Rede von
Dr.
Alfred
Gille
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GB/BHE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte mit der Feststellung beginnen, daß das Interesse offenbar nicht sehr bedeutend ist. In der Mittagspause ist der Saal ja öfters sehr leer; aber ich vermisse insbesondere sehr namhafte Experten auf dem Lastenausgleichsgebiet; gerade heute entbehre ich deren Anwesenheit nur ungern.
Meine Damen und Herren, ich will nur zu den Dingen Stellung nehmen, die von der SPD und von der CDU jetzt angesprochen worden sind und bei denen zu erkennen ist, daß wir uns in einigen doch sehr wesentlichen Fragen unterscheiden.
Zu unserem Deckungsvorschlag hat der Sprecher der SPD gesagt, das sei ein schlechter Weg. Der bessere Weg, den er vorgeschlagen hat, ist sehr billig gewesen. Er hat — ich habe ihn da offenbar recht verstanden — gesagt: Das muß eben der Fonds bezahlen. — Bitte, einen anderen Weg haben Sie bisher nicht vorgeschlagen. Unseren Deckungsvorschlag, der dahin geht, die Sperrklausel zu Lasten der Länder zu beseitigen, und ebenso die Erhöhung der Zuschüsse der öffentlichen Hand haben Sie als einen schlechten Weg bezeichnet, und für einen besseren Weg haben Sie keinen anderen Vorschlag gemacht. Ich nehme also an, daß Sie meinen, der Lastenausgleichsfonds möge das allein verkraften. Es liegt mir entscheidend daran, das ganz klar herauszustellen: Ist es wirklich die Auffassung der SPD-Fraktion, daß die Erhöhung der Unterhaltshilfe ausschließlich zu Lasten des Fonds gehen soll? Ich habe doch die Ausführungen Ihres Sprechers richtig verstanden, meine Herren von der SPD? Das ist für uns eine sehr betrübliche Überraschung! Damit bringen Sie die Dinge nicht weiter. Es hätte wahrscheinlich keiner großen Erörterung hier bedurft, wenn wir diese Erhöhungen allein auf Kosten aller anderen Leistungen des Lastenausgleichsfonds hätten vornehmen wollen.
Ich glaube auch Herrn Atzenroth richtig verstanden zu haben; er scheint sich dem Standpunkt der SPD hinsichtlich der Deckungsfrage zu unserem großen Bedauern zu nähern. Bitte, ich würde mich freuen, wenn ich Sie falsch verstanden hätte! Sie haben aber doch die Auffassung vertreten, man habe damals bei der Verabschiedung des Gesetzes die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft sehr genau getroffen. Darauf erlaubte ich mir den Zwischenruf, es sei bisher noch keiner an den Ausgaben für den Lastenausgleich kaputtgegangen.
Sie brachten dann lediglich die Kritik, daß einige Vertriebenenbetriebe darunter leiden. Aber das ist doch kein echter Einwand; denn das läßt sich ja zur Not beseitigen. Insgesamt aber kann man doch wirklich feststellen, daß die deutsche Wirtschaft den vielleicht anfangs als sehr drückend und hoch empfundenen neuen Abgabeverpflichtungen für den Lastenausgleich bisher erstaunlich leicht und ohne ernste Schwierigkeiten nachkommen konnte.
Wir freuen uns um so mehr, Herr Kunze, daß die CDU/CSU offenbar hinsichtlich der Deckungsvorschläge mit uns weitgehend mitziehen will. Ich möchte ausdrücklich betonen: dies gibt uns die
Hoffnung, daß das eigentliche Kernanliegen dieser fünf Novellen wirklich befriedigt werden kann, ohne daß an anderer Stelle Leistungen des Lastenausgleichs gefährdet werden.
Sie haben zum Schluß eine Formulierung gebraucht, die mich wieder etwas besorgt machte. Sie sprachen von der Möglichkeit einer ernsten Diskussion. Wir hoffen, Herr Kunze, ihre wesentlich hoffnungsvolleren Worte, die Sie am Anfang ausgesprochen haben, sollten durch diese Formulierung nicht eingeschränkt werden; denn wir verstehen den Antrag der CDU/CSU hinsichtlich der Deckungsvorschläge doch so — und da kann doch gar kein Mißverständnis vorliegen —, daß Sie im Grundsatz bereit sind, die Sperrklausel fallenzulassen und auch die öffentliche Hand noch mehr heranzuziehen. In dieser zweiten Frage unterscheiden wir uns lediglich hinsichtlich der Höhe. Sie glauben, mit 70 Millionen auszukommen; wir glauben, mehr verlangen zu müssen. Ich bitte also, mich eventuell zu berichtigen, damit wir heute nicht mit trügerischen Hoffnungen aus dieser Beratung herausgehen. Diese dankbare Freude, die wir hinsichtlich Ihrer Deckungsvorschläge empfunden haben, bitten wir uns doch als berechtigt noch einmal zu bestätigen oder aber uns wenigstens zu widersprechen, wenn wir uns da irren sollten.
Meine Damen und Herren, zu der Kritik, die der SPD-Sprecher am Feststellungsgesetz geübt hat, ist auch einiges zu sagen. Das Feststellungsgesetz ist nicht zu kompliziert und nicht etwa undurchführbar, sondern — das haben wir ja neulich schon einmal angesprochen, und das ist in der öffentlichen Diskussion unzählige Male von den Vertriebenenverbänden gesagt worden — wenn wir bei diesem Gesetz anderthalb Jahre auf die notwendigen Durchführungs- und Rechtsverordnungen warten mußten, dann kann man weiß Gott nicht damit rechnen, daß nun — —
— Ganz klar, ich will nur erklären, woran es liegt. Das Gesetz ist damals — das ist ja kein Geheimnis — gegen den offenkundigen Willen und Widerstand des Bundesfinanzministers zustande gekommen, und nun warten wir anderthalb Jahre auf die Durchführungsbestimmungen. Gebe man uns doch rechtzeitig gute Durchführungsbestimmungen, dann ist dieses sehr schwierige und auch sehr umfassende Problem durchaus zu lösen! Mit den wenigen Zahlen über die Feststellung, die Sie heute vorgetragen haben, kann man jedenfalls das Gegenteil noch nicht beweisen.
Im übrigen folgendes. Wenn Sie überhaupt keine Feststellung der entstandenen Schäden zulassen wollen, dann negieren Sie doch überhaupt jede Möglichkeit, auch nur in bescheidenstem Umfang zu einer Vermögensentschädigung zu kommen.
Ich glaube, daß dieses Problem sehr eingehend erörtert worden ist, und letzten Endes haben auch Sie der Auffassung zugestimmt, daß eine quotale Entschädigung in diesem bescheidenen Rahmen wohl nicht zu vermeiden ist.
Eine sehr herzliche Bitte an die CDU und auch an die Antragsteller Kuntscher und Genossen: Wir hatten gehofft, wenigstens im Antrag Kuntscher eine Unterstützung in einem uns sehr wichtigen Anliegen zu finden. Es handelt sich um die Frage der Neufeststellung, darum, wie der
Einheitswert bei der Landwirtschaft errechnet werden soll. Es ist doch ernstlich nicht zu bestreiten, daß die Landwirtschaft im Unterschied zur gewerblichen Wirtschaft damals aus völlig zeitbedingten Gründen einen anderen Multiplikator bekommen hat. Hier geht es aber nicht um zeitbedingte Gründe, sondern hier muß der Dauerwert des landwirtschaftlichen Vermögens ermittelt werden. Ich glaube, wir könnten uns über diese Dinge vielleicht doch noch einmal verständigen. Ich habe jedenfalls das herzliche Bedürfnis, mich mit Ihnen gerade über diesen Unrechtstatbestand, der sehr viel Ärger und mit Recht Erbitterung hervorruft, noch einmal gründlich zu unterhalten. Ich vermag im Augenblick nicht einzusehen — irgendein Wort der Begründung dieser Ablehnung ist nicht gesagt worden —, welche grundsätzlichen Bedenken Sie gegen diesen Vorschlag haben. Nach ihm sollen lediglich die landwirtschaftlichen Vermögensverluste den gewerblichen Vermögensverlusten gleichgestellt werden. Das ist eine sehr billige Forderung. Wir hoffen insbesondere, daß die Grüne Front der Einheimischen hier mit ihren Berufskollegen aus dem deutschen Osten mitempfindet und uns helfen wird, diese Frage gerecht zu lösen.
Wir freuen uns, Herr Kunze, daß Sie mit uns der Auffassung sind, der Fälligkeitstag solle festgestellt werden. Diese Feststellung des Fälligkeitstages war ja auch Voraussetzung, um einen gewissen wirtschaftlichen Wert, der heute schon darin stecken könnte, zu realisieren. Wir messen der Feststellung des Fälligkeitstages auch nicht die Bedeutung bei, von der Sie hier warnend gesprochen haben. Wir sehen darin nur eine notwendige Grundlage, den wirtschaftlichen Wert unter gewissen Voraussetzungen schon heute realisierbar zu machen.
Wir bitten, auch die Forderungen auf vorzeitige Auszahlung der Hauptentschädigung, die wir vorgeschlagen haben, noch einmal ernstlich zu prüfen. Ich habe mit einem Geschädigten gesprochen, einem Landwirt, der einmal einen sehr großen Besitz gehabt hat, heute im Alter von 80 Jahren. Er bekommt seine Unterhaltshilfe, bekommt auch noch die 20 Mark Entschädigungsrente; für das andere fehlt der Abschluß des Entschädigungsverfahrens. Er sagte mir: „Ich bin gesundheitlich heute so schlecht dran, daß ich unter allen Umständen eine Kur brauche. Ich werde durch diese Kur natürlich niemals wieder arbeitsfähig, denn ich bin schon 80 Jahre. Aber Herr des Himmels, ich habe eine Entschädigungsforderung, die selbst bei den minimalen Leistungen in die Zehntausende geht. Gebt mir doch die Möglichkeit, 1000 oder 2000 DM zu bekommen, damit ich etwas für meine Gesundheit tun kann!" Das ist ein Beispiel, das uns vorgeschwebt hat: eine Vorauszahlung zu ermöglichen für die außergewöhnlichen Aufwendungen, die diese Menschen zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit machen müssen.
Ein anderer Zweck, für den Vorauszahlungen notwendig sind, ist die Berufsausbildung. Ich will als Beispiel den Beruf eines Hochschullehrers anführen. Die Eltern des Betreffenden haben einen ausreichenden Anspruch an den Ausgleichfonds, der nur jetzt noch nicht realisierbar ist. Die Ausbildung für den Beruf des Hochschullehrers, das wissen wir alle, erfordert einen ganz ungewöhnlichen Aufwand. Um dieser Begabung nun voranzuhelfen, wollen wir — so ist das gedacht — auch in diesem Fall die Möglichkeit geben, ein paar tausend Mark der Hauptentschädigung als Vorauszahlung zu zahlen.
— Von der Schulgeldfreiheit allein kann ein Privatdozent, der wahrscheinlich schon eine Familie hat, nicht leben, sondern der muß leider auch zum Unterhalt etwas haben; die Ausbildung des Hochschullehrers dauert ja einige Jahre über die eigentliche Schulzeit hinaus.
Herr Kunze, ich habe nicht verstanden, daß Sie uns den Vorwurf machten, wir hätten schuld daran, daß die Gesetzentwürfe jetzt erst zur ersten Lesung kommen; wenn wir im Ältestenrat auf eine Generaldebatte verzichtet hätten, dann hätte diese erste Lesung schon lange erfolgen können. Ich muß offen sagen, ich habe nach dem Verlauf der heutigen Debatte, besonders nach Ihren Ausführungen, nicht begriffen, weshalb Sie sich so sehr vor der Generaldebatte gesträubt haben. Herr Kunze, Sie haben heute viel mehr gesagt, als wir in unseren kühnsten Träumen erwartet haben. Ich sehr also wirklich nicht ein, warum Sie uns daran hindern wollten, die Gesetzentwürfe in erster Lesung einzubringen, nur weil wir den Wunsch hatten, hier vor dem Hause und vor der Öffentlichkeit unsere maßvollen Anliegen zu begründen. Ich glaube, Sie hätten diese doch sehr maßvolle Generaldebatte getrost auch vor zwei oder drei Monaten über die Bühne gehen lassen können. Das Verlangen, in diesem zentralen Problem die Möglichkeit abzuschneiden, bei der ersten Lesung etwas Notwendiges zu sagen, ist doch wohl nicht ganz berechtigt gewesen.
Nun noch ein Wort zur Frage der Beschleunigung. Herr Kunze hat in den Wein unserer Hoffnungen etwas Wasser geschüttet, indem er sagte, wir möchten alle Hoffnung fahren lassen; vor den Ferien werde das nicht werden. Herr Atzenroth, den wir ja auch als einen Experten des Lastenausgleichsproblems kennen, hat dem zugestimmt. Ich kann mir nicht vorstellen — da es sich hier nicht um den systematischen Neubau eines Gesetzes handelt, sondern um Verbesserungen, um ganz klar umreißbare Tatbestände —, daß wir uns nicht wenigstens auf folgendes Verfahren einigen könnten. Es gibt eine ganze Reihe von Fragen, Herr Kunze, in denen Ihr Entwurf fast wortwörtlich mit unserem übereinstimmt. Ich bitte Sie, zu überlegen, ob wir nicht doch die Punkte, in denen wir einig sind, vorwegziehen können. Denn, wie gesagt, wir ändern an der Systematik des Gesetzes nichts. Wir gefährden auch nicht etwa irgendwelche beachtlichen Dinge, wenn wir die Gesamtvorlage nun in zwei, drei Teile zerschneiden. Das Kernproblem ist doch — und ich glaube, das ist auch eine Frage der sozialen Befriedung, an der wir alle ein Interesse haben sollten —, daß baldmöglichst eine Erhöhung der Unterhaltshilfe eintritt. Dazu genügt, daß wir diese beiden Punkte — wir haben hinsichtlich der Erhöhung und hinsichtlich des Deckungsvorschlages den gleichen Willen — vorwegnehmen. Wenn sonst eine schnelle Erledigung nicht zu erreichen ist, sollten wir wenigstens diesen Teil der vielen Novellen sofort durchziehen.
Dagegen, verehrter Herr Kunze, läßt sich beim besten Willen höchstens noch der Einwand machen: Das ist Flickarbeit; wir wollen lieber etwas Ganzes
machen. Aber das zieht gegenüber der sozialen Not und der sozialen Unzufriedenheit, die es hier zu beheben gilt, nicht und wiegt nicht schwer genug. Ich würde Sie sehr herzlich bitten, gerade nach dieser Richtung hin noch Überlegungen anzustellen. Ich glaube, Herr Atzenroth, auch Sie würden mitmachen. Sie sind allerdings hinsichtlich der Dekkung anderer Meinung. Aber da die CDU als die mächtige Partei in diesem Parlament so freundlich ist und so viel Bereitschaft gezeigt hat, sollten wir über formale Bedenken hinwegkommen.
Deshalb zum Schluß nochmals meine herzliche Bitte, diese Vorschläge hinsichtlich einer beschleunigten Erledigung doch mit der nötigen Sorgfalt und mit der nötigen Bereitwilligkeit, das Bestmögliche zu tun, einmal zu durchdenken.