Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.Liebe Kolleginnen und Kollegen, es fällt Ihnen si-cherlich genau wie mir schwer, nach dieser bewegendenStunde zur Tagesordnung überzugehen.Gleichwohl rufe ich den Tagesordnungspunkt 23 auf:Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungForschungsagenda der Bundesregierung fürden demografischen Wandel – Das Alter hatZukunft– Drucksache 17/8103 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für TourismusNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes-DVw–ZDksswgsdSpd2Bnsministerin Professor Dr. Schavan.
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-dung und Forschung:Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Frage, wie das Miteinander der Generatio-nen gestaltet und organisiert wird, gehört zu den großenGestaltungsaufgaben einer Gesellschaft, der in ihr wir-kenden politischen Kräfte, aber auch vieler zivilgesell-schaftlicher Gruppen. Zu allen Prognosen gehört dieFeststellung, dass wir in eine Phase des demografischenWandels, der Bevölkerungsentwicklung kommen, diemit tiefgreifenden Veränderungen verbunden sein wird,für die Städte ebenso wie für den ländlichen Raum, fürdie einen wie für die anderen auf unterschiedliche Weise.
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Deutlich wichtiger ist uns geworden, dass die ver-schiedenen Disziplinen im Rahmen der vielen For-schungsprogramme untereinander sprechen. Die Inge-nieure und Mediziner brauchen für die interdisziplinäreForschung das Gespräch mit den Geistes-, den Kultur-und den Sozialwissenschaftlern.Die Antwort auf die Frage, wie wir diese Gesellschaftbezeichnen, verändert sich. Wir reden sehr viel wenigervon der alternden Gesellschaft und sehr viel mehr – auchunsere Fachleute – von der Gesellschaft des längeren Le-bens. Wir wissen, dass es in dieser Gesellschaft des län-geren Lebens eine Menge mentaler Veränderungen ge-ben wird.Ich habe in dieser Woche das Rahmenprogramm„Forschung für die zivile Sicherheit“ für die nächstenJahre vorgestellt. Das ist ein Beispiel dafür, wo wir inden nächsten Jahren sehr viele Veränderungen erlebenwerden. Wie empfinden die Menschen Sicherheit? Wel-che Erwartungen haben sie? Welche Ängste werden sichverstärken? Was sind die Möglichkeiten der vielen ge-sellschaftlichen Gruppen speziell auf der kommunalenEbene, letztlich aber auf allen politischen Ebenen, damitnicht nur umzugehen, sondern auch Veränderungen hinzu einer konstruktiven und positiven mentalen Verfas-sung zu erwirken und die Vorstellung zu entwickeln,dass nicht nur in einer bestimmten Lebensphase – imSchnitt sind es immer die Jüngeren –, sondern in allenAltersphasen ungenutztes wertvolles Potenzial gehobenwerden kann? Mit unserer Agenda wollen wir die Mög-lichkeit eröffnen, Antworten auf diese Fragen zu finden.Mir ist sehr wichtig, dass wir nicht vor allem techno-logische Entwicklungen fördern. Ein gutes Beispiel istdas Thema Pflege. Im Rahmen der Pflegeforschung wirddie Technik nur eine untergeordnete Rolle spielen. Dane-ben müssen und werden Inhalte und Konzepte eine ganzwichtige Rolle spielen. Dafür gibt es zum Beispiel auchin Zusammenarbeit mit den Fachhochschulen ein an-wendungsorientiertes Forschungsprogramm zur Lebens-qualität im Alter.Die Programme werden von unterschiedlichen Res-sorts verantwortet. Sie sind in einem stimmigen Konzeptgebündelt. Damit wird eine deutliche Erhöhung der For-schungsmittel verbunden sein. Es ist ein Schwerpunkt inden nächsten Jahren, verborgene Schätze unserer Gesell-schaft des längeren Lebens zu heben, durch Forschungdie Entwicklung von neuen Lösungen, Produkten undDienstleistungen voranzutreiben und die Lebensqualitätsowie die gesellschaftliche Teilhabe älterer Menschen zuverbessern.Im Rahmenprogramm „Gesundheitsforschung“ habenwir bereits einen Schwerpunkt auf Prävention, Diagnoseund Therapie von Krankheiten gelegt, die im Alter be-sonders häufig auftreten. In diesem Zusammenhang sageich auch: Die Forschungsprogramme werden das einesein, aber wir werden uns auch um die Weiterentwick-lung und den Umbau von Institutionen – auch in der Ge-sundheitsversorgung – kümmern müssen. In Deutsch-land gibt es ganze drei Lehrstühle für Altersmedizin,beispielsweise das große Zentrum hier in Berlin. Nach-dem im Bereich der Palliativmedizin schon Veränderun-gdnneDgescMku2SdleälehtrglähbnetufuButerezewsbPvdvndsdazdmazKn
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Mobilität und Kommunikation, längere Beschäfti-gungsfähigkeit, Wohnen, Gesundheit, Pflege, gesell-schaftliches und kulturelles Engagement, all das sind dieFragestellungen, auf die sich die Forschungsagenda be-zieht. In diesen Bereichen wollen wir Innovation, undzwar nicht nur im technologischen Sinne, sondern auchmit Blick auf die soziale und kulturelle Entwicklung, vorallem mit Blick auf die mentale Verfassung einer künfti-gen Gesellschaft des längeren Lebens.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege René Röspel für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Erlauben Sie mir eine Bemerkung, bevor ich mit meinerRede beginne. Ich habe kein Problem, zu bekennen, dassich von der Gedenkstunde und von den Worten des Zeit-zeugen noch sehr beeindruckt bin, die wir gerade gehörthaben. Das geht mir jedes Mal so. Es fällt mir schon sehrschwer, zur Tagesordnung überzugehen.Ich möchte von dieser Stelle noch sagen: Alle The-men, die wir jetzt behandeln, sind für sich wichtig. Aberich finde, sie verlieren dennoch an Bedeutung vor dem,was wir vor einer knappen halben Stunde hier gehört ha-ben. Meine Anregung an den Ältestenrat ist, zu überle-gen, ob es nicht vielleicht klug wäre, eine solche Ge-denkstunde für sich stehen zu lassen und das Plenum– man sieht das an der Beteiligung – nicht weiterzufüh-ren, sondern auszusetzen.
Gut, es ist, wie es ist. Wir sind aufgerufen, zum Ta-gesordnungspunkt „Forschungsagenda der Bundesregie-rung für den demografischen Wandel“ zu debattieren.Ich will vorab ganz herzlich denjenigen danken, die imPrinzip die Verursacher dieser Forschungsagenda sind.Das sind nämlich aus meiner Fraktion die KolleginSabine Bätzing-Lichtenthäler und der Kollege FranzMüntefering. Sie haben im Juni des letzten Jahres, alsovor mehr als einem halben Jahr, eine Große Anfrage mitsehr vielen wohlüberlegten Fragen an die Bundesregie-rung gestellt. Nachdem es mehrere Verzögerungen gab,ist diese Anfrage seitens der Bundesregierung vor weni-gen Tagen, im Januar dieses Jahres, beantwortet worden.Diese Antwort ist sehr lesenswert und enthält vieleAnregungen. Ich habe aber den Eindruck, dass die Tatsa-che, dass es eine solche Anfrage gegeben hat, die Bun-desregierung ein bisschen genötigt hat, auch etwas zumachen und eine Forschungsagenda aufzulegen. Wirwaren sehr gespannt, was in dieser Forschungsagenda zufinden ist.eeDgPiszPtesFgBmgdleEmDnfikSDdhrenbsgkwAvUS
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res Augenmerk auf die Bedürfnisse der älteren Ge-neration legen.Das ist gut, aber ein Allgemeinplatz.Dass Sie weiter unten „auf individuelle Bedarfe ange-passte Rufbus-Systeme und eine Beförderung bis an dieHaustür“ fordern, ist ebenfalls gut, aber für eine For-schungsagenda zu wenig; denn die eigentlichen Pro-bleme in den Kommunen liegen darin, dass sie denÖPNV nicht mehr finanzieren können. Dafür brauchenwir keine Forschungsagenda, sondern es ist schlicht eineandere Finanzierung notwendig, die diese Bundesregie-rung allerdings nicht gewährleisten wird. Dessen bin ichmir sicher.
Auf Seite 5 schreiben Sie weiter:Wir entwickeln die Informations- und Kommunika-tionstechnologien so weiter, dass älteren Menschenauch auf Reisen fernab der vertrauten Pfade eine in-tuitive Orientierung möglich wird …Ich habe den Eindruck, Sie erfinden gerade das Handyoder das Navi neu. Aber es ist völlig abseitig von dem,was ich in meinem täglichen Umfeld erlebe, welcheSchwierigkeiten die Menschen durch den demografi-schen Wandel im Pflegebereich erfahren. Das hat nichtsmit der Realität zu tun. Es ist, glaube ich, nur eine Hüll-formel, um die Seiten Ihrer Forschungsagenda zu füllen.Es zieht sich durch die Forschungsagenda, dass Siedie wirklich interessanten Fragen, die die Menschen an-gehen, nicht berühren oder nur antippen. Wie muss eineStadt entwickelt werden, damit sie den durch den demo-grafischen Wandel geänderten Anforderungen gerechtwird? Dabei geht es nicht nur ums Alter, sondern es be-deutet vielleicht auch weniger Kinder. Gleichzeitig kür-zen Sie aber die Mittel für das Programm „Soziale Stadt“um 60 Prozent. Ich weiß aus meiner Heimatstadt, dassdie Quartiersentwicklung, bei der es auch um Anpassungan demografische Verhältnisse, eine veränderte Wohnstruk-tur und ältere Menschen geht, die anders leben als nochvor 10 oder 20 Jahren, nicht mehr möglich ist, weil dieMittel weiter gekürzt werden.Die Themen, die die Menschen wirklich im Bereichder Pflegeforschung und der Versorgungsforschung inte-ressieren, berühren Sie nicht. Dabei geht es zum Beispielum die Frage, wie man Angehörige von Demenzkrankenund Pflegebedürftigen entlasten und unterstützen kann.Wir waren schon weiter. Von 2003 bis 2009 gab esdas bundesfinanzierte Modellprojekt HilDe zur Erfas-sung der Lebensqualität von Demenzkranken und von2002 bis 2009 das Programm LEANDER, eine Längs-schnittstudie, die über die Belastung von Angehörigen,die demenziell Erkrankte pflegen, Auskunft gibt. Ich binehrlich: Die Tatsache, dass diese Programme währendder rot-grünen Regierungszeit aufgelegt wurden, bedeu-tet nicht, dass wir das damals auf den Weg gebracht ha-ben. Forschung entwickelt sich unabhängig von der je-weiligen Regierung. Aber die Schlussfolgerungen ausdiesen Studien hätten Sie ziehen und in Ihrer For-schungsagenda berücksichtigen können. Wenigstens dashfoegFhkmHsfonWhgdueBwüwissgeFHsdBsztifüuhnvas
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Demografi-cher Wandel, Klimawandel und Energiewende, das sindie Megathemen, derentwegen ich im Jahr 2009 in denundestag und nach Berlin gegangen bin. Ich bin ausge-prochen dankbar, dass ich heute die Gelegenheit habe,u diesem Thema hier sprechen zu dürfen. Mich bestä-gt das in meiner Einschätzung, dass es richtig ist, sichr diese Themen einzusetzen. Schon die Worte Wandelnd Wende lassen auf eine hohe Dynamik schließen. Daseißt, wir werden gemeinsam – es geht zunächst umichts anderes, als den Weg vorzuzeichnen – noch vieloranbringen. Herr Röspel, ich gehe davon aus, dass unsuf diesem Weg mehr eint als trennt. Ich glaube, darinind wir uns einig.
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Dr. Peter Röhlinger
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Wir werden bei den Instrumenten sicherlich viele Ge-meinsamkeiten finden.Der Europäische Rat hat das Jahr 2012 zum Europäi-schen Jahr für aktives Altern und Solidarität zwischenden Generationen ausgerufen. Dass wir uns heute mitdem demografischen Wandel und seinen Folgen für un-sere Gesellschaft befassen, wollen wir als Zeichen diesesHohen Hauses verstanden wissen: Das ist unser Thema!Die Bundesregierung benennt in ihrer Forschungsagendadie relevanten Handlungsfelder bis zum Jahre 2016. Ichwill auf zwei Erkenntnisse des Sechsten Altenberichtsaus dem Jahre 2010 hinweisen.Erstens. Die Sachverständigen haben darauf hinge-wiesen, dass individuelle Altersbilder eng mit dem Bil-dungsstand zusammenhängen. Das bedeutet, dass wirmit unserem Konzept des lebenslangen Lernens auf demrichtigen Weg sind.Zweitens. Mit Forschung und Innovation wollen undkönnen wir Lösungen für die Herausforderungen einerälter werdenden Gesellschaft entwickeln.Die Altersforschung ist ein außerordentlich spannen-des Thema. Verschiedene wissenschaftliche Einrichtun-gen haben bereits interessante Ergebnisse erarbeitet. Eswird zum Beispiel untersucht, welche Faktoren beim Al-tern von lebenden Zellen eine Rolle spielen. Das sind,wie wir wissen, einerseits Umweltfaktoren; aber, wie wirneuerdings ebenfalls wissen, sind es insbesondere auchgenetische Faktoren. Wissenschaftlich werden die mole-kularen Mechanismen ergründet, die dem menschlichenAlterungsprozess zugrunde liegen und zu altersbeding-ten Krankheiten führen.Das Ziel ist es, gesund älter zu werden. Der Wunsch,im gesunden Zustand und mit guter physischer und men-taler Leistungsfähigkeit ein hohes Alter zu erreichen, istein großes Ziel. Aber häufig stehen dem Widerständeentgegen, die eben auch damit zu tun haben, dass beiFragen von Gesundheit und Krankheit die Wissensbasisausbaufähig ist.Dem trägt auch das Rahmenprogramm „Gesundheits-forschung“ der Bundesregierung Rechnung. Die Verbes-serung der gesundheitlichen Versorgung älterer Menschenist ein Schwerpunkt dieses Programms. Die Erforschungvon Herz-Kreislauf-Erkrankungen und von Erkrankun-gen wie Krebs, Diabetes und Demenz wird damit ebensoschwerpunktmäßig gefördert und unterstützt wie dieEntwicklung innovativer Medizintechnik und Diagnos-tika. In diesem Zusammenhang spielt auch das Stichwortindividualisierte Medizin für spezifische Alterserkran-kungen eine Rolle. Auf die Chancen und Probleme, zumBeispiel auch der Apparatemedizin, sei in diesem Zu-sammenhang hingewiesen.Der Sechste Altenbericht leitet aus dem demografi-schen Wandel zwei Verpflichtungen ab. Wir können alsGesetzgeber für die Rahmenbedingungen sorgen, die dieTeilhabe am gesellschaftlichen Leben erlauben: Es gehtadBosmwindAaisdFIcsGrusSSessadgswkHggmsnAA
orgen Sie also vor, und unterstützen Sie diese Agenda.Vielen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Dr. Petra
itte das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wills noch einmal sagen: Wir sprechen heute über die „For-chungsagenda der Bundesregierung für den demografi-chen Wandel – Das Alter hat Zukunft“, nicht über allesndere, was noch irgendwo in den Programmen der Bun-esregierung steht. Das ist in der Tat ein Megathema, dasroße Erwartungen weckt. Wenn man aber genau hin-chaut, bleibt die Bundesregierung weit hinter diesen Er-artungen zurück, weil entscheidende Entwicklungeneine Berücksichtigung gefunden haben. Da kann icherrn Röspel nur zustimmen.Dabei hätte die Bundesregierung – dass sie es nichtetan hat, wundert mich schon – eigentlich nur ihren ei-enen Demografiebericht umsetzen bzw. übersetzenüssen. Dieser geht nämlich deutlich weiter und be-chreibt fünf Entwicklungen.Ich möchte diese fünf Entwicklungen noch einmalennen: ein dauerhaft zu niedriges Geburtenniveau, dernstieg der Lebenserwartung, internationale Zu- undbwanderung, regionale Unterschiede in der Bevölke-
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18712 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012
Dr. Petra Sitte
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rungsentwicklung – insbesondere im Osten erleben wireinen dramatischen Bevölkerungsrückgang seit 20 Jah-ren – und schließlich eine stetig wachsende Zahl vonMenschen mit Migrationshintergrund, die in diesemLand nicht nur Jahrzehnte gearbeitet haben, sondern diehier auch ihren Lebensabend in Würde verbringen wol-len. Daran hätten Sie anknüpfen können. Ich will schonsagen: Demografie, also die Bevölkerungswissenschaft,ist weit mehr als Altersforschung. Man gewinnt beimLesen schon ein anderes Verständnis.
Sie jedoch greifen vor dem Hintergrund der steigendenLebenserwartung allein mögliche Innovationen für dasLeben Älterer auf. Wir meinen, dass das viel zu eng ge-sehen wird, und selbst unter diesem Blickwinkel bleibtdie Forschungsagenda zu unkonkret. Wie bei anderenForschungsstrategien beschreiben Sie nämlich auch hiersozusagen lyrisch nur eine Mission. Konkrete Vorhabenoder Informationen über Mittelverteilung, Projekte unddergleichen sucht man vergebens. Wieder wird einemnicht klar, wohin die vielen Millionen eigentlich fließen.Das Thema Lebenserwartung, das Sie, Frau Ministe-rin, vorhin selber angeführt haben, beschränken Sieweitgehend auf Teilhabe im Sinne von Mobilität undKommunikation älterer Menschen. Damit aber nicht ge-nug: Auch diese Themen werden nochmals verengt undvor allem auf technische Ansätze reduziert. Alles in al-lem – das muss man schon einmal sagen – umfasst diegesamte Forschungsagenda 415 Millionen Euro. Dashört sich gewaltig an. Von diesen 415 Millionen Eurofließen 360 Millionen Euro nur in den Bereich der Tech-nologieentwicklung.
– Über fünf Jahre. Da haben Sie recht, Herr Röspel. –Hightechhilfen bei der Fortbewegung, Navigationsgeräte,Assistenzsysteme im Auto, Routenplanungssysteme,Kommunikationstechnologien für die Auslandsreise, Per-sonenerkennung in der eigenen Wohnung und technischeErinnerungshilfen und Überwachungstechnik – das allesmag ein selbstbestimmtes Leben unterstützen. Das istüberhaupt keine Frage. Aber wenn man in dieser For-schungsagenda tatsächlich davon ausgeht, dass dieseTechnik alltagstauglich und bezahlbar werden soll, zuge-schnitten auf die Interessen und Fähigkeiten der Anwen-derinnen und Anwender, dann gehört dazu viel mehr,nämlich auch soziale Voraussetzungen.
Immerhin wird sich die Zahl von Menschen mit ver-schiedenen Formen von Demenz von heute rund 1 Mil-lion Menschen auf rund 2 Millionen Menschen im Jahr2050 erhöhen. Das ist eine gigantische gesellschaftlicheHerausforderung. Ihren Themenschwerpunkten ist aberauch zu entnehmen, dass Sie beabsichtigen, wirtschaft-lich bedeutende Marktpotenziale zu erschließen. Es istkein Zufall, dass wir gerade in dieser Woche über diesesThema debattieren. Es findet nämlich zeitgleich einegroße, massiv industriegesponserte Leitkonferenz im In-nSwdaraDginMwwsfodAsraDarebuwInnleRLddTszgmUwtisjadetiGRsings
arauf müsste diese Forschungsagenda konsequent aus-erichtet werden. Dann müsste auch die Mittelverteilungnerhalb der Agenda anders erfolgen. Wir brauchenodelle dafür, wie Ältere in die Gesellschaft integrierterden können, wie wir vermeiden können, dass Ältereegen ihres Alters diskriminiert werden.
Die Linke sagt: Mindestens gleichrangig muss überoziale Innovationen, um den Begriff aufzugreifen, ge-rscht werden. Diese spielen jedoch – ich habe es ange-eutet – in der Agenda eine viel zu untergeordnete Rolle.ltersexperten erwarten eine selbstbewusstere, eine ge-ellschaftlich, kulturell und politisch aktive ältere Gene-tion. Herr Röhlinger hat es uns gerade vorgemacht.amit wächst die Vielfalt der Ansprüche beispielsweisen lebenslanges Lernen. Herr Röhlinger, da haben Siecht. Sie haben eine Zielfunktion bestimmt, aber Sie ha-en nicht berücksichtigt, was im Leben stattfindet. Wortnd Tat fallen bei der Bundesregierung auseinander.
2004 gab es Vorschläge einer Expertenkommission,ie die Finanzierung gewährleistet und wie innovativestrumente in diesen Bereichen entwickelt werden kön-en. Statt diese nun umzusetzen oder mit Inhalten zu fül-n, kürzt die Bundesregierung – Sie wissen es, Herröhlinger – seit Jahren, die Mittel zur „Stärkung desernens im Lebenslauf“. Allein im Haushalt 2012 wer-en wieder 40 Millionen Euro gekürzt, und das, obwohlringender Handlungsbedarf besteht. Wer soll die ganzeechnik im Alter denn anwenden, wenn er gar kein Ver-tändnis davon hat? Das Ganze ist ein Fortbildungspro-ess. Herr Altmaier durchläuft ihn im Computerbereich.Meine Damen und Herren, wie soll eine bessere Inte-ration ins Arbeitsleben aussehen, insbesondere wennan schon viele Jahre im Beruf steht? Unsicherheiten undmbrüche im Arbeitsleben könnten reduziert werden,enn es gelingt, in dieser Zeit tatsächlich neue Qualifika-onen zu erwerben. Gelingen keine nahtlosen An-chlüsse, dann reduzieren sich die Anzahl der Beitrags-hre bzw. der anrechnungsfähigen Arbeitsjahre undamit die Beitragszahlungen in die Rentenkasse. Darausrgeben sich nach heutigem Stand der Dinge viel drama-schere Folgen für ein würdevolles Leben im Alter.rundvoraussetzung dafür ist nämlich eine angemesseneente. Wie wir wissen, bringt das gegenwärtige Renten-ystem Tausende Menschen trotz jahrzehntelanger Arbeit Altersarmut. Modelle zu entwickeln, wie dem entge-engewirkt werden kann, sollte ebenfalls Gegenstand die-er Forschungsagenda sein.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012 18713
Dr. Petra Sitte
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Wie ich angedeutet habe, benötigen wir Forschungenzu weiteren sozialen Innovationen, Stichpunkte: Wie si-chern wir Teilhabe an Politik, Kultur, Sport und anderengesellschaftlichen Feldern? Wie kann Daseinsvorsorgefür Ältere, gerade in strukturschwachen Regionen, oderfür Menschen mit Behinderungen gesichert werden?Wie können menschenwürdige Pflege und Gesundheits-versorgung für alle gesichert und finanziert werden? Wieschaffen wir es, die Vielfalt in Lebensweisen und Le-bensformen auch im Alter zu ermöglichen? Auf all die-sen Feldern haben wir gewaltigen Forschungs- und nochmehr Umsetzungsbedarf. Deshalb hoffe ich, dass dieseForschungsagenda eine Erweiterung in Richtung sozialeInnovationen findet.
Kollegin Sitte, Ihre Redezeit erweitern wir aber jetzt
nicht.
Nein. Ich habe das Wesentliche gesagt.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Tabea Rößner das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Forschungs-
agenda für den demografischen Wandel lohnt es sich
wirklich, zweimal hinzuschauen: Auf den ersten Blick
erscheint es absolut logisch und sinnvoll, dass wir uns in
der Forschung mit den Folgen einer Gesellschaft des län-
geren Lebens beschäftigen. Der demografische Wandel
führt nicht nur dazu, dass die Bevölkerung Deutschlands
in den nächsten Jahrzehnten schrumpft oder bunter wird;
vor allem wird sich der Altersaufbau massiv verändern.
Die gesellschaftspolitischen Folgen werden beträchtlich
sein. Wir müssen deshalb planen, wie sich die verschie-
denen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche
des Landes auf die Alterung, auf das längere Leben vor-
bereiten können.
Dann schaue ich die Agenda genauer an. Ich sehe die
Forschungsvorhaben und habe ein Déjà-vu nach dem an-
deren. Denn das, was Sie uns da als neuen Vorstoß in Sa-
chen Demografiepolitik verkaufen wollen, ist nichts an-
deres als alter Wein in neuen Schläuchen.
Viele dieser Forschungsvorhaben laufen schon seit Jah-
ren. Allerdings wurde jetzt schnell alles, was auch nur
annähernd thematisch passte, vom Bundesbildungsmi-
nisterium zusammengeklaubt und mit neuen Etiketten
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Schlüssige Konzepte gäbe es genug, auch von Ihren ei-
enen Institutionen. Ein Beispiel: Das Bundesinstitut für
au-, Stadt- und Raumforschung hat im Rahmen des Ak-
onsprogramms „MORO“ zahlreiche Handlungsansätze
rarbeitet, zur Infrastruktur, zur öffentlichen Daseinsvor-
orge und, und, und. Die Konzepte enthalten Empfehlun-
en, wie gesetzliche Rahmenbedingungen verändert wer-
en müssten. Anstatt diese Konzepte umzusetzen, gibt es
tzt noch ein MORO-Aktionsprogramm, dieses Mal zur
gionalen Daseinsfürsorge. Dessen Empfehlungen kön-
en Sie dann umsetzen oder eben auch – wie bisher –
icht. Sie drehen sich da gewaltig im Kreis.
Sie haben auch im Jahr 2012 noch immer keine Leit-
lanken gesetzt, um deutlich zu machen, wie Sie den de-
ografischen Wandel zusammen mit den Ländern und
en Kommunen steuern wollen.
Wissen Sie, wonach Sie wirklich einmal forschen
ollten? Danach, wo der Handlungs- und Gestaltungs-
ille dieser Bundesregierung geblieben ist.
der Demografiepolitik ist er jedenfalls nicht zu finden.
trengen Sie sich da ein bisschen mehr an!
Vielen Dank.
Für die Unionsfraktion hat jetzt die Kollegin Ewa
lamt das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!ir, die heute Lebenden, werden mit großer Wahr-cheinlichkeit älter werden als unsere Vorfahren. Das istrfreulich.Wir müssen aber auch konstatieren, dass unsere Ge-ellschaft erheblich weniger Kinder hat, und das seitahrzehnten. Entsprechend stellt sich diese Bundesregie-ng den Herausforderungen des demografischen Wan-els. Wir wollen, dass Menschen auch im Alter selbstbe-timmt leben können. Wir wollen ihren Alltagomfortabler und sicherer machen.Mit der Forschungsagenda für den demografischenandel, die den Titel „Das Alter hat Zukunft“ trägt, geht
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18714 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012
Ewa Klamt
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die Bundesregierung konsequent einen weiteren Schrittvoran, und das unter Federführung des Bundesministe-riums für Bildung und Forschung.Dass das Alter Zukunft hat, haben wir hier erlebt undwerden es gleich wieder erleben. Ich schaue einfach ein-mal in die Runde: Ich sehe Franz Müntefering, PeterRöhlinger und unseren Kollegen Nobert Geis. DieseKollegen sind topfit. – Wir haben Zukunft, meine Da-men und Herren.
Die Forschungsagenda thematisiert erstmals die un-terschiedlichen Facetten des demografischen Wandels ineinem umfassenden interdisziplinären Ansatz. Dass dieGeistes- und Sozialwissenschaften in der Forschungs-agenda explizit adressiert werden, ist aus meiner Sichtein wichtiger, vor allem ein sozialer Gesichtspunkt; dennbei allen Überlegungen zum demografischen Wandelmuss – davon bin ich überzeugt – der Mensch im Mittel-punkt stehen.Ich bin überzeugt, dass die aufgeworfenen Fragennicht mehr nur von Ökonomen, Ingenieuren oder Medi-zinern beantwortet werden können, die in ihren jeweili-gen Fachrichtungen getrennt voneinander forschen. Esbedarf eines ganz neuen, integrierten und interdisziplinä-ren Forschungsansatzes. Dieser muss Geisteswissen-schaftler, Pädagogen sowie Soziologen und auch Arbeits-forscher mit einbeziehen. Das ist die Basis, die unsAntworten geben wird.Entsprechend ist es die Aufgabe der neuen For-schungsagenda, die relevanten Fragestellungen zum de-mografischen Wandel zu bündeln und wichtige Hand-lungsfelder aufzuzeigen.Sehr geehrter Herr Röspel, Sie wollten uns klarma-chen, dass die Große Anfrage der SPD zu dieser For-schungsagenda geführt hat.
Das löst natürlich ein Schmunzeln aus, weil allgemein,über die Fraktionsgrenzen hinweg bekannt war, dass dasStrategiepapier und die Forschungsagenda in der Fertig-stellung waren. Zumindest die hier Anwesenden wusstensehr genau, was dahintersteckte: Sie wollten nur ganzschnell auf das Thema springen, das die Bundesregie-rung längst besetzt hatte.
Deshalb erläutere ich nicht nur Ihnen, Herr Röspel,sondern auch den anderen Kollegen von der Oppositiongerne noch einmal, was bereits auf den Weg gebrachtwurde, welche Mittel derzeit eingesetzt werden und wasweiterhin geplant ist. Allein das ForschungsministeriuminreFUVisu–wshsFJFDWsdleFtegIhDleLwnzBdicKSabfe
Herr Röspel, ich bin gerade dabei, Ihnen zu erläutern,as wir alles auf den Weg gebracht haben. Schauen Sieich einmal die Agenda an.
Ich kann Ihnen unseren Ansatz klar benennen. Wiraben nicht nur für 2012 erhebliche Gelder für For-chungsmaßnahmen eingesetzt, sondern für die gesamteörderperiode. Entsprechend starten allein in diesemahr 20 neue vom Forschungsministerium geförderteorschungsprojekte für altersgerechte Assistenzsysteme.as fanden Sie alles nicht so wichtig.
ir wissen, dass diese Systeme etwas ganz Wichtigesind;
enn sie ermöglichen es, dass Menschen selbstbestimmtben können.
Ich nenne Ihnen gerne einige weitere Beispiele fürorschungsaktivitäten: Entwicklung technischer Assis-nz für die ambulante Pflege in strukturschwachen Re-ionen. Ich komme aus einer solchen Region. Ich kannnen bestätigen, dass das ganz dringend notwendig ist.azu gehört das Projekt „Mit 60 plus mitten im Alltags-ben“. Kann das etwas sein, was Sie nicht interessiert?eider würde es meine Redezeit weit überschreiten,enn ich Ihnen alles aufzählen würde. Ich empfehle Ih-en einen Blick auf die Homepage: www.das-alter-hat-ukunft.de. Diese Homepage zeigt Ihnen die ganzeandbreite und Fülle aller Forschungsaktivitäten, undas über Ressortgrenzen hinweg. Diesen Blick würdeh der Opposition dringend empfehlen; denn aus Ihrerritik muss ich leider die Schlussfolgerung ziehen, dassie wenig Kenntnisse über die Vielfalt der Forschungs-ktivitäten im Bereich des demografischen Wandels ha-en.
Für uns ist entscheidend, dass wir in einem Handlungs-ld, das nahezu alle Ressorts, also fast alle Ministerien
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012 18715
Ewa Klamt
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betrifft, Effektivität gewährleisten und Doppelstrukturenverhindern. Deshalb ist es richtig und sinnvoll, die Akti-vitäten aller beteiligten Ressorts zu bündeln und unter derFederführung eines Hauses, des Bundesforschungsminis-teriums, zu koordinieren. Die christlich-liberale Bundes-regierung hat den demografischen Wandel zu einem zen-tralen Schwerpunktthema gemacht.
Kollegin Klamt, gestatten Sie eine Frage der Kollegin
Dittrich?
Nein, ich bin jetzt fertig. – Ich würde mich freuen,
wenn auch die Opposition diese wichtige Aufgabe in Zu-
kunft konstruktiv begleiten würde.
Ich danke Ihnen.
Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Dittrich
das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Leider wurde mir
die Frage von der Rednerin nicht zugestanden. Ich
möchte daher sagen: Sie haben hervorgehoben, dass alle
Älteren weiterhin topfit sind. Als Beleg für diese Aus-
sage haben sie Bundestagsabgeordnete genannt. Diese
Aussage trifft für die Mehrheit der Bevölkerung nicht
zu. Sie wissen sicherlich, dass ein Drittel der Menschen
des Geburtsjahrgangs 1945, der 2010 mit 65 Jahren in
Rente gegangen wäre, verstorben ist. Das heißt, Men-
schen sterben auch, bevor sie die Altersruhegrenze er-
reicht haben. Deshalb ist es für mich nicht akzeptabel,
ein solches Beispiel zu nennen. Im Gegenteil, selbststän-
dige Augenärzte können mit über 67 Jahren noch arbei-
ten. Sie können ihre Praxis aber auch mit 50 Jahren an
die Tochter überschreiben. Kein Beschäftigter in einem
Betrieb kann bereits mit 50 Jahren selbstbestimmt in
Rente gehen. Diesen Unterschied erklären Sie nicht. Es
gibt Arme und Reiche in der Gesellschaft. Die armen
Menschen brauchen eine soziale Mindestsicherung. Teil-
habe kann nicht nur durch Arbeiten bis zum Umfallen in
dieser Gesellschaft gesichert sein, sondern muss durch
ein gesetzliches Renteneintrittsalter und eine auskömm-
liche Rente nicht unter 900 Euro, wie sie die Linke for-
dert, ermöglicht werden.
Das Wort zur Erwiderung hat Frau Klamt.
Frau Dittrich, ich war am Ende meiner Rede und hatte
nur noch einen Satz zu sprechen. Ich beantworte Ihnen
jetzt natürlich gerne Ihre Frage.
Ich habe als Positivbeispiel für das Alter drei Kolle-
gen im Deutschen Bundestag genannt, wir könnten aber
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enn Sie genügend Ersparnisse zurückgelegt haben,
ann können Sie das tun. Der Arzt, der mit 50 in Rente
eht, wird ja auch wissen, woher sein Geld ab diesem
eitpunkt kommt. Frau Dittrich, ich fand dieses Beispiel
iemlich daneben. Darum wollen wir uns darauf konzen-
ieren, was für unsere Bevölkerung ansteht. Alter hat
ukunft!
Das Wort hat der Kollege Franz Müntefering für die
PD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!as Thema Demografischer Wandel ist in der deutschenolitik – auch bei dieser Bundesregierung – in einem Zu-tand, der eine harte Kritik rechtfertigen würde.
Es ist jetzt aber nicht der Zeitpunkt, zu wüten; deshalbill ich meine Anmerkungen in Ratschläge kleiden.ohannes Rau hat dazu gesagt: Ratschläge sind immeruch Schläge. – So ist meine Rede jetzt auch gemeint,ur damit Sie das wissen; wenngleich ich es freundlicherrmuliere.
Sie haben unsere Große Anfrage beantwortet. Wiratten gefragt, mit welchem Gesellschaftsentwurf dieundesregierung für die Jahre 2050, 2060 rechnet, wo-on sie ausgeht. Die Antwort lautete:Die Bundesregierung geht davon aus, dass die frei-heitliche demokratische Grundordnung sowie dieim Grundgesetz festgelegten Werte und grundle-genden Prinzipien auch im Jahr 2050 die Grundlageder bundesdeutschen Gesellschaft bilden werden.Das ist richtig, geht aber dicht an eine Karikatur. Ihrroblem ist, dass Sie keine Vorstellung davon haben, wie
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18716 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012
Franz Müntefering
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der Gesellschaftsentwurf für die nächsten 30 oder50 Jahre aussehen wird.
Wenn Sie das aber nicht wissen, dann werden Sie keinenachhaltige Politik im Sinne einer demografischen Ent-wicklung machen können. Man muss wissen, wo man2030 oder 2050 sein will.Wenn Sie diese Frage nicht beantworten, dann kanndas zwei Gründe haben: Entweder Sie können sich in derKoalition nicht verständigen – ich unterstelle Ihnenschon, dass Sie eine Vorstellung davon haben, wohin Siewollen –, oder Sie haben nicht den Mut, sich mit denLändern und Kommunen anzulegen und sozusagen dievertikale Linie aufzumachen.Wir werden den demografischen Wandel nur vernünf-tig gestalten können, wenn wir gemeinsam in Bund,Ländern und Gemeinden – auch Europa gehört dazu –die Antwort suchen.
Diese Debatte werden wir uns, auch wenn sie schwierigist, für die Zukunft nicht ersparen können.Der Untertitel heißt: „Das Alter hat Zukunft“, und imText steht: „Im Fokus stehen ältere Menschen“. Das istfalsch und hochgefährlich. Zum demografischen Wandelgehören alle Generationen.
Wenn wir nicht verstehen – einige haben es bereitsangesprochen –, dass alle Generationen in einem Bootsitzen, dass es um das Miteinander der Generationengeht, dass es nicht nur um die Älteren geht, sondern umalle, dann haben wir nicht verstanden, was demografi-scher Wandel eigentlich bedeutet.Deshalb ist Ihre Fokussierung nur auf die Älterenfalsch. Sie ist auch nicht im Sinne oder zum Nutzen derÄlteren. Wir müssen vielmehr die Gesellschaft in ihrerganzen Breite erfassen und die Entwicklung beobachten.Diejenigen, die heute 10 Jahre sind, sind eben in 40 Jah-ren 50. Sie haben eine Funktion. Nur dann, wenn wir indie Köpfe und in die Herzen der Jungen investieren,werden wir auch morgen und übermorgen noch eine Al-terssicherung in diesem Land haben.
Deshalb, aber auch, weil wir den jungen Menschen eineChance geben wollen, müssen wir handeln.In den Altenberichten der letzten Jahre ist bereits vieleszu den Potenzialen der Alten und zu Altenbildern gesagtworden. Zivilgesellschaftliches Engagement, Sicherheitbei der Pflege, Alterssicherung durch Renten, Chancenam Arbeitsmarkt: Das sind Bereiche, in denen man han-deln kann. Hier muss man für die nächsten Jahre nicht neuforschen; das ist ganz klar. Das muss auf den Punkt ge-bracht werden.aevnGDsoWdgsMudwBfüWAfoMhdbedeWosDdfrds14dwdm
ie älteren Menschen bilden eine zeitreiche Gesell-chaft. Wir haben viele, viele Menschen, die 60, 65, 70der 80 sind und sich um die anderen kümmern können.ichtiger als alles andere ist, dass wir verhindern, dassie Menschen, die alt sind, Beschwerden haben und pfle-ebedürftig sind, allein gelassen werden und einsamind. Dieses Land braucht nicht zuzulassen, dass esenschen gibt, die einsam sind, weil sich andere nichtm sie kümmern. Das müssen wir politisch aufnehmen,a müssen wir reden, handeln und deutlich machen, umas es geht.
Kollege Müntefering, gestatten Sie eine Frage oder
emerkung der Kollegin Dittrich?
Nein, im Moment will ich meine Ratschläge weiter-hren.
Der nächste Ratschlag bezieht sich auf die erste großeelle, die uns im Augenblick erreicht: auf die Fach- undrbeitskräfteproblematik. Da muss man dann einmal er-rschen: Was können wir tun, damit nicht 60 000 jungeenschen jedes Jahr ohne Abschluss von der Schule ge-en, damit nicht 25 Prozent ihre Ausbildung abbrechen,amit an den Universitäten nicht so viele ihr Studium ab-rechen? Was können wir tun, damit die Frauen wirklichine Chance haben, in den Beruf zu kommen, damitiese Generation junger Frauen endlich nicht nur malben dabei ist, sondern wirklich mittendrin im Beruf?ir müssen die Erwerbsquote von 75 Prozent auf 78der 80 Prozent steigern. Das ist möglich, wenn wir die-en jungen Frauen eine wirkliche Chance geben.
as gehört zum demografischen Wandel ganz zentralazu.Natürlich gehört auch dazu, dass die Älteren nicht zuüh herausgeschubst werden. In der Antwort der Bun-esregierung auf unsere Große Anfrage wird das Ganzeo beantwortet: Sie gehen davon aus, dass jährlich netto00 000 bis 200 000 Menschen zuwandern. Das sind in0 Jahren 4 oder 8 Millionen Menschen. So wollen Sieas Problem lösen. Ich sage: Ja, wir werden auch Zu-anderung haben; aber wenn wir nicht zunächst einmalie eigenen Potenziale im Lande nutzen und sie nichtobilisieren – da beziehe ich mich in ganz besonderer
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012 18717
Franz Müntefering
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Weise auf die Frauen –, werden wir dem Problem nichtvernünftig begegnen können.
Die Familienministerin ist bei der Forschung mit da-bei: Sie lässt zum Wohnen im Alter und zur Demenz for-schen. Das ist auch okay. Aber ist ihr denn nichts zur Fa-milie, zu Frauen und zur Jugend eingefallen, nichts dazu,dass mit jeder neuen Generation die Zahl der Mädchenum ein Drittel sinkt, dass 33 Prozent der Männer undFrauen, die 1970 geboren sind, keine Kinder haben? Waskönnen wir eigentlich tun, damit sie Kinder haben kön-nen und wollen? Wenn man mit den 28-, 30- oder35-Jährigen spricht und sie fragt, ob sie Kinder habenwollen, sagen sie: Ja, aber ich habe einen Job für einJahr, und meine Freundin wohnt in Hamburg; auf derBasis wollen wir damit nicht anfangen. – Es ist ja nichtder blanke Hedonismus, dass die jungen Menschenkeine Kinder bekommen, sondern ein praktisches Pro-blem, das wir bisher nicht lösen. Wir müssen ihnen Si-cherheit geben. Dann werden wir in Deutschland auchwieder mehr Kinder haben. Das ist besser als viele An-sätze, die Sie in Ihrem Konzept aufgeschrieben haben.
Ich sage abschließend: Was der Bundesminister fürBau und Stadtentwicklung da macht, ist ein glatter Aus-fall. Darum sollten Sie sich wirklich einmal kümmern.Das sind keine Antworten. Die Städte und Gemeindenliegen im Zentrum der Lösung. Wir werden das Problemnur lösen, wenn wir die Kommunen von der Strukturund von der Finanzkraft her stärken. Die großen Kom-munen expandieren und wachsen, aber die kleinen sollenes auch. Was macht der Minister? Er macht ein Pro-gramm für 21 Modellregionen, die zwei Jahre lang biszu 160 000 Euro jährlich bekommen; das sind gut300 000 Euro in zwei Jahren, 1 Euro für jede Person.Damit sollen die Kommunen ihre Strukturen für die Zu-kunft verbessern. Das ist doch der blanke Hohn. Ich sageIhnen: Wenn man die Herausforderungen bei den Kom-munen nicht wirklich ernst nimmt und ihnen nicht hilft,werden sie ihren Aufgaben nicht gerecht werden kön-nen. Abschließende Bemerkung: Handeln wäre ange-bracht.
Kollege Müntefering, Sie haben die Chance auf eine
abschließende Bemerkung, wenn Sie eine Frage zulas-
sen. Ansonsten wäre Ihre Redezeit jetzt vorbei.
Ja, das machen wir. Bitte schön.
Geschätzter Kollege Müntefering, wollen Sie zur
Kenntnis nehmen, dass die Mittel für die Städtebauför-
derung jetzt wieder auf 455 Millionen Euro angewach-
sen sind,
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Lieber Kollege, da haben Sie ein schlechtes Beispiel
ewählt.
enn Sie mit dem Programm „Soziale Stadt“ anfangen
ollen, dann sollten Sie das nicht bei mir machen. Ich
ar dabei, als wir das Programm 1998/1999 erfunden
aben, mit einem Umfang von 100 Millionen. Mit dem
rogramm soll in die sozialen Strukturen der Stadt in-
estiert werden. Sie haben die Mittel von 100 Millionen
uf 29 Millionen gesenkt; jetzt heben Sie die Mittel auf
0 Millionen an und loben sich dafür.
enn Sie an der Stelle den Städten keine Möglichkeit
eben, Präventionsarbeit zu betreiben, müssen Sie sich
ber die nachfolgenden Kosten nicht wundern. Sie ent-
tehen auch wegen unzureichender Prävention. Jugend-
rbeit in den Regionen, Städten und Kiezen ist besser, als
nschließend Jugendstrafvollzugsanstalten zu bezahlen.
eshalb müssen wir den Städten und Gemeinden bessere
öglichkeiten bieten.
Ich mache eine abschließende Bemerkung; so viel
eit habe ich ja noch.
Kollege Müntefering, ich muss Sie fragen, ob Sie eine
weite Frage zulassen, nämlich der Kollegin Dittrich.
Bitte schön. – Ich nehme an, Sie wollen nach
artz IV fragen. Das machen Sie immer.
Danke schön, dass Sie die Frage zulassen. – Sie habenarüber berichtet, wie sich die Generationen gegenseitignterstützen wollen. Da gibt es keinen Unterschied zurDU/CSU. Sie sind ein Politiker im Seniorenalter, derchon viel Erfahrung gesammelt hat. Deshalb macht es
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18718 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012
Heidrun Dittrich
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mich stutzig, dass ausgerechnet Sie nicht mehr von denMöglichkeiten des Sozialstaates sprechen.Der Staat muss umgebaut werden. Die SPD hat eineEnquete-Kommission eingerichtet. Sie sagen, ein geplan-tes Leben mit Kindern sei nicht möglich, wenn prekäreBeschäftigungsverhältnisse bestehen. Es ist aber doch dieKoalition aus Rot und Grün gewesen, die die Hartz-IV-Gesetze eingeführt hat, welche zu diesen nicht abgesi-cherten Beschäftigungsverhältnissen geführt haben,
weshalb keine Kinder geplant werden können. Die Linkesagt: Hier muss zurückgerudert werden, und zwar kom-plett: mit Arbeitszeitverkürzung und mit unbefristetenArbeitsverträgen.Wenn Sie die Steuereinnahmen des Staates nichtdurch eine Reichensteuer erhöhen wollen – ich will nichtdas ganze Programm aufführen –, dann kann der Sozial-staat nicht aufgebaut werden. Verstehe ich Sie richtig,dass die SPD es hinnimmt, dass keine Steuereinnahmenin soziale Dienstleistungen fließen, dass die älteren unddie jüngeren Menschen sich sozusagen freiwillig enga-gieren und sich gegenseitig helfen müssen?
Frau Kollegin Dittrich, versuchen Sie, die Frage zu
formulieren.
Das wäre in der Tat eine sehr große Sparmaßnahme.
Stimmen Sie mir zu, dass Sie bei einem Frühstück mit
der Diakonie, bei dem auch ich anwesend war, gesagt
haben: „Die Pflege, die jetzt zu organisieren ist, ist ein
riesengroßer Markt; wir müssen überlegen, wie wir hier
mithelfen können“?
Liebe Kollegin, der Sozialstaat ist ein großer mensch-
heitsgeschichtlicher Fortschritt. Wir werden diesen Weg
nicht verlassen. Sozialdemokraten – ich unterstelle ein-
mal, die anderen Demokraten auch – wissen, was sie da-
ran haben.
Aber wir werden den Herausforderungen des demografi-
schen Wandels nicht begegnen können, wenn uns nicht
bewusst ist: Der Staat muss den Sozialstaat organisieren,
aber vor Ort brauchen wir die soziale Gesellschaft. Es
kommt auf die Menschen in den Städten und Gemeinden
an. Wir müssen die Städte in den Stand setzen, dies zu
organisieren. Wir brauchen Menschen, die sich in den
Städten und Gemeinden engagieren. Ohne diesen Teil ei-
ner sozialen Gesellschaft wird das nicht funktionieren.
Das ist kein Gegensatz. Das Einander-zugewandt-Sein in
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ber bis dahin muss ein bisschen passieren. Sie haben
ngekündigt, dass Sie Ende März/Anfang April ein
andlungskonzept für den demografischen Wandel vor-
gen. Ich sage Ihnen: Lassen Sie uns eine Diskussion
arüber führen, was das eigentlich sein soll. Es ist wirk-
ch allerhöchste Zeit, dass die Dinge in Bewegung ge-
etzt werden. Die Dynamik und die Wirkungsweise des
emografischen Wandels sind von allergrößter Bedeu-
ng für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Der Kollege Professor Dr. Martin Neumann hat sich
ntschlossen, seinen heutigen Geburtstag mit uns ge-
einsam mit einer Rede im Deutschen Bundestag zu be-
ehen. Ich gratuliere Ihnen
nd gebe Ihnen das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Vielen Dank, liebeolleginnen und Kollegen! Alter hat Zukunft – das sageh nicht nur, weil ich heute Geburtstag habe, sondernuch, weil ich mir in der Tat dessen bewusst bin, dass deremografische Wandel vielfältige Probleme und Diskus-ionen aufwirft. Dass von daher eine ganzheitliche Dis-ussion zu führen ist, wie Sie es angeregt haben, Herrüntefering, ist sicherlich unbestritten. Die heutige Dis-ussion – das will ich an der Stelle deutlich sagen – istafür ein Baustein.Doch heute und auch mir persönlich geht es um dieorschungsagenda „Das Alter hat Zukunft“, eine Agenda,ie sich ganz bewusst auf Forschungsfragen und For-chungsgebiete konzentriert, die bisher vereinzelt undenig beachtet blieben. Bereits seit Anfang der 90er-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012 18719
Dr. Martin Neumann
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Jahre existiert die wichtige Debatte um den demografi-schen Wandel. 1992 gab es bereits, wenn ich es richtigrecherchiert habe, eine Enquete-Kommission im Deut-schen Bundestag, die die Aufgabe hatte, die zukünftigenHerausforderungen zu analysieren. Wir stellen heute fest,dass diese Herausforderungen aktueller denn je sind undin der tagesaktuellen Politik angekommen sind. Die stei-gende Lebenserwartung und viele andere Dinge, diemeine Vorredner hier schon deutlich gemacht haben,zwingen zur Anpassung in den Bereichen Fachkräfte-potenzial, Infrastruktur, Städtebau und Wohnen.Wenn wir heute über die steigende Lebenserwartungund den demografischen Wandel nachdenken, stellen wirvor allen Dingen eines fest – und das will ich in den Vor-dergrund rücken –, nämlich dass sich das gesellschaftli-che Bild vom Alter und vom Älterwerden geändert hat.Heute herrscht das Bild von älteren Menschen vor, dieselbstbestimmt und unabhängig leben wollen. In einerEmnid-Umfrage aus dem Jahr 2011 wurde ermittelt, dasszwei Drittel der über 50-Jährigen im Alter selbstständigwohnen bleiben wollen. Knapp 90 Prozent der Befragtenäußerten, dass sie das Alter als einen aktiven und selbst-bestimmten Lebensabschnitt betrachten. Das sind Aus-sagen, die auch durch den Demografiebericht 2011 un-terfüttert werden.Die nun vorgelegte Forschungsagenda richtet sich ge-nau nach diesem Altersbild:
Selbstständigkeit und Selbstbestimmung sind Kernanlie-gen. Die Forschung zum Beispiel im Bereich technischeAssistenzsysteme, die schon angesprochen wurde, schafftwichtige Voraussetzungen dafür. Wie wollen Sie sozialesLeben organisieren, wenn technische Voraussetzungenfür Mobilität und Kommunikation nicht gegeben sind?Für uns steht deshalb ein ganz wichtiger Ansatz im Mit-telpunkt: ein Leben in Unabhängigkeit bei gleichzeitigerSicherung der Grundbedürfnisse zu fördern. Ich betonediese Assistenzsysteme deshalb ganz besonders, weil siewirklich eine hohe Bedeutung und einen hohen Wert fürdie Lebensqualität älterer Menschen besitzen. Wir schaf-fen damit tatsächlich die Möglichkeit uneingeschränkterTeilhabe an der Gesellschaft. Das ist die Kernbotschaft.Das stellt – das möchte ich extra betonen – tatsächlicheine neue Qualität dar und stellt vor allen Dingen die For-schung vor neue innovative Herausforderungen.Ich begrüße deshalb auch im Namen meiner Fraktionausdrücklich die uns hier vorgelegte Forschungsagenda„Das Alter hat Zukunft“ und sehe mit großem Interesseden Ergebnissen der geförderten Ideen und Forschungs-projekte entgegen.Vielen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-legin Elisabeth Scharfenberg das Wort.NleAahBdZTnDurosmPkWSeutipnTsbusgleTäaHkMbknmgbli
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-gen! Menschen fühlen sich noch immer aufgrund ihreslters diskriminiert. Das trifft nicht nur auf Alte, sondernuch auf Junge zu. Das geht aus der jüngsten Umfrageervor, die im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle desundes vorgenommen wurde. Umso bedauerlicher ist es,ass die Forschungsagenda zum Thema Das Alter hatukunft, die wir soeben vorgelegt bekommen haben, dashema Altersdiskriminierung nicht wirklich ernstimmt. Diese Agenda ist eine einzige Absichtserklärung.iese Agenda ist ein Sammelsurium an Schlagwortennd wohlklingenden Floskeln aus dem Bereich der ge-ntologischen Forschung.Uns allen, die wir hier sitzen, ist aber doch klar: Wirind schon längst im demografischen Wandel angekom-en. Wir brauchen keine Agenda, die einfach nur allerojektansätze aller Ministerien aufzählt. Wir braucheneine Agenda, die uns Altbekanntes als Neues verkauft.
ir brauchen vielmehr eine Demografiestrategie, einetrategie, die festlegt, was getan werden muss, bis wanns getan werden muss, von wem es getan werden mussnd wie es getan werden muss. Wir brauchen ein konzer-ertes Vorgehen der Ressorts. Nur so werden wir Dop-elstrukturen vermeiden und dafür sorgen, dass sie garicht erst aufgebaut werden.Ein Beispiel ist das Thema Demenz. Heute wird dashema Demenz vom Gesundheitsministerium, vom For-chungsministerium und vom Familienministerium bear-eitet. Was fehlt, ist die wirklich ernsthafte Koordinationnd Kooperation der Ministerien. Alle wurschteln vorich hin. Ich hoffe, dass man sich zumindest über die Er-ebnisse verständigt und austauscht. Sonst bringt das al-s überhaupt nichts.
Ich denke, in dieser Agenda fehlen einige zentralehemen. Wir müssen zum Beispiel über den Umgang mitlteren Migrantinnen und Migranten reden. Wir müssenber auch darüber reden, wie wir die Kommunen alsandlungsebene vor Ort wieder stärker ins Boot holenönnen; denn dort findet die Zukunft im Alter statt. Frauinisterin, Sie haben das in Ihrer Rede erwähnt. Sie ha-en das also durchaus erkannt. Aber was nützt uns der Er-enntnisgewinn durch die Agenda, wenn die guten Ideenicht im Alltag der Gesellschaft und vor Ort in den Kom-unen ankommen?Dann ist da noch ein Punkt: die Entlastung von Pfle-ebedürftigen und Pflegenden. Herausgekommen ist da-ei bis jetzt noch nicht viel mehr als das nutzlose Fami-enpflegezeitgesetz von Frau Schröder,
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18720 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012
Elisabeth Scharfenberg
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ein Gesetz, das nur auf Appellen beruht und sich auf dasWohlwollen der Wirtschaft verlässt.In der Agenda setzt man auf Technik, auf Assistenz-systeme. Ja, es stimmt: Diese Systeme können eine Hilfesein. Aber sie stehen nicht im Mittelpunkt, wenn es umdie Entlastung pflegender Angehöriger geht. Wenn Siepflegende Angehörige danach fragen, werden sie Ihnendas sehr klar sagen.
Alle Themen, die in der Agenda angesprochen werden,sind wichtig. Aber eine Auflistung allein reicht nicht.Wir brauchen einen Maßnahmenplan. Unter Schwarz-Gelb erleben wir aber leider eine Politik des totalen Still-stands.Meine Damen und Herren, in der Süddeutschen Zei-tung konnten wir einen treffenden Kommentar zur De-mografiepolitik dieser Regierung lesen. Die SüddeutscheZeitung ist der Auffassung, Schwarz-Gelb habe mehrAngst vor den Wählern heute als vor den Problemenmorgen. Ich zitiere das gerne:Politik verlangt aber: Zukunft gestalten. Wenn dieZukunft versaut ist, ist es mit der Gestaltung vorbei.Ich denke, klarer und besser kann man das nicht ausdrü-cken.Vielen Dank.
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Norbert
Geis das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Verehrte Frau Kollegin, ich habe längst aufgege-ben, alles zu glauben, was in den Zeitungen steht.
Ich möchte das Thema demografischer Wandel, dasuns beschäftigt, unter verschiedenen Aspekten beleuch-ten. Es ist in der Tat so, Herr Müntefering, dass derdemografische Wandel in erster Linie durch das Älter-werden unserer Gesellschaft bestimmt wird. Das ist au-genfällig, und dadurch entsteht auch die Diskussion überden demografischen Wandel.Es ist natürlich von entscheidender Bedeutung, dasswir die verschiedenen Phasen des Älterwerdens erfor-schen und den Fragen nachgehen: Wie ist es möglich,auch im Alter ein gesundes und vielleicht sogar agilesLkakaTnVwscdgmligdbdmzglagbaduLramWkmtrbdJssztinWWwDs
on Bedeutung ist allerdings auch die Phase des Älter-erdens, in der viele Menschen rundum pflegebedürftigind.Diese Themen sind, wie ich meine, noch nicht ausrei-hend erforscht. Deswegen begrüßen wir die Initiativeer Bundesregierung, gerade diese Aspekte des demo-rafischen Wandels zu erforschen und sich insbesondereit diesen Themen zu beschäftigen. Wir müssen Mög-chkeiten und Wege finden, wie diese Herausforderun-en am besten zu bewältigen sind. Natürlich spielt auchie Tatsache, dass wir eine niedrige Geburtenquote ha-en, eine entscheidende Rolle in der Diskussion überen demografischen Wandel, auch die Frage, wie esöglich ist, der mittleren Generation, die die ganze Lastu tragen hat, zu helfen.Diese Fragen betreffen nicht nur Deutschland, ob-leich wir Spitzenreiter sind; neben Japan hat Deutsch-nd die älteste Bevölkerung. Das ist eine Frage, der sichanz Europa stellen muss. In allen Industrieländern, ins-esondere aber in Europa, stellen sich diese Fragen. Derlte Kontinent Europa wird tatsächlich zu einem Lander Alten. Wir geraten zunehmend in die Situation, dassns die Innovationskraft und die Kreativität der jungeneute fehlen. Durch diesen demografischen Wandel ge-ten wir unter Umständen in eine Winterstarre, die unsit Sicherheit unsere führende Stellung in der globalenelt nehmen wird.Diesem Problem muss sich die Politik stellen. Dasönnen wir nicht einfach so über uns ergehen lassen. Wirüssen uns vielmehr dagegen wenden und Wege finden,otz dieser Entwicklung an der Spitze der Welt zu blei-en. Deswegen müssen wir uns natürlich auch Gedankenarüber machen, wie wir die Menschen, die jetzt mit 65ahren in den Ruhestand gehen, aber noch leistungsfähigind – die Statistik zeigt, dass viele bis 85 leistungsfähigind –, heranziehen können. Wie können wir das Poten-ial dieser älteren Menschen nutzen? Das ist eine wich-ge Frage, der im Rahmen dieser Forschungsagendaachgegangen wird.
ir brauchen den Einsatz der älteren Menschen in derirtschaft, in der Politik, in der Gesellschaft, im Frei-illigendienst.
ie älteren Menschen sind auch bereit dazu. Sie wollenich gar nicht auf die Zuschauertribüne setzen und sich
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012 18721
Norbert Geis
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aufs Beifallklatschen beschränken. Sie wollen mitspie-len, und sie können es auch.
Wir müssen anfangen, unser Bild von den Alten zuändern. Vor acht Tagen haben wir genau darüber im Ple-num des Bundestages diskutiert. Wir müssen diese Bil-der korrigieren. Wir haben Vorstellungen, die 20, 30Jahre alt sind. Wir müssen berücksichtigen, dass wir eineganz neue Lebensphase hinzugewonnen haben, in derwir agil und leistungsfähig sind. Dieser Frage muss sichnatürlich auch die Forschung stellen.
Es ist richtig, dass wir eine zu geringe Geburtenquotehaben; dieses Lamento hören wir schon jahrelang. Dafürgibt es viele Gründe. Ich kann die Gründe heute hiernicht alle darlegen. Richtig ist, dass wir die Alten in Ar-beit halten müssen. Richtig ist aber auch, dass wir Zu-wanderung brauchen und mehr Frauen in Arbeit bringenmüssen. Wir brauchen mehr Frauen in Arbeit als derzeit,wenn wir unseren Stand halten wollen.
Frauen, die Vollzeit beschäftigt sind – das entspricht derErfahrung –, bekommen aber kein Kind oder nur nochein Kind.
Der Anteil der Männer und Frauen, die nie ein Kind er-zogen haben, steigt immer mehr. Inzwischen sind es 20bis 30 Prozent; darauf wurde hingewiesen. Die Tendenzist steigend. Damit können sich unsere Gesellschaft undunsere Politik nicht zufriedengeben.
Das ist nämlich der wichtigste Grund für die Verschie-bung bei der demografischen Entwicklung. Wir haben zuwenige Kinder. Der Schwund bei der nachwachsendenGeneration ist der Grund für den demografischen Wan-del, und der hat revolutionäre Ausmaße. Deswegen ist eseine ganz entscheidende Frage, wie wir die Rahmenbe-dingungen gestalten müssen, damit es wieder mehr Kin-der gibt. Wir brauchen eine höhere Geburtenquote.Ein Schlussgedanke zum Drei-Generationen-Vertrag:Die mittlere Generation wird am meisten belastet wer-den. Sie muss die Last der Alten tragen – sie muss dieRenten erwirtschaften –, sie muss die Last der jungenMenschen tragen – sie muss die Kinder versorgen –, undsie trägt die Hauptlast des Sozial- und Staatshaushalts.Diese Last trägt die mittlere Generation vor allem durchdie Steuern, die sie zahlt. Das ist eine gewaltige Last.Noch nie ist eine mittlere Generation so belastet worden,wie es bei den jetzt kommenden mittleren Generationender Fall sein wird. Auch das ist ein Problem, dem wiruns stellen müssen.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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18722 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012
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Europa. Die junge Bundesrepublik Deutschland, aus denTrümmern dieser totalen Niederlage innerhalb von weni-gen Jahren entstanden, hatte vor diesem Hintergrundschnell als Staatswesen zu funktionieren.In dieser Zeit herrschte ein Mangel an Personen, diein der Lage waren, ein Staatswesen zu organisieren, undangesichts der totalen Durchdringung und Gleichschal-tung des öffentlichen Dienstes durch das nationalsozia-listische Regime zugleich unbelastet genug waren. Auchdeshalb sind beim Aufbau demokratischer Strukturenund Institutionen Personen wieder herangezogen wor-den, denen bei Lichte betrachtet kein Neuanfang in ei-nem demokratischen Staatswesen mehr hätte ermöglichtwerden dürfen. So konnten neben vielen unbelastetenund gering belasteten auch immer wieder erheblich be-lastete Personen den Weg in die Institutionen des neuenStaates finden. Manche gelangten durch Unachtsamkeit,andere aber auch durch Seilschaften und FehlverhaltenDritter in ihre Positionen. Begünstigt wurde das dadurch,dass die deutsche Nachkriegsgesellschaft bis weit in die50er-Jahre hinein zu einer tiefgreifenden Aufarbeitungdes Dritten Reiches noch nicht bereit war.Der Historiker Heinrich August Winkler beschreibtdas in seinem Buch Der lange Weg nach Westen sehrklar – ich zitiere –:Wohl aber kann man von einer verbreiteten Weige-rung sprechen, sich mit der eigenen Vergangenheitauseinanderzusetzen. Da viele Nachkriegskarrierendavon abhingen, daß bestimmte Taten und Äuße-rungen nicht bekannt wurden, schlug eine solcheWeigerung über kurz oder lang meist in individu-elle Verdrängung um. Da dies eine massenhafte undgesellschaftlich respektierte Erscheinung war, tru-gen ihr auch Politiker und Publizisten Rechnung,die selbst nicht „belastet“ waren. Das Ergebnis warein widersprüchliches Verhältnis zum Nationalso-zialismus: Wer sich öffentlich zum „Dritten Reich“bekannte, verletzte ein bundesdeutsches Tabu.Doch dasselbe tat, wer bohrende Fragen nach derVerantwortung der Überlebenden im zweiten, drit-ten oder vierten Glied stellte.In der Abwägung zwischen Belastung und vermeintli-cher Fachkompetenz wurde zu oft zugunsten der Fach-kompetenz entschieden. Zu denken ist hier auch an dieOrganisation Gehlen als Vorläuferorganisation des Bun-desnachrichtendienstes. Reinhard Gehlen, der als Gene-ral der Wehrmacht und Leiter der Abteilung „FremdeHeere Ost“ des deutschen Generalstabs über ausgewie-sene Informationen über Stalins Sowjetunion verfügte,war den westlichen Alliierten im Hinblick auf die neuenMachtstrukturen so wichtig, dass der Kontakt noch wäh-rend des Krieges entstand.Der Bundesnachrichtendienst hat sich die Aufarbei-tung seiner Vor- und Frühgeschichte zur Aufgabe ge-macht. Der Ansatz, den der BND dabei wählt, wird vonmeiner Fraktion unterstützt; denn er ist sinnvoll und an-spruchsvoll zugleich.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012 18723
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, CDU und CSU un-terstützen den begonnenen Aufarbeitungsprozess unddas zugrundeliegende Konzept.
Wir lehnen den heute zur Debatte stehenden Antrag derLinksfraktion ab. Eine solide und umfassende Aufarbei-tung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes istein Gewinn für uns alle. Das unterstützen wir. Ich denke,dazu brauchen wir keine Ratschläge einer Linken, dieselbst aus einer totalitären Partei hervorgegangen ist.Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Manfred Grund. – Nächster
Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der So-
zialdemokraten unser Kollege Michael Hartmann. Bitte
schön, Kollege Michael Hartmann.
Herzlichen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Heute ist der 27. Januar, der Tag desGedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Des-halb möchte ich ähnlich wie der Kollege Grund an diesesErinnern und an die Betroffenheit anknüpfen, die nach-klingt, wenn man noch die Worte von Marcel Reich-Ranicki im Ohr hat. So leise und schwach sie gespro-chen waren, so anrührend und doch treffend waren sie,was die Schilderung dieser schrecklichsten deutschenZeit anbelangt.Deshalb möchte ich nicht der Versuchung nachgeben,in die üblichen parlamentarischen rhetorischen Aus-einandersetzungen einzusteigen, sondern darauf hinwei-sen, dass gerade angesichts dieser Geschichte, die wir er-lebt haben, die Lehren aus dieser dunklen deutschen Zeitsehr wichtig und prägend für unser Grundgesetz und fürunseren politischen Alltag in dieser zweiten deutschenRepublik waren und sind, nachdem die Weimarer Repu-blik auch daran gescheitert war, dass es in ihr zu wenigeDemokraten gab.Deshalb ist eines klar – insofern gilt meine Anerken-nung der Fraktion der Linken –: Jede kritische Nach-frage ist erlaubt. Jede kritische Beschäftigung mit demAgieren des geheimen Nachrichtendienstes, in dem Fallunseres Auslandsnachrichtendienstes, ist sogar geboten.Denn in dieser Geschichte, die wir alle in unserem kol-lektiven Unterbewusstsein haben, spielte die Anatomiedes SS-Staates – der Geheimdienst, die Gestapo und an-dere geheime Einrichtungen – eine sehr große Rolle.Weil wir Lehren gezogen haben und weiter Lehren zie-hen wollen, ist eine uneingeschränkte Aufarbeitung un-erlässlich und geboten.
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Ich sehe durchaus die Bereitschaft dazu. In einem Ab-ägungsprozess müssen wir aber anerkennen, dass dand dort Informationen von anderen Diensten an unsereelangen, die wir nicht einfach freigeben können. Es gibtuch Situationen, in denen Personen um Wahrung ihrertegrität bitten. Aber das muss abgewogen werden und
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18724 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012
Michael Hartmann
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darf nicht von vornherein zugunsten des Geheimschut-zes entschieden werden.Die Aufarbeitung der Vergangenheit des Bundesnach-richtendienstes, des Auswärtigen Amtes sowie obersterund oberer Bundesbehörden hat spät begonnen; dasstimmt. Aber sie findet statt und muss stattfinden. Beider hervorragenden Aufarbeitung der Vergangenheit desBundeskriminalamtes beispielsweise ist niemand ge-schont worden. Wenn unsere Sicherheitsbehörden heutestark sein wollen, dann müssen sie auch so stark sein,zuzugeben, was sowohl damals als auch in ihrer jünge-ren und jüngsten Geschichte falsch gelaufen ist. Dasmacht sie nur stärker und schwächt sie in einer offenenund kritischen Gesellschaft keineswegs.
Ich gehöre zu jenen, die mit großer Anerkennung undgroßem Respekt auf das blicken, was die Nachrichten-dienste leisten. Gerade der BND hat sich geöffnet undeinen großen Schritt hin zur Offenheit vollzogen. So of-fen wie derzeit war der Bundesnachrichtendienst nochnie, auch wenn das manchem in diesem Saal niemals ge-nügen wird.
Wir haben den Umzug des BND auf den Weg gebrachtund damit ein neues Kapitel der Transparenz eingeläutet.Wir haben die alte Denkweise aus den Zeiten des Ost-West-Konfliktes zunehmend, wenn auch nur schritt-weise, in diesem Dienst abgebaut. Wir zeigen mit demangesprochenen Projekt, dass der BND von heute nichtmehr der BND aus der Zeit des Kalten Krieges ist.Der Bundesnachrichtendienst leistet insgesamt wert-volle Arbeit nicht nur beim Schutz unserer Soldatinnenund Soldaten im Ausland und dadurch, dass er uns Infor-mationen über die Weltlage liefert, sondern auch da-durch, dass er uns vor drohenden Angriffen von Terroris-ten warnt. Diese Liste könnte ich beliebig fortsetzen.Bei weitem nicht alle Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter werden nach B 6, B 9 oder noch höheren Besoldungs-gruppen bezahlt. Nichtsdestotrotz sind die Beamtinnenund Beamten mit viel Engagement und der Bereitschaft,für unser Land ihre Pflicht zu tun, oft in gefährlichenMissionen unterwegs. Diesen Mitarbeiterinnen und Mit-arbeitern möchte ich im Namen des Parlaments heute einDankeschön aussprechen.Danke sehr.
Vielen Dank, Kollege Michael Hartmann. – Nächster
Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege
Dr. Stefan Ruppert. Bitte schön, Kollege Dr. Ruppert.
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ie wir heute nicht mehr teilen.Interessanterweise hat dann Ulrich Herbert, ein weite-r Historiker, festgestellt, dass sich nicht erst 1968, son-ern bereits in den Jahren zuvor der Umgang mit diesereschichte gewandelt hat. Aber die Geschichte war fürie Wissenschaftler und Historiker, die sich dieses The-as widmeten – ich selbst bin Rechtshistoriker und warm Max-Planck-Institut am Rande an der Aufarbeitunger Geschichte des BKA beteiligt –, noch risikobehaftet.an erinnere sich an die Arbeiten von Bernd Rüthers,on Michael Stolleis oder auch von Alexander vonrünneck, die in frühen Habilitationen in den 60er- und0er-Jahren die NS-Vergangenheit aufgearbeitet habennd dann teilweise Schwierigkeiten mit ihrer eigenen be-flichen Karriere hatten. Damals bestand eine aufgela-ene Situation.Diese Form des Umgangs hat sich dann wiederum ge-andelt, und im deutschen Historikerstreit in den 80er-ahren ist eine Auseinandersetzung aufgeflammt, in ders darum ging, dass einzelne Historiker – Nolte undndere – zu zeigen versucht haben, dass die Geschichtees Nationalsozialismus eine spezifische Vorgeschichteatte. Sie wollten sozusagen einen Abgleich von zweinrechtssystemen herbeiführen, was von vielen – zuecht, wie ich finde – als problematisch empfundenurde.Heute sind wir noch einen Schritt weiter: Wir wollenerstehen, wie diese Behörden damals funktioniert ha-en. Wir wollen nicht zuvorderst sagen – auch wenn wirs natürlich feststellen –: Da gibt es Kontinuitäten imersonal zwischen dem Nationalsozialismus und der frü-
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Dr. Stefan Ruppert
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hen Bundesrepublik. Das wissen wir alle. Das ist für denBundesgerichtshof aufgearbeitet worden, das ist auch fürmeine Partei aufgearbeitet worden. Ich kann ganz offensagen: In Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsengab es personelle Kontinuitäten, und es ist wichtig, dieszu wissen und offenzulegen.
Warum ist es aber wichtig? – Da habe ich manchmalmeinen Zweifel an dem Umgang der Linken mit diesemThema. – Es ist wichtig, weil wir verstehen wollen, wiesolche Dinge funktionieren, weil wir verstehen wollen,warum es diese Kontinuitäten gab, warum Menschen inder frühen Bundesrepublik das Bedürfnis hatten, dieseLeute wieder zu integrieren. Ob das aus unserer heutigenSicht moralisch richtig oder falsch war, ist eine andereFrage. Ich will verstehen, warum es solche personellenKontinuitäten gab.Ich denke, diesbezüglich sind wir auf einem sehr gu-ten Weg. Wir haben sowohl den verdrängenden Charak-ter der frühen Bundesrepublik als auch den teilweisevorrangig moralisierenden Drang abgelegt, den wir inden 60er-Jahren und besonders 1968 in dieser Frage hat-ten. Das war aus der Zeit heraus durchaus verständlichund ist von mir gar nicht zu kritisieren. Aber heute sindwir in Deutschland in der, wie ich finde, komfortablenSituation, dass wir es aus der historischen Distanz wiekein anderes Land in der Welt schaffen, uns einerseitsunserer eigenen Vergangenheit zu stellen, aber anderer-seits auch genau aufzuarbeiten, warum es damals so war.Dabei gibt es kein Schwarz oder Weiß, kein Moralischoder Unmoralisch, sondern dabei geht es einzig und al-lein darum, nachzuweisen, wie diese Kontinuitäten aus-sahen und wie diese Netzwerke – auch in unseren Behör-den – funktionierten.
Ich denke, wir tun gut daran, diesen historisierenden,verstehenden Ansatz hochzuhalten und ihn nicht in einRechts-Links-Schema zu zwängen, indem die Linkspar-tei die Koalition anklagt, sie habe zu wenig Vergangen-heitsbewusstsein, und wir dann sagen: Nein, das war al-les gar nicht so schlimm. – Wir wollen es vielmehrverstehen. Das sollten wir konsensual tun. An manchenStellen Ihres Antrags beschleicht mich das Gefühl, dassdieser eher noch das politisch Wertende, Moralisierendeund uns anklagen Wollende – ich habe überhaupt keinProblem mit diesen Verhältnissen in der frühen Bundes-republik – anstatt die saubere historische Erkenntnis unddas Historisieren der Akten in den Vordergrund stellt.
Ich denke, in diesem Punkt sind wir uns alle einig. Dasollten wir ansetzen. Herr Grund und auch HerrHartmann haben ja die bisherigen, wie ich finde, hervor-ragenden Bemühungen geschildert. Wenn wir da Ge-mdkridsKdIcwpdEdandnihTfedRdnsgARvwBGfüirgwkssEb
Vielen Dank, Kollege Dr. Ruppert. – Jetzt spricht für
ie Fraktion Die Linke unser Kollege Jan Korte. Bitte
chön, Kollege Jan Korte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Bis jetzt wurden in der Tat, so finde ich,urchaus bedenkenswerte Beiträge geliefert.
h glaube allerdings – da stellt sich die Frage, worüberir diskutieren –, dass eine kritische Vergangenheits-olitik in der Geschichte der Bundesrepublik immer nurann überhaupt stattgefunden hat, wenn marginalisierteinzelpersonen – das darf man nicht vergessen –, wie inen 50er-Jahren, ihre Stimme erhoben haben. Ich denken Martin Niemöller und Eugen Kogon, Fritz Bauericht zu vergessen. Die standen auf einsamem Posten. Iner Tat gab es also diese Gegenposition. Das dürfen wiricht vergessen.Wenn man an einem Tag wie diesem an die Opfer undre Angehörigen denkt, darf man auch nicht über dieäter, die es massenhaft gegeben hat, schweigen. Ich binst davon überzeugt, dass die Opfer, ihre Angehörigen,ie Wissenschaft und die gesamte Öffentlichkeit einecht darauf haben, vollumfänglich zu erfahren, was ausiesen Tätern geworden ist. Sie sind nämlich fast alleicht vor Gericht gestellt worden, fast alle ihre Straftatenind nicht verfolgt worden.In den letzten zwei Jahren kamen Namen und Vor-änge ans Tageslicht. Ich will einige Namen nennen:dolf Eichmann, Alois Brunner, Klaus Barbie, Walterauff. Diese Massenmörder – das muss man sich einmalorstellen – standen zeitweise im Sold des BND oderurden von ihm gedeckt. Zum Teil glich damals derND bzw. seine Vorläuferorganisation, die Organisationehlen, einer einzigen großen Resozialisierungszentraler schwerstkriminelle Massenmörder. Das waren nichtgendwelche Mitläufer, sondern das waren zentrale Fi-uren in der Vernichtungsmaschinerie der Nazis. Dasaren keine Ausnahmen; denn es war die Zeit der Rück-ehr der alten Eliten in Amt und Würden.Es ist kein Zufall, dass der große hessische General-taatsanwalt Fritz Bauer – ich habe ihn eben genannt –eine umfangreichen Ermittlungsergebnisse zum Fallichmann eben nicht einer deutschen Behörde überge-en hat, sondern dass er – man kann sich das heute kaum
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18726 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012
Jan Korte
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mehr vorstellen – mit einem Koffer nach Israel geflogenist, um sie seinen israelischen Kollegen zu übergeben.
So ist die Situation damals gewesen. Das war der großeFrieden mit den Tätern. Damit hat Ralph Giordano sehrrecht.Seit einigen Jahren – Sie haben eben Norbert Frei undandere genannt – gibt es in der Tat eine hervorragendeForschungslage zum Umgang mit der NS-Vergangenheitin der Bundesrepublik. Es ist gut, dass es sie gibt. Vor al-lem viele junge Wissenschaftler sind auf diesem Feld ak-tiv. Ich glaube allerdings – deswegen ist unser Antragnotwendiger denn je –, dass die Politik der Wissenschaftsehr hinterherhinkt, was den Willen zur Erforschung undzur Aufarbeitung angeht. Deswegen dieser Antrag.
Es geht ganz konkret um die Gewährung eines freien Zu-gangs zu all den betreffenden Akten des Bundesnach-richtendienstes und übrigens auch des Kanzleramtes, umdas deutlich zu sagen. Auch dort gilt es, einiges aufzuar-beiten, was diese Zeit angeht.Ich will zwei Gründe nennen, warum dieser Antragganz praktisch für Historiker und übrigens auch für dieHistorikerkommission von Vorteil sein kann. Wir habenmitbekommen, dass – am 29. November 2011 ging esdurch die Presse – offenbar 253 Personalakten vernichtetworden sind. Das ist ein irrer Vorgang. Man setzt eineHistorikerkommission ein, die das aufarbeiten soll, und253 Akten werden vernichtet. Was ist denn da bitteschön los? Das Kanzleramt geht davon aus – das wurdeauf unsere mehrfache Nachfrage erklärt –, dass offenbar1996 und 2007 Akten vernichtet wurden, die dieserKommission nun fehlen.Ganz konkret gibt es offenbar den Fall von 1994, als581 Seiten der Akte von Alois Brunner – das war dierechte Hand von Adolf Eichmann – vernichtet wordensind. Man muss an einem Tag wie dem heutigen imDeutschen Bundestag danach fragen, warum diese Ak-ten vernichtet wurden, ob das jemand politisch angeord-net hat und wer dafür die politische Verantwortung trägt.Auch das muss gefragt werden.
Es gibt zu diesem Thema Berichte der Historikerkom-mission und Artikel im Spiegel und in der Bild-Zeitung,die im Monatsrhythmus veröffentlicht werden. Wenn wirparlamentarische Anfragen stellen oder wenn HistorikerNachfragen zu diesem Thema stellen, dann gibt es zu oftdie Auskunft, dass die Akten entweder nicht gefundenwerden können oder dass sie vernichtet worden sind.Angesichts dessen muss sich auch die Historikerkom-mission – wenn sie denn eine unabhängige Kommissionsein will – fragen, wie lange sie diese Zustände eigent-lich noch akzeptieren will.
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Danke. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-gen! Anfang der 80er-Jahre – ich glaube, es war imommer 1982 – war ich in La Paz in Bolivien und habe
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012 18727
Hans-Christian Ströbele
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dort vor dem Café „La Paz“ auf Klaus Barbie gewartet.Klaus Barbie ist der „Schlächter von Lyon“. Er ist wäh-rend der Kriegszeit in Frankreich der Chef eines SS-Jä-gerkommandos gewesen, das Juden und Widerstands-kämpfer im Untergrund aufgespürt und ermordet hat. Erist nach dem Krieg in Frankreich in Abwesenheit zumTode verurteilt worden, unter anderem deshalb, weil erin Südfrankreich 44 jüdische Kinder, die in einem Kin-derheim versteckt waren, entdeckt, in einen Waggon ver-laden und nach Auschwitz gebracht hat. Keines von die-sen 44 Kindern hat überlebt.Über diesen Klaus Barbie habe ich mich in den 70er-Jahren in Deutschland zu informieren versucht. Ichwollte wissen, was er treibt und wo er geblieben ist. Esgab Gerüchte, dass er sich in Südamerika aufhält, und esgab – nicht in Deutschland, aber in Frankreich – durchdie deutsche Staatsbürgerin Beate Klarsfeld und ihrenfranzösischen Ehemann Serge Klarsfeld Recherchenüber sein Leben, über seinen Werdegang, auch nach demKrieg, und über seinen Aufenthalt in Südamerika.Ich wäre damals nie auf den Gedanken gekommen, beideutschen Behörden, etwa beim BND oder beim Auswär-tigen Amt, nachzufragen. Es war für uns damals nicht nurganz generell völlig undenkbar, dass sie Auskunft gege-ben hätten, sondern ich hatte schon seinerzeit in einerfranzösischen Zeitung gelesen, dass der Verdacht besteht,dass der Bundesnachrichtendienst der BundesrepublikDeutschland noch nach dem Krieg, noch in den 60er-Jah-ren mit Klaus Barbie zusammengearbeitet und ihn in La-teinamerika zu einem Monatslohn von 500 D-Mark be-schäftigt hat. Insgesamt soll er damals eine ganze Reihevon Berichten – ich glaube, 40 oder 50 – an den Bundes-nachrichtendienst geliefert haben.Inzwischen wissen wir, dass das wahr ist. Durch dieAkten des Bundesnachrichtendienstes, die im Jahr 2010durch den deutschen Historiker Hammerschmidt aufge-deckt worden sind und die sich inzwischen im Bundes-archiv befinden, ist belegt, dass Barbie der Agent desBundesnachrichtendienstes mit der Nummer 43118 inLateinamerika gewesen ist.Klaus Barbie hat im Jahr 1980, also zwei Jahre bevorich in jenem Café auf ihn gewartet habe, den Militär-putsch in Bolivien unterstützt, er hat für die Militärs dortdie Geheimpolizei ausgebildet, und er hat Kommandosorganisiert, die die Oppositionellen im Untergrund auf-gespürt und zum Teil getötet haben. Das war ein Teil derKarriere des deutschen NS-Täters Klaus Barbie nachdem Krieg.Ich habe damals vergeblich gewartet. Ich hatte dieMitteilung, dass er sich in Bolivien aufhält – das stimmteoffenbar auch – und dass er fast jeden Vormittag im Café„La Paz“ am Prado in La Paz seinen Kaffee trinkt. Ichwollte ihn. Was ich damals gemacht hätte, wenn er ge-kommen wäre, weiß ich nicht.Ein halbes Jahr später ist Klaus Barbie unter anderemaufgrund der Recherchen von Beate Klarsfeld und ihremMann in Bolivien verhaftet worden. Inzwischen war dieMilitärregierung gestürzt worden, und es gab eine Zivil-regierung unter Siles Zuazo, die Klaus Barbie im Fe-bvSstesAdwudfüwcdVgAInWreEdD3ahaaddbdddd–BkEfewimsVteHtr
Ein Anlass Ihres Antrages ist – auch wir haben einenntrag gestellt, Akten offenzulegen, der aber noch imnenausschuss liegt –, dass es der Journalistin Gabyeber selbst noch im Jahr 2009, also vor wenigen Jah-n, verweigert worden ist, die Akten zum Fallichmann vom BND zu bekommen. Das musste sieann vor dem Bundesverwaltungsgericht einklagen.iesen Prozess hat sie gewonnen. Eigentlich sollten400 Blatt Akten herausgegeben werden. Sie wurdenber weiterhin geschwärzt und aussortiert und ihr biseute nur zum Teil zur Verfügung gestellt. Das heißt,uch bis heute dauert die partielle Aktenverweigerungn.
Deshalb sage ich zum Schluss: Deutschland wird iner Welt für die neue Art der Aufarbeitung, nämlich beier deutschen Vergangenheit DDR, viel geehrt. Wir ha-en zum Beispiel Fachleute nach Ägypten geschickt, dieas dort erklären. Aber wir Deutschen mussten uns vonen Bürgerrechtlern in der DDR sagen lassen, wie manie Vergangenheit aufarbeitet. Wir mussten uns geradezuazu zwingen lassen, dass die Akten der Staatssicherheit das wollte Herr Schäuble zum Beispiel nicht – für alleetroffenen, vor allem für die Journalisten und Histori-er, zur Aufarbeitung offengelegt werden.
ine Forderung der Bürgerrechtsbewegung, die noch of-n ist, war, alle Akten in Deutschland, auch die derestdeutschen Geheimdienste, offenzulegen. Das hat siemer wieder betont, auch nach der Erstürmung der Sta-izentrale. Wir warten heute noch darauf, dass diesesersprechen wahrgemacht wird.Ich schließe mich dem Lob für den Bundesnachrich-ndienst an, vor allen Dingen für Herrn Uhrlau, der dieistorikerkommission eingesetzt hat. Ich habe den Ver-ag hier. Er ist gut.
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Haben Sie bitte Ihre Redezeit im Auge.
Die Wissenschaftler, die er beauftragt hat, sind in
Ordnung. Die sollen das machen.
Es müssen aber gleichzeitig – und das ist dringend er-
forderlich – sämtliche Akten anderen Wissenschaftlern,
Journalisten und der Bevölkerung, die sich dafür interes-
siert, offengelegt werden, wie die USA dies bereits vor
vielen Jahren mit Akten über NS-Täter getan hat. Was
die USA können, muss auch unser Geheimdienst, der
Bundesnachrichtendienst, können.
Vielen Dank, Kollege Ströbele. – Nächster Redner für
die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Dr. Hans-
Peter Uhl. Bitte schön, Kollege Uhl.
Herr Präsident! Meine verehrten Kollegen und Kolle-ginnen! Ich habe mir gerade noch einmal den Antrag derLinken angeschaut und der Rede des Kollegen Korte zu-gehört. Dabei habe ich mich gefragt: Was wollen Sie ei-gentlich für einen Eindruck hier erwecken? Was ist IhrBegehren? Was wollen Sie durchsetzen? Wer hindert Siedaran? Alle Fraktionen sind sich doch einig, dass wiralle unsere Behörden, auch den Bundesnachrichten-dienst, auf mögliche Verstrickungen in den Jahren nachder NS-Diktatur, in den ersten Jahren der Bundesrepu-blik Deutschland, untersuchen und die Akten aufdecken.So machen wir es auch hier. Mit hohem personellen,materiellen und wissenschaftlichen Aufwand ist eine Ex-pertenkommission tätig und wühlt sich durch den Akten-berg der Archive, die, wie ich aus Insiderkreisen höre,reichlich ungeordnet sind. Das ist kein Wunder. Wer je-mals in Behörden tätig war, weiß, dass es im Archivmeistens so zugeht. Beim Bundesnachrichtendienstherrscht vielleicht noch etwas mehr Unordnung als inanderen Behörden, zum Beispiel dem Grundbuchamtoder anderen Behörden. Das ist so.
Das hat mehr menschliche Gründe als politische Gründe.Ich möchte einen ganz banalen Gedanken in die Diskus-sion der politischen Unterstellungen einführen. Wer Be-hördenleiter ist und einen mäßig befähigten MitarbeiterhaWhcwbDudmteeetäSwddNewcEFgwuGNAsDAaawd–
ir wissen, was dabei herauskommt. Man muss hinter-er suchen, um zu finden, was man braucht.Sie haben von der Vernichtung von Akten gespro-hen. Sie haben das so vorgetragen, als wäre damit – dasird natürlich insinuiert – eine politische Absicht ver-unden gewesen.
ieses werden die Wissenschaftler aufklären müssennd hoffentlich auch aufklären können. Bis zum Beweises Gegenteils glaube ich nicht daran, und ich möchteich auch nicht an anderen Verdächtigungen oder Un-rstellungen beteiligen.Ich möchte aber eines sagen: Nach jeder Beendigunginer Diktatur mit großen Apparaten stellt man fest, dasss Menschen gab, die darin auf unterschiedliche Weisetig waren: kleine Mitläufer, Opportunisten, Engagierte,chreibtischtäter, und das geht bis hin zu Verbrechernie Adolf Eichmann. Das alles hat es gegeben, auch beier Abwicklung der DDR. Das alles wird es immer wie-er geben, weil es in der Natur des Menschen liegt. Dieachfolgeregierung muss sich bei jedem einzelnen Fallntscheiden: Wen können wir wieder verwenden unden auf keinen Fall? Wem geben wir eine Chance?Wir werden vermutlich am Ende der wissenschaftli-hen Untersuchungen feststellen, dass man nach demnde der Nazizeit, zum Beginn des Kalten Krieges, neueeindbilder hatte und dass vor allem die Amerikanerroßen Wert darauf gelegt haben, Erkenntnisse zu ge-innen über das, was sich in der Sowjetarmee getan hatnd weiter tun wird.Wer wusste mehr über die Sowjetarmee als Herrehlen mit seiner Abteilung „Fremde Heere Ost“?
iemand wusste so viel wie er. Es lag im Interesse dermerikaner, nach der Niederschlagung der Nazidiktaturo viel wie möglich über den neuen Gegner zu erfahren.azu war er nützlich, einfach nützlich. Da er für diemerikaner nicht allein nützlich war, war der eine oderndere Mitarbeiter aus der früheren Zeit wahrscheinlichuch nützlich.Es würde mich also überhaupt nicht wundern, wennir hier und dort auf Namen von Leuten stoßen würden,ie wir heute garantiert niemals einstellen würden.
Das muss alles aufgeklärt werden, Herr Ströbele.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012 18729
Dr. Hans-Peter Uhl
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Woran mir liegt, ist, dass hier von keiner Seite der Ein-druck erweckt wird, als wolle jemand etwas verheimli-chen. Weder die SPD noch die Grünen noch die Unionnoch die FDP – niemand von uns allen will so etwas ver-heimlichen.
Deswegen hören Sie bitte auf, an einem Bild zu malen,auf dem nur Sie um wirklich effektive Aufklärungkämpfen und sonst niemand. Das ist nicht richtig.
Kollege Dr. Uhl, gestatten Sie eine Zwischenfrage un-
seres Kollegen Jan Korte?
Ja, bitte.
Bitte schön, Kollege Korte.
Sehr geehrter Herr Kollege, ich möchte nachfragen:
Sie haben eben sinngemäß gesagt – korrigieren Sie mich
bitte, wenn ich Sie falsch wiedergebe –, dass es nach
dem Ende der Diktatur aus Gründen des Verwaltungsab-
laufs etc. pp. notwendig gewesen sei, Minderbelastete,
Opportunisten oder eben auch andere zu übernehmen.
Mich würde Folgendes interessieren: Wie schätzen
Sie es denn ein, dass das eben nicht nur für Opportunis-
ten oder andere, sondern insbesondere für die Funktions-
trägereliten des Nationalsozialismus – Auswärtiges Amt,
der komplette Justizapparat, Teile der Gestapo und ande-
res – galt?
Wie bewerten Sie in dem Zusammenhang – das ist
zeithistorisch aufgearbeitet –, dass in der Zeit gerade all
die Exilierten, die Widerstandskämpfer nicht mit roten
Teppichen empfangen wurden? Wie erklären Sie sich in
dem Zusammenhang, dass die anderen gar nicht er-
wünscht gewesen sind?
Herr Kollege Korte, das ist die alte, uns sattsam be-
kannte SED-Propaganda, als hätte es nach der Nazizeit
zwei Sorten von Staaten gegeben:
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Nein, aber das ist die Propaganda, an der Sie hier im-
er noch arbeiten.
a ist die alte Propaganda, und die sollten Sie bitte able-
en. Diese SED-Propaganda sollten Sie ablegen.
Beide Seiten, Ost- wie Westdeutschland, haben glei-
hermaßen eine Verantwortung zu tragen. Die NS-Ver-
recher finden Sie nach dem Ende der Nazizeit auf bei-
en Seiten, in Ostdeutschland wie in Westdeutschland,
elbst in den Kreisen, die später die DDR regiert haben.
eswegen sollten Sie gemeinsam mit uns allen objektiv
emüht sein, keinen Keil in die Aufklärungsarbeit zu
eiben, so als wolle die eine Seite mehr aufklären und
ie andere vertuschen
der als wolle die eine Seite Akten vernichten und die
ndere Seite Akten aufdecken. Das ist nicht das Thema.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Wir haben
irklich ein Problem beim Thema der Aufklärung im
ereich eines Nachrichtendienstes. Es kann nicht alles in
ie Öffentlichkeit gezogen werden, es gibt zwei Ausnah-
en:
Erste Ausnahme. Es gibt einen Informanten des
achrichtendienstes, der noch lebt. Der muss natürlich
eschützt werden. Diese Akten können nicht aufgedeckt
erden.
Zweite Ausnahme: Akten, die auch mit Informationen
on westlichen oder anderen Geheimdiensten bestückt
ind. Wir dürfen zum Schutz der Zusammenarbeit mit
nderen Nachrichtendiensten diese Akten nicht ohne de-
n Zustimmung aufdecken.
Ich bitte, dies zu respektieren und damit nicht wie-
erum eine Unterstellung zu verknüpfen, als gäbe es
räfte, die an einer wahren, kompletten Aufdeckung
ein Interesse haben; das ist bei keiner Partei der Fall.
Vielen Dank, Kollege Dr. Uhl – Nächste Rednerin fürie Fraktion der Sozialdemokraten, unsere Kolleginabriele Fograscher. Bitte schön, Frau Kolleginograscher.
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18730 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Auch ich will mich auf die bewegende Rede von Marcel
Reich-Ranicki beziehen. Ich glaube, nur Zeitzeugen ge-
lingt es mit ihren authentischen Schilderungen, das Aus-
maß der Grausamkeit und der Unmenschlichkeit des na-
tionalsozialistischen Regimes zu vermitteln. Angesichts
des Grauens, das einen bei diesen Schilderungen erfasst,
fällt es schwer, jedenfalls mir, zur Tagesordnung überzu-
gehen. Herr Ströbele, auch Sie haben heute hier am Pult
gestanden; Sie sind Zeitzeuge für die Zeit nach dem Na-
tionalsozialismus. Auch das fand ich lehrreich und be-
wegend.
Wir müssen uns leider nicht nur mit der Vergangen-
heit, sondern auch mit aktuellem Rechtsextremismus
beschäftigen. Wir haben gestern einstimmig den Unter-
suchungsausschuss eingesetzt. Dieser Ausschuss soll
klären, wie die rechtsterroristische Zwickauer Zelle, an-
getrieben von Ausländerhass und brauner Ideologie,
über zehn Jahre hinweg unentdeckt morden und rauben
konnte.
Ich will den Blick auf den Bericht des Expertenkrei-
ses lenken, der sich mit Antisemitismus in Deutschland
beschäftigt und Anfang der Woche seinen Bericht vorge-
stellt hat, mit dem beunruhigenden Ergebnis, dass es in
Deutschland nach wie vor eine konstante Zahl von Men-
schen mit antisemitischen Einstellungen gibt. Der Bun-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
20 Prozent der Menschen in Deutschland haben antise-
mitische Einstellungen; das sind 20 Prozent zu viel. Das
sehen wir genauso.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Geschichte lässt
uns nicht los und darf uns nicht loslassen. Wir brauchen
die historische Aufarbeitung, um zu verstehen, wie es
dazu kommen konnte, dass Anstand, Moral, Werte und
Menschlichkeit so vollständig zusammenbrachen. Die
Aufarbeitung und Aufklärung müssen weitergehen, und
das so transparent wie möglich. Diese Aufarbeitung wird
beim Bundesnachrichtendienst, in den Ministerien und
den Behörden geleistet. Viele Behörden haben unabhän-
gige Historikerkommissionen eingesetzt, so auch der
BND. Einige Ergebnisse liegen bereits vor; sie wurden
auch veröffentlicht.
Die historische Aufklärung beginnt spät – zu spät –,
und es werden Fehler gemacht. Herr Korte, Sie haben
die Akten angesprochen, die im Jahre 2007 vernichtet
wurden. Es handelte sich in der Tat um Personalakten
von Menschen, die während der NS-Zeit bei SS oder Ge-
stapo waren. Dieser Vorgang muss aufgeklärt werden. Es
gibt Bemühungen, diese Akten weitgehend zu rekonstru-
ieren. Ob jemand politisch Verantwortung dafür trägt
und, wenn ja, wer, auch das muss geklärt werden.
Aus der Aufklärung, aus dem Wissen um Vertu-
schung und personelle Kontinuität in der jungen Bundes-
republik müssen wir aber auch Konsequenzen ziehen;
wir müssen Lehren aus der Vergangenheit ziehen.
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s ist Zeit, dass Frau Schröder diese Klausel streicht.
Der Expertenkreis zum Thema Antisemitismus muss
eine Arbeit fortsetzen können. Er muss zum Beispiel
er Frage nachgehen, wie antisemitische Einstellungen
eitergegeben und tradiert werden und mit welchen
irksamen Maßnahmen dem entgegengewirkt werden
ann.
Der Untersuchungsausschuss und die Bund-Länder-
xpertenkommission müssen das Versagen der Sicher-
eitsbehörden beim Erkennen rechter Gewalt aufarbei-
n und konkrete Vorschläge unterbreiten, damit solche
annen nicht mehr passieren können.
Wir brauchen eine Strategie in Politik, Institutionen
nd Gesellschaft, um Demokratie zu stärken, Antisemi-
smus, Fremdenfeindlichkeit, Gewalt und Vorurteile zu-
ckzudrängen.
Demokratie kann nicht verordnet werden. Sie kann
icht an Politik und Politiker delegiert werden. Aber
olitik kann dazu beitragen, Demokratie und Toleranz
u fördern, zu festigen und zu verankern.
aran sollten wir als Demokratinnen und Demokraten
rbeiten. Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der
ehörden der jungen Bundesrepublik Deutschland wird
inen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass sich Ge-
chichte nie wiederholt.
Danke sehr.
Vielen Dank, Frau Kollegin Fograscher. – Nächster
edner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege
atrick Kurth. Bitte schön, Kollege Patrick Kurth.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Die DDR war stets bestrebt, die Bundesrepublik alsortsetzung des Dritten Reiches, nur eben unter anderemamen, darzustellen. Wir sollten alle gemeinsam demersuch widerstehen, angesichts der Fehler der Bundes-publik am Anfang, auch bei der Fortsetzung von per-
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Patrick Kurth
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sonellen Kontinuitäten, ein ähnliches Denken anzuwen-den oder zumindest zu konstruieren, wie das die DDRmit der Bundesrepublik gemacht hat.Die Bundesrepublik ist besonders heute aufgeräumt,sie ist gesund, eine gesunde Gesellschaft. Sie stellt sichglaubwürdig und verantwortungsvoll ihrer Geschichte.Aus dieser Glaubwürdigkeit heraus, aus der Kraft, diewir entwickeln können, können wir zur Aufarbeitungschreiten.
Aufarbeitung ist wichtig. Das tun wir, um verstehen zukönnen. Lieber Herr Korte, ich würde mir wünschen,dass Sie beispielsweise beim Thema Staatssicherheit– bei dem wir uns auch in der Aufarbeitung befinden –genau die Maßstäbe anlegen, die Sie bei der Aufarbei-tung der frühen Bundesrepublik anlegen. Das wäre wirk-lich hilfreich, auch bei der Aufarbeitung der SED-Dikta-tur.
Die Aufarbeitung in den Bundesbehörden ist in den letz-ten zehn Jahren gut fortgeschritten.Herr Korte, ich habe übrigens noch einmal nachge-schaut: Am 26. Oktober 1953 lud die DDR-Staats- undParteiführung zu einem offiziellen Empfang ein. Emp-fangen wurde der Generalfeldmarschall FriedrichPaulus, Führer der 6. Armee in Stalingrad. Er war Leiterdes Kriegsgeschichtlichen Forschungsrates der Hoch-schule der Kasernierten Volkspolizei.
Was nützt es uns denn, wenn wir uns gegenseitig Bio-grafien vorwerfen, für die Sie nichts können und für diewir nichts können?
Wir müssen den Gesamtzusammenhang erkennen. Wirmüssen die gesamte Geschichte verstehen können. Da-rum geht es bei der Aufarbeitung.
Herr Kollege Patrick Kurth, gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage unseres Kollegen von Notz?
Ja, bitte.
Vielen Dank, Herr Kollege, für die Möglichkeit einer
Zwischenfrage. – Gerade weil ich Ihren letzten Satz
teile, dass man nicht beginnen sollte, dem verflossenen
DDR-Regime die Versäumnisse der Vergangenheit vor-
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eswegen würde ich Sie bitten, Bezug auf die Versäum-
isse Westdeutschlands zu nehmen.
Herr von Notz, wir haben hier oft über Staatssicher-eit, SED und Aufarbeitung gesprochen. Wir gehen daehr tief. Wir machen Gesetze dazu. Wir geben auch sehriel Geld für diese Aufarbeitung aus.Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass wir jetztin System bewerten und darüber richten, das vom eige-en Volk gestürzt worden ist. Es muss vielmehr der Ein-ruck entstehen, dass wir, gerade auch hier im Deut-chen Bundestag, Aufarbeitung und Aufklärung deseginns der Bundesrepublik leisten. Wir haben hier zweianz interessante Fälle: Die Bundesrepublik ist genausoie die DDR aus einer Katastrophe entstanden, und esusste zu Beginn reorganisiert werden. Dazu brauchtean Ende der 40er- und Anfang der 50er-Jahre Hand-ngsfähigkeit in der Verwaltung und im politischen Be-ieb. So ähnlich war es ja auch nach dem Untergang dereutschen Demokratischen Republik. Auch da brauchtean Handlungsfähigkeit in der politischen Verwaltungnd im politischen Betrieb.
Wir können daraus lernen, wie man mit einem Trans-rmationsprozess umgehen kann, und können uns mit-inander bemühen, zu verstehen, was man in einer sol-hen Situation machen kann. Deshalb glaube ich – daind wir uns ja doch sehr einig –, dass bei der Aufarbei-ng der Geschichte der frühen Bundesrepublik die DDRine Rolle spielen muss. Selbstverständlich! Es ist einesamtes Deutschland. Somit müssen wir sowohl überie Verwaltung der Deutschen Demokratischen Republikie auch über die Verwaltung der Bundesrepublik spre-hen können.
Wir arbeiten auf. Wir arbeiten die Stasiakten genausouf, wie wir es mit den BND-Akten machen,
it den Akten des Auswärtigen Amtes. So hat das Bun-esministerium der Justiz jetzt eine Kommission einbe-fen. Es gibt verschiedene Kommissionen. Das alles istuch nicht erst in den letzten Jahren geschehen, sondernchon viel früher hat das Auswärtige Amt darauf hinge-
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18732 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012
Patrick Kurth
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wiesen, dass es eben nicht Hort des Widerstandes gegenden nationalsozialistischen Ungeist war.
Minister Genscher hat das Haus veranlasst, mit diesemMythos aufzuräumen.Ich finde es richtig und gut, dass wir in unserer aufge-klärten Gesellschaft auch die Kraft haben, aufzuräumenund uns mit unserer eigenen Vergangenheit zu beschäfti-gen. Nennen Sie mir neben diesem einen Fall, CIA, ei-nen anderen Geheimdienst, ob in den USA, in Paris oderin Moskau, der mit seiner eigenen Geschichte so auf-räumt und Historikern Zugang zu seinen eigenen Aktenverschafft!
Das Entscheidende ist doch, Herr von Notz: Wir ha-ben die Kraft dazu. Das ist auch beispielgebend für dieEntwicklungen in Nordafrika und im Nahen Osten. Dortentstehen aus diktatorischen Systemen möglicherweiseDemokratien. Wir haben Kraft und Kompetenz, dort un-sere Erfahrungen einzubringen und darzustellen, wie wires hier gemacht haben. Damit können wir den Leutendort anbieten, auch unsere Erfahrungen zur Aufarbei-tung dieser Systeme einzubringen.Ich könnte hier noch stundenlang weiterreden, aberich möchte nicht, dass Sie jetzt noch länger hier stehenmüssen, Herr Kollege.
Der Präsident würde ansonsten dafür sorgen, dass die-
ses nicht stundenlang erfolgt. Sie haben aber noch Rede-
zeit. – Bitte schön.
Meine Damen und Herren, ich schließe daran an: Wir
wollen – das ist das Entscheidende bei der ganzen Ak-
tenaufarbeitung – verstehen, welche Rolle die Funk-
tionsträger beim Übergang gespielt haben. Wir wollen
über die Hintergründe Bescheid wissen. Waren es alte
NS-Seilschaften? Diese Vermutung liegt nahe. Wir wol-
len verstehen, wie diese Transformation von einem
staatsterroristischen System zu einem demokratischen
System vonstattenging. Der wichtigste Grund – darauf
habe ich eben schon angespielt – ist: Wir wollen aus die-
sen Erkenntnissen für die Zukunft lernen. Wir wollen
doch verstehen, was los gewesen ist, um es in Zukunft
besser zu machen, nicht nur hier in Deutschland oder in
Europa, sondern auch zum Beispiel in Nordafrika oder
in Myanmar. In diesem ASEAN-Staat passiert im Mo-
ment etwas ganz Großartiges. Dort kann man vielleicht
unsere Kompetenzen und Erfahrungen gebrauchen.
Herr Präsident, ist die Redezeit um?
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Letzter Redner in dieser Aussprache ist Kollege
rmin Schuster für die Fraktion der CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnennd Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!ieser Tag zeigt aufs Neue eindrucksvoll: Die deutscheeschichte stellt uns vor besondere Herausforderungen.ir haben die fortwährende Pflicht, sie intensiv aufzuar-eiten und uns mit den Erkenntnissen vorbehaltlos aus-inanderzusetzen – darüber dürfte im ganzen Haus Kon-ens bestehen –, und zwar nicht nur, um zu wissen, wasar, also nicht nur, um zu historisieren, sondern insbe-ondere auch, um daraus sogar heute noch für die Zu-unft zu lernen. Dieses Anliegen ist mir sehr wichtig.Das gilt auch für die Geschichte der Bundesbehörden.eshalb stellt sich der Bund – oder sollte ich sagen:stellen wir uns alle“? – in vielfältiger Art und Weise derufgabe, die NS-Vergangenheit aufzuarbeiten. Zahlrei-he Einrichtungen unterstützen dabei. Das Bundesarchiv Koblenz stellt zum Beispiel umfangreiche Aktenbe-tände zur Verfügung, auch große Aktenbestände zumundesnachrichtendienst.Zum Wirken des BND gibt es allerdings offene Fra-en; sie sind hier schon herausgearbeitet worden. Wirind uns einig: Sie müssen beantwortet werden. Dazuählen natürlich auch Anhaltspunkte, dass der BNDicht unwesentlich von Personen aufgebaut wurde, diechon zur NS-Zeit nachrichtendienstliche Aufgaben in-ehatten. Inwiefern diese personellen Kontinuitäten Ein-uss auf die Arbeit des BND in seinen früheren Jahrenatten – wie weit gehen die „früheren Jahre“ eigentlich? –,t bis heute nicht seriös geklärt. An Mutmaßungenöchte ich mich aber nicht beteiligen.Nachdem eine Initiative des BND 2008 zunächsticht glückte, geht seit 2011 die schon angesprochenenabhängige Historikerkommission diesen Fragen nach.rotz aller berechtigten Kritik an der bisher eher schlep-end verlaufenden Aufklärung, insbesondere über dieernichtung eventuell relevanter Akten in jüngerer Zeit Herr Korte, Sie haben es angesprochen –, gilt es anieser Stelle zu betonen: Wir sind froh darüber, dass wirtzt einen gangbaren Weg gefunden haben, diese Fragenu beantworten: mit anerkannten Wissenschaftlern, mit
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012 18733
Armin Schuster
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der notwendigen Ausstattung, aber auch mit der nötigenRücksicht auf die Arbeitsweise des BND.Ähnliche Projekte gab es bereits zur Geschichte desBKA – was dort gemacht wurde, war sehr eindrucks-voll – und zur Geschichte des Auswärtigen Amtes, da-mals angestoßen von Joschka Fischer. Das Bundesamtfür Verfassungsschutz lässt derzeit ebenfalls die eigeneHistorie erforschen. Erst vergangene Woche hat auchBundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger fürihr Haus eine entsprechende Studie in Auftrag gegeben.In allen Projekten forschten und forschen hochrangigeWissenschaftler, und zwar völlig unabhängig von politi-schen und inhaltlichen Vorgaben.Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir alle indiesem Haus dürfen mit Fug und Recht behaupten, dassdie Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Bundesbe-hörden bei der aktuellen Bundesregierung und bei min-destens den beiden Bundesregierungen zuvor eine er-kennbar hohe Priorität genossen hat. Das wird auchweiterhin so sein.Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, Herr Korte –jetzt hätte ich fast gesagt: wie mein „Chef“ –, Ihren An-trag zu lesen und mich mit ihm zu beschäftigen.
Ich zitiere aus Ihrem Antrag:… alle Einschränkungen des freien Zugangs zu denAkten des BND im Zusammenhang mit personellenKontinuitäten des BND bzw. seiner Vorgängerorga-nisation zum NS-Regime zu beseitigen und dieseAkten insbesondere der Wissenschaft zugänglich zumachen …
Ich habe mich gefragt, ob Sie mit „insbesondere“meinen, dass diese Akten praktisch für jedermann freizugänglich sein sollten.
Nach Ihrer Rede bin ich mir ganz sicher. Sie haben näm-lich gesagt, dass Sie das so wollen.
An dieser Stelle möchte ich mich ein wenig zum An-walt des Bundesnachrichtendienstes machen. Eine derartöffentliche Akteneinsicht für jedermann haben wir we-der bei der 2005 begonnenen Aufarbeitung der NS-Ver-gangenheit im Auswärtigen Amt noch bei der im Bun-deskriminalamt gewährt. Dafür gibt es gute Gründe. Daswollen wir auch beim BND so halten.
–esteddgshimtuDqntidndzleztefrGSgdNtemsriSrugsrerinAwisisw
Herr Kollege Schuster, eine ganz kurze Frage, weil
ie sich dagegen wehren, dass die Akten allgemein zu-
änglich gemacht werden sollen: Ist Ihnen bekannt, dass
ie USA die Akten, die NS-Verbrecher, Leute aus der
S-Zeit betreffen, völlig freigegeben haben? Diese Ak-
n können Sie im Internet einsehen. Das heißt, man
uss nicht hingehen und fragen, ob man sich ein be-
timmtes Blatt ansehen darf, sondern Sie müssen nur die
chtigen Knöpfe an Ihrem PC drücken, dann kommen
ie an die Akten. Warum können die USA das, und wa-
m soll Deutschland das nicht können, und zwar bezo-
en auf eine Zeit, die mehr als 60 Jahre zurückliegt?
Über die Motivation der USA hat der Kollege Uhlchon etwas gesagt. Ich möchte mich auf das konzentrie-n, was in diesen Akten steht. Die Akten, die die Ame-kaner veröffentlicht haben, betreffen bestimmte Perso-en und Falldaten. Eine komplette Öffnung des BND-rchivs für jedermann
ürde bedeuten, dass für jeden offengelegt würde: Wiet die Arbeitsweise des Nachrichtendienstes? Mit wemt er vernetzt? Wir wissen heute überhaupt nicht, wieeit diese Frühgeschichte reicht.
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Ich möchte einer Historikerkommission die Chancegeben, zu beurteilen, welche Veröffentlichungen für dieaktuelle Arbeit des BND kritisch wären und welchenicht.
Wenn diese Kommission sagt: Das ist das Datenmaterial,das man unzweifelhaft veröffentlichen kann, ohne dieArbeit des BND zu beeinträchtigen, bin ich damit restloseinverstanden. Ich halte das auch für einen gangbarenWeg.Genau deshalb hat die Bundesregierung im vergange-nen Jahr das Forschungsprojekt so ausgestaltet, dass dienotwendige Aufklärung mit der ebenso notwendigen Ge-heimhaltung mindestens in Teilen der vorliegenden Ak-ten gewährleistet wird. Die Kommission, bestehend ausvier renommierten Wissenschaftlern, sichtet die Aktenund wird ihre Erkenntnisse anschließend der Öffentlich-keit zur Verfügung stellen. Ich bin froh darüber, dassErnst Uhrlau damit einen gangbaren Weg der Aufarbei-tung eingeschlagen hat. Die für die gegenwärtige Arbeitdes BND unverzichtbare Geheimhaltung bleibt weiter-hin gewährleistet. Ausreichend Personal, eine ausrei-chende finanzielle Ausstattung und Zeit sind vorhanden.Die Kommission ist allein wissenschaftlichen Grundsät-zen verpflichtet und in der Wahl ihrer Quellen frei. DieBundesregierung hat den Forschern zugesagt, ihre Ersu-chen um Akteneinsicht bei externen Stellen nach Kräftenzu unterstützen. Im Interesse der Erforschung seinerFrühgeschichte wurde zudem nunmehr festgelegt, dasskeine weiteren für das Projekt relevanten Akten vernich-tet werden. Herr Korte, im Gegensatz zu Ihnen möchteich behaupten, dass es in diesem Hause und in dieserBundesregierung niemanden gibt – ich beziehe Sie damit ein –, der die Dreistigkeit gehabt hätte, die Vernich-tung von Personalakten, die der BND im November2011 bestätigt hat, anzuordnen. Entschuldigung, abermir fehlt wirklich
die Vorstellungskraft, dass irgendjemand das angeordnethaben könnte. Insofern halte ich Ihren Vorwurf für ziem-lich abstrus.
Wir forcieren den Lernprozess Vergangenheitsbewäl-tigung bei unseren Bundesbehörden. Nicht zuträglich istfür mich allerdings Ihr Lamento über mangelnde Trans-parenz beim BND. Ihre überzogene Forderung, jeder-mann in die Akten hineinschauen zu lassen, umzusetzen,hielte ich letztlich für fahrlässig. Wir haben den transpa-rentesten Nachrichtendienst der Welt. Alle Fraktionendes Deutschen Bundestages haben die Chance, dies imParlamentarischen Kontrollgremium ständig zu verifi-zieren.WinsgfutigsdssTosdleDsnte
ir sind nach wie vor darauf angewiesen, dass der BND gewohntem Maße effektive Arbeit leistet und uns beiicherheitspolitischen Bedrohungen rechtzeitig und an-emessen mit Informationen versorgt. Ohne einen gutnktionierenden BND würde Deutschland außenpoli-sch quasi ohne Radar fliegen. Deshalb wollen wir eineleichsam seriöse wie transparente Aufbereitung der Ge-chichte des Bundesnachrichtendienstes.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Kollege Armin Schuster.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Endeer Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Ichchließe die Aussprache.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenaus-chusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit demitel „Alle BND-Akten zum Thema NS-Vergangenheitffenlegen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-chlussempfehlung auf Drucksache 17/4468, den Antrager Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1556 abzu-hnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –as sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Dasind die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grü-en. Enthaltungen? – Die Fraktion der Sozialdemokra-n. Die Beschlussempfehlung ist hiermit angenommen.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 25 a und b auf:a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung
zu dem Antrag der Abgeordneten Helmut Heiderich,Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck und der Frak-tion der CDU/CSUsowie der Abgeordneten Dr. Christiane Ratjen-Damerau, Harald Leibrecht, Helga Daub, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDPLändliche Entwicklung und Ernährungs-sicherheit weltweit verbessern– Drucksachen 17/7185, 17/8430 –Berichterstattung:Abgeordnete Helmut HeiderichDr. Sascha RaabeDr. Christiane Ratjen-DamerauNiema MovassatUte Koczyb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz
– zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Tack,
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delberg), weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der SPDSpekulation mit agrarischen Rohstoffen ver-hindern– zu dem Antrag der Abgeordneten NiemaMovassat, Sahra Wagenknecht, Dr. AxelTroost, weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKEHunger bekämpfen – Spekulation mit Nah-rungsmitteln beenden– zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe,Dr. Gerhard Schick, Ulrike Höfken, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMit Essen spielt man nicht – Spekulation mitAgrarrohstoffen eindämmen– Drucksachen 17/3413, 17/4533, 17/5934,17/7414 –Berichterstattung:Abgeordnete Johannes RöringRita Schwarzelühr-SutterDr. Edmund Peter GeisenDr. Kirsten TackmannFriedrich OstendorffNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sie sind da-mit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dannist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist für dieFraktion der FDP unsere Kollegin Frau Dr. ChristianeRatjen-Damerau. Bitte schön, Frau Kollegin.
Sehr geehrter Herr Bundestagsvizepräsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Liebe Partei! LiebeKolleginnen und Kollegen!
– Ich sammle mich.
Also: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Iss deinenTeller leer und denk an die hungernden Kinder in Afrika:Ich denke, viele von uns werden sich an diese Worte ih-rer Eltern aus der Kindheit erinnern. Doch wie die hun-gernden Kinder auf dem afrikanischen Kontinent und dienicht leer essen wollenden Kinder in unserer Welt zu-sammenhängen, haben uns unsere Eltern nicht erklärt.Meist gab es auf Nachfrage eine Begründung, die eheremotional als sachlich war. Und doch gibt es einen Zu-sammenhang; denn laut Statistik ist noch genug Nahrungfür alle da.aNWDdtegn3smWIndtegtedcszdgssSkddmnhAkTuAgRmePkenhdateR
Der Schlüssel zur Entwicklung in jedem Land ist dieute Regierungsführung. Die Entwicklungsländer müs-en die Verantwortung für die Entwicklung ihrer Länderelbst in die Hand nehmen. Sie müssen ihre staatlichentrukturen reformieren, sodass Wachstum, Gerechtig-eit, gerade auch der Zugang zu Land und Wasser under nachhaltige Umgang mit Ressourcen gesichert wer-en. Wir werden sie dabei unterstützen.Ein weiteres wichtiges Thema sind die Spekulationenit Agrarrohstoffen an Warenterminbörsen. Spekulatio-en sind für eine vernünftige Preisbildung wichtig. Da-er müssen wir die Anträge der Opposition ablehnen.llerdings darf der Hunger in der Welt nicht durch Spe-ulationen verschärft werden. Wir benötigen hier mehrransparenz, beispielsweise durch eine Verbesserungnd Offenlegung der Datenlage auf den Märkten fürgrarderivate.
Die Bundesregierung hat mit ihrer Politik in den ver-angenen zwei Jahren dafür gesorgt, dass der ländlicheaum und seine Entwicklung in den Mittelpunkt der Ar-uts- und Hungerbekämpfung gerückt sind. Damit istin Anfang gemacht. Die in meiner Rede genanntenunkte aus unserem Antrag sind weitere Schritte zur Be-ämpfung des Hungers weltweit.Auch wenn wir alle heute Abend unseren Teller leerssen, werden gegenwärtig Kinder in Somalia nicht ge-ug zu essen haben. Aber das Verhalten jedes Einzelnenat durchaus Auswirkungen, und langfristig werden wirie Weltbevölkerung nur ernähren können, wenn erstenslle Regierungen ihre Verantwortung übernehmen, zwei-ns die Agrarproduktion gesteigert wird und drittensessourcen geschont werden.Herzlichen Dank.
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Dr. Christiane Ratjen-Damerau
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist
unser Kollege Dr. Sascha Raabe für die Fraktion der So-
zialdemokraten. Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen!
Ich freue mich, dass wir heute noch einmal über daswichtige Thema ländliche Entwicklung im Plenum de-battieren können, weil die weltweite Bekämpfung vonHunger und Armut ohne einen großen Fortschritt imländlichen Raum nicht möglich ist. Wir wissen: DreiViertel der ärmsten Menschen leben im ländlichenRaum. Wenn wir das Millenniumsziel, bis 2015 die Zahlder Hungernden zu halbieren, erreichen wollen – damitsieht es leider nicht sehr gut aus –, dann müssen wir vorallem für die Menschen im ländlichen Raum etwas tun.Deswegen ist es gut, dass wir uns darüber gemeinsamGedanken machen.Aber wir haben in der letzten Legislatur in der Gro-ßen Koalition bereits einen Antrag vorgelegt, der sehrviel umfassender war als das, was Sie heute präsentieren.Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen – nicht,weil wir der Auffassung wären, dass das Thema nichtwichtig ist.Sie schreiben zu Recht in Ihrem Antrag – lieber Kol-lege Christian Ruck, du wirst dich erinnern, das hattenwir auch in unserem umfassenden gemeinsamen Antragschon kritisch festgestellt –, dass in den letzten Jahrenvonseiten der Geber, aber auch von den Entwicklungs-ländern selbst die Investitionen in die Landwirtschaftsehr stark zurückgefahren worden sind. Allerdings mussman ehrlicherweise dazusagen, warum das passiert ist.Das hat sehr viel damit zu tun, dass über Jahre durchÜberschüsse im landwirtschaftlichen Bereich ein soge-nanntes Exportdumping stattgefunden hat. Man hat näm-lich die Überschüsse aus den USA, aus Deutschland undaus anderen Ländern in Europa in die Länder Afrikas ex-portiert und damit die lokalen Märkte zerstört. EinBauer, der Milchviehwirtschaft betrieben hat, konntealso seine Milch, die er vielleicht mit zwei oder drei Kü-hen lokal produziert hat, auf dem Markt nicht verkaufen,weil dort Milchpulver aus Europa, das mit Wasser ver-mischt wurde, billiger angeboten wurde. Das ist ein ganzirrsinniges System: Auf der einen Seite machen wir Ent-wicklungszusammenarbeit. Auf der anderen Seite gebenwir Steuergelder für Subventionen in der Landwirtschaftaus und reißen mit diesem Agrardumping das ein, waswir mit der Entwicklungszusammenarbeit aufbauen.
Deswegen hätte es keinen Sinn gemacht, wenn dievorherige Bundesregierung weiter jahrelang Milchvieh-wirtschaft unterstützt und andere Investitionen in dieLtäKGneAgglukKdMfetidsPHnAw2Dea–isdBLG2ihwWdGIharudnsmDvrupnkB
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schaftet werden können, immer kleiner werden. Es gibtden sogenannten grünen Hunger: Alles sieht grün aus,aber die nächste Ernte folgt erst in einigen Monaten, unddie Menschen leiden Hunger. Auch darauf brauchen wirAntworten.Eine Antwort, die wir als Sozialdemokraten geben, istin Ihrem Antrag nicht enthalten: der Aufbau sozialer Si-cherungssysteme. Wir haben mit unserer Arbeitsgruppe– die Kollegin Karin Roth hatte das vorbereitet – erst vorkurzem einen sehr umfassenden Antrag zum Aufbau so-zialer Sicherungssysteme eingebracht. Es ist sehr wich-tig, dass wir auch Menschen in der Landwirtschaft, diekein Einkommen haben, beraten und auch Staaten bera-ten, wie sie Familien Hilfe geben können. In Brasilienläuft das sehr gut mit dem Null-Hunger-Programm. An-dere Länder machen das auch. Zum Teil ist die Hilfe anden Schulbesuch der Kinder gekoppelt: Einen Teil desGeldes gibt es nur dann, wenn die Kinder zur Schule ge-hen. So etwas brauchen wir.Wenn wir die vielfältigen Maßnahmen von der Bil-dung bis zur Gesundheit umsetzen wollen – dazu stehenauch viele richtige Punkte im Antrag –, dann brauchenwir Geld. Sie schreiben in Ihrem Antrag stolz, dass dieBundesrepublik Deutschland viel Geld für diesen Sektorausgibt. Dagegen habe ich keine Einwände. Vorausset-zung dafür ist aber, dass die Mittel für den Gesamttopferhöht werden. Wenn Sie in diesem Jahr nur mit ganzkümmerlichen Beträgen die Entwicklungsausgaben stei-gern und nur einen Bruchteil der von uns im Parlamentgemeinsam vereinbarten 1,2 Milliarden Euro zur Verfü-gung stellen, dann nehmen Sie das Geld in den ebenfallswichtigen Bereichen Gesundheit und Bildung weg.Deswegen reicht es nicht, wenn Sie mehr Geld für dieLandwirtschaft ausgeben wollen. Wir brauchen einenMinister, der auch einmal leidenschaftlich für mehr Geldin seinem Haushalt kämpft, statt nur darum zu kämpfen,mehr Parteifreunde in seinem Ministerium unterzubrin-gen.
Wir haben einen Minister, der sogar die Finanztransak-tionsteuer, ein Instrument, das aus der Entwicklungspoli-tik stammt, das die Zivilgesellschaft seit Jahren geforderthat und das jetzt zum Greifen nahe ist, im Kabinett ab-lehnt, obwohl wir dieses Geld dringend für die Armuts-bekämpfung brauchen. Das ist schäbig, Herr MinisterNiebel.
– Das ist nicht falsch. Selbst im Kabinett gibt es damitein Problem. Frau Merkel kennt das Problem mit ihremMinister wahrscheinlich besser als ich.Deswegen macht es keinen Sinn, wenn Sie einenschönen Antrag schreiben und hier schöne Worte finden.Wenn Ihnen das Thema wichtig wäre, dann wäre auch zuüberlegen gewesen, im Ministerium dafür eine eigeneAruesDmAfüHSvMIcddelahti6ztrddwbsuruRgmzSVle
Vielen Dank, Kollege Dr. Raabe. – Nächster Redner
r die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Helmut
eiderich. Bitte schön, Kollege Heiderich.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!ehr verehrte Damen und Herren! Es gibt keine Redeon Herrn Dr. Raabe ohne die Aufforderung an deninister, sofort zurückzutreten.
h glaube, damit wiederholt er sich ein wenig. Er kannabei nicht ganz verbergen, dass er sich mit dem Inhalter Anträge relativ wenig beschäftigt.
Lassen Sie mich an den Anfang meiner Ausführungenin paar aktuelle Meldungen stellen. China hat 2011 einendwirtschaftliche Rekordernte eingefahren. Trotzdemat China noch nie so viel Mais ins eigene Land impor-ert wie 2011. Auch bei Soja ist China inzwischen mit0 Prozent der weltweit größte Importeur.Aber auch Deutschland hat einen neuen Rekord er-ielt. 2011 wurde von Deutschland erstmals mehr Ge-eide importiert als exportiert.Warum erwähne ich diese Fakten am Anfang? Ichenke, schon diese wenigen Angaben machen deutlich,ass sich das globale System von Ernährung und land-irtschaftlicher Erzeugung in einem gewaltigen Um-ruch befindet. Über Jahrzehnte waren es Agrarüber-chüsse der Industriestaaten – Worte wie „Milchseen“nd „Butterberge“ sind vielen sicherlich noch in Erinne-ng –, welche in der Entwicklungspolitik eine großeolle spielten. Vor allem die Verteilung wurde als Mittelesehen, die Unterernährung zu bekämpfen. Wie oft hatan den Spruch gehört: „Es wird weltweit genug produ-iert; das Problem ist nur die Verteilung“?Das Ergebnis dieser aus meiner Sicht völlig falschentrategie müssen wir heute konstatieren. Trotz großerersprechungen zu Beginn des Millenniums und des Mil-nniumsziels 1 ist die Zahl der Hungernden, der Unter-
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ernährten und der in Armut Lebenden nicht geringer, son-dern eher größer geworden. Wenn wir eine aktuelleAnalyse der internationalen Agrarpolitik vornehmen,dann stellen wir fest: Es gibt nichts mehr zu verteilen. Wirbrauchen in den Bereichen Landwirtschaft und Ernäh-rung eine Neuausrichtung der politischen Konzepte. Wirmüssen erkennen, dass Hunger und Unterernährung ge-rade dort am größten sind, wo die meisten Kleinbauern le-ben, und zwar im ländlichen Raum. 70 Prozent der Hun-gernden sind – so hat die FAO festgestellt – Kleinbauern.Deshalb muss aus meiner Sicht die neue Überschrift einerzukunftsorientierten Ernährungspolitik weltweit lauten:Ernährung aus eigener Kraft ist das Ziel unserer Politik.
Die notwendige Neuausrichtung ländlicher Entwick-lungspolitik hat der Präsident des IFAD, Herr Nwanze,am besten auf den Punkt gebracht, als er uns im Aus-schuss besucht hat. Ich zitiere:Man darf Kleinbauern nicht mehr als Charity-An-gelegenheit betrachten, sondern als die Menschen,die mit Innovation, Dynamik und harter ArbeitWohlstand für ihre Kommunen bringen und erheb-lich zu einer erhöhten Nahrungsmittelsicherheitbeitragen.
Ich glaube, genauer und pointierter kann man es nichtformulieren.Bei rund 500 Millionen Kleinbauern weltweit ist daseinerseits eine riesige Herausforderung. Andererseits istes unumgänglich, dort anzusetzen, wenn wir die Ernäh-rung der Menschheit zukünftig sichern wollen. Zudemweisen alle Fachleute darauf hin, dass investiertes Geldnirgendwo einen so positiven Effekt auf die Minderungvon Armut und die Verbesserung der Entwicklung hatwie in der Landwirtschaft. Das heißt ganz klar: Im länd-lichen Raum liegt der Schlüssel für den Kampf gegenArmut, Unterentwicklung, Hunger und Mangelernäh-rung. Aus dieser Erkenntnis heraus haben wir im vergan-genen Sommer unseren Antrag entwickelt, um auchunsere entwicklungspolitischen Konzepte daraufhin aus-zurichten. Es ist hilfreich, dass das Ministerium mit derEinrichtung einer Taskforce „Ländliche Entwicklung“seit Mitte Oktober letzten Jahres diesen Weg begleitet,Herr Dr. Raabe.
Beim Besuch des FAO-Generalsekretärs Graziano daSilva hat der Minister übrigens ein neues Zehn-Punkte-Programm für ländliche Entwicklung und Ernährungssi-cherung angekündigt; das ist uns auch heute Morgen zurKenntnis gebracht worden. Es ist hilfreich, wenn wir alsAbgeordnete des Parlaments die Dinge in derselbenRichtung gemeinsam fortentwickeln.
Ebenso hat Agrarministerin Ilse Aigner im Zusam-menhang mit der Grünen Woche diese Thematik aufge-griffen und intensiv vorangebracht. Unter der Überschrift„bhwEksrihTsrimamfeteEswsZInggdhvnWgPSg–Avbmlanvhtrh
Für die Opposition wäre es durchaus sinnvoll, dieseitiativen mitzutragen, anstatt, wie dies mein Vorredneretan hat, krampfhaft im Kleingedruckten Ablehnungs-ründe zu suchen. Auch die Bemerkung, Herr Dr. Raabe,ass man im Jahr 2008 einmal einen Antrag eingebrachtabe und dass das sozusagen ausreiche, um die Projekteon morgen zu begleiten, halte ich argumentativ füricht sonderlich überzeugend.
enn Sie es genau wissen wollen: Die Konzepte vonestern sind aus meiner Sicht nicht die richtigen, um dierobleme von morgen zu bekämpfen. Insoweit müsstenie sich bewegen und auch einmal einen Antrag vorle-en.
Ich sage Ihnen auch: Die Qualität des vorliegendenntrags ist mit Sicherheit so hervorragend, dass es sinn-oll ist, ihn zu unterstützen.
Aber ich will, weil Sie das ebenfalls aufgegriffen ha-en, darauf hinweisen, dass wir alle auch darauf achtenüssen, dass nicht Egoismen wie Nahrungsmittelspeku-tion oder Land Grabbing die lokalen Verhältnisse aus-utzen. Deswegen – meine verehrten Damen und Herrenon der Opposition, ich hoffe, Sie können sich erinnern –aben wir bereits im April vergangenen Jahres einen An-ag auf den Weg gebracht, und der Deutsche Bundestagat diesen Antrag bereits am 20. Oktober 2011 beschlos-
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Helmut Heiderich
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sen. Justament heute Morgen – das wird Ihnen sicherlichauch zugegangen sein – ist uns aus dem Haus ein Papierzugeleitet worden, das die Investitionen in Land und dasPhänomen des Land Grabbing aufgreift; das heißt, dasThema wird auch von dieser Seite mit bearbeitet.
Ich denke, auch hier hinken Sie wieder ein Stück hinterder Entwicklung her. Sie hätten sich ruhig etwas schnel-ler bewegen können. Aber uns dafür zu kritisieren, istganz und gar der falsche Ansatz.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei diesemThema kann man feststellen: Die Zeit drängt, die Faktenentwickeln sich eindeutig. Nur ein Beispiel: Als ich undeinige andere Mitglieder dieses Hauses geboren wurden,hatte jeder Mensch weltweit durchschnittlich 5 000 Qua-dratmeter Fläche für seine Ernährung zur Verfügung.Heute sind davon durchschnittlich noch 2 000 Quadrat-meter pro Kopf geblieben. Wenn Sie überlegen, dass inKürze 2 Milliarden Menschen mehr auf dieser Erde le-ben werden, dann können Sie sich alle ganz leicht selbstausrechnen, welche Bedeutung die Ernährungssicherunghat. Die FAO hat kürzlich ganz nüchtern festgestellt: Dielandwirtschaftliche Produktion muss sich weltweit um70 Prozent erhöhen. Ich denke, das ist ein Ziel und eineAufgabe, die wir auch hier ernsthaft angehen sollten.
Wir können nur gemeinsam mit unseren Partnerlän-dern Fortschritte erreichen. Wichtig sind weltweit Mo-dernisierung und Effizienzsteigerung in der Landwirt-schaft. Ich will aber auch ausdrücklich sagen: Wirwerden diese Ziele nicht erreichen, wenn wir nicht bereitsind, mit der Privatwirtschaft, mit großen Stiftungen undmit internationalen Investoren dafür Sorge zu tragen,dass wir in den unterentwickelten Ländern Wertschöp-fungsketten aufbauen, damit wir vom Kleinbauern bishin zum Supermarkt eine Finanzierungskette erhalten,damit die Landwirte vor Ort Einkommen erzielen unddie Ernte nicht zu einem großen Prozentsatz verkommt.Das ist eine weitere Aufgabe, die wir angehen müssen.Insoweit unterscheiden wir uns im Moment noch sehrvon der Opposition.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Siemich noch zwei Beispiele an das Ende meiner Ausfüh-rung stellen, weil ich sie für sehr erfolgreich halte.Das eine sind die Projekte der Afrikanischen Ent-wicklungsbank, die inzwischen sehr konkret gewordensind und die auch vor Ort fokussiert sind. Ich will nur eineinzelnes Projekt herausnehmen: das sogenannte CAIIP-III-Projekt. Hierbei geht es besonders um die Verbesse-rung der Infrastruktur und darum, in ländlichen GebietenMarktplätze aufzubauen, damit die Produkte vor Ort ver-kauft werden können.ddSswkSsdBsraJme3dHgmHfüTdwuDwsddRgwihdbwsKs
SPD und Grüne haben heute ebenfalls Anträge zu die-em wichtigen Thema vorgelegt. Wir finden ihre For-
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Niema Movassat
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derungen nicht weitreichend genug, um Spekulationeneffektiv zu begegnen, auch wenn viele wichtige Punktein ihren Anträgen enthalten sind. So fehlt beispielsweisedie Forderung nach einer Transaktionsteuer im Kampfgegen Nahrungsmittelspekulationen. Auch die Koalitionweist in ihrem Antrag darauf hin, dass Land Grabbingund Nahrungsmittelspekulation die Ernährungssituationim Süden gefährden. Aber dann lassen Sie Ihren Wortendoch endlich einmal Taten folgen! Denn bisher tut dieseRegierung nichts gegen Nahrungsmittelspekulationen.Sie legt keine Gesetzentwürfe vor, schafft keine Restrik-tionen, nicht einmal für Transparenz sorgt sie. So bleibendie schmutzigen Geschäfte weiter geheim. Da sind selbstdie USA mit einem Transparenzgesetz weiter.Hierzulande ist die Deutsche Bank massiv in das Ge-schäft mit dem Hunger verstrickt. Sie ist einer derHauptprofiteure der Spekulation mit Nahrungsmitteln.Sie gehört zu den Top Ten im globalen Rohstoffinvest-mentbusiness. Sie ist im Agrarbereich mit Investitionenvon fast 5 Milliarden US-Dollar weltweit die Nummereins. Das ist ein Rekord der Schande. Das stört dieseBundesregierung nicht. Sie arbeitet prima mit der Deut-schen Bank zusammen. So ist die Deutsche Bank mit20 Millionen Euro Hauptinvestor des neuen Afrika-Fonds zur Förderung von Handel und Landwirtschaft inAfrika, gemeinsam mit Herrn Niebels Entwicklungsmi-nisterium und der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Sie istfür das Management dieses Fonds zuständig, und zwarmit einer klaren risikoorientierten Gewinnerwartung.Diese laut Bundesminister Niebel „neue deutsche Ent-wicklungspolitik“ hört sich angesichts der Verstrickun-gen der Deutschen Bank in den Bereichen Land Grab-bing und Nahrungsmittelspekulation wie ein schlechterKrimi an.
In Anbetracht der Hungerbilder aus Ostafrika oderder Hungerwarnungen aus Westafrika ist klar: Die neuedeutsche Entwicklungspolitik muss umgehend beendetwerden.
Notwendig ist eine Entwicklungspolitik, die den Fokusauf die Entwicklung ländlicher Räume gemäß den Be-dürfnissen der lokalen Bevölkerung legt und nicht aufdie Interessen deutscher Konzerne. Notwendig ist eineEntwicklungspolitik, die keine gemeinsame Sache mitder Deutschen Bank macht. Stattdessen muss der Preis-treiberei durch die Nahrungsmittelzockerei der Kampfangesagt werden.Danke für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Kollege Niema Movassat. – Jetzt für dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen Kollege FriedrichOstendorff. Bitte schön, Kollege Ostendorff.NwCsresWwHdAEZRtisseinAdwgdEpdWsAdwWcF
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Icheiß nicht, Kolleginnen und Kollegen von der CDU/SU und der FDP, ob Sie angesichts der Günstlingswirt-chaft von Minister Niebel vorhaben, Ihren Antrag auf-chtzuerhalten, oder ob Sie nicht erst einmal die Pas-agen zur guten Regierungsführung schwärzen wollen.
ir hätten dafür volles Verständnis.Aber nicht nur mit dieser peinlichen und möglicher-eise rechtswidrigen Vetternversorgungswirtschaft vonerrn Niebel katapultieren Sie sich und Deutschland ausem Konsens der internationalen Gemeinschaft heraus.uch Ihr Grundverständnis von landwirtschaftlicherntwicklung ist rückständig und nicht auf der Höhe dereit. Sie preisen in Ihrem Antrag das Prinzip der grünenevolution. Was ist denn das Prinzip der grünen Revolu-on? Es war der Export der energie- und kapitalinten-iven, inputbasierten und chemiegestützten Landwirt-chaft. Dieses Modell der Landwirtschaft besteht ininer völligen Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen,sbesondere für die Herstellung von Mineraldünger undgrarchemie. Dieses Modell ist mitverantwortlich füren erheblichen Beitrag der Landwirtschaft zum Klima-andel. Dieses Modell ist mitverantwortlich für die De-radation landwirtschaftlicher Böden und für die Ver-rängung von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in denntwicklungsländern.
Kollege Heiderich bezog sich auf das FAO-Strategie-apier „Save and grow“. Leider hat er es nicht vollstän-ig gelesen. Weiter heißt es darin, Herr Heiderich:Das derzeitige Paradigma der intensiven Pflanzen-produktion wird den Herausforderungen des neuenJahrtausends nicht gerecht.ie wahr!
In dem aktuellen Papier zur Niedrigenergielandwirt-chaft schreibt die FAO:Die internationale Gemeinschaft ist zunehmend be-sorgt über die große Abhängigkeit der weltweitenLebensmittelproduktion von fossilen Brennstoffen.uch das begrüßen wir.Meine Damen und Herren von der Koalition, Ihr Mo-ell ist überholt und wird auch nicht durch noch so vielarme Prosa besser.
enn es Ihnen ernst ist mit Ernährungssicherheit, ländli-her Entwicklung, Kleinbauernförderung, aber auchrauen in verantwortlichen Positionen in der Landwirt-
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Friedrich Ostendorff
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schaft, warum unterzeichnen Sie dann nicht einfach end-lich den Weltagrarbericht?
Darin steht das doch alles sehr viel schlüssiger als in Ih-rem Antrag.Aber Sie verfolgen eben nicht das Modell der400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die andem Weltagrarbericht mitgearbeitet haben, sondern Siewollen die zweite grüne Revolution. Da steht die Agro-gentechnik natürlich ganz vorn. Das ist so, auch wennSie, Herr Heiderich, sich nicht trauen, das in Ihrem An-trag so explizit zu benennen. Um Agrogentechnik gehtes Ihnen doch und um sonst nichts.Ich denke, wir können die wohlfeilen Worte Ihres An-trages getrost beiseitelegen und uns dem zuwenden, wasauch Sie erwähnten, Herr Heiderich: einem gestern er-schienenen, weit aussagekräftigeren Dokument. Es istein offenes Geheimnis, dass im BMELV nicht FrauAigner, sondern der Deutsche Bauernverband regiert.
Es bedurfte aber erst der Dreistigkeit von MinisterNiebel, gemeinsam mit der Agrarlobby eine Presseerklä-rung zu verfassen und zu zeigen, dass man in der Koali-tion nicht einmal mehr versucht, den Anschein einer in-dustrieunabhängigen Politik zu erwecken.Diese Kooperation zeigt doch nur einmal mehr, wo-hin die Reise gehen soll: Das industrielle Agrarmodell,das uns in Deutschland Massentierhaltung und Agrar-wüsten beschert hat, soll exportiert werden.
Bisher galt dies zum Beispiel für überschüssige Hühn-chenteile aus deutscher Massentierhaltung. Jetzt soll esgleich das ganze System sein, das Sie exportieren wol-len.Meine Damen und Herren, was wir brauchen, istkeine technologische, sondern eine ökologische Intensi-vierung.
Wir müssen endlich die Wende hin zu einer sonnenba-sierten, bäuerlichen Landwirtschaft schaffen. Wir brau-chen die Agrarwende, und zwar weltweit.
Nächster Redner in unserer Debatte ist für die Frak-
tion der FDP unser Kollege Dr. Edmund Geisen. Bitte
schön, Kollege Dr. Geisen.
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Herr Raabe und Herr Ostendorff, im Hinblick auf das,as Sie in diesem Zusammenhang über die Personiebel und sein Ministerium gesagt haben, kann ich Ih-en nur vorschlagen: Lassen Sie in allen deutscheninisterien, auch in den Länderministerien, einmal fest-tellen, wie viele Mitglieder Ihrer Parteien, Ihrer Farbeort tätig sind. Da werden Sie sich wundern.
Ich kenne mich auch aus.Die Agrarminister aus über 60 Staaten der Welt habenich hier in Berlin zur Grünen Woche getroffen. Sie alleehen in der Landwirtschaft das zentrale Element der Er-ährungssicherung und der Armutsbekämpfung. Das istnumstritten.Meine Damen und Herren, welchen Beitrag könnenir Agrarpolitiker also leisten? Die FDP-Fraktion hat
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Dr. Edmund Peter Geisen
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hierzu letzten Sommer ein umfangreiches Positionspa-pier vorgelegt. Wir sind, kurz gefasst, überzeugt davon,dass der Bauer vor Ort im Fokus der Bemühungen ste-hen muss. Seine Besitz- und Nutzungsrechte, seine Be-triebsmittel und sein Know-how gilt es zu stärken.
Dabei können wir mit unserem Wissen unterstützendtätig werden. Insbesondere in Afrika können die beste-henden Reserven schon durch eine produktivere Land-wirtschaft vervierfacht werden. Beispiele wurden bereitsgenannt. Das Ertragspotenzial von Äthiopien und Sim-babwe etwa reicht aus, um den gesamten Kontinent zuversorgen.
Gleichzeitig dürfen wir die Märkte natürlich nicht mitBilligwaren überschwemmen; das ist richtig. Deshalbfreuen wir uns auch, dass sich Ministerin Aigner unsererFDP-Forderung angeschlossen hat, die EU-Exporterstat-tungen komplett und bedingungslos zu streichen.
Verehrter Herr Raabe, die EU-Zuckermarktordnungstört die Drittlandsmärkte zurzeit überhaupt nicht. Es be-steht vielmehr schon das Problem, dass wir in Deutsch-land, in Polen und den anderen europäischen Ländernmittlerweile einen großen Zuckermangel haben.Meine Damen und Herren, es kann also nicht das Zielsein, ganz ohne Märkte und ganz ohne Warenbörsen aus-kommen zu wollen. Gerade das hat in der Vergangenheitdoch die Entwicklung hin zum Besseren verhindert.Unsere Devise lautet: Klare Rahmenbedingungen undmehr Transparenz sowie heimische Märkte mit einemZugang zu den internationalen Märkten.Ich danke Ihnen.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-wicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSUund FDP mit dem Titel „Ländliche Entwicklung und Er-nährungssicherheit weltweit verbessern“. Der Ausschussempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 17/8430, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSUund FDP auf Drucksache 17/7185 anzunehmen. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-lung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und derFDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, derFraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen angenommen.esDsti„WsedbB–seleskdWSSLnsd1SsdluFnd
Entschuldigung. – Sehr schön, dass Sie so aufmerksamind, liebe Kolleginnen und Kollegen, und uns hier vorinem großen Fehler bewahren.Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-hnung des Antrages der Fraktion Die Linke auf Druck-ache 17/4533 mit dem Titel „Hunger bekämpfen – Spe-ulation mit Nahrungsmitteln beenden“. Wer stimmt füriese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –er enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit dentimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und derPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Dieinke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-en angenommen.Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe ceiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antragser Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache7/5934 mit dem Titel „Mit Essen spielt man nicht –pekulation mit Agrarrohstoffen eindämmen“. Wertimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-ng ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und derDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bünd-is 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion under Fraktion Die Linke angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten UllaSchmidt , Doris Barnett, Sören Bartol,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDKultur für alle – Für einen gleichberechtigtenZugang von Menschen mit Behinderung zuKultur, Information und Kommunikation– Drucksache 17/8485 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für Tourismus
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Vizepräsidentin Petra Pau
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-gin Ulla Schmidt für die SPD-Fraktion.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Klartext reden ist etwas, was wir Politikersehr gern tun. Trotzdem wissen wir, dass wir es oft mitSachverhalten zu tun haben, die so einfach nicht zu er-klären sind. Ich weiß noch, auf wie vielen Veranstaltun-gen ich das Wort „morbiditätsorientierter Risikostruktur-ausgleich“ erklären musste.
Denn dieser Begriff spielt im Gesundheitswesen eineganz wichtige Rolle.Wenn wir heute über Barrierefreiheit im Kulturbe-reich reden, dann müssen wir uns vergewissern, dassman bei Barrierefreiheit nicht nur an Rollstuhlrampen,an die Absenkung der Bordsteine oder an die Gebärden-sprache denkt, sondern dass wir auch berücksichtigen,dass oft allein die Sprache als solche, die ein zentralerBestandteil der kulturellen Teilhabe ist, Barriere seinkann, und zwar nicht nur für Menschen, die Lern- undKonzentrationsschwierigkeiten haben. Das ist für vieleso. Deswegen haben wir als SPD-Fraktion gesagt: Dawir über Barrierefreiheit reden, da wir über den Zugangzu Kultur und Sprache reden, wollen wir einmal einenAntrag in Leichter Sprache einbringen, so wie sie Men-schen mit Behinderungen entwickelt haben, damit siewirklich teilhaben können.
Ich möchte mich beim Ältestenrat des Bundestagesbedanken, der es ermöglicht hat, dass wir heute diesenAntrag in Leichter Sprache in den Bundestag einbringenkönnen. Ich hoffe sehr, dass dies nicht ein Einzelfall seinwird.In vielen Gesprächen mit Menschen mit Behinderun-gen und ihren Verbänden im Vorfeld, während der Dis-kussion und Entwicklung unseres Antrages haben wirviel Zuspruch dafür erhalten, einen Antrag in LeichterSprache zu verfassen, aber auch zu den Inhalten, die da-rin enthalten sind.Wir alle wissen, dass die UN-Behindertenrechtskon-vention ausdrücklich darauf hinweist, dass Menschenmit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen am kul-turellen Leben teilnehmen sollen. Der Gesetzgeber solles ermöglichen, dass Menschen mit Behinderungen Zu-gang zu kulturellen Gütern haben, zu Orten der kulturel-len Darbietungen, zu Tourismusdiensten und auch zu un-seren Denkmälern und Stätten von nationaler kulturellerBVüadsbFsruogmeÖlecwdbbhgrubwrümvbRticDMeimTuwMtehsB
ffentliche Fernsehanstalten und Rundfunkanstalten sol-n verpflichtet werden, Barrierefreiheit zu verwirkli-hen. Kultur- und Medienunternehmer sollen verpflichteterden, mehr barrierefreie Zugänge zu schaffen. Außer-em wollen wir dafür sorgen, dass bei den Bildungsange-oten, auch zur Medienkompetenz, auf die Belange vonehinderten Menschen Rücksicht genommen wird; daseißt, auch diese Angebote müssen in Leichter Spracheestaltet werden. Dafür müssen Menschen mit Behinde-ngen die Unterstützung und Hilfe bekommen, die sierauchen. Das ist unser gemeinsames Ziel.
Das sind konkrete Forderungen. In allen Gesprächenurde deutlich: Die Zeit ist vorbei, in der wir uns nur da-ber unterhalten, was wir eventuell tun können. Viel-ehr ist die Zeit gekommen, im Deutschen Bundestagerbindliche Gesetze zu beschließen. Wir als Gesetzge-er sind die Einzigen, die den behinderten Menschen ihrecht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben garan-eren und durch gesetzliche Rahmenbedingungen si-herstellen können.
eshalb bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir nur einal einen solchen Antrag einbringen, reicht das geradeinmal für eine öffentliche Debatte. Gerade wir, die wir Ausschuss für Kultur und Medien sitzen und die wireilhabe am kulturellen und gesellschaftlichen Lebenmsetzen wollen, sollten uns darüber unterhalten, wieir als Deutscher Bundestag sicherstellen, dass auchenschen mit Behinderungen am politischen Geschehenilhaben können; denn auch Menschen mit geistiger Be-inderung haben ein Wahlrecht, und sie sind an politi-chen Diskussionen interessiert.Wir müssen uns überlegen, ob wir uns als Deutscherundestag selbst verpflichten, die wichtigsten Debatten
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Ulla Schmidt
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und die wichtigsten Entscheidungen – vor allem die, diebehinderte Menschen betreffen – in unseren Publikatio-nen auch immer in Leichte Sprache zu übersetzen. Dasmüssen nicht alle Publikationen sein; aber wir sollten da-mit beginnen. Darüber habe ich mit einigen Kolleginnenund Kollegen geredet, die das ebenso sehen. Ich würdemich freuen, wenn wir uns nach dieser Debatte, auch imRahmen der Beratungen in den Ausschüssen, auf Fol-gendes einigen könnten: Die Berichterstatter im Kultur-ausschuss setzen sich einmal zusammen und versuchen,über alle Fraktionen hinweg einen Weg zu einer Selbst-verpflichtung des Deutschen Bundestages zu finden,seine Publikationen so auf den Weg zu bringen, dass alleMenschen verstehen können, worüber wir eigentlich dis-kutieren.Das betrifft nicht nur geistig behinderte Menschenoder Menschen mit Lernschwächen; das gilt auch für äl-tere Bürgerinnen und Bürger oder Menschen, die aus an-deren Ländern zu uns kommen und die vielleicht geradeerst die deutsche Sprache lernen. Das wäre dann ein Ge-winn für alle.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Marco Wanderwitz für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Mehr als jeder zehnte Bürger in unserem Land muss sei-nen Alltag mit einer Behinderung oder mehreren Behin-derungen bewältigen. Jeder einzelne von den beispiels-weise über 1 Million Blinden und Sehbehinderten hatselbstverständlich das Recht auf gleichberechtigte inklu-sive Teilnahme an allen Bereichen unserer Gesellschaft.Die UN-Konvention über die Rechte der Menschenmit Behinderungen ist schon von Ihnen, Frau KolleginSchmidt, angesprochen worden. Daran müssen sich alleEntscheidungen, die wir hier im Haus, aber auch auf dennachgeordneten politischen Ebenen in unserem Landtreffen, messen lassen. Die Bundesregierung hat dazu imJuni 2011 ein umfassendes Maßnahmenpaket auf denWeg gebracht: Der Nationale Aktionsplan zur Umset-zung der UN-Behindertenrechtskonvention beinhaltetüber 200 Vorhaben, Projekte und Aktionen. Es handeltsich um ein Maßnahmenpaket, das vor allen Dingen da-rauf abzielt, bestehende Lücken zwischen dem Gesetzauf der einen Seite und der praktischen Umsetzung aufder anderen Seite zu schließen und aufzuzeigen, wo esim gesetzgeberischen Bereich Defizite gibt. Ich denke,wir sind uns alle einig, dass wir diese Lücken lieberheute als morgen schließen würden. Gleichwohl zeigenschon allein die von mir erwähnten über 200 einzelnenMaßnahmen, dass wir noch ein ganzes Stück Weg voruns haben.sn–NLin–IhhefahcpnsDmnDewammguszKdAwsmsBjeisBez
Wir dürfen natürlich auch nicht die Augen davor ver-chließen, dass wir es bei einer ganzen Zahl dieser Maß-ahmen mit nicht unerheblichen Kosten zu tun haben.
Hören Sie zu. Dann können wir hinterher weiterreden. –ur um ein Beispiel vorab aufzugreifen: Es ist für jedenaien erkennbar, dass die Schaffung von Barrierefreiheit Gebäuden mit Ausgaben verbunden ist.
Ich will mit Ihnen keinen Dialog führen. Führen Sieren Monolog weiter; ich beabsichtige, meine Rede zualten.
Wir müssen natürlich schrittweise vorgehen, ganzinfach deshalb, weil wir uns in haushalterisch nicht ein-chen Zeiten befinden; das ist uns allen bewusst. Wiraben in der letzten Legislaturperiode die grundgesetzli-he Schuldenbremse auf den Weg gebracht, die uns ver-flichtet, ausgeglichene Haushalte in erfreulicherweiseicht mehr allzu ferner Zeit vorzulegen. Wir gehen die-en Weg Jahr für Jahr.
as heißt, dass wir schon abschichten müssen: Was kannan dieses Jahr tun, und was können wir vielleicht erstächstes Jahr tun? Denn es gibt natürlich viele wichtigeinge in unserem Land. Die Abwägung, was wir in deminen Jahr leisten können und was in dem anderen, wasir in dem einen Bereich leisten können und was in demnderen, ist unser täglich Brot; wir müssen sie vorneh-en, so schwer das manchmal auch ist.Vielleicht sollten wir uns aber auch den Dingen wid-en, die nicht in Ihrem Antrag stehen, nämlich den Din-en, die in diesem Bereich schon in den letzten Monatennd Jahren erfolgreich auf den Weg gebracht wordenind. Es ist immer die Frage, wie man das Pferd auf-äumt. Ich will nur einige Beispiele aus dem Bereich derultur nennen: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz,ie Stiftung Preußische Schlösser und Gärten sowie diekademie der Künste haben ihre Gebäude mittlerweileeitestgehend barrierefrei eingerichtet: zusätzliche Fahr-tühle, Sonderparkplätze und dergleichen mehr, im Rah-en dessen, was unter dem Gesichtspunkt des Denkmal-chutzes irgend möglich ist.Wir haben bei diesen Institutionen, bei denen derund einen gewissen Einfluss hat – mehr oder weniger, nachdem, wie groß der finanzielle Anteil des Bundest –, dafür geworben, dass das Thema Teilhabe auch imereich der Stellenausschreibungen und -besetzungenine große Rolle spielt. Ein Beispiel: Mehr als 10 Pro-ent der Mitarbeiter der Akademie der Künste sind
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Marco Wanderwitz
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)Schwerbehinderte. Es existieren verschiedene Ermäßi-gungs- und Freikartenregelungen, selbstverständlichauch für Begleitpersonen. Es gibt Sonderführungen bei-spielsweise für Sehgeschädigte und Gehörlose. Es gibtHilfsmittel wie Tastpläne sowie Führungen in Gebärden-sprache. Der Internetauftritt der angesprochenen Ein-richtung ist weitgehend barrierefrei.Ich will das Deutsche Historische Museum in Berlinansprechen. Es wurde jüngst für den uneingeschränktenZugang mit dem Signet „Berlin barrierefrei“ ausgezeich-net. Das Haus der Geschichte ist inzwischen ebenfallsweitgehend barrierefrei; es evaluiert die Barrierefreiheitdurch kontinuierliche Besucherbefragungen. Das Jüdi-sche Museum ermöglicht den barrierefreien Zutritt.Beim jüngst fertiggestellten Erweiterungsbau der Deut-schen Nationalbibliothek in Leipzig wurde besondersauf die Barrierefreiheit geachtet.Diese Liste könnte man fortsetzen. Wenn wir übersolch einen Antrag diskutieren, in dem Kritik geäußertwird und aufgezeigt wird, was noch nicht passiert ist,sollten wir uns zumindest auch den Punkten widmen, diewir schon umgesetzt haben.
Sie haben in Ihrem Antrag das Thema Filmförderungangesprochen; da schaue ich ein bisschen in Richtungder Kollegin Krüger-Leißner, die nachher noch spricht.Wir haben jetzt die Novelle des Filmförderungsgesetzesvor uns. Ich glaube, wir sind uns einig, dass wir auf das,was Sie dazu im Antrag geschrieben haben, achten müs-sen. Wir haben derzeit Förderkriterien definiert, die esmöglich machen, dass im Bereich Barrierefreiheit vielpassieren kann. Bisher ist da leider noch nicht genügendpassiert.
– „Gar nichts“ würde ich auch nicht sagen. Es gibt natür-lich Filme, die den Förderkriterien entsprechen und dieFilmförderung in Anspruch nehmen, aber es dürftengerne mehr sein. Wir werden das gemeinsam im Rahmender Novelle zum Filmförderungsgesetz beraten.Ich komme zu meinem letzten Punkt, nämlich der an-gesprochenen Barrierefreien Informationstechnik-Ver-ordnung des Bundes. Der Aktionsplan war vom Juni, dieVerordnung ist vom September, jetzt haben wir Januar.Da ist es doch naheliegend, dass sie noch nicht komplettumgesetzt ist, dass noch nicht alle Homepages und Inter-netseiten des Bundes und der entsprechenden Einrich-tungen umfasst sein können.Meine Bitte auch hier – weil es in dieselbe Richtunggeht wie bei Gebäuden –: Lassen Sie uns gemeinsamkonstatieren, dass wir eine Menge erreicht haben. LassenSie uns gemeinsam festlegen, wie wir mit den restlichenAufgaben weiterkommen. Lassen sie uns konkrete Pro-jekte durchführen, wie zum Beispiel wir, Frau KolleginFrau Krüger-Leißner, im Bereich Film. Ich hoffe zumin-dest, dass wir künftig nicht viertel- oder halbjährlich ei-nen Antrag vorgelegt bekommen, sondern dass wir eineneinmal vorgelegten Antrag in konkreten Einzelberatun-gen gemeinsam bearbeiten.mPreamfaEtiMleSdeKggb–in„fesaömwstodmtiswaaru
Gestatten Sie mir den Hinweis: Auch das Zusammen-
lten des Redemanuskripts ersetzt nicht das pünktliche
nde einer Rede.
Das Wort hat der Kollege Dr. Ilja Seifert für die Frak-
on Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kol-gen von der SPD, Sie haben einen Antrag in Leichterprache vorgelegt. À la bonne heure, meinen Respektafür, herzlichen Glückwunsch – das müssen wir allerst einmal nachmachen.
eine Frage: Das ist toll. Auch inhaltlich – das will ichleich signalisieren – werden wir in vielen Punkten mit-ehen. Es ist eine gute Sache, die Sie da vorgelegt ha-en: richtiger Weg, richtiges Ziel.Damit ein solcher Antrag aber nicht zur Folklore wird wie es einem manchmal vorkommt, wenn hier einmal der Wahlperiode der Tagesordnungspunkt zum ThemaSprache und Kultur nationaler Minderheiten“ aufgeru-n wird –, ist viel mehr zu tun. Da müssen wir bei unselbst anfangen, in meiner eigenen Fraktion, aber auch inllen anderen.Das geht damit los, dass die Plenartagungen und dieffentlichen Ausschusssitzungen des Bundestages im-er noch nicht synchron in Gebärdensprache übertragenerden. Warum steht hier kein Gebärdensprachdolmet-cher? Warum gibt es keine Schriftdolmetschung, die au-matisch mitläuft? Das wäre technisch kein Problem,as wäre alles machbar, das gehört zur Kultur des Parla-ents heutzutage eigentlich dazu.
Barrierefreie Angebote im Internet und die Publika-onen des Bundestages und aller Fraktionen – ein-chließlich meiner Fraktion – sind immer noch nicht so,ie sie sein sollen. Wir könnten schon viel weiter sein,uch wenn die entsprechende Verordnung noch nicht solt ist.Aber in vielen dieser Punkte sieht die Bundesregie-ng keinen Handlungsbedarf. Staatssekretär Fuchtel,
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Dr. Ilja Seifert
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der die Bundesregierung hier einsam vertritt, hat erst indieser Woche in der Fragestunde auf meine Frage geant-wortet: kein Handlungsbedarf.Es müssen auch Gesetze geändert werden – ich willgar nicht die erwähnen, die im SPD-Antrag enthaltensind –, zum Beispiel das Behindertengleichstellungsge-setz des Bundes. Es verpflichtet öffentliche Einrichtun-gen und Behörden zu barrierefreier Kommunikation mitGehörlosen, mit Hörgeschädigten, mit Blinden, mit Seh-geschädigten, aber nicht mit Menschen mit sogenanntergeistiger Behinderung oder mit Lernschwierigkeiten. Esgibt also gar keinen gesetzlichen Anspruch auf LeichteSprache. Wieso behauptet die Regierung, dass es keinenHandlungsbedarf gibt?Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der Siebetrifft, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD.Wir teilen nicht Ihre Feststellung, dass Sie begrüßen,dass der Fünfzehnte Rundfunkänderungsstaatsvertragvon den Ländern ratifiziert worden ist. Für die Mehrheitder Menschen mit Behinderung führt das zu einer Ge-bührenerhöhung.
– Ja, das ist einfach so. Das begrüßen wir nicht. In demPunkt sind wir ganz eindeutig unterschiedlicher Ansicht.
Es ist auch ein echtes Problem – Sie haben es ange-sprochen, Frau Schmidt –, wie wir es schaffen können,dass wir in den Rundfunkräten mehr Kompetenz in die-ser Frage haben. Gerade gestern hat die SPD in Berlindie Chance verpasst, in den RBB-Rundfunkrat einenMenschen mit Behinderung hineinzuwählen. Sie habendort doch schon zwei Vertreter. Gestern haben Sie fürHerrn Müller, der ausschied, weil er Senator wurde, wie-der einen SPD-Abgeordneten hineingewählt. Warumnicht einen Menschen mit Behinderung? Das wäre eineChance gewesen, die leider verpasst wurde.
Wir haben in Berlin auch andere Chancen verpasst;das will ich überhaupt nicht bestreiten. Das SchlossFriedrichsfelde im Tierpark ist mit Fördergeldern inHöhe von 3,5 Millionen Euro saniert worden. Hier gibtes aber eine Barriere nach der anderen; es ist nicht imGeringsten barrierefrei. Das ist auch eine Kritik, die anmeine eigene Partei geht; das will ich gar nicht bestrei-ten. Wir haben also Chancen verpasst; wir hätten längstetwas ändern können.Ich will aber noch einmal festhalten: Der Antrag wirdvon uns mit großer Sympathie diskutiert werden, vor al-len Dingen, weil wir sehen, dass Sie, liebe Kolleginnenund Kollegen von der SPD, auch lernfähig sind.
Sie kritisieren zu Recht den Nationalen Aktionsplan, derjetzt von der Regierung vorgelegt wurde. Ich erinnereaber: Als die UN-Behindertenrechtskonvention hier rati-fiziert wurde, haben Sie gemeinsam mit der CDU/CSUesh–OeKHDKMtilisutuhFwticndriSDSteslidzPinhfr
Nein, das ist kein Pessimismus, Frau Michalk, das istptimismus, dass wir vorankommen und dass auch Sieines Tages lernfähig werden. – Inzwischen haben dieolleginnen und Kollegen von der SPD ja dazugelernt.erzlichen Glückwunsch!Vielen Dank.
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Reiner
eutschmann.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenolleginnen und Kollegen! Für die FDP ist Politik fürenschen mit Behinderung durchaus Bürgerrechtspoli-k. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachtei-gt werden. So steht es auch in Art. 3 unseres Grundge-etzes. Dieser Grundsatz, meine sehr verehrten Damennd Herren, ist uns Liberalen Richtschnur und Verpflich-ng zugleich, sich für die Rechte und Bedürfnisse be-inderter Menschen in diesem Land einzusetzen.
ür die von uns gewünschte tolerante, solidarische undeltoffene Gesellschaft brauchen wir die gleichberech-gte Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftli-hen Leben.Bevor ich mich aber inhaltlich mit dem Antrag ausei-andersetze, muss ich zunächst einen großen Dank anie Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktionchten: Mit Ihrer Idee, diesen Antrag auch in Leichteprache zu übersetzen, sind Sie neue Wege gegangen.as alles sollte uns Inspiration sein. Ich beglückwünscheie zu dieser Idee.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die UN-Behinder-nrechtskonvention ist – das wurde ja bereits erwähnt –eit 2009 auch für Deutschland völkerrechtlich verbind-ch. Der Nationale Aktionsplan der Bundesregierungient dazu, diese Konvention in Deutschland umzuset-en. Unsere Fraktion begrüßt ganz ausdrücklich dieläne des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales,sbesondere die aufgezeigten Möglichkeiten zur Teil-abe am Arbeitsmarkt, zur Verbesserung der Barriere-eiheit und zur Steigerung der Mobilität.
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Reiner Deutschmann
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Ich möchte an dieser Stelle ganz ausdrücklich beto-nen, dass der Aktionsplan ein erster wichtiger Bausteinist, weitere Verbesserungen für Menschen mit Behinde-rung zu erreichen. Er ist gewiss noch nicht das Ende derFahnenstange.
Im Übrigen sollten wir dadurch nicht die Bemühungender Menschen schmälern, die sich seit Jahrzehnten fürBelange von Behinderten einsetzen und große Erfolgeerrungen haben. Nicht umsonst ist Deutschland in seinerBehindertenpolitik vielen anderen Ländern bereits weitvoraus. Dies sollten wir neben aller Kritik einmal positivzur Kenntnis nehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist auch nicht so,als ob die Koalitionsfraktionen die Hände in den Schoßgelegt hätten und nichts unternähmen. Ich erinnere gernean unseren am 1. Dezember letzten Jahres eingebrachtenAntrag mit dem Titel „Barrierefreies Filmangebot um-fassend ausweiten – Mehr Angebote für Hör- und Seh-behinderte“.
In diesem Antrag haben wir bereits einige der Punkteaufgegriffen, die auch Sie hinsichtlich der Barrierefrei-heit von Film- und Fernsehangeboten fordern. Das be-trifft unter anderem einen verstärkten Einsatz von Unter-titelung, mehr Filme mit Audiodeskription sowieAngebote mit Gebärdensprachanteil.Deswegen verweisen wir auch auf die im Rundfunk-staatsvertrag enthaltene Regelung, mehr barrierefreieAngebote zu entwickeln, und fordern unsere öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf, diese Angebote auchweiter auszubauen.
Der zu diesem Zweck eingerichtete Runde Tisch vonBMAS und BKM wird von uns ausdrücklich begrüßt.Was den Film angeht, so werden die Belange der Barriere-freiheit mit Sicherheit auch bei der nächsten Novellezum Filmförderungsgesetz eine Rolle spielen.Wir teilen die in Ihrem Antrag formulierte Forderung,die Ausbildung in Kultur- und Medieneinrichtungen desBundes für Menschen mit Behinderung noch stärker zuöffnen. Allerdings lehnen wir die Forderung ab, die Aus-schreibungen des Bundes für Produkte, Dienstleistungenund Gebäude immer an die Berücksichtigung der Barrie-refreiheit zu knüpfen.
Das Vergaberecht ist nicht geeignet, die Erfüllung be-stimmter Quoten zu erzwingen. Aspekte wie Qualität,Schnelligkeit und Wirtschaftlichkeit würden dadurch anStellenwert verlieren.ZsPsnfufübndbVruAtiAdlesF1BsdwmgkriBruNradMP„ghlea
udem wären die Existenzen kleiner und mittelständi-cher Unternehmen gefährdet, die aufgrund ihrer dünnenersonaldecke oder aus finanziellen und arbeitstechni-chen Gründen die Anforderungen der Barrierefreiheiticht erfüllen können.Mit der Verabschiedung der Verordnung zur Schaf-ng barrierefreier Informationstechnik, BITV 2.0, dier die Behörden der Bundesverwaltung gilt, sind wirereits auf einem guten Weg, für den Abbau von Hinder-issen im Netz zu sorgen. Dieses Thema hat für die Bun-esregierung einen hohen Stellenwert. Deswegen ar-eitet sie mit hoher Priorität an der Umsetzung dererordnung, sodass es hier keiner besonderen Aufforde-ng durch Ihren Antrag bedarf. Welch großer zeitlicherufwand damit verbunden sein kann, zeigt Ihre Initia-ve aber durchaus. Wir wissen ja: Die Übersetzung Ihresntrags in Leichte Sprache hat anderthalb Wochen ge-auert. Solch einen Aufwand sollten wir uns allerdingsisten.Thomas Hänsgen, Stiftungsratsvorsitzender und Ge-chäftsführer „barrierefrei kommunizieren“, sagte imachgespräch des Unterausschusses Neue Medien am9. September letzten Jahres im Zusammenhang mit derITV 2.0:Barrierefreiheit ist eine Vision. Bisher haben wir esim besten Falle mit barrierearmen Angeboten zutun.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind der Auffas-ung, dass Barrierefreiheit nur zu einem gewissen Gradurch den Gesetzgeber gewährleistet werden kann. Wasir zur wahren Vollendung der Teilhabe von Menschenit Behinderung brauchen, ist ein Umdenken in unsereresamten Gesellschaft. Wir brauchen die Aufmerksam-eit aller Menschen sowie privater und öffentlicher Ein-chtungen in diesem Land. Man muss sich mehr für dieelange und Erfordernisse von Menschen mit Behinde-ng interessieren.
ur wer hinsieht, erkennt, wo es in Museen an Rollstuhl-mpen, in U-Bahnhöfen an Fahrstühlen oder an in Blin-enschrift verfassten Schrifttafeln für sehbehinderteenschen fehlt.Mein Rotary Club in Kamenz hat seit Jahren eineartnerschaft mit der Werkstatt für behinderte MenschenSt. Michael“ im Kloster St. Marienstern. Schon auf-rund dieser persönlichen Erfahrungen ist Barrierefrei-eit für mich kein technokratischer Begriff, sondern ge-bte Menschlichkeit. Daran müssen wir alle gemeinsamrbeiten. Dafür werden wir uns auch weiterhin einsetzen.Ich danke Ihnen.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
die Kollegin Tabea Rößner.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!Der uneingeschränkte Genuss unserer Kulturschätzemuss Menschen mit Behinderungen, egal welcher Art,genauso möglich sein wie allen anderen.
Beim Film zum Beispiel scheitert dies am Angebot.Mit Audiodeskriptionen versehene Fassungen von Fil-men wie „Die Päpstin“ oder „Lippels Traum“ sind leiderAusnahmen. Sie zeigen gleichzeitig, was möglich wäre,wenn man barrierefreie Filmfassungen stärker fördernwürde. Hier hängt Deutschland hinter anderen Ländernweit zurück, was besonders unverständlich ist, wennman bedenkt, wie wenig zum Beispiel Untertitelungenim Verhältnis zum Gesamtbudget eines Films kosten. Ichfrage mich, was die Veränderungen im Zuge der letztenNovelle zum Filmförderungsgesetz tatsächlich gebrachthaben, wenn Sie, Herr Wanderwitz, selber feststellen,dass nichts passiert ist.Vor diesem Hintergrund fordern wir ein Sofortpro-gramm „Barrierefreier Film“. So könnten wir sicherstel-len, dass bei Filmen, die mit Bundesmitteln gefördertwerden, ein barrierefreies Angebot bald zu einer Selbst-verständlichkeit wird.
Die Digitalisierung schafft gerade für Menschen mit Be-einträchtigungen zahlreiche neue Teilhabechancen.Wenn digitale Angebote jedoch nicht barrierefrei sind,grenzen wir genau diese Menschen aus.Die Deutsche Digitale Bibliothek wird zukünftig ei-nen nie zuvor dagewesenen Zugang zu Kultur- und Wis-sensgütern bieten. Auch dieses Angebot muss allenMenschen offenstehen. Wir fordern daher in einem An-trag zur Deutschen Digitalen Bibliothek, schriftlicheWerke bereits bei der Digitalisierung mit einer Audio-funktion zu kombinieren, um Blinden die Teilhabe zu er-möglichen. Für hörbeeinträchtigte und gehörlose Men-schen müssen audiovisuelle Werke generell mitUntertiteln versehen werden, falls möglich auch mit Ge-bärdensprache.
Ich frage Sie von der Koalition: Warum berücksichtigenSie diese wichtigen Partizipationsmöglichkeiten fürMenschen mit Behinderungen in Ihrem Antrag zur Deut-schen Digitalen Bibliothek nicht?Alle digitalen Angebote sollten zukünftig so gestaltetwerden, dass sie sich intuitiv über verschiedene Wege er-svsSSsdbstesimliwlimrirehpDshsAgdsDnaFhLbIcGdeWd
Die BITV 2.0, die die Barrierefreiheit von Behörden-eiten regeln soll, kam drei Jahre zu spät, und sie wirdmer noch nicht umgesetzt. Wenn sie irgendwann end-ch einmal Standard sein sollte, ist sie womöglich schonieder veraltet. Unsere Nachbarländer, zum Beispiel Ita-en und Österreich, machen das ganz anders. Sie neh-en die international abgestimmten Richtlinien für bar-erefreie Inhalte direkt in ihre Gesetze auf.Als Medienpolitikerin fordere ich auch die öffentlich-chtlichen Rundfunkanstalten auf, möglichst durchge-end barrierefreie Angebote bereitzustellen. Immerhinlant die ARD ab 2013 eine konsequente Untertitelung.ie Öffentlich-Rechtlichen müssen hier mit gutem Bei-piel vorangehen, insbesondere wenn Menschen mit Be-inderungen zukünftig Rundfunkbeiträge zahlen müs-en.
ber auch private Medienunternehmen müssen ihr An-ebot gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention undem Behindertengleichstellungsgesetz barrierefrei ge-talten. Damit hat die SPD in ihrem Antrag ganz recht.as nehmen diese Medienunternehmen nicht ernst ge-ug.Wir alle – das wurde schon erwähnt – müssen unsber an die eigene Nase fassen; da nehme ich unsereraktion nicht aus. In meiner Zeit hier im Bundestagabe ich jedenfalls noch keinen Antrag gesehen, der ineichte Sprache übersetzt wurde. Ich finde es daher vor-ildlich, dass die SPD diesen Antrag so vorgelegt hat.h weiß, dass es das in Rheinland-Pfalz auch schon gab.leichzeitig finde ich es aber auch sehr schade, dass ichas herausstellen muss; denn aus meiner Sicht sollte dasine Selbstverständlichkeit sein.
ir alle sollten über Barrierefreiheit eben nicht nur re-en.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012 18749
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Das Wort hat die Kollegin Maria Michalk für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Antrag „Kultur für alle“ in Bildsprache, in LeichterSprache ist tatsächlich eine Premiere hier im DeutschenBundestag. Vor einigen Jahren hat unser KollegeBörnsen durchgesetzt, dass wir eine Debatte über alleMinderheitensprachen Deutschlands im Deutschen Bun-destag führen. Jetzt ist von der SPD-Fraktion dieser Im-puls gekommen. Das zeigt, dass der Kulturausschusssehr munter ist und die Vielfalt unseres Kulturguts Spra-che herausarbeitet. Ich finde, auch das gehört dazu.Leichte Sprache gehört zu unserem Kulturgut. Insofernein Lob am Anfang.
Eine Gruppe hervorzuheben und ihren Bedürfnissenentgegenzukommen, ist immer wieder notwendig undlegitim. Ich begrüße es, dass die SPD mit diesem AntragMenschen mit einer geistigen Behinderung entgegen-kommt. Wir alle wissen aber, dass zum Beispiel Men-schen mit einer Sehbehinderung andere Vorkehrungenbrauchen. Wer sich bei der Herstellung von Barrierefrei-heit an den Bedürfnissen einer Gruppe orientiert,schließt eventuell eine andere aus. Das müssen wir be-rücksichtigen. Immer wieder ist das richtige Maß zu fin-den. Ein ausgewogenes und einbeziehendes Agieren istdie Kunst des täglichen Lebens. Dieser Aufgabe musssich jeder stellen, innerhalb und außerhalb des Bundesta-ges. Letztlich muss der Inklusionsprozess genau so ge-staltet werden.Friedrich Hebbel, ein deutscher Dramatiker des19. Jahrhunderts, hat den Satz geprägt:Die Freude verallgemeinert, der Schmerz individu-alisiert den Menschen.Er mahnt uns damit, niemanden auszugrenzen, nicht ig-norant zu sein und damit Schmerz zuzufügen, nicht dieDefizite eines Menschen zu betrachten, sondern viel-mehr seine Kompetenzen und Fähigkeiten. Das ist dasMotto der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bei all diesenFragen.
Wir unterstützen den Nationalen Aktionsplan derBundesregierung, der den Leitgedanken hat: Menschenmit Behinderung und ihre Belange werden von Anfangan mit einbezogen. Deshalb würden wir den Titel IhresAntrages gerne ergänzen: Kultur für alle mit allen. Wirlegen großen Wert auf diese Ergänzung.
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Der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung istin Maßnahmenpaket, kein Gesetzespaket. Dass die Um-etzung dieses Maßnahmenpaketes ernst genommenird, auch durch den BKM, unseren Staatsminister fürultur und Medien, zeigt sich daran, dass alle dauerhafteförderten Einrichtungen des Bundes sofort nach Ver-bschiedung des Nationalen Aktionsplanes schriftlichit der ständigen Aufgabe betraut wurden, Art. 30 derN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Sie wur-en angemahnt, diese Herausforderung anzunehmen.Staatliches Handeln ist das eine, das Engagement vorrt und in den Einrichtungen ist das andere. Gerade ameutigen Tag will ich noch einmal das schöne Beispieler Gedenkstätte Hadamar erwähnen. Seitdem die Aus-tellungstexte in ganz verständlicher Form angebrachturden – sie wurden sehr einfach formuliert –, es eineessere Ausschilderung und für Menschen mit einerehbehinderung auch einen Aufzug gibt, der vor alleningen auch funktioniert, sind mehr als 2 000 Menschenit einer geistigen Behinderung in der Gedenkstätte ge-esen und haben sich selbst über die NS-Euthanasiever-rechen informiert und damit auseinandergesetzt. Ichnde, solche Beispiele müssen wir in der Öffentlichkeittärker wahrnehmen.
Das gemeinsame Erleben von Kunst und Kultur durchenschen mit und ohne Behinderung ist, so glaube ich,nsere gemeinsame Aufgabe. Hier haben wir keinentreit. Wir sagen allerdings: Das geht nicht per Anord-ung, sondern muss im Dialog und im ständigen Bemü-en ein Bedürfnis und eine Selbstverständlichkeit wer-en.Liebe Frau Schmidt, das, was Sie in Ihrem Antrag alsweite Forderung formulieren, dass nämlich private Kul-r- und Medienunternehmer durch verhältnismäßige Re-elungen verpflichtet werden sollen, in größerem Um-ng als bisher barrierefreie Zugänge zu ihren Angebotenu ermöglichen, funktioniert nicht.
Wir als Union sagen ganz einfach: Wer nicht erkennt,ass uns die Demografie lehrt, auf wirkliche Barriere-eiheit zu achten, der schließt Kunden aus und beraubtich selbst seines Erfolges. Auf diese Kräfte setzen wiror allen Dingen.
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18750 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012
Maria Michalk
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Wir setzen auf die Kraft der Erkenntnis und nicht aufZwang.
Deshalb will ich Ihnen auch noch einmal sagen, dassich es schön finde, dass wir hier gemahnt werden, unsgelegentlich auch einmal mit dem Behördendeutsch aus-einanderzusetzen. Nicht nur wir stolpern nämlich da-rüber. Hier gibt es durchaus die Mahnung, uns in unse-rem täglichen Politikerleben zu bemühen – das gehörtfür mich auch zum Kulturgut –, eine einfache Spracheund keine ellenlangen Sätze zu sprechen und unsere Bot-schaften in einfachen, klaren Sätzen herüberzubringen.Deswegen sage ich: Inklusion bedeutet, selbst auf an-dere zuzugehen und eigene Grenzen zu verschieben. In-klusion bezieht sich immer auf die Gemeinschaft. Inklu-sion heißt, Veränderungsprozesse können besonderskreativ sein, wenn sie so gestaltet werden, dass jeder ei-nen Vorteil davon hat. Deshalb lautet mein letzter Satz:Inklusion ist genau genommen eine Haltung. Üben wiruns also in dieser Haltung!Vielen Dank.
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Angelika
Krüger-Leißner das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Präsidentin!Eigentlich ist es sehr schade, dass bei der Premiere die-ses bisher einmaligen Antrages nur so wenige Kollegenhier sind. Aber eine Premiere ist ja der Auftakt für künf-tiges Handeln, sodass ich hier Hoffnung habe.Wir wollen Kultur für alle! Das zeigen wir durchForm und Inhalt. Im Nationalen Aktionsplan der Bun-desregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechts-konvention können wir ein ähnlich formuliertes Ziel er-kennen. Da heißt es:Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der alleMenschen mitmachen können.So die Ministerin. Ich denke, das können wir alle unter-schreiben.Wenn wir aber im Aktionsplan weiterblättern, zumBeispiel auf die Seite 107, finden wir eine Aussage, diedeutlich zeigt, dass die Bundesregierung die Handlungs-notwendigkeiten verkennt. Das ist übrigens für diesenAktionsplan symptomatisch. Da heißt es nämlich, dasFilmförderungsgesetz sei beispielhaft dafür, wie Barrie-refreiheit in allen Lebensbereichen durchgesetzt werdenkann. Ich bin richtig froh, dass Herr Wanderwitz in sei-nen Aussagen ein bisschen realistischer war. Ich sage Ih-nen: Genau das Gegenteil ist beim Filmförderungsgesetzder Fall.FsriFdtiNkdKMWsGddvdEzsaddihbTnVdhdFxteasfokhraEsW
ir wissen doch: Millionen Menschen sind auf diese be-onderen technischen Einrichtungen angewiesen, um amemeinschaftserlebnis Kino teilhaben zu können.Dieser Misserfolg lässt sich auch nicht schönreden;enn er steht ganz deutlich im Widerspruch zu Art. 30er UN-Behindertenrechtskonvention. Darin wird dieolle und wirksame Teilhabe von Menschen mit Behin-erungen am kulturellen Leben gefordert, und zwar ohneinschränkung.
Noch einmal zu den Fakten. Das FFG in seiner der-eitigen Fassung vermag es nicht, wirksame Anreize zuetzen, damit mehr seh- oder hörbehinderte Menschenm Filmerlebnis teilhaben können. Als wir das FFG vorrei Jahren so beschlossen haben, haben wir uns vonem Gedanken leiten lassen, dass auch die Filmbranchere gesellschaftliche Verantwortung gegenüber unserenehinderten Menschen wahrnimmt. Das war leider eineäuschung.In der Produktionsförderung ist vorgesehen, dass we-igstens eine Endfassung eines geförderten Films in einerersion mit deutscher Audiodeskription für Sehbehin-erte und mit deutschen Untertiteln für Hörgeschädigteergestellt wird. Allerdings ist das nur eine von acht Be-ingungen, von denen drei erfüllt werden müssen, damitördergelder fließen. Genau das ist der Haken. In der Pra-is haben nämlich die Produzenten, sicherlich aus Kos-ngründen, andere Voraussetzungen gewählt. Hier undn anderen Stellen im FFG müssen wir einfach nachbes-ern. Die Förderbedingungen sind offensichtlich zu weichrmuliert.
Die SPD-Bundestagsfraktion fordert hier eine ganzlare Regelung, die nicht mehr zu umgehen ist. Daseißt, Förderungshilfen müssen verbindlich an die Vo-ussetzung gebunden werden, dass wenigstens einendfassung mit Audiodeskription und Untertiteln herge-tellt wird.
ir fordern das auch von den Länderförderern.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012 18751
Angelika Krüger-Leißner
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Noch ein Hinweis zum Schluss. Mit der Digitalisie-rung wird die barrierefreie Ausgestaltung zukünftig nocheinfacher und kostengünstiger. Also, warum sollten wires nicht tun? Vielleicht, Herr Wanderwitz, schaffen wires sogar vor 2014, gemeinsam zu prüfen, ob wir nichtüber Übergangsregelungen, zum Beispiel über unterge-setzliche Richtlinienänderungen, einen Weg finden. Ichbin dafür. Lassen Sie uns das angehen.Danke.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/8485 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Lisa
Paus, Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Dienstwagenprivileg abbauen und Besteue-
rung CO2-effizient ausrichten
– Drucksache 17/8462 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie da-
mit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so be-
schlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Lisa Paus für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer imvergangenen Jahr einen neuen VW Passat Variant mit ei-nem Listenpreis von 30 000 Euro von seiner Firma alsDienstwagen zur Verfügung gestellt bekam, den kostetedieses Auto alles inklusive bis zu 1 500 Euro.
Wer das gleiche Fahrzeug privat angeschafft und genutzthat, der hatte im selben Zeitraum Kosten von mindestens7 500 Euro, also 6 000 Euro mehr. Diese Zahlen stam-men nicht von mir, sondern vom ADAC.
– Genau, wenn man eben nicht in den Genuss einesDienstwagens kommt. So ist es.1BdpzpnuDdAn2dDsslogFnNmaIncvenFnBduNVZ
Das sogenannte Dienstwagenprivileg ist ungerecht,nd deswegen wollen wir es ändern.
as Dienstwagenprivileg ist auch unökologisch. Aucheswegen wollen wir es ändern und haben dazu einenntrag vorgelegt. Denn der Porsche Cayenne Turbo isticht nur teuer, sondern mit einem CO2-Ausstoß von70 Gramm pro Kilometer auch eine Emissionsschleu-er.Die steuerliche Regelung für Dienstwagen ineutschland entwickelt sich auch zu einem ökonomi-chen Problem. Denn die Absatzförderung für Sprit-chleudern steht im Gegensatz nicht nur zu grünen öko-gischen Zielen, sondern auch im Gegensatz zueltenden Regeln in Europa.Mit Beginn dieses Jahres dürfen die neu zugelassenenahrzeugflotten in Stufen bis 2015 im Durchschnitt nuroch 130 Gramm pro Kilometer ausstoßen. Die deutscheeuwagenflotte ist jedoch mit 151 Gramm CO2 je Kilo-eter noch weit von diesem Zielwert entfernt. So hatuch das DIW im November 2011 empfohlen, geeignetestrumente für Anreize zur Effizienzsteigerung zu su-hen. Ich zitiere:Gerade Firmenwagen wären hier ein wichtiges undbisher mit falschen Anreizen versehenes Segment.
Wir Grünen schlagen mit dem vorliegenden Antragor, einen Klimafaktor in die bestehenden Regelungeninzuführen: Je mehr man das Klima schädigt, desto we-iger kann man steuerlich geltend machen.
ür Fahrzeuge bis 120 Gramm pro Kilometer ändert sichichts. Liegt der Verbrauch jedoch darüber, wie zumeispiel beim Passat Variant um 13 Prozent, dann kannas Unternehmen die Anschaffungs- und Betriebskostenm 13 Prozent weniger geltend machen, und die privatenutzer müssen einen 13 Prozent höheren geldwertenorteil zahlen.Um dauerhaft Effizienzanreize zu setzen, wird derielwert, also die 120 Gramm, bis 2016 in Schritten auf
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18752 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012
Lisa Paus
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80 Gramm gesenkt. Fahrzeuge unter 60 Gramm werdenvollständig von der Besteuerung befreit.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Es gibtvor allem zwei Gegenargumente. Das erste Argumentist: Es hat sich doch schon viel getan. – Das stimmt fast.Es hat sich ein bisschen was getan, aber es ist deutlich zuwenig.Die Deutsche Umwelthilfe beispielsweise hat 153 Un-ternehmen unter die Lupe genommen. Lediglich vierUnternehmen konnte sie eine Grüne Karte ausstellen,und auch nur mit gutem Willen. Die meisten Unterneh-men haben immer noch Dienstwagenflotten mit einemhöheren CO2-Ausstoß als 140 Gramm pro Kilometer.Das ist Best Practice in Deutschland. Das ist zu wenig.
Das zweite Gegenargument ist – das war damals IhrArgument, Herr Gutting; Sie haben gleich Gelegenheit,darauf einzugehen –: Das ist steuersystematisch nichtmöglich. Dazu stelle ich fest: Es geht doch. Das zeigt einBlick ins europäische Ausland. In Österreich und Frank-reich gibt es klare Grenzen für die Absetzbarkeit:40 000 Euro in Österreich und 18 700 Euro in Frank-reich.
Auch in der Schweiz dürfen Luxusdienstwagen nur teil-weise abgesetzt werden. In Belgien gibt es bereits eineStaffelung nach CO2-Ausstoß.Deswegen bitte ich Sie, sich diesmal ernsthaft mit un-serem Antrag auseinanderzusetzen. Steigen Sie mit unsin eine konstruktive Debatte ein! Ich freue mich auf dieBeratungen im Ausschuss.
Das Wort hat der Kollege Olav Gutting für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Werte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Siehatten bereits im Jahre 2008 einen fast wortgleichen An-trag eingebracht. Auch damals ging es vorrangig um dasSchüren einer Neiddebatte gegen die Nutzer und Nut-zerinnen von Firmenwagen der Mittel- und Oberklassesowie insbesondere der SUVs. Ihren heutigen Angriffverstecken Sie zusätzlich unter dem Deckmantel des Kli-maschutzes. Aber es bleibt bei einem Angriff gegen diedeutsche Automobilindustrie und die Firmenwagennut-zer.
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re Umerziehungsbestrebungen erreichen also gar nichtie entsprechenden Unternehmen.Jedem, der nur ein bisschen Gefühl für Steuerrechtat,
erursachen Ihre Vorschläge regelrecht körperlichechmerzen. Ihr Bestreben, das AfA-System ökologischuszurichten, widerspricht einfach den Grundsätzen un-eres Steuerrechts. Das würde zu einer enormen Ver-omplizierung des Steuerrechts führen. Es ist wider-innig, zwei in Anschaffungspreis und Nutzungsdauerleiche Wirtschaftsgüter nur deshalb steuerlich unter-chiedlich zu behandeln, weil das eine einen höherenraftstoffverbrauch oder einen höheren CO2-Ausstoßat.Wie wollen Sie andere Maschinen steuerlich behan-eln? Sie konzentrieren sich in Ihrem Antrag nur auf Au-s. Wollen Sie sämtliche Maschinen mit erhöhtemtrom- und Brennstoffbedarf bei der steuerlichen Ab-chreibung unterschiedlich behandeln? Wie soll es danneitergehen? Wollen Sie dann auch der Lebensmittel-dustrie verbieten, ungesunde Zutaten wie Zucker undett steuerlich abzusetzen? Sie wollen gängeln und vor-chreiben. Ich bin froh, dass es im deutschen Ertragsteu-rrecht keine Unterscheidung zwischen guten undchlechten Kosten gibt. Ich will auch nicht in einem
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012 18753
Olav Gutting
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Land leben, in dem eine kleine Minderheit entscheidet,was gute und schlechte Kosten sind.
Die Rechnung, die Sie vorhin aufgemacht haben,stimmt nicht. Die von Ihnen monierte 1-Prozent-Rege-lung betreffend die private Nutzung von Dienstfahrzeu-gen stellt kein steuerliches Privileg dar. Es handelt sichvielmehr um eine allgemein anerkannte, sachgerechteund seit vielen Jahren erfolgreiche Vereinfachungsrege-lung, die sich bewährt hat. Der Vorteil der Pkw-Gestel-lung durch den Arbeitgeber wird dem Arbeitslohn hinzu-gerechnet. Die Privatnutzung des Dienstfahrzeuges istzum persönlichen Steuersatz zu versteuern. Da gibt eskeine Subvention. Hier gilt: Wer viel verdient und einemhöheren Steuersatz unterliegt, muss auch mehr zahlen.Größere Fahrzeuge, in Ihrem Antrag despektierlichals Statussymbole bezeichnet, haben einen höheren Lis-tenpreis; das ist richtig. Dieser höhere Listenpreis wirdauch entsprechend höher besteuert.
Wer also ein größeres Auto fährt, trägt eine höhereSteuer. Wer ein größeres Auto fährt und vielleicht einenhöheren Verbrauch hat, zahlt im Übrigen auch an derTankstelle mehr.
Denn an der Tankstelle muss er die Kraftstoffpreise be-zahlen, und wir alle wissen, dass circa 70 Prozent desKraftstoffpreises heute schon aus Steuern und Abgabenbestehen.Man kann also zusammenfassen, dass die Nutzungvon Firmenfahrzeugen insbesondere der deutschen Pre-miumhersteller zu Mehreinnahmen beim Staat führt:über die Kraftstoffsteuer an der Tankstelle, über die hö-here Kfz-Steuer, bei einem höheren Listenpreis auchüber eine höhere Zurechnung bei der 1-Prozent-Rege-lung und – was wir nicht vergessen dürfen – über dieEinkommen- bzw. die Lohnsteuer vieler Hunderttausen-der Menschen, die in der deutschen Automobilindustriebeschäftigt sind.
Es ist schön, dass Sie in Ihrem Antrag konkret werdenund konkrete Beispiele nennen. Damit kann sich jederFirmenwagennutzer selbst ausrechnen, welche Mehrbe-lastung auf ihn zukommt.Sie haben vorhin ein Beispiel vorgetragen. Nehmenwir also den BMW 325 Diesel. Das ist bestimmt keinRiesenoberklassenfahrzeug. Wenn ein gut verdienenderAußendienstmitarbeiter dieses Fahrzeug nutzt, muss ernach Ihrem Vorschlag über die Gesamtnutzungsdauerungefähr 3 000 Euro mehr bezahlen.
as ist eine Stange Geld. Das wird ihm sicher nicht ge-llen. Er könnte natürlich auch Ihrem Vorschlag folgennd auf einen Toyota Prius ausweichen. Dann würde ericht mehr bezahlen. – Allerdings muss ich immer wie-er staunen. In Ihrem Antrag haben Sie dieses Fahrzeugehrmals erwähnt. Geradezu penetrant hofieren Sie die-en Fahrzeugtyp Toyota Prius.
h frage mich manchmal, ob die Grünen von Toyota be-ahlt werden. Jedenfalls ist klar, worum es Ihnen eigent-ch geht. Es geht Ihnen darum, die deutsche Automobil-dustrie zu schädigen. Dies ist ein Angriff gegen dieeutsche Automobilindustrie. Da nützt es auch nichts,ass Ihr ehemaliger Außenminister und Parteikollegeeute die Firma BMW berät.
s geht Ihnen darum, den Menschen das Autofahren zuermiesen, es geht Ihnen darum, den Individualverkehrmer weiter einzuschränken. Die über 750 000 Be-chäftigten in der deutschen Automobilindustrie sind Ih-en schlicht egal.
Kollege Gutting, gestatten Sie eine Frage oder Be-
erkung des Kollegen Gambke?
Nein, ich mache weiter. Wir wollen ja alle irgend-ann nach Hause.Verbieten und gängeln – das sind jedenfalls die Re-epte der Grünen. Das deckt sich auch mit den Äußerun-en des grünen Ministerpräsidenten Kretschmann ausaden-Württemberg. Er hat ja gerade bekannt gegeben,ass in Baden-Württemberg unter der jetzigen Regie-ng bzw. in den nächsten acht Jahren keine neuen Stra-en mehr gebaut werden. Er sagt wortwörtlich, dietraße müsse zukünftig zu einem „knappen Gut“ wer-en. Ich hoffe nur, dass sich die Menschen, wenn sie dasächste Mal im Stau stehen, an diese Aussage erinnern. Übrigen will ich Ihnen sagen: In Baden-Württembergt die Straße bereits ein knappes Gut.
Es geht noch weiter. Ich bleibe bei Baden-Württem-erg und dem Ministerpräsidenten, den ich erneut zi-ere. Er sagt: Jeder Landrat und jeder Bürgermeister undiele junge Unternehmer verlangen von der grün-rotenandesregierung immerzu die Unterstützung für neuetraßenprojekte, diese Mentalität gilt es zu knacken. –Diese Mentalität gilt es zu knacken.“ Das muss manich einmal überlegen. Alleine diese Wortwahl! Für
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18754 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012
Olav Gutting
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mich klingt das nach Ökodiktatur. Das, was hier propa-giert wird, ist Gehirnwäsche.
Wir wollen wohl alle in diesem Haus, dass unsereKinder in einer gesunden und sicheren Umwelt aufwach-sen. Das gilt gerade auch für uns in der Unionsfraktion.Wir legen großen Wert auf die Bewahrung der Schöp-fung. Aber Ihr Antrag trägt außer zu einer immensenVerkomplizierung des ohnehin schon umfangreichenSteuerrechts nichts zu diesem Ziel bei.
Er ist steuerlich systemwidrig, er ist sachfremd, und erist deswegen unnötig.Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dr. Gambke
das Wort.
Herr Gutting, Sie haben die Zwischenfrage nicht zu-
gelassen. – Sie haben einen Gegensatz zwischen der Au-
tomobilindustrie auf der einen und den Grünen auf der
anderen Seite aufgebaut.
Sie haben eine Firma genannt: die Bayerischen Moto-
ren Werke. Nun trägt es sich zu, dass diese Firma dicht
an meinem Wahlkreis sehr aktiv ist und ich auch gele-
gentlich mit den Herrschaften dort rede.
Wie stellen Sie sich zu der Aussage des führenden
Managers der Dingolfinger Fabrik, der größten Fabrik,
die BMW unterhält, der deutlich bei seinem letzten Ab-
geordnetengespräch gesagt hat, er wäre sehr dankbar,
wenn der Deutsche Bundestag die Bemühungen der
deutschen Automobilindustrie, niedrige Verbräuche und
damit niedrigere CO2-Ausstöße zu erreichen, auch durch
seine Steuergesetzgebung unterstützen würde?
Er sieht sich alleine gelassen. Diese Firma unternimmt
sehr große Bemühungen, um das Ziel zu erreichen, das
nicht nur die Grünen erreichen wollen. Dieses Ziel ist
allgemeiner Konsens. Er fordert, dass wir das mit niedri-
gen Grenzwerten verbinden.
Sie haben das Wort, Kollege Gutting.
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Erlauben Sie mir den Hinweis, dass, was Baden-ürttemberg angeht, ein Blick in den Koalitionsvertragelfen würde. Darin ist, anders als Sie hier behauptet ha-en, der Ausbau von Straßen ausdrücklich nicht ausge-chlossen. Die Problematik ist nur, dass die schwarz-elbe Vorgängerregierung den Erhalt von bestehendentraßen so sträflich vernachlässigt hat, dass es jetzt beiem begrenzten Volumen an Geldern sehr schwer ist,ittel in den Neubau zu stecken. Insofern wären ein bis-chen Fairness und Objektivität bei der Frage durchausngebracht gewesen.
Ich finde, dass die Diskussion darüber, ob wir überteuerliche Anreize eine Motivation geben können, ener-iesparendere und CO2-einsparende Autos zu entwi-keln, durchaus sinnvoll ist. Es ergibt keinen Sinn, wenn
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012 18755
Nicolette Kressl
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eine Seite eine Maßnahme als den Weg schlechthin be-zeichnet und eine andere Seite ebendiese Maßnahme alsTeufelszeug betrachtet. Die Frage, wie wir erreichenkönnen, dass ökologischere Autos produziert werden,was im Übrigen am Ende im Sinne der Verbraucherinnenund Verbraucher sein wird, muss gestellt werden. DieFrage, ob wir diese Entwicklung durch steuerliche Maß-nahmen ein Stück weit beeinflussen können, muss manaus verschiedenen Blickwinkeln betrachten.So zu tun, Frau Paus, als ginge es nur um die fettenCayenne-Dienstwagen, die privat genutzt würden, istnicht die ganze Wahrheit.
Den Forderungen in Ihrem Antrag zu entsprechen,würde auch bedeuten, Firmenwagen von kleinen undmittelständischen Unternehmen und von Handwerkernzu belasten. Die stellen aber die Mehrheit. Zu tun, als obwir hier nur über die Luxusschlitten reden würden, wirddem Problem nicht gerecht. Das halte ich für einen fal-schen Weg.
Die Frage, ob wir eine ökologische Lenkung durchAbschreibungsmöglichkeiten erreichen können, darfnicht nur aus ökologischer Sicht, sondern sie muss auchaus verfassungsrechtlicher Sicht betrachtet werden. Wirreden hier von Betriebsausgaben – übrigens ist davon inIhrem Antrag sehr wohl die Rede –; wir reden vom Net-tokostenprinzip. Das ist gerade dann wichtig, wenn esum die Belange der mittelständischen Wirtschaft geht.Dort spielt es nicht nur bei der Gewinnerzielung, son-dern vor allem beim Erarbeiten des Existenzminimumseine Rolle; man betrachte in diesem Zusammenhang bei-spielsweise Handwerker. Das Nettokostenprinzip istnicht beliebig einschränkbar; deshalb muss man es sichgenau anschauen. Das muss uns klar sein.Nächster Punkt. Auch ich möchte, dass wir die wirt-schaftliche Wirkung und die Auswirkungen auf die Ar-beitsplätze in Deutschland betrachten.Ich glaube, wir sind verpflichtet, bei der Behandlungdieses Themas alle genannten Aspekte zu berücksichti-gen.Ich will ausdrücklich sagen, dass die SPD die Mög-lichkeit der Einschränkung beim Betriebsausgabenabzugdurchaus für sinnvoll hält. Was die Vorgaben, die Sie inIhrem Antrag formuliert haben, angeht: Aus meinerSicht ist es völlig unrealistisch, den CO2-Zielwert in dervorgegebenen Zeit auf 80 Gramm pro Kilometer zu sen-ken. Ich will es einmal so formulieren: Wenn man dasKind mit dem Bade ausschüttet, dann kann man sein Zielauch insgesamt diskreditieren.Meine dringende Bitte ist, dass man bei der Behand-lung dieses Themas bezüglich des Einsatzes der Instru-mente realistisch ist und dass man nicht sagt: Das istunsere Idealvorstellung; daran orientiert sich unseresteuerpolitische Vorgabe, die für jeden gelten soll, egalwas für arbeitsmarktpolitische Auswirkungen, egal wasfür Auswirkungen auf deutsche Automobilhersteller dashtiPhEggteweeIhakteMdteingvdtrvzLkekAvcWgÜskFHdis
Ich sage ausdrücklich: Wir teilen Ihre Zielvorgabe.ir halten steuerliche Lenkungsimpulse für richtig. Wirlauben nicht, dass der beschriebene Weg richtig ist.ber die Details können wir im Ausschuss hoffentlichachverständig und weniger ideologisch miteinander dis-utieren.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Daniel Volk für die
DP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Das Ansinnen der Grünen bezüglich einer Än-erung der steuerlichen Behandlung von Firmenwagent wieder einmal ein klassisches Beispiel dafür, warum
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18756 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Januar 2012
Dr. Daniel Volk
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wir in den letzten Jahrzehnten ein immer komplizierteresSteuerrecht bekommen haben. Sie stellen ein wunderbarklingendes Ziel in den Raum – die Verringerung desCO2-Ausstoßes – und meinen, dass dieses Ziel über steu-erliche Sonderregelungen erreicht werden kann. Diesteuerlichen Sonderregelungen, die Sie allerdings vor-schlagen, bedeuten, bei Lichte betrachtet, eine solcheVerkomplizierung des Steuerrechts, dass wir sie unsnicht leisten können.Sie schlagen eine unterschiedliche steuerliche Be-handlung der Fahrzeuge – auch bei den Betriebsausga-ben – anhand von Grenzwerten des CO2-Ausstoßes vor.Bei einem CO2-Ausstoß von bis zu 120 Gramm pro Ki-lometer sollen die Kosten steuerlich absetzbar sein.Oberhalb von 120 Gramm pro Kilometer soll das dann inAbhängigkeit von einem Quotienten anders sein. Fernerschlagen Sie noch vor, die Grenzwerte jährlich zu sen-ken. Das heißt, dass die Steuerveranlagung jährlich im-mer wieder angepasst werden muss. Dies ist ganz sicherkein Beitrag zur Vereinfachung des Steuerrechts. Es istvielmehr eine Verkomplizierung, die wir, wie ich finde,den Steuerpflichtigen nicht zumuten können.
Sie sprechen von Dienstwagen. Der Ehrlichkeit hal-ber müsste man aber von Firmenwagen sprechen, alsovon allen unternehmerisch genutzten Fahrzeugen. In Ih-rem Antrag stellen Sie als Beispiele immer Pkw dar. Siesprechen zum Beispiel vom 3er BMW oder von großenPorsche-SUVs. Was Sie aber vollkommen vergessen,das sind die Firmenwagen, die zum Beispiel ein Hand-werksunternehmen braucht, etwa Transporter, um Mate-rial zum Auftragsort zu bringen, und Ähnliches. Hierzuverlieren Sie überhaupt kein Wort.An anderer Stelle Ihres Antrags heißt es aber – gera-dezu mit einem freudigen Unterton –, dass Sie bei Ein-führung Ihres Modells von Steuermehreinnahmen inHöhe von 3,5 Milliarden Euro ausgehen. Sie machen dasSteuerrecht also nicht nur komplizierter – bis hin zur Un-anwendbarkeit –, sondern Sie belasten die Steuerpflichti-gen in Deutschland auch noch zusätzlich in Höhe von3,5 Milliarden Euro. Wenn das die Antwort der Grünenauf Fragen der Steuerpolitik ist, dann haben sie sich voneiner vernünftigen Steuerpolitik komplett verabschiedet.
Ich möchte jetzt einmal versuchen, mit einer Mär auf-zuräumen: Sie tun so, als würde das deutsche Steuer-recht den einzelnen Unternehmer oder Arbeitnehmer ge-radezu provozieren, einen Spritfresser zu kaufen. Untersteuerlichen Gesichtspunkten könne man sich gar nichtsSchöneres vorstellen, als so viel Sprit wie möglich zuverbrauchen.
Ein ehrlicher Blick ins Steuerrecht zeigt aber ein an-deres Ergebnis: Mit der pauschalen Versteuerung der pri-vdFdTetizhadenUgu3dnbSdpdSsAtiDfüvsod1)
Letztlich ist das auch eine Neiddebatte, die Sie hierufmachen. Sie sprechen von großen Dienstwagen, voner Mercedes-Benz S-Klasse und dem 7er BMW. Abers ist eben auch der mittlere Angestellte, der als Beloh-ung für seine langjährige engagierte Tätigkeit für dasnternehmen seines Arbeitgebers einen Dienstwagenestellt bekommt. Das wird dann aber keine S-Klassend auch kein Porsche Cayenne sein. Das wird eher einer BMW sein, den Sie in Ihrem Antrag übrigens aus-rücklich erwähnen. Diesen Angestellten, der als Beloh-ung für sein langjähriges Engagement für seinen Ar-eitgeber einen Dienstwagen gestellt bekommt, wollenie zusätzlich bestrafen. Sie zeigen mit Ihrem Antrageshalb auch, dass Sie insgesamt leistungsfeindlich ge-rägt sind.Ihr Antrag enthält drei Punkte: Sie verkomplizierenas Steuerrecht, Sie erhöhen die Steuerbelastung, undie zeigen eine Leistungsfeindlichkeit. Das werden wiricherlich nicht unterstützen. Deshalb werden wir Ihrenntrag ablehnen.
Die Rede der Kollegin Dr. Barbara Höll aus der Frak-
on Die Linke nehmen wir zu Protokoll.1)
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 17/8462 an die in der Tagesordnung aufge-
hrten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
o beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf Mittwoch, den 8. Februar 2012, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.