Rede von
Dr.
Adolf
Arndt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion beantragt, auch die fahrlässige Tötung von der Amnestie auszunehmen. Dieser Antrag meiner Fraktion, den ich zu begründen die Ehre habe, ist das Ergebnis einer allen Fraktionen zugegangenen Anregung, die wir einem unserer ehrwürdigsten Juristen verdanken, dem früheren Reichsgerichtsrat Schneidewin. Der Antrag hat, um das vorweg zu sagen, keine Diskriminierung der Verkehrsdelikte zum Ziel. Glücklicherweise ist keineswegs jedes Verkehrsdelikt eine fahrlässige Tötung. Es gibt aber auch außerhalb des öffentlichen Verkehrs fahrlässige Tötungen, besonders durch Verletzung der Arbeitsschutzbestimmungen in den Betrieben.
Wenn man sich überhaupt jetzt zu einer Amnestie entschließt, obwohl eigentlich kein zwingender Grund dafür besteht, so hätten wir Sozialdemokraten es bekanntlich für richtig gehalten, die Höhe der sonst verwirkten Strafe als einzigen Maßstab für einen Erlaß der Strafe anzuerkennen, weil die Strafhöhe Ausdruck der Schuld ist und der Grad der Schuld darüber bestimmt, wer einer Begnadigung würdig ist oder nicht. Leider entspricht der Gesetzentwurf auch insoweit unseren Vorstellungen noch immer nicht. In § 10 ist das Schuldprinzip als der einzig sinnvolle Gradmesser aufgegeben. Es
*) Siehe Anlage 7.
ist z. B. willkürlich und lebensfremd, die Bigamie von der Amnestie auszunehmen. Unbefriedigender noch ist der Ausschluß von der Amnestie dann, wenn im Einzelfall ein Gericht nach seinem Ermessen annimmt, daß die Tat auf Gewinnsucht beruhe oder eine gemeine Gesinnung erkennen lasse . Begriffe so unbestimmter Art sollten in einer rechtsstaatlichen Strafrechtspflege keinen Platz haben.
Am bedenklichsten ist schließlich die Durchbrechung des Schuldprinzips durch § 2 Abs. 3. Diese Vorschrift verweigert jedem die Gnade, dessen Strafregister noch eine frühere, einen Monat Gefängnis übersteigende Strafe aufweist, die vielleicht schon Jahre zurückliegt, über die aber infolge der langen Fristen des Strafregisterrechts noch immer unbeschränkt Auskunft zu erteilen ist.
Meine Damen und Herren, diese böse Bestimmung sollte uns doch zu der Besinnung bewegen, wann wir in Deutschland endlich einmal damit aufhören wollen, die Vorbestraften gesellschaftlich zu ächten und sie dadurch zu einer mit dem Makel der menschlichen Minderwertigkeit behafteten Kaste zusammenzuschließen.
Angesichts solcher Willkürlichkeiten einer ohnehin fragwürdigen Amnestie müssen wir gewissenhaft prüfen, ob nicht zu den Straftaten, die nicht zu amnestieren sind, jedenfalls die fahrlässige Tötung gehört, falls man schon das Schuldprinzip verläßt und überhaupt Ausnahmen macht. Nach reiflicher Überlegung hat sich meine Fraktion entschlossen, die aus erfahrener Sorge um das Rechte entspringende und unser Gehör fordernde Mahnung Schneidewins nicht von der Hand zu weisen und Sie alle zu bitten, die weniger einsehbaren Ausnahmen von der Amnestie unter diesen Umständen durch die dann notwendige Ausnahme der fahrlässigen Tötung zu ergänzen.
Hierzu bestimmen uns insbesondere zwei Gründe. Der eine ist unsere Pflicht, bei jeder Gesetzgebung die Achtung vor dem Menschenleben als einen höchsten Grundsatz unseres Rechts zu bewähren. Gewiß wird man nicht sagen können, daß in unserem Zeitalter der Technik, das so voller Gefahren ist, jeder tödliche Unglücksfall, sobald irgendeine Fahrlässigkeit mitwirkte, bereits aus einer Geringschätzung des menschlichen Lebens zu erklären sei. Es handelt sich vielmehr um die eigene Haltung der gesetzgebenden Körperschaft. An ihr und somit an uns ist es, sich durch die Achtung vor dem Leben gebunden zu wissen und deshalb gerade bei einem Ausnahmegesetz, das von den allgemeinen Regeln des Rechts abweicht, uns selber dort eine Schranke zu setzen, wo Tote uns gemahnen, daß wir das Opfer ihres Lebens keiner unverbrüchlichen Gleichheit des Strafrechts für wert halten würden, falls wir hier nicht diese Ausnahme machten. Man sage auch nicht, eine Schuld könne nur unerheblich gewesen sein, wenn für sie kein höheres Strafmaß als drei Monate Gefängnis in Betracht komme. Leider sind im Ringen um die gerechte Strafe noch keine überzeugenden Maßstäbe gefunden. Diese Unsicherheit über Sinn und Aufgabe der Strafe wirkt sich noch immer in einer Ungleichheit der Strafzumessung und einer verfehlten Unterschätzung der fahrlässigen Straftaten aus, so daß die Mehrzahl der Strafen bei allen schuldhaften Tötungen dieser Art geringer sind als drei Monate
Gefängnis. Dieser Zustand ist eine offene Not unserer in falscher Weise moralisierenden Strafrechtspflege, ein Mißstand, der die Glaubwürdigkeit des Rechts schwächt und den Rechtsfrieden mindert. Wir sollten nicht die Hand dazu bieten, diese einer geistigen Reform, eines Umdenkens bedürftige Lage unsererseits dadurch zu verfestigen, daß auch wir die fahrlässige Tötung als nur irgendeine Fehlhandlung unter vielerlei anderen behandeln. Denn das Menschenleben ist ein unvergleichlicher Rechtswert.
Ein zweiter Grund ist der, daß eine Amnestie für fahrlässige Tötung in besonderer und unbilliger Weise die Hinterbliebenen des Toten belastet. Während sonst der Verletzte als die Hauptperson imstande ist, selbst seine Rechte wahrzunehmen, fehlt hier die Person, die der eigentliche Zeuge sein und zur Wahrnehmung des Rechts berufen sein sollte.
Wir bringen die Hinterbliebenen in eine außerordentliche Beweisnot, wenn wir trotz des Verdachts einer Schuld hier die strafgerichtliche Aufklärung abschneiden. Im Strafverfahren wird der Staat mit allen Mitteln und Machtmitteln der öffentlichen Hand in einer Prozeßart tätig, die durch ihr Prinzip der Unmittelbarkeit, insbesondere der einheitlichen Hauptverhandlung, ungleich größere Gewähr für die Ermittlung der Wahrheit bietet, als der Zivilprozeß es kann. Nehmen wir den Angehörigen diesen Schutz, machen wir ihre Sache nicht zu einem Anliegen der Allgemeinheit, sondern verweisen wir die oft durch dieses Geschehen auch in materielle Not geratenen Hinterbliebenen darauf, daß sie mit eigener Mühe und auf eigene Kosten und zum eigenen Wagnis ihr Recht aus einem Unfall, der sich meist fern von ihnen abspielte, privat suchen sollen, so muten wir ihnen durch diese Verweigerung der strafgerichtlichen Aufklärung eine fast unerträgliche Erschwerung ihrer Rechtsstellung zu.
Die althergebrachte Regelung, daß jeder Schiffsuntergang objektiv durch eine gerichtsartige Verhandlung vor dem Seeamt zu klären ist, beruht auf dem allgemeinen Rechtsgedanken, daß es eine Pflicht der Gemeinschaft ist, um den Beweis der Wahrheit bemüht zu sein, wie es zu einer Gefahr für Leib und Leben gekommen ist. Die Amnestie soll und kann eine Vergünstigung für Menschen sein, die einmal — und nicht allzu schwer — gefehlt haben; ihre Wohltat darf jedoch nicht zur Last für Schuldlose werden. Das wird sie aber, wenn wir den Tod von Menschen ungeachtet eines Verdachts, daß der Tod schuldhaft verursacht ist, nicht mehr einer Aufklärung mit den öffentlichen Mitteln des strafgerichtlichen Verfahrens für wert halten.
Wir bitten Sie, sich deshalb mit uns in dieser Überzeugung zu vereinigen, daß die fahrlässige Tötung aus dem Amnestiegesetz herausgenommen werden sollte.