353 ff. StGB, also Vertrauensbruch, Geheimnisbruch, fallen, Tatbestände, die im Jahre 1936 mit ungewöhnlich hohem Strafmaß in das Gesetz aufgenommen worden sind. Diese Dinge sind bereits lange überholt, und zwar dadurch, daß sehr verständigerweise der Herr Bundesjustizminister bereits Ende 1952 die Zustimmung zur Verfolgung aus diesen Tatbeständen zurückgezogen hat.
Die Anklageschrift des Oberstaatsanwalts Bonn vom März 1953 bezieht sich heute lediglich noch auf Fälle der aktiven und passiven Bestechung. Wir brauchen uns also nicht mehr den Kopf darüber zu zerbrechen, ob es richtig ist, hier jetzt noch Verfahren nach einer Bestimmung ablaufen zu lassen, die man beim Strafrechtsänderungsgesetz wahrscheinlich lieber hätte beseitigen sollen. Darum geht es heute nicht mehr.
Bezüglich des Umfangs der laufenden Verfahren ist folgendes zu sagen. Zur Anklage stehen heute lediglich noch 23 Personen, nachdem sämtliche Ermittlungen abgeschlossen sind, nachdem 45 Verf ah-ren offiziell gelaufen sind und gegen 170 Personen nichtoffizielle Ermittlungen, also noch nicht seitens der Strafverfolgungsbehörde, vorhergegangen sind. 23 Personen! Meine Damen und Herren, wenn wir uns auch nur in diesem einen Fall dazu bekennen könnten, aktive und passive Bestechung für amnestiewürdig zu halten, dann bedeutete das — darauf hat einmal mit vollem Recht der damalige Bundesjustizminister Dr. Dehler im Juli vorigen Jahres hingewiesen — eine Kränkung und eine Minderung des Ansehens der sauberen Beamtenschaft der Bundesministerien.
Es wird doch gerade so getan, als ob die Notwendigkeit bestünde, im Jahre 1954 Angehörige des öffentlichen Dienstes zu amnestieren, weil sie sich haben bestechen lassen. Wir tun der Gesamtheit unserer Beamtenschaft einen schlechten Dienst, wenn wir im Zusammenhang mit diesem Komplex auch die Bestechung amnestieren.
Unser Antrag bezieht sich also lediglich darauf, den § 9 a, den wir ansonsten unangetastet lassen, durch Hinzufügung eines zweiten Absatzes dahin zu beschränken, daß die Strafverfolgung wegen aktiver und passiver Bestechung aus der Amnestie herausgenommen wird. Ich glaube, das können wir machen, ohne etwa das Ansehen und die Einsicht des 1. Bundestages zu verletzen. Ich glaube, wir tun dem 1. Bundestag wirklich nicht Unrecht, wenn wir feststellen, daß die Dinge damals in den Juliwochen angesichts der Fülle des Arbeitsstoffes, der noch zu erledigen war, unter Zeitdruck und in einer gewissen Hast erledigt wurden. Nachdem wir — und ich habe ja gesagt, daß ich das dankbar begrüße — nun noch einmal die Gelegenheit bekommen haben, die Dinge ruhig und nüchtern zu betrachten, glaube ich, Verständnis dafür zu finden, wenn wir Ihnen die Bitte vortragen, alles beim alten zu lassen, auch den Strafrahmen sowie den Personenkreis gar nicht zu berühren, sondern nur ausdrücklich die aktive und passive Bestechung
herauszunehmen. Dabei darf ich darauf hinweisen, daß das Bundesjustizministerium selbst im Regierungsentwurf, den ja der Ausschuß abgeändert hat, die schwere passive Bestechung hat herauslassen wollen. Der Ausschuß hat aus Gründen, die man schon verstehen kann, die ich aber nicht als durchschlagend ansehe, auch diesen Vorschlag des Regierungsentwurfs fallengelassen. Wir bleiben verfassungsrechtlich, formal durchaus korrekt, und das, was der Herr Berichterstatter eingangs gesagt hat, soll ja wohl auch bedeuten, daß wir hier nicht etwa ein Präjudiz für etwaige zukünftige Fälle im Verhältnis zwischen Parlament und Minister schaffen wollen. Nachdem das alles in aller Deutlichkeit gesagt ist, können wir die verfassungsrechtlichen Dinge formal dadurch in Ordnung bringen, daß wir diese neue Bestimmung annehmen, und, wie das ja auch vorgesehen ist, den Beschluß des Bundestages vom Juli vorigen Jahres insoweit aufheben. Dann ist auch verfassungsrechtlich alles in Ordnung.
Wir bitten, diesem Änderungsantrag zuzustimmen.