Protokoll:
18161

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 161

  • date_rangeDatum: 17. März 2016

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:02 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:00 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/161 Textrahmenoptionen: 16 mm Abstand oben Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 161. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 17. März 2016 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abge- ordneten Edelgard Bulmahn und Waltraud Wolff (Wolmirstedt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15811 A Wahl der Abgeordneten Michael Groß als stellvertretendes Mitglied und Klaus Mindrup als ordentliches Mitglied in den Stiftungsrat der „Stiftung Berliner Schloss – Humboldt- forum“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15811 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15811 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 12 b und 24 c . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15812 B Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 15812 B Tagesordnungspunkt 4: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht zum Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen und zur Wohnungs- bau-Offensive Drucksache 18/7825 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15812 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Caren Lay, Dr . Dietmar Bartsch, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: So- ziale Wohnungswirtschaft entwickeln Drucksachen 18/3744, 18/6633 . . . . . . . . . 15812 D Dr . Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15812 D Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 15814 C Dr . Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 15816 D Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15819 A Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15820 C Dr . Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . . 15822 A Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15824 A Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15825 B Yvonne Magwas (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 15826 A Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15827 C Sylvia Jörrißen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 15828 D Tagesordnungspunkt 5: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Weiterentwicklung des Behin- dertengleichstellungsrechts Drucksache 18/7824 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15830 C b) Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, Sigrid Hupach, Matthias W . Birkwald, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Eine halb barrierefreie Gesell- schaft reicht nicht aus – Privatwirtschaft zu Barrierefreiheit verpflichten Drucksache 18/7874 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15830 C c) Antrag der Abgeordneten Corinna Rüffer, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Behinder- tengleichstellungsrecht mutig weiterent- wickeln Drucksache 18/7877 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15830 D Gabriele Lösekrug-Möller, Parl . Staatssekre- tärin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15830 D Katrin Werner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 15831 D Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 15833 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 161 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . März 2016II Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15834 D Verena Bentele, Beauftragte der Bundesregie- rung für die Belange behinderter Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15836 D Uwe Schummer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 15838 B Kerstin Tack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15839 D Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15840 C Gabriele Schmidt (Ühlingen) (CDU/CSU) . . . 15841 D Dr . Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 15843 A Tagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gute Arbeit – Gute Versorgung: Mehr Personal in Gesundheit und Pflege Drucksache 18/7568 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15844 B Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15844 C Lothar Riebsamen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 15845 B Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15847 A Marina Kermer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15848 D Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15849 A Erich Irlstorfer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 15850 C Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . 15851 D Pia Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 15852 D Tino Sorge (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15853 D Pia Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 15854 B Sabine Dittmar (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15854 D Erwin Rüddel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 15856 C Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 15858 A Dirk Heidenblut (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15858 D Tagesordnungspunkt 23: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 23. Septem- ber 2015 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Albanien über Soziale Sicherheit Drucksache 18/7793 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15860 A b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Haftungsbeschränkung in der Binnen- schifffahrt Drucksache 18/7821 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15860 A c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Straßburger Übereinkom- men vom 27. September 2012 über die Beschränkung der Haftung in der Bin- nenschifffahrt (CLNI 2012) Drucksache 18/7822 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15860 B Zusatztagesordnungspunkt 1: a) Antrag der Abgeordneten Dr . Thomas Gambke, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Betrug mit manipulierten Registrierkas- sen gesetzlich verhindern – Zeitgleich Abschreibungsregeln für geringwertige Wirtschaftsgüter verbessern Drucksache 18/7879 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15860 B b) Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Stephan Kühn (Dresden), Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bericht zu den angeordneten Nachprüfungen von Diesel-Pkw vorlegen Drucksache 18/7882 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15860 C Tagesordnungspunkt 24: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- trag vom 24. Oktober 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Nutzung und Verwaltung des Küsten- meers zwischen 3 und 12 Seemeilen Drucksachen 18/7450, 18/7692 . . . . . . . . . 15860 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeord- neten Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Ent- geltgleichheit gesetzlich durchsetzen Drucksachen 18/4933, 18/7602 . . . . . . . . . 15861 A d)–i) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 290, 291, 292, 293, 294 und 295 zu Petitionen Drucksachen 18/7678, 18/7679, 18/7680, 18/7681, 18/7682, 18/7683 . . . . . . . . . . . . 15861 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 161 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . März 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 161 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . März 2016 III Zusatztagesordnungspunkt 2: a)–h) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 296, 297, 298, 299, 300, 301, 302 und 303 zu Petitionen Drucksachen 18/7893, 18/7894, 18/7895, 18/7896, 18/7897, 18/7898, 18/7899, 18/7900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15861 D Tagesordnungspunkt 7: Wahl der vom Deutschen Bundestag zu be- nennenden Mitglieder des Deutschen Ethik- rats gemäß den §§ 4 und 5 des Ethikratge- setzes Drucksache 18/7876 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15862 C Tagesordnungspunkt 8: – Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Betei- ligung bewaffneter deutscher Streitkräf- te an der EU-geführten Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM Somalia auf Grundlage des Ersuchens der soma- lischen Regierung mit Schreiben vom 27. November 2012 und 11. Januar 2013 sowie der Beschlüsse des Rates der Eu- ropäischen Union vom 15. Februar 2010, 22. Januar 2013 und 16. März 2015 in Verbindung mit den Resolutionen 1872 (2009) und 2158 (2014) des Sicherheits- rates der Vereinten Nationen Drucksachen 18/7556, 18/7722 . . . . . . . . . 15862 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/7723 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15862 D Petra Ernstberger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15863 A Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 15863 D Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 15864 D Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 15865 B Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 15865 D Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15867 A Gabi Weber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15868 B Julia Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 15869 A Michael Vietz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 15870 A Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 15870 D Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15873 D Tagesordnungspunkt 9: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Umsetzung der prüfungsbezogenen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorga- ben der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Abschlussprüfung bei Un- ternehmen von öffentlichem Interesse (Ab- schlussprüfungsreformgesetz – AReG) Drucksachen 18/7219, 18/7454, 18/7902 . . . . 15871 B Metin Hakverdi (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15871 C Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 15872 D Dr . Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15876 B Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15878 A Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15879 A Fritz Güntzler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 15880 A Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15881 C Tagesordnungspunkt 10: Bericht des Ausschusses für Recht und Verbrau- cherschutz gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäfts- ordnung zu dem von den Abgeordneten Katja Keul, Ulle Schauws, Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetz- buches zur Verbesserung des Schutzes vor sexueller Misshandlung und Vergewaltigung Drucksachen 18/5384, 18/7748 . . . . . . . . . . . 15883 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15883 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 15884 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15886 B Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 15887 A Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15888 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15889 B Sylvia Pantel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 15890 B Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . 15890 D Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . 15891 B Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15892 C Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15893 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . 15893 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15894 D Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15894 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 161 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . März 2016IV Tagesordnungspunkt 11: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Innovative Arbeitsforschung für eine Humanisierung unserer Arbeitswelt und mehr Beschäftigung Drucksachen 18/7363, 18/7871 . . . . . . . . . 15895 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Junge Beschäftigte vor prekärer Arbeit schützen Drucksachen 18/6362, 18/6951 . . . . . . . . . 15895 A Dr . Stefan Kaufmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 15895 B Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 15896 B Willi Brase (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15897 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15898 C Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU) . . . . . . . 15899 D Michael Gerdes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15900 C Wilfried Oellers (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 15901 C Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 15903 A Wilfried Oellers (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 15903 C Tagesordnungspunkt 12: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Abgeordneten Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Versöhnung mit Namibia – Ge- denken an und Entschuldigung für den Völkermord in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika Drucksachen 18/5407, 18/6376 . . . . . . . . . 15904 A Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15904 A Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 15905 B Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) . . . . . . . . 15906 B Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 15907 D Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) . . . . . . . . 15908 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15908 C Dagmar G . Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15909 D Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15910 D Dr . Ute Finckh-Krämer (SPD) . . . . . . . . . . . . 15911 C Charles M . Huber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15912 B Tagesordnungspunkt 13: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 28. April 2015 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die polizeiliche Zusammenarbeit und zur Än- derung des Vertrages vom 2. Februar 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die Ergänzung des Europäischen Übereinkom- mens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichterung seiner Anwendung Drucksachen 18/7455, 18/7687 . . . . . . . . . . . 15913 C Dr . Günter Krings, Parl . Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15913 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 15914 C Susanne Mittag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15915 C Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15917 B Günter Baumann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15918 A Tagesordnungspunkt 14: a) Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Oliver Krischer, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zukunftsfähige Hühnerhaltung – Kü- kentötung schnellstmöglich ein Ende setzen Drucksache 18/7878 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15919 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirt- schaft zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Männliche Eintagsküken leben lassen Drucksachen 18/4328, 18/7726 . . . . . . . . . 15919 B Johannes Remmel, Minister (Nordrhein-Westfalen) . . . . . . . . . . . . . . . . 15919 C Dieter Stier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15920 C Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15921 C Dr . Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . 15922 B Christina Jantz-Herrmann (SPD) . . . . . . . . . . 15923 B Rita Stockhofe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 15924 C Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15925 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 161 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . März 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 161 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . März 2016 V Tagesordnungspunkt 15: a) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Bundes- wahlgesetzes Drucksache 18/7873 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15926 D b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Wahlkreiskommission für die 18. Wahlperiode des Deutschen Bun- destages gemäß § 3 des Bundeswahlge- setzes Drucksache 18/3980 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15927 A c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Ergänzender Bericht der Wahlkreis- kommission für die 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages Drucksache 18/7350 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15927 A Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 15927 B Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 15928 A Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 15929 A Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15930 B Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 15931 A Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeord- neten Ralph Lenkert, Caren Lay, Dr . Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Kältemittel R1234yf aus dem Verkehr ziehen Drucksachen 18/4840, 18/6634 . . . . . . . . . . . 15932 B Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15932 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 15933 A Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15934 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 15935 A Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15935 C Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15935 D Arno Klare (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15936 C Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 15937 B Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Luise Amtsberg, Beate Müller-Gemmeke, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Arbeitsmarktpolitik für Flüchtlinge – Praxisnahe Förderung von Anfang an Drucksache 18/7653 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15938 A Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15938 A Jutta Eckenbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 15939 A Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15940 C Daniela Kolbe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15941 B Tobias Zech (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 15942 C Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15943 C Kerstin Griese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15944 C Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Matthias W . Birkwald, Roland Claus, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Markus Kurth, Corinna Rüffer, Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: DDR-Altübersiedlerinnen und -Altüber- siedler sowie DDR-Flüchtlinge vor Renten- minderungen schützen – Gesetzliche Rege- lung im SGB VI verankern Drucksache 18/7699 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15945 D Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . 15945 D Jana Schimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 15946 D Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15947 C Dr . Martin Rosemann (SPD) . . . . . . . . . . . . 15948 B Daniela Kolbe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15949 B Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . 15950 D Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . 15951 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15953 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 15955 A Textrahmenoptionen: 30,5 mm Abstand oben (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 161 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . März 2016 15811 161. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 17. März 2016 Beginn: 9 .02 Uhr
  • folderAnlagen
    Peter Weiß (Emmendingen) (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 161 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . März 2016 15955 Anlage zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 17 .03 .2016 Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17 .03 .2016 Bülow, Marco SPD 17 .03 .2016 Connemann, Gitta CDU/CSU 17 .03 .2016 Durz, Hansjörg CDU/CSU 17 .03 .2016 Fabritius, Dr . Bernd CDU/CSU 17 .03 .2016 Freitag, Dagmar SPD 17 .03 .2016 Gunkel, Wolfgang SPD 17 .03 .2016 Held, Marcus SPD 17 .03 .2016 Hüppe, Hubert CDU/CSU 17 .03 .2016 Jung, Andreas CDU/CSU 17 .03 .2016 Jung, Dr . Franz Josef CDU/CSU 17 .03 .2016 Klingbeil, Lars SPD 17 .03 .2016 Lach, Günter CDU/CSU 17 .03 .2016 Liebich, Stefan DIE LINKE 17 .03 .2016 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17 .03 .2016 Otte, Henning CDU/CSU 17 .03 .2016 Özdemir, Cem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17 .03 .2016 Ryglewski, Sarah SPD 17 .03 .2016 Schlecht, Michael DIE LINKE 17 .03 .2016 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 17 .03 .2016 Schneider (Erfurt), Carsten SPD 17 .03 .2016 Silberhorn, Thomas CDU/CSU 17 .03 .2016 Stracke, Stephan CDU/CSU 17 .03 .2016 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17 .03 .2016 Veit, Rüdiger SPD 17 .03 .2016 Weiler, Albert CDU/CSU 17 .03 .2016 Wendt, Marian CDU/CSU 17 .03 .2016 Wicklein, Andrea SPD 17 .03 .2016 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 161. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 4 Bezahlbares Wohnen und Bauen TOP 5 Behindertengleichstellungsrecht TOP 6 Personalbemessung in Gesundheit und Pflege TOP 23, ZP 1 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 24 Abschließende Beratungen ohne Aussprache TOP 7 Wahl zum Deutschen Ethikrat TOP 8 Bundeswehreinsatz EUTM Somalia TOP 9 Abschlussprüfungsreformgesetz TOP 10 Sexualstrafrecht TOP 11 Humanisierung der Arbeitswelt TOP 12 Beziehungen zu Namibia TOP 13 Rechtshilfeübereinkommen mit Tschechien TOP 14 Zukunftsfähige Hühnerhaltung TOP 15 Änderung des Bundeswahlgesetzes TOP 16 Kältemittel in Klimaanlagen von Kraftfahrzeugen TOP 17 Arbeitsmarktpolitik für Flüchtlinge TOP 18 Rentenrecht für DDR-Altübersiedler und - Flüchtlinge Anlage
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816100000

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
herzlich zu unserer Plenarsitzung . Ich möchte vor Eintritt
in die Tagesordnung unserer Vizepräsidentin Edelgard
Bulmahn zu ihrem 65 . Geburtstag gratulieren, den sie in
den letzten Tagen begangen hat,


(Beifall)


und der Kollegin Waltraud Wolff, die vorgestern ihren
60 . Geburtstag gefeiert hat .


(Beifall)


– Das Protokoll verzeichnet nicht enden wollenden Bei-
fall . Alle guten Wünsche für das neue Lebensjahr!

Wir müssen vor Eintritt in unsere Tagesordnung
noch eine Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der
„Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum“ durch-
führen . Die SPD-Fraktion schlägt vor, dass der Kollege
Michael Groß als bisheriges ordentliches Mitglied und
der Kollege Klaus Mindrup als bisheriges stellvertre-
tendes Mitglied des Stiftungsrates ihre Funktionen tau-
schen . Kann ich dazu Einvernehmen feststellen? – Das
ist offensichtlich der Fall . Dann bleiben beide unter
Wechsel ihrer Funktionen als ordentliches und stellver-
tretendes Mitglied im Stiftungsrat .

Es gibt interfraktionell die Vereinbarung, die Tages-
ordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern – dabei geht es um die Reform der
Pflegeberufe, um Sammelübersichten des Petitionsaus-
schusses und zwei Anträge zur Überweisung bzw . Be-
schlussfassung –:

ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren


(Ergänzung zu TOP 23)


a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Thomas Gambke, Kerstin Andreae, Britta
Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Betrug mit manipulierten Registrierkassen
gesetzlich verhindern – Zeitgleich Abschrei-
bungsregeln für geringwertige Wirtschaftsgü-
ter verbessern

Drucksache 18/7879
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver
Krischer, Stephan Kühn (Dresden), Matthias
Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bericht zu den angeordneten Nachprüfungen
von Diesel-Pkw vorlegen

Drucksache 18/7882

ZP 2 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache


(Ergänzung zu TOP 24)


a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 296 zu Petitionen

Drucksache 18/7893

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 297 zu Petitionen

Drucksache 18/7894

c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 298 zu Petitionen

Drucksache 18/7895

d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 299 zu Petitionen

Drucksache 18/7896






(A) (C)



(B) (D)


e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 300 zu Petitionen

Drucksache 18/7897

f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 301 zu Petitionen

Drucksache 18/7898

g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 302 zu Petitionen

Drucksache 18/7899

h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 303 zu Petitionen

Drucksache 18/7900

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche,
Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Integrative Pflegeausbildung – Pflegeberuf
aufwerten, Fachkenntnisse erhalten

Drucksache 18/7880
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden .

Die Tagesordnungspunkte 12 b – hier geht es um die
Beschlussempfehlung zum Antrag mit dem Titel „Die
Beziehungen zwischen Deutschland und Namibia stär-
ken und unserer historischen Verantwortung gerecht wer-
den“ – und 24 c – hier geht es um die Übersicht über die
dem Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bun-
desverfassungsgericht – sollen abgesetzt werden .

Schließlich mache ich noch auf zwei nachträgli-
che Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatz-
punkteliste aufmerksam:

Der am 26 .02 .2016 (159 . Sitzung) überwiesene nach-
folgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss
für Arbeit und Soziales (11 . Ausschuss) zur Mitbera-
tung überwiesen werden:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Moder-
nisierung des Besteuerungsverfahrens

Drucksache 18/7457
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Der am 25 .02 .2016 (158 . Sitzung) überwiesene nach-
folgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss
für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

(18 . Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden:


Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Bundesstatistikgesetzes und anderer
Statistikgesetze

Drucksache 18/7561
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung

Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Vereinbarungen ein-
verstanden sind . – Das ist der Fall . Dann ist das so be-
schlossen .

Damit kommen wir zu den Tagesordnungspunkten 4 a
und 4 b:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Bericht zum Bündnis für bezahlbares Wohnen
und Bauen und zur Wohnungsbau-Offensive

Drucksache 18/7825

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm,
Caren Lay, Dr . Dietmar Bartsch, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Soziale Wohnungswirtschaft entwickeln

Drucksachen 18/3744, 18/6633

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 77 Minuten vorgesehen . – Dazu höre
und sehe ich keinen Widerspruch . Also verfahren wir so .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst der Bundesministerin Barbara Hendricks .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Die Große Koalition hat gleich zu Beginn der
Wahlperiode den Wohnungsbau aus seinem Dorn-
röschenschlaf geholt . Bereits im Koalitionsvertrag haben
wir diverse Maßnahmen im Wohnungsbau, beim Wohn-
geld, in der Liegenschaftspolitik, in der Städtebauförde-
rung, beim energieeffizienten Bauen und Sanieren und
bei anderen Wohn- und Bauthemen vereinbart . Seitdem
hat die Thematik Wohnungsversorgung in Deutschland
endlich wieder Fahrt aufgenommen . Auch das Bündnis
für bezahlbares Wohnen und Bauen, das ich 2014 ins Le-
ben gerufen habe, stand bereits im Koalitionsvertrag . Ich

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


bin sehr froh, dass wir als Bundesregierung von Beginn
an auf diesem Feld aktiv geworden sind .

Bezahlbarer Wohnraum betrifft ja uns alle . In vielen
Regionen Deutschlands hat sich im letzten Jahrzehnt eine
Zuspitzung ergeben, die zu steigenden Mieten geführt
hat. Hauptleidtragende sind häufig alte Menschen, Stu-
denten, Familien mit Kindern und ganz allgemein Men-
schen mit geringen oder mittleren Einkommen . Von den
angespannten Wohnungsmärkten sind in der Folge aber
sowieso alle Menschen betroffen . Das ist eine Entwick-
lung, die sich seit Jahren beobachten lässt . Wir haben
begonnen, hier entgegenzusteuern, und wir werden das
weiterhin tun .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen, aber
auch auf der breiten politischen Bühne haben wir, denke
ich, gemeinsam eine steile Lernkurve geschafft, um die-
se große gesellschaftliche Herausforderung zu meistern .
Wir haben bereits eine Menge bewegt und Lösungen ge-
funden, die noch vor zwei Jahren nicht denkbar gewe-
sen wären . Im Jahr 2014 sind rund 245 000 Wohnungen
neu gebaut worden . Im vergangenen Jahr waren es über
270 000 . Das ist gut, aber wir müssen noch besser wer-
den . Wir haben leider keine Zeit, uns auf dem Erreichten
auszuruhen .

Auf Grundlage der Empfehlungen des Bündnisses
habe ich ein 10-Punkte-Programm für eine Wohnungs-
bau-Offensive vorgestellt . Das Bundeskabinett hat den
Bericht vergangene Woche beschlossen . Ich freue mich,
dass der Bundestag heute darüber berät .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Einige der Empfehlungen des Bündnisses haben wir
bereits im vergangenen Jahr auf den Weg gebracht . Wir
wollen allen hier lebenden Menschen gleichermaßen
bezahlbaren Wohnraum und notwendige Infrastruktu-
ren bieten . Dabei kommt dem sozialen Wohnungsbau
eine ganz zentrale Rolle zu . Außerdem – das gilt nicht
zuletzt im Hinblick auf die Menschen, die in diesen Mo-
naten zu uns kommen – wollen wir keine abgeschotteten,
monofunktionalen Quartiere . Wir wollen die Fehler der
Vergangenheit nicht wiederholen . Wir wollen vielmehr
beweisen, dass wir die städtebauliche Lektion gelernt
haben .

Wir wissen, wie wichtig eine ansprechende Gestal-
tung des Stadtraums ist . Wir wissen heute, dass der Ge-
bäudebereich einen großen Beitrag zum Klimaschutz
leisten kann und dass wir an der Stelle keinesfalls das
Kind mit dem Bade ausschütten dürfen . Klimaschutz im
Gebäudebereich ist kein Merkmal für eine sogenannte
gehobene Ausstattung, sondern eine bindende Verpflich-
tung aus der Verantwortung für unsere Umwelt und für
die kommenden Generationen .

Bezahlbarer Wohnraum, Demografie, Integration
und Klimaschutz gehören zusammen . Wir können die-
ser Vielschichtigkeit nur mit einem breiten Spektrum an
Maßnahmen gerecht werden . Wir haben die Mittel für
den sozialen Wohnungsbau bereits verdoppelt . Eine wei-

tere Aufstockung ist meines Erachtens jedoch erforder-
lich und für den Bundeshaushalt 2017 auch angemeldet .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dafür bitte ich Sie alle um Unterstützung . Das ist auch
eine Investition in den sozialen Zusammenhalt in unse-
rem Land .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Ganz richtig!)


Ich füge hinzu: Der Bund braucht in Zukunft wieder eine
eigene Zuständigkeit im sozialen Wohnungsbau . Auch
dafür werbe ich um Unterstützung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Wohnungsbau benötigt Bauland . Der Bund hat
seine Hausaufgaben gemacht . Andere Flächenbesitzer
müssen jetzt nachziehen . Ohne Baugrundstücke laufen ja
alle anderen Anreize ins Leere . Diese Anreize aber sind
gleichwohl essenziell . Ich bin sicher, dass von der steu-
erlichen Förderung ein erheblicher Anreiz für den Miet-
wohnungsneubau ausgeht, und zwar nicht für Luxus-
immobilien .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ein weiterer entscheidender Punkt ist, dass die Bau-
kosten sinken müssen . Das Bündnis hat viele Fälle auf-
gezeigt, in denen wir das gleiche Ziel auch auf einfachere
und preiswertere Weise erreichen können, zum Beispiel
durch die einheitliche Übernahme der Musterbauord-
nung in allen Ländern, durch mehr serielle Produkte und
durch unser Förderprogramm für Modellvorhaben zum
Bau von Variowohnungen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch das Normungswesen muss entschlackt werden .
Es ist zwar privatwirtschaftlich organisiert; aber wir ha-
ben begonnen, gemeinsam mit denjenigen, die Verant-
wortung tragen, die Entschlackung voranzutreiben . Das
ist allerdings eine Mammutaufgabe .

Genauso stehe ich aber auch dazu – ich sagte es be-
reits –, dass es keine Einbußen beim Klimaschutz und
bei den Effizienzstandards geben wird. Wir wollen aller-
dings die Energieeinsparverordnung und das Erneuerba-
re-Energien-Wärmegesetz strukturell neu konzipieren .
Das soll meines Erachtens darauf hinauslaufen, das Er-
neuerbare-Energien-Wärmegesetz, das Energieeinspa-
rungsgesetz und Teile der EnEV zusammenzuführen .
Und: Wir wollen Nutzungsmischungen ermöglichen .
Deshalb planen wir die neue Kategorie des urbanen Ge-
biets als Teil der nächsten Bauplanungsrechtsnovelle, die
wir noch in diesem Jahr abschließen wollen . Neben der

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks






(A) (C)



(B) (D)


Wohnnutzung sollen auch andere Nutzungen ermöglicht
werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Das gibt den Städten die Möglichkeit, ihre Innenentwick-
lung voranzubringen und maßvoll zu verdichten .

Diese Aufzählung illustriert, wie wichtig es war, von
Beginn an das Thema Wohnen prioritär zu behandeln .
Wir haben allen Grund, den Beteiligten im Bündnis für
die konstruktive Zusammenarbeit zu danken und die
Agenda gemeinsam weiter abzuarbeiten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Alle Baumaßnahmen werden am Ende aber nicht zum
Erfolg führen, wenn wir nicht gleichzeitig massiv in eine
soziale Stadtentwicklung investieren . In den Quartieren,
Kiezen und Nachbarschaften entscheidet sich, ob Teilha-
be und Chancengerechtigkeit möglich sind und ob Inte-
gration gelingt .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Klaus-Peter Schulze [CDU/CSU])


Ich werde gleich im Anschluss auf einer Konferenz
mit Bürgermeistern und Oberbürgermeistern – natürlich
auch mit Bürgermeisterinnen und Oberbürgermeisterin-
nen –


(Ulli Nissen [SPD]: Sehr gut!)


über genau diese Themen diskutieren . Deshalb bitte ich
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, schon jetzt um Ver-
ständnis dafür, dass ich diese Debatte um 10 .25 Uhr ver-
lassen muss; denn sonst schaffe ich das nicht . Das war
vorher nicht absehbar .

Die Kommunen sind, wie wir wissen, der zentrale Ort
des Miteinanders . Dort müssen wir ansetzen . Deshalb
unterstützen wir die Kommunen mit der Städtebauförde-
rung, mit dem Programm „Sanierung kommunaler Ein-
richtungen in den Bereichen Sport, Jugend und Kultur“
und mit dem Programm „Soziale Stadt“ .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Wohnungsbau und die Wohnungsversorgung sind
Felder, auf denen wir in die Zukunft Deutschlands inves-
tieren müssen . Deutschland muss ein Land der Chancen
sein und bleiben – für alle Menschen, die hier leben . Da-
für bitte ich Sie weiter um Ihre Unterstützung .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816100100

Das Wort erhält nun die Kollegin Caren Lay für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Ulli Nissen [SPD])



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816100200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Bezahlbarer Wohnraum ist für Millionen Men-
schen in Deutschland inzwischen zu einer Existenzfrage
geworden. Junge Familien finden in vielen Metropolen
keine bezahlbaren Wohnungen mehr . Rentner und Ar-
beitslose werden aus den Wohnungen und aus den Nach-
barschaften verdrängt, in denen sie zum Teil Jahrzehnte
gelebt haben . Studenten übernachten in manchen Univer-
sitätsstädten zu Semesterbeginn in Turnhallen, und wer
in München oder Hamburg Krankenschwester oder Bus-
fahrer ist, der kann sich in der Innenstadt keine Wohnung
mehr leisten .

Die Miete frisst normalen Leuten die Haushaltskas-
se auf . Investoren verdienen sich hingegen eine goldene
Nase . Wir haben in Deutschland ein Problem mit explo-
dierenden Mieten und Wohnungsnot . Das müssen wir
endlich ändern .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Mieterinnen und Mieter müssen das politische
Versagen der letzten Jahrzehnte ausbaden . Was war denn
da? Der soziale Wohnungsbau wurde komplett geschlif-
fen .


(Yvonne Magwas [CDU/CSU]: In welchen Ländern denn? – Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: In Berlin unter Rot-Rot!)


Von ehemals 4 Millionen Sozialwohnungen sind nicht
einmal mehr 1,5 Millionen übrig – Tendenz sinkend . Seit
der Finanzmarktkrise drängt das Kapital auf den Immo-
bilienmarkt und versucht, sich im Betongold zu vermeh-
ren – Tendenz steigend .

Landes- und bundeseigene Wohnungen wurden zu
Hunderttausenden – davon allein über 350 000 bundes-
eigene Wohnungen – privatisiert . Noch vor ein paar Jah-
ren haben Sie völlig ohne Not 11 000 TLG-Wohnungen
verscherbelt – noch dazu an die Heuschrecken . Das war
wirklich völlig unverständlich .


(Beifall bei der LINKEN)


Deswegen möchte ich hier an dieser Stelle auch klipp
und klar sagen: Nicht die Flüchtlinge sind schuld an der
Wohnungsnot und schon gar nicht an steigenden Mieten,
sondern einzig und allein eine ignorante Politik der letz-
ten Jahrzehnte trägt dafür die Verantwortung .


(Beifall bei der LINKEN)


Natürlich leiden zuallererst die ärmeren Haushalte
unter dieser Entwicklung . In manchen Städten bezahlen
sie 40 bis 50 Prozent ihres Einkommens alleine für das
Wohnen . Das darf doch wirklich nicht sein .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen begrüßen wir als Linke natürlich auch, dass
es ein Bündnis für bezahlbares Wohnen gibt . Im Bericht
werden auch einige gute Vorschläge gemacht . Für mich
stellt sich aber ein bisschen die Frage, ob das am Ende in

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks






(A) (C)



(B) (D)


erster Linie ein Bericht für bezahlbares Bauen oder für
bezahlbares Wohnen ist .


(Sören Bartol [SPD]: Beides!)


Es gibt nämlich keinen Automatismus, wonach bezahl-
bares Bauen automatisch zu bezahlbarem Wohnen führt .
An dieser Stelle müssen wir nachjustieren .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Je mehr gebaut wird, desto bezahlbarer wird es!)


Wir müssen endlich die Interessen der Mieterinnen und
Mieter in den Mittelpunkt unserer Politik stellen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ohne Vermieter kann es gar keine Mieter geben!)


Neben begrüßenswerten Dingen im Bereich des Bau-
ens gibt es aber auch einige Leerstellen, an denen der Be-
richt aus meiner Sicht einfach enttäuschend ist . Ich denke
beispielsweise an die soziale Wohnraumförderung . Das
ist mir einfach zu vage; das ist zu allgemein . Konkretes
Handeln statt Absichtserklärungen: Das entlastet doch
die Mieterinnen und Mieter .


(Ulli Nissen [SPD]: Aber Sie kennen doch den Föderalismus, oder?)


– Ich werde noch etwas zum Föderalismus sagen, Frau
Kollegin .

Wir haben einen Kahlschlag im sozialen Wohnungs-
bau erlebt . Durch die Föderalismusreform ist die Verant-
wortung für den sozialen Wohnungsbau an die Länder
gegangen . Sie werden dafür im Jahr mit ziemlich lächer-
lichen 518 Millionen Euro abgespeist .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Das ist eine halbe Milliarde! „Abgespeist“ wurden sie überhaupt nicht!)


In einigen Ländern wurde dieses Geld noch nicht einmal
für den sozialen Wohnungsbau ausgegeben . Das kritisie-
ren wir auch . Bund und Länder haben sich hier nicht mit
Ruhm bekleckert .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Trotzdem sage ich an dieser Stelle: Es war ein großer
Fehler, die Verantwortung für die soziale Wohnraumför-
derung an die Länder zu geben .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: In Berlin unter Rot-Rot zum Beispiel! – Ulli Nissen [SPD]: Das bestreiten wir nicht!)


Der soziale Wohnungsbau gehört zurück in die Verant-
wortung des Bundes und muss endlich wieder Chefsache
werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Trauen Sie den Ländern nichts zu?)


Wo ist denn der versprochene Neustart im sozialen
Wohnungsbau? Diese 500 Millionen Euro mehr an die

Länder finden wir natürlich gut, aber es fehlen 4 Milli-
onen Sozialwohnungen in Deutschland . Hier sind die
Flüchtlinge übrigens noch gar nicht eingerechnet .

Was wird demgegenüber eigentlich neu gebaut? Im
vorletzten Jahr wurden gerade einmal 12 500 Sozialwoh-
nungen neu gebaut, 2013 waren es gerade einmal 9 000
Sozialwohnungen . Wenn wir in diesem Tempo weiterma-
chen, dann brauchen wir sage und schreibe 320 Jahre, bis
wir den Bedarf an Sozialwohnungen gedeckt haben . Hier
müssen wir doch endlich etwas mehr Tempo machen .


(Beifall bei der LINKEN)


Frau Hendricks fordert nun 1 Milliarde Euro mehr für
den sozialen Wohnungsbau. Das finden wir gut. Heute
Morgen lief im Ticker, dass die SPD inzwischen 3 bis
5 Milliarden Euro fordert . Nachdem wir vor ein paar Wo-
chen 5 Milliarden Euro für den sozialen und gemeinnüt-
zigen Wohnungsbau gefordert haben, kann ich hier nur
sagen: Die Linke wirkt .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Frage ist doch nur, ob Sie, liebe Frau Hendricks,
dafür grünes Licht vom Finanzminister bekommen . Da-
nach sieht es ja im Moment nicht aus . Es sieht für mich
auch nicht so aus, als würden Sie dafür eine Mehrheit
hier im Plenum bekommen . Bei Ihrer Forderung hat bei
der Union eine einzige Person geklatscht .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Wer war das?)


Wir brauchen einen Neustart im sozialen und gemein-
nützigen Wohnungsbau; aber dafür müssen wir vor allen
Dingen Mehrheiten in der Bundesregierung und in der
Großen Koalition finden. Das ist doch das Problem. Wir
sagen: 250 000 Sozialwohnungen – ich betone: sowohl
für die deutsche Bevölkerung als auch für Migranten und
Geflüchtete – müssen neu entstehen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ein Neustart heißt eben auch, kreativer zu sein, weniger
Gettobildung zu haben und eine dauerhafte Belegungs-
bindung zu erreichen . Da kann man einmal nach Wien
fahren und sich anschauen, wie so etwas wirkungsvoll
funktioniert .

Das Problem ist aber doch, dass die Bundesregie-
rung – vor allen Dingen Herr Schäuble – bisher lieber
auf Steuerabschreibungen setzt, und das ohne Mietober-
grenzen .


(Zuruf der Abg . Marie-Luise Dött [CDU/ CSU])


Darüber werden wir morgen ja noch ausführlich spre-
chen . Wir sagen: So wie die Dinge jetzt liegen, ist das ein
Subventionsprogramm für die Bauindustrie . Das brau-
chen wir gerade nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich stimme ja mit vielem von dem überein, was Sie
sagen, Frau Hendricks . Aber wie gesagt, mit den Mehr-
heiten im Kabinett scheint es doch zu hapern . Deswegen
sage ich: Für eine echte Wohnungsoffensive brauchen
wir offenbar zuallererst ein Bündnis innerhalb der Bun-

Caren Lay






(A) (C)



(B) (D)


desregierung . Die SPD hat viel gefordert, die CDU fast
alles ausgesessen . Im Ergebnis ist wenig Effektives pas-
siert . Hier müssen wir endlich ran!


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte Ihnen zwei Beispiele nennen, die belegen,
dass die CDU alles darangesetzt hat, jede ernstzuneh-
mende Initiative für bezahlbares Wohnen zu verhindern .
Manchmal habe ich wirklich den Verdacht, dass es Ihnen
gar nicht um bezahlbares Wohnen geht . Ihnen geht es um
die Rendite der Vermieter . Und genau das ist das Pro-
blem .


(Beifall bei der LINKEN)


Das erste Beispiel ist die Mietpreisbremse . Auf den
ersten Seiten des Berichtes wird sie ja vollmundig ge-
lobt . Leider ist es so, dass die CDU im entsprechenden
Verfahren so viele Bedingungen und so viele Ausnahmen
durchgesetzt hat, dass sie am Ende ein Rohrkrepierer
geworden ist . Es gibt doch schon die ersten Zwischen-
berichte aus den Ländern . Zum Beispiel wird in Berlin
gesagt, dass das ein zahnloser Tiger sei . Trotz der Miet-
preisbremse würden die Mieten um 6 bis 7 Prozent stei-
gen . – Deswegen sagen wir ganz klar: Mit einem derart
ausgehöhlten Gesetz geht es nicht . Hier muss nachge-
steuert werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich nenne das zweite Beispiel, das zeigt, wo die CDU
ein Bündnis für wirklich bezahlbares Wohnen verhindert .
Das ist die ausstehende und möglicherweise ausbleiben-
de zweite Mietrechtsnovelle . Im Bericht steht viel Un-
strittiges . Zum Beispiel ist es völlig richtig, dass beim
Neubau nicht mehr so streng auf die Anzahl der Park-
plätze geschaut werden muss, wenn weniger Menschen
auf ein Auto setzen . Schön und gut! Viel entscheidender
aber ist doch, ob Mieterinnen und Mieter vor Preisexplo-
sionen – und zwar per Gesetz – geschützt werden . Und
hierzu steht in diesem Bericht leider gar nichts .

Wir haben hier vor ein paar Wochen gefordert, bei-
spielsweise den Mietspiegel breiter aufzustellen oder
auch die Modernisierungsumlage so zu ändern, dass
die Mieterinnen und Mieter damit nicht aus ihren Woh-
nungen vertrieben werden können . Was aber ist aus der
vollmundig angekündigten zweiten Mietrechtsnovel-
le der Bundesregierung geworden? Die CDU sitzt sie
nach massivem Druck aus der Vermieterlobby aus . Wir
können hier noch so viel über die Vereinfachung von
DIN-Normen sprechen: So wird es nichts mit bezahlba-
rem Wohnen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ein letzter Punkt zu dem, was leider nicht im Bericht
steht . Die CDU setzt ja insbesondere auf das Mantra
„Bauen, Bauen, Bauen“ . Aber eine der zentralen Fragen
ist doch: Wer baut für wen? Gebaut wird dort, wo der
meiste Profit entsteht. Und den bringen eben nicht Rent-
ner, Studenten, Erwerbslose oder Geringverdiener . Im
Moment wird für Leute mit viel Geld gebaut . Deswegen
fordern wir als Linke beispielsweise die Einführung ei-

ner neuen Gemeinnützigkeit . Gemeinnütziger und nicht
profitorientierter Wohnungsbau – das ist das Gebot der
Stunde .


(Beifall bei der LINKEN)


Das Ende der Fahnenstange ist übrigens noch nicht
erreicht . Finanzberater empfehlen ja nach wie vor unver-
blümt: Investieren Sie in Rohstoffe in Madagaskar oder
in Mietwohnungen in Berlin . Deswegen sagen wir als
Linke: Wir brauchen nicht nur eine effektive Mietpreis-
bremse, sondern vor allen Dingen auch eine Spekulati-
onsbremse .


(Beifall bei der LINKEN)


Ein massiver Neustart im sozialen Wohnungsbau, mehr
öffentliches Eigentum und mehr Gemeinnützigkeit – das
wäre die beste Spekulationsbremse .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, wir müssen endlich um-
steuern . Wir als Linke haben vor fünf Jahren als Erste
eine Offensive für eine neue Mietenpolitik gefordert .
Ihnen liegt heute ein umfangreicher Antrag zur Abstim-
mung vor . Ich hoffe wirklich auf Ihre Zustimmung . Wir
sollten heute tatsächlich sinnvolle Dinge beschließen .
Dafür haben wir Vorschläge gemacht . Dem Reden über
bezahlbares Wohnen müssen endlich konkrete Taten fol-
gen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816100300

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege

Georg Nüßlein das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1816100400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Lay,

in Ihrer Rede war eines richtig: Wir haben in den letzten
Jahren zu wenig gebaut . Wir haben zu wenig Wohnraum
für unsere Bürgerinnen und Bürger . Daran müssen wir
etwas ändern . – Leider war das das Einzige, was an Ihrer
Rede richtig war . Aber immerhin hat an dieser Stelle die
Analyse gestimmt .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Caren Lay [DIE LINKE]: Wie gönnerhaft!)


Ich räume freimütig ein, dass nach dem Jahr 2000
auch wir einem Trugschluss aufgesessen sind und ge-
sagt haben: Angesichts der demografischen Entwicklung
in Deutschland gibt es genügend Wohnraum . Man muss
nicht mehr bauen, und man muss auch den Bau von Woh-
nungen nicht mehr fördern . Deshalb haben wir in der
Regierungszeit der letzten Großen Koalition die Eigen-
heimzulage abgeschafft, was ich immer noch für einen
großen Fehler halte .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Caren Lay






(A) (C)



(B) (D)


Das war damals die falsche Entscheidung, meine Damen
und Herren . Deshalb sind wir jetzt dabei, an dieser Stelle
das eine oder andere zu korrigieren .

Ich möchte aber vorwegschicken – das zu erwähnen,
ist mir ein persönliches Anliegen –, dass es nicht auf-
grund des Flüchtlingszustroms schwerpunktmäßig da-
rum geht, Wohnungen zu bauen . Natürlich verschärft der
Zustrom von Flüchtlingen das Problem der Wohnungs-
not . Wir sind gehalten, die Menschen, die zu uns kom-
men, anständig unterzubringen . Aber jenseits dessen gibt
es in Deutschland seit Jahren die Problematik, dass wir
zu wenig bezahlbaren Wohnraum haben . Wir sind in die-
ser Koalition auf einem guten Weg, das zu ändern .

Frau Lay, um den Linken anzugehören, muss man
wahrscheinlich wirklich jeden ökonomischen Zusam-
menhang verdrängen . Aber dass es einen inneren Zu-
sammenhang zwischen bezahlbarem Bauen auf der einen
Seite und der Möglichkeit, diese günstig gebauten Woh-
nungen günstig zu vermieten, auf der anderen Seite gibt,
können Sie doch nicht leugnen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist aber kein Automatismus! – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Also, ehrlich gesagt, haben Sie Marktwirtschaft nicht verstanden! – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist von der CSU! Er weiß nicht, was Marktwirtschaft ist!)


Natürlich gibt es diesen Zusammenhang . Natürlich brau-
chen wir, um diese Problematik jetzt anzugehen, Inves-
toren, gerade auch private Investoren, meine Damen und
Herren . Der Staat allein wird dieses Problem jedenfalls
nicht lösen können .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich wehre mich gegen Ihren Vorwurf, wir hätten all
die Maßnahmen, die wir machen, sozial nicht ordentlich
flankiert. Das ist falsch. Wir haben beispielsweise das
Wohngeld deutlich erhöht . Das war eine ganz wichtige
wohnungs- und sozialpolitische Maßnahme . Ich hätte
mir gewünscht, dass Sie das in Ihrer Rede ein bisschen
würdigen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das hätte ich mir auch gewünscht!)


Was den sozialen Wohnungsbau betrifft, wäre es mir
lieber gewesen, Sie hätten die Schuldigen klar benannt .
Der Bund hat die Länder jahrelang finanziert und das
Geld für Wohnungsbau brav überwiesen, aber die Länder
haben damit ihre Haushalte ausgeglichen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jedenfalls keine Wohnungen gebaut! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Insbesondere die linksregierten Länder!)


Das ärgert mich; das sage ich Ihnen ganz offen . Ich sage
auch: Wir haben diese Mittel auf über 1 Milliarde Euro
jährlich verdoppelt . Jetzt muss man abwarten, was pas-
siert, ob und wie die Länder mit dem Geld etwas machen .

Man kann nicht einfach noch mehr Geld für die Länder
fordern,


(Beifall bei der CDU/CSU)


sondern man muss sich anschauen, ob die Länder jetzt
endlich willens und in der Lage sind – manchmal schei-
tert es auch an der Organisation –, sozialen Wohnraum
tatsächlich zu schaffen .

Zum Thema Mietpreisbremse . Ich gebe offen zu, dass
mir dieses Instrument, das nicht ganz so marktnah ist,
wie man sich das vorstellt, nicht in jedem Punkt gefällt .


(Ulli Nissen [SPD]: Das wundert mich nicht!)


– Ich weiß, dass Sie das nicht wundert .


(Sören Bartol [SPD]: Das wird aber in Bayern total viel angewandt!)


– Der Kollege hat den Hinweis auf Bayern gebracht . –
Trotzdem gibt es bei uns Ballungsräume, wo dieses In-
strument eine Rolle spielt, auch eine gute Rolle, wie ich
meine .


(Ulli Nissen [SPD]: Eine wichtige Rolle!)


Aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir jeden-
falls zurzeit keinen weiteren Umsetzungsbedarf im Sinne
weiterer Auflagen für Vermieter haben. Das ist eine Maß-
nahme, die wir erst einmal insbesondere mit Blick auf die
Auswirkungen auf das Angebot prüfen müssten, um dann
darüber zu diskutieren, wie man eine solche Mietpreis-
bremse sinnvollerweise weiterentwickelt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Kollegin Lay hat die Ausnahmen angesprochen,
die wir – im Übrigen nicht nur die CDU; die CSU war an
den Ausnahmen auch beteiligt; Sie sollten die Schuldi-
gen dann auch vollständig nennen – durchgesetzt haben .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Da sind Sie auch noch stolz drauf! – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja super! Wir hätten gedacht, die CSU gibt es gar nicht mehr! Ich finde, das muss man jedes Mal sagen, dass die CSU auch dabei ist!)


Ich glaube, dass es richtig war, beispielsweise in den
Bereichen Neubau und Totalsanierung die Ausnahmen
durchzusetzen, um einen Investitionsattentismus zu ver-
meiden . Das war ganz wichtig . Denn wir wollen beides –
die Mietpreisbremse auf der einen Seite und Investitionen
auf der anderen Seite –, und nur über diese Ausnahmen
kommt man zu dem Ergebnis, dass man beides parallel
ermöglichen kann .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Da können wir sogar zustimmen!)


Wir reden zurzeit über steuerliche Sonderabschreibun-
gen . Frau Umweltministerin Hendricks hat es deutlich
gesagt: Es geht dabei nicht um Luxusimmobilien . Ich
bitte dringend, die Diskussion in dem Zusammenhang zu
unterlassen . Denn diese Debatte kann nicht mehr sein als
reine Symbolpolitik . Selbst wenn man Luxusimmobilien
fördern würde, so – das muss uns doch allen klar sein –

Dr. Georg Nüßlein






(A) (C)



(B) (D)


macht doch jeder, der in eine neue Immobilie zieht, eine
alte frei .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eben der Punkt! Bei den Luxusimmobilien nicht mehr! Weil die Leute sich drei, vier Wohnungen kaufen und in der einzelnen Wohnung jeweils bloß ein paar Monate wohnen! Sie sind überhaupt nicht auf dem sachlichen Stand!)


Mehr Immobilien, egal in welcher Kategorie, führen letz-
ten Endes dazu, dass Wohnungen frei werden, auch für
diejenigen, die bezahlbaren Wohnraum suchen .

Wir fördern aber gar nicht Luxusimmobilien . Viel-
mehr haben wir mittlerweile Kappungsgrenzen, die an
die Baukostenrealität angenähert sind . Darum geht es
nämlich . Die Annäherung an die Baukostenrealität ist
momentan gar nicht so einfach . Im ländlichen Raum lie-
gen die Baukosten, also die reinen Herstellungskosten,
bei 2 300 Euro, im städtischen Raum liegen sie bei 2 600
bis 2 700 Euro . Wenn man eine Miete von 7 Euro an-
setzt, dann kommt man bei 2 300 Euro Baukosten auf
eine Rendite von kaum 3 Prozent .


(Ulli Nissen [SPD]: Da freut sich heute jeder Kunde bei der Bank über 3 Prozent Rendite!)


– Schreien Sie doch nicht so laut! – Davon sind die Be-
wirtschaftungskosten und anderes noch gar nicht abge-
zogen. Bei dieser Renditekategorie Investoren zu finden,
ist gar nicht so einfach . Das ist nur deshalb möglich, weil
das Zinsniveau historisch niedrig ist .

Was mich bei der steuerlichen Sonderabschreibung
ein bisschen umtreibt, ist, dass wir die Gebietskulisse
nicht zu eng formulieren dürfen und aufpassen müssen,
dass wir nicht dort, wo der Wohnungsmarkt schon heiß
ist, für Überhitzung sorgen . Das wird zu Verschiebungen
weg von den Mittelstädten führen, die in dem Bereich
auch ihre Probleme haben . Schließlich gibt es nicht nur
beispielsweise in München, sondern auch in den mittle-
ren und kleineren Städten mittlerweile keinen bezahlba-
ren Wohnraum im erforderlichen Ausmaß mehr .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir die Gebietskulisse zu eng formulieren, dann
werden wir das Gegenteil erreichen . Dann wird es dort,
wo es schon brennt, noch heißer, und woanders wird
nicht mehr investiert . Deshalb muss man aus meiner
Sicht noch einmal vertieft darüber nachdenken, wie man
das Ganze so regeln kann, dass es passt .

Ich räume freimütig ein, dass wir uns seitens der
Unionsbaupolitiker gewünscht hätten, zu einer undiffe-
renzierten Erhöhung des Abschreibungssatzes auf 3 Pro-
zent zu kommen, weil wir sehen, dass der derzeitige Ab-
schreibungssatz von 2 Prozent nichts mit der Abnutzung
im Wohnungsbereich zu tun hat . Ein Haus von heute hat
einen hohen Technikanteil . Das heißt, die Abnutzung ist
eine andere als noch vor 30, 40 oder 50 Jahren . Das müss-
ten wir aus meiner Sicht auch mit Blick auf die Steuer-
gerechtigkeit sinnvoll abbilden . Ich glaube, dass das im
Sinne einer gleichmäßigen Verteilung von Wohnungen
tatsächlich der sinnvollere Weg gewesen wäre . Den Rest

hätte letzten Endes der Markt geregelt, weil natürlich je-
der Investor dort baut, wo eine Immobilie am schnellsten
vermietbar ist .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wo das bisher nicht geschieht und wir an anderen
Stellen gebaut haben, war das immer damit verbunden,
dass wir durch steuerliche Anreize die Leute dorthin ge-
lockt haben . Ansonsten handeln die Menschen sehr ratio-
nal und schauen genau, wo Wohnungen vermietbar sind .
Fehlanreize zu setzen, das darf und soll uns an dieser
Stelle nicht passieren .

Ich will unterstreichen, dass der Union das Thema
selbstgenutztes Wohneigentum ein besonderes Anliegen
ist . Ein Eigenheim ist gut für die Rente .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eigenheime sorgen des Weiteren für freie Mietwohnun-
gen .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Irrglaube!)


Ich sage Ihnen aber auch aus eigener Erfahrung: Ein Ei-
genheim eröffnet eine integrationspolitische Chance . Ich
bitte, darüber nachzudenken . All diejenigen Migranten,
die in meinem Wohnumfeld Wohneigentum kaufen – es
gibt genügend, die Immobilien kaufen –, sind anders in-
tegriert und lassen sich auf Dauer auch anders integrieren
als andere . Darüber sollten wir nachdenken .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben die Wohnungsbauprämie zuletzt 1996 an-
gepasst . Sie hat mittlerweile mit den Einkommensreali-
täten und den Kosten nichts mehr zu tun . Deshalb glaube
ich, dass das ein wichtiges Handlungsfeld ist .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Gerade in der Niedrigzinsphase!)


Abschließend: Klimaschutz ist ein zentrales, ein wich-
tiges Thema . Es darf aber nicht zum Investitionshinder-
nis werden . Es bringt dem Klima gar nichts, wenn nicht
investiert wird . Das gilt genauso für die Industrie und
insbesondere für die Bauunternehmen . Wir müssen da-
für sorgen, dass wieder mehr investiert wird . Wir werden
daher noch einmal über die Standards im Zusammenhang
mit EnEV und EEWärmeG debattieren müssen . Ich fand
die Einlassung der Ministerin sehr gut, dass das zusam-
mengeführt werden soll .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich halte es für ganz entscheidend, dass wir bei dieser
Gelegenheit noch einmal darüber nachdenken, wie es um
die Relation bestellt ist, welche Standards wir obendrauf
packen wollen und ob die zusätzlichen Kosten in einem
angemessenen Verhältnis zur positiven Wirkung für den
Klimaschutz stehen . Vielfach ist das nicht mehr der Fall .
Eine solche Grenzbetrachtung ist wichtig . Diese haben
wir jahrelang nicht so ausgiebig vorgenommen . Nun sind
wir an einem Punkt angelangt, wo wir das tun müssen .
Daher fordere ich alle Umweltpolitiker auf, das gemein-
sam mit Blick sowohl auf die Ökologie als auch auf die

Dr. Georg Nüßlein






(A) (C)



(B) (D)


Ökonomie zu machen . Dann kommen wir gemeinsam
beim Klimaschutz und beim Bauen weiter .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816100500

Christian Kühn ist der nächste Redner für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen .

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Danke, Herr Präsident . – Sehr geehrte Besucherinnen
und Besucher auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Heute beraten wir zur Kernzeit der parlamen-
tarischen Debatte, sozusagen zur Primetime des Deut-
schen Bundestags, über die Frage, wie wir wieder mehr
bezahlbaren Wohnraum in Deutschland schaffen können .
Wir beraten über eine der Kernfragen der sozialen Ge-
rechtigkeit . Wir beraten darüber, wie wir in Zukunft in
unseren Städten leben wollen, ob wir es hinnehmen, dass
die Reichen in der Stadt und die Armen am Stadtrand le-
ben, ob wir es hinnehmen, dass unsere Wohnungsmärkte
weiterhin in Schieflage sind und die Mietpreise explo-
dieren, und ob wir es hinnehmen, dass eine Kranken-
schwester oder eine alleinerziehende Polizistin in einer
Stadt keine Wohnung mehr findet. Angesichts dieser Pro-
blemlagen, die wir beschreiben und die auch in Ihrem
Bericht aufgeführt sind, kann ich es nicht verstehen, dass
wir heute zur Kernzeit über einen Bericht sprechen und
nicht über ein Gesetzespaket zur Wohnungsbau-Offensi-
ve in Deutschland .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Leider ist es wie so oft bei dieser Großen Koalition:
Sie kündigen an, aber Sie liefern nicht .


(Ulli Nissen [SPD]: Das wirst du noch erleben!)


Papier scheint in dieser Großen Koalition geduldiger zu
sein als in anderen Koalitionen . Alle Ihre Berichte und
Aktionspläne sind bislang in der Schublade verschwun-
den . Ich frage Sie: Wann fangen Sie endlich an, umzuset-
zen? Wann fangen Sie endlich mit der Gesetzgebung an?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Diese Legislaturperiode ist faktisch in einem Jahr vorbei .


(Ulli Nissen [SPD]: Mietpreisbremse, Wohngelderhöhung, war das nichts?)


Das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen hat ein
Jahr gebraucht, um lauter „alte Bekannte“ zu präsentie-
ren, über die wir seit Jahren in der wohnungspolitischen
Debatte beraten . Ich kann hier keinen neuen Vorschlag
erkennen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Vieles von dem, was Sie heute präsentieren, hätten
wir in den letzten zweieinhalb Jahren schon längst auf
den Weg bringen können . Die Einführung eines Klima-
wohngeldes wurde von uns beantragt . Das wurde aber
von Ihnen nicht umgesetzt . Mieterstrommodelle blo-
ckiert Sigmar Gabriel im Wirtschaftsministerium . Auch
hier sind wir uns einig: Solche Modelle hätten wir Grüne
mitgetragen . Wir hätten auch bei einer BauGB-Novel-
le mitgemacht . Wir haben schon dreimal versucht, das
BauGB zu ändern . Aber Sie waren nicht in der Lage, die
Weichen Richtung Zukunft zu stellen . Bei der Stärkung
von Genossenschaften hätte nicht nur die Linksfraktion,
sondern auch wir Grünen mitgemacht . Ich sehe nicht,
dass Sie bereits im Gesetzgebungsmodus sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Der große Wurf in Sachen bezahlbares Wohnen ist die-
ses Bündnis nicht . Für die Mieterinnen und Mieter wird
sich erst einmal nichts ändern . Für die ist das, was heute
geschieht, zunächst einmal Symbolpolitik . Da müssen
Sie nacharbeiten .

Zu den Fakten im sozialen Wohnungsbau: Wir verlie-
ren jedes Jahr 60 000 Sozialwohnungen . Darin sind die
etwa 15 000 Sozialwohnungen, die wir jedes Jahr errich-
ten, schon eingerechnet . Ich kann nicht erkennen, dass
Sie in der Union sich für das Thema sozialer Wohnungs-
bau wirklich interessieren, außer dass Sie ständig den
Schwarzen Peter den Ländern zuschieben wollen .

Die Länder haben der Großen Koalition bei den Asyl-
paketen 500 Millionen Euro für den sozialen Wohnungs-
bau abgerungen . Aber sachgerecht wären 2 Milliarden
Euro, wie die Kommunen und die Städte es fordern und
wie wir es in die Haushaltsberatungen eingebracht ha-
ben . Ich bin mir sicher, dass Sie diese Grünenforderung
in den nächsten Haushalt hineinschreiben müssen, weil
der Druck auf den Wohnungsmärkten nämlich immens
ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Streit zwischen Schäuble und Hendricks über die-
se Finanzierung führt nicht zum Bau von Sozialwohnun-
gen; das muss man hier ganz klar sagen . Hier muss die
Union endlich erkennen, dass wir ein wirkliches Problem
beim sozialen Wohnen in Deutschland haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Eine Bemerkung zu Sigmar Gabriels Einlassung, dass
wir ein neues Solidaritätsprojekt für unsere eigene Be-
völkerung bräuchten: Als Wohnungspolitiker halte ich
das für ein wirklich verheerendes Signal . Wir brauchen
vielmehr einen Wohnungsbau für alle Menschen, egal
wann sie zu uns gekommen sind, egal woher sie kommen
und wie lange sie hier bei uns leben; denn Integration
kann nur gelingen, wenn wir zusammenführen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ich habe das Thema Streit angesprochen . Das zeichnet
Ihre Wohnungsbau- und Mietenpolitik aus . Wo ist denn

Dr. Georg Nüßlein






(A) (C)



(B) (D)


die zweite Mietrechtsnovelle? Einen Gesetzentwurf gibt
es seit dem letzten Herbst . Ich sehe ihn aber nicht im
parlamentarischen Verfahren . Sie streiten sich auf dem
Rücken der Mieterinnen und Mieter hier im Land, Sie
stellen letztlich alles, was Sie diesbezüglich versprochen
haben, infrage, und ich sehe nicht, dass Sie das Thema
der Modernisierungsumlage, das gerade die Menschen in
Berlin massiv bewegt, in Angriff nehmen . Es bleibt dabei,
dass das Verdrängen durch Modernisierung in Deutsch-
land ein lukratives Geschäft für Immobilienspekulanten
ist und Sie nicht die Kraft haben, das zu beenden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg . Carsten Träger [SPD])


Ja, wir brauchen Neubau, wir brauchen private Inves-
titionen, und, ja, wir brauchen eine steuerliche Förderung
des Wohnungsbaus . Aber brauchen wir wirklich eine
steuerliche Sonderabschreibung ohne Sozialbindung und
ohne Mietobergrenzen? Ich glaube, ehrlich gesagt, ange-
sichts der Niedrigzinsphase brauchen wir das nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie wollen momentan den Bau von Wohnungen bis
zu einem Preis von 3 000 Euro pro Quadratmeter ohne
Grundstückskosten fördern . Ich sage Ihnen allen Erns-
tes: Damit werden Sie Mieten in Höhe von 6,50 Euro
pro Quadratmeter nicht erreichen, ganz sicher nicht . Ich
glaube, hier verwechseln einige in der Großen Koalition
Baukosten mit Mietpreisen . Ich sage Ihnen: So – ohne
Mietobergrenze – wird Ihre Sonder-AfA nichts anderes
als ein Steuersparmodell für Millionäre; sie wird keinen
zusätzlichen sozialen Wohnraum schaffen . Ich hoffe,
dass die SPD die Kraft hat, im parlamentarischen Verfah-
ren die Mietobergrenzen noch zum Thema zu machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Zum Thema auf jeden Fall!)


Unser Gegenvorschlag zu diesem Steuersparmodell
für Millionäre ist eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit .
Das ist ein altes Prinzip der sozialen Marktwirtschaft:
Steuererleichterung im Tausch gegen sozialen Wohn-
raum .


(Beifall der Abg . Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Öffentliches Geld für öffentliche Güter . Wir werden ei-
nen Vorschlag machen, wie wir günstigen Wohnraum in
Deutschland organisieren können, und zwar schnell und
langfristig, und wie wir dafür sorgen, dass Menschen
nicht mehr trotz Arbeit auf das Amt gehen müssen, um
Mietzuschüsse zu beantragen und damit die Möglichkeit
zu erhalten, überhaupt eine Wohnung zu mieten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit war
ein Riesenfehler . 2 Millionen Sozialwohnungen sind in
Deutschland seitdem verloren gegangen . Wir müssen
diesen Fehler endlich rückgängig machen, damit wir die

Abwärtsspirale beim sozialen Wohnungsbau effektiv
stoppen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum Schluss: Die Zeit der Arbeitsgruppen und Kaf-
feekränzchen im Bauministerium muss jetzt endgültig
vorbei sein .


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)


Hören Sie auf, sich zu streiten und nur zu verwalten!
Fangen Sie endlich an, zu gestalten! Gehen Sie vom An-
kündigungs- und Berichtsmodus endlich in den Gesetz-
gebungsmodus! Wir haben nicht mehr viel Zeit in dieser
Legislaturperiode, um all das, was Sie in Ihre Berichte
schreiben, endlich umzusetzen .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816100600

Sören Bartol ist der nächste Redner für die SPD-Frak-

tion .


(Beifall bei der SPD)



Sören Bartol (SPD):
Rede ID: ID1816100700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-

leginnen und Kollegen! Ich glaube, diese Debatte, lieber
Herr Kühn, macht deutlich: Wir sind uns im Bundes-
tag eigentlich darüber einig, dass wir seit Jahren mehr
Wohnungen für alle brauchen . Da hilft es auch nichts,
wenn man alles, was bis jetzt passiert ist, immer wieder
schlechtredet .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Berechnungen der zukünftigen Bedarfe – die Mi-
nisterin hat es gesagt – zeigen das eindrucksvoll und, ich
finde, die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger auch.

Wenn im jüngsten DeutschlandTrend von Infratest di-
map als eine der größten Sorgen im Zusammenhang mit
der Flüchtlingszuwanderung die vor einer größeren Kon-
kurrenz auf dem Wohnungsmarkt genannt wird – zum
Vergleich, die steigende Konkurrenz auf dem Arbeits-
markt fürchten nur 27 Prozent –, dann wird doch klar,
dass wir mit der Priorität unserer konsequenten Mieten-
und Wohnungspolitik auf dem richtigen Weg sind und
dass noch viel mehr passieren muss .


(Beifall bei der SPD)


Lieber Herr Kühn, zur Erinnerung: Mit der Einfüh-
rung der Mietpreisbremse, mit der Einführung des Be-
stellerprinzips, mit der Wohngeldnovelle haben wir
schon Instrumente etabliert, die Missstände ausräumen
sollen, die es gab und gibt . So ist jetzt auch das zweite
Mietrechtspaket angelegt, an dem die Bundesregierung
im Moment arbeitet und das wir dann als Parlamentarier
wie immer sehr intensiv begleiten werden .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Mal gucken, wann die Arbeitsergebnisse kommen!)


Christian Kühn (Tübingen)







(A) (C)



(B) (D)


All das soll wieder mehr Ordnung in einen Markt brin-
gen, der auch aus unserer Sicht aus dem Lot geraten ist,
weil Menschen darum fürchten müssen, ihr Zuhause zu
verlieren, weil steigende Mieten dazu führen, dass einige
Gegenden eben nicht mehr von Menschen mit niedrigem
oder mittlerem Einkommen oder von Familien bewohnt
werden können .

Mit diesen Maßnahmen verbessern wir insbesondere
den Zugang zu bereits bestehenden Wohnungen . Ange-
sichts des großen Bedarfs an Wohnungen kann das aber
nicht die einzige Zielrichtung unserer Aktivitäten sein .
Wir müssen viel weiter in die Zukunft schauen . Auch des-
halb ist das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen
so wichtig . Denn Bauen ist doch immer ein Blick in die
Zukunft . Bauen ist eben mehr als nur Beton . Bauen be-
deutet das Gestalten unserer Städte und unseres Zusam-
menlebens, und zwar auf sehr lange Sicht . Dazu gehört,
dass wir mit der Verdoppelung der Mittel für die Länder
die Schaffung von mehr bezahlbarem Wohnraum erleich-
tern . Dazu gehört aber auch, dass wir mit der steuerli-
chen Förderung von mehr Mietwohnungsneubau private
Investoren dazu bringen wollen, noch mehr zu bauen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wesentlich finde ich auch, dass wir über die Begrenzung
der förderfähigen Baukosten sicherstellen, dass am Ende
keine Luxusbauten gefördert werden .

Die im letzten Haushalt geschaffene Ermächtigung
nicht nur für Konversion, sondern auch dazu, andere ent-
behrliche Liegenschaften für den sozialen Wohnungsbau
verbilligt abzugeben, zielt ebenfalls in diese Richtung .
Diese Schwerpunkte sind in dreierlei Hinsicht zukunfts-
weisend: Auch private Investoren schaffen vermehrt be-
zahlbare Wohnungen . Aber auch die Wohnungswirtschaft
muss sich noch mehr Gedanken darüber machen, wie sie
gute und bezahlbare Wohnungen baut . Und: Die soziale
Mischung in den Vierteln und Quartieren bleibt am Ende
ausgewogen . Diese Ziele wollen wir unterstützen und
umsetzen, und zwar auch über – ich habe es schon ge-
sagt – die steuerliche Förderung von Mietwohnungsneu-
bau in angespannten Wohnungsmärkten; darüber werden
wir morgen noch einmal ordentlich debattieren können .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genossenschaften bringt das gar nichts!)


– Das werden wir auch noch berücksichtigen, keine
Angst. Auch Genossenschaften profitieren. Lesen Sie
einmal den Koalitionsvertrag; darin steht das alles . Auch
über diesen Bereich müssen wir uns mehr Gedanken ma-
chen .


(Beifall bei der SPD)


Es geht aber auch um andere Punkte, zum Beispiel um
die Modellvorhaben zum Bau von Variowohnungen – die
Ministerin hat es angesprochen –: Auch dort fördert die
Ministerin, fördern wir bereits innovative, flexibel nutz-
bare und auch bezahlbare Wohnraumkonzepte. Ich finde,
von diesen guten Ideen brauchen wir einfach noch mehr .

Was die Mischung in den Quartieren angeht, ist die
Festlegung des Anteils von zu schaffenden Sozialwoh-
nungen ein Weg . Aber auch mit der Baugebietskategorie
„Urbanes Gebiet“ wird darüber hinaus eine Nachver-
dichtung möglich, und damit wird auch die Schaffung
von mehr Wohnungen ermöglicht . Gleichzeitig schaffen
wir es – das ist der positive Nebeneffekt –, Wohnen und
Arbeiten besser miteinander zu verzahnen .


(Beifall bei der SPD – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das finden wir gut!)


– Sehr gut, Herr Kühn .

Anhand der Maßnahmen, die das Bündnis empfiehlt
und die zum Teil schon auf den Weg gebracht wurden,
wird allerdings auch deutlich, dass wir alle hier uns ge-
meinsam die Verantwortung teilen: Das sind die Bun-
desministerien . Das ist also nicht nur das von Barbara
Hendricks geführte Ministerium, sondern natürlich auch
das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucher-
schutz, aber auch das Bundesministerium der Finanzen .
Das sind natürlich die Länder mit ihrer Verantwortung
für den sozialen Wohnungsbau, aber auch für die Landes-
bauordnungen, in denen, wie wir finden, auch noch das
eine oder andere Potenzial steckt, um zum Beispiel Bau-
kosten zu senken . Das sind natürlich auch – wir dürfen es
nicht vergessen – die Kommunen, die mit einer vernünf-
tigen eigenen Wohnungsbaupolitik helfen können, dafür
zu sorgen, dass bezahlbarer Wohnraum entsteht .

Ich will aber auch erwähnen, dass die Bündnispartner
für uns sehr wichtig sind . Das sind die Wohnungswirt-
schaft, die Immobilienwirtschaft, die Mieterverbände,
natürlich auch die Bauwirtschaft, das Handwerk und,
nicht zu vergessen, auch die Gewerkschaften . All diese
Spieler machen keine Kaffeekränzchen und essen auch
keinen Kuchen . Sie dürften sogar Kuchen essen, wenn
denn am Ende etwas Vernünftiges dabei herauskäme .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das, was dabei herausgekommen ist, sieht man in dem
Bericht, den die Ministerin vorgelegt hat .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wenig!)


Ich finde, man wird diesem Bündnis nicht gerecht, wenn
man es als Kaffeekränzchen abqualifiziert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen von uns, auch von mir an dieser Stelle ein-
mal ein Dank an die Bündnispartner, auch dafür, dass
man es schafft, bei teilweise sehr unterschiedlichen Posi-
tionen immer wieder den Weg zueinander zu finden. Ich
appelliere jetzt an alle Verantwortlichen, dass sie diese
Empfehlung, die aufgeschrieben worden ist, mit aller
Kraft und Entschlossenheit umsetzen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sören Bartol






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816100800

Jan-Marco Luczak erhält nun das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1816100900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kollegen! Ich glaube, eines kann man hier in
der Debatte feststellen: Wir haben einen Konsens zwi-
schen allen Fraktionen im Hause, dass in Deutschland
mehr bezahlbarer Wohnraum notwendig ist . Das ist auch
ein ganz zentrales Anliegen, das wir als Koalition haben .
Wir haben schon viele Dinge im Koalitionsvertrag nie-
dergelegt . Wir wollen den Dreiklang, nämlich Stärkung
der Investitionstätigkeit, Wiederbelebung des sozialen
Wohnungsbaus und das Ganze dann mietrechtlich und
sozialrechtlich ausgewogen flankiert. Hier haben wir
auch schon viel erreicht . Die Mietpreisbremse ist schon
genannt worden .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf sind Sie besonders stolz, Herr Luczak, nicht?)


Wir haben auch das Wohngeld erhöht . Wir haben das
Bestellerprinzip eingeführt . Es sind viele Dinge, die wir
bereits auf den Weg gebracht haben .

Ich will einmal das Beispiel Mietpreisbremse nehmen .
Das ist für mich als Berliner Abgeordneten immer ein be-
sonders wichtiges Instrument .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir bei den Beratungen gemerkt! – Ulli Nissen [SPD]: Oh, Herr Luczak! Ich erinnere mich an die Debatten!)


Für uns als Union war das immer klar . Wir wollen nicht,
dass Menschen aus ihren angestammten Wohnvierteln
verdrängt werden, weil sie sich ihre Miete nicht mehr
leisten können .


(Ulli Nissen [SPD]: Das Protokoll bewahre ich auf!)


Die Mietpreisbremse ist in der Tat ein Instrument, das an
dieser Stelle etwas Dynamik aus dem Markt nimmt, das
also einen guten Beitrag leistet .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


– Da können Sie klatschen; das ist auch völlig richtig .

Aber trotzdem gilt – das ist uns auch immer besonders
wichtig gewesen –, dass der beste Schutz vor steigenden
Mieten immer noch ist, dass neu gebaut wird, dass mehr
gebaut wird


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf dem Tempelhofer Feld!)


und dass damit Angebot und Nachfrage auf dem Markt
wieder in ein vernünftiges Verhältnis gebracht werden .
Das, meine Damen und Herren, muss auch in Zukunft
bei allen Dingen, die wir tun, unverrückbarer Grundsatz
sein .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Richtig ist: Natürlich steigen die Herausforderun-
gen, nicht zuletzt durch den Zustrom von Flüchtlingen
und auch von Migranten . Die Zahlen sind hier genannt
worden . Wir benötigen 350 000, wahrscheinlich eher
400 000 neue Wohnungen, um all denjenigen, die bei uns
sind und die dann auch bleiben werden, eine Perspektive
für Integration zu geben, und das hängt ganz unmittel-
bar auch damit zusammen, dass sie eine eigene Wohnung
haben .

Das verschärft natürlich die Situation auf den Märk-
ten . Aber ich sage auch ganz klar: Wir dürfen jetzt nicht
anfangen, die Bevölkerungsgruppen gegeneinander aus-
zuspielen . Wir dürfen jetzt nicht mit einer Neiddebatte
anfangen nach dem Motto: „Ihr tut das jetzt nur für die
anderen .“ Das geht so nicht . Deswegen, glaube ich, ist es
ganz wichtig, dass wir das Problem „mehr bezahlbarer
Wohnraum“ ernst nehmen und dass wir da mehr tun und
auch schnell etwas tun .

Insofern ist der Bericht, den wir hier heute diskutieren,
eine vernünftige Grundlage . Er gibt eine gute Orientie-
rung, und es gibt manch gute Vorschläge, zu denen ich im
Detail gar nicht viel sagen will . Natürlich ist es richtig:
Wir müssen mehr Bauland bereitstellen, preiswert be-
reitstellen . Insofern ist es vernünftig, dass die BImA seit
2015 den Kommunen und den kommunalen Gesellschaf-
ten Bauland mit deutlichen Preisabschlägen anbietet .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich weiß noch sehr genau, was das für eine zähe Diskus-
sion war .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Gerade in der Union!)


Es war unglaublich schwierig, hier Fortschritte zu er-
reichen . Es ist richtig, dass wir das gemacht haben . Wir
als Bund haben unsere Hausaufgaben gemacht . Aber na-
türlich sind jetzt auch die Länder gefordert . Die Länder
müssen jetzt ebenfalls an ihre Grundstücke herangehen
und dürfen nicht immer nur demjenigen den Zuschlag
geben, der den höchsten Preis zahlt, sondern müssen ihn
demjenigen geben, der etwas Vernünftiges mit dem Bau-
grundstück machen will .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Herr Luczak!)


– Es ist sehr selten, dass ich von der SPD Applaus be-
komme, aber es freut mich umso mehr, liebe Kollegin .


(Heiterkeit bei der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Herr Luczak, wir werden doch noch Freunde!)


Wir brauchen natürlich auch zielgenaue steuerliche
Anreize . Wir müssen die bauordnungsrechtlichen Nor-
men entschlacken . Ich habe gerade gestern eine Studie
der TU Darmstadt gesehen . Darin ging es um die Frage:
Wie können wir denn Nachverdichtung im städtischen
Raum ermöglichen? Da ging es ganz konkret um die
Möglichkeit, auf Dächern zusätzliche Wohnungen zu
bauen . In dieser Studie wurde errechnet, dass wir auf
Dächern bis zu 1,5 Millionen Wohnungen neu errichten
können . Das ist etwas sehr Positives . Dafür brauchen wir






(A) (C)



(B) (D)


nämlich kein neues Bauland, wir brauchen auch keine
weiteren Grünflächen zu versiegeln. Die Infrastruktur ist
in weiten Teilen schon vorhanden, sodass man dort rela-
tiv preisgünstig bauen könnte .

Aber oftmals steht dem das Baurecht der Länder ent-
gegen . Deswegen sage ich: Das muss angepackt werden .
Die Nachverdichtung im öffentlichen städtischen Raum
muss ermöglicht werden; da sind die Länder in der Ver-
antwortung und in der Pflicht. Hier muss etwas gesche-
hen, meine Damen und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau! Autostellplätze runter, richtig!)


Ich möchte einen weiteren Punkt nennen: Es geht na-
türlich auch um die Schaffung von guter Infrastruktur .
Da es vor allem in den innerstädtischen Lagen Probleme
gibt, bezahlbaren Wohnraum zu finden, kann man natür-
lich auch den Ansatz verfolgen – den vermisse ich bei
der Diskussion ein bisschen –, die Infrastruktur weiter
auszubauen . Wenn es einen gut ausgebauten öffentlichen
Personennahverkehr gibt, dann ist es für die Menschen
vielleicht auch gar kein Problem, in einer Stadtrandla-
ge zu wohnen . Ich selbst wohne in Berlin-Lichtenrade;
das ist Stadtrandlage . Aber das ist schön; es ist grün dort .
Ich wohne sehr gerne dort . Und vielleicht würden viele
Menschen gern im Speckgürtel von großen Städten woh-
nen, wenn sie mit dem öffentlichen Personennahverkehr
innerhalb von kurzer Zeit am Arbeitsort sein könnten . So
würden wir natürlich die innerstädtischen Märkte ent-
lasten; wir würden ein bisschen Druck aus den Märkten
nehmen, indem wir die Möglichkeit schaffen, dass die
Leute in Stadtrandlage vernünftig wohnen können .

Bei all dem, meine Damen und Herren, ist eines wich-
tig: Wir brauchen vor allen Dingen eine Politik aus einem
Guss . Da sind alle Ebenen gefragt: der Bund, die Länder
und die Kommunen . Ich könnte viel zu den Ländern sa-
gen – da muss ich die Kollegin Lay ansprechen, die unter
anderem gesagt hat, man solle nicht immer nur auf die
Länder schimpfen –, aber eines muss man schon sagen:
Es trägt auch zur Verteuerung des Wohnens bei, wenn
die Länder ständig die Grunderwerbsteuer erhöhen . Von
2014 auf 2015 ist das Aufkommen aus der Grunderwerb-
steuer um über 20 Prozent angewachsen .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich erinnere mich an eine rot-schwarze Landesregierung in Berlin!)


Und wenn ich jetzt höre, dass auch die Landesre-
gierung in Thüringen plant, die Grunderwerbsteuer im
nächsten Jahr auf 6,5 Prozent zu erhöhen, dann muss ich
sagen: Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir
brauchen, um bezahlbaren Wohnraum zu ermöglichen .
Das sollten Sie vielleicht Ihren Genossinnen und Genos-
sen im Land Thüringen an der Stelle auch einmal sagen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn ich von einer „Politik aus einem Guss“ spreche,
dann will ich aber nicht nur auf die Länder schimpfen;
denn natürlich müssen auch wir als Bund unserer Verant-
wortung an der Stelle gerecht werden .

Ich möchte deshalb auf das zu sprechen kommen,
was gerade schon angesprochen worden ist, nämlich
das zweite Mietrechtspaket, über das wir momentan dis-
kutieren . Die Grundlinien sind Ende des letzten Jahres
vorgestellt worden, und ich bin mir da mit meiner Frak-
tion sehr einig: Wir sehen das sehr kritisch . Denn vieles
von dem, was dort vorgeschlagen wird, macht das Bauen
viel komplexer und wirtschaftlich unattraktiver . Damit
wird letztlich genau das Gegenteil von dem erreicht, was
wir brauchen: Investitionen in den Bestand und in Woh-
nungsneubau werden nämlich abgewürgt und verhindert .
Genau das wollen wir nicht . Deswegen sagen wir als
Union: Die vorgestellten Grundlinien werden so nicht
Gesetz – das wird es mit uns nicht geben .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Weil das unattraktiv ist!)


Ich will das an einem Beispiel festmachen . Schauen
Sie sich einmal an, was in den Grundlinien zur ortsübli-
chen Vergleichsmiete – Stichwort „Mietspiegel“ – vorge-
schlagen wird: Der Betrachtungszeitraum soll angepasst
und von derzeit vier Jahren auf zehn Jahre erhöht wer-
den . Das würde dazu führen, dass in den dynamischen
Märkten die ortsübliche Vergleichsmiete sinkt und auch
in anderen Märkten auf einem niedrigen Niveau einge-
froren wird . Nun sagen manche: Wunderbar! Das ist ge-
nau das, was wir wollen! Das ist genau das Richtige!


(Ulli Nissen [SPD]: Genau!)


Aber man muss sich doch an dieser Stelle auch ein-
mal die wirtschaftlichen Folgen anschauen . Was bedeu-
tet das denn mit Blick auf mögliche Investitionen? Die
Folge ist doch, dass die Immobilienwerte der Wohnungs-
gesellschaften automatisch sinken, während gleichzeitig
der Verschuldungsgrad steigt . Das nimmt aber wiederum
Spielraum für die Finanzierung von Modernisierungen
im Bestand und für die Finanzierung von Wohnungsneu-
bau . Das führt in der Folge dazu, dass im Wohnungsmarkt
nichts mehr passiert, dass nicht mehr in den Bestand und
nicht mehr in den Wohnungsneubau investiert wird .


(Ulli Nissen [SPD]: Das sehen wir anders!)


Wenn wir es nicht schaffen, vor dem Hintergrund der
hohen Nachfrage mehr Angebot im Markt zu erreichen,
dann wird das Angebot noch knapper, und die Mietpreise
steigen weiter . Das ist genau das Gegenteil von dem, was
wir brauchen . Deswegen dürfen diese Vorschläge nicht
Gesetz werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bei all dem, was wir hier diskutieren: Wir müssen da-
für sorgen, dass wir die richtigen rechtlichen Rahmenbe-
dingungen setzen, damit Investitionen in den Wohnungs-
bestand und in den Wohnungsneubau attraktiv und damit
ermöglicht werden . Denn ansonsten wird das niemand
mehr machen .

Deswegen noch einmal: Wir brauchen eine Politik
aus einem Guss . Das gilt für die Länder, die Kommu-
nen, aber auch für den Bund und die einzelnen beteiligten
Fachministerien, wenn sie solche Vorschläge diskutieren .
Deswegen müssen wir beim zweiten Mietrechtspaket
sehr genau aufpassen, was wir machen . Die Vorschläge,

Dr. Jan-Marco Luczak






(A) (C)



(B) (D)


die jetzt vorliegen, können wir jedenfalls so nicht Gesetz
werden lassen . Darauf werden wir als Union achten .

Vielen Dank, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Da hört der Beifall auf, Herr Luczak!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816101000

Nun erhält die Kollegin Haßelmann für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816101100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Herr Luczak, Sie sind ein gutes Beispiel dafür,
wie Wahrnehmung auseinandergeht:


(Beifall des Abg . Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie haben hier im Bundestag suggeriert, dass Sie ein
Kämpfer für die Mietpreisbremse waren,


(Ulli Nissen [SPD]: Ja!)


obwohl Sie doch einer derjenigen waren, die die Miet-
preisbremse und deren Einführung bis zuletzt bekämpft
haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Eine richtige Mietpreisbremse!)


Mein Gott, was glauben Sie eigentlich, für wie doof Sie
die Leute verkaufen können? Da bin ich doch fassungs-
los; denn jeder von uns, der bei den wohnungspolitischen
Debatten dabei war, erinnert sich, wie Ihre Einlassungen
zur Mietpreisbremse waren . Sie haben das Ganze blo-
ckiert – ohne Ende, bis es nicht mehr ging,


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Zu einem richtigen Ende geführt haben wir das!)


weil der öffentliche Druck zu groß wurde . Glauben Sie,
irgendjemand in Berlin nimmt Ihnen ab, dass Sie der Vor-
kämpfer für die Mietpreisbremse waren? Ich glaube das
nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


So etwas bekommen die Leute mit. Ich finde, es ist schon
eine witzige Geschichte, dass Sie das hier versuchen .

Die Debatte ist aus meiner Sicht geprägt von Allge-
meinplätzen: „wir alle wollen“, „wir alle müssen“, „wir
sollten gemeinsam etwas tun“ . Meine Damen und Her-
ren, aber warum tun Sie denn hier im Parlament nichts
in dieser Frage?


(Sören Bartol [SPD]: Haben wir doch schon!)


Mein Kollege Chris Kühn hat zu Recht darauf hinge-
wiesen: Der Bundestag berät heute über einen Bericht
zum Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen und
zur Wohnungsbau-Offensive . Er enthält gute Vorschläge .
Die Autoren haben etwas erarbeitet . Aber wir nehmen
das zur Kenntnis, greifen ein paar einzelne Punkte für die

Debatte heraus und erklären vollmundig, dass der eine
oder andere Vorschlag ganz interessant ist, und legen das
Ganze dann wieder in die Berichtsmappe . Das kann doch
nicht Sinn und Zweck der Übung sein angesichts der He-
rausforderung und der Notwendigkeit, vor die der Woh-
nungsmarkt uns jeden Tag und überall stellt . Wir stehen
in den Großstädten, in den Universitätsstädten, in den
Ballungsräumen dermaßen unter Druck, was die Schaf-
fung von Wohnraum und insbesondere von bezahlbarem
sozialen Wohnraum angeht, dass sich doch eine Diskus-
sion nach dem Motto „Der Koalitionsvertrag zeigt einen
guten Weg, das Bündnis hat einen tollen Bericht vorge-
legt“ erübrigt . Fakten zählen, meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wo sind die gesetzlichen Initiativen? Wo ist denn die
Stärkung des sozialen und bezahlbaren Wohnraums?


(Sören Bartol [SPD]: Verdopplung der Mittel!)


Frau Hendricks hat gerade ganz vorsichtig gesagt, sie
habe eine Stärkung der Mittel für 2017 schon einmal an-
gemeldet .


(Sören Bartol [SPD]: Das ist noch mal obendrauf!)


Sollen wir da jetzt sagen: „Donnerwetter“?


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Ist doch schon verdoppelt worden, Frau Kollegin!)


„Schon einmal angemeldet“: Das kann doch nicht Ihr
Ernst sein angesichts der Zahlen und der Fakten, die uns
seit Jahren vorliegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Sören Bartol [SPD]: Wir haben es doch schon verdoppelt!)


2002 verfügten wir noch über 2,5 Millionen Sozial-
wohnungen . Inzwischen sind wir bei 1,5 Millionen . Wir
brauchen mindestens 400 000 neue Wohnungen, davon
mindestens 100 000 im sozialen Wohnungsbau . Jedes
Jahr fallen 60 000 Sozialwohnungen aus der Bindung he-
raus, und wir bauen maximal 10 000 neue . Da kann es
doch nicht Ihr Ernst sein, zu sagen: Wir haben jetzt die
Mittel von 500 Millionen Euro auf 1 Milliarde Euro auf-
gestockt, und damit kommen wir zurecht .


(Sören Bartol [SPD]: Nein, das sagen wir nicht! Wir melden mehr an!)


Die Fakten zeigen uns doch, dass das nicht der Fall ist .

Wir müssen uns der Frage stellen: Wo knüpfen wir
hier im Bund an? Mein Kollege hat gerade das Thema
Wohnungsgemeinnützigkeit angesprochen . Lassen Sie
uns doch hier nicht nur ankündigen und uns gegenüber
den Medien sozusagen in großen Erklärungen ergehen,
was wir für den sozialen Wohnungsbau tun, sondern auch
endlich einmal etwas tun . Diese Große Koalition tut un-
ter dem Strich nicht genug dafür .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dr. Jan-Marco Luczak






(A) (C)



(B) (D)


Das ist die Faktenlage .

Ihre Sonder-AfA – das wissen alle, die im Wohnungs-
bau aktiv sind; das wissen auch die Kommunalos vor
Ort – wird gerade vor dem Hintergrund der zusätzlichen
Herausforderung der Integration von Flüchtlingen und
der Notwendigkeit des Wohnungsbaus kein Modell und
keine Lösung für die Schaffung von Wohnraum sein .
Was wir brauchen, ist bezahlbarer Wohnraum für alle
Menschen, die über wenig Einkommen verfügen . Ich
sage dezidiert: für alle; denn das betrifft viele Personen-
gruppen . Deshalb braucht es dringend mehr Finanzmittel
für sozialen Wohnungsbau, und zwar sofort . Wir brau-
chen endlich eine neue Idee, wie der Bund Zugriff auf
den sozialen Wohnungsbau haben kann . Da ist das The-
ma Wohnungsgemeinnützigkeit ein richtiges und gutes .
Also: Tun Sie etwas, anstatt dauernd nur anzukündigen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816101200

Ulli Nissen ist der nächste Redner für die SPD-Frak-

tion .


(Beifall bei der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Die!)


– Ach so, Entschuldigung, ja . Ich bitte um Nachsicht .


(Sören Bartol [SPD]: Und das kurz vor dem Equal Pay Day!)


– Das gibt auch 30 Sekunden zusätzlich .


Ulli Nissen (SPD):
Rede ID: ID1816101300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein besonde-
rer Gruß geht an meine Frankfurter Besuchergruppe, die
heute Vormittag im Reichstag ist .


(Beifall)


Wir debattieren heute zur besten Zeit über die Ergeb-
nisse des Bündnisses für bezahlbares Wohnen . Zunächst
möchte ich mich bei Ministerin Barbara Hendricks be-
danken: Gut, dass Sie dieses Bündnis schon im Juli 2014
ins Leben gerufen haben . Es war gut, so viel Sachver-
stand, so viel Kompetenz auf allen Ebenen zu bündeln
und mit viel Engagement zu einem Ergebnis zu führen .
Ihnen, Ihrem Haus und allen Beteiligten vielen Dank da-
für .

Es war gut, das drängende Thema Wohnungsnot, un-
ter anderem in Ballungsgebieten, mit höchster Priorität
auf die Agenda zu setzen . Gerade erst gestern lautete die
Schlagzeile auf der ersten Seite der Frankfurter Neuen
Presse: „Wohnungsnot: Alarm in der Rhein-Main-Regi-
on“ .

Nach den aktuellen Prognosen fehlen dort bis zum
Jahr 2030 über 180 000 Wohnungen . In meinem Frank-
furter Wahlkreis ist Wohnraum das Thema Nummer eins .
Auch dort treiben Miethaie, beispielsweise in der Win-
gertstraße 21, ihr Unwesen . Das haben der Frankfurter
Oberbürgermeister Peter Feldmann und die SPD mit un-
serem Vorsitzenden Mike Josef im Gegensatz zur bishe-

rigen schwarz-grünen Stadtregierung ernst genommen .
Dies hat sich bei der Kommunalwahl vor zwei Wochen
ausgezahlt . Schwarz-Grün hat 16 Prozent der Stimmen in
Frankfurt verloren, während die SPD dazugewonnen hat .
Dies als Warnung an diejenigen, die zu wenig bezahl-
baren Wohnraum nicht ernst nehmen . Herr Luczak, ich
habe das Gefühl, dass das ein bisschen mit Ihrem Wandel
zu tun hat . Wer zu spät kommt, den bestraft der Wähler
oder die Wählerin .


(Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: An der SPD werden wir uns da nicht orientieren!)


Dagegen hat die rot-schwarze Bundesregierung die
Signale erkannt . Das zeigt sich auch am Bündnis für
bezahlbares Wohnen von Barbara Hendricks . Dieses Er-
gebnis kann sich sehen lassen . Nicht alles davon kann
auf Bundesebene angegangen werden . Deshalb ist es
wichtig, dass Bund, Länder und Kommunen gemeinsam
an diesen Vorschlägen arbeiten . Wir haben die Mittel für
die soziale Wohnraumförderung für die Jahre 2016 bis
2019 auf 4 Milliarden Euro verdoppelt . Ich unterstütze
die Forderung der Ministerin Hendricks, diese um weite-
re 5 Milliarden bis 2020 aufzustocken .


(Beifall bei der SPD)


Bei der steuerlichen Förderung des Mietwohnungs-
baus ist bisher eine Mindestvermietungszeit von zehn
Jahren vorgesehen . Es wäre sehr schön, wenn diese Frist
noch deutlich verlängert werden könnte .

Wichtig beim Neubau ist eine Reduzierung der Bau-
kosten . Beim Bündnis ist angedacht, dass Normungswe-
sen zu verändern, um künftig Standards praxisgerechter
zu gestalten und Kosten zu deckeln .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ein sehr wichtiger Kostenfaktor ist das Grundstück .
Was nützt es, günstiger bauen zu können, wenn die
Grundstückspreise so hoch sind, dass die Wohnungen
nicht mehr bezahlbar sind? Deshalb mein Appell an die
Städte und Kommunen: Bei der Vergabe von Bauland
sollte das Konzept, die Idee und nicht der Preis das ent-
scheidende Kriterium sein .


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen lebendige Quartiere, eine nachhaltige und
integrative Stadtentwicklungspolitik und nicht Gettos
für die einen oder anderen . Die Stadt München geht hier
mit gutem Beispiel voran . Hier werden viele Grund-
stücke nach dem Bestgebotsverfahren vergeben . In die
Wertung fließen der gebotene Kaufpreis mit 30 Prozent
und das Konzept mit 70 Prozent ein . Ein wichtiges Ziel
Münchens ist auch die Verlängerung der Bindefristen im
geförderten Wohnungsbau auf bis zu 70 Jahre im Gegen-
zug für eine zusätzliche Förderung durch die Stadt . Bei
diesen Konzepten werden genossenschaftliches Wohnen
und gemeinschaftliches Wohnen intensiv gefördert . Für
einen langfristigen Erhalt des Mietwohnungsbestandes
werden auch in München die entstehenden Mietwohnun-
gen bis zu 60 Jahre als solche gebunden . Dies beinhaltet
auch ein Verbot der Umwandlung in Eigentumswohnun-
gen . Dieser langfristige Erhalt des kostengünstigen Miet-
wohnungsbestandes sollte in allen Ländern das Ziel sein .

Britta Haßelmann






(A) (C)



(B) (D)


Wir alle wissen, wie wichtig bezahlbarer Wohnraum für
alle ist . Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten .

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816101400

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun Yvonne

Magwas das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Yvonne Magwas (CDU):
Rede ID: ID1816101500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Vorredner haben bereits eine ganze
Reihe von Punkten angesprochen, durch die der Woh-
nungsbau in Deutschland beschleunigt werden soll . Das
Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen hat die
Grundlage für die vorgelegte Wohnungsbau-Offensive
geschaffen . Auch wenn uns im Endergebnis, liebe Frau
Ministerin, einige Aspekte fehlen, so will ich doch auch
die Gelegenheit nutzen, den Bündnisteilnehmern für ihre
Arbeit zu danken .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir wissen, wer was und wie eingebracht hat, und si-
chern zu, uns für die Beseitigung der offenen Baustellen
einzusetzen .

Wer die Debatten und Entscheidungen der letzten Mo-
nate verfolgte, der weiß, dass wir in der Wohnungspolitik
einiges auf den Weg gebracht haben . Ich verweise auf
die Wohngelderhöhung, die Änderungen im Umgang mit
den Bundesliegenschaften, die Erhöhung der Kompen-
sationsmittel für den sozialen Wohnungsbau sowie den
Gesetzentwurf zur steuerlichen Förderung des privaten
Mietwohnungsneubaus .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Sören Bartol [SPD])


Meine Damen und Herren, mit der Wohnungsbau-Of-
fensive liegt das im Koalitionsvertrag vereinbarte Akti-
onsprogramm jetzt erst einmal vor . Das ist nicht falsch,
aber es wird so nicht ausreichen . Ich vermisse zum Bei-
spiel das Vorhaben der Bundesregierung zur steuerli-
chen Förderung der energetischen Gebäudesanierung . Es
taucht im Aktionsprogramm so nicht auf .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Das ist sehr schade!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich an
dieser Stelle ein Thema etwas ausführlicher ansprechen,
das mir besonders am Herzen liegt . Viele ländliche Re-
gionen, wie beispielsweise meine Heimat, das Vogtland,
stehen derzeit vor umfassenden sozialen, ökonomischen
und demografischen Herausforderungen. Hauptgrund
für den Druck auf die Wohnungsmärkte in Ballungsge-
bieten ist nicht der Zuzug Schutzsuchender, sondern die
Binnenwanderung innerhalb Deutschlands . Viele junge
Menschen haben in den vergangenen Jahren die periphe-
ren, strukturschwachen Räume verlassen . Das ist nicht

gut . Darum brauchen wir Perspektiven für den ländlichen
Raum . Wir brauchen Stabilitätsanker für den ländlichen
Raum . Wir müssen daher konsequent in seine Attraktivi-
tät investieren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Sören Bartol [SPD])


Wenn wir über den ländlichen Raum sprechen,
herrscht schnell Konsens über die Notwendigkeit einer
Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur sowie des Breit-
bandausbaus . Zu kurz kommen meines Erachtens die
Chancen des Wohneigentums für den ländlichen Raum .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Eigenheim, meine Damen und Herren, ist ein Stand-
ortvorteil ländlicher Räume . Grundstücke und Gebäude-
bestand sind meist etwas günstiger, und auch die Bau-
preise sind deutlich niedriger .

Meine Damen und Herren, Wohneigentum hat einen
hohen gesellschaftlichen Stellenwert


(Zuruf der Abg . Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE])


und steht auf der Wunschliste der Menschen nach wie
vor weit oben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es steht nämlich auf Platz drei der Liste der wichtigsten
Sparziele der Menschen . Viele Menschen sparen für die-
sen Traum, Frau Lötzsch .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Er kann aber auch zum Albtraum werden!)


Circa 57 Prozent der Mieter würden lieber in den eigenen
vier Wänden wohnen .

Warum sage ich das? Wohneigentum in diesem Sin-
ne verbessert die soziale Struktur einer Gemeinde, eines
Quartiers, einer Stadt, auch weil Wohneigentümer in der
Regel etwas mehr soziale Verantwortung übernehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich sage es mal ganz praktisch: Da wird auch mal der
Besen in die Hand genommen und die Straße gekehrt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Man kümmert sich eben engagierter um das Wohnum-
feld . Das ist Realität, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Das Wohneigentum verwurzelt stärker in der Nachbar-
schaft und kann einen sehr wichtigen Beitrag zur Stabili-
sierung benachteiligter Wohngebiete leisten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vor allem aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, stärkt
Wohneigentum ländliche Räume. Ja, es ist definitiv ein
Haltefaktor, es ist ein Stabilitätsanker .

Sehr geehrte Damen und Herren, Wohneigentums-
politik ist auch Politik für Familien . Der Wunsch nach
Wohneigentum ist bei Familien besonders groß . Die
Hauptgründe liegen auf der Hand: die optimalen Entfal-
tungsmöglichkeiten und natürlich der bleibende Wert für

Ulli Nissen






(A) (C)



(B) (D)


Kinder . Im eigenen Garten spielt es sich lauter und siche-
rer als auf dem öffentlichen Spielplatz .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb müssen gerade junge Familien in die Lage ver-
setzt werden, für das eigene Heim sparen zu können . Es
lohnt sich für sie und für die Gesellschaft .

Häuslebauer sind eine der tragenden Säulen des Woh-
nungsbaus . Die Bedarfslücke ist unseres Erachtens ohne
den zusätzlichen Eigenheimbau nicht zu schließen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dafür müssen junge Familien aber auch über ausreichen-
des Eigenkapital verfügen .


(Beifall des Abg . Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wer nichts erbt und nichts geschenkt bekommt, muss erst
einmal sparen. Hundertprozentige Kreditfinanzierungen
möchten viele nicht; sie sollten auch vermieden werden .

Mit der Wohnungsbauprämie verfügen wir über ein
funktionierendes Instrument, das Berufsanfängern und
jungen Familien einen Anreiz zum Sparen für das Eigen-
heim geben sollte .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau richtig!)


Die Wohnungsbauprämie kann inzwischen jedoch nur
noch von wenigen genutzt werden . Die geltenden Ein-
kommensgrenzen wurden vor circa 20 Jahren festgelegt,
und die allgemeine Einkommens- und Preisentwicklung
hat sie für viele unerreichbar gemacht . Früher war bei-
spielsweise eine 29-jährige Polizistin prämienberechtigt,
heute ist sie es nicht mehr . Das sollten wir ändern, daran
sollten wir arbeiten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Michael Groß [SPD])


Eine Anpassung der Einkommensgrenzen und der
Prämienhöhe ist überfällig, vor allen Dingen auch als
Pendant zur geplanten Sonderabschreibung . Zusätzlich
bietet sich auch ein einkommensunabhängiger Inves-
titionszuschuss für das Eigenheim an, vorzugsweise in
Form einer Familien- oder Kinderkomponente .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Was sagt Herr Schäuble dazu?)


Menschen mit geringem Einkommen, die jeden Tag
arbeiten und auf die eigenen vier Wände sparen, benöti-
gen eine große Unterstützung . Sie benötigen eine größere
Unterstützung, als ihnen mit der Eigenheimrente geboten
wird .

Das vorliegende Aktionsprogramm ist, wie gesagt, ein
guter Ansatz, aber es ist noch kein umfassender Durch-
bruch . Ich möchte ausdrücklich für die Wohnungsbau-
prämie werben, weil sie zur Attraktivität der ländlichen
Räume beiträgt . Diese Arbeit tut not .

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816101600

Michael Groß ist der nächste Redner für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Michael Groß (SPD):
Rede ID: ID1816101700

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lie-

be Kolleginnen und Kollegen! Frau Magwas, Ihr Vor-
schlag ist gut .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sollten für alle Menschen in Deutschland die Mög-
lichkeit schaffen, Eigentum zu bilden . Es gibt die Woh-
nungsbauprämie und die Arbeitnehmersparzulage . Sie
haben Recht: Wir haben die Einkommensgrenzen lange
nicht angepasst . Deshalb sollten wir in den nächsten Wo-
chen ein intelligentes Paket schnüren .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich bin etwas traurig darüber, dass Sie keinen gemein-
samen Entschließungsantrag zum Bericht zum Bündnis
für bezahlbares Wohnen und Bauen auf den Weg bringen
wollten;


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


denn so hätten wir gemeinsam sinnvolle Ergänzung vor-
legen können . Leider haben Sie sich dem versagt . Viel-
leicht könnten wir noch einmal darüber reden, ob im
Zuge der steuerlichen Förderung nicht auch eine Miet-
obergrenze angedacht werden müsste .


(Beifall bei der SPD)


Das wäre ein wichtiger Punkt, der notwendig ist, um zu
verhindern, dass bestimmte Effekte eintreten .

Ich verwahre mich ausdrücklich gegen die Aussage,
die gegen 9 .15 Uhr gefallen ist, nämlich dass wir in der
Koalition eine ignorante Politik betreiben würden . Das
ist nicht der Fall .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Im Bündnis – ich habe am letzten Gespräch der Bünd-
nispartner teilgenommen – wird darüber geredet, wie
man für jede Einkommensgruppe bezahlbaren Wohn-
raum schaffen kann . Es geht aber auch um die Quali-
tät des Wohnens, um das Leben in den Stadtteilen . Es
geht um die Fragen: Wie möchte ich in meinem Stadt-
teil leben? Welche Infrastruktur brauche ich? Wie viel
Licht brauche ich? Welchen Einfluss habe ich auf mein
Wohnumfeld? Wie viel Grün möchte ich? Das sind alles
wichtige Fragen . Deswegen möchte ich insbesondere der
Ministerin, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
tern und der Staatssekretärin und den Staatssekretären im

Yvonne Magwas






(A) (C)



(B) (D)


Bau- und Umweltministerium, die diese Arbeit leisten,
herzlich danken .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sigmar Gabriel wurde kritisiert .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Zu Recht!)


Ich kann diese Kritik nur zurückweisen . Der Solidar-
pakt ist ein Pakt für alle . Wir wollen Wohnraum für alle
Menschen in Deutschland schaffen und nicht nur für be-
stimmte Zielgruppen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sören Bartol [SPD]: So ist es!)


Sie können Sigmar Gabriel nicht vorwerfen, dass er das
Thema vor einem Monat oder vor sechs bis acht Wochen
aufgegriffen hat . Das Thema ist wesentlich älter in der
SPD . Bereits im Bundestagswahlkampf 2013 haben wir
gesagt: Wir brauchen so etwas wie einen Solidar- und In-
tegrationspakt für alle Menschen in Deutschland .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Ministerin sagt sehr deutlich, dass wir die soziale
Wohnraumförderung aufstocken und für alle Menschen
sozialen Wohnraum mit einer langen Mietbindung schaf-
fen wollen . Das betrifft eben nicht nur die Forderungen,
die wir bisher durchgesetzt haben . Sie haben so getan, als
hätten wir noch gar nichts gemacht . Wir haben in diesem
Haus viele Dinge entschieden, und wir fordern weiterhin
eine Erhöhung der Mittel auf 2 Milliarden Euro . Das ist
der richtige Weg, weil wir viel mehr Wohnungen in der
Mietbindung brauchen .

Wir werden uns darüber hinaus mit vielen Themen
auseinandersetzen müssen, die in der Baukostensen-
kungskommission, aber auch im Bündnis besprochen
worden sind . Die Frage ist mehrfach gestellt worden: Wie
bringen wir Klimaschutz mit Wirtschaftlichkeit, Bezahl-
barkeit und letztendlich auch mit Akzeptanz zusammen?
Wir haben zurzeit eine sehr schwierige Situation, weil
die Akzeptanz bei diesem Thema anscheinend verloren
geht . Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir deutlich
machen, dass wir durch staatliche Unterstützung das tun
können und wollen, was bei Energieeffizienz und -ein-
sparungen Sinn macht .

Wir müssen uns viel mehr um das Thema „erneuer-
bare Energien“ kümmern . Wie schaffen wir es, durch er-
neuerbare Energien Wärme und Strom zu erzeugen, und
zwar dezentral? Wir sollten aus meiner Sicht weniger
darauf achten, wie wir das Haus immer stärker dämmen
können, wodurch wir es immer teurer machen .

Jetzt sind wir bei der Modernisierungsumlage und
beim zweiten Mietrechtspaket . Es war gestern Thema,
dass in den Zeitungen Dinge verkündet werden, die die
SPD möchte, die aber nicht abgesprochen sind . Ich wür-
de mich freuen, wenn wir nicht in den Zeitungen lesen

müssten, was mit Ihnen von der CDU/CSU nicht geht .
Wir sind in das Gelingen verliebt .


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen, dass Wohnen und Leben in Deutschland
bezahlbar bleiben . Deswegen brauchen wir ein zweites
Mietrechtspaket .

Sie müssen sich vorstellen, wie es zurzeit ist: Wenn
Sie 20 000 Euro im Rahmen einer Modernisierung in
eine Wohnung investieren, dann können Sie zusätzlich
zur bisherigen Miete circa 180 Euro monatlich umlegen .
Sie können sich vorstellen, dass das einige Mieter ver-
treibt, und das müssen wir verhindern .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sören Bartol [SPD]: Und das bei den jetzigen Zinssätzen!)


Wir brauchen optimale Lösungen, wir brauchen wirt-
schaftliche Lösungen, wir brauchen die Bezahlbarkeit,
damit die Menschen in ihren Städten bleiben können .
Für die SPD steht der Mensch im Mittelpunkt – die Men-
schen, die in den Wohnungen leben, die Handwerker, die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Menschen
in der Wohnungswirtschaft . Dafür wollen wir arbeiten .

Herzlichen Dank . Glück auf!


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816101800

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist

die Kollegin Sylvia Jörrißen für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sylvia Jörrißen (CDU):
Rede ID: ID1816101900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir brau-

chen mehr bezahlbaren Wohnraum . Deshalb ist es höchs-
te Zeit, dass die Ergebnisse des Bündnisses da sind .
Für Einkommensschwache und die Bezieher mittlerer
Einkommen ist es vor allem in den Ballungsräumen oft
schwer, eine Wohnung zu finden: für Familien, für Stu-
denten, für Senioren und für Alleinlebende .

Als der Koalitionsvertrag geschrieben wurde, wuss-
ten wir nicht, dass sich die ohnehin schon angespannte
Situation durch den Zuzug vieler Schutzsuchender wei-
ter zuspitzen würde . Der Bereich Bauen steht daher vor
einer noch größeren Herausforderung als erwartet . Wir
brauchen etwa 350 000 bis 400 000 neue Wohnungen
jährlich . Zumindest so weit sind wir uns hier alle einig .
Aber diese Wohnungen müssen, staatlich gefördert, ge-
nossenschaftlich und privat gebaut werden . Der soziale
Wohnungsbau allein reicht nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir brauchen die Investitionsbereitschaft aller Akteure
der Wohnungswirtschaft . Wir müssen auf alle drei Säulen
des Wohnungsbaus setzen .

Die Kompensationsmittel des Bundes für den sozia-
len Wohnungsbau haben wir bereits deutlich aufgestockt:
Für die nächsten Jahre haben wir eine Verdoppelung
der Mittel auf über 1 Milliarde Euro jährlich beschlos-

Michael Groß






(A) (C)



(B) (D)


sen . Das ist ein wichtiger Faktor, aber das ist eben kein
Allheilmittel . Wir müssen jetzt erst einmal in der Praxis
sehen, dass die Programme von den Ländern attraktiv
ausgestaltet werden und dass mit diesen Milliarden auch
tatsächlich gebaut wird .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Alleine mit der öffentlichen Wohnraumförderung
kann der Bedarf an Wohnungen bei Weitem nicht ge-
deckt werden . Wir müssen auch privates Kapital für
den Wohnungsbau mobilisieren, und das geht am besten
durch steuerliche Förderung . Insofern bin ich froh, dass
die Bauministerin und unser Finanzminister eine Lösung
für eine Sonderabschreibung gefunden haben . Es soll
eine steuerliche Förderung geben, die schnell und genau
dort wirkt, wo der Druck auf die Wohnungsmärkte am
größten ist .


(Beifall der Abg . Marie-Luise Dött [CDU/ CSU] – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also erst einmal gibt es nur Mitnahmeeffekte!)


Ich appelliere hier an alle, die am weiteren Verfahren be-
teiligt sind, diesem Konzept zuzustimmen .

Es gibt jedoch eine Gruppe, die von der steuerlichen
Sonderabschreibung nicht profitiert. Das sind die steuer-
befreiten Wohnungsgenossenschaften .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau!)


Auch diese leisten einen wichtigen Beitrag, gerade be-
zahlbaren Wohnraum zu realisieren . Genossenschaftli-
ches Wohnen zu stärken, ist als Ziel in unserem Koaliti-
onsvertrag vereinbart


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und auch ein expliziter Punkt der Wohnungsbau-Offen-
sive .


(Michael Groß [SPD]: Investitionszulage!)


Insofern bitte ich, hier eine Lösung zu finden, Frau Mi-
nisterin – ich glaube, sie ist nicht mehr anwesend –, mit
der eine vergleichbare Wirkung für Genossenschaften
erzielt wird .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Unsere Zustimmung! – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist doch Hohn! Erst eine Sonder-AfA machen und das andere auf die lange Bank schieben!)


Ein weiterer Bereich fehlt mir in der Wohnungs-
bau-Offensive komplett . Ich sprach eingangs von den
drei Säulen des Wohnungsbaus . Auf den Mietwohnungs-
bau und das genossenschaftliche Wohnen bin ich bereits
eingegangen . Mir geht es jetzt um das selbstgenutzte
Wohneigentum, auf das Kollegin Magwas bereits aus-
führlich eingegangen ist . Der Bau von Wohneigentum
hat die gleiche Wirkung wie der Bau von Mietwohnun-
gen . Durch Umzugsketten wird am Ende auch hierbei
Mietwohnraum frei . Darüber hinaus hat er eine weitere

wichtige soziale Komponente: Gerade für Normalverdie-
ner und einkommensschwächere Haushalte ist Wohnei-
gentum die wichtigste Form der privaten Altersvorsorge;


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


denn mietfreies Wohnen im Alter bedeutet eine sichere
Zusatzrente, und es ist die einzige Form der Altersvor-
sorge, von der man auch in jungen Jahren schon etwas
hat . Bevor jetzt von der Opposition der Einwand kommt,
ich würde Klientelpolitik betreiben, sage ich: Mir geht es
nicht um eine steuerliche Förderung der Penthousewoh-
nung oder der Arztvilla . Die Wohnungsbauprämie ist ein
wichtiges Element gerade zur Förderung der Bezieher
niedriger Einkommen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau richtig!)


Aber die Einkommensgrenzen sind seit 20 Jahren unver-
ändert . Dies führt dazu, dass allein aufgrund von Lohn-
erhöhungen, die lediglich zu einem Inflationsausgleich
führten, viele Arbeitnehmer aus der Förderung herausge-
fallen sind, ohne dass sie tatsächlich wohlhabender ge-
worden sind . Hier bedarf es einer Anpassung .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Ministerin Hendricks sprach von einer nochma-
ligen Aufstockung der Kompensationsmittel für den ge-
förderten Wohnungsbau . Frau Ministerin – ich denke, sie
wird meine Botschaft erhalten –, bevor Sie den Ländern
einen Blankoscheck ausstellen, ohne dass die zweckge-
bundene Verwendung der ersten Milliarde nachgewiesen
wurde, überlegen Sie doch bitte, ob das Geld bei einer
Förderung der beiden anderen Säulen des Wohnungsbaus
nicht zielführender eingesetzt ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte nicht, dass das Geld nur bei den Ländern
ankommt . Ich möchte, dass die Bundesmittel im Woh-
nungsbau und bei den Menschen ankommen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein weiterer Punkt ist elementar: Was hilft das bes-
te Bauklima, was nützen die besten Fördermaßnahmen,
wenn kein Bauland vorhanden ist, wenn dies ein Nadel-
öhr darstellt, an dem es nicht weitergeht? Ich habe kürz-
lich wichtige Akteure aus dem Bereich Bauen in meinem
Wahlkreis getroffen, von Architekten über Vertreter von
Bauvereinen bis hin zu privaten Investoren . Eine Aussa-
ge hörte ich regelmäßig: Wir haben Ideen, aber wir haben
keine Grundstücke, um diese zu realisieren . Deshalb ist
ein Punkt besonders wichtig: Wir müssen Bauland mo-
bilisieren .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Richtig!)


Der Bund geht mit gutem Beispiel voran . Er hat der
verbilligten Abgabe von eigenen Liegenschaften bereits
zugestimmt . Damit stehen den Kommunen Grundstücke
und Liegenschaften mit deutlichen Preisabschlägen unter
anderem für die Unterbringung von Flüchtlingen und für
den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung .

Sylvia Jörrißen






(A) (C)



(B) (D)


Jetzt sind Länder und Kommunen aufgefordert, Bau-
land auszuweisen und bereitzustellen, bei der Vergabe
Konzeptqualität anstelle des Höchstpreises zu berück-
sichtigen und die vorhandenen Innenentwicklungspoten-
ziale voranzutreiben . Allerdings: Nur mit Lückenbebau-
ung werden 400 000 neue Wohnungen pro Jahr nicht zu
schaffen sein .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Noch eine Tatsache erschwert das Bauen: Es ist ein-
fach zu teuer . Denn klar ist: Es wird nur gebaut, wenn
eine Wirtschaftlichkeit gegeben ist . Somit ist Wohnen
nur dann bezahlbar, wenn auch das Bauen bezahlbar ist .
Die Baukostensenkungskommission hat hier gute, kon-
krete und realisierbare Punkte identifiziert:

Das Normungswesen muss auf den Prüfstand . Was ist
sinnvoll? Was treibt nur die Kosten in die Höhe? Kosten-
und Praxisaspekte müssen stärker berücksichtigt werden .

Ein weiterer Punkt ist die Energieeinsparverordnung .
Hier muss das Ende der Fahnenstange erreicht sein . Mehr
dämmen, verursacht nur noch mehr Kosten, steht aber in
keinem Verhältnis zum Mehrnutzen .

Nächster Punkt: die Stellplatzverordnung . Berlin und
Hamburg haben sie aus gutem Grund bereits abgeschafft .
Häufig macht sie einfach keinen Sinn. Wir müssen auf
Innovationen setzen und auch beim Bauen mit der Zeit
gehen . Modulares und serielles Bauen werden in Zukunft
wichtiger werden . Durch die Verwendung von Fertig-
teilen sind erhebliche Einsparungen möglich, selbstver-
ständlich unter gleichzeitiger Berücksichtigung von bau-
kulturellen Qualitäten .

Wir haben schon viel getan, aber es gibt immer noch
viel zu tun . Das Bündnis hat gute Anregungen geliefert .
Jetzt geht es an die Umsetzung . Jetzt beginnt die Arbeit .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816102000

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell ist vereinbart, den Bericht der Bun-
desregierung auf der Drucksache 18/7825 zum Bündnis
für bezahlbares Wohnen und Bauen und zur Wohnungs-
bau-Offensive zur Kenntnis zu nehmen und nicht zu
überweisen . – Dazu sehe ich keinen Widerspruch und
stelle damit diese Kenntnisnahme fest .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Zu den Akten!)


Unter dem Tagesordnungspunkt 4 b kommen wir zur
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Na-
turschutz, Bau und Reaktorsicherheit zum Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Soziale Wohnungs-
wirtschaft entwickeln“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/6633,
den Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksa-
che 18/3744 abzulehnen . Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der Koalition angenommen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf:

5 . a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Weiterentwicklung des Behinder-
tengleichstellungsrechts

Drucksache 18/7824
Überweisungsvorschlag
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Katrin Werner, Sigrid Hupach, Matthias W .
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Eine halb barrierefreie Gesellschaft
reicht nicht aus – Privatwirtschaft zu
Barrierefreiheit verpflichten

Drucksache 18/7874
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Corinna Rüffer, Kerstin Andreae, Britta
Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Behindertengleichstellungsrecht mutig
weiterentwickeln

Drucksache 18/7877
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Petitionsausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Auch hier soll nach einer interfraktionellen Vereinba-
rung die Debatte 77 Minuten dauern . – Wir können of-
fenkundig so verfahren .

Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort
der Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller für die Bundes-
regierung . Bitte schön .


(Beifall bei der SPD)


G
Gabriele Lösekrug-Möller (SPD):
Rede ID: ID1816102100


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Heute legen wir den Entwurf
eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Behinderten-
gleichstellungsrechts vor . Wir greifen damit wesentliche,
jedoch nicht alle Ergebnisse der Evaluation auf . Dazu ge-
hören: die Implementation eines Schlichtungsverfahrens,
die Einrichtung einer Bundesfachstelle für Barrierefrei-
heit, die Neufassung des Behindertenbegriffs, Barriere-
freiheit von Bestandsbauten des Bundes, Verbesserung

Sylvia Jörrißen






(A) (C)



(B) (D)


der Partizipationsförderung und Anwendungsverbesse-
rungen von Gebärden- und leichter Sprache .

Meine Damen und Herren, ab jetzt spreche ich ein-
fach .


(Beifall bei der SPD – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Das verstehe ich!)


Ich benutze einfache Sprache . Das passiert hier im Bun-
des-Tag ganz selten . Meist machen wir lange Sätze und
benutzen viele schwierige Wörter, wie ich das am Anfang
meiner Rede gemacht habe . Jetzt sage ich etwas über ein
Gesetz, das es schon gibt, aber das wir besser machen
wollen . Die Vorschläge dazu hat die Bundes-Regierung
gemacht . Worum geht es? Besser werden soll ein Gesetz,
das Menschen mit Behinderung helfen soll, immer mehr
so zu leben wie alle anderen in Deutschland . Das nennen
wir Gleichstellung .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wo ist das wichtig? Zum Beispiel bei der Arbeit, beim
Einkaufen, im Schwimmbad, beim Busfahren . Überall
da, wo gelebt wird . Das nennen wir Alltags-Leben .

Wie soll das gehen? Alles, was dabei stört, nennen wir
Barrieren . Deshalb ist das Ziel Barriere-Freiheit . Zum
Beispiel bei Straßen und Geh-Wegen, bei Bussen und
Bahnen . Aber auch im Internet und bei Briefen von Be-
hörden . Da gibt es überall Barrieren, vor allem für Men-
schen, die eine Behinderung haben . Es gibt also viel zu
tun .

Das alte Gesetz ist 14 Jahre alt . Es heißt Behinder-
ten-Gleich-Stellungs-Gesetz, und es hat schon viel ge-
holfen, dass wir Barrieren abgeschafft haben . Es hat die
Zeichensprache für Menschen, die nicht oder schlecht
hören können, die Gebärdensprache, geregelt . Außerdem
legte es fest, was die Beauftragte der Bundes-Regierung
für Menschen mit Behinderung für Aufgaben hat . Übri-
gens ist das zurzeit Verena Bentele . Sie wird auch gleich
von diesem Platz hier sprechen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN sowie der Abg . Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wie sind die neuen Vorschläge entstanden? Fachleute,
also Menschen mit Behinderungen und Wissenschaftler,
haben genau geprüft, was besser werden soll . Das Ergeb-
nis: Viele Regeln sind schon gut, aber nicht alle . Was ma-
chen wir neu? Sechs Beispiele will ich erzählen:

Das erste Beispiel . Wir beschreiben Menschen mit
Behinderungen so, dass wir sagen, was sie können und
welche Hilfe sie brauchen, um dabei zu sein .

Zweites Beispiel . Häuser, in denen die Bundes-Re-
gierung oder ihre Verwaltung ihre Arbeits-Räume ha-
ben, müssen barrierefrei werden, zum Beispiel müssen
die Türen breiter sein, es müssen Stufen weg gemacht
werden, alte Häuser müssen umgebaut werden, und neue
Häuser müssen gleich richtig, also ohne Barrieren, ge-
baut werden .

Drittes Beispiel . Das Internet ist für viele schwierig .
Wir wollen die Seiten der Bundes-Regierung im Internet

barrierefrei machen . Es gibt schon einige, die gut sind,
aber noch nicht alle . Wir wollen, dass die Seiten gut zu
lesen und zu hören sind – und damit leichter zu verste-
hen .

Damit bin ich beim vierten Beispiel: leichte Sprache .
Ganz oft verstehen Menschen wichtige Texte nicht, weil
sie in schwieriger Sprache geschrieben sind . Wir wollen,
dass dann in leichter Sprache erklärt wird, was gemeint
ist . Dafür müssen wir aber alle noch viel lernen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Fünftes Beispiel . Es wird ein neues besonderes Büro
geben . Wir nennen es Bundes-Fach-Stelle für Barrie-
re-Freiheit . Das Büro soll auch anderen helfen: Geschäf-
ten, Gast-Stätten, Firmen, Vereinen und auch Städten .
Denn alle müssen besser werden . Und wir wollen dabei
helfen .

Warum brauchen wir dafür ein besseres Gesetz? Weil
wir in Deutschland in einem Land sind, das für wichtige
Sachen Regeln aufstellt . Die schreiben wir in ein Gesetz
hinein, und der Bundes-Tag entscheidet dann, dass das
für alle gilt .

Jetzt habe ich fünf neue Regeln beschrieben . Sie sol-
len das Leben für Menschen mit Behinderungen leichter
machen .

Wir haben – sechstens – noch eine neue Regel, ein
Recht, in das Gesetz geschrieben . Sie hilft, wenn Regeln
nicht eingehalten werden und Streit entsteht . Im Gesetz
heißt das Schlichtungs-Stelle .

Ich finde alle diese Vorschläge gut. Jetzt reden alle im
Bundes-Tag darüber . Am Ende wird entschieden, ob die
Vorschläge zu Regeln werden . Dann gelten sie für alle .

So . Das war meine erste Rede in einfacher Sprache .
Ich fand das sehr schwierig .


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816102200

Frau Staatssekretärin, liebe Kollegin, der Eindruck,

dass das ziemlich gut war, wird offenkundig vom ganzen
Haus geteilt, zumal sich ja auch schwerlich überhören
ließ, dass es besonders schwer ist, leicht zu sprechen .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Viele haben jetzt das erste Mal verstanden, worum es geht!)


Nun hat die Kollegin Katrin Werner für die Fraktion
Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Werner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816102300

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Ich möchte heute zu Beginn meiner Rede
die Bundesbehindertenbeauftragte Verena Bentele zitie-
ren:

Parl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller






(A) (C)



(B) (D)


Der Entwurf bleibt … deutlich hinter unseren Zielen
zurück . . . . Es reicht nicht, Hindernisse zu dokumen-
tieren . Wir müssen Barrieren wirksam beseitigen
und brauchen verbindliche Umsetzungsfristen . Die
UN-Behindertenrechtskonvention nimmt staatliche
Institutionen … eindeutig in die Pflicht.

Frau Bentele, ich begrüße Ihre Worte sehr . Sie haben
absolut recht: Was uns heute hier vorliegt, bleibt weit
hinter unseren Zielen zurück . Menschen mit Behinde-
rungen müssen in unserer Gesellschaft endlich wirklich
gleichgestellt werden . Und da sind wir uns alle einig .

Was nützt es, wenn nur die öffentlichen Träger zur
Barrierefreiheit verpflichtet werden, die privaten Dienst-
leister und Anbieter aber nicht? Was nützt es, wenn bei
Streitigkeiten über die Barrierefreiheit nur im Bereich
der öffentlichen Verwaltung geschlichtet werden kann,
nicht aber in der Privatwirtschaft?

Sehr geehrte Mitglieder der Regierung, Ihr Gesetzes-
entwurf geht in Teilen an der Lebensrealität von Men-
schen mit Behinderungen vorbei . Menschen mit Behin-
derungen werden nicht nur beim Umgang mit Behörden
diskriminiert, sondern vor allem im alltäglichen Leben .
Barrierefreiheit muss endlich auch in Deutschland zum
Standard werden, und zwar überall: im Theater, im Kino,
beim Bäcker um die Ecke, in der Arztpraxis, in der klei-
nen Kneipe nebenan oder im Personennahverkehr .

Ich will Ihnen das einmal deutlich machen: Es gibt
Restaurants und Läden mit unzähligen Stufen davor und
ohne eine barrierefreie Toilette, das Verbot zur Mitnahme
von Blindenführhunden, Türen, die viel zu schmal für ei-
nen Rollstuhl sind, Internetseiten, die von sehbehinder-
ten Menschen nicht lesbar und für sie daher nicht nutzbar
sind, und, und, und . Wollen Sie, dass das so bleibt? Das
kann nicht Ihr Ernst sein . Haben Sie endlich den Mut und
den Willen, Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen
umzusetzen!


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich sage es Ihnen heute noch einmal, und hoffentlich
ändern Sie endlich etwas, damit ich es Ihnen nicht noch
einmal sagen muss: Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 unseres
Grundgesetzes lautet: „Niemand darf wegen seiner Be-
hinderung benachteiligt werden .“


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Menschen mit Behinderungen werden in Deutschland
aber trotzdem bis heute ganz klar auf schlimmste Art und
Weise diskriminiert . Es ist eine Schande, dass überall
dort, wo ältere Menschen und Menschen mit Behinde-
rungen auf Barrierefreiheit angewiesen sind, immer noch
neue Barrieren entstehen und bestehende nicht beseitigt
werden . Menschen mit Behinderungen treffen auf Bar-
rieren privater Anbieter, für die keine Verpflichtung zur
Barrierefreiheit besteht, und ich glaube, hier liegt wirk-
lich das Problem .

Ihr heute vorgelegter Gesetzesentwurf verhindert,
dass Ärzte, Gaststätten, Kinos sowohl für Menschen mit
Behinderungen als auch für ältere Menschen mit Gehbe-

schwerden oder Eltern mit Kinderwagen gleichberechtigt
zugänglich sind . Barrierefreiheit bedeutet nicht nur mehr
Teilnahme für Menschen mit Behinderungen, sondern
auch Komfort für alle Menschen .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Was wollen Sie also mit einer so halbherzigen Vorlage
wirklich erreichen? Wir debattieren hier einen Gesetz-
entwurf, der die Lebensrealität der Menschen nicht zur
Kenntnis nimmt . Ist Ihnen nicht bewusst, dass sich das
Leben von Menschen mit Behinderungen nicht primär in
Bundesbehörden abspielt?

Versuchen Sie doch einmal, mit Menschen, die auf ei-
nen Rollstuhl angewiesen sind, auf eine Reise zu gehen .
Sie werden erstaunt sein, wie viel Zeit Sie vorab mit der
Organisation verbringen . Das Abenteuer beginnt bereits
am Telefon, wenn Sie die obligatorische Einstiegshilfe,
zu deren Nutzung Sie als Rollstuhlfahrerin bzw . Roll-
stuhlfahrer übrigens verpflichtet sind, am Bahnhof be-
stellen . Schon hier wird Ihnen mitgeteilt, dass die Ein-
stiegshilfe nur zu bestimmten Zeiten zur Verfügung steht
oder dass der gewünschte Zug keine Plätze für Rollstuhl-
fahrerinnen bzw . Rollstuhlfahrer besitzt .

Wenn Sie sich gezwungenermaßen entscheiden, mit
einem selbst angeheuerten Bus zu fahren und dann das
vorher von Ihnen im Internet recherchierte und als barri-
erefrei gekennzeichnete Hotel erreichen, so kann es sein,
dass die Türen für Rollstühle zu eng oder die Toiletten für
Menschen mit Behinderungen nicht nutzbar sind . Damit
muss endlich Schluss sein .


(Beifall bei der LINKEN)


77 Prozent der Bevölkerung rufen nach rechtlichen
Regelungen zur Barrierefreiheit . Und was macht die Re-
gierung? Ihr fehlen der Mut und der Wille, Maßnahmen
zu ergreifen, um wirklich in allen gesellschaftlichen Be-
reichen Barrierefreiheit zu schaffen . Warum verhindern
Sie denn schon wieder die Umsetzung der UN-Behin-
dertenrechtskonvention? Ist Ihnen denn nicht klar, dass
die Regierung mit diesem Gesetzesentwurf weiter gegen
geltendes Recht verstößt? Sogar der Fachausschuss zur
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention lehnt
die Unterscheidung zwischen privaten und öffentlichen
Anbietern von Gütern und Dienstleistungen bei der Her-
stellung von Barrierefreiheit ausdrücklich ab .


(Beifall bei der LINKEN)


Wovor haben Sie Angst, wenn Sie glauben, dass Sie
der Privatwirtschaft in Sachen Gleichstellung benachtei-
ligter Gruppen nichts vorschreiben dürfen? Warum neh-
men Sie nicht mehr Geld in die Hand?

Ihre Maßnahmen finanzieren Sie lediglich durch Um-
schichtungen im Haushalt . Aber ich sage Ihnen: Inklu-
sion bekommt man nicht zum Nulltarif . Selbst in den
USA – und dieses Land ist nun wahrlich nicht bekannt
für eine hervorragende Sozialpolitik – besteht seit 1990
eine Verpflichtung der Privaten zur Barrierefreiheit.


(Beifall bei der LINKEN)


Katrin Werner






(A) (C)



(B) (D)


Entgegen allen Erwartungen der Wirtschaft ist dadurch
kein Schaden entstanden .

Sie schlagen vor, dass leichte Sprache vermehrt in
Behörden eingeführt werden soll . So können Menschen
mit Lernschwierigkeiten die teils schwierigen Behörden-
texte besser verstehen . Aber warum schaffen Sie keinen
Rechtsanspruch auf Bescheide in leichter Sprache? Hier
bleiben Sie schon wieder auf halber Strecke stehen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie schlagen vor, eine Fachstelle „Barrierefreiheit“
und ein niedrigschwelliges Schlichtungsverfahren bei
Streitfällen gesetzlich zu verankern . Diese Vorschläge
sind im Ansatz richtig und gut . Dennoch, meine Damen
und Herren der Regierung: Ihr Gesetzesentwurf ist leider
nicht menschenrechtskonform .

Meine sehr geehrten Damen und Herren der Regie-
rung, Ihre Gesetzesvorlage greift viel zu kurz . Deshalb
fordern wir Linken erstens, private Unternehmen und
private Anbieter von öffentlichen Dienstleistungen und
Produkten mit einzubeziehen . Wir fordern zweitens, den
Behinderungsbegriff der UN-Behindertenrechtskonven-
tion vollständig und korrekt zu übernehmen .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir fordern drittens, das Ziel der Verpflichtung des Staa-
tes festzuschreiben, die Menschenrechte zu achten, zu
schützen und zu gewährleisten . Wir fordern, durchgängig
Bezug auf den menschenrechtlichen Ansatz der UN-Be-
hindertenrechtskonvention zu nehmen . Wir fordern vier-
tens, die Mitnahme von Hilfsmitteln und menschlicher
wie tierischer Assistenz in allen Lebensbereichen für
Menschen mit Behinderungen als Anspruch zu garantie-
ren .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir fordern fünftens, finanzielle Mittel des Bundes
grundsätzlich an das Kriterium der Barrierefreiheit sowie
an die Vorgaben des neuen Behindertengleichstellungs-
rechts zu binden . Wir fordern sechstens, die neuen Rege-
lungen besser mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungs-
gesetz und den Sozialgesetzbüchern zu verknüpfen . Und
wir fordern nicht zuletzt siebtens, Menschen mit Behin-
derungen immer – und zwar immer! – als Experten und
Expertinnen in eigener Sache mit einzubeziehen .


(Beifall bei der LINKEN)


Sehr geehrte Regierungsmitglieder, unsere Vorschlä-
ge, das Behindertengleichstellungsgesetz menschen-
rechtskonform weiterzuentwickeln, haben wir in unse-
rem Antrag unterbreitet . Seien Sie mutig, greifen Sie sie
auf!

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816102400

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält der Kollege Karl

Schiewerling das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1816102500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau

Staatssekretärin Lösekrug-Möller, ich bin außerordent-
lich dankbar, dass Sie in einfacher Sprache die wirkli-
chen Essentials dieses Gesetzentwurfes so dargestellt
haben, dass ich gehofft habe, dass auch – –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816102600

Was sind bitte „Essentials“, Herr Kollege?


(Heiterkeit und Beifall)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1816102700

Ich danke Ihnen, Herr Präsident, für den Hinweis . Ich

will Ihnen gerne helfen . Um es in einfacher Sprache zu
sagen: Ich bin außerordentlich dankbar, dass Frau Staats-
sekretärin die Grundlagen dieses Gesetzentwurfs darge-
stellt hat. Ich habe das Wort einfließen lassen, weil ich
den Eindruck habe, dass die einfache Sprache bei den
Linken nicht verstanden wird; sonst hätten wir diese
Rede der Kollegin Werner gerade nicht gehört .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist schon mal wahr!)


Ich hatte die Hoffnung, dass ich die Linke mit diesem
Fremdwort vielleicht doch erreiche .

Frau Werner, hier so zu tun, als würden wir einen Ge-
setzentwurf vorlegen, mit dem Barrieren nicht nur nicht
abgebaut, sondern sogar aufgebaut würden, halte ich für
mehr als abenteuerlich . Ich glaube, Sie sollten sich ein
wenig an die Gepflogenheiten des Hohen Hauses halten,
dass wir nämlich im Bereich der Politik für Menschen
mit Behinderungen versuchen, mit einer Sprache zu
sprechen und an die Dinge so heranzugehen, dass unser
gemeinsames Interesse als Deutscher Bundestag deutlich
wird .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Dann müssen Sie aber liefern!)


Ich rate Ihnen dringend, dies klar zu machen .


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Oberlehrer!)


In der Tat: 14 Jahre ist das Behindertengleichstel-
lungsgesetz alt . Es enthält spezielle Regelungen gegen
die Benachteiligung von Menschen . Das Kernstück die-
ses Gesetzes ist die Herstellung von Barrierefreiheit . Le-
bensbereiche müssen so gestaltet werden, dass Menschen
mit Behinderungen die gleichen Chancen auf selbstbe-
stimmte Teilhabe am Leben wie Menschen ohne Behin-
derung haben .

In Deutschland gibt es 7,5 Millionen Menschen mit
anerkannten Schwerbehinderungen . Davon beziehen
711 000 Menschen Leistungen aus der Eingliederungs-
hilfe . Die meisten Behinderungen treten im Laufe des
Lebens auf . Nur 4 bis 5 Prozent der Menschen werden
mit Behinderungen geboren . Wir haben – auch dies will
ich Ihnen deutlich sagen und damit auf Ihre Rede antwor-
ten – seit vielen Jahren kleine – zugegeben –, aber wich-

Katrin Werner






(A) (C)



(B) (D)


tige Schritte getan, um die Lebenssituation der Menschen
mit Behinderungen in unserem Land zu verbessern . Ich
halte es für notwendig, dies anzuerkennen und in den
Mittelpunkt zu stellen .

Auch wir könnten uns an der einen oder anderen Stelle
manches anders vorstellen . Aber es gibt auch hinsicht-
lich der Finanzen Grenzen . Ich glaube, im Rahmen des-
sen, was wir an Möglichkeiten haben, sind wir wichtige
Schritte gegangen . Der wichtige Unterschied zu Ihnen
besteht darin, dass wir wissen, dass in der Wirtschaft
schon allein der Not gehorchend ganz viel beim Abbau
von Barrieren geschieht, weil die Unternehmen sonst
keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bekommen, weil
Kunden nicht ins Geschäft kommen und weil die Unter-
nehmen keine Umsätze tätigen können . Hier sind viele
Dinge in Bewegung . Ich glaube, dass wir unter diesen
Gesichtspunkten auf einem guten Weg sind .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir die
Regelungen der UN-Behindertenrechtskonvention wei-
ter umsetzen und insbesondere den Bereich des Abbaus
von Barrieren im Baubereich in den Mittelpunkt stellen .
Aber wir denken auch an den Abbau von Barrieren durch
Nutzung der einfachen Sprache und bei der Nutzung der
neuen Kommunikationsmittel .

Wir wollen eindeutig helfen – das ist der zweite Teil –,
dass Menschen mit Behinderungen durch die Verwen-
dung der einfachen Sprache in den Behörden Gehör fin-
den und dass man sich dort entsprechend auf sie einstellt .
Ich begrüße ausdrücklich, dass wir jetzt die Schlich-
tungsstelle bei der Bundesbeauftragten für Menschen mit
Behinderungen haben, an die sich jeder wenden kann,
bevor man die Auseinandersetzungen vor Gericht führt .
Ich glaube, dass es ein wichtiger und auch menschlicher
Schritt ist, um Menschen, die behindert sind, den Weg zu
mehr Recht zu eröffnen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir den
Blick auf Fragen weiten müssen, die sich uns in der
letzten Zeit gestellt haben, zum Beispiel die Frage der
rasanten Zunahme von Behinderungen in unserer Gesell-
schaft . Wir haben dabei keine Abnahme, sondern eine
Zunahme . Das Problem ist: Wir schauen nur auf dieje-
nigen, deren Behinderung offensichtlich ist . Das sind oft
Körperbehinderte, bei denen wir sogar die Möglichkeit
haben, durch Hilfsmittel zwar nicht die Behebung der
Behinderung zu erreichen, aber für einen Ausgleich zu
sorgen .

Aber die große Zunahme der psychosomatischen,
seelischen und geistigen Erkrankungen in unserem Land
bereitet uns große Sorge . Noch größere Sorge bereitet
mir, dass wir die Frage nach den Ursachen immer nur
monokausal beantworten und sagen: „Es ist der Druck
in der Wirtschaft .“ Ja, das ist es auch . „Es sind die ver-
dichteten Arbeitsvorgänge .“ Ja, das ist es auch . „Es sind
die Belastungen, denen Menschen im beruflichen Leben
ausgesetzt sind .“ Ja, das ist es auch . Aber es ist eben nicht

nur das, sondern wir leben auch in einer völlig entgrenz-
ten Gesellschaft .

Wir erleben psychische Erkrankungen, weil Men-
schen in unserer Gesellschaft viele Dinge, die sie zu ihrer
Sicherheit benötigen, nicht mehr als Sicherheit erleben .
Das ist nicht nur eine Frage des sozialen Bereiches und
der sozialen Mittel; das ist auch eine Frage der Werte und
Grundlagen, an die man sich in unserer Gesellschaft hält .

Ich rate Ihnen und uns dringend, diesen Fragen nach-
zugehen . Denn ich glaube, dass in diesen Entwicklungen
nicht unwichtige Ursachen für die Zunahme der Behin-
derungen liegen; das ist meine tiefe Überzeugung . Ich
will Ihnen das an einem winzigen Beispiel deutlich ma-
chen, das man nicht unterschätzen darf . In der Frage der
Entgrenzung der Gesellschaft weise ich darauf hin, dass
man sich, wenn wir weiterhin alles flexibilisieren und
freigeben bis hin dazu, dass wir keinen Sonntagsschutz
mehr haben, nicht zu wundern braucht, wenn Menschen
kaum noch Halt und Orientierung haben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen glaube ich, dass wir die Frage, was sich in
unserer Gesellschaft zu dem entwickelt, was wir später
als Erkrankungen und Behinderungen diagnostizieren,
gemeinsam angehen sollten .

Der vorliegende Gesetzentwurf dient dazu, Barrieren
abzubauen, zunächst einmal dort, im öffentlichen Be-
reich, wo wir unmittelbar helfen können . Ich bin sicher,
dass wir hiermit einen weiteren wichtigen Schritt gehen
und damit auch den Menschen Mut machen und ein Zei-
chen setzen .

Meine Damen und Herren, Barrieren abbauen, inte-
grieren und inkludieren dient nicht nur den Menschen
mit Behinderungen; es dient auch unserer Gesellschaft
und wird das Zusammenleben fördern .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816102800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Corinna Rüffer für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816102900

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und

Herren! Liebe Gäste! Liebe Frau Lösekrug-Möller, ich
fand, es war eine überraschend schöne Idee, Ihre Rede in
einfachen Worten zu halten . Ich hätte aber gerne gehört,
dass Sie nicht nur die Lichtseiten des Gesetzentwurfs an-
sprechen, sondern auch die Schattenseiten . Das ist aber
auch Aufgabe der Opposition . Ich will das gerne für Sie
übernehmen, wenn auch nicht in einfacher Sprache .

Wenn wir danach fragen, wo die großen Würfe in der
Behindertenpolitik bleiben, hören wir seit Jahren von Ih-
nen: Gut Ding will Weile haben . – Nun liegt das erste
Werk vor, und dies gilt es zu beurteilen .

Karl Schiewerling






(A) (C)



(B) (D)


Herr Schiewerling, Ihnen hat nicht so gut gefallen,
was Frau Kollegin Werner gesagt hat . Ich will das an die-
ser Stelle wiederholen und bitte Sie, zuzuhören,


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das gefällt ihm trotzdem nicht!)


weil Sie dadurch, glaube ich, noch etwas lernen können,
was die Einschätzung des Gesetzentwurfs anbelangt .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Nein!)


Der zweite Teil Ihrer Rede hat mir übrigens hervorragend
gefallen .

Ich möchte ein paar Stimmen zu Wort kommen lassen .
Die erste ist die der Beauftragten der Bundesregierung
für die Belange behinderter Menschen, Verena Bentele .
Sie hat auf einer Pressekonferenz im Januar Folgendes
gesagt:

Der Entwurf bleibt leider deutlich hinter unseren
Zielen zurück . Zwar hat die Sozialministerin Andrea
Nahles mit aller Kraft versucht, eine gute Novellie-
rung auf den Weg zu bringen . Doch zu viele Abstri-
che, die im Laufe des politischen Prozesses gemacht
wurden, haben den Gesetzentwurf verwässert .

Sie hat ihren Eindruck auch belegt:

Neubauten des Bundes müssen zwar künftig hohe
Standards der Barrierefreiheit erfüllen – nicht aber
bestehende Gebäude . Das ist zu wenig .

Stattdessen werde nur festgeschrieben, dass über die vor-
handenen Barrieren berichtet wird . Das gelte auch für In-
tranet und andere elektronisch unterstützte Verwaltungs-
abläufe . Verena Bentele sagte weiter:

Es reicht nicht, Hindernisse zu dokumentieren . Wir
müssen Barrieren wirksam und verbindlich beseiti-
gen . Die UN-Behindertenrechtskonvention nimmt
staatliche Institutionen ganz eindeutig in die Pflicht.

Sie erläutert:

Pflichterfüllung hieße, dass Menschen mithilfe von
Rampen oder Fahrstühlen alle Gebäude selbststän-
dig erreichen können . Es bedeutet, dass für gehör-
lose Menschen Informationen in Gebärdensprache
vorhanden sind, dass es im Internet Angebote gibt,
die auch blinde Menschen nutzen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das alles ist richtig . Hubert Hüppe, Sie hätten das si-
cherlich in ähnlicher Weise oder vielleicht sogar deutli-
cher formuliert, wenn Sie noch Behindertenbeauftragter
wären . Vielleicht sollten Sie, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von der Union, einmal mit ihm reden . Die Frage,
die ich Ihnen stellen möchte, lautet: Warum schaffen Sie
es nicht, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das die Pro-
bleme fundamental angeht und tatsächlich löst? Wir ha-
ben doch alle Möglichkeiten dazu .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich gibt es – das will ich gerne zugestehen –
auch positive Aspekte – diese gibt es immer –:

Die Fachverbände für Menschen mit Behinderung
begrüßen, dass es eine Novellierung des BGG
gibt . . .

Dass es eine Novellierung gibt, ist schon etwas . Weiter
heißt es:

Der Referentenentwurf beinhaltet zudem viele As-
pekte, die die Fachverbände seit langem gefordert
haben: So haben unter anderem die angemessenen
Vorkehrungen im Einzelfall, die Leichte Sprache
und eine Fachstelle für Barrierefreiheit Aufnahme
in den Gesetzentwurf gefunden .

Hier endet der positive Teil . Weiter heißt es:

In der Gesamtbetrachtung stellen die Fachverbän-
de jedoch fest, dass durch den Einbau vieler Finan-
zierungsvorbehalte, unbestimmter Rechtsbegriffe,
Sollvorschriften und Einschränkungen das Gesetz
eher eine Absichtserklärung geworden ist als ein
Gesetz, das aus Sicht der Menschen mit Behinde-
rung konkrete Ansprüche samt Rechtsfolgen schafft .

Also eher eine Absichtserklärung als ein Gesetz! Das ist
ziemlich deutlich .

Als das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Men-
schen im Jahr 2002 geschaffen wurde, setzte es Maßstä-
be bei der Umsetzung des Benachteiligungsverbots im
öffentlich-rechtlichen Bereich . Viele Gebäude staatli-
cher Einrichtungen sind in den letzten Jahren tatsächlich
barrierefrei gebaut oder auch umgebaut worden . Bei den
Internetseiten der Bundesministerien und -behörden be-
müht man sich um Barrierefreiheit . Das gilt auch für die
Internetseite des Bundestages . Die Deutsche Gebärden-
sprache wird nach ihrer staatlichen Anerkennung endlich
zunehmend als ganz normale Form der Kommunikation
anerkannt . Das alles sind gute Nachrichten . Aber seitdem
sind 14 Jahre ins Land gegangen . Vor nunmehr sieben
Jahren ist die UN-Behindertenrechtskonvention gelten-
des Recht in Deutschland geworden .

Nun legen Sie einen Gesetzentwurf vor, über den man
nur sagen kann: Zu kurz gesprungen! Das sind Trippel-
schritte und entspricht nicht dem, was man nach all der
Zeit, die Sie gebraucht haben, um diesen Gesetzentwurf
vorzulegen, erwarten muss .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie scheuen verbindliche Verpflichtungen. Barrieren in
bestehenden Gebäuden und im Intranet der Bundesmi-
nisterien und -behörden sollen bis 2021 erhoben werden .
Aber bis wann sie abgebaut werden, steht in den Sternen;
das regeln Sie nicht . Ich habe den Eindruck, wenn ich Ih-
ren Gesetzentwurf lese, dass Barrierefreiheit für Sie eine
Belastung darstellt . Die ganze PR zum Thema Barriere-
freiheit wird doch ad absurdum geführt, wenn wir hier
nicht mutige Schritte vorangehen; das ist ein richtiges
Problem .

Bei der leichten Sprache gibt es keine Rechtsverbind-
lichkeit, sondern viel Spielraum, um leichte Sprache im
Verwaltungsbereich zu verweigern . Private Einrichtun-
gen müssen sich künftig an das BGG halten, wenn sie
dauerhaft institutionell gefördert werden . Wenn aber pri-
vate Einrichtungen regelmäßig hohe Geldbeträge erhal-

Corinna Rüffer






(A) (C)



(B) (D)


ten, gilt das nicht . Die Gleichstellung behinderter Frauen
und Mädchen wird zwar betont . Konkrete Maßnahmen
hierzu lassen aber weiter auf sich warten .

Der dickste Hund liegt aber – Kollegin Werner hat
das angesprochen – woanders begraben . Sie, meine Da-
men und Herren von der Linken, haben Ihren Antrag mit
„Eine halb barrierefreie Gesellschaft reicht nicht aus –
Privatwirtschaft zu Barrierefreiheit verpflichten“ betitelt.
Ich finde, dass das eher noch zurückhaltend formuliert
ist . Der normale Mensch verbringt schließlich nicht sein
halbes Leben in irgendwelchen öffentlichen Einrichtun-
gen, sondern an ganz anderen Orten . Nur der Bereich der
öffentlichen Einrichtungen ist tangiert . Aber der gesamte
private Bereich ist außen vor . Es ist schön und gut, dass
sich der Bund zu mehr Barrierefreiheit verpflichtet. Aber
das reicht nicht aus . Was ist denn mit den genannten Or-
ten? Was ist mit Geschäften, Bäckereien, Kneipen oder
Kinos? Haben Sie einmal erlebt, wie es ist, mit einem im
Rollstuhl sitzenden Freund vor den Stufen einer Kneipe
zu stehen, die sich nicht überwinden lassen? Ich kann Ih-
nen sagen: Das ist ein beschämendes Gefühl . Während
alle anderen vorbeiziehen und in Ruhe ihr Bierchen trin-
ken können, stehen Sie vor der Tür und können diese
Barriere nicht überwinden . – Sie wollen offensichtlich,
dass das so bleibt . Da muss ich sagen: Ihre Reden von
Teilhabe sind wirklich nur ein frommer Wunsch, es sind
und bleiben Sonntagsreden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Große Koalition, Sie wissen es besser . Es ist
echt enttäuschend, dass Sie nicht mehr Mut aufbrin-
gen . Andere Länder haben es vorgemacht, und siehe da:
Die Wirtschaft ist eben nicht zusammengebrochen, im
Gegenteil . Man kann auch einmal die positiven Aspek-
te sehen . Frau Nahles – sie ist heute nicht hier –, Frau
Lösekrug-Möller, Herr Schummer, Frau Tack, Sie wissen
es besser . Ich bitte Sie: Legen Sie einmal offen, wer hier
eine zeitgemäße Antidiskriminierungspolitik verhindert,
damit wir die richtigen Adressaten ansprechen und, ja,
auch unter Druck setzen können, damit sich endlich et-
was verändert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Weit über 70 Prozent der Bevölkerung erachten das The-
ma Barrierefreiheit als ein außerordentlich wichtiges
Thema . Denn es ist doch klar: In einer älter werdenden
Gesellschaft – manch einer hat vielleicht schon einmal
einen Kinderwagen geschoben – weiß man, dass Barrie-
refreiheit allen zugutekommt .

Ich möchte auch sagen, worauf ich und meine Frak-
tion wirklich keine Lust mehr haben: auf die Instrumen-
talisierung des behindertenpolitischen Bereichs für alles
Mögliche . Sie erzählen seit Ewigkeiten, dass wir auf
Meilensteine warten dürfen . Das BGG ist ein Beispiel,
das Bundesteilhabegesetz ist ein anderes . Seit kurzem
hat die SPD entdeckt, dass man sozialpolitische The-
men nicht vernachlässigen darf . Energie und Ressourcen
sollen nicht nur Geflüchteten zugutekommen. Ich finde
nicht nur den Zungenschlag ziemlich daneben, sondern
meine auch, dass die Wahrheit eine ganz andere ist .
Das, was wir im Bereich des bezahlbaren, barrierefrei-

en Wohnraums, der Altersarmut, des Rentenniveaus und
der Langzeitarbeitslosigkeit – name it – versäumt haben,
sind alles Probleme, die mit dem Zu-uns-Kommen der
Geflüchteten rein gar nichts zu tun haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Reden und leere Versprechen helfen nicht, sondern
machen manches schlimmer . Vertrauen geht in dieser
Bevölkerung bei Menschen mit Behinderungen verloren .
Wir wollen ein vernünftiges Behindertengleichstellungs-
recht und ein vernünftiges Bundesteilhabegesetz, das uns
in dem Bereich weiterführt und mehr Teilhabe ermög-
licht . Das, was wir im Moment sehen, ist leider etwas
ganz anderes . Wir warten gespannt auf den Referenten-
entwurf zum Bundesteilhabegesetz .

Was wir aber brauchen, ist eine inklusive Gesellschaft,
heute mehr denn je .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie bedeutet kulturellen Fortschritt, die Wertschätzung
der Differenz . Ich sage das und meine hier einen weiten
Begriff der Inklusion, der nur dort seine Grenzen findet,
wo die Rechte anderer tangiert werden . Dieser Begriff
meint Alte und Junge, Schwarze und Weiße, Männer und
Frauen, Menschen mit Behinderungen und Menschen
ohne Behinderungen . Wenn wir es mit dem Aufbau die-
ser inklusiven Gesellschaft ernst meinen, dann können
wir in diesen schwierigen Zeiten der Geschichte ein hu-
manes Gesicht entgegensetzen . Was wir brauchen, ist
Zusammenhalt; das ist die Alternative für Deutschland .
Das muss auch für Menschen mit Behinderungen gelten .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816103000

Vielen Dank, Corinna Rüffer . – Nächste Rednerin ist

die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange be-
hinderter Menschen . Bitte begrüßen Sie recht herzlich
bei uns Verena Bentele .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Verena Bentele, Beauftragte der Bundesregierung
für die Belange behinderter Menschen:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren Abgeordnete! Auch ich möchte wie
Frau Werner – das war nicht abgesprochen; ich schwö-
re – den Satz aus dem deutschen Grundgesetz „Niemand
darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ an
den Anfang meiner Rede stellen, weil er mir wichtig ist .
Auch wegen dieses Satzes bin ich froh, dass die Weiter-
entwicklung des Behindertengleichstellungsrechts ein
Schritt zu wirklich mehr Teilhabe ist, Teilhabe für alle
Menschen mit Behinderungen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es freut mich wirklich, dass vorgesehen ist, dass bei-
spielsweise Bundesbehörden zukünftig Menschen mit –

Corinna Rüffer






(A) (C)



(B) (D)


das möchte ich sagen – sogenannten geistigen Behin-
derungen ihre Bescheide in leichter Sprache erläutern
sollen .


(Beifall bei der SPD)


Wir wissen alle – deswegen war die Rede von Gabriele
Lösekrug-Möller in leichter Sprache eine ganz tolle –,
dass die leichte Sprache vielen Menschen hilft; denn die
Sprache der Behörden und, wie wir immer wieder sehen,
auch die Sprache der Politik ist doch eher eine kompli-
zierte, und das, meine sehr geehrten Damen und Herren,
schließt viele Menschen aus . Für Menschen mit Lern-
schwierigkeiten sind deswegen Informationen in leich-
ter Sprache – das finde ich wichtig – ein Schlüssel zur
Teilhabe . Es gibt Wörter wie das Wort „Partizipation“ .
Dieses Wort bedeutet Teilhabe; aber es ist, auch wenn es
schwer ist, ein gutes Wort: „Partizipationsfonds“ bedeu-
tet, dass zukünftig Geld für wirklich mehr Teilhabe in die
Hand genommen wird . Die Selbstvertretungsorganisatio-
nen von Menschen mit Behinderungen bekommen damit
endlich eine starke Stimme und eine bessere Möglichkeit
für politische Beteiligung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dem Grundsatz der UN-Behindertenrechtskonvention,
dem „Nichts über uns ohne uns“, entspricht dieser Fonds
deswegen sehr . Wichtig ist aber natürlich – das ist vor
allem adressiert an die Damen und Herren Finanzpoliti-
ker –: Er muss mit genügend Geld ausgestattet sein .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Rudolf Henke [CDU/CSU])


Ein echtes Herzensanliegen ist für mich als Behin-
dertenbeauftragte der Bundesregierung – das werden
Sie verstehen – die Schlichtungsstelle, die bei mir ange-
siedelt sein soll . Dort sollen niedrigschwellig – das ist
wichtig – und auch kostenfrei Streitfälle nach dem BGG
gelöst werden können, und zwar für Verbände der Men-
schen mit Behinderungen, aber auch für Einzelpersonen .
Hier geht es zum Beispiel darum, was ist, wenn Barrie-
refreiheit in Behörden nicht berücksichtigt wurde, wenn
beispielsweise Behörden Menschen, die gehörlos sind,
keine Informationen und Kommunikation in Gebärden-
sprache zur Verfügung stellen . Ich bin froh, dass wir zu-
künftig die Schlichtungsstelle anrufen können, um dort
Lösungen zu erwirken .

Ich schließe mich aber auch einer der wichtigen For-
derungen an, die von allen meinen Vorrednerinnen und
Vorrednern mit unterschiedlicher Gewichtung genannt
worden sind: In Bestandsbauten des Bundes soll Barri-
erefreiheit geschaffen werden, und zwar dadurch – das
ist wichtig –, dass über diese Barrieren bis 2021 zu be-
richten ist . Meine sehr geehrten Damen und Herren, vom
Berichten über Barrieren werden Barrieren aber definitiv
nicht beseitigt . Davon kann ich ein Lied singen .


(Beifall im ganzen Hause)


Barrierefreiheit ist und bleibt für mich einer der wirklich
neuralgischen Punkte, wenn es darum geht, echte Teil-
habe zu sichern . Rampen statt Stufen, Kommunikations-
möglichkeiten in Gebärdensprache oder Aufzüge, die mir

sagen, wo sie gerade halten, sodass ich auch weiß, wo ich
aussteigen soll – das ist wichtig .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Immer CDU/CSU-Fraktion! Da steigen Sie aus!)


Hier möchte ich, ohne dass es auf meinem Zettel
steht, ein persönliches Beispiel nennen . Ich war neulich
in einem Hotel und stand im Aufzug vor einem Touch-
screen, der von mir wissen wollte, in welche Etage ich
fahren möchte . Wenn der Touchscreen aber nicht spricht,
wie soll ich dann wissen, ob ich mit meiner Hand ganz
oben oder ganz unten bin? Wären wir im Märchen Dorn-
röschen, könnte es lustig sein, in den Turm zu fahren . In
meinem Leben ist es eine echte Zeitverschwendung .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Es ist daher wichtig, dass wir eine Bundesfachstelle
für Barrierefreiheit haben werden, wo sich alle informie-
ren und Expertise zum Thema Barrierefreiheit erhalten
können . Ich stelle mir das so vor, dass künftig Restau-
rantbetreiber, Ladenbesitzer, aber natürlich auch Behör-
den anfragen, wie sie ihre Einrichtungen barrierefrei ge-
stalten sollen . In der Realität – das ist das Problem – wird
es aber mit Sicherheit oft anders sein . Meine Fantasie
geht hier weitere Wege . Heute bin ich hier, um dafür zu
werben, die Fantasie endlich Wirklichkeit werden zu las-
sen .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es geht an der Lebensrealität von Menschen mit Behin-
derung vorbei, zwischen Trägern öffentlicher Gewalt
und privaten Anbietern öffentlich zugänglicher Gebäude,
Dienstleistungen und Produkte zu unterscheiden . Deswe-
gen werbe ich sehr für mehr Barrierefreiheit . Wir brau-
chen endlich eine barrierefreie Gesundheitsversorgung,
barrierefreie Restaurants .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der LINKEN)


– Ich sehe schon: Beim Thema Gesundheit klatschen vie-
le . Wer geht zum Arzt? Es sind nicht unbedingt die, die
gesund sind, sondern meist die, die Unterstützung brau-
chen . Deswegen: Eine barrierefreie Gesundheitsversor-
gung ist mir ganz wichtig .

Genauso wichtig sind aber auch barrierefreie Kultur-
und Freizeiteinrichtungen, Kinos, Restaurants – ich habe
sie schon genannt –, aber auch Geschäfte . Wollen wir nur
Internetshopping, oder wollen wir belebte Innenstädte?
Das, finde ich, ist die große Frage.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die privaten Anbieter werden durch den vorgelegten
Gesetzentwurf nicht verpflichtet. Für mich ist deswegen
entscheidend, immer wieder die Frage zu stellen: Was
wollen wir tun, um endlich Teilhabe zu sichern? Vom

Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen






(A) (C)



(B) (D)


Amt bis zum Zahnarzt, von der Kneipe bis zum Bundes-
tag – Barrierefreiheit brauchen wir überall .

Unser Nachbarland Österreich – das wurde schon ge-
nannt – ist da einen Schritt weiter gegangen; denn dort
müssen alle Anbieter richtige und angemessene Vorkeh-
rungen treffen . Eine solche Regelung – da sehen Sie:
ich bin eine konstruktive Beauftragte – wäre auch hier
möglich; denn es gibt die Möglichkeit, in den vorliegen-
den Gesetzentwurf einen weiteren Artikel aufzunehmen,
der eine passende Änderung des Allgemeinen Gleichbe-
handlungsgesetzes vorsieht . Ich hätte auch eine Quelle,
wo Sie das nachschauen können: Das Forum behinderter
Juristinnen und Juristen hat hierzu einen Vorschlag un-
terbreitet .


(Beifall im ganzen Hause)


„Niemand“, meine sehr geehrten Damen und Herren
Abgeordnete, „darf wegen seiner Behinderung benach-
teiligt werden .“ Mit diesem Satz aus dem Grundgesetz
möchte ich schließen . Lassen Sie uns gemeinsam ent-
schieden gegen Benachteiligung kämpfen! Ich appelliere
daher an die Kraft des Parlaments: Verpflichten Sie end-
lich auch Private zur Barrierefreiheit!


(Beifall im ganzen Hause)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816103100

Vielen herzlichen Dank, liebe Verena Bentele, auch

für Ihren leidenschaftlichen Appell . – Nächster Redner
in der Debatte: Uwe Schummer für die CDU/CSU-Frak-
tion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Uwe Schummer (CDU):
Rede ID: ID1816103200

Sie sehen, wie lebendig das Parlament ist . Wenn auch

schon vonseiten der Bundesregierung, des Ministeriums
Änderungsanträge formuliert werden, wird es sicher eine
spannende Debatte, die wir im Ausschuss und dann auch
weiter im Parlament zu der Thematik führen werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nehmen Sie es einfach auf!)


Es war eine eindrucksvolle Buchlesung mit Janis
McDavid, die ich gestern im Paul-Löbe-Haus miterlebt
habe . Er ist 24 Jahre, studiert Wirtschaftswissenschaften
in Witten-Herdecke . Er ist ohne Arme, ohne Beine ge-
boren, und er zeigt, welches Potenzial, welche Lust am
Leben in ihm steckt . Sein Buch Dein bestes Leben, das in
den nächsten Tagen auf der Leipziger Buchmesse vorge-
stellt wird, birgt auch sein Motto, nämlich den Mut, über
sich hinauszuwachsen . Er berichtet von Weltreisen, von
seinen sozialen, kulturellen Aktivitäten und auch über die
Normalität, mit der er, der ohne Arme und Beine geboren
ist, die Welt wahrnimmt . – Politik ist oft stark in der The-
orie, aber blutleer, wenn sie sich nicht solchen Geschich-
ten und solchen Menschen nähert . Deshalb ist eine solche
Geschichte so wichtig für die politische Debatte, die wir
in den nächsten Wochen und Monaten miteinander füh-
ren werden . Sie ist auch die beste Medizin gegen Barrie-

ren, die in den Köpfen in noch viel stärkerem Maße als in
manchen Großstädten vorhanden sind .

Wir brauchen eine Zustände- und Gesinnungsreform .
Dies ist ein Thema, das nicht nur den Bund angeht, son-
dern alle Ebenen unserer Gesellschaft . Deshalb ist auch
das Behindertengleichstellungsgesetz, das nach 14 Jah-
ren renovierungsbedürftig ist, ein Gesetz, das sich nicht
allein an die Bundesebene, sondern letztendlich an alle
in der Gesellschaft wendet, das heißt auch an die Lan-
desebene, an die kommunale Ebene und auch an die
Wirtschaft . Es konkretisiert den hier schon mehrfach ge-
nannten Artikel im Grundgesetz, wonach niemand wegen
seiner Behinderung benachteiligt werden darf .

Es geht auch um die Umsetzung der UN-Behinderten-
rechtskonvention . Sie wird prozesshaft und allmählich
immer weiter in nationales Recht umgesetzt und findet
dort ihren Widerhall . Wir haben 10 Millionen Menschen,
die in ihrem Lebensumfeld beeinträchtigt sind . Ihre Lage
wollen wir verbessern .

Der Bund geht dabei voran . Er fördert schon heute
barrierefreies Bauen . Wir haben beispielsweise – das
zum Thema Geld – 670 Millionen Euro für barriere-
freie Innenstädte bereitgestellt . Die Mittel werden nicht
umfassend abgerufen . Wir haben ein 5-Milliarden-Eu-
ro-Programm über die KfW . Die Mittel können abge-
rufen werden, um öffentliche Gebäude, Arztpraxen und
anderes barrierefrei zu gestalten . Das heißt: Es ist aus-
reichend Geld vorhanden, um Barrierefreiheit zu leben;
die Gelder, die der Bund mobilisiert hat, müssen nur ab-
gerufen werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


70 Prozent der Investitionen erfolgen auf kommunaler
Ebene . Das bedeutet, dass wir auch in den Stadträten da-
rüber diskutieren müssen, dass es auf der einen Seite eine
Finanzierungsmöglichkeit gibt und auf der anderen Seite
einen Bedarf, den wir miteinander decken wollen .

Auch mit Blick auf das Thema der Drittmittel wer-
den wir bei dauerhafter Förderung von Institutionen die
Barrierefreiheit als Grundvoraussetzung einfordern . Das
betrifft generell Neubauten, aber auch Altbauten, die
umgerüstet werden müssen . Dabei geht es nicht nur um
Rampen . Wir wissen, dass eine Rampe in der Nähe einer
Treppe nicht nur gut für Rollstuhlfahrer ist, sondern auch
Eltern mit Kinderwagen, Radfahrern, älteren Menschen
mit Rollatoren, Skateboardfahrern usw . nützt . Wir wol-
len im Grunde lebensnahe, vitale, menschengerechte In-
nenstädte entwickeln und dafür auch die entsprechenden
Gelder bereitstellen .

Wir werden letztendlich auch diejenigen berücksich-
tigen müssen, die zu einem Aufzug gelangen wollen,
indem wir die Wege dorthin kontrastreich beschildern .
Eine Möglichkeit ist auch – das habe ich in der letzten
Woche im ICE erlebt –, stärker Bildschirme zu nutzen,
um zum Beispiel diejenigen, deren Gehör gemindert ist,
über Anschlussmöglichkeiten auf dem Bahnhof zu in-
formieren . In diesem Bereich wird auch innerhalb der
Deutschen Bahn nachgerüstet und etwas für diejenigen
entwickelt, die sinnesbeeinträchtigt sind .

Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen






(A) (C)



(B) (D)


Wir wollen mit der Weiterentwicklung des Behinder-
tengleichstellungsrechts letztendlich auch die Gebärden-
sprache, die inzwischen staatlich anerkannt ist, weiter
aufwerten . Dazu könnte auch gehören, dass man eine
solche Debatte oder generell Kernzeitdebatten hier im
Parlament auf dem Erlebniskanal Phoenix durch einen
Gebärdendolmetscher übersetzen lässt .


(Beifall des Abg . Dr . Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dann hätten wir als Bundestag einen sehr guten ersten
Einstieg, um dies auch über die Medien zu transportie-
ren . Aber es gehört auch dazu, Gebärdensprache in den
Curricula der Lehramtsausbildung stärker zu verankern .
Die Gebärdensprache muss in den Schulen, Hochschulen
und Volkshochschulen stärker gefördert werden, damit
sie sich insgesamt weiter durchsetzen kann .

Zum Thema „leichte Sprache“ hat Gabriele Lösekrug-
Möller ein wunderbares Beispiel gebracht . Ich werde das
noch einmal in Ruhe nachlesen . Aber auch hierbei geht
es nicht allein um Menschen, die eine geistige Behin-
derung haben . Der Verband der Volkshochschulen sagt,
dass 7,5 Millionen Menschen in unserem Lande struktu-
relle Analphabeten sind . Sie können zwar unterschreiben
und einzelne Worte begreifen, aber eben nicht die Nach-
richten im Zusammenhang verstehen . Deshalb ist die
Förderung der leichten Sprache ein wichtiger Punkt, den
wir uns vornehmen sollten . Sicherlich können wir nicht
alle Bescheide der Agentur für Arbeit und der Renten-
und Krankenversicherung, also bei Bundesbehörden, in
leichter Sprache formulieren;


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum nicht?)


aber eine Erläuterung in leichter Sprache beizulegen, das
muss möglich sein . Das ist ein wichtiger Schritt und ein
ambitioniertes Ziel, dem wir uns gemeinsam stellen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt wieder so mittel ambitioniert! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Was heißt „ambitioniert“ in leichter Sprache?)


– Ein großes Ziel, dem wir uns gemeinsam stellen wer-
den, sehr geehrter Herr Fraktionsvorsitzender .

Es gilt ja auch das „Kauder’sche Prinzip“ im Deut-
schen Bundestag, dass kein Gesetzentwurf das Parlament
so verlässt, wie er eingebracht worden ist .


(Katja Mast [SPD]: Das war Struck! – Weitere Zurufe von der SPD: Struck!)


– Wir können uns vielleicht darauf verständigen, dass es
das „Dregger’sche Prinzip“ ist; das kenne ich noch aus
den 80er-Jahren als Mitarbeiter im Deutschen Bundes-
tag . – Wir haben selbstbewusste Parlamente, und die Ab-
geordneten werden ihre Möglichkeiten nutzen .

Ich finde es wichtig, dass wir ein Modellvorhaben
wie die Fachstelle für Barrierefreiheit nach fünf Jahren
nicht einfach auslaufen lassen, sondern sie verstärkt bei
der Knappschaft anbinden, sodass sie logistisch stärker
unterstützt wird und als Beratungsinstitut für Private,

Kommunen und öffentliche Einrichtungen dauerhaft ge-
sichert ist, wenn es um Barrierefreiheit und Modelle der
Barrierefreiheit geht . Sie soll letztendlich auch einen eu-
ropäischen Austausch ermöglichen und schauen, was in
Schweden, Norwegen, Österreich und anderen Ländern
zu dieser Thematik passiert . Die Fachstelle für Barrie-
refreiheit soll auch als Sammelstelle fungieren, bei der
jeder, der entsprechende Projekte vorantreiben will, Kon-
zepte dazu abrufen kann .

Wir werden mit unserem Ansatz zur Reform des Be-
hindertengleichstellungsgesetzes letztendlich auch auf
die Nationalen Aktionspläne der Bundesländer und auf
die Landesbaurichtlinien einwirken . Es ist ja kein Insel-
gesetz .

Wir werden in den nächsten Wochen ebenfalls über
das Bundesteilhabegesetz reden, das wichtige Elemente
enthält, zum Beispiel die Stärkung der Schwerbehin-
dertenvertretungen in den Betrieben und in den Verwal-
tungen, damit diese Inklusion in der Arbeitswelt besser
organisieren können . Dieser Ansatz muss sich auch in
der Architektenausbildung wiederfinden – hier sind wie-
derum die Bundesländer zuständig –, damit Architekten,
wenn sie Gebäude skizzieren, nicht nur ihrem Schön-
heitsideal frönen, sondern in der architektonischen Ent-
wicklung, die sie vorantreiben, auch ein Stück weit den
Menschen gerecht werden .

Wir haben noch eine gute Nachricht: Gestern hat
sich der Bund mit den Ländern und den Integrationsäm-
tern darauf verständigt, ein Programm im Umfang von
150 Millionen Euro zur Förderung von Integrationsun-
ternehmen umzusetzen . Damit nehmen wir ein Stück
weit die Vernetzung von inklusiver Arbeitswelt und Wirt-
schaft in den Blick .

Es geht also neben dem Behindertengleichstellungs-
gesetz auch um weitere Themen, die wir in den nächsten
Wochen miteinander debattieren werden, zum Beispiel
die Schwerbehindertenvertretungen und das Bundesteil-
habegesetz . Ich danke für die sachliche und konstruktive
Diskussion . Der Prozess geht voran, und es wird eine
Besserung für die Menschen mit Behinderung geben .
Das ist das Resultat; davon bin ich überzeugt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816103300

Vielen Dank, Kollege Schummer . – Das Wort hat

Kerstin Tack für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Kerstin Tack (SPD):
Rede ID: ID1816103400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Recht
behinderter Menschen auf gleichberechtigte Teilhabe an
allen gesellschaftlichen Bereichen ist nicht nur unser An-
liegen, sondern auch unsere Verpflichtung, die wir uns
mit der Ratifizierung – einfacher ausgesprochen: mit der
Unterzeichnung – der UN-Behindertenrechtskonventi-
on zum Auftrag gemacht haben . Da ist es natürlich ganz

Uwe Schummer






(A) (C)



(B) (D)


besonders wichtig, dass Institutionen des Staates, seine
Verwaltung und seine Behörden einer besonderen Ver-
antwortung unterliegen, genau diese Teilhabe in ihren
eigenen Organisationen vorbildhaft selber umzusetzen,
bevor man es von anderen verlangt .

Ich freue mich deshalb, dass wir mit dem weiterent-
wickelten Behindertengleichstellungsgesetz – wir haben
es schon gehört: 14 Jahre hat es kaum Veränderungen
erfahren – jetzt über Neubauten und andere Bauten hi-
naus endlich auch die Bestandsbauten erfassen und dass
sowohl vonseiten des Bundes als auch vonseiten der
Länder, wenn sie denn Bundesaufgaben ausführen, auf
Barrierefreiheit hingewirkt wird . Das betrifft zum einen
bauliche Barrieren, aber auch informationelle Barrieren .
Das ist, denke ich, ein wirklich großer Fortschritt . Man
kann ihn kleinreden und meinen, das wäre ja alles nichts .
Wer sich aber anschaut, über wie viele Bauten, über wie
viele Einrichtungen, über wie viele Informationskanäle
wir reden, der erahnt, dass das eine wirklich große He-
rausforderung ist, der sich der Bund mit seinen Behörden
und seinen Institutionen jetzt stellt .


(Beifall bei der SPD)


Wir behandeln diesen Gesetzentwurf heute in der ers-
ten Lesung und werden im weiteren parlamentarischen
Verfahren unsere Vorstellungen, wie wir dieses Gesetz
noch weiterentwickeln können, beraten . Da wird sicher-
lich auch der Punkt zur Diskussion stehen, ob die Anfor-
derung, bis zum Jahre 2021 zu dokumentieren, wo denn
Barrieren bestehen, ausreichend ist oder ob wir über kür-
zere Fristen reden müssen . Ganz sicher wollen wir nicht
nur eine Auflistung der Barrieren, sondern auch einen
verbindlichen und überprüfbaren Zeitplan mit Maßnah-
men zur Beseitigung der dokumentierten Barrieren . Das
ist, glaube ich, eine Selbstverständlichkeit, der wir uns
im parlamentarischen Verfahren bei der Diskussion um
dieses Gesetz werden stellen müssen .


(Beifall bei der SPD)


Mit der Bundesfachstelle, die wir jetzt nicht nur schaf-
fen, sondern die wir auch personell sehr stark ausstatten,
wollen wir mehr als das, was bisher möglich war; denn
wir wollen, dass sich nicht nur die Verwaltung selber,
sondern auch die Wirtschaft, die Zivilgesellschaft, die
vielen Verbände und Organisationen an diese Stelle wen-
den können und Unterstützung bei ihren Maßnahmen zur
Umsetzung der Barrierefreiheit bekommen . Wir wollen
auch, dass gerade das Instrument der Zielvereinbarun-
gen, also das, was die private Wirtschaft in ihren eigenen
Unternehmen zur Umsetzung der Barrierefreiheit ver-
einbaren kann, künftig in Unterstützung mit dieser Bun-
desfachstelle passiert . Das ist neu . Das ist mehr, als wir
bisher haben . Wir glauben, dass es eine wirklich große
Herausforderung und ein ganz wesentlicher Schritt ist .


(Beifall bei der SPD)


Da die Opposition an keiner Stelle auf die Schlich-
tungsstelle, auf die Bundesfachstelle oder auf den Fonds
eingegangen ist, gehe ich davon aus, dass das ihre Unter-
stützung findet.

Ja, das ist ein erster Schritt . Wenn wir uns die Ver-
pflichtung der Privaten ansehen, so glaube ich, es gibt

niemanden, auch hier im Deutschen Bundestag nicht, der
nicht sagen würde, auch Private müssen sich nach und
nach ihrer Verantwortung für einen barrierefreien Zu-
gang durch die Person selber, aber auch für einen barrie-
refreien Zugang zu den Produkten, die privat angeboten
werden, stellen .


(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schreiben Sie es doch ins Gesetz!)


Aber zur Ehrlichkeit in der Debatte gehört auch, dass
wir zur Kenntnis nehmen müssen – gerade vor andert-
halb Wochen hat der Bundesrat genau dieses Anliegen als
nicht unterstützenswert verworfen –, dass wir genau bei
diesem Thema noch relativ viel Überzeugungsarbeit zu
leisten haben, und zwar quer durch alle unsere Parteien;
da kann sich aktuell überhaupt keiner zurücknehmen .


(Beifall der Abg . Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816103500

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

-bemerkung von Markus Kurth?


Kerstin Tack (SPD):
Rede ID: ID1816103600

Na klar .


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816103700

Danke, Frau Tack, dass Sie dies zulassen . – Ich habe

jetzt doch aufgemerkt . Sie sagten, wir müssen quer durch
alle Fraktionen Überzeugungsarbeit leisten . Mir ist auf-
gefallen, dass bei den entsprechenden Redepassagen von
Frau Bentele zur Privatwirtschaft fraktionsübergreifend
von der Linken bis hin zur CDU/CSU geklatscht worden
ist . Es ist auch geklatscht worden, als Frau Bentele von
der Kraft des Parlaments gesprochen hat . Das hat in ge-
wisser Weise der Kollege Uwe Schummer eben noch ein-
mal aufgegriffen, als er irrtümlich vom „Kauder’schen
Gesetz“ – ich nehme an, er meinte das Struck’sche Ge-
setz – sprach,


(Beifall bei der SPD)


dass das Parlament vorliegende Gesetzentwürfe verän-
dern kann . Was also wäre stärker überzeugend und trotz
des erkennbaren Widerstands des Bundesrats besser taug-
lich, eine Debatte und Verhaltensänderungen anzuregen,
als jetzt im parlamentarischen Verfahren entsprechende
Änderungsanträge zur verbindlicheren Verpflichtung der
Privatwirtschaft aufzunehmen? Darf ich bei diesem Be-
kenntnis zur Verpflichtung der Privatwirtschaft, das hier
durch Applaus und verbal zum Ausdruck gekommen ist,
daraus schließen, dass Sie entsprechenden Änderungsan-
trägen, wenn wir sie einbringen, zustimmen oder sogar
selbst in die Vorhand gehen und entsprechende Ände-
rungsanträge stellen? Dürfen wir uns darauf im parla-
mentarischen Verfahren freuen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Kerstin Tack






(A) (C)



(B) (D)



Kerstin Tack (SPD):
Rede ID: ID1816103800

Ja, wir dürfen uns darauf freuen, dass wir über diese

Frage im parlamentarischen Verfahren selbstverständlich
reden werden . Ich werde gleich noch sagen, wie wir uns
vorstellen die Privaten noch stärker in die Pflicht zu neh-
men .

Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass ein
Bundesgesetz nur dann seine Wirkung erzielen kann,
wenn es sowohl im Bundestag wie im Bundesrat eine
Mehrheit bekommt . Da wir gerade vor anderthalb Wo-
chen zur Kenntnis haben nehmen müssen, dass min-
destens die eine Hälfte der notwendigen Mehrheit nicht
steht, heißt das nicht, dass wir nicht darüber reden . Es
heißt aber, dass wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass
wir aktuell mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich-
keit zu keinem Gesetz kommen, in dem wir die Privaten
in dieser Art und Weise verpflichten können. Ich finde,
auch das gehört zur Ehrlichkeit dazu .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber es ist in der Tat so, dass auch die Verpflichtung
von Privaten aus unserer Sicht auf die Tagesordnung
gehört . Ja, das gehört sie . Die Frage wird sein: Welcher
Rahmen eignet sich eigentlich, um Private stärker zu
motivieren, zu unterstützen und da, wo nötig, zu ver-
pflichten, sich auch zu beteiligen, sich mit einzubringen?
Deshalb ist es gut, dass wir uns im Rahmen der Evalua-
tion des Allgemeines Gleichbehandlungsgesetzes, AGG,
deren Ergebnisse wir im Sommer dieses Jahres erwar-
ten, also da, wo es hingehört – denn eine entsprechende
Regelung gehört, wie auch Frau Bentele gerade gesagt
hat, ins AGG –, mit genau dieser Problematik beschäfti-
gen werden . Wir würden das Allgemeine Gleichbehand-
lungsgesetz gern mit einer entsprechenden Verpflichtung
versehen .

Wir erwarten auch – das freut uns – eine EU-Richt-
linie, die die Verpflichtung Privater zum Ziel hat. Die
EU-Richtlinie ist bereits eingebracht worden, und sie
hat die Angleichung der Kriterien für Barrierefreiheit bei
Produkten und Dienstleistungen in den Mitgliedstaaten
zum Ziel . Das, meine sehr geehrten Damen und Herren,
gilt eben auch: Es ist noch viel besser, wenn wir nicht nur
auf nationaler Ebene tätig werden, sondern, da wir im
globalen Wettbewerb stehen, die Thematik des barriere-
freien Zuganges europaweit regeln .


(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Bundesrepublik bremst doch!)


Deshalb freuen wir uns, dass wir mit dieser Richtlinie
dieses Ziel erreichen . Ich glaube, es eint uns alle, dass
wir da besser werden wollen .

Jetzt blinkt schon die Präsidentin .


(Heiterkeit – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Nein, die Präsidentin noch nicht! Erst der Knopf!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816103900

Ja .


Kerstin Tack (SPD):
Rede ID: ID1816104000

Das ist schade; denn gerne hätte ich noch zitiert .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816104100

Nein .


Kerstin Tack (SPD):
Rede ID: ID1816104200

Das mache ich auch nicht . Ich sage nur, was ich gerne

getan hätte .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gerne hätte ich auch noch aus einem Bescheid zitiert und
Ihnen damit dokumentiert, wie wichtig die leichte Spra-
che ist . Nicht nur wir, sondern auch viele andere – ich bin
sofort fertig – verfassen ihre Dokumente nicht in leichter
Sprache . Es freut mich total, dass wir das jetzt ändern .
Ich glaube, nicht nur für Menschen mit Beeinträchtigun-
gen, sondern auch für uns alle ist es richtig wichtig, dass
wir Bescheide verstehen und nachvollziehen und uns bei
Bedarf auch gegen sie wehren können .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816104300

Vielen Dank, Frau Kollegin Tack . – Die nächste Red-

nerin ist Gabriele Schmidt für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gabriele Schmidt (CDU):
Rede ID: ID1816104400

Frau Präsidentin! Liebe Gäste im Bundestag! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! In früheren Zeiten lebten Be-
hinderte zu Hause, oft versteckt . Wer nicht laufen oder
nicht sehen konnte, der hatte halt Pech, und wer taub war,
wurde wegen seiner eingeschränkten Sprachfähigkeit so-
wieso für dumm gehalten . Dann gab es eine kurze, ganz
unselige Zeit der Vernichtung vermeintlich „unwerten
Lebens“ . Dann wurden mehr oder weniger schicke Hei-
me gebaut, in denen Menschen mit Behinderungen – wie
sie dann endlich genannt wurden – gefördert, aber auch
wieder weggesperrt wurden . Heute endlich möchte man
Menschen mit Behinderungen ein gleichberechtigtes
und selbstbestimmtes Leben mitten in der Gesellschaft
ermöglichen . Sie erheben ihre Stimme direkt oder in Ver-
bänden . Aber auch für die Umsetzung selbstverständli-
cher Forderungen braucht es in Deutschland Regelungen
und Gesetze .

Das Kernstück des Behindertengleichstellungsgeset-
zes von 2002 war die Herstellung von Barrierefreiheit
in gestalteten Lebensbereichen. Das Gesetz verpflichtete
Träger öffentlicher Gewalt zur Gleichstellung von Men-
schen mit Behinderungen und zur Barrierefreiheit . Die-
ses Gesetz schreiben wir heute fort . Das Ziel ist weiter
die gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe am
Leben in der Gesellschaft und die Umsetzung der UN-Be-
hindertenrechtskonvention . Sie ist eine der wichtigsten
Leitlinien für die Behindertenpolitik in Deutschland, für
selbstbestimmte Teilhabe von rund 10 Millionen Men-






(A) (C)



(B) (D)


schen in Deutschland am politischen, gesellschaftlichen,
wirtschaftlichen und kulturellen Leben .

Das jetzt vorliegende Behindertengleichstellungsge-
setz ist eine Weiterentwicklung auf der Grundlage der
UN-Behindertenrechtskonvention. Ich finde schon, es ist
uns gelungen, diesem Ziel einen sehr großen Schritt nä-
her zu kommen: ein selbstbestimmter Platz für Menschen
mit Behinderungen in einer barrierefreien Gesellschaft .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Martin Rosemann [SPD])


Es ist uns gelungen, mit dem Gesetz Regelungslücken
zu schließen und Unsicherheiten bei der Rechtsausle-
gung durch Klarstellung sowie Probleme bei der Rechts-
anwendung zu beseitigen . Aber nicht nur das: Wir sorgen
dafür, dass Benachteiligungen von Menschen mit Behin-
derungen in der öffentlichen Verwaltung weiter abgebaut
werden, und wir sorgen für mehr Barrierefreiheit in Be-
reichen, in denen der Bund zuständig ist . Das Recht wird
der demografischen Entwicklung angepasst, und wir nut-
zen neue technische Entwicklungen . Zum Beispiel sollen
Verwaltungsgebäude für die älter werdende Belegschaft
besser nutzbar gemacht werden . Der Bund treibt auch die
barrierefreie Gestaltung der Internetauftritte und -ange-
bote von Bundesbehörden weiter voran .

Ein Beispiel aus der Praxis: Das Parlamentsfernsehen
des Deutschen Bundestages sendet seit 2015 donnerstags
in der Sitzungswoche die Debatten mit Live-Dolmet-
schung in Gebärdensprache und untertitelt für Gehörlose
und Hörgeschädigte, also auch jetzt in diesem Moment .
Nun werden Regelungen unter anderem für ein barriere-
freies Intranet für Beschäftigte des Bundes ergänzt .

Lassen Sie mich zunächst auf die Schwerpunkte der
Novelle eingehen . Wie bereits von Kollegen ausgeführt,
passen wir den Behinderungsbegriff des BGG an den
Wortlaut der UN-Behindertenrechtskonvention an . Wir
stellen nicht länger Defizite und individuelle Beeinträch-
tigungen in den Vordergrund . Ausschlaggebend sind um-
welt- und einstellungsbedingte Faktoren . Behinderung
ist damit das Ergebnis von Beeinträchtigungen in Wech-
selwirkung mit Barrieren . Oder wie der Buchautor mit
Behinderung Janis McDavid, den Uwe Schummer schon
zitiert hat, gesagt hat:

Ich kann viel mehr, wenn ihr mich nicht behindert .

Frauen und Mädchen mit Behinderungen sind oft
mehrfach benachteiligt . Wir stärken das Benachteili-
gungsverbot wegen mehrerer Gründe ausdrücklich und
nehmen das Verbot von Mehrfachdiskriminierungen auf .
Weitere Benachteiligungsgründe, die dazugekommen
und zu beseitigen sind, sind zum Beispiel Rasse, Ge-
schlecht, Religion, Weltanschauung, Alter oder sexuel-
le Identität . Die Ausweitung von Benachteiligungen ist
insbesondere mit Blick auf die zunehmende Anzahl von
Menschen mit Migrationshintergrund besonders wichtig .

Auch schließen wir eine Lücke und führen das Recht
auf leichte Sprache in das BGG neu ein . Bis Ende nächs-
ten Jahres werden die Träger öffentlicher Gewalt die
Zeit nutzen und ihre Kompetenzen für das Verfassen
von Texten in leichter Sprache auf- und ausbauen und
Informationen schrittweise vermehrt in leichter Sprache

bereitstellen, um dann spätestens ab 2018 in einfacher
und verständlicher Sprache mit Menschen mit geistigen
Behinderungen ohne fremde Hilfe kommunizieren zu
können .

Ich bin ein großer Fan von leichter Sprache, seit ich öf-
ter für ältere Menschen komplizierte Behördenbescheide
quasi übersetzen muss . Leichte Sprache hilft auch Kin-
dern und Ausländern bzw . vielen Menschen, die nicht mit
Deutsch als Muttersprache aufgewachsen sind . – Herzli-
chen Glückwunsch zu Ihrer Rede, Frau Lösekrug-Möller .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wer sich durch eine Bundesbehörde in einem Recht
nach dem BGG verletzt fühlt oder ist, kann sich künftig
an eine Schlichtungsstelle wenden . Ganz grundsätzlich
ist eine Schlichtung immer besser als eine Klage, sie soll
die außergerichtliche Einigungsbereitschaft fördern . Das
Schlichtungsverfahren vor der Verbandsklage führen wir
nach dem österreichischen Vorbild ein . Dort hat sich das
Verfahren seit 2006 als überaus erfolgreich erwiesen .

Ein weiterer Erfolg ist die Einrichtung der Bundes-
fachstelle für Barrierefreiheit, die zur Stärkung der Be-
wusstseinsbildung beiträgt . Damit kommen wir einer
langjährigen Forderung der Verbände behinderter Men-
schen nach, die die Einrichtung der Fachstelle als zen-
trale Anlaufstelle mit Freude aufgenommen haben, zum
Beispiel das BKB, Bundeskompetenzzentrum Barrie-
refreiheit e .V . Die Bundesfachstelle wird Beratung zur
besseren Umsetzung der Barrierefreiheit zur Verfügung
stellen, Informationen vernetzen und ihre Angebote na-
türlich barrierefrei gestalten . Darüber hinaus soll sie
auch Verbände, Wirtschaft und Zivilgesellschaft auf
Anfrage beraten . Sie selbst wiederum erhält Beratung
von einem Expertenkreis, dem auch Vertreterinnen und
Vertreter der Menschen mit Behinderungen angehören .
Die vorgesehene finanzielle und personelle Ausstattung
macht deutlich, dass wir das Thema ernst nehmen und
konsequent vorantreiben wollen . Wir stellen dieses Jahr
750 000 Euro für den Aufbau zur Verfügung, ab nächs-
tem Jahr rund 1 Million Euro jährlich .

Zum Schluss möchte ich noch auf die Forderung der
Opposition nach der Verpflichtung der Privatwirtschaft
zur Barrierefreiheit eingehen . Es ist nur zum Teil rich-
tig, dass das BGG keine direkte Wirkung auf private
Unternehmen und Dienstleister hat . Fordern und alles
beim Bund abladen ist immer leicht . Es gibt auch noch
die Länder und die Kommunen, die ebenfalls in der Ver-
antwortung stehen . Uwe Schummer hat es deutlich aus-
geführt: Baurecht ist Ländersache . Das Baurecht ist sehr
häufig gefragt, wenn die Lebenssituation von Menschen
mit Behinderungen verbessert werden soll .

Private Anbieter werden auch über das Zuwendungs-
recht verpflichtet, aber in Deutschland setzen wir vorerst
auf das Prinzip der Freiwilligkeit . Die ist aus meiner Sicht
längst noch nicht am Ende, wie viele es behaupten . Sie
wurde vielmehr noch nicht vollkommen ausgeschöpft .


(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, das hätten wir gern ausgeführt!)


Ich bin ganz sicher, dass Unternehmer, die die Kun-
dengruppe der Menschen mit Behinderungen ausschlie-

Gabriele Schmidt (Ühlingen)







(A) (C)



(B) (D)


ßen, sich in Zeiten einer vermehrt alternden Gesellschaft
selbst schaden und das früher oder später auch merken .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das sehen heute schon viele so . Viele nehmen heute
schon diese Käufer- und Nutzergruppen ins Auge und tun
mehr dafür, um für diese Leute zugänglich bzw . attraktiv
zu sein – wie auch von Frau Bentele gewünscht .

Der vorliegende Entwurf ist ein Erfolg auf der gan-
zen Linie, und ich bin froh und zufrieden, dass wir einer
selbstbestimmten Teilhabe von Menschen mit Behinde-
rungen mit diesem Gesetz ein gutes Stück näher kom-
men .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816104500

Vielen Dank, Gabriele Schmidt . – Die letzte Rednerin

in dieser Debatte ist Dr . Astrid Freudenstein für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1816104600

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir haben
diese Aussprache begonnen mit einer Rede in leichter
Sprache, und ich will daran anschließen, aber ich will ein
bisschen zurück in die Vergangenheit gehen: Der Verein
„Netzwerk Artikel 3“ hat sich vor vielen Jahren schon
die Mühe gemacht und versucht, in leichter Sprache zu
erklären, was das Behindertengleichstellungsgesetz ei-
gentlich ist . Ich zitiere:

Hier steht, wie der Staat mit behinderten Menschen
umgehen muss . Das Gesetz soll helfen, dass be-
hinderte Menschen wegen ihrer Behinderung nicht
schlechter behandelt werden als nicht behinderte
Menschen .

Es steht da auch zu lesen – die Übersetzung in leichte
Sprache war 2003 –, was die Betroffenen von dem Ge-
setz halten und was sie von diesem Gesetz erwarten . Da
heißt es – ich zitiere noch einmal –:

Viele behinderte Frauen und Männer hoffen, dass
das Gesetz ihnen hilft . Die einen sagen, „das bringt
ja eh nichts“ . Die anderen hoffen, dass sich durch
das Gesetz alle Schwierigkeiten behinderter Men-
schen wie von selbst in Luft auflösen.

Wie gesagt, das war 2003 . Jetzt, 13 Jahre später, kön-
nen wir sagen: Das Gesetz hilft tatsächlich Menschen mit
Behinderungen in unserem Land . Wir können aber auch
sagen: Es haben sich eben nicht alle Schwierigkeiten be-
hinderter Menschen wie von selbst in Luft aufgelöst .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Behindertengleichstellungsgesetz verpflichtet die
Träger öffentlicher Gewalt, insbesondere die Bundesbe-
hörden, zur Gleichstellung von Menschen mit Behinde-
rungen und zur Barrierefreiheit . Es hat also von vorn-
herein einen sehr begrenzten Anwendungsbereich . Ich

wiederhole in leichter Sprache: Dort steht, wie der Staat
mit behinderten Menschen umgehen muss .

Aber wie sieht es eigentlich mit der Befürchtung der
Betroffenen aus, dass das Gesetz sowieso nichts bringt?
Auch diese Frage lässt sich heute beantworten, weil wir
das Gesetz auf seine Wirkung hin ausführlich überprüft
haben . In dem Evaluationsbericht, in dem Bericht da-
rüber, wie dieses Gesetz wirkt, steht, dass der Behin-
derungsbegriff veraltet ist, dass geistig und seelisch
behinderte Menschen wenig beachtet werden, dass das
Benachteiligungsverbot oft nicht wirklich wirkt und dass
den Behindertenverbänden Ressourcen fehlen .

Zusammengefasst könnte man also sagen, dass das Ge-
setz eben nicht in allen Bereichen gewirkt hat, und genau
deswegen wollen und müssen wir es weiterentwickeln .

Für mich liest sich der jetzige Gesetzentwurf tatsäch-
lich wie eine Antwort auf den Evaluationsbericht, weil
einige Punkte gut berücksichtigt werden .

Erstens . Der Behinderungsbegriff wird dem Behinde-
rungsbegriff der UN-Behindertenrechtskonvention ange-
passt. Er ist nicht mehr defizitorientiert. Das heißt, wir
schauen nicht mehr auf das, was ein Mensch nicht kann,
sondern wir schauen mehr auf das, was ein Mensch kann .

Zweitens . Die leichte Sprache wird deutlich gestärkt .
Die Bundesbehörden – wir haben es schon einige Male
erwähnt – sollen künftig mehr Informationen in leichter
Sprache bereitstellen . Damit wird insbesondere auf die
Belange geistig und seelisch behinderter Menschen ein-
gegangen . Dass das uns allen hilft, haben wir in dieser
Aussprache schon gemerkt .

Drittens . Das BGG hat bereits geregelt, dass Träger
öffentlicher Gewalt Menschen mit Behinderungen nicht
benachteiligen dürfen . Hier wird die Regelung noch ein-
mal geschärft .

Viertens . Die Behindertenverbände erhalten mehr
Ressourcen. Es wird eine finanzielle Förderung der Ver-
bände, insbesondere der Selbstvertretungsorganisationen
dieser Verbände geben, damit sie wirklich einwirken
können .

Dieser Bericht weist aber auch darauf hin – das halte
ich für wichtig –, dass die Bewusstseinsbildung das A und
O der Inklusion und der Gleichstellung bleibt . Ich möch-
te hier als positives Beispiel das Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nen-
nen: Bundesminister Dr . Gerd Müller hat damit begon-
nen, auf seinen Dienstreisen ins Ausland Menschen mit
Handicap mitzunehmen und in den Partnerländern klei-
ne Kongresse zu veranstalten, um auch dort die Gleich-
stellung, die Integration, die Inklusion voranzubringen .
Auch so etwas darf Schule machen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch in den Kommunen tut sich einiges . In meiner
Heimatstadt zum Beispiel gibt es seit einigen Jahren das
Projekt „Regensburg inklusiv“ . Es wurde unter ande-
rem eine Karte zur Barrierefreiheit erstellt . Anhand ei-
nes Ampelsystems erkennt man sehr gut, welche Orte in
welchem Ausmaß barrierefrei sind oder eben nicht . Ich

Gabriele Schmidt (Ühlingen)







(A) (C)



(B) (D)


gebe zu: Es gibt noch viel zu viele rote Ampeln . – Es gibt
auch einen sogenannten Pflasterplan, auf dem man genau
sieht, welche Plätze in dieser mittelalterlichen Welter-
bestadt am besten barrierefrei zu erreichen sind . Das ist
nicht die Lösung, aber es ist ein Anfang, der uns dazu
bringen kann, Lösungen zu finden.

Man merkt, dass durch Sensibilisierung und Bewusst-
seinsbildung schon sehr viel passiert ist . Wenn wir nur
darüber nachdenken, an welchen Orten nachgebessert
werden muss, dann haben wir schon etwas erreicht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aber es gibt selbstverständlich – das bestreitet nie-
mand – noch viel zu viele Orte in unserem Land, an de-
nen es Barrieren gibt . Wenn Sie, Frau Kollegin Rüffer,
vorhin das Beispiel eines Cafés genannt haben, bei dem
es eine Barriere gibt, und es als beschämend bezeichnet
haben, dass ein Mensch mit Gehbehinderung nicht ein-
fach darüberkommt, so meine ich, dass wir den Eigentü-
mer dieses Cafés dazu bringen müssen, diese Barriere zu
beseitigen; das ist richtig . Ich hielte es aber für wirklich
beschämend, wenn keiner diesem Menschen helfen wür-
de . Das ist aber nicht der Fall .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich glaube, auch das kann man in dieser Debatte sagen:
Es gibt eine große Bereitschaft in unserer Gesellschaft,
zu helfen .


(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sollen behinderte Menschen jetzt Bittsteller werden, oder was?)


Ich glaube, auch das dürfen wir heute hier erwähnen .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816104700

Vielen Dank, Frau Kollegin Freudenstein . – Damit

schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/7824, 18/7874 und 18/7877 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen . – Ich sehe nicht, dass Sie nicht einverstanden
sind . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine
Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Gute Arbeit – Gute Versorgung: Mehr Perso-
nal in Gesundheit und Pflege

Drucksache 18/7568
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich sehe viel,
aber keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Wenn die Kollegen Platz genommen bzw . ihren Platz
verlassen haben, würde ich gerne mit der Debatte begin-
nen . – Ich gebe Sabine Zimmermann das Wort für die
Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816104800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! „Mehr von uns ist besser für alle“, mit die-
sem Kampfruf sind die Beschäftigten der Charité im letz-
ten Jahr in eine bemerkenswerte Tarifauseinandersetzung
gezogen . Sie wollten nicht etwa mehr Geld, sondern sie
wollten mehr Personal, nicht nur wegen ihrer eigenen
Überbelastung, sondern auch, weil sie sich für eine bes-
sere Pflege der Patientinnen und Patienten eingesetzt ha-
ben .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Den Kolleginnen und Kollegen in den Kliniken bzw .
in den Pflegeheimen steht das Wasser bis zum Hals. Sie
schuften und schuften . Das, denke ich, kann nicht unser
Ziel sein. Gerade im Krankenhaus und auch in Pflege-
einrichtungen kann man die Arbeit nicht auf morgen ver-
schieben; denn dann könnte es für die Patientinnen und
Patienten schon zu spät sein .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen endlich mehr Personal . Nehmen Sie das
zur Kenntnis!

Seit Jahren wird immer wieder über die schlechter
werdenden Arbeitsbedingungen diskutiert: Pflege im
Minutentakt, Personalmangel laugt die Beschäftigten
aus, Kostendruck und Wettbewerb . Das sind nur einige
Stichworte . Jede und jeder erwartet im Krankenhaus oder
in einem Pflegeheim zu Recht, dass er die bestmögliche
Versorgung bekommt . Trotzdem stellt sich jeder immer
wieder die bange Frage, ob es wirklich so ist .

Es ist auch wieder typisch: Pflegeberufe sind Frauen-
berufe. In der Altenpflege arbeiten zu 80 Prozent Frauen,
in den Kliniken zu 70 Prozent, oft auch in unfreiwilliger
Teilzeit. Pflege bleibt weiblich und erfährt wenig Wert-
schätzung, obwohl sie eine elementare Bedeutung für die
Menschen hat .


(Beifall bei der LINKEN)


Das zeigt sich insbesondere in den niedrigen Löhnen .
Schicht- und Nachtzuschläge werden oftmals nicht ge-
zahlt . Hier sagt die Linke ganz deutlich: Das ist beschä-
mend, ungerecht und muss verändert werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Signale sind doch eindeutig: Burn-out und Flucht
aus dem Beruf nehmen zu . Dadurch verschärft sich der
Fachkräftemangel . Dieser Fachkräftemangel ist hausge-

Dr. Astrid Freudenstein






(A) (C)



(B) (D)


macht . Um den Personalmangel zu beseitigen, müssen
die Pflegeberufe ganz dringend aufgewertet werden.
Gute Arbeit bedeutet gute Löhne und ein attraktives Ar-
beitsumfeld .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Personalmangel gefährdet die Gesundheit – der Be-
schäftigten, aber auch der Menschen mit Pflegebedarf
und der Patientinnen und Patienten im Krankenhaus .
Konkrete und wirksame Vorschläge haben wir auf den
Tisch gelegt . Wir brauchen dringend eine verbindliche
bundeseinheitliche Personalbemessung .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren der Koalition, Sie reden
und reden und reden über Jahre hinweg: Patientinnen und
Patienten sowie Menschen mit Pflegebedarf müssen gut
versorgt werden . – Das darf nicht vom Geldbeutel ab-
hängig sein . Deshalb fordert die Linke eine solidarische
Gesundheits- und Pflegeversicherung, die alle Einkom-
men einbezieht .


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Schluss – damit Sie es nicht vergessen –: Mehr
Personal in der Pflege ist besser für uns alle.

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816104900

Vielen Dank, Kollegin Zimmermann . – Der nächste

Redner in der Debatte: Lothar Riebsamen für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Lothar Riebsamen (CDU):
Rede ID: ID1816105000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ganz ohne Zweifel ist das Thema Pflege ein
wichtiges Thema . Es ist wichtig in den Krankenhäusern,
wo es darum geht, Multimorbidität, älter werdende Pa-
tienten auch zukünftig gut zu versorgen . Es ist wichtig
in den Pflegeheimen. Wir wissen, dass wir erst am An-
fang einer demografischen Entwicklung stehen. Schon
jetzt haben wir eher zu wenig als zu viel Pflegepersonal.
Dann, wenn meine Generation in die Pflegebedürftigkeit
kommt, wird erst recht Pflegepersonal fehlen, wenn wir
nicht rechtzeitig handeln .

Wichtig ist auch die Wertschätzung der Altenpflege-
rinnen und Altenpfleger und der Krankenpflegerinnen
und Krankenpfleger; da haben Sie durchaus recht. Des-
wegen haben wir uns das ganze vergangene Jahr – da
frage ich mich schon, Frau Zimmermann, ob Sie letztes
Jahr gefehlt haben – mit dem Pflegestärkungsgesetz I,
dem Pflegestärkungsgesetz II und all diesen Themen
intensiv auseinandergesetzt, in vielen Anhörungen, in

Fachgesprächen und in Form von Statistiken . Mehr kann
man eigentlich gar nicht machen .


(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Hätten Sie aber lernen müssen!)


Ich frage mich schon: Was reitet Sie eigentlich? Ihren
Antrag will ich vom Grunde her gar nicht infrage stellen;
das Thema ist ernst . Aber was reitet Sie, Ihren Antrag
auf einen Enthüllungsjournalisten im Privatfernsehen zu
stützen, noch dazu, wenn einer dieser Fälle – das haben
Sie in Ihrem Antrag angeführt – per einstweiliger Ver-
fügung vom Landgericht Hamburg gestoppt wurde? Das
Thema ist viel zu ernst, um sich mit solch windigen Ent-
hüllungsjournalisten zu befassen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Glauben Sie allen Ernstes, auch nur eine Altenpflege-
rin oder einen Krankenpfleger zusätzlich zu gewinnen,
wenn Sie die Pflege in unseren Einrichtungen auf die-
se Art und Weise schlechtmachen? Indem Sie sich jetzt
auch noch in einem Antrag im Deutschen Bundestag auf
diesen Enthüllungsjournalisten beziehen, machen Sie
die Leute und die jungen Menschen, die diesen Beruf
vielleicht ergreifen würden, glauben, dass es in unseren
Alten- und Pflegeheimen Unterernährung gibt und dass
es, was die Stellenschlüssel anbelangt, in unseren Alten-
und Pflegeheimen flächendeckend zu Betrug kommt. Das
führt nicht zum Ziel . Wir haben im vergangenen Jahr die
richtigen Maßnahmen ergriffen, meine Damen und Her-
ren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Pfeifen im Walde!)


Natürlich ist es notwendig, sich auch mit den Ergeb-
nissen von Patientenbefragungen auseinanderzusetzen .
Natürlich ist es richtig, Patienten und alte Menschen zu
befragen . Warum ist es denn so, dass ältere Menschen
ihren Lebensabend oftmals im Ausland verbringen, sie
aber dann, wenn sie krank oder pflegebedürftig werden,
prompt nach Deutschland – in deutsche Krankenhäuser
oder in deutsche Alten- und Pflegeheime – zurückkom-
men?


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Richtig!)


Wäre es so, wie Sie schildern, würden sie das ja im Le-
ben nicht tun . Viele ältere Menschen machen aber ge-
nau das Gegenteil . Denn sie wissen, dass sie in unseren
Krankenhäusern und Pflegeheimen eine gute Versorgung
bekommen . Deswegen kommen sie zurück .


(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Quatsch!)


Wenn Sie sich das Ergebnis der Befragung der großen
Krankenkassen, die vor zwei Jahren durchgeführt wurde,
ansehen, stellen Sie fest, dass 83 Prozent der Patienten in
Krankenhäusern mit der ärztlichen Leistung und 82 Pro-
zent mit der pflegerischen Leistung zufrieden sind. Des-
wegen wollen die Menschen in unseren Krankenhäusern
und in unseren Alten- und Pflegeheimen versorgt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sabine Zimmermann (Zwickau)







(A) (C)



(B) (D)


Nun haben Sie die DRGs angesprochen . Das, was Sie
hierzu geschrieben haben, ist nicht grundfalsch . Natür-
lich ist es so, dass aufgrund der Einführung der Fallpau-
schalen – es gibt aber auch noch andere Gründe – die
Anzahl der Pflegekräfte in den Krankenhäusern recht
drastisch zurückgefahren wurde . Das wollen wir über-
haupt nicht leugnen . Wir hatten in der Spitze – das war
Mitte der 90er-Jahre, allerdings bei viel mehr, nämlich
fast doppelt so vielen Pflegetagen wie heute –


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Die Fälle sind doch auch mehr geworden!)


350 000 Vollzeitkräfte in den Krankenhäusern . Die Kran-
kenhäuser haben die DRGs, die schon 2003 eingeführt
wurden, antizipiert . Deswegen wurde davor schon ab-
gebaut und auch weiter von 2003 bis zum Jahr 2007 .
Bei Einführung der DRGs hatten wir dann nur noch
330 000 Vollzeitkräfte. Diese Zahl fiel bis 2007 leider bis
auf 298 000; das ist richtig . Aber seit dem Jahr 2008 – das
hat auch etwas mit dem Pflegestellenförderprogramm der
Großen Koalition von 2009 zu tun – steigt die Zahl wie-
der deutlich an; auch das muss man zur Kenntnis neh-
men . Wir haben zusammen mit den Krankenhäusern da-
für gesorgt, dass es zu dieser Entwicklung kam .

Nach der letzten Statistik von 2014 – Sie können das
nachlesen – haben wir ohne die Funktionspflege unge-
fähr 330 000 Pflegekräfte an den Betten. Damit haben
wir wieder in etwa den Stand bei Einführung der DRGs
erreicht . Das ist immer noch zu wenig; das wissen wir
sehr wohl . Deswegen haben wir im vergangenen Jahr,
2015 – auch das wird jetzt Wirkung zeigen –, mit dem
Krankenhausstrukturgesetz noch einmal nachgebessert .
Wir haben ein neues, ein weiteres Pflegeprogramm mit
einem Volumen von 660 Millionen Euro in den nächs-
ten drei Jahren aufgelegt . Dieser Betrag wird sich bei
330 Millionen Euro ab dem Jahr 2019 einpendeln . Es
wird dann etwa 6 000 neue Pflegestellen geben.

Außerdem wissen Sie ganz genau, dass wir den Ver-
sorgungszuschlag in Höhe von 500 Millionen Euro pro
Jahr in einen Pflegezuschlag umgewandelt haben. Es
wird belohnt, wenn man ausreichend Pflegepersonal hat.
Je mehr Pflegepersonal man hat, desto mehr wird man am
Pflegezuschlag partizipieren. Auch das wird dazu führen,
dass es wieder mehr Pflegepersonal in den Krankenhäu-
sern geben wird . Deren Bestand wird deutlich über den
vor Einführung der DRGs und den im Jahre 2007 hi-
nausgehen .

Wir haben ein Weiteres gemacht, nämlich eine Pfle-
gekommission eingesetzt, die beim BMG angesiedelt ist .
Ich bin sehr dankbar dafür, dass auch unser Minister in
dieser Kommission dabei ist . Dort setzen wir uns mit fol-
genden Fragen auseinander: Wird das Thema Pflege in
den DRGs ordentlich abgebildet? Wie sieht es mit dem
Thema „Demenz und Multimorbidität“ in den Kranken-
häusern aus? Wie sieht es mit den Nachbesetzungen und
auf den Intensivstationen aus? Die Antworten auf diese
Fragen werden wir in der nächsten Zeit vorlegen .

Wir haben daneben ein Qualitätsinstitut gegründet .
Es gibt in den Krankenhäusern keinen Preiswettbewerb,
sondern einen Qualitätswettbewerb. Ohne gute Pflege
wird es keine gute Qualität geben . Das wissen auch die

Krankenhäuser, und deswegen sind auch die Kranken-
häuser von sich aus bemüht, hier zu Verbesserungen zu
kommen .

Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zu den Stellen-
schlüsseln und zu der Bezahlung der Pflegekräfte sagen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, Sie
wissen ganz genau, dass das nicht Sache des Bundesta-
ges, sondern Ländersache ist . Trotzdem ist das eine wich-
tige Sache .

Schauen wir uns doch einmal an, wie die Bezahlung
in Thüringen aussieht, wo Sie den Ministerpräsidenten
stellen. Das Durchschnittseinkommen einer Pflegekraft
im Altenheim beträgt dort 1 982 Euro . Im benachbarten
Bayern sind es 2 709 Euro . Dort werden 40 Prozent mehr
als in Thüringen bezahlt . Fassen Sie sich hier einmal an
die eigene Nase! Sorgen Sie dafür, dass dort mehr bezahlt
wird!


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit der Bezahlung selber hat die Landesregierung nichts zu tun!)


Sie haben das selber in der Hand – insbesondere den Stel-
lenschlüssel . Das ist Ländersache und nicht Sache des
Deutschen Bundestages . Machen Sie es doch einfach!


(Beifall der Abg . Maria Michalk [CDU/ CSU])


Das Geld dazu haben wir 2015 mit dem Pflegestär-
kungsgesetz I und 2016 mit dem Pflegestärkungsge-
setz II gegeben . Mehr als 20 Prozent Mehreinnahmen im
Bereich der Pflege: Wo gibt es das schon? Diese Mittel
stehen zur Verfügung, um auch bei der Bezahlung und
beim Pflegestellenschlüssel etwas zu tun. Machen Sie es
einfach!


(Beifall bei der CDU/CSU – Maria Michalk [CDU/CSU]: Da sind sie ruhig! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach zehn Jahren ist bei Ihnen noch nichts passiert! Das ist ein Witz! Nicht einmal die Inflation wurde ausgeglichen!)


Ich will einen letzten Punkt ansprechen: Ein zentraler
Punkt ist die Attraktivität des Berufes . Wir werden in den
nächsten Wochen dafür sorgen – der Gesetzentwurf liegt
schon vor –, die Attraktivität zu steigern .

Der Respekt vor den Altenpflegerinnen und Alten-
pflegern in der Bevölkerung ist schon jetzt durchaus
hoch . Die Wertschätzung spiegelt sich aber nicht in ei-
nem entsprechenden Standing in den Krankenhäusern
wider . Deswegen ist es richtig, dass es in Zukunft eine
gemeinsame Ausbildung im Bereich der Altenpflege, der
Krankenpflege und der Kinderkrankenpflege geben wird,
nämlich um das Standing im Vergleich zu anderen Beru-
fen – in den Krankenhäusern und allgemein – anzuheben .

Ich habe bei mir im Wahlkreis Gespräche mit der
Pflegeakademie und mit großen Einrichtungen geführt.
Diese gemeinsame Ausbildung ist eine gute Sache, die in
der Praxis auch als wichtig angesehen und begrüßt wird .
Ich bin mir sicher, dass der Pflegeberuf auch dadurch in
wenigen Monaten deutlich aufgewertet wird . Dafür setzt

Lothar Riebsamen






(A) (C)



(B) (D)


sich diese Regierungskoalition ein, und ich bin mir si-
cher, dass wir damit dazu beitragen, dass sich mehr junge
Menschen für den Pflegeberuf interessieren werden.

So, wie Sie das anstellen – Sie machen den Pflegebe-
ruf und die Pflegeeinrichtungen schlecht; ich habe das
eingangs bereits gesagt –, gewinnen Sie mit Sicherheit
keine neuen jungen Menschen . Ihrem Antrag können wir
leider nicht zustimmen .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816105100

Vielen Dank, Herr Kollege Riebsamen . – Ich darf da-

rum bitten, dass sich alle Rednerinnen und Redner nicht
nur theoretisch, sondern auch praktisch an die vorgege-
bene Redezeit halten . Ansonsten wird das wieder eine
lange Nachtsitzung .

Die nächste Rednerin: Elisabeth Scharfenberg für
Bündnis 90/Die Grünen .


(Christian Hirte [CDU/CSU]: Ihr Wunsch ist uns Befehl!)


– Ich habe es ja sehr freundlich gesagt .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! In der Pflege herrscht Personalman-
gel, und wir alle wissen das . Das ist keine Neuigkeit .
Dieser Personalmangel führt zu mehr Arbeitsdruck bei
dem Pflegepersonal, das in den Krankenhäusern und den
sonstigen Einrichtungen – wo auch immer – für unse-
re pflegerische Versorgung arbeitet. Engagierte Pflege-
rinnen und Pfleger retten, was zu retten ist. Sie werden
aus ihrer Freizeit bzw . aus ihrem Urlaub geholt, und sie
müssen Überstunden ableisten . Das macht die Arbeitsbe-
dingungen noch schlechter . Es kommt immer mehr zur
Überforderung, und irgendwann werfen diese Pflegekräf-
te das Handtuch und steigen einfach aus dem Beruf aus .
Der Personalmangel verschärft sich damit immer weiter .
Das ist eine Abwärtsspirale . Uns allen ist doch klar, dass
viel zu lange nichts dafür getan worden ist, um diese Ab-
wärtsspirale zu stoppen .

Wir brauchen mehr Pflegekräfte, wir brauchen attrak-
tivere Arbeitsbedingungen, und wir brauchen eine Aus-
bildung, die Möglichkeiten eröffnet . Am Ende des Tages
braucht es auch eine faire Bezahlung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Dafür müssen bundesweit – in Krankenhäusern, in sta-
tionären Einrichtungen und bei ambulanten Diensten –
zügig verbindliche Personalbemessungsinstrumente
eingeführt werden . Das dabei ermittelte Personal muss
dann auch entsprechend vergütet werden . Soweit sind
wir mit den Kolleginnen und Kollegen der Linken auch
einer Meinung . Doch leider verlaufen Sie sich dann bei

Ihren weiteren Forderungen . Da können wir Ihnen ein-
fach nicht mehr folgen .


(Dr . Roy Kühne [CDU/CSU]: Genau!)


Der Wettbewerb zwischen Krankenhäusern und Pfle-
geeinrichtungen soll abgeschafft werden . Was heißt das
denn im Klartext? Bedeutet dies, dass der Patient oder
die Pflegebedürftige künftig keine Wahl mehr hat? Be-
deutet es, dass der Pflegebedürftige nicht mehr die Ein-
richtung wählen kann, die für seine Bedürfnisse die bes-
ten Angebote hat, und dass die Kranke nicht mehr dorthin
gehen kann, wo die für sie notwendige Operation am er-
folgreichsten verläuft? Liebe Kolleginnen und Kollegen,
damit entmündigen Sie die Pflegebedürftigen bzw. die
Patientinnen und Patienten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Beim Wettbewerb geht es nicht immer nur um die
größten Kosteneinsparungen . Sicher, Fehlanreize müssen
beseitigt werden. Eine Pflegeeinrichtung, die versucht,
mit den Geldern der Versicherten für ihre Anleger mög-
lichst hohe Renditen zu erzielen, will ich natürlich auch
nicht . Genau diese Gewinnmaximierung geht immer
auf Kosten der Pflegekräfte. Solche Fehlanreize müssen
also weg . Ebenso gilt das für Einrichtungen, die genauso
agieren und damit auch ihre Pflegekräfte verheizen. Da
sind wir uns einig . Das heißt aber nicht, dass damit alles
plattgemacht werden muss .

Wettbewerb kann auch positiv sein . Das trifft auf den
Wettbewerb um die beste Qualität, gekoppelt mit echter
Transparenz, zu .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist eine gute Sache . Es trifft aber auch auf den Wett-
bewerb um gute Personalführung zu . Personal wird zur
Mangelware, und mehr denn je sind gute Führungskräfte
gefragt, die ihr Personal auch wirklich hegen und pfle-
gen. Das kommt auch den Pflegebedürftigen bzw. den
Patientinnen und Patienten zugute .

Mit Transparenz meine ich nicht so etwas wie Pfle-
genoten . Das ist das Gegenteil von Transparenz . Auch
hat das überhaupt nichts mit Qualität zu tun. Pflegenoten
sind reine Augenwischerei .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Staatssekretärin Fischbach, Sie, meine Damen
und Herren von der Bundesregierung, haben leider aber
auch keine Konzepte für eine bessere Versorgung . Per-
sonalbemessungsinstrumente sind etwas, worüber Sie
nachdenken . Das schreiben Sie auch schon einmal in Ge-
setze hinein . Aber das, was wir da lesen, ist nicht mehr
als eine Art Absichtserklärung . Von einer verbindlichen
Einführung ist überhaupt keine Rede . Ausreichend Per-
sonal, das ist das A und O einer guten Pflege. Ausrei-
chend Personal, das ist natürlich die Voraussetzung für
bessere Arbeitsbedingungen . Ausreichend Personal, das
ist notwendig für mehr Attraktivität im Pflegeberuf. Da-
für aber tun Sie nichts .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für den Krankenhausbereich soll eine Kommission
bis Ende 2017 Vorschläge erarbeiten . Dabei geht es um

Lothar Riebsamen






(A) (C)



(B) (D)


Vorschläge, wie die zusätzlichen Finanzmittel der Pfle-
gestellenförderprogramme dauerhaft für die Pflege zur
Verfügung gestellt werden können . In Bezug auf die Al-
tenpflege soll das noch bis 2020 dauern. Bitte, lassen Sie
sich das auf der Zunge zergehen: Bis 2020! Bis dahin
lässt man das Pflegepersonal wieder völlig allein. Man
lässt es allein mit den Arbeitsbelastungen, dem neuen
Pflegebegriff und dem verständlichen Frust, der sich da-
raus entwickelt .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)


Sie verlieren in Ihrem Gesetzentwurf kein Wort über
die reale Einführung von Personalbemessungsgrenzen .
Sie versuchen aber, die Reform der Pflegeausbildung
wortreich schönzureden . Die Generalistik soll den Beruf
attraktiver machen . Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Träumen
Sie mal schön weiter! Selbst die glühendsten Verfechter
der Generalistik müssen Ihnen zu diesem Zeitpunkt die
rote Karte zeigen .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist ja gar nicht wahr!)


Dieser Gesetzentwurf ist handwerklich schlecht ge-
macht . Dieser Gesetzentwurf ist viel zu wenig durch-
dacht .


(Hilde Mattheis [SPD]: Sprechen Sie mit den privaten Anbietern!)


Bei der Umsetzung wird es massiv Probleme geben .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Sie malen den Teufel an die Wand!)


Es fehlen Praxiseinsatzorte . Es fehlen Praxisanleiter und
-anleiterinnen. Es fehlen qualifizierte Lehrkräfte für die
generalistische Pflegeausbildung. Und es wird teurer
werden als geplant . Die Ausbildung wird für Ausbil-
dungsträger unattraktiver, weil ihre Auszubildenden viel
zu selten im eigenen Betrieb sind .

Die Ausbildungsinhalte sind unbekannt . Die Ver-
ordnung liegt überhaupt nicht vor, obwohl uns das ver-
sprochen wurde . Es gibt lediglich Eckpunkte, die darauf
hinweisen, dass das theoretische Wissen komplett verein-
heitlicht wird .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Falsche Information!)


Bei den Praxiseinsätzen wird halt überall einmal reinge-
schnuppert . Mit dieser Reform wird der Beruf unattrak-
tiver .


(Mechthild Rawert [SPD]: Ich wette dagegen!)


Räumen Sie diese Hindernisse aus dem Weg, sonst wer-
den wir nach dieser Reform weniger und nicht mehr Aus-
bildungsplätze haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Darüber hinaus werden wir keine gezielten Steue-
rungsinstrumente zur Bekämpfung des Pflegefachkräf-
temangels mehr einsetzen können . Sie haben doch mit
Ihrer Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive in der

Altenpflege durchaus Erfolge erzielt. So etwas wird
künftig einfach nicht mehr möglich sein .


(Lothar Riebsamen [CDU/CSU]: Positiv denken!)


Auch mit Blick auf die Pflegestellenförderprogramme
in Krankenhäusern bin ich skeptisch, ob so etwas dann
noch möglich sein wird . Zukünftig werden wir nicht
wissen, in welchen Bereichen die Pflegefachfrauen und
die Pflegefachmänner arbeiten werden. Wir werden nicht
wissen, ob wir nach Bedarf ausbilden . Ich befürchte, dass
es in einem Bereich einen massiven Mangel geben wird .
Ich bin schon jetzt gespannt, wie Sie dann mit dem von
Ihnen provozierten Fachkräftemangel in der Altenpflege
umgehen werden .

Eins ist jedoch klar: Wir brauchen verbindliche, bun-
desweite Personalbemessungsverfahren . Reden reicht
jetzt nicht mehr . Handeln Sie endlich!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nur Erprobung ist absolut zu wenig . Nehmen Sie end-
lich die Nöte der Pflege im Krankenhaus, in ambulanten
und stationären Pflegeeinrichtungen wahr. Und tun Sie
das bald, sonst wird keine Ihrer Reformen auch nur ir-
gendwie eine positive Wirkung entfalten können . Ohne
Personal ist in der Pflege alles nichts.

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816105200

Vielen Dank, Elisabeth Scharfenberg . – Nächste Red-

nerin: Marina Kermer für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Marina Kermer (SPD):
Rede ID: ID1816105300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist
richtig und wichtig, hinzuschauen, wenn auf Probleme
hingewiesen wird . Das tun Sie in dem von Ihnen vorge-
legten Antrag mit Bezug auf einen Fernsehbericht . Das
tun auch wir mit Blick auf Ihren Antrag . Im Ergebnis
steht man vor einem bunten Mix aus Forderungen . Sieht
man sich die Forderungen an, kommt man überwiegend
zum Ergebnis: Wo Sie noch fordern, haben wir schon ge-
handelt .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn das mal so wäre!)


Wir haben im letzten Jahr das Krankenhausstrukturge-
setz verabschiedet .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Damit sind die wichtigen und richtigen Weichen für die
Zukunft unserer Krankenhäuser gestellt . Deshalb danke
ich Ihnen, dass wir in der heutigen Debatte unsere Maß-
nahmen noch einmal darstellen können . Wir geben den
Krankenhäusern erhebliche finanzielle Mittel, um die
von Ihnen mit Recht noch einmal dargestellte Perso-
nalknappheit zu beenden .

Elisabeth Scharfenberg






(A) (C)



(B) (D)


Erstens – das hat auch Herr Riebsamen schon darge-
stellt – haben wir das Pflegestellenförderprogramm mit
bis zu 660 Millionen Euro für drei Jahre aufgelegt . Diese
Mittel sind ausschließlich für die Pflege am Bett vorgese-
hen, nämlich genau dort, wo wir sie brauchen .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816105400

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

-bemerkung von Maria Klein-Schmeink?


Marina Kermer (SPD):
Rede ID: ID1816105500

Gerne .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816105600

Bitte schön .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Kermer, wir sind durchaus bereit, Verbesserun-
gen festzustellen, wenn sie denn da sind . Aber das jetzt
aufgelegte Pflegestellenprogramm wird bestenfalls zwei
Pflegekräfte zusätzlich pro Krankenhaus bringen. Das
wird zu keiner entscheidenden Verbesserung auf den
Stationen führen . Das wird wahrscheinlich nicht einmal
bemerkbar sein . Das dazugehörige Gutachten, das dann
endgültig die Lösung bringen soll, soll 2017 vorliegen .
Das heißt, wir werden in dieser Wahlperiode keine ent-
scheidende Verbesserung bei der Pflege im Krankenhaus
haben .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist falsch!)


Eben wurde schon gesagt: In Bezug auf die Altenpfle-
ge werden erst 2020 Vorschläge vorgelegt . Gleichzeitig
gibt es bei den Beitragssätzen eine Deckelung bis 2022,
damit keine zusätzlichen Belastungen entstehen .

Müssen Sie nicht eingestehen, dass Sie heute den Pfle-
gekräften in Deutschland eben nicht sagen können, dass
sich ihre Rahmenbedingungen verändert haben und in
dieser Wahlperiode entscheidend verbessern werden?


Marina Kermer (SPD):
Rede ID: ID1816105700

Ihre Bemerkung ist sicherlich richtig, aber aus meiner

Sicht nur dann, wenn wir all die anderen Instrumente, die
ich heute gerne noch vorstellen möchte, nicht beschlos-
sen hätten . Insofern sollte man abwarten, wie diese Re-
form mit all den anderen Instrumenten läuft . Ich sehe in
der Tat, dass wir mit den dafür zur Verfügung gestellten
Millionen strukturelle Möglichkeiten geschaffen haben,
in den Krankenhäusern weiter Pflegekräfte einzustellen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Zweitens bekommen die Krankenhäuser auch lang-
fristig auf Dauer noch 500 Millionen Euro jährlich, und
zwar über den Pflegezuschlag. Je mehr Personal die
Krankenhäuser zukünftig aufbauen, desto höher wird
also der Anteil aus dem Pflegezuschlag.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das haben Sie im vergangenen Jahr nicht gehabt? Es ändert sich überhaupt nichts!)


Wir belohnen die Krankenhäuser, die genügend Pfle-
gekräfte beschäftigen. Das sind häufig, aber nicht nur
kommunale Krankenhäuser,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


und das sind natürlich auch die Fachbereiche, die einen
hohen Personalaufwand haben, wie die Kinderkranken-
häuser. Mit dem Pflegezuschlag soll das Pflegepersonal
aufgebaut werden; er ist mit einem wirkungsvollen Stopp
für weiteren Personalabbau verbunden .

Drittens haben wir eine Expertenkommission einge-
setzt . Die Kommission hat die Arbeit aufgenommen .
Aufgabe der Kommission ist es, zu ermitteln, wie Perso-
nalkosten besser vergütet werden können . Und glauben
Sie mir: Dort wird nicht nur geredet, sondern auch am
Thema gearbeitet .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Die Kosten für Pflege werden in der Zukunft noch stei-
gen . Die Menschen werden älter . Damit steigt auch der
Bedarf an medizinischer Versorgung, und je älter die Pa-
tientinnen und Patienten sind, desto größer ist der Bedarf
an Hilfe durch Pflegekräfte. Ja, das haben wir erkannt.
Im Krankenhausstrukturgesetz sind die verschiedenen
Steuerungsinstrumentarien enthalten . Ihre Forderung ist
somit berücksichtigt .

Ebenso haben wir das Hygieneförderprogramm ver-
längert, weil wir den besonderen Bedarf erkannt haben .
Aber die Bekämpfung von sogenannten nosokomialen
Infektionen, also den gefürchteten Krankenhauskeimen,
kann nicht nur im Krankenhaus erfolgen . Die Erreger
sind besonders gefährlich, weil sie nicht mit Antibiotika
behandelt werden können . Sie sind resistent . Die stei-
gende Antibiotikaresistenz hängt damit zusammen, dass
zu viele Antibiotika verordnet werden . Das ist uns allen
bekannt .

Wir begreifen die Krankenhausinfektionen als gesell-
schaftliches Problem und fordern mehr und bessere Zu-
sammenarbeit zwischen Krankenhäusern, niedergelas-
senen Ärztinnen und Ärzten und Pflegeheimen und die
stärkere Einbindung der Angehörigen .

Ja, es ist richtig, dass auch die Hygiene in Kranken-
häusern mit mehr Personal verbessert werden kann .
Deshalb wollen wir die Verbesserung der Krankenhaus-
hygiene durch mehr Personal und mehr Geld für die Si-
cherung von Hygiene . Ihre Forderungen sind im Kran-
kenhausstrukturgesetz enthalten .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Außerdem ist eine grundlegende Neuausrichtung der
Krankenhausversorgung eingeleitet worden: Die ge-
samte stationäre Versorgung haben wir auf neuen Kurs
gebracht, nämlich hin zu mehr Qualität . Mehr Qualität
wird durch Zuschläge für gute Qualität und Abschläge
bei schlechter Qualität erreicht .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne Fachkräfte ist alles nichts wert!)


Marina Kermer






(A) (C)



(B) (D)


Auch hierzu kann ich sagen: Wir haben die Sorgen der
Patientinnen und Patienten gehört und darauf längst mit
dem Krankenhausstrukturgesetz reagiert .

Und warum ist uns die Verbesserung der Qualität be-
sonders wichtig? Weil sie vor allem jenen dient, um die
es im Gesundheitswesen in erster Linie geht: den Patien-
tinnen und Patienten . Wir stellen sie in den Mittelpunkt
und stärken die Patientenrechte . Bevor man sich vertrau-
ensvoll in ein Krankenhaus begibt, soll sich jeder infor-
mieren können, wie gut das Krankenhaus ist . Deshalb
müssen die Qualitätsberichte der Krankenhäuser transpa-
rent und auch für Laien verständlich sein .

Man kann sagen: Qualitätszuschläge bedeuten für
alle Krankenhäuser mit guter Qualität auch ein positives
Qualitätssiegel . Für mich ist Gleichbehandlung wichtig,
egal ob privat, kommunal oder freigemeinnützig . Somit
gilt für alle: Wer auf Dauer schlechte Qualität liefert, hat
eine Einjahresfrist, um die Mängel abzustellen .

Vor allem geben wir den Ländern damit eine Ent-
scheidungshilfe . Denn sie stellen ihre Krankenhauspläne
auf und können zukünftig bei schlechter Qualität Kran-
kenhäuser aus dem Krankenhausplan nehmen . Denn
schlechte Qualität ist auf Dauer selbst mit Abschlägen zu
teuer und auch nicht zu verantworten .

Unsere wichtigsten Kriterien für die Zukunft eines
Krankenhauses sind Versorgungssicherheit und Qualität .
Gute Qualität ist nur mit ausreichendem und gut qualifi-
ziertem Personal machbar; auch da stimmen wir mit Ih-
nen überein . Aus diesem Grund haben wir mit dem Kran-
kenhausstrukturgesetz den Pflegezuschlag eingeführt,
das Pflegestellenförderprogramm aufgelegt und – ganz
wichtig – die Expertenkommission eingesetzt .

Es gibt Regionen in Deutschland, in denen es zu viele
Krankenhäuser gibt . Dagegen gibt es in vielen ländlichen
Regionen Gebiete, die genau das gegenteilige Problem
haben . Also haben wir den Sicherstellungszuschlag ver-
bessert, sodass Stationen oder Abteilungen weiterarbei-
ten können, die für die Region wichtig sind, auch wenn
sie sich wirtschaftlich nicht rechnen . Mit unserem Kran-
kenhausstrukturgesetz machen wir die Krankenhäuser
zukunftssicher .

Wenn ich mir Ihren Antrag sorgfältig anschaue, dann
stelle ich fest, dass Ihre Forderungen abgearbeitet sind .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 4 000 Fachkräfte statt der 80 000 notwendigen!)


Deshalb können wir ihn auch mit gutem Gewissen ab-
lehnen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816105800

Vielen Dank, Frau Kollegin Kermer . – Der nächste

Redner in der Debatte: Erich Irlstorfer .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Erich Irlstorfer (CSU):
Rede ID: ID1816105900

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Heute diskutieren wir über den Antrag der
Fraktion Die Linke, betitelt mit „Gute Arbeit – Gute
Versorgung: Mehr Personal in Gesundheit und Pflege“.
Wenn ich das so lese, kann ich nur sagen: Da sind wir
beieinander .


(Beifall des Abg . Harald Weinberg [DIE LINKE])


Ich möchte aber gerne auf zwei Punkte eingehen, die
Sie vielleicht übersehen . Als Koalition haben wir bereits
eine Vielzahl greifbarer Verbesserungen für die Pflege in
unseren Pflegeheimen, Einrichtungen und Krankenhäu-
sern beschlossen . Größtenteils sind diese auch umge-
setzt . Prinzipiell befürworten wir als CDU/CSU-Frakti-
on zusätzliche personelle Verbesserungen im Bereich der
Krankenhauspflege und in anderen Bereichen. So wie
Sie, die Linke, sich das vorstellen, wird man aber aus
unserer Sicht Fortschritte weder für das Pflegepersonal
noch für die Angehörigen und auch nicht für die Patien-
ten erreichen .

In Ihrem Antrag ist die Rede von mindestens
100 000 Vollzeitstellen in der Pflege,


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das hat Ihnen Professor Simon in der Anhörung vorgerechnet!)


die Sie schaffen wollen . Bei diesen Zahlenspielen bleibt
aber offen, woher Sie das Geld nehmen und vor allem
woher das ausgebildete Pflegepersonal kommen soll.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommen wir zum Punkt!)


Fest steht: Nur wenn wir eine ausreichende Anzahl an
Pflegekräften in den Krankenhäusern und den Altenpfle-
geeinrichtungen sicherstellen, können wir eine Pflege
garantieren, die heutigen und zukünftigen Standards und
Anforderungen entspricht . Hier setzen wir, die Union,
vor allem auf die Fachlichkeit, die Individualität und die
Menschlichkeit . Die Kombination aus Herz und Verstand
ist unser Ziel und gibt die Richtung vor .


(Beifall bei der CDU/CSU – Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie mal den Fachkräften!)


Klar ist auch: Der Personalbedarf in der Krankenpfle-
ge wird aufgrund des demografischen Wandels in den
folgenden Jahren weiter steigen; das wissen wir . Wenn
wir über Pflege reden, reden wir auch über einen Zu-
kunftsberuf und somit über einen der wichtigsten Berufe
in Deutschland. Das ist die Botschaft, die wir in die Pfle-
geszene senden wollen, und nicht Ihre Horrormeldungen,
die Sie heute von sich geben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen unter anderem dafür sorgen, dass das Berufs-
bild an Attraktivität gewinnt, etwa durch erweiterte Fort-
bildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten, wie sie im Pflege-
berufsgesetz eröffnet werden sollen . Frau Scharfenberg,
ich möchte deutlich sagen: Wir kennen die Sorgen . Wir

Marina Kermer






(A) (C)



(B) (D)


haben darüber schon mehrfach diskutiert . Wir kennen
den Referentenentwurf und wissen, dass wir hier nach-
bessern müssen; das ist völlig klar .


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann geben Sie sich einen Ruck, und tun Sie das Richtige!)


Aber wir nehmen das als Basis und Diskussionsgrund-
lage .

Ich möchte an dieser Stelle noch etwas anmerken .
Qualifiziertes und motiviertes Personal möchte vor allem
ernst genommen werden, möchte ordentlich bezahlt wer-
den und will vor allem Rahmenbedingungen haben, die
passen. Qualifiziertes und motiviertes Personal will nicht
nur erst einmal gewonnen werden . Vielmehr müssen wir
auch darüber reden, wie wir das in den Einrichtungen
vorhandene Personal halten .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Dann müssen Sie die Rahmenbedingungen verändern!)


– Das ist klar. – Tatsache ist ja auch, dass Krankenpfle-
ger – und wir nehmen das sehr ernst – oft nur wenige Jah-
re in ihrem Beruf verbleiben . Daher wäre es notwendig,
über neue, über innovative Ideen auf diesem Gebiet zu
diskutieren . Das wäre zielführender in meinen Augen, als
über starre Personalbemessungsvorgaben zu diskutieren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Dann fragen Sie doch einmal das Personal im Krankenhaus!)


Mit dem im November verabschiedeten Krankenhaus-
strukturgesetz und dem darin enthaltenen Pflegezuschlag
sowie dem Pflegestellen-Förderprogramm haben wir –
das wurde schon ein paarmal erwähnt – den ersten Schritt
getan und dafür gesorgt, dass die teilweise problemati-
sche Personalsituation in Krankenhäusern zielgerichtet
verbessert wird . Man hört natürlich von der Opposition
immer wieder, das gehe nicht schnell genug, die Mengen
passten nicht usw . Aber das, was Sie von uns teilweise
verlangen, geht in eine Richtung, zu der ich sage: Die
nächste Stufe wäre zaubern . Das geht halt nicht .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Entscheiden!)


Sie können uns vieles vorwerfen, aber wir haben hier
viel verbessert . Wir haben viel Geld in die Hand genom-
men. Beim Pflegestellen-Förderprogramm sind in den
nächsten drei Jahren die schon erwähnten 660 Millionen
Euro dafür vorgesehen, dass Krankenhäuser dauerhaft
mehr Pflegepersonal einstellen können. Auch der von
unserer Koalition erreichte Ersatz des Versorgungszu-
schlags durch einen Pflegezuschlag ist hier ein wichtiger
Erfolg, den Sie nicht kleinreden sollten, da die 500 Milli-
onen Euro auf diese Weise im System bleiben und gleich-
zeitig die Vorhaltung von Pflegepersonal belohnt wird.
Denken Sie doch bitte einmal darüber nach! Und Häuser
mit relativ mehr Pflegepersonal bekommen jetzt auch

mehr Geld . Personalabbau dagegen wird geahndet . Das
sind doch deutliche Verbesserungen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe des Abg . Harald Weinberg [DIE LINKE])


Meine sehr geehrten Damen und Herren, in Ihrem
Antrag fordern Sie auch eine Pflege, die sich – ich zitie-
re – „an individuellen Mehrbedarfen orientiert“ . Da frage
ich mich aber, wie Sie diesen individuellen Bedarf ohne
Fallpauschalen oder DRGs überhaupt feststellen wollen .
Durch eine Abschaffung dieser Parameter bewirken Sie
nämlich letztendlich nur, dass das kostenintensive Kran-
kenhaus finanzielle Unterstützung erfährt, unabhängig
davon, ob es wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit oder
erhöhtem Aufwand Kosten verursacht .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816106000

Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage oder

-bemerkung von Herrn Weinberg zulassen?


Erich Irlstorfer (CSU):
Rede ID: ID1816106100

Gerne .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816106200

Bitte schön .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Der redet doch gleich noch einmal!)


– Darf trotzdem .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Der kann doch nachher noch sprechen!)


– Darf trotzdem .


Harald Weinberg (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816106300

Vielen Dank . – Allerdings nachher mit einer einge-

schränkten Redezeit .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816106400

Der Redner hat die Frage zugelassen .


Harald Weinberg (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816106500

Kollege Irlstorfer, vielen Dank, dass Sie die Frage zu-

lassen . – Ich habe nur eine Frage . Sie haben gerade auf
die 500 Millionen Euro Pflegezuschlag abgestellt, also
den Versorgungszuschlag, der in einen Pflegezuschlag
umgerechnet worden ist . Es ist ja so, dass die Verteilung
schon danach geht, wo welche Pflegestellen sind. Aber
wo im Gesetz, bitte schön, haben Sie festgelegt, dass die
Verwendung für die Pflege stattfindet? Das Krankenhaus
kann dieses Geld genauso für Investitionen, genauso für
Schuldendienst und ähnliche Sachen verwenden .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Nein! Quatsch! – Hilde Mattheis [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)


Erich Irlstorfer






(A) (C)



(B) (D)


Es muss überhaupt nicht in die Pflege fließen.


(Beifall bei der LINKEN – Tino Sorge [CDU/ CSU]: Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung, Herr Kollege!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816106600

Herr Kollege .


Erich Irlstorfer (CSU):
Rede ID: ID1816106700

Herr Kollege, ich möchte Sie da korrigieren . Es ist

inhaltlich falsch, was Sie hier sagen . Das ist das eine .
Zweitens . Wissen Sie, was uns vor allem unterscheidet?
Sie trauen den Menschen nichts zu . Das ist der Punkt .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Frage beantworten!)


Oder Sie trauen ihnen Sachen zu, die wir uns überhaupt
nicht vorstellen können . Wir haben das geregelt, und des-
halb wird dieses Geld auch sachgerecht eingesetzt wer-
den . Glauben Sie mir das .


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Sehr geschickt ausgewichen! – Zuruf der Abg . Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf
auch darauf aufmerksam machen, dass im Krankenhaus-
strukturgesetz bestimmt wurde, dass eine Expertenkom-
mission spätestens bis Ende 2017 Wege vorstellen soll,
wie eine sachgerechte Abbildung des Pflegebedarfs im
DRG-System oder über ausdifferenzierte Zusatzentgel-
te erfolgen kann . Nur auf diese Weise sind zielgerichtete
Maßnahmen zur Stärkung der Pflege in den Krankenhäu-
sern in meinen Augen möglich .

Personalbemessungsstandards in der Krankenhauspla-
nung sind eine viel zu unflexible Maßnahme, um vor Ort
zeitnah auf wachsenden oder sinkenden Personalbedarf
reagieren zu können . Mit Vorgaben von oben – so wollen
Sie ja handeln –, wie viele Pflegekräfte zu einem gegebe-
nen Zeitpunkt auf der Station X in der Klinik Y zu sein
haben, kommen wir nicht weiter, weil wir die speziellen
Verhältnisse eines Krankenhauses, seinen Bedarf, die
jeweiligen regionalen Besonderheiten und weitere Fak-
toren nicht kennen und auch generell nicht abschätzen
können . Hier muten Sie sich, wie ich glaube, ein bisschen
zu viel an Kompetenz zu .

Wenn im vorliegenden Antrag der Anstieg der An-
zahl der Krankenhäuser in privater Trägerschaft beklagt
wird – das verwundert mich schon –, stellt sich die Frage:
Auf welcher Basis denn eigentlich? Der „Krankenhaus
Rating Report 2015“ kommt jedenfalls zu dem Schluss,
dass sich keine signifikanten qualitativen Nachteile bei
privaten Krankenhäusern zeigen, sondern dass, im Ge-
genteil, Qualität und Wirtschaftlichkeit oft in einer Ziel-
harmonie zueinanderstehen .

Dass Krankenhäuser Gewinn machen dürfen, ist in
meinen Augen nicht das Problem . Wenn diese ihre Ge-
winne in Innovationen und in Strukturverbesserungen
reinvestieren, ist das sogar ein Vorteil . Ein Problem hin-

gegen ist, dass die Häuser aufgrund von teilweise leider
ausbleibenden Investitionen vonseiten der Länder am
ehesten – das gehört zur Wahrheit hinzu – beim Personal
im lebenswichtigen Pflegebereich Einsparungspotenzi-
al sehen . Unser Credo, also das der Union, ist auf jeden
Fall: Wir investieren nicht nur in Beton und Technik,
sondern wir investieren in die Menschen, weil wir ihnen
etwas zutrauen und weil wir die Wichtigkeit von Perso-
nal sehen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte
zum Schluss kommen .


(Zuruf von der LINKEN: Gute Idee!)


Ich glaube, es ist notwendig, dass wir weiterhin viele
Mosaiksteinchen sammeln und zusammensetzen . Hier
gibt es viele gute Vorschläge . Viel ist aber auch bereits
getan . Wir werden auch in diesem Bereich in Zukunft
für alle Einrichtungen noch viel erreichen müssen, weil
dies nötig ist . Ich glaube, wir haben große Themen zu
bewältigen . Zum Beispiel sollten wir über das Thema Di-
gitalisierung sprechen . Wir sollten natürlich auch darüber
sprechen, wie viel wertvolle Arbeitszeit durch Digitali-
sierung eingespart wird .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816106800

Das machen wir heute aber nicht .


Erich Irlstorfer (CSU):
Rede ID: ID1816106900

Aber wir müssen auch über Abbau von Bürokratie

diskutieren und darüber, wie Dokumentationspflichten
abgebaut werden können und das Ganze trotzdem rechts-
sicher bleiben kann . Da meine Redezeit abgelaufen ist,
höre ich auf .

Ich bedanke mich bei Ihnen . Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816107000

Vergelts Gott, Herr Irlstorfer . Vielen Dank . – Nächste

Rednerin: Pia Zimmermann für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Pia Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816107100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Würden

Sie in ein Flugzeug steigen, das von nur einem Piloten
geflogen wird? Oder würden Sie in ein Flugzeug steigen,
das von zwei Piloten mit einjähriger Basisausbildung
geflogen wird? Ich auf jeden Fall nicht, und ich vermu-
te, Sie bei so einem desaströsen Personalstandard auch
nicht .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Harald Weinberg






(A) (C)



(B) (D)


In der Pflege ist Unterbesetzung an der Tagesordnung.
Im Nachtdienst arbeitet eine Pflegekraft im Schnitt für
52 Menschen,


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Bei uns nicht?)


für die sie verantwortlich ist, für Menschen, die Unter-
stützung brauchen, wenn sie zur Toilette müssen oder
wenn sie gelagert werden müssen, damit sie sich nicht
wundliegen . Mehr Personal und vor allem gut ausgebil-
detes Personal, das tut not .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Studien zeigen nicht nur einen Zusammenhang zwi-
schen der Anzahl an Pflegekräften und der Pflegequali-
tät, sondern auch einen Zusammenhang zwischen Qua-
lifikation und Qualität. Gute Pflege, meine Damen und
Herren, wird gemacht, und zwar nicht von Gesetzen und
Papier, sondern von Menschen, die Pflege gelernt haben,
die wissen, was für eine gute Pflege notwendig ist. Mehr
Personal stärkt die Pflege. Wir sind in der Verantwortung,
endlich die entsprechenden Rahmenbedingungen dafür
zu schaffen .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auf den Einrichtungen lastet ein enormer Kosten-
druck, weil die Pflegesätze hinten und vorne nicht rei-
chen, weil die Pflege einfach unterfinanziert ist. Um
schwarze Zahlen zu schreiben, wird in den Einrichtun-
gen beim Personal gespart . Für die Beschäftigten heißt
das natürlich Stress pur, und das wollen wir so nicht
hinnehmen . Sie hetzen das Personal von Bewohnerin zu
Bewohner . An ein paar Minuten für ein Gespräch oder
eine andere Zuwendung ist überhaupt nicht zu denken,
und Zeit für aktivierende Pflege fehlt meist völlig. Die
enge Taktung reicht gerade einmal für das Nötigste, und
Schlimmes ist nicht immer zu verhindern .

Ich sage hier ganz klar und deutlich, meine Herren:
Für Menschen mit Pflegebedarf entsteht durch Personal-
mangel eine Gefährdung ihrer Gesundheit . Wir müssen
an den Ursachen dieser Situation von gefährlicher Pflege
ansetzen, und Sie müssen aufhören, die Pflege mit Place-
bos heilen zu wollen .


(Beifall bei der LINKEN – Abg . Tino Sorge [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Wir brauchen dringend bundesweit verbindliche, am
Personalbedarf orientierte Personalvorgaben und eine
entsprechende Vergütung der Personalkosten durch die
Pflegeversicherung. In einem reichen Land wie Deutsch-
land, meine Damen und Herren, muss das doch wohl drin
sein!


(Beifall bei der LINKEN)


Was machen Sie stattdessen?


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816107200

Entschuldigung, Frau Kollegin . Erlauben Sie eine

Zwischenfrage von einem Kollegen der CDU/CSU-Frak-
tion?


Pia Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816107300

Ich bin gerade gut in Fahrt – vielleicht machen Sie im

Anschluss eine Kurzintervention .


(Zurufe von der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816107400

Okay, dann nicht .


Pia Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816107500

Stattdessen, meine Damen und Herren, werden Ver-

mögende mit hohem Einkommen geschont . Darum: Weg
mit der Beitragsbemessungsgrenze! Weg mit der unsin-
nigen Trennung von privater und sozialer Pflegeversiche-
rung! Das schafft für uns auch mehr Spielraum für mehr
Personal .


(Beifall bei der LINKEN)


Viele gut ausgebildete Pflegekräfte wählen die
Exit-Strategie, weil sie die Bedingungen nicht mehr
ertragen. Sie verlassen ihren Beruf in der Pflege nach
durchschnittlich sieben bis acht Jahren . Darüber sollten
Sie mal nachdenken!

Mehr qualifiziertes Personal hält Personal und ist so-
mit eine entscheidende Maßnahme gegen den Fachkräf-
temangel und für eine qualitativ hochwertige, menschen-
würdige Pflege.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816107600

Vielen Dank, Kollegin Zimmermann .

Das Wort für eine Kurzintervention hat der Kollege
Sorge .


Tino Sorge (CDU):
Rede ID: ID1816107700

Sehr geehrte Frau Kollegin Zimmermann, ich hatte ja

gehofft, dass es nach den Ausführungen Ihrer Namens-
vetterin ein bisschen besser wird .

Ich will bestimmte Ausführungen, die Sie getä-
tigt haben, nicht einfach so stehen lassen . Der Kollege
Riebsamen hat ja schon darauf hingewiesen, dass in dem
Bereich eine ganze Menge passiert ist . Ich möchte Sie
gerne konkret fragen – Sie haben ja immer gesagt, es
müsse mehr getan werden; wir bräuchten mehr Pflege-
kräfte –, ob an Ihnen vorbeigegangen ist, dass wir das
Pflegestellen-Förderprogramm aufgelegt haben. Dafür
sind – das ist ausgeführt worden – 660 Millionen Euro
zur Verfügung gestellt worden .


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Dazu ist doch schon was gesagt worden, Mensch! – Gegenruf des Abg . Volker Kauder [CDU/ CSU]: Aber Sie fragen wir ja gar nicht! – Ge Pia Zimmermann genruf des Abg . Harald Weinberg [DIE LINKE]: Doch, ich darf auch antworten! Ich bin Abgeordneter!)





(A) (C)


(B) (D)


– Ja, das hat sie offensichtlich nicht mitbekommen, des-
halb frage ich noch einmal ganz konkret nach .

Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass wir
das Förderprogramm für Hygiene weitergeführt haben .
Ich würde gerne wissen – Sie sagen ja immer, wir müss-
ten für die Pflege mehr tun, wir müssten den Pflegeberuf
aufwerten, wir müssten die Wertschätzung der Pflege in
der Gesellschaft erhöhen –, ob Sie mit Ihren Ausführun-
gen und indem Sie von „gefährlicher Pflege“ sprechen,
dazu beitragen, dass diese Wertschätzung in der Gesell-
schaft steigt . Ich hätte von Ihnen gern Antworten auf
diese Fragen und nicht einfach nur die allgemeine Be-
hauptung, wir müssten da mehr tun bzw . wir sollten, wir
müssten, wir könnten mal .

Die Kollegen aus der Unionsfraktion und auch die
Kollegen aus der SPD-Fraktion haben Beispiele genannt .
Sie sind aber mit keinem Wort darauf eingegangen . Ich
würde Sie wirklich bitten, auch einmal zu sagen, was bis-
her getan worden ist, und dann ganz konkret zu sagen, an
welcher Stelle wir – gegebenenfalls gemeinsam – noch
mehr tun könnten . Und hören Sie auf, von „gefährlicher
Pflege“ zu sprechen, alle Pflegekräfte in Deutschland zu
diffamieren und so zu tun, als sei die Pflege menschenun-
würdig!


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist ja wohl eine Unverschämtheit! – Gegenruf von der CDU/CSU: Ihr habt jahrelang gepennt! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816107800

Jetzt, wenn Sie mögen, Frau Zimmermann, bitte .


Pia Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816107900

Vielen Dank für die Frage . Dann habe ich trotz meiner

kurzen Redezeit jetzt noch Gelegenheit, darauf zu ant-
worten .

Eins ist doch ganz klar: Wir müssen Ihnen nicht sagen,
was Sie getan haben . Wir sind dafür da, Ihnen zu sagen,
was Sie nicht getan haben .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich empfehle Ihnen ganz dringend: Gehen Sie mal in
die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, und gucken
Sie sich das mal an! Übernehmen Sie mal Verantwortung
für das, was die Pflegekräfte in den Krankenhäusern und
Altenheimen leisten müssen! Die haben nämlich zu tun;
sie rasen von Bett zu Bett und zeigen gefährliche Pflege
kaum an, weil sie nämlich unter Druck stehen, vor allen
Dingen in privaten Einrichtungen .


(Dr . Roy Kühne [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Das ist falsch!)


Und dass wir, wie Sie es gesagt haben, die Pflegenden
diffamieren würden, ist doch Quatsch! Wir nehmen sie in
Schutz und wollen für sie Arbeitsbedingungen schaffen,
unter denen sie ihren Beruf ausüben können, unter denen

sie das tun können, was sie gelernt haben . Sie sollen nicht
von Bett zu Bett jachtern müssen, um irgendwie noch das
Nötigste hinzubekommen .


(Dr . Roy Kühne [CDU/CSU]: Das ist falsch!)


Sie tun nichts dafür, dass die gefährliche Pflege einmal
ein Ende hat .


(Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Unsäglich! Schämen Sie sich!)


Dass immer mal etwas passieren kann, darum geht es gar
nicht, sondern es geht um die Häufung der Fälle und da-
rum, dass die Pflegekräfte ihre Arbeit einfach nicht mehr
leisten können .


(Zurufe von der CDU/CSU)


Machen Sie was! Gehen Sie zu den Leuten, und reden
Sie mit ihnen! Kümmern Sie sich! Machen Sie dann neue
Gesetze, und sorgen Sie dafür, dass die Pflege ausfinan-
ziert ist, damit alles bezahlt werden kann .


(Dr . Roy Kühne [CDU/CSU]: Das sind falsche Adjektive! Ganz klar! Stimmt so nicht!)


Und kommen Sie nicht mit Pflegesatzverhandlungen;
das ist völliger Quatsch, weil die Pflegesätze von Bun-
desland zu Bundesland anders sind . Sie müssen schon
eine bundeseinheitliche Regelung finden, damit wir an
der Stelle wirklich einmal auf einen grünen Zweig kom-
men .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816108000

Gut . – Die nächste Rednerin in dieser sehr lebhaften

Debatte ist Sabine Dittmar für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sabine Dittmar (SPD):
Rede ID: ID1816108100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Frau Zimmermann, auch ich habe nicht
nur sehr lange in Krankenhäusern gearbeitet, sondern bin
auch jetzt noch regelmäßig in den Einrichtungen vor Ort .
Lassen Sie mich deshalb Folgendes klarstellen: Die me-
dizinische und pflegerische Versorgung in unseren fast
2 000 Krankenhäusern in Deutschland ist qualitativ sehr
hochwertig .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das schließt nicht aus, dass Fehler passieren – aufgrund
von strukturellem Versagen, aber auch Fehler persönli-
cher Art .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass es Überforderung gibt, ist auch klar!)


Und wenn wir mit Missständen konfrontiert werden,
dann müssen wir diese konsequent aufarbeiten und auch
ahnden .

Tino Sorge






(A) (C)



(B) (D)


Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen Hinweis, auch
wenn wir diesbezüglich keine Koalitionsvereinbarung
haben – ich gehe auch nicht davon aus, dass wir dies-
bezüglich noch etwas hinbekommen; aber es ist mir ein
ganz persönliches Anliegen –: Bestimmte Vorkommnisse
im Pflege- oder auch im Lebensmittelbereich zeigen uns,
dass wir ein effizientes Hinweisgeberschutzgesetz brau-
chen; denn oft werden diese Missstände nur durch muti-
ge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgedeckt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg . Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Da haben Sie recht! – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Da haben Sie uns auf Ihrer Seite! – Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch das fordern wir!)


Meine Damen und Herren, es ist aber keineswegs so,
dass Patientinnen und Patienten in deutschen Kranken-
häusern – es handelt sich immerhin um 19 Millionen Be-
handlungsfälle pro Jahr –, per se damit rechnen müssen,
falsch behandelt oder vernachlässigt zu werden . Im Ge-
genteil: Die Pflegerinnen und Pfleger und die Ärzteschaft
leisten sehr gute Arbeit auf hohem Niveau .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)


Erlauben Sie mir, Kolleginnen und Kollegen, deshalb
eine Bemerkung: Sie haben es hier nicht behauptet, aber
die pauschalierte Aussage in dem schriftlich vorliegen-
den Antrag, „Schäden an Leib und Leben“ und „men-
schenunwürdige Zustände“ seien „Alltag in deutschen
Kliniken“, ist ein Affront gegenüber den über 1 Million
Beschäftigten in den Krankenhäusern .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lothar Riebsamen [CDU/ CSU]: Jawohl! Unverschämtheit! – Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie ignorieren in Ihrem Antrag komplett, dass wir in
den vergangenen zwei Jahren eine Menge auf den Weg
gebracht haben,


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Sie ignorieren die Realität!)


um die Qualitätsstandards in den Krankenhäusern weiter
zu steigern, die Patientensicherheit zu erhöhen und auch
die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte zu verbessern.
Auf das Krankenhausstrukturgesetz und die Qualitäts-
vorgaben ist die Kollegin Kermer schon eingegangen .
Wir haben auch schon viel über das Pflegestellen-För-
derprogramm und über die dauerhafte Umwidmung des
Versorgungszuschlags in einen Pflegezuschlag gespro-
chen . Das halte ich wirklich für sehr wichtig; denn der
Zuschlag ist umso höher, je höher der Anteil der Kosten
für das Pflegepersonal an den gesamten Personalkosten
ist .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Genau!)


Deshalb glaube ich, dass das schon ein echter Anreiz da-
für ist,


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Ja! Nicht Gießkanne, sondern ganz gezielt!)


die Pflege angemessen auszustatten und an der Pflege
nicht zu sparen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lothar Riebsamen [CDU/CSU]: Kluge Regelung! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, einig sind wir uns
in dem Punkt, dass wir dringend eine verbindliche Perso-
nalbemessung brauchen . Mit der Forderung danach ren-
nen Sie bei meiner Fraktion offene Türen ein . Ich sage
auch: Ich bin dankbar, dass uns das im Pflegestärkungs-
gesetz II gelungen ist . Auch wenn mir der Zeitraum bis
2020 zu lang ist: Wir haben den Fuß in der Tür, und es
werden Kriterien für die Personalbemessung erarbeitet .
Dafür bin ich dankbar .

Im Krankenhausstärkungsgesetz ist uns das in dieser
Form nicht gelungen, aber ich habe wirklich große Hoff-
nungen, dass die Expertenkommission „Pflegepersonal
im Krankenhaus“ uns wirksame Instrumente an die Hand
gibt, um Pflegeleistungen im Entgeltsystem besser abzu-
bilden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade angesichts der aufwendigen Pflegebedarfe bei
den demenzerkrankten Pflegebedürftigen und behinder-
ten Patienten – mit Blick auf die Kollegin Stamm-Fibich
sage ich: auch bei den Kindern – ist es dringend notwen-
dig, dass wir hier über ausdifferenzierte Zusatzentgelte
sprechen .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut! Jetzt kommen wir einmal zum Eigentlichen!)


Was mir dabei besonders wichtig ist, ist, dass wir In-
dikatoren erarbeiten, die eine Überprüfung zulassen, ob
diese Zusatzentgelte dann auch in der Pflege ankommen.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja guck! – Beifall des Abg . Dr . Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Maria Michalk [CDU/CSU]: Ja!)


Denn die Erfahrungen mit dem Pflegekomplexmaßnah-
men-Score, den wir seit 2010 haben, lehren mich bzw .
geben mir ganz deutliche Hinweise darauf, dass wir
scharfe und strenge Instrumente brauchen, um diese Mit-
telverwendung überprüfbar zu machen .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und wo sind sie? Wo sind sie, diese Regelungen?)


– Das ist einer der Aufträge an die Expertenkommission,
Frau Kollegin .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Sabine Dittmar






(A) (C)



(B) (D)


Erst vor wenigen Tagen habe ich mit einer Kranken-
schwester gesprochen, die mir berichtete, dass die auf-
wendige Dokumentation zwar zu Erlössteigerungen der
Klinik führe, aber sich letztendlich nicht im Personal-
schlüssel niederschlage . Das müssen wir verhindern .
Hier – das kann ich Ihnen sagen – werden wir einen ganz
scharfen Blick auf die Regelungen haben, damit uns dies
gelingt .


(Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider erst in der nächsten Wahlperiode! – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es reicht nicht nur der Blick! Das ist zu wenig!)


Meine Damen und Herren, Patientinnen und Patien-
ten müssen sich auch darauf verlassen können, dass die
Behandlung medizinisch notwendig und angemessen
ist . Deshalb ist es unstrittig, dass die Bilanz einer Kli-
nik oder auch Bonuszahlungen für die Chefetage nicht
ausschlaggebend sein dürfen für einen medizinischen
Eingriff, sondern ganz allein die medizinische Indikati-
on . Deshalb sage ich heute hier wirklich mit Nachdruck,
dass ich dankbar dafür bin, dass das in dieser Deutlich-
keit jetzt auch im SGB V steht . Zielvereinbarungen über
Leistungsmengen oder andere Messgrößen haben in
Chefarztverträgen nichts verloren!

Wichtig ist es auch, dass wir die Fallpauschalen regel-
mäßig überprüfen und dahin gehend weiterentwickeln,
um gezielt Maßnahmen gegen die systematische Über-
finanzierung von Sachkosten zu ergreifen. So haben wir
dann auch ein Mittel in der Hand, um Anreize zur Men-
genausweitung – jenseits von Demografie und medizini-
schem Fortschritt – weiter zu minimieren .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich hätte gerne noch zwei Sätze –


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816108200

Nein, ich habe auch ein Mittel an der Hand, dann wird

es aber ganz still vorne .


Sabine Dittmar (SPD):
Rede ID: ID1816108300

– nein, die sage ich nicht – zum Hygieneförderpro-

gramm gesagt, weil das für mich als Medizinerin ein
ganz wichtiges Programm ist .

Wir haben hier jedenfalls wichtige Maßnahmen auf
den Weg gebracht . Wir haben auch noch einiges vor uns .
Ich bin guter Dinge, dass wir uns auf einem guten Weg
befinden, was Personal in Krankenhäusern und Senioren-
einrichtungen angeht .

Ich danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816108400

Vielen Dank, Frau Kollegin . – Der nächste Redner:

Erwin Rüddel für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Erwin Rüddel (CDU):
Rede ID: ID1816108500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Gerade in dieser Legislaturperiode haben
wir die Qualitätsstandards in der Versorgung besonders
in den Mittelpunkt gestellt und haben hier große Fort-
schritte erreicht . Eine gute Versorgung ist ohne eine gute
Pflege nicht möglich. Ich denke, dadurch werden auch
die Bedeutung und die Wertigkeit der Pflege besonders
in den Mittelpunkt gerückt . Wir haben in Deutschland
eine gute Pflege. Ich danke allen Pflegekräften für ihre
motivierte und kompetente Arbeit . Ich denke, viele Län-
der können sich ein Beispiel an der Pflege, die wir in
Deutschland anbieten, nehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Bis 2030 wird die Zahl der Pflegebedürftigen um die
Hälfte auf etwa 3,5 Millionen Menschen steigen . 2050
sind bereits 4,5 Millionen Pflegebedürftige prognosti-
ziert. Gerade die Altenpflege ist sehr personalintensiv.
Durch den demografischen Wandel und die gestiegenen
Leistungsangebote werden wir in Zukunft deutlich mehr
Pflegekräfte benötigen. Bis hierhin gehe ich mit dem An-
trag der Linken einig, aber dann hört die Übereinstim-
mung auch auf .

Die Frage ist doch: Was müssen wir konkret tun,
um Abhilfe zu schaffen? Mit einem Wünsch-dir-was-
Katalog kommen wir da nicht weiter . Stattdessen müs-
sen wir uns die Mühe machen, an den verschiedensten
Stellschrauben konkret anzusetzen und durch geeignete
Maßnahmen dafür zu sorgen, dass sich künftig deutlich
mehr Menschen als bisher für die Pflege entscheiden.
Das heißt: Wir müssen Anreize schaffen, um die Moti-
vation für den Pflegeberuf zu stärken, um die Ausbildung
zu verbessern und um die Arbeitsbedingungen attraktiver
zu gestalten . Und genau das tun wir .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der nächsten Wahlperiode!)


Wir senken den Schlüssel für die Betreuungskräfte in der
Altenpflege. Wir reduzieren überflüssige Bürokratie und
überbordende Dokumentationspflichten.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit habt ihr euch die ganze letzte Legislaturperiode erfolglos beschäftigt!)


Wir reformieren grundlegend den Pflege-TÜV, und wir
werden ein neues Pflegeberufegesetz verabschieden.
Morgen werden wir bereits die Gelegenheit haben, hier
in diesem Haus darüber zu debattieren .

Bereits im letzten Jahr hat die Altenpflege in Deutsch-
land so viele Ausbildungsplätze angeboten wie nie zuvor .
Insgesamt standen knapp 29 000 Plätze zur Verfügung .
Das ist ein schöner Erfolg für die Ausbildungs- und Qua-
litätsoffensive in der Altenpflege,


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Frage ist, warum die jetzt eingestampft wird! – Gegenruf des Abg . Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie haben doch eine Antwort gekriegt!)


Sabine Dittmar






(A) (C)



(B) (D)


die gemeinsam von der Bundesregierung, den Arbeitge-
bern und den Gewerkschaften ins Leben gerufen wurde .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Hilde Mattheis [SPD] – Zuruf von der CDU/ CSU: Jawohl! Wichtige Einrichtung!)


Ich kann mir auch sehr gut vorstellen, dass wir bald
vermehrt junge Flüchtlinge ausbilden können, zumal ge-
rade die Altenpflege in den letzten Jahren positive Erfah-
rungen mit der Ausbildung von Menschen aus Drittstaa-
ten gemacht hat . Dabei steht selbstverständlich fest, dass
die Beherrschung der deutschen Sprache gerade für den
Umgang mit alten und pflegebedürftigen Menschen eine
Grundvoraussetzung ist .

Um möglichst viele junge Leute für den ebenso an-
spruchsvollen wie zukunftssicheren Pflegeberuf zu ge-
winnen, werden wir das Schulgeld in der Ausbildung
abschaffen . Unabhängig davon müssen sich aber auch
die Arbeitsbedingungen in der Pflege weiter verbessern.
Denn leider gilt nach wie vor, dass gerade viele jüngere
Menschen nicht dauerhaft im Pflegeberuf bleiben.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie recht!)


Hier sind zuvörderst die Arbeitgeber in der Pflicht, an-
ständige Tariflöhne zu zahlen, um den Pflegeberuf attrak-
tiver zu machen . Deshalb gilt den Sozialleistungsträgern
der Appell, ordentliche Pflegesätze zu vereinbaren, damit
die Pflegeeinrichtungen ihre Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter auch angemessen bezahlen können .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Bei den kommunalen Spitzenverbänden gab es be-
kanntlich gewisse Begehrlichkeiten mit Blick auf den
von uns vorangetriebenen Bürokratieabbau . Die Divi-
dende aus dem Bürokratieabbau steht aber den Mitarbei-
terinnen und Mitarbeitern in der Pflege zu und kommt
auf diese Weise dort an, wo sie hingehört, nämlich bei
den pflegebedürftigen Menschen.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre ja noch schöner! Wir reden hier über Beitragsgelder!)


Mit Blick auf Länder und Kommunen füge ich hinzu:
Es geht grundsätzlich nicht an, dass die Pflegeversiche-
rung für etwas bezahlt, was bisher von anderen finanziert
wurde . Das heißt: Jeder zusätzliche Euro muss am Bett
ankommen . Das gilt im Übrigen genauso für die Kran-
kenhäuser . Die in die Fallpauschalen eingestellten Antei-
le für die Pflege müssen auch genau dort ankommen.


(Beifall des Abg . Dr . Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es muss Schluss sein mit der Praxis von Krankenhaus-
verwaltungen, Mittel aus den Pflegetöpfen in Richtung
Investitionen umzuleiten, weil sie von Länderseite chro-
nisch unterfinanziert sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg . Dr . Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Das ist doch nur ein Teil des Problems! Nicht immer nur auf andere zeigen! Erst mal selber Hausaufgaben machen!)


Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass
wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, die Kranken-
häuser zu verpflichten, die Mittel für das Pflegepersonal
nicht für andere Zwecke zu entfremden . In diesem Sinne
braucht die Pflege insgesamt von uns allen einen Schutz-
schirm . Das bedeutet selbstverständlich auch, dass Mittel
zur Erhöhung der Tariflöhne in der Pflege eins zu eins
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zugutekommen
müssen .

Meine Damen und Herren, mit Blick auf die anste-
hende Reform der Pflegeberufe werden wir dafür sor-
gen, dass keiner der drei Pflegebereiche Schaden nimmt,
indem wir sicherstellen, dass keine wichtigen Ausbil-
dungsinhalte verloren gehen .

Angesichts der demografischen Entwicklung und der
von uns deutlich ausgeweiteten Leistungen in der Pfle-
ge können wir es uns umso weniger leisten, potenzielle
Kräfte gerade in der Altenpflege zu verlieren. Deshalb
wird auch gewährleistet bleiben, dass für Hauptschulab-
solventen in Verbindung mit einer abgeschlossenen Aus-
bildung – beispielsweise einer einjährigen Pflegehelfer-
ausbildung – der Zugang zur Ausbildung bestehen bleibt
und diese auch erfolgreich nach insgesamt drei Jahren
absolviert werden kann .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Da die Pflegeversicherung jährlich bis zu 300 Milli-
onen Euro für die generalistische Ausbildung zusätzlich
zur Verfügung stellen soll, werden die Interessen der Al-
tenpflege keinesfalls zu kurz kommen. Denn unsere Auf-
gabe besteht darin, Versorgungsprobleme zu lösen .

Gestatten Sie mir abschließend noch den Hinweis auf
einige wichtige flankierende Maßnahmen, die wir auch
mit dem Ziel einer Stärkung der Pflege beschlossen ha-
ben:

Künftig haben Senioren und pflegebedürftige Men-
schen einen verbrieften Anspruch auf einen einheitlichen
Medikationsplan und Zugang zu einer spürbar besseren
Hospizarbeit und einer flächendeckenden Palliativversor-
gung .

Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Palliativ- und
Hospizversorgung haben wir außerdem die Vorausset-
zungen für Verträge zwischen Heimträgern und Ärzten
geschaffen . Bislang waren Heimbewohner gerade von
fachärztlicher Versorgung häufig abgehängt oder wurden
viel zu oft und völlig unnötig in Kliniken eingewiesen,
vor allem nachts und an Wochenenden . Zudem werden
Zahnärzte künftig häufiger zu Vorsorgeuntersuchungen
in Pflegeheime kommen. Wir unterstützen auch den Aus-
bau der Ärztenetze und machen die Förderung von Pra-
xisnetzen mit den anderen an der Versorgung beteiligten
Berufsgruppen und Versorgungseinrichtungen verbind-
lich .

Das alles verbessert nachhaltig die Versorgung pfle-
gebedürftiger Menschen, entlastet die Pflegekräfte und

Erwin Rüddel






(A) (C)



(B) (D)


schafft mehr Zeit für pflegerische Betreuung und mensch-
liche Zuwendung . Darauf kommt es uns besonders an .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816108600

Vielen Dank, Herr Kollege Rüddel . – Der Nächste in

der Debatte ist Harald Weinberg für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Weinberg (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816108700

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ein
paar Worte zu Elisabeth Scharfenbergs Einwand, was den
Wettbewerb betrifft . Wenn wir uns für eine Einschrän-
kung des Wettbewerbs aussprechen, dann bedeutet das
für uns nicht, dass die Wahlfreiheit der Patientinnen und
Patienten in Bezug auf die Einrichtungen eingeschränkt
werden soll,


(Beifall der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE])


sondern es bedeutet: Wir wollen die Rosinenpickerei in
der medizinischen Versorgung, die es derzeit gibt, ein-
schränken . Darum geht es .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen eine Qualitätserhöhung durch Kooperation
erreichen, und zwar durch eine gemeinsame Qualitätser-
höhung der Einrichtungen .

Jetzt komme ich zum eigentlichen Thema . Liebe Kol-
leginnen und Kollegen, wir alle, die wir in den letzten
Jahren stationäre Pflegeeinrichtungen, Krankenhäuser
und Pflegeheime besucht haben, kennen oder ahnen zu-
mindest den Pflegenotstand dort. In Gesprächen wird uns
das mittels Hinweisen auf Hunderte von Gefährdungsan-
zeigen, Unterschriftenlisten und Appellen, sich in Berlin
endlich dieses Problems anzunehmen, intensiv nahege-
bracht . Das kann man eigentlich nur leugnen, wenn man
sich der Realität verweigert .


(Beifall bei der LINKEN)


Inzwischen ist die Zeit der Appelle vorbei . Die Geduld
der Pflegekräfte ist zu Ende. Seit einigen Jahren erleben
wir Aktionen statt Appelle, und das ist gut so . Der Geist
des Widerstands ist aus der Flasche und wird nicht wie-
der einzufangen sein . Begonnen hat das hier in Berlin
an der Charité mit Streiks für eine tarifliche Regelung
und für eine bessere Personalausstattung . Dafür haben
die Kolleginnen und Kollegen sogar den Sonderpreis des
Deutschen Pflegerats bekommen. Wir gratulieren herz-
lich; den haben sie sich auch verdient .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


162 000 Kolleginnen und Kollegen haben im letzten
Sommer vor ihren Krankenhäusern protestiert und auf
162 000 fehlende Stellen im Funktionsbereich und in
der Pflege in den Krankenhäusern aufmerksam gemacht.
Über 180 000 Mitzeichner hatte eine Petition, die eine
gesetzliche Regelung forderte; sie ist noch nicht abge-

schlossen . Im Saarland und in vielen Städten und Regio-
nen werden Streiks und Aktionen für tarifliche Regelun-
gen in der Personalbemessung folgen . 2016 wird sich die
Pflege weiter Respekt verschaffen und Druck machen.
Das ist sicher .


(Beifall bei der LINKEN)


Tarifliche Regelungen sind gut, ohne Zweifel, aber
eine gesetzliche Regelung ist besser . Deshalb haben wir
unseren Antrag vorgelegt .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie alle kennen die Studienlage, oder Sie könnten sie zu-
mindest kennen . Wissenschaftlich ausgedrückt heißt es
da: Mit jedem Patienten, den eine Pflegekraft im Schnitt
mehr betreuen muss, steigt die 30-Tage-Mortalität um
7 Prozent . – Das kann man natürlich auch in leichter
Sprache – vor dieser Debatte gab es eine Diskussion zu
diesem Thema – banal und brutal ausdrücken: Wer im
Krankenhaus am Personal spart, bringt Patienten um .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist so was von dumm! – Maria Michalk [CDU/CSU]: Das war die falsche Übersetzung!)


Wir als Gesetzgeber sind für die politische Rahmen-
setzung im Bereich der Krankenhäuser und der Pflege-
einrichtungen verantwortlich . Wir sind stolz darauf, uns
dabei an einer evidenzbasierten Medizin zu orientieren .
Aber wenn wir uns an einer evidenzbasierten Medizin
orientieren, dann müssen wir die Ergebnisse der entspre-
chenden Studien auch ernst nehmen . Wir dürfen den Be-
fund nicht einfach wegdrücken .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn wir nicht für Änderungen in diesem Bereich sor-
gen, dann machen wir uns mitverantwortlich . Deshalb
fordern wir dazu auf: Ändern wir das! Schaffen wir end-
lich eine gesetzliche Personalbemessung!


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1816108800

Der nächste Redner ist Dirk Heidenblut von der

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dirk Heidenblut (SPD):
Rede ID: ID1816108900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gute Ar-
beit, gute Versorgung – wer würde da nicht gleich sagen:
„Klar doch!“? Ich sage das direkt am Anfang: Wir in
der Koalition haben „Klar doch!“ gesagt . Wir haben mit
unterschiedlichsten Gesetzen so viel in gute Arbeit und

Erwin Rüddel






(A) (C)



(B) (D)


in gute Versorgung im Gesundheitswesen investiert wie
schon lange nicht mehr .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur weil die FDP alles verhindert hat! Trotzdem ist es nicht annähernd genug!)


Insofern ist das ein Thema, bei dem Sie bei uns nicht nur
offene Türen einrennen; Sie können gleich wieder raus-
rennen, weil wir schon durch die Türen gegangen sind .

Als ich im Titel den Zusatz „Mehr Personal in Ge-
sundheit und Pflege“ gelesen habe, habe ich gedacht:
Aha, jetzt haben sie es gesehen . Es war bei all den Ge-
setzen, mit denen wir auch viel für das Personal in Ge-
sundheit und Pflege gemacht haben, vielleicht nicht ganz
geschickt, einfach nur Nein zu sagen . Jetzt kommen sie
auf die Idee, das zu unterstützen, das weiter voranzubrin-
gen . – Aber weit gefehlt! Sie haben einen Filmbericht
zum Anlass genommen – Fernsehen bildet ja bekannt-
lich –, um die Frage aufzureißen .


(Lothar Riebsamen [CDU/CSU]: RTL! – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Lesen Sie doch mal den Anfang vom Antrag! Da steht die Studie drin!)


– Dem Herrn Weinberg müssen Sie unbedingt mehr Re-
dezeit einräumen, sonst platzt der am Platz .

Ich will an dieser Stelle einmal deutlich machen: Ich
finde, es ist eine ziemliche Frechheit, zu erklären, dass
jährlich 500 Millionen Euro mehr, gebunden an den Per-
sonalbereich, dass 660 Millionen Euro für ein spezielles
Programm und mehr Stellen zur Stärkung des Pflegebe-
reichs sowie eine Verbesserung im Bereich der tariflichen
Anerkennung Placebos wären . Wer sich im Gesundheits-
wesen auskennt, der weiß, was mit Placebos gemeint ist .
Dieser Begriff wird der Sache nun wirklich überhaupt
nicht gerecht . Da fragt man sich, warum man das hier so
bezeichnet .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Maria Michalk [CDU/CSU]: Keine Ahnung!)


Ich will jetzt aber gar nicht auf das eingehen, was wir
schon alles getan haben – meine Vorrednerinnen und
Vorredner haben das in ausreichender Form getan –,
sondern ich will gern einen Akzent darauf setzen, was
wir noch tun werden . Ich habe mich mit an dem Thema
Gesundheit orientiert. Wir haben hier viel über die Pfle-
ge geredet, aber ich habe gedacht: Es geht hier auch um
Personal im Gesundheitsbereich . Dazu gehören nicht nur
Pflegekräfte, sondern auch ganz viele andere Menschen.
Wir haben therapeutische Fachkräfte und viele andere
Fachkräfte . Das heißt, im Gesundheitsbereich insgesamt
muss und sollte etwas getan werden .

An einer Regelung, zu der wir noch kommen werden,
zu der wir gerade Eckpunkte vorgelegt haben, will ich
einmal deutlich machen, wie sehr wir die Personalbe-
messung und die Frage von Mindestpersonalvorgaben
in den Vordergrund stellen . Das betrifft den Bereich der
Psychiatrie . Dieser hat ganz eindeutig etwas mit Gesund-
heit zu tun . Hier haben wir gerade die Situation erlebt,
dass ein Entgeltsystem, das uns vorgeführt wurde, bei

uns allen die Sorge ausgelöst hat, dass hier möglicher-
weise Fragen der Personalbemessung, die im Bereich der
Psychiatrie durch die Psych-PV gelöst waren – ich will
nicht sagen: optimal; jedoch wurde das dort zumindest
anders angegangen als in anderen Bereichen –, womög-
lich ins Hintertreffen geraten sind . Ja, es war eine Nach-
folgeregelung für die Psych-PV vorgesehen, aber diese
Nachfolgeregelung war leider nicht als so ganz verbind-
lich vorgesehen .

Zu dem Thema übrigens, einem virulenten Thema
im Zusammenhang mit Personal im Gesundheitswesen,
fehlt in Ihrem Antrag zu besserer Versorgung im Ge-
sundheitswesen jeglicher Hinweis . Das hat mich schon
gewundert . Ich gebe aber zu: Das war im Film auch nicht
zu sehen . Vielleicht liegt darin der Grund .


(Beifall des Abg . Erich Irlstorfer [CDU/ CSU] – Lothar Riebsamen [CDU/CSU]: Die sind halt nicht im Bild! – Zuruf von der LINKEN)


Ich will aber auch deutlich machen: Wir haben an die-
ser Stelle gemeinsam mit dem Ministerium und dem Ko-
alitionspartner mit Eckpunkten klargemacht, dass wir das
nicht tolerieren werden . Einen der Eckpunkte haben wir
gezielt darauf abgestellt: Eine verbindliche Mindestper-
sonalbemessungsvorgabe muss an dieser Stelle her, und
wir erwarten, dass diese umgesetzt wird . – Wir werden
genau dies im weiteren Verfahren sicherlich entspre-
chend voranbringen .

Ich will damit deutlich machen: Ja, Personal und
Fachpersonal in jeglicher Form im Bereich von Gesund-
heit und Pflege stehen in unserem Blickpunkt. Wir setzen
uns dafür ein, und dabei geht es genauso um Therapeuten
wie um Mitarbeiter im psychiatrischen Bereich und Pfle-
gefachkräfte . Sie sind bei uns gut aufgehoben, und wir
werden genau an dieser Stelle Akzente setzen .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird die Pflege nicht glauben!)


Lassen Sie mich noch einen Satz zum Schluss sagen:
Die Zusammenstellung dieser Wunschliste – der Kollege
Rüddel hat von einem Wunsch gesprochen; denn das ist
ja nicht direkt ein Antrag, sondern eine Wunschliste – am
Ende damit zu krönen, dass Sie wieder einmal – wahr-
scheinlich als jemand gemerkt hat, man müsse etwas zur
Finanzierung sagen – die Bürgerversicherung


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie auch mal drüber nachdenken!)


und eine grundsätzliche Infragestellung unseres Sozial-
versicherungssystems aufs Tapet bringen, macht die Sa-
che nicht besser und wird, ganz ehrlich, der Frage von
guter Arbeit und dem Ziel, etwas für die Menschen, die
hier arbeiten, zu tun, absolut nicht gerecht .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dirk Heidenblut






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1816109000

Vielen Dank . – Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7568 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tages-
ordnungspunkte 23 a bis 23 c sowie die Zusatzpunkte 1 a
und 1 b auf:

23 a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Abkommen vom 23. Septem-
ber 2015 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Albanien
über Soziale Sicherheit

Drucksache 18/7793
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

b) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung der Haftungsbe-
schränkung in der Binnenschifffahrt

Drucksache 18/7821
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur

c) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Straßburger Übereinkommen
vom 27. September 2012 über die Be-
schränkung der Haftung in der Binnen-
schifffahrt (CLNI 2012)


Drucksache 18/7822
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur

ZP 1 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Thomas Gambke, Kerstin Andreae,
Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Betrug mit manipulierten Registrierkas-
sen gesetzlich verhindern – Zeitgleich
Abschreibungsregeln für geringwertige
Wirtschaftsgüter verbessern

Drucksache 18/7879
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Oliver Krischer, Stephan Kühn (Dresden),
Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bericht zu den angeordneten Nachprü-
fungen von Diesel-Pkw vorlegen

Drucksache 18/7882

Es handelt sich dabei um Überweisungen im verein-
fachten Verfahren ohne Debatte.

Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei-
sungen .

Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 c sowie Zusatzpunkt
1 a . Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall . Dann ist das so beschlossen .

Wir kommen nun zum Zusatzpunkt 1 b, zum Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Druck-
sache 18/7882 . Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
wünscht Abstimmung in der Sache . Die Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung, und
zwar federführend an den Ausschuss für Verkehr und
digitale Infrastruktur und mitberatend an den Ausschuss
für Recht und Verbraucherschutz, an den Ausschuss für
Wirtschaft und Energie sowie an den Ausschuss für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit .

Wir stimmen, wie wir das hier immer tun, zuerst
über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Ich fra-
ge deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung
an die genannten Ausschüsse? – Das ist die Koalition .
Wer stimmt dagegen? – Die Opposition . Enthält sich je-
mand? – Das ist nicht der Fall . Dann ist die Überweisung
so mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Opposition beschlossen . Damit stimmen wir über diesen
Antrag in der Sache jetzt nicht mehr ab .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a, 24 b, 24 d bis
24 i sowie die Zusatzpunkte 2 a bis 2 h auf . Es handelt
sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen
ebenfalls keine Aussprache vorgesehen ist .

Tagesordnungspunkt 24 a:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Vertrag vom 24. Oktober
2014 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und dem Königreich der Niederlande
über die Nutzung und Verwaltung des Küsten-
meers zwischen 3 und 12 Seemeilen

Drucksache 18/7450

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15 . Ausschuss)


Drucksache 18/7692

Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/7692, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/7450 anzunehmen .

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –






(A) (C)



(B) (D)


Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit
ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden .

Tagesordnungspunkt 24 b:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13 . Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Sigrid
Hupach, Matthias W . Birkwald, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Entgeltgleichheit gesetzlich durchsetzen

Drucksachen 18/4933, 18/7602

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/7602, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/4933 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenom-
men worden .

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses, Tagesordnungspunkte 24 d bis 24 i
sowie Zusatzpunkte 2 a bis 2 h .

Tagesordnungspunkt 24 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 290 zu Petitionen

Drucksache 18/7678

Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Ent-
hält sich jemand? – Damit ist die Sammelübersicht 290
einstimmig angenommen worden .

Tagesordnungspunkt 24 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 291 zu Petitionen

Drucksache 18/7679

Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Wer stimmt
dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Sam-
melübersicht mit den Stimmen der Koalition und der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die
Grünen angenommen worden .

Tagesordnungspunkt 24 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 292 zu Petitionen

Drucksache 18/7680

Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Stimmt je-
mand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die
Sammelübersicht 292 einstimmig angenommen worden .

Tagesordnungspunkt 24 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 293 zu Petitionen

Drucksache 18/7681

Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Stimmt je-
mand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die-
se Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition und
der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden .

Tagesordnungspunkt 24 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 294 zu Petitionen

Drucksache 18/7682

Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Stimmt
jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist
diese Sammelübersicht mit Zustimmung der Koalition
angenommen worden bei Gegenstimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die
Linke .

Tagesordnungspunkt 24 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 295 zu Petitionen

Drucksache 18/7683

Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Wer stimmt
dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Sam-
melübersicht mit den Stimmen der Koalition bei Gegen-
stimmen der Opposition angenommen worden .

Zusatztagesordnungspunkt 2 a:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 296 zu Petitionen

Drucksache 18/7893

Wer stimmt der Sammelübersicht zu? – Stimmt je-
mand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese
Sammelübersicht einstimmig angenommen worden .

Zusatztagesordnungspunkt 2 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 297 zu Petitionen

Drucksache 18/7894

Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Stimmt je-
mand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die-
se Sammelübersicht ebenfalls einstimmig angenommen
worden . – Es geht noch ein bisschen weiter .

Zusatztagesordnungspunkt 2 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 298 zu Petitionen

Drucksache 18/7895

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Stimmt
jemand dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese
Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition bei Ge-
genstimmen der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ebenfalls angenom-
men worden .

Zusatztagesordnungspunkt 2 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 299 zu Petitionen

Drucksache 18/7896

Wer stimmt der Sammelübersicht zu? – Stimmt je-
mand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese
Sammelübersicht einstimmig angenommen worden .

Zusatztagesordnungspunkt 2 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 300 zu Petitionen

Drucksache 18/7897

Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Ent-
hält sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht mit
den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke
gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen worden .

Zusatztagesordnungspunkt 2 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 301 zu Petitionen

Drucksache 18/7898

Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Ent-
hält sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht an-
genommen worden mit den Stimmen der Koalition und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen
der Fraktion Die Linke .

Zusatztagesordnungspunkt 2 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 302 zu Petitionen

Drucksache 18/7899

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält
sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Linken angenom-
men worden .

Zusatztagesordnungspunkt 2 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 303 zu Petitionen

Drucksache 18/7900

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält
sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi-
on angenommen worden .

Damit sind wir mit den Abstimmungen über die Sam-
melübersichten fertig .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Wahl der vom Deutschen Bundestag zu benen-
nenden Mitglieder des Deutschen Ethikrats
gemäß den §§ 4 und 5 des Ethikratgesetzes

Drucksache 18/7876

Eine Aussprache ist hierfür nicht vorgesehen . Wir
kommen daher gleich zur Abstimmung . Wer stimmt für
den interfraktionellen Wahlvorschlag auf der Drucksa-
che 18/7876? – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich
jemand? – Damit ist der Wahlvorschlag einstimmig an-
genommen worden .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses

(3 . Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre-

gierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der EU-geführ-
ten Ausbildungs- und Beratungsmission
EUTM Somalia auf Grundlage des Er-
suchens der somalischen Regierung mit
Schreiben vom 27. November 2012 und
11. Januar 2013 sowie der Beschlüsse des
Rates der Europäischen Union vom 15. Fe-
bruar 2010, 22. Januar 2013 und 16. März
2015 in Verbindung mit den Resolutionen
1872 (2009) und 2158 (2014) des Sicher-
heitsrates der Vereinten Nationen

Drucksachen 18/7556, 18/7722


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/7723

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .

Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin in der
Aussprache hat Petra Ernstberger von der SPD-Fraktion
das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)



Petra Ernstberger (SPD):
Rede ID: ID1816109100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! In wenigen Minuten wird der Deutsche
Bundestag über die Verlängerung des Einsatzes bewaff-
neter deutscher Streitkräfte im Rahmen von EUTM So-
malia um ein weiteres Jahr, bis zum 31 . März 2017, na-
mentlich abstimmen . Wir tun das vor dem Hintergrund
großer Anerkennung für die bisherige Leistung der Sol-
datinnen und Soldaten, die an einem der wohl gefähr-
lichsten Orte dieser Welt ihren Dienst tun . Dafür gebührt
ihnen unser großer Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Somalia ist seit vie-
len, vielen Jahren ein Krisenherd . Seit dem Kollaps des
Zentralstaates im Jahre 1991 tobt zwischen den Clans
ein erbarmungsloser Kampf um die politische, aber auch
die wirtschaftliche Macht in diesem Land . Damit einher
geht gleichzeitig die massive Ausbeutung schwacher
Gruppen, die Schaffung von clanhomogenen Gruppen
und Siedlungsgebieten und die Errichtung lokaler Bür-
gerkriegsökonomien, natürlich unter der Kontrolle von
Milizen .

Verschiedene islamische Gruppen und Bewegungen
nutzten die Rivalitäten, die politischen Strukturen und
das politische Vakuum, das es dort gibt, um ihren Ein-
fluss zu erweitern. Nach dem gescheiterten Stabilisie-
rungsversuch der Union der Islamischen Gerichtshöfe
im Jahre 2006 etablierte sich al-Schabab als schlagkräf-
tigste Gruppe . Ziel der sunnitischen al-Schabab mit Ver-
bindung zum Terrornetzwerk al-Qaida ist die Schaffung
eines streng islamistischen Gottesstaates mit der Scharia
als Rechtsgrundlage .

Eine fortdauernde Serie von Mordanschlägen auf Re-
staurants und Hotels in der Hauptstadt Mogadischu und
im 220 Kilometer westlich gelegenen Baidoa richtet sich
gegen Diplomaten und gegen Unternehmen, mit dem
Ziel, das internationale Engagement in Somalia zu ver-
hindern .

Trotzdem – trotzdem, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen – blicken wir mit verhaltenem Optimismus auf das
Land am Horn von Afrika . Am 27 . Januar dieses Jahres
hat sich das somalische Kabinett nach einem schwieri-
gen, letztlich aber erfolgreichen Prozess auf ein Modell
für nationale Wahlen noch in diesem Jahr geeinigt . Die
somalische Regierung unterstreicht damit ihren Willen,
das Heft des politischen Handelns wieder in ihre Hand
zu nehmen . Das muss unser gemeinsames Ziel sein: So-
malia soll politisch, wirtschaftlich und militärisch wieder
auf eigenen Beinen stehen können .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Stabilisierung hat wirklich oberste Priorität;
dazu gibt es in meinen Augen keine ernstzunehmende
Alternative, liebe Kolleginnen und Kollegen . Zu dieser
Stabilisierung wird der Einsatz von Soldatinnen und Sol-
daten beitragen – selbstverständlich nicht ausschließlich;
denn neben einer militärischen Komponente muss ein
internationales Stabilisierungsprogramm auch die zivile

Komponente enthalten . Das steht in meinen Augen völlig
außer Frage .

Die Bundesregierung hat zahlreiche bilaterale Projek-
te auf den Weg gebracht, mit denen zivilgesellschaftliche
und staatliche Strukturen gestärkt werden und die demo-
kratische Teilhabe in dem Land gefördert wird . Auch das
wiederanlaufende Engagement der deutschen Entwick-
lungszusammenarbeit in Somalia wird noch eine größere
Rolle spielen .

Aber – das „aber“ ist berechtigt –: Ohne den Aufbau
einer funktionierenden somalischen Sicherheitsarchitek-
tur geht es einfach nicht . Ohne Sicherheit wird es keine
Entwicklung geben . Ohne Sicherheit kann man die De-
mokratie nicht weiterentwickeln . Deswegen brauchen
wir diese entsprechende sicherheitspolitische Flankie-
rung .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Ingo Gädechens [CDU/CSU])


Somalia braucht eine demokratisch kontrollierte Armee,
die in der Lage ist, dieses Land zu stabilisieren .

Hier ist unser Ansatz: Die Bundeswehr als demokra-
tisch kontrollierte Armee verfügt über einen riesengro-
ßen Erfahrungsschatz, nämlich zu der Frage, wie eine
Verwaltungs- und Führungsstruktur aussehen muss, und
sie ist einer zivilen Staatsführung verpflichtet und eben
nicht, wie anderswo, ein Staat im Staat . EUTM Somalia
und die Bundeswehr als Bestandteil dieser Mission leis-
ten im wahrsten Sinne des Wortes eine unerlässliche und
wichtige Pionierarbeit .

Ich setze meine Hoffnungen vor allem auf eine jünge-
re Generation von Soldatinnen und Soldaten in Somalia .
Sie geben jetzt Anlass zur Hoffnung . Sie sind motiviert,
sie werden gut ausgebildet und werden mit den Grund-
sätzen des humanitären Völkerrechts vertraut sein .

Deswegen: Wir vertrauen unseren Soldatinnen und
Soldaten . Wir bedanken uns ausdrücklich für ihren wirk-
lich nicht einfachen Einsatz und unterstützen die uner-
müdlichen Bemühungen der Bundesregierung, der Eu-
ropäischen Union und unserer internationalen Partner .
Deshalb werden wir der Verlängerung von EUTM So-
malia zustimmen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1816109200

Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke hat als

nächste Rednerin Sevim Dağdelen das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816109300

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Wie-

der einmal soll der Bundestag einen neuen Auslands-
einsatz der Bundeswehr beschließen . Nach Angaben der
Bundesregierung haben diese Einsätze der Bundeswehr
allein in den letzten beiden Jahrzehnten 17 Milliarden
Euro gekostet . Das sind nur die reinen Entsendekosten .






(A) (C)



(B) (D)


Wenn man die tatsächlichen Kosten zusammenrechnet,
dann sieht man, dass allein für den deutschen Afghanis-
tan-Krieg bis zu 47 Milliarden Euro verausgabt wurden .


(Michael Brand [CDU/CSU]: Was ist denn der deutsche Afghanistan-Krieg?)


Heute soll es zwar lediglich, wie Sie sagen, um
3,9 Millionen Euro für diese Ausbildungsmission in So-
malia gehen, aber auch das ist doch Geld, das uns anders-
wo hier im Land fehlt .


(Beifall bei der LINKEN)


Während die Bundesregierung das Geld für ihre Mili-
täreinsätze geradezu aus dem Fenster schmeißt, ist kein
Geld für Kitaplätze, bezahlbare Wohnungen oder eine
auskömmliche Rente da. Das finden wir ungeheuerlich.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir Linke sagen: Das muss sich dringend ändern . Wir
brauchen Ihre Kriegs- und Militärmilliarden für eine Er-
neuerung des Sozialstaats hier in diesem Land .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie werden nun antworten, dass gerade diese Millio-
nen für den Somalia-Einsatz doch sehr sinnvoll angelegt
sind . Schauen wir uns doch einmal an, wen Sie mit die-
sem Geld eigentlich unterstützen .

Meine Vorrednerin hat gesagt, Sie unterstützten die
Regierung in Somalia, um gegen die Al-Schabab-Miliz
zu kämpfen, die in Somalia die Scharia einführen wolle .
Ich kann Sie beruhigen, Frau Kollegin: Die Scharia wird
von der Regierung, die Sie mit diesem Bundeswehrein-
satz unterstützen, schon angewandt .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie unterstützen mit dieser Ausbildungsmission ein is-
lamistisch-autoritäres Regime, das die Scharia über alle
Gesetze im Land, also auch über die Verfassung, gestellt
hat . Schauen Sie sich die dortige Verfassung an: Sie un-
terstützen ein Regime, Herr Kauder, in dem sogenannte
Gerichte die Todesstrafe verhängen, in dem Angehörige
sexueller Minderheiten verfolgt werden, in dem ein Ab-
treibungsverbot herrscht und in dem es keine Religions-
freiheit gibt,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt!)


also ein autoritäres Regime .

Dieses Jahr beispielsweise hat die somalische Re-
gierung alle Weihnachtsfeiern der wenigen Christen im
Land verboten . Die Sicherheitskräfte, die Sie mit diesem
Bundeswehreinsatz ausbilden, werden jetzt also dazu
angewiesen werden, Weihnachtsfeiern im ganzen Land
zu unterbinden . Ich wende mich ganz besonders an die
christliche Partei hier in diesem Bundestag bzw . an die
Union – und ganz besonders an Sie, Herr Volker Kauder .
Sie geben vor, verfolgten Christen in aller Welt helfen zu
wollen . In Somalia aber unterstützen Sie eine Regierung,
die selbst Weihnachtsfeiern verbietet . Ist das nicht eine

moralische Bankrotterklärung für die Politik dieser Re-
gierung, meine Damen und Herren?


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das wird in Berlin auch nur noch Herbstfeier genannt!)


Sie lachen und sagen: Ja, was ist denn schon Weih-
nachten?


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


– Natürlich geht es nicht nur um Weihnachten . Es wird
aber klar, dass alle Andersdenkenden in diesem Land von
der Regierung, die Sie militärisch unterstützen, drangsa-
liert bzw . gequält werden .

Ich sage Ihnen: Was hier passiert, ist ein Zeichen da-
für, welch menschenverachtende Schergen in dieser Re-
gion bzw . in aller Welt Sie bereit sind zu unterstützen,
wenn es Ihnen geopolitisch in den Kram passt. Ich finde,
da müssten Sie doch wenigstens bitte einmal einen Mo-
ment innehalten und nicht einfach in diesem Saal hier
quasi darüber hinwegpöbeln . Ist es denn richtig, so ein
Schurkenregime wie das in Somalia zu unterstützen,
meine Damen und Herren? Es ist, finde ich, nicht rich-
tig und schon gar nicht christlich, solch ein Regime zu
unterstützen .


(Beifall bei der LINKEN)


Weil diese Schurken Ihnen aber nützlich sind, finden Sie
es in Ordnung, solch ein Regime zu unterstützen .

Jedes Mal, wenn wir hier zusammenkommen und
über Somalia debattieren, sprechen Sie auch von den
Fortschritten in diesem Krieg . Dabei ist alles, was Sie
erreicht haben, dass die Kampfzone nicht nur in Somalia,
sondern auch in den Nachbarländern – beispielsweise in
Kenia – ausgeweitet wurde . Durch die Beteiligung am
US-Drohnenkrieg in Somalia macht sich die Bundesre-
gierung zudem auch noch an der Tötung von Zivilisten
mitschuldig . Es ist eine Legende, dass die US-Drohnen
lediglich Kämpfer der Al-Schabab-Milizen treffen wür-
den . Mit diesem Einsatz verlängern Sie diesen abenteu-
erlichen und schmutzigen Krieg in Somalia, den Sie mit
führen, ins Unendliche . Deshalb fordern wir Sie auf: Zie-
hen Sie die Bundeswehr ab, und setzen Sie sich endlich
für eine politische Lösung in Somalia bzw . in der Region
ein .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1816109400

Herr Kauder, Sie haben das Wort für eine Kurzinter-

vention .


Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1816109500

Frau Kollegin, Sie haben völlig zu Recht darauf hin-

gewiesen, dass ich seit mehr als einem Jahrzehnt überall
in der Welt unterwegs bin und mich für Religionsfreiheit
einsetze und mir natürlich das Schicksal der verfolgten
Christen in besonderer Weise anschaue . Ich kenne nie-
manden aus Ihrer Fraktion, der Linken, der in vergleich-

Sevim Dağdelen






(A) (C)



(B) (D)


barer Weise unterwegs ist . Das ist kein Vorwurf, sondern
eine Feststellung .

Wenn man sich mit diesem Thema beschäftigt, wird
einem sehr schnell deutlich, dass die Ursachen für Ver-
folgung – nicht nur die von Christen, sondern auch die
von Muslimen – keinem einheitlichen Muster folgen .
Während wir früher festgestellt haben, dass es vor allem
Staaten waren, die Angehörige bestimmter Religionen
verfolgt haben, machen wir jetzt eine neue, traurige und
viel dramatischere Feststellung, dass nämlich überall
dort Religionsfreiheit in besonderer Weise bedroht ist
und Menschen wegen ihres Glaubens verfolgt werden,
wo es keine staatlichen Strukturen mehr gibt .

Dazu kann ich nur sagen: Ja, es gibt Länder, in denen
die staatliche Struktur keine Religionsfreiheit garantiert .


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Somalia!)


Ich kann aber mit diesen Ländern noch reden . Anders ist
das bei Strukturen, die nicht als Staaten anzusehen sind
und in denen es nur noch Terrorgruppen gibt, die Men-
schen quälen und foltern . Deswegen kann ich sagen: Der
Zustand des Ortes, wo wir helfen, hat mit Religionsfrei-
heit nun wirklich nichts zu tun .

Ich rede nicht nur so daher, sondern ich sehe das .
Deswegen sage ich: Mir sind Vertreter einer staatlichen
Struktur, mit denen ich mich wirklich auseinandersetzen
kann, hundertmal lieber als das, was ich jetzt in diesen
Regionen erlebe . Deswegen brauche ich in dieser Frage
von Ihnen keinen Nachhilfeunterricht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1816109600

Frau Dağdelen, Sie erhalten das Wort zur Erwiderung.


Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816109700

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Kauder, Ihr

Einsatz für verfolgte Christen weltweit in allen Ehren,
aber ich möchte Ihnen da widersprechen . Auch wir als
Linksfraktion setzen uns dafür ein, dass Menschen ihre
Religion frei ausleben können .

Erst kürzlich war ich mit einem Kollegen aus Ihrer
Fraktion, Herrn Patzelt, im Libanon und habe gemein-
sam mit ihm den Korbischof der assyrischen Gemeinde
im Libanon, also der christlichen Gemeinde aus Syrien,
und auch die syrischen Flüchtlinge und die vertriebenen
Christen aus Syrien besucht .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jeder hat ja was Gutes!)


Wir setzen uns dafür ein, dass nicht nur die Assyrer, also
die Christen in der Region, sondern auch Armenier, Ale-
viten und alle anderen Minderheiten ihre Religion frei
ausüben können .

Aber ich stelle fest: Es gibt doch einen Unterschied
zwischen Reden und der Tatsache, eine Militärmission
zur Unterstützung eines islamistischen Regimes, das in
Somalia die Scharia über die Verfassung gestellt hat,
hinzuschicken und damit natürlich auch Militär und Si-

cherheitskräfte auszubilden, die Christen daran hindern,
Weihnachten zu feiern . Das ist doch ein großer Unter-
schied .

Wissen Sie, das, was Sie sagen, muss für die Christin-
nen und Christen in der Region wie Hohn klingen . Für sie
macht es keinen Unterschied, ob sie Opfer einer Terror-
miliz wie der Al-Schabab, die sie quält und foltert, oder
eben einer Pseudoregierung werden, die nicht gewählt
ist und in Somalia keine staatlichen Strukturen aufwei-
sen kann . Wenn Sie möchten, können wir uns zusammen
dorthin begeben . Es gibt keine staatlichen Strukturen . Es
gibt nur einen Flughafen und einen Teil der Hauptstadt
Mogadischu, die von der Regierung organisiert und kon-
trolliert werden . Den Menschen ist es egal, ob es nun eine
Regierung oder eine Terrormiliz ist, die sie quält und fol-
tert . Sie haben die Wahl zwischen Pest und Cholera .

Ich frage Sie: Wenn Sie die Christen unterstützen und
schützen wollen: Wollen Sie sich nicht dafür einsetzen,
dass die Bundeswehr eben nicht die Sicherheitskräfte
ausbildet, die die Menschen in Somalia daran hindern
wird, Weihnachten zu feiern? Sprechen Sie zum Thema,
Herr Kauder . Reden Sie hier nicht nur in Allgemeinplät-
zen, sondern sagen Sie etwas zu dem Militäreinsatz in
Somalia .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1816109800

Thorsten Frei spricht als nächster Redner für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Der sagt es Ihnen jetzt! – Gegenruf des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Jetzt liegt aber die Hürde für ihn sehr hoch! – Gegenruf des Abg . Volker Kauder [CDU/ CSU]: Na ja! Er kommt drüber! – Gegenruf des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wenn Sie ihn rüberheben!)



Thorsten Frei (CDU):
Rede ID: ID1816109900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Frau Dağdelen, Sie haben heute den exakt gleichen
Fehler gemacht wie den, den Ihre Fraktionskollegen bei
diesen Themen immer wieder machen:

Erstens . Sie picken sich ein Teilproblem heraus, ohne
den Fokus auf das große Ganze zu legen .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: So ist es!)


Zweitens . Sie beschreiben Probleme, ohne auch nur im
Ansatz Lösungsalternativen anzubieten . Das geht nicht,
meine sehr verehrten Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr schwach!)


Es ist doch vollkommen klar, dass Sie nicht einen
Teilaspekt unseres Engagements, über das wir heute zu

Volker Kauder






(A) (C)



(B) (D)


entscheiden haben, herauspicken können, ohne dabei den
großen Rahmen zu sehen .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE], an den Abg . Volker Kauder [CDU/CSU] gewandt: Der fällt durch, Herr Kauder!)


Was gehört zum großen Rahmen? Zum großen Rah-
men gehört, dass wir heute über 3,9 Millionen Euro ent-
scheiden, die im Rahmen des Mandats der Ausbildungs-
mission EUTM Somalia zur Verfügung gestellt werden .
Sehen Sie aber bitte auch, dass wir den gesamten Instru-
mentenkasten der Außenpolitik zur Anwendung bringen,
dass wir auch zivile Entwicklungshilfe betreiben, dass
wir Neuzusagen im Volumen von 20 Millionen Euro ma-
chen, dass wir bisherige Zusagen von weiteren 95 Milli-
onen Euro zum Tragen bringen .

Was bedeutet das im Klartext? Allein das Volumen der
zivilen Entwicklungshilfe Deutschlands im bilateralen
Bereich ist 30-mal so hoch wie das, worüber wir im Rah-
men dieses Bundeswehrmandates entscheiden . Das ist
es, was ich von Ihnen fordere, dass Sie die Verhältnismä-
ßigkeit wahren und dass Sie auch zur Kenntnis nehmen,
dass das eine ohne das andere nicht funktioniert .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sagen Sie das den Christen in Somalia! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist der Fehler in der Argumentation!)


Natürlich ist es richtig, meine sehr verehrten Damen
und Herren, an diesem Punkt deutlich zu machen, wo wir
in Somalia stehen . 25 Jahre nach dem Kollaps des Staates
und dem Ausbruch des Bürgerkriegs müssen wir uns sehr
wohl darüber Gedanken machen, was in der Zwischen-
zeit passiert ist, welche Maßnahmen erfolgreich sind und
wo wir mehr tun müssen . Deshalb ist klar: Wir müssen
konstatieren, dass al-Schabab – das ist das eigentliche
Problem: die extremistischen Islamisten, die die Men-
schen ermorden und abschlachten – in Somalia immer
noch gegenwärtig ist, und zwar nicht nur in den insta-
bilen Randbereichen des Landes, nicht nur im Norden,
sondern inzwischen auch zunehmend in der Hauptstadt
Mogadischu . Das müssen wir zur Kenntnis nehmen .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Was heißt das? – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Die Ausbildungsmission läuft ja auch schon so lange!)


Nehmen Sie den Anschlag auf die Passagiermaschine
vor kurzem zur Kenntnis, bei dem viele Menschen ums
Leben gekommen sind! Nehmen Sie beispielsweise die
Anschläge auf die Vertreter der Afrikanischen Union, die
Mitglieder von Regierung und Parlament und auf Jour-
nalisten zur Kenntnis! Das muss man doch zur Kenntnis
nehmen .

Nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass die Querverbin-
dungen etwa zu al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel
und die Zahl der sogenannten Foreign Fighters eher
zunehmen! Nehmen Sie zur Kenntnis, dass al-Schabab
nicht nur Somalia, sondern die gesamte Region destabi-
lisiert! Das gilt beispielsweise auch für Kenia und ande-
re Länder der Region . Deshalb bin ich davon überzeugt,
dass wir uns hier engagieren müssen, weil wir mehr als

andere auch ein Interesse an Stabilität und relativer Si-
cherheit in der Region haben .

Lassen Sie mich an dieser Stelle durchaus auch sa-
gen: Wer diese Interessen wirkungsvoll vertreten will,
der muss den Fokus nicht nur auf den Terrorismus,
sondern auch auf die Ursachen von al-Schabab lenken:
auf Perspektivlosigkeit und Frustration in einer Bevöl-
kerung, wo das Durchschnittseinkommen pro Jahr unter
1 000 Dollar liegt, wo zwei Drittel der 11 Millionen Ein-
wohner keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben
und wo es keine Jobs gibt, aber etwa 43 Prozent der Men-
schen jünger als 14 Jahre und etwa 60 Prozent jünger als
25 Jahre sind . Das fördert natürlich Frustration und Per-
spektivlosigkeit .

Darauf muss man Antworten geben . Das ist vollkom-
men klar .


(Karin Binder [DIE LINKE]: Aber keine militärischen!)


Aber diese Antworten müssen differenziert ausfallen . Es
ist eben so, dass man in diesem Bereich nur dann Ver-
besserungen erzielen kann, wenn es ein Mindestmaß an
staatlichen Strukturen und staatlicher Legitimität gibt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch der Abg . Sevim Dağdelen [DIE LINKE])


– Zu den Erfolgen ist etwas gesagt worden, Frau
Dağdelen. Zu den Erfolgen gehört beispielsweise auch,
dass seit Beginn dieser Mission 5 500 Soldaten ausgebil-
det werden konnten . Seit die Ausbildung in Mogadischu
stattfindet, also seit 2014, sind 1 500 Soldaten ausgebil-
det worden .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Trotzdem breitet sich al-Schabab aus!)


Diese 1 500 Soldaten sind ganz besonders gut ausgebil-
det . Sie sind zuverlässig, und sie helfen an der Seite der
Afrikanischen Union mit, al-Schabab zu bekämpfen . Das
ist ein Faktum .

Was sind die Folgen? Eine Folge ist, dass es die Pira-
terie am Horn von Afrika praktisch nicht mehr gibt . Eine
Folge ist zum Beispiel auch, dass al-Schabab zumindest
aus den urbanen Zentren vertrieben ist . Das sind doch
Erfolge . Es gibt im Übrigen auch ein Mindestmaß an
staatlichen Strukturen und an Wiederaufbau nach dem to-
talen Kollaps . Die Tatsache, dass Exilanten wieder in ihr
Heimatland zurückkehren und dort investieren und sich
engagieren, sind Erfolge, die man nicht von der Hand
weisen kann . Diesen Weg – davon bin ich überzeugt –
müssen wir auch weitergehen .

Es gibt hoffnungsvolle Anzeichen . Zum Beispiel wur-
de im Februar in Somalia ein GIZ-Büro eröffnet, bei dem
es auch darum geht, im Bereich der Wasser- und Energie-
wirtschaft zu Fortschritten zu kommen, um die Lebens-
bedingungen der Menschen vor Ort zu verbessern .

Lassen Sie mich ganz zum Schluss noch einen Aspekt
hinzufügen: Es geht uns um Sicherheit und Stabilität in
der Region, weil es für uns auch darum geht, Flucht-
ursachen überall dort, wo Menschen auf der Flucht sind,

Thorsten Frei






(A) (C)



(B) (D)


zu bekämpfen . In Somalia sind 1 Million Menschen vor
den schlimmen Verhältnissen geflohen. Eine weitere Mil-
lion Menschen sind als Binnenflüchtlinge im Land unter-
wegs . Da müssen wir doch etwas tun .

Der UNHCR gibt an, dass weltweit 60 Millionen Men-
schen auf der Flucht sind . Davon haben sich alleine in
Afrika 17 Millionen Menschen auf den Weg nach Norden
gemacht . Deshalb brauchen wir wirkungsvolle Maßnah-
men . Wir brauchen den gesamten Instrumentenkasten der
Außenpolitik, der Diplomatie und der wirtschaftlichen
Zusammenarbeit, aber auch ein militärisches Mandat,
das mithilft, staatliche Strukturen zu unterstützen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1816110000

Vielen Dank . – Als nächster Redner spricht Omid

Nouripour von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816110100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn

man sich Somalia heute anschaut, muss man feststellen:
Es gibt große Erfolge zu verzeichnen . Es ist mehr Staat-
lichkeit da als in den letzten 25 Jahren . Es gibt so etwas
wie den Ansatz eines wirtschaftlichen Aufschwungs . Es
gibt eine signifikante Zahl an Menschen, die in den letz-
ten Jahrzehnten geflohen sind, nun aber nach Somalia zu-
rückgehen und versuchen, sich am Wiederaufbau Soma-
lias zu beteiligen . Es gibt die beiden Regionen Puntland
und Somaliland, die eine größere Stabilität ausstrahlen .
Das sind nach 25 Jahren Staatsverfall und Katastrophe
tatsächlich gute Nachrichten, über die man sich freuen
kann .

Es gibt auch zum Mandat etwas Positives zu sagen .
Wir werden dieses Mandat zwar ablehnen, und ich werde
später sagen, warum . Aber es ist gut und hilfreich, dass
wir Menschen entsenden, die in die Ministerien gehen,
um beim Aufbau von Kapazitäten zu helfen . Wenn man
von internationaler Solidarität spricht, dann sollte man
keinen Vergleich zu Kindergärten ziehen . Das passt ein-
fach nicht zusammen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Widerspruch bei der LINKEN)


Wir sollten stattdessen denjenigen danken, die in Soma-
lia unter schwierigsten Umständen arbeiten .

Herr Staatsminister Roth hat bei der Einbringung da-
von gesprochen, 2016 sei ein Wendepunkt für Somalia .
Leider steht dieser Wendepunkt nicht in Aussicht . Wir
haben das letzte Mal darüber diskutiert, ob es allgemei-
ne Wahlen geben wird . Diese allgemeinen Wahlen, von
denen wir bei der Einbringung gesprochen haben, wird
es nicht geben . Das Parlament wird weiterhin nach ei-
nem Verteilungsschlüssel für die Clans zusammengesetzt
sein . Das zerstört jeglichen Reformanreiz in der Regie-
rung .

Die Kooperation der Regionen ist alles, nur nicht line-
ar . Die Korruption, also das, was Staatlichkeit grundsätz-

lich stark zersetzt, grassiert in Somalia wie nirgendwo
anders . Beim Verzeichnis der korruptesten Länder der
Welt, von Transparency International herausgegeben,
liegt Somalia auf Platz eins. Richtig, es gibt Infiltration
von al-Schabab, die auch das Staatswesen betrifft . Es gibt
gezielte Tötungen, die nicht nur nicht legal sind, sondern
auch dazu beitragen, dass das Land weiter destabilisiert
wird . In diesem Zusammenhang ist es selbstverständlich
berechtigt, darüber nachzudenken, wie wir helfen kön-
nen und was die richtigen Mittel wären .

Nun gibt es die in Rede stehende Ausbildungsmission .
Hier gibt es durchaus positive Aspekte . Wir fragen aber
seit Jahren, wer ausgebildet wird und was mit den Men-
schen nach ihrer Ausbildung geschieht . Im letzten Jahr
wurde uns hoch und heilig versprochen, es werde dem-
nächst ein Personalmanagementsystem geben, sodass
man erfassen kann, was mit den Menschen danach pas-
siert . Aber ein solches System gibt es noch immer nicht .
Es gibt keinerlei Koordination mit den anderen, die aus-
bilden, sodass es sein kann, dass jemand doppelt kassiert .
Es kann sein, dass sich jemand für zwei verschiedene
Clans ausbilden lässt . Am gravierendsten ist: Die Besol-
dung kommt bei den Menschen, die ausgebildet wurden,
nicht an . Herr Kollege Frei, Sie haben davon gesprochen,
dass 5 500 Menschen ausgebildet wurden . Wenn wir aber
Menschen an Waffen ausbilden und sie dann nicht bezah-
len, dann kann man sich doch vorstellen, wo sie landen:
nicht auf der Seite der Staatlichkeit, sondern auf der Sei-
te, die die Staatlichkeit zerstört .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Frau Kollegin Ernstberger, Sie haben davon gespro-
chen, dass es hier viele motivierte Menschen gebe . Es
kann durchaus sein, dass diese Menschen motiviert sind,
wenn sie ihren Dienst antreten . Aber wie wir wissen,
kommt das Geld am Ende der Ausbildung nicht bei den
Betreffenden an, weil die Korruption so stark grassiert .
Das ist für uns Grüne der zentrale Grund, warum wir die-
sem Mandat nicht zustimmen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Kollege Frei hat völlig zu Recht nach unseren
Antworten gefragt . Es gibt viele Chancen und vieles,
was noch zu tun ist . Die Frage nach der Verfassungsge-
bung ist absolut zentral . Dabei so föderal vorzugehen,
dass die Regionen einbezogen werden, ist entscheidend .
Ich will an dieser Stelle Folgendes sagen, auch wenn es
schwerfällt: Wir werden am Ende auch mit al-Schabab
reden müssen . Ja, al-Schabab ist eine international ver-
netzte dschihadistische Terrorgruppe . Ja, al-Schabab,
das sind organisierte Kriminelle und Verbrecherbanden .
Aber in den Augen vieler Menschen ist al-Schabab auch
eine nationale Widerstandsbewegung . In diesem Zusam-
menhang wird es irgendwann einmal notwendig sein,
auf sie zuzugehen und mit ihr zu reden . Das Problem ist
nur, dass die gezielten Tötungen der Amerikaner gerade
die eher moderate Führung treffen . Das führt dazu, dass
al-Schabab immer radikaler und immer kopfloser wird.
Es wird umso schwieriger sein, eines Tages mit ihr in
einen nationalen Versöhnungsprozess einzutreten .

Thorsten Frei






(A) (C)



(B) (D)


Ich möchte am Ende noch auf einige regionale Punkte
hinweisen, die frappierend sind . Ein Riesenrisiko für das
zarte Pflänzchen der Stabilität in Somalia ist der Kon-
flikt im Jemen, nicht nur wegen der Flüchtlinge, die nach
Somalia kommen, weil Somalia sicherer und stabiler als
der Jemen ist, sondern auch weil die Dschihadisten, die
gerade im Jemen gezüchtet werden, irgendwann einmal
in Boote steigen und hinüberfahren werden .

Die Destabilisierung, die Somalia dann neu erfahren
wird, hat natürlich katastrophale Folgen für die Region,
bis hin nach Kenia und Sansibar . Am Sonntag sind Wah-
len in Sansibar, und es zeichnet sich überhaupt nicht ab,
dass diejenigen, die verlieren werden, egal wer das ist,
das Wahlergebnis anerkennen werden . Auch das hat et-
was mit Somalia zu tun . Deshalb ist es umso notwendiger,
dass wir uns engagieren, dass wir uns genau anschauen,
was notwendig und richtig ist, anstatt aktionistisch Dinge
zu tun, die langfristig die Situation verschlechtern . Das
Zentrale ist, dass wir die Erfolge nicht verschweigen,
aber erst recht nicht die Situation schönfärben, wie es
hier passiert ist .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1816110200

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin spricht Gabi

Weber von der SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gabi Weber (SPD):
Rede ID: ID1816110300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Eines, Kollege Nouripour, verstehe
ich nicht an Ihrer Argumentation . Sie haben eben gesagt,
dass zu befürchten ist, dass gerade aus dem Jemen flücht-
ende Islamisten die Situation in Somalia zusätzlich in-
stabil machen könnten . Aber genau deshalb ist es doch
richtig, dass wir die Ausbildung der somalischen Sicher-
heitskräfte unterstützen, um genau das nicht zum Zuge
kommen zu lassen . Von daher verstehe ich das nicht .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn sie bei der Armee bleiben und nicht bei den Islamisten landen, weil diese besser bezahlen, wenn die Armee überhaupt bezahlt!)


Leider müssen wir trotzdem feststellen, dass Soma-
lia immer noch eines der ärmsten und fragilsten Länder
der Welt ist . Der jahrzehntelange Bürgerkrieg hat dazu
geführt, dass dieser Staat grundlegende Funktionen wie
Gesundheitsversorgung und Instandhaltung von öffentli-
cher Infrastruktur nicht erfüllt hat . Der bewaffnete Kon-
flikt sowie zusätzlich Naturkatastrophen haben zu einer
großen Zahl von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen
geführt .

Vor diesem Hintergrund unterstützen wir im Rahmen
des 2011 von der EU beschlossenen „Strategischen Rah-
mens für das Horn von Afrika“ den Aufbau von tragfä-

higen staatlichen Strukturen . Dazu zählt auch eine de-
mokratisch legitimierte Armee; denn Sicherheit ist eine
wesentliche Voraussetzung für die friedliche und nach-
haltige Entwicklung eines Landes .

Mit EUTM Somalia sind wir Teil einer europäischen
Mission, zusammengesetzt aus rund 160 Soldatinnen
und Soldaten aus knapp einem Dutzend Nationen . Frau
Dağdelen, wir sind mit unseren bis zu 20 Kräften Teil
einer größeren Gruppe . Dieser Zusammenhalt in der EU
ist wichtig und zeigt, wie intensiv wir uns um viele Dinge
kümmern .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Seit sechs Jahren – das haben wir eben gehört – ha-
ben wir knapp 5 500 somalische Sicherheitskräfte aus-
gebildet . Unsere Unterstützung wird in diesem Land sehr
positiv gesehen, weil diese Ausbildung auf Werten ba-
siert, die bei uns und für unsere Soldatinnen und Solda-
ten selbstverständlich sind, es in diesem Land aber noch
nicht sind . Unser Engagement bleibt besonders wichtig
mit Blick auf die leider wachsende terroristische Bedro-
hung für ganz Ostafrika durch al-Schabab und andere
islamistische Milizen . Zugegeben, die Gefahr, dass Sol-
daten desertieren, ist immer gegeben . Um das einzudäm-
men, sind die Stärkung der staatlichen Strukturen und
eine grundsätzliche Stabilisierung des Landes notwendig .

Einige positive Prozesse innerhalb Somalias stimmen
mich leicht optimistisch. Seit 2012 existiert eine vorläufi-
ge Verfassung, ebenso eine neue Regierung . 2013 wurde
der sogenannte New Deal for Somalia zwischen der Re-
gierung und internationalen Geldgebern verabschiedet .
Dadurch werden sowohl die somalische Zivilgesellschaft
als auch die Wirtschaft und staatliche Strukturen gestärkt .

Der UN-Generalsekretär hat an den Sicherheitsrat
vom stetigen Fortschritt beim Aufbau eines föderalen So-
malias berichtet . In allen Regionen des Landes konnten
Gesprächsforen unter Einbindung der wichtigsten zivil-
gesellschaftlichen Gruppen – Frauen, Jugend, NGOs und
Minderheiten – stattfinden. Die haben sich auf weitere,
detaillierte politische Schritte bis 2020 geeinigt . Die ver-
fassungsgemäß vorgesehenen landesweiten Wahlen kön-
nen nach den Informationen, die ich habe, angeblich im
kommenden Herbst stattfinden. Auch da haben wir einen
Dissens . Somit leistet EUTM Somalia neben Missionen
wie Atalanta und EUCAP NESTOR einen wichtigen Bei-
trag .

Aber wir belassen es nicht nur bei militärischer Un-
terstützung durch Ausbildung und Beratung, sondern wir
setzen auf langfristig angelegte entwicklungspolitische
Zusammenarbeit, weil wir wissen: Die Ursachen der fra-
gilen Situation müssen im Land Somalia bekämpft wer-
den . Wir haben erhebliche Mittel in der humanitären Hil-
fe, etwa bei der Nahrungsmittelhilfe, zugesagt, und diese
Mittel müssen jetzt effektiv eingesetzt werden . Deshalb
ist es gut, dass die GIZ im Februar dieses Jahres wieder
ein Regionalbüro eröffnet hat . Auch das zeigt: Wir glau-
ben an die Sicherheit und die Zukunft des Landes .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Ingo Gädechens [CDU/CSU] und Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Omid Nouripour






(A) (C)



(B) (D)


Wir unterstützen jetzt bei der Wiederherstellung von
Hauptverkehrsrouten, beim Aufbau eines nachhaltigen
Landmanagements und vor allen Dingen bei der Reinte-
gration von Binnenflüchtlingen.

Im Übrigen setzt sich zu meiner Freude zusehends
die Erkenntnis durch, dass Entwicklungszusammenar-
beit eine wichtige Grundlage für die Bekämpfung von
Fluchtursachen ist . Wir müssen aber klar bei der Linie
bleiben, Mittel aus einer noch wesentlich zu steigernden
ODA-Quote ausschließlich vor Ort einzusetzen und nicht
auf unsere Aufgaben im Rahmen der Flüchtlingsthematik
hier bei uns anzurechnen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Da ist Somalia ein wichtiges Partnerland, an dem wir das
unter Beweis stellen können . Für uns ist diese Mission
ein wichtiger Beitrag, den wir da leisten wollen . Wir
stimmen deshalb dieser Mission weiterhin zu .

Danke .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1816110400

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt Julia Obermeier .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Julia Bartz (CSU):
Rede ID: ID1816110500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Nach mehr als 25 Jahren Bürgerkrieg,
Gewalt und Terror ist Somalia eines der ärmsten Länder
der Welt . Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in
bitterer Armut . Über 300 000 Kinder sind unterernährt .
Somalia hat die weltweit höchste Müttersterblichkeit .
Es gibt auch kein staatliches Bildungswesen . Nur jedes
fünfte Kind hat die Chance, eine Schule zu besuchen . Die
Lage der Bevölkerung verbessert sich nur langsam; denn
der brutale Kampf der Islamisten der al-Schabab-Miliz
überzieht das Land mit Terror .

Trotz dieser schwierigen Ausgangslage sind in den
vergangenen Jahren Fortschritte zu beobachten gewesen .
Es wurden eine Regierung gebildet und eine Verfassung
verabschiedet . Auch soll es bald Wahlen geben, wenn
auch nach dem sogenannten somalischen Modell, das
nicht unseren Maßstäben einer freien, gleichen und de-
mokratischen Wahl entspricht .

Das Land am Horn von Afrika braucht internationa-
le Unterstützung, sowohl bei der Stabilisierung der Si-
cherheitslage als auch beim Aufbau eigener Sicherheits-
strukturen . Deutschland ist hier an vielen Stellen tätig .
So unterstützen wir finanziell die AMISOM-Truppen bei
ihrem Kampf gegen Terror und Gewalt . Zudem nimmt
die Bundeswehr seit 2008 an der Operation Atalanta teil,
um humanitäre Hilfslieferungen für Somalia zu schützen
und die von Somalia ausgehende Piraterie zu bekämp-
fen – und zwar mit großem Erfolg . Deutschland stellt
auch Polizeibeamte und zivile Experten für die Ausbil-
dungs- und Beratungsmission EUCAP NESTOR .

Einen weiteren Beitrag leisten wir in der Mission
EUTM Somalia, die wir heute beraten . Der EU-geführ-
te Einsatz umfasst drei Bereiche: Ausbildung, Ausbil-
dungsunterstützung und strategische Beratung . Soma-
lische Soldaten werden befähigt, langfristig selbst für
Sicherheit in ihrem Land zu sorgen . Bisher konnten etwa
5 000 somalische Soldaten ausgebildet werden . Die Bun-
deswehr stellt aktuell 9 der insgesamt 181 Mann starken
Mission . Das ist zwar ein kleiner, aber wichtiger Beitrag
für mehr Sicherheit in Somalia . An dieser Stelle gelten
mein persönlicher Dank und auch der Dank der CDU/
CSU-Fraktion unseren Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr, die in Mogadischu einen herausfordernden
Dienst tun .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Seit Beginn der Mission EUTM Somalia im Jahr 2010
hat sich die Sicherheitslage insgesamt verbessert – auch
wenn der Weg mühsam und von Rückschlägen gekenn-
zeichnet ist . Aber es ist ein großer Fortschritt, dass
Deutschland die Entwicklungszusammenarbeit wieder
aufnehmen konnte . Um der notleidenden Bevölkerung
zu helfen, haben wir nun 20 Millionen Euro zur Verfü-
gung gestellt, die in Wasser- und Ernährungssicherheit,
in ländliche Infrastruktur und in den Gesundheitssektor
fließen werden. Weitere projektbezogene Gelder für den
zivilen Wiederaufbau werden folgen . Diese Projekte
werden im neu errichteten GIZ-Büro in Somalia koordi-
niert . Dies sind wichtige, aber auch nur erste Schritte auf
einem langen Weg .

Die EU und Deutschland beteiligen sich bereits am
Aufbau staatlicher Strukturen . Angesichts der Größe der
Aufgabe ist hier sicherlich ein noch stärkeres Engage-
ment gefragt, zum Beispiel beim Kampf gegen die ver-
breitete Korruption .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Somalia ist
ein trauriges Beispiel dafür, welche Auswirkungen feh-
lende Staatlichkeit für die Sicherheit und das Wohlerge-
hen der Menschen haben kann .


(Beifall bei der CDU/CSU)


85 Prozent der Bevölkerung in Somalia sind unter
35 Jahre alt . Sie kennen weder staatliche Strukturen noch
ein normales Leben in ihrer Heimat . Aber sie wünschen
sich dauerhaften Frieden, Stabilität und Sicherheit . Trotz
der immer noch schwierigen Situation im Land sehen sie
die kleinen Fortschritte, die gemacht werden . Damit die-
ser Weg der kleinen Fortschritte fortgesetzt werden kann,
braucht Somalia weiterhin die Unterstützung der inter-
nationalen Gemeinschaft . Das Land am Horn von Afrika
braucht auch die Unterstützung Deutschlands bei EUTM
Somalia . Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1816110600

Vielen Dank .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wollte Frau
Obermeier eben nicht unterbrechen . Aber ich bitte Sie

Gabi Weber






(A) (C)



(B) (D)


jetzt, sich noch fünf Minuten zu gedulden und die Ge-
spräche so lange einzustellen . Es ist einfach nicht kolle-
gial, wenn man in dieser Lautstärke miteinander redet .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb bitte ich Sie, jetzt dem Kollegen Vietz eine bes-
sere Chance zu geben, als sie die Kollegin Obermeier
eben hatte . Es ist nicht in Ordnung, dass eine solche
Lautstärke vorhanden ist . Fünf Minuten müssen Sie sich
noch gedulden, dann können Sie viel miteinander reden,
weil wir dann die namentliche Abstimmung durchführen .

Herr Kollege Vietz .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Vietz (CDU):
Rede ID: ID1816110700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Zum Thema Lautstär-
ke: Gerade wenn man immer der letzte Redner in der
Debatte ist, gewöhnt man sich an manches . Wir werden
auch das sicherlich gemeinsam überstehen .

Erinnern Sie sich an 1977? – Oktober . Die Lufthan-
sa-Maschine „Landshut“ steht auf dem Rollfeld von Mo-
gadischu . 87 Passagiere in der Hand von Terroristen . Der
Kapitän der Maschine ermordet . Die GSG 9 stürmt das
Flugzeug und befreit die Geiseln .

Heute, 2016, knapp einen Steinwurf von diesem ge-
schichtsträchtigen Rollfeld entfernt, sind deutsche Sol-
daten stationiert . Sie leisten hier einen wichtigen Beitrag,
auch im Einsatz gegen Terror .

Im Rahmen des umfassenden Ansatzes beteiligen wir
uns an der Ausbildungsmission EUTM Somalia . Dabei
kooperieren wir mit allen internationalen Missionen am
Horn von Afrika . Das gegenwärtige EU-Mandat stützt
sich auf drei Säulen: Beratung, Mentoring und Training .
Hinzu kommen finanzielle Unterstützung genauso wie
humanitäre Hilfe und gezielte Entwicklungszusammen-
arbeit, Demokratieförderung, Stärkung der staatlichen
und zivilgesellschaftlichen Strukturen, Förderung der
wirtschaftlichen Entwicklung . Kurz: Wir wollen dazu
beitragen, den Somaliern Perspektiven für eine gute und
sichere Zukunft zu geben .

Seit 2012 gibt es Hoffnung für den Friedensprozess .
Die vorläufige Verfassung Somalias war ein wichtiger
Schritt . Unsere weiteren Hoffnungen liegen nun auf den
geplanten Wahlen im kommenden August . Selbst wenn
sie nicht unseren originären demokratischen Standards
entsprechen, muss man doch feststellen: Es ist mehr als
nichts . Sicherlich kann man auch meinen, dass auf jeden
Schritt in Richtung Stabilität und Sicherheit ein Schritt
zurück in Richtung Chaos und Gewalt folgt . Aber gera-
de deshalb dürfen wir unsere Anstrengungen in Somalia
nicht einschränken .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Herausforderungen vor Ort sind weiterhin enorm:
fragile Staatlichkeit, Terror der al-Schabab, Warlords, or-
ganisierte Kriminalität, unvorstellbare Armut, humanitä-
re Notlage . Das alles haben wir heute schon in verschie-

densten Variationen gehört . Gerade mit Blick auf diese
Gemengelage wollen und dürfen wir Somalia nicht allein
lassen . Die Piraterie, obwohl eingedämmt, ist weiterhin
akut . Der Schutz der internationalen Handelswege und
vor allem der Seeleute ist notwendig; denn die Gründe
hierfür liegen an Land und sind noch lange nicht nachhal-
tig gelöst . Gerade wir als Handelsnation, Europa, unsere
Partner in der Welt sind auf sichere Handelsrouten und
damit auf stabile Staaten in dieser Region angewiesen .

Hinzu kommt – auch das haben wir heute schon ge-
hört –: Wenn sich die Lage nicht wahrnehmbar bessert,
wenn die Menschen das Gefühl haben, keine Zukunft zu
haben, dann werden sie sich schlichtweg auf den Weg
machen . Flucht und Vertreibung begegnen wir am bes-
ten, wenn wir vor Ort Sicherheit und Perspektiven bie-
ten – in einem stabilen, sicheren Somalia .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Beides wird möglich durch den eigenen Staat, der
Recht und Gesetz verteidigt, Sicherheit bietet, Wohlstand
schafft, seinen somalischen Bürgern dient . Noch ist das
eine Vision und keine Realität in diesem Land, aber, ich
finde, ein lohnendes Ziel. Die Bedrohungslage in Soma-
lia ist nach wie vor erheblich . Seit 2010 wurden 5 000 so-
malische Soldaten ausgebildet . Diese gehören zu einer
Generation, für die Krieg zum Alltag gehört, die ihr Land
und ihr Leben nicht anders kennen . Unsere Soldatinnen
und Soldaten leisten hier auch Pionierarbeit . Sie müssen
ihren Trainees eben auch vermitteln, dass es für Somalia
eine Zukunft ohne Gewalt und Terror geben kann . Auch
dafür gebührt unseren Bundeswehrsoldaten unser Res-
pekt und unsere uneingeschränkte Anerkennung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, EUTM Somalia soll
mit seiner unveränderten Personalobergrenze von 20 Sol-
daten weiterhin einen Beitrag zur Ausbildung der somali-
schen Streitkräfte und zum Aufbau staatlicher Strukturen
leisten, um zur Stabilisierung des Landes beizutragen .
Diese EU-geführte Ausbildungs- und Beratungsmission
ist ein wichtiger Baustein im strategischen Rahmen der
EU für das Horn von Afrika . Direkte militärische Einsät-
ze umfasst das Mandat nicht . Unser Ziel bleibt: Wir wol-
len einem Zerfall Somalias entgegenwirken . Das gelingt
nur, wenn Somalia aufgrund einer eigenen Sicherheitsar-
chitektur Stabilität und Sicherheit gewährleistet . Daher
bitte ich um Ihre Zustimmung für die Fortsetzung dieses
wichtigen Mandates .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1816110800

Vielen Dank . – Ich schließe jetzt die Aussprache .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zur
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
wärtigen Ausschusses auf Drucksache 18/7722 zu dem
Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Betei-

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


ligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-ge-
führten Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM
Somalia. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung, den Antrag auf Drucksache 18/7556 anzu-
nehmen . Wir stimmen nun über die Beschlussempfeh-
lung namentlich ab .

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
Plätze einzunehmen . – Sind die Schriftführerinnen und
Schriftführer an den Urnen? – Das ist der Fall . Dann er-
öffne ich die Abstimmung .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Mitglied des
Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgege-
ben hat? – Das ist nicht der Fall . Ich schließe die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen . Das Ergebnis der na-
mentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt ge-
geben .1)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fahren mit den
Beratungen fort . Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen,
die in den Gängen stehen, diese bitte zu verlassen . Das
gilt auch für die Mitglieder der Bundesregierung .

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/7901 . Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Das ist die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen . Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Damit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt worden
mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die
Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Umsetzung der prüfungsbezogenen
Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie
zur Ausführung der entsprechenden Vorga-
ben der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 im
Hinblick auf die Abschlussprüfung bei Un-

(Abschlussprüfungsreformgesetz – AReG)


Drucksachen 18/7219, 18/7454

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/7902

Hierzu liegen ein Änderungsantrag und ein Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

1) Ergebnis Seite 15873 D

Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in dieser
Debatte hat Metin Hakverdi von der SPD-Fraktion das
Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Metin Hakverdi (SPD):
Rede ID: ID1816110900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen
wir den rechtlichen Rahmen für die Abschlussprüfung
reformieren . Die Abschlussprüfung hat ihre Wurzeln in
der Finanzkrise der 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts .
Diese verheerende Finanzkrise, die die Existenz vieler
Menschen vernichtet hat, führte zu der Erkenntnis, dass
auf Jahresabschlüsse, Bilanzen und Lageberichte von
Aktiengesellschaften und anderen wichtigen Unterneh-
men nicht immer Verlass war . Deshalb sollte als Lehre
aus dieser Finanzkrise künftig ein unabhängiger, unpar-
teiischer Prüfer die Ergebnisse wichtiger Unternehmen
im Interesse der Öffentlichkeit prüfen .

Damals wie heute prüft der Wirtschaftsprüfer, ob der
Jahresabschluss eines Unternehmens, seine Bilanz, die
Gewinn- und Verlustrechnung und die Buchführung mit
den gesetzlichen Bestimmungen und dem Gesellschafts-
vertrag des Unternehmens bzw . seiner Satzung im Ein-
klang stehen . Heute wird insbesondere auch geprüft, ob
die Lage des Unternehmens im Lagebericht zutreffend
beschrieben ist . Die Wirtschaftsprüfer sollen unabhän-
gig und unparteiisch prüfen, ob die Bücher des Unter-
nehmens insgesamt ein richtiges Bild von der Lage des
Unternehmens darstellen, ob die Risiken und Chancen
zutreffend beschrieben sind .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach den Erfah-
rungen der 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts war es
erneut eine Finanzkrise – die Finanzkrise von 2008 –,
die Fehlentwicklungen und Schwächen im System der
Abschlussprüfung aufgedeckt hat . Die Wirtschaftsprüfer
haben Hinweise auf existenzielle Krisen in den Büchern
von Finanzinstituten eklatant verkannt . Finanzinstitute,
denen die Wirtschaftsprüfer eine gute geschäftliche Ent-
wicklung bescheinigten, gingen insolvent oder mussten
mit viel Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ge-
rettet werden .

Beispielhaft seien hier die Ergebnisse des Untersu-
chungsausschusses der Hamburgischen Bürgerschaft zur
HSH Nordbank genannt . Eine Prüfungsgesellschaft hat-
te der HSH Nordbank über Jahre hinweg eine einwand-
freie und gute Geschäftsentwicklung testiert . Eklatante
Buchungsfehler in den Bilanzen wurden nicht erkannt .
Klumpenrisiken wurden verkannt . Die drohende Schief-
lage wurde in den Prüfungsergebnissen nicht mit einem
Wort erwähnt .

Als die Finanzkrise virulent wurde, wurde eine andere
Prüfungsgesellschaft beauftragt . Diese sollte erneut die
bereits geprüften Bücher unter die Lupe nehmen . Es ging
mithin um die Prüfung des gleichen Zeitraums . Diese an-
dere Prüfungsgesellschaft deckte dann eine Vielzahl von
Fehlern in den Büchern, in den Bilanzen auf . Plötzlich
wurden Fehlentwicklungen bei der HSH Nordbank sicht-

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


bar, die vom vorhergehenden Abschlussprüfer nicht mit
einem Wort angesprochen wurden .

Dies zeigt beispielhaft, welche Rolle auch Prüfungs-
gesellschaften in der Finanzkrise gespielt haben . Sie ha-
ben eben nicht immer die Funktion ausgefüllt, rechtzeitig
Fehlentwicklungen zu erkennen und aufzudecken . Sie
haben mit ihrem Verhalten dazu beigetragen, dass die
Risiken in den Büchern der Banken nicht immer erkannt
wurden . Aufsichtsgremien konnten dementsprechend ih-
rer Aufsichtspflicht nicht angemessen nachkommen.

Dabei ist auch deutlich geworden, dass es einen Zu-
sammenhang zwischen langen Prüfungsbeziehungen
und einer gewissen Fehlerhaftigkeit der Prüfungen
gab . Lange Beziehungen zwischen Prüfungsgesell-
schaften und zu prüfenden Unternehmen können be-
triebsblind machen . Lange Beziehungen können auch
zu einer Nachsicht gegenüber dem zu prüfenden Un-
ternehmen führen .

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir
extrem lange Beziehungsgeflechte zwischen Prüfungsge-
sellschaften und den zu prüfenden Unternehmen aufbre-
chen .


(Beifall bei der SPD)


Wir müssen die zu prüfenden Unternehmen zwingen, in
regelmäßigen Abständen ihre Wirtschaftsprüfer zu wech-
seln . Dieses Rotationsprinzip verhilft den Wirtschafts-
prüfern zu mehr Unabhängigkeit .


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das macht ihr ja nur nicht!)


Das Rotationsprinzip öffnet im Übrigen auch den Markt .
Der Abschlussprüfermarkt ist unter den großen vier Ak-
teuren über die Jahre aufgeteilt worden . Man kann schon
fast von einem Oligopol sprechen . Oligopole sind weder
für die Qualität noch für die Preisbildung förderlich .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Rotation
differenzieren wir zwischen Banken und Versicherun-
gen einerseits und anderen Unternehmen anderseits:
Bei Banken und Versicherungen soll eine Rotations-
frist von zehn Jahren gelten, bei anderen Unterneh-
men eine längere Rotationsfrist . Bündnis 90/Die Grü-
nen fordern heute in ihrem Entschließungsantrag, die
Anwendung der Rotationsfrist von zehn Jahren aus-
nahmslos auf alle Unternehmen zu übertragen . Liebe
Kollegen, auch nach nochmaliger Prüfung ihrer Argu-
mente bin ich überzeugt, dass die im Gesetzentwurf
vorgenommene Differenzierung sachgerecht ist . Ban-
ken und Versicherungen stellen ein besonderes Risiko
für unsere Volkswirtschaft dar: Sie haben das Potenzi-
al, die Finanzstabilität insgesamt zu gefährden . Die Fi-
nanzkrise hat gezeigt, dass sie ganze Volkswirtschaf-
ten ruinieren können .

Banken und Versicherungen sind dafür verantwort-
lich, dass wir heute hier zusammensitzen, um den recht-
lichen Rahmen für die Abschlussprüfung zu reformieren .
Sie anders und strenger zu behandeln, ist gerechtfertigt .
In diesem Punkt waren wir auch zu keinerlei Zugeständ-
nissen bereit .

Anders stellt sich die Situation für andere große Un-
ternehmen dar . Sie stellen für unsere Volkswirtschaft
eben keine systemische Gefahr dar, sie haben nicht das
Potenzial, unsere Volkswirtschaft insgesamt in den Ab-
grund zu reißen . Beachten Sie bitte auch, dass die Inan-
spruchnahme längerer Fristen an enge Voraussetzungen
geknüpft ist, die zu erfüllen sind . Es gibt keinen Automa-
tismus für eine längere Zusammenarbeit zwischen einem
Abschlussprüfer und dem zu prüfenden Unternehmen .
Deshalb werden wir den vorliegenden Entschließungsan-
trag der Grünen heute ablehnen .

Lassen Sie mich zum Schluss einen zweiten wichti-
gen Aspekt der Reform der Abschlussprüfung benen-
nen . Er betrifft sogenannte prüfungsfremde Leistungen
durch die Abschlussprüfer . Im Kern geht es darum,
welche anderen Leistungen der Wirtschaftsprüfer er-
bringen darf, die nicht Teil der Abschlussprüfung sind .
Dabei muss man beachten, dass weitere Aufträge ne-
ben der Abschlussprüfung grundsätzlich eine Gefahr
für die Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer darstel-
len können . Wir haben deshalb die aggressive Steu-
erberatung mit dem Ziel, wesentliche Gewinne ins
Ausland zu verlagern, ausdrücklich untersagt . Bei die-
ser Sachlage wünscht man sich fast – fast! –, dass die
Prüfungsgesellschaft das zu prüfende Unternehmen
auch bei der Steuerberatung unterstützt; denn man darf
davon ausgehen, dass die fragwürdigen Praktiken der
Gewinnverlagerung ins Ausland dann unterbleiben .
Ich bitte deshalb um Zustimmung zum vorliegenden
Gesetzentwurf .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1816111000

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Harald

Petzold für die Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816111100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kollegin-

nen und Kollegen! Sehr verehrte Besucherinnen und
Besucher auf den Besuchertribünen! Die Folgen der
Finanz- und Bankenkrise von 2007 sind nach wie vor
nicht ausgestanden . Nach wie vor sind keine konse-
quenten Schlussfolgerungen gezogen worden, um ein
erneutes Wiederaufflammen oder eine Wiederholung
dieser Krise zu verhindern . Die Linke sagt: Das ist un-
verantwortlich .


(Beifall bei der LINKEN)


Für das heute zu beschließende Gesetz mit dem
etwas verwirrend klingenden Namen „Abschlussprü-
fungsreformgesetz“ wird es höchste Zeit; denn das
Gesetz soll die Prüfung der Jahresabschlüsse bei Un-
ternehmen von öffentlichem Interesse regeln . Dass
wir es beschließen müssen, hat vor allen Dingen mit
der Finanz- und Bankenkrise zu tun . In dieser Krise
waren, scheinbar plötzlich, vor allem Banken, aber
auch andere Unternehmen mit existenzbedrohenden

Metin Hakverdi






(A) (C)



(B) (D)


Verlusten und Risiken konfrontiert, die aus ihren Jah-
resabschlüssen, den darin enthaltenen Lageberichten
sowie den Bilanzen nicht oder nicht in diesem Um-
fang und nicht in dieser Konsequenz erkennbar ge-
wesen sind . Dabei hätten sie erkannt werden müssen .
Die EU-Kommission sowie das EU-Parlament haben
reagiert, zwar sehr widerwillig, aber immerhin . Sie-
ben Jahre nach der Krise wurden eine entsprechende
Richtlinie und eine entsprechende Verordnung verab-
schiedet .

Die Reformregelungen sind vor dem Hintergrund
der bisherigen Untätigkeit der Bundesregierung fast
ein Segen; denn die EU hat im Zuge ihrer Erarbeitung
und Beschlussfassung verschiedene Risikofaktoren
ermittelt . Einer davon – aus meiner Sicht der wichtig-
ste – ist die Monopolstellung der sogenannten Big
Four, also der vier großen Wirtschaftsprüfungs-, Steu-
er- und Unternehmensberatungsgesellschaften, deren
Namen in den letzten Jahren fast in aller Munde waren .

Zum Beispiel PricewaterhouseCoopers, PwC . Diese
Gesellschaft ist im Zusammenhang mit dem Skandal
um die aus der Hypo Real Estate, HRE, ausgegliederte
Bad Bank FMS Wertmanagement in die Schlagzeilen
geraten . In der Bilanz dieser Gesellschaft war es 2010
zu einem sogenannten Buchungsfehler in Höhe von
55,5 Milliarden Euro gekommen . PwC hatte ihr vor-
her eine einwandfreie Bilanz attestiert. Bundesfinanz-
minister Schäuble hat das damals als Kommunikati-
onsproblem zwischen den beteiligten Banken abgetan .

Die zweite Gesellschaft ist KPMG . Zu ihren Groß-
kunden gehört die Deutsche Bank . Jeder erinnert sich,
in welchen Schwierigkeiten die Deutsche Bank gewe-
sen ist .

Die dritte Gesellschaft ist Ernst & Young, das war
die Prüfungs- und Beratungsgesellschaft der Invest-
mentbank Lehman Brothers, die 2010 pleitegegangen
ist . Ernst & Young soll ihr mit Bilanztricks geholfen
haben, ihre tatsächliche Verschuldung zu verschleiern .

Schließlich gibt es noch Deloitte . Sie erlangte vor
allen Dingen im Zusammenhang mit dem Skandal um
die Bilanzfälschungen des amerikanischen Energierie-
sen Enron traurige Berühmtheit .

Diese Big Four prüfen in Deutschland 80 Prozent
der Jahresabschlüsse der großen Aktiengesellschaf-
ten, und die EU ist zu dem Schluss gekommen, dass
eine solche Monopolstellung und Konzentration im
Bereich der Prüfung von Jahresabschlüssen und Bi-
lanzen selbst ein Marktrisiko darstellen würde . Diese
Schlussfolgerung teilt die Linke voll und ganz, und
wir sagen: Diese Monopolmacht muss aufgebrochen
werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Darüber hinaus waren EU-Kommission und -Par-
lament zu dem Schluss gekommen, dass die Un-
abhängigkeit der Abschlussprüfer gestärkt werden
müsse und dass der Prüfmarkt außerhalb des Kapi-
talmarktes dereguliert und liberalisiert werden müss-
te . Schließlich legten sie internationale Standards für

Abschlussprüfungen, ISA, als gemeinsame Basis für
eine einheitliche und vergleichbare Qualität von Ab-
schlussprüfungen fest . Die Linke sagt dazu ganz klar
und deutlich: ja .

In einer Verordnung legte die EU dann erhöhte An-
forderungen an die Prüfer und an die Prüfung von Un-
ternehmen von öffentlichem Interesse – in aller Regel
sind das an der Börse notierte Unternehmen – fest . Ich
sage: Aus Sicht der Linken wird das höchste Zeit .

Diese Reformen sind nun in nationales Recht umzu-
setzen . Das macht die Bundesregierung aber in der ihr
eigenen Inkonsequenz . Sie setzt die Richtlinie nicht
eins zu eins um, sondern sie nutzt Spielräume, die den
Mitgliedstaaten gewährt wurden, um den unbefriedi-
genden einheimischen Status quo zu erhalten .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das ist doch Sinn und Zweck der Richtlinie!)


Der Kollege sprach vom Rotationsprinzip . Die EU
hat eine sechsjährige Bindung an die Beratungsgesell-
schaften vorgeschlagen, Sie machen daraus zehn und
schaffen darüber hinaus noch eine Ausnahmeregelung .
Die Prüfungsgesellschaften können also bis zu 24 Jah-
re weiter mit einem Unternehmen zusammenarbeiten .

Sie schränken nicht die Erlaubnis ein, dass die Prü-
fungsgesellschaften neben der Prüftätigkeit für die
von ihnen zu prüfenden Unternehmen auch noch so-
genannte Nichtprüfungsleistungen erbringen können
wie Steuerberatung und Unternehmensberatung, und
Sie haben eine Reihe der Vorschriften sehr unbestimmt
formuliert .

Von den Kritikpunkten, die mein Fraktionskollege
Pitterle in der ersten Lesung vorgetragen hat, müssen
wir also keinen einzigen Punkt zurücknehmen . Auch
das parlamentarische Verfahren hat keine Verbesse-
rung dieses Gesetzentwurfs gebracht . Wir werden die-
sen Gesetzentwurf heute trotzdem nicht ablehnen, weil
wir wollen, dass wenigstens einige Reste der EU-Re-
form erhalten bleiben . Wir wollen damit diejenigen
in der Großen Koalition stärken, die wenigstens diese
Ansätze retten wollten . Zustimmungsfähig ist das Ge-
setz nicht . Wir bedauern es, dass die Große Koalition
hier wieder einmal auf der ganzen Linie versagt hat .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1816111200

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich jetzt

dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich gern
das von den Schriftführerinnen und Schriftführern er-
mittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbil-
dungs- und Beratungsmission EUTM Somalia auf den
Drucksachen 18/7556 und 18/7722 bekannt geben: ab-
gegebene Stimmen 580 . Mit Ja haben gestimmt 456,
mit Nein haben gestimmt 123, eine Enthaltung . Damit
ist die Beschlussempfehlung angenommen worden .

Harald Petzold (Havelland)







(A) (C)



(B) (D)


Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 580;
davon

ja: 456
nein: 123
enthalten: 1

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsru he-Land)

Dr . Maria Flachsbarth

Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann

(Dort mund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt

Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Xaver Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig

Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller

(Braun schweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr . Wolfgang Schäuble
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler






(A) (C)



(B) (D)


Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Dr . Ole Schröder

(Wies baden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken

Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken

Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze

Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Elfi Scho-Antwerpes






(A) (C)



(B) (D)


Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein

SPD

Klaus Barthel
Dr . Ute Finckh-Krämer
Michael Groß
Cansel Kiziltepe
Christian Petry
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)


DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord

Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Katja Keul

Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms

Enthalten

SPD

Petra Hinz (Essen)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fahren in der
Debatte fort . Als nächster Redner hat Dr . Heribert Hirte
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Heribert Hirte (CDU):
Rede ID: ID1816111300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörer! Sie haben es gehört, die Abschlussprü-
fung spielt vor allem bei der Überwachung großer Unter-
nehmen und solcher von öffentlichem Interesse – das ist
bei diesem Gesetz eine neue Kategorie – eine besondere

Rolle . Sie versucht, eben in diesem öffentlichen Interesse
sicherzustellen, dass die Rechnungslegung und der Re-
chenschaftsbericht dieser Unternehmen korrekt sind; der
Kollege Hakverdi hat es eben schon sehr deutlich gesagt .
Eine fehlerfreie Rechnungslegung dient nicht nur den In-
teressen der aktuellen Gesellschafter, der Mitarbeiter und
der Geschäftspartner, sie dient auch den Interessen der
künftigen Gesellschafter, den Investoren . Deshalb ist sie
ein Teil unseres Kapitalmarktrechts .

Angesichts dieser zentralen Rolle des Abschlussprü-
fers kommen seiner Qualifikation, über die wir in diesem
Gesetzgebungsverfahren nicht reden, der Auswahl des






(A) (C)



(B) (D)


Abschlussprüfers durch die zuständigen Gesellschaftsor-
gane und der Art und Weise, wie er seine Tätigkeit er-
bringt, eine ganz entscheidende Bedeutung zu . Im Kern
geht es dabei darum – auch das haben wir schon gehört,
aber man muss es noch einmal wiederholen –, dass er
ein bestimmtes Maß an Unabhängigkeit gegenüber den
Gesellschaftsorganen aufweisen muss, die bei einer ge-
wöhnlichen Gesellschaft die entsprechenden Kontrollen
durchführen müssten . Deshalb wurde der Abschlussprü-
fer vor etwa hundert Jahren in dieser Weise eingeführt;
denn die vorherigen Kontrollen funktionierten nicht . Si-
chergestellt werden soll das einerseits dadurch, dass ein
Abschlussprüfungsmandat nur eine bestimmte Höchst-
laufzeit haben soll, und andererseits durch das Verbot
von bzw. die Offenlegungspflicht in Bezug auf Tätig-
keiten, die mit der Prüfungstätigkeit in Konflikt stehen
könnten . Dabei muss man allerdings etwas vorsichtig
sein; denn kürzere Mandatslaufzeiten mögen nach dem
Motto „Neue Besen kehren gut“ die Prüfungsintensität
erhöhen, aber das ist nur um den Preis eines erhöhten
Ein arbeitungsaufwandes zu haben, womit wiederum
höhere Kosten und höhere Prüfungshonorare verbunden
sind . Diese zweite Seite wurde von Ihnen, Herr Kollege,
nicht in dieser Deutlichkeit betont .


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das andere verschleiern Sie ja schon!)


Von daher ist es richtig, wenn der deutsche Gesetz-
geber von der durch Artikel 17 der Verordnung einge-
räumten Möglichkeit Gebrauch machen will, die Höchst-
laufzeit des Mandats zu verlängern . Dass Banken und
Versicherungen von der maximalen Laufzeitverlänge-
rungsmöglichkeit nicht profitieren sollen, verstößt in der
Tat möglicherweise gegen das Gerechtigkeitsgefühl und
den Gleichbehandlungsgrundsatz . Darüber haben wir
lange diskutiert . Deshalb ist es auch nur begrenzt über-
zeugend, hier zu differenzieren . Letztlich – in diesem Er-
gebnis stimme ich dem Kollegen Hakverdi zu – haben
wir uns mit Blick auf die Beteiligung oder zumindest an-
gebliche Beteiligung der Prüfungsgesellschaften an der
Finanzkrise dazu durchgerungen, hier eine Differenzie-
rung vorzunehmen,


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Wow! Was für ein Durchbruch!)


weil wir meinen, dass hier eine gewisse Verantwortung
durchaus festzustellen ist . – Vielen Dank für die Zustim-
mung . Sie sehen, wir sind keine ganzen Versager . Vielen
Dank für die Zustimmung von den Linken . Interessant!

Was schließlich den Bereich der Vermeidung von
Interessenkonflikten angeht, will § 319 a HGB konkre-
tisieren, welche Steuerberatungsleistungen neben dem
Prüfungsmandat nicht erbracht werden dürfen . Dass
aggressive Steuerplanung dabei verboten ist, ist – das
sage ich ausdrücklich – richtig . Ich gebe zu, dass sich
das nicht immer von der ordentlichen Steuerberatung ab-
grenzen lässt .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und genau deswegen wirkungslos ist! – Gegenruf des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: So ist es! Genau!)


– Herr Schick, damit kommen wir zu genau dem Punkt
zurück, den ich gerade schon genannt habe . Die Frage ist,
welche Auswirkungen das auf die Prüfungshonorare hat .
Das, was Sie mit Ihrem Änderungsantrag wollen, wird
letztlich die Prüfungsleistungen verteuern und anschlie-
ßend die Kapitalaufbringung unmöglich machen . Das
sagen Sie in dieser Deutlichkeit nicht . – Der Ansatz, den
wir verfolgen – die aggressive Steuerplanung zu untersa-
gen, und auch nur diese Steuerplanung –, ist richtig .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen .
Was sich bei dieser europäischen Regelung ergibt, ist,
dass wir letztlich eine Harmonisierung auch des mate-
riellen Steuerrechts auf europäischer Ebene brauchen .
Das, was wir hier machen, ist eine Harmonisierung des
Steuerrechts durch die Hintertür . Wir sollten das ehrli-
cher machen .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU])


Klargestellt haben wir im Übrigen, dass für die Er-
bringung der Leistungen, die zulässig sind und bleiben,
die vorherige Zustimmung des Aufsichtsrats erforderlich
ist .

Für den Prüfungsausschuss haben wir im Gesetzge-
bungsverfahren klargestellt, dass die erforderliche Bran-
chenkenntnis beim Aufsichtsrat insgesamt vorhanden
sein muss,


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das ist aber nichts Neues!)


dass es also nicht auf die Kenntnis des einzelnen Auf-
sichtsratsmitglieds ankommt .

Schließlich – das ist ein wichtiger Punkt gerade für die
Übergangsphase – haben wir die sogenannte Kurzläufer-
problematik angesprochen . Unternehmen, die jetzt, in
der Übergangsfrist, sonst keine Möglichkeit hätten, von
der Verlängerungsoption Gebrauch zu machen, können
das noch machen .

Wir sind nicht dem Vorschlag eines Sachverständi-
gen gefolgt, die Bestelldauer für den Abschlussprüfer zu
verlängern. Dabei sehen wir erhebliche Kontrolldefizite,
weil der Aufsichtsrat auf den Abschlussprüfer dann nicht
mehr in der gleichen Weise einwirken könnte wie vor-
her . Deshalb war es, glaube ich, richtig, diesen Vorschlag
nicht in den letzten Entwurf zu übernehmen .

Insgesamt haben wir, glaube ich, einen guten Gesetz-
entwurf gemacht . Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1816111400

Vielen Dank . – Als nächster Redner spricht für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dr . Gerhard Schick .


(Beifall des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Dr. Heribert Hirte






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816111500

Danke schön . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Nein, dieser Gesetzentwurf ist kein guter
Gesetzentwurf, sondern ein schlechter Gesetzentwurf,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


weil er auf die massiven Fehlentwicklungen der letzten
Jahre im Bereich Wirtschaftsprüfung keine adäquate
Antwort gibt .

Erste Fehlentwicklung . Es ist ein Oligopol entstanden .
Die großen Vier – auf Englisch Big Four genannt – ha-
ben gemessen an den gezahlten Prüfungshonoraren einen
Marktanteil von rund 95 Prozent . Das ist eine enorme
Marktmacht, die wir nur in wenigen anderen Bereichen
in solch krasser Form haben . Von Marktwirtschaft kann
hier keine Rede mehr sein . Das ist Machtwirtschaft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


In Kernwirtschaftssektoren ist die Konzentration noch
höher . Bei Kreditinstituten erzielen die zwei größten
Gesellschaften PwC und KPMG zusammen 80 Prozent
der Honorare, bei Versicherungsunternehmen erzielt das
größte Unternehmen 70 Prozent der Honorare . Wer da
nicht massiv gegensteuert, hat nicht verstanden, dass hier
marktwirtschaftliche Strukturen auf dem Spiel stehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Johannes Fechner [SPD] – Dr . Johannes Fechner [SPD]: Richtig! Ich stimme zu!)


Daraus entsteht große politische Macht . Wir können
sie auch in genau diesem Gesetzentwurf sehen . Wer den
Gesetzgebungsprozess vom Grünbuch der Europäischen
Kommission bis hin zu dem, was wir heute vorliegen ha-
ben, betrachtet, kann ermessen, wie groß die politische
Macht dieser vier großen Unternehmen sein muss . Denn
sie konnten es schaffen, die Gesetzgebung noch einmal
in ihre Richtung, in ihrem Interesse umzudrehen . Das ist
wirklich hoch problematisch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die zweite Fehlentwicklung . Zwischen 2011 und 2013
haben diese großen Gesellschaften 66 Wirtschaftsbera-
tungsunternehmen übernommen und auch eigene Steu-
er- und Rechtsberatungsunternehmen gegründet . Sie sind
also inzwischen gar nicht mehr die Wirtschaftsprüfer im
Sinne einer Prüfung der Daten für die Allgemeinheit,
sondern sie haben prüfungsfremde Leistungen massiv
ausgebaut . Diese umfassen mittlerweile über 60 Prozent
des Gesamtumsatzes der Big Four . Das heißt, die Interes-
senlage ist eindeutig: Geld machen mit privaten Leistun-
gen, und nebenher macht man noch das Geschäft, das für
die Allgemeinheit wichtig ist, nämlich die Sauberkeit der
Bilanzen zu prüfen . Das muss schiefgehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Und das ist auch schiefgegangen . Zu den genannten
Beispielen kann ich zwei weitere hinzufügen . Bei der

Sachsen LB mussten die Wirtschaftsprüfer von PwC
40 Millionen Euro zahlen, weil sie eben mit ursächlich
waren für die Pleite einer Landesbank, die den Steuer-
zahlerinnen und Steuerzahlern in Sachsen heute immer
noch Kosten verursacht . Wir können es auch bei Lehman
Brothers sehen, wo Ernst & Young nachgewiesen wur-
de, dass sie wissentlich den Bilanzbetrug von Lehman
in Höhe eines zweistelligen Milliardenbetrages abgeseg-
net hatten, wodurch der Markt die wahre Finanzlage von
Lehman Brothers nicht kennen konnte . Sie mussten des-
wegen rund 110 Millionen US-Dollar zahlen . Das sind
die massiven Fehlentwicklungen .

Jetzt haben wir eine Reihe von Problemen . Ich will
zwei nennen, die für uns in der Beratung im Vordergrund
standen . Dazu legen wir auch einen konkreten Ände-
rungsantrag vor .

Das Erste ist die Frage: Wie lange dauert das? Sie sa-
gen, dass Sie das abgewogen haben und dass man es zu-
sammen mit den Kosten sehen muss . Aber jetzt schauen
Sie doch einmal: Bei der ersten Vorstellung im Grünbuch
ging man von sechs Jahren aus . Ich bin noch bereit, zehn
Jahre zu akzeptieren; denn das ist ein Abwägungsprozess
mit Blick auf die Prüfungskosten, wie es der Kollege
Hirte sagte . Aber wenn man dann zu 20 Jahren kommt,
heißt das, dass ein Mensch möglicherweise ein halbes
Berufsleben lang dieselbe Unternehmung prüft . Das
kann doch kein vernünftiger Ausgleich sein zwischen
der Problematik, dass es eine lange Bindung gibt und das
zu prüfende Unternehmen und der Prüfer praktisch inei-
nander wachsen, und den Kosten und dem Aufwand der
Einarbeitung in die komplexe Materie . Hier liegen Sie
komplett falsch . Das müsste man korrigieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ja, Sie machen diesen Fehler bei Banken und Ver-
sicherungen nicht . Aber wir wissen natürlich, dass der
Kapitalmarkt nicht nur davon beeinflusst wird, was bei
Banken und Versicherungen passiert, sondern natürlich
auch von Fehlentwicklungen, Steuerplanungen, -gestal-
tungen und -betrug, wie sie bei einem Energieriesen wie
Enron, bei verschiedenen Unternehmen am Grauen Ka-
pitalmarkt, wo es auch sei, auch im realwirtschaftlichen
Bereich, passieren . Hier den Unternehmen so entgegen-
zukommen, ist ein massiver Fehler .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Das gilt auch für einen weiteren Punkt: die Trennli-
nie zwischen aggressiver Steuerplanung und anderem .
Sie wissen doch selber, dass diese Unterscheidung in der
Praxis nicht funktioniert . De facto erlauben Sie weiter,
dass die Unternehmen, geleitet von ihrem Interesse, die
Mandate im Beratungsbereich zu behalten, fast alles mit-
machen, wenn sie den Abschlussbericht prüfen . Das darf
nicht sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deswegen legen wir einen Änderungsantrag vor, in
dem wir Sie auffordern: Streichen Sie das, was Sie mit






(A) (C)



(B) (D)


falsch ausgeübtem Wahlrecht geändert haben, und keh-
ren Sie zurück zu dem, was auf europäischer Ebene –
übrigens mit breiter Mehrheit – vereinbart worden ist,
sodass wir in Zukunft eine klarere Trennung haben! Ein
Abschlussprüfer muss für die Allgemeinheit unabhängig
prüfen können. Er darf keine Interessenkonflikte dadurch
haben, dass er vor allem seine Beratungsmandate im
Blick hat . Diesen Fehler müssen wir dringend korrigie-
ren .

Danke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1816111600

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Christian

Petry von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Christian Hirte [CDU/CSU])



Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1816111700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Dr . Schick hat das gemacht, was er ange-
kündigt hat: Er hat ein Worst-Case-Szenario an die Wand
gemalt, das, was alles passieren kann .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Manchmal ist Große Koalition Worst Case!)


Es wurde das Reich des Bösen beschworen . Das sind in
diesem Fall nicht die Banken und Versicherungen, son-
dern die Prüfer, also diejenigen, die die Banken und Ver-
sicherungen prüfen .


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das ist schlimmer noch!)


Wir müssen natürlich aufpassen – die Negativbeispie-
le sind ja genannt worden –; das ist doch klar . Aber der
Gesetzentwurf, der heute vorliegt, beinhaltet Regelungen
und Vorschriften, die über den zeitlichen Rahmen hinaus-
gehen . Ich möchte daran erinnern, dass es nun grundsätz-
lich einen Prüfungsausschuss geben muss; diese Aufgabe
kann natürlich auch der Verwaltungsrat übernehmen . Ein
Fehlverhalten in diesem Zusammenhang ist jetzt auch
strafbewehrt . Es wird nicht wie ein Vergehen, sondern
wie ein Verbrechen behandelt und mit Freiheitsstrafe bis
zu einem Jahr geahndet . Es ist auch kein Vergleich mög-
lich . Vielmehr muss man einen Prozess führen, der in der
Öffentlichkeit stattfindet; auch das ist eingebracht wor-
den . Es geht also nicht nur um die Laufzeiten .

Allerdings kann man durchaus über sie diskutieren .
Wenn man hört, dass es 20 Jahre sind, dann hat man den
Eindruck: Das ist natürlich sehr lange . – Aber es darf auf-
grund einer ideologisch begründeten Verkürzungspflicht
nicht dazu kommen, dass die Prüfleistung schwächer
wird . Fritz Güntzler wird nach mir reden; er kommt aus
diesem Metier . Natürlich sind Erfahrung und Kenntnis
der Unternehmen wichtig, wenn es um eine intensive
Prüfung geht . Wenn man es positiv betrachtet, muss man
davon ausgehen, dass ein Prüfer, der eine große Sach-
kompetenz mitbringt, natürlich auch seiner Verpflichtung

sehr konkret nachkommen kann, unabhängig und unpar-
teiisch die wesentlichen Merkmale des betreffenden Un-
ternehmens zu prüfen . Dem trägt dieser Gesetzentwurf
Rechnung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es sind schon einige Beispiele genannt worden, wa-
rum diese Regelungen erforderlich sind, zum Beispiel die
HSH Nordbank . Metin Hakverdi hat diesen Fall nicht nur
heute vorgetragen, sondern in seiner damaligen Funktion
als Mitglied der Hamburger Bürgerschaft bei der Aufar-
beitung dieser Sache auch hautnah miterleben können,
was da schieflaufen kann. Insoweit ist wichtig, dass die
externe Rotation festgeschrieben wird . Der Zeitraum von
zehn Jahren ist natürlich ein Kompromiss . Ich habe bei
Ihnen, Herr Hirte, ein bisschen Trauer herausgehört; Sie
hätten wahrscheinlich gerne ein bisschen mehr gehabt .
Aber ich glaube, zehn Jahre sind tatsächlich angemessen .

Dass wir, wenn wir von der Systemrelevanz abrü-
cken, bei großen Unternehmen nun die Zugeständnisse
gemacht haben, in dem einen Fall bis 20 Jahre, in dem
anderen Fall sogar bis 24 Jahre zu gehen, ist, glaube ich,
eine saubere Sache . Hier können wir eine stabile Prüf-
ebene einziehen, damit die Prüfer auch ihren Aufgaben
gerecht werden können . Wir können ferner die Unabhän-
gigkeit wahren .

Herr Dr . Schick, es ist notwendig, ein Auge darauf zu
haben . Es ist auch gut, dass Sie – ich sage es einmal so –
das Negativste, was denkbar ist, dargestellt haben; das
ist ja Ihre Aufgabe als Opposition . Es ist unsere Aufgabe
und die Aufgabe aller, aufzupassen, ein Auge darauf zu
haben, Öffentlichkeit herzustellen, etwa in Versammlun-
gen, die Entwicklungen zu beobachten, Kritikpunkte an-
zusprechen und Fehlentwicklungen festzustellen . Es ist
Aufgabe der Prüfer, dies insgesamt entsprechend darzu-
stellen .

Eines muss man aber auch sehen: Wer Regelungen
missbrauchen möchte, der kann auch diese Regelung
missbrauchen . Wenn nach zehn Jahren Schluss sein soll
und 30 Beschäftigte von der Firma A zur Firma B gehen
und den gleichen Betrieb mit einer anderen Prüffirma
prüfen, dann ist auch dies eine Verlängerung . Das alles
wird auch durch diesen Gesetzentwurf nicht ausgeschlos-
sen . Aber ich denke, er ist ein ganz wichtiger Schritt, um
mehr Transparenz zu schaffen und die Unabhängigkeit
der Prüfungen sicherzustellen . Wir hoffen, dass damit
ein Schritt getan ist, die Fehlentwicklungen vergangener
Jahre zu minimieren .

Der zweite Punkt – auch er wurde schon genannt –
ist das Verbot der aggressiven Steuerberatung . Auch
die Verlagerung von Gewinnen ins Ausland ist genannt
worden . Selbstverständlich zielen wir auch darauf ab .
Herr Professor Hirte hat vollkommen recht: Das ist nur
Symptomdoktorei . Natürlich müssen wir international
dazu kommen, Steuerschlupflöcher zu schließen, sodass
entsprechende Möglichkeiten auch in der Beratung nicht
mehr gegeben werden können . Auch daran arbeiten wir .
Es ist ja nicht so, dass dieses Thema ein Solitär ist . Es
ist ein Gesamtprojekt auf europäischer und internationa-
ler Ebene, Steuerschlupflöcher zu schließen. Wenn dem

Dr. Gerhard Schick






(A) (C)



(B) (D)


Prüfwesen im Hinblick auf aggressive Steuerberatung
eine Schranke gesetzt wird, dann ist das in Ordnung . Das
ist zwar ein Bestandteil, aber nur ein Teil des Gesamt-
konzeptes . Dazu gehört natürlich mehr .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin natürlich froh, dass wir mit dem vorliegen-
den Gesetzentwurf und den Änderungsanträgen der Re-
gierungsfraktionen einen ausgewogenen Kompromiss
erzielt haben . Ich bin mir sicher, dass wir dies in den
nächsten Jahren kontrollieren können, und hoffe, dass die
Ziele, die wir uns gesteckt haben, nämlich die Stärkung
von Stabilität, Transparenz und damit letztlich auch von
Verbraucherschutz in diesem Bereich, erreicht werden .

In diesem Sinne: Glück auf!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1816111800

Vielen Dank . – Als nächster Redner spricht Fritz

Güntzler von der CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Fritz Güntzler (CDU):
Rede ID: ID1816111900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Wir beraten heute über den
Entwurf des Abschlussprüfungsreformgesetzes . In die-
sem Zusammenhang sollte man noch einmal erwähnen,
dass wir im Dezember des letzten Jahres auch das Auf-
schlussprüferaufsichtsreformgesetz beschlossen haben,
sodass die Tätigkeit des Abschlussprüfers, über die wir
heute reden und bei der es auf Qualität ankommt, auch in
einem Gesamtkontext gesehen wird .

Wir haben die Abschlussprüferaufsicht neu struktu-
riert und gestärkt, wir haben das Qualitätssicherungssys-
tem bei den Wirtschaftsprüfern und den Abschlussprü-
fern verbessert, und wir haben die Berufsaufsicht neu
geordnet . Von daher muss man, glaube ich, beide Projek-
te zusammen in den Blick nehmen .

Was machen wir? Wir übernehmen neue und geänder-
te europäische Vorgaben, die uns über die Abschlussprü-
ferrichtlinie oder die Verordnung gemacht worden sind .

Ich glaube, es ist gut, dass wir uns angucken – das ist
auch das Recht des nationalen Parlamentes –, was wir
von den Richtlinien tatsächlich übernehmen, ob wir also
die Wahlrechte ausüben, und dass wir entsprechende Er-
wägungen anstellen, wenn die Verordnung Erwägungs-
aufträge gibt . Aber danach müssen wir als nationaler
Gesetzgeber entscheiden, was wir tun wollen . Von daher
bin ich grundsätzlich sehr einverstanden damit, dass die
Bundesregierung die Eins-zu-eins-Umsetzung gewählt
hat .


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Haben Sie ja nicht!)


Herr Kollege Schick, Sie haben auf das Grünbuch hin-
gewiesen, das Ausgangspunkt war . Wenn man sich das
Grünbuch einmal angeschaut hat – als Berufsangehöriger
habe ich das getan –, dann weiß man, dass es danach ei-

nen umfassenden Konsultationsprozess gegeben hat, bei
dem es Tausende von Eingaben gab .

Lieber Herr Kollege Schick, es waren nicht nur die
Big-Four-Gesellschaften, die sich in diesen Prozess
eingebracht haben, sondern auch mittelständische Wirt-
schaftsprüfer, zu denen auch ich gehöre, Adressaten der
Jahresabschlüsse und diejenigen, die die Abschlussprü-
fer beauftragen . Von daher greift es zu kurz, zu sagen,
die Entwicklung, die es seit dem Grünbuch gegeben
hat, sei alleine darauf zurückzuführen, dass sich die
Big-Four-Gesellschaften eingebracht haben .


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Aber ganz falsch war es nicht!)


Das Grünbuch hatte die Überschrift „ . . . Lehren aus der
Krise“ und die Tendenz, zu sagen, dass die Abschlussprü-
fer eine erhebliche Mitverantwortung an der Finanzkrise
tragen . Diese Behauptung lässt sich nach dem Konsul-
tationsprozess im Zusammenhang mit diesem Grünbuch
nicht aufrechterhalten, und sie wird auch nicht besser,
wenn sie hier immer wieder – auch von Ihnen – wieder-
holt wird .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn man sich das genau anguckt, dann sieht man,
dass es zwar Einzelfälle gab, die teilweise benannt wor-
den sind, aber im Wesentlichen keine juristischen Konse-
quenzen, etwa dass Abschlussprüfer für ihr Verhalten zur
Verantwortung gezogen wurden, weil es eben gar kein
Fehlverhalten gab .


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Ja, genau, Ernst & Young usw . hat nicht stattgefunden!)


Um was geht es jetzt? Wir wollen die Qualität der Ab-
schlussprüfung weiter verbessern – nichts ist so gut, dass
es nicht noch verbessert werden könnte –, und es geht
um die Steigerung der Aussagekraft des Prüfungsergeb-
nisses .

Der Abschlussprüfer – Herr Hakverdi hat auf die Ge-
schichte hingewiesen – ist eingeführt worden, um dem
Aufsichtsrat zur Seite zu stehen . Er hat also eine Kon-
trollfunktion . Darum ist es gut, dass wir den Prüfungs-
ausschuss gestärkt haben und dass der Prüfungsausschuss
zwei Vorschläge für die Wahl des Abschlussprüfers ma-
chen muss . Er hat auch die Möglichkeit, Vorschläge zu
machen oder zuzustimmen, wenn es um die steuerliche
Beratung geht . Der Prüfungsausschuss wurde also ge-
stärkt – und die Kontrollfunktion des Abschlussprüfers
dadurch auch .

Es gibt daneben eine Korrekturfunktion des Ab-
schlussprüfers . Erkannte Fehler werden berichtigt . Au-
ßerdem gibt es die sogenannte Prophylaxefunktion des
Abschlussprüfers . Ein Geschäftsführer, der weiß, dass
sein Abschluss geprüft wird, hat die Sorge, dass Fehler
erkannt werden und dann vom Kapitalmarkt negativ ein-
gepreist werden könnten .

Schließlich haben wir – ich glaube, das ist hier das
Entscheidende – eine Beglaubigungsfunktion des Ab-
schlussprüfers . Er steht als Garant dafür ein, dass der

Christian Petry






(A) (C)



(B) (D)


Jahresabschluss einschließlich der Bilanz, der GuV, des
Anhangs und des Lageberichts den gesetzlichen Vor-
schriften entspricht . Dies kann er nur tun, wenn er unab-
hängig ist; das ist völlig unbestritten .

Aber mir ist wichtig, auch darauf hinzuweisen, dass
die eigentliche Aufgabe des Abschlussprüfers ist, ein
Testat über den Jahresabschluss und die Risiken, die dort
benannt werden müssen, zu erteilen . Wenn Sie in den Pro-
gnosebericht des Lageberichtes gucken, dann sehen Sie,
dass der Prognosezeitraum nicht bis in alle Ewigkeiten
geht, sodass man nicht sagen kann, dass ein Abschluss-
prüfer auch das Geschäftsmodell und alle möglichen Ge-
schäftsentwicklungen in der Zukunft beachten muss . Von
daher gibt es Grenzen der Aussagekraft des Prüfungs-
berichtes eines Abschlussprüfers, die meines Erachtens
hier in der politischen Diskussion mehrfach missachtet
worden sind . Deshalb gibt es diese Erwartungslücke,
über die im Berufsstand schon lange diskutiert worden
ist . Aus diesem Grunde glaube ich, dass man mit dem
Schwarzer-Peter-Spiel aufhören und dem Abschlussprü-
fer hier nicht die Verantwortung geben sollte . Vielleicht
sollte man – das ist auch schon gesagt worden – doch
eher den Handelnden, die dazu beigetragen haben, dass
wir diese Probleme am Kapitalmarkt gehabt haben, diese
Verantwortung zuschreiben .

Die einzelnen Punkte – zum Beispiel die Pflichtrota-
tion – sind angesprochen worden . Es ist gesagt worden,
dass wir die Versicherungs- und Kreditwirtschaft bei der
Verlängerung der Höchstlaufzeiten herausgenommen
haben . Und es ist geschildert worden, welche Probleme
bestehen, wenn es einen Prüferwechsel gibt . Ich kann Ih-
nen aus der Prüferpraxis berichten, dass wir am Anfang
bei jeder Prüfung eine erhebliche Lernkurve haben . Es ist
natürlich einfacher, wenn man das Unternehmen kennt .
Dann wissen Sie ja auch – neue Besen kehren gut, heißt
es; aber die alten wissen, wo der Dreck liegt; auch das ist
ein altes Sprichwort –, wo man genauer hingucken muss
und was getan werden muss . Natürlich gibt es immer die
Gefahr der Betriebsblindheit . Die große Zahl der Wirt-
schaftsprüfer aber, die ich kenne, wissen, dass sie – auch
nach vielen Jahren – weiterhin den Grundsatz der Unab-
hängigkeit wahren müssen .

Ich will auch darauf hinweisen, dass der Aufsichtsrat
oder die Gesellschafterversammlung nach wie vor frei
sind, den Abschlussprüfer vorher zu wechseln . Wir haben
ja nicht die mehrjährige Bestellung eingeführt, sondern
es ist nach wie vor erforderlich, dass der Abschlussprüfer
jährlich bestellt wird . Von daher kann er jederzeit, wenn
das für notwendig erachtet wird, gewechselt werden .

Ich möchte eine letzte Bemerkung zu den prüfungs-
fremden Beratungsleistungen machen . Meine Damen
und Herren, Sie beschreiben hier die Risiken, die darin
bestehen, dass man Beratungsleistungen – sei es in der
Steuerberatung, sei es in der Bewertung – erbringt . Zu-
nächst einmal weise ich darauf hin, dass es ein Selbst-
prüfungsverbot gibt . Also, wenn es weitergehend ist,
darf man sich gar nicht prüfen . Ich sage Ihnen aber: Teil-
weise ist es besser, die Beratung selber durchzuführen .
Dann weiß man, was im Unternehmen umgesetzt wird .
Das ist besser, als andere externe Berater zu haben, die
nicht an die Wirtschaftsprüferordnung oder andere be-

rufsrechtliche Aufsichtsregeln gebunden sind und dann
alles machen, was sie sich vorstellen können . Als Wirt-
schaftsprüfer muss man erst einmal dahinterkommen,
was da möglich ist . Der Wirtschaftsprüfer, wenn er denn
steuerlich tätig ist, ist immer gehalten, auch in diesem
Umfeld die Vorschriften der Wirtschaftsprüferordnung
und andere Vorschriften einzuhalten . Von daher sollten
Sie, Herr Schick, nicht so viele Sorgen haben, was den
Abschlussprüfer bzw . Wirtschaftsprüfer angeht . Das ist
ein lauterer Beruf; das sind gute Leute, die ihren Job sehr
verantwortungsvoll machen .

Ich glaube, wir schaffen hier eine gute gesetzliche
Grundlage . Es wäre schön, wenn Sie zustimmen könn-
ten, Herr Schick .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1816112000

Vielen Dank . – Als letzter Redner in der Debatte hat

Volker Ullrich das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1816112100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir entscheiden heute über das Recht der Ab-
schlussprüfer . Es geht um die Frage: Wie werden die gro-
ßen Unternehmen, die Banken und die Versicherungen
durch Wirtschaftsprüfer kontrolliert? Das ist keine trivia-
le und leichtzunehmende Frage, sondern es geht im Kern
um über 1 000 Unternehmen . In dem Zusammenhang
geht es darum, wie Wirtschaftsprüfer diese Unternehmen
testieren und damit eine wichtige Währung, nämlich Ver-
trauen in unsere Wirtschaftsordnung, sichern .

Dieses Vertrauen ist in der Tat in Teilbereichen erschüt-
tert worden . Darüber brauchen wir nicht zu debattieren .
Gerade im Bereich der Banken bzw . der Finanzwirtschaft
sind Fälle zutage getreten, wo Wirtschaftsprüfer nicht
ordentlich prüfen konnten oder wollten . Deswegen hat
die Europäische Union mit dem Grünbuch einen Prozess
eingeleitet, das Recht der Abschlussprüfer zu reformie-
ren . Sie hat den Mitgliedstaaten durch eine Richtlinie die
Möglichkeit gegeben, eigenständige rechtliche Regelun-
gen zu schaffen . Diese rechtlichen Regelungen treffen
wir heute . Und ich meine, wir treffen sie gut .

Einerseits wird Vertrauen in die Branchenkenntnis –
dabei geht es um die Frage, wie der Prüfende das prü-
fende Unternehmen kennt – sichergestellt . Andererseits
wird durch Rotation bzw . Wechsel des Abschlussprüfers
sichergestellt, dass keine Betriebsblindheit entsteht . Des-
wegen sind bei Banken und Versicherungen zwingend
nach zehn Jahren, bei anderen Unternehmen zwingend
nach 20 Jahren die Wirtschafts- und Abschlussprüfer zu
wechseln .

Das bedeutet aber nicht, dass ein Wechsel vor der Zeit
nicht möglich ist . Der Aufsichtsrat und sogar schon Min-
derheitsgesellschafter können jederzeit einen Wechsel
der Abschlussprüfer erzwingen . Das ist gelebte Subsi-
diarität . Der Staat sollte den Unternehmen nicht per se

Fritz Güntzler






(A) (C)



(B) (D)


vorschreiben, wann sie zu wechseln haben . Das ist unter-
nehmerische Entscheidung .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Richtig!)


Wir geben eine Maximalgrenze vor . Ich glaube, die ist
gut gewählt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte auch erwähnen, dass wir mit diesem Ge-
setzentwurf eine besondere Regelung für unsere kleine-
ren Banken, für Sparkassen und Genossenschaftsbanken,
beibehalten .


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das stimmt!)


Diese bekommen nämlich die Möglichkeit, dass sie durch
ihre eigenen Verbände geprüft werden . Wer festgestellt
hat, dass sich in der Finanzkrise Sparkassen und Genos-
senschaftsbanken eher mustergültig verhalten haben, der
weiß, dass sich dieses System bewährt hat und dass wir
deswegen die Prüfung durch die Genossenschafts- und
Sparkassenprüfungsverbände zu Recht beibehalten .

Ich will aber nicht verhehlen, dass zwei Probleme
bleiben . Das erste Problem ist, dass im Bereich der gro-
ßen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften durch die Markt-
macht von insgesamt vier großen Wirtschaftsprüfungs-
gesellschaften tatsächlich ein Oligopol besteht . Überall
dort, wo Marktmacht entsteht, muss Marktmacht be-
grenzt werden; das ist gar keine Frage . Aber das richtige
Instrument zur Bekämpfung von Marktmacht ist nicht
allein das HGB, das nur das Wie der Prüfung regelt, son-
dern das ist das Kartellrecht . Deswegen muss das Kartell-
recht überall dort, wo Marktkonzentrationen nicht mehr
rechtmäßig sind, angewandt werden . Das ist die viel bes-
sere Möglichkeit, in diesem Bereich gegen Marktmacht
vorzugehen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der zweite Aspekt betrifft die Struktur der großen
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften . Es beinhaltet ein
gewisses systemisches Risiko, wenn auf der einen Sei-
te innerhalb der gleichen Gesellschaft geprüft wird und
auf der anderen Seite Steuerberatungs-, wirtschaftsbera-
tende und rechtsberatende Leistungen erbracht werden .
Wir können aber heute mit diesem Gesetzentwurf diese
Struktur von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nicht än-
dern, weil wir dazu eine europa-, vielleicht sogar eine
weltweite Regelung bräuchten . Diese Themen müssen
die OECD und die EU regeln .

Wir müssen uns auch überlegen, ob es mit dem Eigen-
tumsgrundrecht und mit der unternehmerischen Freiheit
tatsächlich in Einklang zu bringen ist, dass wir Gesell-
schaften bis ins Detail vorschreiben, wie sie sich auf-
zustellen haben . Das ist ein Prozess, über den wir noch
zu reden haben . Aber dass wir aggressive Steuervermei-
dungsstrategien nicht ausblenden und damit nicht zulas-
sen, dass Unternehmen, die ein anderes Unternehmen
mit Blick auf Steuervermeidung beraten, genau dieses
Unternehmen dann auch noch prüfen, ist ein wichtiger

Fortschritt . Deswegen kann ich Ihnen heute empfehlen,
diesem guten Gesetzentwurf zuzustimmen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1816112200

Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen . – Da-

mit schließe ich die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Abschlussprü-
fungsreformgesetzes . Der Ausschuss für Recht und Ver-
braucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/7902, den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auf den Drucksachen 18/7219 und 18/7454 in
der Ausschussfassung anzunehmen .

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7906 vor, über
den wir zuerst abstimmen . Wer stimmt für diesen Ände-
rungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich noch
jemand? – Das ist nicht der Fall . Damit ist dieser Än-
derungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition abgelehnt worden .

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Damit ist der Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke in zweiter Beratung angenommen worden .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke in dritter Lesung angenommen wor-
den .

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/7907 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es jeman-
den, der sich enthält? – Damit ist der Entschließungsan-
trag abgelehnt worden mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Ent-
haltung der Linken .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung des Berichts des Ausschusses für Recht
und Verbraucherschutz (6 . Ausschuss) gemäß
§ 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem von
den Abgeordneten Katja Keul, Ulle Schauws,
Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurf eines … Gesetzes zur Ände-
rung des Strafgesetzbuches zur Verbesserung

Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


des Schutzes vor sexueller Misshandlung und
Vergewaltigung

Drucksachen 18/5384, 18/7748

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin in die-
ser Debatte hat Katja Keul von der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen das Wort .


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816112300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Zuerst die gute Nachricht: Oppositionsarbeit
wirkt doch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Nachdem wir für diese Woche die Blockade des Verfah-
rens zur Reform des Sexualstrafrechts auf die Tagesord-
nung gesetzt hatten, haben Sie gestern endlich Ihren ei-
genen Gesetzentwurf im Kabinett verabschiedet . Leider
haben Sie die Gelegenheit verpasst, Erkenntnisse aus
einer Expertenanhörung zu unserem Gesetzentwurf mit
einzuarbeiten, da Sie diese seit einem halben Jahr blo-
ckieren .

Am 1 . Oktober, also vor über fünf Monaten, habe ich
hier unseren Gesetzentwurf zur Reform des Vergewalti-
gungsparagrafen in erster Lesung vorgestellt . Im Rechts-
ausschuss waren wir uns fraktionsübergreifend einig,
dass die jetzige Rechtslage nicht länger hinnehmbar ist .
Sie erinnern sich vielleicht: Alle Varianten des heutigen
Tatbestandes verlangen neben der sexuellen Handlung
als solche zusätzlich eine gesonderte Nötigungshandlung
bzw . Gewaltanwendung zur Überwindung von Wider-
stand oder zur Ausnutzung einer schutzlosen Lage . Das
führte in der Rechtsprechung dazu, dass eine sexuelle
Handlung gegen den Willen des Opfers nicht unter den
Tatbestand fällt und der Täter freigesprochen werden
muss, wenn es an dieser zweiten Tathandlung fehlt, und
das völlig unabhängig von der Beweislage .

Unser Vorschlag lautet daher im Kern wie folgt: Eine
sexuelle Handlung ist immer dann strafbar, wenn die
Arg- oder Wehrlosigkeit des Opfers ausgenutzt wurde –
das sind die Fälle, in denen das Opfer gar keine Möglich-
keit hat, einen Willen zu bilden oder zu äußern – oder
der entgegenstehende Wille des Opfers erkennbar zum
Ausdruck gebracht worden ist . Auf die Frage, ob und wa-
rum jemand zum Widerstand in der Lage war, kommt es
dann richtigerweise nicht mehr an . Auch eine zusätzliche
Nötigungshandlung ist im Rahmen des Grundtatbestan-
des nicht mehr erforderlich . Allenfalls führt eine solche
zur Strafverschärfung .

Wir hatten am 1 . Oktober eine erstaunlich sachliche
Lesung . Die Hoffnung auf eine konstruktive Auseinan-
dersetzung im Ausschuss sollte sich allerdings schnell
zerschlagen . Weil auch Minister Maas im Sommer ei-
nen Entwurf erarbeitet hatte, der dem Kanzleramt nicht
gefiel, sollte auch unser Entwurf nicht weiter diskutiert

werden . Dabei hätten Sie die Möglichkeit gehabt, das
gemeinsame Anliegen durch eine Anhörung zu unserem
Vorschlag voranzubringen . Aber das wollten Sie nicht .

Ehrlich gesagt habe auch ich erhebliche Bedenken ge-
gen den Maas-Entwurf . Darin wird nämlich doch wieder
auf die Frage abgestellt, aus welchem Grund jemand kei-
nen Widerstand leistet . Darauf soll es aber nach der von
uns allen so geschätzten und von der Regierung unter-
zeichneten Istanbul-Konvention gerade nicht ankommen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Außerdem trauen Sie sich nicht an § 177 Strafgesetzbuch
heran, sondern doktern stattdessen an § 179 herum . Die-
ser Paragraf zum sexuellen Missbrauch widerstandsun-
fähiger Personen ist schon völlig misslungen . Es kann
schließlich nicht sein, dass die Vergewaltigung eines
Schwerstbehinderten mit einem geringeren Strafmaß ge-
ahndet wird als die Vergewaltigung eines Gesunden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


§ 179 muss nicht geändert, sondern gestrichen werden .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Mängel Ihres Entwurfes belegen: Es war ein Feh-
ler, sich nicht fachlich mit unseren Vorschlägen ausei-
nanderzusetzen . Stattdessen haben Sie unseren Antrag
auf öffentliche Anhörung in der Ausschusssitzung am
16 . Dezember schlicht abgelehnt . Dabei ist die Durch-
führung einer Anhörung ein Minderheitenrecht, das auch
der Opposition zusteht . Eine solche Anhörung hätten Sie
gar nicht ablehnen dürfen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das Verfahren ist symptomatisch für die Große Ko-
alition . Man ist so sehr mit der eigenen Streiterei be-
schäftigt, dass ein ernsthaftes Rechtsgespräch nicht mehr
möglich ist,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


und zwar auch nicht in den nichtöffentlichen Ausschuss-
sitzungen, in denen wir doch angeblich so offen mitei-
nander reden, dass die Öffentlichkeit unbedingt außen
vor bleiben soll . Ich sage Ihnen, was ein Grund ist, die
Öffentlichkeit von den Ausschüssen fernzuhalten: Die
Politikverdrossenheit würde noch mehr befördert, wenn
deutlich wird, dass in Ausschüssen auch nicht ergeb-
nisoffener geredet wird als im Plenum .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Anders als in der letzten Legislaturperiode finden nicht
einmal mehr Berichterstattergespräche statt . Sie verwen-
den diesen Begriff zwar gelegentlich noch, meinen damit
aber nur Ihre Gespräche untereinander, zu denen die Be-
richterstatter der Opposition gar nicht eingeladen sind .
Wer sich so miteinander verrannt hat, kann weder kon-

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


struktive Vorschläge aufnehmen noch qualitativ hoch-
wertige Gesetze verabschieden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das merkt man auch!)


Weil man aber dann bemerkt hat, dass man eine An-
hörung zu einem Gesetzentwurf der Opposition nicht
einfach ablehnen kann, wurde am 13 . Januar eine Anhö-
rung dem Grunde nach beschlossen, aber kein Termin in
Aussicht gestellt .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Das stimmt nicht!)


Unsere weiteren Terminvorschläge wurden weiterhin
Woche für Woche von der Mehrheit abgelehnt, ein-
schließlich heute . Da die von der Geschäftsordnung vor-
gesehenen zehn Sitzungswochen seit der ersten Lesung
längst abgelaufen sind, haben wir von unserem Recht
Gebrauch gemacht, den Bericht über das Verfahren heute
hier im Plenum aufzusetzen . Hören Sie endlich auf, die
Anhörung weiter zu blockieren .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Wir haben ja schon Vorschläge gemacht! Im Mai machen wir das!)


Lassen Sie uns wieder an der Gesetzgebung arbeiten . Das
allein dient dem Wohl der Opfer sexueller Gewalt und
dem Wohle unserer Demokratie .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816112400

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt der Kollege Alexander Hoffmann .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1816112500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-

nen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Frau Keul, Sie haben wieder einmal ver-
sucht, das Bild der unwilligen und unfähigen Großen Ko-
alition zu malen .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht so schwierig!)


Ich hätte mir bei diesem wichtigen Thema ein bisschen
mehr Sachlichkeit gewünscht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer behindert das denn die ganze Zeit? Das sind doch Sie!)


Ich möchte vorab eines feststellen: Wir alle hier haben
dem Grunde nach dasselbe Ziel . Wir wollen einen besse-
ren Schutz von Frauen vor Vergewaltigung und sexuel-
lem Missbrauch . Es wäre gut gewesen, Frau Keul, wenn
Sie genau das herausgearbeitet hätten . Das wäre heute

ein sehr gutes Signal an die Bürgerinnen und Bürger un-
seres Landes gewesen .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Geschäftsordnungsbericht, den wir debattieren!)


Auch Ihre Unterstellung, dass wir die Dinge verzögern
wollen, trägt bei genauer Betrachtung nicht . Ich will ein-
mal die Chronologie ins Gedächtnis rufen, die wie folgt
aussah: Es gab am 7 . April 2014 einen Referentenentwurf
vom Justizministerium, der keinerlei Handlungsbedarf
bei § 177 StGB sah . Die CDU/CSU-Fraktion hat sich
frühzeitig positioniert . Wir haben im Schulterschluss mit
Frauenrechtsverbänden auf Handlungsbedarf hingewie-
sen . Wir haben auf Artikel 36 Absatz 1 der Istanbul-Kon-
vention hingewiesen, der vorsieht, dass jedwede sexuelle
Handlung gegen den Willen des Opfers unter Strafe zu
stellen ist .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein Antrag von den Grünen!)


Unsere Botschaft lautete damals: Nein heißt Nein .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das steht aber nicht im Gesetz!)


Wenn dem Täter das bekannt ist oder er es auch nur billi-
gend in Kauf nimmt, dann muss das unter Strafe gestellt
werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Mechthild Rawert [SPD] – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das steht aber nicht im Gesetz!)


Interessant ist: Wenn man sich die Zeitschiene anschaut,
dann stellt man fest, dass unsere Positionierung stattge-
funden hat, bevor Sie Ihren Gesetzentwurf vorgelegt ha-
ben .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der erste Antrag war von den Grünen, lieber Herr Kollege!)


Nun verteufeln Sie das Gesetzgebungsverfahren als
zu langsam . Ich bin mittlerweile etwas verwirrt, weil Sie
offensichtlich unterschiedliche Vorstellungen von einem
zügigen Verfahren haben .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur nach der Geschäftsordnung, Herr Kollege!)


Wir haben jüngst eine Gesetzesänderung besprochen,
die der Ausweisung ausländischer Sexualstraftäter dient .
Damals lautete Ihre Argumentation: Das Verfahren geht
viel zu schnell . Wir haben keine Zeit, uns mit diesen
wichtigen Fragestellungen auseinanderzusetzen . – Nun
ist Ihnen alles zu langsam . Kollege Fechner, ich bin Ih-
nen dankbar, dass Sie in der gestrigen Ausschusssitzung
in unserem Namen deutlich gemacht haben – wir tragen
das ausdrücklich mit –, dass es unser Ziel ist, noch vor
der Sommerpause dieses Gesetzgebungsverfahren abzu-
schließen, das heißt, noch vor der Sommerpause zu einer
neuen Regelung zu kommen . Das Einzige, worum wir
gebeten haben, war, dass wir eine Anhörung erst dann

Katja Keul






(A) (C)



(B) (D)


terminieren, wenn die verschiedenen Etappen des Ver-
fahrens kalendermäßig feststehen . Alles andere ist ein-
fach nicht seriös .

Die Anhörung ist dem Grunde nach schon lange be-
schlossen; Sie hatten es erwähnt . Was Ihnen aber leider
entfallen ist, ist offensichtlich die Information, dass am
28 . Januar 2015 schon eine erste, für uns alle sehr frucht-
bare Anhörung, wie ich denke, stattgefunden hat .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, zum Antrag der Grünen!)


Wenn es nach Ihnen geht, hätten wir diese Anhörung ge-
habt, dann eine Anhörung zu Ihrem Entwurf


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Und was ist schlimm daran?)


und schließlich auch noch eine Anhörung zum Referen-
tenentwurf . Das ist für Sie dann eine zügige Behandlung .
Bei anderen Themen – auch das will ich einmal etwas
süffisant in Erinnerung rufen – beklagen Sie sich immer
und sagen, die Terminierung für die Anhörung sei für Sie
so schwer, weil Sie als kleine Fraktion so viele Berichter-
statterthemen auf eine Person vereinigen .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Blick in die Geschäftsordnung hilft da ungemein!)


Hier aber fordern Sie Anhörungen in einer schon fast in-
flationären Art und Weise.

Der zweite Vorwurf, mit dem Sie den Entwurf aus
dem Ministerium geißeln, ist, er sei halbherzig . Das ist er
nicht . Die Umsetzung von Nein heißt Nein .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!)


Dabei verschweigen Sie aber bei ehrlicher Betrachtung
die praktischen Schwierigkeiten dieser Nein-heißt-Nein-
Lösung,


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ich denke, Sie sind auch dafür!)


die wir bis heute anstreben . Wir müssen uns diese
Schwierigkeiten vor Augen führen; denn nur so können
wir das Grundproblem lösen .

Das Grundproblem ist doch Folgendes: Wir haben in
der Bundesrepublik jährlich circa 8 000 Vergewaltigun-
gen, die angezeigt werden .


(Mechthild Rawert [SPD]: Von 160 000! Das ist die Dunkelziffer!)


– Frau Kollegin, lassen Sie mich doch einmal ausreden . –


(Mechthild Rawert [SPD]: Das war ja nur ein Zwischenruf! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Sie kennt deine Rede!)


Experten – das sollten wir uns einmal vor Augen füh-
ren – befürchten, dass unter Umständen nur jede zehnte
Vergewaltigung zur Anzeige kommt . Also brauchen wir
eine gesetzliche Regelung, die Frauen Mut macht, Anzei-
ge zu erstatten . Was wir eben nicht reihenweise produzie-
ren wollen, ist folgende Verfahrenschronologie: Anzeige,

Verfahren, Einstellung bzw . Freispruch, weil auch in die-
sem Verfahren der Grundsatz „in dubio pro reo“ gilt . Die
Aufgabe – so hat es dieser Tage ein Jurist im Gespräch
mit mir deutlich herausgearbeitet – ist doch letztendlich,
dass wir dieses „Nein heißt Nein“ so ins Strafrecht über-
setzen, dass Staatsanwälte und Richter damit arbeiten
können .

Nun werfen wir einmal einen Blick in Ihren Entwurf,
liebe Kollegin Keul . Sie haben ihn vorhin so gelobpreist,
dass ich zwischendurch schon gedacht habe, Sie hätten
das Rad neu erfunden . Sie wollen also – Sie hatten es
dargestellt – die Vornahme der sexuellen Handlung dann
unter Strafe stellen, wenn der entgegenstehende Wille
des Opfers erkennbar zum Ausdruck gebracht ist .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja!)


Das ist eine einfache und klare Formulierung, eine
Formulierung – das sage ich Ihnen ganz ehrlich –, mit
der auch ich am Anfang lange geliebäugelt habe; das wis-
sen Sie auch . Das Problem aber, das wir uns vor Augen
führen müssen, ist doch: Wie wollen wir das nachweisen,
wenn wir wissen, dass die problematischen Fälle in der
Praxis doch häufig Fälle der Vergewaltigung in einer Ehe
oder einer Beziehung sind, Fälle, in denen der Täter vor
dem Richter steht und sagt: „Sie hat es doch gewollt“?
Das heißt, wir haben Vier-Augen-Konstellationen, bei
denen wir keinerlei objektive Indizien finden und vieles
unter Umständen nur auf subjektive Wahrnehmungen ge-
stützt werden kann . Dann laufen wir doch wieder Gefahr,
dass wir reihenweise folgende Chronologie provozieren:
Anzeige, Verfahren, Einstellung bzw . Freispruch . Wir ha-
ben dann keine Verbesserung .

Der zweite Punkt – auch das muss man hinterfragen –
ist: Wie wollen wir bei dieser Formulierung konkluden-
tes Verhalten werten? Was meine ich? Stellen Sie sich
vor: Zwei Arbeitskollegen sind zusammen auf Dienstrei-
se . Abends trifft man sich in der Bar . Die Stimmung ist
gut . Er macht ihr eindeutige Avancen . Sie stellt abends
noch klar: Nein, zwischen uns wird nichts laufen . Ich
will meine Ehe nicht aufs Spiel setzen . – Der Abend geht
weiter, und es wird launiger . Man ist leicht angetrunken;
alle wissen noch, was sie tun . Der Abend geht weiter . Er
bringt sie wie ein Gentleman auf das Zimmer . Dort ver-
liert sie dann die Kontrolle, und es kommt zum Äußers-
ten .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Oh Mann! Das sind Klischees! Das ist bitter! – Weitere Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gegenruf von der CDU/CSU: Hören Sie doch mal zu!)


Am nächsten Tag sagt sie: Ich wollte das nicht, und das
habe ich dir auch gesagt . – Wie wollen wir diesen Fall
gemeinsam aufarbeiten? Das Nein war ausdrücklich er-
kennbar . Die Frage ist: Gab es nach diesem Nein noch
eine weitere Willensbekundung durch das Geschehenlas-
sen, oder wirkt dieses Nein fort?


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Rede ist ein Kontrollverlust!)


Wenn wir dieses „Nein heißt nein“ praxistauglich ins
Strafrecht übernehmen wollen, dann ist es klug, wenn

Alexander Hoffmann






(A) (C)



(B) (D)


wir fair objektivierbare Momente in diesen Tatbestand
einbauen, wie zum Beispiel die Drohung mit einem emp-
findlichen Übel. Hierdurch lässt sich der Sachverhalt
im Nachgang anhand objektiver Kriterien verdichten .
Nehmen wir zum Beispiel den Mitarbeiter einer Auslän-
derbehörde, der einer ausländischen Mitbürgerin ihren
Aufenthaltstitel nur dann erteilt, wenn sie mit ihm den
Beischlaf vollzieht . Nur dann, wenn es uns gelingt, ob-
jektive Punkte einzubringen, wird es uns gelingen, den
Opfern zu helfen . Nur dann senden wir das Signal aus:
Eine Anzeige bringt etwas .

Dazu müssen wir das parlamentarische Verfahren
nutzen . Wir sollten gemeinsam überlegen, wie wir den
Referentenentwurf so weiterentwickeln, so verdichten,
dass keine Schutzlücken mehr bestehen . Dabei muss es
im Strafrahmen einen Unterschied machen, ob das Opfer
die Tat einfach über sich ergehen lässt oder ob der Täter
zum Beispiel mit einer Drohung den entgegenstehenden
Willen des Opfers beugt; das kommt in Ihrem Entwurf
nur am Rande zum Ausdruck . Es muss auch einen Un-
terschied machen, ob die Tat an einem Menschen mit
Behinderung begangen wird und der Täter diese Behin-
derung ausnutzt . Hier denke ich an Artikel 46 der Istan-
bul-Konvention . Er gibt den Mitgliedstaaten den Hand-
lungsauftrag, noch einmal zu überlegen, ob sich genau
dieses Moment strafverschärfend – das ist der Unter-
schied zu Ihrem Entwurf – auswirken soll . Diese Frage
ist im Referentenentwurf aus dem Ministerium sehr gut
gelöst . Wir haben schon breite Zustimmung für diese Re-
gelung erhalten, zum Beispiel von der Lebenshilfe .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816112600

Herr Kollege Hoffmann, lassen Sie eine Zwischenfra-

ge der Kollegen Keul zu?


Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1816112700

Ja, aber selbstverständlich . Gerne .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816112800

Gut, dann verlängert sich Ihre Redezeit ein wenig .


Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1816112900

Danke .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816113000

Bitte schön, Frau Keul .


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816113100

Vielen Dank für die Zulassung der Zwischenfrage . –

Sie haben gerade gesagt, dass man eigentlich strafver-
schärfend berücksichtigen müsse, dass jemand behindert
ist . Aber in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs ist es
genau umgekehrt . Dort wird die Schwerstbehinderung
straferleichternd berücksichtigt . Dazu heißt es dort:

Der im Vergleich zu § 177 Absatz 1 StGB niedrigere
Strafrahmen rechtfertigt sich daraus, dass der Täter
des § 177 Absatz 1 StGB zusätzlich einen entgegen-
stehenden Willen des Opfers durch Zwang beugen
muss und daher wegen Nötigung mit einer Mindest-

freiheitsstrafe von einem Jahr rechnen muss . Dem-
gegenüber nutzt der Täter des § 179 … lediglich die
Schutzlosigkeit des zum Widerstand nicht fähigen
Opfers aus. Darüber hinausgehende Tatmodifikati-
onen . . .

Das ist die Begründung dafür, dass es weniger strafwür-
dig ist, wenn man jemanden missbraucht, der sich nicht
wehren kann . Wie passt das zu Ihren Ausführungen, die
Sie eben gemacht haben?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1816113200


Sie haben vollkommen recht: Das steht so in der
Begründung . Ich habe als Student gelernt: Ein Blick
ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. – Wenn Sie
§ 179 StGB lesen, dann stellen Sie fest, dass dort von
„besonders schweren Fällen“ die Rede ist . In einem be-
sonders schweren Fall wirkt sich eine Tat vor allem dann
strafverschärfend aus, wenn sie an einem Menschen mit
Behinderung begangen wird und der Täter diese Behin-
derung ausnutzt . – Das steht ausdrücklich so drin . Ich
habe den Text jetzt leider nicht da .


(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe es Ihnen ja vorgelesen! Das ist das Gegenteil! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Antwort gewesen! Ganz schlecht! – Gegenruf des Abg . Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Klar war das eine Antwort!)


Ich komme zu den beiden letzten Punkten, die uns
bei der Frage bewegen sollten, wie wir in dieses parla-
mentarische Verfahren gehen . Wir sollten überlegen, wie
wir Grapschen besser bestrafen können . Wir müssen von
der Hilfskrücke der sexuellen Beleidigung wegkommen .
Auch dazu haben Sie keinerlei Vorschläge unterbreitet .
Außerdem müssen wir uns noch einmal die Frage stellen,
ob wir nicht als Lehre aus Köln einen eigenen Tatbestand
für sexuelle Übergriffe aus der Gruppe heraus etablieren,
ähnlich § 231 StGB . Ich habe gestern den ausdrücklichen
Wunsch von Innenminister de Maizière aufgenommen,
dass wir uns mit dieser Frage beschäftigen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Wir ha-
ben viel zu tun . Ich denke, wir werden das gemeinsam
anpacken . Ich glaube, dass wir das Gesetzgebungsver-
fahren noch vor der Sommerpause werden abschließen
können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Alexander Hoffmann






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816113300

Vielen Dank . – Jetzt hat die Kollegin Wawzyniak,

Fraktion Die Linke, die Gelegenheit, darauf zu reagieren .
Bitte schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816113400

Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Herr Hoffmann, dass ich im Jahr 2016 die Reproduktion
von Rollenklischees in dieser Art und Weise erlebe, hätte
ich mir nicht vorstellen können .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dass Sie offensichtlich nicht verstehen, dass es ein Wert
an sich ist, wenn der Gesetzgeber klar die Erwartungs-
haltung zum Ausdruck bringt, dass der Grundsatz „Nein
heißt nein“ gilt, und hier mit der Beweisproblematik ar-
gumentieren, macht mich, ehrlich gesagt, ein bisschen
fassungslos .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das steht im Grundgesetz!)


Dass wir heute über einen Bericht des Ausschusses
für Recht und Verbraucherschutz reden, ist aus meiner
Sicht eine Blamage, und zwar nicht für den Ausschuss
bzw . nur indirekt für den Ausschuss . Es ist eine Blamage,
dass wir nicht darüber reden, wie der Grundsatz „Nein
heißt nein“ im Gesetz verankert werden kann . Vielmehr
müssen wir darüber reden, warum zu dem Gesetzentwurf
vom Bündnis 90/Die Grünen bisher keine Anhörung
stattgefunden hat . Seit gefühlten 20 Sitzungen wird die
Anhörung immer wieder vertagt bzw . nicht beschlossen,
und das – das ist schon angesprochen worden –, obwohl
sie schon einmal terminiert war . Sie haben natürlich al-
les Recht der Welt dazu; so steht es nun einmal in der
Geschäftsordnung . Aber vielleicht denken wir alle mal
eine Minute darüber nach, was es bedeutet, wenn Op-
positionspolitikerinnen und Oppositionspolitiker in die
Wahlkreise gehen und sagen: Wir haben eine super parla-
mentarische Initiative, die wir auch gerne zum Abschluss
bringen würden . Aber die Mehrheit im Parlament sagt:
Nö, das wollen wir noch nicht . – Dieses Bild von Demo-
kratie wollen wir doch überhaupt nicht haben!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: So ist das aber mit der Demokratie!)


Vielleicht denken wir einfach einmal darüber nach, ob es
nicht sinnvoll wäre, wenn nach einem bestimmten Zeit-
ablauf auch die Minderheit das Recht hätte, eine Anhö-
rung durchzusetzen und eine Initiative zur Abstimmung
zu bringen . Ja, dann müssten Sie springen, dann müssten
Sie „Ja“, „Nein“ oder „Enthaltung“ sagen . Aber dieses
Nicht-zu-Ende-Bringen einer parlamentarischen Initiati-
ve schadet, glaube ich, am Ende uns allen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Kollege Ullrich hat neulich in einer Debatte et-
was, wie ich finde, sehr Richtiges gesagt: Außerhalb die-
ses Kosmos hier nehmen die Leute uns alle als politische
Klasse wahr, ob es uns gefällt oder nicht . – Ich muss Ih-
nen aber sagen: Ich habe dieses Kosmos-Gequatsche von
Kollegialität satt; denn ich muss ständig irgendwo hinge-
hen und sagen: Wir haben eine super Initiative, aber wir
können sie nicht zum Abschluss bringen . – So schaden
wir am Ende der Demokratie und dem Parlamentarismus .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben immer gesagt, Sie wollten keine Anhörung
durchführen, weil Sie noch auf den Gesetzentwurf der
Bundesregierung warten wollen . Er liegt nun seit gestern
vor . Aber das ist überhaupt kein Argument dafür, keine
Anhörung zu dem Gesetzentwurf vom Bündnis 90/Die
Grünen durchzuführen .


(Mechthild Rawert [SPD]: 30 . Mai!)


– Schön, dass ich hier im Plenum erfahre, dass die An-
hörung am 30. Mai stattfindet. Das ist ja mal was Neues.


(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist vorhin schon gesagt worden!)


Erstens . Eine Anhörung zu dem Gesetzentwurf vom
Bündnis 90/Die Grünen würde den Gesetzentwurf der
Bundesregierung nicht vollständig, sondern nur in Teilen
tangieren; denn – darauf ist hingewiesen worden – der
Gesetzentwurf der Bundesregierung regelt das „Nein
heißt nein“ gerade nicht, es wird darin immer noch Wi-
derstand gefordert . Eine Debatte über den Gesetzentwurf
vom Bündnis 90/Die Grünen hätte den Vorteil, dass die
Regierungsfraktionen daraus etwas lernen und den Ge-
setzentwurf präzisieren könnten .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Man kann über dieses Thema nicht häufig
genug sprechen, um dafür zu sensibilisieren . Deswegen
wäre es überhaupt kein Problem, eine Anhörung zum Ge-
setzentwurf vom Bündnis 90/Die Grünen, eine Anhörung
zum Gesetzentwurf der Linken und eine Anhörung zum
Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen durchzuführen .

Es wird Sie wenig überraschen: Den Gesetzentwurf
der Linken halten wir selbstverständlich für den allerbes-
ten, den es gibt .


(Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Erstaunlich!)


Das wird uns aber nicht daran hindern, auch andere Ge-
setzentwürfe positiv zu bewerten . Wir regeln in unserem
Gesetzentwurf, dass sexuelle Handlungen gegen den
erkennbaren Willen strafbar sind, und wir regeln Über-
raschungsfälle . Wir stricken das Sexualstrafrecht um,
indem wir einen Grundtatbestand schaffen, der klar ins
Auge springt .

Meine letzte Anmerkung an dieser Stelle: Um Sexis-
mus und sexualisierte Gewalt zu ächten, müssen wir,
wie gesagt, ganz häufig über dieses Thema sprechen. Da
sage ich Ihnen, meine Herren von der Union: Wenn im
Innenausschusses des Bundestages erklärt wird, die Op-






(A) (C)



(B) (D)


positionsfraktionen nähmen die Opfer von sexualisierter
Gewalt nicht ernst, dann ist das scheinheilig, solange
Präventionsarbeit nicht abgesichert ist, solange die Be-
ratungsstellen für sexualisierte Gewalt nicht finanziell
abgesichert sind, solange Schutzräume für Opfer von se-
xualisierter Gewalt nicht finanziell abgesichert sind und
solange es keinen Rechtsanspruch auf psychosoziale und
rechtliche Beratung gibt . Das Thema ist umfassender . Da
ist noch viel zu tun. Ich finde, es wird endlich Zeit, „Nein
heißt nein“ gesetzlich zu verankern .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816113500

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kol-

lege Dirk Wiese das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1816113600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Zu Beginn ein paar persönliche Worte: Ich
habe nicht das geringste Verständnis für männliche Mit-
bürger, egal welcher Abstammung, Sprache, Heimat oder
Herkunft, egal welchen Glaubens, politischen oder reli-
giösen Bekenntnisses sie auch sind, die meinen, dass sie
Frauen als Objekte behandeln können, die die fundamen-
talen Werte unseres Grundgesetzes missachten, die jegli-
chen Respekt im Umgang miteinander vermissen lassen,
die die Werte mit Füßen treten, für die viele unserer Vor-
gänger, vor allem Vorgängerinnen, über Jahrzehnte hier
im Parlament gestritten und gekämpft haben,


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


indem diese Männer das Recht auf sexuelle Selbstbe-
stimmung missachten, ja Frauen erniedrigen . Für solche
Männer – das sage ich hier ganz offen – schäme ich mich .

Leider gibt es davon in unserer Gesellschaft zu vie-
le; denn jedes Jahr werden rund 8 000 Anzeigen wegen
Vergewaltigung und sexueller Nötigung aufgenommen .
Das beweist, dass Gewalt, vor allem sexuelle Gewalt ge-
gen Frauen, alles andere als eine Randerscheinung ist .
40 Prozent aller Frauen erleben körperliche oder sexu-
elle Übergriffe . 60 Prozent der Frauen haben mindestens
eine Form der sexuellen Belästigung erfahren . – Ich mei-
ne, diese Zahlen muss man sich einmal vorstellen . Wie
gesagt: 8 000 Anzeigen, wobei das nur die zur Anzeige
gebrachten Taten sind! Dazu kommen eine Vielzahl von
Übergriffen im Nahbereich, sexuelle Belästigung am Ar-
beitsplatz, dumme Sprüche oder Gesten, die alle zusam-
men deutlich machen, dass Sexismus in unserer Gesell-
schaft leider immer noch ein weitverbreitetes Phänomen
ist . Dabei waren es immer wieder mutige Frauen, die für
ihre Rechte aufgestanden sind, die mutig und entschlos-
sen die rechtliche Situation von Frauen verbessern und
Frauen besser schützen wollten . Es waren Frauen wie die
Sozialdemokratin Elisabeth Selbert, die 1948 gegen den
Widerstand der bürgerlichen Parteien dafür gesorgt hat,

dass der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“
überhaupt in das Grundgesetz kommt .


(Beifall bei der SPD)


Doch es dauerte leider noch Jahrzehnte, bis dieser
Verfassungsgrundsatz in der einfachen Gesetzgebung
Realität wurde und den Patriarchalismus Stück für
Stück aus den Gesetzbüchern verdrängen konnte . Es
waren engagierte Kolleginnen im Deutschen Bundes-
tag, die zu Zeiten der sozial-liberalen Koalition für das
Rentenreformgesetz gestritten haben . Nichterwerbstäti-
ge Frauen hatten dadurch endlich die Möglichkeit, der
Rentenversicherung freiwillig beizutreten und sich eine
eigenständige soziale Sicherung aufzubauen . Ich erinne-
re an das Jahr 1973 mit dem Vierten Gesetz zur Reform
des Strafrechts, welches die Anerkennung der sexuellen
Freiheit der Frau beinhaltete, oder an das Fünfte Gesetz
zur Reform des Strafrechts, welches ein Jahr darauf den
Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen
für straffrei erklärte .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie mal was zum Thema sagen?)


Oder werfen wir einen Blick in das Jahr 1976: Eine ver-
heiratete Frau musste von nun an ihren Arbeitsvertrag
nicht mehr von ihrem Mann genehmigen lassen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das eine Geschichtsstunde, oder was?)


Wenn wir heute zurückschauen, dann ist es doch un-
fassbar, für welche Selbstverständlichkeiten Frauen da-
mals harte Schlachten im Parlament schlagen mussten .
Genauso unfassbar ist es aber – das will ich hier einmal
betonen –, dass sich heute plötzlich eine Partei namens
Alternative für Deutschland anschickt, Forderungen zu
erheben nach einer Gesetzesverschärfung zum Schwan-
gerschaftsabbruch,


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll denn das jetzt?)


nach der Streichung der finanziellen Unterstützung für
Alleinerziehende, nach dem Verbot von Genderfor-
schung, und obendrein noch fordert, die sogenannten tra-
ditionellen Geschlechterrollen zu bewahren bzw . wieder
einzuführen .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit § 177 zu tun?)


Wenn das die Alternative für Deutschland sein soll, dann
kommen mir die Worte von Heinrich Heine in den Sinn:
„Denk ich an Deutschland in der Nacht …“ Nein, die-
se Rückwärtsgewandtheit, dieser nationalistische Mief,
eine Partei, die solch eine Vorstellung von Artikel 3 des
Grundgesetzes hat, hat in diesem Hohen Haus, in dem
Frauen für diese Errungenschaften gekämpft haben,
nichts, aber auch rein gar nichts zu suchen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da sind wir alle gemeinsam gefordert, liebe Kolleginnen
und Kollegen .

Halina Wawzyniak






(A) (C)



(B) (D)


Werfen wir einen Blick in das Jahr 1999, in ein rot-
grünes Regierungsjahr . Mit dem Aktionsplan zur Be-
kämpfung von Gewalt gegen Frauen legte die damalige
Bundesregierung unter Gerhard Schröder und Joschka
Fischer erstmals ein umfassendes Gesamtkonzept für
alle Ebenen der Gewaltbekämpfung, die Prävention, die
bessere Vernetzung von Hilfsangeboten für die Opfer,
rechtliche Maßnahmen wie dem Gewaltschutzgesetz
und eine stärkere Sensibilisierung der Öffentlichkeit vor .
Oder nehmen wir das Jahr 2001 mit dem Erlass des Ge-
waltschutzgesetzes,


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie auch eine Meinung zu § 177?)


mit dem der Gesetzgeber erstmals Sorge dafür trug, dass
Frauen vor allem vor Gewalt im privaten häuslichen Um-
feld geschützt wurden .

Aber auch das Jahr 1997 möchte ich nicht unerwähnt
lassen . Die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe
wurde in das Strafgesetzbuch aufgenommen . Unfassbar,
wie lange das gedauert hat und wie sich politisch dage-
gen gewehrt worden ist .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sieben Minuten sind gleich um!)


Noch unfassbarer ist allerdings, wer damals alles dage-
gengestimmt hat und heute immer noch politische Ver-
antwortung trägt .

Ich fasse zusammen: Viel zu lange und viel zu oft wur-
den Abwehrschlachten geschlagen, die nichts anderes
waren – das muss man bis zum heutigen Tag so deutlich
sagen – als Täterschutz .


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816113700

Herr Kollege Wiese, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Abgeordneten Gehring?


Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1816113800

Ja, selbstverständlich . Er ruft ja schon die ganze Zeit

dazwischen .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder er denkt, dass Sie da einmal zum Thema kommen!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816113900

Bitte schön, Herr Gehring .


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816114000

Für meine Zwischenfrage gibt es einen Grund: Viel-

leicht kann ich Sie damit unterstützen, Ihnen noch etwas
Redezeit zu geben, damit Sie auch zum aktuellen Gesetz-
entwurf endlich Stellung beziehen . Er scheint Ihnen ja
so peinlich zu sein, dass Sie hier einen sehr fundierten,
langen historischen Aufriss über die Errungenschaften

der feministischen Bewegung und vieler Frauen, die hier
dem Parlament angehört haben, bringen .


(Mechthild Rawert [SPD]: Das tut aber allen gut!)


Das tut gut, aber wir haben hier einen ganz konkreten
Gesetzentwurf, der weit hinter den Anforderungen des
„Nein ist ein Nein“ zurückbleibt .

Ich möchte dringend darum bitten, dass Sie jetzt zum
Thema sprechen, zu dem aktuellen Entwurf, zu dem
deutlich weiter gehenden Entwurf, den die Grünen heute
hier vorlegen . Die bisherigen Errungenschaften können
wir alle in der Parlamentsbibliothek nachlesen und uns
gemeinsam darüber freuen . Aber es ist jetzt ganz wichtig,
eine aktuell fundierte Regelung zu treffen und endlich
deutlich zu machen: Ein Nein heißt nein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1816114100

Lieber Kollege, ich freue mich über Ihre Anmerkung .

Ich kann Ihre Ungeduld an der einen oder anderen Stelle
vielleicht nachvollziehen . Allerdings ist es wichtig, noch
einmal deutlich zu machen – hier wiederhole ich den
letzten Absatz, den ich gesagt habe –: Viel zu lange und
viel zu oft wurden Abwehrschlachten geschlagen, die
nichts anderes waren – das muss man so deutlich sagen –
als Täterschutz .

Jetzt haben Sie bitte noch zwei Minuten Geduld, und
Ihre Ungeduld bekommen Sie dann in den Griff . Danke
schön .


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Recht auf se-
xuelle Selbstbestimmung gilt überall . Der Staat ist in
der Pflicht, es wirksam zu schützen und zu verteidigen,
auch mit dem Strafrecht . Gestern hat das Kabinett den
Gesetzentwurf zur Reform des Sexualstrafrechts von
Bundesminister Heiko Maas auf den Weg gebracht – ein
dringend benötigter Gesetzentwurf, der bestehende Re-
gelungslücken bei sexueller Nötigung und Vergewalti-
gung schließen wird . Im parlamentarischen Verfahren
wollen wir weitere Ergänzungen; denn oft werden sexu-
elle Attacken nicht strafrechtlich geahndet, weil die der-
zeitige Rechtslage einen sexuellen Übergriff von einiger
Erheblichkeit erfordert. Diese Hürde ist unklar definiert,
und die Praxis zeigt: zu hoch . Deshalb werden wir hier
unter anderem ansetzen .

Allerdings – das muss ich auch betonen – hätten wir
heute schon den Gesetzgebungsprozess möglicherwei-
se abschließen können . Doch wir haben sechs Monate
verschenkt, da das Bundeskanzleramt trotz Mahnung
und Unverständnis aus allen Fraktionen die Auffassung
vertrat, dass der Gesetzentwurf zu weit ging . Erst auf
massiven Druck der SPD-Bundestagsfraktion, aber auch
von Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen unseres
Koalitionspartners wurde er dann schließlich zum Jah-
resende freigegeben . Das möchte ich hier noch einmal
in Erinnerung rufen . Der jetzt vom Bundesjustizminister

Dirk Wiese






(A) (C)



(B) (D)


Heiko Maas – ich bedanke mich ausdrücklich für seine
Beharrlichkeit und sein Nichtlockerlassen –


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


vorgelegte Gesetzentwurf beinhaltet ein Kernanliegen:


(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Sie haben lange dazu gebraucht, ihn zu gewinnen, Herr Kollege!)


den klaren und lückenlosen Schutz von Frauen vor se-
xueller Gewalt und sexuellen Übergriffen . Aufgrund der
eingangs von mir genannten Fallzahlen muss es ein zen-
trales Anliegen des Gesetzgebers sein, hier den besten
strafrechtlichen Schutz zu gewährleisten, indem beste-
hende Regelungslücken umfassend geschlossen werden
und Täter nicht straflos davonkommen. Genau dieses
Ziel werden wir jetzt angehen . Von nun an verteidigen
wir hier im Plenum nicht mehr die Täter, sondern wir
schützen die Opfer .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist reiner Wahlkampf! Das ist das Allerletzte! Es ist unglaublich!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816114200

Vielen Dank . – Das Wort hat jetzt die Kollegin Sylvia

Pantel, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sylvia Pantel (CDU):
Rede ID: ID1816114300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ver-
gewaltigungen gehören zu den niederträchtigsten Strafta-
ten, die wir uns vorstellen können . Eine Vergewaltigung
zwingt in der Regel die Frau, etwas Abscheuliches über
sich ergehen lassen zu müssen . Eine Vergewaltigung de-
mütigt sie . Eine Vergewaltigung soll den Willen einer
Frau brechen . Es ist der grausame Versuch, dem Opfer
seine Würde zu nehmen . Eine der tragischsten Seiten ist:
Eine Vergewaltigung hinterlässt Wunden, die nie wieder
verheilen . Es sind diese schrecklichen Bilder im Kopf,
die jeden hier im Saal beim Gedanken daran erschauern
lassen – beim Gedanken daran, dass dies eine Mutter,
eine Schwester, eine Tochter, eine Ehefrau oder Freundin
erleben müsste .

Ich will an dieser Stelle keineswegs verschweigen,
dass auch Männer Opfer sexueller Gewalt werden kön-
nen . Auch wenn die Dunkelziffer bei Sexualdelikten
gegen Männer wahrscheinlich ebenfalls hoch sein wird,
sind es doch überwiegend Frauen, die Opfer werden .

Zwei wesentliche Punkte müssen wir an unserem Se-
xualstrafrecht verbessern . Wir sind gerade am Anfang der
Debatte . Es ist nicht so – wie Sie gerade den Anschein
erwecken wollten –, als wenn wir nichts verändern und
auch über nichts reden wollten .

Erstens . Wir müssen dafür sorgen, dass der Tatbestand
einer Vergewaltigung nicht erst dann vorliegt, wenn sich
eine Frau mit Händen und Füßen gewehrt und der Ver-

gewaltiger sie mit Gewalt zum Sex gezwungen hat; da
sind wir uns einig. Zu oft schon kamen Täter straflos da-
von, weil sich ihre Opfer aus Angst und Panik wehrlos im
Schock befanden und sich eben nicht körperlich wehren
konnten . Wenn eine Frau um ihr Leben fürchtete, deshalb
eine Vergewaltigung über sich ergehen ließ und der Tä-
ter dann straflos davonkam, wurde sie dann nicht gleich
zweimal zum Opfer? Was nützt uns das Strafrecht, wenn
zum Beispiel eine Mutter aus Angst vor den Konsequen-
zen für ihre Kinder wieder und wieder eine Vergewalti-
gung über sich ergehen lässt? Wo ist der Schutz, den wir
als Gesellschaft hier bieten müssen?

Zweitens müssen wir dafür sorgen, dass auch die se-
xuelle Nötigung im Strafrecht präzise das umfasst, was
wir bestrafen wollen . Der Griff in den Intimbereich muss
genauso strafbewehrt sein wie sexuelle Übergriffe aus
dem Schutz einer Gruppe heraus .


(Beifall bei der CDU/CSU und SPD)


Für uns ist ganz klar: Nein heißt nein .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das Problem bei jeder Gesetzgebung zu diesem The-
ma ist, dass wir vor einer schwierigen Abwägung stehen .
Jede Anbahnung einer körperlichen Beziehung hat Mo-
mente der Ungewissheit: Will er, dass ich ihn fest in den
Arm nehme? Will sie, dass ich sie jetzt küsse? – Stellen
Sie sich vor, der impulsive Abschiedskuss bei einer ers-
ten Verabredung würde den Tatbestand einer sexuellen
Nötigung erfüllen! Es klingt absurd, aber so kann es
missverstanden werden .

Der falsche Vorwurf einer Vergewaltigung kann ein
Leben zerstören .


(Mechthild Rawert [SPD]: Eine Vergewaltigung auch!)


Es ist wichtig, ein Gesetz zu schaffen, das Rechtssicher-
heit schafft – und keine Verunsicherung . Am Ende wird
all das, was wir im Bundestag in ein Gesetz gegossen
haben, der Alltagspraxis bei Staatsanwaltschaften und
Gerichten standhalten müssen . Daher ist es wichtig, ei-
nen gesetzlichen Rahmen zu haben, der klug und gewis-
senhaft ausbalanciert ist .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816114400

Frau Kollegin Pantel, gestatten Sie eine Zwischenfra-

ge des Kollegen Fechner?


Sylvia Pantel (CDU):
Rede ID: ID1816114500

Ja .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816114600

Bitte schön .


Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1816114700

Frau Kollegin Pantel, vielen Dank, dass Sie die Frage

zulassen . – Ich habe eine Zwischenfrage, weil ich jetzt
doch den Eindruck gewinne, die CDU/CSU-Fraktion
wäre für die „Nein heißt nein“-Lösung . In der Frank­
furter Allgemeinen Zeitung vom 12 . Januar 2016 wird

Dirk Wiese






(A) (C)



(B) (D)


das Büro des stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/
CSU-Fraktion, Herrn Strobl, zitiert – es deckt sich mit
den Antworten, die ich von ihm bekommen habe –: Die
Formulierung in der „Mainzer Erklärung“, die auf ein
„Nein heißt nein“ hindeutet, sei nicht rechtstechnisch zu
verstehen, sondern nur eine „griffige Formulierung“, die
aber nicht wortwörtlich zu nehmen sei . – Was gilt denn
jetzt? Was wollen Sie konkret?


Sylvia Pantel (CDU):
Rede ID: ID1816114800

Es gilt das, was unsere Fraktion hinterher ausgearbei-

tet hat: wie rechtsfest, rechtssicher und beweisfest dieses
„Nein heißt nein“ sein kann .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie jetzt auch etwas ausgearbeitet? Das kennen wir ja noch gar nicht!)


– Davon sprach ich gerade . Ich wurde jetzt auf den Zei-
tungsartikel angesprochen . – Für uns heißt ein Nein nein .
Es ist aber so, dass man dieses Nein beweisen können
muss . Ich habe gerade versucht, es auszuführen: Man
muss, wenn in einer bestimmten Situation im Intimbe-
reich nicht klar war, dass für den, der übergriffig wurde,
das Nein zu erkennen war, diesen Umstand beweisen .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss man immer beweisen! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Was heißt denn bei Ihnen „erkennbar“? Erkennbar ist erkennbar!)


– Erkennbar für wen? Erkennbar für den, der sich in der
Rolle fühlte oder der das vermeintliche Opfer war oder
nicht .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie jetzt die Täter schützen, oder was?)


Insofern muss man hier verschiedene Punkte klären .
Wenn wir am Ende unserer Klärung sind, dann – davon
bin ich überzeugt – werden wir eine Verbesserung der
Situation herbeiführen können .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816114900

Lassen Sie auch eine Zwischenfrage der Kollegin

Wawzyniak zu?


Sylvia Pantel (CDU):
Rede ID: ID1816115000

Ja klar .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816115100

Bitte schön .


Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816115200

Ich habe eine ganz einfache Frage . Sie haben gesagt:

Ein Nein muss auch erkennbar sein . Was ist denn an ei-
nem Nein nicht zu verstehen?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Es könnte nicht ernst gemeint sein!)



Sylvia Pantel (CDU):
Rede ID: ID1816115300

Angenommen, ich werde überrumpelt, und meine ge-

samte körperliche Haltung zeigt, dass ich das nicht will .
Ich bin aber so geschockt, dass ich nicht antworten kann .
Dann würde ich das auch als Nein werten . Ob der Richter
das dann hinterher aufgrund bestimmter Positionen als
Nein wertet, ist eine andere Sache .

Kollege Hoffmann hat doch eben einen Fall geschil-
dert,


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jetzt kommen Sie nicht mit der Frau, die die Kontrolle verloren hat!)


dass die Frau am Anfang des Abends Nein gesagt hat,
aber hinterher sich etwas anderes entwickelt, und dann
ist es kein Nein mehr .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil sie die Kontrolle verloren hat! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Weil sie die Kontrolle verloren hat! – Gegenruf des Abg . Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Was ist denn da so lächerlich? Sie tun so, als gäbe es diese Frage nicht! – Mechthild Rawert [SPD]: Beide haben die Kontrolle verloren!)


– Wir sind erst am Anfang, das ordentlich zu beantwor-
ten . Wir hoffen, so viele Grenzfälle wie möglich gesetz-
lich zu regeln . Wir werden das sehen .

Die bisherige Gesetzgebung zu § 177 des Strafgesetz-
buchs muss überarbeitet werden; darüber sind wir uns
im Klaren . Deshalb wird die Regierungskoalition einen
entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen, in dem die ge-
nannten Probleme klug abgewogen werden .

Als Familienpolitikerin ist es mir aber auch wichtig –
auch wenn Sie das eventuell wieder lächerlich finden –,
dass wir unser Augenmerk nicht nur auf das Strafrecht
legen . Vielmehr sind auch Prävention, Schutz und Hilfe
nötig . Prävention heißt, dass wir jungen Menschen klar
und deutlich zu verstehen geben, dass Frauen kein Frei-
wild, dass Frauen keine Ware sind . Körperlichkeit ist et-
was Intimes, Körperlichkeit ist etwas Schützenswertes .
Dies zu vermitteln, ist unsere gesamtgesellschaftliche
Aufgabe . Dieser Aufgabe gilt es nachzukommen, ganz
gleich, ob wir uns an Zuwanderer, Flüchtlinge, Erwach-
sene oder Jugendliche aus deutschen Familien richten .

Wir müssen uns auch überlegen, ob sämtliche Ent-
wicklungen in der Gesellschaft in die richtige Rich-
tung gehen . Ich will keineswegs in die Sexualmoral der
50er-Jahre zurück; auch wenn Sie eben den Anschein er-
wecken wollten, dass wir nur gewisse Klischees bedien-
ten . Wir sollten uns aber fragen, ob eine Überhöhung des
Sexuellen nicht ebenfalls Teil des Problems ist . Müssen
wir schon in der Grundschule Sexualität und Geschlecht-
lichkeit besonders hervorheben? Müssen schon in der
Unterstufe so viele Sexpraktiken auf dem Lehrplan ste-

Dr. Johannes Fechner






(A) (C)



(B) (D)


hen, dass es womöglich zu einem Wettlauf um die kras-
sesten Sexualerfahrungen kommt?


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte?)


Wird durch so etwas nicht auch gefördert, dass Frauen zu
Sexobjekten degradiert werden, und somit einer Verro-
hung der Gesellschaft Vorschub geleistet?


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sexualaufklärung sorgt für Verrohung? Ich glaube, es hakt! – Gegenruf von der CDU/ CSU: Genau zuhören!)


– Zwischen Aufklärung und Praktiken – Sie müssen ge-
nau hinschauen – besteht ein Riesenunterschied, und ich
habe von Sexualpraktiken und nicht von Aufklärung ge-
sprochen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist jetzt alles nicht mehr wahr, oder?)


Es geht um Privatheit, um die Grenzen des persönli-
chen Schutzbereiches eines Menschen . Wir als Gesell-
schaft müssen deutlich machen, dass zu einem guten
menschlichen Umgang miteinander der Respekt vor den
Grenzen des anderen gehört . Nein heißt eben Nein .

Jede Frau und jeder Mann bestimmt selbst über den
eigenen Körper . Prävention gegen sexuelle Gewalt heißt
jedoch nicht, dass wir jetzt wieder für Millionen Euro
neue Programme aus der Taufe heben müssen . Es heißt,
dass wir Vorbilder sind, dass wir als Eltern unsere Kinder
so erziehen, dass sie die Grenzen anderer respektieren .
Das heißt auch, dass wir im Alltag Zivilcourage zeigen .
Das beginnt im Freundes- und Kollegenkreis, das gilt in
der Kneipe und im Schwimmbad, wenn wir erleben, dass
unangemessene Sprüche gemacht und Anmachversuche
unternommen werden . Hier sollten wir einschreiten und
eben nicht wegschauen .

Schutz und Hilfe müssen wir den Opfern zukommen
lassen . Der Bund hat durch seine Angebote wie das Hil-
fetelefon „Gewalt gegen Frauen“ einen wichtigen Bei-
trag geleistet . Die Aufgabe der Länder ist es, die Frauen-
häuser finanziell ausreichend auszustatten.


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau da ducken Sie sich weg!)


All diese Maßnahmen gehören zusammen . Genau des-
halb werden wir einen Gesetzentwurf vorlegen, der klug
und gewissenhaft ausbalanciert ist .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Nach dieser Rede habe ich Zweifel! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind leere Versprechungen, Frau Kollegin! Das wissen Sie genau!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816115400

Vielen Dank . – Als letzte Rednerin zu diesem Tages-

ordnungspunkt hat jetzt die Kollegin Mechthild Rawert,
SPD-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1816115500

Ich möchte anfangen mit der Rolle der Eltern . In

Vorbereitung auf das Gespräch hier habe ich mich mit
Jugendverbänden in Verbindung gesetzt und gefragt, ob
die Jugendverbände zum Beispiel eine Positionierung
zu den Ereignissen in Köln erstellt haben . Sie arbeiten
noch daran . Sie haben aber auch gesagt, bei der Jugend-
verbandsarbeit sei es von Bedeutung und selbstverständ-
lich, dass zum Beispiel Frauen im Kontext von Werbung
kein Objekt der Verfügbarkeit seien . Sie haben aber de-
zidiert nicht eine Haltung vertreten, wie sie einige aus
Baden-Württemberg vertreten, zum Beispiel klerikale
Vertreter, die dezidiert gegen Sexualaufklärung in der
Schule auftreten .

Doch zum Thema . Einige, die mich kennen, wissen,
dass ich für „Nein heißt nein“ bin, und wir führen diese
Diskussion auch in meiner Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich sage dies auch vor diesem Hintergrund: Ich bin Mit-
glied des Europarates, von Ihnen allen entsandt, wie auch
die anderen Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktionen .
Es ist unsere Aufgabe, für die Istanbul-Konvention zu
kämpfen, zumal ich auch noch die Kampagnenbeauftrag-
te für Deutschland des Netzwerkes „Gewaltfreies Leben
für Frauen“ des Europarates bin . Deswegen bin ich bei
bestimmten Dingen misstrauisch .

1972 ist der Dreizehnte Abschnitt – wie heißt der
noch? –, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestim-
mung, eingeführt worden . Es hat dann aber 25 Jahre ge-
dauert, bis 1997 die Vergewaltigung in der Ehe strafbe-
wehrt wurde .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir heute schon einmal gehört!)


Jetzt, 19 Jahre später, sollten wir hier alle den Mut haben,
tatsächlich das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und
das Recht auf sexuelle Integrität umzusetzen und zu sa-
gen: Nein heißt nein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Herrn Hoffmann hatte ich am Anfang erfreulicherwei-
se so verstanden, als wären wir einer Meinung . Hinterher
war ich mir nicht mehr ganz so sicher, ob ich das richtig
verstanden hatte .


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Kann passieren!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816115600

Frau Kollegin Rawert, gestatten Sie eine Zwischenfra-

ge der Kollegin Winkelmeier-Becker?

Sylvia Pantel






(A) (C)



(B) (D)



Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1816115700

Ja, gerne .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816115800

Bitte schön .


Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1816115900

Mich würde interessieren, was Sie dazu sagen, dass

das Ministerium zunächst davon ausgegangen ist, dass
die Reformen zum Thema Kinderpornografie ausreichen,
um die Istanbul-Konvention zu erfüllen, und dass das
Ministerium zunächst keinen weiteren Handelsbedarf
gesehen hat .


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1816116000

Der Dreizehnte Abschnitt des Strafgesetzbuches um-

fasst die unterschiedlichen Bereiche der sexuellen Selbst-
bestimmung . Der Antrag hier bezieht sich auf § 177 und
§ 179 und auf die Klärung der Frage der Erheblichkeits- –
Ich bin keine Juristin . Wie heißt das weiter?


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 184!)


– Ja, das weiß ich, aber wie heißt der Begriff? – Also,
irgendetwas muss erheblich sein .


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Erheblichkeitserfordernis . In jedem Fall sollte in der
Reformkommission alles geklärt werden, damit dieser
gesamte Paragraf in den unterschiedlichsten Bereichen
verändert wird .

Wir haben neben der Istanbul-Konvention noch die
Lanzerote-Konvention . Dazu hat es bereits Beschlüsse
gegeben, die sind aber jetzt nicht Gegenstand dieser Dis-
kussion .

Zurück zur Istanbul-Konvention . In den verschiede-
nen Bundesländern gibt es schon gute Modellprogram-
me, die durchgeführt wurden und werden . Das sage ich,
weil Sie sich Sorgen darüber gemacht haben, dass die
Beweiskraft nicht dargestellt werde . In Niedersachsen
gibt es das Modellprojekt Netzwerk „ProBeweis“ . Hier
in Berlin gibt es ausgesprochen gute Beratungsstellen
und Gewaltschutzambulanzen . Wir haben die Polizei
geschult und sensibilisiert . Infolgedessen muss niemand
Angst haben, dass Frauen – ich mag es fast nicht wieder-
holen – die Kontrolle verlieren und es plötzlich zum Ge-
schlechtsverkehr kommt; denn das ist nicht das, worüber
wir hier diskutieren .

Wir diskutieren aber auch über die Angst vieler, dass nach
Logik der Kritiker die Gesellschaft nicht durch die kri-
minelle sexuelle Handlung, sondern durch ihre gerechte
Strafe erschüttert wird . Das wollen die Frauen nicht .


(Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Läuft die Uhr schon wieder?)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816116100

Wir gehen davon aus, dass die Frage jetzt beantwortet

ist, ja?


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1816116200

Ja .


(Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Beantwortet ist sie nicht, aber ich darf mich setzen!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816116300

Okay, danke . Dann darf die Frau Kollegin

Winkelmeier-Becker sich wieder setzen, und die Frau
Rawert fährt in ihrer Rede fort . – Jetzt möchte aber der
Kollege Hoffmann etwas fragen .


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1816116400

Ja, gerne .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Offene Koalitionsgespräche! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Könnt ihr eure Koalitionsgespräche nicht woanders führen?)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816116500

Hier hat jeder das Recht, eine Frage zu stellen . – Bitte

schön, Herr Kollege .


Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1816116600

Danke . – Frau Kollegin Rawert, ich bin sehr dankbar,

dass Sie die Frage zulassen . Ich wollte das nämlich etwas
konkretisieren . Vielleicht hat die Kollegin Winkelmeier-
Becker die Frage so formuliert, dass Sie sie nicht wirklich
verstanden haben . Deswegen will ich einmal nachfassen .

Die Chronologie ist ja wie folgt: Am 7 . April 2014 gab
es eine Rückmeldung aus dem Bundesjustizministerium,
ich nehme an, getragen vom Bundesjustizminister . Darin
kam der Satz vor, dass man bezüglich § 177 StGB keinen
Handlungsbedarf sehe . Das war im April . Dann sind Mo-
nate vergangen . Es gab eine öffentliche Diskussion, an
der auch wir uns beteiligt haben . Im Herbst gab es dann
einen Schwenk . In der Zwischenzeit gab es Berichte über
Gespräche, auch mit SPD-Ministerinnen, in denen der
Minister mit Hinweis auf den fehlenden Handlungsbe-
darf unter Umständen gesagt haben soll, dass man das
„zu weiblich“ sehe . Mich würde jetzt schon einmal inte-
ressieren: Woher kam denn dann der Schwenk?

Diese Frage formuliere ich mit Blick auf einen zwei-
ten Problemkreis, der heute im Mittelpunkt steht: Wir ha-
ben einen Referentenentwurf, den bislang eigentlich nur
die Kollegen der Union hier verteidigt haben . Die SPD
hat diesbezüglich zur Sache noch gar nichts gesagt .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Nein! Der ist super! Hervorragend!)


Hoffen Sie, dass wir auch noch einen Schwenk hinbe-
kommen und wir in diesem Referentenentwurf, der im
Augenblick auf dem Tisch liegt, das Prinzip „Nein heißt
nein“ noch deutlicher herausarbeiten können, was wir
uns sehr wünschen?






(A) (C)



(B) (D)



Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1816116700


Fangen wir mit dem Letzten an . Es gibt mittlerweile
den Kabinettsentwurf, der allen zugänglich ist, zumindest
über das Internet . Es ist vereinbart – das ist Ihnen ja auch
bekannt –, dass gerade beim Thema „Grabscherei“ – Sie
haben es erwähnt – im parlamentarischen Verfahren auf
jeden Fall nachgebessert wird . „Nein heißt nein“ heißt
aber mehr, als nur einzelne Schutzlücken zu schließen .
Wir haben, um die Istanbul-Konvention umzusetzen,
diesen Kabinettsentwurf im parlamentarischen Verfahren
anzureichern . Das ist unsere Herausforderung .

Ich weiß, dass zum Beispiel auch für Frau Widmann-
Mauz – sie hat sich gestern in der Presse entsprechend
zitieren lassen – die sexuelle Selbstbestimmung der Frau
nicht verhandelbar ist . Auch sie steht klar für „Nein ist
nein“ und für eine weiter gehende Anreicherung des Ka-
binettsentwurfs bezüglich der sexuellen Belästigung . Sie
möchte noch mehr . Ich würde da sehr gerne sehr eng mit
ihr kooperieren . – Ja .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben immer wieder die unterschiedlichsten Be-
grifflichkeiten benutzt. Das ist für Juristinnen und Ju-
risten vielleicht einfach, für Laiinnen und Laien jedoch
nicht so einfach zu verstehen . Wir reden von sexuellem
Übergriff, sexueller Nötigung, sexueller Belästigung, se-
xuellem Missbrauch, sexueller Beleidigung, Vergewalti-
gung, und über § 184 h StGB gibt es die Anforderung
der Erheblichkeit . Was wir brauchen – das ist unsere Ver-
antwortung als Parlamentarierinnen –, ist aber eine klare
und eindeutige Botschaft . Wir dürfen nicht nur über mehr
Ausnahmen reden, sondern müssen auch klar und deut-
lich sagen, und zwar jedem, egal ob Mann oder Frau, ob
eingewandert, zugewandert, einheimisch oder geflüchtet,
dass es einen lückenlosen Schutz vor sexualisierter Ge-
walt gibt, und auch egal ob diese im öffentlichen oder im
häuslichen Umfeld passiert .

Dieser Gesetzentwurf – Sie haben es erwähnt – betrifft
mehrere Gruppen: Die meisten Opfer sind Frauen . Aber
auch Männer können Opfer werden . Der Gesetzentwurf
ist auch an die transgeschlechtlichen und intergeschlecht-
lichen Menschen adressiert . Ich denke, sie müssen de-
zidiert gesehen werden, weil wir auch für ihren Schutz
Verantwortung tragen .

Jede und jeder hat das Recht und die Pflicht – dazu
fordert uns der Gleichstellungsauftrag unseres Grund-
gesetzes neben der völkerrechtlichen Verpflichtung der
Istanbul-Konvention auf –, dafür Sorge zu tragen, dass
niemand Angst haben muss, sich irgendwo frei zu bewe-
gen . Das ist, denke ich, einer der Prüfsteine, mit dem wir
das Thema jetzt angehen müssen . Denn es muss Schluss
sein mit der Straflosigkeit von Verbrechen gegen die se-
xuelle Selbstbestimmung .

Das hat politisch – dessen bin ich mir sehr bewusst –
eine hohe Symbolkraft, zum einen für uns Ältere, zum
anderen aber noch mehr für die jungen Frauen und Män-
ner, die davon ausgehen und darauf vertrauen, dass sie in
einer partnerschaftlichen Beziehung leben .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816116800

Frau Kollegin .


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1816116900

Niemand von uns könnte den Töchtern, Nichten oder

deren Freundinnen erklären, dass – Entschuldigung, ich
zitiere Sie – die Mädchen letztendlich –


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816117000

Frau Kollegin Rawert, Sie hatten jetzt schon fast die

doppelte Redezeit .


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1816117100

– ja, sofort – die Kontrolle verlieren und daher an-

greifbarer sind als die jungen Männer . Diese Partner-
schaftlichkeit muss umgesetzt werden . Wir müssen dazu
gemeinsam die Istanbul-Konvention umsetzen .

Danke .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816117200

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kollegin Keul

hat eine Kurzintervention beantragt . Ich muss nur sagen:
Ich hatte keine Zwischenfrage mehr zugelassen . Wir hat-
ten wirklich ausreichend Zeit, über das Thema zu dis-
kutieren, auch über Zwischenfragen . Der Gesetzentwurf,
über den hier jetzt diskutiert werden soll, ist noch nicht
eingebracht; er liegt hier noch nicht auf dem Tisch . Aber,
bitte schön . Ich bitte darum, das jetzt in der angemesse-
nen Kürze zu machen .


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816117300

Ich bitte um Entschuldigung, Frau Präsidentin, aber

der Entwurf liegt seit über einem halben Jahr auf dem
Tisch . Den haben wir eingebracht . Deswegen haben wir
ja die Debatte hier heute .

Ich habe, weil Sie sagen, dass wir das gemeinsam
voranbringen wollen, in Ihrer Rede darauf gewartet, ob
Sie den Termin 30 . Mai noch einmal wiederholen, den
Sie vorhin bei meiner Rede dazwischengerufen haben .
Können Sie hier bestätigen, dass die Anhörung jetzt von
Ihnen für den 30 . Mai vorgesehen ist?


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1816117400

Das ist der Termin, den ich gelesen habe . Sie selber

müssen ihn ja als Ausschuss beschließen .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Das ist ein Vorschlag! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kenne den Vorschlag nicht!)


Infolgedessen sage ich: Ich vertraue dieser glaubwürdi-
gen Quelle, aus der ich es habe . Beschließen müssen Sie
es aber als zuständiger Ausschuss .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816117500

Angesichts der fortgeschrittenen Zeit würde ich emp-

fehlen, dass sich die Geschäftsführer und Geschäftsfüh-






(A) (C)



(B) (D)


rerinnen über diese Terminierung unterhalten und dann
die Fraktionen informieren .

Ich schließe jetzt die Aussprache zu diesem Thema .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD

Innovative Arbeitsforschung für eine Huma-
nisierung unserer Arbeitswelt und mehr Be-
schäftigung

Drucksachen 18/7363, 18/7871

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozi-
ales (11 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Sabine
Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Junge Beschäftigte vor prekärer Arbeit schüt-
zen

Drucksachen 18/6362, 18/6951

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich sehe hier
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen und die Gesprä-
che draußen weiterzuführen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Dr . Stefan Kaufmann, CDU/CSU-Fraktion . Bitte schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Stefan Kaufmann (CDU):
Rede ID: ID1816117600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Es gibt nach dem Sonntag
sicherlich Themen, die Sie aus meinem Mund noch
mehr interessieren würden als das Thema, über das wir
heute debattieren . Aber es geht heute in der Tat um die
Arbeitsforschung . Als ich im Dezember 2009 hier im
Hohen Haus meine erste Rede gehalten habe, sah es im
Plenum noch ganz anders aus . Kaum jemand hatte ein
Smart phone oder ein Tablet vor sich, mit dem er oder
sie ständig, auch während der Debatten oder Ausschuss-
sitzungen, erreichbar oder sogar arbeitsfähig gewesen
wäre . Stattdessen gab es bei Ihnen auf den Tischen Un-
terschriftsmappen, Pressespiegel usw . In Echtzeit Mails,
Pressemitteilungen oder Briefentwürfe zusammen mit
dem Büro zu bearbeiten, das konnte sich noch niemand
vorstellen und hat auch noch niemand gemacht . So ko-
misch es heutzutage klingt: Das Ganze ist erst sieben
Jahre her . Alle industrialisierten Staaten dieser Welt, auch
Deutschland, befinden sich also in einem tiefgreifenden
Wandel des Industrialismus . Globalisierung und Digitali-
sierung verändern unsere Arbeitswelt und damit auch die
Arbeitsforschung . Dieser Wandel betrifft jede Form von
Arbeit, auch die unsere, liebe Kolleginnen und Kollegen .

Ein anderes sehr drastisches Beispiel dafür, wie nach-
haltig sich die Arbeitswelt durch Digitalisierung verän-
dern kann, ist Japan . Morgen Vormittag debattieren wir
hier im Haus den Entwurf eines Gesetzes zur Reform der
Pflegeberufe. Wir diskutieren über dieses Thema vor al-
lem vor dem Hintergrund des demografischen Wandels
und des zunehmenden Fachkräftemangels im Pflegebe-
reich in Deutschland . In Japan aber – ich war im Oktober
letzten Jahres dort – diskutiert man über dieses Thema
völlig anders. Man setzt statt auf Pflegepersonal vorran-
gig auf Digitalisierung und technischen Fortschritt .

Japan steht vor einem demografischen Wandel, der
noch viel dramatischer ist als der in Deutschland . Die
Bevölkerungszahl soll nach Prognosen bis 2050 von
130 Millionen auf 100 Millionen Menschen absinken .
Nun setzt Japan nicht auf eine aktive Familienpolitik
oder gar auf Einwanderung, sondern ganz massiv auf
Robotik . Immer menschlicher werdende Roboter sollen
alte Leute pflegen, im Haushalt helfen oder Seniorinnen
und Senioren als Begleiter mit menschlichem Antlitz zur
Seite stehen . Dieser aus unserer Sicht durchaus befremd-
liche Ansatz wird dort mit großem Aufwand – auch mit
großem Forschungsaufwand – vorangetrieben . Dieses
Beispiel dafür, wie sich die Arbeitswelt – in diesem Fall
in Japan – dramatisch und sehr schnell durch die Digi-
talisierung verändern kann, ist, glaube ich, sehr signifi-
kant . Um diesen Veränderungen zu begegnen und dafür
gewappnet zu sein, brauchen wir, meine sehr verehrten
Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
eine starke Arbeitsforschung .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dementsprechend hatte die Regierungskoalition im
Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir in enger Abstim-
mung mit den Sozialpartnern die Arbeits-, Produktions-
und Dienstleistungsforschung stärken und hierzu auch
ein neues Förderprogramm auflegen. Es soll insbesonde-
re zur Sicherung einer hohen Beschäftigungsquote und
zur Humanisierung der Arbeitswelt beitragen .

Genau darum geht es in unserem Antrag, den wir heu-
te unter anderem debattieren . Darum geht es auch in dem
Arbeitsforschungsprogramm, das die Bundesregierung
aufgelegt hat . Für dieses Programm, überschrieben mit
„Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Ar-
beit von morgen“, sind bis 2020 insgesamt etwa 1 Milli-
arde Euro vorgesehen . Das ist nicht gekleckert, sondern
geklotzt . Es zeigt auch die Bedeutung, die wir und dieses
Haus diesem Thema beimessen .

Lassen Sie mich noch zwei wichtige Punkte zu diesem
Programm ergänzen:

Erstens . Es geht beim Thema Arbeitsforschung nicht
nur um Arbeitnehmerrechte und eine Humanisierung un-
serer Arbeitswelt, sondern auch, wie der Titel des Pro-
gramms schon sagt, um Innovationsfähigkeit . Deshalb ist
dieses Arbeitsforschungsprogramm auch Teil der High-
tech-Strategie und damit ein wichtiger Beitrag, um unse-
re Wettbewerbsfähigkeit weltweit zu stärken . Denn nur
mit zukunftsfähigen, digitalisierten Arbeitsplätzen wird
unser Wirtschaftsstandort weiterhin stark bleiben . Des-
halb sind in unserem Antrag ausdrücklich und prominent
auch die Themen „Industrie 4 .0“ und „Wirtschaft 4 .0“

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


sowie die Bedeutung der Veränderungen der Arbeitswelt
in diesem Bereich adressiert .

Zweitens . Die Frage der Arbeitsforschung sollte hin-
sichtlich der Wettbewerbsfähigkeit europäisch angegan-
gen werden; auch das ist uns wichtig und kommt in die-
sem Antrag zum Ausdruck . Denn schließlich haben wir
mit „Horizon 2020“ den nach wie vor größten jemals da-
gewesenen Etat für Forschungsförderung auf EU-Ebene .
Auch für dieses wichtige Thema muss dort, auf EU-Ebe-
ne, Geld da sein .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt,
dass wir mit den von mir genannten Punkten – erstens In-
novationsfähigkeit durch die Arbeitsforschung, zweitens
Berücksichtigung von Industrie und Wirtschaft 4 .0 und
drittens einer Gesamtausstattung des neuen Arbeitsfor-
schungsprogramms von 1 Milliarde Euro – international
sehr gut aufgestellt sind .


(Beifall des Abg . Willi Brase [SPD])


Deshalb blicken wir durchaus mit etwas Stolz auf dieses
Zukunftsprogramm . Ich darf Ihnen allen danken, dass Sie
dieses Programm mittragen .

Zum Schluss noch ein Wort des Dankes an dich, lieber
Kollege René Röspel, für die gute und konstruktive Zu-
sammenarbeit bei der Erarbeitung dieses Antrags .


(René Röspel [SPD]: Immer gerne!)


Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816117700

Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist die Kollegin

Jutta Krellmann, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816117800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! 1 Milliarde Euro wollen Union und SPD für
die Erforschung der Arbeitswelt bis 2020 auf den Tisch
legen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Das ist ja auch klug!)


Die Humanisierung der Arbeitswelt soll erforscht wer-
den . Dabei wird die Digitalisierung besonders in den
Blick genommen .


(Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Was auch klug ist!)


Das ist klasse; das gab es zuletzt in den 80er-Jahren .
Dem damaligen Programm verdanken wir zum Beispiel
eine verstärkte Diskussion über Lärmschutz und Grup-
penarbeit als Form der Arbeitsorganisation in den Betrie-
ben . – So weit, so gut .

Aus meiner Erfahrung als Gewerkschafterin kann ich
mich aber daran erinnern, was auf Druck der Arbeitgeber

seinerzeit politisch nicht umgesetzt wurde, zum Beispiel
die Mitbestimmung der Beschäftigten über ihren Arbeits-
platz und ihre Arbeitsorganisation . So weit ging die So-
zialpartnerschaft schon damals nicht; denn immer wenn
Unternehmer glauben, dass jemand in ihre unternehme-
rische Freiheit und Verfügungsgewalt eingreift, kommt
ein klares Nein, und danach passiert dann politisch nichts
mehr . Das kritisieren die Gewerkschaften bis heute .

Das aktuell geplante Forschungsvorhaben der Bun-
desregierung wird sich also daran messen lassen müssen,
ob zentrale Ergebnisse diesmal umgesetzt werden . Ich
muss aber ehrlich sagen: Daran habe ich meine Zweifel .

Die Arbeitgeberverbände haben ihre Vision zur Arbeit
der Zukunft längst auf den Tisch gelegt . Auf dem Spiel
stehen mal wieder Arbeitnehmerschutzrechte, wie der
Kündigungsschutz, aber auch der Achtstundentag und
das Renteneintrittsalter . Wenn das so kommt, dann zah-
len die Beschäftigten mal wieder die Zeche der ganzen
Sache .

Die jungen Menschen, die heute ihren Start ins Be-
rufsleben haben, sind die Generation, die ihr Leben in ei-
ner neuen digitalen Welt gestalten muss . Wie sehen deren
Zukunft und heutige Situation schon aus? Zum Einstieg
in den Arbeitsmarkt werden gerade junge Menschen bis
25 Jahre mit einer Menge prekärer Arbeitsbedingungen
konfrontiert, denen sie ausgesetzt sind . Jeder Vierte be-
kommt nur einen befristeten Arbeitsplatz oder einen Mi-
nijob, und fast die Hälfte arbeitet im Niedriglohnbereich .

Wie prekär und besorgniserregend die Situation junger
Menschen ist, können wir also schon heute sehen . Dazu
brauchen wir eigentlich kein Forschungsprogramm .


(Beifall bei der LINKEN)


Diese Menschen können schon heute von ihrer Arbeit
nicht mehr leben, und Sie schauen einfach zu, obwohl
Sie das alles schon wissen . Deswegen stellt sich für uns
eine völlig andere Frage: Wird der digitale Wandel zu ei-
ner weiteren Verschärfung der bereits existierenden Pro-
bleme und Belastungen von Beschäftigten führen oder
nicht?

Es gibt schon heute zu viele Ausnahmen von der Re-
gel . Deswegen befürchte ich, dass die Bundesregierung
die Forschungsergebnisse, durch die die Arbeitnehmer-
rechte gestärkt oder ausgeweitet werden sollen, im Zwei-
fel einfach ignorieren wird .


(Sven Volmering [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!)


– So war das schon damals vor 40 Jahren, und Sie müs-
sen nicht sagen, das sei Quatsch . Sie müssen einfach ein-
mal schauen, was damals passiert ist .

Ich glaube nicht mehr, dass SPD und CDU/CSU ein
ernsthaftes Interesse daran haben, die Arbeitnehmerrech-
te zu stärken . Sie sagen zwar, dass Sie etwas für Beschäf-
tigte machen, aber am Ende kommt immer nur heiße Luft
dabei heraus .


(René Röspel [SPD]: Nein, dafür sind die Linken zuständig!)


Dr. Stefan Kaufmann






(A) (C)



(B) (D)


Immer wenn Sie etwas für die Beschäftigten regeln,
bauen Sie eine Hintertür ein, ein Einfallstor für Arbeitge-
ber, damit die Ihre Regeln vom ersten Tag an ignorieren
und unterwandern können . Dazu ein Beispiel: Ein Min-
destlohn war notwendig und musste eingeführt werden .
Millionen Beschäftigte sind heute darauf angewiesen .


(René Röspel [SPD]: Die Linken haben nicht mitgestimmt!)


Nach langem Druck – auch von uns – haben Sie einen
Mindestlohn eingeführt,


(René Röspel [SPD]: Sie haben nicht mitgestimmt!)


aber nur mit Ausnahmen, verdammt noch mal .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Willi Brase [SPD]: Erzählen Sie das den 4 Millionen, die den Mindestlohn jetzt haben!)


Diese Ausnahmen betreffen gerade junge Beschäftigte .
Praktikanten und Jugendliche unter 18 Jahren sind junge
Menschen, nichts anderes .

Seit zwei Jahren warten wir nun schon darauf, dass Sie
Ernst damit machen, den Missbrauch von Leiharbeit und
Werkverträgen einzudämmen . Wann kommt das endlich?
Wann passiert jetzt endlich mal etwas?

Ihr Antrag ist ein notwendiger Schritt in die richtige
Richtung .


(Sven Volmering [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Die Digitalisierung kann eine Chance für unsere Gesell-
schaft sein, zu einer Humanisierung der Arbeitswelt zu
kommen . Aus unserer Sicht fehlt in Ihrem Antrag aber
absolut, an den realen Problemen anzusetzen, denen die
Beschäftigten schon heute ausgesetzt sind .

Deswegen kann ich Sie nur bitten: Stimmen Sie unse-
rem Antrag zu, damit genau dieser Teil in das Projekt mit
eingeführt wird und eine Rolle spielt .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816117900

Vielen Dank . – Nächster Redner für die sozialdemo-

kratische Fraktion ist der Kollege Willi Brase .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1816118000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren heute
über innovative Arbeitsforschung für eine Humanisie-
rung unserer Arbeitswelt und für mehr Beschäftigung .
Ich will nur ganz dezent darauf hinweisen, dass wir mit
der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes 2001/2002
noch einmal die Gestaltungsmöglichkeiten der Betriebs-
räte in unserem Land verbessert haben . Es ist in dieser
Gesellschaft also nicht ganz so, wie es meine Vorrednerin
dargestellt hat .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wenn wir dieses Thema anpacken, werden wir fest-
stellen, dass wir große industrielle Entwicklungslinien
hatten . Es gab die Mechanisierung und die Massenferti-
gung mit all ihren Problemen, wo die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer kaum bis gar nicht gefragt wurden, die
Computerisierung und nicht zuletzt die digitale Vernet-
zung der Wertschöpfungsketten . Und wir diskutieren die
Auswirkungen des demografischen Wandels.

Wir glauben und sind überzeugt, dass die digitale
Vernetzung Chancen, aber auch Risiken mit sich bringt .
Dabei geht es um folgende Fragen: Wie steht es um die
Mitgestaltung der Beschäftigten in den Betrieben, Ver-
waltungen und Dienststellen? Wie sind Gestaltungsmög-
lichkeiten am Arbeitsplatz neu und anders auszutarieren
und auf den Weg zu bringen? Wie sieht es mit psychi-
schen und physischen Belastungen aus? Wir erleben
heute in immer stärkerem Maße, dass psychische Belas-
tungen als Berufs- bzw . Arbeitserkrankung bis hin zur
Erwerbsunfähigkeit führen . Wie steht es um die Zeitver-
dichtung? Und wie sieht es mit der vollen Verfügbarkeit
aus? Wir erleben auch, dass Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer sagen: Ich bin dank Smartphone und anderer
technischer Neuerungen sozusagen 24 Stunden für mein
Unternehmen da . – Ich denke, das ist eine Entwicklung,
die wir nicht wollen . Und die werden wir auch im For-
schungsbereich ein Stück weit untersuchen .


(Beifall bei der SPD)


Die Bundesregierung hat natürlich gehandelt und wird
auch weiter handeln . Andrea Nahles mit dem Grünbuch
Arbeiten 4.0 und Sigmar Gabriel kürzlich mit der Digita-
len Strategie haben versucht, Antworten auf die weitere
Gestaltung des wirtschaftlichen Wandels zu geben . Es
geht darum, Zielpunkte zu formulieren .

Wir wollen mit unserem Antrag auch diesen Prozess
unterstützen . Deutschland soll seine führende Rolle als
Industrie-, Produktions- und Dienstleistungsstandort be-
halten . Die Umsetzung geht nur im Zusammenspiel mit
den Beschäftigten, also mit den Facharbeitern, Ingenieu-
ren und Meistern .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es an an-
derer Stelle schon einmal sagen dürfen: Das, was wir mit
der beruflichen Bildung, der Aus- und Fortbildung sowie
der Weiterbildung in unserem Land mittlerweile schon
auf den Weg gebracht bzw . verbessert und verändert
haben, wird auch den Prozess der weiteren Digitalisie-
rung der Gesellschaft mitgestalten . Und ich bin mir si-
cher, dass die Partner in der beruflichen Bildung auch die
Ausbildungsordnung entsprechend auf den Weg bringen
werden . Das ist ein Pfund, und dieses Pfund wollen wir
behalten, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es ist gut – auch Herr Kaufmann hat es gesagt –, dass
die Sozialpartner in diesen Prozess der Arbeits- und
Dienstleistungsforschung eingebunden sind . Wir haben
neue Förderprogramme aufgelegt . Sie betreffen folgende
Bereiche: Zukunft der Arbeit, Qualifizierung, Gesund-
heitsprävention und Arbeitsgestaltung . Nicht der Mensch
soll sich an die Technik anpassen, sondern wir müssen

Jutta Krellmann






(A) (C)



(B) (D)


mit unserer Arbeits- und Dienstleistungsforschung da-
für sorgen, dass notwendige Gestaltungsperspektiven in
der weiteren Digitalisierung als wichtig erachtet werden,
dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht die
Verlierer sind und dass wir auch zukünftig ein aktiver
Partner in diesem Prozess sein werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb unterstützen wir – Herr Rachel ist ja anwesend –
natürlich – ich will das noch einmal bestätigen – die Bun-
desregierung,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


die bis 2020 1 Milliarde Euro – das ist ein richtiges
Pfund – für die Arbeits- und Dienstleistungsforschung
verwenden will . Darauf können wir stolz sein, und da-
rauf sind wir auch stolz .

Lassen Sie mich noch das erwähnen, was teilweise
schon auf den Weg gebracht wurde . Dabei geht es ein-
mal um ein betriebliches Kompetenzmanagement im
demografischen Wandel. Das betrifft 32 Verbundvorha-
ben . Dafür sind von 2015 bis 2018 40 Millionen Euro
vorgesehen . Ich bin gespannt, wie die daraus resultie-
renden Ergebnisse Zug um Zug in der Praxis umgesetzt
werden . Weiter nenne ich präventive Maßnahmen für die
sichere und gesunde Arbeit von morgen . Dabei geht es
um 15 Verbundmaßnahmen, für die 21 Millionen Euro
ausgegeben werden sollen . Im Bereich der Dienstleis-
tungsforschung haben wir das Programm „Dienstleis-
tungsinnovationen durch Digitalisierung“ aufgelegt, das
mit 30,6 Millionen Euro ausgestattet ist . – Allein diese
Summen zeigen schon, um was es dort geht und wie viel
wir dort auf den Weg bringen .

Wir wollen – auch mit wissenschaftlicher Unterstüt-
zung – die Humanisierung der Arbeit im Arbeits- bzw .
Dienstleistungsprozess weiter vorantreiben . Wir wollen
die Erkenntnisse im Bereich der Arbeitsgestaltung und
die Anforderungen an Sicherheit und Gesundheit der Be-
schäftigten identifizieren und für die Praxis weiterentwi-
ckeln . Wir wollen die Umsetzung vorantreiben, damit die
digitale Vernetzung für die Menschen in der Arbeitswelt
als gestaltbar erlebt wird . Das ist wichtig und notwendig .

Dabei wollen wir selbstverständlich auch Arbeitneh-
merrechte ansprechen . Wie können Mitarbeiter diesen
Prozess ein Stück weit auf den Weg bringen? Wo sind
die Belastungen? Wie können wir die Belastungen ver-
ringern? Ich wies eben darauf hin: All dies werden wir
natürlich machen müssen; denn nur motivierte, gesunde
und zufriedene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
werden diese Prozesse auf den Weg bringen .

Innovationsfähigkeit auf der einen Seite durch Grundla-
genforschung ein Stück weit auf den Weg gebracht und
durch Umsetzung vorangetrieben, so lebt aber Innovati-
onsfähigkeit auf der anderen Seite in Betrieben davon,
dass das Zusammenspiel zwischen Meister, Ingenieur
und Facharbeiter auf höchstem Niveau funktioniert . Das,

finde ich, muss immer wieder gesagt werden, liebe Kol-
leginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist uns auch wichtig, dass wir mit diesem Programm
eine Landkarte der Arbeitsforschung erstellen, damit die
Vernetzung der Akteure besser wird . Es muss gründlich,
aber zügig gearbeitet werden: mit der Wissenschaft, mit
den Arbeitnehmern und mit den Sozialpartnern . Arbeits-
und Dienstleistungsforschung sind wichtig . Auch Inno-
vationen sind wichtig; darauf wies ich hin . Gut ausgebil-
dete und beteiligte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
sind das beste Pfund, das wir in diesem Land haben . Des-
halb werbe ich um Zustimmung für diesen Antrag .

Es wäre schön – das verstehen alle –, den Menschen
sagen zu können: Du kannst am Arbeitsplatz mitgestal-
ten . – Das ist zumindest meine Erfahrung aus über 45 Ar-
beitsjahren .

Herzlichen Dank und schönen Tag noch .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816118100

Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt

der Kollege Kai Gehring das Wort .


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816118200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir erleben ganz klar epochale Umbrüche in der Arbeits-
welt: von der räumlichen und zeitlichen Entgrenzung
von Arbeitsprozessen über Digitalisierung – Stichwort
„Industrie 4.0“ – bis hin zu Robotik in Pflege und Ge-
sundheit .

Die Koalition beschreibt die damit verbundenen
Chancen und Herausforderungen in ihrem Antrag aber
leider nur lückenhaft . Sie haben offenbar nur wenige ge-
meinsame Vorstellungen davon, wie, wo und wie lange
wir in Zukunft arbeiten . Anders ist jedenfalls nicht zu
erklären, dass Sie in Ihrem Antrag die Benachteiligung
von Frauen und Geringqualifizierten in der Arbeitswelt,
die zunehmende Vielfalt und Diversity der Belegschaften
und die Folgen der aktuellen Migration weitgehend aus-
blenden . Allein an diesen Punkten ist Ihr Antrag nicht auf
der Höhe der Zeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gute Empfehlungen der Wissenschaft für eine huma-
nere und gerechtere Arbeitswelt bekommen wir, wenn
die Forschungsdesigns Zugangsfragen, Diskriminierun-
gen und Karrierehemmnisse stärker in den Blick neh-
men . Ohne diese Gerechtigkeitsperspektiven bleibt die
Humanisierung der Arbeitswelt nur ein hehres Ziel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin davon überzeugt: Ein nachhaltiges Wohl-
standsmodell funktioniert nur mit fairen Arbeitsbedin-
gungen .


(Beifall des Abg . René Röspel [SPD])


Willi Brase






(A) (C)



(B) (D)


Gerade in Zeiten steigender Lebenserwartung, Digita-
lisierung und auch des höheren Arbeitsdrucks gilt, dass
Arbeit nicht krank machen darf . Wir begrüßen deshalb
den Ausbau des Forschungsschwerpunktes „Gesundheit
im Erwerbsverlauf“ . Es wäre allerdings sehr erfreulich,
wenn die betroffenen Ministerien weniger als bisher an-
einander vorbeiwerkeln würden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aktuelles Beispiel . Vorgestern veranstaltete SPD-Mi-
nisterin Nahles die Halbzeitkonferenz zum Grünbuch
Arbeiten 4.0. Die dortigen Diskurse zur Regulierung der
Arbeitszeitmodelle blendet das CDU-Forschungsminis-
terium aber komplett aus . Das muss sich ändern . Wenn
wir in der Wissenschaft mehr Interdisziplinarität wollen,
dann muss es auch eine bessere Zusammenarbeit zwi-
schen den Ministerien geben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Arbeitsforschung wird als einziges Forschungs-
feld in Deutschland vom Europäischen Sozialfonds mit
finanziert. Diese Besonderheit sollte genutzt werden, um
gemeinsam und europaweit Lösungen für gute Arbeit zu
entwickeln sowie länderübergreifend gegen Lohndum-
ping und prekäre Beschäftigung vorzugehen .

In Europa können wir jedenfalls viel voneinander ler-
nen . So kann Deutschland die positive Errungenschaft
der Sozialpartnerschaft einbringen . Es ist deshalb rich-
tig, die Agenda der Arbeitsforschung gemeinsam mit den
Tarifpartnern zu entwickeln . Das begünstigt nicht zuletzt
die Rückkopplung und den Transfer der Ergebnisse in die
Betriebe und in die Praxis hinein .

Diese Fokussierung hat aber auch Restrisiko . Im
Fachausschuss sind Sie die Antwort darauf schuldig ge-
blieben . Was ist denn mit den Branchen, in denen Arbeit-
geber und Beschäftigte kaum oder gar nicht organisiert
sind, wie die Start-ups, Unternehmensgründer und Teile
der kleinen und mittleren Unternehmen im digitalen Be-
reich? Wenn deren Probleme und Herausforderungen in
den Forschungsagenden ignoriert werden, besteht das Ri-
siko, dass blinde Flecken bleiben und die Prekarisierung
verstärkt und zementiert wird .

Solchen sozialen Sprengstoff kann und darf sich un-
sere Gesellschaft nicht leisten . Hier darf es keine For-
schungslücken geben, damit wir aktiv die Verbesserung
der Arbeitssituation aller Menschen hinbekommen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Balance zwischen Flexibilität und fairen Leitplan-
ken in der Arbeitswelt muss immer wieder an neue Ent-
wicklungen angepasst werden . Arbeitsforschung kann
für den gesellschaftlichen Diskurs darüber und für die
politischen Entscheidungen, die wir hier treffen, ganz
fundierte Hinweise und auch Handlungsoptionen geben .

Dabei ist mir noch eines sehr wichtig: Unsere nationa-
le Forschungspolitik muss ein Stück weit von der starken
Technikfixierung und Industriefixierung wegkommen.
Es muss auch stärker darum gehen, soziale Innovationen

zu fördern, um die Lebensqualität der Menschen zu stei-
gern .


(Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Das EU-Programm Horizon 2020 hat einen solchen An-
satz . In Frau Wankas Hightech-Strategie kommt das viel
zu kurz . Soziale Innovationen gehören viel stärker nach
vorne, erst recht in der Arbeitswelt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es bleibt Aufgabe der Forschungsförderung, eine
breite Grundlagenforschung und eine Vielfalt der For-
schungsansätze zu ermöglichen . Nur so entstehen intel-
ligente Lösungen für die Arbeitswelt von morgen . Ich
sehe deshalb mit Sorge, dass Forschung immer stärker
verzweckt wird und dabei Kreativität und Forschungs-
freiheit auf der Strecke bleiben können . Lassen Sie uns
in der Arbeitsforschung vor einer solchen Engführung
schützen, indem wir Pluralität ermöglichen, interdiszi-
plinäre Brücken schlagen und die betriebliche Praxis real
verbessern .

Aufgrund der erwähnten Defizite wird sich meine
Fraktion in der Endabstimmung enthalten . Sehen Sie das
als konstruktiven Ansporn . Gerne loben wir Sie in Zu-
kunft, wenn Ihren Worten politische Taten folgen und Sie
die bestehenden Forschungslücken schließen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816118300

Vielen Dank . – Nächster Redner ist jetzt der Kollege

Dr. Wolfgang Stefinger, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Wolfgang Stefinger (CSU):
Rede ID: ID1816118400

Meine sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolle-

ginnen und Kollegen! Wir haben in den vergangenen
Jahren zahlreiche Innovationen im digitalen Bereich er-
lebt – Innovationen, die unser Leben einfacher machen
sollen und die Produktionsprozesse schneller und effizi-
enter machen . Wir erleben, dass sich die Zeitabstände,
in denen neue digitale Produkte auf den Markt kommen,
verkürzen . Der heute gekaufte Computer ist beim ersten
Anschalten fast schon wieder überholt .

Eigentlich ist eine solche Entwicklung toll . Ständig
gibt es neue Ideen und immer neue und noch bessere
Entwicklungen . Die Digitalisierung, der Einsatz neuer
Technik und neuer Verfahren in Entwicklung und Pro-
duktion, hat sehr viel Gutes hervorgebracht . Denken wir
nur daran, was in der Medizintechnik heute schon alles
möglich ist . Oder nehmen wir den Automobilbereich mit
der Sicherheitstechnik in den Fahrzeugen, die schon so
manches Leben gerettet hat .

Innovationen haben in der Vergangenheit und werden
in der Zukunft unser Leben und unsere Arbeitswelt wei-
ter verändern. Veränderungen erzeugen häufig Unsicher-
heiten . Routinierte Abläufe verändern sich .

Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


Die Digitalisierung verändert Gesellschaft und Wirt-
schaft gleichermaßen; das ist unbestritten . Sie revo-
lutioniert klassische Geschäftsmodelle . Sie krempelt
komplette Branchen um . Sie bringt neue Produkte und
Dienstleistungen und neue Produkt- und Logistikketten
hervor .

Viele Menschen befürchten, durch die Digitalisierung
ihren Arbeitsplatz zu verlieren . Zu einer ehrlich geführ-
ten Debatte gehört es, zu sagen: Ja, es wird Veränderun-
gen geben, und, ja, manche Tätigkeit wird in Zukunft
wohl verstärkt von Maschinen ausgeführt werden .

Aber auch in Zukunft wird der Mensch gebraucht, nur
anders . Hierfür wollen und werden wir Unterstützung
geben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir wollen und müssen die Chancen der Digitalisie-
rung nutzen und die Herausforderungen gemeinsam mit
Wirtschaft, Wissenschaft, Sozialpartnern und natürlich
auch der Politik angehen, damit Deutschland wettbe-
werbsfähig bleibt . Es gibt eine ganze Reihe von Fra-
gen, denen wir uns widmen müssen: Wie müssen unse-
re Berufsbilder in Zukunft aussehen? Wie können neue
Arbeitsformen aussehen? Welche Fort- und Weiterbil-
dungsmaßnahmen braucht es, damit es am Ende keine
Digitalisierungsverlierer gibt? Wie wird die Arbeitszeit
gestaltet? Welche neuen Maßnahmen braucht es bei der
Gesundheitsprävention? Wir brauchen Antworten von
den Arbeitsforschern . Die Leitfrage lautet: Wie sieht die
Arbeitswelt von morgen aus, und wie können wir uns op-
timal darauf einstellen?

Seit 1974 hat der Bund Programme zur Arbeitsfor-
schung auf den Weg gebracht und dabei technologische,
wirtschaftliche, organisatorische und soziale Aspekte
berücksichtigt und auch deren Beitrag zu Innovationen
in den Blick genommen . Das ist weiterhin der Fall . Das
wird im Besonderen im Haushalt des Bildungs- und For-
schungsministeriums deutlich . Es handelt sich um einen
Rekordhaushalt mit über 16 Milliarden Euro; darauf wur-
de von dieser Stelle aus bereits mehrfach hingewiesen .
Ich möchte es dennoch noch einmal ausdrücklich tun, da
diese Rekordsumme unterstreicht, wie sehr diese Koali-
tion in die Zukunft unseres Landes investiert, in die Men-
schen, die hier leben, in den Rohstoff Geist .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Von dieser Stelle aus vielen Dank an unsere Haushälter .

Wir haben 1 Milliarde Euro – das wurde schon an-
gesprochen – für das Programm „Innovationen für die
Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ zur
Verfügung gestellt . Ich möchte verdeutlichen, dass wir
beide Seiten fördern: die Entwicklung von Technik und
Innovationen auf der einen Seite und die Erforschung der
Auswirkungen auf den Menschen und die Gesellschaft
auf der anderen Seite . Im Koalitionsantrag geht es gera-
de um die Veränderungen in der Arbeitswelt, in der der
Mensch die wichtigste Rolle spielt und dies auch wei-
terhin tun soll . Zentraler Treiber der Digitalisierung ist
die Technik . Aber diese Entwicklung hat nicht nur eine

technologische Komponente, sondern auch eine mensch-
liche . Sie hat weitreichende Auswirkungen auf die Ar-
beitswelt 4 .0 und auch auf unser Miteinander . Darauf
brauchen wir Antworten .

Ich bitte um Unterstützung für unseren Antrag .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816118500

Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege

Michael Gerdes, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Gerdes (SPD):
Rede ID: ID1816118600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über zwei
Anträge, nämlich über „Innovative Arbeitsforschung
für eine Humanisierung unserer Arbeitswelt und mehr
Beschäftigung“ und „Junge Beschäftigte vor prekärer
Arbeit schützen“ . Die vorliegenden Anträge haben auf
den ersten Blick wenig miteinander zu tun . Wohlwollend
kann man aber sagen, dass es in beiden Anträgen um
die positive Gestaltung der Arbeitswelt geht . Während
der Antrag der Union und SPD auf die Untersuchung
von zukünftigen Arbeitsbedingungen abzielt, prangert
die Linksfraktion einen Teilbereich aktueller Beschäf-
tigungsverhältnisse an. Auch ich finde es grundsätzlich
wünschenswert, die Zahl der befristeten Arbeitsverträge
zu minimieren . Ja, wir müssen alles dafür tun, dass junge
Menschen einen guten Start in das Berufsleben erhalten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Kollegin Krellmann, selbstverständlich verstehe
ich, dass die Linksfraktion die Chance ergreift, um er-
neut das Thema Leiharbeit in den Fokus der Debatte zu
rücken . Hier haben wir, die Koalition, eine offene Flan-
ke . Das leugne ich nicht, sondern sage ausdrücklich: Ich
bedaure es sehr, dass der im Bundesarbeitsministerium
erarbeitete Gesetzentwurf zur Arbeitnehmerüberlassung
noch nicht im Gesetzgebungsverfahren angekommen ist .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ministerin Andrea Nahles hat geliefert . Aber von unse-
rem Koalitionspartner ist – das muss ich leider sagen –
dieser Gesetzentwurf zunächst gestoppt worden . Das ist
aus verschiedenen Gründen ärgerlich . Zum einen müssen
viele Tausend Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter auf
Verbesserung warten . Wir enthalten ihnen Geld und Si-
cherheit vor .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zum anderen werden die Sozialpartner düpiert, die ihre
Ideen für mehr Ordnung auf dem Arbeitsmarkt einge-
bracht haben . Sie erwarten zu Recht mehr Verlässlichkeit
von der Bundesregierung . Sie erwarten auch mehr Ver-
lässlichkeit aufseiten der Union . Drei Landtagswahlen

Dr. Wolfgang Stefinger






(A) (C)



(B) (D)


liegen nun hinter uns . Der Wahlkampf ist vorerst vorbei .
Nun werden wir das gemeinsame Arbeitsprogramm – da-
rin bin ich sicher – weiter abarbeiten .


(Beifall bei der SPD)


Schließlich ist die Regelung der Leiharbeit eine zentrale
Vereinbarung in unserem gemeinsamen Koalitionsver-
trag .

Aus meiner Sicht bleibt das Ziel die Bekämpfung des
Missbrauchs von Werkverträgen und Leiharbeit . Das
ist ein Kernthema . Wir als SPD-Fraktion stehen dazu:
Wir wollen Leiharbeit auf ihren Kern begrenzen . Denn
Leiharbeit ist ein Instrument zur Abdeckung von Auf-
tragsspitzen oder Urlaubszeiten – es geht um schnelles
Reagieren, mehr Flexibilität bei der Erfüllung von Auf-
trägen –, Leiharbeit darf aber kein Dauerinstrument sein .


(Beifall bei der SPD)


Wir streben eine neue Überlassungshöchstdauer an,
wir fordern die gleiche Bezahlung von Zeitarbeitern und
Stammbelegschaften nach wenigen Monaten sowie mehr
Informationsrechte für Betriebsräte . Das sind unsere Mit-
tel im Kampf gegen prekäre Arbeit . Dieses Gesetz hilft
Arbeitnehmern genauso wie Arbeitgebern .


(Beifall bei der SPD)


Die bloße Abschaffung der Leiharbeit schützt junge
Menschen nicht vor prekären Arbeitsverhältnissen . Des-
halb müssen wir viel früher und umfassender ansetzen .
Betroffen sind nämlich vor allem Ungelernte und Ge-
ringqualifizierte,


(Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Wie wahr!)


also Jugendliche ohne Schulabschluss oder ohne abge-
schlossene Berufsausbildung . Wenn wir hier Abhilfe
schaffen, vergrößern wir auch die Chancen junger Men-
schen auf dem Arbeitsmarkt .


(Beifall bei der SPD)


Hier hat die Koalition auch schon das ein oder andere
geleistet . Ich erinnere an die Allianz für Aus- und Wei-
terbildung . Darin enthalten sind unter anderem die As-
sistierte Ausbildung sowie die ausbildungsbegleitenden
Hilfen . Beide Instrumente haben das Ziel, jungen Men-
schen beim Lernen unter die Arme zu greifen, etwa beim
Erfassen von fachlichen Inhalten, beim Abbau sprachli-
cher Defizite oder auch in Form von sozialpädagogischer
Hilfe . So können sie den Einstieg in eine Ausbildung und
auch deren Abschluss schaffen .


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch ei-
nen Blick auf den Koalitionsantrag zum Thema „Inno-
vative Arbeitsforschung“ . Ich weiß, dass mein Kollege
René Röspel viel Kraft bzw . Nachdruck in die Auswei-
tung dieses Forschungszweigs investiert hat . Richtig so!
Denn Arbeitsforschung ist dringend notwendig .


(Beifall bei der SPD)


Wir tun gut daran, die Einflüsse der Digitalisierung
einzuordnen, ihre Chancen und Risiken aufzuzeigen .
Digitalisierung mag uns einerseits das Leben erleich-

tern, insbesondere dann, wenn es darum geht, schwere
körperliche Arbeiten beispielsweise durch Roboter über-
nehmen zu lassen und uns so vor körperlicher Überlas-
tung zu schützen . Andererseits – Willi Brase sagte es
bereits – führt die digitale Technik aber zur ständigen
Erreichbarkeit, der Entgrenzung von Arbeitsorten und
Arbeitszeiten; Freizeit und Arbeit vermischen sich . Was
macht das mit uns? Schon jetzt haben die psychischen
Belastungen in der Arbeitswelt stark zugenommen . Wo
finden wir noch die richtige Balance zwischen Arbeits-
zeit und Ruhezeit? Wie nutzen wir digitale Technik zu
unserem Vorteil? Deswegen sage ich: Der Antrag stellt
die richtigen Fragen .


(Beifall der Abg . Dr . Daniela De Ridder [SPD])


Hoffentlich erhalten wir Antworten, mit denen wir die
Arbeit der Zukunft human gestalten können .

Herzlichen Dank und Glück auf!


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816118700

Vielen Dank . – Als Nächster hat jetzt der Kollege

Wilfried Oellers, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Wilfried Oellers (CDU):
Rede ID: ID1816118800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich beziehe mich ebenfalls wie mein Kollege
Gerdes auf den Antrag der Fraktion Die Linke „Junge
Beschäftigte vor prekärer Arbeit schützen“ . Der Antrag
spricht unter dieser Überschrift ein breites Spektrum von
Themenfeldern an: Befristungen, Zeitarbeit, Werkverträ-
ge, Entgeltbedingungen, Mitbestimmung, aber auch den
Einstieg in die Arbeitswelt, Arbeitssicherheit, Lohnent-
wicklung sowie Lebens- und Familienplanung – und das
alles auf drei Seiten . Damit wollen Sie all diese Themen
in einem pauschalen Rundumschlag diskutieren . Gerecht
werden Sie mit diesem oberflächlichen und undifferen-
zierten Antrag jedem einzelnen Themenbereich aller-
dings nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . René Röspel [SPD])


Vorweg möchte ich für die CDU/CSU-Fraktion beto-
nen: Auch wir wünschen uns, dass alle Beschäftigten gute
und ermutigende Arbeitsbedingungen sowohl zu Beginn
des Arbeitslebens als auch noch danach vorfinden.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Dann tun Sie doch mal was!)


Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner erarbeiten
wir im Rahmen des Koalitionsvertrags die richtigen Rah-
menbedingungen für weitere Arbeitsplätze, gute Arbeit,
soziale Sicherheit . Das wollen wir gemeinsam schaffen .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Nur Gerede! Alles Gerede! Menschenskind, merken Sie das denn nicht?)


Michael Gerdes






(A) (C)



(B) (D)


Der Mindestlohn und das Rentenpaket, unter anderem
mit der Mütterrente und der Verbesserung der Erwerbs-
minderungsrente, sind dafür einige Beispiele . Zudem
sind gerade für junge Menschen die Änderungen im
Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu nennen, durch die
die Situation junger Menschen in diesen Einrichtungen
deutlich verbessert worden ist .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das ist doch marginal!)


– Sie können zwar sagen, das sei marginal, aber es sind
trotzdem Schritte in die richtige Richtung, die hier er-
wähnt werden dürfen und auch erwähnt werden müssen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . René Röspel [SPD] – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Sie haben eine Große Koalition und kommen nicht voran!)


Wenn ich mir Ihren Antrag, den wir schon im Novem-
ber letzten Jahres beraten haben, anschaue, dann habe
ich den Eindruck, dass Sie die Arbeitswelt in Deutsch-
land auf den Kopf stellen wollen . Sie möchten Zeitarbeit
komplett verbieten und Werkverträge verhindern . Damit
machen Sie sich nicht zum Sprachrohr junger Menschen,


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Doch!)


sondern Sie wollen verkrustete Strukturen schaffen .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Stimmt doch nicht! – Weiterer Zuruf der Abg . Nicole Gohlke [DIE LINKE])


Unbefristete Arbeitsverhältnisse sollen die Regel sein .
Ich sage Ihnen: Sie sind die Regel . Sie wollen dies nur
nicht zur Kenntnis nehmen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Viel zu viele befristete für junge Leute!)


Hierzu verweise ich vor allen Dingen auf die Zahlen im
Rahmen meiner letzten Rede . Ich möchte diese an dieser
Stelle nicht wiederholen .

Ihr Antrag stellt daher einen Frontalangriff auf alle
Flexibilisierungsinstrumente des deutschen Arbeitsmark-
tes dar . Es geht Ihnen weniger um die wirkliche Situation
der jungen Beschäftigten . Im Gegenteil: Sie wollen die
Menschen bewusst in die Irre führen, indem Sie flexible
Beschäftigung zur prekären Beschäftigung erklären, was
sie nicht ist . Ich empfehle Ihnen, Ihren Begriff der prekä-
ren Beschäftigung noch einmal zu überarbeiten . In Ihrem
Antrag unterstellen Sie den Unternehmen Spaltungs-
versuche – was das genau bedeuten soll, schreiben Sie
nicht – und Profitstreben. Damit möchten Sie in meinen
Augen nur Panik verbreiten .

Ein schönes Beispiel: Gerade gestern wurden in Ber-
lin die besten Arbeitgeber Deutschlands ausgezeichnet .
Hier haben die Arbeitnehmer ihren Arbeitgeber bewertet .
Stolz bin ich darauf, dass der zweitplatzierte Arbeitgeber
in der Kategorie „50 bis 500 Arbeitnehmer“ das Alten- &
Pflegeheim St. Gereon in Hückelhoven-Brachelen ist und
damit aus meinem Wahlkreis kommt .

Ich erwähne das, um Ihnen aufzuzeigen, dass es auch
andere Beispiele gibt, die Sie offensichtlich nicht zur
Kenntnis nehmen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie möchten die Menschen glauben lassen, dass nur
straff durchregulierte, vom Gesetzgeber in einem engen
Korsett festgelegte Arbeitsverhältnisse zu einem erfolg-
reichen Arbeitsmarkt in Deutschland führen . Ein erfolg-
reicher Arbeitsmarkt, der eine Perspektive für junge und
ältere Menschen bietet, benötigt aber dynamische und
flexible Instrumente.

Die heutige Arbeitswelt ist vielschichtig . Die Entwick-
lung geht immer weiter in Richtung Spezialisierung, Di-
gitalisierung und Flexibilisierung . An dieser Stelle sind
natürlich auch die Tarifpartner gefragt, da sie für ihren
jeweiligen Bereich die Situation am besten einschätzen
können . Der Gesetzgeber aber kann nur allgemeine Rah-
menbedingungen schaffen . Änderungen sind stets mit
Augenmaß vorzunehmen . Sie wollen jedoch genau die
Flexibilisierungsinstrumente einschränken und beseiti-
gen, die in der heutigen Arbeitswelt dringend erforder-
lich sind und auch eine starke Wirtschaft ausmachen .

Sie scheinen nicht verstanden zu haben, dass sich un-
sere Arbeitswelt verändert hat und auch weiterhin verän-
dern wird . Sie scheinen auch nicht zur Kenntnis zu neh-
men, dass wir momentan die besten Arbeitsmarktzahlen
haben . Circa 43 Millionen Erwerbstätige, circa 31 Mil-
lionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsver-
hältnisse – das sind Rekordzahlen, Tendenz steigend .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816118900

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Wilfried Oellers (CDU):
Rede ID: ID1816119000

Nein, ich möchte gerne fortfahren . – Auch das Lohn-

niveau steigt . Es gibt lediglich 2,91 Millionen Arbeitslo-
se; natürlich sind das immer noch zu viele . Aber insge-
samt ist die Lage sehr gut, und das nach der derzeitigen
Rechtslage .

Unsere Nachbarstaaten in Europa schauen voller An-
erkennung auf unser Land . Sie sprechen mit Bewunde-
rung vom deutschen Arbeitswunder und orientieren sich
an uns . Und dann kommen Sie, meine sehr geehrten Da-
men und Herren der Linken, und reden alles schlecht und
wollen mit einem Kahlschlag insbesondere die gute Situ-
ation in Deutschland auf den Kopf stellen . Das ist nicht
nachvollziehbar, und dafür fehlt mir, ehrlich gesagt, auch
jedes Verständnis .


(Sybille Benning [CDU/CSU]: Mir auch!)


Wir wollen allen Menschen eine Chance auf dem Ar-
beitsmarkt geben . Wir wollen ihnen Brücken in den Ar-
beitsmarkt bauen . Dafür brauchen wir Instrumente wie
die Zeitarbeit und die Befristung . Die Zahlen, die ich be-
reits in der letzten Debatte ausführlich darlegte, belegen
eindeutig die positiven Effekte .

Natürlich kann Missbrauch dieser Instrumente nicht
akzeptiert werden . Mit der derzeitigen Rechtslage kann
der Missbrauch allerdings verhindert werden . Hierzu be-

Wilfried Oellers






(A) (C)



(B) (D)


darf es keiner Gesetzesverschärfung . Wir wollen einen
erfolgreichen Arbeitsmarkt; denn davon profitieren alle
Menschen . Das erreichen wir nicht, indem wir den Ar-
beitsmarkt in eine Zwangsjacke packen, aus der heraus
er sich nicht weiterentwickeln kann .

Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, damit sich
der Arbeitsmarkt zum Wohle aller positiv entwickeln
kann . Die derzeitige erfolgreiche Situation darf daher
auch nur mit Augenmaß und behutsam weiterentwickelt
und verändert werden . Genau so werden wir mit unserem
Koalitionspartner die weitere Entwicklung zum Wohle
aller begleiten .

Wir wollen auf dem bisherigen erfolgreichen Weg
bleiben, und Sie, sehr geehrte Damen und Herren der
Linken, wollen hier die Brechstange anlegen . Das akzep-
tieren wir nicht . Daher lehnen wir Ihren Antrag ab .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816119100

Vielen Dank . – Die Kollegin Krellmann hat um eine

Kurzintervention gebeten .


Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816119200

Vielen Dank . Es ist sehr nett, dass Sie mir Gelegenheit

zu einer Kurzintervention geben; denn es ist mir wichtig,
Herrn Oellers zu erklären, wieso ich von der Spaltung in
der Belegschaft geredet habe .

Ich weiß nicht, ob Sie nicht wahrgenommen haben,
dass die Arbeitswelt seit Jahren immer flexibler gewor-
den ist und dass immer mehr Betriebe aufgespalten und
aufgeteilt worden sind . Wenn ich in die Betriebe schaue,
die ich kenne, dann sehe ich: Es gibt festbeschäftigte Ar-
beitnehmer, es gibt befristet beschäftigte Arbeitnehmer;
Leiharbeitnehmer arbeiten neben Werkvertragsbeschäf-
tigten; alle verdienen unterschiedlich . – Können Sie sich
vorstellen, wie das bei den Beschäftigten ankommt, dass
jemand sein Leben lang die gleiche Arbeit macht wie der
Nachbar oder die Nachbarin und trotzdem nicht gleich
bezahlt wird? Was da passiert, ist überhaupt nicht in Ord-
nung .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich bin von daher stolz darauf, dass ich in meiner Rede
gesagt habe, dass es sich um eine Spaltung der Beleg-
schaften handelt, und ich nicht alles schöngeredet und
so getan habe, als sei das kein Problem . Das ist ein Pro-
blem und bleibt ein Problem, solange Sie nicht den ersten
Schritt machen und Flexibilisierungen an manchen Stel-
len wieder ein Stück zurückzunehmen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dass Sie unseren Antrag nicht unterstützen, überrascht
mich nicht wirklich. Damit habe ich gerechnet. Ich finde
es trotzdem schade . Reden Sie einfach mal mit jungen
Leuten, damit Sie wissen, was die davon halten .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816119300

Herr Kollege Oellers, möchten Sie darauf antwor-

ten? – Dann bitte schön .


Wilfried Oellers (CDU):
Rede ID: ID1816119400

Das waren sehr viele Vorhaltungen auf einmal . Ich

will zunächst vielleicht einmal ganz allgemein sagen:
Schauen Sie sich bitte die Protokolle der letzten Debat-
ten zu diesem Thema noch einmal an . In diesen Debatten
habe ich manche Punkte etwas ausführlicher dargestellt .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir wollen uns das nicht auch noch anlesen!)


Wenn Sie davon sprechen, dass in den Betrieben, die
Sie kennen, etwas nicht in Ordnung ist, dann darf ich auf
das Beispiel von vorhin verweisen . Ich verschließe nicht
die Augen davor, wenn es irgendwo Missstände gibt .


(Zuruf von der LINKEN: Echt?)


Ich erwähne aber auch stets, dass diese Missstände auch
auf Basis der derzeitigen Rechtslage beseitigt bzw . be-
kämpft werden können . Sie müssten nur einmal auf die
Tagesordnung gesetzt und gegebenenfalls gerichtlich
entschieden werden . Das akzeptieren Sie nicht . – Ich
sehe, dass Sie wieder tief Luft holen . Aber das ist nun
einmal unser rechtsstaatliches System . Das müssen Sie
bitte zur Kenntnis nehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das machen die Leute aber doch nicht, weil sie sich nicht trauen, weil sie Angst haben! Oh Mann!)


Darüber hinaus will ich deutlich sagen, dass wir vor
Missständen sicherlich nicht die Augen verschließen . Ich
bin in meinem Wahlkreis viel unterwegs und weiß, was
da los ist . Ich weiß aber auch, dass es positive Beispiele
gibt . Es wäre wünschenswert, wenn Sie das einfach ein-
mal zur Kenntnis nehmen würden .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816119500

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Wir kommen zur Abstimmung, zunächst Tagesord-
nungspunkt 11 a: Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD mit
dem Titel „Innovative Arbeitsforschung für eine Huma-
nisierung unserer Arbeitswelt und mehr Beschäftigung“ .
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/7871, den Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/7363 anzuneh-
men . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung
der Oppositionsfraktionen angenommen .

Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungs-
punkt 11 b: Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Junge Beschäftigte vor prekärer

Wilfried Oellers






(A) (C)



(B) (D)


Arbeit schützen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/6951, den Antrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6362 abzuleh-
nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 a auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des

(3 . Ausschuss)

Movassat, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Versöhnung mit Namibia – Gedenken an und
Entschuldigung für den Völkermord in der
ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika

Drucksachen 18/5407, 18/6376

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Stefan Rebmann, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Stefan Rebmann (SPD):
Rede ID: ID1816119600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebes weibliches Prä-

sidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen
und Herren! Auch wenn im Geschichtsunterricht wäh-
rend meiner Schulzeit, aber auch später im Unterricht
meiner Töchter und selbst heute noch im Geschichts-
unterricht leider kaum oder gar nicht auf die grausamen
Dinge, die den Menschen im heutigen Namibia während
der Kolonialherrschaft des Deutschen Reiches angetan
wurden, eingegangen wurde bzw . wird, ist jedem, der
sich mit dieser Zeit in Deutsch-Südwestafrika, wie Na-
mibia damals hieß, beschäftigt, klar: Der grausame Ras-
sismus, die klare Absicht, die Volksstämme der Herero
und der Nama vollständig auszumerzen, die Damara und
die San zu quälen, das Ausmaß der Taten und letztlich
auch der makabre „Erfolg“ der sogenannten deutschen
Schutztruppen rechtfertigen nicht nur, dass diese Ge-
schehnisse einen anderen Stellenwert im Unterricht heu-
te haben, sondern wir müssen, wie ich glaube, die Dinge
heute auch beim Namen nennen . Das war Genozid, das
war Völkermord, und nichts anderes . Daran gibt es, glau-
be ich, mittlerweile auch international keinen Zweifel
mehr .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun wird ja immer wieder einmal das Argument vor-
gebracht, die Massaker von damals seien zwar nach heu-
tigem Verständnis selbstverständlich Völkermord, aber
weil die Definition, was Völkermord ist, von der UN erst
1948 festgeschrieben wurde, könne man sie nicht rück-

wirkend anwenden und daraus auch keine Rechtsansprü-
che ableiten .

Kolleginnen und Kollegen, ich sage: Gezielte und sys-
tematische Menschenrechtsverletzungen grausamster Art
und Weise in diesem Ausmaß widersprechen und wider-
sprachen auch damals schon den elementarsten Prinzi-
pien von Recht und Moral . Und deshalb ist die Bezeich-
nung als Völkermord sehr wohl angebracht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der Abg . Elisabeth Motschmann [CDU/CSU])


Ich rede hier ja heute als Entwicklungspolitiker mei-
ner Fraktion . Das gibt mir natürlich auch die Gelegen-
heit, das eine oder andere klarzustellen: Unsere Entwick-
lungszusammenarbeit, unsere Projekte in Namibia sind
von großer Bedeutung für das Land, für die Menschen in
Namibia; und natürlich ist unsere ganz besondere Bezie-
hung zu diesem Staat auch unserer Historie geschuldet .
Mit mehr als 870 Millionen Euro hat Deutschland seit
1990 ein beachtliches Volumen an Entwicklungsgeldern
in Namibia investiert, im vergangenen Jahr 2015 und in
2016 knapp 82 Millionen Euro .

Unser Engagement reicht von Projekten im Transport-
wesen und im Bereich der Infrastruktur über die Wirt-
schaftsentwicklung bis hin zum Gesundheitsbereich und
dem Management natürlicher Ressourcen . Hinzu kom-
men noch die Namibisch-Deutsche Sonderinitiative zur
Versöhnung und sogar Kleinstmaßnahmen der deutschen
Botschaft zur Armutsbekämpfung, die auch sehr sinn-
volle und sichtbare Hilfe leisten . Gleichzeitig haben wir
nicht wenige NGOs: Brot für die Welt, der Evangelische
Entwicklungsdienst und weitere private Träger, die wir
in erheblichem Umfang fördern, engagieren sich dort mit
über 1 Million Euro pro Jahr im Bereich der Bildung .
Gerade was die Bildung angeht, müssen wir feststellen:
Da gibt es noch deutliche Defizite.

Gleichzeitig sieht sich Namibia aber aufgrund sei-
ner insgesamt durchaus positiven Entwicklung – wir als
Entwicklungspolitiker wünschen uns ja immer, dass sich
Länder so positiv entwickeln – und auch aufgrund seiner
Einstufung als Upper-Middle-Income-Land insgesamt
einem akuten Rückzug zahlreicher Entwicklungspartner
ausgesetzt . Dabei ist der Bedarf an Unterstützung nach
wie vor noch enorm, gerade im bereits angesprochenen
Bereich der Bildung, bei der beruflichen Qualifizierung
sowie bei der Bekämpfung der Armut und der ungleichen
Einkommensverteilung. Umso größer ist, finde ich, die
Bedeutung unserer bilateralen Zusammenarbeit in der
Entwicklungspolitik mit Namibia .

Klar ist aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen:
Unsere Entwicklungszusammenarbeit und auch unser
finanzielles Engagement in Namibia sind weder gleich-
zusetzen mit einem offiziellen Eingeständnis durch die
Bundesregierung, noch sind sie Ersatz für ein offizielles
Eingeständnis der historischen Schuld an diesem Völker-
mord .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg . Niema Movassat Vizepräsidentin Ulla Schmidt [DIE LINKE] und Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])





(A) (C)


(B) (D)


Zugefügtes Unrecht, erlittene Demütigungen und
schwerstes Leid, unter deren Folgen die Bevölkerung
heute noch zu leiden hat, bedürfen auch einer gemeinsa-
men intensiven Aufarbeitung . Dazu gehört eine gemein-
same Erinnerungskultur und eben auch eine gemeinsame
Versöhnungsarbeit .

Unsere „rote Heidi“, wie sie oft genannt wird,
Heidemarie Wieczorek-Zeul, hat sich als Entwicklungs-
ministerin bereits 2004 in Namibia erstmals für die
Gräuel taten, für diesen Völkermord entschuldigt . Auch
unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier, hat, so
meine ich, mit zu einem Umdenken beigetragen . Ich
glaube, wir sind auf einem guten Weg, und die letzten
Schritte werden wir auch noch bewältigen . Herr Polenz
als zuständiger Berichterstatter und Verhandlungsführer
hat hier unsere volle Unterstützung .

Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es ist an der
Zeit, dass wir uns unserer Verantwortung stellen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816119700

Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege Niema

Movassat, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816119800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst

möchte ich den namibischen Botschafter in Deutschland,
Andreas Guibeb, sehr herzlich in der heutigen Debatte
begrüßen . Ich freue mich, dass Sie heute dabei sind .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg . Charles M . Huber [CDU/CSU])


Es geht heute um eines der dunklen Kapitel der deut-
schen Geschichte . Zwischen 1904 und 1908 verübten
Deutsche den ersten Völkermord des 20 . Jahrhunderts
in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem
heutigen Namibia . Die Opfer waren die Völker der He-
rero, Nama, Damara und San . Sie wurden ermordet, in
Konzentrationslager gesteckt, zur brutalen Zwangsarbeit
verpflichtet, oder man trieb sie mitsamt Frauen und Kin-
der in die Wüste und ließ sie dort verdursten .

Am 4 . November 1904 schrieb Generalleutnant von
Trotha, der auch den Vernichtungsbefehl gegen die He-
rero anordnete – ich zitiere –:

… Gewalt mit krassem Terrorismus und selbst mit
Grausamkeit auszuüben, war und ist meine Politik .
Ich vernichte die aufständischen Stämme mit Strö-
men von Blut und Strömen von Geld .

Diese Worte waren der Auftakt für die Vernichtung von
fast 100 000 Menschen . Was damals geschah, war Völ-
kermord . Und das wurde zu lange in Deutschland ver-
leugnet .


(Beifall bei der LINKEN)


Es hat 107 Jahre gebraucht, also bis zum letzten Jahr,
damit eine deutsche Regierung endlich die damaligen
Verbrechen als Völkermord brandmarkt . Das wurde
wirklich höchste Zeit . Aber ich sage auch: Das reicht
nicht . Es fängt hier bei uns in Deutschland an, wo es fast
keinerlei Erinnerungskultur an die damaligen Verbrechen
gibt . Hier in Berlin wurde Afrika 1885 durch die Koloni-
almächte aufgeteilt. Hier in Berlin fiel die Entscheidung
für den Völkermord . Aber kein Denkmal erinnert an all
das . Es wäre wirklich Zeit, das endlich zu ändern .


(Beifall bei der LINKEN)


Nun gab es ja die Bitte, dass wir unseren Antrag für
heute zurückziehen; denn es fänden ja aktuell Verhand-
lungen zwischen der deutschen und namibischen Regie-
rung statt . Ich möchte dazu drei Dinge feststellen:

Erstens . Hätten wir unseren Antrag zurückgezogen,
würde es heute hier keine Debatte geben . Das wäre ge-
genüber den Nachfahren der Opfer, die einfordern, dass
der Bundestag sich mit den Verbrechen von damals be-
schäftigt, respektlos .

Zweitens . Ein Rückzug unseres Antrags wäre nur in
Betracht gekommen, wenn es einen gemeinsamen Antrag
aller vier Fraktionen im Bundestag gegeben hätte . Die
Koalition hatte monatelang Zeit, entsprechende Schritte
zu machen . Sie haben aber nicht einmal einen eigenen
Antrag vorgelegt . Ich muss sagen: Das, was der Kolle-
ge Rebmann gerade in seiner Rede gesagt hat, wäre eine
Grundlage für einen gemeinsamen Antrag .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie der Abg . Dr . Ute Finckh-Krämer [SPD])


Drittens, der wichtigste Punkt . Ja, die Verhandlungen
zwischen beiden Regierungen laufen . Aber es sind Ge-
heimverhandlungen, ohne Transparenz, ohne Zwischen-
ergebnisse . Es geht hier aber um das Thema Versöhnung,
nicht um eine Kleinigkeit . Und wesentliche Fragen müs-
sen im Deutschen Bundestag entschieden werden; das ist
ein Grundsatz der Demokratie . Deshalb sage ich: Es ist
gut, dass die Bundesregierung und die namibische Re-
gierung endlich miteinander über den damaligen Völker-
mord reden . Besser wäre es, die Bundesregierung würde
das auf der Grundlage eines klaren Mandats des Bundes-
tages tun .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In Namibia gibt es schon seit 2006 einen entsprechen-
den einstimmigen Beschluss der Nationalversammlung .
Der spricht von Völkermord und fordert Reparationen
und Dreiparteiengespräche der Regierungen unter Ein-
schluss der Opfergruppen . Die Realität aber ist: Die
Verhandlungen finden unter völligem Ausschluss der
Opferverbände der Herero und Nama statt . Wie soll es
Versöhnung geben, ohne dass die Nachfahren der Opfer

Stefan Rebmann






(A) (C)



(B) (D)


einbezogen werden? Die gehören natürlich an den Ver-
handlungstisch .


(Beifall bei der LINKEN)


Um was geht es inhaltlich? Deutschland hat sich zum
einen bis heute nicht für diesen Völkermord entschul-
digt . Das ist seit Jahrzehnten ein Schlag in das Gesicht
der Menschen in Namibia . Es braucht endlich einen kla-
ren Beschluss des Bundestages dazu und eine würdige
Geste der Entschuldigung durch die Bundesregierung in
Namibia .


(Beifall bei der LINKEN)


Zum anderen geht es um Wiedergutmachung, ein
Thema, das die Bundesregierung am liebsten ignorieren
würde . Der damalige Völkermord und die Enteignungen
waren nicht nur ein menschliches, sondern auch ein wirt-
schaftliches Desaster. Noch immer befinden sich 80 Pro-
zent des Farmlandes in Namibia in weißer Hand . Den
Herero und Nama wurde damals alles genommen . Da-
runter leiden sie bis heute . Sie gehören zum ärmsten Teil
der Bevölkerung in Namibia . Deshalb schlagen wir Lin-
ke einen Strukturfonds zum Ausgleich des Unrechts vor .

Lassen Sie mich klar sagen: Es kann keinen Schluss-
strich geben . Die damalige rassistische Ideologie, die
zum Völkermord führte, steckt auch heute noch tief in
vielen Köpfen der Nachfahren der Täter . Die Wahler-
gebnisse vom letzten Sonntag haben zu deutlich Bertolt
Brechts prophetische Worte bestätigt: „Der Schoß ist
fruchtbar noch, aus dem das kroch!“

Am 21 . März feiert Namibia seinen Unabhängigkeits-
tag . Es ist zugleich der Internationale Tag gegen Rassis-
mus . Es ist die richtige Zeit, endlich konkrete Versöh-
nungsschritte zu gehen . Auch deshalb appelliere ich, dass
Sie unserem Antrag zustimmen .

Danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816119900

Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist die Kollegin

Elisabeth Motschmann, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1816120000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Niederschlagung des Aufstandes der Herero und
Nama am 11 . August 1904 war Völkermord, der ers-
te Völkermord im 20 . Jahrhundert . Daran ist nichts zu
rütteln, und das wird auch von niemandem ernsthaft be-
zweifelt .

Den Befehl, den General Lothar von Trotha damals
gab, war so grausam, dass es wehtut, ihn hier noch ein-
mal aufzurufen; aber Vergangenheitsbewältigung tut
eben weh und muss auch wehtun . Ich zitiere Trotha:

Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero
mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen,
ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe
sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schie-

ßen . Dies sind meine Worte an das Volk der Hereros .
Der große General des mächtigen deutschen Kai-
sers .

Das ist ganz sicher kein großer General, sondern ein
grausamer General, meine Damen und Herren . Diese
Worte sind menschenverachtend – unvorstellbar, dass
solche Worte noch vor etwas mehr als 100 Jahren fallen
konnten!

Es starben damals – darauf wurde hingewiesen –
70 000 Herero, 80 Prozent des gesamten Volkes, sowie
die Hälfte der Nama . Überlebende wurden in Konzentra-
tionslager gesteckt, ihr Land und Vieh 1906 konfisziert.
Norbert Lammert hat dies als Völkermord und als be-
schämendes Verbrechen bezeichnet .

Zur Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland ge-
hört ein kritischer und bewusster Umgang mit unserer ei-
genen Geschichte . Nur so kann man aus den Fehlern der
Vergangenheit für die Zukunft lernen . Die Ereignisse in
Namibia zwischen 1904 und 1908 sind heute fast verges-
sen; aber wir dürfen sie nicht vergessen .

Schon 1989 hat sich die CDU/CSU-geführte Koa-
lition um eine Aufarbeitung bemüht . Danach, 2004 –
darauf wurde hingewiesen –, hat sich Heidemarie
Wieczorek-Zeul als erste Repräsentantin der Bundesre-
publik offiziell bei den Herero und Nama entschuldigt.
Das war ein Zeichen und ein weiterer Schritt auf dem
Weg der gemeinsamen Aufarbeitung mit dem heutigen
Namibia .

Übrigens gab es im gleichen Jahr eine Konferenz in
Bremen . Meine Heimatstadt Bremen hat sehr früh be-
gonnen, sich mit diesem Thema zu befassen . Wir haben
auch ein Antikolonialdenkmal . Damals, 2004, gab es ein
Symposium zum Thema „Der Herero-Krieg – 100 Jahre
danach“ . Da hat es einen Eklat gegeben – es war schwie-
rig –, aber immerhin: Wir haben begonnen, uns damit zu
befassen .

Was können wir tun? Namibia hat in den vergange-
nen Jahrzehnten eine besondere Rolle in unserer Ent-
wicklungszusammenarbeit eingenommen . Über die
letzten 20 Jahre hinweg sind Gelder in Höhe von 740
bis 800 Millionen Euro geflossen; das ist die höchste
Entwicklungshilfe pro Kopf in Afrika . Mit diesem Geld
sind viele Projekte und Einrichtungen gefördert worden,
die die Armut bekämpfen und die Lebensverhältnisse
der Menschen verbessern; Kollege Rebmann hat darauf
hingewiesen . Es gab Straßenbau, es gab Kulturprojekte,
Wissenschaftsprojekte, Ausbildungsprogramme, kom-
munalpolitische Projekte, auch Klimaschutzprojekte und
vieles mehr . Hier ist also schon viel getan worden; auch
darauf will ich hier ausdrücklich hinweisen .

Wie groß der Wunsch nach Versöhnung und Verge-
bung auch aufseiten Namibias ist, zeigte sich, seitdem
Namibia vor 26 Jahren seine Unabhängigkeit erklärt hat,
seit der Staatspräsident 1990 in der verfassungsgebenden
Versammlung den Wunsch nach Versöhnung und Verge-
bung zum Ausdruck gebracht .

Mit der Ernennung unserer Sondergesandten haben
Deutschland und Namibia einen weiteren wichtigen
Schritt unternommen . Die Sondergesandten sollen einen

Niema Movassat






(A) (C)



(B) (D)


Weg finden, eine weitere Annäherung ermöglichen und
Lösungen suchen und finden. Wir sollten ihnen nicht
vorgreifen . Auch ich habe volles Vertrauen auf Ruprecht
Polenz, der diese Aufgabe übernommen hat .

Der Botschafter der Republik Namibia hat den
Wunsch geäußert, dass die im Deutschen Bundestag ver-
tretenen Fraktionen einen gemeinsamen Antrag auf den
Weg bringen . Auf dieser Basis wünscht sich der Bot-
schafter – so habe ich ihn verstanden – eine sachliche
und würdige Debatte .

Die Linke kommt diesem Wunsch nicht nach . Sie hat
ihren Antrag nicht zurückgezogen, was ich nicht in Ord-
nung finde.


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Wir haben keinen gemeinsamen Antrag! Es gibt ja nichts von Ihnen!)


Sie verkennen, dass sich dieses Thema am allerwenigs-
ten für parteitaktische Manöver eignet. Ich finde ihr Ver-
halten befremdlich .

Wie wichtig Ihnen dieses Thema ist, das zeigt sich
auch daran, dass Ihre Fraktionsvorsitzende Sahra
Wagenknecht nicht hier ist . Sie stellt gerade ihr Buch vor .


(Lachen bei der LINKEN – Niema Movassat [DIE LINKE]: Wo ist denn Herr Kauder? – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Was soll das denn?)


– Er hat den Antrag nicht eingebracht; das ist der Unter-
schied . Sie haben den Antrag eingebracht .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816120100

Frau Kollegin .


Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1816120200

Ich komme zum Ende . – Sie stellt gerade ihr neues

Buch Reichtum ohne Gier: Wie wir uns vor dem Kapita­
lismus retten in Leipzig vor .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816120300

Frau Kollegin, ich wollte Sie gar nicht auf das Ende

Ihrer Redezeit hinweisen; Sie haben noch ein paar Se-
kunden . Es war der Wunsch von den Linken, eine Zwi-
schenfrage zu stellen . Diesem Wunsch können Sie ent-
sprechen oder ihn verwerfen . Aber das müssten Sie jetzt
entscheiden .


Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1816120400

Ich schlage vor: Wir können in einen regen Austausch

eintreten, wenn ich fertig bin .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816120500

Okay .


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Kurzintervention!)



Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1816120600

Mein Fazit lautet: Selbstverständlich ist dieses Kapitel

der Geschichte unseres Landes aufzuarbeiten und weiter
zu verfolgen . Wir müssen alles für gegenseitige Versöh-
nung und Vergebung tun . Wir brauchen von den Linken
aber ganz bestimmt keine Anleitung zur Vergangenheits-
bewältigung .


(Zurufe von der LINKEN: Doch!)


Sie haben noch so viel mit Ihrer eigenen Vergangenheit
zu tun . Kümmern Sie sich erst einmal darum .

Im Übrigen: Ich hätte es besser gefunden, wenn Sie
Geduld gehabt hätten, bis es einen gemeinsamen Antrag
aller Fraktionen gibt .


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das machen Sie ja nicht!)


Das wäre auch im Sinne des Botschafters von Namibia
gewesen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Stefan Rebmann [SPD] – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wirklich dreist!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816120700

Nun folgt eine Kurzintervention des Kollegen

Movassat von der Fraktion Die Linke .


Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816120800

Danke, Herr Präsident . – Frau Motschmann, ich war

von Ihrer Rede zunächst sehr positiv überrascht, vor al-
lem davon, was Sie am Anfang gesagt haben .


(Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Wie schön!)


Sie sagen: Diese Debatte verdient Würde und keinen par-
teitaktischen Streit . – Aber Sie sind doch diejenige gewe-
sen, die in dieser Debatte als Erste den parteitaktischen
Streit aufgemacht hat . Ich habe nichts dazu gesagt, Kol-
lege Rebmann hat nichts dazu gesagt, sondern Sie waren
das .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie fragen, wo Frau Wagenknecht ist . Ich frage Sie:
Wo ist Herr Kauder? Wo ist Herr Steinmeier? Wo sind
die Verantwortlichen? Diese Frage gebe ich gerne an Sie
zurück .

Im Übrigen möchte ich sagen: Der Botschafter hat
sich in der Tat einen gemeinsamen Antrag gewünscht .
Ich habe Sie gerade so verstanden – ich denke, die an-
deren Kolleginnen und Kollegen auch –, dass Sie bereit
sind, mit uns einen gemeinsamen Antrag vorzulegen .
Ich nehme Sie da gerne beim Wort . Ich weiß ja, dass die
CDU/CSU sonst große Probleme hat, gemeinsam mit der
Linken Anträge vorzulegen . Unsere Türen sind offen .

Elisabeth Motschmann






(A) (C)



(B) (D)


Wir freuen uns, mit Ihnen einen gemeinsamen Antrag
auszuarbeiten .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich denke, Sie haben meiner Rede zugehört . Ich habe
klar gesagt: Hätten wir unseren Antrag heute zurückge-
zogen, dann gäbe es hier keine Debatte . – Im Brief des
Botschafters steht ausdrücklich, dass die Debatte hier im
Deutschen Bundestag in Namibia sehr genau verfolgt
wird . Das heißt, auch er und die namibische Regierung
wünschen sich die Debatte heute hier im Deutschen Bun-
destag . Dem sind wir nachgekommen . Anders wäre es
nicht gegangen . Das liegt auch an Ihnen; denn Sie haben
keinen Antrag vorgelegt .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816120900

Mögen Sie antworten, Frau Kollegin? – Bitte schön,

Frau Kollegin Motschmann .


Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1816121000

Herr Kollege, der Antrag wurde von Sahra

Wagenknecht unterzeichnet


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das ist bei Anträgen immer so! Wie lange sind Sie im Parlament?)


und nicht von Volker Kauder . Wenn Ihnen das Thema so
wichtig ist, dann erwarte ich auch, dass Ihre Fraktions-
vorsitzende hier im Bundestag erscheint und nicht ihr
eigenes Buch in Leipzig vorstellt .


(Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das ist peinlich! Wie lange sind Sie im Bundestag?)


– Vielleicht lassen Sie mich jetzt ausreden? Ich habe
Sie auch ausreden lassen . Das ist guter demokratischer
Brauch .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Zwischenrufe sind auch guter demokratischer Brauch!)


Im Übrigen haben wir Sonderbeauftragte. Ich finde,
das ist ein sehr guter Schritt . Ruprecht Polenz ist ein
sehr erfahrener Außenpolitiker . Von daher sollten wir das
Ergebnis seiner Verhandlungen mit dem namibischen
Sonderbeauftragten abwarten . Dann können wir weitere
Pläne machen .

Sie sagen: Ihre Türen sind immer offen. – Das finde
ich supergut .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ja?)


Ich gehe auch gerne durch . Aber es geht hier nicht nur
um das, was ich gern möchte, sondern das muss in einer
großen Fraktion mit 310 Mitgliedern – Sie träumen da-
von – verabredet werden, und wir unterziehen uns immer
dieser mühsamen, aber doch schönen Aufgabe .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für wen reden Sie hier, wenn Sie reden? Für sich?)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816121100

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt kommt der

nächste Redner . Für Bündnis 90/Die Grünen spricht der
Kollege Uwe Kekeritz . Bitte schön .


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816121200

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte mich den Worten meines Kollegen Niema
Movassat anschließen . Frau Motschmann, so schlecht
fand ich Ihre Rede nicht, aber die letzten drei Sätze wa-
ren einfach völlig daneben und haben hier eine Spannung
reingebracht, die dem Thema insgesamt einfach nicht gut
ansteht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


In diesem Haus hat sich im letzten Monat Erstaun-
liches ereignet . Sie erinnern sich vielleicht noch an die
ausgezeichnete Plenardebatte zum Völkermord an den
Armeniern . Wir Grüne haben damals unseren Antrag zu-
rückgezogen, um einen gemeinsamen Antrag über alle
Fraktionsgrenzen hinweg zu ermöglichen . Ich glaube,
das war eine sehr gute Aktion . Die Koalition hat dann
zugesagt, einen solchen fraktionsübergreifenden Antrag
zu stellen . Sie erinnern sich noch genau: Cem Özdemir
ist aufgestanden, ist zum Kauder gegangen,


(Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Unvergesslich!)


und Herr Kauder hat ihm in die Hand versprochen, dass
die Koalition einen solchen Antrag zur Verfügung stellen
wird .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Ich denke, dieses Vorgehen sollte Pate stehen für den
historisch nicht weniger bedeutenden Völkermord in Na-
mibia, zumal hier Deutschland in alleiniger Verantwor-
tung steht .


(Beifall des Abg . Stefan Rebmann [SPD])


Also: Die Methode ist richtig, und Frau Motschmann,
wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann wären die
Koalitionsfraktionen bereit, einen gemeinsamen Antrag
zu erstellen . Dann tun Sie das doch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg . Dr . Ute Finckh-Krämer [SPD])


Deswegen haben wir unseren Antrag zur historischen
Verantwortung Deutschlands in Namibia heute auch ab-
gesetzt . Ich danke dafür, dass ihr euren auf der Tages-
ordnung belassen habt, damit wir darüber diskutieren .
Das heißt aber nicht, dass ihr nicht bereit wärt, bei einem

Niema Movassat






(A) (C)



(B) (D)


gemeinsamen Antrag mit dabei zu sein, und dieses Ver-
fahren ist genau richtig .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Aber nur, wenn Herr Kauder unterschreibt!)


– Ach, das ist wirklich ein unsinniges Argument; das
brauchen wir nicht aufzugreifen .


(Beifall der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich glaube, es ist doch klar: Völkermord kann letzt-
lich in diesem Haus nur glaubhaft aufgearbeitet werden,
wenn alle Parteien gemeinsam daran mitwirken . Schuld-
anerkenntnis, Gedenken und Versöhnung akzeptieren
nun einmal keine Parteigrenzen, und deswegen zählen
wir auf die Koalition . Ich bin davon überzeugt, die SPD
wird das ohne Probleme machen, und ich glaube, das gilt
auch für die CDU/CSU-Fraktion .


(Stefan Rebmann [SPD]: Das kann ganz schön schwierig sein!)


Der Fall Armenien zeigt klar, dass Sie das durchaus kön-
nen und es auch einsehen .

Oftmals ist die Frage gestellt worden: Was machen
wir denn nun eigentlich? Ich glaube, ein gemeinsamer
Antrag muss auch darstellen, wie ein würdiger Rahmen
für die formale Anerkennung der Schuld und die offizi-
elle Entschuldigung gestaltet werden kann . Es ist her-
vorragend gewesen, dass Frau Wieczorek-Zeul 2004 die
Initiative ergriffen hat, aber es reicht natürlich nicht, dass
ein Minister bei seinem Besuch einmal so nebenher sagt:
Es tut uns leid; es war ein Vergehen .


(Stefan Rebmann [SPD]: Das hat sie schon sehr bewusst gemacht!)


Das war ein mutiger Schritt für die damalige Zeit, aber
jetzt muss die große Politik hier nachziehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Antrag muss auch skizzieren, wie die deutsche
Öffentlichkeit über die geschichtliche Verantwortung in-
formiert wird und welche Schritte notwendig sind, um
das Verfahren nachvollziehbar zu einem öffentlichen
Projekt werden zu lassen . Gerade unter dem Eindruck
der letzten Wahlen sollten wir deutlich hervorheben, dass
starke Demokratien keine Angst vor Auseinandersetzun-
gen mit der eigenen Geschichte haben; denn historische
Aufarbeitung und die Bereitschaft, schwere historische
Fehler einzugestehen, sind keine Zeichen von Schwäche,
sondern ein Zeichen der Stärke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg . Dr . Ute Finckh-Krämer [SPD])


Das Verfahren muss klar sein . Ich glaube, es muss im
Kanzleramt angesiedelt werden . Sie müssen die Bedin-
gungen für einen würdigen Rahmen schaffen . Ich habe
es in der letzten Legislatur hier in diesem Haus schon
einmal gesagt: Ich stelle mir einen Festakt im Deutschen
Bundestag vor, in dem der Bundespräsident spricht und
zu dem der namibische Präsident eingeladen wird . Ich
stelle mir auch vor, dass eine spiegelbildliche Veranstal-

tung in Windhuk stattfindet. So kann man tatsächlich öf-
fentlich Geschichte aufarbeiten und glaubwürdig dafür
eintreten, dass wir die Schuld anerkennen und dass wir
bereuen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Es kann heute nicht mehr um Entschädigungszah-
lungen an einzelne Personen gehen . Deutschland enga-
giert sich – das ist gesagt worden – seit vielen Jahren
entwicklungspolitisch stark in Namibia . In genau diesem
Rahmen können Sondermittel für klar definierte Projekte
bereitgestellt werden, die den betroffenen Volksgruppen
zugutekommen und der allgemeinen Entwicklung die-
nen . Über Einzelheiten brauchen wir uns hier nicht zu
unterhalten . Das ist nicht die Aufgabe des Parlaments .

Da geschichtliche Verantwortung immer auch Ver-
antwortung gegenüber der Zukunft ist, muss ein solcher
Antrag auch klare Wege aufzeigen, wie wir diese Ver-
antwortung zukünftig vermitteln wollen . Die Details, wie
wir eine angemessene Erinnerungskultur in Deutschland
schaffen und aufrechterhalten, müssen natürlich von bei-
den Ländern gemeinsam entwickelt werden . Wir hier
können das nicht leisten . Was wir hier aber entscheiden
können, ist, dass wir diesen Weg gehen; denn wir haben
die Verantwortung gegenüber der Gegenwart und auch
gegenüber der Zukunft . Wir müssen entscheiden, dass
wir diesen Weg gehen wollen .

Ich würde mich schon freuen – damit komme ich zum
Schluss –, wenn wir ein klares Zeichen bekommen wür-
den – vielleicht von der entwicklungspolitischen Spre-
cherin der CDU/CSU-Fraktion –, dass Sie bereit sind,
einen solchen Antrag vorzulegen, so wie Volker Kauder
es zuletzt beim Thema „Völkermord an den Armeniern“
gegeben hat, wenn wir diesen Antrag gemeinsam gestal-
ten und Sie bereit sind, die paar Punkte, die ich hier ge-
nannt habe, aufzunehmen .

Ich danke Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816121300

Ich wollte Ihnen gerade den Hinweis geben, dass die

Uhr schon seit einer Minute klare Zeichen gibt .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich nicht gehört! – Gegenruf des Abg . Stefan Rebmann [SPD]: Wie im Ausschuss!)


– Das ist schon bekannt; gut . – Wir hoffen, die anderen
Redner und Rednerinnen werden die Zeit einhalten .

Als nächster Rednerin gebe ich Dagmar Wöhrl, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1816121400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Im Jahr 2015 reisten circa 86 000 deutsche Touristen

Uwe Kekeritz






(A) (C)



(B) (D)


nach Namibia . Die allergrößte Zahl der Touristen kam
aus Übersee . Viele werden wegen der Landschaft ge-
kommen sein . Die meisten sind aber aufgrund unserer
gemeinsamen Geschichte, der Geschichte, die wir mit
Namibia haben, gekommen .

In der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika
findet sich noch viel heimische Kultur. Man findet dort
noch Bäckereien, dort gibt es auch noch Schwarzwälder
Kirschtorte, man findet liebevoll hergerichtete Häuser in
Swakopmund, und man hört noch die deutsche Sprache .
Die Zahl der Muttersprachler schwindet allerdings . Die
deutsche Minderheit macht zurzeit nicht einmal mehr
1 Prozent der Bevölkerung aus . In Gesprächen, sei es mit
Besuchern, die in Namibia gewesen sind, oder mit deut-
schen Namibiern, hört man, dass sich sehr viel verändert
hat, dass das Deutsche langsam verschwindet . Deutsch
wird aus den Lehrplänen gestrichen, deutsche Namen
verschwinden von den Straßenschildern . Es heißt, die
Regierung habe das Bedürfnis, die Zeichen der Kolonial-
zeit zu beseitigen .

Neben diesen Veränderungen, so heißt es, spürt man
auch eine andere Veränderung, eine Veränderung der
Stimmen, auch ausgelöst durch die Diskussion, nämlich
die Forderung nach der Anerkennung als Völkermord
und den Wunsch nach Reparationszahlungen . Teilweise,
so hört man auch, ist das bislang friedvolle Zusammen-
leben zwischen den Nachfahren der Deutschen und den
Nachfahren der Hereros nicht mehr so, wie es in der Ver-
gangenheit gewesen ist . Das Zusammenleben wird – das
müssen wir auch sehen – durch diese Diskussion natür-
lich erschwert .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, durch die Diskussion! Quatsch!)


Es heißt, die Deutschen werden jetzt oft als Fremde be-
zeichnet . Es heißt, im Wahlkampf gibt es Parolen, dass
sie das Land zurückerobern wollen, in dem die wenigen
verbliebenen Nachfahren der Deutschen leben .

Auch diesbezüglich haben wir, glaube ich, eine Auf-
gabe . Wir haben die Aufgabe, in dem Dialogprozess
zwischen unserer Regierung und der namibischen Re-
gierung, der, wie ich glaube, auf einem sehr guten Weg
ist, darauf hinzuwirken, dass die Diskussion nicht weiter
radikalisiert wird . Wir haben entsprechende Erfahrungen
in Simbabwe gemacht . Wir wollen das nicht ein zweites
Mal erleben .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, „Am deutschen
Wesen soll die Welt genesen“, wer kennt nicht diesen
Ausspruch oder den Anspruch auf „einen Platz an der
Sonne“? Das war in der damaligen Zeit, in der die Kolo-
nialmächte von ihrer eigenen Überlegenheit ausgegangen
sind, eine nicht untypische Sichtweise . Gleichberechti-
gung war sowieso kein Thema zu der damaligen Zeit . Im
Zuge dessen wurden auch die unsäglichen Gräueltaten
von General von Trotha verübt . Es wurde angesprochen:
über 65 000 tote Herero, über 10 000 Tote vom Stamm
der Nama . Das ist ein schwarzes Kapitel in unserer Ge-
schichte, dem wir uns verantwortungsvoll und moralisch
stellen müssen .

Ich glaube, es ist unbestritten, dass 112 Jahre nach die-
sem Mord die Maßstäbe des Völkermordes hier Anwen-
dung finden. Aber wir müssen natürlich auch sehen, dass
die Rechtsnorm des Völkerrechts erst 1948 geschaffen
worden ist . Recht ist nun einmal Recht . Ein Rückbezug
ist deswegen nicht möglich, und Rechtsansprüche – ich
spreche jetzt vom Juristischen – können daraus nicht her-
geleitet werden .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816121500

Frau Kollegin – –


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1816121600

Herr Kollege Kekeritz, vielleicht beantworte ich gleich

Ihre Frage . – Aber wir alle verurteilen, was damals pas-
siert ist . Wir haben es auch schon in Anträgen gemacht .
Es ist ja nicht der erste Antrag, der jetzt dazu eingebracht
worden ist . Bereits 1989 und 2004 sind Anträge einge-
bracht worden, in denen sich das gesamte Parlament zur
Schuld und Verantwortung damals bekannt hat .


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Was für eine Verantwortung?)


Wir wissen, dass eine kritische Auseinandersetzung mit
der eigenen Geschichte immer auch die Voraussetzung
für Versöhnung ist . Deswegen bin ich dafür, dass dieses
Thema in Schulen behandelt wird . Wir müssen heute im
Geschichtsunterricht auch über die Kolonialzeit spre-
chen, über unsere Geschichte und darüber, was in dem
Zusammenhang damals Schreckliches passiert ist .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube, es ist wichtig, dass wir unsere Verantwor-
tung in der Entwicklungszusammenarbeit zeigen . Der
Betrag ist genannt worden: 870 Millionen Euro . Gut,
Geld ist in diesem Zusammenhang nicht alles – das wis-
sen wir –, aber das ist der höchste Entwicklungshilfebei-
trag pro Einwohner . Wir sind in verschiedenen Bereichen
aktiv, zum Beispiel beim Transport und der wirtschaftli-
chen Entwicklung . Es gibt auch die Sonderinitiative zur
Versöhnung mit Mitteln in Höhe von 36 Millionen Euro .
Hier gehen wir speziell auf kommunalpolitischer Ebene
mit vielen kleinen Projekten genau in die Gegenden, in
denen die Nachfahren der Hereros sind; sie profitieren
dann besonders davon .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816121700

Wollen wir noch die Zwischenfrage zulassen oder

nicht?


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1816121800

Möchte der Kollege Kekeritz noch etwas sagen?


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerne doch!)


– Bitte .


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816121900

Das Thema hat sich nicht erledigt, auch wenn Sie in

Ihren Ausführungen jetzt schon weiter sind . – Wir füh-
ren ja diese Diskussion über den Völkermord in Namibia

Dagmar G. Wöhrl






(A) (C)



(B) (D)


nicht zum ersten Mal . Ich habe durchaus darüber nachge-
lesen und auch schon selber an Diskussionen zu diesem
Thema teilgenommen . Immer wieder wird dieses famo-
se Jahr 1948 genannt, in dem man tatsächlich definiert
hat, was Völkermord ist . Wenn man jetzt aber Ihre Logik
beibehält, Frau Wöhrl, dann würde das bedeuten, dass
die ganzen Reparationszahlungen, die damals aufgrund
der Verbrechen im Dritten Reich getätigt worden sind,
eigentlich nicht richtig waren, weil ja die Definition des
Völkermords erst 1948, also drei Jahre nach dem Völker-
mord, formuliert wurde. Was soll eine solche definitori-
sche Übung in diesem Zusammenhang? Ich kann doch
nicht auf Paragrafen hinweisen, die offensichtlich sinn-
voll sind, und mich dann darauf berufen, dass sie leider
zu spät gekommen sind . Ich glaube, das ist ein zynischer
Umgang mit der Vergangenheit . Das kann eigentlich so
nicht sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1816122000

Lieber Herr Kollege Kekeritz, ich bin vom Recht

ausgegangen . Als Juristin muss ich natürlich auch die
Anspruchsgrundlage betrachten . Eine Anspruchsgrund-
lage kann ich natürlich nicht heranziehen, wenn diese
rechtliche Grundlage erst später geschaffen worden ist .
Das heißt, ob man hier zu einer Ausgleichszahlung, zu
einer Reparationszahlung kommt, muss man sehen . Eine
Zahlung aufgrund des Gedankens der Versöhnung ist
eine andere Geschichte . Das erhoffen wir uns ja jetzt im
Dialog . Wir werden das Ergebnis der Dialoggespräche
unserer Regierung mit der namibischen Regierung ab-
warten . Aber es ergibt sich, wie es oft verlangt worden
ist, aus dieser Rechtsnorm von 1948 kein Anspruch auf
eine Ausgleichszahlung . Darauf wollte ich in diesem Zu-
sammenhang nur noch einmal hinweisen .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816122100

Jetzt haben Sie noch 45 Sekunden . Ich hatte die Uhr

zwischendurch gestoppt .


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1816122200

Vielen Dank, Herr Präsident .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816122300

Bitte .


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1816122400

Ganz kurz vielleicht noch ein Punkt: Rückführung

der Gebeine . Die Kollegen haben es noch nicht ange-
sprochen . Deswegen möchte ich einen Satz dazu sagen,
den ich für absolut notwendig erachte . Ich glaube, die
Museen sind bereit und gewillt, diese Gebeine zurück-
zuführen . Zweimal haben Rückführungen ja stattgefun-
den, 2011 und 2015 . Dass die weitere Rückführung dann
ins Stocken geriet, hat natürlich mehrere Ursachen . Eine
der Ursachen war leider, dass die Botschaft 2005 nicht
besetzt war, sodass es nicht möglich war, für eine wirk-
lich pietätvolle und würdevolle Rückführung zu sorgen .
Außerdem fehlt bei vielen Gebeinen leider noch der Hin-

weis, ob sie wirklich aus Namibia stammen . Dennoch
glaube ich, dieses Thema dürfen wir in diesem Zusam-
menhang nicht aus den Augen verlieren .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Dialogprozess
läuft . Wir hoffen, dass er zu einem guten Ende führt . Wir
müssen das Ergebnis abwarten . Aber wir sollten dem Di-
alog – ich glaube, das ist schon wichtig – einen gewis-
sen Zeitrahmen geben . Sorgfalt geht in diesem Zusam-
menhang wirklich vor Schnelligkeit . Es liegt an uns, an
der namibischen Regierung und an den Nachfahren der
Hereros, dass wir gemeinsam und friedvoll in würdigem
Gedenken an die Vergangenheit die Zukunft positiv ge-
stalten .

In diesem Sinne: Vielen Dank für Ihre Aufmerksam-
keit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816122500

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Dr . Ute Finckh-Krämer, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):
Rede ID: ID1816122600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ex-

zellenz! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf den
Tribünen! Als Außenpolitikerin weiß ich um die ver-
söhnende Wirkung von Kultur . Liebe Frau Wöhrl, das
Goethe-Zentrum in Namibia ist zum 1 . Januar dieses
Jahres in ein Goethe-Institut umgewandelt worden . Ich
gehe davon aus, dass Namibia um die Bedeutung eines
solchen Schrittes weiß .

Die bisherige Debatte hat gezeigt: Wir sind uns einig,
dass die Verbrechen, die deutsche Soldaten zwischen
1904 und 1908 an den Herero, Nama, Damara und San
verübt haben, als Völkermord zu bezeichnen sind . Wir
sind uns ebenfalls einig, dass es deswegen eine histori-
sche und moralische Verantwortung Deutschlands für
Namibia insgesamt und für die Nachkommen der Über-
lebenden im Besonderen gibt . Strittig ist, wie wir die-
se Verantwortung am besten wahrnehmen können . Ich
möchte daher auf ein Projekt hinweisen, das hierfür mei-
ner Ansicht nach beispielhaft ist .

Das Projekt ist 2003, also noch vor der Entschließung
des Bundestages vom Juni 2004 und der Sonderinitiati-
ve von 2005, von einer Friedens- und Konfliktforscherin
entwickelt und gemeinsam mit verschiedenen Fachleu-
ten bis 2009 durchgeführt worden . Die deutschen Pro-
jektbeteiligten erfragten bei Vertretern verschiedener na-
mibischer Organisationen, zum Beispiel bei den Kirchen
und beim Ombudsman’s Office, welche Vergangenheits-
belastungen aus ihrer Sicht bewältigt werden müssten .
Neben den Folgen der Verbrechen der deutschen Kolo-
nialtruppen an den Herero, Nama, Damara und San im
Kolonialkrieg wurden die Folgen von Kolonialzeit und
Apartheitsregime, gewaltsam ausgetragene Konflikte in-
nerhalb der Befreiungsbewegung SWAPO und Konflikte
aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen derer, die zeit-
weise im Exil leben mussten, genannt .

Uwe Kekeritz






(A) (C)



(B) (D)


Sie entwickelten daraufhin ein Projekt zu Kompe-
tenzaufbau in Konfliktbearbeitung/Mediation, Krisenin-
tervention und Versöhnung . Deutsche Richter, Anwälte,
Sozialarbeiter, Ethnologen und Mediatoren bildeten Ver-
treterinnen und Vertreter namibischer Nichtregierungs-
organisationen, des Ombudsman’s Office, des SWAPO
Women’s Council Executive Committee und der Mi-
nisterien für Gesundheit/Soziales und Verteidigung in
Krisenintervention, Konfliktbearbeitung/Mediation und
Governance aus . Da die potenziell geeigneten Förder-
programme der Bundesregierung zumindest damals eine
schnelle Finanzierung eines derartigen Projektes nicht
zuließen, wurde es aus privaten Spenden finanziert. Das
erhöhte, rückblickend gesehen, die Glaubwürdigkeit der
deutschen Beteiligten, begrenzte aber gleichzeitig den
Projektumfang .

Die Ausbildung wurde in gemischten Teams durchge-
führt, die erst in Mediations- und Versöhnungsarbeit aus-
gebildet wurden, dann in einem strukturierten Vorgehen
weitere Experten in betroffenen Gemeinden heranzogen
und ausbildeten sowie parallel dazu erste Begegnungen
in und mit den betroffenen Gruppen initiierten . Dabei
wurden überlieferte Erfahrungen sowie individuelle und
soziale Folgen in der Gegenwart ausgetauscht, Benach-
teiligungen benannt, Bedarfe identifiziert, und anschlie-
ßend wurde das weitere Vorgehen an neue Erkenntnisse
angepasst .

2009 endete das Projekt, weil es nicht mehr finanziert
werden konnte . Die Kontakte bestehen weiter, der Bedarf
auch . Daher könnte es, ergänzend zu dem, was in den
letzten Jahren schon geleistet wurde, fortgesetzt werden,
wenn wir als Abgeordnete darauf hinwirken, dass die
Fortsetzung aus Bundesmitteln finanziert wird.

Dafür sollten wir uns fraktionsübergreifend einsetzen,
auch wenn wir den Antrag der Linken heute ablehnen .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816122700

Letzter Redner in dieser Aussprache ist der Abgeord-

nete Charles M . Huber, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Charles M. Huber (CDU):
Rede ID: ID1816122800

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lie-

be Kollegen! Excellency, I don’t know, if it’s you up
there, but I think, I can’t identify you . I don’t know, if
you’re even present .


(Zuruf von der SPD: Dort oben!)


– Nice to see you, brother .

Meine Damen und Herren, es ist angemessen, dass
sich die Grünen der Bitte der namibischen Regierung ge-
fügt haben, ihren Antrag hier zurückzuziehen . Die Kol-
leginnen und Kollegen von der Linksfraktion haben das
nicht getan . Ich denke, dass man diese Bitte hätte respek-
tieren sollen und nicht hätte versuchen müssen im Rah-

men einer Vertiefung des sich in der Regel sehr positiv
gestaltenden bilateralen Dialogs unserer Regierung mit
der namibischen Regierung, unnötige Hürden aufzubau-
en .

Deutschland und Namibia verbinden aus dieser His-
torie heraus natürlich eine besondere Partnerschaft und
auch eine große Verantwortung . Dieser Sachverhalt ist
nicht strittig . Das drückt sich auch in Zahlen aus, wie be-
reits mehrfach ausgeführt: Im Bereich der entwicklungs-
politischen Zusammenarbeit machte unsere Regierung
im Oktober 2015 Neuzusagen in Höhe von 69,9 Millio-
nen Euro . Bis 2015 beliefen sich die Gesamtzusagen für
Namibia vonseiten der Bundesregierung auf 870 Millio-
nen Euro .

2004 hat Deutschland zum Anlass des 100 . Jahresta-
ges der Schlacht am Waterberg in einer Sonderinitiative
zur Versöhnung 36 Millionen Euro im Bereich der finan-
ziellen Zusammenarbeit zugesagt . Namibia hat 2,4 Milli-
onen Einwohner . Ich denke also, mit dieser Summe kann
man sehr viel anfangen . Würde man diesen Betrag zum
Beispiel an Nigeria mit seinen 160 Millionen Einwoh-
nern zahlen, dann würde man vielleicht sagen, dass das
ein Tropfen auf den heißen Stein ist . Hier ist das nicht
der Fall .

Wenn ich sage, dass man mit dieser Summe einiges
bewegen könnte, dann denke ich zum Beispiel an die
Steigerung der Ausbildungsqualität, die in Namibia ein
großes Problem ist, und zwar in allen Bildungsbereichen .
Namibia ist ein wunderschönes Land, weswegen Capaci-
ty Building im Bereich Tourismus hier ein weiterer kon-
kreter Ansatzpunkt wäre .

Ich will hier einfach generell auch einmal erwähnen,
dass Deutschland im Vergleich zu anderen Nationen,
wie beispielsweise China oder auch andere europäische
Länder, der jeweiligen Wirtschaft der einzelnen afrika-
nischen Länder so gut wie keine Zugeständnisse abver-
langt . Ich glaube, diesen Punkt musste man hier einmal
ansprechen .

Zur Sinnhaftigkeit Ihres Antrags, liebe Kollegen von
der Linksfraktion, und dazu, dass Sie dem Wunsch der
namibischen Seite nicht entsprechen wollten, möchte ich
Folgendes bemerken: Ihr sozusagen namibisches Pen-
dant vor Ort, die Workers Revolutionary Party, besteht
in Bezug auf den Genozid zwar auf der Anerkennung
der Folgeschuld, erkennt aber die bilateralen Abkommen
zwischen der namibischen Regierung und der Bundesre-
gierung nicht an . Im Gegenteil: Sie bezeichnet sie in ih-
rem Sprachjargon als eine imperialistische Geste, welche
an den Geschädigten


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Herr Huber, ich kenne die Partei nicht einmal!)


– lassen Sie mich ausreden, auch wenn es wehtut – vor-
beigeht .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut wirklich weh! Es ist schmerzhaft, Ihnen zuzuhören!)


Ich zitiere aus einer Veröffentlichung durch Chief
Riruako, dem Vertreter der Herero Nation, und ich den-

Dr. Ute Finckh-Krämer






(A) (C)



(B) (D)


ke, das Sprachrepertoire des Parlaments ist partei- und
fraktionsübergreifend groß genug, das ohne Übersetzer
übersetzen zu können: The German state increasingly
insisted on doing its business solely with the Namibian
Government and not with the parties to the dispute: the
Nama and the Herero Nations .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Wortwahl “busi-
ness” im Kontext mit Reparationszahlungen und mit
Bezug auf eine Genoziddiskussion wirft für mich einige
kritische gedankliche Szenarien auf . Das gilt insbesonde-
re, weil dies zudem auch heißen wird, dass, falls wir hier
mit der namibischen Regierung in direkter Form zuran-
de kämen, nicht zwingendermaßen damit zu rechnen ist,
dass diese Sache für die betroffenen Ethnien dann auch
vom Tisch ist . Hier gibt es, wenn ich das bemerken darf,
Erklärungsbedarf .

Meine Damen und Herren, ich bin am Ende meiner
Redezeit . Ich denke, dass diese Debatte weiß Gott zu
ernst ist, als dass man sie als Selbstdarstellung einzelner
Parteien nutzen sollte .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo! Der Huber hat es erkannt! Peinlich, peinlich!)


– Herr Kekeritz, da spricht der Richtige! Lassen Sie höf-
licherweise zu, dass ich mich hier wenigstens noch von
unseren Gästen verabschiede .

Meine Damen und Herren, ich denke, dass die
schwarzafrikanisch-namibische Bevölkerung, wenn
durch die monothematische Festlegung unsere gegensei-
tigen Beziehungen bei diesem Thema aufhören, am aller-
wenigsten davon profitieren wird.

Ich bedanke mich fürs Zuhören, Kollegen von der Op-
position .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816122900

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel „Versöhnung mit Namibia – Gedenken an
und Entschuldigung für den Völkermord in der ehema-
ligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/6376, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/5407 abzulehnen . Wer stimmt für die
Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu dem Vertrag vom 28. April 2015
zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der Tschechischen Republik über die po-

lizeiliche Zusammenarbeit und zur Änderung
des Vertrages vom 2. Februar 2000 zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und der
Tschechischen Republik über die Ergänzung
des Europäischen Übereinkommens über die
Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959
und die Erleichterung seiner Anwendung

Drucksache 18/7455

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/7687

Interfraktionell sind für die Aussprache 25 Minuten
vereinbart . Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der
Fall . Dann ist so beschlossen .

Als erstem Redner erteile ich für die Bundesregierung
das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Profes-
sor Dr . Günter Krings .

D
Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1816123000


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren Kollegen! Am 28 . April 2015 haben der Bundesmi-
nister des Innern, Thomas de Maizière, und sein tsche-
chischer Amtskollege Chovanec in Prag einen neuen
deutsch-tschechischen Polizeivertrag unterzeichnet . Die
Neuverhandlungen waren im Rahmen des im Jahr 2012
begonnenen ministeriellen deutsch-tschechischen Dia-
logs über die Bekämpfung der Kriminalität im gemein-
samen Grenzraum beschlossen worden .

Dafür gab es zwei wesentliche Gründe: Zum einen
gab es eine rechtliche Notwendigkeit . Bekanntlich ist
Tschechien seit dem 1 . Mai 2004 Mitglied der Euro-
päischen Union . Seit Dezember 2007 fanden auch die
Schengen-Regelungen für Tschechien vollständig An-
wendung . Der geltende Polizeivertrag stammte aber aus
dem Jahr 2000, also aus der Zeit noch vor diesen beiden
Ereignissen . Er musste also für beide Länder gleicherma-
ßen dem geltenden europäischen Rechtsrahmen entspre-
chend angepasst werden .

Zum anderen gab es den beiderseitigen Wunsch,
auch unabhängig von diesen rechtlichen Änderungen
die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit
weiter zu vertiefen und zu verbessern . Ziel war also die
Schaffung erweiterter Handlungsmöglichkeiten für die
Polizei, aber auch für den Zoll, um die Bevölkerung bes-
ser vor grenzüberschreitender Kriminalität zu schützen .
Meine Damen und Herren, heute können wir sagen: Dies
ist uns mit dem neuen Vertrag auch gelungen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Er stellt einen wirklichen Meilenstein für die Sicherheit
im deutsch-tschechischen Nachbarschaftsraum dar . So
haben Polizeibeamte bei gemeinsamen Einsätzen beider-
seits der Grenze künftig die Befugnis, auch Hoheitsrech-
te auszuüben . Damit können gemeinsame Streifen pari-
tätisch im Format eins zu eins besetzt werden, was eine
effektivere Einsatzplanung ermöglicht . Die Beamten aus
dem Nachbarstaat unterstehen dann jeweils der Leitung
eines Beamten des Gebietsstaates . Das haben wir auf der

Charles M. Huber






(A) (C)



(B) (D)


Grundlage anderer Verträge schon eingeübt, und das hat
sich bewährt .

Neu ist eine Regelung, nach der polizeiliche Maß-
nahmen in grenzüberschreitenden Zügen künftig über
die Grenze hinaus fortgesetzt werden können . Die
Möglichkeit der unmittelbaren Zusammenarbeit in den
Grenzgebieten wurde auf das Gebiet von ganz Sachsen
und Bayern erweitert mit einer entsprechend erweiter-
ten Zuständigkeit des schon bestehenden Gemeinsamen
Zentrums der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzu-
sammenarbeit Petrovice-Schwandorf . Dies verkürzt die
Kommunikationswege bei der Zusammenarbeit erheb-
lich .

Schließlich – auch das ist wichtig – wird der Zoll nun-
mehr vollständig und damit wesentlich stärker als bis-
her in den neuen Vertrag einbezogen . Die Zollbehörden
diesseits und jenseits der Grenze werden zum Beispiel
auch im Rahmen der Verfolgung von Zuwiderhandlun-
gen gegen Zoll- und Verbrauchsteuervorschriften zusam-
menarbeiten und insbesondere auch den Drogenschmug-
gel besser bekämpfen können .

An der Grenze zu Tschechien haben die Polizei- und
Zollbehörden schwerpunktmäßig mit Drogenkriminali-
tät, aber auch mit Diebesbanden zu tun . Vor allen Din-
gen die Verbreitung der Droge Crystal Meth auf beiden
Seiten der Grenze bereitet nach wie vor große Sorge . Im
Jahre 2015 sind zwar sowohl die Fallzahlen als auch die
Sicherstellungsmengen von Crystal Meth in Deutschland
gegenüber dem Vorjahr leicht gesunken, ein Grund zur
Entwarnung ist das aber nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg . Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


Nach wie vor sind Sachsen, Bayern, Sachsen-Anhalt,
Thüringen, Brandenburg und Berlin am stärksten betrof-
fen . Aber auch in Rheinland-Pfalz war eine deutliche
Steigerung zu verzeichnen . In den meisten Fällen stammt
das in Deutschland sichergestellte Crystal Meth eben aus
Tschechien, wo es unter anderem auf sogenannten Asia-
märkten in grenznahen Ortschaften zu Deutschland ille-
gal gehandelt wird .

Meine Damen und Herren, einer vertieften
deutsch-tschechischen Kooperation gerade in diesem Be-
reich kommt daher besondere Bedeutung zu . Es gibt auch
bereits unter dem jetzigen Regime erste und wichtige Er-
folge zu verzeichnen . Im November 2014 konnten bei-
spielsweise sage und schreibe 2,9 Tonnen Chlorephedrin,
einem Grundstoff zur Herstellung von Crystal Meth, in
Deutschland sichergestellt werden; ein messbarer Erfolg
der guten Kooperation mit Tschechien . Mit dem neuen
Polizeivertrag werden wir den Kampf gegen diese Hor-
rordroge mit verstärkter Kraft fortsetzen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Bekämpfung der Kriminalität in der Grenzregi-
on bleibt eine große Herausforderung, der wir uns stel-
len müssen und der wir uns auch tatsächlich stellen . Es
ist daher eine gute Nachricht, dass der Vertrag, natürlich
abhängig von der Entscheidung des Deutschen Bundes-
tages, voraussichtlich noch in der zweiten Jahreshälf-
te 2016 in Kraft treten kann .

Für die Sicherheit unserer Bürger reichen im 21 . Jahr-
hundert nationale Rechtsrahmen alleine längst nicht
mehr aus .


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Unsere Sicherheit steht und fällt mit der Zusammenar-
beit in Europa . Dafür steht dieser Polizeivertrag für den
deutsch-tschechischen Grenzraum, und dafür steht die
Innenpolitik der Großen Koalition .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816123100

Nächste Rednerin in der Aussprache ist die Abgeord-

nete Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816123200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die

Bundesregierung legt uns heute einen Vertrag über die
Ausweitung der polizeilichen Zusammenarbeit mit der
Tschechischen Republik vor . Es soll, so heißt es darin,
vor allem darum gehen, die „grenzüberschreitende Kri-
minalität“ in den Bereichen Drogenhandel und Eigen-
tumsdelikten zu bekämpfen .

Um es gleich ganz klar zu sagen: Es gibt in diesem
Vertrag vieles, dem wir zustimmen können . Aber wir
haben auch einige Kritikpunkte . Zunächst möchte ich
klarstellen: Es darf gar keine Frage sein, dass Polizeibe-
amte, die einen verdächtigen Straftäter verfolgen, an der
Landesgrenze anhalten sollen . Vielmehr müssen Sie den
Verdächtigen weiterverfolgen bzw. vorläufig festhalten
können .


(Beifall des Abg . Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


Deswegen halten auch wir gemeinsame Polizeistreifen
beider Staaten prinzipiell für sinnvoll .

Einige Punkte des Vertrages sehen wir, wie gesagt,
kritisch . Beispielsweise soll die intensive Zusammen-
arbeit ausdrücklich auch der Bekämpfung von Schleu-
sungsdelikten und der unerlaubten Einreise dienen . Die
unerlaubte Einreise – das ist ein ganz besonderer Punkt,
meine Damen und Herren – ist ein Delikt, das vor al-
lem Flüchtlinge kriminalisiert . Sie kommen zwangsläu-
fig fast immer ohne gültige Einreisedokumente hierher.
Allerdings müssen die Ermittlungsverfahren, die dann
eingeleitet werden, nach internationalem Recht wieder
fallen gelassen werden, wenn sie einen Asylantrag ge-
stellt haben . 99 Prozent dieser Fälle gehen so aus, dass
die Verfahren eingestellt werden .

Die Polizei hat damit hunderttausendfach unsinnige
Schreibarbeit, weswegen selbst die Polizeigewerkschaft
GdP bereits mehrfach gefordert hat, dass dieser Straftat-

Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings






(A) (C)



(B) (D)


bestand abgeschafft werden soll, und wir meinen, völlig
zu Recht .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In einem Vertrag über moderne Formen der polizeilichen
Zusammenarbeit hat dieser Ladenhüter des Abschot-
tungsregimes unseres Erachtens nichts zu suchen .

Außerdem sieht der Vertrag vor, dass den Polizeibe-
amten des jeweiligen Nachbarlandes hoheitliche Befug-
nisse übertragen werden können, und zwar nicht nur im
unmittelbaren Grenzgebiet, sondern überall . Dabei soll
jeweils – eins zu eins, wie eben gesagt wurde – ein ein-
heimischer Polizist zugegen sein, aber nur „in der Re-
gel“, wie es im Vertrag heißt . So, wie es dort formuliert
ist, ist das für uns eine zu starke Einschränkung . Das be-
deutet, dass in Einzelfällen ein deutscher Polizist auch
zum Beispiel in Prag aktiv werden kann . Auch bei Groß-
demonstrationen könnte möglicherweise ein Anlass für
solche Polizeieinsätze gegeben sein .

Ich weiß natürlich – das ist auch klar –, dass es bisher
kaum Beispiele gibt; wir haben keine praktische Erfah-
rung . So kommt es zum Beispiel höchst selten vor, dass
ausländische Polizisten bei Demonstrationen in Deutsch-
land eingesetzt werden. Ich finde, das ist auch gut so. Ich
sehe keinen Grund, für solche Aktionen die Türen zu öff-
nen . Mir konnte bisher auch niemand erklären, warum
es möglich sein soll, dass die tschechische Polizei hier
beispielsweise bei Großdemonstrationen eingesetzt wird .

Wie solche Einsätze kontrolliert werden sollen, ist
überhaupt nicht geklärt . Wie sollen wir denn bundespo-
lizeiliche Maßnahmen, die in Prag unter Verantwortung
der tschechischen Polizei geschehen, aufklären? Wie
soll die Öffentlichkeit genaue Kenntnisse von Maßnah-
men der tschechischen Polizei in Deutschland erlangen?
Wie soll gewährleistet werden, dass deutsche und tsche-
chische Polizisten sich das Polizeirecht des jeweiligen
Nachbarlandes aneignen? Solche Fragen hat die Bun-
desregierung bisher nicht beantwortet . Es geht aber um
ein Rechtshilfeübereinkommen, und da erwarte ich, dass
auch solche Fragen beantwortet werden .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Öffentlichkeit und Parlamente müssen die Polizei
kontrollieren können . Wo diese Kontrolle fehlt oder un-
präzise wird, wird nicht Sicherheit geschaffen, sondern
Unsicherheit und im äußersten Falle auch Unrecht .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816123300

Frau Kollegin .


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816123400

Deswegen werden wir den Gesetzentwurf heute ab-

lehnen .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816123500

Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Susanne Mittag,

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Susanne Mittag (SPD):
Rede ID: ID1816123600

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der uns
zur Abstimmung vorliegende Gesetzentwurf zu dem Ab-
kommen über die Zusammenarbeit der Polizei- und Zoll-
behörden mit der Tschechischen Republik ist dringend
nötig . Der bisherige Polizeivertrag aus dem Jahr 2000 ist
logischerweise veraltet . Unser Nachbarland ist im Mai
mittlerweile seit zwölf Jahren Mitglied der Europäischen
Union und gehört seit 2007 zum Schengen-Raum . Es
wird also höchste Zeit, die polizeiliche Zusammenarbeit
endlich den heutigen Gegebenheiten anzupassen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das gelingt mit diesem Polizei- und Zollabkommen .
Gutes wird beibehalten und verbessert, wie das schon
erwähnte Gemeinsame Zentrum der deutsch-tschechi-
schen Polizei- und Zollzusammenarbeit in Petrovice und
Schwandorf . Dort arbeiten deutsche und tschechische
Polizisten und Zöllner eng zusammen, tauschen Informa-
tionen aus und ergänzen sich in ihren Ermittlungen . Hin-
dernisse in der Zusammenarbeit werden abgebaut und
die Kooperation über die Grenzen hinweg gestärkt . Das
ist gut; denn Kriminelle, egal ob Deutsche, Tschechen
oder Bürger aus anderen Staaten, begehen ihre Taten auf
beiden Seiten der Grenze . Um die Sicherheit in beiden
Ländern zu stärken, ist die Kooperation der Sicherheits-
behörden unabdingbar .

Schauen wir uns doch einmal genauer an, was nun
neu geregelt wird . Wenn man sich das letzte BKA-Lage-
bild zur organisierten Kriminalität aus dem vergangenen
Jahr zu Gemüte führt, stellt man fest, dass der Zoll zum
Beispiel – so wird es dort erwähnt – Tabellenführer im
Kampf gegen die organisierte Kriminalität ist . Besonders
die organisierte Kriminalität macht nicht halt vor Staats-
grenzen, sondern nutzt diese, um der Strafverfolgung zu
entgehen und Ermittlungen zu erschweren . Deswegen ist
es wichtig und richtig, den Zoll vollständig und gleichbe-
rechtigt in das Abkommen einzubeziehen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade im direkten Grenzbereich sind die nun getrof-
fenen klaren Regelungen zur Nacheile – also über die
Grenze hinterherfahren, wie das Wort schon sagt – im-
mens wichtig . Das Polizei- und Zollabkommen erweitert
die Möglichkeiten des Schengener Durchführungsab-
kommens bei der Verfolgung über Staatsgrenzen hinweg .

Des Weiteren erscheint mir die verbesserte Zusam-
menarbeit bei Ordnungswidrigkeiten sehr wichtig . So gilt
zum Beispiel das Fahren ohne Fahrerlaubnis in Deutsch-
land als eine Straftat . In der Tschechischen Republik ist
es nur eine Ordnungswidrigkeit; da gab es Klärungsbe-

Ulla Jelpke






(A) (C)



(B) (D)


darf. Auch hier finden eine verbesserte Zusammenarbeit
und ein Datenaustausch statt .

Warum ist aber die Zusammenarbeit mit der Tsche-
chischen Republik so wichtig? Welche Aspekte gibt es
noch? Nun, wenn wir uns die Besonderheiten des Grenz-
gebietes zwischen der Bundesrepublik und Tschechien
ansehen, fällt auf, dass wir zum Beispiel ein ungeheuer
großes Problem mit Betäubungsmitteln, insbesondere
mit Crystal Meth – diese Droge ist ja bekannt –, haben .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Manche kennen sich damit besser aus als andere!)


– Das soll es geben . – Bayern und Sachsen werden zum
Teil geflutet mit Methamphetaminen, die in tschechi-
schen Laboren hergestellt werden . Nicht nur in diesen
Bundesländern, sondern in der ganzen Republik ver-
zeichnen wir steigende Fallzahlen, abgesehen von der
Problematik in Tschechien selbst . Dort ist es ebenfalls
ein großes Problem . Da ist eine verbesserte Zusammen-
arbeit mit den tschechischen Kolleginnen und Kollegen
der Polizei unabdingbar .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen die Labore finden, Transportwege unterbre-
chen, die Täter ermitteln und das Einziehen von Vermö-
gen noch effektiver machen . Die Produktion und der Ver-
trieb von Crystal Meth in diesem Bereich liegen in den
Händen der organisierten Kriminalität .

Nicht nur Drogen, die in Tschechien hergestellt wer-
den, sind ein großes Problem . Neben den grenzüber-
schreitenden Problemen mit Einbrüchen in Wohnungen
und Geschäfte gibt es ein mindestens genauso großes Kri-
minalitätsfeld, auf dem sich Täter bewegen und das noch
gezielter bekämpft werden muss . Das ist die Zwangspro-
stitution . Vielen Männern, insbesondere den Menschen-
händlern, aber auch den sogenannten Freiern, ist es voll-
kommen egal, unter welchen Umständen die Frauen und
zum Teil minderjährigen Mädchen ihre Körper anbieten
müssen . Es ist gut, dass wir mit der anstehenden Novelle
zum Prostitutionsschutzgesetz klare Regelungen gegen
die Zwangsprostitution einführen werden .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ich dachte, das haben wir schon längst!)


Ich bin zuversichtlich, dass sowohl mit diesem Gesetz als
auch mit dem Abkommen auf beiden Seiten der Grenze
Menschenhändlern und Ausbeutern das Handwerk end-
lich effektiver gelegt werden kann .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das gilt natürlich nicht nur für die verbesserte Zusam-
menarbeit mit den tschechischen Kollegen . Die Zusam-
menarbeit mit den polnischen Kollegen hat sich auch
verbessert; hier gibt es ebenfalls ein entsprechendes Ab-
kommen .

Wie wichtig die grenzüberschreitende Zusammenar-
beit ist, konnte ich erst in der letzten Woche bei einem
Besuch in Bad Bentheim – das wird einigen bekannt
sein – detailliert feststellen . Hier funktioniert die auch mit

einem Abkommen hinterlegte Zusammenarbeit zwischen
der Polizei aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, den
Niederlanden und der Bundespolizei hervorragend . Im
Bereich Bad Bentheim gibt es derzeit ein großes Pro-
blem mit Tresorsprengungen und Wohnungseinbrüchen;
das dürfte allen hier aus der Presse hinlänglich bekannt
sein . Auch dort hat sich die Zusammenarbeit als sehr pro-
duktiv herausgestellt .

Unsere Polizeien und der Zoll müssen sich mit unse-
ren Nachbarn noch besser vernetzen sowie Informatio-
nen und Ermittlungsergebnisse austauschen können . Das
beginnt bei einem kompatiblen Digitalfunk, sodass die
Kollegen in Grenznähe direkt miteinander kommunizie-
ren können, und geht natürlich weiter mit dem automa-
tisierten Austausch von Erkenntnissen und Ermittlungs-
ergebnissen über IT-Systeme, ohne dass Daten erneut
händisch, also per Hand, eingepflegt werden müssen.

Das Problem kennen wir in Deutschland zur Genüge
zwischen den Bundesländern und beheben es hoffentlich
mit dem Start des Polizeilichen Informations- und Ana-
lyseverbunds, PIAV, der in der ersten Stufe im Mai dieses
Jahres hoffentlich starten wird . Ich würde mir wünschen,
dass zukünftig auch mit unseren europäischen Partnern –
natürlich unter der strikten Beachtung des Datenschut-
zes – kompatible IT-Systeme vereinbart und dann nicht
nur geplant, sondern auch verwirklicht werden . Das wür-
de die Arbeit der Ermittlungsbeamten wirklich erleich-
tern und zu mehr Täterermittlungen führen .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Günter Baumann [CDU/CSU])


Unsere Sicherheitsbehörden brauchen aber nicht nur
gute Abkommen mit unseren Nachbarstaaten, nein, wir
brauchen auch mehr Polizisten und Zöllner, die diese Ab-
kommen mit Leben erfüllen, und eine gute Ausrüstung
für ebendiese Beamten, die gute Ermittlungsergebnisse
erzielen sollen .


(Beifall bei der SPD)


Wir als SPD wollen nicht nur gute Gesetze schrei-
ben – wir sind dabei – und beschließen, sondern wir wol-
len effektiv die Sicherheit in unserem Land erhöhen . Da
hilft die anteilnehmende Beschreibung einer schwierigen
Lage vom warmen Plenarsaal aus auch nicht, sondern da
helfen nur mehr Personal- und Sachmittel für engagierte
Beamte auf der Straße und in den Ermittlungsgruppen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Darauf werden wir auch in den anstehenden Haushalts-
beratungen bestehen .


(Metin Hakverdi [SPD]: Genau!)


Gerade der Bereich der organisierten Kriminalität ist eine
„Holkriminalität“ . Nur wer viel kontrolliert und ermittelt,
macht das Dunkelfeld der Taten kleiner und das Hellfeld
größer . Das kann uns allen helfen .

Die 3 000 zusätzlichen Stellen bei der Bundespolizei
können nur ein erster Schritt sein . Wir brauchen mehr
Beamtinnen und Beamte, um die vielfältigen Aufgaben
der inneren Sicherheit zu bewältigen . Deswegen wollen

Susanne Mittag






(A) (C)



(B) (D)


wir natürlich auch weiterhin mehr Personal bei der Bun-
despolizei und dem BKA, wir wollen sie gut ausrüsten
und die Informationsvernetzung ausbauen . Die Täter ar-
beiten schon lange wissentlich grenzüberschreitend .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816123700

Verehrte Frau Kollegin, Sie überschreiten auch gerade

die Zeitgrenze, und zwar erheblich .


(Metin Hakverdi [SPD]: Aber nicht wissentlich!)



Susanne Mittag (SPD):
Rede ID: ID1816123800

Ein Satz noch . – Die Täter arbeiten schon lange wis-

sentlich grenzüberschreitend – so wie ich mit meiner
Zeit –, um die polizeilichen Ermittlungen zu erschweren .
Wir tun das aber jetzt auch und sind wieder ein Stück
näher an die Täter gerückt . Ich denke, das kann uns allen
helfen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816123900

Hier am Rednerpult gibt es eine Obergrenze . Die wird

durch dieses kleine blinkende Teil angezeigt .

Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Irene Mihalic, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .


Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816124000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern
ist bereits darauf hingewiesen worden, dass grenzüber-
schreitende Kriminalität natürlich besondere Heraus-
forderungen für die Polizeiarbeit zur Folge hat und dass
man ohne entsprechende Abkommen oder ohne die Zu-
sammenarbeit zwischen den Nachbarstaaten zu regeln,
diesem Problem nicht Herr werden wird . Dabei liegt es
natürlich auf der Hand, dass offene Grenzen ganz beson-
dere Anstrengungen in diesem Bereich erforderlich ma-
chen .

Ich möchte aber gern auf einen anderen Punkt hinwei-
sen; denn wir diskutieren heute darüber, ob wir einem
bilateralen Vertrag zustimmen, der immerhin vor fast ei-
nem Jahr geschlossen wurde, am 28 . April 2015 . Es ist
meiner Ansicht nach daher durchaus angebracht, sich zu
vergegenwärtigen, dass gerade das letzte Jahr erhebliche
Veränderungen für die beteiligten Staaten, Europa und
auch die Welt insgesamt gebracht hat .

Wenn ich nur einmal daran erinnern darf: Kein an-
deres Thema hat den politischen Diskurs in der Vergan-
genheit so stark geprägt wie die Flucht vieler Menschen
nach Europa – in Deutschland, aber auch in der Tsche-
chischen Republik . Sie alle kennen die Äußerungen des
Präsidenten der Tschechischen Republik in Bezug auf
Flüchtlinge . Ich bin davon überzeugt, dass keine hier im

Bundestag vertretene Partei ein solches Maß an Frem-
denfeindlichkeit gutheißt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb sage ich, dass wir dringend eine Zusammen-
arbeit in Europa brauchen, die von gemeinsamen Werten
getragen ist und sich im Kontext der internationalen Ent-
wicklung fortschreiben lässt . Wenn eine Mehrheit hier im
Deutschen Bundestag diesem Polizeiabkommen zustim-
men wird, dann darf das nicht darüber hinwegtäuschen,
dass die größten Herausforderungen in der europäischen
Sicherheitspolitik noch vor uns liegen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Krings, Frau Mittag, Sie haben darauf hinge-
wiesen, dass wir natürlich ein Problem im Bereich der
Betäubungsmittelkriminalität haben, insbesondere bei
Crystal-Meth-Laboren . Aber das betrifft eben auch das
Thema Waffen und Sprengstoffe . Der tschechische Waf-
fenmarkt, insbesondere der illegale Waffenmarkt, hat –
das gilt auch für einige andere Nachbarländer – in der
Vergangenheit für die Bewaffnung bestimmter Szenen
und Gruppierungen gesorgt und eine erhebliche Bedeu-
tung gehabt .

Jetzt ist der Vertrag bereits unterzeichnet . Das heißt,
wir beraten zwar im Deutschen Bundestag darüber, aber
Änderungen sind in diesem Zusammenhang nicht mehr
möglich . Es wäre daher sicherlich sinnvoll gewesen, Fra-
gen wie die der Betäubungsmittelkriminalität oder der
illegalen Waffenmärkte im Vorfeld der Verhandlungen
über ein solches Abkommen hier im Hause einmal zu
erörtern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE])


Für eine bessere parlamentarische Beteiligung spricht
meines Erachtens auch, dass es hier um Befugnisse geht,
die Polizeikräften anderer Staaten Grundrechtseingriffe
auf dem jeweiligen anderen Staatsgebiet ermöglichen;
darauf hat auch die Kollegin Jelpke noch einmal hinge-
wiesen . Für dieses Abkommen ist das jetzt natürlich lei-
der vergossene Milch – das muss man so sagen –; aber
zukünftig würde ich mir wünschen, dass wir eine parla-
mentarische Befassung haben, bevor ein solches Abkom-
men unterschrieben wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE])


Es ist mir bewusst: Das ist formal nicht vorgesehen . Aber
das hindert die Bundesregierung ja nicht daran, das viel-
leicht einmal zu versuchen .

Zum Inhalt des Vertrages möchte ich eigentlich nur
noch ergänzend sagen – dazu ist hier ja schon viel Rich-
tiges gesagt worden –, dass die Zusammenarbeit, die dort
geregelt ist, teilweise sehr weit geht . Wenn etwa ganze
Bundesländer zu Grenzgebieten erklärt werden, dann fra-

Susanne Mittag






(A) (C)



(B) (D)


ge ich mich, ehrlich gesagt, ob das sachlich gerechtfertigt
ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE])


Ich sehe in einer solchen Regelung eher ein Zeichen da-
für, dass wir neue Formen der europäischen polizeilichen
Zusammenarbeit in einem Europa ohne Grenzen finden
müssen .

Ganz herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816124100

Herzlichen Dank . – Als letztem Redner in der Aus-

sprache erteile ich das Wort dem Abgeordneten Günter
Baumann, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Günter Baumann (CDU):
Rede ID: ID1816124200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ein Grundbedürfnis der Menschen ist es, in
Sicherheit zu leben . Der Staat hat für eine ausreichende
Sicherheitsarchitektur zu sorgen . Dazu gehört natürlich –
Kollegin Mittag, da sind wir der gleichen Meinung – eine
personell und finanziell gut ausgestattete Polizei im Bund
und in den Ländern im Zusammenspiel mit allen anderen
Sicherheitsbehörden .

Leider mussten wir in den letzten Jahren einen An-
stieg der Kriminalität auf den verschiedensten Gebieten
feststellen . Die Politik war in besonderer Weise gefor-
dert, hierauf zu reagieren . Wir dürfen der Kriminalität
aber in keiner Weise nachgeben . Der Staat muss das Ge-
waltmonopol in seinen Händen behalten und mit allen
Mitteln verteidigen .

Ein besonderes Problem ist – es ist bereits genannt
worden – die Kriminalität im grenznahen Raum . Hier
mussten wir in den letzten Jahren an der Grenze zu Tsche-
chien, speziell in Gemeinden in Bayern und in Sachsen,
einen Anstieg der Kriminalität feststellen . Den Menschen
ist es vollkommen egal, wer für Sicherheit sorgt, ob Lan-
despolizei, Bundespolizei oder Zoll . Sie wollen einfach
sicher leben, und wir haben dafür zu sorgen .

Ich möchte deutlich sagen: Offene Grenzen von
Deutschland zu Tschechien und auch zu Polen sind ein
Zugewinn an Freiheit . Natürlich brachte die Öffnung der
Grenzen einen Anstieg grenzübergreifender Kriminalität
mit sich, der wir uns stellen müssen . Zahlreiche Beispiele
aus den Grenzregionen wie Wohnungseinbrüche, Auto-
diebstähle, Diebstähle von Baumaschinen und Traktoren
verunsichern die Bevölkerung . Die Menschen sagen: Der
Staat muss hier handeln .

Als ein konkretes Beispiel möchte ich auf den erheb-
lichen Anstieg bei den Verstößen gegen das Betäubungs-
mittelgesetz eingehen; der Staatssekretär sprach bereits
davon . Allein im Bereich der Bundespolizeidirektion
Pirna, das heißt im Bereich des sächsisch-tschechischen
Grenzgebietes, haben wir im letzten Jahr 6 475 Fahn-

dungstreffer gehabt . Das ist schon erheblich . Auch das
ist nur die Spitze des Eisberges . Wir wissen inzwischen,
dass in tschechischen Drogenküchen zum Beispiel 2013
für den deutschen Markt 11 Tonnen Crystal Meth pro-
duziert wurden . Die deutschen Behörden haben es mit
all ihren Möglichkeiten geschafft, davon 77 Kilogramm,
also nur unter 1 Prozent, aufzugreifen . Meine Schluss-
folgerung daraus ist: Die Zusammenarbeit von Bundes-
polizei, sächsischer und bayerischer Landespolizei, deut-
schem Zoll, tschechischer Polizei und tschechischem
Zoll muss verstärkt und qualitativ verbessert werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Vertrag von 2000 regelt einiges . Ich sage Ihnen
auch, dass in der Praxis vieles gemacht wird, was ver-
traglich gar nicht komplett geregelt ist, was die Kollegen
auf beiden Seiten der Grenze aus ihrer Not heraus aber
einfach durchführen . Dazu nenne ich einige Beispiele: Es
gibt bereits gemeinsame Streifen, turnusmäßig gemein-
same Arbeitsbesprechungen, gemeinsame Schwerpunkt-
einsätze, wenn die entsprechenden Erkenntnisse vorlie-
gen, und einen Austausch von Daten und Informationen .

Der Vertrag aus dem Jahr 2000 – das ist bereits gesagt
worden – stammt aus der Zeit vor dem Eintritt Tschechi-
ens in die EU und vor dem Wegfall der Grenzkontrollen
im Jahr 2007 und muss auf den Prüfstand gestellt und
überholt werden . Darüber hinaus war es Ziel der Ver-
handlungen, den Zoll vollständig in die grenzüberschrei-
tende Bekämpfung der Kriminalität mit einzubeziehen .

Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung ei-
nen neuen deutsch-tschechischen Polizeivertrag für eine
noch effektivere Zusammenarbeit der Polizei-, Grenz-
und Zollbehörden beider Länder . Wir sind froh, dass die-
ser Vertrag zustande kam . Es gibt auch ein Gemeinsames
Zentrum der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzu-
sammenarbeit Petrovice-Schwandorf .

Der Vertrag ist die Grundlage für die Verbrechensbe-
kämpfung im Bereich der 646 Kilometer langen Grenze .
Er umfasst Informationsaustausch, gemeinsame Strei-
fen, Maßnahmen in Gefahrensituationen, Austausch von
Verbindungsbeamten, operative Ermittlungsgruppen,
Zusammenarbeit bei der Aus- und Fortbildung und die
grenzüberschreitende Nacheile, die entscheidend ist, so-
wie das Gemeinsame Zentrum für Polizei und Zoll .

Entscheidend ist, dass mit Umsetzung des Abkommens
die Zusammenarbeit verbessert wird und ein Handeln auf
dem jeweils anderen Hoheitsgebiet möglich ist . Ob orga-
nisierte Kriminalität, Drogenkriminalität, Schleusungen,
illegale Flüchtlingsströme, Rauschgiftdelikte, Diebstähle
oder Einbrüche: Der Vertrag schafft neue Grundlagen für
eine effektivere grenzüberschreitende Zusammenarbeit .
Mit dem Polizeivertrag mit Tschechien werden wie be-
reits mit dem Polizeivertrag mit Polen, den wir im letzten
Jahr verabschiedet haben, neue Handlungsspielräume für
Polizei und Zoll eröffnet . Dies ist ein weiterer wichtiger
Baustein für unsere Sicherheitsarchitektur – ich betone:
ein Baustein; wir brauchen noch wesentlich mehr –, und
die Bürger erwarten dies von uns .

Irene Mihalic






(A) (C)



(B) (D)


Herr Präsident, ich sehe es hier leuchten . Deswegen
mein letzter Satz: Ich möchte in dieser Debatte die Ge-
legenheit nutzen, mich bei den Polizeibeamtinnen und
Polizeibeamten und bei den Zöllnern auf allen Seiten –
Sachsen, Bayern, Bund und Tschechien – ganz herzlich
für ihre Arbeit zu bedanken, die sie jeden Tag für uns alle
leisten .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816124300

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu
dem Vertrag mit der Tschechischen Republik über die
polizeiliche Zusammenarbeit und zur Änderung des
Vertrages über die Ergänzung des Europäischen Über-
einkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen und die
Erleichterung seiner Anwendung . Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/7687, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/7455 anzunehmen . Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr
Handzeichen . – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und einer Ent-
haltung aus der Fraktion Die Linke angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen
zu erheben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist angenommen mit den Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bünd-
nis 90/Die Grünen und von zwei Kollegen der Linken .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Oliver Krischer, Nicole Maisch, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Zukunftsfähige Hühnerhaltung – Kükentö-
tung schnellstmöglich ein Ende setzen

Drucksache 18/7878
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Ernährung und
Landwirtschaft (10 . Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Harald
Ebner, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Männliche Eintagsküken leben lassen

Drucksachen 18/4328, 18/7726

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat als erster
Redner Herr Minister Johannes Remmel von der Landes-
regierung Nordrhein-Westfalen .


(Nordrhein-Westfalen)


Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Abgeordneten! Ich habe es selber kaum glauben wollen;
denn die Zahl ist unglaublich: In unserem Land werden
jedes Jahr 50 Millionen männliche Küken aus ökonomi-
schen Gründen getötet – Tiere und Mitgeschöpfe, die den
Tod finden, sobald sie auf der Welt sind, sozusagen ge-
boren, um direkt zu sterben . Sie werden in den Häcksler
gestopft, quasi wie Gartenabfall, oder sie werden begast,
fabrikmäßig, am Fließband – und das aus einem einzigen
Grund: weil sie zu nichts mehr nütze sind .

Diese, wie ich finde, abscheuliche Praxis geschieht
mit Billigung des Gesetzgebers und bisher auch unserer
Gerichte . Wir alle miteinander beklagen das wortreich,
aber sind trotzdem tatenarm . Denn es ändert sich nichts .

„Warum lasst ihr das zu?“, fragen erschütterte Bürge-
rinnen und Bürger zuhauf .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!)


Was antworten Sie denen? „Weil die Welt eben kein
Ponyhof oder Hühnerhof mehr ist, so, wie wir sie mal
kannten“? „Weil die Bedingungen in der industriellen
Fleischproduktion und Tierhaltung nun mal so sind, wie
sie sind“? „Schicksal halt!“?

Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind
keine Antworten, sondern Ausflüchte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Denn die Bedingungen der Tierproduktion bzw . der Tier-
haltung fallen ja nicht vom Himmel . Sie sind gewachsen
und letztlich auch vom Gesetzgeber, also von Ihnen, de-
finiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


An dieser Stelle duckt sich, finde ich, die Bundesregie-
rung feige weg . Sie lässt die Länder im Regen stehen


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


und verweist – wahrscheinlich auch heute wieder – auf
technische Lösungen, die irgendwann mal kommen,
aber – so sagen Expertinnen und Experten – im Moment
jedenfalls eine Sackgasse darstellen .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Genau deshalb bleiben die Versuche auf Landesebene,
dem Rad endlich in die Speichen zu fallen, bisher er-
folglos . Der Vorstoß meines Bundeslandes wurde vom

Günter Baumann






(A) (C)



(B) (D)


Verwaltungsgericht vorerst gestoppt. Derzeit befinden
wir uns im Berufungsverfahren . Eine Klageschrift der
Staatsanwaltschaft Münster wurde vom Landgericht
Münster nicht zugelassen – auch hier gibt es ein weiteres
Verfahren .

Wir haben eine Bundesratsinitiative auf den Weg ge-
bracht, um die Unvereinbarkeit des Kükenschredderns
mit dem Tierschutz aufzuzeigen und diese Praxis ent-
sprechend abzustellen . Der Bundesrat hat das mehrheit-
lich beschlossen; der Bundestag bzw . die Bundesregie-
rung haben allerdings noch nicht gehandelt .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum eigentlich nicht?)


Kurzum: Die Länder haben alles getan, was sie konn-
ten . Aber wir alle wissen: Hier bei Ihnen spielt die Musik .
Ohne den Bundestag läuft nichts . Solange die Bundes-
regierung und der Bundestag sich nicht zu einem wirk-
samen und umfassenden Tierschutz bekennen, geht das
millionenfache Töten von Tieren weiter . Ich sage das an
dieser Stelle bewusst; denn das Töten aus rein ökonomi-
schen Gründen ist ein niederer Beweggrund .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Dafür, meine sehr geehrten Damen und Herren, gibt es
keine Rechtfertigung, und das ist auch nicht durch unsere
Verfassung legitimiert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Eins muss klar sein: Tiere sind kein Abfallprodukt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir fordern deshalb die Bundesregierung und Sie heute
nachdrücklich auf: Schließen Sie sich der Initiative der
Landwirtschaftsminister aus Nordrhein-Westfalen und
Niedersachsen an! Legen Sie so schnell wie möglich ei-
nen Entwurf zur Änderung des Tierschutzgesetzes vor,
der explizit verbietet, Tiere ohne ethisch vertretbaren
Grund


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


und insbesondere alleine zur Vermeidung wirtschaftli-
cher Nachteile zu töten . Denn, meine sehr verehrten Da-
men und Herren, ich finde, es steht mehr auf dem Spiel
als alleine das Wohl der Tiere . Mit jedem geschredderten
Tier schreddern wir auch ein Stück unserer eigenen Wür-
de . Ich fordere Sie auf: Handeln Sie endlich!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Rede!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816124400

Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten

Dieter Stier, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dieter Stier (CDU):
Rede ID: ID1816124500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf
der Besuchertribüne! Zukunftsfähige Rahmenbedingun-
gen zu setzen, damit sich Hühnerhaltung und Tierhaltung
insgesamt gut entwickeln können, ist unser aller Ziel .
Wir alle wollen die Praxis des Tötens von männlichen
Eintagsküken schnellstmöglich beenden .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum tun Sie denn nichts!)


Mit Ihren Anträgen greifen Sie, geschätzte Vertreter
der Opposition, ein Thema auf, dessen Problematik die
Koalition, allen voran unser Bundesminister Christian
Schmidt, längst erkannt hat .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das reicht aber nicht! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der macht aber nichts! Der kündigt nur an!)


Seit Monaten treibt sie die notwendigen Tierschutzlösun-
gen erfolgreich und unbeirrt voran . Dass wir das Töten
männlicher Küken nicht hinnehmen werden, daran haben
wir von Beginn an keinen Zweifel gelassen


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie lassen es aber weiter zu!)


und haben ohne zu zögern die notwendigen Maßnahmen
eingeleitet, um diese Praxis künftig zu beenden,


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann wird was beendet?)


weil sie nicht zeitgemäß ist – auch aus tierethischen Grün-
den . Es ehrt Sie, sehr geehrter Herr Minister Remmel,
dass Sie extra aus Nordrhein-Westfalen nach Berlin rei-
sen, um hier im Hohen Haus vorzutragen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist es allemal wert!)


Ihren Weg zum Ziel teile ich allerdings nicht . Tierwohl
verbessern geht nicht mit der Brechstange und nicht mit
Verboten, sondern nur gemeinsam mit den Tierhaltern
und praxisgerechten Lösungen, sonst verlagern wir die
Tierhaltung ins Ausland .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im Grünenantrag steht, dass Brütereien, die Sie üb-
rigens abschätzig als „Geflügelindustrie“ beschreiben,
alle männlichen Küken grundlos, also ohne vernünftigen
Grund, in den Tod schicken würden .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Hier bitte ich Sie, bei der Wahrheit zu bleiben . Auch wenn
es uns schwerfällt, meine Damen und Herren: Rechtlich
gesehen liegt der vernünftige Grund vor,


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn der Grund?)


Minister Johannes Remmel (Nordrhein-Westfalen)







(A) (C)



(B) (D)


den unser Tierschutzgesetz fordert . Wer hier das Küken-
schicksal instrumentalisiert, um die Brütereien in unse-
rem Land,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn der Grund? Sagen Sie uns doch mal den Grund!)


die sich an Recht und Gesetz halten, zu kriminalisieren,
der geht aus meiner Sicht den falschen Weg .


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo genau ist denn jetzt der Grund?)


So schwierig sich die Situation auch darstellt: Die
Brütereien handeln nicht rechtswidrig . Diese Feststel-
lung ist mir persönlich wichtig .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann ändern Sie das Recht! Dann ändern Sie es!)


Es ist gut, Herr Remmel, dass Sie das selbst erwähnt ha-
ben . Das Verwaltungsgericht Minden hat deshalb Ihren
Erlass aus dem Jahr 2013 kassiert, und ich bin froh, dass
auch das Landgericht Münster in der vergangenen Wo-
che die Eröffnung eines Hauptverfahrens aufgrund einer
Anzeige gegen eine Brüterei aus Ihrem Bundesland ab-
gelehnt hat . Beide Gerichte haben Sie damit zurück auf
den Boden des Rechtsstaates geholt .


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, weil Sie das Gesetz nicht ändern! Das ist doch das Problem!)


Nicht mit Schuldzuweisungen, sondern nur mit einer
klugen Lösung kommen wir bei diesem sensiblen Thema
weiter . Schauen wir uns nun die Lösungen an: Wir set-
zen hier auf die Methode, die derzeit machbar und auch
zeitnah umsetzbar erscheint . Das ist die Geschlechtsbe-
stimmung am befruchteten Hühnerei . Je früher das Ge-
schlecht bestimmbar ist, desto eher kann das Ausbrüten
männlicher Küken verhindert werden . Doch dazu bedarf
es auch moderner Technik und Praxisreife, wofür For-
schungsarbeit nötig war und auch noch nötig ist . Genau
dort haben wir mit unserer Förderung angesetzt . Um die
Praxisreife weiter voranzutreiben, sind letztes Jahr Zu-
wendungsbescheide von über 1 Million Euro vergeben
worden . Sie haben ihren Ursprung direkt in der Tier-
wohl-Initiative des Ministeriums . Insgesamt sind sogar
über 3 Millionen Euro in die Erforschung eines geeigne-
ten Verfahrens geflossen.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816124600

Herr Kollege, Frau Kollegin Haßelmann hätte den

Wunsch einer Zwischenfrage . Wollen Sie diese zulassen?


Dieter Stier (CDU):
Rede ID: ID1816124700

Bitte schön, Frau Kollegin Haßelmann .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816124800

Bitte schön, Frau Kollegin .


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816124900

Vielen Dank, Herr Präsident . Vielen Dank auch Ihnen,

Kollege Stier . – Meine Frage an Sie ist folgende: Wenn
Sie als Koalition das Problem erkannt haben, wie Sie ge-
sagt haben – Sie haben ja gerade auch noch den Minister
genannt –, warum legen Sie dem Deutschen Bundestag
keine gesetzliche Initiative im Bereich des Tierschutzge-
setzes vor? Sie wissen ja ganz genau, wo der Fall, die
dramatische Situation, die Herr Remmel beschrieben hat,
zu regeln wäre . Warum legen Sie also dem Bundestag
keinen Gesetzentwurf vor, wenn klar ist, dass das Töten
von männlichen Küken sofort abgestellt werden kann,
und wenn Sie der gleichen Auffassung sind wie wir, dass
das eigentlich ein untragbarer Zustand ist?


Dieter Stier (CDU):
Rede ID: ID1816125000

Liebe Frau Kollegin, dazu kann ich Ihnen ganz kurz

entgegnen, dass diese gesetzliche Lösung nicht erforder-
lich ist, weil sie automatisch greift, wenn das Verfahren
praxisreif ist . Mehr will ich dazu gar nicht sagen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das denn für eine Logik? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für ein Verfahren?)


Wir werden dann, meine Damen und Herren – ich bin
zuversichtlich, dass das zeitnah sein wird –, einen Proto-
typ für das Gerät haben, der das Geschlecht im nur drei
Tage bebrüteten Ei bestimmen und die Eier entsprechend
automatisch sortieren kann . Sobald das Gerät auf dem
Markt verfügbar ist, steht einer serienmäßigen und flä-
chendeckenden Anwendung seitens der Wirtschaft nichts
mehr im Wege . Für uns heißt das: Das Töten männlicher
Küken hat dann endlich ein Ende .

Als Alternative zu dieser Kükentötung gibt es weiter-
hin das Zweinutzungshuhn, also Kreuzungszuchtlinien
oder Rassen, bei denen beide Geschlechter aufgezogen
werden . Ich habe hier mehrfach auf die Initiative Bruder-
hahn hingewiesen . Maximalerträge, meine Damen und
Herren, sind damit aber nicht zu erreichen, und genau da-
rin liegt das große Dilemma . Hinzu kommt: Hähnchen-
fleisch und Eier sind hierbei wesentlich teurer. Dennoch
haben wir uns auch diesem Ansatz nicht verschlossen
und in die Forschung zur Zucht des Zweinutzungshuhnes
1,8 Millionen Euro fließen lassen.

Wie Sie also sehen können, beschreiten wir gleich
mehrere Wege . Trotzdem bleibt im Falle des Zweinut-
zungshuhnes künftig gerade auch der Konsument gefor-
dert, nicht nur obligatorische Lippenbekenntnisse zum
Tierschutz abzugeben, sondern auch einen höheren Preis
zu akzeptieren .

Lassen Sie mich zusammenfassen: Der Ausstieg aus
der Kükentötung ist beschlossen,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist beschlossen? Nicht im Bundestag! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht im Bundestag!)


Dieter Stier






(A) (C)



(B) (D)


das technische Verfahren hierzu ist auf dem besten Wege,
und die Zielstellung, es 2018 erstmals im Markt zu eta-
blieren, ist unumkehrbar .

Meine Damen und Herren, wir haben die letzte Sit-
zungswoche vor Ostern . Jedes Jahr zu dieser Zeit stellen
Sie hier Anträge zu Hasen, Eiern und Geflügel und wol-
len damit das Thema emotional besetzen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, weil Sie nichts tun! Das ist immer gleich! Das ist Ihr Problem! – Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Es geht um Hühner und nicht um Hasen!)


Das ist Ihre Strategie .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Leider! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir werden nächstes Jahr wieder einen Antrag stellen, weil Sie nichts tun!)


Wir arbeiten lösungsorientiert .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, jedes Jahr aufs Neue!)


In diesem Sinne lade ich Sie zu einer lösungsorien-
tierten Mitarbeit ein, und ich wünsche Ihnen schon heute
von diesem Pult ein frohes Osterfest .

Vielen herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816125100

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Dr . Kirsten Tackmann, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816125200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-

be Gäste! Um es gleich am Anfang zu sagen: Die Linke
will einen schnellstmöglichen Ausstieg aus dem Töten
von männlichen Küken, möglichst sofort .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In der Tat gibt es Tierschutzprobleme, die ein bisschen
schwieriger zu lösen sind . Da brauchen wir Forschung,
wobei ich auch sage: Forschung darf nie als Ausrede be-
nutzt werden, um nicht zu handeln . Aber wenn es Lösun-
gen für Tierschutzprobleme gibt, dann sind wir doch als
Gesetzgeber verpflichtet, konsequent zu handeln.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Über den Ausstieg aus den Kükentötungen besteht po-
litischer Konsens -zumindest dachte ich das bis vorhin .
Deswegen: Warum soll man das nicht in einem Gesetz
niederschreiben?

Es geht – das ist schon gesagt worden – um 50 Millio-
nen Küken, die alljährlich in unserem Land getötet wer-
den, weil sie sich nicht rechnen, weil sie keine Eier legen

wie ihre Schwestern oder weil sie weniger oder langsa-
mer Fleisch ansetzen als ihre Brüder aus den Mastlinien .
Wir können nicht einfach wegsehen und das ignorieren .
Als Gesetzgeber müssen wir uns die Frage stellen: Reicht
das zur Legitimation? Als Linke und als Tierärztin sage
ich: Nein!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich aus der ak-
tuell schon erwähnten Entscheidung des Landesgerichts
Münster, worum es geht: um einen „mehrfachen, nicht
umkehrbaren und schwerwiegenden Eingriff in den
Tierschutz“ . Ja, trotzdem hat das Gericht die Klage der
Staatsanwaltschaft gegen eine Brüterei abgewiesen, aber
mit einer klaren Forderung – ich zitiere erneut –: Es be-
darf einer Entscheidung des Gesetzgebers, die das Land-
gericht nicht an dessen Stelle treffen könne .

Das finde ich als Linke vollkommen richtig. Aus mei-
ner Sicht wird den Gerichten sowieso zu viel überlassen,
wo wir als Gesetzgeber eigentlich gefragt sind .


(Beifall bei der LINKEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an den Abg . Dieter Stier [CDU/CSU] gewandt: Herr Stier, haben Sie das gehört?)


Als Linke wollen wir ganz klar eine eindeutige ge-
setzliche Regelung und einen konsequenten Ausstiegs-
plan . Das sieht auch der Bundesrat so, der – das ist schon
erwähnt worden – bis Mitte 2017 den Ausstieg will . Es
sind ja Alternativen verfügbar oder zumindest absehbar .
Als Tierärztin sage ich ganz klar, dass der klare Favo-
rit das Zweinutzungshuhn ist, also eine Züchtung, bei
der Fleisch- und Legeleistung ausgewogen miteinander
kombiniert sind . Ich glaube, dass die Verbraucherinnen
und Verbraucher das als Favoriten sehen . Österreich, die
Niederlande und selbst die USA sind uns da weit voraus .

Einen anderen Weg geht die Initiative Bruderhahn seit
2014 . Das ist schon erwähnt worden . Gerade wurde in
Finkenthal im Landkreis Rostock in einer Erzeugerge-
meinschaft bereits der einhunderttausendste Bruderhahn
eingestallt . Das zeigt doch, dass es geht und dass es keine
Vision ist .

Die dritte Variante ist auch schon genannt worden: die
Geschlechtsbestimmung im Ei . Das ist, ehrlich gesagt,
ein falscher Weg; denn die Bestimmung ist aufwendig,
teuer usw . Aber meinetwegen kann man auch diesen Weg
wählen .

Für mich als Linke ist eine andere Frage besonders
spannend: Wie finanzieren wir denn die Mehrkosten?
Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass auch Menschen
mit einem kleinen Geldbeutel kein Billigfleisch auf Kos-
ten des Tierwohls haben wollen . Sie wollen aber gleich-
zeitig nicht die Zeche zahlen, wenn sich die Handelskon-
zerne in die Büsche schlagen . Wir müssen uns also auch
die Frage stellen, wie die Mehrkosten verteilt werden
und in wessen Taschen das Geld dann wirklich landet .
Als Linke sage ich da ganz klar: Handelskonzerne sind
als Allererste in der Pflicht, wenn es darum geht, für ver-
nünftige und faire Erzeugerpreise zu sorgen . Ich sage als
Linke auch ganz klar: Wenn die Handelskonzerne ihre

Dieter Stier






(A) (C)



(B) (D)


Marktmacht für Dumpingpreise missbrauchen, muss der
Staat reagieren und durchgreifen,


(Beifall bei der LINKEN)


gerade auch bei Lebensmitteln, meinetwegen auch auf
Grundlage des Kartellrechts . Lebensmittel müssen aber
auch bezahlbar bleiben . Deshalb muss der Handel aus
meiner Sicht die Mehrkosten übernehmen; er darf sie
nicht eins zu eins auf die Verbraucherpreise umlegen . Ich
bin mir sicher, dass sie es mit ein bisschen gutem Willen
hinbekommen, ohne gleich in Armut zu stürzen .

Die Verbraucherinnen und Verbraucher können sich
zum Beispiel über die Bruderhahn-Initiative beteiligen .
Die Eier sind etwa 3 bis 4 Cent teurer . Damit wäre die
Hälfte der Mehrkosten schon bezahlt. Ich finde, in Ver-
bindung mit einer vernünftigen Kennzeichnung ist das
ein realistischer Weg; das kann funktionieren .

Insofern gibt es aus meiner Sicht nur eine Schlussfol-
gerung: Wir müssen das Schlupfloch beim Kükentöten
endlich schließen, und zwar sofort . Dem Antrag der Grü-
nen schließen wir uns deswegen an .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816125300

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Christina Jantz-Herrmann, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Christina Jantz (SPD):
Rede ID: ID1816125400

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Liebe Gäste auf den Tribünen! Wir erkennen auch
an der heutigen Debatte, dass kaum ein Tierschutzthema
so polarisiert wie die millionenfache Tötung männlicher
Eintagsküken in deutschen Brütereien . Das ist zudem
wenig verwunderlich, weil uns diese Praxis unmissver-
ständlich vor Augen führt, wohin ökonomisches Kalkül
in der Nutztierzucht führen kann .

Bereits vor einem Jahr haben wir hier im Deutschen
Bundestag über die Tötung der für die Mast unrentablen
männlichen Eintagsküken debattiert .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tja!)


Nun hat die Diskussion erneut Fahrt aufgenommen .
Grund hierfür war – es ist schon angesprochen worden –
auch die Anklage der Staatsanwaltschaft Münster gegen
eine nordrhein-westfälische Brüterei . Die Staatsanwalt-
schaft war der Ansicht, dass bei der Praxis der Tötung
männlicher Eintagsküken das Tierschutzgesetz mit Fü-
ßen getreten wird .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Auch wenn das Gericht die Klage bereits abgewiesen
hat, hat die Anklageerhebung als solches bereits deutlich
gemacht, wie defizitär das Handeln der Bundesregierung

insbesondere im Bereich der Landwirtschaft in der Ver-
gangenheit doch war .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Warum macht ihr nichts? Ihr könnt doch was machen!)


Dass jährlich rund 45 Millionen männliche Eintagskü-
ken vergast werden, ist mit dem Staatsziel Tierschutz aus
meiner Sicht nicht vereinbar .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wenn männliche Küken für die Agrarindustrie unattrak-
tiv werden, nur weil sie aus Legelinien stammen, dann
stimmt hier etwas ganz grundsätzlich nicht .

Ich möchte keinen Hehl daraus machen, dass die An-
träge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit vielen un-
serer Positionen übereinstimmen .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke schön!)


Beim Ziel, die Praxis der Tötung männlicher Eintagskü-
ken zu beenden, weiß ich im Grunde genommen aber alle
Bundestagsfraktionen vereint .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Unterschiede tun sich entlang der Frage auf, wie dieses
Ziel erreicht werden kann und mit welchem Nachdruck
das Ziel verfolgt werden soll .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch mal zwei Jahre warten!)


Bundesminister Schmidt hat sich in dieser Frage deut-
lich positioniert .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht er gern! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er macht gar nichts! Das ist das Problem bei diesem Minister!)


Er setzt auf die Methode der In-ovo-Untersuchung – wir
haben es gehört –, mit der das Geschlecht des Kükens
schon sehr früh im Ei bestimmt werden soll, sodass
männliche Küken gar nicht erst ausgebrütet werden . Die
SPD-Bundestagsfraktion trägt diesen Ansatz mit . Wir sa-
gen aber auch ganz klar: Eine solche Methode kann nur
eine Brückentechnologie sein .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Eier aus Legelinien, die männliche Küken hervorbrin-
gen werden, sind auch bei Verwendung der Methode
der In-ovo-Untersuchungen in den Augen der Betriebe
wertlos . Die In-ovo-Methode tritt dieser ethisch absolut
verwerflichen Praxis, dieser industriellen Logik nicht
entgegen .

Der Minister hat das Ende der gruseligen Tötungspra-
xis für 2017 angekündigt . Wir hoffen, dass er da auch
Wort halten kann .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Warten wir mal ab!)


Dr. Kirsten Tackmann






(A) (C)



(B) (D)


Der niedersächsische Landwirtschaftsminister Meyer
will darauf nicht warten; er versucht Tatsachen zu schaf-
fen . Er will die in meinem Bundesland Niedersachsen
bestehende Ausnahmeregelung, nach der die Tötungs-
praxis dort bisher noch zulässig ist, aufheben . Uns droht
in Deutschland in dieser Frage, wie wir jetzt hören, durch
die Bundesländer also ein Flickenteppich an unterschied-
lichen Vorgaben, wenn Bundesminister Schmidt keine
bundeseinheitliche Regelung voranbringen kann .

Die SPD-Bundestagsfraktion befördert zudem einen
alternativen Ansatz: die Rückkehr zum Zweinutzungs-
huhn, also zu Hühnerrassen – Frau Tackmann hat es
schon ausgeführt –, die sowohl zum Eierlegen als auch
zum Mästen geeignet sind . Otto Normalverbraucher
würde sagen: ein ganz normales Huhn . Insbesondere auf
Druck meiner Fraktion fördert das BMEL die Forschung
über das Zweinutzungshuhn mit rund 1,8 Millionen Euro .
Ich finde, wir brauchen noch mehr Mittel.


(Beifall bei der SPD)


Es gibt weitere Ansätze, die die industrielle Logik des
Tötens männlicher Eintagsküken durchbrechen . Zu nen-
nen sind hier beispielsweise die „Bruderhahn Initiative
Deutschland“ und die „haehnlein“-Eier aus Mecklen-
burg-Vorpommern . Beide Initiativen setzen darauf, dass
die Aufzucht der für die Mast suboptimalen männlichen
Küken über einen leicht erhöhten Preis der Eier mitfi-
nanziert wird . 4 Cent pro Ei – es hörte sich bei Ihnen,
Herr Kollege Stier, deutlich teurer an – sind es bei der
„Bruderhahn Initiative“ .


(Dieter Stier [CDU/CSU]: Ich habe keinen Preis genannt!)


Leider fristen beide Ansätze noch ein Nischendasein im
Biosegment . Hier wäre es am Landwirtschaftsminister
und auch an uns allen, positive Anreize zu schaffen und
die wirtschaftliche Tragfähigkeit dieser Ansätze zu un-
terstützen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt, wie wir ge-
hört haben, verschiedene konstruktive Lösungsansätze,
mit denen das Problem angegangen werden kann . Wir
sollten uns nicht zu sehr auf technologische Ansätze fo-
kussieren, die die industriellen Mechanismen nicht infra-
ge stellen .

Ich werbe bei Ihnen allen um Ihre Unterstützung und
danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816125500

Es gab noch den Versuch, eine Zwischenfrage zu stel-

len, aber das ist durch vorzeitige Beendigung der Rede
jetzt nicht mehr möglich .


(Heiterkeit – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: „Vorzeitige Beendigung“?)


– Nein, nein, es ist kein Kollege gezwungen, die Redezeit
auszunutzen . Die Freiheit des Mandates ist da ganz klar .


(Helmut Brandt [CDU/CSU]: Sehr guter Hinweis!)


Als letzter Rednerin in dieser Aussprache erteile
ich das Wort der Abgeordneten Rita Stockhofe, CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rita Stockhofe (CDU):
Rede ID: ID1816125600

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und

Herren! Liebe Gäste! Wir haben es in der Debatte von al-
len gehört: Keiner möchte, dass Küken getötet werden .
Es gibt fürchterliche Bilder, die keiner sehen möchte . Wir
wollen dafür sorgen, dass wir sie in Zukunft auch nicht
mehr sehen müssen .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann sorgt doch mal dafür! – Gegenruf des Abg . Helmut Brandt [CDU/ CSU]: Jetzt mal langsam!)


– Genau: Jetzt mal langsam .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das „möchten“ reicht ja nicht! Das hören wir ja hier seit Jahren!)


Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert in ihrem
Antrag eine Änderung des Tierschutzgesetzes .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Das Töten aus wirtschaftlichen Gründen soll verboten
werden . Dies soll dann ein Beitrag zum Tierschutz sein .
Ich bin der Meinung: Das ist viel zu kurz gedacht .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Wir können nicht etwas verbieten, ohne eine Lösung an-
zubieten, wie ein solches Verbot umgesetzt werden kann .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Herangehensweise an ein Problem ist typisch für
die Grünen .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Schade, dass Sie nicht zugehört haben!)


Minister Schmidt hat einen ganz anderen Weg ge-
wählt . Nach seinem Amtsantritt hat er sich schnell um
dieses Thema gekümmert,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


und „kümmern“ heißt bei uns in der CDU/CSU nicht,
wie bei den Antragstellern, über die Situation zu lamen-
tieren und Verbote auszusprechen,


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! – Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Was aufzuschreiben! Papier ist ja geduldig!)


sondern Lösungen in Angriff zu nehmen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Interviews hat er gegeben, drei oder vier!)


Christina Jantz-Herrmann






(A) (C)



(B) (D)


Aus diesem Grund hat das Ministerium folgenden Weg
beschritten: Es hat Kontakt zur Universität Leipzig auf-
genommen, um sich über das Forschungsvorhaben, das
bereits seit 2008 gefördert wird, zu informieren und es
weiterhin mit Nachdruck zu forcieren . Wenn Sie fragen,
wo der Nachdruck ist, dann sage ich Ihnen: Das ist das
Geld! Wir haben 1 Million Euro nachgeschossen; wenn
das kein Nachdruck ist, dann weiß ich auch nicht .

Das Forschungsvorhaben zielt darauf ab, das Ge-
schlecht des Embryos vor dem zehnten Bruttag im Ei
festzustellen, weil ab diesem Zeitpunkt der Embryo be-
ginnt, Schmerz zu empfinden. Dann muss das Ei nicht
weiter ausgebrütet und das Küken somit nicht getötet
werden .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was macht ihr denn jetzt konkret?)


Jetzt, wo das Vorhaben kurz vor dem Ziel steht, fällt
den Grünen auf, dass wir ein Problem haben . Wir sind
kurz vor der Lösung, und die Grünen haben gerade das
Problem erkannt . Natürlich hört es sich toll an, zu for-
dern, dass Tiere aus wirtschaftlichen Gründen nicht ge-
tötet werden dürfen. Da sagt jeder: Ja klar, das finde ich
auch toll, wenn wir das nicht machen müssen . – Wenn
man aber weiß, dass die Mast eines männlichen Kükens
aus Legehennenhaltung eine achtmal höhere Futterauf-
nahme benötigt, dann kann man sich ungefähr ausrech-
nen, wie hoch die Wirtschaftlichkeit ist und warum man
das machen soll . Und wenn man ehrlich ist: Lebens-
mittelgewinnung könnte man auch als wirtschaftlichen
Grund bezeichnen, und das wollen Sie doch sicher nicht
verbieten .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber nicht sinnlos!)


Jetzt sind die Forscher an der Universität so weit, dass
sie die Prognose stellen, bis Ende des Jahres ein Gerät
herstellen zu können, das ab dem dritten Bruttag das Ge-
schlecht im Ei feststellen kann, und zwar mit Hilfe eines
Nahinfrarot-Raman-Spektroskopes . Das ist ein schwieri-
ges Wort, das wir mit NIR abkürzen können . Und genau
zu diesem Zeitpunkt, an dem die Lösung des Problems
in greifbarer Nähe ist, stellt die Fraktion der Grünen den
erwähnten Antrag . Hat sie gar kein Interesse daran, das
Problem zu lösen? Ist ihr nur die öffentliche Aufmerk-
samkeit wichtig?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Unverschämtheit, Frau Stockhofe!)


Die Alternativen, die sie aufzeigt, können höchstens
Nischen in der Vermarktung sein . Es gibt nicht viele
Menschen, die 2 Euro pro Kilogramm Hühnerfleisch
oder Hähnchenfleisch mehr zahlen, nur weil das Tier von
einer sogenannten Zweinutzungsrasse kommt . Auch ein
zusätzlicher Betrag von 12 Cent pro Ei – und nicht 4 – ist
nur schwer zu erzielen .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816125700

Jetzt versucht Herr Krischer noch einmal, eine Zwi-

schenfrage zu stellen . Frau Kollegin Stockhofe, wollen
Sie diese zulassen?


Rita Stockhofe (CDU):
Rede ID: ID1816125800

Ja, er darf es gern versuchen .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816125900

Bitte, Herr Kollege Krischer .


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816126000

Frau Kollegin, herzlichen Dank, dass Sie die Zwi-

schenfrage zulassen . – Ich staune, dass Sie das hier so
darstellen, dass der Herr Minister handeln würde .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Er hat es doch schon aufgeschrieben! Was wollen Sie denn mehr?)


Wir warten seit Beginn dieser Legislaturperiode darauf,
dass in dieser Frage irgendetwas passiert . Sie haben eben
gesagt: Der Minister handelt mit Nachdruck und hat sich
mal informiert und fördert jetzt ein Forschungsvorha-
ben. – Meine Frage an Sie wäre: Empfinden Sie das an-
gesichts dessen, was uns die Gerichte in Münster gesagt
haben und was die Staatsanwaltschaft sagt, nämlich dass
das Tierschutzgesetz geändert werden müsste, um eine
Handlungsgrundlage zu haben, als ein angemessenes
Handeln des Ministers?

Meine weitere Frage an Sie lautet: Die Zahlen sind
gestiegen . Im Jahr 2014 hatten wir 45 Millionen . Im
Jahr 2015 sind es – das sind Zahlen des Ministeriums –
sogar 50 Millionen . Wenn Ihre Politik so weitergeht,
werden wir in diesem Jahr 55 oder 60 Millionen getötete
Küken haben . Ist das nach Ihrer Auffassung das Handeln
des Ministers, von dem Sie hier die ganze Zeit reden?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Rita Stockhofe (CDU):
Rede ID: ID1816126100

Herr Kollege, erstens ist es nicht so, dass wir erst da-

mit begonnen haben, das zu fördern, als der Minister zur
Uni gegangen ist, um sich zu informieren .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie aber eben gesagt!)


– Nein, das habe ich nicht gesagt . Hätten Sie mir zuge-
hört, dann hätten Sie gehört, dass wir 2008 damit begon-
nen haben, zu fördern, und zwar mit über 700 000 Euro,
und dass jetzt über 1 Million Euro nachgeschossen wur-
de .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind schon fast zehn Jahre!)


– Jetzt rede ich, die Frage haben Sie schon gestellt . – Es
hilft immer, zuzuhören .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Also: Wir fördern seit 2008 . Das ist der erste Punkt .

Rita Stockhofe






(A) (C)



(B) (D)


Zweiter Punkt . Es ist ein lösungsorientierter Ansatz .
Bei dem Ansatz, den Sie nennen, nämlich ein Verbot
durchzuführen, haben Sie nie gesagt, wo diese – wie Sie
sagen – 50 Millionen Küken bleiben sollen . Wollen Sie
die haben? Sie können die bestimmt gern kriegen . Die
Brütereien jedenfalls haben die über .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das wäre eine Möglichkeit .

Die andere Möglichkeit, eine Möglichkeit, die wir in
der Praxis durchsetzen können, wäre, in Zukunft zu ver-
meiden, dass diese Küken geboren werden .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Die schlüpfen! Das sind Vögel und keine Säugetiere!)


Dieser Ansatz, den wir jetzt verfolgen, ist genau der
richtige Ansatz . Das NIR-Spektroskop ist so weit ent-
wickelt, dass wir bis Ende des Jahres einen Prototypen
haben und im nächsten Jahr die Serienreife erreichen .
Sobald die Serienreife erreicht ist, brauchen wir keine
männlichen Küken mehr zu töten, und das ist unser Ziel .
Das ist Tierschutz, wie wir ihn in der CDU sehen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im nächsten Jahr stellen wir den Antrag wieder!)


– Sie haben schon die Frage gestellt . Sie können sich
gern noch einmal melden, meine Redezeit verlängert
sich . Dafür wäre ich sehr dankbar .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Davor, dass die Verbraucher für die Eier und für das
Fleisch nicht mehr bezahlen wollen, zumindest nicht
flächendeckend, dürfen wir die Augen nicht verschlie-
ßen . Das ist die Realität . Nichtsdestotrotz unterstützt das
BMEL das Projekt der Zweinutzungsrasse . Den dafür
eingesetzten Betrag haben wir vorhin schon vom Kolle-
gen Stier gehört . Das ist natürlich eine langfristige Alter-
native, und wir wollen ja möglichst schnell verhindern,
dass die Küken getötet werden .

Letztlich führt kein Weg an der frühzeitigen Ge-
schlechtsbestimmung im Ei vorbei .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit 2008 arbeiten Sie daran, und es passiert immer noch nichts!)


– Darf ich jetzt mal?


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch! Erklären Sie das mal!)


– Ich habe das gerade erklärt . Wenn Sie das nicht verstan-
den haben, dann erkläre ich das bilateral noch einmal .
Vielleicht ist es dann einfacher . – Wir müssen festhalten:
Tierschutz ist das Thema der CDU, und das ist für uns
ein wichtiges Thema, auf das wir ständig schauen und bei
dem wir nach Verbesserungen suchen .


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja wohl der Hohn!)


Einer Verbesserung sind wir jetzt ganz, ganz nah und
führen sie gerade zu einem guten Ziel . Wir wissen, was
in der Praxis los ist, weil wir ständig im Gespräch mit
Betroffenen sind und am liebsten gemeinsam mit den
Betroffenen Lösungen erarbeiten, damit sie in der Praxis
auch wirklich angewendet werden können .

Wieder einmal zeigt sich: Situationen zu bejammern
und öffentlichkeitswirksame, schreckliche Bilder zu ver-
öffentlichen, ist der falsche Weg . Wir zeigen Lösungen
auf, um schlimme Bilder zu vermeiden . Dies ist Tier-
schutz, wie wir ihn verstehen . Das Schlimmste, was pas-
sieren kann, ist doch, dass wir das Töten verbieten und
die günstigeren Eier und das günstigere Fleisch aus dem
Ausland, wo das Töten weiter billigend in Kauf genom-
men wird, in den Regalen haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Unser Ziel ist es, Kükentötungen zu vermeiden . Deswe-
gen lehnen wir diesen Antrag ab .


(Beifall bei der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit acht Jahren arbeiten Sie daran! – Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wer zwingt den Handel, das alles reinzunehmen ins Sortiment?)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816126200

Tagesordnungspunkt 14 a . Interfraktionell wird Über-

weisung der Vorlage auf der Drucksache 18/7878 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Tagesordnungspunkt 14 b . Wir kommen zur Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung
und Landwirtschaft zu dem Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Männliche Eintags-
küken leben lassen“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7726,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/4328 abzulehnen . Wer stimmt für die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses?


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ihr kommt alle in die Hölle! – Heiterkeit)


Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Keine . Wenn sich
nach dieser eschatologischen Aussage alle wieder beru-
higt haben, kann ich sagen: Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a bis 15 c auf:

a) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/
CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Bundeswahlgesetzes

Drucksache 18/7873
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Rita Stockhofe






(A) (C)



(B) (D)


b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Bericht der Wahlkreiskommission für die
18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages
gemäß § 3 des Bundeswahlgesetzes

Drucksache 18/3980
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss

c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Ergänzender Bericht der Wahlkreiskommis-
sion für die 18. Wahlperiode des Deutschen
Bundestages

Drucksache 18/7350
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss


(Unruhe – Glocke des Präsidenten)


Kolleginnen und Kollegen, allfällige Gespräche bitte
vor dem Plenarsaal, wenn es geht .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Abgeordneten Helmut Brandt, CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Helmut Brandt (CDU):
Rede ID: ID1816126300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Da-
mit es besser verständlich ist: Wir reden jetzt über den
Zuschnitt der Wahlkreise bei der nächsten Bundestags-
wahl . Wie in jeder Legislaturperiode wird der Deutsche
Bundestag über Änderungen der Bevölkerungszahlen im
Wahlgebiet unterrichtet . In dem Bericht legt die Wahl-
kreiskommission dar, ob Änderungen im Zuschnitt und
in der Einteilung der Bundeswahlkreise notwendig sind,
damit die Bevölkerungszahl eines Wahlkreises nicht zu
stark von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl in
den übrigen Wahlkreisen abweicht .

Das Bundeswahlgesetz sieht vor, dass dort, wo die Be-
völkerungszahl eines Wahlkreises um mehr als 15 Pro-
zent von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der
Wahlkreise abweicht, eine Neuabgrenzung vorgenom-
men werden soll . Beträgt der Abweichungsgrad sogar
25 Prozent oder mehr, muss eine Neuabgrenzung vorge-
nommen werden . Damit soll gewährleistet werden, dass
die Stimmen tatsächlich gleichwertig gewichtet werden .

Um die Einschnitte in den betroffenen Wahlkreisen so
gering wie möglich zu halten, haben wir uns mit unserem
Koalitionspartner, letztlich aber auch mit den übrigen
Fraktionen dahin gehend verständigt, möglichst scho-
nend und den bisherigen Bestand schützend vorzugehen .
Kleinere Änderungen nehmen wir in den Bundesländern
Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Hamburg,
Brandenburg und Baden-Württemberg vor . Die gravie-

rendsten Änderungen, die wir im Zuge der Wahlkreis-
neueinteilung vornehmen müssen, betreffen die Länder
Thüringen und Bayern .

Die Anzahl der Wahlkreise eines Bundeslandes muss
nach dem Bundeswahlgesetz dem Anteil der Einwohner-
zahl dieses Landes an der Gesamtbevölkerung Deutsch-
lands entsprechen . Das ist in Thüringen nicht mehr der
Fall . Nach den Bevölkerungszahlen, und zwar den gesi-
cherten vom 31 . Juli 2015, die uns erst seit drei Wochen
vorliegen, steht nun fest, dass das Bundesland Thürin-
gen einen Wahlkreis abgeben muss . Im Gegenzug erhält
Bayern aufgrund seines Bevölkerungszuwachses einen
Wahlkreis zusätzlich . Dieser wird im Südwesten des Re-
gierungsbezirks Oberbayern angesiedelt und gehört im
Wesentlichen zum sogenannten Speckgürtel von Mün-
chen .

Richtig ist, dass die Wahlkreiskommission in ihrem
ersten Bericht noch davon ausging, dass Hessen einen
Wahlkreis abgeben muss . Dass es jetzt Thüringen trifft,
hat nicht nur bei den betroffenen Abgeordneten zu Irrita-
tionen geführt . In der Presse war gar zu lesen, unser Bun-
desinnenminister de Maizière hätte die Wahlkreiskom-
mission um einen ergänzenden Bericht auf Basis neuerer
Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung gebeten, um so
Hessen vor einem Verlust des Wahlkreises zu schützen .
Ich will hier klarstellen: Das ist kompletter Unsinn .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir, die Berichterstatter der Fraktionen, wurden be-
reits im Oktober 2015 vom Bundeswahlleiter informiert,
dass sich die Bevölkerungszahlen im Laufe der nächsten
Monate voraussichtlich zuungunsten Thüringens noch
verschieben werden . Auch wenn die Zeit drängt – die
Vorbereitungen für die Bundestagswahl 2017 beginnen ja
in diesen Tagen –, so haben wir uns dennoch gemeinsam
entschlossen, so lange wie möglich zu warten, um einen
Gesetzentwurf auf der Grundlage gesicherter Zahlen
einbringen zu können . Dieses Verfahren ist üblich, aber
auch notwendig . Denn die im Gesetzentwurf enthaltenen
Veränderungen müssen nicht nur zum Zeitpunkt seiner
Verabschiedung, sondern – das ist das Entscheidende –
auch noch in einer Zukunftsperspektive, zum Zeitpunkt
der Bundestagswahl, den Vorgaben des Bundeswahlge-
setzes entsprechen . Nur so können wir gewährleisten,
dass die Bundestagswahl 2017 eine verfassungsgemäße
ist . Daran müssen wir alle interessiert sein .

Ich bedaure die Entwicklung für Thüringen . Weder
Einwohner noch Bundestagsabgeordnete sind glücklich,
wenn sich ihr Wahlkreis verkleinert oder gar auflöst. Än-
derungen im Zuschnitt der Wahlkreise oder der Verlust
eines Wahlkreises bedeuten immer einen teils nicht uner-
heblichen Eingriff in bestehende Strukturen . Das haben
wir besonders in den Gesprächen auch mit den bayeri-
schen Kollegen erlebt . Gestern war noch eine Delega-
tion aus Bayern da und hat dies noch einmal plastisch
deutlich gemacht . Deshalb haben wir uns – ich sagte es
vorhin schon – entschlossen, die Eingriffe so minimalin-
vasiv wie möglich zu halten .

Nach dem Bundeswahlgesetz und den Zahlen, die uns
vom Büro des Bundeswahlleiters übermittelt wurden,

Vizepräsident Peter Hintze






(A) (C)



(B) (D)


besteht jedoch Handlungsbedarf . Lassen Sie mich an die-
ser Stelle eines ganz deutlich sagen: Ob ein Bundesland
und, wenn ja, welches einen Wahlkreis abgeben muss, ist
keine Frage eines politischen Ermessensspielraums, son-
dern vielmehr das Ergebnis von Berechnungen, die die
Wahlkreiskommission vorgenommen hat . Das haben wir,
das Parlament, aber auch die Regierung natürlich zu be-
achten . Da besteht auch keine Einwirkungsmöglichkeit .

Alles in allem haben wir, glaube ich, eine gute, tragfä-
hige Lösung gefunden . Lassen Sie mich, Herr Präsident,
zum Schluss noch ein Dankeschön an die Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter der Wahlkreiskommission sagen,
die uns während des gesamten Prozesses hervorragend
begleitet haben und immer unsere Fragen beantworten
konnten . An dieser Stelle, wie gesagt, ein herzliches
Dankeschön .

Ihnen danke ich für Ihre Aufmerksamkeit . Besten
Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816126400

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Frank Tempel, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816126500

Lieber Kollege Brandt! Sehr geehrter Herr Präsident!

Sehr geehrte Damen und Herren! Was ist schon Unsinn?
Die Änderung des Bundeswahlgesetzes beinhaltet nor-
malerweise mit der Anpassung der Aufteilung der Bun-
destagswahlkreise eine Routinefrage . Grundsätzlich – da
sind wir uns einig – muss überall in Deutschland eine
abgegebene Stimme den gleichen Wert haben . Das heißt,
von Zeit zu Zeit muss die Bevölkerungszahl überprüft
und die Größe der Wahlkreise der Entwicklung der Ein-
wohnerzahl angepasst werden .

Bereits im Herbst vergangenen Jahres lag hierzu ein
Vorschlag der Wahlkreiskommission vor, rechtzeitig –
wohlgemerkt –; denn eine Bundestagswahl beginnt mit
verschiedenen Wahlhandlungen, die mit klaren Fristen
festgelegt sind . Bis dahin sollte also zumindest die Glie-
derung der Wahlkreise gesetzlich klar fixiert sein. Eine
solche Wahlhandlung ist auch die Aufstellung der Ver-
treter für die Wahl der Direktkandidaten . Diese können
für die Bundestagswahl 2017 in den Gebietsverbänden
bereits ab dem 23 . März des Jahres 2016 gewählt wer-
den . Das ist gesetzlich klar geregelt . Bis zum 23 . März
dieses Jahres, meine Damen und Herren, wird dieses
Gesetz aber nicht auf dem Weg sein; bis dahin wird es
definitiv nicht beschlossen sein. Wir haben heute den
17 . März 2016 und sind gerade einmal bei der ersten Le-
sung .

Der Vorschlag der Wahlkreiskommission hätte bereits
im Herbst des vergangenen Jahres ins Plenum eingebracht
werden können . Offensichtlich hat aber schon jemandem
eine Veränderung nicht gefallen . Unter Berücksichtigung
der bis dahin vorliegenden Einwohnerzahlen hätte sich
nämlich Folgendes ergeben: Bayern bekommt, wie ge-
sagt, einen zusätzlichen Bundestagswahlkreis, und ge-

strichen wird aufgrund gesunkener Einwohnerzahlen der
Wahlkreis 175 in Hessen, der Wahlkreis Main-Kinzig –
Wetterau, ganz zufällig der Wahlkreis des CDU-Gene-
ralsekretärs Peter Tauber . Nach dem heute vorliegenden
Gesetzentwurf verliert aber, wie gesagt, nicht Hessen,
sondern Thüringen einen Wahlkreis . Der Spiegel schreibt
dazu – Sie haben es erwähnt; ich möchte das zitieren,
Herr Präsident –:

CDU-Generalsekretär Peter Tauber profitiert von
einer Intervention seines Parteifreundes Thomas de
Maizière . . .


(Helmut Brandt [CDU/CSU]: Quatsch!)


Gerade in einer Zeit wie heute, in der das Vertrauen der
Bürger in die Politik und die Parteienlandschaft arg gelit-
ten hat und Politikverdrossenheit in Stimmen für Rechts-
populisten umschlägt, wird hier im Bundestag das Bild
einer Selbstbedienungspolitik bedient . Es wurde ganz
einfach gewartet und gewartet, bis die Einwohnerzahlen
in die gewünschte Richtung passten . Nun kann eben in
Thüringen statt in Hessen ein Bundestagswahlkreis ge-
strichen werden . Wenn auch mit deutlicher Verspätung:
Peter Tauber behält seinen Wahlkreis, und Thüringen, ein
Ost-Bundesland, wird in Zukunft mit zwei Abgeordneten
weniger im Bundestag vertreten sein; das ist nämlich die
Konsequenz eines Wahlkreisverlustes .

Dass für diese CDU-interne Gefälligkeit der Gesetz-
entwurf nicht bis zum 23 . März verabschiedet ist, dass
Thüringen gerade eine Gebiets- und Verwaltungsreform
auf den Weg bringt und die Veränderung der Wahlkreise
der neuen Gebietsstruktur vier Jahre später hätte ange-
passt werden können, ist Ihnen alles egal . Dass Sie mit
dieser Vetternwirtschaft ein negatives Klischee über
die Politik bedienen, ist Ihnen auch egal . Sehr geehrte
Damen und Herren, das politische Signal einer solchen
Schieberei ist in Thüringen und auch darüber hinaus ab-
solut negativ und unnötig . Das alles ist Ihnen egal .


(Beifall bei der LINKEN – Helmut Brandt [CDU/CSU]: „Schieberei“ ist ja wohl zu beanstanden! – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Genau! Da gibt es klare Kriterien!)


Wir unterbreiten Ihnen dazu zwei Vorschläge – wie
gesagt, wir haben ja Zeit; dies ist die erste Lesung, und es
werden Beratungen dazu stattfinden –:

Unser erster Vorschlag ist: Der Gesetzentwurf wird
abgelehnt oder – noch besser – zurückgezogen, und die
Anpassung der Wahlkreise an die Einwohnerzahlen er-
folgt erst in der nächsten Legislatur .

Unser zweiter Vorschlag ist: Der Bundestag – hö-
ren Sie genau zu; das löst nämlich das Problem – wird
rechtzeitig eine Stichtagslösung festlegen, um langfris-
tig klarzustellen, wann welche Bevölkerungszahlen zur
Berechnung der Wahlkreise tatsächlich gelten . Dann sind
solche Ministergefälligkeiten für die Zukunft präventiv
verhindert .


(Beifall bei der LINKEN – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Hören Sie doch mit dem Unsinn auf! – Stephan Mayer [Altötting] [CDU/ CSU]: Das ist ja wirklich absoluter Quatsch!)


Helmut Brandt






(A) (C)



(B) (D)


Herr Präsident, ich muss mich leider entschuldigen .
Meine Fraktion muss im NSU-Untersuchungsausschuss
vertreten sein . Ich werde mir all Ihre weiteren Reden
noch anhören, und ich freue mich auf die Debatte in den
Ausschüssen . Aber leider muss, wie gesagt, auch mei-
ne Fraktion im NSU-Untersuchungsausschuss vertreten
sein; das ist eine Pflichtaufgabe. Deswegen muss ich nun
einmal dorthin .


(Helmut Brandt [CDU/CSU]: Sie hätten mal lieber auf Ihre Rede verzichtet! Das wäre besser gewesen!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1816126600

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Gabriele Fograscher, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gabriele Fograscher (SPD):
Rede ID: ID1816126700

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Jetzt wollen wir keine Legendenbildung betreiben! Herr
Tempel, die Vorwürfe, die Sie hier äußern, sind wirklich
unnötig . Den Vorwurf der Schieberei weise ich ganz ent-
schieden zurück .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben uns bei der Neuordnung der Wahlkreise
an Fristen zu halten . Zu Beginn jeder Wahlperiode des
Deutschen Bundestages beruft der Bundespräsident eine
unabhängige Wahlkreiskommission ein . Der Bundes-
wahlleiter und Präsident des Statistischen Bundesamtes
ist Vorsitzender dieser Kommission . Sie hat über Ände-
rungen der Bevölkerungszahlen im Wahlgebiet zu be-
richten und darzustellen, ob und welche Veränderungen
sich für die Einteilung der Bundestagswahlkreise daraus
ergeben . Das ist notwendig, damit wir dem Anspruch des
Artikels 38 des Grundgesetzes, der auf die Gleichheit der
Stimme, das heißt den Erfolgswert der Stimme, abzielt,
möglichst gerecht werden .

Dabei sind auch Grundsätze zu beachten: Länder-
grenzen sind einzuhalten . Die Zahl der Wahlkreise in
den einzelnen Ländern muss deren Bevölkerungsanteil
weitestgehend entsprechen . Bei einer Abweichung eines
Wahlkreises von mehr als plus/minus 25 Prozent von der
durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise ist
eine Neuabgrenzung vorzunehmen . Der Wahlkreis soll
ein möglichst zusammenhängendes Gebiet bilden . Kom-
munale Grenzen sollen möglichst eingehalten werden .

Bereits aus dem im Januar 2015 von der Wahlkreis-
kommission vorgelegten Bericht ergibt sich, dass Bay-
ern statt bisher 45 Wahlkreise 46 Wahlkreise erhält . Es
stimmt: Nach den Zahlen von Ende 2013 hätte Hessen
einen Wahlkreis, den es in der vergangenen Wahlperiode
zusätzlich erhalten hat, wieder abgeben müssen . Bereits
in dem Bericht von Januar 2015 heißt es dazu aber:

Ob es allerdings für Hessen dabei bleibt, wird die
weitere Bevölkerungsentwicklung zeigen . Bei Be-
trachtung der Entwicklung in der Zeit vom 31 . De-
zember 2011 bis 31 . Dezember 2013 auf Basis der

neuen Zensuszahlen zeichnet sich nämlich ab, dass
in absehbarer Zeit nicht Hessen, sondern Thüringen
einen Wahlkreis wird abgeben müssen . . .

Diese Entwicklung hat sich also schon im Januar 2015
abgezeichnet . Deshalb haben wir als Berichterstatter uns
entschieden, die aktuellsten Zahlen abzuwarten . Ende
Februar 2016 wurde die Prognose des Bundeswahlleiters
bestätigt: Mit den amtlichen Zahlen – das sind also kei-
nen gegriffenen Zahlen – vom Juli 2015 verliert Thürin-
gen einen Wahlkreis an Bayern .

Die Verteilung der 299 Wahlkreise auf die Bundes-
länder erfolgt rein mathematisch auf der Basis der aktu-
ellsten Zahlen und folgt der Bevölkerungsentwicklung .
Einen politischen Ermessensspielraum oder, wie hier
von den Linken unterstellt, eine politische Einflussnahme
gibt es dabei nicht .

Für Thüringen – auch das sehen wir; Herr Brandt hat
es gesagt – ist diese Entwicklung bedauerlich . Aber ich
gebe zu bedenken: Ebenso schwierig wäre der Verlust
eines Wahlkreises in Hessen zu vermitteln . Zur Wahl
zum 18 . Deutschen Bundestag ist nämlich der Wahlkreis
Main-Kinzig – Wetterau II – Schotten in Hessen neu ge-
bildet worden . Nach den Zahlen für Ende 2013 hätten wir
das für den 19 . Deutschen Bundestag wieder rückgängig
machen müssen, aufgrund der Zahlen jedoch wissend,
dass der Wahlkreis entsprechend der Bevölkerungsent-
wicklung zur Wahl zum 20 . Deutschen Bundestag wieder
neu zu bilden wäre . Das hätte kein Mensch verstanden –
schon gar nicht in Hessen .

Der zusätzliche Wahlkreis für Bayern wird im Süd-
westen Oberbayerns gebildet . Er besteht aus den Land-
kreisen Landsberg am Lech und Starnberg und der Ge-
meinde Germering .

Auch der Wahlkreis Ingolstadt überschreitet mit plus
27,2 Prozent die gesetzliche Grenze und muss deshalb
verkleinert werden . Wir schlagen deshalb vor, die Stadt
Schrobenhausen und die Verwaltungsgemeinschaft
Schrobenhausen dem Wahlkreis Freising zuzuordnen .
Diese Lösung ist nicht befriedigend, da der Landkreis
Neuburg-Schrobenhausen auseinandergerissen wird . In
der nächsten Legislaturperiode muss nach einer Lösung
gesucht werden, die die Einheit dieses Landkreises Neu-
burg-Schrobenhausen wieder herstellt .

Aufgrund des zusätzlichen Wahlkreises für Bayern
hätte theoretisch die Möglichkeit bestanden, in Oberbay-
ern Wahlkreise zu bilden, die mit den Landkreisgrenzen
übereinstimmen . Das hätte bedeutet, dass es umfangrei-
che Veränderungen in 7 von 15 Wahlkreisen vom Norden
bis zum Süden Oberbayerns gegeben hätte . Darauf konn-
ten wir uns nicht verständigen .

Auch die zwingende Neuzuschneidung in Oberfran-
ken stößt auf große Kritik vor Ort . Der Wahlkreis Coburg
wird zum Wahltag eine Abweichung von mehr als minus
25 Prozent ausweisen . Deshalb ist auch hier eine Neuab-
grenzung zwingend notwendig .

Die Wahlkreiskommission hat vorgeschlagen, zwei
Gemeinden aus dem Wahlkreis Hof in den Wahlkreis
Coburg zu verlagern . Dieser Vorschlag stieß und stößt
bei den Betroffenen und in der Öffentlichkeit auf Wider-

Frank Tempel






(A) (C)



(B) (D)


stand . In zahlreichen Gesprächen haben wir verschiede-
ne Vorschläge diskutiert und auch berechnen lassen . Der
nun getroffene Kompromiss sieht vor, die Gemeinde Ge-
roldsgrün aus dem Wahlkreis Hof in den Wahlkreis Co-
burg zu verlagern .

Auch für Oberfranken gilt es, bei künftigen Wahl-
kreisneueinteilungen Lösungen zu finden, die der Bevöl-
kerungsentwicklung und der Einhaltung der kommuna-
len Grenzen entsprechen .

Zahlreiche Vorschläge gab es auch für die Neuzu-
schneidung in Niederbayern . Es gab kleine Lösungen und
große Lösungen, es gab Zustimmung und Widerstand vor
Ort – unabhängig von der Parteizugehörigkeit . Für eine
umfängliche, aber langfristige Lösung gab es leider keine
Zustimmung, so dass wir uns, was Niederbayern angeht,
im Wesentlichen auf die Vorschläge der Wahlkreiskom-
mission verständigt haben .

In neun Bundesländern werden keine Veränderungen
vorgenommen, und in fünf Bundesländern soll es nur
geringe Veränderungen geben . Die Einteilung der Bun-
destagswahlkreise folgt der Bevölkerungsentwicklung .
Dabei sind die Spielräume begrenzt . Ich bitte daher um
Verständnis, dass manch notwendige Änderung trotz Wi-
derstand und Protest vor Ort umgesetzt werden muss .

Mein besonderer Dank gilt allen, die sich mit dieser
Reform befasst und auch durch Unterschriften ihren Pro-
test zum Ausdruck gebracht haben . Ein herzlicher Dank
geht an das Büro des Bundeswahlleiters, das uns hervor-
ragend unterstützt und jeden denkbaren Vorschlag und
jede Überlegung grafisch und rechnerisch dargestellt hat.
Ich möchte mich auch bei meinen nichtbayerischen Be-
richterstatterkollegen für die Geduld bei der komplizier-
ten Neuzuschneidung in Bayern und beim Bundesminis-
terium des Innern für die konstruktive Zusammenarbeit
bedanken .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816126800

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-

legin Britta Haßelmann das Wort .


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816126900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wenn die unabhängige Wahlkreiskommissi-
on – das geschieht im Übrigen nach jeder Bundestags-
wahl – einberufen wird und ihre Vorschläge vorlegt, dann
sorgt das selten für Begeisterung; denn meistens geht es
um Anpassungen und Veränderungen von Wahlkreisen .
Gewohnte Wahlkreisgrenzen verschieben sich manch-
mal – gerade wurden ein paar Beispiele genannt –, und
Kommunen, die eigentlich zu Landkreis A gehören, wer-
den künftig einem benachbarten Landkreis B zugeschla-
gen . Das nimmt nicht nur den Bürgerinnen und Bürgern
eine Konstanz, sondern stellt auch Gebietsstrukturen von
Parteien vor neue Herausforderungen .

Jeder und jede von uns weiß, dass es nicht nur bei
uns in den Fraktionen, im parlamentarischen Gesche-

hen für Diskussionen sorgt, sondern natürlich auch vor
Ort, wenn Wahlkreise neu zugeschnitten werden, obwohl
man es eigentlich seit ewigen Zeiten anders gewohnt war .
Dennoch gibt es dafür gute Gründe . Für die parlamenta-
rische Repräsentanz darf nämlich die Bevölkerungszahl
eines Wahlkreises nicht zu sehr von der durchschnittli-
chen Bevölkerungszahl anderer Wahlkreise abweichen .
Das ist der eigentliche Grund, weshalb wir als Wahl-
kreiskommission überhaupt zusammenkommen und uns,
das Ganze betrachtend, überlegen, ob ein Neuzuschnitt
notwendig ist . Bei einer Abweichung von über 25 Pro-
zent müssen wir – ob wir das im Einzelfall persönlich gut
finden oder nicht, weil wir die Region bzw. die Kommu-
ne kennen – eine Änderung vornehmen . Dazu sind wir
rechtlich verpflichtet.

Über ein Jahr haben nun die Berichterstatterinnen und
Berichterstatter, die Kolleginnen und Kollegen unserer
Fraktionen, die Vorschläge diskutiert . Die Drucksachen-
nummer liegt heute vor . Wir haben das diskutiert – das
wissen Sie aus den Vorbereitungen –, um gemeinsam zu
einem Konsens zu kommen und nicht auf Mehrheitsent-
scheidungen setzen zu müssen . Das ist eine Tradition
unseres parlamentarischen Miteinanders; das vollziehen
wir nach jeder Bundestagswahl, und nach jeder Bundes-
tagswahl gibt es kleinteilige Änderungen .

Aufatmen können an dieser Stelle Niedersachsen,
Sachsen, das Saarland, Berlin, Schleswig-Holstein,
Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen . Dort bleiben
alle Wahlkreise unverändert, und darüber besteht in der
Regel Freude .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Ich sehe gerade, dass genau die Kolleginnen und Kol-
legen meiner Fraktion aus diesen Bundesländern heute
anwesend sind . – Weniger glücklich ist dieser Gesetz-
entwurf – darauf sind meine Vorrednerinnen und Vor-
redner schon eingegangen – für Thüringen . Da die Zahl
der Wahlkreise in den einzelnen Ländern deren Bevöl-
kerungsanteil widerspiegeln sollte, wird Thüringen im
19 . Deutschen Bundestag leider einen Wahlkreis nach
Bayern abgeben müssen .

Ich bin Ihnen, werte Kollegin, dankbar, dass Sie deut-
lich gemacht haben, dass wir bei dieser Entscheidung
bzw . bei diesem Vorschlag die aktuellen Daten bzw .
Bevölkerungszahlen nicht einfach ausblenden konnten,
sondern uns damit befassen mussten . Da sich die statis-
tischen Daten der letzten Jahre, von der letzten Bundes-
tagswahl bis heute, in diesem Spannungsfeld zwischen
Hessen, Thüringen und Bayern verändert haben, ließen
die objektiven Zahlen keinen anderen Raum, als diese
Entscheidung vorzunehmen . Ich kann verstehen, dass es
auch in meiner Fraktion und meiner Partei als schwierig
angesehen wird, dass Thüringen von dieser Entscheidung
betroffen ist . Aber ich sehe aufgrund der aktuellen Zah-
len keine andere Möglichkeit .

Ich will zum Schluss noch einen anderen Punkt an-
sprechen . Wir reden ja immer von einer Verkleinerung
des Bundestages; das war einmal unser gemeinsames
Ziel . Leider haben wir es mit diesem Gesetzentwurf ver-
säumt, dieses Thema anzugehen . An dieser Stelle hätten
wir uns das vornehmen und die Zahl der Wahlkreise

Gabriele Fograscher






(A) (C)



(B) (D)


reduzieren können . Damit hätte die realistische Chan-
ce bestanden, dass dem nächsten Deutschen Bundestag
weniger Abgeordnete angehören in Anerkennung des
Verfassungsurteils, –


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816127000

Kollegin Haßelmann .


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816127100

– nach dem die Zweitstimmen eins zu eins repräsen-

tiert sein müssen . Davor haben Sie von Union und SPD
sich leider gedrückt . Das ist sehr bedauerlich . Wer die
Verkleinerung des Bundestages will, hätte sich da nicht
wegducken dürfen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816127200

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Stephan

Mayer das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1816127300

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kol-

leginnen! Sehr geehrte Kollegen! Es ist das vornehme
Recht, aber auch die Verpflichtung der Mitglieder des
Deutschen Bundestages, nach jeder Bundestagswahl und
vor jeder Bundestagswahl die 299 Bundeswahlkreise da-
hin gehend zu überprüfen, ob eine Neujustierung, eine
Neueinteilung erforderlich ist .

Wenn der Kollege Tempel noch hier wäre, würde ich
ihm gerne dazu gratulieren, dass es ihm gelungen ist,
sogar eine Debatte zu einem zugegebenermaßen sehr
technischen Gesetz zu parteipolitischen Zwecken zu
missbrauchen . Ich möchte mich wirklich in aller Form
und in aller Deutlichkeit gegen die Vorwürfe der Schie-
berei, der Vetternwirtschaft und der Ministergefälligkeit
verwahren .

Es war so, wie es von allen Vertretern der Fraktionen
ausgeführt wurde, nämlich dass uns gar nichts ande-
res übrig blieb, als aufgrund des ergänzenden Berichts
der Bundeswahlkreiskommission mit dem Stichtag
31 . Juli 2015 den Wahlkreis aus Thüringen nach Bayern
zu verlagern und eben nicht den aus Hessen . Dies hat die
Bundeswahlkreiskommission, wie schon Frau Kollegin
Fograscher richtigerweise ausgeführt hat, bereits in ih-
rem Bericht im Januar 2015 deutlich gemacht . Dass dies
für Thüringen schmerzlich ist, gestehe ich vollkommen
zu . Es ist nicht einfach, vor Ort zu vermitteln, dass ein
Wahlkreis wegfällt . Aber aufgrund der aktuellsten Zah-
len – und wir haben in den letzten drei Legislaturperio-
den, in denen ich dieses Thema mit betreut habe, nicht
anders handeln können – blieb uns nichts anderes übrig,
als den Wahlkreis aus Thüringen nach Bayern zu transfe-
rieren und eben nicht den aus Hessen .

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, mir
ist auch sehr wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir bei
der Neueinteilung der Bundeswahlkreise einen wesentli-
chen Grundsatz verfolgt haben, nämlich die Kontinuität

und das Bestreben, nur minimalinvasive Eingriffe vor-
zunehmen . Es ist auch kein Geheimnis: Wir sind nicht
allen Vorschlägen der Bundeswahlkreiskommission ge-
folgt . Wenn es nach der Bundeswahlkreiskommission
gegangen wäre, wären weitaus mehr Wahlkreise verän-
dert worden, wären weitaus mehr Gemeinden mit ihren
Bürgern verschoben worden .

Ich weiß aus Gesprächen mit Bürgermeistern und Ge-
meinde- und Stadträten, dass das vor Ort nicht gut an-
kommt. Das wird häufig so interpretiert: Wir sind Ge-
meinden minderer Klasse . Wir sind nur Manövriermasse,
um die Bundeswahlkreise neu zu justieren . – Diesem
Eindruck möchte ich deutlich entgegentreten . Uns bleibt
in den Fällen, in denen wir eine Neueinteilung vorneh-
men, nichts anderes übrig . Ansonsten würde die Verfas-
sungswidrigkeit der nächsten Bundestagswahl drohen .
Es ist ja schon ausgeführt worden: Wenn am Wahltag ein
Bundeswahlkreis um mehr als 25 Prozent nach oben oder
unten vom Mittel der Einwohnerzahl eines Bundeswahl-
kreises abweicht – das liegt bei genau 245 958 –, dann
wäre die Wahl verfassungswidrig . Das können wir beim
besten Willen nicht sehenden Auges riskieren .

Aber wohlgemerkt: Wir haben viele Vorschläge der
Bundeswahlkreiskommission nicht aufgegriffen, weil
wir mit gutem Gewissen davon ausgehen, dass die
25-Prozent-Hürde am Wahltag im September 2017 nicht
überschritten werden wird . Uns war es wichtig, Konti-
nuität zu wahren, wo dies möglich ist . Es war uns auch
wichtig, die Kongruenz mit den Grenzen der Gebiets-
körperschaften, also vor allem der Landkreise und der
kreisfreien Städte, und, wo es möglich war, auch mit den
Landtagsstimmkreisen zu wahren .

Vorhin wurde Bayern erwähnt . Sehr verehrte Frau Kol-
legin Fograscher, Bayern war in diesem Fall ausnahms-
weise wirklich der schwierigste Fall . In Bayern gab es
die größten Veränderungen auch zwischen den Wahlkrei-
sen . Aber auch hier haben wir minimalinvasive Eingriffe
vorgenommen . Der Regierungsbezirk Oberfranken zum
Beispiel ist schon genannt worden . Die Bundeswahl-
kreiskommission schlug vor, die Gemeinde Geroldsgrün
und die Gemeinde Schwarzenbach vom Wahlkreis Hof
in den Wahlkreis Coburg zu verlagern . Wir haben dann –
dafür bin ich auch den örtlichen Wahlkreisabgeordneten
sehr dankbar – den Kompromiss gefunden, dass wir nur
die Gemeinde Geroldsgrün vom Wahlkreis Hof in den
Wahlkreis Coburg verlagern . Im Regierungsbezirk Nie-
derbayern ist uns Ähnliches gelungen . Die Bundeswahl-
kreiskommission hatte vorgeschlagen, die Verwaltungs-
gemeinschaft Gerzen und die Gemeinde Bodenkirchen
vom Wahlkreis Landshut in den Wahlkreis Rottal-Inn zu
transferieren . Wir haben uns auch hier nach vielen Ge-
sprächen einvernehmlich darauf verständigt, nur die Ver-
waltungsgemeinschaft Gerzen vom Wahlkreis Landshut
in den Wahlkreis Rottal-Inn zu verlagern .

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
glaube, wir haben wirklich dokumentiert, dass wir dem
wichtigen Grundsatz der Kontinuität der Wahlkreise, für
den ich sehr viel Verständnis habe, in größtmöglicher
Weise Rechnung getragen haben . Ich möchte nochmals
allen Beteiligten und den Berichterstattern aller Frakti-
onen ganz herzlich danken . Ich sage das ganz offen: Es

Britta Haßelmann






(A) (C)



(B) (D)


ist guter Brauch, dass wir bei der Novellierung des Bun-
deswahlgesetzes und bei der Neueinteilung der Bundes-
wahlkreise auch die Opposition intensiv miteinbeziehen .
Insoweit können wir Ihnen einen Gesetzentwurf vorle-
gen, der aus meiner Sicht allen Bedenken Rechnung trägt
und sich, glaube ich, sehen lassen kann .

Ich bitte insbesondere vor dem Hintergrund, dass in
wenigen Wochen mit der Aufstellung der Bundeswahl-
kreiskandidaten für die Bundestagswahl 2017 begonnen
werden kann, um eine zügige Behandlung im Deutschen
Bundestag .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816127400

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/7873, 18/3980 und 18/7350 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert,
Caren Lay, Dr . Dietmar Bartsch, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Kältemittel R1234yf aus dem Verkehr ziehen

Drucksachen 18/4840, 18/6634

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . Ich höre keinen
Widerspruch . – Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Ulli Nissen
für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Ulli Nissen (SPD):
Rede ID: ID1816127500

Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Ralph
Lenkert, Sie fordern das Verbot des Kältemittels R1234yf,
das für Klimaanlagen in Kraftfahrzeugen verwendet
wird . Worum geht es hier? Es geht um den Klimaschutz .
Es geht um die Einsparung von Treibhausgasen und den
Beitrag, den auch der Verkehrssektor dazu leisten muss .

Autoklimaanlagen bzw . die verwendeten Chemikalien
gelten schon lange als Klimakiller und haben einen di-
rekten Treibhauseffekt . Das kann niemand wollen . 2006
wurde deshalb EU-weit ein Grenzwert beschlossen . Es
dürfen nur noch Kältemittel eingesetzt werden, die maxi-
mal das 150-fache Treibhauspotenzial von Kohlendioxid
besitzen . Dies gilt ab 1 . Januar 2011 für neue Fahrzeugty-
pen, ab 1 . Januar 2017 für alle Neufahrzeuge . Diese neu-
en Grenzwerte sind technologieoffen . Das heißt, es wird
nicht vorgeschrieben, welches Mittel alternativ zu R134a

verwendet werden muss . Infrage kommen derzeit realis-
tischerweise jedoch nur zwei: CO2 oder eben R1234yf .
Seit gut zehn Jahren sind wir also auf der Suche nach
einem Kältemittel, das besser für die Umwelt und damit
auch besser für die Menschen ist .

Zur Einordnung: Das bislang verwendete Kältemittel
R134a hat ein Treibhauspotenzial von 1 430 . Das von
R1234yf hat ein Potenzial von 4 . Das von CO2 liegt lo-
gischerweise bei 1 . Man kann an dieser Stelle bedauern,
dass die Industrie nicht konsequent auf CO2 gesetzt hat .
Einige Hersteller tun das zwar . So setzen Daimler und
VW auf CO2 . Auch in Bussen wird bereits CO2 teilweise
für Klimaanlagen verwendet . Aber leider tun das nicht
alle. Ich finde es auch bedauerlich, dass CO2 nicht grund-
sätzlich als Alternative verwendet wird .

Verwendet wird also R1234yf . Dieser Stoff wird che-
mikalienrechtlich als hochentzündlich eingestuft . Das
Kältemittel wurde unter anderem vom Umweltbundes-
amt untersucht . Bei hohen Temperaturen oder einem
Fahrzeugbrand könne Fluorwasserstoff austreten . In
Kontakt mit Löschwasser könne ätzende Flusssäure
entstehen . Herr Lenkert, im Antrag Ihrer Fraktion ist zu
lesen, dies sei zumindest als nicht unwahrscheinlich ein-
zustufen . Wie wahrscheinlich ist denn dieses potenzielle
Risiko? Risiko ist nicht gleich Gefahr . Ein Tiger ist eine
potenzielle Gefahr für den Menschen . Wenn er im Zoo
hinter Gittern sitzt, ist das Risiko, von ihm angegriffen
zu werden, jedoch durchaus hinnehmbar . Grundsätzlich
ist Autofahren schon gefährlich . Ein Unfall kann immer
passieren . Wenn ein Fahrzeug in Brand gerät, ist auch
das gefährlich für Leib und Leben; wir erleben das oft
genug . Ich möchte die Gefahren und das Risiko weder
kleinreden noch dramatisieren . Ich sage hier: Ich kann
das Risiko nicht abschließend bewerten . Die Wahrheit
liegt wohl – wie so oft – in der Mitte . Bei Zulassungs-
zahlen von gut einer halben Million Fahrzeuge bis zum
Stichtag Sommer 2015 hat es glücklicherweise noch kei-
nen entsprechenden Vorfall gegeben .

Ich teile die Einschätzung der Bundesregierung, die
derzeit einzige Kältemittelalternative CO2 weiterhin zu
unterstützen . Ich verweise auch auf die Produktverant-
wortung und -haftung der Hersteller . Ich setze darauf,
dass weitere Automobilkonzerne dem Beispiel folgen
und CO2 einsetzen . Auch wenn ich, Kollege Lenkert,
Ihre Kritik in Teilen verstehe, sehe ich keine ausreichen-
de Grundlage für ein Verbot .

An dieser Stelle möchte ich an die Automobilindus-
trie appellieren: Umweltschutz, Klimaschutz, Emissi-
onsschutz und somit auch Schutz der Gesundheit sind
keine Nebensächlichkeiten, sondern inzwischen für viele
Käuferinnen und Käufer entscheidende Kaufargumente .
Nutzen Sie die Innovationskraft, die es in unserem Land
gibt, um Vorreiter in Sachen emissionsfreie und unfall-
freie Autos zu werden!

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816127600

Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Ralph

Lenkert das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816127700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Leider müssen wir wieder über das ge-
fährliche Kältemittel R1234yf reden . Schon heute ist es
in 750 000 Pkws in Deutschland eingefüllt . 2017 wird
fast jeder neue Pkw dieses Kältemittel haben .

Frau Nissen, mir liegt das Sicherheitsdatenblatt des
Kältemittelanbieters Honeywell vom März dieses Jahres
vor . Ich zitiere:

5 .2 Besondere vom Stoff oder Gemisch ausgehende
Gefahren

Hochentzündlich .

Besondere Gefahren durch korrosive und toxi-
sche Verbrennungs- und Zersetzungsprodukte . Im
Brandfall können folgende gefährliche Zerfallspro-
dukte entstehen:

Kohlenmonoxid

Halogenwasserstoff

Carbonylhalogenide

Fluoridhaltige Pyrolyseprodukte .

Ich zitiere weiter:

5 .3 Hinweise für die Brandbekämpfung

Vollständigen Schutzanzug und umgebungsluftun-
abhängiges Atemschutzgerät tragen .

Bei Brandversuchen mit R1234yf vom Umweltbun-
desamt, von der TU München und der Chemiefirma
DuPont entstand Carbonyldifluorid, chemisch verwandt
mit Phosgen, einem Kampfgas im Ersten Weltkrieg .
Kleinste Mengen sind tödlich . Weiter entstand Fluorwas-
serstoff, der sich in Verbindung mit Wasser zu Flusssäu-
re umwandelt . Wirkung: schwer gesundheitsschädigend
oder tödlich .

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, sollten Sie heute
schon einen Pkw mit R1234yf besitzen oder ab 2017 ei-
nen Neuwagen kaufen, dann denken Sie daran, dass Sie
im Brandfall einen vollständigen Chemieschutzanzug
mit Atemschutzgerät tragen . Liebe Polizistinnen und Po-
lizisten und Sanitäterinnen und Sanitäter, bevor Sie zu-
künftig Menschen aus brennenden Pkws retten, ziehen
Sie einen solchen Schutzanzug an; denn ansonsten ist Ihr
eigenes Leben gefährdet .


(Ulli Nissen [SPD]: Und das in einem Elektroauto?)


Pkw-Brände sind keine Seltenheit . Laut Verband der
Versicherungen gab es 2015 mehr als 15 000 Kaskoschä-
den durch Pkw-Brände . Hinzu kommen die Brände von
nicht versicherten Fahrzeugen, geschätzte 30 000 im Jahr
allein in der Bundesrepublik . 30 000-mal eine zusätzli-
che Gefahr für Leben und Gesundheit durch den Einsatz

von R1234yf für Unfallopfer und für Helfer! Deshalb
stellt die Linke heute den Antrag, R1234yf in Pkw-Kli-
maanlagen zu verbieten .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir fordern die Bundesregierung auf, eine Übergangs-
frist mit der EU zu vereinbaren . Damit erhalten die Au-
tohersteller Zeit für die Einführung von CO2-basierten
Klimaanlagen . Diese Klimaanlagen wurden erfolgreich
von Daimler getestet und werden ab 2017 in der S-Klasse
und in der E-Klasse eingesetzt .

Es ist mir unverständlich, dass die EU klimaschädli-
che Grenzwertverletzungen der Autohersteller bei Ver-
brauch und Schadstoffausstoß ignoriert, aber die Weiter-
verwendung des bisherigen Kältemittels strikt untersagt .
Wir reden für Gesamtdeutschland von einem Potenzial
von 10 Prozent der Leistung des Kraftwerks Neurath im
Jahr . Würde man die Leistung dieses Braunkohlekraft-
werks um 10 Prozent reduzieren, hätte man dieselbe Ein-
sparung wie durch den Wechsel des Kältemittels, aber
keine Gefahren für Leib und Leben . Es ist mir unver-
ständlich, dass die Weiternutzung des alten Kältemittels
R134a verboten wird, solange CO2-basierte Klimaan-
lagen noch nicht vorhanden sind . Die EU-Kommission
zwingt im Gegenteil die Autohersteller, das neue Kälte-
mittel R1234yf bei Strafe des Verkaufsverbots eines je-
den Pkws einzusetzen . Solche Strafen wünschten wir uns
eher bei Abgasbetrügereien .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber es profitiert ein amerikanischer Chemiekonzern:
Honeywell . Der muss sich keine Sorgen machen; denn
mit diesem Sicherheitsdatenblatt hat er allen dokumen-
tiert, welche Gefahren bestehen, und ist damit aus jegli-
cher Haftung entlassen . Honeywell hat ja auf die Gefah-
ren hingewiesen .

Die deutsche Autoindustrie, insbesondere ein Kon-
zern, hat schon jetzt wegen des Abgasskandals riesige
finanzielle und Imageprobleme. Sollten zusätzlich Perso-
nenschäden durch R1234yf auftreten, werden Anwalts-
kanzleien VW und andere Autofirmen verklagen, und das
Image wird weiter in den Keller gehen .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816127800

Kollege Lenkert, achten Sie bitte auf die Zeit .


Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816127900

Ja . – Auch zum Schutz von VW fordern wir die Ko-

alition auf: Verbieten Sie R1234yf! Die EU-Richtlinien
erlauben ein Verbot, wenn Gesundheit und Leben von
Einwohnern gefährdet sind . Müssen erst Menschen ster-
ben, bevor Sie handeln?

Stimmen Sie unserem Antrag zu! Retten Sie Hunderte
von Menschenleben!


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816128000

Der Kollege Carsten Müller hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Carsten Müller (CDU):
Rede ID: ID1816128100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist

ein an sich wichtiges Thema, das man sachlich diskutie-
ren muss .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Dem, verehrter Herr Kollege Lenkert, sind Sie überhaupt
nicht gerecht geworden . Leider zieht sich Ihre Art der
Diskussion durch die gesamte Beratung .

Es mutet geradezu grotesk an, wenn man sich einmal
die Berichterstattung zu diesem Beratungspunkt durch-
liest . Dann stößt man auf eine Passage – ich zitiere sie –,
in der es darum geht, warum die Linke diesen Antrag
gestellt hat . Als Motivation haben Sie selber in der Be-
ratung angegeben:

Im Ergebnis erhoffe man sich von dem Antrag die
Herstellung einer größeren Öffentlichkeit,

– dagegen ist nichts einzuwenden; aber dann geht es wei-
ter –

sodass amerikanische Anwaltskanzleien im Falle ei-
nes gravierenden Unfalls die Möglichkeit hätten…

Sie wollen also im Grunde genommen amerikanischen
Großkanzleien in die Hände spielen . Das ist, ehrlich ge-
sagt, schäbig .


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Oh!)


– Sie haben es doch selber gesagt .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816128200

Kollege Müller, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-

kung des Kollegen Lenkert?


Carsten Müller (CDU):
Rede ID: ID1816128300

Nein, wir wollen das jetzt einmal sachlich abrunden .

Deswegen gestatte ich die Zwischenfrage nicht .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit haben Sie jetzt aber nicht angefangen!)


Man muss zum Kältemittel R1234yf eines wissen: Es
ist nicht vollkommen unbedenklich . Die Bundesregie-
rung hat auf eine Kleine Anfrage der Grünen wie folgt
geantwortet – deswegen nehmen auch wir dieses Thema
sehr ernst –:

Auf Basis von Untersuchungsergebnissen und Ver-
öffentlichungen kann der Einsatz von R1234yf mit
einem größeren Risiko verbunden sein als der Ein-
satz von R134a. Hierfür ursächlich sind die stoffli-
chen Eigenschaften von R1234yf (Zündfähigkeit) .
Dennoch liegen keine hinreichenden Nachweise
vor, die den Verdacht auf das Eintreten einer ernsten

Gefahr im Sinne des Produktsicherheitsgesetzes so
weit erhärten, dass unmittelbar eingreifende Maß-
nahmen nach diesem angezeigt wären .

Meine Damen und Herren, der Kollege Lenkert hat
eben richtigerweise gesagt: Bereits heute sind auf den
bundesdeutschen Straßen rund 750 000 Fahrzeuge mit
dem neuen Kältemittel unterwegs . Davon ist bedauerli-
cherweise das eine oder andere bereits verunfallt, ohne
dass im Übrigen die von Ihnen behaupteten Schäden ein-
getreten sind . Weltweit fahren über 10 Millionen Fahr-
zeuge mit dem neuen Kältemittel . Bei der öffentlichen
Diskussion, die im Übrigen nicht nur in diesem Land,
sondern weltweit stattfindet, wäre eines mit absoluter
Sicherheit eingetreten: Es wäre zu einem von Ihnen an
die Wand gemalten Horrorszenario gekommen, und wir
hätten eine große, weltumspannende Diskussion gehabt .

Es ist Aufgabe der Hersteller – das ist unbestritten –,
sichere Fahrzeuge zu bauen . Wir arbeiten bei Verbren-
nungsfahrzeugen sachlogisch mit hochentzündlichen
Stoffen, insbesondere Kraftstoffen . Wie man die Sicher-
heit im Umgang damit gewährleistet, ist, wie gesagt, in
erster Linie eine Herstellerfrage . Wir müssen das gesetz-
geberisch einrahmen . Aber unbestimmt irgendwelche
Stoffe zu verbieten, ist mit absoluter Sicherheit nicht der
richtige Weg .

Ich halte es auch für nicht wirklich angängig, zu über-
legen, EU-Fristen zu verschieben . Ich will das kurz be-
gründen . Wir reden hier, gerade als Umweltpolitiker, sehr
häufig über die Erreichung von Klimaschutzzielen. Die
Frage des Einsatzes des neuen Kältemittels ist eine kli-
maschutzrelevante Fragestellung . Die Kollegin Nissen
hat richtigerweise dargestellt: Bei R134a liegt der GWP-
Wert, der das klimawirksame Potenzial bezeichnet, bei
1 430 . Das neue Kältemittel R1234yf hat einen GWP-
Wert von 4; das ist ein Dreihundertsechzigstel dessen .
Ich halte es für nicht angängig, den Klimaschutz gegen
von Ihnen behauptete, aber nicht wirklich erwiesene Ri-
siken auszuspielen .


(Beifall der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Das wäre ein verheerendes Zeichen gerade der Umwelt-
politiker .

Meine Damen und Herren, wir unterhalten uns im
Umweltbereich auch über die Frage: Wie sieht die Mo-
bilität der Zukunft aus? Da geht es um mehr Nachhal-
tigkeit, aber auch um die Elektromobilität . Deswegen
finde ich es wichtig, dass wir die technischen Machbar-
keiten nicht völlig aus den Augen verlieren . Die Wahr-
heit ist, dass man eine CO2-betriebene Klimaanlage mit
etwa zehnfach höherem Druck betreiben muss, dass eine
CO2-betriebene Klimaanlage wesentlich schwerer ist .
Auch das ist implizit durch Ihren eigenen Vortrag, Herr
Lenkert, deutlich geworden .

Es gibt zwei Fahrzeuge, die mit einer solchen Klima-
anlage angeboten werden sollen: eine Mercedes E-Klasse
und eine Mercedes S-Klasse . Man kann heute aufgrund
des viel größeren Aufwandes und der viel größeren Leis-
tungsaufnahme einer CO2-betriebenen Klimaanlage eine
solche Anlage nicht in Kleinfahrzeuge und in Fahrzeuge
der unteren Mittelklasse einbauen, und man kann eine






(A) (C)



(B) (D)


solche Anlage auch nicht in Elektromobile einbauen,
weil die Leistungsaufnahme für den Betrieb der Klima-
anlage verbraucht und das Fahrzeug nicht mehr fahren
würde . Deswegen kann Ihrem Antrag, der nicht grund-
sätzlich unsinnig, aber in der Tonalität unangemessen ist,
heute keine Zustimmung gegeben werden .

Wir bitten Sie auch im Interesse der Bevölkerung, der
Industrie und vor allen Dingen des Klimaschutzes, dem
Vorschlag des Ausschusses zu folgen und diesen Antrag
abzulehnen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816128400

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Lenkert das

Wort .


Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816128500

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Kollege Müller,

zum Unfallgeschehen können Sie gar keine Aussagen
machen . Wir haben die Bundesregierung in einer Kleinen
Anfrage gefragt, ob der Bundesregierung bekannt ist, wie
viele Todesfälle und welche Todesarten jedes Jahr durch
Pkw-Unfälle zu verzeichnen sind . Die Antwort war: Das
wird nicht erfasst . – Es gibt nur zwei Musterkreise, in
denen man Analysen durchführt . Im Rest der Bundesre-
publik gibt es keine Erfassung der Ursache von Todesfäl-
len bei Verkehrsunfällen . Vermerkt wird nur als Todesfall
„Verkehrsunfall“ – mehr nicht . Es wird nicht ermittelt,
ob es eine Einquetschung ist . Es wird auch nicht ermit-
telt, ob es sich um Rauchgase handelt . Diese Zahlen sind
also nicht bekannt . Deswegen kann man heute auch kei-
ne Aussage darüber treffen, ob es Auswirkungen haben
wird . Das ist der erste Punkt .

Der zweite Punkt . Normalerweise haben wir in der
EU das Vorsorgeprinzip . Das Vorsorgeprinzip bedeu-
tet: Wenn die Besorgnis besteht, dass etwas gefährlich
ist, wird es nicht eingesetzt . Bei Versuchen der Firma
DuPont, eines Chemiekonzerns aus den USA, mit Car-
bonyldifluorid sind die getesteten Lebewesen in kürzes-
ter Zeit gestorben . Hochrechnungen auf den Menschen
ergeben, dass dieser Stoff mit einer Konzentration von
1 ppm, in 10 Minuten eingeatmet, tödlich wirkt . Versu-
che von Honeywell ergaben, dass Carbonyldifluorid im
Fahrzeuginnern mit einer Konzentration von 13 ppm ent-
steht . Dies ist das Dreizehnfache der für Menschen töd-
lich wirkenden Konzentration . Daher können Sie nicht
sagen, dass keine Gefährdungspotenziale bestehen .

Wenn trotz aller Hinweise aus der Wissenschaft, bei-
spielsweise von der Technischen Universität München,
und vom Umweltbundesamt sowie der Hinweise, die
sich aus den Versuchsreihen der Firma Daimler ergeben,
keine Schlussfolgerungen in der Politik gezogen werden
und man sich vielmehr auf den Standpunkt „Wir haben
das einmal beschlossen“ zurückzieht, dann bleibt den
Bürgerinnen und Bürgern nur noch eine Möglichkeit:
dass dieses Mittel per Gerichtsbeschluss über Schadens-
ersatzklagen von Anwaltskanzleien gegen die Hersteller

gestoppt wird . Auch deswegen bringen wir diesen Antrag
ein .

Im Übrigen, Herr Müller, ich habe eingehend mit der
Firma Daimler über die Ergebnisse ihrer CO2-Klimaan-
lagen gesprochen . Sie brauchen weniger Energie als die
herkömmlichen Anlagen, kühlen die Pkws schneller he-
runter, und außerdem sind sie hervorragend für Elektro-
mobile geeignet, weil sie auch als Heizung eingesetzt
werden können und man deswegen kein Zusatzaggregat
braucht .

Vielen Dank .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816128600

Möchten Sie erwidern? – Bitte .


Carsten Müller (CDU):
Rede ID: ID1816128700

Herr Kollege Lenkert, in aller Kürze: Sie unterschla-

gen bedauerlicherweise ganz wesentliche Antworten, die
Ihnen auf Ihre Kleine Anfrage in der Drucksache 18/5713
gegeben worden sind . Sie müssten sie eigentlich kennen .
Ich finde es schade, dass Sie sie nicht erwähnt haben. Ich
verweise in diesem Zusammenhang im Wesentlichen auf
die Passage vom unteren Teil der Seite 2 bis zur Mitte der
Seite 3 . Dort sind insgesamt die Ergebnisse von zwölf
Studien wiedergegeben .

Das Horrorszenario, das Sie an die Wand gemalt ha-
ben, hat sich eben nicht ergeben . Außerdem – das ist mei-
ne Ergänzung – gibt es noch weitere Testreihen der Her-
steller . Auch in diesen hat sich die von Ihnen behauptete
Gefahr so nicht realisiert .

Ich bitte Sie, dass Sie bei Ihren Ausführungen zukünf-
tig eines beachten, nämlich dass Sie sehr nah an der Sa-
che und an meinen Ausführungen bleiben . Ich habe mit-
nichten gesagt, dass es kein Risiko gibt . Ich habe gesagt,
dass das Risiko, das Sie als sicher vorhanden bezeichnet
haben, nicht nachgewiesen werden konnte. Ich finde es,
ehrlich gesagt, außergewöhnlich bedenklich, wenn Sie
hier Horrorszenarien von toten Rettungskräften und von
Unfallopfern, die aufgrund dieses Mittels gestorben sind,
an die Wand malen, ohne dass Sie dafür auch nur einen
einzigen handfesten Beleg haben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg . Ulli Nissen [SPD] – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Sie sollten sensibler damit umgehen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816128800

Das Wort hat der Kollege Stephan Kühn für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen .

Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Bisher war das Kältemittel mit der Be-
zeichnung R134a für Autoklimaanlagen zwar ungiftig,
hatte aber eben den entscheidenden Nachteil, dass beim
Entweichen, beispielsweise durch Wartungsarbeiten oder
durch undichte Leitungen, klimaschädliches CO2 freige-

Carsten Müller (Braunschweig)







(A) (C)



(B) (D)


setzt wird . Deshalb hat die EU in einer Richtlinie fest-
gelegt, dass es ab 2017 in allen Neuwagen nicht mehr
verwendet werden darf .

Jedoch soll der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben
werden . Das bereits angesprochene Kältemittel R1234yf,
ein Chemiecocktail, ist zwar klimaschonender, aber dafür
entzündbar und kann im Brandfall stark ätzende Fluss-
säure freisetzen, was nach Unfällen potenziell lebens-
gefährlich für Fahrzeuginsassen und Rettungskräfte ist .
Bisher gibt es dafür keine Kennzeichnungspflicht. Diese
wird von der Feuerwehr aber seit Jahren eingefordert .

Automobilhersteller wie Daimler oder auch die Deut-
sche Umwelthilfe haben auf die Gefahren frühzeitig
hingewiesen . Der ehemalige EU-Industriekommissar
Antonio Tajani hielt die Sicherheitsbedenken allerdings
für unbegründet Zur Erinnerung: Herr Tajani war der-
jenige, der nicht auf die Hinweise verschiedener NGOs
reagiert hat, dass Automobilhersteller Abschaltanlagen in
ihre Fahrzeuge einbauen, um Abgaswerte zu manipulie-
ren .

Deutschland hat nun seit 2014 ein von Tajani initiier-
tes Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission an
der Backe, weil insbesondere das Kraftfahrt-Bundesamt
Daimler-Modellen mit dem klimaschädlichen R134a die
Zulassung für den Straßenverkehr erteilt hat . Darin sieht
die Kommission bekanntlich einen Verstoß gegen die
Richtlinie .

Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, hat
es allerdings versäumt, eine abschließende Sicherheits-
bewertung für R1234yf vorzulegen . Sie teilte der Links-
fraktion und auch unserer Fraktion in Antworten auf An-
fragen mit, dass die bisherigen Untersuchungsergebnisse
nicht ausreichend seien, um die aufgeworfenen Sicher-
heitsfragen vollständig zu beantworten . Die Bundesre-
gierung plant auch keine Erhebung von Statistiken zu ge-
sundheitsgefährdenden Folgewirkungen . Meine Damen
und Herren, ich halte das für inakzeptabel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Man muss an dieser Stelle auch ganz deutlich sagen,
dass sich die Automobilhersteller und der Verband der
Automobilindustrie mit Matthias Wissmann an der Spit-
ze selber in diese Situation manövriert haben . Die Pro-
bleme sind selbstverschuldet . Die Automobilindustrie
hätte frühzeitiger auf CO2 als Kältemittel setzen können .
In Bussen wird es beispielsweise schon verwendet; dort
gibt es entsprechende Praxiserfahrungen .

Aber, nein, man wollte Umrüstkosten sparen, hat
deshalb die ursprünglichen Pläne – die gab es damals
schon; man wollte auf CO2 setzen – korrigiert und ist auf
R1234yf umgeschwenkt .

Erst jetzt setzen Daimler und auch Volkswagen end-
lich auf das alternative Kältemittel CO2 . Mit dem serien-
mäßigen Einsatz von CO2-Klimaanlagen in Pkw ist die-
ses Jahr zu rechnen . Allerdings – darauf ist auch schon
hingewiesen worden – braucht die Serienproduktion eine
gewisse Vorbereitungszeit; die Flotten kann man nicht
von heute auf morgen umstellen . Daimler hat zudem an-
gekündigt – das finde ich gut –, dass ab 2017 R1234yf

mit zusätzlichen Schutzmaßnahmen gegen Brände ein-
gesetzt wird .

Wir stimmen in weiten Teilen mit den Forderungen
des Antrags, liebe Kolleginnen und Kollegen der Links-
fraktion, überein, nur an einer Stelle nicht, nämlich dort,
wo Sie eine Ausweitung der Umsetzungsfristen der
Richtlinie fordern . Eine Verlängerung dieser Übergangs-
frist ohne Bedingungen, beispielsweise CO2-Kompensa-
tionsmaßnahmen der Hersteller, wäre aus unserer Sicht
falsch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine Zustimmung fiele mir zudem angesichts der Tat-
sache schwer, dass nicht nur bei Abgaswerten in Fahrzeu-
gen von deutschen Herstellern gravierende Unterschiede
zwischen Labormessungen und Nachprüfungen auf der
Straße bestehen, sondern auch bei den CO2-Werten . In-
sofern werden wir uns heute bei der Abstimmung über
Ihren Antrag enthalten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816128900

Das Wort hat der Kollege Arno Klare für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Arno Klare (SPD):
Rede ID: ID1816129000

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Meine Damen und Herren! Wenn man die Frage
stellt – die wird ja in diesem Hause sehr oft gestellt –,
wer eigentlich der Böse hier im Spiel ist, dann ist sie
chemisch sehr leicht zu beantworten . Kollege Kühn, ein
Cocktail ist das eigentlich nicht; das ist C3H2F4 . Die che-
mische Formel ist relativ simpel; da wird nichts zusam-
mengeschüttet, das großartig an einen Cocktail erinnerte .


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trinken würde ich es nicht! – Josef Göppel [CDU/CSU]: Die Kohlenstoffbindung ist das Problem!)


Der Bösewicht ist dieser Formel ist das F, nämlich
Fluor . Das ist in der Tat ein Mittel, mit dem man ganz viel
hexen kann, zum Beispiel, wenn es brennt und mit Was-
ser in Berührung kommt usw . Es ist richtig: Da entstehen
Fluorwasserstoff und Carbonylfluorid – ein Analogon zu
Phosgen –; das ist gerade schon genannt worden . Das ist
also in der Tat nicht ganz ungefährlich .

Das neue Mittel hat den gewaltigen Vorteil, dass es
in die Altanlagen, die Bestandsanlagen eingefüllt werden
kann, in denen im Moment der Klimakiller drinsteckt,
das Verhältnis ist 1 430 zu 4,4 . Das ist schon ein gewalti-
ger Unterschied – darauf ist gerade schon einmal hinge-
wiesen worden –, was die Klimawirksamkeit angeht . Das
gelingt mit CO2 natürlich nicht . Insofern ist die Frage,
wer eigentlich politisch verantwortlich bzw . der Böse ist,
schon etwas komplizierter zu beantworten . Die EU hat
den durchaus sinnvollen Schritt beschlossen, das Limit
bei einem Wert von 150 zu ziehen . Dann hat man ein
Mittel entwickelt, dessen GWP-Wert bei 4,4 liegt . Die
Industrie bedient sich nun dieses Mittels, zumal es in die

Stephan Kühn (Dresden)







(A) (C)



(B) (D)


bestehenden Anlagen eingebaut werden kann . Wer sich
die neuen CO2-Anlagen einmal anschaut, die bis 100 Bar
gesichert sind, wird feststellen: Wenn diese 100 Bar sich
entspannen, wie man so schön sagt, dann ist das ein
ziemlich explosiver Vorgang . Das muss man sich nicht
so ganz ungefährlich vorstellen .

Ich bin durchaus der Meinung, dass man zum Einsatz
von CO2 kommen muss . Ich bin jetzt nicht gerade ein
Verfechter von R1234yf, also von Tetrafluorpropen, so
heißt das Mittel . Aber ich bin auch nicht dafür, dass man
dieses Limit, 1 . Januar 2017, verschiebt, sondern ich bin
dafür, dass man das jetzt erst einmal einbaut . VW und
andere Hersteller haben ja gesagt, sie werden eine Lösch-
anlage einbauen, die mit Argon arbeitet und die Flammen
löscht, wenn etwas passiert . Übrigens hat sich bei allen
anderen Herstellern außer Daimler, die Versuche bei den
brennenden Fahrzeugen gemacht haben, das, was bei
Daimler passiert ist, nicht wiederholt . Es ist also nicht
verifiziert worden. Das scheint auch mit der Bauart der
Motoren von Daimler und mit der Aufteilung des Motor-
raums zu tun zu haben .

Insofern wird die Zukunft sicherlich dem CO2 gehö-
ren . Aber im Moment ist dieses alte Mittel vorüberge-
hend, denke ich, noch einmal einsetzbar, und es hat, was
die Klimawirksamkeit angeht, auf jeden Fall einen we-
sentlich geringeren Impact . Deshalb werden wir diesen
Antrag ebenfalls ablehnen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816129100

Der Kollege Josef Göppel hat für die CDU/CSU-Frak-

tion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Josef Göppel (CSU):
Rede ID: ID1816129200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

bisherige Debatte hat schon ein bestimmtes Meinungs-
bild erbracht, das die Autoindustrie hoffentlich hört .
Ich will mir erlauben, das abzurunden . Wir haben rund
30 000 Autobrände im Jahr in Deutschland . Mir ist in
der Vorbereitung auf die Rede eine Aussage des Berufs-
verbandes Feuerwehr zu diesem Thema in die Hände ge-
kommen . Sie lautet:

Auf Grund der eindeutigen Gefahren für die Fahr-
zeuginsassen sowie die Feuerwehr- und Rettungs-
diensteinsatzkräfte fordern wir ein Verbot der Ver-
wendung des Kältemittels R1234yf .

Auch der ADAC hat sich erst vor kurzem so geäußert:
Er empfiehlt, Klimaanlagen mit dem natürlichen Gaskäl-
temittel Kohlendioxid als besonders umweltfreundliche
und sichere Alternative weiterzuentwickeln . Ganz be-
sonders pikant fand ich eine Verlautbarung in einer Pres-
semitteilung von Daimler, in der es heißt, dass Daimler
künftig auf CO2 setzen will . Vorstand Thomas Weber
sagte dazu:

Es freut uns sehr, dass wir uns darauf verständigen
konnten, diese nachhaltige und sichere Lösung ge-
meinsam mit Audi, BMW, Porsche und Volkswa-
gen … voranzutreiben .

Die Frage, ob ein höherer Energieverbrauch mit dem
Einsatz von CO2 verbunden wäre, kann sehr gut anhand
des Modellautos beim Umweltbundesamt beantwortet
werden, das ja sehr genau überprüft wird . Der Energie-
aufwand dort hat sich auch im Betrieb nicht als höher he-
rausgestellt . Die Frage, ob man CO2 auch in Kleinwagen
verwenden kann, ist in der Tat an die Stückzahlen gekop-
pelt, und das hängt dann von der politischen Lösung ab .

Aber der Berufsverband Feuerwehr hat eben beson-
ders auf das entzündliche Gas in einem heißen Motor-
raum und vor allem auf die Wirkung bei der Verbindung
mit Löschwasser abgehoben . Die sogenannte Flusssäure
geht, äußerlich zunächst gar nicht aufscheinend, durch
die Haut bis auf die Knochen und zersetzt vor allem Ei-
weiße .

Wenn man das nun insgesamt betrachtet, dann stellt
sich die Sache wohl so dar: Es wird hier ein Zwischen-
schritt gegangen, der aber nicht von Dauer ist . Ich bin, an
die Kolleginnen und Kollegen der Linken gesagt, auch
der Meinung: Als Mitglieder des Umweltausschusses
eine Verschiebung der Klimaschutztermine zu fordern,
das möchte ich nicht mitmachen .

Deswegen lehnen wir den Antrag ab . Aber es ist offen-
kundig, dass es hier verschiedene Sichtweisen gibt, die
vielleicht dadurch aufgelöst werden könnten, dass man
einen Anreiz gibt . Wir von der Union sind ja immer für
Anreize . Man könnte zum Beispiel die Kraftfahrzeug-
steuer nach dem tatsächlichen Verbrauch im Straßentest
bemessen und diese Mehreinnahmen zur Förderung von
CO2-Kühlmittel verwenden .

Ich bedanke mich .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816129300

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Kältemittel R1234yf aus dem Verkehr ziehen“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/6634, den Antrag der Fraktion Die Lin-
ke auf Drucksache 18/4840 abzulehnen . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Luise Amtsberg, Beate Müller-Gemmeke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Arno Klare






(A) (C)



(B) (D)


Arbeitsmarktpolitik für Flüchtlinge – Praxis nahe
Förderung von Anfang an

Drucksache 18/7653
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . – Sobald
die notwendigen Umgruppierungen abgeschlossen sind,
können wir mit der Aussprache beginnen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Brigitte Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen .


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816129400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie wis-

sen: In der Flüchtlingspolitik stehen die Grünen fest an
der Seite von Frau Merkel . Das trifft für die Integrations-
politik dieser Bundesregierung allerdings nicht zu . Die
Integrationspolitik sieht eher aus wie eine Echternacher
Springprozession: drei Schritte vor, zwei Schritte zurück .
Dieses Hin- und Hergehopse hat natürlich seine Ursache .
Der Grund dafür liegt in den Konflikten und im Streit,
den es in der Flüchtlingspolitik in dieser Koalition gibt .
Wenn jedes Integrationsangebot von einem Teil des Hau-
ses, von einem Teil der Regierung im Wesentlichen als
ein Pull-Effekt begriffen wird, der noch mehr Flüchtlin-
ge nach Deutschland ziehen soll, dann kann daraus keine
konsistente Politik werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie betonen hier in den Debatten immer wieder, wie
wichtig es ist, dass die Flüchtlinge so schnell wie mög-
lich in den Arbeitsmarkt integriert werden . Stimmt; damit
haben Sie recht . Aber wenn man sich die konkrete Politik
anschaut, dann gibt es eine lange Liste von Hürden, die
den Flüchtlingen den Zugang zum Arbeitsmarkt versper-
ren . In den ersten drei Monaten dürfen die Flüchtlinge
gar nicht arbeiten . Ich frage Sie einmal: Wieso eigentlich
nicht? 15 Monate lang gilt die sogenannte Vorrangprü-
fung . Da müssen die Betriebe nachweisen, dass auf den
Arbeitsplatz nicht ein Deutscher oder ein EU-Ausländer
kann . Wenn ein Flüchtling einmal einen Ausbildungs-
platz ergattert hat, dann muss er drei Jahre lang fürchten,
während der Ausbildung abgeschoben zu werden . Das ist
weder für den Betroffenen noch für die Betriebe zumut-
bar, meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Der Zugang zu Sprach- und Integrationskursen gleicht
einem Glücksspiel mit offenem Ausgang . Dabei ist Spra-
che die Voraussetzung für die Integration in den Arbeits-
markt . Ich sage hier ganz deutlich: Diese Hemmnisse
müssen gestrichen werden, und zwar ersatzlos .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Betriebe wenden sich wegen dieser bürokratischen
Hürden allmählich vollkommen entnervt von ihrem An-
gebot ab, Flüchtlinge in ihren Betrieben aufzunehmen .

Auch bei den Flüchtlingen wächst die Frustration . Wir
wissen aus der Arbeitsmarktforschung, dass Nichtstun
sehr schnell zu Dequalifizierung führt, die dann nur sehr
mühsam wieder ausgeglichen werden kann . Das Problem
sieht jetzt auch Frau Nahles, und sie möchte 100 000
1-Euro-Jobs für Asylbewerber . Ich habe gar nichts dage-
gen, wenn zum Beispiel ausgebildete Köche, Elektriker
oder Maurer ihre Kompetenzen in ihren Einrichtungen
oder auch bei den Kommunen einbringen . Nur: Dafür
brauchen wir überhaupt kein neues Gesetz . Diese 1-Eu-
ro-Jobs gibt es bereits . Ich sage Ihnen etwas: Geben Sie
den Ländern, geben Sie den Kommunen einfach mehr
Geld! Dann werden auch mehr 1-Euro-Jobs angeboten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieses Geld brauchen die Kommunen jetzt, nicht erst
2017; denn jetzt ist die Situation prekär, jetzt dauern die
Asylverfahren so furchtbar lange . Wenn man Ihren Ver-
sprechungen glaubt, dann soll 2017 alles besser werden .
Dann sollen die Asylverfahren nur noch drei Monate
dauern . Also noch einmal: Wenn wirklich etwas getan
werden soll, dann tun Sie es jetzt! Sonst ist das eine Vor-
täuschung falscher Tatsachen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein dickes Lob geht heute von meiner Seite an die
Bundesagentur für Arbeit . Sie hat heute einen Vorschlag
vorgelegt, den ich ziemlich gut finde: Sie will Spracher-
werb mit betrieblicher Praxis verbinden .


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Genau! Das ist richtig!)


Das Konzept der Kombikurse geht in die richtige Rich-
tung und kommt unserem Vorschlag der Einstiegsquali-
fizierung übrigens sehr nahe. Ich sage Ihnen etwas: Die
Flüchtlinge müssen in die Betriebe; sie müssen die be-
triebliche Praxis in Deutschland kennenlernen und dür-
fen nicht in arbeitsmarktfernen 1-Euro-Jobs zwischenge-
parkt werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE])


„Wir brauchen jetzt kein drittes Asylpaket, sondern end-
lich ein Integrationspaket .“ – Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, jetzt erwarte ich Applaus; denn
diese Formulierung kommt von Frau Nahles. Ich finde,
sie hat recht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816129500

Frau Kollegin .


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816129600

Ich komme zum Schluss .

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816129700

Bitte .


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816129800

Soweit ich weiß, ist Frau Nahles immer noch Teil der

Regierung .


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Gott sei Dank ist sie das!)


Deswegen wünschte ich mir, sie käme endlich einmal aus
dem Oppositionsmodus raus und würde nicht immer nur
Forderungen an sich selber stellen . Sie muss handeln .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Unser Vorschlag liegt auf dem Tisch . Ich sage: Frau
Nahles, übernehmen Sie!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816129900

Das Wort hat die Kollegin Jutta Eckenbach für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Jutta Eckenbach (CDU):
Rede ID: ID1816130000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dadurch,

dass man laut ist, wird es nicht besser, Frau Pothmer .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, Frau Eckenbach, das ist doch so ein alter Spruch!)


Das muss ich an dieser Stelle ganz offen sagen .

Wir führen diese Debatte heute nicht zum ersten Mal,
sondern haben sie schon ein paarmal geführt . Manche
Forderungen haben Sie hier schon des Öfteren erhoben .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber deswegen sind sie doch nicht falsch!)


Hinsichtlich der geforderten Maßnahmen gibt es einen
gravierenden Unterschied zu uns . Er liegt darin, dass Sie
alle Flüchtlinge, die hier in Deutschland sind, in die Inte-
grationsmaßnahmen einbeziehen wollen . Wir wollen hier
gerne eine Unterscheidung machen; wir wollen bleibe-
berechtigte Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integrieren .
Darin liegt schon ein großer Unterschied .

Ich nenne einmal die von Ihnen geforderten Maßnah-
men – ich zähle nicht alle auf –: Öffnung des Arbeits-
marktes für alle, unabhängig vom Aufenthaltsstatus und
von der Art der Unterbringung


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– da sind wir unterschiedlicher Meinung –, Abschaffung
der Vorrangprüfung – da sind wir unterschiedlicher Mei-
nung –, Anspruch aller auf Teilnahme an Sprach- und
Integrationskursen, auch hier unabhängig vom Aufent-
haltsstatus, Anerkennung von Berufsabschlüssen auch

ohne Papiere – da müssen wir nachrüsten; an dieser Stel-
le sind wir nicht uneinig –,


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Sind wir nicht uneinig“!)


Ermöglichung des Wechsels des aufenthaltsrechtlichen
Status – auch das werden wir nicht ohne Weiteres ma-
chen können; auch hier müssen wir genauer hingucken –,
Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes . Da
sage ich Ihnen ganz deutlich: Die Abschaffung des Asyl-
bewerberleistungsgesetzes wird es mit uns nicht geben .

Wenn es um Integration geht, dann sollten wir nicht
nur an die Vermittlung in Arbeit und an Spracherwerb
denken . Wichtig ist auch, dass wir über unsere Grund-
werte nachdenken . Für die CDU/CSU-Fraktion gilt: Uns
ist auch die Vermittlung, was gesellschaftliches Mitei-
nander bedeutet, wichtig .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie sich einmal den Titel der Debatte anschauen!)


Dazu gehört auch, dass wir darüber reden, wie wir mit
Männern und Frauen umgehen, die ein anderes Werte-
gefühl haben .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geht nur durch Integration!)


Auch im Zuge der Integrationsmaßnahmen werden wir
darüber reden müssen . Das ist wichtig für den Arbeits-
markt; denn Männer und Frauen müssen gemeinsam an
einem Arbeitsplatz arbeiten . Das beginnt schon bei den
Sprachkursen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verweigern das doch!)


Sie sprechen von der Agentur für Arbeit und vom Ar-
beitsmarkt . Ich rede – das ist wichtig – auch von den Ar-
beitgebern, die wir mitnehmen müssen .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Arbeitgeber wollen das doch!)


Man muss darauf achtgeben, welche Voraussetzungen
die Arbeitgeber anlegen . Manchmal – das kann ich aus
eigener Erfahrung sagen – ist das gar nicht viel . Wenn Sie
mit dem Handwerk reden, wenn Sie mit gärtnerischen
Betrieben reden,


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind begeistert von unserem Vorschlag!)


dann sagen die uns: Es ist kein Problem, die Menschen in
den Arbeitsmarkt aufzunehmen . Was wir aber brauchen,


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist die Abschaffung der Vorrangprüfung!)


das ist jemand, der vor Ort ist, wenn es Konflikte gibt,
also eine Konfliktberatung in den kleineren Betrieben.






(A) (C)



(B) (D)


Darüber müssen wir reden; wir müssen gar nicht erst
groß vorher Sprachkurse ansetzen .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte? Was ist los?)


Vielmehr kann das innerbetrieblich geregelt werden; das
sagen mir zumindest meine Handwerker vor Ort, die
schon mit vielen unterschiedlichen Nationalitäten in den
Betrieben arbeiten .

Sie sagen: Es wurde im Moment nichts erreicht . Da-
bei wurde eine ganze Menge in Bezug auf Integrations-
maßnahmen erreicht . Die Integrationskurse wurden für
Geduldete mit Bleibeperspektive geöffnet, die Gelder für
Sprachkurse wurden erhöht, das Leiharbeitsverbot wur-
de gelockert, und im Sozialgesetzbuch wurden Sonder-
regelungen geschaffen, die eine bessere Eingliederung
mit Leistungen für eine aktive Arbeitsmarktförderung für
Personen mit einer Aufenthaltsgestattung ermöglichen .
Ich könnte diese Liste weiter fortführen .

Trotzdem bleibt noch ein ganz wichtiges Thema: Wir
dürfen uns nicht nur für Flüchtlinge einsetzen . In Ihrem
Antrag finden wir überhaupt nichts darüber, wie wir die-
se Aufgabe gemeinsam angehen können . Wir dürfen die
Menschen hier im Land nicht zurücklassen . Wir dürfen
nicht einseitig Integrationsmaßnahmen vornehmen .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb müssen die Mittel erhöht werden!)


Wir müssen an die Menschen denken, die langzeitarbeits-
los sind . Wir müssen aber auch an die Menschen denken,
die jeden Tag arbeiten gehen, die ihren Lebensunterhalt
selbst erwirtschaften .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es doch gerade, dass die ihre Mittel selbst erwirtschaften!)


Auch hier werden wir genau hinschauen müssen, dass
wir nicht die eine Gruppierung gegen die andere ausspie-
len . Das ist eine ganz wichtige Aufgabe .

Lassen Sie mich zum Schluss auf einen weiteren
wichtigen Punkt hinweisen . In Ihrem Antrag steht zum
wiederholten Male, dass die CDU/CSU-Fraktion den
Mindestlohn für die Flüchtlinge aussetzen will . Ich sage
es hier im Parlament noch einmal ganz deutlich: Das
wollen wir nicht . Ich bitte Sie, das auch nicht dauernd zu
wiederholen;


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht da auch gar nicht mehr drin!)


denn durch Wiederholungen wird es nicht besser . Wir
wollen keine Sonderregelungen für Flüchtlinge .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das freut mich zu hören!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816130100

Die Kollegin Sabine Zimmermann hat für die Fraktion

Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816130200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das Land ist in der Flüchtlingsfrage nach wie
vor gespalten . Das haben wir am letzten Wahlwochenen-
de wohl alle deutlich gemerkt . Ich hoffe, dass die Große
Koalition begriffen hat, was die Zahlen für sie bedeuten .
Deshalb sage ich für meine Fraktion deutlich: Wir stehen
zur Aufnahme von Flüchtlingen, von Menschen, die vor
Bomben und Terror flüchten, und zwar nicht nur, weil es
die Genfer Flüchtlingskonvention gebietet, sondern weil
es ein zutiefst humanes Handeln bedeutet . Deswegen ist
es wichtig, dass wir für die Integration von Menschen
sorgen .

Wir als Linke stehen eindeutig gegen eine dumpfe
Stimmungsmache, die unterstellt, dass Flüchtlinge nur
oder zumindest überwiegend aus wirtschaftlichen Grün-
den zu uns kommen . Sie können arbeiten, sie wollen ar-
beiten, aber dafür brauchen sie einfach Unterstützung .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Erstens . Der Erwerb von Sprachkenntnissen ist dabei
das A und O . Das, was hier bislang geboten worden ist,
ist eigentlich armselig . Sechs-Monats-Kurse wurden in
Teilzeit angeboten und dadurch auf zwölf Monate ausge-
dehnt . Lehrer, die diese Menschen unterrichten, werden
schlecht bezahlt, wodurch sie aufstocken müssen . Das,
meine Damen und Herren, ist Ihre Integrationspolitik .

Der Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit
hat dieser Tage erst erklärt, dass die bisher geplanten
290 000 Plätze bei weitem nicht ausreichen . Deshalb
sagt die Linke ganz klar und eindeutig: Wir brauchen
mehr und qualitativ bessere Sprachkurse, Schluss mit der
völlig daneben liegenden Diskussion darüber, dass eine
Selbstbeteiligung der Flüchtlinge an den Kosten erfolgen
soll .

Zweitens . Integration und Härte, wie von Herrn de
Maizière gefordert und umgesetzt, gehen einfach nicht
zusammen . Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In meinem
Wahlkreis gibt es eine junge Familie . Ich will Ihnen ein-
deutig zeigen, dass die Familie existiert .


(Die Rednerin hält ein Bild hoch)


Aufgrund der neuen Abschiebepraxis hat in Zwickau
eine Afghanin dieser Tage einen – wie es so schön heißt –
Abschiebebescheid, einen Ausreisebescheid bekommen .
Die Frau ist Mutter von drei Kindern . Ein Kind hat sie auf
der Flucht verloren, ein kleines Mädchen ist ertrunken .
Das jüngste Kind ist gerade ein Jahr alt . Ihr Ehemann
arbeitet bei einem mittelständischen Unternehmen im
Ort . Sein Chef sagt jetzt: Das kann doch wohl nicht wahr
sein . Die Mutter soll abgeschoben werden, und der junge
Mann soll mit den drei Kindern hierbleiben . Er soll zur
Arbeit gehen und dabei den Kopf frei haben, wenn seine

Jutta Eckenbach






(A) (C)



(B) (D)


Frau in Afghanistan den Kriegszuständen ausgesetzt ist .
Das ist doch keine Integrationspolitik, meine Damen und
Herren . Das ist doch schäbig . So etwas können wir doch
nicht wollen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Drittens . Maßnahmen aus der Abteilung „Hauptsache
billig“ brauchen wir überhaupt nicht . Mit den 100 000
1-Euro-Jobs für Flüchtlinge ist niemandem geholfen .
Frau Pothmer, Sie haben diese angesprochen . Wir haben
dazu eine andere Meinung . Wir wissen, dass diese 1-Eu-
ro-Jobs nicht in den ersten Arbeitsmarkt führen . Es kann
doch nicht sein, dass wir die Leute dann in 1-Euro-Jobs
abschieben .

Wir brauchen Fachkräfte . Frau Nahles sagt – und da
sind wir sogar bei Frau Nahles –,


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Da sind wir die ganze Zeit schon, nur Sie nicht!)


„dass die Flüchtlinge zu Fachkräften von morgen wer-
den“ . Ja, die Flüchtlinge sollen die Fachkräfte von mor-
gen werden und nicht die Billigkräfte von heute sein .
Aber ich glaube, durch 1-Euro-Jobs Qualifikationen zu
vermitteln, ist ein bisschen schwierig . Das ist doch bloß
ein Abhaken, und das ist etwas, was wir nicht wollen .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen dringend die Aufhebung der Vorrang-
prüfung und das Bleiberecht für Asylsuchende . Dieje-
nigen, die bereits eine Arbeit gefunden haben oder eine
Ausbildung haben, müssen hierbleiben dürfen, und die
Anerkennung der erworbenen Abschlüsse muss einfach
schneller funktionieren .

Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Wir unterstützen den
Antrag der Grünen, aber ich wünsche mir schon, dass Sie
einmal in sich gehen, meine Damen und Herren von der
Koalition . Der Sonntag der letzten Woche liefert Ihnen
sehr viele Beweise dafür .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816130300

Das Wort hat die Kollegin Daniela Kolbe für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Daniela Kolbe (SPD):
Rede ID: ID1816130400

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Wenn ich reflektiere, dann komme ich zu
dem Ergebnis: Wir alle sprechen derzeit unentwegt über
das Thema Flüchtlinge. Ich muss aber dazusagen: Ich fin-
de, dass wir noch zu wenig über das Thema Integration
sprechen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Frau Pothmer hat die ganze Zeit darüber gesprochen! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber ich wurde dafür beschimpft!)


Wir reden viel darüber, aber ich denke, dass wir noch
viel mehr darüber sprechen sollten, wie wir mit den Men-
schen umgehen, die bereits hier sind . Deswegen lautet
mein Appell an das gesamte Haus: Lassen Sie uns in
diesem Haus noch mehr über Integration sprechen; denn
hier wird über die Zukunft entschieden, und zwar über
unser aller Zukunft .


(Beifall bei der SPD)


Ich danke den Grünen dafür, dass ein solcher Antrag
gestellt ist und dass wir darüber diskutieren können .


(Beifall der Abg . Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich will aber den Hinweis geben, dass es die SPD ist, die
in den letzten Jahren in diesem Haus die Integration von
Asylsuchenden und Flüchtlingen vorangebracht hat .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht mehr!)


Es waren SPD-Politikerinnen wie Malu Dreyer, Aydan
Özoğuz, Andrea Nahles und Manuela Schwesig, die es
auf den Punkt gebracht haben: Wir brauchen endlich ein
Integrationspaket für dieses Land . Wir brauchen mehr
Geld für Integration .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen! Machen!)


– Und wir machen auch, ja . Vielen Dank, liebe Grüne .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Wann denn?)


Ich will darauf hinweisen, dass wir schon jede Menge
erreicht haben, auch durch Regierungshandeln: Wir ha-
ben den Arbeitsmarkt endlich für Flüchtlinge geöffnet,
wir haben den Spracherwerb möglich gemacht – mithilfe
der BA sind viele Flüchtlinge endlich in Sprachkurse ge-
kommen –, und wir haben die Öffnung des BAföGs und
der Berufsausbildungsbeihilfe auf den Weg gebracht .
Trotzdem ist natürlich klar: Es ist noch jede Menge zu
tun . Wir kämpfen insbesondere für mehr Ressourcen . Ich
sage es noch einmal: Deutschland braucht endlich ein In-
tegrationspaket .

Ich will mich auf die Kritik stürzen, die von Linken
und Grünen kommt: Mal ganz ruhig, Sie wissen doch
noch gar nicht, wie dieses 100 000-Arbeitsgelegenhei-
ten-Programm genau ausgestaltet wird .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen Sie doch selber nicht! Leider! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir im Ausschuss fragen wollen!)


Fakt ist doch, dass derzeit viele Hunderttausend Men-
schen in den Erstaufnahmeeinrichtungen und den kom-
munalen Einrichtungen sitzen und untätig sind,


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Sabine Zimmermann (Zwickau)







(A) (C)



(B) (D)


und Fakt ist, dass viele dieser Menschen Vermittlungs-
hemmnisse haben: zum Beispiel nicht ausreichende
Sprachkenntnisse, nicht anerkannte Qualifikationen,
Traumata, die noch zu behandeln sind . Insofern halte ich
das für den genau richtigen Weg . Schauen wir uns doch
erst einmal an, wie es genau zugeschnitten ist .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die brauchen doch jetzt Beschäftigung!)


Fakt ist aber auch – das sage ich ganz klar –: Es gibt
nicht das eine Instrument, das für alle Flüchtlinge passt,
die zu uns kommen . Dafür sind sie einfach viel zu unter-
schiedlich . Wir brauchen unterschiedliche Angebote für
die Zielgruppen,


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schlagen wir in unserem Antrag vor!)


für Hochqualifizierte, für junge Menschen, für Menschen,
die schon älter sind, bei denen wir schauen müssen, was
sie aus ihren Qualifikationen noch machen können. Da
sind wir ziemlich am Anfang .

Liebe Grüne, es ist schön, dass Sie die flexible Ein-
stiegsqualifizierung in die Debatte einbringen. Für Sie ist
sie das Allheilmittel. Ich finde jedoch, dass das nicht die
passende Lösung für all diese Gruppen ist .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber für Zigtausende! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber für viele!)


Im Übrigen sind die flexiblen Einstiegsqualifizierungen
in der bisherigen Form auch für Asylsuchende und Ge-
duldete schon nach drei Monaten in Deutschland zugäng-
lich . So schlecht ist es in diesem Land also gar nicht .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Noch einmal zu Ihrem Antrag . Einige Forderungen
aus dem Antrag sind berechtigt . Ich freue mich, dass von
der CDU klargestellt worden ist, dass wir in diesem Haus
nicht mehr darüber diskutieren müssen, dass der Min-
destlohn in diesem Land natürlich auch für Flüchtlinge
gilt und wir da keine Ausnahme machen .


(Beifall bei der SPD – Jutta Eckenbach [CDU/CSU]: Wir haben nie etwas anderes gesagt!)


Viele Ihrer Forderungen gehen allerdings im aktuel-
len Regierungshandeln auf . Lassen Sie uns doch darüber
gemeinsam diskutieren, wie wir das, was Andrea Nahles
vorlegen wird, besser machen können .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann soll sie etwas vorlegen! Dann diskutieren wir auch darüber!)


Das kann im Zuge der Debatte hier im Bundestag ja noch
besser werden .

Ich jedenfalls bin optimistisch, dass wir es mit unserer
guten Regierungspolitik, die wir machen, 2016 schaffen
werden, noch mehr Menschen – ich sage es ganz deut-
lich: Flüchtlinge, aber eben auch hier Lebende – in den

deutschen Arbeitsmarkt zu bringen . Das ist jedenfalls un-
ser Ziel . Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten . Es ist
so viel zu tun .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war alles sehr konkret!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816130500

Der Kollege Tobias Zech hat für die CDU/CSU-Frak-

tion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Tobias Zech (CSU):
Rede ID: ID1816130600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau

Pothmer, auch ich will mit dem Positiven anfangen . Der
Antrag hat tatsächlich ein paar Punkte, die auch ich, die
auch wir unterstützen . Ich fange einmal an:

Punkt eins . Die Asylverfahren müssen weiter be-
schleunigt werden . Das sehen wir auch so .

Punkt zwei . Der Personalschlüssel in den Jobcentern
sollte dem im SGB II angegebenen Verhältnis entspre-
chen . Das sehen wir auch so . Das ist dringend notwendig,
vor allem, je stärker die Jobcenter von der Flüchtlings-
frage betroffen sind . Auch ich besuche die Jobcenter . Da
haben Sie recht .

Punkt drei. Die Angebote für Anpassungsqualifizie-
rungen sollten ausgebaut werden . Auch damit haben Sie
recht .

Wir tun das alles schon und arbeiten mit Hochdruck
daran . Ich möchte nur an eines erinnern: Wir stehen jetzt
vor einer Herausforderung, die wir alle vor einem Jahr
nicht gesehen haben . Ich habe vor einem Jahr eine Rede
bei der KAB gehalten . Ich habe gesagt: Passt mal auf, wir
hatten im Jahr 2014 30 000 Flüchtlinge; wir erwarten im
Jahr 2015 das Doppelte, 60 000 Flüchtlinge . – Das war im
Januar 2015 . Das Ergebnis ist bekannt: 1 Million . Dass
jetzt nicht alles immer sofort funktioniert, dass nicht alle
Strukturen, nicht alles, was wir haben, gleich funktionie-
ren kann, muss jedem, glaube ich, einleuchten . Eines ist
aber auch klar: Wir haben unglaublich viele gute Ideen,
pragmatische Lösungsansätze auf der Bundesebene, aber
auch in den Ländern und in den Kommunen .


(Zuruf des Abg . Dr . Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Herr Strengmann-Kuhn, ich sage gleich etwas dazu . –
Man muss denen aber auch Zeit geben, damit sie wirken
können .

Drei Dinge haben Sie in Ihrem Antrag, glaube ich,
nicht so richtig gesehen . Ich will noch einmal darauf ein-
gehen .

Sie fordern für jeden, egal woher er kommt, sofort den
Zugang in den Arbeitsmarkt . Diese Einschätzung teile ich
nicht . Da kann man unterschiedlicher Meinung sein . Ich
sage Ihnen auch, warum . Kollegin Kolbe hat das schon

Daniela Kolbe






(A) (C)



(B) (D)


ziemlich gut ausgeführt; deswegen will ich es nur noch
kurz streifen. Die Frage der Qualifizierung: Nicht alle,
die hierherkommen, haben ein Qualifikationsniveau, das
die Einbettung in den Arbeitsmarkt oder in eine Berufs-
ausbildung ermöglicht .

Drei Zahlen: Ein Viertel der Flüchtlinge hat weniger
als fünf Jahre eine Schule besucht . 62 Prozent haben in
ihrem Leben weder ein Studium noch eine Berufsausbil-
dung abgeschlossen oder begonnen . 44 Prozent der be-
schäftigten Syrer, Iraker, Afghanen oder Eritreer hatten
lediglich einen Helferjob . Das reicht bei unserem Ar-
beitsmarkt eben noch nicht, um einen sofortigen Arbeits-
marktzugang zu rechtfertigen . Somit sind es auch nicht
die Fachkräfte von morgen . Das wollen sie auch nicht
sein; dazu komme ich gleich noch .

Der zweite Punkt ist die fehlende Sprachkenntnis .
Wenn Sie mit den Betrieben vor Ort sprechen, hören Sie,
dass die fehlende Sprachkenntnis das Hauptproblem ist .


(Zuruf der Abg . Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Es ist schön, dass Sie sich melden . – Ich kann mich
noch erinnern, wie reagiert wurde, als wir, die CSU,
vor einem Jahr in Kreuth gesagt haben, dass wir gerne
möchten, dass alle Flüchtlinge, dass alle Ausländer, die
Sprachprobleme haben, zu Hause deutsch sprechen . Wis-
sen Sie, was Sie uns vorgeworfen haben? Zwangsgerma-
nisierung . Was für ein Schwachsinn .


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: So war es! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Zwangsgermanisierung“ hat niemand vorgeworfen!)


Mittlerweile weiß jeder, dass die Sprache der Schlüssel
zur Integration ist . Wer das negiert, ist nicht an der Inte-
gration der Menschen interessiert, sondern an Ideologie .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg . Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Nein, nein .

Nächster Punkt – der ist mir am wichtigsten –: die
Vermischung von Arbeitsmigration und Asyl . Sie schrei-
ben – auch ein paar Personen aus der Wirtschaft haben
das immer wieder gesagt; das finde ich furchtbar –, dass
wir die Flüchtlinge brauchen, um unsere Fachkräfte- und
Demografieschwierigkeiten zu überwinden, oder dass
wir sie brauchen – so haben sie es fast geschrieben –, um
die Sozialkassen zu unterstützen . Die Menschen, die aus
Syrien hierherkommen, flüchten vor Krieg. Sie kommen
nicht hierher, um unsere Sozialkassen zu füllen, sondern
sie kommen hierher, weil sie zu Hause nicht leben kön-
nen .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Das zu vermischen, Arbeitsintegration mit Flucht gleich-
zusetzen, wird weder den Menschen gerecht, noch hilft
es irgendjemandem im Land .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht kein Mensch!)


– Doch, genau das machen Sie . – Ich sage Ihnen noch
etwas: Sie stellen sich hierher und wollen den Menschen
helfen .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816130700

Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kolle-

gin Pothmer?


Tobias Zech (CSU):
Rede ID: ID1816130800

Ich bitte darum .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816130900

Herr Zech, ich möchte hier einmal ein Missverständ-

nis aufklären . Wir gehen davon aus, dass die Menschen,
die hierherflüchten, vor Krieg flüchten, vor Verfolgung
flüchten, um ihr Leben bangen. Aber wenn sie hier sind,
dann möchten und sollen die Flüchtlinge – das ist auch
gut für die deutsche Gesellschaft – arbeiten . Dafür muss
man auch etwas tun . Darin muss man die Flüchtlinge un-
terstützen . Das hat zunächst einmal gar nichts damit zu
tun, dass wir die Flüchtlinge instrumentalisieren, um hier
den Fachkräftemangel zu decken . Aber es macht schon
Sinn, aus dieser Situation für Flüchtlinge, die Fachkräfte
werden möchten und hier arbeiten möchten, und für uns
eine Win-win-Situation zu machen .

Noch eine Frage, Herr Zech: Wenn es so ist, dass wir
tatsächlich einen Fachkräftemangel haben – das werden
Sie wahrscheinlich nicht bestreiten –, –


Tobias Zech (CSU):
Rede ID: ID1816131000

Nein .


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816131100

– warum in Gottes Namen müssen Flüchtlinge, die

hier bereits ein Arbeitsangebot haben, die eine hohe Qua-
lifikation haben, in ihr Heimatland zurück, um dann von
dort – Stichwort: Balkanflüchtlinge – hochkompliziert
wieder einen Antrag zu stellen, damit sie zurückkommen
können? Was soll das?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Tobias Zech (CSU):
Rede ID: ID1816131200

Okay, ich kann beides beantworten . – Ich fange bei

Punkt eins Ihrer Frage an, Frau Pothmer . Danke, dass Sie
es klargestellt haben . Dann schreiben Sie es aber bitte
auch in den Antrag .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie einfach mal den Antrag!)


Sie haben es nicht hineingeschrieben . Das habe ich an-
gesprochen . Es wäre schön, wenn Sie es dort klarstellen .
Wir sprechen hier nicht über einen Jobmotor, wir spre-
chen hier nicht über das vierte Wirtschaftswunder, son-
dern wir sprechen hier über die größte humanitäre Krise

Tobias Zech






(A) (C)



(B) (D)


im Nahen Osten . Darüber sprechen wir . Schreiben Sie
das bitte auch hinein .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich wäre bereit, es hineinzuschreiben, wenn Sie dem Antrag dann zustimmen!)


– Danke . Dann hätten Sie es vorher machen müssen . Wir
müssen vorher darüber sprechen .

Zweiter Punkt Ihrer Frage: Westbalkan . Jetzt sind wir
bei einer grundsätzlichen Frage . Sie haben beim West-
balkan ja recht . Es gibt im Westbalkan – das meinen Sie
ja mit Ihrer Frage – wirtschaftliche Probleme, ob das im
Kosovo ist, in Mazedonien oder in Montenegro; das be-
streitet niemand . Sie werden die Probleme des Westbal-
kans aber nicht in Deutschland lösen . Wir brauchen einen
Marshallplan für den Balkan . Das heißt, wir wollen die
Menschen aus dem Balkan nicht deswegen anerkennen .
Die Anerkennungsquote für Menschen aus den Balkan-
staaten beträgt 0,2 Prozent .

In Ihrem Antrag fordern Sie, dass alle, die hier asylbe-
rechtigt sind – –


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es nicht verstanden!)


– Doch, ich habe es schon verstanden .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Sie müssen nur zuhören, Frau Müller-Gemmeke; ich
glaube, Sie haben es nicht verstanden . – Sie fordern, dass
alle, die hierherkommen, sofort das Recht haben sollen,
eine Ausbildung zu machen und in den Arbeitsmarkt zu
gehen . Das wollen wir nicht . Denn man kann den Balkan
nur stützen, wenn die Menschen ihre Länder zu Hause
wieder aufbauen . Das kann man nicht hier leisten . Das
ist nicht nur inhuman, sondern auch volkswirtschaftlich
schädlich . Somit liegt das in keiner Weise in unserem In-
teresse . – Das zur Beantwortung Ihrer Frage .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Jetzt komme ich zum letzten Punkt . Es gibt ja schon
Maßnahmen, die flankierend greifen, ob „Early Interven-
tion“, „Integration Points“ oder die Einstiegsqualifizie-
rung . Allerdings wollen wir nicht, wie Sie es fordern, die
Vorrangprüfung aufheben .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Wirtschaft möchte das!)


Die Vorrangprüfung ist notwendig . Es gibt Möglich-
keiten, die Arbeitsmarktmigration nach Deutschland zu
steuern . Das tun wir . Wir haben die Bluecard und ver-
schiedene andere Instrumente, die funktionieren . Was
wir nicht wollen – dagegen verwahren wir uns –, ist eine
Vermischung von Migration und Flucht . Das eine mit
dem anderen aufzuwiegen, ist aus meiner Sicht unred-
lich .

Wir sind ja kurz vor Ostern, dem Fest der Hoffnung .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Und der Auferstehung!)


Lassen Sie uns doch gemeinsam an den Punkten, die
wir vorgeschlagen haben, arbeiten . Lassen Sie uns die
Maßnahmen, die wir jetzt auf den Weg gebracht haben,
evaluieren . Allein der Freistaat Bayern hat eine halbe
Milliarde Euro für Integration ausgegeben . Wir haben
gemeinsam mit der vbw, den Handwerkskammern und
den IHKen ein Programm aufgelegt, um bis 2016 20 000
und bis 2019 60 000 jugendliche Flüchtlinge in den Ar-
beitsmarkt zu integrieren .


(Jutta Eckenbach [CDU/CSU]: Wenn die anderen Bundesländer das auch alle machen würden, ginge es uns besser! Das gilt übrigens auch für Nordrhein-Westfalen, Frau Pothmer!)


Das ist vernünftige Flüchtlingsarbeit . Das ist Prosa . Las-
sen Sie uns arbeiten .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816131300

Das Wort hat die Kollegin Kerstin Griese für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1816131400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lassen Sie uns zum Thema des Abends zurückkommen:
Was können wir praktisch tun, um Flüchtlinge in Arbeit
zu integrieren? Hier geht es in der Tat darum, dass sie
schnell die deutsche Sprache lernen und schnell Zugang
zu Ausbildung und Arbeit bekommen . Es liegt eine riesi-
ge Chance darin, weil zwei Drittel der Flüchtlinge unter
30 Jahren sind; es sind also junge Leute . Daher gibt es
ganz viele Chancen: Bildungschancen und Chancen der
Integration . Es geht darum, sie zu nutzen . Daran werden
wir mit aller Kraft arbeiten .


(Beifall bei der SPD)


Wir schaffen das . Aber wir sagen auch: Wir machen
das . – Wir sagen auch, wie wir das machen . Ich will
ein erfolgversprechendes Modell aus meinem Heimat-
land Nordrhein-Westfalen erwähnen: die „Integration
Points“ . Es gibt in Nordrhein-Westfalen 47, in jedem
Arbeitsamtsbezirk einen . Ich konnte gerade in der letz-
ten Woche mit der Frau Staatssekretärin den „Integration
Point“ im Kreis Mettmann besuchen . Dort arbeiten die
Arbeitsagentur, das Jobcenter und die kommunale Aus-
länderbehörde Hand in Hand zusammen, um Flüchtlinge
zu integrieren, Sprachkurse zu vermitteln, Qualifikatio-
nen festzustellen, sie in Praktika und Arbeit zu vermit-
teln . Das war ein sehr positives Erlebnis .

Dort gibt es hochmotivierte Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter .


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Wir haben eine Frau kennengelernt, die sechs arabische
Dialekte kann und aus einem einfachen Job im Bereich
des Sicherheitsdienstes in einen qualifizierten Job ge-
wechselt ist . Das ist also auch eine Jobmaschine, ein

Tobias Zech






(A) (C)



(B) (D)


Arbeitsmotor . Dort arbeiten, wie gesagt, hochmotivier-
te Menschen . Ehrenamtliche kommen zusammen mit
Flüchtlingen dorthin, sie nehmen sie an die Hand und ge-
hen mit ihnen zu den Sprechstunden, und es findet wirk-
lich Vermittlung aus einer Hand statt . Wir hatten auch
noch das Erfolgserlebnis, dass ein Flüchtling gerade erst
in einen Arbeitsplatz in einem Restaurant in meiner Hei-
matstadt Ratingen vermittelt wurde . Es geht also, wenn
alle zusammen anpacken und alle zusammenarbeiten . Es
gibt viele gute Beispiele, die zeigen, was wir schon auf
den Weg gebracht haben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Die Jobcenter und die Arbeitsagenturen haben mehr
Mittel zur Verfügung gestellt bekommen . Wir haben
die Möglichkeiten, Praktika zu absolvieren, erleichtert .
Dazu, dass die Integrationsminister auf der heutigen
Konferenz gefordert haben, die Vorrangprüfung zeitlich
befristet auszusetzen, sage ich ausdrücklich: Ich halte das
für einen bedenkenswerten Vorschlag, über den wir noch
einmal sprechen sollten .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Denn in vielen Regionen gehen nahezu 100 Prozent der
Prüfungen so aus, dass der Flüchtling den jeweiligen Job
annehmen darf . Da muss man sich überlegen, ob das
nicht ein Stück Bürokratieabbau wäre .

Wir haben viel Geld für Sprachkurse bereitgestellt .
Ein kleiner Wink an das BMI, das nicht da ist: Das ge-
meinsame Sprachkonzept muss jetzt schnell kommen .

Ich finde es gut, dass wir auch das Drei-plus-zwei-
Modell verabredet haben, sodass junge Flüchtlinge, die
sich in der Ausbildung befinden, nach ihrer Ausbildung
zwei Jahre hierbleiben können . Das sind die richtigen
Schritte zur Integration in Arbeit und Ausbildung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber ich sage ganz klar: Wir müssen noch mehr ma-
chen. Wir brauchen die dazu erforderlichen finanziellen
Mittel . Darüber müssen wir offen sprechen . Darum geht
es ja gerade in diesen Wochen, in denen der Haushalt auf-
gestellt wird. Ich finde es gut, dass die Länder-Integrati-
onsminister da heute noch einmal Druck gemacht haben .
Denn auch wir von der SPD-Bundestagsfraktion sagen
schon lange: Wir brauchen ein Integrationspaket .

Ich verstehe allerdings nicht, warum sich Bayern der
heutigen Integrationsministerkonferenz verweigert hat .


(Beifall der Abg . Daniela Kolbe [SPD])


Ich halte es sogar für grob fahrlässig, sich noch nicht ein-
mal der Diskussion zu stellen; denn gerade jetzt brauchen
wir ein solidarisches Zusammenwirken von Kommunen,
Ländern und Bund,


(Tobias Zech [CDU/CSU]: Wir betreiben schon Integration, Frau Kollegin! Gucken Sie einmal, wie Ihre SPD-geführten Länder mit Integration umgehen! Wir brauchen keine Belehrungen der SPD! Wirklich nicht! 10 Prozent!)


und auch das Bundesland Bayern sollte dabei sein .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es geht jetzt um konkrete Maßnahmen und um finan-
zielle Mittel, damit die Menschen hier gut miteinander
leben und arbeiten können, seien sie hier aufgewachsen
oder zu uns geflohen. Es geht um das Miteinander aller.

Wir wollen, dass aus den Flüchtlingen Nachbarinnen
und Nachbarn, Kolleginnen und Kollegen werden . Daran
werden wir intensiv arbeiten . Das ist die große Aufgabe
der nächsten Jahre . Lassen Sie uns das planvoll und tat-
kräftig anpacken .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Antje Lezius [CDU/CSU] – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ja gegen die CDU/CSU! Aber gut!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816131500

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7653 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
W . Birkwald, Roland Claus, Sabine Zimmermann

(Zwickau), weiterer Abgeordneter und der

Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten
Markus Kurth, Corinna Rüffer, Dr . Wolfgang
Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

DDR-Altübersiedlerinnen und -Altübersied-
ler sowie DDR-Flüchtlinge vor Rentenminde-
rungen schützen – Gesetzliche Regelung im
SGB VI verankern

Drucksache 18/7699
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Matthias W . Birkwald .


(Beifall bei der LINKEN)



Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816131600

Frau Präsidentin! Liebe Betroffene auf den Besucher-

tribünen! Meine Damen und Herren! Am Tag ihrer An-
kunft im Notaufnahmelager Friedland bekamen viele aus
der DDR Geflüchtete einen Wegweiser des Bundesinnen-
ministeriums in die Hand gedrückt . Darin lasen sie:

Kerstin Griese






(A) (C)



(B) (D)


Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR und Ber-
lin (Ost) werden in der gesetzlichen Rentenver-
sicherung grundsätzlich so behandelt, als ob sie
ihr gesamtes Arbeitsleben in der Bundesrepublik
Deutschland zurückgelegt hätten .

Darauf hatten sich rund 316 000 Betroffene verlas-
sen . Viele Jahre später erhielten sie ihren ersten Renten-
bescheid, und sie wurden bitter enttäuscht; denn 1993
gab es im Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz eine
klammheimliche Änderung . Nun wurden die nach 1936
geborenen Übersiedlerinnen und Übersiedler und die
DDR-Flüchtlinge rentenrechtlich wieder wie DDR-Bür-
gerinnen und -Bürger behandelt .

Ausgerechnet CDU, CSU und FDP machten
DDR-Flüchtlinge rückwirkend wieder zu Bürgerinnen
und Bürgern des Staates, den sie oft unter Lebensgefahr
verlassen hatten . Das ist schäbig, mies und eines Rechts-
staates unwürdig .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage: Menschen, die aus der DDR flüchten muss-
ten, abgeschoben wurden oder ein zermürbendes Ausrei-
severfahren hinter sich hatten, dürfen nicht rückwirkend
mehrere 100 Euro Rente im Monat gestohlen werden .
Ein uns bekannter aus der DDR ausgereister Ingenieur
fühlt sich betrogen, weil er statt 1 850 Euro Rente nur
noch 1 350 Euro Rente erhält, also 500 Euro weniger, nur
weil er Ostdeutscher war . Unfassbar!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Werte SPD-Fraktion, Sie haben im April 2011 mit
einem Antrag gefordert, die DDR-Altübersiedler und
-Flüchtlinge vor Rentenminderungen zu schützen . Jetzt,
als Regierungspartei, wollen Sie davon nichts mehr wis-
sen . Das ist völlig unglaubwürdig .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe SPD, Sie können sich freuen; denn Sie haben
eine gute Opposition . Linke und Grüne bringen Ihren
Antrag aus der vergangenen Legislaturperiode heute ge-
meinsam noch einmal ein .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Martin Rosemann [SPD]: Warum machen Sie keinen eigenen Antrag?)


Sie fanden ihn damals richtig, und in der Sache hat sich
nichts geändert . Darum erinnern wir Sie im Interesse der
Betroffenen gerne an Ihr Versprechen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich fordere Sie auf: Werben Sie bei Ihrem Koalitions-
partner für Ihren und unseren Antrag! Sorgen Sie dafür,
dass Arbeitsministerin Andrea Nahles schnell einen gu-

ten Gesetzentwurf vorlegt, damit das Fremdrentenrecht
wieder gilt und eine Günstigerprüfung eingeführt wird!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Damit würde das Vertrauen der Betroffenen in den
Rechtsstaat wiederhergestellt .

Liebe Koalition, im Petitionsausschuss waren sich in
der vergangenen Legislaturperiode alle Fraktionen einig,
dass hier nun endlich gehandelt werden muss . Auch die
zusätzlich eingeholten Berichte und Gutachten ergaben
keinen triftigen Grund, dann plötzlich das Verfahren un-
tätig zu beenden . Aber genau das ist geschehen . Deshalb
haben die Betroffenen eine neue Petition eingereicht .
Eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht läuft
ebenfalls .

Die Betroffenen lassen nicht locker, allen voran die In-
teressengemeinschaft ehemaliger DDR-Flüchtlinge unter
ihrem Vorsitzenden Dr. Jürgen Holdefleiß. Sie kämpfen –
wie ich finde, völlig zu Recht – weiter engagiert um die
ihnen versprochene Rente .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Vertrauen der Menschen war darauf begründet,
dass sie, wenn sie alles zurücklassen, zumindest im Al-
ter über das Fremdrentengesetz abgesichert sein und wie
Westdeutsche behandelt werden würden . Die derzeiti-
ge Behandlung nach dem Renten-Überleitungsgesetz
ist nicht stichhaltig, da im Einigungsvertrag vom Som-
mer 1990 beide deutsche Staaten nur die Überleitung der
bundesdeutschen Rentenversicherung auf das Beitritts-
gebiet vereinbart hatten .

Eine rückwirkende Rentenkürzung für Menschen, die
vor der Wiedervereinigung in den Westen kamen, wur-
de eben nicht vereinbart . Das sehen nicht nur Linke und
Grüne so, das sieht auch der Verfassungsrechtler Profes-
sor Detlef Merten so . Deswegen, liebe Kolleginnen und
Kollegen von Union und SPD: Warten Sie nicht, bis Ih-
nen das Bundesverfassungsgericht Beine macht . Stellen
Sie das Vertrauen der aus der DDR geflüchteten Men-
schen in den Rechtsstaat wieder her, und schaffen Sie
diese Ungerechtigkeit endlich ab . Jetzt!

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816131700

Das Wort hat die Kollegin Jana Schimke für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jana Schimke (CDU):
Rede ID: ID1816131800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir leben

jetzt seit einem Vierteljahrhundert im vereinten Deutsch-
land, und ein Großteil der deutschen Bevölkerung hätte
sich den heutigen Zustand zum damaligen Zeitpunkt si-
cherlich nicht vorstellen können . Viele Menschen in der
DDR sahen es damals als ihren einzigen Ausweg, ihrer

Matthias W. Birkwald






(A) (C)



(B) (D)


Heimat den Rücken zu kehren und den Unrechtsstaat in
Richtung BRD zu verlassen . Wir alle wissen und sind uns
bewusst: Jeder DDR-Flüchtling hat viel Mut und Ent-
schlossenheit gezeigt und viel auf sich genommen . Er hat
viel gewagt, und die Menschen haben viel aufgegeben .

Nun ist die Wiedervereinigung geglückt, und wir fei-
erten erst kürzlich 25 Jahre deutsche Wiedervereinigung .
Ich habe schon häufig – auch hier im Deutschen Bundes-
tag – betont, dass die Wiedervereinigung den Menschen
eben nicht nur Reisefreiheit und das Recht auf freie Mei-
nungsäußerung brachte, sondern auch demokratische
Grundwerte ermöglichte . Sie war vor allem aber auch ein
gesamtgesellschaftlicher Kraftakt – auch ein sozialpoliti-
scher Kraftakt –, auf den wir stolz sein können .

Die Zusammenführung zweier Sozialsysteme war und
ist nach wie vor eine große Herausforderung . Wir disku-
tieren ja auch heute noch – 25 Jahre nach der Wiederver-
einigung – die Frage der Renten in Ost und West . Und
wir diskutieren darüber, wann die Unterschiede endgül-
tig beseitigt sein werden . Das bestätigt einmal mehr, wie
groß die Aufgabe ist, die wir damals auf uns genommen
haben und die wir bis heute auch bewältigen .

Der gesamtdeutsche Gesetzgeber hat damals mit dem
Renten-Überleitungsgesetz für eine gute und vor allen
Dingen einheitliche Alterssicherung der Menschen in
der ehemaligen DDR gesorgt . Der heute debattierte An-
trag ist bekannt und nicht neu . Bereits in der letzten Le-
gislaturperiode stellte die SPD einen fast wortgleichen
Antrag . Schon damals haben wir in vielen Gesprächen
mit den Betroffenen und den Verbänden die Rechtslage
nochmals geprüft und die Argumente ausgetauscht . Da-
mals wie heute stehen CDU und CSU zur bestehenden
Regelung, nach der auch DDR-Übersiedler nach dem
Renten-Überleitungsgesetz behandelt werden . Die Bera-
tungen hierzu im Petitionsausschuss wurden im letzten
Jahr abgeschlossen . Sie zeigten, dass auch unser Koaliti-
onspartner inzwischen diese Ansicht teilt .

Meine Damen und Herren, ich möchte nochmals be-
tonen, dass die Überleitung des ostdeutschen Alterssi-
cherungssystems ein hochgradig komplexes Vorhaben
war. Völlig unterschiedlich aufgebaute und finanzierte
Rentensysteme mussten vor 25 Jahren vereinheitlicht
werden . Ziel des Gesetzgebers war und ist es seither,
alle rentenrechtlich relevanten Zeiten aller ehemaligen
DDR-Bürger möglichst gleich und einfach zu behandeln .
Das heißt: Die rentenrechtlichen Zeiten der Menschen,
die zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Ge-
biet, hier der DDR, gelebt haben, sollten gleichbehandelt
werden . Das war das Anliegen der Rentenüberleitung
mit dem Ziel eines einheitlichen Rentenrechts in ganz
Deutschland .

Nun hat jedes Gesetz den Anspruch, Gerechtigkeit
bestmöglich abzubilden . Doch wir alle, die wir hier sitzen
und Politik machen, wissen, dass unsere Entscheidungen,
die wir notwendigerweise täglich zu treffen haben, in den
seltensten Fällen eine flächendeckende Zufriedenheit bei
allen Menschen hervorrufen .

Gerne möchte ich in diesem Zusammenhang daran
erinnern, dass die Rechtslage durch höchstrichterliche
Entscheidungen bestätigt wurde . Daran, lieber Herr

Birkwald, sind auch wir gebunden . Das ist Rechtsstaat-
lichkeit .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wir sind der Gesetzgeber! Wir können das schon ändern! Unsere Aufgabe!)


Alles andere würde eine Abkehr von Grundentschei-
dungen der Rentenüberleitung bedeuten . Auch mit den
Grundsätzen unseres lohn- und beitragsbezogenen Ren-
tenrechts ist dies eben nicht vereinbar . Deshalb würde die
Verwirklichung der Forderung von Linken und Grünen
nur neue Ungerechtigkeiten schaffen . Wir halten deshalb
weiterhin an der derzeitigen Regelung fest und werden
den vorliegenden Antrag ablehnen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816131900

Das Wort hat der Kollege Markus Kurth für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen .


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816132000

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Frau Schimke, selten hat jemand so am Thema
und am Sachverhalt vorbeigeredet, wie Sie das gerade
getan haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es geht bei dem Thema, das wir heute besprechen,
nicht um die allgemeine Zusammenführung der Renten-
versicherungen West und Ost im Zuge des Renten-Über-
leitungsgesetzes . Ziel des Renten-Überleitungsgeset-
zes damals war es, die Rentenansprüche derjenigen zu
regeln, die zum Zeitpunkt des Beitritts als Bürgerinnen
und Bürger der DDR Ansprüche gegenüber der DDR
geltend machen konnten . Wir reden hier und heute aber
über Personen, die zum Zeitpunkt des Beitritts die DDR
längst verlassen hatten, entweder weil sie aus Gefängnis-
sen herausgekauft wurden oder weil sie unter lebensge-
fährlichen Umständen die Mauer oder den Stacheldraht
überwunden hatten oder aber weil sie vor 1961, also vor
dem Mauerbau, unter Zurücklassung ihres gesamten Hab
und Gutes


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Und aller Rentenansprüche!)


die DDR verlassen hatten . Um diese Personengruppe
geht es . Dieser Gruppe wurde mit der Übersiedlung in
die Bundesrepublik Deutschland zugesichert, dass ihre
Rentenansprüche anders berechnet würden, nämlich
nach dem Fremdrentengesetz . Das ist der Sachverhalt,
den wir uns bewusst machen sollten .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!)


Damals, als das Renten-Überleitungsgesetz ver-
abschiedet worden ist, hat der Gesetzgeber nicht da-
ran gedacht, dass die aus der DDR Geflüchteten und

Jana Schimke






(A) (C)



(B) (D)


Altübersiedler dann einfach nach dem DDR-Rentenrecht
behandelt werden würden .


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Er hat es beschlossen!)


Ein sehr kluger Kronzeuge von damals, mit dem ich
sonst politisch nicht übereinstimme, Norbert Geis, hat
sich daran erinnert und im laufenden Petitionsverfahren
gesagt – ich zitiere –: So – gemeint ist das, was ich ge-
rade dargestellt habe – habe ich und so hat die Mehrheit
des Deutschen Bundestages damals das Renten-Überlei-
tungsgesetz verstanden . Anders konnte man es auch nicht
verstehen . Deshalb hat auch die Mehrheit dem Gesetz
zugestimmt . – So weit die Erinnerung eines Zeitzeugen .
Da er von der Union ist, sollten gerade Sie sich daran
erinnern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Sie können auch Norbert Blüm fragen! Er sieht das auch so!)


Ich finde, wir haben jetzt lange genug – davon nehme
ich auch meine Fraktion nicht aus – zugesehen, wie ein
Zustand herrschte, der für die Betroffenen äußerst uner-
freulich und auch mit erheblichen materiellen Nachteilen
verbunden ist und der darüber hinaus zu einer erhebli-
chen Vertrauenskrise gegenüber dem Rechtsstaat geführt
hat . Wir tun gut daran, nun, 25 Jahre nach der Vereini-
gung, diesen Zustand zu ändern und den Rechtsfrieden
und das Vertrauen wiederherzustellen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816132100

Kollege Kurth, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-

kung des Kollegen Rosemann?


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816132200

Ja, selbstverständlich . Gerne .


Dr. Martin Rosemann (SPD):
Rede ID: ID1816132300

Herr Kollege Kurth, auch mir ist bekannt, dass frühe-

re Mitglieder dieses Hauses, auch der von Ihnen zitierte
Exkollege Geis, davon ausgehen, dass sie das so nicht
beschlossen haben . Das kann ja sein – das will ich auch
nicht bewerten –; denn das Renten-Überleitungsgesetz
ist ein sehr langes und sehr komplexes Gesetz . Ich billi-
ge jedem Kollegen zu – ich schließe nicht aus, dass mir
das auch einmal passiert –, dass man dann das eine oder
andere übersieht .

Aber würden Sie vielleicht zur Kenntnis nehmen,
dass erstens mit dem Renten-Überleitungsgesetz und der
Neufassung des SGB VI in den §§ 256 a und 259 a ex-
plizit auf die Beitragszeiten im Beitrittsgebiet abgehoben
wird, aber nicht auf bestimmte Personengruppen und die
Frage, wann Personengruppen in die Bundesrepublik
übergesiedelt sind, und dass zweitens durch Artikel 14
des Renten-Überleitungsgesetzes gleichzeitig auch die
entsprechende Regelung im Fremdrentengesetz, wonach
bis dahin die DDR-Zeiten mit Tabellenentgelten bewertet

wurden, gestrichen wurde, sodass bei näherer Beschäfti-
gung mit dem Gesetzesvorhaben damals sehr wohl hätte
klar sein können, was da beschlossen wurde?


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816132400

Das billige ich Ihnen ja gerne zu . Aber das war offen-

sichtlich nicht der politische Wille und die Absicht des
Gesetzgebers damals . So verstehe ich zumindest Herrn
Geis .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Unabhängig vom sicherlich zutreffenden Wortlaut
des Gesetzes, Herr Rosemann, muss man doch se-
hen, dass sich die betroffenen Altübersiedlerinnen und
Altübersiedler bzw . Flüchtlinge jahrelang bzw . teilwei-
se jahrzehntelang darauf verlassen haben, dass die Ren-
tenansprüche so berechnet werden, wie es ihnen zum
Zeitpunkt der Übersiedlung versprochen worden ist und
wie es ihnen – der Kollege Matthias Birkwald hat es hier
ja dargestellt – zum Zeitpunkt der Übersiedlung auch
noch einmal schriftlich als Information gegeben worden
ist . Das ist doch der politische Kern .

Ich finde nicht, dass man jetzt sozusagen mit der Dar-
legung eines Gesetzestextes, in dem alles schwarz auf
weiß steht, das politische Problem überspielen und da-
rüber hinwegtäuschen oder davon ablenken kann, dass
wir als Gesetzgeber selbstverständlich in der Lage sind,
diesen politischen Fehler zu heilen und zu korrigieren,
um, wie gesagt, den Rechtsfrieden wieder herzustellen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816132500

Herr Kollege Kurth, einen kleinen Moment . – Kollege

Birkwald, sind Sie sich sicher, dass Sie sich jetzt melden
wollen? Ich mache darauf aufmerksam, dass ich dann zu
diesem Tagesordnungspunkt keine weitere Intervention
von Ihnen zulassen kann, weil Sie dadurch Ihre Redezeit
verdoppeln würden .


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816132600

Na gut . Dann höre ich auf die Weisheit der Präsiden-

tin .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816132700

Gut . – Dann kann der Kollege Kurth jetzt fortfahren;

ich schalte auch die Uhr wieder ein .


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816132800

Danke, Frau Präsidentin . – Der Kollege Birkwald –

wir bringen den Antrag ja gemeinsam ein – kann sich da-
rauf verlassen,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ich wollte etwas zum Kollegen Rosemann sagen!)


dass ich auch noch den Sozialdemokraten ein Zitat mit
auf den Weg gebe, das sie nachdenklich stimmen soll-

Markus Kurth






(A) (C)



(B) (D)


te . Sie sprechen ja immer gerne von „Wort halten“ und
wiederholen geradezu mantraartig, dass Vertrauenswür-
digkeit Ihr Markenkern ist . Ich möchte meine Rede nicht
beenden, ohne an Ihren leider viel zu früh verstorbenen
Kollegen Ottmar Schreiner und an das, was er 2012 von
diesem Pult aus gesagt hat, zu erinnern . Damals hat er
nämlich zu dem SPD-Antrag, den wir heute praktisch
wortgleich einbringen, an die Union gerichtet gesagt –
ich zitiere –:

Wenn auf Ihrer Seite der politische Wille vorhanden
wäre, hier wirklich zu einer vernünftigen Korrek-
tur zu kommen, zugunsten von Menschen, die es
wirklich verdient hätten, dann könnten Änderungen
erfolgen . . . Aber es ist nichts anderes als Heuchelei,
wenn Ihren Worten keine Taten folgen .

Ich weiß, das ist ein bitteres Zitat für Sie . Aber dem bleibt
nichts hinzufügen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816132900

Das Wort hat die Kollegin Daniela Kolbe für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Daniela Kolbe (SPD):
Rede ID: ID1816133000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Es ist nicht leicht, und vor allem die
SPD-Fraktion hat es sich auch nie leicht gemacht, der be-
sonderen Situation der Menschen, die aus der DDR in die
Bundesrepublik geflohen sind oder die zwangsausgebür-
gert worden sind, gerecht zu werden . Es ist unglaublich
schwierig, eine gerechte Lösung für ihre Rentenansprü-
che zu finden.

Aber vielleicht erst einmal dazu, um was es eigentlich
geht: Im geteilten Deutschland war die Regelung so, dass
Menschen, die aus der DDR geflohen oder zwangsaus-
gebürgert worden sind, ihre Rente nach dem Fremdren-
tengesetz erhalten haben; Herr Birkwald hat das gerade
zitiert . Es wurde sozusagen unterstellt, dass diese Men-
schen ihr gesamtes Erwerbsleben in der Bundesrepublik
verbracht haben, und es wurde anhand von Tabellen
festgesetzt, welche Rentenansprüche ein Mann oder eine
Frau – es wurde also nach Geschlechtern getrennt – in
dieser Zeit gesammelt hätte .

Mit der Wiedervereinigung und der Zusammenfüh-
rung beider Rentensysteme ist – das hat Martin Rosemann
zutreffend geschildert – auch das Fremdrentenrecht ge-
ändert worden . Wir müssen uns damit auseinanderset-
zen, dass nunmehr die Rentenansprüche der betreffenden
Menschen nach den Rentenansprüchen berechnet wer-
den, die sie in der DDR erworben haben . Sie werden also
genauso behandelt wie DDR-Bürgerinnen und -Bürger .
Man kann trefflich darüber streiten, ob das eine kluge
Entscheidung war, die damals getroffen wurde . Vom Pult

aus würde ich sagen: Das war möglicherweise keine gute
Entscheidung, die damals getroffen wurde .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kann man es ja ändern!)


Für viele war die Entscheidung der Übersiedlung aus
der DDR mit großen finanziellen Einbußen verbunden,
etwa weil sie in der DDR Berufsverbot hatten oder in
Haft saßen . Viele von uns, gerade in der SPD-Fraktion,
egal ob wir an der Regierung waren oder in der Oppositi-
on saßen, haben sich in den letzten Jahren damit ausein-
andergesetzt, mit den betroffenen Menschen gesprochen
und unglaublich viele Diskussionen über dieses Thema
geführt . Wir haben das Thema sehr ernsthaft behandelt
im Petitionsausschuss, im Arbeits- und Sozialausschuss
und auch in Gesprächen mit Ministerien und Verbänden .
Wir haben Vorschläge erarbeitet, von denen wir einige
wieder verworfen haben . Auf einem solchen Vorschlag
basierte auch der Antrag, den wir in der letzten Legisla-
turperiode vorgelegt haben und der vom Wortlaut dem
Antrag, der Ihnen heute hier vorliegt, gleicht,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja, damit ihr zustimmen könnt!)


außer dass dieser, wie ich gehört habe, geschlechterge-
recht formuliert wurde . Wir haben ihn erarbeitet, ihn dis-
kutiert und ernsthaft darüber nachgedacht, wie man ihn
konkret umsetzen kann . Wir haben ihn aber mittlerweile
wieder verworfen . Das will ich kurz erklären .

Über den Antrag wurde am 26 . Januar 2012 sehr ein-
drucksvoll und sehr emotional diskutiert .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ich war live dabei!)


Auch ich habe mir die Rede von Ottmar Schreiner noch
einmal durchgelesen . Was wollte denn der von der SPD
erarbeitete Antrag erreichen? Er besagte: Wir sollten für
alle Menschen, die ab 1937 geboren sind und bis zum
9 . November 1989 aus der DDR übergesiedelt sind, eine
Günstigerprüfung durchführen . Es sollte, um es einmal
einfacher auszudrücken, geschaut werden, was für die
betroffenen Personen besser ist: zurück zum Fremdren-
tengesetz oder entsprechend der geltenden Rechtslage bei
den Rentenansprüchen bleiben, die in der DDR erworben
worden sind . Das klingt gut und einfach . Schließlich ist
es ja auch ein SPD-Antrag gewesen .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber die Diskussionen seither zeigen uns, dass diese Prü-
fung zu vielen neuen Ungerechtigkeiten führen würde .

Was ist zum Beispiel mit den Personen, die vor 1937
geboren wurden?


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Die haben kein Problem!)


– Ist das so, dass diese kein Problem haben? Es gibt mög-
licherweise Frauen, die nach Renten-Überleitungsgesetz
höhere Rentenansprüche erworben haben .

Markus Kurth






(A) (C)



(B) (D)


Was ist mit Personen, die zwischen dem 9 . Novem-
ber 1989 und dem 18 . Mai 1990 in die BRD übergesie-
delt bzw. geflohen sind?

Zudem stellt sich die Frage, wie hoch die Leistungen
sein sollen; denn das Fremdrentenrecht wurde zwischen-
zeitlich geändert . Dieses Gesetz gibt es ja noch . Es regelt
zum Beispiel die Leistungen für Aussiedler und Aussied-
lerinnen aus Russland und anderen Ländern, die auch die
deutsche Staatsangehörigkeit besitzen . Diese Menschen
erhalten mittlerweile nur noch 60 Prozent der Tabellen-
werte des Fremdrentengesetzes . Würde das Fremdren-
tengesetz jetzt für die DDR-Übersiedler zum Teil wieder
eingeführt werden, dann sollten diese wahrscheinlich
100 Prozent der Tabellenwerte erhalten . 60 Prozent wür-
den jedenfalls keinen Sinn machen .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil sie dieses Versprechen bekommen haben, 100 Prozent zu kriegen! – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Die Aussiedler haben doch nie dieses Versprechen bekommen: 100 Prozent!)


Dann wiederum haben wir eine gefühlte und reale Un-
gleichbehandlung gegenüber den Aussiedlerinnen und
Aussiedlern etwa aus Russland . Klagen vor den Sozial-
gerichten wären programmiert .

Eine weitere Ungerechtigkeit einer entsprechenden
Neuregelung läge auch im Verdienstniveau des Fremd-
rentenrechts begründet . Dieses benachteiligt – da sind
wir uns, glaube ich, einig – Frauen, die ja in den neuen
Bundesländern ähnlich viel verdient haben wie Männer .
Nach Fremdrentenrecht gibt es, wie gesagt, unterschied-
liche Tabellen; da wurde geschaut, wie viel in der BRD
verdient wurde, und da haben die Frauen deutlich we-
niger verdient als die Männer . Das heißt, dass eine sol-
che Günstigerprüfung vorrangig Männern zugutekommt .
Das mag womöglich eine Nebensächlichkeit sein, aber
mir bereitet das durchaus Bauchgrummeln .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Es kann auch Frauen zugutekommen! Durchaus!)


Von der Günstigkeitsprüfung würden also vor allen Din-
gen Männer profitieren – und das bei gleichem Schicksal.

Schicksal ist für mich auch in anderer Hinsicht noch
ein gutes Stichwort . Es gab wirklich schwere Schicksale
von Menschen, die aus der DDR ausgereist sind, geflo-
hen sind oder ausgebürgert worden sind . Vor denen wer-
de ich persönlich ganz stille, und diese Schicksale berüh-
ren mich auch sehr . Ich kenne aber auch einige kritische
Stimmen von Menschen, die in der DDR geblieben sind,
die zum Teil Haft und Berufsverbot in Kauf genommen
haben und für die es ebenfalls logischerweise keine
Günstigkeitsprüfung gibt und die heute zum Teil massive
Nachteile bei ihren Renten spüren, die sie aufgrund ihrer
Widerständigkeit ertragen müssen . Dieses DDR-Unrecht
ist heftig . Ich habe das Gefühl, dass wir es nicht adäquat
und gerecht im Rentenrecht lösen können . Wenn wir das
heute ändern, dann organisieren wir neue Ungerechtig-
keiten .

Ich würde das Problem gerne lösen, ganz offen ge-
sprochen . Ehrlich gesagt, ich würde ganz gerne diesen
Beschluss aus dem Jahr 1992 rückgängig machen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Der war 1993!)


– Es gibt hier unterschiedliche Auffassungen, wann das
Gesetz geändert worden ist . Das sollten wir uns noch ein-
mal anschauen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: 24 . Juni 1993! Bundesgesetzblatt!)


Wir haben aus den genannten Gründen von unserem
Vorschlag Abstand genommen . Es ist auch ein span-
nender Prozess in der Demokratie, dass eine Partei ei-
nen Vorschlag testet, diskutiert und bei dem konkreten
Versuch, ihn umzusetzen, feststellt, dass er vielleicht gut
gedacht war, aber schwer umzusetzen ist .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Machen Sie einen Alternativvorschlag!)


Wir sehen aber auch die Ungerechtigkeiten, die bei der
Rentenüberleitung passiert sind, und bleiben da weiter
dran .

Unser Vorschlag der Errichtung eines Härtefallfonds
hat bisher allen Debatten standgehalten, wir haben ihn
nur nicht in den Koalitionsvertrag gepackt . Aber bei den
nächsten Koalitionsverhandlungen bekommen wir auch
diesen Punkt in den Koalitionsvertrag, und der wird dann
realisiert .


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Da bin ich aber mal gespannt!)


Vielen Dank fürs Zuhören .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816133100

Der Kollege Peter Weiß hat für die CDU/CSU-Frak-

tion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1816133200

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Wer es, oft unter Gefahr für Leib und Leben und
trotz Schikanierung durch die DDR-Behörden, geschafft
hatte, in den Westen rüberzukommen, für den mussten
wir irgendeine Regelung finden, damit er im Alter nicht
verhungert . Deswegen hat man etwas angewandt, was
wir im deutschen Recht haben, nämlich das sogenannte
Fremdrentenrecht. Da werden fiktiv Rentenpunkte gut-
geschrieben, die aber nicht durch reale Arbeit, die man
dafür geleistet hat, unterlegt sind . Man hat sozusagen
kopiert, wie es beschrieben worden ist, und die Punk-
te gutgeschrieben, die jemand erworben hätte, wenn er
von Anfang an im Westen gearbeitet hätte . Das musste
man auch deswegen tun, weil man keinen Zugriff auf das
DDR-Rentensystem hatte .

Jetzt kommt die Wiedervereinigung, Gott sei Dank .
Der Staat, vor dem die Menschen geflohen sind, dieser
Unrechtsstaat DDR geht unter . Nun haben wir die Mög-

Daniela Kolbe






(A) (C)



(B) (D)


lichkeit, ein gesamtdeutsches Rentenrecht zu schaffen .
Deswegen war es eigentlich auch logisch, dass man jetzt
die Rentenansprüche, die jemand zuvor in den neuen
Bundesländern erworben hatte, also die frühere Renten-
biografie, zur Grundlage der Rentenberechnung machte.
Das ist erst einmal nicht unlogisch .

Das bedeutet dann aber natürlich nicht, dass diese
Menschen wieder zu DDR-Bürgern gemacht werden .
Es gibt selbstverständlich einen Unterschied . Diese Mit-
bürgerinnen und Mitbürger leben bei uns im Westen, in
den westlichen Bundesländern . Deswegen wird auf deren
Rentenbiografie der Westrentenwert angewandt und nicht
der Ostrentenwert . Das heißt, es gibt einen klaren Unter-
schied zwischen denjenigen, die in der DDR geblieben
sind und heute in den neuen Bundesländern wohnen, und
denjenigen, die in den Westen geflohen sind und deren
Rentenberechnung nach Westentgeltpunkten erfolgt .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Bis zu 600 Euro weniger! Das meinen Sie doch jetzt nicht ernst!)


Es gibt also keine Gleichmacherei, sondern nach wie vor
einen klaren Unterschied .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Bis zu 600 Euro weniger Rente! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, da mich per-
sönlich und sicherlich jeden hier die Schicksale der Be-
troffenen anrühren und wir einen großen Respekt vor
denjenigen haben, die alles darangesetzt haben, dem
DDR-System zu entfliehen, und dafür große Entsagungen
auf sich genommen haben, haben wir über mittlerwei-
le zehn Jahre im Petitionsausschuss die entsprechenden
Petitionen immer wieder beraten, um herauszufinden:
Was könnte eine gerechte Lösung sein? Der Petitions-
ausschuss hat die damit einhergehenden Verfahren end-
gültig beschieden . Am 2 . Juli 2015 haben wir im Deut-
schen Bundestag diese Petitionen abschließend beraten
und festgestellt: Wir sehen keinen Weg, etwas zu ändern .

Frau Kollegin Kolbe hat nun vorgetragen, warum der
Antrag der SPD aus der vergangenen Legislaturperio-
de, in dem eine entsprechende Änderung vorgeschlagen
worden ist, von den Sozialdemokraten heute nicht mehr
mitgetragen wird . Verehrte Frau Kollegin Daniela Kolbe,
Sie haben all die Argumente, die ich in der letzten Legis-
laturperiode vorgetragen habe, mustergültig wiederholt .
Glückwunsch dazu!

Verehrter Herr Kollege Kurth, falls die Grünen jemals
wieder an einer Bundesregierung beteiligt sein sollten
und eventuell auch noch das Arbeits- und Sozialministe-
rium übernehmen sollten,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das nehmen wir dann! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin dann bereit, ja!)


befürchte ich, dass es Ihnen genauso geht wie den Kolle-
ginnen und Kollegen von den Sozialdemokraten:


(Beifall des Abg . Dr . Martin Rosemann [SPD])


dass Sie nämlich nach genauem Studium den Antrag, den
Sie heute einbringen, ebenfalls nicht mehr aufrechterhal-
ten würden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Martin Rosemann [SPD])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816133300

Kollege Weiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder

eine Zwischenbemerkung des Kollegen Strengmann-
Kuhn?


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1816133400

Ja, selbstverständlich .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Weiß, ich war in der letzten Legisla-
turperiode Berichterstatter im Petitionsausschuss für
diese Petition . Wir haben uns damals sehr intensiv mit
dieser Angelegenheit auseinandergesetzt . Der Kollege
Birkwald hat es eben schon gesagt: Damals waren wir
alle uns im Petitionsausschuss – von der FDP über den
CSU-Berichterstatter bis hin zur Linken – politisch einig,
und wir haben nach Lösungen gesucht .

Ich kann mich an eine Sitzung der Berichterstatter er-
innern, in der die im Ministerium Zuständigen anwesend
waren . Etwa eine halbe Stunde lang – es hat also ein biss-
chen gedauert; der Kollege Birkwald nickt; er kann sich
daran erinnern, denn er war dabei – wurden die von Ihnen
und der Kollegin Kolbe genannten Argumente geäußert .
Wir haben danach gesucht, ob es Lösungsmöglichkeiten
gibt, und dann sind wir auch darauf gestoßen .

Wenn Sie Bedenken gegen unseren Antrag haben –
wir halten Ihre Argumente nicht für überzeugend – und
unseren Vorschlag nicht richtig finden, dann suchen Sie
bitte nach neuen Wegen .


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Haben wir doch gemacht! – Gegenruf der Abg . Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das ist nicht lösbar?)


Wenn der politische Wille da ist, dann findet sich auch ein
Weg. Wer will, findet Wege; wer nicht will, findet Grün-
de . Nach diesem Motto bestreiten Sie hier diese Debatte .

Wir hatten in der letzten Legislaturperiode ein anderes
Problem, bei dem es einen ganz ähnlichen Mechanismus
gab .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ghettorenten!)


Auch da waren sich die Parlamentarier einig, während
Mitarbeiter des Ministeriums immer wieder gesagt ha-
ben: Geht nicht, geht nicht . – Das ist zwar nicht von den
beteiligten Gruppen, aber vom Prozess her vergleichbar .

Peter Weiß (Emmendingen)







(A) (C)



(B) (D)


Auch an dieser Stelle war der politische Wille so groß,
dass Wege gefunden worden sind .

Leidtragende sitzen nun hier auf den Besuchertribü-
nen . Sie und viele von uns, die wir mit dem Thema Rente
zu tun haben, haben mit ihnen schon persönlich zu tun
gehabt . Ich glaube, wenn der politische Wille da wäre,
würde man auch einen Weg finden. Ich bitte Sie: Suchen
Sie nach Wegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1816133500

Herr Kollege Strengmann-Kuhn, Sie selbst hatten an-

scheinend ein wenig Angst vor dem Vergleich, den Sie
gerade gemacht haben . Im Fall des sogenannten Ghet-
torentengesetzes ging es darum, dass ein Gesetz, das der
Deutsche Bundestag beschlossen hatte, administrativ
nicht so umgesetzt wurde, wie es der Gesetzgeber eigent-
lich wollte . Deswegen war eine nachträgliche Korrektur
notwendig .

In diesem Fall, so muss ich Ihnen sagen, haben wir es
uns nicht einfach gemacht . Die Kolleginnen und Kolle-
gen der SPD und der CDU/CSU aus den beiden Fach-
ausschüssen, also die Kolleginnen aus dem Ausschuss
für Arbeit und Soziales und die Berichterstatterinnen und
Berichterstatter der beiden Koalitionsfraktionen im Pe-
titionsausschuss, haben sich in dieser Legislaturperiode
mit dem Ministerium zusammengesetzt und haben aus-
führlich noch einmal alle Für-und-Wider-Argumente und
alle Lösungsmöglichkeiten diskutiert . Es ist also nicht so,
dass hier kurzerhand nach dem Motto „Das haben wir
schon immer so getan“ abserviert wird . Das Ergebnis
war, dass auch die Kolleginnen und Kollegen aus dem
Petitionsausschuss am Schluss uns, nämlich den Kolle-
gen aus dem Fachausschuss für Arbeit und Soziales, er-
klären mussten: Wenn wir das alles bedenken, dann se-
hen auch wir keinen Weg, wie wir eine Regelung finden
könnten, die nicht wieder zu neuen Ungerechtigkeiten
und zu neuen Fragen führt .

Das ist ja unser Problem mit der Einführung einer
Günstigerprüfung: Man darf zwischen zwei unterschied-
lichen Rechten, dem alten und dem neuen Recht, wählen .
Damit würde sozusagen die Tür geöffnet und die Men-
schen würden zu Recht fordern:


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das gleiche Argument!)


Wenn eine neue gesetzliche Regelung beschlossen wird,
dann will ich mich entweder für die Regelung des neuen
oder des alten Gesetzes – je nachdem, welche für mich
besser ist – entscheiden können .

Die Kollegin Kolbe hat dann zu Recht vorgetragen,
dass wir das Fremdrentenrecht in den 90er-Jahren grund-
legend geändert haben . Wir können doch jetzt nicht
plötzlich zwei Fremdrentenrechte in Deutschland einfüh-
ren: ein 60-Prozent-Fremdrentenrecht für die eine Per-
sonengruppe und ein 100-Prozent-Fremdrentenrecht für

die andere Personengruppe . Wie wollen Sie das rechtfer-
tigen? Was ist daran gerecht?


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Weil den einen die 100 Prozent versprochen wurden und den anderen nicht! – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine einmalige Gruppe! Die DDR ist untergegangen! Es kommen keine mehr!)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das eigentliche
Problem, das wir haben, ist: Wenn man an der einen
Stelle etwas ändert, wofür auch ich und viele andere
aus Respekt für die betroffenen Personen viel Sympa-
thie hätten – das will ich gar nicht verschweigen –, dann
würden wir uns und damit letztlich auch diesen betrof-
fenen Personen keinen Gefallen tun . Denn dann würden
all diejenigen auf der Matte stehen, die sagen: Auch ich
möchte für meinen Fall eine Günstigerprüfung, auch ich
möchte gern altes Recht angewandt wissen, wenn es für
mich günstiger und besser ist . Alle deutschstämmigen
Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler würden auf der
Matte stehen und fragen: Warum gilt für uns das 60-Pro-
zent-Fremdrentenrecht – das bedeutet für sie übrigens
oftmals, dass sie nur knapp über der Grundsicherung im
Alter leben; das muss man auch ehrlich sagen; das ist
ja kein Spaß –, und warum bekommen andere deutsche
Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zur gleichen Zeit
100-Prozent-Fremdrentenrecht gewährt?

Diese Fragen müssen Sie dann aushalten und beant-
worten .


(Beifall des Abg . Dr . Martin Rosemann [SPD])


Ich sage Ihnen: Das werden Sie nicht können; denn da
kommen Sie in eine neue Gerechtigkeitsdebatte .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zusammenfassend will ich sagen: Es geht im Renten-
recht darum, allgemeine Regelungen für alle zu schaffen .
Leider ist das Rentenrecht nicht der Ort, wo man den per-
sönlichen Lebensschicksalen von Menschen, für die man
große Sympathie empfindet und vor denen man Respekt
hat, im Einzelnen gerecht werden kann . Wir als Deut-
scher Bundestag können aber, wie ich finde, nur solche
allgemeinen Regelungen zum Rentenrecht treffen, die
nicht zu neuen Ungerechtigkeiten und zu neuen Verwer-
fungen führen .

Ich bitte darum, das alles zu prüfen und dann das zu
tun, was die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ge-
macht hat, nämlich einzusehen: Diesen alten Antrag aus
der letzten Legislaturperiode kann man nicht beschlie-
ßen, auch wenn er jetzt von den Grünen und den Linken
eingebracht wird . So schwer es einem fällt: Es ist gut,
dass wir dazu stehen, die heute geltenden Regelungen an-
zuwenden und auch die kritischen Fragen, die zu Recht
gestellt werden, auszuhalten . Wenn wir dies ändern wür-

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn






(A) (C)



(B) (D)


den, würden andere auf der Matte stehen, und zwar zu
Recht .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nicht zu Recht!)


Deswegen Ablehnung dieses Antrags .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816133600

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7699 an den Ausschuss für Arbeit und
Soziales vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlos-
sen .

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 18 . März 2016, 9 Uhr, ein .

Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen alles
Gute .