Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie herzlich zu unserer 102. Plenarsitzung.Ich habe vor Eintritt in die Tagesordnung zwei Mittei-lungen über Umbesetzungen zu machen. Die Fraktionder CDU/CSU hat mitgeteilt, dass der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich aus dem Gemeinsamen Ausschuss aus-scheidet. Als seine Nachfolgerin wird die KolleginGerda Hasselfeldt vorgeschlagen.
Ich könnte mir vorstellen, dass es dazu Einverständnisgibt.
Das ist offensichtlich der Fall. Damit ist die KolleginHasselfeldt in den Gemeinsamen Ausschuss gewählt.Der Kollege Joachim Günther ist aus dem Stiftungs-rat der Bundesstiftung Baukultur ausgeschieden. DieFraktion der FDP schlägt an seiner Stelle die KolleginPetra Müller vor. Sind Sie auch damit einverstanden?
ZRedet– Wir halten den spontanen Jubel im Protokoll fest. Da-mit ist die Kollegin Müller zum Mitglied des Stiftungs-rates der Bundesstiftung Baukultur gewählt.Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun-dene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste auf-geführten Punkte zu erweitern:ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion derSPD:Gründe des Bundeswirtschaftsministers ge-gen ein Verbot von Klonfleisch
ZP 2 Beratung des Antrags der AbgeordnRöspel, Dr. Carola Reimann, Dr. ErRossmann, weiterer Abgeordneter undtion der SPD
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– zu dem Antrag der Abgeordneten NicoleMaisch, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENUnerlaubte Telefonwerbung wirksam be-kämpfen– Drucksachen 17/3041, 17/3060, 17/3587 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Patrick SensburgMarianne Schieder
Stephan ThomaeHalina WawzyniakIngrid HönlingerZP 5 Erste Beratung des von den Abgeordneten IngridHönlinger, Jerzy Montag, Volker Beck ,weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur Änderung des § 522 derZivilprozessordnung– Drucksache 17/5363 –Überweisungsvorschlag:RechtsausschussZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten RainerArnold, Dr. Hans-Peter Bartels, Dr. h. c. GernotErler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion derSPDAusgleich für Radargeschädigte der Bundes-wehr und der ehemaligen NVA voranbringen– Drucksache 17/5365 –Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss
RechtsausschussAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für GesundheitAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeHaushaltsausschussZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten AgnesMalczak, Katja Keul, Tom Koenigs, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNENUmfassende Entschädigung für Radarstrah-lenopfer der Bundeswehr und der ehemaligenNVA– Drucksache 17/5373 –Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss
RechtsausschussAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für GesundheitAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeHaushaltsausschussZP 8 Beratung des Antrags der Fraktion der SPDDeutschland im VN-Sicherheitsrat – Impulsefür Frieden und Abrüstung– Drucksache 17/4863 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
Zwsms
s zur Mitberatung überwiesen wer-en:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieVereinfachung des Austauschs von Informa-tionen und Erkenntnissen zwischen den Straf-verfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten derEuropäischen Union– Drucksache 17/5096 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Arbeit und SozialesSind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –as ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlos-en.Ich rufe nun unseren Tagesordnungspunkt 3 sowieen Zusatzpunkt 2 auf:3 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungRahmenprogramm Gesundheitsforschung derBundesregierung– Drucksache 17/4243 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
SportausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten RenéRöspel, Dr. Carola Reimann, Dr. Ernst DieterRossmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der SPDGesundheitsforschung an den Bedarfen derPatientinnen und Patienten ausrichten – Rah-
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Präsident Dr. Norbert Lammert
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menprogramm Gesundheitsforschung derBundesregierung überarbeiten– Drucksache 17/5364 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
SportausschussRechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-nächst der Bundesministerin Frau Dr. Schavan.
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-dung und Forschung:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Rahmen-programm Gesundheitsforschung der Bundesregierungist ein Schwergewicht bei den Rahmenprogrammen fürdie kommenden Jahre. Dies ist aus gutem Grund so.Denn die demografische Entwicklung in Deutschland– 2050 wird bereits jeder dritte Bürger älter als 65 sein –macht eine Konzentration auf damit verbundene Verän-derungen notwendig; diese müssen in der Gesundheits-versorgung, im Gesundheitssystem und vorausgehend inder Gesundheitsforschung vorgenommen werden. Des-halb ist das neue Rahmenprogramm für die kommendenacht Jahre von neuen Schwerpunkten, struktureller Wei-terentwicklung und Internationalisierung geprägt. Dassind die drei zentralen Merkmale des neuen Rahmenpro-gramms. Seitens des BMBF werden bis zum Jahre 2014rund 6 Milliarden Euro investiert werden.Wenn ich von Schwergewicht spreche, dann hat dasnatürlich auch mit der herausragenden Kompetenz unddem herausragenden Potenzial in der Gesundheitsfor-schung zu tun, die in unseren großen Forschungsorgani-sationen stecken. Ich denke nur an die Institute derHelmholtz-Gemeinschaft, aber auch – das ist die ent-scheidende strukturelle Weiterentwicklung – an das, wasan zahlreichen Universitätsinstituten in Deutschlandschon geleistet wird. Deshalb ist in meinen Augen diegrößte Veränderung – übrigens auch die größte Verände-rung in der Gesundheitsforschung, die es in Deutschlandbislang überhaupt gegeben hat – die Gründung von na-tionalen Gesundheitsforschungszentren. Dies ist eineneue Art der Zusammenarbeit zwischen universitärerund außeruniversitärer Forschung und führt, damit ver-bunden, zu einer größeren Nähe zu den Erkenntnissen,die in der Forschung gewonnen werden, was den Patien-ten zugutekommt. Der Grundgedanke ist: Die Erkennt-nisse müssen schneller und wirksamer zum Patienten.
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Rahmenprogramm Gesundheitsforschung an vielen Stel-len ins Gegenteil verkehrt.Erstens. Wenn Sie davon reden, dass dieses Rahmen-programm allgemein gehalten ist, dann muss ich Ihnensagen – wir haben ausdrücklich und ausführlich darüberdiskutiert –: Wir legen bewusst ein Rahmenprogrammvor, das in den nächsten acht Jahren Entwicklungenmöglich macht. Wir legen bewusst ein Programm vor,das die Richtung vorgibt, basierend auf dem, worüberwir mit dem Gesundheitsforschungsrat diskutiert haben.Wir legen Schwerpunkte fest. Jeder von Ihnen weiß,dass es einer Verwechslung von Äpfeln mit Birnengleicht, wenn man ein Rahmenprogramm mit konkretenFörderausschreibungen verwechselt.
Zweitens. Sie schreiben, die verstärkte Zusammenar-beit von Wissenschaft und Wirtschaft – es ist auch dieRede von einer Stärkung der Gesundheitswirtschaft – seidas Leitmotiv dieses Rahmenprogramms. Wir habenlange darüber diskutiert. Wenn in diesem Rahmenpro-gramm von Translation und Wissenstransfer die Rede ist– und zwar auf der Basis der Zentren, die wir in den letz-ten Jahren schon aufgebaut haben –, dann geht es ebennicht um verkaufbare Produkte, sondern es geht um neueTherapien, um neue Leitlinien für Diagnose und Thera-pie, um unmittelbare Verbesserungen für die Patienten.Nachdem wir so viel darüber diskutiert haben, lieberHerr Röspel, kann ich, wenn ich jetzt Ihren Antrag lese,nur davon ausgehen, dass Sie nicht wahrnehmen wollen,dass vieles von dem, was in dieses Rahmenprogrammaufgenommen worden ist, gerade aus den gemeinsamenDiskussionen, die wir geführt haben, resultiert. Ich findedas bedauerlich; denn der Bereich der Gesundheitsfor-schung wäre wunderbar geeignet, um auch einmal ge-meinsam die Richtung für die nächsten Jahre vorzuge-ben.
– Das ist wahr. – Ganz abgesehen davon hielte ich es,wenn die Gesundheitswirtschaft und die damit verbun-dene Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen diesesParlament und diese Bundesregierung gleichgültig las-sen würden, für eine komische Grundeinstellung.Das Leitmotiv ist klar – dabei können wir auch gutauf Entwicklungen der letzten Jahre aufbauen –: Wirwollen die Wege zum Patienten verkürzen. Wir wollen,dass das, was die Gesundheitsforschung an neuen Ansät-zen und individualisierter Medizin ermöglicht, in demgesamten System der Gesundheitsversorgung wirklichPlatz greift und wirkt. Aber wir wollen auch, dass sichdie Gesundheitswirtschaft in Deutschland gut entwi-ckeln kann,
weil sie eine Wachstumsbranche schlechthin ist, weil siegerade vor dem Hintergrund der demografischen Ent-wicklung und vor dem Hintergrund von hochqualifizier-tewkDaSBsbgdwsnVcswVhüwuGsfiMainGisnwsSHspstile9Ptäuluth
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11627
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und der Bundesregierung sozusagen mit auf den Weg ge-geben werden können, um ein Gesundheitsforschungs-programm zu erarbeiten und zu beschließen.Dieses haben wir im Oktober 2007 auf den Tisch be-kommen, und ich muss sagen: Es ist ein richtigesSchwergewicht – 120 Seiten vollgepackt mit Informatio-nen, wissenschaftlichen Arbeiten, Handlungsoptionenund Vorschlägen. Wir waren damals, als wir darüber dis-kutiert haben, sehr zufrieden damit und haben gesagt: Eswird spannend, was für ein Gesundheitsforschungspro-gramm aus den Vorschlägen der beteiligten Wissen-schaftler entstehen wird.Knapp anderthalb Jahre später haben wir nachgefragt.Im Januar 2009 bekamen wir die Antwort: Im April/Maiwird es eine Kabinettsbefassung mit dem Gesundheits-forschungsprogramm geben. Ein weiteres Jahr später, imFebruar 2010, haben wir noch einmal nachgefragt, wanndas Gesundheitsforschungsprogramm vorliegen wird. Eswurde dann eine ähnliche Antwort gegeben: Kabinetts-befassung im April/Mai.Ende 2010 flatterte eine Hochglanzbroschüre desBMBF in unsere Büros – übrigens ohne vorherige Dis-kussion; ich weiß nicht, in welchen parlamentarischenZirkeln das vorher besprochen worden ist –, auf derstand: „Rahmenprogramm Gesundheitsforschung derBundesregierung“.
Das Deckblatt ist übrigens im seit 2005 üblichen CDU-Orange gehalten. Wir waren sehr gespannt, was in die-sem Rahmenprogramm steht. Es sind 48 Seiten; es müs-sen ja auch nicht wieder 120 Seiten sein. Aber wenn manhineinschaut, dann findet man erst einmal eine ganzeReihe von Hochglanzfotos. Sehr interessant! Zieht mansie ab, bleiben von den 48 Seiten 30 Seiten Text.
Auch das ist okay.Wenn man sich diesen Text dann aber ansieht – das istalles andere als ein Schwergewicht, Frau Schavan, dasist ein wirkliches Leichtgewicht –, dann ist die Enttäu-schung sehr groß,
und zwar aus zwei Gründen. Der erste Grund ist ein in-haltlicher: Bei der Erarbeitung des Gesundheitsfor-schungsrahmenprogramms haben Sie die wissenschaft-lichen Chancen nicht genutzt;
sie finden sich im Gesundheitsforschungsprogrammnicht wieder. Sie haben die Arbeit der deutschen Wissen-schaft schlicht und einfach nicht genutzt.Der zweite Punkt, der mich fast ärgert, ist: Sie habennicht die Möglichkeit genutzt, mit dem Gesundheitsfor-schungsprogramm ein gesellschaftliches und politischesZeichen mit einer entsprechenden Dimension zu setzen.WTssnzUeweSdSgreDukmDsWwwgugbVKMhvfoVssbtrss
ie hingegen – das haben wir auch in Ihrem Redebeitragerade wieder gehört – zäumen das Pferd von der ande-n Seite auf. Für uns steht der Mensch im Mittelpunkt.ie Frage ist: Wie können wir den Menschen dienen,nd wie kann man vom Menschen her darüber nachden-en, welche Gesundheitsforschung betrieben werdenuss?
ann ergeben sich auch noch andere Fragen: Was müs-en wir machen, damit die Menschen gesund bleiben?as müssen wir in der Forschung tun, damit Krankeieder gesund werden?Vor dem Hintergrund dieser Sichtweise ergeben sichieder andere Fragen: Wie sehen die Lebensbedingun-en von Menschen aus? Wie schaffen wir Arbeitsplätzend Situationen, mit denen es gelingt, dass Menschenesund bleiben? Wie schaffen wir entsprechende Le-ensbedingungen? Welche Ernährungsforschung undersorgungsforschung betreiben wir? Wie gehen wir mitranken um?Das sind die Fragen, die sich ergeben, wenn man vomenschen her denkt, und das finden wir in dem Gesund-eitsforschungsprogramm leider nicht.Ihre Antworten sind anders. Zum Teil sind sie nichtorhanden; die Bereiche Arbeits- und Dienstleistungs-rschung gibt es nicht. Es gibt aber ein Kapitel überersorgungsforschung, Ernährungs- und Präventionsfor-chung. Wie sehen hier Ihre Antworten aus? Sie könnenich hier nicht darauf zurückziehen, dass das nur ein gro-er Überblick ist. Es muss mehr sein als nur Textbei-äge.Ich habe alles mit Spannung gelesen. Auf Seite 33chreiben Sie:Die Bedeutung der gesundheitsökonomischen For-schung hat in den vergangenen Jahren erheblich zu-genommen. Der Bedarf an fundierten wissenschaft-lichen Erkenntnissen … wird immer dringlicher.Forschung kann hierfür konsistente Entscheidungs-grundlagen schaffen.Das ist alles richtig. Jetzt warten wir auf die Vor-chläge. Was aber kommt? Nichts. Es folgt das nächste
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René Röspel
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Kapitel: „Förderung des wissenschaftlichen Nachwuch-ses“. Darin verweisen Sie darauf, dass mehr Lehrstühlefür Versorgungsforschung geschaffen werden müssen.Das ist Länderaufgabe. Wo ist die Verantwortung desBundes?Welche Vorschläge bieten Sie zur Gesundheitsfor-schung für die Menschen?
Das Programm ist eine inhaltliche Enttäuschung für uns.Sie machen keine Gesundheitsforschung, sondernKrankheitenerforschung. Das greift zu kurz.
Ich will ein aktuelles Beispiel nennen. Einige Kolle-gen haben gestern an einer Veranstaltung zur Komple-mentärmedizin teilgenommen, bei der es auch um Natur-heilkunde und alternative medizinische Verfahren ging.90 Prozent der Menschen, die auf diese Weise behandeltwerden, sind sehr zufrieden. Das spielt also gesellschaft-lich eine Rolle.In der „Roadmap Gesundheitsforschung“ von 2007wird die Komplementärmedizin im Kapitel „Krebser-krankungen“ berücksichtigt. Es wird ernsthaft vorge-schlagen, sich damit zu befassen. In dem vermeintlichenSchwergewicht Gesundheitsforschungsprogramm findetsich kein Wort dazu. Man findet nicht einmal das Wort„Behinderung“. Aber zu einem Gesundheitsforschungs-programm gehört, wie ich finde, auch Gesundheitsfor-schung für Menschen mit Behinderung.Das alles ist sehr enttäuschend. Sie hatten drei JahreZeit für das Gesundheitsforschungsprogramm, die Sienicht genutzt haben. Wir als SPD hatten drei WochenZeit, als wir erfuhren, dass die Debatte sehr schnell aufdie Tagesordnung gesetzt wird. Wir haben einen Antragerarbeitet. Er mag nicht vollständig oder auch verbesse-rungswürdig sein; aber wir sagen ausdrücklich: Wir wol-len Gesundheitsforschung, die von den Bedarfen derMenschen ausgeht.
Damit stehen wir nicht alleine. Das Institut für Qualitätund Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen sieht dasgenauso. Die Frage ist: Was hat der Patient davon? Dasgilt auch für die Forschung.Wir wollen einen Aktionsplan Präventions- und Er-nährungsforschung. Sie kündigen ihn seit Jahren an. Wirsagen: Legen Sie ihn endlich vor!Wir wollen die Stärkung der Patientenautonomie, undwir wollen die klinische Forschung stärken. Was Sieeben an bereits existierenden Maßnahmen aufgeführt ha-ben, Frau Schavan, ist doch auf eine Initiative der SPDzur Förderung nicht kommerzieller und klinischer For-schung zurückzuführen, die wir in guter Zusammenar-beit, Herr Kretschmer, gemeinsam in der Großen Koali-tion auf den Weg gebracht haben. Sonst wäre nichtspassiert.ztrEssdssAACti–indlefrvggBDFessskdsste
Wir wollen auch Gender- und Kinderaspekte einbe-iehen. Das sind nur einige Beispiele aus unserem An-ag.Sie wollen in den nächsten fünf Jahren 5,5 Milliardenuro einsetzen. Auch darauf sind wir sehr gespannt. Woind eigentlich neue Mittel? Denn Sie zählen For-chungsmittel dazu, die längst bewilligt sind. Entschei-end ist aber nicht das Geld oder die Höhe der Summe,ondern die Frage: Was nutzt letzten Endes den Men-chen? Dafür ist die Forschung da.Das Gesundheitsforschungsprogramm erfüllt diesennspruch nicht. Bedienen Sie sich gerne aus unseremntrag. Das tut den Menschen im Lande sicherlich gut.Danke schön.
Ich erteile dem Kollegen Dr. Peter Röhlinger für die
DU/CSU-Fraktion, Entschuldigung: für die FDP-Frak-
on, das Wort.
Mögliche Fraktionswechsel sollten schon subjektive
dividuelle Entscheidungen bleiben. Sie werden nicht
urch das Präsidium veranlasst. – Bitte schön, Herr Kol-
ge.
Herr Präsident, ich freue mich, dass wir in dieseröhlichen Stunde auch ein fröhliches Wort übrig haben.Ich begrüße Sie herzlich, Frau Ministerin, meine sehrerehrten Damen und Herren. Ich widme mich im Fol-enden dem von Ihnen genannten tatsächlichen Schwer-ewicht. Ich empfinde es als Veterinärmediziner undürger, der 40 Jahre lang das Gesundheitswesen derDR kennengelernt hat, auch persönlich als eine großereude, dass wir nun die Chance haben, der Spitze deruropäischen medizinischen Forschung zu zeigen: Wirind hier und wollen unseren Beitrag leisten.
Ich gehe davon aus, dass das Rahmenprogramm Ge-undheitsforschung der Bundesregierung die strategi-che Ausrichtung der medizinischen Forschung für dieommenden Jahre darstellt. Es bildet die Grundlage fürie Finanzierung medizinischer Forschung an Hoch-chulen, Universitätskliniken, außeruniversitären For-chungseinrichtungen und in Unternehmen.Die Bundesregierung ist einer der wichtigsten Ak-ure auf dem Gebiet der Gesundheitsforschung, denn
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Dr. Peter Röhlinger
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sie finanziert anteilig Wissenschaftsorganisationen wiedie Helmholtz-Gemeinschaft, die Leibniz-Gemeinschaft,die Max-Planck-Gesellschaft, die Fraunhofer-Gesell-schaft und die Deutsche Forschungsgemeinschaft.
Sie unterhält Ressortforschungseinrichtungen, und siefördert medizinische Forschungsprojekte. Daraus er-wachsen Gestaltungsmöglichkeiten. Dabei wird hoffent-lich ein Großteil dessen, was Sie, Herr Röspel, angespro-chen haben, integriert werden.
Wir haben als Parlamentarier Zeit, das zu kontrollierenund gegebenenfalls zu ergänzen.Dieses Programm setzt für die institutionelle Förde-rung und für die Projektförderung des BMBF einen ge-meinsamen Rahmen und richtet beide Förderarten neuaus. Das Ziel ist, dass Forschungsergebnisse in Zukunftschneller aus der Grundlagenforschung und der klini-schen Forschung in die medizinische Regelversorgungund damit zu den Patienten kommen. Dieser Prozess, derin der Vergangenheit manchmal Jahrzehnte gedauert hat,soll durch neue Strukturen und neue Formen der Zusam-menarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-lern beschleunigt werden. Dafür sind – die Zahlen habenwir zum Teil schon gehört – für das Jahr 2011 insgesamtmehr als 1 Milliarde Euro in den Haushalt eingestellt, fürden Zeitraum 2011 bis 2014 über 5,5 Milliarden Euro.
Die Laufzeit ist auf acht Jahre angelegt. Auf der Veran-staltung, die wir gestern gemeinsam besucht haben, hatteich den Eindruck, dass wir überfraktionell, gerade wasdie Komplementärmedizin angeht, durchaus überein-stimmende Ansichten haben.Die Tatsache, dass die Laufzeit auf acht Jahre ange-legt ist, gibt uns die Möglichkeit, nicht im Raster vonvier Jahren denken zu müssen, sondern in längeren Zeit-räumen. Das sind wir den Bürgern schuldig, und dieserZeithorizont macht uns Abgeordneten Hoffnung, in dennächsten Jahren etwas mehr Kraft zu investieren.
Die Patienten stehen – so geht es aus dem Text her-vor – im Mittelpunkt. Partner der Regierung sind in ers-ter Linie die Forschungseinrichtungen. Aber wir habenauch – darin unterscheiden wir uns vielleicht, HerrRöspel – ein ungestörtes Verhältnis zu den Unternehmenals Partner bei der Lösung außerordentlich komplizierterVorhaben. Im Rahmenprogramm Gesundheitsforschungsind sechs Aktionsfelder definiert. Ich möchte an dieserStelle nur auf einige eingehen, die mir besonders interes-sant erscheinen.Zunächst geht es um die Erforschung von Volks-krankheiten. Diese Forschung wird gebündelt. Es wer-den sechs deutsche Zentren der Gesundheitsforschunggegründet. Diese Zentren sind so aufgestellt, dass einenehmggsHdmDgkhsVKLsmSdwnedSradlumdmwADdTBoOAfoteedvD
ier weitere Zentren werden eingerichtet, zu Herz-reislauf-Erkrankungen, zu Krebs, zu Infektions- und zuungenkrankheiten. Hier werden sicherlich – darüberind wir uns alle einig – die Kliniken und Einrichtungenit großem Interesse dabei sein. Sie werden sich fragen:ind wir dabei, oder gehören wir zu den Einrichtungen,ie aus diesen oder jenen Gründen nicht einbezogenerden? – Da können wir uns auf schwierige Diskussio-en gefasst machen. Frau Ministerin, Sie plädierten fürine gute Zusammenarbeit mit den Ländern. Ich sehe daurchaus Spannungsfelder. Aber auch dafür sind wir da.onst würden das andere schon längst gemacht haben.Beim Aktionsfeld 2 geht es um die Forschungshe-usforderung. Das Stichwort heißt individualisierte Me-izin. Dieses Aktionsfeld ist der ganzheitlichen Behand-ng gewidmet; denn durch die großen Fortschritte deredizinischen Forschung in den vergangenen Jahren istas Verständnis der grundlegenden Krankheitsmechanis-en inzwischen stark gewachsen. Dabei ist deutlich ge-orden, dass individuelle Unterschiede, zum Beispiellter, Geschlecht, sozialer Hintergrund und genetischeisposition, eine große Rolle spielen. Die Erforschungieser Aspekte muss forciert werden, um Diagnose undherapie künftig stärker als heute auch auf individuelleedürfnisse und Voraussetzungen einzelner Menschender einzelner Gruppen von Menschen auszurichten.Mir sagen die Chefs in Heidelberg und an anderenrten: Wenn die Patienten künftig mit ihrem Chip zumrzt oder in die Klinik kommen und eine Fülle von In-rmationen mitbringen, dann kann der Mediziner Kos-n auf dem einen oder anderen Gebiet vermeiden, weilr sehr speziell reagieren und auf die Anwendung voniesem oder jenem Diagnostikum oder Therapeutikumerzichten kann.
Die Bundesregierung unterstützt die Entwicklung voniagnostika und Therapeutika und spannt in der Förde-
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Dr. Peter Röhlinger
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rung den Bogen entlang des Innovationsprozesses vonder lebenswissenschaftlichen Grundlagenforschung überdie präklinische und klinisch-patientenorientierte For-schung bis zur Marktreife. Der Übergang von einer Stufedes Innovationsprozesses zur nächsten wird erleichtert.Die Erforschung seltener Krankheiten wird ebenso be-sonders intensiv gefördert.Die Präventions- und die Ernährungsforschung lie-fern Erkenntnisse über den Einfluss von Ernährung undBewegung. Das betrifft speziell unsere Berufsgruppe;
denn die Bewegungsarmut betrifft uns alle, die wir hiersitzen.
Herr Kollege.
Man sieht, das Ministerium denkt auch an uns, ob-
wohl man sagt: Der brave Mann denkt an sich selbst zu-
letzt. – In diesem Fall haben Sie, Frau Ministerin, auch
dieses Tabu gebrochen.
Herr Kollege, wenn Sie gelegentlich an die Redezeit
dächten, würde uns das auch wieder mehr Bewegung am
Rednerpult ermöglichen.
Ich nähere mich dem Ende.
Das wollen wir nicht hoffen, aber die Redezeit geht
zu Ende, Herr Kollege Röhlinger.
Ich möchte zum Schluss auf die neuen Strukturen in
der internationalen Kooperation und auf die Zusammen-
arbeit mit dem BMZ verweisen.
Herzlichen Dank.
Ich erteile nun das Wort der Kollegin Petra Sitte für
die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sich umdie Gesundheit der Bevölkerung zu sorgen, gehört wohlzAdAMFfoNAwmdläddblisKrodwdnsdsmesIm„KdfetaroukWreinewekon
Also muss das Parlament die konkrete strukturellend finanzielle Umsetzung der angekündigten Initiativenontrollieren und mit eigenen Vorschlägen bereichern.ir erwarten von der Bundesregierung, dass sie uns be-its in den Haushaltsberatungen Auskunft darüber gibt, welchem Verhältnis die einzelnen Aktionsfelder zu-inander stehen und wie sie jeweils finanziell unterlegterden.Die Erforschung großer Volkskrankheiten ist wahrlichine Mammutaufgabe, an die sich hohe Erwartungennüpfen. Das alles ist nicht ohne verlässliche Strukturen,hne neue bundesweite Vernetzungen und Kooperatio-en zu schaffen. Also macht die Bildung von Zentren für
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11631
Dr. Petra Sitte
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Gesundheitsforschung unter dem Dach der starkenHelmholtz-Gemeinschaft durchaus Sinn. Wenn jedochdie Universitätsklinika auf Augenhöhe mitwirken sollen,dann müssen sich Bund und Länder darüber verständi-gen, wie der chronischen Unterfinanzierung der Univer-sitätsmedizin begegnet werden kann.
Ansonsten können die Klinika ihre Chance, endlich wie-der stärker in öffentlich geförderte, nicht kommerzielleForschung einzusteigen, kaum befriedigend wahrneh-men. Insofern hatten Sie in Ihrer Rede recht. Das Ganzemuss jetzt aber auch verbindlich festgehalten werden.Eine unabhängige klinische Forschung kann demWissen über Therapien entscheidende Impulse geben;das wissen wir. Mithin wird die Möglichkeit, eigene For-schungsvorhaben zu verfolgen, auch für wissenschaftli-chen Nachwuchs attraktiv. Deshalb betrachte ich es alsFortschritt, dass Nachwuchsfragen in jedem Themenge-biet des Programms eine Rolle spielen. Allerdings müs-sen Sie jetzt nachlegen und verlässliche Perspektivenkonzipieren.Gesundheitsprobleme können, wie ich schon ein-gangs gesagt habe, nicht mehr nationalstaatlich gelöstwerden; sie tragen globalen Charakter. Wer heute meint,dass die wohlhabenden Staaten von den Krankheiten dersogenannten armen Länder verschont bleiben, verkenntden Ernst der Lage. Die Linke sagt: Wir tragen eine hoheVerantwortung dafür, dass Krankheiten, die mit Armuteinhergehen, wie HIV, Malaria, Tbc oder tropischeKrankheiten, ausgerottet werden können.
Die Pharmaindustrie ihrerseits ignoriert nämlich er-fahrungsgemäß die dramatischen Folgen, weil in den ar-men Ländern auf sie keine kaufkräftigen Kunden war-ten. Es ist eine Bankrotterklärung der reichen Staaten,dass die Millenniumsziele der Vereinten Nationen nichterreicht worden sind.Nicht genug damit, dass so viele Menschen wie niehungern, nämlich über 1 Milliarde: Nein, sie sind infol-gedessen auch noch dramatisch geschwächt und fastwehrlos gegen Krankheiten. So stehen wir weltweit vorverschärften armutsbedingten medizinischen Großpro-blemen und damit einhergehenden gesellschaftlichenKonflikten. Krasses Beispiel etwa sind multiresistenteTuberkulosekeime, die sich in den Staaten der ehemaligenSowjetunion entwickelt haben und die sich nunmehr überganz Europa ausbreiten.Deutschland bezeichnet sich immer wieder gern als„Apotheke der Welt“. Angesichts dessen, was ich geradegesagt habe, kann ich nur feststellen: Dieser Satz istfalsch. Wenn überhaupt, dann sind wir Apotheke höchs-tens für den reicheren Teil der Welt. Unter den Förderna-tionen findet sich Deutschland als eines der reichstenLänder nämlich nur auf Platz 20. Das ist völlig inakzep-tabel!
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Die Bedeutung der Präventionsforschung wird beson-ers durch den demografischen Wandel unterstrichen.ir müssen junge Menschen vor Erkrankung schützen,ir müssen ältere Menschen länger gesund und aktiv er-alten. Ein wichtiges Thema für die Präventionsfor-chung ist aber auch die soziale Spaltung im Präven-onsbereich. Prävention darf nicht nur die gebildeteittelschicht erreichen, sondern sie muss auch Kinderus armen Familien und Menschen, für die gesunde Er-ährung nicht alltäglich ist, erreichen.
eswegen muss die interdisziplinäre und kooperativeräventionsforschung ganz besonders verstärkt werden.
In einer alternden Gesellschaft gibt es aber auch immerehr Menschen mit chronischen Erkrankungen, dereneid gemildert und deren Lebensqualität erhalten werdenuss. Gesundheitsforschung muss deswegen auf die Er-rschung chronischer Erkrankungen einen Schwerpunktgen. Auch die Schmerz- und die Pflegeforschung müs-en verstärkt werden. Frau Schavan, ich finde, dass in
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11632 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Krista Sager
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einem nationalen Gesundheitsforschungsprogramm diePflegewissenschaften einen sehr viel stärkeren Stellen-wert brauchen, als das in Ihrem Programm der Fall ist,
und zwar nicht nur hinsichtlich der wissenschaftlichenErkenntnisse, sondern auch, was die akademische Pro-fessionalisierung des Fachkräftepotenzials angeht.Die Stärkung der Versorgungsforschung war – geradevor dem Hintergrund begrenzter finanzieller Möglichkei-ten – für uns immer ein besonders wichtiges Anliegen.Der medizinische Fortschritt muss auch bei denen an-kommen, die es am nötigsten haben und bei denen er ammeisten bewirkt – nicht nur bei denen, die es sich leistenkönnen. Deswegen ist gerade die Stärkung der Versor-gungsforschung unter dem Gesichtspunkt von Gerechtig-keit, aber auch unter dem Gesichtspunkt von Qualität undEffizienz für uns Grüne ein ganz besonderes Anliegen.Männer und Frauen werden in unserem System unter-schiedlich unterversorgt und überversorgt. Man musssich da nur die Herzkrankheiten und die psychischenKrankheiten anschauen. Zum Teil kommen Medika-mente auf den Markt, die nur an männlichen Probandengetestet worden sind. Deswegen muss die Bundesregie-rung dafür sorgen, dass genderspezifische Aspekte in dieGesundheitsforschung systematischer integriert werden,als das in der Vergangenheit der Fall war.
Wir begrüßen – auch Frau Sitte hat das angespro-chen –, dass die Bundesregierung jetzt mehr gegen ar-mutsbedingte Krankheiten tun will. Das ist in der Tatnicht nur ein Thema, das Solidarität und globale Verant-wortung betrifft, es hat auch etwas mit Selbstschutz zutun. Resistente Formen der Tuberkulose können auchganz schnell bei uns ankommen.Bei den geförderten Produktentwicklungspartnerschaf-ten muss jetzt dafür gesorgt werden, dass die Kriterien fürLizenzierung und Erfolg transparent entwickelt werden.Unsere Entwicklungspolitiker werden ganz besondersdarauf achten, dass dabei in Zukunft in Zusammenarbeitmit den NGOs Fortschritte erzielt werden.
Der größte Teil der Mittel aus diesem Rahmenpro-gramm geht in die Deutschen Zentren der Gesundheits-forschung. Ich sage ausdrücklich: Fokussierung auf diegroßen Volkskrankheiten und Bündelung von Kräftenund Ressourcen zur Erforschung der großen Volkskrank-heiten finden wir im Prinzip richtig. Zur Erreichung desZiels der schnelleren Translation, also der schnellerenÜberführung der medizinischen Forschungsergebnissein die klinische Praxis bzw. in die Patientenbehandlung,müssen aber eigentlich die Universitätskliniken ins Zen-trum gerückt werden. Warum? Die medizinische For-schung braucht unbedingt die Nähe zu den Patientinnenund Patienten. Sie braucht die Nähe zur klinischen Er-fawdgsFmHgshktedzwsWMkddssÄUzjek„nDsnauvvedHEGGD
Der Kollege Michael Kretschmer erhält als Nächster
as Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Über 5,5 Milliarden Euro, nahezu 6 Milliardenuro, wird der Bund zwischen 2011 und 2014 für dieesundheitsforschung ausgeben. Über nicht wenigereld sprechen wir heute. Das ist ein gewaltiger Kraftakt.as macht klar, welche Bedeutung wir der Medizin und
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11633
Michael Kretschmer
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der Gesundheitsforschung beimessen. Es ist nicht weni-ger als knapp die Hälfte des Geldes, das das Bundes-ministerium für Bildung und Forschung jährlich als Etatzur Verfügung hat. Es ist ein gewaltiger Kraftakt und,wie ich finde, ein deutliches Zeichen in die richtigeRichtung.
Es reicht in diesem Zusammenhang nicht, über Geldzu sprechen; wir müssen auch über Strukturen und überQualität sprechen. Ganz wichtig ist, auch im Hinblickauf das 8. Forschungsrahmenprogramm und andere Dis-kussionen, die derzeit laufen: In der Forschung muss eszuallererst um Exzellenz gehen. Es ist alles nichts ohneExzellenz.
Diese Erkenntnis hatte vor Jahren auch schon eine an-dere Bundesforschungsministerin. Sie hatte festgestellt,dass Deutschland bei der klinischen Forschung weit zu-rück lag, und deswegen versucht, mit Zentren für klini-sche Studien und ähnlichen Dingen die Qualität zu he-ben. Vieles davon ist gut gelungen. Deswegen empfindeich nicht alle Reden, die wir heute gehört haben, als ziel-führend. Wir können nämlich gemeinsam auf das stolzsein, was wir auf den Weg gebracht haben.Wir haben heute gehört, das Programm sei zu nahe ander Umsetzung, zu nahe an den Unternehmen, die späterdie Medikamente herstellen. Das ist erstens falsch, undzweitens widerspricht der Vorwurf dem, was die SPD,als sie in der Regierung war, einmal selber mit vorange-trieben hat.
Translation ist ein ganz zentrales Thema in der Ge-sundheitsforschung. Was nutzt es uns, wenn wir im La-bor, im Forschungsinstitut die größten Dinge erforschenund Fortschritte erzielen, wenn die Ergebnisse nicht um-gesetzt werden, nicht zum Patienten kommen? Es istrichtig, so wie es hier angelegt ist: Translation, also dieÜberführung des Wissens in die klinische Anwendung,muss zentrales Thema eines jeden Gesundheitsfor-schungsprogramms sein.
Wenn Sie die Menschen fragen, was Allensbach undandere Forschungseinrichtungen ab und an machen, wassie sich von der Forschung am meisten wünschen undwas die wichtigsten Themen sind, dann wird das ThemaGesundheit genannt. Der Grund ist ihre Sorge um dieschweren Krankheiten Demenz oder Krebs. Deswegenglaube ich, dass wir mit diesem Programm vollkommenrichtig liegen. Die großen Volkskrankheiten und die Seu-chen der Gegenwart gehen wir an. Wir versuchen, diesin Zusammenarbeit mit den Deutschen Zentren der Ge-sundheitsforschung mit einer neuen Struktur zu bewälti-gen.Dabei hat das Parlament einen deutlichen eigenenAkzent gesetzt, indem es neben den Zentren für Krebs,DEskadgdgbgPdhbÜussdmIcrebsliVvQgsZdaihmhdnErimnmphKZ
Wir haben die für Forschung und Entwicklung zurerfügung stehenden Mittel deutlich erhöht. Wir habenersucht, mit den Zentren für klinische Forschung dieualität zu erhöhen. Dies ist uns in großen Teilen gelun-en. Zuletzt haben wir in der Frage von Programmpau-chalen und der Overheadfinanzierung – es werden inukunft 20 Prozent sein – dafür gesorgt, dass diejenigen,ie wirklich gut sind und sich im Wettbewerb bewähren,m Ende keine Probleme bekommen, weil dies zulastenrer Gemeinkostenfinanzierung geht. Nein, meine Da-en und Herren, wir haben die Strukturen geändert. Wiraben dies so gemacht, dass Wettbewerb stattfindet undass am Ende wirklich die Besten erfolgreich sein kön-en, sodass es am Ende in Gänze zu einer Erhöhung vonxzellenz und Qualität kommt. Ich glaube, der Weg istchtig.
Es ist die Frage angesprochen worden, ob alle The-en richtig bearbeitet worden sind und ob man sichicht noch mehr vorstellen könnte. Man kann sich im-er mehr vorstellen. Aber auch die Mittel der Bundesre-ublik Deutschland und dieses Ministeriums, das einenohen Etat hat, sind begrenzt. Deswegen ist erstens dieonzentration auf die großen Volkskrankheiten wichtig.weitens kommen eine Missionsorientierung und eine
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11634 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Michael Kretschmer
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Methodenorientierung hinzu. Ich denke, es ist ein großerSchritt, dass wir Qualität in der Breite und Vergleichbar-keit organisieren und neben der klinischen Studie diepräklinische Phase und am Ende auch die Markteinfüh-rung mit bedenken. Das heißt, vom Menschen her zudenken. Das heißt, den Patienten in den Mittelpunkt zustellen. Ich finde die Kritik, die hier geäußert worden ist,völlig falsch. Sie ist in der Sache absolut daneben.
Der Kollege Röspel hat einen Antrag angesprochen,den wir in der vergangenen Legislaturperiode gemein-sam gefertigt haben. Ich finde, das ist ein großartigesWerk.
– Es gab eine gute Zusammenarbeit und kluge Ideen. –Vieles von dem realisieren wir jetzt, weil die frühere Ge-sundheitsministerin Ulla Schmidt die Ideen einfach nichtumgesetzt hat. Das gehört zur Wahrheit dazu.
Ich glaube, mit dem jetzigen Gesundheitsminister habenwir jemanden, der die Dinge mit uns gemeinsam voran-bringen will.
Ich finde, die Ministerin hat vollkommen recht, wennsie sagt, dieses Thema sollte zu Gemeinsamkeit führen.Wir sollten gemeinsam für die Gesundheit in diesemLand arbeiten. Die Menschen haben so große Hoffnun-gen, und wir können in diesem Bereich wirklich so vielgemeinsam bewegen: Lassen Sie uns nicht über Kleinig-keiten reden und parteitaktisch das Ganze betrachten,sondern stellen wir den Menschen in den Mittelpunktund tun wir etwas für die Gesundheit in diesem Land!
Wir haben gemeinsam die Möglichkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Carola
Reimann für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Wohl kaum ein Bereich ist so komplex und solchstarken Veränderungen unterworfen wie unser Gesund-heitssystem. Die aus dem demografischen Wandel, derhier schon angesprochen worden ist, resultierende Not-wendigkeit der Versorgung älterer und multimorbiderPatientinnen und Patienten erfordert fortlaufend Anpas-sungen und in vielen Bereichen auch mutige Struktur-reformen.zgmutiDKVBgvkfewPvgsvlasgstusWÜPtäIhugkFpstiAfiasdÖao
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(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender LINKEN)Die Fragen, die im Rahmenprogramm gestellt werdenmüssen, dürfen nicht lauten: „Wie können wir der phar-mazeutischen Industrie am besten helfen?“, oder: „Wiekönnen wir wissenschaftliche Erkenntnisse schnellerökonomisch verwerten?“, sondern die Fragen müssenlauten: „Was hat der Patient davon?“, und: „Wie könnenwir mit den neuen Erkenntnissen Patienten besser, um-fassender und systematischer versorgen?“. Das muss derLeitgedanke eines Gesundheitsforschungsprogrammssein.
Liebe Ministerin, wären Sie diesem Gedanken gefolgt– Sie haben heute Morgen noch einmal betont, dass Sieden Weg zum Patienten kürzer machen wollen –, dannhätten Sie sich stärker mit der Gesundheitsforschung undden eingangs gestellten Fragen befasst. Gesundheitsfor-schung und Versorgungsforschung sind enthalten, aberderen Anteil ist eigentlich marginal. Die gegenwärtigeGesundheitsforschung konzentriert sich schwerpunkt-mäßig immer noch zu sehr an medizinischen Produkten;viel zu wenig sind die Prozesse, die Behandlungskettenund die Abläufe bei der Therapie des Patienten im Blick.Dazu, wie Sie diesem Problem konkret begegnen wol-len, findet sich im Papier gar nichts.
Ebenso wenig befasst sich das Programm mit derFrage der Stärkung der Patientenautonomie in einem im-mer komplexer werdenden Gesundheitssystem. Bei ei-ner gleichzeitig älter werdenden Gesellschaft ist das eineder ganz großen Herausforderungen.
Wirtschaftsminister – Pardon! – GesundheitsministerRösler
– da hat die Berichterstattung der vergangenen Tage Wir-kung gezeigt – spricht ja gerne vom mündigen, eigenver-antwortlichen Patienten. Bislang beschränkte sich das beiSchwarz-Gelb allerdings auf finanzielle Eigenverantwor-tung in Form von Zusatzbeiträgen und Kostenerstattun-gen. Wenn Sie es mit dem mündigen Patienten wirklichernst meinen würden, dann würden sich in diesem Pro-gramm Möglichkeiten zur Stärkung der Patientenautono-mie wiederfinden. Aber auch hier leider Fehlanzeige.Eines der sechs Aktionsfelder im RahmenprogrammGesundheitsforschung befasst sich mit Präventions- undErnährungsforschung. Das ist ohne Frage zu begrüßen;denn gerade im Zusammenhang mit der demografischenEntwicklung und der Zunahme chronischer Erkrankun-gen wird die Bedeutung der Prävention weiter zuneh-men. Doch auch hier geht das Rahmenprogramm nichtüber Altbekanntes und Bewährtes hinaus.
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islang werden mit gängigen Präventionsangeboten ge-au diejenigen nicht erreicht, die wir aber vor allem er-ichen müssen. Lieber Kollege Röhlinger, damit sindicht sich schlecht ernährende und bewegungsarme Ab-eordnete gemeint,
ondern Menschen mit niedrigem Einkommen, mit nied-gem Bildungsstand und Migrationshintergrund.
ll diese Menschen haben schlechtere Gesundheitschan-en in unserem Land.Die Erforschung und Bekämpfung ungleicher Ge-undheitschancen in Deutschland gehört mit zu denrößten Herausforderungen, vor denen wir in der Ge-undheitsversorgung stehen.
uch hier schweigt die Bundesregierung; denn dazu fin-et sich nichts im Rahmenprogramm Gesundheitsfor-chung. Allein das zeigt schon, dass dieses Programmon der Versorgungsrealität weit entfernt ist und sichicht an dem Bedarf der Betroffenen orientiert. Hierüssen Sie dringend nachbessern, wenn Sie den Kampfegen ungleiche Gesundheitschancen in unserem Landirklich ernst nehmen.Das von Ihnen vorgelegte Rahmenprogramm ist einapier der schönen Worte, ein Papier des kleinsten ge-einsamen Nenners, auf den sich BMBF und BMG ge-de noch haben einigen können. Es bleibt deutlich – auchas wurde hier schon angesprochen – hinter der bereits007 vorgelegten Roadmap zurück, die wesentlich klarer,onkreter und substanzieller war. Da wurde im Zusam-enhang mit der Definition des Begriffs „Gesundheits-rschung“ sehr klar ausgeführt:Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen fürdas ärztliche Handeln nutzbar gemacht werden und– umgekehrt – Beobachtungen und Fragen aus derVersorgungspraxis in die Grundlagenforschung ein-gebracht werden.a wurde also an prominenter Stelle die Frage angespro-hen, was Gesundheitsforschung eigentlich leisten soll.as vermisse ich jetzt.Dass das, was hier jetzt vorgelegt wurde, etwas magert, müssen Sie inzwischen wohl selbst gemerkt haben.enn man sich anstatt der Hochglanzbroschüre die ent-prechende Bundestagsdrucksache ansieht, dann erkenntan, dass nach 18 Seiten schöner Worte und Situations-eschreibung darauf hingewiesen wird, dass das Pro-ramm in den kommenden Jahren natürlich ausgefüllt
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Dr. Carola Reimann
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und konkretisiert werden muss. Ja, in der Tat, hier mussnoch einiges ausgefüllt, konkretisiert und überarbeitetwerden, damit Ihr Programm der Bedeutung der Ge-sundheitsforschung und der Versorgungsrealität gerechtwird.Wenn Sie Ideen brauchen, dann empfehle ich die Lek-türe unseres Antrags.
Frau Kollegin!
Ich komme zum Schluss. – Er zeigt, welche Impulse
für eine bessere Gesundheitsforschung im Sinne der Pa-
tientinnen und Patienten gegeben werden müssen. Wir
wollen, dass das Programm die Versorgungsrealität auf-
greift und Projekte für die Versorgung entwickelt. Erst
dann ist es wirklich ein Gesundheitsforschungspro-
gramm, von dem auch Patientinnen und Patienten profi-
tieren, und nicht einfach nur ein Programm, das den Titel
tragen könnte: Grundlagenforschung in der Medizin un-
ter besonderer Berücksichtigung von Volkskrankheiten.
Danke.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentri-
büne hat der Parlamentspräsident der Hellenischen
Republik, Herr Philippos Petsalnikos, mit seiner Dele-
gation Platz genommen.
Ich begrüße Sie, Herr Präsident, herzlich im Namen
aller Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundes-
tages, von denen Sie einige bei Ihren Gesprächen gestern
bereits kennengelernt haben.
Es ist uns, Herr Präsident, eine große Freude, dass Sie
und Ihre Delegation gerade in diesen Tagen Deutschland
besuchen. Ihr offizieller Besuch in Berlin findet auf den
Tag genau 70 Jahre nach dem Einmarsch von Truppen
der damaligen deutschen Wehrmacht in Griechenland
statt, die am 6. April 1941, von Bulgarien kommend, die
griechische Grenze überschritten haben. Wir sind uns
sehr bewusst, dass die darauf folgenden vier Jahre der
deutschen Besatzung Griechenlands in Ihrem Volk tiefe
Wunden hinterlassen haben. Umso dankbarer sind wir
dafür, dass seit dieser Zeit so viele Griechen – unbescha-
det des persönlichen Leids, das sie erfahren haben –
Deutschen versöhnlich entgegengekommen sind und da-
mit die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, dass
wir die traditionell gute, enge freundschaftliche Verbin-
dung zwischen unseren Ländern haben wiederherstellen
können. Seien Sie uns ganz herzlich willkommen.
Ich will gerne hinzufügen, dass wir im Deutschen
Bundestag – übrigens auch aus eigenem Interesse – mit
besonderer Intensität, aber auch mit hohem Respekt die
beachtlichen politischen und ökonomischen Kraftan-
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auch Platz in der Versorgung. Wir brauchen empirischgesicherte Daten darüber, welche Innovationen in derDiagnose, der Therapie und in der Medizintechnik dieVersorgung der Menschen verbessern. Wir haben be-grenzte Ressourcen – das wissen wir alle –, und wir wol-len Erkenntnisse darüber gewinnen, wo eine hohe Brei-tenwirkung erzielt wird.Ein typisches Beispiel – auch das für die Kollegenvon der SPD – sind zum Beispiel die sogenannten Di-sease-Management-Programme oder die integrierte Ver-sorgung, bei denen wir bis heute nicht wissen, ob dieeinstmals damit verbundenen Hoffnungen sich wirklicherfüllt haben. Hier haben wir sehr viel Geld ausgegeben;aber nach wie vor ist die Frage nicht geklärt, ob die Pa-tienten von den in den Programmen festgelegten Quali-tätszielen wirklich profitieren. Der gute Wille allein,liebe Kolleginnen und Kollegen, reicht eben nicht. Nureine konsequente Forschung wird zeigen, ob für den Pa-tienten etwas dabei herauskommt.
Das betrifft auch das zweite Aktionsfeld des Pro-gramms, auf das ich an dieser Stelle ganz besonders Be-zug nehmen möchte: die individualisierte Medizin. Dasist ein Gebiet, welches vor allem dadurch gekennzeich-net ist, dass es zwischen großen Visionen und noch grö-ßeren Bedenken immer hin und her schwankt.Individualisierung als neues Leitbild der Medizin? –Das ist eine Frage, die uns in den nächsten Jahren immerwieder umtreiben wird, in der Forschung und in der Ge-sundheitspolitik. Sind Effektivitätssteigerungen zu er-warten, oder wird die biologisch orientierte Medizin un-bezahlbar bleiben? Wie hoch ist der tatsächliche Nutzenfür die oft schwerkranken Patienten? Schon heute kön-nen wir je nach Krankheit höchst unterschiedliche Kos-tenentwicklungen erkennen, wie etwa bei Arzneikostenfür zielgerichtete Therapien bei Brust-, Darm- oder Lun-genkrebs: einerseits horrende Kosten für individuelleProfile, andererseits Preise für Gentests und ganze Ge-nomanalysen im freien Fall.Zwischen 400 und 700 Wirkstoffe, die man zur maß-geschneiderten Therapie rechnen darf, sind inzwischenin unterschiedlichen Phasen der Entwicklung. Was aberfehlt, sind zum Beispiel standardisierte Gewebeprobenund Biobanken. Studienergebnisse sind damit oft nichtmehr reproduzierbar. Der G-BA hat zu Recht darauf ver-wiesen, dass vor einer Erstattungsfähigkeit durch dieKassen die individualisierte Medizin zuerst von der Dia-gnose bis zur Behandlung eindeutig ihren Nutzen zeigenmuss.Für uns heißt das: Das ist der treibende Grund für Ge-sundheitsforschungsprogramme. Das müssen wir absi-chern. Dafür müssen wir sorgen; denn die Menschen indiesem Lande haben einen Anspruch darauf, dass neueMethoden in der Medizin forschungsmäßig unterlegtund dann in der Praxis umgesetzt werden. Die Debatte,ob die Wirtschaft profitiert oder nicht, ist eine völlig vir-tuelle. Es geht darum, dass wir forschen, damit die Men-schen in diesem Lande in eine gesunde Zukunft gehen;inmshwndIcSteWndbFvkkzMsgahaPSlidnnswsdDnbsbVm
Die Bundesregierung scheint nicht wirklich zu glau-en, dass die alternde Gesellschaft ein Problem darstellt.ergeblich habe ich ein Aktionsfeld gesucht, in deman sich explizit mit den Folgen des demografischen
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Dr. Martina Bunge
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Wandels für die Gesundheitsforschung auseinandersetzt.Das Wort „Alter“ taucht in Ihrem Programm 7-mal auf,das Wort „Wirtschaft“ hingegen 62-mal; das wurde von-seiten der SPD auch schon angesprochen.Wohlgemerkt: Wir reden hier über das Rahmenpro-gramm für die Gesundheitsforschung für die kommen-den acht Jahre. Daher ist ein langfristiges Denken wich-tig. Folgerichtig schreiben Sie im Abspann auch, dass esjetzt darauf ankommt, „diesen Rahmen auszufüllen undweiter zu konkretisieren.“ Dort steht, dass „heute nochnicht absehbare Herausforderungen“ einzubeziehensind.Ich sage Ihnen ehrlich: Ich hätte mich gefreut, wennSie heute Bekanntes und bereits Erforschtes stärker ein-bezogen hätten. So hingegen beruht Ihr Ansatz für diePrävention auf altbackenen Konzepten. Verhaltensprä-vention ist überholt. Wenn Minister Rösler das nicht mit-bekommen hat, obwohl dies schon seit vielen Jahren be-kannt ist – als die Ergebnisse veröffentlicht wurden, warer noch in der Grundschule –, ist das die eine Sache.Aber Sie, Frau Ministerin Schavan, hätten das doch mit-bekommen müssen.
Längst wird der Paradigmenwechsel in Richtung Ver-hältnisprävention eingefordert. Frau Ministerin, Sie ge-ben den Ton an. Ich denke, im Bereich der Forschungkönnen Sie die Stoßrichtung bestimmen. Das haben wirvermisst.In Ihrem Programm ist kein einziges Wort über denZusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit und Ge-sundheit zu finden. Wir wissen, dass maßgeblich sozialeFaktoren wie Bildung, Wohn- und Arbeitsverhältnisse,Einkommen und sozialer Status den Gesundheitszu-stand, ja, sogar die Lebenserwartung beeinflussen. AlsHerausforderungen im Bereich Vorsorge nennen Sieaber nur die Präventions- und die Ernährungsforschung.Das ist zwar ein anderer Ansatz als bisher, greift unseresErachtens aber viel zu kurz.
Wir müssen erforschen, was uns gesund erhält, überwelche Ressourcen wir verfügen müssen, um gesund zubleiben. In diesem Zusammenhang spielen die sozialenFaktoren die Hauptrolle. Der Ansatz der Stärkung derRessourcen ist im Kinder- und Jugendalter und im Er-werbsalter wichtig, er ist für Menschen mit Behinderungund für Menschen im Ruhestand wichtig, also für alle.Es gibt viele wissenschaftliche Erkenntnisse. In man-chen Bereichen ist es erforderlich, endlich einmal Stu-dien in Auftrag zu geben, zum Beispiel bei der schon er-wähnten Komplementärmedizin, die Potenziale hat.Diese sind aber nicht für alle nachvollziehbar ausgewie-sen. Vor allen Dingen brauchen wir Umsetzungsstrate-gien. Das sind die Aufgaben von heute, die erledigt wer-den müssen, damit sich das Wohlbefinden in deralternden Gesellschaft tatsächlich und maßgeblich ver-bessert.Nebenbei bemerkt, würden wir uns dadurch auch andie Definition des Begriffs „Gesundheit“ der Weltge-snsgGudddhGmtikuwwhdHnastusudddpdEh
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11639
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So hat das Hippokrates vor ungefähr zweieinhalbtau-send Jahren ausgedrückt. Was vor zweieinhalbtausendJahren bereits bekannt war, hat in den industrialisiertenGesellschaften längst zu einem Wandel geführt, undzwar zu einem Wandel unseres Krankheitspanoramas.Die neuen Leiden in unserer modernen Gesellschaftheißen also Zivilisations- oder Volkskrankheiten. Siebetreffen offensichtlich trotz guter medizinischer Ver-sorgung einen zunehmend größeren Teil unserer Bevöl-kerung.Studien des Robert Koch-Institutes haben ergeben,dass ungefähr ein Viertel der deutschen Bevölkerung anHerz-Kreislauf-Problemen und ungefähr genauso vielean Rückenschmerzen leiden. Der technologisch-gesell-schaftliche Wandel führt also zu einem Bewegungsman-gel und einem einseitigen Bewegungsverhalten. DieseFaktoren begünstigen natürlich die Entwicklung der be-reits erwähnten Krankheiten. Viele Kinder leiden eben-falls an solchen Erkrankungen. Die Tendenz ist steigend.Ein gesundheitsgerechtes Bewegungsverhalten wirktalso der Entwicklung dieser Krankheitsbilder entgegenund stellt einen Schutzfaktor für die Gesundheit dar. Da-her kommt der Prävention eine besondere Bedeutung zu.Zum einen soll sie die Lebensqualität der Menschen inallen Lebensbereichen verbessern, zum anderen führt siezu einem erhofften Nebeneffekt, nämlich der Senkungder Ausgaben für die Behandlung von chronischenKrankheiten. Dies darf erwähnt werden, ohne den Vor-wurf hören zu müssen, dass es in unserem Programm nurum einen ökonomischen Nutzen gehe.Von besonderer Bedeutung ist, dass ein sehr großerTeil der Erkrankungen kaum schicksalhaft ist, sondernweitestgehend verhaltensbedingt. Beispielsweise sindextremes Übergewicht und die daraus resultierendenFolgeerkrankungen nicht allein durch Lebensumständebedingt und nur in seltenen Fällen durch organische De-fekte hervorgerufen, sondern sie sind auch das Ergebnisfehlender körperlicher Aktivität. Das heißt, dass dasAuftreten und der Verlauf chronischer Krankheiten inhohem Maße durch persönliches Verhalten sowie durchFehlanreize und gesundheitliche Belastungen aus demsozialen und physischen Umfeld verursacht werden.Überzeugende Beweise stützen die Hypothese, dassInaktivität das Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko einerAnzahl von chronischen Krankheiten erhöht. Die stich-haltigsten Beweise für diese Kausalzusammenhängeexistieren für Koronararterienerkrankungen, Hyperto-nie, Dickdarmkrebs, Fettleibigkeit und nicht zuletzt auchDiabetes mellitus. Ein körperlich aktiver Lebensstil ver-ringert allerdings die Wahrscheinlichkeit der Mortalitätund erhöht die Lebenserwartung.Da durch ein Mehr an Bewegung nicht alle Krankhei-ten verhindert werden können, ist die Einrichtung derGesundheitsforschungszentren der richtige Weg. Damitwird im Kampf gegen die Volkskrankheiten ein neuerWeg beschritten. Ich finde, unsere Ministerin hat dies inüberzeugender Weise dargestellt.
EggesrubddhkeuEgstetrdHsgdPEnruvnDTFmzvmmSDV
Das Wort erhält nun die Kollegin Birgitt Bender für
ie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebererr Gienger, alles, was Sie zum Zusammenhang zwi-chen Bewegung, Ernährung und Volkskrankheiten sa-en, ist richtig. Was ich bei der Union aber immer wie-er vermisse, ist die Erkenntnis, dass es beim Themarävention auch und gerade um soziale Fragen geht.
s nützt doch nichts, wenn Sie joggen oder ich mit ei-em Streetstepper in den Bundestag fahre. Es geht da-m, dass man sich in die Stadtteile begibt, in deneniele Kinder morgens kein Frühstück bekommen undicht zu Fuß zur Kita gebracht werden.
amit muss man sich befassen. Wenn man sich mit demhema Forschung beschäftigt, sollte es auch um dierage gehen, wie man diese Leute erreicht. Natürlichüssen wir dies auch in der Gesundheitspolitik umset-en. Auch der Gesundheitsminister redet ja von Eigen-erantwortung, meint damit aber nur, dass die Leuteehr zahlen sollen. Er spricht aber nicht von Empower-ent und der Befassung mit den unteren sozialenchichten.
as ist bei Ihnen leider immer noch nicht eingepreist.ielleicht ist dies eine Gelegenheit, das zu ändern.
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11640 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Birgitt Bender
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Frau Ministerin Schavan, Sie haben vorhin davon ge-sprochen, dass Sie sich beim Rahmenprogramm Ge-sundheitsforschung Gemeinsamkeit wünschen. Ich willausdrücklich begrüßen, dass – nach jahrelangem Drän-gen der Grünen – nun endlich ein Aktionsfeld Versor-gungsforschung integriert ist. Was Sie dazu an Prosaschreiben, findet teilweise auch unsere Zustimmung, soetwa die Aussage, dass in Bezug auf Psychotherapie,Ergo- und Logopädie geforscht werden muss. Das istrichtig. Aber insgesamt sehe ich in diesem Programmsehr viel Produktorientierung. Da geht es um Arzneimit-tel, Diagnostik und Medizinprodukte. Was praktisch völ-lig fehlt, ist der Blick auf Verfahren des Gesamten. DasWort „Gesundheitssystemforschung“ kommt nicht ein-mal vor. Ich sehe überhaupt nicht, dass es hier entspre-chende Ansätze gibt. Aber wir brauchen einen Blick aufdas Gesamte, darauf, was den Menschen nützt und sieam Ende gesünder macht. Darauf werden wir achten.
Stattdessen sehen wir im Haushalt 2011, dass dasBMBF mit gut 5 Millionen Euro ein Projekt zur Ma-gnetresonanztomografie fördert. Brauchen wir aus ge-sundheitspolitischer Sicht ein solches Projekt? Deutsch-land ist Weltmeister bei der MRT-Diagnostik. ImJahre 2009 wurde sie bei fast 6 Millionen Personen an-gewendet. Anders gesagt: Jeder 15. Bürger wurde inner-halb eines Jahres in die Röhre geschoben. Kassen undWissenschaft stellen die therapeutische Notwendigkeitin vielen Fällen infrage. Was wir im Bereich der Versor-gungsforschung brauchen, ist die Beantwortung derFrage, wann eine MRT-Untersuchung sinnvoll ist undwann nicht. Daran, dass dies bei Ihnen geschieht, habeich Zweifel.
Nach dem, was Sie, Frau Flach, vorhin gesagt haben,müssten Sie daran eigentlich interessiert sein. Denn im-merhin – das begrüße ich sehr – haben Sie betont, dassnicht alles, was neu ist, den Menschen nützt und dass wirmehr Verfahren brauchen, mit denen der Nutzen über-prüft werden kann.Was ich in diesem Rahmenplan auch vermisse, ist dieKomplementärmedizin, also die alternativen Heilweisen,die die klassischen Verfahren ergänzen können. Dazubraucht es Forschung, aber wir sehen davon so gut wienichts.
Es hat ein Vierteljahr gedauert, bevor mir das BMBFüberhaupt mitteilen konnte, wie viele Fördermittel denndafür in den letzten fünf Jahren geflossen sind. Es warenzusammengerechnet gerade einmal 1,2 Millionen Euro.Im Gegensatz dazu fördert in den USA das National In-stitute of Health die komplementärmedizinische For-schung jährlich mit mindestens 120 Millionen Dollar.Ich finde, daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen undGeld zur Erforschung der Komplementärmedizin in dieHnnteinWlemFslejeefrdFkvsSCrelelägwakkWsndrusskcMinsd
Stattdessen ist leider viel von Genetik die Rede. Im-erhin habe ich da die kritischen Anmerkungen von Fraulach gehört. Ich will aber auch darauf hinweisen, dassehr nebulös bleibt, was Sie da eigentlich erforschen wol-n. Ich erinnere daran, dass jüngst noch Geld in ein Pro-kt geflossen ist – inzwischen ist es eingestellt –, in dems um die Forschung an geistig behinderten Kindern, umemdnützige Forschung ging. Das ist etwas, was als me-izinische Untersuchung gar nicht zulässig wäre. Alsorschung haben Sie es aber zunächst unterstützt. Daann ich nur sagen: Hier ist überfällig, dass der Schutzon Probanden, Datenschutz und Transparenz in der For-chung gewährleistet werden. Frau Ministerin, da habenie noch Hausaufgaben zu machen.Danke schön.
Das Wort erhält nun der Kollege Florian Hahn für die
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Alle Menschen wünschen sich ein langes und vor al-m gesundes Leben. Auch wenn wir uns zu vielen An-ssen wie zum Geburtstag oder zum neuen Jahregenseitig Gesundheit wünschen, spielt gesundheitsbe-usstes Leben und Verhalten im Alltag oftmals keineusreichende Rolle. Spätestens jedoch, wenn man im Be-annten- oder Familienkreis mit schwerer Krankheitonfrontiert wird, erkennt man auf ganz persönlicheeise, welchen enorm hohen Stellenwert ein unbe-chwertes und gesundes Leben einnimmt.Aus diesem Grund stellt die Gesundheitsforschung ei-en der wichtigsten Bereiche für uns alle dar. Das Zieles Gesundheitsforschungsprogramms der Bundesregie-ng ist es, dass alle Menschen schnell von den For-chungsergebnissen profitieren können.In der Gesundheitsforschung werden neue oder bes-ere Diagnoseverfahren und Therapien entwickelt, umranken Menschen effektiver zu helfen. Für uns alshristlich-liberale Koalition steht dabei der erkrankteensch mit seinen Nöten im Mittelpunkt, dem wir Hand Hand mit der Wissenschaft helfen wollen.Was uns die Patienten und deren Gesundheit wertind, das zeigen auch die enormen finanziellen Mittel,ie hierfür aufgewendet werden: Fast 6 Milliarden Euro
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11641
Florian Hahn
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werden insgesamt zur Verfügung gestellt. Es handeltsich damit um das größte Förderungsprogramm für Ge-sundheitsforschung in der Geschichte der Bundesrepu-blik Deutschland.
Die Schwerpunkte beim Gesundheitsförderungspro-gramm setzen wir bei der Erforschung von Volkskrank-heiten sowie der Gesundheitswirtschaft. Doch auch dieindividualisierte Medizin und die globale Zusammenar-beit sind wichtige Themen des Programms. Wir wollendie Fähigkeiten der Wissenschaft bündeln und Transla-tion beschleunigen. Dazu werden sechs deutsche Gesund-heitszentren geschaffen. Letztes Jahr wurde beispiels-weise mit dem Deutschen Zentrum für Diabetesforschungin München-Oberschleißheim bereits das zweite eröffnet.
Herr Kollege Hahn, darf Ihnen der Kollege Röspel
eine Zwischenfrage stellen?
Nein.
Das kann er danach machen. – Allein in Deutschland
sind rund 8 Millionen Menschen von der Zuckerkrank-
heit betroffen, fast genauso viele Personen haben einen
bislang unerkannten Diabetes oder ein hohes Erkran-
kungsrisiko. Es ist daher wichtig und notwendig, dass
wir mit dem Zentrum neue Perspektiven für Prävention,
Therapie und Diagnose des Diabetes schaffen. Durch die
Kooperation mit Pharmaunternehmen können so For-
schungsergebnisse schneller in die Praxis übertragen
werden. Wir bringen die Forschung quasi „ans Bett der
Patienten“.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in einer glo-
balisierten Welt dürfen nicht nur Wirtschaftsaktivitäten
global betrachtet werden, sondern ganz besonders auch
die Gesundheitsforschung. In diesem Zusammenhang ist
es mir wichtig, auf die vernachlässigten Krankheiten hin-
zuweisen, mit denen wir uns in dem Programm ebenfalls
beschäftigen. Sie erzeugen in den Entwicklungsländern
großes Leid und sind für den Tod vieler Menschen verant-
wortlich. Leider war die staatliche Forschungsförderung
lange Zeit auf Krankheiten beschränkt, die hauptsächlich
unsere Bürger im eigenen Land betreffen. Vor diesem
Hintergrund stellen wir uns mit dem Gesundheitsfor-
schungsprogramm neu auf. Wir machen nicht an den na-
tionalen Grenzen halt, sondern helfen auch den Men-
schen in anderen Teilen der Welt. Dazu sind wir allein
schon durch unser christliches Menschenbild verpflich-
tet.
Noch in diesem Jahr wird die Fördermaßnahme für
Produktionspartnerschaften anlaufen. Dabei handelt es
sich um internationale Non-Profit-Organisationen, deren
Aufgabe es ist, Medikamente gegen vernachlässigte
Krankheiten zu günstigen Preisen auf den Markt zu brin-
gen.
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11642 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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Frau Ministerin Schavan, Sie räumen der Gesundheits-wirtschaft eine äußerst prominente Stellung ein und be-gründen dies mit dem Wachstumspotenzial der Branche.Mit moderner Medizintechnik und innovativen Medika-menten kann man offensichtlich viel Geld verdienen. Da-gegen habe ich im Grundsatz nichts einzuwenden. Ichhabe aber ein Problem damit, wenn die wirtschaftlichenInteressen von Forschung fast wichtiger erscheinen alsder medizinische Fortschritt und die Gesundheit der Men-schen in diesem Land.
Ganz deutlich wird diese Auffassung der schwarz-gelben Regierung auf Seite 4 der Unterrichtung. Dortsteht schwarz auf weiß:Des Weiteren soll die Gesundheitsforschung aufeine wirtschaftliche Verwertbarkeit ihrer Erkennt-nisse hinarbeiten … schon in der Grundlagenfor-schung und der präklinischen Forschung.Aus meiner Sicht darf nicht nur erforscht werden, wiewir neue Technologien schneller oder besser implemen-tieren und vermarkten können; vielmehr muss es darumgehen, welche gesundheitlichen Vorteile die Menschendaraus ziehen können.
Der Mensch und seine Gesundheit gehören an die ersteStelle, nicht der mögliche Profit.Ich füge ausdrücklich hinzu: Ich freue mich über jedeBranche, die wirtschaftlich erfolgreich ist. Aber wir soll-ten auch darüber diskutieren, für wen Arbeitsplätze inder Gesundheitswirtschaft entstehen, welche Anforde-rungen die Beschäftigten erfüllen müssen, wie sich Be-rufsbilder verändern und unter welchen Bedingungenheute und in Zukunft gearbeitet werden muss.Gibt es Ideen, wie die Arbeitsbelastung von Ärztenund Pflegepersonal gesenkt werden kann? Was musseine Pflegerin künftig können? Wie schafft sie es, in ei-ner alternden Gesellschaft immer mehr Patienten zu ver-sorgen? Wie kann sie Familie und Beruf vereinbaren?Insbesondere im Bereich der Pflege- und Dienstleis-tungsforschung sehe ich Lücken in dem Programm vonMinisterin Schavan.
Die Pflegebranche braucht wissenschaftlich fundierteAntworten auf den steigenden Pflegebedarf.Ich habe kürzlich Praxistage in der Seniorenpflegeund im Krankenhaus durchgeführt.
– Wir alle, jawohl. – Dabei ist wahrscheinlich uns allenaufgefallen, dass die Ärzte und Pfleger eine sehr guteArbeit leisten. Aber sie alle bewegen sich am Rande derLeistungsgrenze. Hohe Fallzahlen und viel Dokumentie-rung rauben ihnen in vielen Fällen die Zeit für die Pa-tienten. Diese Probleme müssen erforscht werden.KsmmHwgPxvZfütindBsDforäoridsgEragLsMhwgKVrimh
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
ollege Rudolf Henke für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!erehrte Damen und Herren! Opposition ist ein schwie-ges Tun. Ich glaube, es ist doppelt schwierig, wennan an einem Teil der Vorbereitungen für das Gesund-eitsforschungsprogramm teilgenommen hat, damals so-
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Rudolf Henke
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gar in einer gemeinsamen Koalition mit der CDU/CSU-Fraktion in der ersten Regierung Merkel,
und jetzt erlebt, dass in der zweiten Regierung Merkelein großer Teil eigener Forderungen umgesetzt wird.Deswegen findet sich auch in dem von Ihnen vorgeleg-ten Antrag an sehr vielen Stellen ein Lob. Sie machensogar Vorschläge, was alles der Deutsche Bundestag andem Programm begrüßen soll. In mehreren Spiegelstri-chen wird das ausgeführt. Trotzdem müssen Sie hier ir-gendwie Nöligkeit verbreiten,
– doch –, damit der Eindruck entsteht, als wäre alles kri-tisch zu bewerten.
Sie setzen darauf, dass die Menschen das Programmnicht gelesen haben, und tragen dann in Ihrem AntragDinge vor, die im Programm bereits enthalten sind, undtun so, als wären Sie die einzigen Erfinder dieser Punkte.Ein plastisches Beispiel dafür ist das, was gerade ge-schehen ist. Sie haben behauptet, im Programm befindesich kein Hinweis auf die Verbesserung der Situation derMenschen, die im Gesundheitswesen arbeiten. LiebeKollegen, Sie sollten sich vergegenwärtigen, dass aufder Grundlage des Haushalts der Bundesregierung
– ich wollte darauf eigentlich nicht an dieser Stelle, son-dern zu einem späteren Zeitpunkt eingehen – das Wis-senschaftsfeld Versorgungsforschung allein im Jahr2010 mit einer Ausschreibung in Höhe von 54 MillionenEuro für die Entwicklung zukunftsfähiger Lösungen fürdas Gesundheitssystem bedacht worden ist. Ich bin be-reit, darüber zu diskutieren, ob das reicht und ob zumBeispiel die DFG das im Rahmen ihrer Förderung hin-reichend ergänzt. Wenn sie das nicht täte, müsste mannoch einmal über die Summe diskutieren. Aber Sie tunso, als geschähe hier nichts, und wollen die Leute fürdumm verkaufen. Das ist nicht in Ordnung.
Sie sagen außerdem, das alles sei wirtschaftskonzen-triert. Das ist es nicht. Frau Bunges Zählerei mit demWortzählautomaten nutzt dabei nichts.
Was ist denn das für ein Niveau? Das ist ja kleinstes Pe-pita: Worte zählen durch ihre Bedeutung, nicht durchihre Zahl.
Ich zitiere Seite 4 der Unterrichtung durch die Bundesre-gierung:DdmnzDgSsDmSsnnruB2dFgmmZvpJPFsaJh5z
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Lieber Herr Kollege Röspel, diese Frage werden Sie
sich doch schon beantwortet haben, als Sie den Bundestag
aufgefordert haben, zu begrüßen, dass sich die Bundesre-
gierung im Rahmenprogramm Gesundheitsforschung für
eine Stärkung der krankheitsbezogenen Projektforschung
bzw. Projektförderung ausspricht. Das haben Sie an die
erste Stelle gesetzt. Ob Sie dieses Geld jetzt zusätzlich ha-
ben oder ob Sie dieses Geld bloß ausgeben oder in den
Haushalt schreiben
oder ob Sie dieses Geld in dieses Programm stecken: Der
entscheidende Punkt ist doch, dass es zur Verfügung
steht.
Der entscheidende Punkt ist, dass es genutzt werden
kann.
Dann – das verstehe ich gar nicht – sagen Sie, Frau
Reimann und andere aus Ihrer Gruppe, das sei alles zu
abstrakt und zu unbestimmt. – Ja, klar, es kommen jetzt
Ausschreibungen. An diesen Ausschreibungen nimmt
natürlich die Wissenschaftsgemeinde teil. Da gibt es
Projektträger, die diese Ausschreibungen betreiben. Was
hätten Sie denn gern? Wenn ich mir Ihren Katalog von
Forderungen zur Konkretisierung ansehe, dann habe ich
das Gefühl, Sie wollen schon die 200 000 Adressen und
Geburtsdaten derer wissen, die dann in der Bevölke-
rungskohorte erfasst sein sollen. Das möchten Sie wahr-
scheinlich offenlegen.
Ich habe manchmal das Gefühl, dass Sie hier davon träu-
men, einen wissenschaftlichen Fünf- oder Zehnjahres-
plan vorgelegt zu bekommen. Das ist aber ein falsches
planwirtschaftliches Verständnis des Wissenschaftspro-
zesses auch in der Gesundheitsforschung.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, lei-
der findet man zurzeit in meinem Heimatland Nord-
rhein-Westfalen, wo eine schwarz-gelbe Koalition
dadurch für eine große Stimulation der wissenschaftli-
chen Entwicklung gesorgt hat, dass sie ein Hochschul-
freiheitsgesetz verabschiedet hat, eine aus Ihrer Partei
stammende Philosophie, die diese neu geschaffene
Hochschulautonomie wieder in eine Welt zurückführen
will, in der der Staat den Wissenschaftsprozess steuert.
Genau diesen Anspruch, nämlich die Steuerung des Wis-
senschaftsprozesses durch den Staat, atmet Ihr Antrag.
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Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 4 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten ChristelHumme, Caren Marks, Petra Crone, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der SPDEntgeltgleichheit zwischen Männern und Frauengesetzlich durchsetzen– Drucksache 17/5038 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und SozialesHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auchfür diese Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.Ich eröffne die Aussprache und erteile der KolleginCaren Marks für die SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Schon auf dem ersten Internationalen Frauentag 1911forderten Frauen gleiche Rechte. Sie kämpften für ihrWahlrecht, aber auch für bessere Bezahlung und für guteArbeit. Was hat sich in 100 Jahren getan? Das Wahlrechtfür Frauen wurde 1918 durchgesetzt. Die formalrechtli-che Gleichstellung mit den Männern wurde 1949 imGrundgesetz verankert. Unser Recht hier in Deutschlandsowie das EU-Recht verbieten Diskriminierung auf-grund des Geschlechts auch beim Lohn. So weit zumgeltenden Recht.Doch wie sieht die Arbeitswirklichkeit von Frauen indiesem Land aus? Trotz guter Bildungsabschlüsse habenFrauen nach wie vor schlechtere Chancen in der Arbeits-welt, haben seltener Führungspositionen inne, und sie er-halten deutlich weniger Lohn als Männer. Zur Durchset-zung von gleichem Lohn für gleiche und gleichwertigeArbeit fordern wir, die SPD-Bundestagsfraktion, in un-serem Antrag die Bundesregierung auf, einen Gesetzent-wurf zur Herstellung von Entgeltgleichheit vorzulegen.
Denn eines ist klar: Frauen haben mehr verdient als un-verbindliche Sonntagsreden der Frauenministerin undder Arbeitsministerin sowie der Kanzlerin.Traurig, aber wahr: Erwerbstätige Frauen erhalten inunserem Land nach wie vor im Schnitt 23 Prozent weni-ger Lohn als Männer. Damit liegen wir deutlich überdem Durchschnitt in der Europäischen Union mit18 Prozent Lohndifferenz. Wir haben hier im DeutschenBundestag mehr als nur ein Mal über die wirklichen Ur-sachen der Entgeltungleichheit zwischen Männern undFrauen diskutiert. So haben Frauen vor allem aufgrundfehlender Kinderbetreuungsangebote längere Erwerbs-unterbrechungen, und sie sind auch deswegen vermehrtin Teilzeitarbeit beschäftigt. Mit knapp 70 Prozent stel-leNgwintiFDindbsfrMzaaisfoeSdbbRBkremgnefaseEhtrLk
Doch selbst wenn alles gleich ist – Qualifikation, Tä-gkeit, Alter, Betrieb –, liegt der Durchschnittslohn vonrauen bei etwa 8 bis 12 Prozent unter dem der Männer.ies ist nichts anderes als Diskriminierung von Frauen unserem Land.
Wenn sowohl von der Frauenministerin als auch voner Kanzlerin so kluge Sprüche wie „Frauen müssteneim Gehalt einfach nur besser verhandeln“ zu hörenind, so ist das erstens zynisch und zweitens lebens-emd. Wie gut, dass weder Frau Schröder noch Frauerkel ihr Gehalt bisher wirklich verhandeln mussten.
Statt die Verantwortung bei den Frauen einseitig ab-uladen, sollte diese Bundesregierung ihr Nichthandelnls Gesetzgeber infrage stellen. Es helfen keine Appellen die Freiwilligkeit von Unternehmen; der Gesetzgebert bei der Beseitigung der Entgeltungleichheit klar ge-rdert. Vielleicht sollte die Bundesregierung wiederinmal einen Blick in unser gutes Grundgesetz werfen.o heißt es in Art. 3 Abs. 2:Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staatfördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichbe-rechtigung von Frauen und Männern und wirkt aufdie Beseitigung bestehender Nachteile hin.Da müsste doch auch bei dieser schwarz-gelben Bun-esregierung etwas klingeln. Wenn es erwartungsgemäßei der Frauenministerin nicht klingelt, so vielleichteim Finanzminister; denn laut EU-Kommissarineding würde die Beseitigung der Lohnunterschiede dasruttoinlandsprodukt um rund 30 Prozent steigern. Daslingt doch auch für einen Finanzminister durchaus inte-ssant.Die Lohndiskriminierung von Frauen werden wir nurit einem Gesetz beseitigen können. Die Erfahrung hatezeigt, dass die Verantwortlichen aus eigenem Antriebicht tätig werden. Also müssen die Arbeitgeber durchin Gesetz verbindlich dazu aufgefordert und gegebenen-lls auch gezwungen werden, Entgeltgleichheit herzu-tellen. Ein solches Gesetz muss folgende Kernelemententhalten: Es muss zuerst einmal Transparenz über dientlohnung in den Betrieben hergestellt werden. Die Ge-eimniskrämerei hinsichtlich der Bezahlung in den Be-ieben ist zu beenden; denn sie begünstigt vor allemohndiskriminierung mit den entsprechenden Auswir-ungen.
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Caren Marks
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Also müssen die Arbeitgeber verpflichtet werden, Ent-geltberichte zu erstellen. Diese sind von einer staatlichenBehörde entsprechend zu prüfen. Datenschutz ist natür-lich zu gewährleisten. Wird Entgeltungleichheit festge-stellt, muss das Gesetz einen Prozess zur Beseitigung derLohndifferenz einleiten und natürlich auch festlegen.Auch muss es wirksame Instrumente der Kontrolle undDurchsetzbarkeit enthalten.Mit dem Gesetz wollen wir, die SPD-Bundestagsfrak-tion, die Unternehmen zum Tätigwerden verpflichten.Dabei wollen wir auch die Rolle der Gewerkschaftenund Betriebsräte stärken. Weigert sich der Arbeitgeber,für Transparenz und Entgeltgleichheit zu sorgen, so istauch der Klageweg, der im Gesetz zu regeln ist, ein not-wendiger Schritt. Die Verbandsklage wird hier unum-gänglich sein.Da zu erwarten ist, dass diese Bundesregierung – auchgerade leider diese Frauenministerin; schade, dass sienach wie vor dieser Debatte nicht beiwohnt – gesetzge-berisch wohl nicht handeln wird, kündige ich Ihnen an:Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, werden ein Entgelt-gleichheitsgesetz vorlegen. Denn wo sich Schwarz-Gelbvor der Wirtschaft wegduckt, werden wir handeln unddie Lohndiskriminierung von Frauen endlich wirksamgesetzlich bekämpfen.
Worthülsen und leere Versprechungen à la Merkel,Schröder und von der Leyen haben Gleichstellungspoli-tik in diesem Land noch nie vorangebracht. Frauen ha-ben endlich mehr verdient.Vielen Dank.
Die Kollegin Nadine Schön hat das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Nadine Schön (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Am 25. März war der diesjährige Equal Pay
Day. Der Durchschnittsmann hätte am 25. März anfan-
gen können, zu arbeiten, und hätte am Ende des Jahres
das gleiche Geld auf dem Konto wie die Durchschnitts-
frau, die seit Beginn des Jahres gearbeitet hat.
Das kann ja wohl nicht wahr sein.
Einen kleinen Moment, Frau Kollegin, wir müssenerst einmal sehen, dass der Ton verstärkt wird, damit Sienicht schreien müssen. Die Techniker werden sich da-rum kümmern. Auch das ist eine Frage der Gleichbe-rechtigung.
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machen. Erstens müssen wir feststellen: Es ist sichereine Mentalitätsfrage. Studien haben ergeben – das hatnicht die Ministerin erfunden, liebe Kollegin Marks –,dass Frauen bei Gehaltsverhandlungen bescheidenersind als ihre männlichen Kollegen. Wir fordern wenigerund bekommen deshalb auch weniger. Das ist wohl einefalsche Bescheidenheit. Hier sind wir Frauen selbst ge-fragt, etwas zu ändern.
Ich glaube allerdings nicht, dass das der entscheidendeGrund für die Lücke von 6 bis 10 Prozent ist.Den zweiten Grund
halte ich für viel wesentlicher, und das ist schlicht undeinfach Diskriminierung, nämlich Diskriminierung, diesich darin äußert, dass Frauen weniger zugetraut wird,dass eine mögliche Schwangerschaft schon beim Berufs-einstieg mit eingepreist wird und Frauen deshalb trotzgleicher Qualifikation schlechter bezahlt werden. Dasgibt es, und das muss genannt werden, und das, liebeKolleginnen und Kollegen, ist der eigentliche Skandal.
Insgesamt kann man festhalten: Die Ursachen derEntgeltungleichheit sind sehr unterschiedlich, aber hin-nehmbar ist die Lohnlücke von 23 Prozent deswegennoch nicht. Wir müssen uns fragen: Welche Schlussfol-gerungen ziehen wir daraus? Was tun wir? Die SPD hatsich in ihrem Antrag dafür entschieden, die vermeint-liche Allzweckwaffe auszupacken, nämlich die staatli-che Regulierung.
Da soll es gesetzliche Fristen, eine neue Entgeltgleich-heitskommission und ein Verbandsklagerecht für Anti-diskriminierungsverbände geben. In Anbetracht der vie-len verschiedenen Ursachen, die wir ausgemacht haben,meine ich, dass Sie bei diesen Forderungen zu staats-gläubig und vor allen Dingen zu undifferenziert sind.Wirksamer erscheinen mir von den Ursachen hergelei-tete Gegenmaßnahmen. Wir müssen bei einem so kom-plexen Thema doch an die Wurzeln, an die Ursachen desÜbels, und genau das tun wir,
zum Beispiel mit Maßnahmen gegen das eingeschränkteBerufswahlverhalten. Von wegen: Die Mädchen interes-sieren sich nicht für Technik! Schauen Sie sich all dieMINT-Initiativen, den Girls’ Day, Roberta an! Es ge-lingt, mehr Frauen für technisch geprägte Berufe zu inte-ressieren, und der Frauenanteil in diesen Berufen steigt.
Was ist aber mit denen, die nach wie vor kein Inte-resse an solchen Berufen haben? Wollen wir hinnehmen,dass alle anderen dann halt schlecht bezahlt werden, weilstoNdgDDNfrScmPawBWDsnfaWnenbncdswtembEtezimscind
ehmen Sie Ihre Verantwortung wahr! Bewerten Sieauenspezifische Berufe in den Lohnrunden besser!orgen Sie dafür, dass es auch in diesen Branchen bran-henspezifische Mindestlöhne gibt! Man kann nicht im-er nur mit dem Finger auf andere zeigen und nach derolitik schreien. Hier haben auch die Tarifparteien Ver-ntwortung, und die müssen sie auch wahrnehmen.
Aber auch die Politik kann einiges tun. Wir müsseneiter daran arbeiten, die Vereinbarkeit von Familie underuf zu verbessern. Wir sind hier auf dem richtigeneg.
er Ausbau der Betreuungsinfrastruktur, der Rechtsan-pruch auf einen Kitaplatz, das Elterngeld mit den Part-ermonaten, die Familienpflegezeit, die Initiativen zurmilienbewussten Arbeitszeit und die Programme zumiedereinstieg – all das trägt dazu bei, dass beide Part-er – ich betone: beide Partner – Beruf und Familie ver-inbaren können. Alles das sind Schritte zu einer konti-uierlichen Erwerbsbiografie auch von Frauen.
Es ist aber auch klar – ich denke, das muss uns allenewusst sein –: Ganz ohne Unterbrechungen wird esicht gehen. Gerade weil das so ist, weil wir immer Brü-he im Lebensverlauf und immer Auszeiten haben wer-en, ist es wichtig, dass wir das nicht immer als Nachteilehen. Solche Unterbrechungen sind doch positiv zu be-erten. Sie bringen neue Erfahrungen und neue Kompe-nzen mit sich. Deshalb kann ich nur an die Unterneh-en appellieren: Nutzen Sie diese Kompetenzen underücksichtigen Sie diese auch in der Gehaltsstruktur!rmutigen Sie auch die Männer, sich auf solche Auszei-n, beispielsweise bei der Elternzeit oder bei der Pflege-eit, einzulassen! Denn Lebenskompetenz ist doch auch Unternehmen oft viel wichtiger als dröges Fachwis-en.
Ein weiteres Thema für Politik und Wirtschaft glei-hermaßen: Sorgen wir endlich dafür, dass mehr Frauen Führungspositionen kommen! Die Debatte über Wegeorthin führen wir derzeit.
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Nadine Schön
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Schließlich müssen wir gemeinsam auch dafür sorgen,dass tatsächliche Diskriminierung aufgedeckt wird. Auchdas liegt letztlich im Interesse der Unternehmen selbst;die Kollegin hat darauf hingewiesen. Mit Logib-D gibt esein Instrument, das die entsprechende Transparenz in ei-nem Betrieb herstellt. Mehrere Hundert Unternehmenhaben schon daran teilgenommen. So kann man echteDiskriminierung erkennen und wirksam bekämpfen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, es lohntsich, die Ursachen der Entgeltungleichheit genauer unterdie Lupe zu nehmen; denn nur dann gelangen wir zu ei-ner differenzierten Sicht der Dinge und zu differenzier-ten Lösungen. Es sind viele kleine Stellschrauben, mitdenen wir die Rahmenbedingungen für ein verbessertesEinkommen von Frauen beeinflussen können; hier kön-nen wir intelligent und mit vielen kleinen Schraubenzie-hern arbeiten. Den Vorschlaghammer staatlicher Regu-lierung brauchen wir dazu nicht.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Sabine Zimmermann für
die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Schön, ichmuss Ihnen sagen: Seit 100 Jahren warten die Frauen aufgleiche Bezahlung für gleiche Arbeit und kämpfen dafür.
Wie lange wollen Sie noch an die Wirtschaft appellieren,damit das endlich Wahrheit wird? Das ist mir aus IhremVortrag weiß Gott nicht klargeworden.
Die Frau Bundeskanzlerin hat zum InternationalenFrauentag eine Videobotschaft versandt. Sie plauderteein wenig über ihre Kindheitserinnerungen in der DDRund darüber, welche Blumen sie am 8. März ihrer Muttischenkte. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koali-tion, kennen Sie die Lieblingsblumen Ihrer Kanzlerin?Ich helfe Ihnen ein wenig, weil Sie mich so anschauen.Es sind Freesien. Ich denke, es wäre besser gewesen,wenn die Kanzlerin in der Videobotschaft ein wenig wei-ter zurück in die Geschichte geblickt und die Begründe-rinnen des Frauentages und ihre Motive benannt hätte.Es waren nämlich die Arbeiterbewegung und ihreVorkämpferinnen, allen voran Clara Zetkin. Als im Au-gust 1910 in Kopenhagen die II. Internationale Sozialis-tische Frauenkonferenz beschloss, einen internationalenFrauentag durchzuführen, stellte sie zugleich klar – ichzitiere –:IcdtuLlaEwdlisobFIczunaeeSswssDmFgghsriFFkjodbe
Mehr als 100 Jahre danach ist diese Forderung so ak-ell wie damals. Frauen erhalten 23 Prozent wenigerohn als Männer. Die Verdienstunterschiede in Deutsch-nd sind so groß wie nie und wie nirgendwo sonst inuropa. Und: Sie sind über die letzten Jahre noch ge-achsen. Das ist ungerecht. Ich denke, es ist wichtig,ass man als Antwort darauf auch gesetzliche und staat-che Regelungen schafft.70 Prozent aller Beschäftigten im Niedriglohnsektorind Frauen. Das kommt nicht allein daher, dass Frauenft Teilzeit arbeiten. Nein, rund 7,3 Millionen Frauen ar-eiten Vollzeit. Von ihnen erhalten aber 2,5 Millionenrauen einen Lohn unterhalb der Niedriglohnschwelle.h frage Sie: Ist das gerecht? Das heißt, jede dritte Voll-eit arbeitende Frau ist davon betroffen. Meine Damennd Herren der Koalition, lassen Sie sich diese Zahl bitteoch einmal auf der Zunge zergehen: Jede dritte Vollzeitrbeitende Frau arbeitet im Niedriglohnbereich. Das istin Skandal.
Deshalb ist klar: Wir brauchen in Deutschland endlichinen gesetzlichen Mindestlohn.
ie wehren sich dagegen. Der Skandal ist, dass der ge-etzliche Mindestlohn in Deutschland nicht eingeführtird. In Europa gibt es in 20 von 27 Ländern einen ge-etzlichen Mindestlohn. Das kann doch nicht schlechtein.
as wäre ein richtiger Schritt in die richtige Richtung.Natürlich reicht der Mindestlohn nicht aus. Schautan sich die Ursachen für die ungleiche Bezahlung vonrauen und Männern an, dann wird schnell deutlich: Eseht um eine direkte Diskriminierung, wenn Frauen amleichen Arbeitsplatz in eine niedrigere Lohn- bzw. Ge-altsgruppe eingestuft werden als Männer. Um die rie-ige Lohnlücke zwischen Frauen und Männern zu ver-ngern, ist aber mehr nötig. In den traditionellenrauenbranchen wie dem Einzelhandel oder auch demriseurhandwerk wird deutlich schlechter bezahlt. Hinzuommt der hohe Anteil von Frauen in Teilzeit und Mini-bs. Zu zwei Dritteln sind die Lohnunterschiede ausiesen genannten Gründen zu erklären.Aber statt dieses Problem anzugehen, hat Ihre Ar-eitsmarktpolitik der letzten Jahre uns in Deutschland inine Situation gebracht, in der sich dieses Problem noch
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Sabine Zimmermann
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mehr verschärft hat: Mit den Hartz-Gesetzen wurdenprekäre Beschäftigungsverhältnisse gefördert und derNiedriglohnsektor weiter ausgebaut. Vor allem die typi-schen Frauenbranchen sind davon betroffen. Deshalb istzu befürchten: Wenn es nicht zu einem Kurswechselkommt, wird sich diese Ungleichbehandlung mit dersteigenden Frauenerwerbstätigkeit weiter verfestigenoder sogar verstärken. Bei diesem Punkt, meine Damenund Herren von der SPD, hat Ihr Antrag leider eine Leer-stelle.Die Linke fordert: Ein Entgeltgleichheitsgesetz, dasseinem Namen gerecht wird, muss das Problem der pre-kären, niedrig entlohnten und unfreiwilligen Teilzeitar-beit angehen. Das ist der richtige Weg.
Die Wirtschaftsjournalistin Julia Dingwort-Nusseck– sie war von 1976 bis 1988 Präsidentin der Landeszen-tralbank Niedersachsen; sie ist also nicht dem linkenSpektrum zuzuordnen – befürchtete zu Recht:Wenn es in dem bisherigen Tempo weitergeht, wer-den wir im Jahre 2230 den Zustand der Gleichbe-rechtigung von Mann und Frau erreicht haben.Ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass diesedüstere Prognose nicht wahr wird.Danke.
Die Kollegin Sibylle Laurischk hat jetzt das Wort für
die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Das Einkommen von Frauen liegt in Deutschland
im Schnitt um fast ein Viertel unter dem der Männer. Zu-
dem ist die Lohnlücke in Deutschland im Vergleich zu un-
seren europäischen Nachbarn deutlich höher. Sowohl aus
Art. 3 Grundgesetz als auch aus dem Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetz folgt ein Verbot der Lohndis-
kriminierung. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz ver-
pflichtet uns, dagegen etwas zu tun.
Im Koalitionsvertrag haben wir uns zur Umsetzung
des Prinzips „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ verpflich-
tet. Die Umsetzung dieses Ziels ist auf einem guten Weg.
Dabei wollen wir aber keine gesetzlichen Regelungen zur
Überwindung der Entgeltungleichheit schaffen, wie es
die SPD in ihrem Antrag fordert. Wir als FDP setzen auf
Selbstverpflichtung und sind der Meinung, dass Selbst-
verpflichtungen letztendlich auch eine sehr viel nachhal-
tigere Möglichkeit darstellen,
solche Ungleichbehandlungen zu beseitigen.
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ie bürokratischen Vorschläge der SPD würden Kosten
erursachen und die Wirtschaft erneut belasten.
Zu dem Argument der Linken, dass eine gesetzliche
egelung, die es in 20 Ländern in Europa gibt, ein Plus
arstelle, kann ich nur sagen:
ie deutsche Wirtschaft ist gerade deshalb leistungsfä-
ig, weil sie solche Verpflichtungen nicht zu tragen hat.
ir werden uns dafür einsetzen, dass das nicht kommt.
Frau Laurischk, möchten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Beck zulassen?
Nein, ich möchte fortfahren.
Wir sind dabei, das zu ändern; das wissen Sie. Dasrauchen wir in diesem Zusammenhang nicht zu disku-eren.Wir haben allerdings zu klären, auf welche Ursachenie noch immer bestehende Ungleichbehandlung zu-ckzuführen ist. Das liegt im Wesentlichen an folgen-en Punkten:Typische Frauenberufe werden trotz individuellerohnverhandlungen schlechter bewertet und vergütet alslassische Männerberufe. Hier wäre natürlich auch von-eiten der Gewerkschaften im Rahmen der Tarifautono-ie noch einiges zu tun.Frauen sind in bestimmten Berufen, Branchen und auföheren Stufen der Karriereleiter unterrepräsentiert.Vor allem ist trotz höherer und besserer Schulab-chlüsse und einer fachlich hervorragenden Ausbildungas Arbeitszeitvolumen bei Frauen geringer als bei Män-ern. Familienbedingte Unterbrechung der Erwerbstätig-eit ist ein weiterer Faktor. Die hohe Anzahl von Teilzeitrbeitenden Frauen und von Frauen in niedrig bezahltennd gering qualifizierten Arbeitsverhältnissen trägt nachie vor zum Fortbestehen der Lohndiskriminierung vonrauen bei.Die Überwindung der Rollensterotype bei Ausbil-ung und Beschäftigung sowie ein modernes Rollenver-tändnis gerade der Männer würden einen erheblichen
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11650 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Sibylle Laurischk
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Beitrag zur Überwindung der Entgeltdiskriminierungleisten.Auffällig in Bezug auf das unterschiedliche Lohnge-füge zwischen Männern und Frauen ist, dass ein deutli-ches Gefälle zwischen West- und Ostdeutschland be-steht. Frauen, die in Ostdeutschland arbeiten, verdienenzwar ebenfalls weniger als ihre männlichen Kollegen,aber die Lohnlücke ist dort deutlich geringer als im Wes-ten. Dies wird wohl mit der besseren Kinderbetreuungs-infrastruktur zusammenhängen. Deswegen ist für unsder Ausbau der Kinderbetreuung mit dem Ziel, bis 2013für bundesweit durchschnittlich 35 Prozent der unterdreijährigen Kinder Betreuungsplätze zu haben, eine derwesentlichen Maßnahmen, die wir zur Überwindung desGender Pay Gap verfolgen.
Ein weiteres wichtiges Instrument zur Beseitigungder Lohnlücke ist die Einführung des Logib-D-Verfah-rens. Dies eröffnet Unternehmen die Möglichkeit, in ei-nem freiwilligen Selbsttest zu untersuchen, inwieweitEntgeltgleichheit im Unternehmen sichergestellt ist. Die-ses Verfahren wurde gut angenommen. Es ist ein Instru-ment, das im Rahmen der Selbstverpflichtung, auf diewir setzen, Wirkung zeigt.Darüber hinaus haben wir zur Bekämpfung des Gen-der Pay Gap das Unternehmensprogramm „ErfolgsfaktorFamilie“ zur Durchsetzung einer familienbewussten Per-sonalpolitik und das Aktionsprogramm „PerspektiveWiedereinstieg“ auf den Weg gebracht, welches Frauennach einer familienbedingten Erwerbsunterbrechung dieReintegration ins Berufsleben erleichtert.Die Überwindung der Lücke zwischen den Löhnenvon Frauen und Männern ist ein wichtiges gleichstel-lungspolitisches Signal. Dafür ist ein Umdenken in derGesellschaft genauso erforderlich wie das Aufbrechenvon Rollenbildern und das Selbstverständnis eines mo-dernen Familienbildes.Wir haben in diesem Jahr den 100. InternationalenFrauentag gefeiert. Ich verweise nochmals darauf, dassunser Grundgesetz in Art. 3 Abs. 2 ausführt:Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung derGleichberechtigung von Frauen und Männern undwirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteilehin.Meine Damen und Herren, daran arbeiten wir.
Monika Lazar hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Forderung „Gleicher Lohn für gleiche und gleich-windRsswtedzEWGdmEbsGbbPlivteugMdzgkVbmaflswuainraEwimghs
s gibt ferner das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz.ir könnten also der Meinung sein, wir hätten genugesetze. Aber wir kennen die Zahlen: Seit Jahren beträgter durchschnittliche Lohnunterschied 23 Prozent. Da-it sind wir im EU-Vergleich auf einem hinteren Platz.s gibt keinerlei Anzeichen, dass wir uns von dort weg-ewegen.Wir wissen – das wurde schon ausgeführt –: Es handeltich hierbei um eine komplexe Materie. Beim Gender Payap kommt einiges zusammen: die hohe Teilzeitquoteei Frauen, die häufigeren und längeren Erwerbsunter-rechungen wegen der Erziehung der Kinder oder derflege von Angehörigen, die geringere räumliche Mobi-tät von Frauen. Dazu gehört aber auch die sogenannteertikale Polarisation auf dem Arbeitsmarkt. Das bedeu-t nichts anderes, als dass Frauen in Führungspositionennterrepräsentiert sind und selbst dort dramatisch weni-er verdienen als ihre männlichen Kollegen.Natürlich ist es immer noch so, dass junge Frauen undädchen schlecht bezahlte Berufe wählen und sich aufeutlich weniger Berufe und Branchen als Männer kon-entrieren. Nun könnten wir, wie es Ministerin Schrödererne macht, sagen: Selber schuld! Die jungen Frauenönnen ja Maschinenbau studieren und den Beruf in denordergrund stellen. – Aber so einfach ist das nicht. Wirrauchen durchaus vieles: bessere Kinderbetreuung,ehr Männer, die ihre Vaterrolle auch zeitlich stärkerusfüllen,
exible Arbeitszeiten gerade für Eltern und selbstver-tändlich eine andere Arbeitskultur. Ich denke, darin sindir uns im ganzen Hause einig.
Aber das ist nicht alles. Der verschieden hohe Lohn-nterschied in Ost- und Westdeutschland wurde schonngesprochen. In Westdeutschland beträgt er 25 Prozent, Ostdeutschland 6 Prozent. Das liegt unter anderem da-n, dass die ostdeutschen Männer weniger verdienen.s gibt sicherlich auch einige westdeutsche Männer, dieeniger verdienen würden. Der geringere Unterschied Osten ist aber nicht nur der besseren Kinderbetreuungeschuldet. Es ist nämlich auch so, dass die große Mehr-eit der ostdeutschen Frauen wirtschaftlich für sichelbst verantwortlich ist; das ist für sie eine Selbstver-
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Monika Lazar
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ständlichkeit. Die Hausfrauenehe spielt keine Rollemehr; es gibt sie nur zu einem geringen Prozentsatz. Beiknapp drei Vierteln aller Paare in Ostdeutschland sindbeide Partner erwerbstätig. Auch der Anteil der Teilzeit-arbeit ist wesentlich geringer als in Westdeutschland.Die Frauen im Osten sind also aufgrund ihrer Ausbil-dung hochqualifiziert, und sie wollen mehr und aucheher Vollzeit arbeiten.Interessant ist auch, dass es einen Unterschied zwi-schen Stadt und Land gibt. In ländlichen Regionen istdie Lohnlücke um fast 10 Prozent größer als in der Stadt.Auch wenn die Ursachen noch nicht ausreichend er-forscht sind – entsprechende Forschungen laufen –, gibtes einige Auffälligkeiten: Die Frauen auf dem Land neh-men noch häufiger Minijobs an, sind häufiger Hinzuver-dienerinnen, und die Vereinbarkeit von Familie und Be-ruf ist wegen der größeren räumlichen Entfernungenmeistens noch schwieriger zu bewerkstelligen.Zu den Führungspositionen – das habe ich vorhinschon angesprochen – gibt es eine aktuelle Studie vomWSI, nach der der Lohnunterschied 18 bis 24 Prozentbeträgt. Er ist also kein bisschen geringer, obwohl dieFrauen sicherlich genauso qualifiziert sind.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wirsind uns in vielem einig, was Ihren Antrag und auch dieEckpunkte betrifft, die Sie jetzt für ein Entgeltgleich-heitsgesetz vorlegen. Viele dieser Forderungen findenSie auch in unserem Antrag „Frauen verdienen mehr“,den wir im März hier im Plenum diskutiert haben. Auchwir wollen den Ausbau der Verbandsklage. Ich denke,das ist wirklich ganz wichtig. Wir wollen die Tarifpar-teien zu einer diskriminierungsfreien Arbeitsbewertungverpflichten. Wir brauchen endlich Transparenz bei denEntgelten. Wir möchten auch erreichen, dass sich dieBeschäftigten über ihr Arbeitsentgelt und dessen Zusam-mensetzung austauschen dürfen. Ich denke, das ist sehrwichtig. Klauseln in Arbeitsverträgen, die das verbieten,sind nicht rechtmäßig.Notwendig ist in diesem Zusammenhang selbstver-ständlich auch ein flächendeckender Mindestlohn. DassFrauen einen Anteil von knapp 70 Prozent an den Nied-riglohnbeschäftigten haben, hat die Kollegin bereits aus-geführt.Neben den gesetzlichen Regelungen für die Entgelt-gleichheit brauchen wir dringend ein Gleichstellungsge-setz für die Privatwirtschaft. Ich denke, da sind wir auchsehr nahe beieinander.
Der Equal Pay Day war in diesem Jahr der 25. März.Ich würde mich sehr freuen, wenn es an diesem Tagmehr als nur warme Worte geben würde, warme Worte,wie sie unter anderem in der lauen Pressemitteilung derMinisterin Schröder standen. Ich würde mich freuen,wenn wir da gemeinsam vorankommen, damit es mehrgibt als nur warme Worte oder Selbstverpflichtungen.Ich denke, wir sollten auch unserem Anspruch als Ge-setzgeber gerecht werden und die Rahmenbedingungenvorgeben. Deshalb lade ich die KoalitionsfraktionenhhRWleleGnlaheduudteZbteb3dMsoMLrubdhFliDw„wwFte
Ewa Klamt hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion das
ort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-gen! Gleichberechtigung ist keine sich selbst erfül-nde Prophezeiung. Sie muss – immer noch – in unsereresellschaft ausgebaut und gelebt werden. Frauen mei-er Generation können bei diesem Thema aufgrundngjähriger Erfahrungen mitreden. Wir wissen, was wirier einfordern wollen.Die existierende Lohnungleichheit in Deutschland istine der ungelösten Herausforderungen. Die entschei-ende Frage ist: Was sind die Ursachen der Lohnlücke,nd wie können wir sie bekämpfen? Wir wissen, dass dienterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauenrei Kernursachen hat: Erstens. Frauen sind in bestimm-n Berufszweigen und Branchen unterrepräsentiert.weitens. Qualifikationen, die Frauen in das Erwerbsle-en einbringen, werden häufig schlechter bewertet. Drit-ns. Frauen steigen öfter und länger aus dem Erwerbsle-en aus.Wir wissen zum Beispiel, dass Frauen aus circa50 Ausbildungsberufen im Wesentlichen nur zehn ausem Dienstleistungs- und Sozialbereich auswählen.Die Wahl der Studiengänge zeigt ein ähnliches Bild:änner fokussieren sich auf die technisch-naturwissen-chaftlichen Zweige, Frauen wählen vermehrt sprach-der sozialwissenschaftliche Studiengänge. Frauen undänner gehen also bereits zu Beginn ihrer beruflichenaufbahn unterschiedliche Wege; sie richten ihre Be-fswahl nach unterschiedlichen Kriterien aus. Das Pro-lem ist jedoch, dass jeder Einzelne individuell entschei-et. Wir als Gesetzgeber können vom Kindergarten bisin zur allgemeinen schulischen Bildung versuchen,rauen frühzeitig für technische oder naturwissenschaft-che Berufe zu begeistern.
eshalb sind die Programme des Familienministeriumsie „Komm, mach MINT“, der Girls’ Day, aber auchNeue Wege für Jungs“ der richtige Ansatz, das Berufs-ahlspektrum von jungen Frauen und Männern zu er-eitern.Der zweite Aspekt ist die Tatsache, dass nach wie vorrauen und ihre Qualifikationen im Berufsleben schlech-r bewertet werden.
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So sehen Unternehmen Frauen häufig als Unsicherheits-faktor, da sie dem Arbeitgeber durch Elternzeit und Er-ziehungspausen nur bedingt zur Verfügung stehen. IhreTätigkeit wird, bewusst oder unbewusst, nach dem Aus-fallrisiko bewertet. Entscheidend ist daher in den Betrie-ben ein Bewusstseinswandel dahin gehend,
das Potenzial und die Fähigkeiten von Frauen besser zunutzen. Der Fachkräftemangel und der demografischeWandel zeigen vielen Unternehmen bereits heute dierichtige Weichenstellung auf. Wer dringend benötigteFachkräfte haben und halten möchte, muss das Potenzialvon Frauen nutzen. Gleiche Bezahlung für gleiche Ar-beit wird darüber entscheiden, wer zukünftig in diesemLand über genügend Fachkräfte verfügt.
Der dritte Aspekt ist die familienbedingte Unterbre-chung der Erwerbstätigkeit. Es sind nach wie vor mehr-heitlich junge Frauen, die sich der Kindererziehung wid-men und dafür ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen. Nachihrer Rückkehr ins Berufsleben reduzieren sie verstärktihre Stundenzahl; sie nehmen besonders häufig Teilzeit-modelle in Anspruch. Statistiken und Studien belegen,dass insbesondere in Deutschland die Erwerbsunterbre-chung ein maßgeblicher Faktor der ungleichen Entloh-nung ist. Insofern trifft der Satz des SPD-Antrages zu,dass es Aufgabe der Politik ist, Prozesse in Gang zusetzen und bei der Überwindung typischer Blockaden zuhelfen. Das von der CDU vorgeschlagene „audit beruf-undfamilie“ ist ein richtiger Ansatz. Die Politik zeigthier den Unternehmen Lösungswege auf. So kann sichein gesellschaftlicher Bewusstseinswandel entfalten.Unternehmen mit einem großen Frauenanteil nehmendies heute in hohem Maße an. Sie verzichten schon ausökonomischen Gründen nicht mehr auf gut ausgebildeteFrauen. Fakt ist: Wir sind keine Erziehungsdiktatur.Auch wenn wir uns wünschen, dass sich mehr Männer inFamilienarbeit und Kinderbetreuung einbringen, bleibtdie Entscheidung, welcher Partner sich der Kindererzie-hung widmet, eine individuelle Entscheidung.
Die Hoheit über die Kinderbetten zu erlangen, wie es derehemalige Arbeitsminister Olaf Scholz verlangte, istnicht Ziel unserer CDU/CSU-Politik.
Für mich sind alle drei geschilderten Problembereichekomplex miteinander verknüpft. Klar ist, dass wir dieUngleichheit in der Entlohnung ursachengerecht ange-hen müssen. Fest steht auch, dass gesellschaftlicherWandel nicht per Gesetz verordnet werden kann. Abermit dem Ausbau der Kinderbetreuung, dem Rechtsan-spruch auf einen Kitaplatz, dem Projekt „PerspektiveWiedereinstieg“ und dem Elterngeld für beide Eltern-teile hat die CDU die Weichen richtig gestellt.
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die Unternehmen stellen sicher, dass bei der Erstel-lung des Berichts Betriebs- und Personalräte,Gleichstellungsbeauftragte und Beschäftigte sowieTarifvertragsparteien einbezogen werden.
Liebe Frau Humme, wenn ich mir vorstelle, was das anürokratischem Aufwand für die rund 3,4 Millionenleinen und mittleren Unternehmen sowie für die Selbst-tändigen bedeutet, stellt sich mir die Frage, ob sie dem-ächst überhaupt noch Frauen einstellen.
h sage Ihnen: Wir brauchen weder neue Behördenmit-rbeiter, die unzählige Daten sammeln und verarbeiten,och brauchen wir neue Berichtspflichten, die zualler-rst unseren Mittelstand treffen.Die Quintessenz einer lösungsorientierten und realis-schen Gleichstellungspolitik muss sein
Schreien macht nichts besser; Sie können für Ihreraktion reden –, die sozialen Risiken in den Lebensläu-n und Erwerbsbiografien der Menschen zu erkennennd familien-, gleichstellungs- und kinderfreundlicheahmenbedingungen zu schaffen. Dann erreichen wir,
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dass Frauen der Wiedereinstieg in sozialversicherungs-pflichtige Vollzeitjobs gelingt und die wesentlichen Ur-sachen für eine fehlende Entgeltgleichheit beseitigt wer-den.Statt immer neue Gesetze zu erfinden, sollten auchSie, liebe Kollegen von der SPD, erkennen, dass wir unsauf unsere Kernaufgabe konzentrieren müssen, nämlichauf die Schaffung von Grundlagen und Rahmenbedin-gungen.Ich danke Ihnen.
Sigmar Gabriel gebe ich jetzt als erstem Mann in der
Debatte das Wort. Sollte sich die Entgeltgleichheit bei
uns in Redezeit ausdrücken, haben die beiden Männer
sehr gut verhandelt. Er spricht für die SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Wir sind uns aber si-cher einig, dass die Herstellung von Gleichberechtigungkeine alleinige Aufgabe der Frauen ist.
Meine Damen und Herren! Ich will den Argumentenbegegnen, dass das nur für mehr Bürokratie sorgenwürde, dass dies eine Aufgabe der Tarifvertragsparteiensei und die Politik sich herauszuhalten habe. Ich lese Ih-nen einen Satz vor, um den es hier eigentlich geht:Niemand darf wegen seines Geschlechts … benach-teiligt oder bevorzugt werden.Das ist einer der fundamentalen Sätze der Verfassung derBundesrepublik Deutschland. Recht und Gesetz inDeutschland durchzusetzen, ist nicht die Aufgabe vonPrivatpersonen, auch nicht von Tarifvertragsparteien,sondern die Aufgabe des Gesetzgebers, der Exekutive,des Staates. Deswegen geht es hier um staatliches Han-deln und nicht um Fragen der Bürokratie oder um Auf-gaben von Privatpersonen.
Es geht auch nicht um Bewusstseinsbildung. Es geht umRecht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt und um dieDurchsetzung unserer Verfassung. Es geht nicht darum,dass den Unternehmen ein Lernauftrag erteilt werdensoll. Frau Schön, es geht auch nicht um ein Privatver-gnügen. Es ist nicht egal, ob man das macht oder nicht.Es geht darum, dass wir der Verfassung unseres LandesGeltung verleihen. Es ist einer der gröbsten Verstöße ge-gen die Verfassung, dass Frauen und Männer in diesemLand für gleiche Arbeit ungleich bezahlt werden. Das isteRtrFriFsdEleLntrruinwüsuks–liwla–zfüwlamzeuddIcDihzd
Damit wir uns hier verstehen: Wir haben diesen An-ag schon zur Zeit der Großen Koalition eingebracht.rau Merkel und die nicht anwesende Familienministe-n bzw. ihre Vorgängerin haben ihn im Duett abgelehnt.ür uns ist das keine neue Erkenntnis. Es ist übrigenspannend, wie wichtig die zuständigen Kabinettsmitglie-er diese Debatte offensichtlich finden.Leistung lohnt sich nicht für Frauen in Deutschland.s geht darum, Frau Kollegin Schön, dass wir der sozia-n Marktwirtschaft Geltung verleihen und dass sicheistung lohnt. Es ist übrigens ein interessanter Mei-ungswandel, dass Sie das für die Aufgabe der Tarifver-agsparteien halten; denn ich habe noch gut in Erinne-ng, dass CDU/CSU und FDP die Tarifvertragsfreiheitfrage stellen und den Flächentarifvertrag abschaffenollten. Aktuell verhindern Sie im Kabinett ein Gesetzber die Tarifeinheit. Sie zerstören die Tarifverträge undagen gleichzeitig, dass sich die Tarifvertragsparteienm die Gleichbehandlung von Männern und Frauenümmern sollen. Das kennzeichnet Ihre Politik in die-em Bereich.
Wenn das reine Polemik ist, dann beschließen Sie end-ch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Sieissen, dass 70 Prozent der Niedriglöhner in Deutsch-nd Frauen sind. Machen Sie das doch endlich!
Herr Kollege Kauder, ich weiß, dass Sie wenig Zugangu diesem Lohnsektor haben. Nein, es geht darum, dassr Männer und Frauen eine Untergrenze eingeführtird. Wenn wir wissen, dass in weiten Teilen Deutsch-nds keine Tarifverträge gelten, weil sich die Arbeitneh-erinnen und Arbeitnehmer gar nicht mehr trauen, sichu organisieren, dann muss der Staat eine untere Grenzeinführen. Das wussten Ihre Vorgänger Ludwig Erhardnd andere besser als Sie heute.
Herr Kollege Kauder, meine Damen und Herren voner Regierungskoalition, es geht nicht an, dass die Bun-eskanzlerin das zum Privatproblem der Frauen macht.h zitiere einmal aus einem Interview mit der Emma.ort rät die Bundeskanzlerin Frauen, die weniger alsre männlichen Kollegen verdienen, „selbstbewusstum Chef zu gehen und zu sagen: Da muss sich was än-ern!“
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Sigmar Gabriel
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Wo sind wir eigentlich hingekommen? Es geht dochnicht darum, dass die betroffenen Frauen aufgefordertwerden, etwas zu tun. Es ist die Aufgabe der Politik, ei-nen Missstand, der Millionen von Frauen betrifft, zu be-seitigen. Das ist unsere Aufgabe. Das geht auch Sie an.Sie können sich nicht ständig vor der Verantwortungdrücken.Ich sage hier ganz offen: Lernen Sie doch auch vonden Fehlern der Sozialdemokratie. Wir haben auch ein-mal gedacht, dass Selbstverpflichtungen helfen. Heutewissen wir: Sie helfen nicht.
Sie möchten jetzt eine freiwillige Frauenquote in Auf-sichtsräten und Vorständen einführen. Ich stelle mir ein-mal vor, wie wir zu den DAX-Vorständen und Aufsichts-räten sagen: Jungs, ihr müsst jetzt zu 40 Prozentfreiwillig auf den Millionenjob verzichten, damit Platzfür die Frauen ist. – Wenn Sie glauben, dass das funktio-niert, dann glauben Sie auch, dass man mit Gänsen überWeihnachten diskutieren kann.
Das kann man nicht ohne den Gesetzgeber durchsetzen.Es ist schlimm, dass die Kanzlerin diese Entwicklung,die bei Ihnen durch Frau von der Leyen in Gang gekom-men war, wieder gestoppt hat. Es gibt immer nur Win-dow Dressing in der CDU/CSU und FDP. Wenn es da-rauf ankommt, schlagen Sie sich in die Büsche.Vielleicht hilft es Ihnen ja, sich die Realität in den un-terschiedlichen Lohnsegmenten in Deutschland anzu-schauen; es geht dabei nicht nur um den Niedriglohn-sektor. Sie scheinen auch in diesen Bereichen einWahrnehmungsproblem zu haben. Ihre Familienministe-rin sagte in einem Interview:Wir können den Unternehmen nicht verbieten,Elektrotechniker besser zu bezahlen als Germanis-ten.Darum geht es aber nicht. Erklären Sie Ihrer Familien-ministerin bitte, dass es nicht darum geht, unterschied-liche Gehälter zu nivellieren, sondern dass man etwasdagegen tun muss, dass Ingenieure besser bezahlt wer-den als Ingenieurinnen. Das muss doch die Politik inte-ressieren.
Der Lohnunterschied im Beruf der Ingenieure beträgtzwischen den Männern und Frauen 17 Prozent. Wie er-klären Sie das einer fleißigen und gut qualifiziertenFrau?Nun komme ich zum Größten, das Sie sich bisher ge-leistet haben. Ihre Frauenministerin sagte über dieFrauen:DdwcbEswdruesFfrmwsBlidTEDSwNdddfereDddSvzwnddbtr
s liegt auch daran, dass Sie nicht bereit sind, dafür zuorgen, dass in Deutschland vernünftige Löhne gezahlterden. Deshalb werden Frauen in diese Bereiche ge-rängt.
Wenn Sie sagen, dass es an der Wahl des falschen Be-fs liegt, dann schauen Sie doch einmal typische Frau-nberufe, in denen nur oder im Wesentlichen Frauen be-chäftigt sind, an. Drei Viertel der Bürokaufleute sindrauen; das ist also deutlich die Mehrheit. Bürokauf-auen verdienen trotzdem 15 Prozent weniger als ihreännlichen Kollegen. Oder schauen wir ins Bankge-erbe. Bankkauffrauen bekommen im Monat im Durch-chnitt 700 Euro weniger als ihre männlichen Kollegen.emerkenswert ist auch ein Blick in die soziale Wirk-chkeit der oberen Gehaltsgruppen. Die Zahlen zeigen,ass auch Frauen in Führungspositionen für die gleicheätigkeit deutlich weniger Geld bekommen. Auf derbene der Hauptabteilungsleiter verdienen Frauen einrittel weniger als ihre männlichen Kollegen. Da sagenie: Fangen wir mit der Bewusstseinsbildung an! Wartenir auf die Bewusstseinsbildung in den Unternehmen! –ein, wir sagen ganz klar: Das ist eine Aufgabe, der sichie Politik stellen muss. Wir sind dafür verantwortlich,ass Recht und Gesetz in Deutschland eingehalten wer-en. Das ist keine Frage der Freiwilligkeit.
Immer wenn es konkret wird, ist von Ihren Schau-nsterreden nichts mehr zu hören. Sie fallen den Frauengelmäßig in den Rücken, wenn es konkret wird.
as war übrigens auch bei den Hartz-IV-Verhandlungener Fall. Als wir gefordert haben, die Beschäftigten iner Leih- und Zeitarbeit genauso zu behandeln wie dietammbelegschaften, wussten wir doch, dass davoniele Frauen betroffen wären, die dann vernünftig be-ahlt worden wären. Sie haben sich dagegen gewehrt.Vielleicht haben auch noch nicht alle mitbekommen,ie Ihre Definition von Equal Pay ist. Sie haben zu-ächst einen Equal-Pay-Day ausgerufen. Nächtens hatann die FDP mit Zustimmung der Union folgendes Mo-ell erarbeitet: Equal Pay – gleicher Lohn für gleiche Ar-eit – soll schon ab dem ersten Tag gelten, wenn der Be-ieb, in den ein Leiharbeitnehmer verliehen wird,
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Sigmar Gabriel
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schlechter bezahlt, als es der Tarifvertrag in der Zeitar-beit vorsieht. Wenn der Betrieb besser bezahlt als in derZeitarbeit vorgesehen, dann – so war Ihr Vorschlag – solldas Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ erst nachneun Monaten gelten. Wissen Sie, wie ich das nenne?Solche Vorschläge nenne ich asozial, meine Damen undHerren.
– Nein. Beschämend ist, sich immer vor der Verantwor-tung zu drücken und immer nur von anderen zu fordern,sich zu kümmern.
– Ja, passen Sie auf. Dann gebe ich mir Mühe und zitieredie von Ihnen offensichtlich immer noch, jedenfalls zeit-weise, geschätzte Kanzlerin.
Sie sagt: Über Frauenpolitik darf man nicht nur reden.Man muss handeln. –
Na, dann handeln Sie einmal, meine Damen und Herren!
Der Kollege Beck erhält das Wort, und zwar, wie ich
annehme, zu einer Kurzintervention.
Nein, ich möchte einen Geschäftsordnungsantrag stel-
len.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
finde, in dieser Debatte zum Thema „Entgeltgleichheit
zwischen Frauen und Männern“ geht es um eine zentrale
Frage der Frauenpolitik.
Ich vermisse nicht nur viele Kolleginnen und Kollegen
aufseiten der Koalition,
sondern vor allen Dingen auch die Bundesfrauenministe-
rin.
Wir möchten sie zu dieser Debatte herbeizitieren, weil
wir finden: Eigentlich müsste sie dem Haus in dieser
Diskussion Rede und Antwort stehen.
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Wir kommen zur Abstimmung über diesen Geschäfts-rdnungsantrag.
er dem Antrag auf Herbeizitierung zustimmen möchte,en bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Wer ist dage-en? – Gibt es Enthaltungen? –
ir sind uns nicht einig.
eswegen können wir die Mehrheit nur auf andereeise feststellen. Wir werden jetzt einen Hammelsprungurchführen.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, den Plenar-aal zu verlassen.Wir würden auch noch ein paar Stühle herausstellenssen für den Fall, dass Sie gern weiter sitzen wollen.ber vielleicht begeben Sie sich nach und nach hinaus.Es sind im Verhältnis zu allen anderen noch übermä-ig viele FDP-Kolleginnen und -Kollegen im Saal.Sind alle Türen mit Schriftführern besetzt? – Nochicht. Es fehlen noch zwei Schriftführer von der Regie-ngskoalition. – Jetzt sind alle Türen besetzt. Dann er-ffne ich die Abstimmung.Gibt es immer noch Kolleginnen und Kollegen, dieor der Tür stehen und nicht hereinkommen können,eil das Gedränge so groß ist? Ich frage das in Richtunger Schriftführerinnen und Schriftführer. – Jetzt scheintußer den Besucherinnen und Besuchern niemand mehror der Tür zu sein.
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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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Dann schließe ich jetzt die Abstimmung und bitte dieKolleginnen und Kollegen Schriftführer, uns das Ergeb-nis mitzuteilen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben zweierleifestgestellt: Erstens. Der Deutsche Bundestag ist – wieeigentlich immer – beschlussfähig, weil wir bei der Zäh-lung das entsprechende Quorum erreicht haben.Zweitens. Mit Ja zum Antrag auf Herbeizitierung ha-ben 173 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Mit Neinhaben 230 gestimmt. Enthalten hat sich niemand. Damitist der Geschäftsordnungsantrag abgelehnt.
Wenn jetzt die Gespräche der CSU-Landesgruppe,der Geschäftsführung von Bündnis 90/Die Grünen undvon Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion ananderer Stelle fortgesetzt werden – besonders die CSU-Landesgruppe ist hartnäckig; Frau Hasselfeldt identifi-ziert sich offenbar noch nicht ausreichend mit ihrerneuen Funktion; wenn ich CSU-Landesgruppe sage, hörtsie noch nicht automatisch –, setzen wir die Debatte fort.Erhöhter Aufmerksamkeit erfreut sich jetzt die Kolle-gin Gabriele Molitor für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Um der Legendenbildung keinen
Vorschub zu leisten: Ich wollte nicht vor mehr Publikum
sprechen und habe deswegen nicht diese sportliche Akti-
vität von Ihnen verlangt.
Ich möchte an das anknüpfen, was Sigmar Gabriel
hier eben gesagt hat. Ich habe den Eindruck, dass die
SPD den Gewerkschaften überhaupt nichts mehr zutraut.
Nicht anders ist es zu verstehen, dass Gewerkschaften
offensichtlich Tarifverträge abschließen, die nicht diskri-
minierungsfrei sind. Sie stellen damit der Tarifautono-
mie ein Armutszeugnis aus. Ich finde es erstaunlich, dass
Sie das tun. Wer handelt denn die Tarifverträge aus? Das
sind doch die Gewerkschaften. Ich kann mir gut vorstel-
len, dass die Gewerkschaften von Ihnen nicht dauernd
vorgehalten bekommen wollen, ihren Aufgaben nicht zu
genügen. Auch beim Mindestlohn misstrauen Sie der Ta-
rifautonomie und rufen immer nach dem Gesetzgeber.
Was Ihnen zum Erreichen des Ziels „gleicher Lohn
für gleiche Arbeit“ bei Männern und Frauen einfällt, ist
eigentlich sehr enttäuschend. Was Sie verlangen, führt
zu zusätzlicher Bürokratie. Unternehmen sollen ver-
pflichtet werden, Entgeltdaten zu melden. Sie wollen
eine neue Superbehörde in Deutschland schaffen. Dabei
müssen Sie doch sehen, dass das Bürokratiemonster
ELENA überhaupt nicht funktioniert hat. Blinde Daten-
sammelwut löst keine Probleme, sondern sorgt nur für
mehr Verwaltungsaufwand.
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In einer Welt, die auch darauf setzt, dass eben nicht
auschal verkürzt wird, wie Sie das auch mit Ihren Sta-
stiken tun,
uf die Sie Bezug nehmen. Denn Sie sagen, angeblich
esteht bei Frauen und Männern ein durchschnittlicher
ehaltsunterschied von 23 Prozent. Dabei hält diese
rozentzahl einer differenzierten Überprüfung nicht
tand.
Viel interessanter ist in meinen Augen eine aktuelle
tudie der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft. Hier
erden erstaunliche Ergebnisse aufgezeigt: Bei jungen
rauen ohne Kinder oder mit kurzen Babypausen ist eine
ohnungleichheit statistisch nicht mehr nachweisbar.
o beträgt etwa die Entgeltlücke zwischen 25- bis 35-jähri-
en erwerbstätigen Männern ohne Kinder und der ver-
leichbaren Gruppe von Frauen nur knapp 2 Prozent und
llt damit in den Bereich der statistischen Unschärfe.
Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Höll zulassen?
Bitte.
Bitte schön.
Frau Kollegin, da Sie ja jetzt vertieft in Zahlen ein-teigen, aber als Ausgangszahl auch die Zahl 23 Prozentohnunterschied zwischen Frauen und Männern genanntaben – das ist bekanntlich die Zahl des Statistischenundesamts –, möchte ich Sie fragen: Stimmen Sie mirarin zu, dass bereits diese Zahl eindeutig von einemännerzentrierten Denken geprägt ist? Denn wenn maninfach einmal rechnet, eine Frau verdient in der Stunde5 Euro, ein Mann verdient in einer Stunde 20 Euro,ann man sagen, die Frau verdient ein Viertel weniger,ber man kann natürlich auch sagen, der Mann verdientin Drittel mehr als die Frau. Das heißt, da ist der realeohnunterschied 33 Prozent. Die Frau muss, um dasleiche wie der Mann zu verdienen, nicht ein Vierteljahrrbeiten, sondern vier Monate. Das heißt also, diese all-emein verbreitete Zahl von 23 Prozent Lohnunter-chied, im Durchschnitt gerechnet, verschleiert bereitsie Unterschiede, die es in der Bundesrepublik Deutsch-
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Dr. Barbara Höll
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land gibt, und verschleiert, dass Frauen in der Realitätnoch viel stärker benachteiligt werden.
Ich gebe Ihnen vollkommen recht, Frau Kollegin,
dass Zahlen verschleiern und dass Zahlen nicht immer
unbedingt die Tatsachen widerspiegeln. Gerade an die-
sem Beispiel wird deutlich, dass wichtige Faktoren aus-
geblendet sind, nämlich Teilzeitarbeit, unterschiedliche
Qualifikation bei den Tätigkeiten, Ausbildungs- und Be-
rufserfahrung. Für eine solche objektive Analyse – da
müssen wir ansetzen – reicht der Blick auf die Zahlen
nicht aus.
Ich denke, es geht der Antragstellerin, der SPD, im
Wesentlichen darum, unter dem Deckmantel der Gleich-
berechtigung Mindestlöhne einzufordern
– ja –, und das hilft uns an dieser Stelle nicht weiter.
Dass dadurch vor allem die durch Frauen ausgeübten
Teilzeitbeschäftigungen
sowie die Arbeitsplätze für Geringqualifizierte einge-
schränkt werden, scheint Sie nicht zu stören. Das finde
ich sehr ignorant.
Hauptsache, man hat ein Gesetz auf den Weg gebracht.
Sinn oder Unsinn interessiert an dieser Stelle nicht.
Die Koalitionsfraktionen hingegen wissen, dass wir
nur auf der Basis einer vernünftigen Analyse eine sach-
gerechte Strategie entwickeln können. Diese Analyse
muss dann eben auch den gesellschaftlichen Entwicklun-
gen Rechnung tragen. In den letzten Jahrzehnten hat sich
der Beschäftigungsanteil von Frauen ständig erhöht.
Auch die Gehälter von Frauen haben sich erhöht. Viele
Frauen machen heute Karrieren, von denen ihre Mütter
nur träumen konnten. Ich denke, der richtige Weg ist es,
auf die qualifizierte Berufsausbildung zu schauen und
dafür zu sorgen, dass Mädchen verstärkte Aufmerksam-
keit in ihre Ausbildung lenken.
Gerade mir als Mutter ist es besonders wichtig, dass
diese Dinge in den Vordergrund gerückt werden.
Auf diesem Weg werden wir weiterkommen. Denn
mit gesetzlichen Keulen und Mindestlöhnen ist an dieser
Stelle niemandem geholfen, zuallerletzt den Frauen.
Vielen Dank.
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ie Männer dürfen das inzwischen. Ich frage Sie außer-em: Wie sollen Eltern Vollzeit arbeiten, wenn Ganz-gsbetreuungsplätze überhaupt nicht zur Verfügung ste-en?In den östlichen Bundesländern, zumindest in drei dernf, wollen weit mehr als 38 Prozent der Frauen mitindern unter drei Jahren erwerbstätig sein, die meistenollzeit. In Sachsen-Anhalt sind es über 50 Prozent. Inachsen und Thüringen ist das nicht so. Gute Kinderbe-euung, denkt man, spricht für sich. Aber warum ist das Sachsen und Thüringen anders? Die Antwort ist ganzinfach: Dort gibt es eine Prämie für das Zuhauseblei-en. Das nutzen in ihrer Not vor allem Frauen. Familienenken da nämlich ganz praktisch: Derjenige oder dieje-
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Dr. Rosemarie Hein
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nige bleibt zu Hause, der oder die am wenigsten zum Fa-milieneinkommen beitragen kann. Nun soll diese „Zu-hausebleibeprämie“ auch noch bundesweit kommen.Frau Ministerin sollte dieses Dickicht wegräumen, wennsie wirklich für eine Entgeltgleichheit sorgen will.
– Ich benutze hier Zahlen der Bundesregierung, keineanderen.Ein weiterer Fakt: Bezüglich meines Bundeslandes,Sachsen-Anhalt, weist der Gleichstellungsatlas des Bun-desministeriums einen sehr kleinen Einkommensunter-schied aus; das ist hier schon erwähnt worden. Dascheint alles in Butter zu sein; die Richtung scheint zustimmen. Da ich mich zu Hause ein bisschen auskenne,habe ich nachgeschaut. In Sachsen-Anhalt liegen dieLohnunterschiede im produzierenden Gewerbe sogar bei25 Prozent. Wenn ich so rechne wie meine KolleginHöll, heißt das: Männer verdienen ein Drittel mehr alsFrauen. Wir haben allerdings nicht so viel produzieren-des Gewerbe und darum auch nicht so viele hohe Ein-kommen. Was wir viel haben, ist Niedriglohn, und zwarfür Frauen und Männer. Das heißt, weiter nach unten mitdem Lohn geht es kaum noch. Dagegen gäbe es aller-dings ein Mittel: gesetzlicher Mindestlohn.
Diesen einzuführen, löst zwar noch nicht alle Probleme,würde aber unmöglich machen, dass man, etwa im Fri-seurhandwerk, für Stundenlöhne von 3,83 Euro arbeitenmuss. Das wäre dann ausgeschlossen. Das wäre ein Bei-trag zur Entgeltgleichheit und im Übrigen zur Verbesse-rung der Einkommen von Männern.
Gestrüpp zu beseitigen, gilt es auch an anderer Stelle.Mädchen und junge Frauen haben in der Bildung imletzten Jahrhundert deutlich aufgeholt. Sie haben mehrhöhere Schulabschlüsse und studieren häufiger. In Sach-sen-Anhalt erwerben fast 70 Prozent der 18- bis 21-jäh-rigen jungen Frauen eine Studienberechtigung – da istSachsen-Anhalt Spitzenreiterin –; aber nur 17 Prozentder Professuren in diesem Land wurden an Frauen ver-geben. Frauen finden wir dafür überproportional in Er-ziehungsberufen, besonders in der frühkindlichen Bil-dung und in der Grundschule, aber auch in der Pflege.Dort sind Männer eher die Ausnahme. Ich war neulich ineiner Grundschule. Sie arbeitet inklusiv – ich hoffe, hiernicht mehr erklären zu müssen, was das bedeutet –; eswird also niemand an eine andere Schule geschickt.40 Prozent der Kinder, die diese Grundschule besuchthaben, setzen ihren Bildungsweg auf dem Gymnasiumfort. Ihr Bildungsweg ist also erfolgreich. Die Stunde,die ich miterleben durfte, war beeindruckend. Ich gebeIhnen Brief und Siegel: Die Mehrzahl der Kolleginnenund Kollegen aus diesem Hause – ich schließe mich daein –, die irgendwann schon einmal vor einer Klasse ge-standen und unterrichtet haben, wären mit dieser Arbeitvollständig überfordert. Es ist eine Arbeit, die viel Wis-sen und Können, hohe Flexibilität und hohe KreativitätesLaHgSmtefüleüfokGnzAcliCKMleTLim–gsssnsnMoz
Hören Sie doch einfach zu! – Frauen demonstrieren fürleiche Löhne, der Lohnabstand bleibt. Die Fraktionentellen Anträge, wollen etwas verändern, der Lohnab-tand bleibt. Die Regierungen wechseln, der Lohnab-tand bleibt. Geändert hat sich inzwischen die Bezeich-ung. Es heißt oftmals nicht mehr „Entgeltgleichheit“,ondern „Equal Pay“; aber auch das hat das Problemicht erledigt.In Deutschland gibt es eine ungleiche Entlohnung beiännern und Frauen, und das ist nicht akzeptabel. Dieffiziellen Zahlen zeigen, dass bei uns die Lohnlückewischen Männern und Frauen 23,2 Prozent beträgt. Im
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11659
Rita Pawelski
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Laufe des Arbeitslebens steigt der Einkommensunter-schied auf 30 Prozent. Wie ist das zu erklären? Wo liegtdas Problem?Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat dazu einpaar interessante Untersuchungen vorgelegt. Dabei kamheraus, dass ein entscheidender Faktor für die Verdienst-lücke zwischen Männern und Frauen die Zeiten der Er-werbsunterbrechung, zum Beispiel die Babypause, sind.Denn die Lohnschere öffnet sich ab einem Alter von30 Jahren, und das ist exakt die Zeit, in der viele Frauenihr erstes Kind bekommen und für eine bestimmte Zeitaus ihrem Job heraus müssen.Teilzeitarbeit – das haben wir heute schon oft gehört –nehmen Frauen oft nur deshalb in Anspruch, weil sie Fa-milie und Beruf nicht anders vereinbaren können; aberTeilzeitarbeit führt karrieremäßig und finanziell in eineSackgasse. Das gilt übrigens auch für Minijobs.Deutschland ist ein Land mit einer dramatischen de-mografischen Entwicklung. Der Nachwuchs fehlt. Aberwerden bei uns Frauen mit schlechteren Löhnen undschlechteren Aufstiegschancen bestraft, wenn sie wegenihrer Kinder nicht berufstätig sind oder für eine be-stimmte Zeit zu Hause bleiben wollen, um die Kinder zuerziehen? Denn klar ist: Bei einer schnellen Rückkehr inden Beruf nach der Babypause beträgt der Lohnabstandnur 4 Prozent. Wir müssen also unter anderem dafür sor-gen, dass Frauen wieder frühzeitig in den Beruf zurück-kehren können. Da sind wir bereits auf einem gutenWeg.Wie keine Regierung zuvor hat die Merkel-Regierungin den letzten fünf Jahren eine sehr gute Familienpolitikentwickelt und durchgesetzt.
Das hat kein anderer vorher geschafft.Wir brauchen mehr Frauen in Führungspositionen,um eine Vorbildfunktion und ein Umdenken – für mehrBetriebskindergärten, vor allem für familienfreundlicheArbeitszeiten – zu erreichen. Wir müssen den Unterneh-men sagen, dass sie etwas an ihrer Arbeitszeitphiloso-phie ändern müssen. Mehr Flexibilität bei der Arbeits-zeitgestaltung für Frauen und Männer! Das giltbesonders für junge Eltern; denn Mütter wollen längerarbeiten, und Väter wollen weniger arbeiten. Es mussdoch möglich sein, dass man sich da entgegenkommt.
Zum großen Lohnunterschied trägt natürlich auch dieBerufswahl entscheidend bei. Für die akademischen Be-rufe wurde das schon angesprochen. Für mich ist er-schreckend, dass eine unglaublich große Zahl von Mäd-chen – das sage ich besonders in Richtung der Mädchenund jungen Frauen, die hier oben sitzen – sich immernoch für frauentypische Berufe entscheiden. Auch hiergrüßt täglich das Murmeltier; denn schon vor 20 Jahrenwaren Einzelhandelskauffrau, Bürokauffrau, Verkäufe-rifaBHaIhdGupDgedIcloinw–wtinuZvWteMmlisA
is heute hat sich so gut wie nichts geändert, leider.allo, Mädchen, wenn ihr weiterkommen wollt, ergreiftndere Berufe!
r könnt auch Mechatronikerin oder Ingenieurin wer-en.
eht in diese Fächer! Ihr müsst es nur wollen.
Wir haben unglaublich viele Programme aufgestellt,m junge Frauen und Mädchen auch für geschlechtsaty-ische Berufszweige zu motivieren. Es gibt den Girls’ay, „Komm, mach MINT“ und viele andere gute Pro-ramme.Aber selbst wenn frau sich für einen typischen Frau-nberuf entscheidet, bleibt eine Frage: Warum werdeniese Berufszweige so schlecht bezahlt?
h frage die Gewerkschaften, ob der tarifliche Stunden-hn von 4,71 Euro brutto für eine ausgebildete Friseurin Sachsen oder 6,63 Euro im Hotel- und Gaststättenge-erbe in Hessen angemessen ist.
Die Tarifautonomie steht im Grundgesetz, und das istohl auch für Sie immer noch die Grundlage aller Poli-k.Liebe Tarifpartner, kommen Sie endlich Ihrer Pflichtach! Anständige Löhne auszuhandeln, ist Ihre Sachend nicht unsere. Dafür sind Sie verantwortlich.
Den Unternehmen sei gesagt: Sie wollen keinenwang, keine weiteren gesetzlichen Regelungen. Dannerpflichten Sie sich doch bitte tatsächlich einmal selbst!ir helfen Ihnen dabei, zum Beispiel mit dem Compu-rprogramm Logib-D.
it dieser kostenlosen Software können die Unterneh-en aktiv die Ursachen erkennen, die zu unterschied-cher Entlohnung führen, und sie können sie dann ab-chaffen.Meine lieben Unternehmer, gleicher Lohn für gleicherbeit fördert die Motivation. Das macht sich letztend-
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11660 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Rita Pawelski
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lich auch in der Bilanz bemerkbar, und es ist eine Image-förderung auch für das Unternehmen.Lassen Sie mich noch einige Worte zum Antrag derSPD sagen. Erst einmal möchte ich daran erinnern, dassin der hier schon oft zitierten Vereinbarung, die 2001zwischen Kanzler Schröder und der Wirtschaft geschlos-sen wurde, das Thema Entgeltgleichheit – man höre: dasThema Entgeltgleichheit – als eine von vier Zielgrößenverankert wurde. Aber auch hier, wie bei der Quote:Nichts als weiße Salbe!
Frau Pawelski, möchten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Fischbach zulassen? – Anscheinend ja. Bitte
schön.
Ja, selbstverständlich.
Frau Kollegin, herzlichen Dank. – Sie sprachen ge-
rade die Vereinbarung an, die seinerzeit unter Kanzler
Schröder geschlossen wurde. Können Sie mir und den
Kolleginnen und Kollegen vielleicht noch einmal sagen,
wo da der Kollege Gabriel stand?
Er hat gerade sehr emotional reagiert und deutlich ge-
macht, wie er sich des Themas angenommen hat, vor al-
lem in der Zeit danach, als er im Bundestag war. Wie
ernsthaft und ehrlich waren seine Worte in der Rede ge-
rade, wenn er es als Chef der SPD nicht schafft, seiner
Generalsekretärin beim Eintritt in den Mutterschutz die
Angst davor zu nehmen, nicht zurück in ihren Job zu
kommen?
Wäre das nicht auch eine Form von Unterstützung der
Frauen? Er war gerade der große Frauenversteher. Wie
bewerten Sie das?
In der Tat, mich hat schon sehr gewundert, dass die
Generalsekretärin einer großen Volkspartei in den letzten
Schwangerschaftsmonaten Angst davor haben musste,
dass andere ihr den Job wegnehmen.
Das war ein verdammt schlechtes Beispiel oder gibt ei-
nen tiefen Einblick in die Frage, wie es in der SPD wirk-
lich zugeht.
Wenn das die Personalpolitik der SPD ist, dann muss
ich sagen: Sigmar, schämt euch, das war nicht in Ord-
nung!
Wo war Sigmar Gabriel 2001? Ich weiß es nicht mehr.
War er Fraktionsvorsitzender? Oder war er schon Minis-
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Nein, Angst habe ich nicht.Es gab während der Regierungszeit Schröder keinenntrag von der Fraktion oder von den Frauen. Man hatich auch da – wie bei der Quote – in den Senkel stellenssen und schön die Klappe gehalten. Ich habe hierine Pressemitteilung vom 16. Februar 2005. Da wirdhristel Humme, SPD-Abgeordnete und schon damals,ermute ich einmal, frauenpolitische Sprecherin, mitem Satz zitiert – 2005! –:Wir setzen darauf, dass sich Arbeitgeber und Ar-beitnehmer stärker mit dem Thema auseinander set-zen …
Schon bisher hätten Frauen gegen Diskriminierungbeim Gehalt klagen können, …Das war 2005, aber die Zahlen waren schon im Jahr005 genauso wie heute. Hier gibt es kaum einen Unter-chied.
it anderen Worten: Die SPD wird immer dann mutig,enn sie in der Opposition ist. Ihr seid eine tolle Opposi-onspartei, bleibt da, wo ihr seid.
Entschuldigung, Sie haben den Mund ganz schön vollenommen. Die Wahlergebnisse sehen bei Ihnen wesent-ch schlechter aus als bei uns. Man sollte sich ein biss-hen in Bescheidenheit üben.
Jetzt komme ich noch einmal zu dem Antrag. Sie ha-en sich nicht einmal die Mühe gemacht, sorgfältig zu
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11661
Rita Pawelski
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recherchieren. Ich helfe kurz nach: Der Grundsatz desgleichen Entgelts bei gleicher Arbeit bzw. bei gleichwer-tiger Arbeit ist nicht mehr in Art. 141 des EG-Vertragsverankert, wie es in dem Antrag steht; denn den gibt esseit dem 1. Dezember 2009 nicht mehr. Seitdem gibt esnämlich den Vertrag von Lissabon. Sie meinen wohlArt. 157 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi-schen Union. Da ist dies jetzt enthalten. Der Antragmuss also sowieso noch einmal umgeschrieben werden.Dann sprechen Sie in Ihrem Antrag darüber, „dass esder Respekt vor der Tarifautonomie gebietet, die gesetz-lichen Eingriffe des Staates so gering wie möglich zuhalten“. Trotzdem fordern Sie – das ist mir überhauptnicht klar und ist für mich auch nicht nachvollziehbar –,dass zivilgesellschaftliche Akteure von außerhalb derBetriebe, also außerhalb der Betriebsräte, auf die wirgroßen Wert legen, mit Einflussmöglichkeiten ausgestat-tet werden, um staatliches Eingreifen auf ein Minimumzu reduzieren. Was das außerhalb der Betriebsräte soll,ist mir ein Rätsel.Sie wollen eine behördliche Stelle, die Entgeltbe-richte von Unternehmen entgegennimmt und auswertet.Wollen Sie eine neue Behörde? Wollen Sie mehr Büro-kratie und mehr Aufgaben? Ist es das, was Sie wollen?Nein, wir wollen das nicht. Sie fordern wieder einmaldas Verbandsklagerecht und den gesetzlichen Mindest-lohn.
Auch hier grüßt täglich das Murmeltier.
Frau Pawelski, das Murmeltier hält jetzt auch Ihre
Zeit an.
Danke, Frau Präsidentin.
Ich denke, es ist wichtig, dass sich hier etwas entwi-
ckelt. Dass sich etwas entwickelt hat, zeigt übrigens der
Staat – es gibt hier ausnahmsweise einmal ein Lob an
den Staat –: Im öffentlichen Dienst ist der Lohnunter-
schied auf unter 8 Prozent zurückgegangen.
Meine Damen und Herren, das ist ein wichtiges
Thema. Ich glaube, das weiß jeder von uns.
Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass sich die Mur-
meltierschleife entzerrt und dass wir auch für Frauen an-
ständige Löhne haben.
Frau Kollegin!
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Die Nächste ist die Kollegin Beate Müller-Gemmeker Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-en und Kollegen! Die Erwerbstätigkeit von Frauen istine Selbstverständlichkeit, und Frauen arbeiten natür-ch in allen Branchen. Dass beispielsweise Pilotinnenich nicht mehr lange so kluge Männersprüche anhörenüssen wie: „Wenn Gott gewollt hätte, dass Frauen flie-en, dann wäre der Himmel rosa geworden“, dafür wer-en wir auch noch sorgen.
Der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche und gleich-ertige Arbeit“ ist gesetzlich festgeschrieben. Grund-ätzlich ist das ja auch gesellschaftlicher Konsens; aberider sieht die Realität anders aus. Die Erklärungen fürie ungleiche Entlohnung von Frauen sind natürlich viel-ltig – wir haben ja auch heute schon viele gehört –, wieum Beispiel unterschiedliche berufliche Präferenzender berufliche Unterbrechungen wegen Kindererzie-ung. Das sind aber nur Erklärungen. Eine zentrale Ur-ache ist die unterschiedliche und somit diskriminie-nde Behandlung von Frauen im Berufsleben. Wirehen es also genauso wie die SPD: Das Verbot der Ent-eltdiskriminierung ist vorhanden, was fehlt, ist ein Ver-hren, wie die Entgeltgleichheit durchgesetzt werdenann, und vor allem der politische Wille, etwas zu verän-ern.
Freiwilligkeit und Selbstverpflichtung bringen keinenrfolg, liebe FDP. Wir wollen zwar die Betriebsräte undersonalräte stärken, aber auch in die Pflicht nehmen;enn sie haben eine wichtige Schlüsselrolle inne. Vor al-m aber brauchen wir gesetzliche Regelungen, damitndlich Schluss ist mit der Lohndiskriminierung vonrauen.Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Ko-litionsfraktionen, warum verdienen Teilzeitbeschäftigteeniger als ihre Kollegen in Vollzeit? Natürlich deswe-en, weil dort häufig Frauen arbeiten. Bei wem fransenie Löhne im Niedriglohnbereich besonders nach untenus? Natürlich bei den Frauen. In Ihrem Koalitionsver-ag steht, Sie wollen die Lohnlücke zwischen Männernnd Frauen abschaffen. Dann tun Sie doch etwas.
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11662 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Beate Müller-Gemmeke
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Machen Sie endlich den Weg frei für einen gesetzlichenMindestlohn, für mehr branchenspezifische Mindest-löhne, für mehr allgemeinverbindlich erklärte Tarif-löhne, und reformieren Sie insbesondere die Minijobs!
Das fordert auch der Gleichstellungsbericht „NeueWege – Gleiche Chancen“. Auch wenn die Ministerindas Gutachten nicht persönlich entgegengenommen hat:Lesen sollte sie die Handlungsempfehlungen schon, undvor allem sollte sie endlich tätig werden.
Die mittelbare Diskriminierung von Frauen ist keineinfaches Thema. Aber genau das geht die SPD zu Rechtan. Auch wir Grünen arbeiten an einem Konzept. Es gehtum gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit und um dieKriterien, wie Arbeit bewertet wird. Fakt ist, dass hintervermeintlich geschlechtsneutralen Formulierungen vielzu häufig Kriterien stehen, die eindeutig zu Einkom-mensunterschieden und somit zu Benachteiligungen vonFrauen führen.So wird beispielsweise bei frauendominierten Tätig-keiten die Anforderung „soziale Kompetenz“ nicht be-wertet, in klassischen Männerberufen, zum Beispiel aufdem Bau, wird aber die notwendige Muskelkraft beson-ders hoch bewertet, hingegen werden die körperlichenund psychischen Belastungen der Pflege wiederum igno-riert.
Hier finden wir unsere Geschlechterrollen wieder, die di-rekt und indirekt in die Bewertung von Arbeit auf be-trieblicher Ebene und ebenso in Tarifverträgen einflie-ßen. Die schlecht bezahlten Berufe sind eindeutig nochimmer Frauensache. Das muss endlich durch eine ge-schlechtsneutrale Arbeitsbewertung verändert werden.
Warum bekommen Männer, die Baumaterial tragen,mehr Lohn als Erzieherinnen, die quirlige Kinder tra-gen? Warum verdienen in Bayern Kraftfahrer, die Bierfahren, um die 2 600 Euro, Kellnerinnen aber, die Bierschleppen, nur 1 900 Euro? Warum werden Hochschul-sekretärinnen, obwohl von ihnen häufig die Kenntnisvon zwei Fremdsprachen verlangt wird, wie Schreib-kräfte eingestuft? Ich frage also die Ministerin, die ja lei-der heute nicht da ist, wie sie den jungen Frauen erklärenmöchte, dass sie sich zwar um die Jungs in der Gesell-schaft kümmern möchte, dass sie allerdings nichts, aberauch gar nichts macht, um diese Einkommenslücke zuverkleinern.Stattdessen schiebt sie sogar den Frauen selbst dieSchuld in die Schuhe, dass sie so wenig verdienen. Ichzitiere aus dem Spiegel-Interview vom 8. November2010:DbsGddwFnJgdwsGinsSsHbazWs
as ist aber blanker Hohn in den Ohren vieler gut ausge-ildeter und motivierter Frauen. Nicht die Frauen ent-cheiden sich für die falschen Berufe, vielmehr muss derrundsatz „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“urchgesetzt werden,
amit die sogenannten Frauenberufe endlich aufgewerteterden. So wird ein Schuh daraus, Frau Ministerin; dennrauen verdienen mehr.Vielen Dank.
Claudia Bögel hat das Wort für die FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-en und Kollegen! Verehrte Antragsteller der SPD!
a, es stimmt: Der Grundsatz des gleichen Entgelts beileicher Arbeit für Frauen und Männer ist seit 1957 iner Europäischen Union verankert. Meine Fraktionürde dieser Tatsache nie widersprechen. Unser Gesell-chaftssystem steht hinter dieser Forderung, und sie istesetz.Ihr Antrag lässt zwischen den Zeilen vermuten, dass Deutschland geltendes Recht verletzt wird. Dastimmt aber nicht.
o erkennt der werte Leser Ihres Manuskripts sehrchnell, worum es geht. Sie möchten nämlich durch dieintertür einen flächendeckenden Mindestlohn ins Spielringen. Wir haben uns im Koalitionsvertrag zur Tarif-utonomie bekannt. Sie ist ein hohes Gut und ein unver-ichtbarer Ordnungsrahmen.
ir werden davon nicht abrücken. Ein einheitlicher ge-etzlicher Mindestlohn ist mit uns nicht zu machen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11663
Claudia Bögel
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Zurück zum vermeintlich eigentlichen Thema IhresAntrags: die Entgeltgleichheit. Frauen arbeiten häufigerin Bereichen, in denen das Entgeltniveau niedriger ist.
Wir haben es heute schon häufiger gehört. Selbst beigleicher Qualifikation – so ist es halt im Moment noch –
verdienen Frauen durchschnittlich 8 Prozent weniger alsihre männlichen Kollegen; das ist richtig. Aber manmuss sagen: Frauen arbeiten häufiger in Bereichen, indenen das Entgeltniveau niedriger ist.
Man muss immer wieder feststellen, dass typische Frau-enberufe schlechter bewertet und bezahlt werden.
Ich möchte hier alle Frauen aufrufen: Zeigen Siemehr Selbstbewusstsein!
Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel! Verhan-deln Sie geschickt, damit Sie für gleiche Arbeit auchgleichen Lohn erhalten!
Seien Sie nicht mit niedrigen Löhnen einverstanden, undorientieren Sie sich nicht an niedrigen Löhnen!
Gute Verdienstmöglichkeiten zeigen sich in den na-turwissenschaftlich-technischen Bereichen. Genau dasist der Punkt. Schule, Wirtschaft und Verbände müssenfür jungen Frauen Anreize schaffen, Berufe wie bei-spielsweise den des Ingenieurs zu erlernen. Gefordertsind hier vor allem die Unternehmen dieser Bereiche. Esist an ihnen, ihre Vorzüge und Chancen richtig zu ver-mitteln und im wahrsten Sinne des Wortes an die Frau zubringen.Im Hinblick auf den demografischen Wandel geht esdabei nicht um Sympathiepunkte. Hier zählen knallharteökonomische Gründe. Die Wirtschaft muss durch fle-xible Arbeitszeitmodelle und Möglichkeiten der betrieb-lichen Kinderbetreuung ihren Beitrag dazu leisten, damitBeruf und Familie zu vereinbaren sind. Dies wird zu ei-nem echten Faktor im Wettbewerb, dem sich die Unter-nehmen in Deutschland stellen müssen – aber freiwillig.
SnIcNSmeAwteWSgisn„mti
h darf aus Ihrem Antrag zitieren:… die Unternehmen werden aufgefordert, einer be-hördlichen Stelle anonymisierte, geschlechtsspezi-fisch aufgeschlüsselte betriebliche Entgeltdaten inForm eines betrieblichen Entgeltberichts … vorzu-legen …a bravo!
ie fordern eine detaillierte expertengestützte Prüfungittels eines Lohnmessverfahrens. Sie wollen außerdemine Prüfung auf Verdachtsmomente.
llein das Wort „Verdacht“ sagt alles. Dies wäre eineiteres bürokratisches Monster. Gerade kleine und mit-lständische Unternehmen würden darunter leiden.
Zu unrühmlicher Popularität in 2011 könnte Ihreortkreation „Entgeltgleichheitskommission“ kommen.ie hätte große Chancen, zum Unwort des Jahres 2011ekürt zu werden.
Frau Kollegin.
Ich bin sofort fertig. – Was sich aber dahinter verbirgt,
t nur wieder eine weitere Kontrollstelle, die die Unter-
ehmen Unmengen an Geld kostet, frei nach dem Motto
Kontrollieren und Abkassieren“. Das machen wir nicht
it.
Vielen Dank.
Christel Humme hat jetzt das Wort für die SPD-Frak-on.
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Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin-nen! Liebe Frau Pawelski, in den letzten Jahren habenwir leider feststellen müssen, dass die Lohnlücke inDeutschland größer geworden ist, dass sie in West-deutschland sogar auf 25 Prozent angewachsen ist. Ichgebe zu: Auch ich habe einmal geglaubt – so auch imJahre 2001 –, wir könnten mit den Unternehmen einefreiwillige Vereinbarung für mehr Lohngleichheit schlie-ßen. Sie können auch gerne meine Äußerungen aus demJahr 2005 zitieren. Ich war immer davon überzeugt: Ja,wenn wir mit denen eine Vereinbarung treffen, dann be-wegen die sich. – Aber genau das Gegenteil ist eingetre-ten. Von daher bin ich froh, dass wir jetzt den Beweis da-für haben, dass Freiwilligkeit eigentlich nichts bringt.Wir brauchen ein Gesetz.
Frau Pawelski, Sie haben gesagt, Entgeltgleichheit ja;das Murmeltier, das Sie jeden Tag grüßt, seien Sie schonleid. Erschlagen wir es doch endlich. Sie haben gesagt,Sie machen das.
Aber ich bezweifle, dass Sie wirklich einen Gestal-tungswillen haben. Ich bezweifle das allen Ernstes; dennwer zulässt, dass Frauen mit Niedriglöhnen abgespeistwerden, und noch nicht einmal einen flächendeckendengesetzlichen Mindestlohn hinbekommt, dem fehlt dochjeder Mut für weitere Regelungen und Veränderungen indieser Gesellschaft.
Wir wollen uns mit den Ungerechtigkeiten, die esgibt, nicht mehr abfinden. Sie haben in epischer Breite inverschiedenen Reden immer wieder erklärt, warum esdiese Ungerechtigkeiten geben müsse. Sie haben dabeiauch die Teilzeitarbeit angeführt. Sagen Sie einmal: Fin-den Sie es wirklich gerecht, wenn der Unterschied beimStundenlohn von Frauen und Männern in Teilzeitarbeitknapp 4,40 Euro beträgt?
Das hat mit Teilzeit und Vollzeit gar nichts zu tun, son-dern das ist echte Diskriminierung von Frauen.Finden Sie es gerecht, dass eine Buchhalterin durch-schnittlich 816 Euro weniger verdient als ein Buchhal-ter?
Und – was viel schlimmer ist –: Finden Sie es gerecht,dass Frauen im Laufe ihres Lebens 58 Prozent wenigerEinkommen haben als Männer und dass die Frauen essind, die das Armutsrisiko im Alter tragen? Finden Siedas wirklich gerecht?
–tubliEfrdgsTfüsgswn–LfrgIclincbMsnSgdvwhSbDsSmbwv
Wenn ich mir anschaue, was die Frauenministerin an-ietet, dann stelle ich fest: Sie hat tatsächlich 4,5 Mil-onen Euro in den Haushalt eingestellt. 4,5 Millionenuro – wofür? Für eine Homepage, von der man sicheiwillig ein Lohnmessverfahren herunterladen kann,as man freiwillig anwenden kann, und für ein Pro-ramm für den ländlichen Raum, das vielleicht gar nichto schlecht ist; denn da sind die Lohnunterschiede in derat größer.Aber warum hat sie ein solches Programm nicht auchr andere Branchen aufgelegt, in denen die Lohnunter-chiede größer als 23 Prozent sind? Schauen Sie sich dieesamte Kreativwirtschaft an. Da gibt es Lohnunter-chiede von bis zu 38 Prozent. Ich denke, das könnenir letztlich nicht zulassen.Wir können auch nicht zulassen, dass die Frauenmi-isterin sagt, sie möchte in den nächsten zehn Jahrenman höre genau zu: in den nächsten zehn Jahren – dieohnlücke von 23 Prozent auf 10 Prozent senken. Dieeiwillige Vereinbarung ist zehn Jahre alt. Wir habenerade gehört, wozu sie geführt hat.
h glaube, wenn wir solch ein zögerliches Ziel formu-eren, Absenkung der Lohnlücke, dann kann darausichts werden. Wir wollen die Abschaffung der Lohnlü-ke und gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Ar-eit.
it der Unverbindlichkeit, die Sie da an den Tag legen,chaffen Sie es noch nicht einmal, die Lohnlücke in denächsten 100 Jahren um 1 Prozent zu senken.Frau Schön, Sie haben von der Staatsgläubigkeit derPD gesprochen. Das ist ja immer schnell ein Argumentegen uns Sozialdemokraten: Sie wollen mehr Staat, undamit ist das alles schlecht. – Gleichzeitig sprechen Sieon Bürokratieaufbau. Ich wundere mich immer, geradeas die FDP angeht. Ich möchte Sie an Ihre Gesund-eitsreform erinnern, an das Bürokratiemonster, was denozialausgleich und die Berechnung der Zusatzbeiträgeetrifft.
a haben Sie alle zugestimmt. Wenn es um die Gleich-tellung von Frauen und Männern geht, dann bemühenie das Argument der Bürokratie. Ich verstehe das nichtehr.
Frau Schön, noch einmal ein Hinweis zur Staatsgläu-igkeit: Lesen Sie unseren Antrag sehr genau. Dannerden Sie feststellen, dass wir eine Vorstellung habenon einem Gesetz, das nicht den Staat in den Vorder-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11665
Christel Humme
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grund stellt, sondern die Akteure selbst, sprich: die Un-ternehmen und Tarifvertragsparteien.Wir wollen, dass mehr Transparenz herrscht. Wiekann denn eine Frau etwas ändern wollen, wenn sie nochnicht einmal weiß, wie die Bezahlung und die Ent-geltstruktur ist? Und wie kann man das beseitigen? Mankann das doch nur über Mitbestimmung, über die Betei-ligung von Betriebsrat, Mitarbeitern und Mitarbeiterin-nen machen. Anders wird es nicht gehen. Das hat dochmit Bürokratie und Staatsgläubigkeit nichts zu tun.Wenn auf diesem Gebiet nichts passiert, wenn dieserProzess nicht stattfindet, dann müssen die Frauen einRecht haben, zu klagen, und zwar als Verbandsklage,nicht als Individualklage.
Frau Kollegin.
Denn das würde sie vielleicht den Arbeitsplatz kos-
ten. Ich denke, wir legen Ihnen ein Gesetz vor, mit dem
wir, Frau Pawelski, vielleicht das Murmeltier erschlagen
bekommen.
Danke schön.
Der nächste Redner ist der Kollege Norbert Geis für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Dass ich der letzte Redner bin, hat nichts mit derDiskriminierung der Männer zu tun, sondern bedeutetdie besondere Ehre, diese Debatte abschließen zu dürfen.Ich bedauere allerdings, dass Herr Beck nicht mehr daist, der es für notwendig hielt, die Frau Ministerin her-beizuzitieren. Unmittelbar nach dem Hammelsprung ister offenbar gegangen. So wichtig kann es ihm also nichtgewesen sein.
Auch Herr Gabriel fehlt. Hieran kann man eine Gewich-tung erkennen.Da meine Redezeit um zwei Minuten gekürzt wordenist, möchte ich mich auf einen Punkt konzentrieren, denich jetzt anführe: Ich glaube, dass ein wesentlicher An-teil daran, dass wir einen Unterschied von 23 Prozentzwischen dem durchschnittlichen Erwerbseinkommender Frau und dem des Mannes haben, in der Tatsache be-gründet ist, dass die Frauen, wenn sie Kinder bekom-mFGFhdihnGtub–gmDmSAdefüwDdewh–laIcmdhute
leichzeitig nehmen sie in Kauf, dass ihr beruflichesortkommen nicht mehr wettgemacht werden kann. Dasalte ich im Grunde für einen Skandal; denn das darfoch wohl nicht sein. Eine Frau, die daheim bleibt, umre Kinder zu erziehen, erbringt eine große Leistung,icht nur für die eigene Familie, sondern für die gesamteesellschaft. Trotzdem wird sie benachteiligt. Die Leis-ng der Mutter wird von unserer Gesellschaft nicht ge-ührend anerkannt.
Wissen Sie, das ist mir einfach zu billig. Entschuldi-ung, Frau Kollegin, das ist ein dummer Spruch. Düm-er kann man es nicht mehr machen, tut mir leid.
as ist nämlich ein Allerweltsurteil, ein Totschlagargu-ent. Damit wollen Sie Vorteile erzielen. Das könnenie aber nicht, weil die Menschen die Dummheit diesesrguments erkennen. Sie haben noch nicht begriffen,ass eine Frau, die daheim bleibt und Kinder erzieht,ine große Leistung nicht nur für die Familie, sondernr die Gesellschaft erzielt,
eil die Gesellschaft einen großen Nutzen daraus zieht.ie Gesellschaft hat einen großen Nutzen davon, dassie Frau die Kinder daheim erzieht. Sie muss sich zuminen nicht um die Kinderbetreuung kümmern, es kosteteniger Geld, und zum anderen dürfen wir davon ausge-en – –
Lassen Sie mich doch einmal in Ruhe ausreden. Siessen mir ja gar keinen Platz für meine Darlegungen.h wollte eigentlich am Ende dieser Debatte gar nichtehr zu einem solch lauten Disput aufrufen. Es mussoch möglich sein, sich dieses Argument einmal anzu-ören.Ich glaube wirklich, dass die Leistung der Mutter vonnserer gesamten Gesellschaft – nicht nur von einer Par-i – nicht richtig gewürdigt wird. In Wirklichkeit ist es
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11666 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Norbert Geis
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nämlich eine große Leistung. Deshalb müssen wir unsGedanken darüber machen, wie wir die Nachteile aus-gleichen können, die die Frau hat, die in die Familien-phase geht und dadurch Nachteile im Erwerbseinkom-men und auch im Beruf hat.
In diesem Zusammenhang ist das Elterngeld sicher-lich eine große Hilfe. Wenn eine Frau aber länger in derFamilienphase bleibt und während dieser Familienphaseein zweites Kind bekommt, dann bezieht sie Elterngeldauf dem Niveau der untersten Stufe, dann bekommt sie,um in Ihrem „Wortgehege“ zu bleiben, einen Mindest-lohn von 300 Euro. Das ist zu wenig. Trotzdem habenSie sich dagegen gesperrt, dass die Frau das bekommt.Das finde ich schon sehr bemerkenswert. Dieser Aus-gleich für die Familienphase erscheint mir zu gering.Außerdem möchte ich betonen, dass beim Wiederein-stieg nach der Familienphase viel zu hohe Hürden zuüberwinden sind. Die Kita ist in diesem Zusammenhangsicher eine gute Einrichtung. Die Frau kann das Kind,wenn es ein Jahr alt ist, in die Kita geben und kann ihremBeruf nachgehen.
– Darauf komme ich noch zu sprechen.Wir haben es aber noch nicht geschafft, dass Berufund Familie in Deutschland besser vereinbart werdenkönnen, was in anderen Ländern der Fall ist.
Ein Grund dafür ist, dass wir eine im internationalenVergleich niedrige Geburtenrate haben. Da nehme ichdurchaus Ihren Vorwurf auf: Ich bin der Meinung, dassdie Frau, die einen Beruf erlernt hat, das gute Recht ha-ben muss, ihrem Beruf mit Familie nachzugehen.
Ich bin auch der Meinung, dass sich die Männer dannpartnerschaftlich verhalten müssen, was in einer gutenEhe sicherlich der Fall ist.
Sie müssen ihren Anteil dazu beitragen, dass Beruf undFamilie auch für die Frau möglich sind. Das kann nichtnur für den Mann gelten, sondern muss auch für die Fraugelten.
Viele Frauen, die Kinder haben, arbeiten nicht Voll-zeit, weil sie Angst haben, dann keine Zeit mehr für dieKinder zu haben. Das behindert den Wiedereinstieg. Daskann es nicht sein. Meiner Meinung nach müssen wirusKIn–leinewmcismsinIcgWsfenvmDDfühsw
diesem Zusammenhang müssen wir uns überlegendarauf kommt es an, auch wenn Ihnen das nicht gefal-n mag –, ob die haushaltsnahen Dienstleistungen nicht größerem Maße absetzbar sein sollten. Warum solline Familie nicht einem kleinen Betrieb gleichgestellterden? Der Betrieb kann die Kosten absetzen, die Fa-ilie aber nicht. Ich meine, dass dazu eine steuerrechtli-he Regelung gefunden werden muss.
Wenn Frauen in den Beruf zurückkehren – auch dast zu sagen –, werden sie oft schlecht behandelt, weilan ihnen vorwirft, dass sie nicht mehr das gleiche Wis-en wie ihre Kolleginnen und Kollegen haben, die nicht der Familienphase waren. Das kann es aber nicht sein.
h meine, an dieser Stelle muss man ein Benachteili-ungsverbot vorsehen.
ir haben ein solches Benachteiligungsverbot zum Bei-piel im Betriebsverfassungsgesetz. Die Betriebsräte dür-n, wenn sie in ihren normalen Beruf zurückkehren,icht benachteiligt werden. Das steht in § 78 des Betriebs-erfassungsgesetzes. Eine ähnliche Regelung könnte ichir für die Mütter vorstellen.
arüber sollte man nachdenken.Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 17/5038 an die in der Tagesordnung aufge-hrten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu sehe undöre ich keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisungo beschlossen.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 31 a bis f so-ie Zusatzpunkt 3 auf:31 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbes-serung des Austauschs von strafregisterrecht-lichen Daten zwischen den Mitgliedstaaten der
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11667
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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Europäischen Union und zur Änderung regis-terrechtlicher Vorschriften– Drucksache 17/5224 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Innenausschussb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen denHandel mit illegal eingeschlagenem Holz
– Drucksache 17/5261 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
RechtsausschussAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitc) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-zung der Richtlinie 2009/43/EG des Europäi-schen Parlaments und des Rates vom 6. Mai2009 zur Vereinfachung der Bedingungen fürdie innergemeinschaftliche Verbringung vonVerteidigungsgütern– Drucksache 17/5262 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschussd) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des Übereinkommens vom 11. Oktober1985 zur Errichtung der Multilateralen Inves-titions-Garantie-Agentur– Drucksache 17/5263 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologiee) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 1. Dezember 2009 zwischen derBundesrepublik Deutschland und der Islami-schen Republik Pakistan über die Förderungund den gegenseitigen Schutz von Kapitalanla-gen– Drucksache 17/5264 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Auswärtiger AusschussRechtsausschussf) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung gewerberechtlicher Vorschriften– Drucksache 17/5312 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieZedüFhdluluHmeDDbdtun
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-ng auf Drucksache 17/5398, in den Verfahren eine Stel-ngnahme abzugeben und den Präsidenten zu bitten,errn Professor Dr. Bernd Grzeszick als Prozessbevoll-ächtigten zu bestellen. Wer stimmt für diese Beschluss-mpfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –ie Beschlussempfehlung ist angenommen. Die Fraktionie Linke hat sich enthalten, die übrigen Fraktionen ha-en zugestimmt.Tagesordnungspunkte 32 b bis 32 h. Wir kommen zuen Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.Tagesordnungspunkt 32 b:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 242 zu Petitionen– Drucksache 17/5211 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-ngen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig ange-ommen.
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11668 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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Tagesordnungspunkt 32 c:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 243 zu Petitionen– Drucksache 17/5212 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zu-stimmung durch SPD und Koalition. Dagegen hat dieFraktion Die Linke gestimmt. Bündnis 90/Die Grünenhat sich enthalten.Tagesordnungspunkt 32 d:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 244 zu Petitionen– Drucksache 17/5213 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig ange-nommen.Tagesordnungspunkt 32 e:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 245 zu Petitionen– Drucksache 17/5214 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Dafür gestimmt haben Koalitionsfraktionenund SPD. Linke und Bündnis 90/Die Grünen waren da-gegen. Die Sammelübersicht ist angenommen.Tagesordnungspunkt 32 f:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 246 zu Petitionen– Drucksache 17/5215 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Fraktion Die Linke und die Koalitions-fraktionen haben dafür gestimmt, dagegen Bündnis 90/Die Grünen und SPD. Die Sammelübersicht ist ange-nommen.Tagesordnungspunkt 32 g:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 247 zu Petitionen– Drucksache 17/5216 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Dafür gestimmt haben Koalitionsfraktionenund Bündnis 90/Die Grünen, SPD und Linke dagegen.Es gab keine Enthaltung. Die Sammelübersicht ist ange-nommen.tusmehsHgkDledssUSggdJ3pbd
zu der Unterrichtung durch die
ie Deutsche Welle dagegen mit 283 Millionen Euro imahr auskommen muss und damit Hörfunkprogramme in0 verschiedenen Sprachen, ein 24-stündiges Fernseh-rogramm, ein attraktives Internetangebot und eine Aus-ildungsakademie verantwortet, dann ist die Leistunger Deutschen Welle gar nicht hoch genug zu bewerten.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11669
Staatsminister Bernd Neumann
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Deshalb möchte ich an dieser Stelle allen Mitarbeiterin-nen und Mitarbeiter der Deutschen Welle und auch demIntendanten Bettermann, der heute anwesend ist, einenherzlichen Dank sagen.
Aufgrund der rasanten technischen Entwicklung gibtes einschneidende Veränderungen in der Mediennut-zung. Damit der deutsche Auslandssender auch in Zu-kunft seinem Auftrag gerecht werden kann, ist einestrukturelle Neupositionierung der Deutschen Welle un-abdingbar. Dabei muss die Deutsche Welle in Zukunftauf eine Stärkung des Internetangebots sowie auf regio-nale fremdsprachige TV- und Audioangebote setzen.Eine Reform der Angebots- und Verbreitungsstrategieder Deutschen Welle ist geboten. Der Sender wird dabeiimmer wieder prüfen müssen, auf welchem Übertra-gungsweg und mit welcher Sprache ein relevantes Publi-kum gefunden werden kann; denn auf das kommt es jaan. Die lineare Radioausstrahlung über Kurzwelle wirdmit Ausnahme weniger Regionen wahrscheinlich zu be-enden sein.Die von der Deutschen Welle vorgelegte Aufgaben-planung, über die wir jetzt diskutieren, trägt diesen not-wendigen Veränderungen in vollem Umfang Rechnung.Deswegen hat die Bundesregierung ihr auch zuge-stimmt. Durch die Neupositionierung der DeutschenWelle entstehen Synergieeffekte, die sich auch finanziellauswirken. Wir werden etwaige frei werdende Mittelaber nicht einsparen, sondern im Haushalt der DeutschenWelle belassen, um dem Sender auch auf diese Weise zu-sätzliche Maßnahmen im Hinblick auf Programminno-vationen und die Verstärkung der medialen PräsenzDeutschlands in der Welt zu ermöglichen.
Zur Verbesserung des Angebots der Deutschen Wellekönnen – so steht es im Übrigen auch in der Koalitions-vereinbarung – öffentlich-rechtliche und private Medien-unternehmen einen Beitrag leisten. Die Bundesregierungsieht es deshalb als ein sehr wichtiges Ziel an, die Ko-operation der Deutschen Welle mit ARD, ZDF undDeutschlandradio entscheidend zu verstärken.
Hierin liegt auch ein Schlüssel für eine mögliche Quali-tätsverbesserung bei vertretbaren Kosten.
Dabei könnte zum Beispiel an das ModellGerman TV, das, soweit es die Programmbeschaffungund die Planung anbelangte, durchaus erfolgreich war,angeknüpft werden.
Denkbar ist, wie bei German TV ein von ARD, ZDF undDeutscher Welle besetztes Gremium zu schaffen, dasümsddusdSTfrbPAfidnDmWBDdhtiredoBWlapszuz
Meine Damen und Herren, ich komme zum letztenunkt. In meiner bisherigen, mehr als fünfjährigenmtszeit konnte sich die Deutsche Welle auf konstantenanzielle Rahmenbedingungen verlassen. Ich habe dierastischen jährlichen Kürzungen der damaligen rot-grü-en Bundesregierung sofort beendet.
as haben wir zusammen in der Großen Koalition ge-acht.
ir haben Sie, Frau Kollegin Schmidt, auf den Weg deresserung geführt.
ies soll auch in Zukunft nicht anders sein. Trotz derrastischen Sparmaßnahmen im gesamten Bundeshaus-alt im Umfang von 80 Milliarden Euro in der mittelfris-gen Finanzplanung bis 2014 habe ich für meinen Be-ich entschieden, die Größenordnung des Haushalteser Deutschen Welle im Wesentlichen beizubehalten,bwohl er mehr als ein Viertel meines Etats ausmacht.
Dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt zumeispiel ein Blick nach Großbritannien, wo wegen derirtschafts- und Finanzkrise Kürzungen beim Aus-ndssender in der Größenordnung von 20 Prozent ge-lant sind. Wir stehen zu unserem Ziel, die mediale Prä-enz Deutschlands in der Welt durch die Deutsche Welleu erhalten und möglichst zu verbessern.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Als Nächste hatnsere Kollegin Ulla Schmidt von der Fraktion der So-ialdemokraten das Wort.
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11670 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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Vielen Dank, Herr Präsident! – Noch einmal herzli-chen Glückwunsch von dieser Stelle aus, dass Sie jetztunser neuer Präsident sind!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir erle-ben heute täglich: Nichts ist globaler als der Austauschvon Informationen und Nachrichten. Weil das so ist, ha-ben auch die Auslandsmedien eine ganz wichtige Auf-gabe: als Botschafter, als Wertevermittler und als Infor-mationsträger. Unsere Deutsche Welle spielt im großenglobalen Wettbewerb mit. Die internationale Medienpo-litik erfährt große Wertschätzung. Das sehen wir an derZunahme der Zahl der Auslandssender. Ob der Iran,Russland, China, die USA oder eines von vielen weite-ren Ländern: Heute versucht jeder, in dieser globalenWelt, in der Weltöffentlichkeit seinen Platz zu findenund für sein Land und seine Werte zu kämpfen, damitwir uns als Freunde in dieser Welt darstellen können.Hillary Clinton hat in ihrem Parlament engagiert fürmehr Geld geworben und gesagt: Wenn wir nicht han-deln und wieder versuchen, eine Rolle zu spielen, sindwir einem War of Information ausgesetzt. – Das hatnichts mit Krieg zu tun, sondern es geht einfach darum,im Kampf um die öffentliche Weltmeinung, im Kampfum Werte und um Demokratie seinen Einfluss geltend zumachen. Wenn man das so betrachtet, ist die DeutscheWelle für uns eine ganz wichtige Stimme in dieser Welt-öffentlichkeit. Sie ist das Instrument in diesem Spek-trum, das dazu beiträgt, dass wir ein wirklich positivesDeutschlandbild fördern können. Dafür herzlichen Dankan die Deutsche Welle!
Die Stärkung dieses Instruments ist der Konsens un-serer gemeinsamen Stellungnahme, und ich möchtemich bei allen bedanken, die daran mitgewirkt haben.Wir haben eben vom Staatsminister gehört, dass bei derDeutschen Welle ein enormer Reformprozess notwendigist, um in diesem globalen Wettbewerb mithalten zukönnen. Es ist gut, wenn der Bundestag dahinterstehtund klarmacht, dass wir auf diese für uns wichtigeStimme in der Außenpolitik auch zukünftig nicht ver-zichten wollen.Wenn wir unsere Beschlussempfehlung heute verab-schiedet haben, sollten wir den Worten Taten folgen las-sen. Herr Staatsminister, ich kann Ihnen sagen, dass Sievon unserer Seite die volle Unterstützung haben, wennes darum geht, die Deutsche Welle zu stärken. Sie habenes gesagt: Sie ist unsere Visitenkarte in der Welt. Es isteine Visitenkarte in doppelter Hinsicht. In den Ländern,in denen es Nutzer der Deutschen Welle gibt, ist das Bildvon Deutschland positiver und differenzierter. Aber dieDeutsche Welle hat auch eine andere Funktion. Sie istBotschafterin gesellschaftlicher und kultureller Wertewie Demokratie, Menschenrechte und Pressefreiheit.
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Ich begrüße es, dass wir uns in der Stellungnahme da-uf einigen konnten, die Deutsche-Welle-Akademieeiter zu fördern und uns gemeinsam dafür einzusetzen,ass notwendige ODA-Mittel dafür zur Verfügung ge-tellt werden; denn ihr Wirken ist auch ein wichtigereitrag zur auswärtigen Politik.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Deutsche Welleat einen schwierigen Reformprozess hinter sich, und sieat noch viele Herausforderungen vor sich. Es ist nichtinfach, Kostensteigerungen zu bewältigen, wenn deraushalt nicht wächst. Wir alle wissen, dass durch Re-rmen, wie sie in der Deutschen Welle notwendig sind,uch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen großen Verän-erungsprozessen unterworfen werden. Das geschiehtllein schon durch die Zusammenlegung von Online-,ernseh- oder Radioredaktionen.Deshalb hat die Sozialdemokratie, auch unsere Frak-on, immer – auch in dieser gemeinsamen Stellung-ahme – großen Wert darauf gelegt, dass diese Reformozialverträglich und transparent gestaltet wird, dass dieitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Welle iniesem Prozess als Partner auf Augenhöhe gesehen wer-en und agieren können, dass sie ausreichend informierterden und dass es ausreichend Angebote zur Fort- undeiterbildung gibt, um die Mitarbeiterinnen und Mitar-eiter zu befähigen, auch in anderen Feldern weiterar-eiten zu können; denn unser Ziel ist, dass betriebsbe-ingte Kündigungen vermieden werden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11671
Ulla Schmidt
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Ich fordere auch von dieser Stelle aus den Intendantenund die Gremienmitglieder, von denen einige im Deut-schen Bundestag sitzen, auf – ich sehe den Kollegen FritzRudolf Körper aus meiner Fraktion dort sitzen, der einsehr engagierter Verfechter der Rechte der Mitarbeiterin-nen und Mitarbeiter ist; herzlichen Dank dafür –, dass siein diesem Prozess darauf achten, dass die notwendigenVeränderungsprozesse sozialverträglich gestaltet werden.Ich glaube, das sind wir, auch nach der gemeinsamenStellungnahme, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiternder Deutschen Welle schuldig.An dieser Stelle danke ich der Deutschen Welle fürihr Engagement in der Hinsicht, dass die Reform bzw.Umgestaltung der Deutschen Welle zukunftsgerecht aufden Weg gebracht wird, um dem technologischen Wan-del und dem veränderten Nutzerverhalten gerecht wer-den und auch im internationalen Wettbewerb um dieWeltöffentlichkeit bestehen zu können. Ich nenne hiernur einige Stichworte: Zielgruppenausrichtung auf Infor-mationssuchende und Multiplikatoren, mehrsprachigeProgramme, Ausbau der Multiplattformstrategie, trime-diale Redaktionen. Ich glaube, das ist eine riesige Auf-gabe, für die wir unseren Auslandssender stärken müs-sen.An dieser Stelle deshalb ein klares Wort: Für dieseAufgaben – Herr Staatsminister, Sie haben es angespro-chen und Ihre Bereitschaft erklärt – braucht die DeutscheWelle eine sichere finanzielle Basis. Sonst kann sie indiesem Reformprozess nicht bestehen.
Herr Staatsminister, deshalb haben Sie unsere Unterstüt-zung, wenn Sie nicht nur in Ihrem Haushalt, sondernauch gemeinsam mit den Ministern Westerwelle undNiebel dafür Sorge tragen, dass das notwendige Geld daist –
auch dann, wenn manche Reformen zunächst einmalmehr Geld kosten, als sie einsparen –, damit langfristigSynergieeffekte erzielt werden können. Das Geld dafürmuss da sein, wenn sich die Deutsche Welle langfristigbehaupten können soll.In der kommenden Zeit müssen die Koalitionsfraktio-nen ihren Worten deshalb auch Taten folgen lassen. Wirwerden darauf bestehen, dass die Deutsche Welle nachdem Deutsche-Welle-Gesetz finanziert wird und dass dieForderung, mehr ODA-Mittel zur Verfügung zu stellen,umgesetzt wird.Dabei kann man die Verantwortung nicht auf einzelneHaushaltspolitiker schieben, sondern Sie müssen mit derMehrheit, für die Sie sorgen müssen, entscheiden. Dabeihaben Sie auf jeden Fall unsere Unterstützung.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Reform und dieentsprechende finanzielle Ausstattung sind ein Muss fürdie Deutsche Welle, damit sie den gesamtgesellschaftli-chen Auftrag für Deutschland wahrnehmen und unseregesellschaftlichen Werte vermitteln kann und damit siemDrenoDwhufosmdsNvNLnewDleläsdlere8ntiihuztipasabnsnm
Vielen Dank, Frau Kollegin Ulla Schmidt. – Als
ächster steht unser Kollege Burkhardt Müller-Sönksen
on der Fraktion der FDP auf der Rednerliste.
Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatsministereumann! Sehr geehrter Herr Intendant Bettermann!iebe Kolleginnen und Kollegen! Eine russische Teil-ehmerin des Internationalen Parlaments-Stipendiumsrzählte mir, Herr Kollege Börnsen, neulich begeistert,ie sie die Programme der Deutschen Welle imeutschunterricht ihrer Schule kennen- und schätzen ge-rnt hat. Inzwischen spricht sie die deutsche Sprachengst fließend und schätzt umso mehr die journalisti-chen Angebote der Deutschen Welle wie DW-TV undas Internetportal DW-World.Ihr Beispiel zeigt: Die Deutsche Welle wirkt, und siebt, und das seit über 50 Jahren. Die Deutsche Welle er-icht mit ihren verschiedenen Angeboten wöchentlich6 Millionen Menschen – das ist mehr als die Einwoh-erzahl Deutschlands – und gilt in Umfragen als vielfäl-g und glaubwürdig. Darauf können wir stolz sein. Mitrem Auftrag zur Wertevermittlung orientiert sie sich annseren außenpolitischen Interessen und bewahrt gleich-eitig durch eine staatsferne Organisation ihre journalis-sche Glaubwürdigkeit.
Die Deutsche Welle ihrerseits hat mit ihrer Aufgaben-lanung und den darüber hinausreichenden Konzeptenuf die veränderte Medienlandschaft reagiert und wirdich zukünftig noch mehr auf ihre Kernkompetenz undusgewählte Zielgruppen konzentrieren. Nach wie voresteht ein großes Finanzierungsdefizit – das wollen wiricht verheimlichen –, dem die Deutsche Welle mit Kon-olidierungsmaßnahmen wirksam begegnet und begeg-en wird. Da kaum weiterer Spielraum besteht, ist nun-ehr eine umfassende Strukturreform erforderlich.
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11672 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Burkhardt Müller-Sönksen
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Die von der Deutschen Welle vorgeschlagene Neu-ausrichtung ist zukunftsweisend und verdient unser allerUnterstützung und Respekt.
Sie wird nicht von uns aufgezwungen, sondern stammtaus dem eigenen Hause.Meine Bitte um Unterstützung richte ich an dieserStelle aber auch an die Abgeordnetenkollegen in denBundesländern, damit schnellstmöglich ein Modell fürdie lizenzkostenfreie Nutzung von Produktionen der öf-fentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten entwickelt wird.
Hier werden der Deutschen Welle nach meiner Meinungvöllig unnötig hohe Kosten aufgebürdet.
Der Weg, den die Deutsche Welle mit ihren Reform-vorschlägen beschritten hat, ist noch lang und vor allemsteinig. Damit der Umbau hin zu schlankeren und effek-tiveren Strukturen gelingt, müssen alle Bereiche einbe-zogen werden. Die erfolgreiche Programmarbeit beweistdas Vertrauen zwischen der Senderführung – ich meinedamit nicht nur die Intendanz, sondern alle Leitungs-funktionen – und den Mitarbeitern. Wir haben deswegenkeine Sorge, Frau Kollegin Schmidt, bezüglich der So-zialverträglichkeit der notwendigen Maßnahmen. Aberdarauf sollte man in jedem Fall achten. Zur Qualität ge-hört auch, dass alle Mitarbeiter zufrieden sind.Auch bei dem Reformkurs bei der Programmgestal-tung braucht die Deutsche Welle starken Rückenwind.Wir Liberalen begrüßen dabei vor allem die Konzentra-tion auf Kernaufgaben. Wir wollen der Deutschen Wellesowohl in der Programm- als auch in der Verbreitungs-strategie einen Gestaltungsspielraum einräumen, damitsie die jeweilige Zielgruppe, auf die es uns ankommt,bestmöglich erreichen kann.Für uns ist das Angebot von 30 Sprachen keinDogma. Ausgangspunkt soll immer die Erreichbarkeitder avisierten Zielgruppe sein. Wichtig ist für uns dieZielgruppe in den Kernregionen. Hier ist meiner Mei-nung nach eine neue Schwerpunktsetzung notwendig.Die Deutsche Welle bietet Hörfunk auf Griechisch an,musste aber die Fernsehnachrichten für Afghanistantrotz sehr erfreulicher Quoten einstellen. Ich glaube, die-ses Sprachregime gehört außenpolitisch auf den Prüf-stand.Entsprechendes gilt für die Einstellung von Übertra-gungswegen. Frau Kollegin Schmidt, Sie hatten geradevon Nutzern statt von Zuhörern oder Zuschauern gespro-chen. Durch diesen Versprecher – oder vielleicht war esja auch Absicht – haben Sie die neue Strategie der Deut-schen Welle vorweggenommen.Die Deutsche Welle ist unsere Visitenkarte, unserSchaufenster über Deutschland in die Welt. Erlauben wirihgsDKAfueadndwSmumtiritiasßdPdudWtusndustiupd
as aber hat das mit unabhängigem Journalismus zun? Das fasse ich nicht. Erklären Sie es mir bitte! Zu-ammenarbeit mit Ministerien, Verbindung von Bedürf-issen, Beachtung von Interessen, das ist doch nichts an-eres als ein Eingriff in die journalistische Freiheit.
Ich sage: Wenn Ministerialbeamte den Journalistinnennd Journalisten den Griffel führen, ist von journalisti-cher Freiheit keine Rede mehr. Frau Schmidt, journalis-sche Freiheit sieht für uns anders aus. Pressefreiheit undnabhängiger Journalismus lassen sich nicht mit außen-olitischen Aufgaben, die von Ministerien diktiert wer-en, verbinden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11673
Kathrin Senger-Schäfer
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Wenn ich außerdem lesen muss, dass die Bundesregie-rung die Deutsche Welle als „mediales Instrument zurPositionierung Deutschlands angesichts veränderter Rah-menbedingungen auf den internationalen Medienmärk-ten“ betrachtet, dann kann ich kaum davon ausgehen,dass es sich hier um einen sprachlichen Lapsus handelt.Sie reden wirklich davon, dass der Auslandsrundfunk einmediales Instrument ist. Sie reden darüber so, als hättenSie inzwischen Eingriffsrechte, als wäre es selbstver-ständlich, den Journalistinnen und Journalisten staatli-cherseits vorzuschreiben, was sie über das deutsche Aus-landsbild zu berichten haben. Das finde ich unglaublich.
Ich frage Sie: Welche Auffassung von Staatsferneschwebt Ihnen denn hier vor? Ich erinnere in diesem Zu-sammenhang an den Fall Nikolaus Brender, der auf-grund politischen Drucks vonseiten der CDU seinen Hutals ZDF-Chefredakteur nehmen musste.
– Dazu komme ich gleich. – Ich erinnere auch daran,dass Ulrich Wilhelm, der Pressesprecher von AngelaMerkel war, heute Intendant des Bayerischen Rundfunksist. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass das politischeGeschrei 2008 um die angeblich tendenziöse China-Be-richterstattung der Deutschen Welle nicht dazu beigetra-gen hat, die Unabhängigkeit des Senders zu stärken.Das, was die Bundesregierung hier auf den Tisch ge-legt hat, wird von SPD und Bündnis 90/Die Grünen un-terstützt. Das verstehe ich überhaupt nicht.
Meine Fraktion fordert dagegen in ihrem Änderungsan-trag, dass der Deutschen Welle die journalistische Unab-hängigkeit ohne Wenn und Aber garantiert wird. Dasheißt konkret: keinerlei Vorschriften zur Zusammenar-beit mit Ministerien, keine Vorschriften zur Beachtungvon außenpolitischen Interessen, von niemandem.Der Vorschlag von Schwarz-Gelb verstößt eindeutiggegen das Deutsche-Welle-Gesetz. Ich zitiere aus § 4 aAbs. 1:Die Deutsche Welle erstellt in eigener Verantwor-tung unter Nutzung aller für ihren Auftrag wichti-gen Informationen und Einschätzungen, insbeson-dere vorhandenem außenpolitischen Sachverstand,eine Aufgabenplanung für einen Zeitraum von vierJahren.Auch Sie, meine Damen und Herren, müssen sich andieses Gesetz halten. Wenn Sie jedoch inzwischen derMeinung sind, dass sich journalistische Unabhängigkeitund Staatsferne mit dem Begriff des „medialen Instru-ments“ decken, dann müssen Sie mir einmal Ihre neueDefinition von Rundfunkhoheit erklären.Die Linke jedenfalls wird dem vorliegenden Ent-schließungsvorschlag nicht zustimmen. Es ist nicht so,dass nicht auch wir die Deutsche Welle wertschätzen,aber wir stehen für unabhängigen Rundfunk ohne Wennund Aber.KGuhkteAsmm3ssPkatulitebdWlagragWdPmmwsfoFdunaDJnVfäsP
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten hervor-gende Arbeit, um alle Anforderungen zu erfüllen. Re-elmäßig werden Programmbeiträge der Deutschenelle mit Preisen ausgezeichnet. Die Journalistenausbil-ung dort hat einen ganz ausgezeichneten Ruf. Aber dieolitik macht es dem Sender mit den gesetzlichen Rah-enbedingungen nicht gerade leicht, wenn nicht gar un-öglich, allen Ansprüchen gleichermaßen gerecht zuerden; denn eines ist klar: Das Budget des Sendersteht in keinem Verhältnis zu der breiten Palette von An-rderungen. Deshalb müssen wir uns sehr deutlich dierage stellen: Was soll und kann die Deutsche Welle füras Geld, das sie bekommt, tatsächlich leisten?Mehr Geld? Das ist angesichts der Haushaltssituationnrealistisch und schwierig. Wenn man viel will, aberur wenig investiert, besteht immer die Gefahr, dass vorllem eines darunter leidet: die Qualität. Im Fall dereutschen Welle wäre das vor allem die Qualität desournalismus oder der Ausbildung. Damit genau dasicht passiert, hat der Intendant einige sehr vernünftigeorschläge vorgelegt, wie die Deutsche Welle zukunfts-hig gemacht werden kann.Es ist eine richtige Entscheidung, Schwerpunkte zuetzen, sowohl regional als auch im Hinblick auf dasrogramm, die Übertragungswege und die Zielgruppen,
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11674 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Tabea Rößner
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die der Sender erreichen will. Dabei setzt die DeutscheWelle stark auf das Internet. Das wurde eben schon er-wähnt. Sie passt sich also einer veränderten Mediennut-zung in den allermeisten Teilen der Welt – das muss mandazu sagen – an. Das ist richtig. Sie muss aber auch auf-passen, dass sie in den unendlichen Weiten des Internetsgut sichtbar und auffindbar ist. Gerade in Transforma-tionsstaaten wie jetzt im arabischen Raum – das habenwir gesehen – oder in Schwellenländern sind die Men-schen politisiert, sie wollen diskutieren. Dort muss dieDeutsche Welle zum Beispiel auch in sozialen Netzwer-ken präsent sein, interaktive Angebote machen und poli-tische Debatten multimedial begleiten. Positive Bei-spiele dafür gibt es bereits, zum Beispiel die Portale derDeutschen Welle in Farsi oder die Dialogplattform Qan-tara.Tagesaktuelle Berichterstattung, zumal in Krisensitua-tionen, kann die Deutsche Welle mit ihrem Budget nur inAnsätzen leisten. In diesem Zusammenhang bin ich sehrfroh über das eindeutige Signal, das von unserer Be-schlussempfehlung ausgeht, dass nämlich die öffentlich-rechtlichen Sender aufgefordert werden, enger mit derDeutschen Welle zusammenzuarbeiten.
Herr Staatsminister, wenn Sie diesen Weg zusammen mitden Ländern gehen, dann haben Sie unsere Unterstüt-zung. Das betrifft die Übernahme von Sendungen ausdem öffentlich-rechtlichen Programm, vor allem den Zu-griff auf das Korrespondentennetz und die Infrastruktur.Ich hoffe, dass sich die Öffentlich-Rechtlichen entgegen-kommend zeigen. Dies wäre nicht nur für die DeutscheWelle ein großer Gewinn.
Die vorliegende Beschlussempfehlung soll meinemVerständnis nach vor allem eine Wirkung haben: dem In-tendanten bei seinen Reformbemühungen den Rücken zustärken. Die Unruhe, die in der Deutschen Welle vorhan-den ist, wurde schon angesprochen. Diese Unruhe istverständlich. Wenn eine große Umorganisation einesUnternehmens geplant ist, dann sorgt das für Verunsi-cherung der Beschäftigten, gerade wenn damit mögli-cherweise der Abbau von Arbeitsplätzen verbunden ist.Ich habe nach Gesprächen mit Mitarbeiterinnen und Mit-arbeitern der Deutschen Welle die begründete Hoffnung,dass die Führungsebene und das Personal gemeinsam ei-nen guten Weg gehen werden. Ein solcher Wandel kannnämlich nur gelingen, wenn alle an einem Strang ziehen,und zwar in eine Richtung.Unstrittig ist bei allen Beteiligten, dass sich die Deut-sche Welle an die finanziellen und medienpolitischenGegebenheiten anpassen muss, damit sie ihre Aufgabenweiterhin erfüllen kann. Dabei können wir als Gesetzge-ber sie unterstützend begleiten, indem wir ihr Aufgaben-profil besser spezifizieren und auch priorisieren. Wirsollten unsere mediale Visitenkarte etwas schlichter, da-für aber klar und übersichtlich gestalten. Dann könntessefelenwnbnukmtaslidbDngFGBsdduBwislerahnfanscassSdg
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster spricht –
r ist schon auf dem Wege hierher, also bevor er aufgeru-
n wurde – Kollege Reinhard Grindel. Bitte schön, Kol-
ge Reinhard Grindel, für die Fraktion CDU/CSU.
Lieber Herr neugewählter Präsident! Liebe Kollegin-en und Kollegen! Ich finde, dass die Entschließung, dieir vorlegen, durch und durch ehrlich ist. Wir sagenämlich: Die Mittel für die Deutsche Welle werden sta-il bleiben; aber es wird in den kommenden Jahren auchicht viel mehr geben, und das ist eigentlich zu wenig,m all das zu leisten, was die Deutsche Welle leistenönnte, leisten müsste. – Wenn man ehrlich ist, dannuss man sagen: Als wir das letzte Mal hier im Bundes-g über die Aufgabenplanung der Deutschen Welle ge-prochen haben, sind alle möglichen Prioritäten formu-ert und Wünsche angemeldet worden. Mit all dem istie Finanzausstattung im Grunde nicht in Deckung zuringen. Jetzt machen wir das, was die Mitarbeiter dereutschen Welle und auch ihr Intendant erwarten kön-en: Wir sagen, wo Schwerpunkte gesetzt werden sollen.Der erste Schwerpunkt liegt bei den Übertragungswe-en. In der Tat, die Zukunft der Deutschen Welle liegt imernsehen, und bei DW-World, also im Onlineangebot.erade in diesen Tagen erleben wir, dass die Kraft derilder einfach durch nichts zu ersetzen ist. Wenn wir un-ere Sicht auf die Probleme der Welt vermitteln wollen,ann kommen wir nicht darum herum, bei der Auseinan-ersetzung auch auf die Wirkkraft der Bilder zu setzennd dieses Medium besonders zu bedienen. Die großeedeutung der Onlineangebote ist hier schon genanntorden.Angesichts des Lobs, das vielfach gespendet wordent, will ich an dieser Stelle sagen: Ich finde, dass vor al-n Dingen DW-World in den letzten Jahren ein hervor-gendes Angebot präsentiert hat. Ich will darüberinaus deutlich sagen: Dass das dortige Programm zu-ächst in englischer Sprache präsentiert wird, ist eben-lls richtig. Der zweite Schwerpunkt, den wir setzen, istämlich, dass wir uns auf diejenigen Informations-uchenden konzentrieren, die wir in erster Linie errei-hen wollen: auf ausländische Multiplikatoren,
uf Menschen, die in Deutschland studiert haben, dieich für Deutschland interessieren und die für demokrati-che Anregungen, für demokratisches Gedankengut, fürtellungnahmen aus demokratischen Ländern offen sind,ie wissen wollen, wie wir die großen Herausforderun-en der Welt bestehen wollen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11675
Reinhard Grindel
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Es ist eben nicht mehr der Deutsche im Ausland, aufden sich die Deutsche Welle konzentrieren muss;schließlich kann er in fast allen Ecken der Welt die Sen-der, die ihn interessieren, über die Onlineangebote ver-folgen. Die Satellitentechnik ermöglicht es, viele deut-sche Fernsehsender im Ausland zu empfangen. DerDeutsche im Ausland wird von dem Informationsme-dium bedient, auf das er sich auch in Deutschland stützt.Insofern ist es eben der ausländische Multiplikator – der-jenige, der sich im Ausland für Deutschland interessiert –,den wir in erster Linie erreichen wollen. Deswegen ist esrichtig, das Angebot von DW-World auf Englisch zu prä-sentieren.Drittens sollten wir Schwerpunkte in bestimmten Re-gionen setzen. Wir können nicht alle Regionen in glei-cher Weise bedienen, sondern wir müssen Schwerpunktesetzen. Dabei handelt es sich – das muss man gerade indiesen Tagen nicht besonders begründen – um den arabi-schen Raum, um Afrika, um Lateinamerika und, wie wirausdrücklich sagen, um Russland. Es handelt sich nichtum Südosteuropa und die anderen osteuropäischen Län-der. Das heißt wohlgemerkt nicht – das ist in manchenöffentlichen Debatten ein bisschen durcheinander gegan-gen –, dass wir auf Sprachen verzichten würden. Wirbleiben bei dem Sprachenangebot – den 30 Sprachen –im Internet.
Aber gerade was unsere Fernsehangebote angeht, setzenwir Schwerpunkte. Das ist auch richtig.Ich meine übrigens – das ist vielleicht ein neuer Ge-danke –, dass wir auch bei unseren Fernsehangeboten re-gionsspezifische Sendungen brauchen. In Bezug auf diezentrale Informationssendung Journal der DeutschenWelle können heute journal oder die Tagesthemen nichtdie Benchmark sein. Ein Koalitionsstreit ist schon beimheute journal nicht schön; aber im DW-Journal hat derüberhaupt nichts verloren; denn die Menschen im arabi-schen Raum, in Afrika oder Lateinamerika interessiertdas nicht. Die interessiert – gerade in Asien –, wie wirdie erneuerbaren Energien nutzen und welche wirt-schaftlichen Antworten wir auf die Finanz- und Welt-marktkrise geben.Ganz aktuell wäre zum Beispiel von Bedeutung, dasswir breit über die Fußballweltmeisterschaft der Frauenberichten, dass wir auch berichten, dass Frauen undMädchen gerade mit Migrationshintergrund in unserenVereinen ein ganz normaler Teil der Gesellschaft sindund sich hier – ob mit oder ohne Kopftuch – verwirkli-chen.
Insofern erwarte ich, dass nicht nur zur Primetime dasJournal in der entsprechenden Sprache gesendet wird;die auf die meiste Akzeptanz stößt, wir sollten auchüberlegen, dass unser Angebot im Fernsehbereich fürAsien ein anderes sein muss als für Afrika oder Latein-amerika.AudsEwbJdkdFemsmgnadschzsStedreSegVhraDaBA
s gibt manchmal die Diskussion über die Frage: Dürfenir Journalisten aus Diktaturen, die bei Staatssendern ar-eiten, ausbilden? Ich bekenne mich ausdrücklich dazu:a, auch die wollen wir ausbilden;
enn es macht Sinn, dass ihnen gezeigt wird, wie demo-ratischer Journalismus funktioniert. In den Wochen, inenen sie in der Akademie sind, soll ihnen ein bisschenreiheit um die Nase wehen. Vor allen Dingen sollen sieinen Austausch mit anderen Journalisten aus Ländernit einer freien Presse bzw. Meinungsfreiheit haben, umich ein bisschen abzuschauen, wie es sein kann, wennan ohne Zwang und Zensur seiner Profession nach-eht. Insofern sage ich ausdrücklich: Es ist auch in Ord-ung, wenn die Deutsche-Welle-Akademie Journalistenus Diktaturen ausbildet; denn das kann dazu führen,ass demokratischer Geist in diese Sender – auch wennie dem Staat gehören – einzieht.
Der Deutschen Welle und ihren Mitarbeitern herzli-hen Dank. Ich sage natürlich auch dem Staatsministererzlichen Dank dafür, dass er die Deutsche Welle nichtum Steinbruch seines Kulturhaushalts gemacht, sondernie gestärkt hat. Das ist wichtig, und das ist gut für unserchaufenster in die Welt.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Kollege Reinhard Grindel. – Als Nächs-
r spricht unser Kollege Patrick Kurth für die Fraktion
er FDP. Bitte schön, Kollege Patrick Kurth.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Herr Staatsminister! Hallo, Frau Grütters! Herrtaatsminister, wir alle haben eigenständig – nicht von-inander abgeschrieben – ein Zitat in unsere Reden ein-estreut, nämlich dass die Deutsche Welle die medialeisitenkarte Deutschlands ist. Wenn das so viele unab-ängige Institutionen sagen, muss tatsächlich etwas da-n sein.Ich will einige ergänzende Gedanken vortragen. Dieeutsche Welle ist auch ein ganz wichtiger Akteur in deruswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Sie ist eineotschafterin und eine Diplomatin Deutschlands imusland. Somit gehört auch sie in starkem Maße – das
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11676 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Patrick Kurth
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dürfen wir nicht vergessen – zur Außenpolitik Deutsch-lands. Sie ist vorrangig im Ausland aktiv.Deswegen ist es nur richtig, dass das vorgelegte Kon-zept zur Neuausrichtung des Senders auch auf die Netz-werkbildung abstellt. Uns fällt öfter auf, dass die deut-schen Netzwerke im Ausland nicht funktionieren.Unterschiedliche Institutionen sind im Ausland vor Ort,kommunizieren aber wenig miteinander. Das wollen wirändern. Das ist notwendig. Deswegen ist es auch richtig,dass es zum Beispiel zu einer stärkeren Zusammenarbeitmit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-menarbeit, mit dem Bundeswirtschaftsministerium, mitdem Verteidigungsministerium und eben auch mit demAuswärtigen Amt kommt.Es ist schon seltsam, wenn hier so stark der Vorwurfder Staatsnähe erhoben wird. Es sagt auch viel über IhrGesellschaftsbild, über Ihr Bild von einer Gesellschafts-ordnung aus,
wenn Sie glauben, dass unabhängige Journalisten, diebei der Deutschen Welle arbeiten, plötzlich in Kadaver-gehorsam verfallen, nur weil nach der Konzeption auchmit den Ministerien zusammengearbeitet werden soll,die im Ausland aktiv sind. Ich kann Ihnen sagen: Wirsind hier in einem freien Land. Die Journaille ist frei undbleibt es auch bei der Deutschen Welle.
Bei der Neuausrichtung müssen wir natürlich beach-ten, dass die Deutsche Welle in den letzten 10, 15 Jahreneine Entwicklung mitgehen musste, die die gesamte Me-dienlandschaft durchlebt hat, und dass es gerade im Aus-land – Kollege Grindel hat darauf hingewiesen – ein ver-ändertes Konsumentenverhalten gibt. Die Deutschen imAusland versammeln sich nicht mehr allabendlich vorden Rundfunkempfangsgeräten und hören die DeutscheWelle, um Nachrichten aus der Heimat zu erhalten. Mankann jetzt fast überall auf der Welt heute.de, tages-schau.de oder sogar regionale Programme wie das Thü-ringen Journal empfangen
und ist dann bestens informiert.Ich glaube vor allen Dingen, dass wir nicht nur dieje-nigen für das Angebot interessieren müssen, die zumBeispiel einmal als Ausländer hier in Deutschland wa-ren. Mir scheint sehr wichtig zu sein, auch an diejenigenzu denken, die ein Interesse an der deutschen Sprachehaben, die ihre Kenntnisse der deutschen Sprache viel-leicht wieder auffrischen wollen, die über die deutscheSprache mehr wissen möchten oder die dabei sind, diedeutsche Sprache zu lernen. Viele von uns schauen sichenglische Nachrichten an, um so ihren englischen Wort-schatz zu erweitern. Entsprechend kann man sagen, dassman im Ausland über die Deutsche Welle aktiv an derdeutschen Sprache Anteil haben kann.PsöIcadIcsfekRleBKmHöAmgFbDbmFkolapLdmdssdü
Herr Präsident Oswald! Verehrte Kolleginnen undollegen! Im Mai 1953 ging die Deutsche Welle erst-als auf Sendung. Es war einer Ihrer Kollegen, Theodoreuss, der ein rein deutsches 3-Stunden-Programm er-ffnete. Er plädierte damals für eine Entkrampfung derußenbeziehungen der jungen Bundesrepublik, für eineediale Brücke zu den Deutschen im Ausland. Von Be-inn an verstand sich die Deutsche Welle als Stimme derreiheit. Heute, fast 60 Jahre später, hat sich die Aufga-enstellung ebenso gewandelt wie der Stellenwert dereutschen Welle. Aber der Freiheitssender ist sie geblie-en. Gut so!
Heute steht der Rundfunk im weltweiten Wettbewerbit 24 anderen Staaten. 1992 gab es nur zwei weitereernsehstationen, nämlich BBC World und CNN. Jetztommt die mediale Konkurrenz nicht mehr aus Europader Nordamerika allein; mit Macht melden sich Russ-nd, die arabischen Staaten und besonders die Volksre-ublik China auf der Weltbühne der Meinung.Das sind Länder mit anderen Weltanschauungen,änder mit anderen Wertvorstellungen, Länder, die aufie Freiheit nicht achten, die den Parlamentarismusissachten, Länder, die Menschen- und Bürgerrechte inie Ecke stellen; die Deutsche Welle setzt dagegen. Guto!
Sie ist unser mediales Fenster. 86 Millionen Men-chen weltweit erfahren wöchentlich durch sie unsereemokratischen Werte. 86 Millionen Menschen werdenber Parlamentarismus und Rechtsstaatlichkeit in unse-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11677
Wolfgang Börnsen
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rem Land informiert. 86 Millionen Menschen werdenüber die Wirkung der sozialen Marktwirtschaft unter-richtet. 86 Millionen Menschen erhalten einen Eindruckdavon, was made in Germany praktisch bedeutet. DieDeutsche Welle bringt ein breites Bild über den Lebens-,Kultur- und Wirtschaftsstandort Deutschland. Das nütztuns als Exportnation, das dient der Reputation unseresLandes. Gut so!
Doch die Konkurrenz schläft nicht. Sie rüstet massivauf. BBC World erhält jährlich 293 Millionen Euro.Washington investiert 570 Millionen Dollar. Russland hatseine Ausgaben verdreifacht. Dem chinesischen Aus-landsrundfunk stehen nach Auskunft von Experten 6 Mil-liarden Dollar zur Verfügung. Und wie ist es bei uns hierin Deutschland? Über Jahre wurde unser Auslandssender– das muss ich Ihnen leider sagen – unter AußenministerFischer der Steinbruch für den Bundeshaushalt. Es han-delte sich um fast 70 Millionen Euro. Von den radikalenKürzungen der rot-grünen Jahre hat sich der Sender bisheute nicht erholt. Die Wende kam mit StaatsministerBernd Neumann.
Derzeit beträgt der Bundesbeitrag 375 Millionen Euro.Von den globalen Minderausgaben wurde der Senderausgenommen. Das hat dem Sender 30 Millionen Eurogebracht. Aus dem Konjunkturprogramm II erhielt derSender 7 Millionen Euro, zusätzlich erhielt er von 2008bis 2011 eine Erhöhung seines Budgets von 4 MillionenEuro jährlich.
Herr Kollege Börnsen, wenn Sie einmal kurz durch-
schnaufen würden: Der Kollege Koppelin hat eine Zwi-
schenfrage an Sie.
Für den Schleswig-Holsteiner bin ich gern bereit,
Herr Präsident. Auch für andere.
Gut. – Bitte schön, Herr Kollege Koppelin.
Lieber Kollege Börnsen, ich schließe mich dem Lob
an den Staatsminister gern an. Darf ich fragen, ob das
Lob auch für die Haushälter der Koalition gilt, die sich
dafür eingesetzt haben?
Jürgen Koppelin, das gilt ganz besonders für das Par-lament.
D–HddhtisDdbWdnZHRkSKdafürigDKgdgleesdegdPspv
Ich bin doch noch gar nicht fertig. Das gilt für dieaushälter aller Fraktionen,
ie hinter den Überlegungen von Jürgen Koppelin stan-en. Nur durch deren Rückenstärkung konnte er jetztier diesen bedeutenden Auftritt haben.
Ganz ernsthaft, Herr Koppelin: Damit wird dokumen-ert, dass das Parlament zu seinem Auslandsrundfunkteht.
amit wird auch dokumentiert, dass das Parlament umie Wirkung des Senders und um die Qualität der Mitar-eiter weiß. Wir wissen: Der Auslandsrundfunk ist eineerbung für den Wirtschaftsstandort Deutschland undie deutsche Gesellschaft. Dieser Auslandsrundfunk isticht ersetzbar. Er braucht nach unserer Auffassung eineukunft. Deshalb sage ich Dank für die Mittel aus demaushaltsausschuss.
Ich gebe meinen beiden Vorrednern recht, dass es zueformen kommen muss. Doch wenn es zu Reformenommt, dann dürfen weder der Standort Bonn noch dertandort Berlin Verlierer der Reform werden. Was dieompetenz, die Reputation und die Qualität angeht, istie Deutsche Welle für die Zukunft durchaus kraftvollufgestellt. Darüber hinaus sprechen sieben Pluspunkter Deutschlands Außensender:Motivierte Mitarbeiter und eine hohe Qualität der Be-chterstattung mit Erik Bettermann, der heute mehrfachenannt wurde. Er hat heute einen besonders guten Tag.urch ihn und sein Team gibt es eine Intendanz mitompetenz und diplomatischem Durchsetzungsvermö-en. Es gibt eine Sendeleistung in 30 Sprachen, wobeiie Kernbotschaft in deutscher Sprache ist, und das istut für 20 Millionen Menschen, die weltweit Deutschrnen,
ine Akademie mit exzellenter Ausbildung. – Das allespricht für die Deutsche Welle.Ein achter Pluspunkt könnte dazukommen, nämlichann, wenn aus der losen Kooperation mit ARD und ZDFine echte Zusammenarbeit wird, aber wirklich auf Au-enhöhe. Das brauchen wir in Zukunft. Am kurzen Zügelarf die Deutsche Welle nicht gehalten werden. Mehrrogrammüberlassung, mehr Nutzungsrechte für Aus-trahlungen im Ausland und eine Einbindung des Korres-ondentennetzes würden die weltweite Wirkung deutlicherbessern.
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11678 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Wolfgang Börnsen
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Um Nägel mit Köpfen zu machen, plädieren wir fürdie Einrichtung einer Bund-Länder-Rundfunkkonfe-renz. Dem Staatsminister danken wir dafür, dass er hier-für das richtige Gespür hatte und, wie er sagte, bereitsdie ersten Gespräche mit den Ländervertretern aufge-nommen hat. Auch die Länder müssen wissen: Es nütztdem gesamten Land, wenn wir den Auslandsrundfunkstärken. Das stärkt den Wirtschaftsstandort, das stärktdie Arbeitsplätze, das stärkt die Exportnation, das stärktletzten Endes insgesamt unsere Stellung in der Welt.
Aber: Wir erwarten eine Partnerschaft auf Augen-höhe. Dazu muss es kommen. Deshalb braucht dieserSender – das ist heute auch praktiziert worden – die Un-terstützung des gesamten Parlamentes. Ich bedanke michbei allen, die mit dazu beigetragen haben, und bei denAutoren aus meiner Fraktion und auch aus der FDP-Fraktion, die eine kluge, gewissenhafte und ehrlicheVorlage erarbeitet haben.Herzlichen Dank und Glück auf für die DeutscheWelle!
Ich schließe die Aussprache.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zur
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und
Medien zu der Unterrichtung durch die Deutsche Welle
über ihre Aufgabenplanung 2010 bis 2013. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/5260, in Kenntnis der Unterrichtung auf
Drucksache 17/1289 eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Nešković, Ulla Jelpke, Jan Korte, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE
Einführung eines verpflichtenden Lobbyisten-
registers
– Drucksache 17/2096 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Hartmann , Sören Bartol, Sabine
Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD
Mehr Transparenz beim Einsatz externer Per-
sonen in der Bundesverwaltung – Bericht des
Bundesrechnungshofes vollständig umsetzen
– Drucksache 17/5230 –
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Beck , Kai Gehring, Ingrid Hönlinger, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Transparenz schaffen – Verbindliches Register
für Lobbyistinnen und Lobbyisten einführen
– Drucksache 17/2486 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
öre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als Erster
nser Kollege Raju Sharma von der Fraktion Die Linke. –
itte schön, Herr Kollege.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnennd Kollegen! „Ich danke den Wählerinnen und Wäh-rn für ihr Vertrauen“ ist ein oft zitierter Satz nach Wah-n. Tatsächlich ist Vertrauen die Grundlage von Politik;enn Wähler vertrauen darauf, dass wir ihre Interessenahrnehmen. Transparenz ist dafür die Grundlage.urch Politik nach dem Motto „Was schert mich meineschwätz von gestern“, ein Satz, der Konrad Adenauerugeschrieben wird, leidet das Vertrauen der Bürger inie Politik. Es ist bereits jetzt schwer beschädigt. Dieolgen sind Wahlenthaltung, Flucht in außerparlamenta-sche Aktivitäten und vieles mehr.Auch mangelnde Transparenz ist ein Grund dafür. Be-annt ist der Fall Hennenhöfer. Er leitete unter der Um-eltministerin Angela Merkel die Abteilung Reaktor-icherheit, wechselte dann als Lobbyist zu Eon, berietie Betreiber von Asse II und arbeitet heute wieder alsberster Aufseher in der Atomabteilung des Umweltmi-isteriums.Ich möchte noch einige Beispiele nennen: Auch wennie Kolleginnen und Kollegen von der FDP das nichterne hören, muss ich an die Sache mit Mövenpick erin-ern; das ist natürlich nicht vergessen. Ein ähnlicheseispiel, das alle Parteien hier im Hause außer unsererifft, ist die Gauselmann-Spende. Dann ist daran zu er-nern, dass 100 Lobbyisten zwischen 2004 und 2006 ininisterien Gesetze schrieben und damit nicht etwa dieteressen der Bürger, sondern die ihrer Unternehmenerfolgten. Im hessischen Innenministerium war einitarbeiter des Flughafenbetreibers Fraport mit Geneh-igungsverfahren für den Flughafen befasst. Diearmer-Chefin Birgit Fischer, SPD, wechselt demnächstahtlos an die Spitze des Pharmaverbandes vfa.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11679
Raju Sharma
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Christian Weber, ehemals Spitzenlobbyist der privatenKrankenversicherungen, ist nun Abteilungsleiter imBundesgesundheitsministerium. Daher ist es doch keinWunder, dass viele Menschen glauben, dass Politik käuf-lich sei.
Zu unserem Antrag. Das Einhalten von Wahlverspre-chen kann nicht gesetzlich erzwungen werden, aberTransparenz kann gesetzlich geregelt werden. Die Linkehat deshalb einen Antrag zur Einführung eines verpflich-tenden Lobbyistenregisters eingebracht, in dem Auftrag-geber und Honorare veröffentlicht werden und in dem esInformationen zu Leihbeamten gibt. Außerdem sollenklare Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen werden. Dasist zwar keine revolutionäre Großtat, aber es wäre einenotwendige Mindestregelung, die der Haushaltausschuss2008 einstimmig beschlossen hat, die die OECD vonDeutschland fordert und die vom Bundesverfassungsge-richt angemahnt wird. Für dieses Mindestmaß an Trans-parenz bohrt die Linke seit Jahren dicke Bretter. Inzwi-schen sind die Grünen und sogar die SPD mit vernünf-tigen Initiativen gefolgt.
– Es hat schon seinen Grund, liebe Kollegen von denGrünen und von der SPD, warum ich heute als Erstersprechen darf. Das hängt einfach damit zusammen, dasswir dieses Thema auf die Tagesordnung gebracht haben.
Ich muss den Kollegen von Union und FDP noch eineFrage stellen: Warum wehren Sie sich eigentlich dage-gen, Verflechtungen von Lobbyisten und Politik offen-zulegen, damit Bürgerinnen und Bürger beurteilen kön-nen, wer mit welchen Interessen an einem Gesetzmitgeschrieben hat?Bei Lebensmitteln muss klar sein, welche Farb-,Aroma- und Konservierungsstoffe enthalten sind. Dannkann der mündige Verbraucher selbst entscheiden, ob erbeispielsweise einen Erdbeerjoghurt mit Farbstoff odereinen Quark mit Aromastoffen essen will. Er muss nurvorher wissen, was drin ist. So, wie jetzt auf der Packungvon manchen Müslis „Achtung! Dieses Nussmüsli kannSpuren von Nüssen enthalten!“ aufgedruckt ist, solltendie Bürgerinnen und Bürger künftig den Hinweis be-kommen: Dieses Gesetz zur Laufzeitverlängerung kannBeratungselemente von Eon, RWE und Vattenfall ent-halten.
Aber es gibt auch Lobbyisten, mit denen wir sehrgerne zusammenarbeiten. Dazu gehört LobbyControl.LobbyControl hat auf vieles zu Recht hingewiesen, zumBeispiel darauf, dass für die EU-Richtlinie zu Managernalternativer Investmentfonds gut 1 500 Änderungsan-träge eingebracht worden sind. Rund die Hälfte davonkam direkt aus den Schreibstuben der Finanzindustrie.SPbTbreAcbKCupuvdddteregzglikisteZsudaB6wBd
Es wurde nach einem ganz einfachen Rezept verfah-n: Man nehme einen möglichst negativ besetzten Be-riff – in diesem Fall Lobbyist oder Lobbyismus –, maneichne ein düsteres Bild und präsentiere eine scheinbaranz einfache Lösung in dem Wissen, dass die Öffent-chkeit die Parlamentswirklichkeit im Detail nichtennt. Genau darauf setzt man. Der Antrag zum Lobby-tenregister beinhaltet erstens ein bürokratisches Mons-r.
weitens entspricht er überhaupt nicht der parlamentari-chen Wirklichkeit – er ist nämlich gar nicht umsetzbar –,nd drittens wird damit das eigentliche Ziel, wenn esenn eine Berechtigung hätte, überhaupt nicht erreicht.Alle vorliegenden Anträge zu diesem Punkt basierenuf einem Zerrbild über die Arbeitsweise des Deutschenundestages. Ein solches Zerrbild muss von allen21 Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses zurückge-iesen werden.
Ich will dies auch begründen. Der Antrag der Fraktionündnis 90/Die Grünen wird im Kern mit dem Vorhan-ensein von schwarzen Schafen, Korruption und Beste-
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11680 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Bernhard Kaster
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chung begründet. Er enthält also einen Generalverdachtgegen den Deutschen Bundestag. Bestechung und Kor-ruption werden jedoch – ich denke, da sind wir uns hierim Hause einig – mit Strafrecht bekämpft und nicht mitirgendwelchen Registern oder Listen.Aber jetzt zu der Frage: Welcher Lobbyismus soll hierbekämpft oder besser kontrolliert werden? In Ihren An-trägen machen Sie richtigerweise deutlich, dass dieÜbergänge zwischen richtig wahrgenommener Interes-senvertretung in einer pluralistischen Gesellschaft undmit unzulässigen Mitteln massiv manipulierter Interes-sendurchsetzung fließend sein können. Die Wirklichkeitist doch die, dass jede Kollegin, jeder Kollege im gutge-meinten Sinne des Wortes Lobbyist, Bürgerlobbyist,Vertreter von Interessen seines Wahlkreises oder auchseines gesellschaftspolitischen Hintergrundes ist. Genaudiese Vielfalt von Interessen muss dann zu richtigen Ab-wägungen führen. Das führt dann letztlich auch zu guterPolitik.
Ich will jetzt zur Praxis kommen. Ich erinnere michdaran, dass wir hier im Plenum einmal die Änderung desSchornsteinfegergesetzes beraten haben. Da sind vieleKollegen von Verbandsvertretern angesprochen worden,und zwar von Verbandsvertretern aus dem Bereich desSchornsteinfegerwesens und von Verbandsvertretern desHeizungsinstallationshandwerks. Deren Interessen wa-ren durchaus unterschiedlich. Es war für die Kollegendurchaus wissenswert, verschiedene Positionen zu einerGesetzesänderung zu erfahren. So funktioniert das, undso ist das auch richtig.
Sie werden wahrscheinlich sagen, hier geht es nichtum Schornsteinfegerverbände oder Handwerksverbände.
Hier müssen die üblichen Verdächtigen ran. Das ist danndie Pharmaindustrie. Das sind Energiekonzerne. Das istdie Rüstungsindustrie usw.
Ein solches Bild wird hier gemalt.Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, egal überwelchen Lobbyismus wir sprechen; wir müssen zurzweiten Frage kommen: Können Interessen, die vorge-bracht werden, tatsächlich von Abgeordneten unbemerktund wissentlich mit nicht korrekten Mitteln durchgesetztwerden? Damit sind wir wieder bei der Parlamentspraxishier im Haus.Wir haben die erste, zweite, dritte Lesung. Wir habenBeratungen in fraktionsinternen Arbeitsgruppen. Wir ha-ben Beratungen in den Ausschüssen. Wir haben Anhö-rungen auf der Basis von Minderheitenrechten. Wir ha-ben hier immer den Streit zwischen verschiedenen Inte-ressen, die abzuwägen sind und über die wir als Abge-ordnete entscheiden.bntitadndnuAMnscLöko–bsdmtuVInbggtrbbdsEdgDisDd
Der Deutsche Bundestag hat bereits seit 1972 einobbyistenregister. Der Bundestagspräsident führt eineffentliche Liste, in die sich Verbände eintragen lassenönnen, um ihre Interessen gegenüber dem Bundestagder der Bundesregierung zu vertreten. Zu den Angaben das sind sehr viele – gehören Name und Sitz des Ver-andes, die Zusammensetzung von Vorstand und Ge-chäftsführung, sein Interessenbereich, Mitgliederzahl,ie Anzahl der angeschlossenen Organisationen, die Na-en der Verbandsvertreter. Das Ganze wird ständig ak-alisiert. Der Eintrag in diese Liste ist vor allem eineoraussetzung für die Teilnahme an Anhörungen.Zum Thema Transparenz: Diese Liste ist zudem imternet und im Bundesanzeiger veröffentlicht. In derereits bestehenden Liste sind über 2 000 Verbände re-istriert. Hierzu bedarf es wirklich keiner weiteren Er-änzung, bedarf es nicht eines solchen Schaufensteran-ages, der auch nicht praktizierbar ist. Er sieht einürokratisches Monster vor. Außerdem sollen die Anga-en alle drei Monate aktualisiert werden. Wir wissenoch alle, mit wem wir sprechen, wer uns gegenüber-itzt, und wir wissen auch, richtig abzuwägen.
s kommt ja nicht darauf an, mit wem man spricht, son-ern es kommt darauf an, wie man mit den Dingen um-eht.
ie Übergänge zwischen gutem oder schlechtem Lobby-mus sind fließend.Deswegen fasse ich zusammen: Die Fraktionen imeutschen Bundestag – und da schließe ich ausdrücklichie Oppositionsfraktionen mit ein – wissen sehr wohl
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11681
Bernhard Kaster
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mit Lobbyinteressen umzugehen, sowohl im Guten wieauch im Schlechten. Das kann das deutsche Parlament.Das muss das Selbstverständnis des deutschen Parla-mentes sein. Deswegen bedarf es keiner weiteren Ergän-zung der bereits bestehenden Liste.Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Bernhard Kaster. – Jetzt spricht
für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege
Michael Hartmann. – Bitte schön, Kollege Michael
Hartmann.
Sehr geehrter Herr Präsident! An Ihr Gesicht hat mansich schnell gewöhnt.Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrter, geschätzter Herr KollegeKaster, ich fand das sehr gut, was Sie eingangs erwähn-ten,
nämlich die Idee, einmal Schulklassen mit diesem Themazu konfrontieren. Denn gerade Schulklassen – das erlebeich bei Schulklassen aus unterschiedlichen Regionenund unterschiedlichen Jahrgängen – empfinden dasThema durchaus als ein brennendes. Man bekommt ge-legentlich schon die Frage gestellt, ob unsere Republikeine gekaufte Republik ist.
Das ist eine Ansicht, die wir beide nicht teilen wer-den. Weil aber dieses Bild in der Welt ist, müssen wirauch fragen, warum es in der Welt ist. Deshalb, sehr ge-ehrter Herr Kaster, sage ich Ihnen gleich zu Beginn: Esgeht nicht darum, dass das Vorbringen von Interessen alsillegitim gebrandmarkt wird. Interessen sollen auf unseinströmen. Es geht vielmehr darum, dass die versteckteund damit nicht transparente Einflussnahme schärfstenszurückgewiesen oder aber offengelegt werden muss.
Wir reden bei diesem Thema schließlich nicht übereine Nebensache und auch nicht über eine Randfrage,sondern am Schluss reden wir über das Selbstverständnisvon Staat, Politik und öffentlicher Verwaltung. Deshalbsage ich zum einen ausdrücklich: Auch wir als SPD sindder Meinung, dass wir endlich ein verbindliches Lobby-istenregister brauchen.
Zpgcsddtewsedwtes–nsEunmInEZzDsluMHaRmJbzRBewswreu
Das ist wichtig, um unmissverständlich klarzuma-hen, dass unser Land nicht von Lobbyisten regiert wird,ondern dass immer noch der Deutsche Bundestag undie von ihm gewählte Bundesregierung die Geschickeieses Landes in der Hand haben.
An die Kolleginnen und Kollegen der Union gerich-t: Wir waren übrigens bei diesem Thema einmal sehreit, und zwar in der letzten Wahlperiode. Im Innenaus-chuss hatten wir uns – sehr geehrter Herr Dr. Uhl, Sierinnern sich – schon fast auf einen Antrag verständigt,er für den Einsatz Externer strengere Regeln definierenollte. Das Vorhaben wurde leider auf den letzten Me-rn ausgebremst. Ich will damit sagen: Auch Sie wareno weit, und ich glaube, auch die Kollegen der FDPHerr Stadler hat jetzt auf der Regierungsbank Platz ge-ommen – haben eingesehen, dass Handlungsbedarf be-teht. So ist es auch.Um nicht missverstanden zu werden: Beim Einsatzxterner ist zwischenzeitlich eine Menge geschehen,nd zwar deshalb, weil infolge eines Berichts des Rech-ungshofes und unserer parlamentarischen Aktivitätenittlerweile halbjährlich im Haushaltsausschuss und imnenausschuss über Art und Umfang des Einsatzes vonxternen berichtet wird. Und siehe da: Seither ist dieahl der externen Beschäftigten in erheblichem Maßeurückgegangen. Demnach war der parlamentarischeruck gut, notwendig und keineswegs überflüssig. Las-en Sie uns auf diesem Weg weitergehen; denn Hand-ngsbedarf besteht nach wie vor.
Das will ich Ihnen gerne begründen. Damit keinissverständnis entsteht: Ich denke da – sehr geehrtererr Ruppert, Sie werden noch die Chance haben, zuntworten, und auch Sie, Herr Schuster – auch an frühereegierungen, auch an Regierungen, an denen Sozialde-okraten beteiligt waren. Das sage ich ausdrücklich.etzt sind wir aber in einer Phase, in der sich vieles ver-essert und verändert hat. Eine Ausnahme bilden jedochwei Ressorts, und zwar ausgerechnet FDP-geführteessorts und ausgerechnet im Zusammenhang mit demDI.Warum, frage ich Sie, sind über zwei Jahre hinwegxterne Beschäftigte, die weiterhin vom BDI bezahlterden, ausgerechnet im Bundesministerium für wirt-chaftliche Zusammenarbeit und ausgerechnet im Aus-ärtigen Amt tätig? Stellen Sie das ab! Machen Sie Ih-n Einfluss auf die Regierung geltend, meine Damennd Herren!
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11682 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Michael Hartmann
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– Sie meinen, deshalb besteht diese Verpflichtung für Sienicht mehr? Das zeigt, dass Sie ein ganz falsches Parla-mentsverständnis haben, sehr geehrter Herr Kollege vonder FDP. Das ist aber kein Wunder. Von Herrn Brüderlehaben wir ja gelernt, dass BDI und FDP sehr eng beiein-ander sind.
Durch diese Berichte haben wir in der Tat ein Loch ge-stopft; allerdings sind andere dadurch aufgetaucht. Durcheinen neuen Bericht des Bundesrechnungshofs sind wir inder letzten Woche belehrt worden, dass sich die Externennun nicht mehr in den Ministerien ausbreiten, sondern ex-terner Rat nun freihändig, ohne Beschluss, ohne Informa-tion des Parlaments und immer wegen einer angeblichenDringlichkeit eingeholt wird. Ich nenne Ihnen nur dreiBeispiele:Erstes Beispiel. Kanzleien haben ein Protokoll einerSitzung des Verkehrsausschusses getätigt. Warum?Zweites Beispiel. Eine Kleine Anfrage an die Bundes-regierung wurde von einer Kanzlei beantwortet und nurpro forma von dem zuständigen Ressort.
Ich nenne ein drittes Beispiel: Von dem staatlichenBankenrettungsfonds, SoFFin, wurden freihändig, ganznebenbei und ohne Beschluss Aufträge an Kanzleienvergeben. Einer dieser Kanzleien gehört übrigens einfrüherer Fraktionsvorsitzender von Ihnen an, der sichnun in der Privatwirtschaft breitgemacht hat.Entspricht das einem konservativen oder liberalenStaatsverständnis? Hoffentlich nicht! Wir können alsogemeinsam feststellen, dass noch Handlungsbedarf be-steht. Ein probates Mittel ist die sogenannte legislativeFußspur, die wir ebenfalls fordern. Dazu werden wir hiernoch weitere Anträge einbringen.
Uns sollte die Einsicht einen – das sage ich zumSchluss –, dass wir jeden Anschein, dass Deutschlandeine gekaufte Republik ist, vermeiden müssen. Deshalbmüssen wir an den Stellen, an denen ein solcher, unberech-tigter Vorwurf angedockt werden könnte, entsprechendagieren. Das Parlament sollte in diesem Zusammenhangselbstbewusst agieren. Es geht um die Selbstheilungs-kräfte der parlamentarischen Demokratie. Es ist Gefahrim Verzug. Nehmen Sie unsere Anträge ernst. Das sindkeine Schaufensteranträge. Lassen Sie uns im Interessedes Parlaments gemeinsam arbeiten.Nun will ich gerne noch eine Frage des KollegenHinsken beantworten. – Entschuldigung, Herr Präsident.
Eigentlich ist die Redezeit beendet. Ich meine aber,
angesichts der Bedeutung dieser Debatte sollte der Kol-
lege Ernst Hinsken seine Frage stellen, nachdem der
Kollege Hartmann dies erlaubt hat. – Bitte schön, Kol-
lege Ernst Hinsken.
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h will, dass wir als Parlament allen, die Lobbyismus
etreiben, die Rote Karte zeigen. Machen Sie einfach
it.
Vielen Dank, Kollege Michael Hartmann. – Als
ächster spricht unser Kollege Dr. Stefan Ruppert für
ie Fraktion der FDP.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Wie so oft komme ich als junger Abgeordneter inine Debatte und erhoffe mir, ein ernstzunehmendes undchwieriges Problem auch entsprechend behandelt zu se-en.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11683
Dr. Stefan Ruppert
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Wir alle haben den Eindruck, dass sich die erste Ge-walt in diesem Staat, das Parlament, in einer gewissenLegitimationskrise befindet. Wir haben immer wiederden Eindruck, dass der Deutsche Bundestag bei den Bür-gern nicht das Ansehen genießt, das ihm eigentlich lautVerfassung zusteht.
Wir haben den Eindruck, dass die Menschen in andereGewalten, beispielsweise die Judikative, vertreten durchdas Bundesverfassungsgericht, sehr viel mehr Vertrauensetzen als in den Deutschen Bundestag. Wir haben denEindruck, dass die Menschen auch sehr viel mehr Ver-trauen in einzelne Ministerien setzen als in den Deut-schen Bundestag.Ein Grund dafür ist, dass wir es nicht schaffen, unsgegenseitig unsere eigene kritische Haltung gegenüberunsachgemäßen Interessen, unseren eigenen innerenKompass gegenüber Menschen, die auf uns zukommenund dies oder jenes erreichen wollen, zuzugestehen. Wirtun immer so, als ob wir alle im konkreten und mit Be-weisen belegten Verdacht stehen, dass wir käuflich sindund nur den Einflüsterungen irgendwelcher Interessen-vertreter zugewandt sind. Ich glaube, wenn Sie dieseDiskussion so anfangen, werden Sie sie nicht gewinnen.
Ihr Lobbyismusbegriff ist unscharf.
Als ich hierher gekommen bin, hatte ich – genau so, wieSie es gerade gesagt haben, Herr Sharma – den Ein-druck, dass die mächtigsten Vertreter sicherlich die Phar-maverbände sind. Heute habe ich den Eindruck: Nein,die mächtigsten Verbände sind – ich finde das nicht ne-gativ – die Gewerkschaften, die Kirchen und Umweltor-ganisationen.
Sie haben durch Massenbriefe oder das Vortragen derAnliegen einzelner Personen die Möglichkeit, sehr kon-kret auf die Meinungsbildung und EntscheidungsfindungEinfluss zu nehmen.
Leider werden sie von Ihrem Lobbyismusbegriff über-haupt nicht erfasst.
Ich zitiere dazu aus dem Antrag der Grünen:Dabei sollte die Absicht, Entscheidungen und Ab-läufe der Exekutive und Legislative im Sinne derAuftraggeber zu beeinflussen, das entscheidendeKriterium sein.Vorausgesetzt – das sagt der Jurist in mir – wird alsoein Auftragsverhältnis zwischen einer Person, die Inte-redvdzsstizwuDtiusedSmtiSgzkVreisfüMhbRnLWEnaA
s ist doch eben nicht so, dass die konkrete Einfluss-ahme durch die Eintragung in ein Lobbyistenregisterusgeschlossen ist.Wir teilen das gleiche Anliegen. Ich bin allerdings deruffassung, dass der von Ihnen beschrittene Weg ein un-
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11684 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Dr. Stefan Ruppert
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tauglicher Versuch ist; denn er führt eben nicht dazu,dass das eintritt, was Sie aus guten Motiven und, wie ichfinde, völlig zu Recht bezwecken.Unsachgerechte Einflussnahme, die wir alle bekämp-fen wollen, ist so, wie Sie es uns vorschlagen, leidernicht zu unterbinden. Insofern: Das Anliegen teilen wir.Was den Weg angeht, sind wir unterschiedlicher Mei-nung.
Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach einer weiteren
Zwischenfrage, diesmal vom Kollegen Jerzy Montag.
Gerne, ja.
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Präsident, Danke schön. – Lieber Herr Kollege,
nachdem Sie gerade wortwörtlich aus dem Grünen-An-
trag zitiert haben, habe jedenfalls ich den Eindruck, dass
Sie nicht verstanden haben, was wir in unserem Antrag
geschrieben haben.
Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen: Wenn wir von ei-
nem Auftragsverhältnis sprechen, meinen wir nicht ein
Verhältnis zwischen einem Lobbyisten und einem Abge-
ordneten, sondern wir meinen, dass in dieses Register
verpflichtend diejenigen einzutragen sind, die zum Bei-
spiel im Auftrag von Greenpeace, im Auftrag der Phar-
maindustrie oder im Auftrag des Schornsteinfegergewer-
bes tätig werden.
Zu einem solchen Auftragsverhältnis gehört, dass
Herr Müller oder Herr Meier, der einen Hausausweis be-
kommt – es ist Sinn und Zweck dieses Registers, dass
man einen Hausausweis und einen ungehinderten Zu-
gang zum Bundestag und zu den Ausschüssen bekommt –,
offenlegen muss, wer sein Auftraggeber ist. Dies unter-
scheidet unseren Antrag vom Antrag der Linken. Die
Linken möchten jeden Bürger, der sich in seinem eige-
nen Interesse an uns wendet, als Lobbyisten in eigener
Sache in das Register aufnehmen.
Dies wiederum geht für uns absolut an der Sache vorbei.
Ich bitte Sie also, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir mit
dem Auftragsverhältnis, das Sie zitiert haben, nicht das
Verhältnis zwischen einem Lobbyisten und Ihnen oder
mir meinen.
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ie stehen nämlich nicht in einem Auftragsverhältnis,ondern in einem Arbeitsverhältnis; das ist der ersteunkt.Zweitens haben Sie meiner Meinung nach nur eineerufsgruppe gekennzeichnet – Ihrem Antrag liegt eintriktes, sehr enges Verständnis von Lobbyismus zu-runde –, eine Berufsgruppe, die im Auftrag anderer di-kt lobbyistische Initiativen ergreift. Das ist, würde manrem Anliegen Rechnung tragen, viel zu wenig, weilan eine viel zu kleine Gruppe erfassen würde,
ie tatsächlichen Formen der Interessenbeeinflussungber überhaupt nicht erfassen würde.
Jetzt komme ich zu meiner Rede zurück. Es ist so,ass der Lobbyismusbegriff bei Ihnen oft negativ konno-ert ist. Im Antrag der Grünen ist er dankenswerterweiseositiv konnotiert. Sie sagen, Lobbyismus ist eine sinn-olle und in einem gewissen Rahmen auch wichtigeorm der Informationsgewinnung, auch für Abgeord-ete.
h teile Ihre Ansicht ausdrücklich.Aber was heißt das in der Konsequenz? Wenn sichein Sportverein, mein Kreisverband des Roten Kreu-es, der Landessportbund Hessen, die Caritas oder dieiakonie Niedersachsen nicht in Ihr Register eintragenssen, dürfen sie dann in meinem Wahlkreis nicht mitir in Kontakt treten?
as Sie an dieser Stelle vorschlagen, ist nicht praktika-el.
einer Meinung nach haben Sie ein sinnvolles Anliegen völlig untauglicher Form in einen Antrag gegossen.abei können wir Ihnen aber leider nicht helfen. Dieserbeit müssen Sie schon selbst machen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11685
Dr. Stefan Ruppert
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Ich will nun auf die externen Mitarbeiterinnen undMitarbeiter in den Ministerien zu sprechen kommen;denn auch um sie geht es in dieser Debatte. Wir habendieser Tage den sechsten Bericht des Bundesrechnungs-hofs über externe Mitarbeiter in den Ministerien zurKenntnis genommen.
Es ist also keineswegs so, dass diese Form der Koopera-tion nicht erfasst wird. Ich sage Ihnen: Sie ist dann nega-tiv – durchaus auch in den Fällen, die Sie genannt haben –,wenn es dabei um Interessenverbände geht, die ihr Han-deln auf nicht transparente Art und Weise in eine Formgießen, die den Eindruck erweckt, es handele sich ei-gentlich um hoheitliches Handeln.
Das ist das Problem.Kein Problem ist es aus meiner Sicht, wenn sich tem-porär ein Ministerium externen Sachverstand – auchüber ein befristetes Arbeitsverhältnis – einkauft. Es istdoch eine alte Vorstellung von Verwaltung, zu denken,dass wir alle Bereiche, auch wenn sie nur punktuell undtemporär von Interesse sind, jederzeit kompetent vorhal-ten müssen. Wir müssen also zwischen den Fällen unter-scheiden, in denen es richtig und wichtig ist, dass wiruns externen Sachverstand einkaufen, und den Fällen,die Sie genannt haben, bei denen es jemanden gibt, dereigentlich eigene Interessen verfolgt, sie aber in dieForm hoheitlichen Handelns kleidet.Aus unserer Sicht leistet der sechste Bericht dieseTransparenz in vollem Umfang. Wir führen dort auf – essind übrigens wesentlich weniger in den Ministerien ge-worden, seit wir regieren –,
dass in Ihrer Regierungszeit sehr viele Menschen unteranderen Vorzeichen in der öffentlichen Verwaltung gear-beitet haben.
Seit Schwarz-Gelb, seit die christlich-liberale Koalitionregiert, arbeiten wesentlich weniger Menschen unter fal-scher Flagge in den Ministerien.
Deswegen sollten wir uns das nicht gegenseitig vor-werfen, aber wir sollten auch nicht so tun, als ob auf dereinen Seite die Heiligen und auf der anderen Seite dieUnheiligen sitzen.
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o ist denn eigentlich Ihr Weg? – Der führt wie immerei der FDP ins Nichts. Da sind Sie auch überwiegend.ber wenn Sie den Antrag gelesen hätten, den Sie ge-de versucht haben zu zerrupfen, hätten Sie darin denatz gefunden, mit dem wir Lobbyisten tatsächlich defi-ieren, nämlich:Lobbyistinnen und Lobbyisten, die die im Gesetzvorgesehenen Rechte in Anspruch nehmen wollen,müssen sich im Register registrieren lassen.ann wird abgeschichtet. Ihr DRK-Vorsitzender kannben einmal ein Briefchen schreiben.Es kann vorgesehen werden, dass Lobbyistinnenund Lobbyisten, deren Lobbytätigkeit einen be-stimmten zeitlichen und finanziellen Aufwand nichtübersteigt,
nicht registrierungspflichtig sind.Wir haben also alles mit Maß und Realitätssinn er-sst, weil wir in der Tat einen anderen Ansatz haben, alsie, Herr Kaster, uns unterstellt haben. Ich zitiere aus un-erer Begründung, damit die Bürgerinnen und Bürgericht meinen, das, was Sie hier behauptet haben, seichtig. Die Begründung fängt zu Recht damit an:Die Organisation von Interessen gehört zur Demo-kratie. Der Austausch von Meinungen ist Kernbe-standteil einer pluralistischen Gesellschaft. Dahersind auch der Lobbyismus und sein Ansinnen, Inte-ressen in der Gesellschaft in organisierter Form zukanalisieren und bei den politischen Entscheidungs-trägern und in der Öffentlichkeit für deren Umset-
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11686 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Volker Beck
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zung zu werben, legitimer Bestandteil einer demo-kratischen Zivilgesellschaft und nicht per se anrüchig.Dann weisen wir auf die problematischen Fälle derschwarzen Schafe hin. Das ist doch der richtige Ansatz.Wir dürfen auch die ehrlichen Lobbyisten, die uns mitExpertisen ausstatten und auf Fehler bei Gesetzentwür-fen hinweisen oder auch nur ihre Interessen vortragen,die mit anderen Interessen im Widerstreit sind, nicht dif-famieren. Aber davon zu unterscheiden sind diejenigen,die hier mit Geld unterwegs sind, die nicht sagen, wersie eigentlich sind – wie die Initiative Neue SozialeMarktwirtschaft, wo man nicht so genau weiß, wer da-hintersteckt. Die beste Prophylaxe von Korruption, vonanrüchigen Hinterzimmerpolitiken ist die Transparenz.Das ist der Ansatz für ein Lobbyistenregister.
Deshalb ist das sehr richtig. Ich würde mir wünschen,dass Sie mit uns gemeinsam über die Details reden. Überdie muss man reden, und man muss das sachlich ma-chen. Aber wenn Sie nur diffamieren und behaupten, wirwürden hier gegen die Interessenvertretung der Gesell-schaft in diesem Land agitieren, dann zeigt das, dass Sieoffensichtlich etwas befürchten, wenn das transparenterwird.
Das kommt bei der Mövenpick-Koalition allerdingsnicht ganz von ungefähr. Sie haben in der Tat ein Pro-blem; denn bei Ihnen gibt es tatsächlich einen Zusam-menhang zwischen Geldüberweisungen an die Parteienund gesetzgeberischen Bonbons hinterher, die den Steu-erzahler teuer zu stehen kommen.
So etwas sollten wir abstellen. Ein Beitrag dazu kann dasLobbyistenregister sein.
Zu Ihnen, Herr Kollege Hinsken. Sie haben vorhinden Kollegen von der SPD nach Herrn Schröder gefragt.Mir hat es auch nicht gefallen, dass er zu Gazprom ge-wechselt ist. Mir gefällt auch das, was Herr Koch macht,nicht.
– Auch das, was Birgit Fischer gemacht hat, finde ich einbisschen schwierig.
Aber: Warum haben Sie denn dann unseren Antrag inder letzten Wahlperiode abgelehnt, der forderte, dasssich Mitglieder der Bundesregierung, die aus ihrem Amtausscheiden, in einer Übergangszeit – analog zu den Re-gGtimkADsdBmmWngfüEh1dörebsn„dDIndredfop–Rsw
Wir haben den Vorschlag gemacht. Seit dem Fallangemann von der FDP und seinem Gang vom Kom-issarsposten zu einem spanischen Telekomunterneh-en hat die Europäische Union eine solche Regelung.arum können wir das nicht machen? Sie haben hier ei-en Popanz aufgebaut. Es ging dabei um Bürokratie. Zu-egeben: Der Antrag der Linken würde zu Bürokratiehren, unser Antrag aber nicht.Warum macht Österreich das gerade? Warum hat dieU ein freiwilliges Register, das genau unseren Kriterienier entspricht? Warum gibt es im US-Kongress seit995 den Lobbying Disclosure Act, wonach dort genauiese Angaben, die wir hier aufgeschrieben haben, ver-ffentlicht werden müssen? Warum ist das in den ande-n Staaten eine Selbstverständlichkeit und hier bei unsürokratischer Wahn oder die Diffamierung von Interes-envertretungen? Diesem Umstand müssen Sie Rech-ung tragen.
Seit Urzeiten liegt dieses lustige Papier hier vor:Ständig aktualisierte Fassung der öffentlichen Liste überie Registrierung von Verbänden und deren Vertretern“.ie Liste wächst jedes Jahr an.
zwischen sind es 2 163 Verbände. Warum machen wiras nicht zu einem wirklichen informativen und transpa-nten Instrument, damit jeder Bürger, jede Bürgerin, je-er Abgeordnete und jeder Journalist entsprechende In-rmationen finden kann? Das hier ist völlig intrans-arent und uninformativ, kostet aber auch Arbeit.
Ich sehe, der Kollege von der FDP will mir zu mehredezeit verhelfen. Ich bedanke mich dafür.
Ja, genau. Ich habe Ihre Redezeit jetzt auch schon ge-toppt, Kollege Beck, damit die Zwischenfrage gestellterden kann, die Sie erkannt und ich zugelassen habe.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11687
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Herr Kollege Beck, ich habe eine Frage: Warum ha-
ben Sie das Register nicht in den sieben Jahren Ihrer Re-
gierungsverantwortung eingeführt? Es gibt auch noch ei-
nige Bundesländer, in denen Sie Regierungsverantwor-
tung tragen. Haben Sie dort irgendwelche Überlegungen
angestellt und schon etwas eingeführt? Das würde mich
jetzt einmal interessieren.
Wir haben schon in der letzten Wahlperiode ein Lob-
byistenregister gefordert und sind hier konsequent.
Ich glaube, wenn Sie in der nächsten Wahlperiode
noch einmal ins Parlament kommen sollten, dann wer-
den Sie von der anderen Seite aus daran denken, dass
man hinterher nicht alles mit dem Hinweis abtun kann,
man hätte das alles in vier Jahren machen können. Man
kann nicht die ganze Welt auf einmal verändern. Lassen
Sie uns doch ernsthaft darüber reden, und nicht nach
dem Motto: Warum haben Sie das nicht schon vor
20 oder 30 Jahren gemacht, als die FDP an der Regie-
rung war? Das sind doch alberne Spielchen.
– Ich weiß nicht, ob die Kollegen in Nordrhein-Westfa-
len gerade dabei sind, aber ich finde, dass der Bund hier
eine besondere Vorbildfunktion hat. Die entscheidende
Gesetzgebung – auch in den Bereichen, in denen das
Bundesrecht durch die Länderverwaltungen „exekutiert“
wird – findet doch hier im Deutschen Bundestag statt.
Die entscheidenden Korruptionsvorwürfe und Verbande-
lungen zwischen Lobbyismus, Gesetzgebung und Politik
hat es doch hier in Berlin oder früher in Bonn gegeben.
Das Gesetz muss so gut werden, dass wir es allen Lan-
desparlamenten zur Übernahme empfehlen können. Las-
sen Sie uns gemeinsam eine Gesetzesinitiative auf den
Weg bringen, statt mit billigen Ausflüchten davor davon-
zulaufen.
Lobbyismus ist keine schlechte Sache. Ob die Deut-
sche Bischofskonferenz oder der Lesben- und Schwulen-
verband, ob die Solarindustrie oder das Deutsche Atom-
forum hier ihre Interessen vortragen: Das ist nichts
Schlechtes. Wir haben als Parlamentarier die Aufgabe,
die Argumente zu wägen und im Interesse des Allge-
meinwohls auszugleichen. Dabei sind wir aber darauf
angewiesen, zu wissen, mit wem wir es jeweils zu tun
haben. Das Lobbyistenregister kann dazu einen wertvol-
len Beitrag leisten.
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ie Finanzierungsquelle lässt aus meiner Sicht nicht da-uf schließen, ob ich gute oder schlechte Gesprächehre. Ich werde meine Gespräche weiterhin offen, frei,nvoreingenommen und mit der nötigen sachlichen Dis-nz führen. Ich selbst werde auch weiterhin abwägen,as für meine parlamentarische Arbeit von Bedeutungt und was nicht.In Ihren Anträgen steht, dass Sie illegale Einfluss-ahme, sprich: Korruption, nicht ausschließen. Würde
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11688 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Manfred Behrens
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ein verpflichtendes Lobbyistenregister das Problem lö-sen oder ausschließen? Ich denke, eher nicht. Korrum-pierbarkeit kann man nicht mit einem Lobbyistenregisteroder sonstigen Listen bekämpfen. Die moralische Ver-antwortung eines jeden Abgeordneten und die Stärke derDemokratie sind ein starkes Netz dagegen.Sie schreiben, dass Politik einerseits aufgrund derKomplexität auf externe Informationen angewiesen ist.Aber andererseits verstehen Sie Lobbyismus als Privati-sierung von Politik und definieren dies als „kontroll-freien Raum“. Aber seriöse Lobbyisten treten öffentlichin Erscheinung. Mir ist nicht bekannt, wo Sie Ihre Ge-spräche führen. Ich jedenfalls führe meine Gespräche öf-fentlich, zum Beispiel bei Empfängen oder parlamentari-schen Abenden. Dies sind transparente Räume. Dies sindkeine – so wie Sie es formulieren – kontrollfreienRäume.Im Fazit komme ich zu dem Schluss, dass Lobbyis-mus in der Bundesrepublik Deutschland zur Demokratiegehört. Er darf allerdings niemals die einzige Informa-tionsquelle für Abgeordnete sein. Die CDU/CSU stehtfür offene und freie Gespräche, zu jeder beliebigen Zeitund an jedem beliebigen Ort; denn der Austausch vonMeinungen ist ganz einfach Kernbestandteil unserervielfältigen Demokratie.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Jetzt hat als Nächste auf
unserer Rednerliste das Wort unsere Frau Kollegin
Dr. Eva Högl für die sozialdemokratische Fraktion. Bitte
schön, Frau Kollegin.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!Mir ist wichtig, gleich zu Anfang zu betonen, dass Lob-byismus alles andere als verwerflich ist. Darüber habeich hier in der Debatte Konsens festgestellt. Ich gehe so-gar so weit und sage, dass Lobbyismus und gezielte Inte-ressenvertretung für unsere gemeinsame Arbeit hier imParlament unerlässlich sind und dass die Vertretung vonInteressen zu den Wesensmerkmalen unserer Demokra-tie gehört. Mir ist auch wichtig, gleich zu Anfang zu sa-gen: Es geht nicht um eine Hetzjagd auf PR-Agenturen,Gewerkschaften, Verbände oder sonstige Interessenver-tretungen. Vielmehr geht es darum, die Interessenvertre-tung sinnvoll und richtig zu regeln.
Deutschland ist kein Land, in dem Korruption regiert.Das hat der Bundesrechnungshof gerade erst wieder fest-gestellt. Wenn aber laut einer Umfrage von Trans-parency International sieben von zehn Bürgerinnen undBürgern der Auffassung sind, dass die Bestechlichkeit inDeutschland zugenommen hat und dass gerade die Ver-flechtung von Wirtschaft, Politik, Interessenvertretungund professionellen Lobbyistinnen und Lobbyisten kri-timtabgiswimEdewEKRvslaisDcVtrdvgIcnVrügbdmdremInEnmzteIcdMgmlesw
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11689
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(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Wir kennenaber unsere Gesprächspartner! Das ist vielwichtiger!)Das ist doch eher ein Geheimdokument. Ich möchte sehrgern, dass das Register, das wir haben, allen Bürgerinnenund Bürgern zugänglich ist. Es geht – ich sage es nocheinmal – um Transparenz.
Außerdem brauchen wir Sanktionen. Die Nichteintra-gung, die Nichtbefolgung unserer Regeln müssen auchsanktionsbewehrt sein. Wir brauchen auch hier klare Re-geln.Ich will dann noch einen weiteren Punkt anfügen, derin den Anträgen nicht auftaucht. Wir werden als SPD-Fraktion auch noch Vorschläge vorlegen und uns an derDiskussion beteiligen. Wir brauchen auch einen Verhal-tenskodex für Interessenvertreterinnen und -vertreter,geprägt von Offenheit – ich wiederhole es –, von Trans-parenz, Ehrlichkeit und Integrität. Deswegen brauchenwir einen solchen Kodex, an den sich alle halten.
Zum Schluss appelliere ich noch einmal an uns allehier in diesem Hohen Haus: Wir haben das gemeinsameInteresse – das ist schon gesagt worden –, hier so trans-parent wie möglich zu arbeiten und so nachvollziehbarwie möglich zu machen, welche Interessen hier vertretenwerden; denn wir sind alle davon abhängig. Wir kennendas: Wir wissen, dass gute Gesetzgebung häufig nurdann gemacht werden kann und Vorschläge nur dannwirklich ausgewogen und gut sind, wenn wir die ver-schiedenen Interessen abwägen. Aber es gibt keinenGrund dafür, vor der Öffentlichkeit Angst und vor Trans-parenz Scheu zu haben. Deswegen fordere ich uns alleauf, gemeinsam an guten Regeln zu arbeiten. Es würdeuns auszeichnen, und es würde dem Deutschen Bundes-tag gut zu Gesicht stehen.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Högl. – Als Letzter
auf unserer Rednerliste zu diesem Tagesordnungspunkt
folgt jetzt unser Kollege Armin Schuster. Bitte schön,
Kollege Armin Schuster.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen undKollegen! Verehrte Damen und Herren! Ich glaube,diese Debatte wird auch auf der Zuschauertribüne alssehr interessant bewertet. Es ist kein Zufall, dass die ar-chitektonische Gestaltung der neuen Bundestagsgebäudenicht einfach den Architekten überlassen wurde, sonderndass durch große Fensterfronten, durch komplett einseh-bare Büros, durch die Möglichkeit, auf Zuschauertribü-npgteawradggKDhmgddgaimzveismvSgtuvddnddsfüwdfrtugwnmin
Die vorliegenden Anträge befassen sich ehrenhafter-eise alle mit dieser Idee. Gleichwohl – das ist hier he-usgearbeitet worden – spüren wir im Gespräch mitem Bürger, dass da ein anderes Empfinden, eine andereefühlte Temperatur ist. Ich habe den Eindruck, dass dasar nicht daran liegt, dass wir ein Problem mit zu vielorruption etc. haben, sondern daran – ich habe Fraur. Högl gehört, ich habe Herrn Hartmann gehört, ichabe Herrn Beck
it einem tollen Plädoyer gehört –, dass wir eigentlichar kein Problem haben. Wir nehmen in diesem Hausen Lobbyismus sehr wichtig.Dann frage ich mich aber: Woher kommt der Ein-ruck, den der Bürger hat? – Dazu möchte ich Ihnenanz ehrlich sagen – ich nehme da meine Fraktion nichtus –: Ich glaube, dass die Art und Weise, wie wir hier Deutschen Bundestag dieses Thema diskutieren, sehrur Meinungsbildung beiträgt. Ich bin nicht damit ein-erstanden, dass wir uns gegenseitig vorhalten, welcherhemalige Politiker jetzt wo arbeitet. Solange er nicht 67t, halte ich es für legitim, dass er einen anständigen Jobacht.
Ich halte es nicht für richtig, dass den einen die Mö-enpick-Geschichte vorgeworfen wird und im Gegenzugie vielleicht erklären müssen, wo Ihnen die Windener-iebranche entgegengekommen ist. Das alles, diese Kul-r in diesem Haus, meine Damen und Herren, sorgt sehriel für die gefühlte Temperatur draußen. Es sind nichtie tatsächlichen Korruptionsfälle. Deshalb glaube ich,ass wir in dieser Debatte ein wenig zu stark mit Kano-en auf Spatzen schießen, wenn wir mal tatsächlich anie Fakten denken.Ich komme jetzt zu den Fakten und nenne zunächstas Thema externe Personen. Herr Hartmann beschäftigtich damit im Innenausschuss sehr intensiv, und ich be-rworte das auch. Hintergrund ist die Befürchtung, dassir zu viele ausgeliehene Referenten haben, die auf an-eren Payrolls arbeiten und unter Umständen sach-emde Dinge tun.Mit Ihrer Hilfe haben wir 2008 eine tolle Verwal-ngsvorschrift gemacht. Dort sind sehr viele Forderun-en, die jetzt in den Anträgen stecken, bereits verarbeitetorden. Wir erhalten die Berichte des Bundesrech-ungshofs, die uns attestieren: Ihr habt kein Problem.Wir bekommen halbjährlich aus dem Bundesinnen-inisterium Berichte über den Einsatz externer Personen der Bundesverwaltung – der aktuelle Bericht umfasst
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11690 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Armin Schuster
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63 Seiten; Fleißarbeit! –, in denen im Detail dokumen-tiert wird, was hier los ist. Es gibt, alle Ressorts zusam-mengenommen, ganze 56 Fälle. Zwei davon entfallennicht auf die Deutsche Forschungsgemeinschaft, dasGoethe-Institut, die Max-Planck-Gesellschaft, den Deut-schen Naturschutzbund Deutschland oder eine ähnlicheEinrichtung, sondern auf den BDI – und angesichts des-sen wird hier ein Fass aufgemacht! In Gottes Namen, istes denn so unrealistisch, dass der Bundeswirtschafts-minister mit dem BDI zusammenarbeitet? Wo sind wirdenn? Diese Kritik kann ich wirklich nicht verstehen.Ich glaube, man muss die Kirche im Dorf lassen. Derletzte Bericht des Bundesinnenministeriums beweist ein-deutig, dass wir eine absolut saubere Politik machen.Jetzt komme ich Ihnen aber entgegen, Frau Dr. Högl:Erstens. Den Bericht über den Einsatz externer Perso-nen in der Bundesverwaltung öffentlich zugänglich zumachen – eine Forderung von Herrn Hartmann –, halteich ebenfalls für angemessen. Darüber sollten wir reden.
Zweitens. Nicht erfasste, befristete Arbeitsverträgeunter bestimmten Kriterien in diese Verwaltungsvor-schrift aufzunehmen, halte auch ich unter bestimmtenUmständen für sinnvoll. Über beide Dinge sollten wirreden.
Eventuell muss man die Verwaltungsvorschrift ändern.Ich biete an, darüber zu beraten. Ich weiß, dass die Re-gierung mit uns diesbezüglich eigentlich im Konsens ist.
Jetzt komme ich auf das Lobbyregister zu sprechen.Ich darf als ehemaliger Beamter sagen: Wenn man derdeutschen Verwaltung unter Anwendung der von Ihnengeplanten Regeln den Auftrag gibt, Lobbykontakte in ei-nem Register zu dokumentieren, dann wird man ganzeKohorten von Planstellen schaffen müssen; schließlichmuss jeder Besuch, auch wenn er nur ein einziges Malstattgefunden hat, dokumentiert werden. Wissen Sie,was Sie damit erreichen?
Überhaupt nichts! Unlautere Einflussnahme läuft näm-lich subtil ab und ist nicht zu verorten. Die Technikenkennen Sie.
Was das buchhalterische Erfassen in Registern gewähr-leisten soll, das erschließt sich mir nicht. Ich glaube, wirmüssen noch ein paar Jahre miteinander reden, bis es Ih-nen gelingt, mich von der Richtigkeit dieses Erfassenszu überzeugen. Wie gesagt, wenn Sie einen ehemaligenBeamten nicht überzeugen können, dann zeigt das, wieschwach Ihre Argumente sind.–WWpdPs–dBsdreesddinsuWwDAhP
Beurlaubt.Fazit: Wir haben eine gute Verwaltungsvorschrift.ir haben sehr gute und aktuelle Rechenschaftsberichte.ir haben ausweislich des letzten Berichts kein Trans-arenzproblem. Wir haben noch nicht einmal einen Ver-achtsfall. Der BRH sagt: Wir sind clean. In Rheinland-falz gibt es einen Komiker, der Menschen anruft undagt: „Ich hätt’ da gern mal ein Problem.“
Stimmt, das ist ein Hesse. – Ungefähr das ist es, wasiese Debatte kennzeichnet.Meine Damen und Herren, liebe Bürgerinnen undürger auf der Zuschauertribüne, Sie dürfen stolz daraufein, nachweislich – ich betone: nachweislich – eine füras Thema sensible, sich selbst kontrollierende, transpa-nte Regierung, eine durchschaubare Verwaltung undin offenes Parlament zu haben. Das ist die Kernbot-chaft, die ich gern vermitteln wollte.Danke schön.
Vielen Dank, Kollege Armin Schuster. – Ich schließeie Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufen Drucksachen 17/2096, 17/5230 und 17/2486 an die der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-chlagen. Die Vorlagen auf den Drucksachen 17/2096nd 17/2486 sollen federführend beim Ausschuss fürahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung beratenerden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.ann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas-sung der Rechtsgrundlagen für die Fortent-wicklung des Emissionshandels– Drucksache 17/5296 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungHaushaltsausschuss gemäß § 96 GONach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ichöre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als Erste hat das Wort diearlamentarische Staatssekretärin Kollegin Ursula
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11691
Vizepräsident Eduard Oswald
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Heinen-Esser. – Bitte schön, Frau Kollegin Heinen-Esser.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem
Entwurf der Novelle zum Treibhausgas-Emissionshan-
delsgesetz bringen wir heute den europäischen Emis-
sionshandel für die Zeit ab 2013 hier in Deutschland auf
den Weg. Dieser Emissionshandel wird sich künftig ganz
deutlich von dem Emissionshandel unterscheiden, wie
wir ihn in den ersten beiden Handelsperioden von 2005
bis 2012 kennengelernt haben. Diese beiden Perioden
waren durch einen – um es vornehm auszudrücken –
sehr großen Handlungsspielraum gekennzeichnet, den
die ursprüngliche Emissionshandelsrichtlinie den Mit-
gliedstaaten eröffnete. Denn im Grunde – um das einmal
deutlich zu sagen – konnte jeder Staat es halten, wie er
wollte. Er konnte die Mengen und die Zuteilungsregeln
selber festlegen.
Wir haben erfahren, was das im europäischen Kontext
bedeutete, nämlich einen Wettlauf der Mitgliedstaaten
um die jeweils besten Wettbewerbsbedingungen. Des-
halb war es überhaupt nicht verwunderlich, dass sich ein
breiter Konsens für eine deutlich stärkere Harmonisie-
rung der Regeln innerhalb des EU-Emissionshandels-
systems abgezeichnet hat. Das betraf insbesondere die
Festlegung einer EU-weit einheitlichen Gesamtemis-
sionsmenge und einheitlicher Zuteilungsregeln, mit
denen man hofft, diesen Wettlauf einzudämmen. Wir
wollen eben nicht 27 verschiedene nationale Emissions-
handelssysteme, sondern ein europäisches Emissions-
handelssystem.
Die Novelle hat drei Hauptanliegen. Erstens. Es soll
keine nationalen Alleingänge geben, sondern eine kon-
sequente Eins-zu-eins-Umsetzung der Richtlinie. Zwei-
tens geht es um die Nutzung von Gestaltungsspielräu-
men, die die Richtlinie insbesondere für Kleinanlagen
eröffnet. Und schließlich geht es drittens um eine sinn-
volle Fortentwicklung der nationalen Vollzugsregelun-
gen, insbesondere um die Neuaufteilung der Vollzugs-
aufgaben von Bund und Ländern.
Lassen Sie mich das anhand von drei Themen kurz
darstellen. Der erste Punkt betrifft den Anwendungsbe-
reich der Novelle und damit die Frage, welche Anlagen
ab 2013 mit einbezogen werden. Zum einen wollen wir
das Problem des Flugverkehrs in dieser Novelle mit lö-
sen, das heißt, erstmals werden die Fluggesellschaften
mit in den Emissionshandel einbezogen, und zum ande-
ren wird die Anzahl der betroffenen Anlagen in Deutsch-
land ab 2013 auf etwa 2 000 anwachsen. Das sind etwa
20 Prozent mehr als bisher. Durch die Eins-zu-eins-Um-
setzung können sich die betroffenen Unternehmen aber
rechtzeitig auf die veränderte Situation einstellen, ohne
dass ihnen bei der kostenlosen Zuteilung langjährige
Streitereien etwa mit der Kommission drohen.
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11692 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Leider sind die Unternehmen nicht so gut aufgestellt,Frau Staatssekretärin, weil Sie mit Ihrer nationalen Um-setzung etwas spät dran sind; es hätte schneller gehenkönnen. Das bringt Probleme für manche Unternehmen.Sie wissen nicht genau, wie das demnächst eigentlichaussieht und wie sie dann an die Zertifikate kommen,weil das Gesetz noch nicht beschlossen ist und Sie denZeitplan, den Sie sich vorgenommen haben, nicht einhal-ten werden.„Gesetz zur Anpassung der Rechtsgrundlagen für dieFortentwicklung des Emissionshandels“, das ist dersperrige Titel. Es ist eine recht sperrige Materie. In derTat – Sie haben es erwähnt, Frau Staatssekretärin –: Dienationalen Spielräume sind sehr gering. Ich sage: ZumGlück sind sie national sehr gering. Wir werden uns imRahmen der Anhörung am Montag intensiver mit diesengeringen Spielräumen beschäftigen.Es ist gut, dass die nationalen Spielräume eng sind.Warum? Weil der Emissionshandel eines der zentralenInstrumente des Klimaschutzes ist und wir uns einigsind, dass die Herausforderungen des Klimawandels nurin größeren Zusammenhängen zu bewältigen sind. Dasgilt weltweit und eben auch EU-weit.Es wird viel Kritik an der EU geübt. An der Stellemuss man aber einmal eine Eloge auf die EU halten. Wirhaben mit der dritten Handelsperiode endlich ein einheit-liches europäisches System, abseits von nationalen Ego-ismen des Status quo, die die Verhandlungen zur erstenund zweiten Periode leider bestimmt haben. In der erstenPeriode ist etwas herausgekommen, das am Ende garkeine Steuerungswirkung mehr hatte. In der zweitenHandelsperiode ist es deutlich besser geworden, aberauch da hätte man sich mehr vorstellen können.Ich will aus Sicht des Parlaments in Deutschland sa-gen: Wir – ich meine diejenigen, die damals schon dabeiwaren – haben das Bestmögliche herausgeholt. Mit ei-nem Versteigerungsanteil von am Ende 8,8 Prozent sindwir fast an die Grenze dessen gegangen, was wir eigent-lich durften. Nichtsdestotrotz gab es Mitnahmeeffekte ineiner Größenordnung von 30 bis 35 Milliarden Euro beiden großen Energieversorgungsunternehmen. Wir vonder Politik müssen uns schon zurechnen lassen, dass wirdas nicht verhindert haben.Was heute Grundlage ist, was wir heute diskutierenund demnächst hier beschließen werden, ist letztendlichProdukt des EU-Gipfels von Ende 2008. Ich will daranerinnern, dass es Umweltminister Gabriel war, der da-mals mit dafür gesorgt hat, dass diese Regeln durchge-setzt worden sind. Die Hauptregel ist, dass es im Bereichder Energieversorgung, des Stroms, eine hundertprozen-tige Versteigerung gibt. Das wird ab dem 1. Januar 2013seine Wirkung haben.Ich will auch hervorheben, dass wir als Bundestagsehr selbstbewusst auf den Zeitpunkt Ende 2008 schauenkönnen, weil wir als Deutscher Bundestag ein Stück Ge-schichte geschrieben haben. Wir haben nämlich die Be-teiligung des Parlaments an der EU-Gesetzgebung mitLEdRTDaedsje–RmEruvmspggnKteBsusuEteundfüLuctedK2mdWgdnDud
Ich empfehle sehr, das Gutachten zu lesen, das derissenschaftliche Beirat „Globale Umweltveränderun-en“ heute auf den Tisch gelegt hat; ich habe es zumin-est anlesen können. Er ermahnt uns, die Dynamik zuutzen, die in einem beschleunigten Atomausstieg ineutschland, aber auch darüber hinaus liegt. Er ermahntns, die Chancen zu nutzen, die Dinge anzugehen unden Energieumbau voranzutreiben. Dafür braucht man
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11693
Frank Schwabe
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einen effizienten Emissionshandel. Ich denke – so vielGemeinsamkeit kann sein –, dass das, was wir am Ende,vielleicht mit leichten Veränderungen, als Gesetz verab-schieden werden, durchaus einen Beitrag dazu leistet.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Judith Skudelny von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im De-zember 2009 haben die Grünen einen Antrag gestellt, diealten ineffizienten, CO2 und Quecksilber emittierendenfossilen Kraftwerke am besten vom Netz zu nehmen.
Heute werden diese alten ineffizienten Dreckschleudernin vielen Studien und beispielsweise auch in Studien desÖko-Instituts „kalte Reserven“ genannt. Es wird daraufverwiesen, dass es gar nicht so schlimm ist, wenn diesekalten Reserven jetzt hochgefahren werden. Warum?Weil wir auf europäischer Ebene den Zertifikatehandelhaben.Spätestens jetzt hat sogar der Letzte gemerkt, dassVerschmutzungen in einen Naturraum einzupreisen, bes-ser ist, als Techniken nach wechselnden Befindlichkei-ten zu bestrafen oder zu bevorzugen. Es ist viel sinnvol-ler, auf europäischer Ebene ein marktwirtschaftlichesInstrument einzuführen, als auf lokaler Ebene einzelneKraftwerke hoch- oder herunterzufahren. Der Zertifika-tehandel ist hierfür das richtige Instrument. Insofern fin-den wir es gut, dass wir diesen in der nächsten Handels-periode weiter verstärken.
Es ist auch richtig, dass energieintensive Unterneh-men kostenfreie Zuteilungen bekommen. Warum? Wirwollen das Klima schützen, wir wollen nicht die euro-päische Industrie schwächen. Unternehmen, die auf demglobalen Markt bestehen wollen, brauchen Rahmenbe-dingungen, damit sie sich am globalen Markt durchset-zen können. Zu diesen Rahmenbedingungen insbeson-dere für energieintensive Unternehmen gehört einfachauch, dass wir in dieser Frage helfen müssen.Deswegen freue ich mich ganz besonders, dass imBereich der Chemie 95 Prozent der Zertifikate frei zuge-teilt werden. Warum ist dieser Bereich so wichtig? Wirsind in Deutschland bei der Chemie Weltmarktführer.Wir haben hier wichtige Arbeitsplätze. Ich danke HerrnRöttgen und Herrn Wirtschaftsminister Brüderle dafür,dass sie sich auf europäischer Ebene so stark fürDeutschland eingesetzt haben.amwteinFCvraaBKleinli1m1ww1GsaW1ddHgendzEegdnDreBabaeb
Bei allem Lob: Es gibt auch drei Kritikpunkte, die ichm Anfang des parlamentarischen Verfahrens anbringenöchte. Frau Heinen-Esser hat die Kleinemittenten er-ähnt. 50 Prozent der Anlagen, die neu in den Zertifika-handel einbezogen werden, sind Kleinemittenten, diesgesamt 2 Prozent der CO2-Emissionen verursachen.ür sie gibt es folgende Ausnahmeregelung: Wenn dieO2-Reduzierung entsprechend der im Zertifikatehandelorgesehenen Reduzierung vorgenommen wird, also pa-llel zu dieser läuft, können sie vom Zertifikatehandelusgenommen werden, einfach aus dem Grund, dass dieürokratiekosten wahrscheinlich höher wären als dieosten für die Zertifikate.Hier gibt es nun Spielräume. Man kann sich vorstel-n, dass es zum Beispiel für eine kleine Ziegelei wie die meiner Gemeinde, die Kunsthandwerk macht, ziem-ch schwierig ist, jedes Jahr den CO2-Ausstoß genau um,74 Prozent zu reduzieren. Es gibt vielleicht Nachrüst-aßnahmen, die nur 1,7 oder 1,69 Prozent oder auch nur,59 Prozent Reduzierung bringen. Für solche Fälleurde ein kleiner Spielraum vorgesehen; das heißt,enn sie weniger schaffen, also beispielsweise nur,6 Prozent, müssen sie für diese Differenz in Höhe desegenwertes der Zertifikate zahlen, also quasi eine Er-atzzahlung leisten. Einen solchen Spielraum gibt esber nur bei einer Reduzierung von 1,6 bis 1,74 Prozent.enn die Einsparung demgegenüber beispielsweise bei,59 Prozent liegt, muss der volle Betrag bezahlt wer-en.Wir wollen mit dem Zertifikatehandel nicht Geld ver-ienen, sondern für Klimaschutz sorgen. Vor diesemintergrund ist jedes eingesparte Tönnchen CO2 eineute Maßnahme. Deswegen fordere ich hier für die FDPine Nachbesserung in der Form, dass jemand, der garichts macht, den vollen Gegenwert zahlt, dass jemand,er nur halb so viel wie vorgesehen einspart, die Hälfteahlen, und jemand, der drei Viertel der vorgeseheneninsparungen schafft, nur ein Viertel zahlen soll. Hierinfach einen Grenzwert festzulegen, halten wir nicht fürerechtfertigt. Das würde nur Kleinunternehmen unden Mittelstand und damit diejenigen treffen, die jetztach der Wirtschaftskrise wieder Kapazitäten aufbauen.eswegen denken wir, dass man hierüber durchaus nochden sollte.
Es gibt einen zweiten Kritikpunkt; dieser betrifft denereich der Müllverbrennung. Es gibt Hausmüll, es gibtber auch Plastikmüll. Dieser Plastikmüll, der aus Erdölesteht, kann wiederaufgearbeitet werden und wird dannls Ersatzbrennstoff bezeichnet. Jetzt kann man auf derinen Seite sagen: Die Verbrennung von Öl und die Ver-rennung dieses Brennstoffs, der auch einmal Öl war,
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11694 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Judith Skudelny
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ist im Prinzip gleichzusetzen. Beides emittiert ja in ge-wisser Weise CO2 und fällt damit unter den Zertifika-tehandel. Auf der anderen Seite wird aber in fast allenGutachten nachgewiesen, dass die Verwendung von Er-satzbrennstoffen dem Klima nützt: Zum einen wird dasgleiche Produkt mehrfach verwertet, zum anderen ist un-ter dem Strich tatsächlich ein positiver Klimaeffekt, einpositiver CO2-Effekt vorhanden. Ob man diese positiveMaßnahme, diese Klimaschutzmaßnahme, jetzt unbe-dingt in den Zertifikatehandel einbeziehen soll, kannman durchaus noch einmal diskutieren. Schon im Vor-feld wurde ja darüber diskutiert. Man hat dann gesagt:Bei einem Brennwert über 13 000 Kilojoule handelt essich um einen Ersatzbrennstoff; alles, was darunter liegt,ist vom Zertifikatehandel freigestellt. Aber diese Grenzeist nicht sachlich gerechtfertigt, sondern das Ergebnisvon Verhandlungen. Über diesen Punkt könnte man alsodurchaus auch noch nachverhandeln.Der dritte Kritikpunkt betrifft den Flugverkehr. DerFlugverkehr wird 2013 in den Zertifikatehandel mitein-bezogen. Davon sind allerdings auf globaler Ebene nichtalle begeistert. Eine amerikanische Airline hat dagegenbereits Klage bei der EU-Kommission eingereicht. Mankann darüber diskutieren, ob ein Gericht diese Frage ent-scheiden soll. In vielen Fällen kann man das bejahen.Wir denken allerdings, dass Europa eine Handelszonedarstellt, in der wir es mit Handelspartnern zu tun haben.Wenn von Handel, von Vertrauensverhältnissen undPartnern gesprochen wird, dann sollte man sich viel-leicht darum bemühen, solche Gerichtsverfahren zu ver-meiden und stattdessen im Vorfeld mit den Partnernsprechen.
Die Liberalen auf europäischer Ebene führen diese Ge-spräche schon. Wir möchten, dass auch die EU-Kom-mission verstärkt in die Gespräche eintritt, damit dieDifferenzen, die im Moment noch bestehen, in harten,aber fairen Gesprächen einvernehmlich aufgelöst wer-den und wir am Ende nicht die Gerichte darüber ent-scheiden lassen, wie unser Handel mit europäischen undaußereuropäischen Partnern abgewickelt wird.
In unseren Haushaltsplänen ist die Flugticketabgabenoch enthalten. Diese soll ja 2013 von der Flugverkehr-steuer abgelöst werden. Deshalb freue ich mich auf denHaushalt 2013, in dem die Flugticketabgabe nicht mehrenthalten sein wird.Vielen Dank.
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Umweltminister Röttgen will das Minderungsziel derU von minus 20 auf minus 30 Prozent gegenüber 1990erschärfen. Ich sage noch einmal: Wir unterstützen die-es Ziel. Es ist aber nur unter der Voraussetzung zu errei-hen, dass im Emissionshandelssektor entsprechend ge-ürzt wird. Die EU-Kommission hatte dazu auch einenlugen Vorschlag gemacht, nämlich im Jahr 2013 rund,4 Milliarden Zertifikate stillzulegen. Sie würden alsoon jenen Emissionsrechten abgezogen, die bislang zurersteigerung vorgesehen sind.Wir haben die Bundesregierung schriftlich gefragt,as sie davon hält. Sie hat ganz frech geantwortet, einenolchen Vorschlag der Kommission gebe es überhaupticht. Dabei steht er in der Kommissionsmitteilung zurnalyse eines verschärften Minderungsziels schwarz aufeiß. Ich vermute Folgendes: Entweder nimmt die Bun-esregierung die Kommission und ihre Mitteilungenicht ernst oder aber das Fragerecht des deutschen Parla-ents – vielleicht auch beides.
Inzwischen hat Klimakommissarin Conni Hedegaardiesen Vorschlag mehrfach wiederholt. Ich kann ankün-igen, dass wir, die Linke, die Kleine Anfrage noch ein-
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Eva Bulling-Schröter
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mal stellen und die Antwort der Bundesregierung anFrau Hedegaard schicken. Wir sind gespannt.
Die eigentliche Katastrophe in der EU-Emissionshan-delsrichtlinie ist aber die weitgehend kostenlose Zutei-lung der Emissionsrechte an die Industrie. Die in jederHinsicht einfachste und wirksamste Methode einer Ver-steigerung wurde unter deutschem Druck verworfen. Ichsage nicht, dass eine Versteigerung keine Probleme mitsich bringen würde; denn ich kenne ja Herrn Obermeier.Er wird dazu sicher etwas sagen. Aber man hätte es dif-ferenzierter ausgestalten können. Wir haben in diesemZusammenhang im Ausschuss über Kriterien diskutiert.Diesen Weg wollten Sie nicht beschreiten.Die Folge ist erneut ein bürokratisches Monstrum miteinem Wirrwarr von Zuteilungsregeln. Das zeigt sichauch bei der TEHG-Novelle, also der Novelle zumTreibhausgas-Emissionshandelsgesetz, um die es heutegeht. Durch das Hickhack zwischen Umwelt- und Wirt-schaftsministerium ist das Ding zudem fast unlesbar ge-worden. Die Lobbyarbeit der einzelnen Wirtschafts-zweige und die Empfänglichkeit von Herrn Brüderledafür liegen wie Mehltau über der Rechtspflege.
Dabei stehen die kompliziertesten Geschichten nochgar nicht im Gesetz: Über den Verordnungsweg sollennoch 52 EU-weit gültige Benchmarks eingeführt wer-den. Was sind Benchmarks? Das sind Vergleichszahlenfür branchentypische Emissionen. Sie sind nötig, um dieZuteilung an die Industrie im Detail zu regeln. EinzelneAnlagen lassen sich dabei noch in fiktive Teilanlagenzerlegen. Sie sehen, wie kompliziert das Ganze ist. DieFolge ist: Es gibt Schlupflöcher ohne Ende; eine Kon-trolle durch die Zivilgesellschaft ist quasi ausgeschlos-sen. Dass hier unter dem Strich viele Firmen vom zu-sätzlichen Klimaschutz befreit werden, pfeifen dieSpatzen vom Dach.Ab nächstem Jahr wird der Flugverkehr in den Emis-sionshandel einbezogen. Auch hier gilt: Die Messenwurden bereits auf EU-Ebene gesungen. Das ist aller-dings wenig ermutigend; denn die zugeteilte Gesamt-menge wird im Jahr 2020 95 Prozent des Durchschnittsder Jahre 2004 bis 2006 betragen. Ambitionierter Klima-schutz sieht anders aus.
Zudem sollen gerade einmal 15 Prozent der Rechteversteigert werden. Ferner – das halte ich für schlimm –ignoriert das System die indirekten Effekte des Flugver-kehrs wie NOx und Wasserdampf, die die Treibhauswir-kung je Tonne ausgestoßenes CO2 um den Faktor zweibis vier erhöhen. Das heißt, in Flughöhe ist CO2 wesent-lich klimawirksamer als am Boden, beispielsweise beieinem Auto. Dann müsste man das entsprechend derWgzinwdKcBligdwüsdzmnZomDcggdgGbeaSFleDKnss
Das Wort hat nun Hermann Ott für die Fraktion
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vor-egende Novelle zum Treibhausgas-Emissionshandels-esetz bringt unbestritten einige Verbesserungen, etwaie Vollversteigerung im Stromsektor, die Einbeziehungeiterer Klimagase und Anlagen oder auch die längstberfällige Einbeziehung des Flugverkehrs in den Emis-ionshandel.Wahr ist aber auch, dass der Emissionshandel in derritten Handelsperiode weit hinter seinen Möglichkeitenurückbleibt und damit den Herausforderungen des Kli-awandels nicht gerecht wird. Ich will an dieser Stelleur einige Kritikpunkte nennen.Da gibt es nach wie vor die weitgehend kostenloseuteilung von Emissionszertifikaten an die Industrieder die viel zu großzügige Nutzung des Clean Develop-ent Mechanism, der teilweise höchst problematisch ist.ies sind Regelungen, die den Emissionshandel schwä-hen.Doch es gibt sogar explizit klimaschädliche Regelun-en in der Richtlinie. So erlaubt es die europäische Re-elung sogar, neue Kohlekraftwerke mit den Erlösen ausem Emissionshandel zu subventionieren. Die Bedin-ung: Sie müssen „CCS-ready“ sein. Das heißt imrunde nicht mehr, als dass sie über einen zusätzlichenenachbarten Bauplatz verfügen müssen, wo man soine Abscheidungsanlage hinsetzen könnte – könnte,ber nicht muss. Es ist, meine Damen und Herren, einechande, dass ein Instrument des Klimaschutzes für dieinanzierung von Kohlekraftwerken, also von Klimakil-rn, missbraucht werden kann.
ass Sie diese Regelung umsetzen wollen, steht zwar imoalitionsvertrag, aber die Regelung steht Gott sei Dankicht im Gesetz.Ich komme jetzt zu der Situation in Deutschland.Es muss festgestellt werden, dass der gesamte Emis-ionshandel in seiner jetzigen Ausgestaltung den Klima-chutz in Deutschland eher behindert, indem er nämlich
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Dr. Hermann Ott
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die Erreichung des 40-Prozent-Ziels fast unmöglichmacht; denn die Verpflichtungen für Deutschland setzennur das europäische 20-Prozent-Ziel um. Die Minderungfür den Strom- und Industriesektor in Deutschland be-trägt entsprechend eben auch nur 20 Prozent. Das istnicht nur viel zu schwach. Es ist auch nicht ersichtlich,wie diese schwache Regelung von den übrigen Sektorenkompensiert werden könnte, wo doch der Emissionshan-del nur knapp die Hälfte der Emissionen in Deutschlanderfasst. Wie viel mehr soll denn der Verkehrssektor er-bringen? Wie viel mehr sollen die privaten Haushalte er-bringen? Nein, das deutsche 40-Prozent-Ziel entsprächeeinem europäischen Ziel von 30 Prozent. Das wäre – daswissen Sie auch – sowohl ökologisch als auch ökono-misch sinnvoll.Aber die Bundesregierung blockiert die europäischeEinigung auf ein 30-Prozent-Ziel. Sie blockiert damitauch die Erreichung des eigenen Ziels. Ist es Schizo-phrenie oder kühle Kalkulation? Wir wissen es nicht.Aber so nebenbei wird dadurch auch der seit Regie-rungsantritt bestehende Geburtsfehler dieser Koalitiondeutlich, dass es nämlich keine Solidarität unter Ihnengibt.
Wirtschaftsminister Brüderle bremst gnadenlos Um-weltminister Röttgen aus, der sich für die Erhöhung desZiels auf 30 Prozent einsetzt. Röttgen bekommt zumDank nicht einmal die Unterstützung seiner Umweltpoli-tikerinnen und Umweltpolitiker. Ein im Umweltaus-schuss eingebrachter interfraktioneller Antrag zur Erhö-hung des EU-Ziels bekam die Stimmen der Grünen, derSPD und der Linken, aber nicht die Stimmen von Unionund FDP. Damit, meine Damen und Herren von derschwarz-gelben Koalition, haben Sie schnöde Ihren ei-genen Minister im Regen stehen gelassen.
Zurück zum vorliegenden Entwurf. Leider müssen– wie so oft bei dieser Regierung – auch handwerklicheMängel konstatiert werden. Die Novelle kommt viel zuspät. Sie hätte bereits am 2. Februar 2010 vorgelegt wer-den müssen. Da ist die offizielle Frist abgelaufen. EinVertragsverletzungsverfahren der EU ist anhängig. Dasdritte und letzte Mahnschreiben der Kommission gehtderzeit an Deutschland heraus. Deutschland sieht nebenPolen, Estland und Zypern ziemlich schlecht aus. Dabeistehen für die Industrie im Juni und September wichtigeFristen an. Schon bis zum 30. Juni müssen zum Beispieldie Anträge der Fluggesellschaften auf kostenlose Zutei-lung bei der EU-Kommission vorliegen. Das ist für dieUnternehmen nur schwer zu schaffen.Diese Verspätung ist aber nicht zufällig. Die vorlie-gende Novelle kommt auch deshalb auf den letzten Drü-cker, weil innerhalb der Bundesregierung um Ausnah-men und Sonderregelungen gefeilscht worden ist, zumBeispiel für die sogenannten Kleinemittenten. Statt an-gesichts des fortschreitenden Klimawandels mit einerzügigen und klaren Novelle den Anspruch eines Vorrei-tegzfüDbVeghueuTtrzgJFmDUhfüDindERKudgpresc
ie internationale Klimapolitik braucht Vorreiter; esräuchte Deutschland, es bräuchte die EU. Doch dieseorreiterrolle wollen Sie offenbar nicht annehmen.Meine Damen und Herren, die Bundeskanzlerin hatine Energiewende in Deutschland angekündigt. Dabeieht es nicht nur um den Ausstieg aus der nicht be-errschbaren und tödlichen Atomenergie, sondern auchm den Einstieg in eine Energieversorgung durch erneu-rbare Energien und den Umbau zu einer effizienterennd grüneren Wirtschaft. Die vorliegende Novelle zumreibhausgas-Emissionshandelsgesetz hätte ihren Bei-ag dazu leisten können, die Weichen in diese Zukunftu stellen. Doch wie bei fast allem, was diese schwarz-elbe Koalition anpackt, packt sie es nicht. Es ist einammer.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun Andreas Jung für die CDU/CSU-
raktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichöchte zunächst unterstreichen – zumal Herr Kolleger. Ott dies angezweifelt hat –: Die Umweltpolitiker dernion stehen mit Überzeugung und großer Geschlossen-eit hinter dem Eintreten des Bundesumweltministersr ein Aufstocken des EU-Ziels auf 30 Prozent.
as zeigt dieser Applaus, das zeigt unser Eintreten dafür der Öffentlichkeit, und das zeigt auch unser Werbenafür in den Koalitionsfraktionen. Wir wollen, dass dientscheidung der Koalition am Ende in genau dieseichtung geht. Wir stehen selbstverständlich zu unseremlimaziel, bis 2020 die Treibhausgase gegenüber 1990m 40 Prozent zu reduzieren.Ein wesentliches Instrument des Klimaschutzes ister Emissionshandel, über den wir heute diskutieren. Ichlaube sagen zu können, dass mit der Emissionshandels-eriode ab 2013 Verbesserungen erzielt und in drei Be-ichen dieses Emissionshandelssystems Quanten-prünge gemacht werden können.Erstens. Wie bereits von mehreren Rednern angespro-hen worden ist, werden wir weitgehende einheitliche
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11697
Andreas Jung
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europäische Regelungen haben. Wir überwinden so dasbisher geltende Emissionshandelssystem, in dem es zwareuropäische Vorgaben, aber weiten Spielraum für natio-nale Regelungen gibt. Damit erreichen wir zweierlei:Zum einen erreichen wir auf europäischer Ebene ein ge-meinsames Vorgehen beim Klimaschutz im Bereich desEmissionshandels, zum anderen erreichen wir Wettbe-werb auf Augenhöhe für unsere Industrie. Aus beidenGründen haben wir uns dafür eingesetzt, und aus beidenGründen ist das ein wichtiger Schritt.Zweitens. Erstmals wird der Flugverkehr in denEmissionshandel einbezogen. Ich glaube, das ist einwichtiger Einstieg. Ich glaube auch, dass es notwendigsein wird, Schritt für Schritt zu einer weiteren Reduzie-rung des Caps, zu einer weiteren Auktionierung zu kom-men. Es ist aber aus klimapolitischer Sicht zunächst ein-mal ein Anlass zur Freude, dass dieser Einstieg gelungenist und dass die jahrzehntelange Diskussion, in der esimmer wieder geheißen hat, man würde die umwelt-freundlichen Verkehrsmittel wie Bus und Bahn mit derÖkosteuer belasten, aber das Flugbenzin sei steuerfrei,damit überwunden ist. In Zukunft muss der, der mit demFlugzeug unterwegs ist, auch für den CO2-Ausstoß be-zahlen. Das finde ich richtig.Drittens. Wir werden – auch das ist angesprochenworden – zu einer 100-prozentigen Auktionierung imStrombereich kommen. Das bedeutet in der Tat einenQuantensprung, ausgehend von einer vollständig kosten-losen Zuteilung über eine Teilauktionierung in der letz-ten Legislaturperiode hin zu einer 100-prozentigen Auk-tionierung mit einer Differenzierung zwischen demEnergiebereich und dem Industriebereich. Das halten wirfür richtig, weil es zeigt, dass wir den Weg in eine koh-lenstofffreie, eine kohlenstoffarme Wirtschaft gehenwollen, dass wir aber gleichzeitig Industrie und Arbeits-plätze in Europa im Blick haben. Wir kämpfen für einglobales Abkommen, in dem sich alle Staaten der Weltverpflichten, vergleichbare Ziele anzustreben, weil danneine Verlagerung von Arbeitsplätzen nicht mehr möglichist. Wir wollen eine 100-prozentige Auktionierung imEnergiebereich. Wir haben auch im Bereich der Industrieanspruchsvolle Ziele, aber noch nicht die Auktionierung.Lassen Sie mich drei Bemerkungen zu dem Gesetz-entwurf machen, über den wir heute diskutieren, mitdem das TEHG novelliert werden soll:Erstens. Wenn wir einheitliche Regelungen und Wett-bewerb auf Augenhöhe haben wollen, dann müssen wirdarauf achten, dass die europäischen Regelungen tat-sächlich eins zu eins umgesetzt werden; dadurch wird si-chergestellt, dass wir dieses Ziel erreichen. Die Bundes-regierung geht davon aus, dass die Emissionshandels-Richtlinie durch diesen Gesetzentwurf genau so umge-setzt wird. Es wurde schon angesprochen, dass das von-seiten der Wirtschaftsverbände an der einen oder ande-ren Stelle infrage gestellt wird. Wir wollen uns in derAnhörung und bei den Beratungen Zeit nehmen, umdiese Fragen zu klären, damit wir am Ende sicher seinkönnen, dass diese Richtlinie tatsächlich eins zu einsumgesetzt wird. Es gibt, wie gesagt, nur noch einige De-tailfragen zu klären.dKEdAgvBmdseinungzluuSZFLrüinInFdbwsswBszdAti
Der Emissionshandel ist aber auch ein wichtiges wirt-chaftspolitisches Instrument. Zumindest hat dieses In-trument eine hohe wirtschaftspolitische Relevanz. Des-egen ist es umso bedauerlicher, dass nicht einmal einote hier ist, ein Staatssekretär, der dem Bundeswirt-chaftsminister Bericht erstatten könnte. Ich denke, daseigt deutlich, welchen Stellenwert der amtierende Bun-eswirtschaftsminister diesem Thema beimisst.
ls Wirtschaftspolitiker werde ich mich wirtschaftspoli-schen Fragen natürlich in besonderer Weise widmen.
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11698 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Rolf Hempelmann
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Der Erfolg eines solchen Klimaschutzinstrumentes,des Emissionshandels, hängt auch davon ab, dass manneben den gewünschten Wirkungen, die man erreichenmöchte, unerwünschte vermeidet. Ein Stichwort in die-sem Zusammenhang ist – darüber haben wir uns hierschon häufiger unterhalten – Carbon Leakage. Wir wol-len vermeiden, dass Unternehmen den Standort Deutsch-land verlassen, weil das Instrument Emissionshandelhier bestimmte Folgen hat. Wir wollen vermeiden, dassUnternehmen in Länder abwandern, in denen es diesesInstrument nicht gibt, in denen sie ihre Produkte gegebe-nenfalls auf klima- und umweltschädliche Weise herstel-len können. Ich glaube, das ist ein honoriges Ziel, dasgerade auch den Bundeswirtschaftsminister beschäftigenmuss.Ich denke da insbesondere an die energieintensiveGrundstoffindustrie in Deutschland. Sie wissen: Wirsind das Industrieland Nummer eins in Europa. Wir sinddadurch natürlich in besonderer Weise von diesen As-pekten des Emissionshandels betroffen und besondersgefordert, unerwünschte Nebenwirkungen zu vermeidenoder zumindest einzuschränken. Wie kann man das tun?Man kann es tun – so ist es Ende 2008 vom Europäi-schen Rat festgelegt worden –, indem man dort, wo esnotwendig ist – und nur dort, wo es notwendig ist –, ent-sprechende Kompensationsregelungen vorsieht, zum ei-nen für die direkten Kosten des Emissionshandels, alsodie, die durch die Zertifikate entstehen, und zum anderenfür die indirekten Folgen des Emissionshandels, die sichbeim Strompreis bemerkbar machen. Der Bundeswirt-schaftsminister war seit Ende 2008, zumindest seit Be-ginn dieser Legislaturperiode aufgefordert, in einen Dia-log mit der Wirtschaft einzutreten und Vorschläge zuerarbeiten, wie solche Kompensationsmöglichkeiten aus-sehen können. Der Wettbewerbskommissar Almunia hatlängst ein Konsultationsverfahren eingeleitet und wartetauf die Vorschläge der nationalen Regierungen. Nachunserer Kenntnis und nach dem, was wir aus Brüssel hö-ren, gibt es aus Deutschland dazu bisher keine Vor-schläge.Wir hören das auch von den Unternehmen, die hände-ringend darum bitten, dass es endlich zu konkreten Re-gelungen kommt. Warum ist das für sie so wichtig?Diese Unternehmen haben in der Regel sehr langfristigeInvestitionszyklen, verkaufen ihre Produkte meist Jahreim Voraus an den Weltmärkten, zum Beispiel Alumi-nium, und sind darauf angewiesen, auch Jahre im Vorausihre Kosten zu kennen. Die kennen sie aber nicht, wennzum Beispiel über die wichtige Frage der Kompensationnicht zeitig Entscheidungen getroffen werden. Deswe-gen richten wir die dringende Aufforderung an den Bun-deswirtschaftsminister – möglicherweise liest er die Pro-tokolle des Deutschen Bundestages –, sich endlich indieses Konsultationsverfahren einzuschalten,
den notwendigen Dialog mit der Wirtschaft zu führenund konkrete Kompensationsvorschläge vorzulegen.Das ist für uns wichtig, nicht nur für die Grundstoffin-dustrie, sondern für die Industrie insgesamt, weil – daswissen wir mittlerweile; spätestens seit der Wirtschafts-ktrfustidsTleWVzügnsDwdCsCfüzdeZs
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kol-
gen Franz Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion das
ort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ielen Dank, Herr Hempelmann, für Ihre Ausführungen,
umindest für den größten Teil, in denen Sie die Debatte
ber den Emissionshandel einigermaßen realistisch dar-
estellt haben. Der Verweis auf den Bundesumweltmi-
ister ist nicht so recht zu verstehen, wenn ich die Prä-
enz Ihrer Fraktionskolleginnen und -kollegen in dieser
ebatte betrachte. Vorhin waren nur fünf Kollegen an-
esend, jetzt zähle ich sechs. In der SPD-Fraktion wird
as Thema offenbar auch nicht als so wichtig angesehen.
Der Emissionshandel wurde von uns in der CDU/
SU-Bundestagsfraktion seit vielen Jahren als das In-
trument angesehen, das am geeignetsten ist, unsere
O2-Minderungsziele zu erreichen. Die Begründung da-
r ist, dass er ein wettbewerbliches Instrument ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, selbstverständlich.
Bitte schön.
Herr Kollege Obermeier, sind Sie bereit, zur Kenntnisu nehmen, dass die SPD-Bundestagsfraktion parallel zuieser Aussprache und zur ersten Lesung dieses Gesetz-ntwurfes ein seit langem anberaumtes Gespräch miteitzeugen aus Tschernobyl führt und ein großer Teil un-erer Umweltpolitiker an diesem Gespräch teilnimmt?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11699
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Abg. Frank Schwabe [SPD]: Wo ist er denn,der Minister?)
Das nehme ich zur Kenntnis.
Es geht um die Frage, wie wir unsere Klimaziele er-
reichen und die Minderung des Umfangs der CO2-Emis-
sionen so gestalten, dass wir die anderen Ziele, die wir
verfolgen, die Ziele volkswirtschaftlicher Natur, eben-
falls erreichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage Ihnen zum
wiederholten Male, dass Deutschland hier eine ganz be-
sondere Rolle spielt. Dem Klima ist mit Sicherheit nicht
gedient, wenn wir Produktion und Fertigung aus
Deutschland in andere Länder vertreiben, indem wir die
Produktionskosten erhöhen und unsere Wettbewerbsfä-
higkeit im Allgemeinen so sehr schwächen, dass die Pro-
duzenten an andere Standorte gehen. Rolf Hempelmann
hat die Themen, die relevant sind, schon angesprochen.
Es geht um Schlüsselindustrien in Deutschland, die wir
im Blick haben müssen. Ich bin der Bundesregierung
ausgesprochen dankbar, dass auf diese Belange in den
Verhandlungen innerhalb Deutschlands, aber auch inner-
halb der Europäischen Union Rücksicht genommen
wurde.
Ganz konkret geht es beispielsweise um die Abfall-
verwertung. Bei der Abfallverwertung entstehen Kosten.
Diese Kosten sind von den Verarbeitern, den Nutzern,
beispielsweise von der Verpackungsindustrie, zu tragen.
Es kommt sehr wohl darauf an, wie man damit umgeht.
Eine Lösung ist, die klassischen Müllverbrennungsanla-
gen davon auszunehmen. Ich könnte mit der Lösung le-
ben, dass die Zertifikatspflicht auch dort zur Geltung
kommt, wo Ersatzbrennstoffe industriell eingesetzt wer-
den. Denn hier geht es ganz konkret um die Produktion
und die wirtschaftliche Verwertung von Abfällen.
Was den Zertifikatehandel betrifft, ist dieser Aspekt
von eminenter Bedeutung, weil die bundesdeutsche Volks-
wirtschaft ohnehin mit einer Wettbewerbsverzerrung be-
sonderen Ausmaßes zu kämpfen haben wird, wenn die
Dinge erst einmal ins Laufen gekommen sind. Denn auch
innerhalb der Europäischen Union gibt es Wettbewerbs-
länder, die eine völlig andere Energieproduktionsstruktur
aufweisen, deren Stromwirtschaft beispielsweise deutlich
weniger CO2 emittiert, als es in Deutschland der Fall ist.
In Anbetracht der Strategie des Energiekonzeptes und der
Neuerungen, die sich aus den Lehren, die wir aus den Er-
eignissen in Japan ziehen, möglicherweise ergeben, müs-
sen wir uns auch mit anderen Emissionsstrukturen befas-
sen, als wir es uns noch vor wenigen Monaten vorgestellt
haben.
Ich bitte die Bundesregierung, bei den Verhandlungen
weiterhin sehr behutsam vorzugehen, was die Emissio-
nen im Allgemeinen betrifft. Des Weiteren verweise ich
auf die am kommenden Montag stattfindende Anhörung,
in der wir mit den Experten noch einmal darüber disku-
tieren wollen, wie wir den Zertifikatehandel im Interesse
unseres Landes so gestalten können, dass die nachteili-
gen Wirkungen möglichst gering bleiben.
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Wenn man sich die Zahlen dazu anguckt, dann siehtan, dass seit diesen bahnbrechenden Worten leider nichtiel passiert ist. Die Zahlen sprechen da eine deutlicheprache. In 35 Prozent aller Betriebe gibt es keinen ein-igen Beschäftigten über 50 Jahre. Ich gebe zu: Die Be-chäftigungsquote Älterer hat sich etwas verbessert. Abers lohnt sich schon, sehr genau hinzugucken. In der Al-rsgruppe der 60- bis 64-Jährigen sind nur noch 38 Pro-ent überhaupt beschäftigt. Arbeitslose über 50 haben esesonders schwer, wieder einen Arbeitsplatz zu finden.enn sie einmal arbeitslos geworden sind, schlittern sie Regelfall in die Langzeitarbeitslosigkeit. Das könnenir uns angesichts des Fachkräftemangels nicht mehristen, insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass
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11700 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Brigitte Pothmer
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diese Generation, deren Potenziale wir jetzt nicht nutzen,besser ausgebildet ist als die nachfolgenden Generatio-nen.
Die Regierung geht offensichtlich davon aus, dass diedurch den demografischen Wandel bedingte Nachfragedieses Problem lösen wird. Ich kann Ihnen nur sagen:Wenn wir hier nicht mit einer konzertierten Aktion vor-gehen, wird sich gar nichts daran ändern. Wir sind ge-rade im Begriff, in eine Situation zu schlittern, die aufder einen Seite durch einen hohen Fachkräftemangel be-schrieben werden kann und auf der anderen Seite durcheine hohe Arbeitslosigkeit insbesondere der Älteren.Ja, wir sind der Auffassung, dass die Lebensarbeits-zeit an die steigende Lebenserwartung angeglichen wer-den muss. Aber dazu muss man dann auch die Voraus-setzungen schaffen. Wir weigern uns, anzuerkennen,dass das Prinzip „Rente mit 67“ zu einem Prinzip derRentenkürzung durch die Hintertür wird. Das wollen wirausdrücklich nicht.
Wir wollen Rahmenbedingungen, die es ermöglichen,dass die Menschen qualifiziert, motiviert und gesund dasRentenalter erreichen. Wir wollen dafür sorgen, dassMenschen, auch wenn sie mit über 50 Jahren arbeitsloswerden, eine echte und realistische Chance haben, wie-der einen angemessenen Arbeitsplatz zu finden.Der Antrag, der Ihnen heute zur Beratung vorliegt,enthält eine Menge von Vorschlägen zu diesem Problem.Wir wollen, dass kontinuierliche Qualifizierung in denBetrieben ansetzt. Es macht überhaupt keinen Sinn, mitden Maßnahmen zu beginnen, wenn die Menschen altsind. Sie müssen beginnen, wenn man in den Beruf ein-steigt. Es geht darum, alters- und alternsgerechte Ar-beitsbedingungen zu schaffen, und es geht darum, dieVermittlung insbesondere der Älteren zu verbessern.Ich habe nur vier Minuten Redezeit und kann deswe-gen nicht ins Detail gehen; aber drei grundlegende Vo-raussetzungen für die Kultur der Altersarbeit will ich Ih-nen nennen.Das Erste ist: Wir müssen ehrlich sein. 90 000 Älteresind arbeitslos und werden nur deswegen nicht als solchegezählt, weil sie über ein Jahr lang kein Angebot bekom-men haben. Das ist nicht ehrlich, das verschleiert dasreale Problem.
Zweitens. Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem in Qualifi-zierung investiert werden muss, weil es einen ansprin-genden Arbeitsmarkt gibt, für den wir die Menschenqualifizieren müssen. Liebe Kolleginnen und Kollegenvon der CDU/CSU-FDP-Koalition, ich bitte Sie: Stop-pen Sie Ihren Finanzminister und Ihre Arbeitsministerin,die Mittel zur Arbeitsförderung um Milliardenbeträge zuverringern.asspihtiEreladasnctütuGbqcreueroEnwdJdlaw
Drittens. Wir wollen die Betriebe nicht aus der Ver-ntwortung entlassen. Sie sollen die Älteren nicht nurchätzen, sondern auch einstellen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Wir müs-
en endlich aufhören, Menschen ab 45 als arbeitsmarkt-
olitische Methusalems zu behandeln. Damit werden wir
nen nicht gerecht.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun Peter Weiß für die CDU/CSU-Frak-
on.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!s ist unstrittig richtig, dass die Erwerbsbeteiligung älte-r Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutsch-nd in der Vergangenheit katastrophal schlecht war undass sie auch heute noch nicht besonders gut ist, sichber immerhin verbessert.Frau Kollegin Pothmer, es ist gut, wenn man Analy-en vorträgt, wie Sie das gemacht haben, aber man mussatürlich auch etwas zu den Ursachen sagen. Eine Ursa-he dafür, dass die Zahlen heute so schlecht sind, ist na-rlich die über Jahre hinweg praktizierte Frühverren-ngspolitik in Deutschland.
ott sei Dank haben wir, schon in der Großen Koalitioneginnend, die Anreize für eine Frühverrentung konse-uent abgebaut. Das war ein klares und deutliches Zei-hen dafür, dass wir hinsichtlich der Beschäftigung älte-r Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschlandmsteuern und auch zum Umdenken auffordern.Ich glaube, dafür gibt es zwei wichtige Anlässe. Derrste Anlass ist: Auch in den Chefetagen und Personalbü-s deutscher Unternehmen lernt man hinzu. Wer auf dasrfahrungswissen älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeit-ehmer leichtfertig verzichtet, der erleidet einen Wettbe-erbsnachteil. Deswegen findet Gott sei Dank ein Um-enken statt. Der zweite Anlass ist: Die kommendenahre und Jahrzehnte werden deutlich anders aussehen alsie vergangenen, weil die Zahl der Menschen in Deutsch-nd, die erwerbsfähig sind, dramatisch zurückgehenird.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11701
Peter Weiß
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Im Rahmen einer von der Unionsfraktion kürzlichdurchgeführten Fachveranstaltung hat uns Herr Profes-sor Brücker vom IAB vorgetragen, dass die Zahl derMenschen im erwerbsfähigen Alter bis zum Jahr 2050von heute 45 Millionen auf nur noch 27 Millionen zu-rückgehen wird. Das ist eine dramatische Veränderung,die zeigt, dass die Frage der Zukunft, der nächsten Jahr-zehnte, nicht sein wird: „Wie werde ich ältere Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer mit einer Frühverrentungs-politik möglichst bald los?“, sondern dass die Frage fürdie Unternehmen, wenn sie wettbewerbsfähig bleibenund Fachkräfte halten wollen, sein wird: „Wie begeistereich ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, mög-lichst lange zu bleiben, weil ich auf sie angewiesenbin?“. Deswegen wird sich die Politik in Bezug auf äl-tere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenüberder in der Vergangenheit deutlich verändern müssen.
Unsere Aufgabe in der Politik ist es, dafür zu sorgen,dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auchtatsächlich länger in Arbeit bleiben können. Es gibt hiereine ganze Menge an Aufgabenstellungen: Weiterbildungwährend des ganzen Berufslebens, Gestaltung moderner,gesundheitsgerechter Arbeitsplätze, weitere Fortschrittebei der Humanisierung und der Gestaltung der Arbeits-welt, Weiterentwicklung des Arbeitsschutzes, Ausbau vonPrävention, betrieblicher Gesundheitsförderung und Re-habilitation.Ich will hier darauf aufmerksam machen, dass mittler-weile der größte Teil der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer, die einen Antrag auf Erwerbsminderungsrentestellen, sprich: vorzeitig in Rente gehen müssen, diesenAntrag wegen psychischer Erkrankungen stellen.
Das Gesundheitsmanagement in Deutschland, wasdas Vermeiden psychischer Erkrankungen anbelangt, istin den Betrieben völlig unterentwickelt. Hier muss einSchwerpunkt gesetzt werden. Die Arbeitswelt mussnicht zwangsläufig so gestaltet sein, dass psychische Er-krankungen in Deutschland von Jahr zu Jahr zunehmen.
Wir brauchen neue Arbeitsformen, die besser auf dieErfordernisse älterer Arbeitnehmer eingehen. Wir brau-chen auch Projekte und Programme, die auf einen Be-rufswechsel im Laufe des Erwerbslebens abzielen.Im Antrag der Grünen wird ein bisschen so getan, alsgäbe es bisher gar nichts in diesem Bereich. Deswegenmöchte ich sagen, was wir mittlerweile politisch an Pro-grammen initiiert haben, die auch laufen. Es gibt zumBeispiel INQA, die Initiative Neue Qualität der Arbeit,die auf die Schaffung gesundheits- und leistungsfördern-der Arbeitsbedingungen ausgerichtet ist, mit einem gan-zDfabedutrdassustiinAbHTinazRm„VpwnbdTIcbb„SP
leibt mir nur, aus Schillers Wallenstein zu zitieren:Spät kommt ihr – doch ihr kommt!“Vielen Dank.
Das Wort hat nun Anton Schaaf für die Fraktion der
PD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebereter Weiß, der Antrag zum Thema „ältere Arbeitneh-
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Anton Schaaf
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mer“ ist vor allen Dingen deshalb richtig und notwendig– das sage ich gleich am Anfang –, weil diese Koali-tionsregierung in diesem Bereich nichts tut. Deswegenist er richtig, und er kommt zum richtigen Zeitpunkt.
Übrigens verstoßt ihr damit gegen euren eigenen Ko-alitionsvertrag, Peter Weiß. Auf Seite 111 habt ihr insbe-sondere ältere Arbeitnehmer in den Blick genommenund festgestellt: Da muss man was machen. Das hat vielmit Wertschätzung der Älteren und deren Kompetenz zutun.Wie sieht die Wertschätzung konkret aus, Peter Weiß?
Das macht die geplante Neuordnung der arbeitsmarkt-politischen Instrumente deutlich. Darin geht es beispiels-weise um die Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmernach SGB III. Sie soll als dauerhaftes Instrument beibe-halten werden, was völlig richtig ist, weil es ein sinnvol-les Instrument ist. Weiter heißt es: Die Nettoentgeltdiffe-renz soll mindestens 100 Euro statt wie bisher 50 Eurobetragen; es soll Aufstockungsbeträge geben, und zwar60 Prozent bzw. im zweiten Jahr 40 Prozent.Dann kommt es: Das, was bisher das Instrument sehrattraktiv gemacht hat und auch Wertschätzung aus-drückte, nämlich die Aufstockung für die Rentenversi-cherung, soll ersatzlos gestrichen werden.So sieht Ihre Wertschätzung älterer Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmer und deren Bereitschaft, geringerentlohnte Jobs anzunehmen, aus. Das ist Pharisäertum.Dann lassen Sie die Sonntagsreden sein und sagen Sieehrlich, meine Damen und Herren von der Koalition:Wir schätzen die Aufnahme von Arbeit durch ältere Ar-beitnehmer nicht.
Das korrespondiert übrigens mit Ihrer Ignoranz beimThema Rente mit 67, um das sehr deutlich zu sagen.Wenn wir uns die Beschäftigungsquote älterer Menschengenau anschauen, dann stellen wir fest, dass die Beschäf-tigung älterer Menschen zwar leicht gestiegen ist, dassaber die Beschäftigungsquote bei den über 60-Jährigendramatisch einbricht.
Wenn man sich die Beschäftigungsarten genau anschaut,dann stellt man fest, dass viele nur noch teilweise be-schäftigt sind und dass die Steigerung der Quote auch da-mit zusammenhängt, dass vor allen Dingen ältere Frauenwieder Arbeit aufgenommen haben, um beispielsweisehinzuzuverdienen. Wenn man das mit dem Gesetz ver-gleicht und sich die Situation der älteren Menschen genauanschaut, dann kommt man überhaupt nicht darum he-rum, sich einzugestehen, dass man jetzt, wenn man die äl-teren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht durchemmbraRhJzALbmadzsbmteSAdVndnbkaMKbgsKhKdewonVVwddkgda
ber da ist bei Ihnen überhaupt nichts. Sie überlassenas alles schlichtweg der Wirtschaft und setzen auf daserständnis der Wirtschaft. Ich sage Ihnen: Wenn wiricht ernsthaft über die Verursacherfrage diskutieren undie Verursacher benennen, wird sich bei der Wirtschaftichts ändern. Dann werden Arbeitnehmerinnen und Ar-eitnehmer so lange ausgepowert, bis sie nicht mehrönnen, und dann aus den Betrieben hinausgejagt.Ich mache das an einem Beispiel klar. Der eine oderndere von Ihnen weiß bereits, dass ich früher bei derüllabfuhr gearbeitet habe. Wenn die Kolleginnen undollegen, die schwere Arbeit leisten mussten, mehr Ar-eit hinzubekommen haben, habe ich als Betriebsrat zu-egebenermaßen immer als Erstes nach mehr Geld ge-chrien. Mehr schwere Arbeit, mehr Geld! Wenn dieollegen durch den Job dann vorzeitig kaputt waren,abe ich nach dem Sozialstaat geschrien und gesagt:ümmert euch um die Kaputten! – So ist es gelaufen;enn ein kaputter Müllmann bekommt nirgendwo andersinen Job. Die entscheidende Frage lautet: Was machenir dagegen, dass Menschen durch Arbeit – körperlichder psychisch – vorzeitig kaputt sind? Die Verursacherehmen wir nicht in Haftung. Wir machen nichts. Dieerursacher sind die Arbeitgeber, die solche Arbeit zurerfügung stellen. Diese nehmen wir nicht in Haftung,eder bei Weiterbildung und Qualifizierung noch beier Übernahme sozialer Verantwortung, wenn Menschenurch Arbeit kaputt sind. Auch Sie übernehmen übrigenseine Verantwortung. Sie haben sich komplett verwei-ert und noch nicht einmal über das Thema Erwerbsmin-erungsrente diskutiert. Hier nehmen Sie sich komplettus der Verantwortung.
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Anton Schaaf
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Wenn wir das Renteneintrittsalter erhöhen, dann müs-sen wir die Frage beantworten: Was machen wir mit denMenschen, die durch Arbeit vorzeitig kaputt sind? Mitt-lerweile gibt es einschlägige Urteile betreffend Ab-schlagsregelungen bzw. Zurechnungszeiten. Aber auf Ih-rer Seite gibt es überhaupt keine Bewegung. Stellen Siesich also in Zukunft nicht mehr hierhin und schätzen äl-tere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbal! Dennimmer wenn es darauf ankommt, etwas für ältere Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer zu tun, streichen Sie bei-spielsweise die Mittel im Eingliederungstitel. Geradejetzt, wo die Arbeitsmarktlage so gut ist, wären mehr Mit-tel zur massiven Förderung älterer Menschen, die schonlänger arbeitslos sind, richtig eingesetzt; denn nur so ha-ben die Betroffenen eine Chance auf Integration in denersten Arbeitsmarkt. Aber nein, Sie machen es genau an-ders herum. Sie streichen die Mittel im Eingliederungsti-tel massiv zusammen. So werden Sie keinen Beitrag dazuleisten, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dau-erhaft in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren oder inArbeit zu halten.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Johannes Vogel für die FDP-Frak-
tion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen! Ja,auch ich kann mich dem Kollegen Peter Weiß anschlie-ßen. Das Ziel teilen wir.
– Nein, Frau Kollegin Pothmer, Ihrer Rede kann ichmich natürlich nicht anschließen. Das ginge zu weit.Aber wir teilen das Ziel. – Denn natürlich ist das nötig,nicht nur, um den Menschen, die älter sind und auf demArbeitsmarkt noch Probleme haben, eine Perspektive zugeben, sondern auch – Sie haben es selber angesprochen –,um auf den Fachkräftemangel zu reagieren.Bei 6 Millionen Arbeitskräften, die uns bis 2030 feh-len, muss man an vielen Schrauben drehen. Da werdenwir über die Erwerbsquote, die Beteiligungsquote vonFrauen reden müssen, da werden wir auch über Zuwan-derung reden müssen, und da werden wir ganz zentralauch über die Frage reden müssen, welche Rolle Ältereeigentlich auf dem Arbeitsmarkt spielen.Ich freue mich, dass Sie das so wie wir sehen. Ichglaube, dass Sie aber doch ein bisschen – deswegen kannich mich Ihrer Rede auch nicht anschließen, Frau Kolle-gin – zu schwarz gezeichnet haben. Das wissen Sie auch.–gWmgatedwsddmteimIn6je4NgaDrumghfebricPDteTuDtueda
a bin ich bei Ihnen. Aber eine 40-prozentige Steige-ng, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist erheblich. Dasüssen wir natürlich ausbauen. Aber mehr hat man übri-ens auch bei der Einführung der Rente mit 67 nicht zuoffen wagen können. Insofern müssen wir erst einmalsthalten, dass der Trend in die richtige Richtung geht.
Übrigens ist die Steigerungsrate bei den Beschäftigtenei den über 55-Jährigen höher als bei den unter 25-Jäh-gen. – Das nur einmal mit Blick auf die unterschiedli-hen Gruppen am Arbeitsmarkt.Als besonderes Schmankerl, liebe Frau Kolleginothmer – wir beide zitieren ja immer gern das IAB –:er IAB-Kurzbericht 16/2009 hat genau das festgehal-n; er hat nämlich festgehalten, dass es einen positivenrend bei den Älteren auf dem Arbeitsmarkt gibt,
nd er hat das als langfristiges Phänomen festgestellt.as ist nicht nur kurzfristig, das ist nicht nur Konjunk-r. Es ist ein langfristiges Phänomen. Und was war derntscheidende Vorschlag, den politisch umzusetzen unsas IAB noch geraten hat? Die geförderte Altersteilzeitls Frühverrentungsprogramm auslaufen zu lassen.
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11704 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Johannes Vogel
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Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ha-ben als Koalition entgegen Ihrem Antrag zu Beginn derLegislatur genau das gemacht, weil wir Ältere auf demArbeitsmarkt sehen wollen und nicht in die Frühverren-tung drängen.
Jetzt gucken wir auch einmal auf die Unternehmen.Liebe Kollegin Pothmer, Sie haben eben gesagt: Wirwollen das nicht den Unternehmen überlassen. – Das istrichtig. Auch der Staat hat da etwas zu tun, auch die So-lidargemeinschaft. Aber, Frau Kollegin, wir haben ebenund in erster Linie auch die Unternehmen in der Pflicht.
Deshalb ist es doch wichtig, auf zwei Dinge hinzuwei-sen. Erstens. Wenn die Unternehmen auch in der Pflichtsind, dann ist das Beste, was man politischerseits für dieChancen von Älteren auf dem Arbeitsmarkt tun kann,durch gute Rahmenbedingungen für Wirtschaftswachs-tum zu sorgen. Dazu verweise ich nur auf die heutigenKonjunkturdaten. Die Institute haben ihre Prognosenvon 2,3 Prozent auf 2,8 Prozent hochkorrigiert. Das istdie Politik der schwarz-gelben Koalition. Wir schaffendie Rahmenbedingungen für Wachstum auf dem Ar-beitsmarkt, und das ist auch die beste Grundlage für Äl-tere auf dem Arbeitsmarkt.
Wenn ich mir dann anschaue, dass sich das Bild vonÄlteren in den Unternehmen dramatisch wandelt – dassagen uns alle Erhebungen, die es dazu gibt –, dass Äl-tere in den Unternehmen endlich stärker anerkannt wer-den, dann, glaube ich, haben wir einen positiven Trend,den wir verstärken müssen.Damit komme ich zur Intention Ihres Antrags, die wirin der Tat verstärken müssen. Aber das tun wir bereits. Inder Arbeitsmarktpolitik zum Beispiel wird diese Koali-tion den Gedanken beibehalten, dass wir eben auch die-jenigen fördern, die in Beschäftigung sind, den Gedan-ken – Sie sprechen es in Ihrem Antrag selber an –, derhinter dem Wegebauprogramm steht. Es geht aber übri-gens politischerseits auch darum, dass wir Programme,die es gibt, bekannter machen. Ich verweise nur einmalauf das Angebot an Bildungsprämien aus dem Bildungs-und Forschungsministerium. Das ist ein Programm, mitdem auch Unterstützungen aus Steuermitteln für berufli-che Weiterqualifikation, gerade für geringer qualifizierteArbeitnehmer, zur Verfügung gestellt werden. Das Pro-gramm ist kaum bekannt.
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as wäre eine Aufgabe, der Sie sich mit uns widmenönnten. Damit würden Sie für Ältere auf dem Arbeits-arkt mehr tun als mit den Anträgen, die Sie vorlegen,ebe Kolleginnen und Kollegen.
Der Kollege Toni Schaaf hat auf die RentenpolitikVerlängerung der Lebensarbeitszeit, Rente mit 67 –ingewiesen. Ich will zum Abschluss auf einen Aspektu sprechen kommen, der deutlich macht, dass in der Tatoch etwas zu tun ist – im Gegensatz zu dem, was ausrem Antrag, liebe Kollegin Pothmer, hervorgeht, neh-en wir uns vor, auf diesem Gebiet etwas zu tun –, näm-ch auf den flexiblen Renteneintritt. Ich will einen derrofiliertesten Rentenpolitiker im Deutschen Bundestagitieren, einen gewissen Dr. Heinrich Leonhard Kolb.
r sagt: Es ist Sache des Einzelnen, zu entscheiden,ann er aufhören will, zu arbeiten, nicht die Sache destaates. Das ist richtig.
eshalb brauchen wir nach Meinung meiner Fraktionnd auch nach meiner Meinung ein flexibles Rentenein-ittsalter. Zumindest brauchen wir einen Wegfall der Zu-erdienstgrenzen für diejenigen Menschen, die vorzeitig Rente gegangen sind. Diese Koalition spricht also zuecht gerade genau darüber. Wir müssen diesen Bereichngehen.Lieber Kollege Schaaf, Sie haben eben gesagt: Wirüssen uns der Frage „Was ist, wenn jemand in seinemeruf nicht mehr tätig sein kann und etwas anderes ma-hen will?“ stellen. Es ist richtig, dass wir uns dieserrage stellen müssen; denn die Menschen und die Berufeind unterschiedlich. Mein Vater etwa ist vorzeitig inente gegangen. Er wollte etwas anderes machen; erann etwas anderes machen. Das Problem ist: Unsertaat lässt ihn nicht, weil er nur 400 Euro dazuverdienenann. Das ist eines der konkreten Probleme, denen sichiese Koalition widmen wird. Frau Kollegin Pothmer, eseht darum, den Silberschatz des Alters zu heben. Icheue mich, dass Sie daran mitarbeiten wollen. Aberrundsätzlich ist das Ganze bei uns in guten Händen.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11705
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Das Wort hat nun Kollege Matthias W. Birkwald für
die Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Frau Pothmer, „motiviert, qualifiziert und gesund“
bis zum Renteneintritt arbeiten zu können, ist eine Vor-
stellung, die von vielen Menschen und ganz gewiss auch
von allen hier im Parlament vertretenen Parteien geteilt
wird. Auch die Linke, liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Grünen, will die Politik in die Pflicht nehmen,
um die Voraussetzungen für ein erfülltes Erwerbsleben
zu schaffen. Sie stellen sehr richtig fest, dass auch die
Politik für die missliche Lage Älterer am Arbeitsmarkt
verantwortlich ist.
Gute Arbeit, gute Löhne, gute Rente, das ist der Drei-
klang, dem wir Linken uns verpflichtet fühlen.
Das ist auch der Maßstab, mit dem wir den von den Grü-
nen vorgelegten Antrag bewerten. Daran gemessen ist
Ihr Antrag leider mangelhaft. Warum?
Einerseits muten Sie mit der Rente erst ab 67 all je-
nen, die nicht bis 67 arbeiten können, drastische Renten-
kürzungen zu. Das ist sehr konkret. Das ist die Peitsche,
die Ältere auf dem Arbeitsmarkt halten oder dorthin trei-
ben soll. Andererseits reden Sie von verbesserten Chan-
cen, von einem Sollen hier, von einem Können dort.
Doch das alles bleibt sehr unkonkret. Sie bringen es fer-
tig, knallharte Rentenkürzungspolitik mit windelweicher
Chancenpolitik zu kombinieren. Sie garantieren die Peit-
sche und stellen das Zuckerbrot vage in Aussicht. Das ist
unseriös.
Von Ihren warmen Worten kann niemand im Alter leben.
Treten Sie mit uns für die Abschaffung der Rente erst ab
67 ein! Dann reden wir gerne weiter.
Wer kann, darf; wer nicht kann, muss auch nicht bis
65 und schon gar nicht bis 67 arbeiten. Eine solche Re-
gelung bräuchten wir.
Wir Linken sind der Überzeugung, dass viele Menschen
durchaus bereit sind, bis 65 zu arbeiten. Wer es darüber
hinaus auch noch kann und will, soll weiterhin, wie bis-
her, dafür belohnt werden. Wer es bis dahin aber nicht
schafft, darf nicht bestraft werden. Das ist der entschei-
dende Punkt.
Sanktionspolitik, wie sie mit der Rente erst ab 67 und
auch mit Hartz IV betrieben wird, ist und bleibt der fal-
sche Weg.
Geänderte Hinzuverdienstmöglichkeiten und Teilren-
ten, wie sie die Grünen vorschlagen – dafür hat eben
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rbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssten williger
erden, Geringverdienende sollten im Alter aufstocken
ürfen, weil sie bis 67 arbeiten müssten. Das ist ja wie
ei der FDP. So sieht also grüne Sozialpolitik aus? Sie
ollen die FDP zu Tode kuscheln!
ur zu, aber bitte nicht auf dem Rücken der älteren Ar-
eitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Die Linke will die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
er fördern und die Arbeitgeber fordern. Und das heißt
nter anderem, die Rente erst ab 67 muss weg. Wir wol-
n ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fördern
nd nicht bestrafen.
ir brauchen einen guten, öffentlich geförderten Be-
chäftigungssektor, der gute Arbeit fördert. Zwangsver-
ntung aller Art lehnt die Linke ab. Da sind wir uns ei-
ig. Wir wollen eine gute Arbeitsmarktpolitik, die allen
enschen, die arbeiten wollen, ermöglicht, zu guten
öhnen zu arbeiten. Deshalb wollen wir prekäre Be-
chäftigungsformen wie Leiharbeit, Minijobs und befris-
te Beschäftigung deutlich zurückdrängen oder auch ab-
chaffen.
Geringqualifizierte und ältere Beschäftigte müssen in
en Unternehmen mehr als bisher und dauerhaft weiter-
ebildet werden. Nicht zuletzt müssen die Arbeitgebe-
nnen und Arbeitgeber endlich in die Pflicht genommen
erden. Wer ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
er ohne zwingenden Grund entlässt, muss zur Kasse
ebeten werden und die Kosten des Arbeitslosengeldes
rstatten. Das wäre eine wichtige Maßnahme.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Ulrich Lange für die CDU/CSU-raktion.
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11706 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Kollegin Pothmer! Auch wir sehen in Ihrem Nach-
denken ein lobenswertes Unterfangen, aber nur so weit,
wie es gerade eben möglich ist. Also zum Kuscheln
reicht es wirklich nicht.
Am Ende muss ich doch dem Kollegen Weiß mit seinem
Wallenstein-Zitat recht geben. Wenn man nämlich ver-
gleicht, was die Bundesregierung in den letzten Jahren –
da beziehe ich die Große Koalition, lieber Kollege
Schaaf, ausdrücklich mit ein
– zu Recht mit ein – schon geleistet hat, so sprechen,
glaube ich, auch die Zahlen durchaus für das, was in den
letzten Jahren in diesem Bereich passiert ist.
Im Jahr 2000 waren noch rund 20 Prozent der 60- bis
65-Jährigen erwerbstätig. Kollegin Pothmer, Sie haben
selber von jetzt knapp 40 Prozent gesprochen. Das ist
immerhin eine Verdoppelung in diesem Bereich.
Wir liegen im europäischen Vergleich sicherlich über
dem Durchschnitt, sind aber bei weitem nicht gut genug.
Denn wir wissen alle, dass wir dieses Potenzial oder die-
sen Schatz heben müssen. Aber – darauf hat der Kollege
Weiß vorhin schon ganz richtig hingewiesen – mit der
Initiative „50 plus“ haben wir in der Großen Koalition
die ersten Schritte unternommen: Erhöhung der Weiter-
bildungsquote und Abbau der Frühverrentung.
Lieber Kollege Schaaf, Sie haben vorhin ein Beispiel
in Bezug auf die Müllabfuhr bei Ihnen genannt. Wir wis-
sen aber beide, wie wir in den letzten Jahren mit diesem
Problem und mit dem Altersteilzeitgesetz umgegangen
sind. In erster Linie haben wir nämlich das Blockmodell
gewählt. Damit haben wir ganz bewusst viel Erfahrung
und Wissen aus dem aktiven Arbeitsleben genommen,
um vor allem jüngeren Menschen eine Chance zu geben.
– Ich darf bitte den Satz zu Ende führen. – Das haben wir
getan, weil wir – deswegen kritisiere ich das jetzt auch
nicht – damals auf eine Arbeitslosigkeit von fast
5 Millionen reagieren mussten. Diesen Ansatz haben wir
gewählt. Er hat aber natürlich dazu geführt, dass die
Quote damals geringer war.
So, Herr Kollege, jetzt dürfen Sie die Zwischenfrage
stellen.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Würden Sie mir bestäti-
gen, dass nicht die Altersteilzeit abgeschafft wurde, son-
dern nur die Förderung der Altersteilzeit nicht fortge-
führt worden ist? Die jetzt existierende Altersteilzeit ist
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Nein, er ist sehr theoretisch.Deswegen ist es richtig, dass diejenigen, die weiterhinieses Modell wählen wollen, es wählen können. Abers gibt derzeit keine Notwendigkeit, das Modell von un-erer Seite mit großzügiger Förderung zu bedenken.
Wir haben darüber hinaus – auch darauf hat der Kol-ge Weiß schon hingewiesen – mit INQA einen neuenbschnitt aufgemacht. Wir glauben, dass wir hier aufem richtigen Weg sind.Ich bin auch davon überzeugt – das unterscheidet unstzt wieder wesentlich –, dass nicht der Staat alleiniese Sache regeln kann, sondern dass wir diesen Wegur gemeinsam mit den Unternehmen – ich habe dasertrauen in die Unternehmen – beschreiten können.
h brauche Ihnen nur ein positives Beispiel aus demayerischen zu nennen, nämlich BMW in Dingolfing.ort ist ein Werk im Rahmen des DemografieprojektsHeute für morgen“ aufgebaut worden. Dort sind alters-erechte Arbeitsplätze eingerichtet worden. Die Teile-ereitstellung wird individuell angepasst. Es ist einelastungswechsel möglich. Die Industrie und die Un-rnehmen haben also erkannt, dass sie selber mit in derflicht sind und reagieren müssen.Wir alle wissen um die Erfahrungen und die Leis-ngsfähigkeit der älteren Mitarbeiterinnen und Mit-rbeiter. Kollege Schaaf, ich sage es trotzdem noch ein-al: Diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben,uch wenn Sie es bestreiten, unsere ausdrückliche Wert-chätzung. Wir wissen, was diese Mitarbeiterinnen unditarbeiter in den Betrieben zu leisten imstande sind.
Die Rente mit 67 haben wir gemeinsam beschlossen.rau Pothmer, wenn ich Sie richtig verstanden habe,ann ist der Grundsatz zunächst richtig.
Bei Ihnen sowieso nicht. Da warten wir immer nochuf den Reichtum für alle. Ceterum censeo: Reichtum
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11707
Ulrich Lange
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für alle. Sie haben wieder Ihren ganzen Kasten vorge-stellt. Es hat kaum etwas gefehlt.Vor dem Hintergrund der notwendigen Fachkräfte-sicherung glauben wir an die strategische Partnerschaft.Die Handlungsfelder, die Arbeitskräfteallianz, gemein-sam mit den Unternehmen, das, was wir mit unsererBundesministerin voranbringen, das ist der richtige Weg.Wir werden den Schatz heben. Wir vertrauen gemeinsamauf die Unternehmen und auf unsere Maßnahmen. Dann– da bin ich sicher – werden wir älteren Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmern eine größere Chance im Produk-tionsprozess geben. Heben Sie mit! Heben wir gemein-sam! Dann sind wir sicherlich auf einem guten Weg.Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/5235 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 9:
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten
Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrs-
gesetzes
– Drucksache 17/4981 –
– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
– Drucksache 17/2766 –
– Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
– Drucksache 17/5355 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Kirsten Lühmann
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamen-
tarischen Staatssekretär Andreas Scheuer das Wort.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Das Projekt „Feuerwehrführerschein“ hat uns allein den vergangenen eineinhalb Jahren sehr eingehendbeschäftigt. Die Problematik ist hinreichend bekannt undseit Jahren intensiv diskutiert worden. Es stehen immerweniger junge ehrenamtlich tätige Bürgerinnen und Bür-gsihrezKgmrüeuRadssnddrefüGFz1zeGcderiasfa4lisreszzemEgddlamnfüZ
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11708 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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Dank an den EU-Kommissar. Der Minister hat sofortKontakt aufgenommen und in vielen persönlichen Ge-sprächen rübergebracht, dass wir eine andere Strukturhaben. Ich möchte Dank an den EU-Kommissar sagen.
Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf setzen wirdie Vereinbarung der Koalitionsfraktionen im Koalitions-vertrag um. Wir schaffen weitere Erleichterungen für dieEhrenamtlichen, die kostengünstig und unbürokratisch zuhandhaben sind. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass diebetroffenen Organisationen eine organisationsinterneEinweisung und – das ist das Entscheidende – auch eineorganisationsinterne Prüfung auf Einsatzfahrzeugen miteiner zulässigen Gesamtmasse von bis zu 7,5 Tonnendurchführen können. So wird ein einfaches und kosten-günstiges Verfahren geschaffen, mit dem, den jeweiligenBedürfnissen vor Ort entsprechend, mit den vorhande-nen Einsatzfahrzeugen ausgebildet und geprüft werdenkann. Ich wünsche dazu viel Erfolg. Ich denke, das istein tolles System.
Dabei wird zwischen einer Sonderfahrberechtigungbis zu einer zulässigen Gesamtmasse von 4,75 Tonneneinerseits und bis zu einer zulässigen Gesamtmasse vonbis zu 7,5 Tonnen andererseits differenziert, da die An-forderungen an die Fahrerinnen und Fahrer mit der Höhedes Fahrzeuggewichts zunehmen. Aufgrund des tatsäch-lich bestehenden Bedarfes werden jetzt erstmalig auchAnhänger in die Fahrberechtigung aufgenommen. Zu-dem wird die Möglichkeit eröffnet, die Ausbildung inAnlehnung an das in Deutschland bewährte System derprofessionellen Ausbildung auch durch Fahrlehrer vor-nehmen zu lassen. Jetzt müssen die Landesregierungendieses System in ihre regionalen Gegebenheiten übertra-gen. Ich denke auch, dass hervorzuheben ist, dass wirhier ein einfaches und unbürokratisches System wählen.Ich bedanke mich noch einmal für die intensiven Ge-spräche auch im Ausschuss. Es ist ein gutes Signal andie Ehrenamtlichen, dass der Ausschuss einstimmig demEntwurf zugestimmt hat. Somit wünschen wir unserenEhrenamtlichen gutes Gelingen und vor allem unserenVerbänden, die im Rettungsdienst tätig sind, dass sie aufviele junge Leute zurückgreifen können, die von dieserRegelung profitieren.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Kirsten Lühmann für die SPD-Frak-
tion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! LiebeKolleginnen! Unter diesem Tagesordnungspunkt redenwir über Katastrophenschutz und Feuerwehr. Das heißt,wfrbAwBHAtitaDedaDvpotiBsUsnehmsdgAecztisainrewwkisdddetevw
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tig, dass auch das Fahren mit Anhängern in dieseRegelung einbezogen wurde.Aber bereits in der ersten Lesung hatte ich einige An-merkungen gemacht, die uns sehr wichtig sind. Die Ver-kehrssicherheitsverbände haben nämlich bezüglich die-ser Regelung erhebliche Bedenken. Die erste Frage ist,ob die Neuregelung konform mit EU-Recht geht. Ichhabe nicht ganz verstanden, was der Staatssekretär dazugesagt hat. Er hat von Gesprächen berichtet, die mitHerrn Kallas geführt wurden. Ich gehe davon aus, dassdie Gespräche dergestalt endeten, dass Herr Kallas derMeinung ist, dass unsere Regelung EU-konform ist.
– Er hat genickt, für das Protokoll.
– Beide. Hervorragend! – Das heißt, wir werden eine Re-gelung haben, die für die vielen ehrenamtlich Helfendeneine klare Situation schafft.Zu den anderen beiden Punkten hatten wir im Ver-kehrsausschuss einen Antrag eingebracht. Dieser Antragwurde von der Mehrheit leider abgelehnt. Er beinhaltetzum einen, dass die Vorgaben für die Einweisung undPrüfung bundeseinheitlich geregelt werden sollten, undzum anderen, dass die Prüfungsfahrten für die Klassezwischen 4,75 und 7,5 Tonnen zulässige Gesamtmassedurch die Kfz-Sachverständigen und nicht organisations-intern abzunehmen seien.Obwohl auch der Verkehrsausschuss des Bundesratesder Meinung war, man brauche eine bundeseinheitlicheLösung, konnte sich der Fachausschuss unserem Vor-schlag nicht anschließen. Das wäre sinnvoll gewesen, dadie Sonderfahrerlaubnis bundesweit gültig ist. Ich hoffejetzt inständig, dass sich die Länder in eigener Regie engabstimmen, damit wir auf freiwilliger Basis doch nocheine bundeseinheitliche Lösung hinbekommen. Wenndiese nicht zustande kommt, hätte das eine völlige Zer-splitterung der Verordnungslage zur Folge. Ich glaube,das würde keinem nutzen.
Auch unser zweiter Vorschlag hat den Charakter einesAppells, diesmal an die Hilfsorganisationen. Die Feuer-wehrmänner und Ehrenamtlichen in den Hilfsorganisa-tionen leisten hervorragende Arbeit. Ich habe volles Ver-trauen, dass sie in der Lage sind, die Einweisung auf denFahrzeugen zu organisieren. Dennoch bitte ich sie, zuüberprüfen, ob es nicht sinnvoll ist, das Geld für einenexternen Kfz-Sachverständigen auszugeben, wenn es umdie Prüfungen geht. Das sollte es uns aus Gründen derRechtssicherheit und insbesondere mit Blick auf die Hel-fenden, die später mit dieser Sonderfahrerlaubnis unter-wegs sind, wert sein.Um zu überprüfen, ob das funktioniert, regen wir an,dass wir uns in zwei oder drei Jahren gemeinsam die Re-gelung anschauen, um zu beurteilen, ob sie wirklich sogHnsRswzBbkFdFEsriewsGnndzSDvwdmcfahzssbBsdkS
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11710 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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Wir verfolgen mit der Einführung des Feuerwehrfüh-rerscheins drei Kernziele. Wir tun dies, um die Einsatz-fähigkeit der freiwilligen Feuerwehren und der anderenDienste dauerhaft aufrechterhalten zu können und damitden Freiwilligendienst in den Katastrophenschutzorgani-sationen zukunftsfest zu machen. Sowohl die Entwürfeder Bundesregierung als auch des Bundesrats sehen eineLösung vor, nach der organisationsintern sowohl einge-wiesen als auch geprüft wird. Ich glaube, das ist unbüro-kratisch und spart Kosten. Deswegen unterstützen wirdiesen Ansatz.
Ein weiteres wichtiges Ziel ist Folgendes. Wir redenja immer über hochverschuldete Kommunen, die Geldsparen müssen. Dieses Vorgehen hilft genau hierbei;denn sonst zahlen Kommunen häufig für Nachschulun-gen zum Erwerb von Führerscheinen, gerade bei derFeuerwehr. Ich kenne das auch aus meiner Ratstätigkeit.Gleichzeitig wollen und müssen Kommunen natürlichdie Sicherheit der Bevölkerung gewährleisten. Ichglaube, der Feuerwehrführerschein ist eine gute Lösung,um beide Ziele miteinander in Einklang zu bringen.Unser drittes Kernziel ist – fraktionsübergreifend –,dass wir das Ehrenamt stärken wollen. Dafür müssen wirAnreize schaffen. Ein solcher Anreiz ist der Feuerwehr-führerschein.Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen, der vonBeginn an zu Recht eine wichtige Rolle spielte. Das istdie Verkehrssicherheit. Es gab Bedenken, dass der Feu-erwehrführerschein eine Gefahr für die Verkehrssicher-heit darstellt. Natürlich ist klar, Blaulichtfahrten bergenein höheres Risiko als normale Fahrten. Aber wir habenuns einem intensiven Abwägungsprozess gestellt. Andessen Ende kann man guten Gewissens sagen, dass wirdie Möglichkeit der organisationsinternen Einweisungund Prüfung unterstützen. Es sind ja nicht irgendwelcheChaoten, denen wir das übertragen, sondern pflichtbe-wusste Bürgerinnen und Bürger, die sich in den Dienstenengagieren. Vor allem sind im Gesetzentwurf klare An-forderungen für diejenigen vorgesehen, die einweisenund prüfen dürfen. Gerade deswegen haben wir auch dieKlarstellungswünsche des Bundesrates durch Ände-rungsanträge der Koalitionsfraktionen aufgegriffen. Esist nun explizit geregelt, dass Ausbildung und Prüfungauch durch Fahrlehrer vorgenommen werden können.Ich glaube, das ist ein guter Fortschritt, den wir in denBeratungen erzielt haben.
Abgesehen davon, dass es den Fahrschulen ausdrück-lich ermöglicht werden soll, durch attraktive Angeboteweiter Kunden zu gewinnen, haben wir also auch in Zu-kunft in jedem Fall gut ausgebildete Fahrer auf den Ein-satzfahrzeugen.Lassen Sie mich noch kurz auf das Thema der Verein-barkeit des Feuerwehrführerscheins mit dem Europa-recht eingehen. Ich bin der Überzeugung, das Ganzewurde durch das BMJ sorgfältig geprüft. Es gibt keineBdIcdpzdwredwhafüsdbagstiwBScretebdzzwLGfrsus
h bin der Meinung, es ist inhaltlich gut zu vertreten,ass die nun genannten Organisationen zum Katastro-henschutz im Sinne der 3. EG-Führerscheinrichtlinie zuählen sind.Das Thema der bundeseinheitlichen Lösung, das auchie SPD angesprochen hat, ist natürlich eines, über dasir sprechen müssen; das haben wir im Ausschuss be-its getan. Ich möchte noch einmal festhalten: Im Bun-esrat ist weiterhin eine Länderlösung vorgesehen, auchenn der federführende Ausschuss es anders gesehenat. Somit entspricht das, was wir hier verabschieden,uch dem Willen der Länder, übrigens auch der SPD-ge-hrten Länder.Ich halte es immer noch für sinnvoll, dass wir maßge-chneiderte Lösungen für jedes Bundesland haben; dennie Anforderungen an Katastrophenschutzdienste sindeispielsweise in Schleswig-Holstein vielleicht andersls in Bayern, Niedersachsen oder im Saarland. Deswe-en ist es sinnvoll, dies vor Ort zu entscheiden.
Die Länder sind natürlich nicht davon abgehalten,ich eng abzustimmen. Insbesondere was die gegensei-ge Anerkennung angeht, ist dies ja auch wünschens-ert. Deswegen halte ich es für richtig, dass dasMVBS hier eine Art Koordinierungsrolle einnimmt.taatssekretär Scheuer hat im Ausschuss ja angespro-hen, dass es eine Art Basistext für den Feuerwehrfüh-rschein gibt. Das ist, glaube ich, gut und richtig.Ich freue mich und die FDP freut sich über den brei-n Konsens, der im Grundsatz zwischen den Fraktionenesteht. Jetzt kommt es auch darauf an, dass die Länderie Regelungen zügig umsetzen und die Chancen nut-en, die sich mit dem Feuerwehrführerschein bieten. Dieahlreichen Ehrenamtlichen im Land warten darauf. Sieerden es Ihnen und uns auch danken.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Thomas Lutze für die Fraktion Die
inke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ut, dass wir heute endlich eine Lösung für die vieleneiwilligen Helferinnen und Helfer finden, die für un-ere Gesellschaft eine so wichtige Arbeit machen. Dienzähligen Freiwilligen bei Feuerwehr, dem Techni-chen Hilfswerk und den Rettungsdiensten leisten einen
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11711
Thomas Lutze
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unschätzbaren Beitrag für das Funktionieren unseres Ge-meinwesens.
Diesen Dank einmal vom Rednerpult des Parlamentsauszusprechen, ist mir umso wichtiger, weil die Freiwil-ligen oft auch hoheitliche Aufgaben, wie zum Beispieldie Brandbekämpfung, übernehmen. Man kann sagen,dass unser Gemeinwesen in dieser Form ohne das Enga-gement dieser Frauen und Männer nicht funktionierenwürde. Diese Menschen erwarten von uns zu Recht, dasswir nicht nur nette Worte für sie übrig haben, sondern sieerwarten auch Unterstützung vom Gesetzgeber. Dazugehört es auch, dass wir ihre Arbeit nicht unnötig er-schweren. Die Arbeit von Feuerwehr, dem THW undden Rettungsdiensten wurde in der Vergangenheit aberleider erheblich erschwert.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Seit im
Jahre 1999 das europäische Recht im Führerscheinwesen
vereinheitlicht wurde, finden diese Organisationen kaum
noch Nachwuchskräfte, die über einen geeigneten Füh-
rerschein bis 7,5 Tonnen verfügen. Das wollen wir hier
und heute korrigieren, und wir sind uns dabei auch über
Fraktionsgrenzen hinweg einig.
Ein immer wieder diskutierter Punkt bei den Beratun-
gen war die Verkehrssicherheit. Dabei wird häufig über-
sehen, dass bis 1999 jeder Fahranfänger mit einem Pkw-
Führerschein ins Führerhaus eines 7,5-Tonners steigen
durfte – ohne jede Einweisung und ohne eine einzige
Fahrstunde auf diesem Lkw. Eine wie auch immer vor-
geschriebene Einweisung innerhalb der Organisation
stellt daher in jedem Fall eine Verbesserung der Ausbil-
dung im Vergleich zur früheren Situation dar.
Mir ist überdies keine Statistik bekannt – vielleicht ist
eine solche in einer anderen Fraktion oder bei der Regie-
rung vorrätig –, dass die Inhaber der alten Führer-
scheinklasse 3 eine höhere Unfallquote beim Führen von
7,5-Tonnern aufweisen. In Ihrer Gesetzesvorlage wollen
Sie, vor allem der Bundesrat, dass die Bundesländer bei
der Prüfung und Ausbildung Sonderregelungen treffen
können. Für die Linksfraktion ist das weiterhin ein Ma-
kel, der allerdings nicht dazu führt, dass wir den vorlie-
genden Gesetzentwurf ablehnen werden.
Wir bleiben dennoch dabei, dass eine bundeseinheit-
liche Regelung mehr Sinn macht, da sich die Situationen
in den einzelnen Bundesländern kaum voneinander un-
terscheiden. Herr Kollege Luksic, Sie müssen mir ir-
gendwann in aller Ruhe erklären, wo sich für eine frei-
willige Feuerwehr die Situation in Schleswig-Holstein
von der im Saarland unterscheidet.
– Ja gut, das Hochwasser haben wir an der Saar auch oft
genug gehabt. Ich sehe vielleicht einen Unterschied zwi-
schen den drei Stadtstaaten; aber bei den Flächenländern
sehe ich beim besten Willen keinen Unterschied.
– Das nehmen wir jetzt einmal nicht zu Protokoll.
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Kirche im Dorf lassen. Am Ende ist nicht entscheidend,ob die Bedingungen für den Führerscheinerwerb inSchleswig die gleichen sind wie in Passau, sondern dassunsere ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer die Ein-sätze sicher fahren können und die Führerscheine überallin Deutschland gültig sind. Ich habe Vertrauen in dieMenschen vor Ort, dass die Lösung richtig umgesetztwird.Wir müssen beobachten, ob sich die Neuregelung inder Praxis bewährt. Deswegen müssen wir die Auswir-kungen der Gesetzesänderung nach Inkrafttreten des Ge-setzes im Verkehrsausschuss prüfen. Ich hatte ja schonangeregt, dass wir uns das Thema in zwei Jahren nocheinmal vornehmen und uns Bericht erstatten lassen. Da-bei sollten wir insbesondere auf folgende Punkte achten:Erstens. Haben sich die Unfallzahlen infolge der Ein-führung der neuen Führerscheine erhöht?Zweitens. Wie funktioniert der Austausch zwischenden Ländern?Drittens müssen wir selbstverständlich fragen, ob wirdas Problem, das der Einführung dieses Führerscheinszugrunde lag, gelöst haben; denn niemandem wäre ge-holfen, wenn die Feuerwehren und die Katastrophen-schutzorganisationen weiterhin zu wenige Fahrerinnenund Fahrer für ihre Einsätze hätten.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, so viel Einigkeit wie bei dieser Änderung desStraßenverkehrsgesetzes habe ich in diesem Haus seltenerlebt. Das ist bei diesem Thema, bei dem es um dieStärkung des Ehrenamtes geht, sehr wichtig. Ich habe je-doch keine Angst, dass wir jetzt nur noch traute Harmo-nie erleben werden. Diese Regierung bietet uns wahrlichgenug Anlass, ihr ganz genau auf die Finger zu schauenund da einzugreifen, wo Murks gebaut wird.Herzlichen Dank.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Volkmar Vogel für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Frau Wilms, ich glaube, diese Regierung wird Ih-nen auch viel Anlass geben, mit uns zu stimmen und un-seren Anträgen zu folgen.
Ich bin überzeugt davon, dass die vielen freiwilligenHelfer, aber auch die Verantwortlichen am Ende dieserDebatte endlich wissen – das ist wichtig –, wie es mitdem Transport ihrer schweren Rettungs- und Löschtech-nik auf Fahrzeugen bis 7,5 Tonnen weitergeht. MeineVorredner haben bereits gesagt, dass diejenigen, die nach1kc3teddFEeradfüewnmz4wwimGUnmLpwsdneeDwRwUw–ihFnknLzluA
aher müssen einige Regelungen regional getroffenerden.Die Verbände werden es uns danken und sehen dieegelung, die wir jetzt beschließen, als positiv an. Sieird insgesamt 16 000 Fahrzeuge im Bestand betreffen.m den Einsatz dieser 16 000 Fahrzeuge abzusichern,erden rund 80 000 Fahrer
und Fahrerinnen; danke für den Hinweis, ich nehmen gerne auf, wobei „Fahrer“ die Mehrzahl ist und dieahrerinnen mit einschließt – benötigt, die natürlichicht alle den Lkw-Führerschein C1 haben können. Sieönnen ihn auch deshalb nicht haben, weil er finanziellicht schulterbar ist, weil nicht jede Kommune in derage ist, den Fahrern diesen Lkw-Führerschein zu finan-ieren.Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir diese Rege-ng getroffen haben. Meine Kreisfeuerwehrverbände imltenburger Land und im Landkreis Greiz haben mir in
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11713
Volkmar Vogel
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den letzten 14 Tagen auf ihren Verbandstagungen ge-sagt: Wir brauchen unbedingt Nachwuchs. Wir brauchenjunge Leute im Ehrenamt, die uns auch in Zukunft zurVerfügung stehen.
Ich glaube, mit dieser Regelung haben wir einen viel-leicht kleinen, aber doch wichtigen Beitrag für das Eh-renamt geleistet, für diejenigen, die jeden Tag bereitste-hen, um Menschen, die in Not geraten, zu helfen und umSachwerte, die in Gefahr geraten, zu retten.
Bei allen hehren Zielen – das möchte ich hier nocheinmal zum Ausdruck bringen – hat die Sicherheitoberste Priorität. Frau Lühmann, ich habe unsere Ge-spräche im Ausschuss sehr genau verfolgt; wir nehmendas sehr ernst. Aber man muss auch eines beachten: Einjunger Kraftfahrer, der den C1-Führerschein, den Lkw-Führerschein, hat, ist nicht davor gefeit, leichtsinnig zusein oder fahrlässig zu handeln. Ich glaube, an der Stelleist wichtiger als alles andere, dass man dies immer imHinterkopf behält. Kameradschaft, gegenseitige Hilfe,Besonnenheit im Einsatz, Respekt vor der Gefahr, aberauch, wenn es darauf ankommt, die Ermahnung unter-einander sind allemal wichtiger als das, was wir hier ge-setzlich regeln können.Mein Appell an alle freiwilligen Helfer vom THWund von der Feuerwehr ist, dass sie dies bei ihren Einsät-zen immer beachten. Wir wollen den gesetzlichen Rah-men schaffen, damit es einfach zu regeln ist. Meine Bittean die Bundesländer lautet, in ihren eigenen Bestimmun-gen, die jetzt zu erlassen sind, nach Möglichkeit einfa-che, unbürokratische und kostengünstige Regelungen zufinden, die, wenn es unter Beachtung der regionalen Be-sonderheiten irgendwie geht, unter Umständen in mehre-ren Bundesländern Gültigkeit haben können.Mir bleibt zum Schluss nur noch, zu sagen, dass esmir ein Herzenswunsch ist, all denjenigen, die im Ret-tungswesen tätig sind, die freiwillig diesen Ehrendienstleisten, von dieser Stelle aus herzlich zu danken. Ichwünsche ihnen, dass sie immer wohlbehalten und ge-sund von ihren Einsätzen zurückkehren. Weil ich selberFeuerwehrmann bin, rufe ich den Gruß – er ist von Feu-erwehr zu Feuerwehr verschieden –: Gut Wehr! GutSchlauch!Danke schön.
Jetzt müssen wir nur noch gut abstimmen. Das tun wirzu dem eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ände-rung des Straßenverkehrsgesetzes, nachdem wir die Aus-sprache geschlossen haben. Der Ausschuss für Verkehr,Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Buchstabe aseiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 17/5355,den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-sache 17/4981 in der Ausschussfassung anzunehmen.DgliwdseuGzWeAdrueluBeWGs1)
urf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, umas Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältich? – Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratunginstimmig angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungnd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzenu erheben. – Wer möchte sich der Stimme enthalten? –er möchte dagegen stimmen? – Dann ist der Gesetz-ntwurf hiermit einstimmig angenommen.
Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung desusschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zuem Entwurf eines Gesetzes des Bundesrates zur Ände-ng des Straßenverkehrsgesetzes ab. Der Ausschussmpfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfeh-ng auf Drucksache 17/5355, den Gesetzentwurf desundesrates auf der Drucksache 17/2766 für erledigt zurklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –er stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch dieseresetzentwurf ist damit einvernehmlich angenommen.Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 bowie den Zusatzpunkt 4 auf:10 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten MartinDörmann, Waltraud Wolff , GarreltDuin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion derSPDVerbraucherschutz in der Telekommunikationumfassend stärken– Drucksache 17/4875 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
RechtsausschussAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionAusschuss für Kultur und Medienb) Beratung des Antrags der Abgeordneten CarenLay, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKETelekommunikationsmarkt verbraucherge-recht regulieren– Drucksache 17/5376 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Kultur und MedienAnlage 2
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11714 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Präsident Dr. Norbert Lammert
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ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Rechtsausschusses
– zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay,Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weitererAbgeordneter und der Fraktion DIE LINKEUnlautere Telefonwerbung effektiv verhin-dern– zu dem Antrag der Abgeordneten NicoleMaisch, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENUnerlaubte Telefonwerbung wirksam be-kämpfen– Drucksachen 17/3041, 17/3060, 17/3587 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Patrick SensburgMarianne Schieder
Stephan ThomaeHalina WawzyniakIngrid HönlingerNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Das ist of-fensichtlich einvernehmlich. Dann können wir so ver-fahren.Ich eröffne die Aussprache und erteile der KolleginWaltraud Wolff für die SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Alle, die den Saal verlassen, kann ich nur bit-ten, hierzubleiben, weil dieses Thema uns alle angeht. Esgeht um den Schutz der Verbraucherinnen und Verbrau-cher im Bereich der Telekommunikation.Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Sie aufder Zuschauertribüne sitzen und diese Debatte verfol-gen, das ist ein Thema, das auch Ihnen zu Hause unterden Nägeln brennt. 19 Cent pro Minute für ein Fernge-spräch innerhalb Deutschlands – heute klingt das absurdteuer. Aber 1998 war das ein Kampfpreis. Damit beganndamals der Wettbewerb im deutschen Festnetz. Die rela-tiven Kosten sind seitdem zwar drastisch gesunken; aberin absoluten Zahlen ist das eigentlich nicht der Fall. Eherzahlen wir heute mehr. Aber wir alle müssen auch kon-statieren: Heutzutage telefonieren wir nicht mehr nur mitdem Telefon und nutzen nicht mehr nur diese Leitungen,sondern sind auch an ein neues Kommunikations- undKonsumsystem angeschlossen.Der Telekommunikationsmarkt ist einer der dyna-mischsten Märkte in Deutschland. Neue technischeMöglichkeiten sorgen natürlich immer wieder für neueGeschäftsmodelle. Die Telekommunikationsbranche istzu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige in Deutsch-land geworden. Sie ist ein wichtiger Motor für Innova-tion, Wachstum und Beschäftigung. Sowohl die Zahl derUnternehmen als auch die Umsätze wachsen. Dies ist ei-gIndzhwsWdPdddwriDzasWgggmTDvfldbbtesudagsET–sezVwinbVd
Dabei geht es um höchst unterschiedliche Probleme.a gibt es zum einen die Call-by-Call-Anbieter, die un-orhersehbar ihre Preise erhöhen, ohne dass man Ein-uss darauf nehmen kann. Dann gibt es Unternehmen,ie Sie und uns alle mit unerwünschten Werbeanrufenelästigen. Wir als Verbraucherinnen und Verbraucherezahlen in Warteschleifen bei Hotlines – die Frage lau-t: Warum? Außerdem werden uns Verträge unterge-choben. Mit Gewinnversprechen werden Kundinnennd Kunden auf teure 0900er-Nummern gelockt. Alliese Probleme gilt es in den Griff zu bekommen. Wirls SPD-Fraktion haben einen hervorragenden Antrageschrieben, in dem ein ganzes Maßnahmenbündel die-en Problemen entgegenwirkt.
Gleichzeitig liegt – endlich, muss man sagen – derntwurf der Regierungsfraktionen für eine Novelle zumelekommunikationsgesetz vor. Kostenfreie Hotlinesdas werden uns auch die Kollegen von der Regierungs-eite zugestehen – fordern alle Fraktionen. Der Gesetz-ntwurf enthält bessere Vorgaben zur Preisangabe undur Beschreibung der Qualität der Angebote, und dieerbraucherrechte beim Umzug und beim Anbieter-echsel werden gestärkt. Es ist eine gute Sache, dass das dem Gesetzentwurf steht. Sie als Bundesregierung ha-en einen Aufschlag gemacht, und Bundesrat und dieerbraucherzentralen haben schon ihre Stellungnahmenazu abgegeben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11715
Waltraud Wolff
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Auf dieser Grundlage sollten wir alle gemeinsam zuguten Lösungen kommen. Wir als SPD werden uns je-denfalls ganz konstruktiv daran beteiligen.
Ich habe auch schon einen ganz konkreten Vorschlag,nämlich die Verpflichtung, dass die Call-by-Call-Anbie-ter die Preise anzugeben haben. Das darf man nicht erstirgendwann mit einer Verordnung regeln, sondern dasgehört jetzt sofort ins Gesetz.
Wozu sollten wir denn warten? Wir kennen doch alle dieAbzocke durch unerwartete Preissprünge. Wenn Sie sichdazu nicht durchringen können, sondern das auf demVerordnungsweg regeln wollen, muss es aber bitte schöngleichzeitig mit der Verabschiedung des Gesetzentwurfsgeschehen.Meine Damen und Herren, wir haben hier zwar einenguten Aufschlag der Bundesregierung; aber wenn mansich den ganzen Bereich anschaut, muss man konstatie-ren: Beim Verbraucherschutz in der Telekommunikationhaben die Bundesregierung und die Regierungskoalitiontotal versagt;
denn Ihr Gesetzentwurf sieht keine Hilfe bei Kostenfal-len, untergeschobenen Verträgen und der Abzocke beiGewinnspielen vor.
Zu diesen Themen brauchen Sie bloß einmal bei denBürgerinnen und Bürgern nachzufragen. Da gilt es, vonuns aus etwas zu tun. Wir als SPD haben bereits in derletzten Legislaturperiode ein Gesetz zur Bekämpfungunerlaubter Telefonwerbung und zur Verbesserung desVerbraucherschutzes bei besonderen Vertriebsformenauf den Weg gebracht.
– Jawohl. – Mit diesem Gesetz haben wir die Rechte derVerbraucherinnen und Verbraucher erheblich gestärkt,insbesondere im Hinblick auf unerlaubte Telefonwer-bung und auf die untergeschobenen Verträge.Gleichzeitig hat die SPD-Fraktion eine Evaluationdieses Gesetzes auf den Weg gebracht. Ich denke, dieEvaluation vorzuziehen, war genau der richtige Weg;denn die Zahl der Beschwerden ist in dieser Zeit nichtzurückgegangen.Was sagen die nun vorliegenden Ergebnisse aus? Siezeigen erstens, dass das Gesetz zum Teil greift. Zweitenszeigen sie, dass die Unternehmen zwar weiterhin mit un-gewollten Initiativanrufen gegen das Gesetz verstoßen,die Zahl dieser Anrufe aber deutlich zurückgeht.TcmisnWbwwkdteSfeBrigrüHdDacwhsannreAnS
Noch eines steht fest: Verbraucherrechte müssenünftig besser durchgesetzt werden. Eine Möglichkeitazu ist die Bildung von Schwerpunktstaatsanwaltschaf-n. Dazu haben wir aus dem Bundesrat bereits positiveignale vernommen. Ich glaube, dass wir es hier schaf-n, konzertiert vorzugehen.Meine Damen und Herren, wir haben eine sogenannteutton-Lösung eingebracht und hätten die Verbrauche-nnen und Verbraucher stärken können. Das hat die Re-ierungskoalition abgelehnt. Sie haben sich darauf zu-ckgezogen, dass das EU-weit geregelt werden muss.eute trommelt der Buschfunk aber, dass Sie vielleichtoch eine nationale Lösung haben wollen.Sie haben noch nichts vorgelegt.
ie Verbraucherinnen und Verbraucher werden weiterbgezockt, und das ist nicht spaßig.
Frau Kollegin.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Verbrau-
herschutz in der Telekommunikation ist mehr als das,
as im Telekommunikationsgesetz geregelt wird. Wir
aben die Lösungsansätze aufgezeigt. Stimmen Sie un-
erem Antrag zu und lassen Sie uns konstruktiv im Sinne
ller Verbraucherinnen und Verbraucher daran arbeiten.
Danke schön.
Andreas Lämmel von der CDU/CSU-Fraktion ist der
ächste Redner.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-en und Kollegen! Sehr geehrte Frau Wolff, ich habe Ih-r Rede und der Kommentierung Ihres „hervorragendenntrages“ gelauscht. Ich denke, uns eint die Forderungach dem Ausbau des Verbraucherschutzes und nach dertärkung der Rechte der Verbraucher.
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11716 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Andreas G. Lämmel
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Ich weiß aber nicht so recht, ob die Diskussion, diewir jetzt führen, nicht völlig deplatziert ist; denn – Siehaben es selbst erwähnt – die Bundesregierung hat denGesetzentwurf schon am 2. März dieses Jahres verab-schiedet. Der Bundesrat hat seine Stellungnahme dazugeschrieben, und es wäre sinnvoll gewesen, in der erstenLesung des Gesetzentwurfes hier im Deutschen Bundes-tag, also im Mai, genau die Fragen, die Sie vorgetragenhaben, zu erörtern.
– Ja, genau.Ich muss Ihnen auch sagen, dass Ihr Antrag ein biss-chen spät vorgelegt worden ist; denn die CDU/CSU-Fraktion hat schon lange ein Papier zu den verbraucher-schutzrechtlichen Regelungen im Gesetzentwurf vorge-legt. 80 Prozent Ihrer gesamten Regelungsvorschlägekönnen Sie jetzt im Gesetzentwurf der Bundesregierungnachlesen.
Wenn ich mir Ihren Antrag anschaue, dann kann ich alsosagen: Haken, Haken, Haken – alles eigentlich erledigt,weil es im Gesetzentwurf steht.
Insofern ist die Diskussion heute eine kleine Spiegel-fechterei. Wir sollten das in den Ausschüssen debattie-ren. Es lohnt sich sicherlich, darüber zu diskutieren,wenn der Gesetzentwurf eingebracht ist.Deswegen möchte ich jetzt auch nur drei Punkte an-sprechen, die uns hier wirklich sehr beschäftigen.Jeder hier im Raum hat sich in der vergangenen Zeitwahrscheinlich schon einmal sehr über Anrufe mit unter-drückter Nummer, über falsche Angaben von Bandbrei-ten bei Internetanschlüssen und über teure Warteschlei-fen geärgert. Deswegen bestätige ich Ihnen ja auch, dassHandlungsbedarf besteht.Die Warteschleifen sind, glaube ich, im Moment einesder größten Probleme. Ich denke, wir haben hier imHause und auch mit der Regierung eine große Einigkeit,dass in Bezug auf kostenlose Warteschleifen Regelungengeschaffen werden müssen, und auch über die Wege sindwir uns jetzt wohl einig, nachdem die Anbieter langeZeit erklärt haben, was alles technisch nicht geht. Letzt-endlich geht vieles dann aber doch; das haben wir in derpolitischen Praxis ja schon oft erlebt. Ich denke also, dasThema wird sich regeln lassen.In Bezug auf den Anbieterwechsel innerhalb einesKalendertages gehen wir andere Wege als Sie. Sie for-dern Sanktionen, wenn ein Anbieterwechsel nicht inner-halb eines Tages abgeschlossen wird. Was nützt es mir,wenn der Anbieter, nachdem ich fünf Tage lang kein Te-lefon hatte, vielleicht 100 Euro zahlen muss? Ich willden Anbieterwechsel an einem Tag realisiert haben. Wirsind der Meinung, dass es wesentlich besser ist, wenndggisntreammFnmdbJaßwUdwguHfrretrVzcmtudAksläwwssdwwEsw
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11717
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Die Kollegin Caren Lay ist die nächste Rednerin für
die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Sehr verehrter Herr Kollege Lämmel, ich muss
mich schon wundern. Ich denke, dass die Beratung der
Anträge der Linken, aber auch der anderen Oppositions-
fraktionen zu dem wichtigen Thema Verbraucherschutz
im Telekommunikationsbereich nun wirklich nicht de-
platziert ist, wie Sie gesagt haben. Vielmehr ist es längst
überfällig, dass die Bundesregierung handelt. Wieder
einmal muss die Opposition Sie vor sich hertreiben.
Die Verbraucherinnen und Verbraucher verlieren
schließlich durch ungebetene Telefonanrufe, Kostenfal-
len im Internet und viele andere Dinge mehr jedes Jahr
sehr viel Geld. Ich denke, jeder von uns kennt dieses
Problem auch aus der eigenen Erfahrung. Man bekommt
zum Beispiel eine SMS auf das Handy mit der Mittei-
lung: „Sie haben gewonnen! Rufen Sie uns bitte unter
folgender Nummer an.“ Dann landet man in einer Warte-
schleife, die am Ende sehr viel Geld kostet. Der Haupt-
gewinn bleibt aber aus.
Ein anderes Beispiel sind die scheinbaren Billigtarife,
bei denen die Telekommunikationsunternehmen beson-
ders preiswerte Anrufe ins Ausland oder in Mobilfunk-
netze versprechen. Dann aber erhöhen die Anbieter
kurzfristig und auch unbemerkt die Minutenpreise oft
um das Vielfache, und die Verbraucherinnen und Ver-
braucher bleiben auf den Kosten sitzen.
Insofern erleben viele Verbraucherinnen und Verbrau-
cher die Telekommunikationsbranche als einen Markt
der Abzocke. Wir als Linke sagen, dass diese Abzocke
im Internet und bei der Telekommunikation endlich ein
Ende haben muss.
– Dann bin ich auf Ihre Vorschläge gespannt. Denn das
ist kein neues Problem. Seit Jahren sorgt der Telekom-
munikationsmarkt für den höchsten Beratungsbedarf bei
den Verbraucherzentralen. Fast die Hälfte der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher hat Probleme mit Telefon-
und Internetdiensten. Das Schlimmste ist, dass die be-
liebtesten Opfer dieser unseriösen Geschäftspraktiken
sehr häufig Jugendliche und ältere Menschen sind. Des-
wegen ist es unsere soziale Verpflichtung, uns hier ein-
zusetzen.
Was macht aber die Bundesregierung? Ich habe in der
Tat aus den Reihen der Union immer wieder einmal eine
Presseerklärung zum Thema „sauberes Telefon“ gelesen.
Aber geändert hat sich die Gesetzeslage bislang nicht.
Das gilt auch für den Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung. Beispielsweise beim Thema Warteschleifen gibt es
nach wie vor Schlupflöcher, die die Koalition den Unter-
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sofern ist die Behauptung von Verbraucherministerin
igner, das Problem kostenpflichtiger Warteschleifen
ei gelöst, sicher nicht die richtige Formulierung.
Auch wir als Linke haben hier einen Antrag vorge-
gt. Wir sagen zum Beispiel: Warteschleifen müssen
omplett kostenlos sein. Auch die Wartezeit muss be-
renzt werden. Denn wer möchte schon viele Stunden
it Dudelmusik am Telefon verbringen? Ebenso fordern
ir klare Preisobergrenzen und Preisinformationen. Was
r das Festnetz schon längst gilt, muss auch für das
andy gelten.
ir wollen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher
esser vor Kostenfallen im Internet geschützt werden. Es
uss klar erkennbar sein, wie viel ein Kauf im Internet
ostet und wann der Kauf tatsächlich abgeschlossen ist.
eswegen fordern auch wir, ebenso wie in der letzten
egislaturperiode, einen Internetbutton. Besonders be-
rückend finde ich, dass sich die Telekommunikations-
ranche in der Zwischenzeit eine goldene Nase verdient.
letzten Jahr hat die Branche in Deutschland einen
msatz von 61 Milliarden Euro erzielt, einen Teil davon
it unseriösen Praktiken.
Wir sagen als Linke: Verbraucherabzocke darf sich
icht länger lohnen. Die Zögerlichkeit von Schwarz-
elb ist Teil einer Politik zugunsten der Unternehmen.
erbraucherinteressen bleiben dabei auf der Strecke. Das
uss endlich ein Ende haben.
Vielen Dank.
Das Wort erhält nun die Kollegin Claudia Bögel für
ie FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Die Novelle zum Telekommunikationsgesetzetzt zwei große Schwerpunkte. Sie bringt den Verbrau-hern besseren Schutz, und sie schafft einen sicherenahmen für den Ausbau modernster Internetinfrastruk-r. Ihre Vorschläge zu Änderungen im TKG, die ich inrem Antrag wiederfinde, hat das Kabinett bereits vorut einem Monat zu großen Teilen abgesegnet; Kollegeämmel sagte das vorhin. Somit, liebe Opposition, ge-ören Sie der Vergangenheit an. Aber wir kennen das ja:ort, wo Sie nur fordern – und das auch noch mit großererspätung –, haben wir uns bereits gekümmert und um-ssende Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bür-er erwirkt.
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11718 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Claudia Bögel
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So wird die Bundesnetzagentur in Zukunft darüberwachen, ob die Angaben zu den Geschwindigkeiten vonBreitbandanschlüssen mit den Fakten übereinstimmen.Sie wird darüber wachen, ob die Preistransparenz bei so-genannten Call-by-Call-Gesprächen und mobilen Daten-diensten gewährleistet wird. Der Schutz vor Abrechnungvon Internetkostenfallen über die Handyrechnung wirdauch auf den Mobilfunk ausgeweitet. Ein ganz wesentli-cher Faktor für Unternehmen ist die Verkürzung derWartezeit bei Anbieterwechsel auf einen Tag.
Wir haben das Problem erkannt: Telefonanbieterwechselund schon ist man unter Umständen mehrere Tage nichterreichbar. Für den Bürger ist das ärgerlich, für ein Un-ternehmen ist es von existenzieller Bedeutung. Mit derentsprechenden Regelung und vielen weiteren Regelun-gen bietet das TKG zeitgemäßen Verbraucherschutz füralle Formen der elektronischen Kommunikation, und dasauf höchstem Niveau.
Das ist unsere Politik. Ihr folgen Taten statt warmerWorte, verpackt in populistische Forderungen.
Noch in diesem Jahr können wir die letzten weißenFlecken in der flächendeckenden Grundversorgung mitDSL-Internetanschlüssen und LTE beseitigen. Die Zu-sage hierzu wurde von den TK-Unternehmen aktuell be-kräftigt.Wir wollen, dass auch in den ländlichen Räumen bisspätestens 2018 besonders schnelle Breitbandanschlüsseflächendeckend verfügbar sind.
Der Präsident des Verbraucherzentrale Bundesverbandesfordert deshalb eine kosteneffiziente und für die Ver-braucher auch bezahlbare Ausbaustrategie. Absolut rich-tig. Augenmaß und nicht blinder Aktionismus ist hiervon größter Wichtigkeit;
denn es geht um Investitionen in Höhe von immerhin40 Milliarden Euro. Der Ausbau soll mit dem Ziel erfol-gen, für die Verbraucher die geringsten Kosten zu errei-chen. Ohne den Wettbewerb als den wichtigsten Antrei-ber wird dies nicht gelingen.Allein der Wettbewerb, der allen Verbrauchern freieWahl unter den Anbietern gibt, hat den Telekommunika-tionsmarkt zum erfolgreichsten Modell für die Liberali-sierung staatlicher Monopole gemacht. Daran solltenwpcBwgfeDnWFnRimddfotrsfüTDTTDAdtaeLnDAdSeD
Nun erhält die Kollegin Bärbel Höhn für die Fraktion
ündnis 90/Die Grünen das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein ganz
ichtiges Feld, über das wir heute diskutieren; denn
anz viele Menschen sind von großen Problemen betrof-
n, die wir weiterhin bei der Telekommunikation haben.
eshalb sage ich: Auch ein mündiger Bürger braucht ei-
en bestimmten Schutz. Es reicht einfach nicht, nur auf
ettbewerb zu setzen, um das einmal sehr deutlich zur
DP zu sagen.
Wir haben Telefon, wir haben Handy, wir haben Inter-
et und wir haben neue Medien, die eine immer größere
olle spielen. In vielen Bereichen herrschen in der Tat
mer noch Wildwestmethoden. Deshalb müssen wir
em Verbraucherschutz mehr Gewicht geben. Ich habe
en Eindruck, dass die Bundesregierung diesen Heraus-
rderungen nicht gewachsen ist; denn sie braucht ex-
em lange, um zu reagieren, und wenn sie reagiert,
pringt sie zu kurz. Es ist wichtig, heute diese Debatte zu
hren, damit wir endlich im Verbraucherschutz bei der
elekommunikation vorankommen.
Angesichts der kurzen Zeit nenne ich drei Beispiele.
as ganze Thema ist extrem breit. Ein Beispiel sind die
elefonwarteschleifen. Wir von den Grünen haben das
hema 2009, als wir eine Studie vorgelegt haben, in die
iskussion gebracht und auf den Missbrauch und die
bzocke hingewiesen – jetzt haben wir 2011. Wir haben
ieses Thema im März des letzten Jahres in den Bundes-
g eingebracht. Ein Jahr später wird endlich ein Gesetz-
ntwurf auf den Weg gebracht. Da kann man nun sagen:
ieber spät als nie. – Aber man muss auch sagen: Er ist
och nicht einmal gut geworden.
aher finde ich schon, dass man fragen muss, was Frau
igner dazu sagt. Frau Aigner hat sich gerühmt, sie habe
as Problem der kostenpflichtigen Warteschleifen gelöst.
ie hat gesagt: Wird vom Unternehmen keine Leistung
rbracht, dürfen auch keine Kosten berechnet werden. –
as ist ein Zitat.
Frau Kollegin Höhn, lassen Sie Zwischenfragen zu?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11719
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Sofort. Ich möchte den kleinen Satz noch zu Ende
bringen, und dann werde ich eine Zwischenfrage zulas-
sen.
Aber sicher.
Dann erhalte ich wieder ein bisschen mehr Zeit.
Das wollen wir dann sehen.
Wenn wir dieses Zitat von ihr – wird vom Unterneh-
men keine Leistung erbracht, dürfen auch keine Kosten
berechnet werden – jetzt auf seine Richtigkeit überprü-
fen, dann stellen wir fest: In der Tat werden immer noch
Kosten fällig, es gibt immer noch Schlupflöcher. Dieser
Satz ist einfach falsch.
Wenn die Ministerin am Weltverbrauchertag sagt, irre-
führende Aussagen in der Lebensmittelwerbung dürfe es
nicht mehr geben, dann sagen wir: Sie sollte keine irre-
führende Werbung in eigener Sache machen. Auch das
ist verboten und sollte nicht geschehen.
Bitte schön.
Frau Kollegin Höhn, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass das Problem der Abzocke bei telefoni-
schen Warteschleifen nicht erst seit der Regierungsüber-
nahme durch Schwarz-Gelb, also 2009, als Sie die Um-
frage durchgeführt haben, existiert, sondern schon viele
Jahre früher existierte? Deswegen möchte ich Sie fragen:
Warum widmen Sie sich diesem Thema erst seit 2009?
Warum haben Sie sich diesem Thema nicht schon zu der
Zeit gewidmet, als Sie die Regierungsverantwortung
hatten? Da gab es das Problem nämlich schon.
Dazu muss ich ganz ehrlich sagen: Das ist nun wirk-
lich nicht logisch; denn wir waren hier im Bundestag im-
merhin die Ersten, die den Antrag dazu eingebracht ha-
ben, und wir waren immerhin diejenigen, die dann
wenigstens 2009 mit dieser Anfrage das Ganze an die
Öffentlichkeit gebracht haben. Wenn ich sehe, dass die
Franzosen heute schon in der Lage sind, kostenfreie
Warteschleifen zu garantieren, dann verstehe ich nicht,
warum die Ministerin das, was die Franzosen können,
hier in Deutschland nicht kann. Das ist das Problem.
Schnelles Handeln wäre möglich gewesen. Von 2009 bis
2011 ist eine lange Zeit. Sie von der FDP wollen immer
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Ich komme zum nächsten Punkt: unerlaubte Telefon-
erbung. Da dieses Problem schon lange bekannt ist, ha-
en wir schon vor einiger Zeit einen entsprechenden An-
ag eingebracht. Die Bundesnetzagentur hat festgestellt:
010 gab es 30 Prozent mehr Beschwerden als 2009.
ittlerweile haben sich 130 000 Menschen bei der Bun-
esnetzagentur beschwert. Das lässt uns ahnen, wie viele
ersonen tatsächlich betroffen sind. Zwar wird nun eine
ösung des Problems vorgelegt, aber auch da muss man
agen: späte Einsicht. Auch hier hätte viel früher eine
ösung gefunden werden können. Wir als damalige Op-
ositionsfraktion haben Vorlagen mit Lösungen einge-
racht. Damals haben Sie gegen uns gestimmt. Jetzt stel-
n Sie fest: Um den Verbraucher zu schützen, muss er
ine schriftliche Bestätigung abgeben. Um das zu verste-
en, haben Sie Jahre gebraucht. Auch hier ist der Ver-
raucherschutz bei Ihnen eine Schnecke.
Letzter Punkt: Kostenfallen im Internet. Verstehen
ie endlich, dass Menschen, die über das Internet eine
eistung in Anspruch nehmen, sehen müssen, wie viel
iese Leistung kostet. Mit einem entsprechenden Button
t das ganz einfach zu erreichen. Wir sind uns eigent-
ch einig, dass dafür gesorgt werden muss. Deshalb
age ich – Frau Ministerin ist nicht da –: Herr Bleser –
ie sind mir der beste Verbraucherschützer, den ich mir
orstellen kann
genau –; denn Sie sind nun für mehr als nur für Land-
irtschaft zuständig –, setzen Sie Ihr Vorhaben endlich
m und reden Sie nicht immer nur darüber! Ich finde
iese von der SPD angestoßene Debatte gut. Die Regie-
ng muss endlich etwas tun.
Mechthild Heil ist die nächste Rednerin für die CDU/
SU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Die CDU/CSU hat den Verbraucherschutz fest Blick. Wir freuen uns, dass die Opposition uns mit ih-n Anträgen heute bei diesem Vorhaben unterstützenill. Vielen Dank!In den letzten Jahren haben wir mit der Verschärfunges Gesetzes zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwer-
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11720 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Mechthild Heil
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bung erste Erleichterungen für die Verbraucher erreicht:Uns ist es gelungen, dass unlautere Anrufe strenger ge-ahndet werden. Außerdem haben wir ein deutlich höhe-res Bußgeld durchgesetzt. Wir haben Rufnummernunter-drückungen verboten, und wir haben das Widerrufsrechtausgeweitet, auch bei Gewinnspielen.
Darüber hinaus haben wir festgesetzt, dass Anbieter-wechsel und Vertragsänderungen nur noch mit schrift-licher Bestätigung des Kunden erlaubt sind. Das alleswar und ist ein großer Erfolg für Verbraucherinnen undVerbraucher. Aber unsere Ideen und unsere Durchset-zungskraft gehen noch weiter.
Das Bundeskabinett hat am 2. März den Entwurf derNovelle zum Telekommunikationsgesetz beschlossen.Damit setzen wir unsere verbraucherpolitischen Zielekonsequent weiter um. Mit überteuerten und endlosenWarteschleifen, Frau Höhn, den Kunden das Geld ausder Tasche zu ziehen, ist mit uns nicht zu machen. Wirsorgen dafür, dass ein Anrufer erst dann bezahlen muss,wenn er mit einem Mitarbeiter in Kontakt tritt, der sichseines Problems annimmt. Ja, Servicenummern dürfenetwas kosten, aber erst ab der Sekunde, ab der dem Kun-den auch wirklich geholfen wird.Ein weiteres Ärgernis für die Verbraucher sind einigeCall-by-Call-Anbieter. Mit unübersichtlichen Tarif-sprüngen werden Kunden bewusst in die Irre geführt.Die Folge kann eine massiv überhöhte Rechnung sein.Dieses Problem wurde auf der europäischen Ebene er-kannt, und Europa hat gehandelt. Deshalb können heutenationale Regulierungsbehörden – bei uns ist das dieBundesnetzagentur – Transparenzvorgaben für die Tele-kommunikationsunternehmen machen. Dazu gehört eineTarifansage zu Beginn jedes Gesprächs. Wechselte bis-her ein Kunde den Wohnort, musste er meist den altenVertrag fortführen, auch wenn am neuen Wohnort dieLeistungen gar nicht angeboten wurden. Damit soll jetztSchluss sein. Wir wollen ein gesetzlich verankertes Son-derkündigungsrecht bei Umzug. Wird die gleiche Leis-tung am neuen Wohnort angeboten, darf auch die verein-barte Vertragslaufzeit nicht mehr geändert werden.
Es soll Schluss sein mit endlosen automatischen Ver-tragsverlängerungen.
Auch der Wechsel zwischen den Telefongesellschaftenmuss vereinfacht werden. Wechselt man zur Konkur-renz, darf der Telefonanschluss höchstens einen Tag langstillgelegt werden. So lange bleibt der alte Anbieter Ver-tragspartner. Dann muss alles wieder funktionieren. WirwRisvbKtesaevzv„UgAdakrebvavmv5WewfuaQsSDmMbsTuD
Der zweite Schwerpunkt unseres Gesetzes, das wirorlegen werden, ist der Breitbandausbau. Wir wollenöglichst bis 2015 eine flächendeckende Verfügbarkeiton Breitbandanschlüssen mit einer Bandbreite von0 Megabit pro Sekunde erreichen.
ir wissen, dass in ländlichen Regionen Breitbandnetzebenso wichtig sind wie in Ballungsräumen. Sie sindichtig für die Ansiedlung von Unternehmen, die Schaf-ng von Arbeitsplätzen und auch für die Teilhabe allern unserer Gesellschaft. Die CDU/CSU macht keineualitätsunterschiede zwischen Verbrauchern aus städti-chen und Verbrauchern aus ländlichen Räumen. Großetädte mit Internethochgeschwindigkeitsstrecken undörfer auf dem Internetabstellgleis – das ist mit mir undit der CDU/CSU nicht zu machen.
enschen im ländlichen Raum sind für mich keine Ver-raucher zweiter Klasse.Schnelle Internetanschlüsse sind heute mit der Ver-orgung von Wasser und Strom gleichzusetzen. Sie sindeil der Daseinsvorsorge. Es gibt einen Wunsch nachnd ein Recht auf ungehinderten Informationszugang.afür kämpfe ich.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11721
Mechthild Heil
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Gerade als Verbraucherschützerin liegt mir dies sehr amHerzen. Ohne den freien Zugang zu Informationen gibtes keine mündigen Bürger. Aus diesem Grund strebenwir eine flächendeckende Versorgung für Land und Stadtan.
Mehr Rechte, weniger Abzocke, schnelleren Anbie-terwechsel, fairen Wettbewerb und besseren Durchblickim Telekommunikationsdschungel – dies alles wollenVerbraucher. Wir, die CDU/CSU, schaffen die gesetz-lichen Grundlagen dafür. Wenn Sie von der Oppositionuns hierbei unterstützen wollen, sind Sie herzlich einge-laden.
Ich freue mich auf eine intensive Diskussion mit Ihnen.Vielen Dank.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Dr. Schweickert für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Es ist schon interessant, wie die Debatte hier läuft. Eswird so getan, als ob wir Ewigkeiten brauchten, um zuhandeln.
Dabei hätten manche zwölf Jahre lang die Möglichkeitdazu gehabt, haben aber nichts getan. Dann wird unsvorgeworfen, dass wir bestimmte Punkte nicht ins TKGaufgenommen hätten. Dabei weiß jeder von uns, der sichim Verbraucherausschuss mit diesem Thema viele Stun-den lang befasst hat, dass diese Punkte überhaupt nichtins TKG gehören, sondern ins UWG, weil die unerlaubteTelefonwerbung im TKG gar nicht abgehandelt wird.
Daher wünsche ich mir, dass wir über diese Themen ander richtigen Stelle diskutieren. Das können wir tun,
aber bitte werfen Sie uns nicht vor, dass wir fachfremdePunkte einbringen.
GfrIhmNhsDsgSAsaCmebdkcJvritilalimmmsbDnudunnzcw
Wir haben gesagt – das steht im Entwurf der TKG-ovelle –: Ein Anbieterwechsel soll funktionieren. Wiraben sogar die Rückfallmöglichkeit für den Fall vorge-ehen, dass es nicht funktioniert.
amit gehen wir über die Forderung hinaus, die Sie auf-tellen.Ich kann die Liste weiter durchgehen. Wir sehen diearantierten Tarifvarianten, maximal zwölf Monate, vor;eite 29, § 43 b.
ber das kennen Sie ja. Sie haben es schließlich abge-chrieben. Von daher sind Sie im Thema drin. Das giltuch für die Regelung im Umzugsfall.Frau Wolff, zur Pflicht zur Tarifansage im Call-by-all-Bereich: § 66 b TKG; ich habe es gerade noch ein-al nachgesehen. Das ist drin. Sie können nicht sagen,s sei nicht drin. Es ist drin, weil wir uns um die Ver-raucher kümmern und genau wissen, wo der Schuhrückt.
Außerdem haben wir als schwarz-gelbe Regierungs-oalition die Evaluation vorgezogen, um in vielen Berei-hen überhaupt tätig werden zu können. Sie wissen, dassustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger handelt,orzieht und die notwendigen Entwürfe vorlegt. Das istchtige Politik. Das ist nicht nur Ankündigung. Ihre Kri-k soll darüber hinwegtäuschen, dass Sie zwölf Jahreng nichts gemacht haben.Denen, die lauthals rufen: „Was kann denn noch regu-ert werden, wo können wir uns noch einmischen?“,uss ich sagen: Alle, die bei mir im Büro waren, habenir gesagt: Das funktioniert nicht. Das könnt ihr nichtachen. – Wir waren diejenigen, die nicht eingeknicktind und die ganz klar gesagt haben: Es geht um die Ver-raucher. Wir werden die Verbraucherabzocke beenden. –a finde ich schon interessant, wie manche Diskussio-en in diesem Hause laufen.Wir dürfen auch eines nicht vergessen, Kolleginnennd Kollegen. Wir haben mit Rainer Brüderle jemanden,er das Thema der Telefonwarteschleifen aufgegriffennd die Lösung des Problems beschleunigt hat. Also,ehmen Sie sich daran ein Beispiel! So kann es funktio-ieren. So kann man das Notwendige gesetzlich umset-en – zum Wohle der Verbraucherinnen und Verbrau-her. Wenn Sie sich daran ein Beispiel nehmen, dannerden Sie feststellen: Nicht nur abschreiben macht
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11722 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Dr. Erik Schweickert
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glücklich, sondern vielleicht auch einmal zustimmen,wenn die Punkte, die da hingehören, tatsächlich umge-setzt werden.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/4875 und 17/5376 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun unter dem Zusatzpunkt 4 zur
Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses auf der
Drucksache 17/3587. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 17/3041 mit dem Titel „Unlautere Telefonwerbung
effektiv verhindern“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Das Erste war die Mehrheit. Damit ist die Be-
schlussempfehlung angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die
Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 17/3060 mit dem Titel „Un-
erlaubte Telefonwerbung wirksam bekämpfen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Auch diese Beschluss-
empfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 11 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Europäischen Be-
triebsräte-Gesetzes – Umsetzung der Richtli-
nie 2009/38/EG über Europäische Betriebsräte
– Drucksache 17/4808 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales
– Drucksache 17/5399 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Josip Juratovic
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeordne-
ten Josip Juratovic, Ottmar Schreiner, Anette
Kramme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Wirkungsvolle Sanktionen zur Stärkung von
Europäischen Betriebsräten umsetzen
– Drucksachen 17/5184, 17/5399 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Josip Juratovic
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An zweiter Stelle geht es darum, europäisches Recht also eine Richtlinie – umzusetzen. Das machen wir so,ie wir es im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDPereinbart haben. Wir setzen europäisches Recht eins zuins um. Wir denken uns nichts Zusätzliches aus undollen nicht europäischer sein als Europa. Herruratovic, ich werde ergänzend zu Ihren Änderungsvor-chlägen und dem Zusatzantrag noch etwas sagen. Wirind der Auffassung, dass wir nicht immer wieder inonntagsreden beklagen dürfen, dass es in Deutschlandinen Regelungswust gibt, dass uns Europa sozusagenen Krümmungsgrad der Gurke vorschlägt
nd dass unsere Regelungen immer detaillierter werden.as kann man nur dann einhalten, wenn man das euro-äische Recht so umsetzt, wie es vorformuliert ist, näm-ch eins zu eins, und das tun wir.
Deswegen werden die Begriffe Unterrichtung undnhörung erweitert und verbessert. Sie stellen eine Ver-flichtung zur rechtzeitigen Unterrichtung und Anhö-ng des Europäischen Betriebsrats vor einer endgülti-en Entscheidung des Unternehmens über eine geplante
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11723
Dr. Johann Wadephul
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Maßnahme sicher. Es entspricht dem Geist des Betriebs-verfassungsrechtes, dass der Unternehmer – bevor ereine Entscheidung trifft – den Betriebsrat hört und dieAnregungen, die Bedenken, die Sorgen, die Nöte und dieKritik, aber auch die Verbesserungsvorschläge der Ar-beitnehmerschaft, die durch den Betriebsrat artikuliertwerden, in seine Entscheidung aufnimmt und insoferneine noch bessere Entscheidung trifft.Wir definieren die länderübergreifenden Angelegen-heiten neu. Dies ist in den allgemeinen Teil der Richtli-nie übernommen worden und wird selbstverständlichauch in unseren deutschen Gesetzestext aufgenommen.Die Anhörung hat gezeigt, dass der Umsetzungsakt– wir als Koalitionsfraktionen wollen den vorliegendenGesetzentwurf redaktionell leicht verändern – übergrei-fende Anerkennung gefunden hat. Es kommt nicht jedenTag vor, dass sowohl die Arbeitgeber als auch die Ge-werkschaften einen Entwurf begrüßen. Ich darf denDeutschen Gewerkschaftsbund zitieren:Aus gewerkschaftlicher Sicht wird begrüßt, dassder GE überwiegend Änderungen und Ergänzungenzu Vorschriften des bislang geltenden EBRG ent-hält, mit denen die neue Richtlinie konform undumfassend umgesetzt wurde.So ein Lob hören wir gern. Da es auch von Arbeitgeber-seite kommt, glaube ich, dass der Gesetzentwurf insge-samt gelungen ist.Ich will noch etwas zu zwei Kritikpunkten sagen:Zum einen sind dies die Katalogtatbestände der soge-nannten nicht wesentlichen Strukturänderung. Weshalbbleiben wir bei diesen Katalogtatbeständen? Erstens.Wir bleiben dabei, weil die Sozialpartner dies ausdrück-lich gewünscht haben. Wir sind als Gesetzgeber gut be-raten, darauf zu hören und den Sozialpartnern dann,wenn sie sich einig sind und Rechtssicherheit haben wol-len, auch Rechtssicherheit zu gewähren und diesen Kata-log von wesentlichen Betriebsänderungen aufzunehmen.Zweitens. Wenn wir das herausnähmen, dann würdenwir nicht nur mehr Rechtsunsicherheit schaffen, sondernwir würden gerade durch den Akt des Herausnehmensdafür sorgen, dass aus meiner Sicht wesentliche Be-triebsänderungen mit einem Mal nicht mehr mitbestim-mungspflichtig wären, und das würde ich nicht wollen.Das Beispiel, das ein Sachverständiger genannt hat, istdie Fusion zweier Tochtergesellschaften eines größereneuropäischen Konzerns. Diesen Zusammenschluss würdeer für eine nicht wesentliche Strukturänderung halten.Ich sehe das anders. Ich bin der Meinung: Wenn zwei ju-ristische Personen, die durch ein Unternehmen verselbst-ständigt wurden, fusioniert werden, dann sind das we-sentliche Strukturänderungen. Das sollte dann auchaufgenommen werden.Ein weiterer Punkt: Die Sozialdemokraten schlagenvor, ein Zugangsrecht aufzunehmen. Hierzu möchte ichnur sagen, was wir auch schon im Rahmen der Aus-schussberatungen gesagt haben: In der Sache sind wiruns doch einig, liebe Kolleginnen und Kollegen von derSPD-Fraktion. Wir sind nur der Auffassung, dass diesnicht besonders gesetzlich geregelt werden soll. Es istfütrmmfrhBIhRHuTfiudteslebqKnA
Gerne, selbstverständlich.
Herr Kollege Dr. Wadephul, können Sie das Hohe
aus darüber aufklären, wie viele Finger Sie benötigen,
m die Präsenz der SPD-Bundestagsfraktion bei diesem
hema darzustellen?
Das hohe Interesse der sozialdemokratischen Fraktion
ndet seinen Ausdruck darin, dass besonders engagierte
nd qualifizierte Mitglieder dieser Fraktion heute bei
en Beratungen anwesend sind.
In diesem Sinne will ich auch die SPD-Fraktion bit-
n, noch einmal darüber nachzudenken, ob es ange-
ichts der doch in der Sache großen Einigkeit, Herr Kol-
ge Juratovic, nicht möglich ist, zuzustimmen, statt es
ei einer Enthaltung zu belassen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun erhält die eine Hälfte der anwesenden, besonders
ualifizierten Mitglieder der SPD-Fraktion in Gestalt des
ollegen Juratovic das Wort. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-en und Kollegen! Die Basis unserer Wirtschaft ist, dassrbeitnehmer und Arbeitgeber die meisten Entscheidun-
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11724 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Josip Juratovic
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gen im Betrieb gemeinsam treffen. Es gibt zahlreicheStudien, die belegen: Unternehmen mit Mitbestimmungsind erfolgreicher als Unternehmen, in denen der Arbeit-geber allein die Richtung vorgibt; denn die Mitarbeitersind motivierter, wenn sie wissen, dass ihre Arbeit undihre Meinung Wertschätzung erfahren.
Unser deutsches Wirtschaftswunder, zuletzt in derWirtschaftskrise, beruht auch auf Mitbestimmung. Dasvielgelobte Kurzarbeitergeld wäre ohne diese Zusam-menarbeit der Tarifpartner nicht möglich gewesen.Neben diesen wirtschaftlichen Gründen, die für mehrMitbestimmung sprechen, sprechen auch gesellschaftli-che Gründe dafür: In unseren Betrieben wird das hoheGut der Demokratie lebhaft umgesetzt. Dieses Gut müs-sen wir erhalten, schützen und ausbauen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dassdie Mitbestimmung von den allermeisten oft lobend undanerkennend in Reden erwähnt wird. Das ist wichtig;denn Mitbestimmung braucht politische Unterstützung.Auch die Kanzlerin spricht immer davon, wie wichtigdie Mitbestimmung für unsere wirtschaftliche Leistungist. Aber das deutsche Mitbestimmungsmodell, das soerfolgreich ist, darf nicht an den Grenzen haltmachen.Vielmehr brauchen wir europaweite Regeln für Mitbe-stimmung. Die Bundesregierung hat jetzt die Möglich-keit, sich auch auf europäischer Ebene für mehr Mitbe-stimmung einzusetzen, wie sie es immer in Sonntags-reden verkündet. Besonders wichtig ist das bei der Um-setzung der Richtlinie über Europäische Betriebsräte undbei den Verhandlungen zur Europäischen Privatgesell-schaft.In den Vorschlägen zur Europäischen Privatgesell-schaft, die derzeit diskutiert werden, ist die Mitbestim-mung nämlich völlig unzureichend geregelt. Die vorge-sehene Möglichkeit, Satzungs- und Verwaltungssitzaufzuteilen, wird dazu führen, dass Unternehmen ihrenSatzungssitz problemlos in Länder mit wenig Mitbestim-mungsrechten verlegen können. Die Regeln des Sat-zungssitzes sollen dann auch für den Rest des Unterneh-mens gelten. Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen nichtzulassen, dass das Erfolgsmodell Mitbestimmung aufdiese Weise ausgehebelt wird!
Ich fordere die Bundesregierung daher auf, in Brüsselim Sinne der Mitbestimmung und unserer Arbeitnehmertätig zu werden. Kolleginnen und Kollegen von Unionund FDP, ich bitte Sie: Nutzen Sie Ihren Einfluss auf dieBundesregierung, damit über Mitbestimmung nicht nurgeredet wird, sondern den Worten auch Taten folgen, dieallen Arbeitnehmern helfen!Die Europäische Privatgesellschaft ist nur ein Bei-spiel, um zu zeigen: Bei allen wirtschaftspolitischenÜberlegungen in Europa muss Mitbestimmung mitge-dacht werden. Es geht nicht, dass wir in Europa nur überWhmetrMfaDvrüprädWwnPlesjuRtissIhrepbwsdgdAwfasnanwfe
Auch bei der Richtlinie zu den Europäischen Be-iebsräten müssen wir zeigen, dass uns europaweiteitbestimmung ein wichtiges Anliegen ist. Die neuge-sste Richtlinie von 2009 war ein hartes Stück Arbeit.
ie deutsche Wirtschaft und besonders der Arbeitgeber-erband haben bei der Neufassung der Richtlinie keinehmliche Rolle gespielt. Es war harte Arbeit der euro-äischen Gewerkschaften, unterstützt von den Betriebs-ten vor Ort, und des Europäischen Arbeitgeberverban-es, bis es zu einer Einigung kam und der destruktiveiderstand der deutschen Arbeitgeber gebrochen war.Die Richtlinie ist letztendlich ein Kompromiss ge-orden. Der Europäische Gewerkschaftsbund konnte ei-ige Verbesserungen durchsetzen, aber bei mehrerenunkten sind wir als nationaler Gesetzgeber gefordert.Unsere Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Sozia-s am Montag zur Umsetzung der Richtlinie in deut-ches Recht hat mir gezeigt: Wir brauchen nicht nurristische Theorie, wenn es um die Umsetzung derichtlinie geht, sondern wir brauchen zuallererst wich-ge Erfahrungen aus der Praxis; denn die Politik darfich nicht nur an der Theorie abarbeiten, sondern mussich am praktischen Bedarf orientieren.
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung,r Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie magin juristisch gesehen korrekt sein, aber er geht amraktischen Bedarf der Europäischen Betriebsräte vor-ei. Ein Beispiel dafür ist das Zutrittsrecht. Es muss ge-ährleistet sein, dass besonders ausländische Europäi-che Betriebsräte, die nach Deutschland kommen, umie Mitarbeiter hier in einem Betrieb über Verhandlun-en im Europäischen Betriebsrat zu unterrichten, nichtaran gehindert werden, das Unternehmen zu betreten.us rein juristischer Sicht mag man sagen, dass dasohl kein Problem geben dürfte. Aber die praktische Er-hrung von Arbeitnehmern sagt uns, dass wir das ge-etzlich regeln sollten.
Ein zweites Beispiel dafür, dass wir die Richtlinieicht nur streng juristisch umsetzen dürfen, sondernuch den praktischen Blick brauchen, sind die Sanktio-en. Die Richtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaatenirksame, angemessene und abschreckende Sanktionenstlegen müssen. Der Gesetzentwurf sieht dafür, recht-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11725
Josip Juratovic
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lich korrekt, 15 000 Euro vor. Aber Kolleginnen undKollegen von Union und FDP, das zahlen die allermeis-ten Unternehmen doch aus der Portokasse. Diese Sank-tionen sind wirklich nicht abschreckend.
Wir brauchen aber Sanktionen, die Wirkung zeigen.Deswegen appelliere ich an Sie: Stimmen Sie unseremAntrag zu, um Ihren Gesetzentwurf besser zu machenund den Europäischen Betriebsräten mehr Chancen zuechter Mitbestimmung zu geben! Wie ich schon am An-fang gesagt habe: Mehr Mitbestimmung hilft allen Betei-ligten: wirtschaftlich und gesellschaftlich, aber auch reinrechtlich. Denn für alle Beteiligten ist es besser, klareRegeln zu haben, als nur unklare Bestimmungen.Kolleginnen und Kollegen, die Umsetzung der Richt-linie ist wichtig für die Arbeit der Europäischen Be-triebsräte. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung setztdie Richtlinie teils korrekt um. Jedoch fehlen einigeDinge, die wir Sozialdemokraten in unserem Antrag for-dern. Wir müssen die Richtlinie nicht nur rechtlich kor-rekt umsetzen, sondern wir müssen das Recht auch ge-stalten. Ein gutes Gesetz schaffen wir also, wenn unserAntrag in den Gesetzentwurf eingearbeitet wird.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Molitor das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! International tätige Unternehmen treffen ihreEntscheidungen nicht nur aus einer nationalen, sondernauch aus einer europäischen und weltweiten Perspektiveheraus. Deshalb ist es nur konsequent, dass die Mitbe-stimmung auf europäischer Ebene weiter gestärkt wird.Länder mit einer starken Mitbestimmungskultur wieDeutschland und die Niederlande zum Beispiel prakti-zieren die Einrichtung des Europäischen Betriebsratesganz selbstverständlich. Ein Unternehmen, das globalhandelt und denkt und sich international weiterentwi-ckeln möchte, wird das Potenzial dieses Gremiums zuschätzen wissen und es zum beiderseitigen Wohle auchnutzen wollen.Die Internationalisierung von Firmen hat auch zu ei-ner Weiterentwicklung der klassischen Aufgaben vonBetriebsräten geführt. Dabei sollten wir nicht nur aufden Krisenfall schauen, wenn es zum Beispiel um Perso-nalabbau geht. Das würde im Augenblick auch gar nichtzur Lage passen; denn wir haben heute gerade vernom-men, dass die Wirtschaftsforscher die Wachstumspro-gnose auf 2,8 Prozent angehoben haben. Das sind sehrgute Nachrichten. Diese guten Nachrichten beziehensWEdznmbRAtaBtewliAhlikmfoWmzdRefedSwEzhrakSssnd
enn ihm fällt eine aktive und verantwortungsvolle Rolleu. Er muss sich auch mit langfristig wirkenden Moder-isierungs- und Innovationsstrategien in den Unterneh-en auseinandersetzen, sie einbringen und mit voran-ringen.Die neu gefasste EU-Richtlinie von 2009 stärkt dasecht des Europäischen Betriebsrates auf Unterrichtung,nhörung und gestaltet Beteiligungsverfahren praxis-uglicher. Es wird sichergestellt, dass der Europäischeetriebsrat vor einer endgültigen Entscheidung der Un-rnehmensleitung rechtzeitig beteiligt wird. Auchurde klar definiert, wofür der Betriebsrat zuständig ist.Der vorliegende Gesetzentwurf setzt die EU-Richt-nie adäquat in nationales Recht um. Das haben in dernhörung am Montag auch die Experten bestätigt. Sieaben bestätigt, dass der Umsetzungsvorgang sich wirk-ch an die Vorgaben aus Brüssel hält. Die Zustimmungam auch von der Industriegewerkschaft Bergbau, Che-ie und Energie.Nur die SPD-Fraktion will mehr Regelungen, als er-rderlich sind. Sie will draufsatteln.
ir werden in Diskussionen mit Bürgern immer wiederal gefragt, warum denn Deutschland bei der Umset-ung von EU-Recht immer so übereifrig sein muss.
Man sollte auf die Empfehlungen der Experten hören,ie sagen, dass die Umsetzung den Anforderungen derichtlinie gerecht wird, auch wenn Sie, meine sehr ge-hrten Kollegen von den Oppositionsfraktionen, dies of-nsichtlich anders sehen und wiederholt thematisieren,ass eine Zusammenarbeit ohne das Festschreiben vonanktionen und Strafen im Gesetz nicht funktionierenird. Sie arbeiten hier leider immer nur mit Drohungen.
rkennen Sie doch einfach einmal an, dass ein Vorschlagur Umsetzung gelungen ist, anstatt Forderungen zu er-eben, die über das Ziel hinausschießen.Stattdessen legen Sie einen eigenen Antrag mit dembiaten Titel vor: „Wirkungsvolle Sanktionen zur Stär-ung von Europäischen Betriebsräten umsetzen“.
ie fordern ein Mehr an finanziellen Sanktionen zur Ab-chreckung. Sie fordern auch, bestimmte Rechte festzu-chreiben, damit Betriebsräte vor Gericht klagen kön-en. Das geht meilenweit an der Wirklichkeit vorbei;enn die Praxis zeigt, dass die Zusammenarbeit funktio-
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Gabriele Molitor
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niert. Das zeigt sich auch an der Zahl von mittlerweile960 Europäischen Betriebsräten, die arbeiten. Es zeigtsich auch an der sehr geringen Zahl von gerichtlichenStreitigkeiten.
Es gab gerade einmal vier einschlägige Fälle vor Ge-richt, und die liegen wiederum Jahre zurück. Erstmalsklagte der Europäische Betriebsrat von Renault im Jahre1997, als das Unternehmen eine Standortschließung ver-kündete, ohne dass der Betriebsrat durch vorherige Un-terrichtung oder Anhörung Kenntnis davon hatte. Dieweiteren drei einschlägigen Fälle gab es ebenfalls vorfranzösischen Gerichten.Die Regelungen im Gesetz lassen den Unternehmenviele Freiräume. Das ist auch wichtig und richtig. Sokönnen beispielsweise die Partner selbst festlegen, wiegroß der Betriebsrat sein soll und wie viele Mandate je-des Land erhält. Erst wenn keine Einigung stattfindet,greifen in einem zweiten Schritt die Regelungen des Ge-setzes. Allgemein verbindliche Vorgaben gibt es alsonicht, dafür den großen Vorteil, unternehmensspezifischhandeln zu können.Wir müssen schließlich anerkennen, dass die Einrich-tung eines Europäischen Betriebsrates einen zusätzli-chen Aufwand für Unternehmen bedeutet. Einge-schränkte Planungsfreiheit, ein großer zusätzlicherZeitaufwand und der Kostenfaktor sind hier zu nennen.Das gehört zur Ehrlichkeit dazu.
Im Vorfeld gab es auch kritische Themen, wie bei-spielsweise das Zutrittsrecht für ausländische europäi-sche Betriebsratsmitglieder. Die Richtlinie sieht ein sol-ches Zutrittsrecht nicht vor. Es bedarf an dieser Stelleauch keiner gesetzlichen Festlegung; denn dieses Rechtergibt sich aus der Aufgabe des Betriebsrates heraus.Lassen Sie mich zum Abschluss noch einen kurzenAusflug in die Praxis machen. Ich war in der vergange-nen Woche bei einem international tätigen Unternehmenin meinem Wahlkreis. Dort ist ein Europäischer Be-triebsrat selbstverständlicher Bestandteil des Unterneh-mens und als solcher gelebter Teil der Corporate Iden-tity.
Insofern kann ich die Befürchtungen der Opposition,ohne Sanktionen gehe nichts, nicht teilen. Stattdessenrufe ich Ihnen zu: Vertrauen ist die Basis für gute Zu-sammenarbeit.Vielen Dank.
LumrimnledgzAmdnm–cHHdDBzndwgpdHninInbSswbnBraegvn
er Grund: In Rumänien waren die Löhne niedriger. Deretriebsrat und auch der Europäische Betriebsrat hattenu dieser Zeit keine Informationen erhalten und warenicht ausreichend an dem Verfahren beteiligt worden, inem es um viele Arbeitsplätze ging. Ebenfalls betroffenaren viele Personen aus dem Umfeld.Immer wieder werden europaweit Arbeitnehmer ge-eneinander ausgespielt, und immer geht es um Arbeits-lätze. Aktuell gibt es ein Beispiel aus Niedersachsen,as heißt ALSTOM LHB. LHB steht für Linke-ofmann-Busch. Das ist ein altes, renommiertes Unter-ehmen hier in der Bundesrepublik Deutschland mit Sitz Salzgitter.
diesem Betrieb sollen 1 400 Stellen im Rohbau abge-aut werden. Das ist die Hälfte aller Beschäftigten. Dertandort in Salzgitter ist massiv gefährdet. Hier stelltich die Frage: Wenn so viele Arbeitsplätze abgebauterden, kann dann der Rest des Betriebes noch bestehenleiben und weitergeführt werden?Deutschlandweit sollen bei dem französischen Unter-ehmen ALSTOM 4 000 Beschäftigte in verschiedenenetrieben entlassen werden. Der Europäische Betriebs-t hat in dem Zusammenhang keine Möglichkeiten, zurzwingen, dass von ihm aufgezeigte Alternativen auf-egriffen und umgesetzt werden. Die Konzernleitungerweigert bisher mit Hilfe von Ausflüchten, sich mit ei-er Strategie zu befassen, die den Stellenabbau in den
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Jutta Krellmann
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Betrieben verhindert. Den Arbeitnehmern fehlt es anrechtlichen Mitteln, Informationen zu erzwingen und dieUnternehmensleitung dazu zu bringen, auf ihre gutenAngebote einzugehen. Eine Strafe in Höhe von15 000 Euro, wie von der Regierung vorgeschlagen, istPillepalle. Das zahlen die aus der Portokasse.Wir wollen ein Gesetz, das bei drohender Standort-verlagerung die Initiativrechte der Europäischen Be-triebsräte zur Sicherung der Arbeitsplätze für die Be-schäftigten stärkt. Wir wollen, dass nicht mehr gegen dieMenschen entschieden wird.
Wir wollen eine Mitbestimmung darüber, was, wie undwo produziert wird, weil das im Interesse der Menschenan den verschiedenen Standorten ist. Die EuropäischeLinke will eine Mitbestimmung bei der Frage, was woproduziert wird. Im Grunde fordern wir die Stärkung desEuropäischen Betriebsrates, und zwar nicht nur durchdie Revision einer Richtlinie. Wir wollen, dass grund-sätzlich überlegt wird, was man tun kann, um die Arbeit-nehmerrechte zu stärken.Die Unternehmen sind global tätig und werden dasauch weiterhin sein. Wir müssen den Arbeitnehmerneine gleich starke Position verschaffen, damit sie in derLage sind, mit den entsprechenden Unternehmensleitun-gen auf Augenhöhe zu verhandeln.
Wir als Linke werden dem Gesetzentwurf der Regie-rung nicht zustimmen, sondern uns enthalten. Wir wer-den dem Antrag der SPD zustimmen,
weil wir ihn richtig finden und der Meinung sind, dassdas ein Schritt in die richtige Richtung ist.Vielen Dank.
Die Kollegin Müller-Gemmeke hat für die FraktionBündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Die Geschichte der Europäischen Be-triebsräte ist eine Erfolgsgeschichte. Heute existieren eu-ropaweit etwa 900 Europäische Betriebsräte, davon circa160 in Deutschland. Ihr Engagement ist enorm wichtig.2009 trat die notwendige Neufassung der EU-Richtli-nie in Kraft. Auch das ist ein Erfolg. Es stimmt: Das warharte Arbeit. Die Rechte auf Anhörung und Unterrich-tung sind endlich klar definiert. Die Arbeitnehmerseitekann zur Gründung eines Europäischen BetriebsratsSachverstand aus den Gewerkschaften hinzuziehen, undduKwugSuliswlintuganSn1Ss–ridshösdgisispInDMvmh
Jetzt muss die Richtlinie in nationales Recht umgesetzterden. Die meisten Regelungen müssen eins zu einsmgesetzt werden. Diese Forderung erfüllt der vorlie-ende Gesetzentwurf weitgehend. Das ist allerdings eineelbstverständlichkeit. Es gibt auch nationale Spielräumend Kannbestimmungen. Durch die Nutzung dieser Mög-chkeiten könnten die Arbeitnehmerrechte weiter ge-tärkt werden, aber das war für die Bundesregierung dannohl doch zu viel. In der Expertenanhörung wurde deut-ch, dass manche Regelungen nicht präzise genug und ei-ige Punkte zu ergänzen sind. Mein Fazit ist: Der Gestal-ngsspielraum wurde von der Bundesregierung nichtenutzt. Ich möchte drei Beispiele nennen:Erstens. In der Richtlinie werden die Mitgliedstaatenufgefordert, wirksame, abschreckende und im Verhält-is zur Schwere der Zuwiderhandlung angemesseneanktionen festzulegen. Die Bundesregierung hat hierichts verändert. Sie bleibt bei einer Obergrenze von5 000 Euro Geldbuße.
eien Sie doch ehrlich: Für multinationale Konzerneind das Peanuts.
Eine Null dranhängen, genau.Zweitens. Wenn Europäische Betriebsräte nicht unter-chtet und angehört wurden, brauchen sie, gerade weiliese Sanktionen so schwach sind, zudem ein Unterlas-ungsrecht, damit die Umsetzung von Beschlüssen ver-indert werden kann.Drittens. Wie soll in der Praxis die Unterrichtung derrtlichen Arbeitnehmervertretungen durch die Europäi-chen Betriebsräte aussehen? Dafür müssen sie Zutritt zuen jeweiligen Betriebsstätten erhalten. Die Bundesre-ierung meint, dies sei implizit geregelt. Ich meine, dast zu wenig. Die Regelung des Zutrittsrechts im Gesetzt notwendig. Ansonsten sind Rechtsstreitigkeiten vor-rogrammiert.
dem SPD-Antrag werden diese Punkte aufgegriffen.eswegen werden wir diesem Antrag zustimmen.In dem Gesetzentwurf hingegen erkenne ich weitereängel. So macht die Bundesregierung beispielsweiseon einer Kannbestimmung zuungunsten der Arbeitneh-erseite Gebrauch. In Tendenzbetrieben sollen die An-örungsrechte der Europäischen Betriebsräte einge-
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Beate Müller-Gemmeke
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schränkt werden. Das ist nicht gerechtfertigt und auchnicht notwendig. Auch die Inhalte von Schulungen soll-ten präzisiert werden, damit die Europäischen Betriebs-räte ohne Probleme alle notwendigen Qualifizierungenerhalten.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Re-gierungsfraktionen, viele Unternehmen in der Europäi-schen Union sind grenzüberschreitend aktiv. Sie operie-ren global, sind vernetzt und treffen über Staatsgrenzenhinweg Entscheidungen. Die Arbeitnehmerseite sitzteinfach am kürzeren Hebel. Es ist unsere Aufgabe, ihreMitwirkungsrechte zu stärken, und es ist unsere Auf-gabe, auf nationaler Ebene das europäische Sozialmodellweiterzuentwickeln.Hier wäre mehr möglich gewesen, um die Sozialpart-ner besser auf Augenhöhe zu bringen. Deshalb werdenwir uns bei der Abstimmung über den Gesetzentwurfenthalten. Ich meine, die Europäischen Betriebsräte hät-ten mehr Unterstützung von der Bundesregierung ver-dient.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Straubinger für die Unions-
fraktion.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Wir sind in der zweiten und dritten Lesung des Entwurfseines Zweiten Gesetzes zur Änderung des EuropäischeBetriebsräte-Gesetzes, durch das die Richtlinie über Eu-ropäische Betriebsräte umgesetzt werden soll. Ichglaube, dass es ein Erfolg ist – Kollege Wadephul hat be-reits die Hauptschwerpunkte dargelegt – und eine Stär-kung der Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer in international tätigen Unternehmen be-deutet. Darauf sollten wir hier gemeinsam stolz sein.Es ist entscheidend, dass die Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer gestärkt werden. Sie können bezüglich ih-rer eigenen Anliegen tätig sein, werden über Betriebs-entscheidungen rechtzeitig informiert, und vor allenDingen können sie Mitwirkungsmöglichkeiten und An-hörungsmöglichkeiten ausschöpfen. Damit verbundensind umfassende Beratungs- und Bildungstätigkeiten derBetriebsräte; dies wird mit diesem Gesetz gestärkt. Es istnotwendig, dass wir eine Übergangszeit schaffen. ZumTeil wird ja beklagt, dass die bestehende Regelung bes-ser sei als die neue Regelung. In der Übergangszeit kannin eigener Zuständigkeit über alte Vereinbarungen neuverhandelt werden.Unter Betriebspartnerschaft in den Betrieben verste-hen wir gute Betriebsratsarbeit und darüber hinaus aucheuhglodfoinmmheliDbAagVnnreDwdruKsAnsIcSSvgsgbridöAwd
ies ist nämlich unterschiedlich zu bewerten. Hier ha-en Sie gekniffen. Auch die anderen Parteien, die diesenntrag unterstützen, haben nicht gesagt, wie hoch einengemessene Geldstrafe sein sollte. Sie alle verschwei-en in der Debatte jedoch, dass es möglich ist, einenerstoß gegen das Gesetz als Ordnungswidrigkeit mit ei-er Geldbuße oder auch mit einer Haftstrafe zu sanktio-ieren. Das ist das schärfste Schwert bei der Sanktions-gelung. Dies ist Bestandteil des bestehenden Gesetzes.eshalb bedarf es in diesem Gesetzentwurf keiner Aus-eitung der Sanktionsmöglichkeiten; das ist entschei-end.
Von der SPD-Fraktion wurde noch eine zweite Forde-ng aufgestellt; diese wurde in den Redebeiträgen derolleginnen Krellmann und Müller-Gemmeke unter-tützt. Die SPD-Fraktion fordert, dass im Gesetz einnspruch auf Unterlassung beteiligungswidriger Maß-ahmen festgeschrieben wird. Das würde aber die Zu-tändigkeiten in einem Unternehmen verwischen.
h frage mich, warum dies bei der Novelle 2002 vonPD und Grünen nicht umgesetzt wurde.
ie haben dies nicht eingebracht; seinerzeit wurde darauferzichtet. Also kann es nicht so falsch gewesen sein. Eseht eben auch um die Durchsetzung von unternehmeri-chen Entscheidungen. Das kann nicht nach dem Mottoehen, Frau Krellmann, das Sie vorhin in Ihrem Rede-eitrag dargestellt haben. Natürlich ist eine Umstruktu-erung, die mit Arbeitsplatzverlusten verbunden ist, fürie Betroffenen immer schmerzlich.Wahrscheinlich wird es dazu nie die Zustimmung desrtlichen Betriebsrates geben, ja nicht geben können.ber es wäre fahrlässig, wenn, weil nicht umstrukturiertird, der gesamte Betrieb von der Bildfläche verschwin-en würde. Wollen Sie wirklich, dass alle Arbeitnehme-
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Max Straubinger
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rinnen und Arbeitnehmer in einem Betrieb die Leidtra-genden sind? Wäre es dann nicht besser, eineUmstrukturierung, wenn sie notwendig ist, zur Rettungder noch verbleibenden Arbeitsplätze durchzuführen?Dies muss möglich sein, verehrte Kolleginnen und Kol-legen.
Ich möchte darauf hinweisen: Die Umstrukturierun-gen, die in den vergangenen drei, vier Jahren in der deut-schen Wirtschaft stattgefunden haben, haben in der Ge-samtbilanz letztendlich zu mehr und nicht zu wenigerArbeitsplätzen in Deutschland geführt. Darauf sind wirstolz.
Eines ist mir noch wichtig – darüber wurde immerwieder diskutiert –: Das Zutrittsrecht ergibt sich aus dernormalen Betriebsratstätigkeit. Dieses Thema wurdeauch auf europäischer Ebene andiskutiert, dann aber vonbeiden Sozialpartnern im Einvernehmen nicht mehr auf-gegriffen. Auch dies gehört mit zur Wahrheit.
Deshalb glaube ich, dass die Umsetzung gelungen ist.Ich kann allen Kolleginnen und Kollegen in diesem Ho-hen Hause nur die Zustimmung empfehlen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Europäische Betriebsräte-Gesetzes. Von der
Kollegin Müller-Gemmeke liegt mir eine Erklärung
nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Wir nehmen
sie entsprechend unseren Regeln zu Protokoll.1)
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt un-
ter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/5399, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 17/4808 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Unionsfrak-
tion und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der übrigen
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1) Anlage 3
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Doch mittlerweile ist das neun Monate her – ich betone:neun Monate –, und bisher ist nichts passiert. Aber vonsich aus – das wissen wir allmählich – wird der Handelnicht bereit sein, etwas zu ändern.Gestern erreichte mich beispielsweise eine Stellung-nahme des Einzelhandels. Zu unserer Forderung, diePraktikabilität des Verbots des Verkaufs unter Einstands-preis zu prüfen, heißt es dort: Das Verbot des Verkaufsunter Einstandspreis ist wettbewerbsökonomisch ver-fehlt und muss ersatzlos abgeschafft werden. – WenigBereitschaft also dort, wo es darum geht, die eigenenPfründe zu verteidigen.Doch es muss endlich etwas getan werden. Deshalbhaben wir unseren Antrag vorgelegt. Wir haben Ihnen,werte Kolleginnen und Kollegen von den Regierungs-fraktionen, die Arbeit abgenommen. Sie brauchen unse-ren Vorschlägen nur zuzustimmen.
In einer Pressemitteilung vom 14. Februar dieses Jah-res meldet das Bundeskartellamt eine Konzentration von85 Prozent des Absatzmarktes auf die vier größten Han-delsunternehmen – 85 Prozent bei vier Handelsunterneh-men! Das Bundeskartellamt hat inzwischen eine Sektor-untersuchung im Bereich des Lebensmittelhandelseingeleitet. Das begrüßen wir sehr; denn das ist notwen-dig, und das war auch eine unserer Forderungen.Die Situation am Lebensmittelmarkt ist extrem ange-spannt. Die Konzentration bringt auch den Lebensmittel-einzelhandel in eine gefährliche Machtposition gegen-über den Lieferbetrieben. Der Handel kann nämlichBedingungen diktieren, zu denen die Produkte abgenom-men werden. Unfaire Einkaufspraktiken wie Preisdrücke-rei bis unter Einstand, die Zahlung von Treueboni oderwillkürliche Auslistungen scheinen dabei keine Einzel-fälle zu sein.
Das geht zulasten des fairen Wettbewerbs, aber auchzulasten der Beschäftigten. Denn mit Verweis auf denPreisdruck vergeht in der Ernährungswirtschaft kaumeine Verhandlung ohne Forderung der Unternehmens-vertreter nach niedrigeren Löhnen und geringeren So-zialleistungen. Darauf wird Frau Hiller-Ohm nachhernoch eingehen.Am Ende der Kette stehen die Verbraucherinnen undVerbraucher. Auch sie leiden unter dem Konzentrations-prozess und dem Marktmachtmissbrauch. Für sie wird erin Angebotseinschränkungen und Qualitätseinbußenspürbar. Denn immer häufiger werden billigere Ersatz-stoffe in der Lebensmittelproduktion eingesetzt. Ichnenne da nur Klebeschinken, Analogkäse ohne Milchund Joghurt mit Aroma aus Holzspänen. Frischmilch istbeispielsweise zur Rarität geworden – sicher nicht, weildie Verbraucherinnen und Verbraucher keine Frisch-milch wollen. Sie ist nicht mehr im Angebot, weil diesogenannte ESL-Milch logistische und finanzielle Vor-tebsdsinzdbuMbderudfabtetedwMüghdisaasbkAvsusus
Der Kollege Dr. Nüßlein hat für die Unionsfraktion
as Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! „Fürire Lebensmittelpreise und transparente Produktions-edingungen – Gegen Missbrauch von Marktmacht“ lau-t der geradezu Beifall und Zustimmung heischende Ti-l Ihres Antrages. Ich gebe ganz offen zu, dass ich füras, was Sie in Teilen formuliert haben, insbesondereenn es um die Problembeschreibung geht, ein hohesaß an Sympathie habe. Ich habe mich zunächst einmalber diesen Antrag gefreut, weil die Probleme, die Sieerade eben auch beschrieben haben, im Lebensmittel-andel evident sind. Es gibt in der Tat eine Marktmachtes Handels, und wenn es eine solche Marktmacht gibt,t Missbrauch nicht von der Hand zu weisen. Es stimmtuch, dass davon auf der einen Seite die Lieferanten unduf der anderen Seite die noch verbliebenen mittelständi-chen Händler sowie natürlich auch deren Mitarbeiteretroffen sind, die dadurch unter einen gewissen Druckommen.Ich fand es nur ein bisschen schade, dass Sie in Ihremntrag in Richtung Ideologie abschweifen,
on sozialen und ökologischen Verbesserungen weltweitchwärmen
nd den Mindestlohn mit einbauen. Das, was Sie an die-er Stelle fabriziert haben, gehört wahrscheinlich auchnter die Kategorie Analogkäse. Mit Verlaub: Es wärechön gewesen, wenn Sie sich an dieser Stelle auf das ei-
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Dr. Georg Nüßlein
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gentliche Thema konzentriert hätten; denn das ist durch-aus wichtig. Weil Sie das nicht getan haben, finde ich esdurchaus richtig, dass die Federführung beim Ausschussfür Wirtschaft und Technologie liegen wird.
Wir werden uns auf das Wesentliche konzentrieren.„Konzentration“ ist dabei das Stichwort. Diese Konzen-tration hat über viele Jahre hinweg zugenommen. Sehrgeehrte Frau Vorrednerin, Sie haben es deutlich be-schrieben: Die vier größten Händler erwirtschaften in-zwischen 85 Prozent des Branchenumsatzes. Ich weiß,dass man an dieser Stelle differenzieren muss, weilREWE eine Mittelstandskooperation ist, aber natürlichhandelt es sich auch um eine Einkaufskooperation, so-dass auch hier natürlich Marktmacht auf den Beschaf-fungsmärkten ausgeübt werden kann. Das ist etwas, waswir nicht wegschieben dürfen.Es gibt eine Studie des Instituts für Handelsforschungund der BBE Retail Experts im Auftrag des Handelsver-bands Deutschland vom September 2009. Darin stehtfolgendes Ergebnis: Es gibt keine generelle Nachfrage-macht des Handels. Ich betone das Wort „generelle“.Keine generelle Nachfragemacht heißt: Es gibt in be-stimmten Konstellationen eben sehr wohl eine solcheMarktmacht. Diese wird teilweise auch missbraucht.Seit zwei Jahren gibt es ein Kartellverfahren gegenEdeka, das Plus von Tengelmann übernommen hat. Hierwird dem Verdacht nachgegangen, dass es den Versuchgab, über Boni von Lieferanten der Plus-Märkte denKaufpreis zu refinanzieren.
Das muss man sich einmal vorstellen: Es wird der Ver-such unternommen, das zu refinanzieren, was man ge-kauft hat, indem man die Lieferanten des aufgekauften,des akquirierten Unternehmens unter Druck setzt, Bonizu gewähren. Wenn sich das erhärtet – ich spreche aus-drücklich von einem Verdacht –, dann ist das natürlichschon etwas, das uns alle miteinander bedenklichstimmt. Das zeigt, dass es hier offenkundig ein ganzdeutliches Mittelstandsproblem gibt.Das Gegenargument ist, der Handel würde nur Spiel-räume ausloten, und das sei ja eben gerade das Kennzei-chen von Handel. Ich meine aber, hier stellt sich dieFrage des Kräftegleichgewichts. Das ist schwer herzu-stellen, eventuell auf der einen Seite durch Kooperatio-nen und auf der anderen Seite dadurch, dass diejenigen,die als Markenartikler die Finanzkraft haben, einen ent-sprechenden Pull-Effekt erzeugen können, sodass derHändler das Unternehmen letztendlich auch listen muss.Ich gebe zu: Wir in der Politik haben lange zuge-schaut. Das ist der Schwierigkeit dieses Themas, aberauch dem intelligenten Einsatz von Marktmacht an derStelle geschuldet, weil man sich eben nicht auf die Ab-satzmärkte bezieht, sondern weil der Druck auf der Be-schaffungsseite aufgebaut wird, das heißt, die Verbrau-cherpreise sind natürlich niedrig. Das kann man ganzdsmwgHsaDdm–VihkglenfüGdfawpFmdTRzaWhbnhIhFADhAden
Nur die Ruhe: Das kommt alles noch.Sie haben am Rande das Qualitätsbewusstsein dererbraucher angesprochen und darauf hingewiesen, wasnen alles vorgesetzt werde. Dazu sage ich offen: Dabeiommt es aber auch auf die Verbraucher selber an, dieerade im Lebensmittelbereich offenkundig gern vor al-m billig einkaufen wollen,
ach dem Motto „Geiz ist geil“. Das halte ich geradezur katastrophal. Diese Preissensibilität können wir alsesetzgeber aber sicherlich genauso wenig ändern wieas Bewusstsein derjenigen, die sich in dieser Fragelsch verhalten.
Sie haben die Instrumente angesprochen. Wie Sieissen, haben wir präventiv die Fusionskontrolle und re-ressiv die Missbrauchsaufsicht. Jetzt müssen wir dierage erörtern, ob der Gesetzgeber etwas tun kann, da-it die Vielfalt des Einzelhandels wieder entsteht undie Forderung Ludwig Erhards nach Wohlstand undeilhabe für alle auch in diesem Bereich wieder eineolle spielt. Das ist nicht trivial und auch nicht einfachu beantworten.Wir müssen bei der Achten Novelle dieses Gesetzesus meiner Sicht bei der Fusionskontrolle zu einemechsel von der Voraussetzung der Marktbeherrschungin zu der einer erheblichen Beeinträchtigung des Wett-ewerbs als Fusionshindernis kommen. Das ist aus mei-er Sicht ein Kriterium, das an der Stelle etwas weiter-elfen könnte.Was die Missbrauchsaufsicht angeht, schneiden Sie inrem Antrag die Nachweisproblematik an, die auf dierage hinausläuft: Wer traut sich, seinen erpresserischenbnehmer anzugehen und eine Auslistung zu riskieren?as ist insbesondere deshalb schwerwiegend, weil unab-ängig davon, ob man bei einer Beschwerde obsiegt, diebhängigkeit fortbesteht.Sie schlagen die Einrichtung einer Ombudsstelle vor,ie Beschwerden auch anonym aufnehmen sollte. Das istin interessanter Gedanke. Ich befürchte aber, dass erur bis zu einem bestimmten Punkt trägt. Denn an ir-
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Dr. Georg Nüßlein
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gendeiner Stelle in einem Verfahren müssen Ross undReiter genannt und gesagt werden, wem was widerfah-ren ist.
Deshalb wird das Problem dadurch nicht gelöst, wennich auch zugebe, dass ich an der Stelle etwas ratlos bin,wie man das letztlich hinbekommt.
Der bürokratische Wust, den Sie vorschlagen – nochmehr Informationspflichten, Herkunftsbezeichnungenund anderes –, ist mittelstandsfeindlich. Sie werden ge-nau denen, für die Sie sich angeblich einsetzen, damitnicht helfen. Auch das muss in aller Klarheit gesagt wer-den.
Es bringt auch nichts, dass Sie den Antrag mit Selbst-verständlichkeiten erweitern, indem Sie schreiben, derBund müsse soziale und ökologische Ausschreibungs-kriterien anwenden. Das haben wir bei der letzten No-velle diskutiert und gemeinsam entschieden, dass dieeigentlich vergaberechtsfremden Aspekte mit aufge-nommen werden, um den Ausschreibungsspielraum zuerweitern.Was mir mehr am Herzen liegt, ist die Frage, wie wirmit § 20 Abs. 3 und 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbs-beschränkungen umgehen. Es gibt nämlich für be-stimmte Instrumente Befristungen, die in naher Zukunftauslaufen. Ich meine, wir sollten im Interesse des Gan-zen diese Befristungen aufheben und die Instrumenteweiter einsetzen. Insbesondere mit dem Verkauf unterEinstandspreis müssen wir uns noch einmal intensiv be-schäftigen. § 20 Abs. 4 des Gesetzes, der diesen regelt,ist in einem Punkt befristet. Aber das Bundeskartellamtist, als es gegen Rossmann ging, böse auf dem Bauch ge-landet. Wir werden daher im Rahmen der Novellierungdes Gesetzes noch einmal darüber diskutieren müssen,wie man dieses Schwert schärfen kann. Dazu finde ich inIhrem Antrag leider nichts. Es wäre sehr hilfreich gewe-sen, wenn Sie hierzu einen Hinweis gegeben hätten.Stattdessen fordern Sie eine ganze Reihe von Studienein. Ich glaube, die zentrale Studie ist – diese wird in Ih-rem Antrag nicht genannt, aber Sie haben sie vorhin an-gesprochen – diejenige, die das Bundeskartellamt geradevorbereitet, nämlich eine Befragung der Unternehmenim Rahmen der Sektoruntersuchung. Das Ziel ist, dieAbläufe auf dem Markt nachzuvollziehen und Miss-stände zu ermitteln. Das Bundeskartellamt rechnet – am-bitioniert – mit einem Abschluss dieser Studie im Laufedieses Jahres. Wir sollten diese Studie abwarten unddann als Gesetzgeber, basierend auf den Ergebnissendieser Studie, entscheiden und dafür Sorge tragen, dassdas von Ihnen zu Recht angesprochene Problem zügigeiner Lösung zugeführt wird.Vielen herzlichen Dank.
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Wir wollen qualitativ hochwertige Produkte; diese ha-en ihren Preis. Letztendlich müssen die Menschen auchon ihrer Arbeit leben können, die Erzeuger genauso wieie Beschäftigten in der Lebensmittelindustrie oder derandwirtschaft.
ie müssen Löhne bekommen, die deutlich höher sindls das, was heutzutage in vielen Bereichen gezahlt wird.ie SPD plädiert in ihrem Antrag für einen Mindestlohn Höhe von 8,50 Euro. Das ist auf jeden Fall ein Schritt die richtige Richtung. Wir fordern 10 Euro. Ich be-ründe auch, warum. Bei einem Stundenlohn in Höheon 8,50 Euro kommt man auch bei 38 oder 40 Stunden der Woche höchstens auf 1 400 Euro im Monat. Wer der Stadt lebt, kann damit gerade die Miete und dieebenkosten begleichen. Aber dann bleibt zum Lebenicht mehr viel übrig. Daher ist es dringend notwendig,uch in der Lebensmittelwirtschaft und der Landwirt-chaft für Mindestlöhne einzutreten.
Aber das ist nicht alles. Zu den Forderungen nachehr Transparenz, die es den Verbraucherinnen und Ver-rauchern möglich machen sollen, ihren Einkauf nachozialen und ökologischen Kriterien selbstbestimmt vor-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11733
Karin Binder
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zunehmen, gehört, dass der Verbraucher weiß, woher einProdukt kommt. Es ist wichtig, dass er weiß, dass dieRosen, die bei uns so billig für den Muttertag oder auchfür den Valentinstag verkauft werden, in Kenia von Ar-beiterinnen für den Versand verpackt werden, die für56 Euro im Monat arbeiten. Diese Frauen arbeiten vonmorgens 7 Uhr bis abends 18 Uhr, und in den Hauptzei-ten arbeiten sie möglicherweise bis zu 18 Stunden amTag. Jedem hier im Raum ist klar, dass auch in Kenianiemand von 56 Euro im Monat existieren kann. Das al-les geschieht vor dem Hintergrund, dass diese Blumenso billig wie möglich sein müssen, damit die Super-märkte ihre Lockangebote finanziert bekommen.Es gibt darüber hinaus viele Menschenrechtsverlet-zungen im Zusammenhang mit schlechten Arbeitsbedin-gungen in den Erzeugerländern. Deshalb tragen die Un-ternehmen hier in Deutschland die Verantwortung nichtnur für das, was sie hier anstellen – ich erinnere nur da-ran, wie Lidl und Schlecker mit ihren eigenen Beschäf-tigten umgehen –
Kommen Sie bitte zum Schluss.
– ja, letzter Satz –, sondern es geht auch um die Ver-
antwortung dieser Unternehmen für die gesamte Liefer-
kette. Hier müssen wir sie in die Pflicht nehmen. Des-
halb bin ich der SPD für diesen Antrag dankbar, und ich
hoffe, dass die Beratung im Ausschuss mehr Zeit findet
als hier in der 30-minütigen Plenardebatte.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Schweickert
für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Frau Binder, Sie haben gerade das Thema „DerTante-Emma-Laden stirbt aus“ angesprochen. Dazumuss man aber fairerweise sagen: Wenn die Verbraucherimmer zu den Märkten auf der grünen Wiese fahren undnur dann, wenn sie den Zucker vergessen haben, dortmal kurz einkaufen gehen, dann können sich die kleinenEinzelhandelsgeschäfte natürlich auch nicht halten. Mandarf das Verbraucherverhalten in dem Bereich also nichtaußen vor lassen.
Ich komme zum Antrag. Was sind denn faire Lebens-mittelpreise? Ein fairer Preis entsteht eigentlich durchfunktionierenden Wettbewerb zwischen Angebot undNachfrage, so weit die Theorie. Diese Theorie ist auchganz wichtig; denn funktionierender Wettbewerb steigertQwMdbmmdcstrSribgiswdnbsdJZ8remhüHHisadnmmgm–famueü
Frau Drobinski-Weiß, es kann sich heute ein Händlerst nicht mehr leisten, manche dieser Produkte nichtehr zu haben. Das muss man einfach sehen,
nd deswegen ist es richtig, dass wir in diesem Bereichine Sektoruntersuchung durchführen und nicht allesber einen Kamm scheren, meine Damen und Herren.
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Dr. Erik Schweickert
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Nicht jede Auslistung ist nur mit Marktmacht zu begrün-den. Es gibt auch Sortiments- und Preisstrategien. Ichglaube, der richtige Weg ist, dieses Thema detailliert, gutund ordentlich anzuschauen. Ich halte es für richtig, dasswir diesen Weg gehen.Ich halte es übrigens auch für richtig, einen Ombuds-mann für den Lebensmitteleinzelhandel einzurichten.
Im Gegensatz zum Kollegen Nüßlein bin ich diesbezüg-lich gar nicht so negativ eingestellt. Natürlich ist eswichtig, erst einmal Anonymität herzustellen. Oftmalshaben Händler nicht nur ein Produkt im Angebot, son-dern mehrere. Häufig sind es die gleichen Konsorten, dieDruck ausüben. Davon betroffen sind nicht nur die je-weiligen Hersteller, sondern auch andere.Der große Vorteil eines Ombudsmannes ist es, dass erBeschwerdefällen anonymisiert nachgehen kann. Fühltsich ein Hersteller in Preisverhandlungen ungerechtfer-tigt benachteiligt, hat dieser eine Anlaufstelle, ohne Ge-fahr zu laufen, dass seine Produkte als Sanktion desHandels ausgelistet werden. Allein die Institutionalisie-rung eines Ombudsmannes ist der richtige Weg. Damitgreifen wir übrigens nicht in die Vertragsfreiheit ein, wasmanche fordern. Vielmehr wird somit ein Weg eröffnet,um aus diesem Dilemma herauszukommen.
Neben der Frage der Marktmacht behandeln Sie in Ih-rem Antrag noch andere Fragen. Dieser Antrag ist gera-dezu ein Sammelsurium von Einzelthemen, die meinesErachtens gar nichts mit der entscheidenden Frage, näm-lich der Marktmacht und ihrer Begrenzung, zu tun ha-ben, etwa Verbraucherinformationsgesetz, flächende-ckender Mindestlohn. Anscheinend darf es jetzt keinenSPD-Antrag mehr geben, in dem der flächendeckendeMindestlohn nicht gefordert wird. Erklären Sie mir bitteeinmal, inwiefern der flächendeckende Mindestlohn fürFriseure – ich weiß, gleich ruft Herr Kelber dazwischen –etwas mit Marktmacht im Lebensmitteleinzelhandel zutun hat.
Ich muss mich schon wundern, dass Sie in Ihrem An-trag schreiben:Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-rung auf … zu prüfen, wie das Verbot des Verkaufsvon Lebensmitteln unter Einstandspreis neu undpraktikabel geregelt werden kann …Das ist eigentlich eine Art verspäteter Offenbarungseid;denn bis 2012 gilt das Gesetz zur Bekämpfung vonPreismissbrauch im Bereich der Energieversorgung unddes Lebensmittelhandels. Es stammt aus dem Jahr 2007.Wer hat 2007 regiert? Ich kann daher nur staunen, dassdie SPD jetzt sagt, es müsse zu einer praktikablen Rege-lung kommen.
HeugbAmPdgsWwaseSdIcNeicsruadgIce
achdem wir heute im Bundestag dreimal von der FDP
ine Ablehnung der Mindestlöhne gehört haben, muss
h feststellen: Auf dem Land sind sie schon ein bisschen
chlauer.
Herr Schweickert, Sie haben das Wort zur Erwide-
ng.
Herr Kollege Kelber, Sie haben recht: Ich hatte Siengesprochen. Immer wenn ich rede, erwarte ich fast,ass Sie darauf mit einer Kurzintervention reagieren. Ir-endwie hatte ich Sie schon vermisst.Herr Kelber, was das Thema Mindestlöhne angeht:h bin ganz sicher jemand, dem es fernliegt, zu sagen,r stehe links. Ich bin der Meinung, dass jemand, der or-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11735
Dr. Erik Schweickert
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dentlich arbeitet, sprich: eine 40-Stunden-Woche hat,sich einmal im Jahr einen Urlaub leisten und ein ordent-liches Auto fahren können muss. Mit anderen Worten: Ermuss von seinem Gehalt ordentlich leben können. Dabin ich bei Ihnen.
Das ist eines unserer Ziele.Ich stelle mir allerdings die Frage: Sind Mindestlöhneder richtige Weg, dieses Ziel zu erreichen? Ist es nichtvielmehr so, dass den Menschen durch Mindestlöhne et-was weggenommen wird, etwa weil Arbeitsplätze insAusland verlagert werden? Kommt man durch Mindest-löhne diesem Ziel also womöglich nicht näher?Lassen Sie uns darüber streiten, wie der Weg dahinaussehen soll, dass die Menschen ein Mindesteinkom-men haben. Es ist eine etwas zu verengte Sichtweise, zuglauben, dass die Mindestlöhne der richtige Weg dahinsind.
Lassen Sie uns gemeinsam darüber streiten, wie dieZiele, die ich Ihnen genannt habe, erreicht werden kön-nen. Man sollte aber nicht einfach nur plakativ einen flä-chendeckenden Mindestlohn fordern. Es ist genau wiebei der Sektorenuntersuchung: Man muss sich die Sekto-ren einzeln anschauen, um zu erkennen, was man im je-weiligen Bereich zu tun hat.
Der Kollege Ostendorff hat für die Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Wer sich heute in der Gesellschaft umschaut, be-merkt einen klaren Bewusstseinswandel: Die Menschenleben bewusster, planen bewusster und konsumierenauch bewusster als vor 10 oder 20 Jahren. Das sagen Ih-nen alle Studien.Im heutigen Charta-Prozess bei Ministerin Aignersagte sogar der Chef des Vion-Fleischkonzerns, dass für77 Prozent der Verbraucher artgerechte Tierhaltungwichtig sei. „Geiz ist geil“ und „Hauptsache billig“ ha-ben zunehmend ausgedient.
Bürgerinnen und Bürger erkennen, dass die Preis-schilder in den Supermärkten oft nicht die soziale undökologische Wahrheit abbilden. Viele Billigproduktewären viel teurer, wenn die gesellschaftlichen Folgekos-ten der agrarindustriellen Produktion mit eingerechnetwPnRBlezDawdbEInPznASbreSMhabgBKuazesRmDOnedwteAtiaRtaafate
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11736 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Dr. Erik Schweickert [FDP]: Nicht von NRWsprechen!)
Vielen Dank, Herr Kollege. – Jetzt hat die Letzte auf
unserer Rednerliste, Frau Kollegin Gabriele Hiller-Ohm,
für die Sozialdemokraten das Wort. – Bitte schön, Frau
Kollegin.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Kollege Ostendorff, schade, dass Sie den ro-
ten Faden nicht erkennen können.
Ich glaube, das liegt daran, dass Sie ein Grüner und eben
kein Roter – so wie wir – sind.
Es ist schon erschreckend, dass sich gerade einmal
vier Handelsriesen praktisch den gesamten Lebensmit-
telmarkt aufteilen.
Sie alleine bestimmen, wohin die Reise geht.
In der Anhörung im letzten Juli ist sehr klar geworden,
was diese gigantische Monopolisierung im Einzelhandel
bedeutet: Qualitätsverfall und miese Löhne.
Die Leidtragenden sind die Angestellten in den Super-
märkten und Discountern.
Der Einzelhandel ist die größte Niedriglohnbranche
in Deutschland. 12 Prozent der Beschäftigten erhielten
2008 weniger als 5 Euro brutto. Besonders Frauen – sie
stellen 70 Prozent der Beschäftigten – sind Opfer der
miesen Löhne und schlechten Arbeitsbedingungen. Sie
arbeiten zu einem großen Teil in ungesicherten Mini-
jobs. Altersarmut ist vorprogrammiert. Das, meine Da-
men und Herren, werden wir nicht hinnehmen.
Wir fordern deshalb einen flächendeckenden gesetz-
lichen Mindestlohn von 8,50 Euro. Der würde schon
enorm helfen.
Der gewaltige Preisdruck, den die Supermarktgiganten
ausüben, verläuft entlang der gesamten Lieferkette der
Konzerne. Die unabhängige Hilfsorganisation Oxfam
weist seit Jahren auf schockierende Arbeitsbedingungen
in Asien und Mittelamerika hin. Es ist beschämend,
wenn beim Handelsriesen Metro Lieferanten in Indien
den Landarbeiterinnen gerade einmal 85 Cent bezahlen,
und zwar nicht pro Stunde, sondern für zehn bis zwölf
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Leider bleibt die Bundesregierung hier untätig. Wie
ie Antwort auf unsere Kleine Anfrage gezeigt hat, sieht
ie keinen Handlungsbedarf. Dabei waren sich fast alle
achverständigen in der Anhörung einig: Wir brauchen
egeln, um den Missbrauch von Marktmacht wirksam
inzudämmen. Die SPD legt deshalb – übrigens als ein-
ige Fraktion – einen umfassenden Maßnahmenkatalog
or.
Meine Kollegin Elvira Drobinski-Weiß ist schon auf
ine zentrale Forderung eingegangen: die Schaffung ei-
er unabhängigen Ombudsstelle. Diese Stelle soll auch
rmittlungen einleiten, wenn bei Einkaufspraktiken ei-
es Unternehmens negative Auswirkungen auf die Be-
chäftigten entlang der Lieferkette zu befürchten sind.
nternehmen wären dann auskunftspflichtig und die Er-
ebnisse der Untersuchungen öffentlich einsehbar.
Das führt zur zweiten zentralen Forderung: Insbeson-
ere große Unternehmen müssen verpflichtet werden,
erichte über die Wahrung der Menschen- und Arbeit-
ehmerrechte in der gesamten Wertschöpfungskette vor-
ulegen. Denn klar ist: Die bestehenden Selbstverpflich-
ngen von Unternehmen zur Einhaltung von fairen
rbeitsbedingungen reichen nicht aus.
atürlich sind Initiativen von Unternehmen wünschens-
ert, die sich freiwillig über das normale Maß hinaus für
re Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter engagieren. Des-
alb hatte Olaf Scholz als SPD-Arbeitsminister in der
roßen Koalition die nationale CSR-Strategie auf den
eg gebracht. Wir müssen aber den Druck erhöhen, dass
lle Unternehmen faire Arbeitsbedingungen einhalten.
ir müssen dafür sorgen, dass nur solche Unternehmen
ffentliche Aufträge erhalten, die soziale und ökologi-
che Mindeststandards im eigenen Betrieb und in der
ulieferkette einhalten.
Stärken wir auch diejenigen, auf die es im Markt
tztendlich ankommt, die Verbraucherinnen und Ver-
raucher! Wir fordern im Verbraucherinformationsge-
etz einen Informationsanspruch zu der Frage, ob sich
nternehmen fair verhalten, auch entlang der Zuliefer-
ette. Dann können Kunden beim Einkauf schwarzen
chafen die Rote Karte zeigen.
Vielen Dank, Frau Kollegin Gabriele Hiller-Ohm.Jetzt schließe ich die Aussprache.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11737
Vizepräsident Eduard Oswald
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Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 17/4874 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung istjedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und derFDP wünschen die Federführung beim Ausschuss fürWirtschaft und Technologie. Die Fraktion der Sozialde-mokraten wünscht die Federführung beim Ausschuss fürErnährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag derFraktion der SPD, also Federführung beim Ausschussfür Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz,abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor-schlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – DerÜberweisungsvorschlag ist abgelehnt.Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag derFraktionen der CDU/CSU und der FDP, also Federfüh-rung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie,abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor-schlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – DerÜberweisungsvorschlag ist angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 sowie Zusatzpunkt 5auf:13 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des § 522 der Zivilprozessordnung– Drucksachen 17/5334, 17/5388 –Überweisungsvorschlag:RechtsausschussZP 5 Erste Beratung des von den Abgeordneten IngridHönlinger, Jerzy Montag, Volker Beck ,weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur Änderung des § 522 derZivilprozessordnung– Drucksache 17/5363 –Überweisungsvorschlag:RechtsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.Erster Redner unserer Debatte ist der Parlamentari-sche Staatssekretär Dr. Max Stadler. Ich gebe ihm dasWort. Bitte schön, Herr Kollege Dr. Stadler.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Der § 522 Abs. 2 der Zivilprozessordnung ist seitlängerer Zeit Gegenstand einer heftigen rechtspoliti-schen Debatte. Nach dieser Regelung, die im Jahr 2002eingeführt worden ist, muss das Berufungsgericht inaussichtslosen Fällen die Berufung ohne mündliche Ver-handlung durch einen unanfechtbaren Beschluss zurück-weisen. Damit war seinerzeit eine Verfahrensbeschleuni-gung beabsichtigt. Dieses Ziel ist durchaus erreichtworden. Die Regelung wird aber dennoch von vielenBkChwguBinzfoseEAeNsWWsliriBdABaRwdfelacguRfümwxmnbW
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11738 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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Mit der Neuregelung besteht nunmehr eine Möglich-keit, im wahrsten Sinne des Wortes wieder rechtlichesGehör zu gewähren. Eine mündliche Erörterung bietetim Übrigen auch die Chance für die vergleichsweise Lö-sung eines Rechtsstreits, aber auch für Berufungsrück-nahmen, wenn im Rechtsgespräch dem Berufungsführerdie mangelnde Erfolgsaussicht seines Rechtsmittels dar-gelegt worden ist.Wir meinen daher, dass der Entwurf, den wir Ihnenvorlegen, einen ausgewogenen Kompromiss darstellt.Wir schaffen die Vorschrift nicht gänzlich ab, weil siedurchaus eine gewisse Beschleunigungswirkung hatteund auch künftig haben soll, sondern greifen einen Lö-sungsansatz auf, den die FDP-Fraktion bereits in derletzten Legislaturperiode vorgeschlagen hat. Wir glau-ben, dass damit die aufgetretenen Probleme aus der Pra-xis und das Bedürfnis der Bürgerinnen und Bürger, stär-keren Rechtsschutz zu erhalten, in einer sinnvollenWeise einer Lösung zugeführt werden. Ich würde michsehr freuen, wenn wir für unseren Entwurf eine breiteparlamentarische Unterstützung erhalten würden.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Jetzt als Nächste
auf unserer Liste aus der Fraktion der Sozialdemokraten
Frau Kollegin Sonja Steffen. – Bitte, Frau Kollegin
Steffen, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! „Irrend lernt man“, hat JohannWolfgang von Goethe einmal gesagt. Diese Weisheitsollte sich in der geplanten Änderung der Vorschrift des§ 522 Abs. 2 ZPO wiederfinden.Wir erinnern uns – der Staatssekretär Stadler hat jaschon darauf hingewiesen –: Im Jahre 2001 beschlossder Deutsche Bundestag eine praktisch sehr weitrei-chende Änderung des § 522 ZPO. Die Berufungsge-richte wurden berechtigt und verpflichtet, eine Berufungzurückzuweisen, wenn sie davon überzeugt sind, dassdie Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechts-sache keine grundlegende Bedeutung hat und die Fort-bildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitli-chen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungs-gerichts nicht erfordert.
– Ich weiß. Ich komme auch noch darauf zu sprechen.Der entscheidende Punkt der Vorschrift ist folgender:Der Zurückweisungsbeschluss nach § 522 ZPO ergehtohne mündliche Verhandlung, und er ist unanfechtbar.Den Rechtsuchenden ist also bislang der Weg zum Bun-desgerichtshof gegen den Zurückweisungsbeschluss ver-sperrt.spdbMhtrgtoresbsusdDkDdagBufodTBZruBarudZnBRinlikdnzSsBbBG
etroffene Kläger, denen eine mündliche Verhandlungnd der Gang zur Revisionsinstanz versperrt bleiben,rdern das ebenfalls. Dies wird beispielsweise auch anen vielen Petitionen deutlich, die dem Bundestag zumhema § 522 vorliegen.Es wird mit dem neuen Formulierungsvorschlag derundesregierung nicht gelingen, die unterschiedlicheurückweisungspraxis einzudämmen. Allein die Ände-ng des Wortlauts der Vorschrift von bisher „weist dieerufung … zurück“ zu „hat … zurückzuweisen“ wirdn der Praxis voraussichtlich nichts ändern.Die mit dem Änderungsvorschlag der Bundesregie-ng nun vorgesehene Nichtzulassungsbeschwerde be-eutet in der Praxis eine für alle Beteiligten vermeidbareusatzbelastung. Wenn der BGH zukünftig die Berufungach erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde an daserufungsgericht zurückverweist, bedeutet dies für denechtsuchenden einen zusätzlichen zeit- und gebühren-tensiven Umweg zum Erreichen des Ziels einer münd-chen Verhandlung. Herr Staatssekretär Stadler, das isteine Verbesserung des Rechtsschutzes. Ich meine auch,ass die Vorschrift insgesamt keine besondere Beschleu-igungswirkung – zumindest unter diesem Aspekt – hat.Darüber hinaus ist ein weiterer entscheidender Punktu nennen. Die meisten Kläger werden die Hürde dertreitwertgrenze bei der geplanten Nichtzulassungsbe-chwerde ohnehin nicht überwinden. Sie ist nur bei einereschwer von mehr als 20 000 Euro eröffnet. Dies ha-en Sie vorhin nicht dargestellt. Nach den Statistiken desMJ weisen jedoch 80 bis 90 Prozent aller anhängigenerichtsverfahren Streitwerte von unter 6 000 Euro auf.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11739
Sonja Steffen
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Der Gang zum BGH wird also nach der geplanten Geset-zesänderung ohnehin nur für 10 bis 20 Prozent der Fällemöglich sein. Die bestehenden Gerechtigkeitslückenwerden dadurch nicht geschlossen.Nun fordert der Bundesrat in seiner aktuellen Stel-lungnahme sogar, von der Einführung eines Rechtsmit-tels gegen den Zurückweisungsbeschluss ganz abzuse-hen. In der Begründung heißt es, gewichtige Gründe füreine Änderung seien nicht zu erkennen. Ignoriert werdendabei die Gerechtigkeitsdefizite, die durch die Vorschriftentstanden sind. Ignoriert wird auch die Rechtszersplit-terung durch die unterschiedliche Anwendungspraxisder Gerichte.Statt der Einführung eines Rechtsmittels schlägt derBundesrat übrigens die Einführung einer Ausnahmevor-schrift vor, nach der die mündliche Verhandlung aus An-gemessenheitsgesichtspunkten doch noch angeordnetwerden kann. Was bedeutet das in der Praxis? Wenn dasBerufungsgericht durch einstimmigen Beschluss zudem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen des§ 522 Abs. 2 ZPO vorliegen, dann wird es sich dochnicht im nächsten Schritt wieder umentscheiden undeine mündliche Verhandlung nun doch für angemessenund notwendig erachten.Der Vorschlag des Bundesrates ist daher abzulehnen,weil er den Anlass für das Änderungsbedürfnis nichtzielführend berücksichtigt. Er geht an der Beseitigungder Gerechtigkeitslücken vorbei.Daher fordern wir in unserem Antrag die Abschaf-fung des § 522 Abs. 2 ZPO, weil er sich in der Praxisnicht bewährt hat.
Den Parteien steht ein fairer Instanzenzug zu. Die Grü-nen fordern dies in ihrem Antrag ebenfalls. Ich hoffe,dass wir im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens auchdie Regierungskoalition von der Streichung der Vor-schrift überzeugen können.Nun möchte ich zum Abschluss noch auf eine weiteregeplante Regelung zu sprechen kommen. Das ist diebeabsichtigte Streichung des § 7 der Insolvenzordnung.Damit wären Rechtsbeschwerden gegen Entscheidungendes Insolvenzgerichts künftig nur noch statthaft, wenndas Beschwerdegericht sie zulässt. Diese Abschaffunghalten wir für ausgesprochen problematisch. Weder dieAnzahl der Verfahren noch die den Verfahren zugrundeliegenden Konflikte rechtfertigen diesen Schritt. Insol-venzverfahren sind für die Betroffenen fast immer vonwesentlicher persönlicher und wirtschaftlicher Bedeu-tung.Nach der geplanten Neuregelung werden zukünftigdurch eine Vielzahl von Landgerichten rechtskräftigeEntscheidungen getroffen, wodurch eine Zersplitterungder Rechtsprechung droht. Die Einführung dieser Vor-schrift hatte seinerzeit den Sinn, mit der Umsetzung derdamals neu erlassenen Insolvenzordnung eine höchst-richterliche Klärung durch den Gang zum BGH zu er-möglichen. Jedoch steht nun eine weitere Reform der In-stiklimNleKKgZ–FJtinmhbdfüngdriävhwglidfegliliAbinbdteg
Wir danken Ihnen, Frau Kollegin Steffen. – Als
ächster hat für die Fraktion der CDU/CSU unser Kol-
ge Dr. Jan-Marco Luczak das Wort. Bitte schön, Herr
ollege.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen undollegen! Wir diskutieren im Bundestag ja schon seiteraumer Zeit über die Regelung des § 522 Abs. 2 derivilprozessordnung. In der letzten LegislaturperiodeHerr Staatssekretär hat das schon angeführt – hat dieDP dazu einen Gesetzentwurf eingebracht. Anfang desahres haben wir über einen Antrag der SPD dazu debat-ert. Anfang der Woche haben nun auch die Grünen ei-en Vorstoß hierzu gemacht. Lassen Sie mich deswegenit einem ganz klaren Bekenntnis anfangen: Auch ichalte den aktuellen Rechtszustand, den uns § 522 Abs. 2ietet, für wirklich unbefriedigend.
Besonders die tragischen Einzelschicksale, wie etwaas der kleinen Deike – ich denke, wir kennen das alle –,hren uns allen vor Augen, dass die Zurückweisung ei-er Berufung im Beschlussverfahren tatsächlich zu Er-ebnissen führen kann, die in der Sache falsch sind undie niemand von uns will. Deswegen ist es auch absolutchtig, dass die christlich-liberale Koalition hier etwasndert.
Derzeit, meine Damen und Herren, sieht § 522 Abs. 2or, dass unter bestimmten Voraussetzungen – sie sindier schon genannt worden; das brauche ich nicht zuiederholen – eine Berufung im Beschlusswege zurück-ewiesen werden kann. Das führt dazu, dass eine münd-che Verhandlung nicht stattfindet. Vor allen Dingen ister Zurückweisungsbeschluss für den Kläger nicht an-chtbar.Obwohl § 522 Abs. 2 die kumulativen Voraussetzun-en abschließend und ohne die Eröffnung eines gericht-chen Ermessens darstellt, bestehen in der Praxis erheb-che regionale Unterschiede in seiner Anwendung.uch hierzu haben wir die Zahlen schon gehört. Ichrauche sie nicht mehr im Einzelnen anzuführen. Es gibt den einzelnen Gerichtsbezirken eine Spreizung vonis zu 20 Prozent. Nun kann man vielleicht trefflich überie Evaluierung der einzelnen Quoten streiten. Aber un-r dem Strich bleibt es dabei, dass die Handhabung re-ional sehr unterschiedlich ist. Das führt dazu, dass – je
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11740 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Dr. Jan-Marco Luczak
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nachdem, wo ein Kläger gegen ein erstinstanzliches Ur-teil Berufung einlegt – ein Rechtsschutzsuchender ganzunterschiedliche Chancen hat. Einmal kann er mündlichüber das erstinstanzliche Urteil verhandeln und ein ge-gen ihn ergehendes Berufungsurteil anfechten. Das an-dere Mal gibt es keine mündliche Verhandlung, und erhat keine ordentlichen Rechtsmittel mehr.Wir haben hier also eine Ungleichheit in der Rechts-anwendung. Das ist in der Tat ein Problem. Ich glaubezwar, dass das kein verfassungsrechtliches Problem ist,wie es hier zum Teil behauptet wird. Das Bundesverfas-sungsgericht hat sich ja mit der Frage des § 522 Abs. 2diverse Male beschäftigt und immer wieder bestätigt,dass das Beschlussverfahren als solches nicht zu bean-standen ist. Was aber in jedem Fall bleibt, ist ein Gerech-tigkeitsproblem. Da sage ich: Wenn es auch nicht verfas-sungsrechtlich zwingend notwendig ist, dass wir hieretwas machen, so ist es doch ein rechtsstaatlich gebote-ner Auftrag an uns, hier etwas zu tun, hier zu handeln.
Es stellt sich nun die Frage: Wie handeln wir? Wie be-seitigen wir diesen unbefriedigenden Rechtszustand?Die SPD und seit wenigen Tagen ja nun auch die Grünenschlagen vor, das Beschlussverfahren ersatzlos abzu-schaffen. Das ist doch – das muss man auch einmal fest-halten – einigermaßen erstaunlich. Meine Damen undHerren, hier lohnt sich einmal ein Blick in die Vergan-genheit. SPD und Grüne schlagen uns heute die Strei-chung einer Regelung vor, die im Rahmen der ZPO-Re-form 2001 geschaffen wurde.
Sie schlagen also die Streichung einer Regelung vor,die unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung,also in ihrer eigenen Verantwortung, ins Werk gesetztwurde.
Meine Damen und Herren, es ist noch keine zweiJahre her, da hat die SPD-Justizministerin Zypries hierim Plenum vehement diese rot-grüne Reform, die Rege-lung der Zurückweisung durch Beschluss, als – wörtlich –ordentliche Reform, die voll akzeptiert werde, verteidigt.Jetzt sagen Sie einfach: Abschaffen!Die Kollegin Steffen – wir haben es gerade gehört;wir hatten die Diskussion Anfang des Jahres auch schoneinmal – stellt auf einmal verwundert fest, dass die rot-grüne Vorschrift des § 522 Abs. 2 besonders anfällig fürVerletzungen des verfassungsrechtlichen Anspruchs derParteien auf rechtliches Gehör sei und dass sich derRechtsuchende der Willkür und der alleinigen Entschei-dungsbefugnis der Richter ausgeliefert sehe. Meine Da-men und Herren, ich sehe nicht, welche bahnbrechendenRechtserkenntnisse Sie auf einmal in den letzten Jahrengewonnen haben, die nicht schon bei der Debatte imJahre 2009 vorlagen und die Sie jetzt zu einer 180-Grad-Wendung veranlassen. Das hat mit glaubwürdiger undkonsistenter Politik nichts mehr zu tun.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11741
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Ich glaube, es ist richtig, den Zurückweisungsbe-schluss, also die schnelle Rechtskraft, für die Fälle zu er-halten, in denen die Berufung tatsächlich ohne Aussichtauf Erfolg ist.
Denn sonst stünde zu befürchten, dass vermehrt Beru-fung wieder nur deswegen eingelegt würde, um das Ver-fahren zu verzögern und die Vollstreckung eines zuRecht titulierten Anspruchs zu vereiteln. Dazu wollenwir aber keine Anreize setzen. Wir wollen, dass die inerster Instanz erfolgreiche Partei möglichst schnell Klar-heit über die Endgültigkeit ihres Obsiegens und damitRechtssicherheit hat. Die christlich-liberale Koalitionverfolgt deshalb einen anderen Weg als SPD und Grüne,einen Weg, der die Schwächen des jetzigen §-522-Ver-fahrens beseitigt, gleichzeitig aber die Vorteile der ZPO-Reform bewahrt. Unsere Lösung schafft einen Ausgleichzwischen den Interessen von Kläger und Beklagtem undnimmt zudem auch Rücksicht auf die Belastung der Ge-richte.Mit unserem Gesetzentwurf stellen wir zunächst klarerden zwingenden Charakter des § 522 Abs. 2 ZPO heraus;denn wenn seine Voraussetzungen vorliegen, muss dasBerufungsgericht einen Zurückweisungsbeschluss erlas-sen. Unterschiede bei der Anwendung, die daraus resul-tieren, dass ein Gericht vermeintliches Ermessen ausübt,werden so in der Praxis gemindert. Zugleich ermöglichenwir die Durchführung einer mündlichen Verhandlung inden Fällen, wo dies angemessen ist. Nach meiner Über-zeugung ist eine mündliche Verhandlung immer dann an-gemessen, wenn deren rechtsstaatliche Funktion, nämlichdie Befriedung der Parteien, die Schaffung von Akzep-tanz für gerichtliche Entscheidungen oder die Gewährungrechtlichen Gehörs, dies erfordert. Das ist unter anderemdann der Fall, wenn es um existenzielle Fragen geht, inArzthaftungssachen zum Beispiel. Ich hatte den Fall„Deike“ vorhin schon erwähnt. Dieser wird zukünftigmündlich zu verhandeln sein. Aber auch wenn ein erstins-tanzliches Urteil zwar in der Sache, also im Ergebnis,richtig sein mag, aber die Begründung nicht hinreichendoder vielleicht sogar falsch ist, wird in diesen Fällenmündlich zu verhandeln sein. Ich habe großes Vertrauenin unsere Richterschaft – Vertrauen, dass sie um diesenrechtsstaatlichen Wert, den eine mündliche Verhandlungdarstellt, weiß und entsprechend großzügig mit der Rege-lung des § 522 Abs. 2 ZPO umgehen wird.Schließlich lassen wir für Zurückweisungsbeschlüssemit einer Beschwer über 20 000 Euro die Nichtzulas-sungsbeschwerde zu. Damit stellen wir sicher, dass beihöheren Streitwerten die Spruchpraxis der Berufungsge-richte einer höchstrichterlichen Kontrolle unterliegt.Meine Damen und Herren, ich erspare Ihnen jetzt dieprozessualen Details. Im Kern aber kann der BGH zu-künftig über die Nichtzulassungsbeschwerde überprüfen,ob das Berufungsgericht § 522 Abs. 2 ZPO und auch diedarin festgelegten Voraussetzungen für den Erlass einesZurückweisungsbeschlusses richtig angewendet hat.Wenn das Berufungsgericht verkannt hat, dass eine Sachegrundsätzliche Bedeutung hat oder dass eine Entschei-deddliHZgemSGZAhmwdfuMrisemAsdriwlezndbNVaweobHnRdngnbüd
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11742 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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Ich komme zum Schluss. Es bleibt festzuhalten: DerGesetzentwurf der christlich-liberalen Koalition behältdie positiven Effekte der ZPO-Reform bei. Wir beseiti-gen aber die Schwachstellen der rot-grünen Reform. Wirverbinden die Ziele individueller Rechtsschutz, Entlas-tung der Gerichte und eine schnellere Rechtskraft in ei-nem wirklich ausgewogenen Kompromiss. Dafür bitteich Sie herzlich um Ihre Zustimmung.Danke schön.
Vielen Dank, Herr Kollege.
Als nächster Redner spricht von der Fraktion Die
Linke unser Kollege Raju Sharma. – Bitte schön, Herr
Kollege Sharma.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute ist schon mehrfach gesagt worden, dass dies ein
wirklich spannendes rechtspolitisches Thema ist. Es geht
um § 522 ZPO, der es erlaubt, dass eine Berufung ohne
mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückgewie-
sen werden kann, und dieser Beschluss ist dann noch
nicht einmal anfechtbar. Fertig! Wieder wurde ein
Rechtsstreit einfach und ohne großen Aufwand für im-
mer erledigt. Kurzer Prozess!
Alle Fraktionen sehen hier Handlungsbedarf; denn
diese Vorgehensweise widerspricht dem Interesse der
Bürgerinnen und Bürger an einem effektiven Rechts-
schutz.
Entschiede das Gericht in dem gleichen Rechtsstreit nicht
durch einen Beschluss, sondern durch ein Urteil, wäre ge-
gen die Zurückweisung der Berufung wenigstens eine
Nichtzulassungsbeschwerde möglich. Mehr als 100 Jahre
kamen wir ohne diese Regelung aus. Doch im Jahr 2001
– das wurde schon gesagt – versuchte Rot-Grün, die
Rechtsmittelmöglichkeiten neu zu gestalten, um die Ge-
richte zu entlasten. Das haben wir neun Jahre lang auspro-
biert. Jetzt müssen wir feststellen: Das Ziel wurde ver-
fehlt. Für alle, die bei den Gerichten Rechtsschutz
suchen, ist § 522 ZPO ein Fluch und kein Segen. Auch die
gewünschte Entlastung der Gerichte trat nicht ein. Da-
rüber hinaus – auch das wurde heute schon gesagt – wird
diese Vorschrift ungleich angewandt. Je nach Bundesland
erledigen manche Oberlandesgerichte 4 Prozent ihrer
Verfahren nach § 522 ZPO und andere über 27 Prozent.
Das ist nicht in Ordnung. Das ist ungerecht.
Wo Menschen arbeiten, werden Fehler gemacht. Das
ist in der Regel nicht schlimm. Wir müssen nur daraus
lernen. Mit dem Regierungsentwurf wird aber lediglich
versucht, die gröbsten Patzer etwas zu glätten. Dafür
werden an § 522 Abs. 2 und 3 ZPO kosmetische Korrek-
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eshalb sollten Union und FDP nicht die Fehler vergan-
ener Wahlperioden wiederholen. Tun Sie das Richtige,
nd wickeln Sie die verkorkste Reform ab. Streichen Sie
ie Absätze 2 und 3 in § 522 ZPO!
Danke schön.
Vielen Dank, Herr Kollege Sharma.
Jetzt spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
nsere Kollegin Ingrid Hönlinger. – Bitte schön, Frau
ollegin.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Meine Vorrednerinnen und Vorredner habenchon viel Bedenkenswertes zu § 522 ZPO gesagt. Wirlle wissen: Im Jahr 2002 wurde die Vorschrift einge-hrt, um die Gerichte zu entlasten und Rechtsmittelver-hren zu beschleunigen. In den letzten Jahren haben wirerschiedene Erfahrungen damit gemacht. Auf derrundlage dieser Erfahrungen nehmen auch wir Grünenine Neubewertung der Vorschrift vor.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11743
Ingrid Hönlinger
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Wir alle wissen: Für Betroffene endet der Rechtswegabrupt, wenn sie durch schriftlichen Beschluss mitgeteiltbekommen, dass ihre Berufung zurückgewiesen wird,weil es keine Aussicht auf Erfolg gibt, weil die Rechts-sache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weil kein Er-fordernis einer Fortbildung des Rechts vorliegt oderkeine Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsprechungerforderlich ist. Es findet keine mündliche Verhandlungstatt. Der Rechtsweg ist endgültig beendet und damitauch der Zugang der Bürgerinnen und Bürger zumRecht. Diese Rechtspraxis ist bedenklich. Deswegen dis-kutieren wir heute zu Recht über diese Vorschrift.
Ein weiteres Problem ist – das wurde schon gesagt –,dass § 522 ZPO von den Berufungsgerichten sehr unter-schiedlich angewandt wird. Die Diskrepanz liegt bei un-gefähr 22 Prozent; der Herr Staatssekretär hat das Bei-spiel schon angeführt. Das Oberlandesgericht Bremenweist 5,2 Prozent der Berufungsverfahren durch schrift-lichen Beschluss zurück, während das OberlandesgerichtRostock sehr viel überschwänglicher damit umgeht und27,1 Prozent der Verfahren durch schriftlichen Beschlussbeendet. Diese Diskrepanz besteht, obwohl § 522 Abs. 2zwingenden Charakter hat und es keinen Spielraum beider Anwendung gibt. Für die Betroffenen, aber auch fürjuristische Expertinnen und Experten wie auch für unsist es unbegreiflich, dass eine zwingende Vorschrift einederart unterschiedliche Handhabung erfährt.Wir diskutieren heute auch über den Gesetzentwurfder Bundesregierung. Er beinhaltet unter anderem Fol-gendes:Erstens. Eine mündliche Verhandlung findet nichtstatt, wenn sie nicht angemessen ist. Das Wort „ange-messen“ ist aus unserer Sicht ein weiterer unbestimmterRechtsbegriff, der wieder dazu einlädt, dass die Beru-fungsgerichte die Vorschrift unterschiedlich handhaben.Zweitens. Die Nichtzulassungsbeschwerde, mit derdie Betroffenen gegen den zurückweisenden Beschlussvorgehen können, wird eingeführt; dies ist aber erst abeinem Beschwerdewert von 20 000 Euro möglich. Da-mit ändert sich für einen Großteil der Betroffenen nichts.Ihr Rechtsweg ist nach wie vor beendet, wenn derschriftliche Beschluss vorliegt. Wir führen den Bürgerin-nen und Bürgern damit vor, dass wir uns um ihre finan-ziellen Angelegenheiten nur dann vollumfänglich küm-mern, wenn es sich um einen relativ hohen finanziellenBetrag handelt. Dies ist aus unserer Sicht nicht ausrei-chend, um soziale Gerechtigkeit herzustellen.
Der Änderungsvorschlag greift also aus unserer Sichtzu kurz. Wir meinen: Alleinige Abhilfe bietet eine voll-ständige Abschaffung von § 522 Abs. 2 ZPO. Dannwürde in jedem Fall eine mündliche Verhandlung statt-finden.Der Richter bzw. die Richterin kann sich ein persönli-ches Bild von den Parteien machen, eventuell noch aufekwfazdcGDreBmtiUlatewvBmwcwRgludGwd
Gestatten Sie noch eine Frage der Frau Kollegin
yckmans?
Aber gern.
Bitte schön, Frau Kollegin.
Frau Kollegin, Sie haben gesagt, es sei eine Unge-
chtigkeit, eine Nichtzulassungsbeschwerde bei einem
etrag von über 20 000 Euro einzuführen. Können Sie
ir erklären, wieso Sie meinen, dies sei eine Ungerech-
gkeit? Können Sie mir erklären, wie es sich bei einem
rteil verhält, wann also bei einem Urteil die Nichtzu-
ssungsbeschwerde gegeben ist?
Das ist bei einem Urteil genau dasselbe. Aber das Ur-
il setzt die mündliche Verhandlung voraus. Hier gehen
ir von dem Fall aus, dass der schriftliche Beschluss
orliegt. Nach unserer Auffassung ist es notwendig, im
erufungsverfahren eine mündliche Verhandlung zu er-
öglichen, um umfassendes rechtliches Gehör zu ge-
ährleisten.
Vielen herzlichen Dank. – Ich schließe die Ausspra-he.Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzent-ürfe auf den Drucksachen 17/5334 und 17/5363 an denechtsausschuss vorgeschlagen. Die inzwischen vorlie-ende Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stel-ngnahme des Bundesrates auf Drucksache 17/5388 zuem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll wie deresetzentwurf überwiesen werden. Gibt es dazu ander-eitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann sindie Überweisungen so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten HaraldWeinberg, Dr. Martina Bunge, Dr. Ilja Seifert,
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11744 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Vizepräsident Eduard Oswald
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weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEErgebnisoffene Prüfung der Fallpauschalen inKrankenhäusern– Drucksache 17/5119 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst derKollege Harald Weinberg für die Fraktion Die Linke. –Bitte schön, Herr Kollege Weinberg.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Das Thema, umdas es jetzt geht, ist sicherlich kein Thema für politischeFensterreden – vielleicht behandeln wir es auch deshalbum diese Uhrzeit –: die Begleitforschung zur Einführungder Fallpauschalen in der Krankenhausfinanzierung.Mit der Einführung der Fallpauschalen in der Kran-kenhausfinanzierung zwischen 2003 und 2005 wurdendie Leistungen im Krankenhaus nicht mehr nach der Lie-gezeit, sondern pauschal nach Diagnosen vergütet, aufEnglisch DRGs genannt. Das war ein vollkommenerSystemwechsel in der Krankenhausfinanzierung und an-gesichts eines Volumens von immerhin 34 bis 35 Pro-zent der gesamten GKV-Ausgaben ein dicker Brocken,der bewegt worden ist.Die Begleitforschung, die gesetzlich vorgeschriebenwar, sollte die Einführung dieses neuen Vergütungssys-tems begleiten. Es sollte um die Wirkungen der DRG-Einführung gehen: auf die Verweildauer in den Kranken-häusern, das Aufnahme- und Entlassungsverhalten, dieAufbau- und Ablauforganisation, die Wirtschaftlichkeitder Einrichtungen, mögliche Verlagerungen von Leis-tungen auf andere Leistungserbringer, die Auswirkungenauf die Qualität der Leistungen, aber auch die Auswir-kungen auf die Arbeitsbedingungen der im KrankenhausBeschäftigten und die Zufriedenheit der Patientinnenund Patienten sowie der Beschäftigten.Als Begleitforschung hatte sie den Anspruch, einFrühwarnsystem zu sein. Der erste Forschungsberichtwurde im März 2010, also im letzten Jahr, vorgelegt. Erist über 800 Seiten dick und umfasst als Untersuchungs-zeitraum die Zeit von 2004 bis 2006, also die erste Phaseder Einführung dieses Vergütungssystems. Allerdings er-folgte die Ausschreibung zu dieser Begleitforschung erst2008. Das beauftragte Institut, das IGES, konnte erst imJanuar 2009 mit der Arbeit beginnen. Daher verwundertfolgende Aussage aus dem Forschungsbericht nicht – ichzitiere –:Die Funktion eines „Frühwarnsystems“ kann dieBegleitforschung sechs Jahre nach Systemeinfüh-rung nicht mehr wahrnehmen.DgridEsZdjezDaridupvfocdeudmehUesdgEcdFTrinznFd
nsere Vorschläge dazu sind, einen Sachverständigenratinzurichten oder, wie Herr Braun in der Anhörung ge-agt hat, eine Untergruppe des bestehenden Sachverstän-igenrats zu bilden, um die methodischen Voraussetzun-en zu schaffen, Hypothesen und Fragestellungen unterinbeziehung der von mir genannten Aspekte zu entwi-keln, und eine Geschäftsstelle im BMG einzurichten,ie den Prozess überwacht und auf die Einhaltung derristen achtet.Ich denke, es ist ein nur wenig politisch aufgeladeneshema. Es hat bereits bestimmte andere Forschungsbe-chte gegeben. Wir als Linke haben durch die Ergeb-isse in Berichten anderer Forschungsinstitute durchausur Kenntnis nehmen müssen, dass einige unserer An-ahmen und Befürchtungen im Zusammenhang mit demallpauschalensystem so nicht eingetreten sind. Ichenke da beispielsweise an das Thema „blutige Entlas-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11745
Harald Weinberg
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sungen“. Das hat sich nicht bestätigt, und das ist auchgut so.
Nun werden wir dadurch nicht gleich zu Fans einesDRG-Systems; aber wir haben dazugelernt. Wir lernengern immer weiter dazu, aber bitte, wenn es irgend geht,auf einer validen, gründlich erhobenen und soliden Da-tenbasis.Vielen Dank.
Wir danken Ihnen, Herr Kollege Weinberg.
Als Nächster auf unserer Rednerliste steht unser Kol-
lege Lothar Riebsamen für die Fraktion der CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Mit einem Umsatz von 65 MilliardenEuro und 1,1 Millionen Beschäftigten in 2 000 Kranken-häusern in unserem Land ist das Krankenhauswesennicht nur der bedeutendste Faktor im Bereich des Ge-sundheitswesens, sondern ein sehr bedeutender Faktorinsgesamt in unserer Wirtschaft – national, aber auch lo-kal, wenn es um Arbeitsplätze in den Landkreisen undden Städten geht, in denen diese Krankenhäuser stehen.Es ist richtig und gut, dass wir eine gute medizini-sche, bauliche und personelle Ausstattung in diesenHäusern haben. Deswegen ist es aber auch wichtig, dasswir ein zeitgemäßes Abrechnungssystem und eine zeit-gemäße Kalkulation haben. Das war mit der alten Bun-despflegesatzverordnung aus dem Jahr 1972 nicht derFall. Diese wurde dem Anspruch an diese kompliziertenEinrichtungen bei weitem nicht mehr gerecht. Es warnicht vernünftig, einfach nur Übernachtungen zu zählenwie in einem Hotel
und die Patienten, wenn die vereinbarten Berechnungs-tage nicht erreicht wurden, über das Wochenende dazu-behalten. Das war einfach nicht zeitgemäß.Wir haben mit den DRGs erstmals ein differenziertesPreissystem, das Transparenz schafft – Transparenz nachinnen für die Kalkulation und das interne Rechnungswe-sen, aber auch nach außen für die Kostenträger und diePatienten. Die Einführung dieses Systems war wichtigzur Finanzierung und Sicherung des GKV-Systems;denn durch die Einführung der Fallpauschalen hat auchWettbewerb im deutschen Krankenhaussystem Einzuggehalten. Nun haben wir – Herr Weinberg, Sie haben dasangedeutet – vielleicht noch nicht ganz eine gemeinsameSprache gefunden; aber ich denke, wir haben durchauseine gemeinsame Grammatik, was diese Punkte anbe-langt. Wir haben nie behauptet, dass das DRG-Systemeine Patentlösung bzw. ein Königsweg ist. Wir habenimmer gesagt – so steht es auch im Gesetz –, dass es sichuimsB2eBhgàFdsDhuddaictiwdz„ddksGmpddsteBfuDwririfucKSzGdlee
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11746 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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schehen müsste es als Folge daraus nämlich zu Preissen-kungen kommen, die im System der DRGs aber natür-lich nicht vorgesehen sind.Eine wichtige Erkenntnis ist sicher auch, dass diedurchschnittliche Preissteigerung im Krankenhausbe-reich im Berichtszeitraum lediglich bei 1,4 Prozent jähr-lich gelegen hat. Das kann man dem Bericht entnehmen.In den Jahren 1991 bis 2002 lag sie dagegen bei durch-schnittlich 3,7 Prozent im Jahr. Das ist ein Beleg dafür,dass die Kosten im Krankenhausbereich mit den Fall-pauschalen deutlich eingedämmt werden konnten.Ihr Vorschlag, einen Sachverständigenrat einzufüh-ren, bedeutet mehr Bürokratie. Ich sehe keinen Mehr-wert darin. Es kann auch nicht weiterhelfen, jetzt von ei-ner wissenschaftlichen Begleitforschung auf einen Sach-verständigenrat umzustellen.Ich halte es für vernünftig, die Lehren aus einem ler-nenden System zu ziehen. Darum geht es, um nicht mehrund nicht weniger. Wir sind noch nicht ganz am Ziel.Das erwartet heute auch niemand. Wir sind aber auf demrichtigen Weg.Herzlichen Dank.
Wir haben zu danken, Herr Kollege Riebsamen. – Als
Nächste hat unsere Kollegin Mechthild Rawert von der
Fraktion der Sozialdemokraten das Wort. Bitte schön,
Frau Kollegin Rawert.
Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Liebe Zuhörende im Saal! Wir beraten heute denAntrag der Linksfraktion „Ergebnisoffene Prüfung derFallpauschalen in Krankenhäusern“. Wer glaubt, dassdas ein aufregendes, ein Thema mit Exotik ist, hat sichgetäuscht. Aber vorhin sind zu Recht die immensenGeldsummen genannt worden, die in dem System derFallpauschalen bewegt werden. Insofern ist das Themasehr wichtig für das Gesundheitswesen.Es geht um die Finanzierung der Krankenhausleistun-gen und darum, dass wir damit eine hochwertige medizi-nische Versorgung für die Patientinnen und Patienten miteinem motivierten und gut bezahlten Gesundheits- undPflegepersonal sichern wollen.Fallpauschalen existieren seit einigen Jahren. Der bis-herige Weg, die Besonderheiten in den Versorgungs-strukturen und Behandlungsweisen immer besser imFallpauschalen-Katalog zu berücksichtigen, wird konse-quent beschritten. Insofern ist es richtig, dass wir voneinem lernenden System reden. Die Abbildungsgenauig-keit wird immer besser, wie sich auch im Fallpauscha-len-Katalog 2011 längst erwiesen hat.Zu Recht – dafür danke ich – wird darauf Bezug ge-nommen, dass sich einige der Befürchtungen, die bei derEinführung der DRGs geäußert worden sind, nicht be-wswhMdedsBDneseteFdrufisegishwdregZrud„s2sedstunnVdreinnnkGdu
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11747
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Gerade im Pflegebereich hat das DRG-System tatsäch-lich zu einem massiven Abbau von Beschäftigten ge-führt. Ein solcher Abbau kann und darf in Zukunft nichtmehr erfolgen. Deswegen sind die Prüffragen zur Situa-tion der Versorgung im Gesundheitswesen im Interesseder Beschäftigten von uns als Parlamentarier und Parla-mentarierinnen genau zu analysieren.
Auf Fragen der sogenannten Mengenerweiterung willich nicht näher eingehen.Mein Vorschlag für eine gemeinsame Kontrolle ist:Nehmen wir die auch durch das InEK implementierteSteuerungsfunktion durch den Fallpauschalen-Katalogwahr! Kontrollieren wir die Wirkungen und Auswirkun-gen für die Patientinnen und Patienten, aber auch für dieBeschäftigten im Gesundheitswesen! Kontrollieren wirden hoffentlich in naher Zukunft vorliegenden zweitenEvaluierungsbericht!Danke für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin Rawert. – Jetzt hat Kol-
lege Lars Lindemann das Wort für die FDP-Fraktion.
Bitte schön, Kollege Lars Lindemann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor acht Jahren
wurde in den somatischen Krankenhäusern in Deutsch-
land begonnen, die DRGs einzuführen. Diese Einfüh-
rung sollte – so hat es der Bundestag hier beschlossen –
auch forschend begleitet werden. Der Bundestag hat
auch Vorgaben gemacht, was dabei besonders in den
Blick zu nehmen ist. Es sollte untersucht werden, ob
durch die Einführung der DRGs sich Veränderungen der
Versorgungsstrukturen ergeben, sich die Qualität der
Versorgung verändert und Auswirkungen auf die ande-
ren Versorgungsbereiche zu verzeichnen sind. Schließ-
lich sollten auch Art und Umfang von Leistungsverlage-
rungen untersucht werden. Nach Vorlage des Berichtes
des IGES-Institutes im März 2010 erklärten alle beteilig-
ten Vertragspartner, dass die Einführung weder zu früh-
zeitigen Entlassungen noch zu einer systematischen
Patientenauswahl geführt habe. Dies waren, so erinnere
ich mich, die wesentlichen Einwände, die damals vorge-
bracht wurden. Auch konnte eine Leistungsverlagerung
in andere Bereiche nicht festgestellt werden.
Der Antrag der Linken, über den wir heute debattie-
ren, fordert nun, einen Sachverständigenrat einzuberu-
fen, der anstelle des bisherigen Vorgehens selbst und im
Auftrag des BMG evaluieren soll. Man kann, so meine
ich, heute nicht generalisierend sagen, dass die Behand-
lungsqualitäten durch die Einführung der DRGs an sich
gelitten haben. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Linken – da haben wir eine Schnittmenge –, wir
müssen in eine Überlegung eintreten, was genau wir ge-
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Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-en! Wir halten den von der Linken vorgeschlagenenachverständigenrat zur Evaluierung des DRG-Systemsr den falschen Weg. Gleichwohl sind auch wir natür-ch der Auffassung, dass bei einer solch weitreichendeneränderung, wie es gerade die Einführung der DRGsweifellos war, eine umfassende Evaluation zwingendazugehört. Genau dies haben wir ja auch getan.Unter Rot-Grün haben wir parallel zur Einführung derRGs einen umfassenden Auftrag zur Begleitforschungeschlossen. Die DRGs sind ein lernendes System. Wir
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11748 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Elisabeth Scharfenberg
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erleben aber, dass einige Akteure im Gesundheitswesengerade nicht aus Erfahrungen lernen wollen. Sie wollenmöglichst wenig darüber wissen, wie sich die DRGs inder Praxis auswirken und wo gegengesteuert werdenmuss. Das ist nicht nur das Versagen der Selbstverwal-tung, sondern vor allem auch der schwarz-roten und nunnatürlich der schwarz-gelben Bundesregierung.
So wurde die Begleitforschung mit etlichen JahrenVerspätung ausgeschrieben. Deshalb wurden die erstenErgebnisse auch nicht, wie vorgeschrieben, 2005, son-dern erst 2010 vorgelegt.Aber sind wir denn nach der Lektüre der nun vorlie-genden Ergebnisse der Begleitforschung eigentlich wirk-lich schlauer geworden? Erfahren wir, welche Auswir-kungen es auf andere Versorgungsbereiche gibt?Erfahren wir, ob es tatsächlich sogenannte blutige Ent-lassungen gibt? Oder erfahren wir, wie sich die Situationder stationären Pflegekräfte durch die DRG-Einführungentwickelt hat? Nein, muss ich sagen, dazu erfahren wirnichts. Es wäre aber die Aufgabe der Bundesregierung,dafür zu sorgen, dass der gesetzliche Auftrag zur Be-gleitforschung erfüllt wird. Das hat die Bundesregierungaber weder getan, als die Ausschreibung der Begleitfor-schung über Jahre verschleppt wurde, noch tut sie esjetzt angesichts dieser völlig unzureichenden Ergebnisse.Kürzlich hatten wir im Gesundheitsausschuss auf Ini-tiative der Grünen eine Anhörung zur ambulanten Ver-sorgungslücke nach Krankenhausaufenthalt. Dort wurdeinsbesondere von den Krankenkassen vertreten, dass eskeine Belege für eine solche Versorgungslücke gebe. DieMehrheit der geladenen Sachverständigen hat das aberganz anders gesehen.Das zeigt doch, dass es hier einen Erkenntnisbedarfgibt. Haben die Kassen, hat irgendein anderer Akteur da-rauf gedrängt, diese Frage zu klären? Ich bin der Auffas-sung: Nein, denn dieses Problem wurde im Rahmen derBegleitforschung gar nicht untersucht. Deswegen fehltmir auch der Glaube, dass eine Sachverständigenkom-mission, wie sie die Linke fordert, an diesen Mängelngrundsätzlich etwas ändern würde.Dabei kann niemand leugnen, dass es Probleme gibt.Das zeigen zahlreiche Studien außerhalb der gesetz-lichen Begleitforschung. So wissen wir doch, dass es nichterst seit Einführung der DRGs zu einem erheblichen Ab-bau von Pflegepersonal gekommen ist. Die DRGs bildenden Pflegeaufwand nicht ausreichend ab. Deswegenhoffe ich sehr, dass die nunmehr entwickelten Kriterienzur Berücksichtigung des Pflegeaufwandes, der Pflege-komplexmaßnahmen-Score, die Pflegequalität wirksamverbessern werden.Auch in der stationären psychiatrischen Versorgungwird ein stärker pauschalisiertes Entgeltsystem einge-führt. Wir müssen dabei von den Erfahrungen der DRG-Einführung lernen und hier eine bessere Begleitfor-schung erreichen.In diesem Sinne hoffe ich, dass die Beratung diesesAntrags Konsequenzen hat und die Erkenntnisverweige-ruSdSFwtrritedsdhkm–RgBegddnmdsd–SwPcwdknssüBtr
Das gilt für alle Bereiche der Politik, Frau Kolleginawert.Verehrte Damen und Herren, hier wurde bereits dar-elegt: Mit der Einführung des Systems der DRG warenefürchtungen verbunden. Es hat sich gezeigt, dass esin selbstlernendes System ist. Dem ist nichts hinzuzufü-en. Ich bin dem Kollegen Weinberg dankbar, dass erargelegt hat, dass die Befürchtungen, die gehegt wor-en sind, so nicht eingetreten sind, dass wir somit auf ei-em guten Weg sind und dass es überall Verbesserungs-öglichkeiten gibt. Bereits ein altes Sprichwort besagt,ass das Bessere der Feind des Guten ist. Es gilt, in die-em Sinne weiterhin die Arbeit zu leisten. Ich möchteem nicht mehr unendlich viel hinzufügen.Ich möchte darauf verweisen, dass weitere Strukturen die Fraktion Die Linke schlägt vor, einen weiterenachverständigenrat zu schaffen – nicht notwendiger-eise eine Verbesserung bedeuten. Letztendlich sind allehasen in Begleitung der Bundesregierung zu untersu-hen. Der Kollege Lindemann hat auf Folgendes hinge-iesen: Wenn wir diesen Antrag im Ausschuss beraten,ann werden uns auch die bisherigen und die neuen Er-enntnisse der Bundesregierung dargelegt. Es gilt dannatürlich, auch den letzten Schritt zu begleiten. Die ge-amte Phase der Einführung der DRGs muss wissen-chaftlich begleitet werden.Bereits heute Vormittag, in der Kernzeit, haben wirber das Rahmenprogramm Gesundheitsforschung derundesregierung beraten. Hier kann ein wichtiger Bei-ag dazu geleistet werden.
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Max Straubinger
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Es geht darum, dass in der Gesundheitsökonomie die Pa-tientenorientierung und die Patientensicherheit einengroßen Stellenwert haben. Unter diesem Gesichtspunktbin ich überzeugt, dass die notwendigen Erkenntnisse er-arbeitet werden. Ebenso überzeugt bin ich, dass die For-schungsstrukturen und die Studien auch in diesem Be-reich einen Beitrag zur Erreichung des Ziels leistenwerden. Man sollte nicht unerwähnt lassen, dass dasGanze auch in finanzieller Hinsicht mit einem gewalti-gen Forschungsaufwand verbunden ist: Die Bundesre-gierung ist bereit, hier 1 Milliarde Euro einzusetzen.
Es wird sichtbar, dass wir größten Wert auf die Patien-tensicherheit und vor allen Dingen auf die Patientenori-entiertheit unseres Gesundheitssystems legen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Kollege Straubinger. – Weitere Wort-
meldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/5119 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses zu
der Verordnung der Bundesregierung
Verordnung über die Erhebung der Beiträge
zum Restrukturierungsfonds für Kreditinsti-
– Drucksachen 17/4977, 17/5122 Nr. 2, 17/5401,
17/5405 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Manfred Zöllmer
Björn Sänger
Dr. Barbara Höll
Dr. Gerhard Schick
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Damit ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als Erster
für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Peter
Aumer. – Bitte schön, Kollege Peter Aumer.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrte Da-men und Herren! Verantwortung übernehmen, das ist vorallem die Lehre, die wir aus der Finanz- und Wirtschafts-krise gezogen haben. Diese Verantwortung haben wir alsPdFeafüShVüBgELteFFnwdtefodvwimsRebkmretrdtrDFrusnLgsBuaAmgtim
Vor allem die Kreditinstitute selbst haben jedoch dieerantwortung für die Stabilität des Finanzmarktes zubernehmen. Wir haben Instrumente geschaffen, umanken, die in Schwierigkeiten geraten sind, in einemeordneten Verfahren zu sanieren oder abzuwickeln. Dierfahrungen mit der Insolvenz der Investmentbankehman Brothers haben gezeigt, dass gerade auch mit-lgroße, aber stark vernetzte Banken Einfluss auf dasinanzsystem und die gesamte Stabilität haben können.Durch staatliche Stabilisierungsmaßnahmen, die dieortführung des Geschäftsbetriebs ermöglichen, wurdenegative Folgen für die Stabilität des Finanzmarktesirksam vermieden. Die Erfahrungen haben gezeigt,ass Restrukturierung und geordnete Abwicklung sys-mrelevanter Banken regelmäßig finanzielle Mittel er-rdern werden. Diese Mittel sollen nicht allein – wie iner Vergangenheit – durch die öffentliche Hand, sondernorrangig durch den Finanzsektor selbst bereitgestellterden.Wir haben im Zuge der sogenannten Bankenabgabe letzten Jahr das Restrukturierungsfondsgesetz be-chlossen. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes wurde einestrukturierungsfonds als Sondervermögen des Bundesrrichtet, der von der Bundesanstalt für Finanzmarktsta-ilisierung verwaltet wird. Aus dem Fonds werden dieünftigen Restrukturierungs- und Abwicklungsmaßnah-en bei systemrelevanten Banken finanziert.Das Gesetz sieht vor, die Mittel des Fonds durch Jah-sbeiträge und gegebenenfalls Sonderbeiträge der bei-agspflichtigen Kreditinstitute anzusammeln. Es regeltie wesentlichen Eckdaten für die Erhebung der Bei-äge. Die weitere Ausgestaltung wird in der heute zurebatte stehenden Rechtsverordnung geregelt, die derinanzausschuss in seiner gestrigen Sitzung ohne Ände-ngen übernommen hat und die jetzt zur Abstimmungteht.Bei der Ausgestaltung der Bankenabgabe gibt es nichtur verfassungsrechtliche Gründe zu beachten, dass dieasten unter den Kreditinstituten auch angemessen underecht verteilt werden. Auch die Europäische Kommis-ion achtet genau darauf, ob einzelne Banken bei derankenabgabe bevorzugt werden; denn das könnte einenzulässige Beihilfe sein. Vor diesem Hintergrund istuch die Nacherhebungsregelung zu sehen, die einenusgleich zwischen Banken mit volatilen und Bankenit stabilen Erträgen schafft. Änderungen bei dieser Re-elung müssen daher gut begründet werden, um einsei-ge Begünstigungen bestimmter Banken und Geschäfts-odelle zu vermeiden.
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11750 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Peter Aumer
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Generell können wir festhalten, dass Deutschland indiesem Punkt Maßstab für Europa ist. Die EU-Kommis-sion hat unser Modell aufgegriffen und plant, einen EU-weiten Krisenmechanismus nach deutschem Vorbild ein-zuführen. Das zeigt, dass die christlich-liberale Koalitionauf dem richtigen Weg ist und ihrer Verantwortung fürunser Land gerecht wird.
Darüber hinaus können wir der Forderung der Oppo-sition nicht folgen, die eine Bankenabgabe in Höhe von20 bis 25 Prozent des Bankengewinns einführen will.Wir haben auch Verantwortung für die Kreditinstitute inunserem Land, denn auch sie sind eine tragende Stützeund ein tragender Pfeiler für unser Wirtschaftssystem.
– Die haben es ausgelöst, das stimmt; aber trotzdem sindsie wichtig, damit das ganze Wirtschaftssystem am Lau-fen gehalten werden kann. Man muss sie natürlich mitheranziehen, aber man darf sie auch nicht über Gebührstrapazieren.Nicht der Steuerzahler soll in Zukunft für das Miss-management der Banken aufkommen, so wie dies vorzwei Jahren der Fall war, sondern die Kreditinstitutemüssen ihrer Verantwortung nachkommen und ihrenBeitrag für die Stabilität des Finanzmarkts leisten. Nie-mand kann genau sagen, wie die Wirkung der Bankenab-gabe ausfallen wird. Deswegen ist es auch absurd, Maxi-malforderungen zu stellen, wie Sie das tun, meine sehrgeehrten Damen und Herren in der Opposition. Wir wer-den die Wirkungen der heute zu beschließenden Verord-nung beobachten und schauen, ob Änderungen notwen-dig sind. Wenn dies der Fall ist, werden wir Änderungenvornehmen.Wir sichern durch diese Verordnung die weitere Sta-bilität der Finanzmärkte und teilen die Kosten auf 1 990beitragspflichtige Kreditinstitute anteilsmäßig und ge-recht auf.Meine sehr geehrten Damen und Herren der Opposi-tion, werden auch Sie Ihrer Verantwortung gerecht undstimmen Sie der vorliegenden Restrukturierungsfonds-Verordnung zu!Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Kollege Peter Aumer von der Fraktion
CDU/CSU. – Jetzt für die Fraktion der Sozialdemokra-
ten unser Kollege Manfred Zöllmer. – Bitte schön, Kol-
lege Manfred Zöllmer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!„Regierung will nicht mehr für Banken einspringen“, sotitelte Spiegel-Online am 31. März dieses Jahres. WennicdgrihLgeVnrugdudvd–arubBrunKKDWsznhsBpwgz
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Basis der Verord-ung, über die wir jetzt diskutieren, ist das Restrukturie-ngsgesetz, das bereits von der Mehrheit des Bundesta-es verabschiedet worden ist. Mit diesem Gesetz sollteie „Too big to fail“-Problematik angegangen werdennd die Banken an den Kosten der Krise beteiligt wer-en. Der erste Teil des Gesetzes beruht auf den Arbeitenon Frau Zypries, der damaligen Justizministerin, undes damaligen Finanzministers Steinbrück.
Das ist, glaube ich, wirklich noch einen Beifall wert.Das Bundeskabinett hat am 2. März 2011, basierenduf einer entsprechenden Ermächtigung im Restrukturie-ngsfondsgesetz, die Restrukturierungsfonds-Verordnungeschlossen. Auf dieser Grundlage soll zukünftig dieankenabgabe erhoben werden. Ziel der Bundesregie-ng war – so wurde es formuliert –, die Steuerzahlerin-en und Steuerzahler davor zu schützen, bei zukünftigenrisen zahlen zu müssen.Wird nun alles gut?
önnen wir Entwarnung geben?
as glauben Sie doch selber nicht.
ir haben doch eben gehört: Die Banken sollen ge-chützt werden, nicht die Steuerzahlerinnen und Steuer-ahler.
Die vorliegende Verordnung führt auf absehbare Zeiticht dazu, den Steuerzahler zu entlasten. Die vorgese-ene Bankenabgabe ist viel zu gering, um dieses politi-che Ziel zu erreichen. Die Bundesregierung geht bei derankenabgabe von circa 1 Milliarde Euro an Einnahmenro Jahr aus. Das bedeutet, dass man 70 bis 100 Jahrearten muss, bis eine entsprechende Summe zur Verfü-ung steht, um eine mögliche neue Finanzkrise zu finan-ieren.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11751
Manfred Zöllmer
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– Ja, das scheint das Motto der Bundesregierung zu sein. –Für diesen langen Zeitraum bleiben nach wie vor derSteuerzahler und die Steuerzahlerin in der Verantwor-tung.Die Restrukturierungsfonds-Verordnung präzisiert dieVorgaben des Gesetzes für die Erhebung der Bankenab-gabe hinsichtlich der Abgabesätze und der Zumutbar-keitsgrenze. Die Abgabesätze werden gestaffelt. Je grö-ßer das Geschäftsvolumen einer Bank ist, desto höher istder Jahresbeitrag, in entsprechenden Stufen. Außerdemwerden bestimmte Termingeschäfte berücksichtigt.Es gibt eine Zumutbarkeitsgrenze. Der Jahresbeitragwird bei 15 Prozent des Jahresüberschusses gekappt.Auf jeden Fall soll aber ein Mindestbeitrag in Höhe von5 Prozent des regulären Jahresbeitrags erhoben werden.Banken, die in einem Jahr aufgrund der Zumutbarkeits-grenze keinen vollen Jahresbeitrag oder nur den Min-destbeitrag gezahlt haben, müssen die gekappten Bei-träge nachzahlen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Hauptkritik-punkt bleibt: Das zu erwartende Aufkommen der Ban-kenabgabe ist zu gering, um den Finanzbedarf bei derRestrukturierung systemrelevanter Banken decken zukönnen.
Das politische Ziel wird verfehlt.Sie haben darüber hinaus das Ziel einer verursacher-gerechten Belastung von Banken nicht erreicht.
– Die haben diese Bankenabgabe nicht konzipiert.Schauen Sie doch einfach einmal in die Geschichte. –Diese Bankenabgabe schont große Banken mit ihren risi-koreichen Geschäftsmodellen, weil die Bemessungs-grundlage zu einem ganz überwiegenden Teil nur an diePassivseite der Bilanz anknüpft und damit lediglich dieVerbindlichkeiten der Bank berücksichtigt.Eine risikoorientierte Bankenabgabe, die eine stabileund langfristig orientierte Geschäftspolitik begünstigenwürde, müsste auch den Risikogehalt der Forderungeneiner Bank angemessen berücksichtigen. Um dies zu er-reichen, müssten die risikobehafteten außerbilanziellenGeschäfte einer Bank stärker als bisher vorgesehen be-lastet werden.
Große Banken werden außerdem durch die in der Ver-ordnung enthaltene Zumutbarkeitsgrenze bevorteilt, dadie Höhe der Bankenabgabe auf maximal 15 Prozent desJahresüberschusses gedeckelt ist. Nach Expertenschät-zungen hätte die Deutsche Bank ohne diese Zumutbar-keitsgrenze etwa im Jahre 2009 eine um einen mittlerendreistelligen Millionenbetrag höhere Bankenabgabe ent-richten müssen.
Die nunmehr in der Verordnung vorgesehene Nach-zahlung der aufgrund der Zumutbarkeitsgrenze nicht er-hete–re–VgwdlisbamdtedcdtiWsdDdnwSdvvncVmnimn
Wir sind nicht in der Regierung. Wir sprechen über Ih-n Vorschlag.
Ja, nun mal ganz ruhig bleiben. Wir haben unserenorschlag in der letzten Sitzung des Finanzausschussesemacht, und ich werde gleich noch darauf eingehen. Siearen bei der Sitzung nicht dabei, deswegen können Sieas auch nicht wissen.
Die Deckelung von 15 Prozent schwächt die eigent-ch vorgesehene Ausrichtung der Beitragserhebung amystemischen Risiko einer Bank in deutlichem Maße undegrenzt damit sehr stark das Aufkommen der Banken-bgabe. Die Zumutbarkeitsgrenze bevorzugt Instituteit hochvolatilen Geschäftsmodellen und damit verbun-enen starken Ergebnisschwankungen. Damit werden in-rnational tätige Großbanken mit hohen Renditezieleneutlich bevorzugt. Sie werden nicht in der erforderli-hen Weise zur Beitragserhebung herangezogen.Wir Sozialdemokraten wollen Risiken begrenzen undie Beiträge an der Risikogeneigtheit der Banken orien-eren, wie es auch der IMF gefordert hat.
ir haben deshalb im Finanzausschuss den Antrag ge-tellt, die Zumutbarkeitsgrenze von 15 auf 25 Prozentes Jahresergebnisses zu erhöhen.
iesen Antrag haben Sie ebenso abgelehnt wie die Än-erungsanträge der Grünen zur Veränderung des Berech-ungsverfahrens und zur Beteiligung des Parlaments so-ie zu einigen anderen Punkten.Dieses Verhalten von Schwarz-Gelb ist aus unserericht unklug. Wir sind nicht die Einzigen, die Kritik anem Inhalt der Verordnung haben. Es gibt eine Reiheon Bundesländern, die mit den Regelungen, die Sieorgeschlagen haben, nicht zufrieden sind, und das sindicht nur rot-grün regierte Länder.Den Ländern wurde von Ihnen eigentlich ein Mitspra-herecht eingeräumt. Sie haben es aber versäumt, imorfeld eine Abstimmung mit den Ländern vorzuneh-en. Ich habe irgendwie das Gefühl, Sie glauben immeroch, Sie würden allein regieren und hätten die Mehrheit Bundesrat. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass diesicht der Fall ist.
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11752 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Manfred Zöllmer
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist Ihnen mit die-ser Verordnung leider nicht gelungen, ein in sich konsis-tentes und belastbares System einer Bankenabgabe vor-zulegen. Wir bedauern das.
Vielen Dank, Herr Kollege Manfred Zöllmer. – Jetzt
für die FDP-Fraktion Kollege Björn Sänger. – Bitte
schön, Kollege Sänger.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Was hier vorliegt, ist der zweite Schritt nach demBankenrestrukturierungsgesetz. Die Verordnung regelttechnische Details. Die grundsätzlichen Entscheidungenwurden bereits im Gesetz getroffen. Ich sage das hier sodeutlich, weil es von interessierter Seite immer wiederden Versuch gab, über den Verordnungsweg Dinge zu re-geln, die eigentlich im Gesetz abschließend geregeltsind. Das betrifft insbesondere die Frage der Bemes-sungsgrundlage der Bankenabgabe.Das Bankenrestrukturierungsgesetz – ich denke, daskann man hier auch einmal mit einem gewissen Selbst-bewusstsein sagen – ist ein Vorbild für die gesamte EU.
Wir sind hier Vorreiter. Eine Nachahmung auf europäi-scher Ebene ist, was man so hört, durchaus angedachtund auch wünschenswert. Darauf können wir sicherlichalle gemeinsam stolz sein. Sollte es auf EU-Ebene zu ei-ner Regelung kommen, die sich der deutschen Regelunganpasst, wird damit auch das Problem einer eventuellenDoppelbelastung von international agierenden Finanzun-ternehmen gelöst. Man muss nämlich fairerweise sagen,dass wir, auch wenn die Bundesregierung dankenswer-terweise schon intensiv daran arbeitet, dieses Problemnoch nicht direkt im Griff haben.Was ich bei unserer Regelung ausgesprochen gutfinde, ist, dass die Mittel nicht im allgemeinen Haushaltverschwinden, sondern in einen Fonds eingezahlt wer-den, sodass dann die Branche in der Tat für möglicheProbleme selber zahlt. Hier ist Deutschland Vorreiter,und das ist auch gut so.Aber diese Vorreiterrolle bringt auch eine gewisseUnsicherheit mit sich, weil wir noch nicht genau wissen,welche Auswirkungen diese Abgabe am Ende des Tagesauf die Finanzunternehmen haben wird. Wir haben hierschnell reagiert. Das war allgemein gewünscht. DieseRegierung ist handlungsfähig
und hat in einer ausgesprochen guten Geschwindigkeitein gutes Gesetz mit einer entsprechend guten Verord-nung vorgelegt, aber natürlich zu dem Preis, dass wirkvsvajajehtesgABdWWsNnsteretrmGBrenAbAmdwpewpkuGdbmpdDnk
Deswegen sind auch die Forderungen nach einer höhe-n Zumutbarkeitsgrenze, zum heutigen Tag zumindest,icht angebracht. Wir müssen vielmehr schauen, welcheuswirkungen diese Bankenabgabe auf die Branche ha-en wird. Wir von den Koalitionsfraktionen – Kollegeumer hat es schon gesagt – sind die Garanten dafür, dassan sich das sehr genau anschaut, und stellen auch sicher,ass hier in die eine oder andere Richtung nachgesteuertird. Daher ist das von den Grünen vorgesehene Trans-arenzgebot an dieser Stelle überhaupt nicht notwendig.
Herr Kollege Zöllmer, es ist natürlich richtig, dass wirine Verantwortung für die Banken übernehmen. Esundert mich aber, dass Sie trotz Ihrer stattlichen Kör-ergröße nicht in der Lage sind, über den sozialdemo-ratischen Tellerrand hinauszublicken. Für ein Finanz-nternehmen ist es doch von entscheidender Bedeutung,ewinne zu erwirtschaften; denn ein Gewinn bedeutet,ass man Geld zurücklegen und damit die Eigenkapital-asis stärken kann. Ein Gewinn bedeutet ferner, dassan für Investoren attraktiv wird, wodurch die Eigenka-italbasis ebenfalls gestärkt wird. All das bedeutet unterem Strich Krisenprävention.
eswegen ist es wichtig, dass die Unternehmen der Fi-anzbranche in Deutschland weiterhin Gewinne machenönnen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11753
Björn Sänger
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Wenn die Banken Gewinne machen, dann sind sieauch in der Lage, ihren Aufgaben nachzukommen, näm-lich ihre Finanzierungsfunktion zu erfüllen und Unter-nehmen entsprechende Dienstleistungen anzubieten. Siemüssen die Unternehmen, insbesondere den Mittelstand,dabei unterstützen, globale Geschäfte zu tätigen. So kön-nen Arbeitsplätze in der Realwirtschaft gesichert wer-den. Die Erfüllung dieser Aufgaben müssen wir von denBanken letzten Endes fordern.Dieses gemeinsame Ziel hat die Koalition mit demBankenrestrukturierungsgesetz und mit der vorliegendenVerordnung erreicht. Die Verordnung ist sinnvoll. Siekönnen deswegen der Beschlussempfehlung des Aus-schusses getrost zustimmen.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Kollege Björn Sänger. – Jetzt spricht für
die Fraktion Die Linke unser Kollege Axel Troost. –
Bitte schön, Kollege Axel Troost.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirlehnen die Verordnung ab, da sie keine ausreichendenMittel für die Abwicklung systemrelevanter Banken be-reitstellt und schon das zugrunde liegende Bankenre-strukturierungsgesetz praxisuntauglich war.
Mit ihrer Versicherungslösung will die Bundesregie-rung den zweiten Schritt vor dem ersten gehen. Die logi-sche Antwort auf die Krise wäre aus unserer Sicht dochgewesen, erstens die Finanzbranche für die Kosten derjüngsten Krise zahlen zu lassen, zweitens zugleich dieSystemrelevanz einzelner Banken ganz aufzuheben oderzumindest deutlich zu verringern und erst dann drittensüber eine Versicherungslösung für Restrisiken nachzu-denken.
Die vorgelegte Verordnung kann dagegen nur die Basisfür einen unzulänglich ausgestatteten Krisenfonds legen.Zu allem Ärger wird dieser noch nicht einmal risikoge-recht finanziert.Die Zielgröße des Restrukturierungsfonds liegt bei70 Milliarden Euro. Wir haben es schon gehört: Bei Ein-zahlungen in Höhe von 1 Milliarde Euro pro Jahr wäreder Fonds frühestens kurz vor Ende des Jahrhunderts ge-füllt. Der Fonds ist also auf absehbare Zeit nicht voll.Selbst dann wäre die angesammelte Summe zu gering,um eine systemrelevante Bank aufzufangen. Letzteresräumt sogar die Bundesregierung ein.Gleichzeitig sträubt sich die Bundesregierung hart-näckig, Vorschläge für eine Schrumpfung oder Aufspal-tuteulemgwtieksndzsvgwledv7RtudtinleteKsdsnMdvaP
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11754 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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Vielen Dank, Herr Kollege Axel Troost. – Jetzt hat für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege
Dr. Gerhard Schick das Wort. Bitte schön, Kollege
Dr. Gerhard Schick.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben hier vor einigen Monaten das Restrukturierungs-
gesetz diskutiert. In diesem Rahmen ist die Grundlage
dafür geschaffen worden, dass der Bundestag jetzt aus-
nahmsweise über eine Verordnung diskutieren kann. Es
geht jetzt nur noch um die Ausgestaltung der Bankenab-
gabe, die den Fonds füllen soll, mit dem Banken gerettet
werden sollen.
Die Grundproblematik, dass es irgendwie nicht stim-
mig ist, wer einbezogen ist und wer nicht, haben wir da-
mals thematisiert. Was man aber heute noch ändern
könnte, sind die Höhe des Aufkommens und die Len-
kungswirkung, die von der Bankenabgabe ausgeht.
Deswegen haben wir Änderungsvorschläge gemacht.
Sie von der Koalition haben die Vorschläge abgelehnt,
durch die genau diese zwei Defizite geheilt werden
könnten. Das Defizit „zu gering“ ließe sich dadurch hei-
len, dass man die Zumutbarkeitsgrenze anhebt, sich also
fragt, wie viel von dem Gewinn eine Bank insgesamt ab-
geben muss. Sie haben sehr deutlich gemacht, dass Sie in
Sorge sind, dass trotz der inzwischen teilweise schon
wieder erreichten Milliardengewinne hier eine zu große
Belastung entsteht. Wir teilen das nicht. Wir glauben,
dass es notwendig ist, diese Grenze anzuheben, um das
Aufkommen zu erhöhen. Nach den Berechnungen der
Bundesregierung wären das bei unserem Vorschlag bis
zu 20 Prozent. Das würde die Frist verkürzen, die wir
brauchen, um diesen Fonds wirklich einsatzfähig zu ma-
chen.
Das Zweite ist: Wir wissen, dass das zentrale Problem
die besonders großen Banken sind. Am Anfang hieß es
noch, alle Banken könnten mit diesem Restrukturie-
rungsgesetz gerettet werden. Inzwischen geben auch Sie
zu, dass das bei den großen Banken nicht funktioniert.
Deswegen wollen wir hier einen Schritt in die Richtung
machen, dass wir eine Größenbremse für besonders
große Banken schaffen. Wir wollen, dass große Banken
überproportional belastet werden; denn sie stellen auf-
grund der Systemrelevanz besonders große Risiken dar.
Wir schlagen vor, die Abgabe progressiv ansteigen zu
lassen, damit besonders große Banken stärker belastet
sind. Das tun Sie nur bis zu einem geringen Maße, näm-
lich bis zu der 100-Milliarden-Schwelle. Wir wollen das
weiter anheben. Dadurch steigern wir das Aufkommen
und bremsen die Größenentwicklung bei Banken, weil
große Banken dann teurer sind.
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Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen Punkt
ingehen, damit ganz klar wird, welche Frage nach die-
er Verordnung noch offen ist.
Am Anfang hieß es: Die Bankenabgabe dient dazu,
ass die Banken für die Kosten der jetzigen Finanzkrise
ahlen. Diese Bankenabgabe leistet das nicht. Sie füllt
inen Fonds für die Zukunft. Deswegen ist die Frage,
er die Kosten dieser Krise trägt, nach wie vor offen.
uf diese Frage muss die Bundesregierung noch eine
lare Antwort geben. Denn wir haben die Befürchtung,
ass es sonst die kleinen Leute in diesem Land trifft, die
chon in Form von Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit oder
erlusten bei ihren Geldanlagen schwer an dieser Krise
u tragen hatten. Deshalb darf das nicht passieren.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Dr. Gerhard Schick. – Jetzt für
ie Fraktion der CDU/CSU Kollege Ralph Brinkhaus. –
itte schön, Kollege Ralph Brinkhaus.
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Her-n! Zur Frage von Herrn Schick, wer die Kosten derergangenen Krise trägt: Am besten ist es natürlich,enn es so abläuft wie jetzt mit der Commerzbank,enn also das Geld, das der Staat eingelegt hat, wiederurückgezahlt wird. Das hat geklappt, und das muss mann dieser Stelle auch einmal anerkennen.
Ich bin sehr dankbar für den Hinweis, dass wir heuteber die Verordnung reden und nicht über das Gesetz.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11755
Ralph Brinkhaus
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Die eine oder andere Diskussion hätten wir uns dannsparen können. Die hätten wir vor einem halben Jahrführen müssen oder können, aber nicht an dieser Stelle.Jetzt geht es einzig und allein um das Feintuning, wie dieBankenabgabe tatsächlich erhoben und wie das Ganzeausgesteuert wird.
Herr Kollege, geben Sie dem Kollegen Dr. Schick die
Chance, eine Zwischenfrage zu stellen?
Ich gebe dem Kollegen Dr. Schick gerne eine Chance.
Dann wird er sie ergreifen. – Bitte schön, Kollege
Dr. Gerhard Schick.
Herr Brinkhaus, Sie haben in der Vorbemerkung kurz
gesagt, dass alles Geld zurückgezahlt worden sei. Wir
sind beide Ökonomen und wissen, dass man bei der
Commerzbank genau rechnen und genau hinschauen
muss. Ich möchte Sie bitten, mir folgende Frage zu be-
antworten: Sind die Zinsen, die auch auf Korrektur der
EU-Kommission festgelegt worden sind, für die Jahre
2009 und 2010 in voller Höhe gezahlt worden, oder sind
sie nicht gezahlt worden, und hat es dadurch eine Wett-
bewerbsverzerrung gegeben zulasten derjenigen Banken
und Institute, die sich am Markt finanzieren müssen,
oder nicht?
Meine Position dazu ist klar, weil man das errechnen
kann: Die Zinsen sind nicht in voller Höhe gezahlt wor-
den, und dadurch hat es eine Wettbewerbsverzerrung ge-
geben. Deswegen ist es nicht aufrichtig, zu sagen, aus
dieser Lage sei der Steuerzahler so herausgekommen,
wie es sich gehört.
Herr Kollege Schick, Sie wissen auch, dass im Falleder Commerzbank Folgendes passiert ist: Das Geld, dasnominal eingelegt worden ist, wird jetzt hoffentlich zueinem großen Teil zurückgezahlt. Es wird eine Sonder-zahlung geleistet, die zumindest die Refinanzierungs-kosten des Steuerzahlers aller Voraussicht nach abde-cken wird. Insofern entsteht dem Steuerzahler in dieserSache unmittelbar kein Schaden. Es handelt sich eherum ein erfreuliches Beispiel.Zu der Tatsache, dass die 9-prozentige Verzinsung inden Krisenjahren nicht geleistet worden ist: Das Ganzeist damals aus gutem Grund so angelegt worden, um derCommerzbank die Chance zu geben, überhaupt wiederauf den richtigen Weg zu kommen. Im Übrigen partizi-pieren wir an diesem Erfolg der Commerzbank, weil wirnoch ein nicht unbeträchtliches Aktienpaket halten. Eshätte sicherlich besser laufen können; aber so, wie es ge-laufen ist, ist es gut, zumindest besser als bei der HypoReal Estate oder bei anderen Geldinstituten.wGkmDsDmridssednahwsbreUgzRVWZPhnAZDesteddhnSzkss
ie eine oder andere Fraktion in diesem Haus sollte sichinmal überlegen, ob die Linke, die in dieser Marktwirt-chaft so mit dem Eigentum umgehen will, ein geeigne-r Koalitionspartner ist.
Jetzt will ich auf die Kritikpunkte eingehen, die vonen Rednern der Grünen und der SPD vorgebracht wor-en sind. Da wurde gesagt, dass die Bankenabgabe nichtoch genug ist. Ich denke, diese Kritik sollte man ernstehmen. Man sollte aber auch dies ernst nehmen: Wennie bis zu 25 Prozent des Gewinns einkassieren wollen,uzüglich einer 30-prozentigen Ertragsteuer – die Ban-enabgabe ist nicht als Betriebsausgabe steuerlich ab-etzbar –, dann werden 55 Prozent des Gewinns abge-chöpft.
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11756 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Ralph Brinkhaus
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Das kann man gut finden – das ist überhaupt keine Frage –;aber wenn man das gut findet, dann muss man auch sa-gen, wie das gehen soll. Die Banken sollen im Normal-jahr 1,2 Milliarden Euro Bankenabgabe zahlen. Außer-dem sollen sie 2 Milliarden Euro zum Sparpaketbeitragen. Darüber hinaus sollen sie gemäß Basel III dieEigenkapitalquote erhöhen, was circa 50 bis 100 Milliar-den Euro kosten wird, und sie sollen die Wirtschaft, diedank der guten Politik der Bundesregierung floriert, mitKapital und Krediten versorgen. An dieser Stelle mussich einen alten westfälischen Spruch anbringen: DieKuh, die man melkt, kann man nicht gleichzeitigschlachten.
Kollege Brinkhaus, ich hätte – –
Ich glaube, diese Zwischenfrage lassen wir jetzt ein-
mal aus.
Vor diesem Hintergrund könnte man eigentlich sagen,
dass Ihre Kritik ins Leere läuft. Das sage ich aber be-
wusst nicht. Wir machen uns genauso wie Sie Sorgen
und fragen uns, wie hoch das Aufkommen aus dieser
Bankenabgabe am Ende des Tages sein wird. Wir bewe-
gen uns auf unsicherem Terrain. Die Referenzgröße war
das Jahr 2006. Im Jahr 2006 hätten wir rund 1,3 Milliar-
den Euro zusammenbekommen. Das Jahr 2006 war aber
vor der Krise. 2006 hatten wir eine komplett andere Ban-
kenlandschaft. Im Jahr 2006 hatten wir im Übrigen – das
wird uns auch noch treffen – noch kein Bilanzrechtsmo-
dernisierungsgesetz. Insofern ist unklar, in welcher Höhe
die Bankenabgabe in den nächsten Jahren gezahlt wer-
den wird.
Wir werden in den nächsten Jahren zusammen mit Ih-
nen genau beobachten, wie hoch die Beiträge sind. Wir
haben das übrigens durch eine Verordnung geregelt, weil
die leichter zu ändern ist. Wir werden genau beobachten,
ob diese Bankenabgabe krisenverschärfend wirkt oder
nicht. Wir werden auch genau beobachten, wie es mit
der Nacherhebungsfrist aussieht. Ich denke, das ist gut
und richtig.
An dieser Stelle kann ich nur den Kollegen Sänger
von der FDP zitieren.
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ie können das kritisieren und sagen, dass man das an
er einen oder anderen Stelle hätte besser machen kön-
en, und Sie können auch die eine oder andere zusätzli-
he Idee vortragen. Aber Sie sollten bitte anerkennen,
ass wir uns vorangewagt haben, dass wir den ersten
chritt gewagt haben,
nd eingestehen, dass das am Ende des Tages dazu füh-
n wird, dass sich der Mechanismus, den wir auf euro-
äischer Ebene erarbeiten werden, an den deutschen
rinzipien orientieren wird. Das ist gut, das ist richtig,
as ist beispielhaft, und das sollte man auch zu dieser
päten Stunde an dieser Stelle einmal sagen.
Danke schön.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe dieussprache.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanz-usschusses zu der Verordnung der Bundesregierungber die Erhebung der Beiträge zum Restrukturierungs-nds für Kreditinstitute. Der Ausschuss empfiehlt in sei-er Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 17/5401nd 17/5405, die Verordnung der Bundesregierung aufrucksache 17/4977 – dort hieß es zunächst „einver-ehmlich“; das wird jetzt in Klammern gesetzt – zurenntnis zu nehmen und keine Änderungen vorzuneh-en. Jetzt lasse ich – das ist mit den Geschäftsführern soereinbart – über diese Beschlussempfehlung abstim-en. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-enprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungt damit angenommen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11757
Vizepräsident Eduard Oswald
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Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten BettinaHerlitzius, Daniela Wagner, Stephan Kühn, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENKlimaschutz in der Stadt– Drucksache 17/5368 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
InnenausschussAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Erste Rednerin ist Frau Kollegin Bettina Herlitziusvon der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön,Frau Kollegin, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, danke schön. – Meine Damen und
Herren! Nach dem großen Thema „Finanzkrise“ könnte
man meinen, dass wir jetzt zu einem ganz kleinen
Thema kommen, dass es bei „Klimaschutz in der Stadt“
vielleicht um ein paar Büsche, ein paar Bäume und um
Fassadenbegrünung, also Lieblingsthemen der Grünen,
geht. Ich muss Sie leider enttäuschen. Klimaschutz in
der Stadt ist ein Problem, das jetzt noch ganz klein ist,
das aber in 10, 20, 30 Jahren zu einem immensen Pro-
blem für unsere Städte und Kommunen werden wird.
50 Prozent der Bevölkerung leben aktuell in urbanen
Räumen. 2050 werden es fast 80 Prozent sein. Der
Drang in die Großstädte, in die urbanen Zentren wird
immer größer. Das hat viele Gründe, zum Beispiel das
intensivere soziale und kulturelle Leben und die Ver-
wirklichung von eigenen Lebensträumen. Aber auch die
Arbeitssituation zwingt Menschen vermehrt in die
Städte.
Unsere Städte sind die größten Energieschleudern.
Sie verursachen fast 75 Prozent der jährlichen Emissio-
nen von Öl, Gas und Kohle. Sie sind der Hauptverursa-
cher des Klimawandels. Aber unsere Städte sind auch
die ersten Opfer des Klimawandels. Steigende Meeres-
spiegel und große Hitze im Sommer werden zu großen
Katastrophen führen und haben das zum Teil auch schon
getan. Nehmen wir Frankfurt als Beispiel. Im
Sommerhalbjahr 2050 – das ist im Moment noch weit
weg, aber für unsere nachfolgende Generation sehr nah –
wird die Temperatur an durchschnittlich jedem dritten
Tag über 25 Grad Celsius betragen. Was das bedeutet,
können Sie sich gut vorstellen.
Da reicht es nicht aus, ein paar Alleebäume zu pflanzen.
Wir müssen unsere Städte grundsätzlich umbauen, um
diesen Herausforderungen gerecht zu werden.
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etzt könnte man meinen, dass er das Problem erkannt
at. Aus seinen Aussagen könnte man diesen Schluss
iehen. Aber wo ist das Handeln? Das Handeln fehlt.
ier zeigen sich die großen Defizite dieser Regierung.
Nach den Kürzungsorgien des letzten Jahres bei den
itteln für die Städtebauförderung und für die KfW-För-
erung sieht es im diesjährigen Haushaltsentwurf nicht
esser aus. Auch jetzt will die Bundesregierung das
O2-Gebäudesanierungsprogramm der KfW wieder auf
st null setzen, und das, obwohl die Internetseite des
inisteriums nur so strotzt vor guten Tipps, wie man
nergetisch saniert, und vor allen Dingen vor Hinweisen,
ie wichtig die energetische Sanierung ist.
Dasselbe passiert im Bereich der Städtebauförderung.
ie Mittel werden halbiert. Hier muss ich mich beson-
ers
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt kümmert euch doch einmalarum, jetzt bemüht euch doch einmal, damit wir dieseittel wieder erhöhen können.
er ist hier Regierung, und wer ist hier Opposition?
Wir verdanken Herrn Mücke eine weitere Täuschung.uch das Programm „Energetische Städtebausanie-ng“, das jetzt ganz neu über die KfW initiiert wird,erheißt viel Gutes; schließlich geht es um energetischetädtebausanierung. Aber wo ist die Finanzierung? Aufer einen Seite soll die Finanzierung über die KfW bzw.en neuen Klima- und Energiefonds der Regierung er-lgen. Auf der anderen Seite hören wir vom Herrn Par-mentarischen Staatssekretär Mücke, dass er für dienergetische Gebäudesanierung kein Geld mehr hat. Wirissen nicht, wie es mit der Brennelementesteuer wei-rgeht. Sie initiieren hier also ein Programm, ohne zuissen, wie Sie es finanzieren wollen.
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11758 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Bettina Herlitzius
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Das heißt, das ganze Programm ist eine riesige Luftnum-mer.Mit unserem Antrag „Klimaschutz in der Stadt“ wol-len wir auf die wichtigen Voraussetzungen aufmerksammachen, die wir unbedingt erfüllen müssen, um unsereStädte im Hinblick auf den Klimawandel richtig aufzu-stellen. Wir brauchen eine bessere Verankerung des Kli-maschutzes im Baurecht. Wir müssen die Förderungkontinuierlich, vor allen Dingen verlässlich und auch fürdie Kommunen berechenbar aufbauen. Es darf kein stän-diges Auf und Ab geben, wie es im Moment der Fall ist.
– Wenn Sie sich für unsere Vorschläge interessieren,müssen Sie nur unseren Antrag lesen, Herr Kollege. Inunserem Antrag steht dazu ganz viel.
Die energetische Städtebausanierung muss weiterausgebaut werden, aber nicht mit solchen Luftnummern,wie Sie sie im Moment produzieren.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist schon lange abgelau-
fen.
Danke schön, Herr Solms. Ich dachte, Sie hätten es
nicht gemerkt.
Außerdem müssen wir uns stärker mit dem Flächenver-
brauch und der Qualifizierung der am Bau Beteiligten
beschäftigen. Ich fordere Sie auf: Lesen Sie unseren An-
trag! Dort finden Sie viele Tipps. Sie dürfen auch ab-
schreiben. Wir nehmen es Ihnen nicht übel. Vielleicht
können Sie in unserem Antrag Argumente finden, um
die Regierung zu überzeugen.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Peter Götz von der CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! „KlimaschutzinsDgBgtrvictisF„cMbsgEbtibdg1ddgBlegVSguledn
ntgegen der sonst üblichen Programme zur Städte-auförderung – da gibt es einen Unterschied; das ist rich-g –,
ei denen sich Bund, Länder und Kommunen die För-ermittel teilen müssen, finanziert der Bund das Pro-ramm „Energetische Städtebausanierung“ zu00 Prozent, also allein.Die Kreditanstalt für Wiederaufbau hat ferner – auchies sei gesagt – zu Beginn dieses Monats mit Geldernes Bundes ein neues Förderangebot hinsichtlich einerünstigen Finanzierung energieeffizienter kommunalereleuchtungen gestartet. Energiesparende Straßenbe-uchtung verbessert auch den Klimaschutz in der Stadtanz konkret und vor allen Dingen schnell.
iele Kommunen beschreiten diesen Weg schon heute.ie profitieren davon durch geringere Energiekostenanz erheblich.Um zum Antrag der Grünen, der zur Debatte stehtnd den wir lesen sollten, zu kommen – ich habe ihn ge-sen –: In diesem Antrag wimmelt es geradezu von For-erungen nach neuen Vorschriften, Regulierungen undeuen Statistiken.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11759
Peter Götz
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten zurück-haltender sein, wenn es darum geht, zu sehr in die Pla-nungshoheit der Kommunen einzugreifen.
Unnötige bürokratische Zwänge nehmen den Kommu-nen die Möglichkeit, lokal angepasste, bestmögliche Lö-sungen vor Ort zu finden. Die engagierten Akteure vorOrt benötigen flexible Instrumente und keine Zwangsbe-glückung.
Wenn wir wollen, dass Deutschland, wie der Bauminis-ter formulierte, zum Weltmeister im Energiesparen wird,ist es wichtig, unnötige Gängelei zu vermeiden.
Freiwilligkeit und finanzielle Anreize sind allemal bes-ser als irgendwelche Zwänge. Das gilt für die Bürger, fürdie Kommunen, für die Wirtschaft – egal ob für Eigen-heimbesitzer, für Mieter oder für Vermieter. Wir brau-chen vor Ort nicht mehr Bürokratie, sondern mehr Ener-gieeffizienz.Durch das Konjunkturpaket II wurde die energetischeSanierung kommunaler Gebäude – von Schulen undKindergärten – mit all den vielen positiven Auswirkun-gen auch für die Städte, Kreise und Gemeinden angesto-ßen. Auch das war übrigens ein wichtiger Beitrag fürden Klimaschutz.Außerdem haben wir das von Ihnen kritisierte CO2-Gebäudesanierungsprogramm mit inzwischen über7 Milliarden Euro angesetzt.
– Die 7 Milliarden Euro sind ausgegeben und haben In-vestitionen in einer Größenordnung von 78 MilliardenEuro ausgelöst.
Neben diesen konjunkturellen Effekten für das heimi-sche Handwerk und für die Mieter, aber auch für die Ver-mieter haben wir erreicht, dass dadurch der CO2-Aus-stoß alljährlich um 4,7 Millionen Tonnen reduziertworden ist.
Ich frage Sie von den Grünen: Warum nehmen Sie dasnicht einfach einmal zur Kenntnis?
Wir alle wissen – Sie vielleicht nicht oder vielleichtauch doch, ich weiß es nicht –, dass die öffentlichen Mit-tel knapp sind und dass auch der Bundeshaushalt Spar-zwängen unterliegt. Trotzdem sage ich an dieser StellekdwbdHH7füuoh–dLdmnJbupunaDn
Sie will halt noch einmal sprechen.
Herr Kollege Götz, nur eine Zwischenfrage.
err Ramsauer hat in seinem jetzigen Haushalt eine
aushaltserleichterung. Er hat dadurch knapp
00 Millionen Euro mehr für den Haushalt 2012 zur Ver-
gung. Warum steckt er diese Mittel in den Straßenbau
nd nicht in Programme für die energetische Sanierung
der für den Städtebau?
Frau Kollegin, ich weiß nicht, ob Sie jetzt den Haus-alt 2011 meinen. Oder reden Sie vom Haushalt 2012?
Sie reden jetzt vom Jahr 2012. – Die Beratungen füren Haushaltsplan 2012 beginnen erfahrungsgemäß imaufe des Sommers. Das Kabinett trifft seine Entschei-ung in der Regel kurz vor der Sommerpause. Die parla-entarischen Beratungen für den Haushalt 2012 begin-en im September. Sie werden im November diesesahres abgeschlossen, und wenn ich richtig informiertin, haben wir jetzt gerade April.Was vorgelegt worden ist, ist ein Eckpunktekatalog,nd ein Eckpunktekatalog ist für mich kein Haushalts-lan.
:
Sie kürzen beim Straßenbau!)Deshalb habe ich gerade eben gesagt: Wir müssen,m die Energieeinsparpotenziale im Gebäudebereich zuutzen, das CO2-Gebäudesanierungsprogramm weiterusbauen.
as war eine klare, deutliche Ansage. Da ist null zu we-ig, um die Frage konkret zu beantworten.
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11760 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Peter Götz
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Ich nenne einen weiteren Punkt: Wir sollten außer-dem zur Motivation der Gebäudeeigentümer auchverstärkt die steuerlichen Aspekte von energetischenSanierungsmaßnahmen einbeziehen. Klimaschutz undEnergieeffizienz waren uns in der Vergangenheit wichtigund sind heute wichtig. Sie werden auch bei der Weiter-entwicklung des Energiekonzepts eine ganz bedeutendeRolle spielen.Ich lade Sie alle herzlich dazu ein, diese klimapoliti-schen Herausforderungen gemeinsam anzugehen. Diekommende Novellierung des Baugesetzbuches und dieNovellierung des Bau- und Planungsrechts bieten dazuausgezeichnete Möglichkeiten.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Sören Bartol von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichmerke schon, dass die Stimmung noch gut ist. Es ist einwirklich wichtiges Thema, das die Grünen heute auf dieTagesordnung gebracht haben. Klimaschutz ist eine dergroßen Herausforderungen für die Städte. Zusammenmit dem demografischen und wirtschaftlichen Wandelund den wachsenden sozialen Differenzen in und zwi-schen Städten ist Klimaschutz eine zentrale Aufgabenachhaltiger Stadtentwicklungspolitik.
Gemeinsam mit den Ländern und mit den Städten undGemeinden trägt der Bund Verantwortung für die um-welt- und klimafreundliche sowie sozialintegrierendeEntwicklung von Städten und Gemeinden, eine Verant-wortung, der diese Bundesregierung, allen voran das zu-ständige Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadt-entwicklung, leider in keiner Weise gerecht wird.
Für Oktober lädt das Ministerium zum 5. Bundes-kongress Nationale Stadtentwicklungspolitik ein. In derEinladung heißt es so schön:2011 ist das Jahr, in dem die Städtebauförderung,ein wichtiger Baustein der Nationalen Stadtent-wicklungspolitik, 40 Jahre alt wird. Die Leistungendieser Programme … werden deswegen … beson-AHMmnSrab–n–füdgisgGdddgHhsRletoInnP–d
Wir hören: Es soll weitere drastische Kürzungen imächsten Haushalt geben. Kollege Götz, so einfach, wieie das gerade gemacht haben, können Sie sich nicht he-usreden, weil die Eckwerte immerhin vom Kabinetteschlossen worden sind.
Ja, das ist natürlich richtig. Wir haben das gehört undehmen das zur Kenntnis.
Das ist wirklich das Neueste. Ich danke den Kollegenr die Zwischenrufe.Mit einer Städtebauförderung, für die 2012 gemäßen Eckwerten nur noch 266 Millionen Euro zur Verfü-ung stehen könnten,
t der notwendige ökologische Stadtumbau und die zu-leich notwendige soziale Integration in den Städten undemeinden nicht zu leisten.
Laut Ihrem eigenen sogenannten Energiekonzept willie Bundesregierung die Quote für energetische Gebäu-esanierung verdoppeln. Gleichzeitig streichen Sie aberie Mittel für die KfW-Programme zusammen – übri-ens auch schon in dem von Ihnen beschlossenen letztenaushalt. Nun hören wir, dass in den kommenden Haus-alt überhaupt kein Geld mehr eingestellt werden soll,ondern dass der Energie- und Klimafonds eine wichtigeolle bei der Finanzierung der Gebäudesanierung spie-n soll.
Dass das eine sichere Finanzierung ist, haben im Ok-ber schon die Experten bezweifelt.
zwischen glaubt das doch selbst Ihr eigener Ministericht mehr.
eter Ramsauer schreibt in dem Liebe-Freunde-Briefich muss jetzt einmal zitieren –: Wie sich angesichtser neuen Sachlage diese Fondszuschüsse tatsächlich
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Sören Bartol
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entwickeln, ist angesichts der aktuellen Situation kaumabsehbar. Zudem sind in dem Sondervermögen aus-schließlich Mittel für Zinsverbilligungen eingestellt, so-dass ab 2012 keine investiven Zuschüsse mehr vergebenwerden könnten.
Dies würde insbesondere die Häuslebauer treffen. – Dasist ein Originalzitat des Briefes von BundesministerRamsauer. So verunsichert man doch Investoren und Ei-gentümer, liebe Koalition.
Wer es ernst meint mit der Energiewende, der darf dieEnergieeinsparpotenziale bei Gebäuden nicht so sträflichvernachlässigen, wie diese Regierung das tut.
Wer es ernst meint mit der Energiewende, der mussdie Kraft-Wärme-Kopplung und quartiersbezogene Lö-sungen der Energie- und Wärmeversorgung in nennens-wertem Umfang fördern. Sie und wir alle sollten die No-velle zum Baugesetzbuch nutzen, um den Kommunenklimaschützende Maßnahmen zu erleichtern.Wer es ernst meint mit der Energiewende, der mussdie Energieeffizienz deutlich erhöhen. Wenn Sie es nurwollten, dann könnten Sie die Energieeffizienz bis 2020verdoppeln. Unser Vorschlag dazu liegt auf dem Tisch.Wir wollen einen Energieeffizienzfonds schaffen, der eszum Beispiel Haushalten mit einem geringen Einkom-men ermöglicht, alte, stromschluckende Geräte durchneue, energiesparende zu ersetzen.
Wer es ernst meint mit der Energiewende, KollegeDöring, der muss die Energieversorgung in kommunalerHand stärken; denn es sind doch die Stadtwerke, die dieerneuerbaren Energien mit vorangebracht haben.
– Ja, das sagen die Richtigen. – Stattdessen hat die Re-gierung einen teuren und immer teurer werdenden Dealmit den Stromkonzernen gemacht, durch den diese Be-mühungen ausgebremst werden. Geben Sie den Stadt-werken doch Planungssicherheit für ihre Investitionen inerneuerbare Energien und faire Wettbewerbsbedingun-gen.
Wer es ernst meint mit der Energiewende, der mussaber auch eine umwelt- und klimaverträgliche Mobilitätfördern. Ein Finanzierungskreislauf Straße dient dem ge-wiss nicht. Wir brauchen eine konsequente Förderungvon öffentlichem Nahverkehr, Fahrradfahren, Zu-Fuß-Gehen, innovative Formen der Automobilität und derenintelligente Verknüpfung.WPkzvsaBdlekcREsrenmddsicwPtaEzRtiMwv2bsimwteMS
ir brauchen an dieser Stelle doch einen Masterplanersonenverkehr!Dass eine solche umwelt- und klimafreundliche Ver-ehrspolitik in Peter Ramsauer keinen Fürsprecher hat,eigt sich doch anhand von zwei Beispielen:Erstes Beispiel. Noch vor 2014 steht nicht nur die Re-ision der ehemaligen Gemeindeverkehrsfinanzierung,ondern auch die Revision der Regionalisierungsmitteln.
isher vermisse ich jegliche Aussage der Regierungazu, wie sie eine ausreichende Finanzierung kommuna-r Verkehrsinvestitionen und des öffentlichen Nahver-ehrs nach 2014 sichern wird.
Dem öffentlichen Nahverkehr fehlt nicht nur eine si-here finanzielle Basis, sondern auch ein sichererechtsrahmen. Nun endlich hat das Ministerium einenntwurf für die Novelle zum Personenbeförderungsge-etz vorgelegt, der den Anforderungen hinsichtlich einerchtssicheren Umsetzung der Verordnung jedoch in kei-er Weise genügt. Was noch schwerer wiegt: Die kom-unale Verantwortung für die Daseinsversorgung wirdurch diesen Entwurf untergraben. Ich hoffe nur, dassieser Entwurf am Ende des Tages so nicht in das Ge-etzblatt kommt.
Das zweite Beispiel ist mein Lieblingsbeispiel, weilh seit Jahren dafür kämpfe. Seit Jahr und Tag fordernir, den Kommunen die Einrichtung von Carsharing-arkplätzen zu ermöglichen. So gut wie alle vom Städte-g bis zum ADAC sind dafür. Das war das eindeutigergebnis der Anhörung im Verkehrsausschuss im De-ember. Bisher gibt es immer noch keine Initiative deregierungsfraktionen, um diese kleine, aber sehr wich-ge ordnungspolitische Maßnahme auf dem Weg in dieobilität der Zukunft umzusetzen.
Wenn wir ehrgeizige Ziele wie die im EU-Verkehrs-eißbuch geforderte völlige Abschaffung der mit kon-entionellem Kraftstoff betriebenen Pkws in Städten bis050 erreichen wollen,
rauchen wir einen breitangelegten Ideenwettbewerb fürtädtische Mobilitätskonzepte. Ob Shared Space, wie es Grünenantrag steht, hier das beste Mittel der Wahl ist,eiß ich nicht. Ich denke, es muss darum gehen, mit Be-iligung der Menschen vor Ort integrierte Konzepte fürobilität und Wohnen zu entwickeln. Aus der sozialentadtentwicklung haben wir schon Erfahrungen mit der
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Sören Bartol
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Bewohnerbeteiligung und vor allen Dingen auch mit derressortübergreifenden Kooperation. Diese Erfahrungenlassen sich übrigens auch gut für eine integrierte Ver-kehrs- und Stadtentwicklungsplanung nutzen.Nicht nur das Leitbild der „Stadt der kurzen Wege“,wie es die Grünen fordern, muss in die Köpfe und Pro-gramme Eingang finden, sondern auch eine fachüber-greifend angelegte Siedlungs- und Wirtschaftsentwick-lung, die möglichst wenig Verkehr produziert.
Die von uns begonnene Stärkung der Innenentwicklungmuss fortgesetzt werden. Voraussetzung ist der politi-sche Wille, integriert zu denken, vor allen Dingen end-lich auch wieder im Bundesministerium für Verkehr,Bau und Stadtentwicklung.Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von denGrünen, ist eine lange Liste überwiegend bedenkenswer-ter Vorschläge. Ich würde mich dann aber auch freuen,wenn Sie uns zu Ihren zahlreichen Spiegelstrichen wieder Forderung nach einer Grundsteuerreform auch Um-setzungsvorschläge machen würden.In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen einen schö-nen Abend.
Das Wort hat die Kollegin Petra Müller von der FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Imvorliegenden Antrag wird eine Reihe von Themenkreisenaufgegriffen: Städtebauförderung, Energiesparfonds, Bau-nutzungsverordnung, Flächennutzungsplan. Es geht umNahwärmenetze, Frischluftschneisen und Wärmerückge-winnung, Radverkehrsbenutzungspflichten, Emissions-werte, Tempo 30 innerorts, City-Maut, Weiterbildungvon Bauleuten und Studiencurricula für Architekten undBauingenieure.
Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber das ist keinAntrag, sondern ein Forderungskatalog. Es ist ein Forde-rungskatalog ohne Konzept, völlig überfrachtet undohne jedes Maß. Es ist eine Zumutung für die Kommu-nen.
– Das stimmt, nicht?Bereits zum dritten Mal in kurzer Folge greifen Sie ent-weder Einzelaspekte aus dem Baugesetzbuch heraus – icherinnere nur an die denkenswerten und selbstverständlichmWSghzvguPsbsDhBPnbabZvbWbdeDgNShdwHp
nd wir setzen es um. Wir werden Planungsrecht undlanungsziele weiterentwickeln. Wir werden die Innen-tadtentwicklung stärken, Genehmigungsverfahren ent-ürokratisieren, den demografischen Wandel berück-ichtigen und den Klimaschutz verankern.
aran arbeiten wir längst.In der zweiten Jahreshälfte werden wir in diesem Ho-en Hause mit den Beratungen zur Novellierung desaugesetzbuches beginnen. Bis Anfang 2012 soll derrozess abgeschlossen sein. Im Ausschuss und im Ple-um werden Sie alle die Möglichkeit haben, sich einzu-ringen. Ich denke, damit ist das Thema dann endgültigbgeschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die energetischezw. die dynamische Stadtentwicklung ist ein erklärtesiel liberaler Politik. Wir müssen die Förderprogrammeerstetigen – ich wiederhole mich zum x-ten Male –, ins-esondere das Programm zur CO2-Gebäudesanierung.ir werden aber nicht beim einzelnen Gebäude stehenleiben. Nein, die FDP-Bundestagsfraktion setzt sich füren Schritt hin zu quartiersbezogenen Betrachtungenin.
azu legt die Koalition das neue KfW-Programm „Ener-etische Städtebausanierung“ auf. Damit haben wir denagel genau auf den Kopf getroffen.
Als hätten Sie mir das Stichwort gegeben: An erstertelle steht natürlich die Haushaltskonsolidierung. Dazuaben sich CDU/CSU und FDP verpflichtet. Ich glaube,er Schuldenbremse haben auch Sie zugestimmt. Dasar doch so, oder? Angesichts der Notwendigkeit zuraushaltskonsolidierung ist es umso wichtiger, Förder-rogramme so zu gestalten, dass Eigeninitiative und
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11763
Petra Müller
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Engagement der Bürgerinnen und Bürger angeregt wer-den, dass sich Private und Privatwirtschaftliche einbrin-gen können.
Ein Programm ist eben nur ein Instrument. Aber so aus-gestaltet ist es ein urliberales Instrument.In Ihrem Antrag wird die Polarisierung von Stadt undLand hervorgehoben. Besondere Beachtung verdient derländliche Raum. Kleine Städte und Gemeinden dürfennicht gegen große, urbane Ballungszentren ausgespieltwerden. Aus den spezifischen Problemen der Städte darfkeine baurechtliche oder förderpolitische Bevorzugungabgeleitet werden, wie Sie das in Ihrem Antrag fordern.
Mit dem Bundesprogramm „Kleine Städte und Gemein-den“ sorgen wir auch zukünftig für Daseinsvorsorge undurbane Weiterentwicklung in dünnbesiedelten Räumen.
In dem vorliegenden Antrag finden sich viele, viel-leicht zu viele Ideen auf einmal. Wir müssen uns nicht ri-tuell bekämpfen. Wir als liberale Fraktion
sehen einen inhaltlichen Konsens in vielen Punkten.Aber wir werden Ihrem Antrag nicht zustimmen. Heutegeht es auch nicht um Zustimmung, sondern um Über-weisung. Schauen Sie einmal in die Tagesordnung!Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und be-danke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Eva Bulling-Schröter
von der Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DerAntrag der Grünen gibt eine gute Übersicht über dieDinge, die im städtischen Klimaschutz anzupacken wä-ren. Wir finden es gut, wo die Schwerpunkte liegen,nämlich bei Energieeffizienz im Gebäudebestand undbei Neubauten, bei Anpassungsmaßnahmen wie Frisch-luftschneisen, bei der Verringerung des Flächenver-brauchs – das ist ganz wichtig – und natürlich bei nach-haltiger Mobilität. Erneuerbare Energien werden inStädten eine wichtige Rolle spielen. Aber im Unter-schied zu Gemeinden im ländlichen Raum sind die Mög-linvgSndnuvgznMDnsvisbruzhmspBKGfü1indgnnedriuKtiBcatidglö
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Da der Vermieter alle Heizkosten auf die Mieter um-legen kann, hat er kein ökonomisches Interesse an Sanie-rungen. Andererseits werden gesetzliche Verpflichtun-gen zu energetischen Sanierungen, wie bereits erwähnt,Mieterinnen und Mieter vielfach überfordern. Bei Zu-schüssen oder Kreditprogrammen der öffentlichen Handwiederum ist nur schwer zu verhindern, dass ungerecht-fertigte Mitnahmeeffekte für die Hauseigentümer entste-hen.In den Ausschüssen sollten wir uns für dieses Themagenügend Zeit nehmen und es sehr ernsthaft diskutieren,um dann auch wirklichen Klimaschutz zu erreichen.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
der Kollege Volkmar Vogel von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Debatte eben war natürlich nicht so harmonisch wiedie, die wir zum Feuerwehrführerschein geführt haben.Das ist aber auch ganz klar, es handelt sich hier ja nichtum eine Vorlage von uns, die wir die Zusammenhängeimmer ganzheitlich darstellen und bei denen auch großeMehrheiten möglich sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wennman all Ihren Vorschlägen nachkommen und Ihre Forde-rungen erfüllen will, kommt das einem Ausbremsen derSchuldenbremse schon ziemlich nahe.
Noch eines muss ich dazu sagen: Vieles von dem hättenSie ja auch mit Minister Tiefensee verwirklichen kön-nen.
– Kommt gleich! – Ich glaube, bei vielen Dingen hättenwir wahrscheinlich nur eine geringe Gegenwehr an denTag gelegt, und wir wären heute schon ein Stück weiter.Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, derAntrag, den Sie heute vorlegen, ist eigentlich nichtsNeues.
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enn ich das vergleiche, dann muss ich sagen: Ja, auchir sagen natürlich, der Gebäudebereich ist ein wichti-er Faktor bei der gesamten Energieeffizienzsteigerung;, wir müssen die Programme verstetigen, wir müssenie ausbauen und verzahnen.
ir sagen Ja zur Vorbildwirkung des öffentlichen Be-ichs, vor allen Dingen für den Bereich des Bundes, füren wir zuständig sind. Wir sagen auch Ja zu weitereresserer Beratung sowie zu weiterer besserer Fortbil-ung und fachlicher Anleitung.
ir sagen natürlich auch Ja zu differenzierten Betrach-ngen der unterschiedlichen Strukturen.Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, allesas ist nichts Neues.
h muss an der Stelle aber auch sagen – Kollegin Müllernd auch Peter Götz haben es bereits angesprochen –:ir sagen auch Nein. Wir sagen vor allen Dingen Nein,enn es um die Vernachlässigung von kleinstädtischennd ländlichen Strukturen geht.
nd wir sagen Nein, wenn es um Benachteiligung odericht angemessene gleichwertige Behandlung von klein-iligen privaten Gebäudestrukturen geht, die ja immer-in über 80 Prozent des gesamten Gebäudebestandesusmachen.
nd, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sagen auchein, wenn es – auch das steht im Antrag – um die Un-leichbehandlung der Verkehrsträger geht.Die Union will – ich denke, da sind wir uns mit denollegen von der FDP einig – breit aufgestellte Struktu-n in allen Bereichen.
as macht uns krisensicher, das haben die letzten Mo-ate gezeigt.In der Wohnungspolitik sind wir immer gut mit einemix aus Kommunal-, Genossenschafts- und Privateigen-m gefahren.
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Volkmar Vogel
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In der Infrastrukturpolitik müssen wir Straße, Schieneund Wasserstraße sinnvoll ergänzen, je nachdem, welcheVorteile der einzelne Verkehrsträger mit sich bringt.
Wir müssen in unserem Handeln den Bedürfnissen derMenschen folgen und nicht umgekehrt.
Ich sage das deswegen, weil uns das Ordnungsrechtnicht in jedem Fall, sondern immer nur bedingt weiter-hilft.
Wir brauchen einfache, nachvollziehbare, planbareklimapolitische Prinzipien, die ihre Wirkung in der Stadtund auf dem Land sowohl auf dem großen gemeinschaft-lichen Wohnungsmarkt als auch auf dem privaten Woh-nungsmarkt entfalten können. Der Gebäudebereich hatein riesiges Energieeinsparpotenzial, das es zu aktivierengilt, ohne die Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen jemalsaus dem Auge zu verlieren.
Die Potenziale sind im ländlichen wie im städtischenBereich immens. Für uns gelten folgende Prämissen:Wir geben die Standards und die zu erreichenden Zielevor; aber wir lassen die Technologien, die zur Umset-zung dieser Standards und zur Erreichung dieser Zielenotwendig sind, weitgehend offen. Technologieoffenheitist also eines unserer Prinzipien.
Wir folgen konsequent dem Wirtschaftlichkeitsgebotund respektieren damit die Eigentumsgarantie. Beideskann man ordnungspolitisch nicht außer Kraft setzen.Ich möchte in Erinnerung rufen, dass eine CDU/CSU-geführte Regierung schon in der letzten Legislatur-periode Prioritäten gesetzt hat, zum Beispiel mit denKonjunkturprogrammen. In diesen Programmen warendie in Ihrem Antrag geforderten und bei uns nach wievor auf der Agenda stehenden energetischen Maßnah-men bei öffentlichen Gebäuden – Schulen, Turnhallen,Kindergärten – und die kommunalen Strukturen insge-samt im Fokus. Das CO2-Gebäudesanierungsprogrammhat ein großes Stück vom Konjunkturprogrammkuchenabbekommen – zu Recht!
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as ist ein weiteres Beispiel für den Ausbau.Außerdem werden wir die energetische Städtebausanie-ng auf den Weg bringen. Wir haben dafür im Baubereichderführend die Instrumente mit dem Baugesetzbuch, dertädtebauförderung, dem CO2-Gebäudesanierungspro-ramm und der Energieeinsparverordnung als Ord-ungsrahmen. Diese Instrumente ergänzen sich. Wirönnen und werden sie sinnvoll verzahnen. Auch daserden wir machen. Es wird einen Fahrplan zur energe-schen Sanierung von Bundesbauten geben. Damit wer-en wir auch der Vorbildwirkung des Bundes und des öf-ntlichen Bereiches insgesamt gerecht.Das sind nur einige wenige Beispiele dafür, was wirit dem Energiekonzept auf den Weg gebracht haben,nd dafür, was wir noch umsetzen wollen. Das heißtonkret, wir sind schon weiter als das, was in Ihrem heu-gen Antrag gefordert wird.
ir machen Angebote an alle Akteure, nicht nur an dietadt, nicht nur an bestimmte Eigentümerstrukturen,icht nur im Hinblick auf das Ordnungsrecht. Wir han-eln vielmehr technologieoffen und wirtschaftlich, wirchaffen Anreize zur Eigeninitiative, um tatsächlich einereitenwirkung zu erzielen.
ur wenn uns das gelingt, können wir unsere klimapoli-schen Ziele erreichen. Wir werden den Antrag der Grü-en nicht mittragen. Ich freue mich schon auf die Dis-ussion im Ausschuss.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 17/5368 an die in der Tagesordnung aufge-hrten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.Jetzt haben wir noch eine Reihe von Tagesordnungs-punkten, bei denen die Reden zu Protokoll gegeben wer-den. Ich bitte Sie, so lange hierzubleiben, bis das Ganzeformal abgewickelt ist.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des Bundesversorgungsgesetzes undanderer Vorschriften– Drucksache 17/5311 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
RechtsausschussVerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschuss gemäß § 96 GODie Reden sollen zu Protokoll genommen werden.
Das Ziel des in erster Lesung zur Beratung anstehen-
den Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsge-
setzes und anderer Vorschriften ist es, die Rentenleistun-
gen für Kriegsopfer und ihnen gleichgestellte Personen
– zum Beispiel Wehr- und Zivildienstopfer, Gewaltopfer,
SED-Opfer – nach dem Bundesversorgungsgesetz so an-
zupassen, dass sie ab dem 1. Juli 2011 in gleicher Höhe
in ganz Deutschland gezahlt werden. Mit Ausnahme der
Grundrentenbezieher der Kriegsbeschädigten und SED-
Opfer erhielten die Anspruchsberechtigen in den neuen
Ländern bislang nur 88,71 Prozent der in den alten Län-
dern gewährten Leistungen. Daher möchte ich mich der
Bewertung meiner Kollegen anschließen, dass wir mit
der Gesetzesänderung einen wichtigen Beitrag zur ge-
rechten Entschädigung von Opfern aus Kriegen, von Re-
gierungsregimen und Gewalttaten leisten, Unterschiede
zwischen Ost und West bereinigen und damit konkret zur
Gerechtigkeit in unserem Land beitragen.
Die im vorliegenden Gesetzentwurf enthaltenen Än-
derungen setzen den Beschluss des Bundesrates vom
18. März 2011 um. Auf Bitten des Bundesrates soll si-
chergestellt werden, dass die Ost-West-Anpassung allen
Berechtigten zugutekommt. Gerade für die Bestandsfälle
sind dafür Gesetzesänderungen nötig. Um den Berufs-
schadensausgleich bei Bestandsfällen zu gewährleisten,
ist eine ergänzende Klarstellung im Bundesversorgungs-
gesetz vorgesehen. Gleichzeit muss im Unterstützungs-
abschlussgesetz, das auf das BVG verweist, noch eine
Änderung erfolgen. Schließlich soll mittels des heute in
erster Lesung zur Beratung anstehenden Gesetzes zu-
sätzlich auch der Bitte des Bundesrates entsprochen
werden, den Stichtag für den zeitlichen Geltungsbereich
des Opferentschädigungsgesetzes in den neuen Ländern
korrekt zu benennen.
Die Bundesregierung kommt mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf auch dem Urteil des Europäischen Ge-
richtshofes nach, wonach alle Bezieher von Leistungen
aus dem Bundesversorgungsgesetz im EU-Ausland iden-
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zieher von Leistungen aus dem Bundesversorgungsge-
setz im EU-Ausland identische Leistungen erhalten. Das
BMAS hat mit einem Rundbrief vom 17. Juni 2009 be-
reits mit der Umsetzung begonnen, sodass die Grund-
renten von Berechtigten in osteuropäischen EU-Staaten
bereits angeglichen werden konnten. Der vorliegende
Gesetzentwurf stellt nun eine vollständige Umsetzung
dar. Damit wird das Recht der Auslandsversorgung und
-fürsorge maßgeblich vereinfacht und entbürokratisiert.
Das neue Gesetz umfasst darüber hinaus wesentliche
Verbesserungen beim Berufsschadenausgleich. So wurde
die Berechnung des Ausgleichs, den Berechtigte nach
dem Sozialen Entschädigungsrecht erhalten, erheblich
vereinfacht.
Eine Besitzstandsregelung gewährleistet, dass nie-
mand in Zukunft geringere Leistungen bekommt als bis-
her. Damit die Ost-West-Anpassung allen Berechtigten
zugutekommt und dies bei Bestandsfällen auch für den
Berufsschadenausgleich gewährleistet ist, muss im Bun-
desversorgungsgesetz eine Klarstellung eingefügt wer-
den und im Unterstützungsabschlussgesetz, das auf das
Bundesversorgungsgesetz verweist, noch eine Änderung
erfolgen. Diese Anregungen des Bundesrates sollen zu-
sätzlich berücksichtigt werden.
Der Gesetzentwurf ist ein gelungenes Beispiel für
eine erfolgreiche Vereinfachung bestehender gesetzli-
cher Regelungen. Die christlich-liberale Koalition hält
sich damit an das im Koalitionsvertrag festgelegte Ziel,
für Bürokratieabbau, Vereinfachungen und Transparenz
zu sorgen.
Erlauben Sie mir, die entsprechende Passage aus dem
Koalitionsvertrag zu zitieren:
Regeln sind kein Selbstzweck, weshalb es nicht
mehr Regeln geben soll als erforderlich. Notwen-
dige Regelungen müssen schlank und verlässlich,
Verwaltungs- und gerichtliche Verfahren zügig
sein.
Der Gesetzentwurf leistet einen wichtigen Beitrag zur
gerechten Entschädigung von Opfern aus Kriegen, von
Regierungsregimen und Gewalttaten, bereinigt Unter-
schiede zwischen Ost und West und leistet einen wichti-
gen Beitrag zum Bürokratieabbau und zur Gerechtig-
keit.
20 Jahre nach der Wiedervereinigung lässt es sich
politisch nicht mehr vermitteln, dass unterschiedliche
Rentenberechnungssysteme in Ost und West existieren.
Ebenso wenig kann man den Leuten vermitteln, dass die
Leistungshöhen im Sozialen Entschädigungsrecht noch
immer unterschiedlich sind. Die Initiative der Bundes-
regierung ist hier also richtig, denn sie sorgt dafür, dass
Opfer in Ost und West nicht länger benachteiligt wer-
den, und stellt auch klar, dass es in diesem Land keine
Wertigkeit von Opfern gibt und geben darf.
Allerdings stelle ich fest, dass es Missverständnisse
über die Wirkung einzelner Regelungen gibt; so haben
mich Schreiben erreicht, wonach Bürgerinnen und Bür-
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und Ländern. Damit sollen die circa 40 000 meist hoch-betagten Kriegsopfer in den neuen Bundesländerndieselben Leistungen wie die Kriegsopfer in den altenBundesländern erhalten. Dies ist ein weiterer Schritt zurHerstellung einheitlicher Rechtsverhältnisse in ganzDeutschland und so zur Verwirklichung der DeutschenEinheit.Zweitens. Die Auslandsversorgung und -fürsorgenach dem Bundesversorgungsgesetz wird reformiert.Dies war nach der Entscheidung des Europäischen Ge-richtshofs vom 4. Dezember 2008 notwendig geworden,da bisherige Regelungen des Bundesversorgungsgeset-
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sundheitlich geschädigt worden sind. Beides ist bei con-tergangeschädigten Menschen nicht der Fall.“ Ich haltedas für problematisch. Das ist das klassische Denkennach dem Kausalitätsprinzip: Die Ursache der Beein-trächtigung ist ausschlaggebend für die Leistung. Wärees nicht überfällig, endlich dem Finalitätsprinzip zu fol-gen? Das hieße: gleicher Leistungsanspruch bei ver-gleichbarer Beeinträchtigung.Notwendig ist meines Erachtens auch die gründlichePrüfung der Einwände des Bundesrates. Dazu gehört,sicherzustellen, dass von der im Gesetzentwurf vorgese-henen Anhebung auf die Leistungshöhen in den altenLändern auch alle bisher in den neuen Ländern noch ab-gesenkten Entschädigungs- und Rentenleistungen nachdem BVG oder den Nebengesetzen – insbesondere nachdem Gesetz über den Abschluss von Unterstützungen derBürger der Deutschen Demokratischen Republik bei Ge-sundheitsschäden infolge medizinischer Maßnahmen –erfasst werden.Des Weiteren ist die für den Berufsschadenausgleichund Schadenausgleich in § 87 BVG-E vorgeseheneÜbergangs- und Besitzstandsregelung noch einmal mitBlick auf die beabsichtigte Gewährung gleicher Leis-tungshöhen im Sozialen Entschädigungsrecht in denneuen und alten Ländern zu überprüfen, damit mit demGesetz nicht Regelungen eingeführt werden, die zu einersubstanziell erheblichen Verschlechterung bei den Leis-tungen aus dem Berufsschadenausgleich für betroffeneGeschädigte führen. In diesem Sinne wird die FraktionDie Linke den vorliegenden Gesetzentwurf in den Aus-schüssen konstruktiv diskutieren.
Im Großen und Ganzen begrüßen wir den vorgelegten
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversor-
gungsgesetzes und anderer Vorschriften, stellt doch die
volle Angleichung der Höhe der Entschädigungs- und
Rentenleistungen in den neuen Ländern ab 1. Juli 2011
an die Leistungshöhen in den alten Ländern einen
wichtigen Schritt zur Herstellung einheitlicher Rechts-
verhältnisse in ganz Deutschland dar. Es ist zudem er-
freulich, dass die Bundesregierung in ihrer Gegenäuße-
rung zur Stellungnahme des Bundesrates ankündigt, die
dort geäußerten Änderungen zu berücksichtigen. Hier-
bei geht es insbesondere um die Erfassung aller bisher
in den neuen Bundesländern noch abgesenkten Entschä-
digungs- und Rentenleistungen nach dem BVG oder den
Nebengesetzen. Wir werden die Bundesregierung beim
Wort nehmen und in den kommenden Ausschussberatun-
gen darauf dringen, insbesondere die für den Berufsscha-
denausgleich und Schadenausgleich in § 87 BVG-E vor-
gesehene Übergangs- und Besitzstandsregelung darauf
zu überprüfen, ob die beabsichtigte Gewährung gleicher
Leistungshöhen in Ost und West auch wirklich eintritt.
Darüber hinaus hat das Gesetz zum Inhalt, die Aus-
landsversorgung im Nachgang zum Urteil des EuGH
vom 4. Dezember 2008, wonach Berechtigte nach dem
BVG mit Wohnsitz in osteuropäischen Ländern der
Europäischen Union keine abgesenkten Leistungen im
Vergleich zu anderen EU-Staaten erhalten dürfen, euro-
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Gewalt in den eigenen vier Wänden gehört für vieleFrauen und Kinder in Deutschland noch immer zum All-tag – sicherlich eine unvorstellbare Tatsache für diemeisten von uns. Jährlich flüchten circa 45 000 phy-sisch, sexuell oder psychisch misshandelte Frauen mitihren Kindern in eines der circa 400 Frauenhäuser oderin vergleichbare Zufluchtswohnungen. Da längst nichtalle häuslichen Gewalttaten gemeldet werden, habenwir es in diesem Kontext mit einer hohen Dunkelziffer zutun.Nach über zwanzigjähriger intensiver Arbeit derFrauenhäuser, die dem enormen Andrang von Gewalt-opfern kaum gewachsen sind, liegt der Fokus schon seiteiniger Zeit darauf, vermehrt mithilfe interdisziplinärerInterventionsprojekte das Problem häuslicher Gewalt inden Griff zu bekommen. Ein Schwerpunkt des Gewalt-interventionsprozesses soll dabei vor allem auch auf dersogenannten Täterarbeit liegen. Da häusliche Gewaltoftmals nicht mit Freiheitsentzug bestraft wird und eineGeldbuße häufig auch das mit dem Täter zusammenle-bende Opfer zusätzlich schädigt, erweisen sich Täter-programme als geeignete Alternative im Umgang mitGewaltstraftätern.Täterarbeit steht dabei für Maßnahmen in Form so-zialer Trainingskurse, in denen sich gewalttätige oderpotenziell gewaltbereite Männer mit ihren Taten aus-einandersetzen, die Verantwortung für ihre Gewalthand-lungen übernehmen und alternative, nicht gewalttätigeVerhaltensweisen erlernen sollen. Diesbezüglich hat dieBundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Ge-walt e. V. bundesweite Standards für qualifizierte Täter-programme erarbeitet. Langfristig sollen Täter durchVerantwortungsübernahme und Selbstkontrolle von derWiederholung ihrer Taten abgehalten werden. Täter-arbeit kann damit ein wichtiges Element der Gewaltprä-vention und des Opferschutzes sein.Wie die Forschungsergebnisse der wissenschaftli-chen Begleitung der Interventionsprojekte gegen häusli-che Gewalt in Deutschland zeigen, ist die Täterarbeit imKontext von Interventionsprojekten eine sinnvolle undrichtige Maßnahme. Zwei Drittel der in der Studieberücksichtigten Männer haben das Programm abge-schlossen. Besonders interessant ist in diesem Zusam-menhang folgende Erkenntnis: Diejenigen Täter, dieaufgrund einer justiziellen Weisung oder Auflage – diein den letzten Jahren in Fällen häuslicher Gewalt durchStaats- oder Amtsanwaltschaft in der Praxis bereits an-gewandt wurden – an einem Programm teilgenommenhaben, schließen dieses signifikant häufiger ab als dieanderen Teilnehmer. Dass sich gewalttätige Männer auseigener Initiative heraus zu einem Täterprogramm an-melden, ist äußerst selten der Fall. Der Druck von außenträgt also nicht nur zur Absolvierung, sondern auch zumAbschluss eines Programms bei.Der Gesetzentwurf zur Täterverantwortung des Bun-desrates trägt dieser Erkenntnis Rechnung und schlägtvor, mit einigen Änderungen die Möglichkeiten, Straftä-ter durch staatsanwaltschaftliche oder gerichtliche Wei-sungen Täterprogrammen zuzuweisen, zu erweitern. SowwfadtesloSWgnueresliDnndFvVgnsedvmdindes§MadeFgnEtewknSGg„dreDWgZu Protokoll ge
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nahme des Täters gerecht werden kann, wenn man ledig-lich von einem „Training“ spricht.Abschließend darf ich einen weiteren Punkt anspre-chen, der im Gesetzentwurf des Bundesrates bislangkeine Berücksichtigung findet, über den wir allerdingsin der weiteren Debatte ebenfalls beraten sollten. Oftbagatellisieren die Täter ihre Tat und weisen die Schuldvon sich. Für die begleitenden Trainer wäre es dahervon großem Vorteil, den gesamten Sachverhalt zu ken-nen, um ihn in ihre Arbeit einbeziehen zu können. Da-raus ergibt sich unter Umständen die Notwendigkeit,personenbezogene inhaltliche Daten aus den Ermitt-lungs- bzw. Strafakten zugänglich zu machen. Schließ-lich wären daraus folgende Ergebnisse auch für die Aus-wertung der Erfahrungsberichte von Bedeutung. Eineentsprechende Regelung könnte, wie auf Länderebenebereits diskutiert wird, in § 155 b StPO eingefügt wer-den.In der Sache sehen wir den Gesetzentwurf des Bun-desrates grundsätzlich positiv. Eine Erweiterung der zu-vor angesprochenen notwendigen personenbezogeneninhaltlichen Datenübermittlungen für die Arbeit im so-zialen Trainingsprogramm in § 155 b StPO sollte für dieZukunft überlegt werden. Insgesamt ist der Gesetzent-wurf ein weiterer richtiger Schritt auf dem langen Wegder Bekämpfung häuslicher Gewalt.
Die SPD begrüßt den Gesetzentwurf. Der Schutz derOpfer von Straftaften ist eine wichtige Aufgabe derStrafjustiz. Grundlage ist das Straf- und Strafverfahrens-recht, und hier hat der Gesetzgeber vor allem im letztenJahrzehnt zur Verbesserung des Opferschutzes schonviel getan. Der Vorschlag des Bundesrates, der auf dieInitiative von Rheinland-Pfalz zurückgeht, ist nun einweiterer Baustein, der das Regelwerk verdichten wird.Er dient dem vorbeugenden Opferschutz, weil er daraufabzielt, Gewalttäter künftig verstärkt in Verantwortungnehmen und auf Verhaltensänderungen hinwirken zukönnen.Konkret geht es darum, den Rahmen dafür zu schaf-fen, dass Staatsanwälte und Gerichte, die Ermittlungs-bzw. Strafverfahren einstellen, besser als bisher einemTäter qua Weisung die Pflicht auferlegen können, anspeziellen sozialen Trainingskursen oder Täterprogram-men teilzunehmen. Zweck solcher Kurse und Pro-gramme ist es, Verhaltens- und Wahrnehmungsänderun-gen auf der Seite des Täters zu bewirken und ihm dieFähigkeit zu vermitteln, Verantwortung zu übernehmenund Selbstkontrolle auszuüben.Grundgedanke ist, dass die Bestrafung der Täterdurch Geldbußen, Geldstrafen bzw. Haftstrafen nichtautomatisch zu einer kritischen Auseinandersetzung derTäter mit ihrem Gewaltverhalten und zur Beendigungdes gewalttätigen Verhaltens führt. Mit solchen Pro-grammen können Täter lernen, ihre Wahrnehmungenund Verhaltensweisen zu ändern. Im Rahmen von struk-turierten Täterprogrammen finden Gruppensitzungen,aber auch Einzelgespräche mit den Tätern statt. Sie sol-len befähigt werden, Verantwortung für ihr Tun zu er-kDsdhraSshmnGskgssmbtevfüumAgdgekluWJnpvon„swsDEreAejudteggfüZu Protokoll ge
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Begriffs „Täterprogramm“ den Begriff „sozialen Trai-ningskurs“ zu verwenden.
Wir beraten heute eine Initiative aus den Ländern zur
stärkeren Betonung der Täterverantwortung nach Fäl-
len häuslicher Gewalt. Wir greifen damit im Sinne des
Opferschutzes einen Bundesratsbeschluss aus dem Jahr
2008 auf, der in der letzten Wahlperiode nicht mehr be-
raten wurde. Mit dem Entwurf sollen die Möglichkeiten
verbessert werden, Straftäter über staatsanwaltschaftli-
che oder gerichtliche Weisungen qualifizierten Täter-
programmen zuweisen zu können. Es sollen bei den
Tätern Verhaltens- und Wahrnehmungsänderungen er-
reicht und dadurch neuerliche Gewalttaten vermieden
werden. Ziel sind damit zugleich Kriminalitätsverhinde-
rung und vorbeugender Opferschutz.
Aus liberaler Sicht ist die aus dem Gesetzesvorschlag
sprechende Forderung an Straftäter zu begrüßen, Ver-
antwortung zu übernehmen und sich selbst besser zu
kontrollieren. Mit dieser Ausrichtung ergeben sich ge-
rade für nicht vorbelastete Personen Anreize zur Teil-
nahme an entsprechenden Programmen. Dass wir mit
dem Aufgreifen des Länderentwurfes auf einem guten
Weg sind, zeigt auch die Unterstützung durch den Deut-
schen Richterbund. Der Ausbau der Täterprogramme
als Auflage stärkt den Opferschutz deutlich. Es ist nach-
gewiesen, dass Geldstrafen zwar die Opfer mittelbar
selbst treffen, jedoch das Verhalten des Täters nicht ent-
scheidend verändern. Hier würde dann eine pädago-
gisch-therapeutische Maßnahme eher greifen, um neue
Gewalttaten zu verhindern.
Lassen Sie mich dennoch in der ersten Lesung einige
kritische Bemerkungen machen. Jeder, der aus der poli-
zeilichen und staatsanwaltlichen Praxis kommt, weiß,
dass häusliche Gewalt in nahezu gleichem Umfang
Frauen wie Männer trifft. Dies ist ein Tabu in der De-
batte, weil das Gewaltthema gerne ausschließlich bei
Männern abgeladen wird. Gewalt wird aber nicht nur
körperlich, sondern auch psychisch ausgeübt. Wir soll-
ten uns deshalb in den Beratungen mit der Frage befas-
sen, wie auch dieser Form von Gewaltanwendung bes-
ser begegnet werden kann. Die Gesetzesänderungen
müssen den Opfern jedweder Gewalt zugutekommen.
Die Bundesregierung hat auch zu Recht darauf hinge-
wiesen, dass sich im Strafgesetzbuch die Bezeichnung
„Täter“ für noch nicht verurteilte Personen verbietet.
Wir sollten hier nach einer besseren Formulierung su-
chen. Insgesamt ist es aber eine begrüßenswerte Initia-
tive, die wir in den nun beginnenden Beratungen unter-
stützen werden.
Die Koalition hat sich den Gesetzentwurf des Bundes-rates zur Stärkung von Täterverantwortung zu eigen ge-macht, und deshalb debattieren wir ihn heute. Wir sinduns alle einig darin, dass häusliche Gewalt ein sehr ernstzu nehmendes Problem ist. Wir sind uns auch einig darin,dass die Täterverantwortung gestärkt und vor allem diePräventionsarbeit verbessert werden muss. Wir sind unseinig, dass Täterprogramme ein guter Ansatz sind, zuVateseBcimGmFhgreHawmLpwveblävadDgsSeesdädreDgDaDkggtekOsTmdzdhgZu Protokoll ge
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11772 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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Das Sanktionenrecht im deutschen Strafrecht ist
immer noch zentral ausgerichtet auf Geld- und Frei-
heitsstrafen. Weitere und effektivere Einwirkungs- und
Ahndungsmöglichkeiten wurden bisher immer nur als
Einzelmaßnahmen und wenig systematisch ins Sanktio-
nensystem eingefügt. Zu erwähnen ist hier an erster
Stelle die Ableistung gemeinnütziger Arbeit. Seit Jahr-
zehnten wird über eine Generalrevision diskutiert, es
gibt viele Vorschläge – nur leider liegen sie nicht auf
dem Tisch, sondern in den Schubladen des Justizministe-
riums und der Rechtspolitik.
Die rot-grüne Koalition hat zweimal – 2002 und 2004 –
Gesetzentwürfe vorgelegt, die letztlich am Widerstand
der Union, der Länder und einer zaudernden SPD ge-
scheitert sind. Die damalige Kritik aus den Reihen der
CDU/CSU, alle Ansätze zur Diversion würden auf eine
Straflosigkeit von Straftätern und auf ein täterfreundli-
ches Strafrecht hinauslaufen, wird – so hoffe ich – heute
nicht mehr so vorgetragen werden. Zu klar und deutlich
ist inzwischen, dass entpönalisierende Maßnahmen sehr
wohl eine messbare spezial- und generalpräventive Wir-
kung haben können und einen Beitrag zum zukünftigen
Opferschutz leisten. Auch die Bundesländer sehen – hof-
fentlich – inzwischen ein, dass die Kosten der Diversion
sich doppelt auszahlen, denn nichts ist teurer als die
Geldeintreibung und der Strafvollzug als einzige Ant-
worten des Strafrechts auf strafwürdiges Verhalten.
Der heute zu diskutierende Vorschlag des Bundes-
rates geht in die richtige Richtung. Allerdings ist das nur
eine minimale Korrektur oder, besser gesagt, Ergänzung
des Sanktionensystems, was ein weiteres Nachdenken
und Arbeiten an einer Reform des Sanktionensystems
nicht ersetzen kann. Aber immerhin: Damit signalisieren
auch die Länder, dass sie den Elementen der Diversion
nicht mehr apodiktisch negativ entgegenstehen.
In der Sache geht es darum, ein aus dem Bereich der
Verfolgung von häuslicher Gewalt entwickeltes Instru-
ment der Einwirkung auf gewalttätige Männer zu einer
allgemeinen Maßnahme im Sanktionensystem zu etablie-
ren. Konkret geht es um sogenannte Täterprogramme,
die von der Bundesarbeitsgemeinschaft „Täterarbeit
Häusliche Gewalt“ entwickelt und mit Erfolg eingesetzt
werden. Diese Täterprogramme sind ein gewaltzentrier-
tes und konfrontatives Unterstützungs- und Beratungs-
angebot zur Verhaltensänderung für gewalttätige Män-
ner, bei dem vielfältige pädagogisch-therapeutische
Ansätze, Konzeptionen und Methoden verfolgt werden.
Solche Programme als Ersatz oder Vorstufe zur Geld-
oder Freiheitsstrafe sind richtige und längst notwendige
Sanktionsmaßnahmen eines modernen Strafrechts. In
der Sache ähneln sie sicher den bereits im Jugendstraf-
recht eingeführten „sozialen Trainingskursen“ als Wei-
sungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 6 JGG.
Der Bundesrat schlägt vor, solche Täterprogramme
ausdrücklich als Weisungen in Fällen der Einstellung ei-
nes Strafverfahrens nach § 153 a StPO und als Anwei-
sungen bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt nach
§§ 59, 59 a StGB aufzuführen und dabei die Frist zur Er-
füllung der Weisung nach § 153 a StPO auf ein Jahr zu
verlängern.
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Erst vor drei Wochen haben wir über das Thema Dio-xin debattiert. Nun liegt heute ein Antrag der Linken vor,der sich des Themas erneut annimmt. Doch neu ge-schrieben ist nicht neu gedacht, werte Kolleginnen undKollegen von der Linken. Aber gern lege ich Ihnen nocheinmal die Position der CDU/CSU-Bundestagsfraktionzu den Dioxinvorfällen dar:Im vergangenen Jahr, genauer: am 21. Dezember,drangen erste Meldungen über erhöhte Dioxinbelastun-gen von Futtermitteln an die Öffentlichkeit. Am 14. Ja-nuar – nur 24 Tage später – stellte Bundesagrarministe-rin Ilse Aigner ihren Aktionsplan zur Sicherheit in derFuttermittelkette vor. Wiederum nur 19 Tage später, am2. Februar, billigte das Kabinett mit den Änderungenzum Lebens- und Futtermittelgesetzbuch erste gesetzli-che Umsetzungen einzelner Punkte des Aktionsplans.Das sind nicht einmal anderthalb Monate nach den ers-ten Dioxinmeldungen! Ich wiederhole: anderthalb Mo-nate. Wer den zähen, langen Fluss der Gesetzgebungkennt, der weiß, was dieser Zeitraum bedeutet.Und was kam in dieser Zeit von der Opposition? Wie-der einmal nur die übliche Phrasendrescherei, Hysterieund Angstmacherei. Sie haben Ministerin Aigner Untä-tigkeit und Überforderung vorgeworfen. Welch einQuatsch! Denn die Fakten sprechen eine völlig andereSprache: CDU/CSU und FDP haben besonnen reagiert.CDU/CSU und FDP haben schnell reagiert. Das ist ver-antwortungsvoller Verbraucherschutz!Nun mag der eine oder andere sagen, er höre hier malwieder das übliche Selbstlob der Regierung. Dem sei dieAussage der EU-Kommission entgegengehalten. Diesesagte Mitte Februar sinngemäß, Deutschland habe inder Dioxinkrise höchst effizient gehandelt. Also, ein di-ckeres Lob für das Krisenmanagement der Bundesregie-rung kann ich mir kaum vorstellen.Bevor ich zu der heute in erster Lesung zu beratendenNovelle des Lebens- und Futtermittelgesetzbucheskomme, lassen Sie mich noch ein paar Worte zu denDioxinvorfällen sagen. Ich denke, das ist, auch wenn wirdarüber schon debattiert haben, bitter nötig.Die Rolle, die die Opposition und ein Teil der Medienhier gespielt haben, war höchst verantwortungslos. An-statt zur sachlich-fachlichen Aufklärung beizutragen,überschlug man sich in immer hysterischeren Über-schriften. Und während der Agrarausschuss des Deut-schen Bundestages die Vorfälle um das dioxinver-schmutzte Futtermittel diskutierte, hatte die Oppositionnichts Besseres zu tun, als den Sitzungssaal zu verlassenund der Presse angebliche neue Skandale in die Federzu diktieren. Wir hätten uns eine konstruktive Zusam-menarbeit mit der Opposition gewünscht. Doch von die-ser kam, wie so häufig in der Vergangenheit, nur ein de-struktives Skandalisieren. Ihr Antrag spiegelt dieseoppositionelle Unsachlichkeit beispielhaft wider – unddas alles zulasten der Verbraucher. Der Oppositionscheint nichts am aufgeklärten, mündigen Verbraucherzu liegen. Nein, der Verbraucher muss Angst haben.Dann kann man eigene politische Ziele am besten um-setzen.gDdinHmgdzmhtrbADwsuudmLdszwuVAledkbmdgdflslosBihGinWwgmsfüZu Protokoll ge
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11774 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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Am 24. März wurde die 41. Verordnung zur Änderungder Futtermittelverordnung dem Bundestags zugeleitet.Hierin wird eine Zulassungspflicht für bestimmte Futter-mittelhersteller sowie eine Trennung der Produktions-ströme von Fetten und Ölen, die als Futtermittel verwen-det werden, geregelt. Zudem wird vorgeschrieben, dassdiese Betriebe Eingangsuntersuchungen auf Dioxineund dioxinähnliche Stoffe durchzuführen haben. Damitwerden die Punkte 1 bis 3 des Aktionsplanes der Bun-desregierung und der Länder umgesetzt.Des Weiteren sind Änderungen im Lebens- und Fut-termittelgesetzbuch in der Umsetzung. Diese betreffeninsbesondere die Punkte 4 und 8 des Aktionsplanes, alsodie Meldepflicht von privaten Laboren, wenn sie erhöhteWerte bei ihren Untersuchungen von Futtermittelprobenfeststellen, sowie die Meldepflicht bei internen Untersu-chung von Unternehmen, bei denen erhöhte Werte fest-gestellt worden sind. Sie sehen, die Bundesregierung istauf einem guten Weg.
Vor mehr als drei Monaten, am 23. Dezember 2010,wurde bekannt, dass ein skrupelloses Futtermittelunter-nehmen dioxinbelastetes Futter in Umlauf gebrachthatte. In der Folge wurden erhöhte Grenzwerte in Eiern,in Geflügel- und Schweinefleisch nachgewiesen. Meh-rere Tausend landwirtschaftliche Betriebe wurden ge-sperrt, und Verbraucherinnen und Verbraucher warenzutiefst verunsichert.Die SPD-Bundestagsfraktion legte daraufhin umge-hend einen Forderungskatalog vor, um Konsequenzenaus diesem Skandal zu ziehen. Diese wurden dann weit-gehend in den Aktionsplan des Bundes und der Länder„Unbedenkliche Futtermittel, sichere Lebensmittel,Transparenz für den Verbraucher“ aufgenommen.Auch im vorliegenden Antrag der Fraktion Die Linke„Lehren aus dem Dioxin-Skandal ziehen – Ursachen be-kämpfen“ finden sich unsere Forderungen wieder; dasfreut uns.Insofern liegt uns aber hier nichts Neues vor, und ei-nige der geforderten Maßnahmen befinden sich bereits inder Umsetzung bzw. werden beraten, wie zum Beispiel imEntwurf des Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel-und Futtermittelgesetzbuches, LFGB, die Meldepflichtenfür private Labore und Planungen für ein Dioxin-monitoring.Natürlich ist es aber generell richtig, dass aus demDioxinskandal die nötigen Lehren gezogen werden müs-sen und das Thema weiter auf die Tagesordnung gehört.Alle Beteiligten müssen die geplanten Maßnahmen zügigabarbeiten, und wir als Opposition müssen immer wie-der darauf hinweisen und nachfragen.So liegen zum Beispiel auch heute noch keine Planun-gen für den von uns geforderten weiteren Ausbau derRückverfolgbarkeitssysteme vor. Verbraucherinnen undVerbraucher müssen die Herkunft von Lebensmittelnund auch Futtermitteln über alle Produktions-, Verar-beitungs- und Vertriebsstufen lückenlos nachverfolgenkbtiucDAsföddreddnawSdjegcRenwtrsfegtehFdtremdwbbswgdabnwvZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11775
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Wir sind sehr dafür, Lehren aus dem Dioxinvorfall zu
ziehen, und wir haben dies längst getan. Der Antrag
kommt also zu spät.
Als Erstes sollten wir uns bewusst sein, dass die Ur-
sache des Dioxinvorfalls nach bisheriger Kenntnis auf
kriminelles Handeln zurückzuführen ist. Das bewusste
Fehlverhalten des Betriebes hat zu dem überhöhten Ge-
halt an Dioxin in Fettsäuren geführt, die Futtermischun-
gen beigemengt und verfüttert wurden. Für Schweine
und Geflügel ist das Beimengen von Futterfetten zum
Getreidefutter für eine gesunde Ernährung wichtig. Ge-
gen bewusstes Fehlverhalten helfen keine Gesetze. Die
Erwartung, dass es nie wieder einen Dioxinfall geben
wird, geht ins Leere.
Die intensive Beschäftigung mit Dioxin hat auch
deutlich gemacht, dass in den letzten 20 Jahren viel er-
reicht wurde: Die Hintergrundbelastung mit dem Um-
weltgift Dioxin ist auf ein Drittel gesunken. Das ist ein
großer Erfolg. Er wurde erzielt durch eine bessere Fil-
tertechnik, durch eine verbesserte Steuerung von Ver-
brennungsprozessen. Dennoch müssen wir den Men-
schen sagen, dass Dioxine vorhanden sind, die sich nur
langsam abbauen, und dass immer wieder auch neue
entstehen. Durch die im Januar aufgefundenen erhöhten
Gehalte von Dioxinen in Tierfutter sowie auch in tieri-
schen Produkten wurde zu keinem Zeitpunkt die Gesund-
heit der Bürgerinnen und Bürger gefährdet.
Opfer des Dioxinvorfalls sind insbesondere kleinere
landwirtschaftliche Betriebe, die das Futter für ihre Tiere
selbst mischen. Wer den Dioxinvorfall jetzt noch thema-
tisiert, nachdem die Bundesregierung ihr 14-Punkte-
Programm beschlossen und auf den Weg gebracht hat
– die Gesetzesberatung beginnt nächste Woche –, hat da-
her kaum den Schutz der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher im Auge, sondern will denen schaden, die bisher
schon unter dem Vorfall am meisten gelitten haben: die
landwirtschaftlichen Betriebe.
Vor diesem Hintergrund ist es unsere Aufgabe, dafür
zu sorgen, dass Fehlverhalten erschwert, Verstöße
schneller entdeckt werden. Deshalb soll eine Zulas-
sungspflicht für alle Betriebe eingeführt werden sowie
eine Trennung der Produktionsströme von Fettsäuren,
die für Futtermittel verwendet werden sollen, und denen,
die technisch verwendet werden. Wir wollen eine Positiv-
liste für Futtermittel. Die Betriebe werden verpflichtet,
ihr Haftungsrisiko abzusichern. Wir brauchen verbindli-
che Vorgaben für Eigenkontrollen, eine Meldepflicht bei
Gefahr, die Absicherung der Rückverfolgbarkeit. Bund
und Länder müssen zusammenarbeiten, um Qualitäts-
managementsysteme flächendeckend zu evaluieren, eine
verbesserte risikoorientierte Futtermittelkontrolle auf
den Weg zu bringen und ein Dioxinmonitoring zu instal-
lieren.
Bereits am kommenden Montag findet die Anhörung
des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz zum Gesetz zur Änderung des Le-
bens- und Futtermittelgesetzbuches statt.
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11776 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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genug auch auf Kosten der Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter.Und es gibt drei weitere wesentliche Risiken: erstensKenntnislücken über Eintragsrisiken des UmweltgiftesDioxin in die Lebensmittelkette, zweitens die hohe An-zahl von Futtermittelzusätzen, drittens die sehr komple-xen Lieferbeziehungen in der Futtermittelbranche, diezur Folge haben, dass Tausende Höfe in mehreren Bun-desländern vorsorglich gesperrt werden mussten, weilein Futtermittelhersteller kriminell gehandelt hat. DieseBetriebe hatten keinerlei Chance, diesem Risiko zu ent-gehen. Der Schweinemarkt brach zusammen, gegensei-tige Schuldzuweisungen füllten wochenlang die Medien.Eine ganze Branche stand unter Verdacht.Die Linke meint, der Dioxinskandal wäre vermeidbargewesen, wäre bereits nach den Erfahrungen aus frühe-ren Skandalen ein wirklich wirksames, bundesweitesKontrollsystem installiert worden. Hier haben alle Bun-desregierungen der jüngeren Vergangenheit versagt.Die Bundesregierung will nun konsequent handeln –leider aber wieder unzureichend, weil nicht strategischund strukturverändernd. Bundesagrarministerin Aignerlegte einen 10-Punkte-Plan vor und verständigte sichmit den zuständigen Ministerinnen und Ministern derLänder auf einen 14-Punkte-Plan. Das war ein ersterSchritt, dem nun aber Taten folgen müssen. Der Bund-Länder-Plan enthält Maßnahmen und Gesetzesvorha-ben, die eine Wiederholung des Dioxinskandals verhin-dern sollen. Einiges davon hat auch Die Linke gefordert,und das unterstützen wir natürlich; aber insgesamt wirddas nicht ausreichen. Zum Beispiel fehlen dringend not-wendige Forschungsvorhaben zu Einschleppungsrisikenvon Umweltgiften in die Lebensmittelkette. Auch einesystematische Überprüfung der Kontrollsysteme ist eineFehlstelle, mal abgesehen davon, dass an den strukturel-len Ursachen in der Branche kaum gerüttelt wird. Abergenau hier muss aus Sicht der Linken ein strategischesHandlungskonzept ansetzen.Leider werden von den 14 Bund-Länder-Vorhabennur ganze zwei im Deutschen Bundestag als Gesetzent-würfe behandelt: das Lebensmittel- und Futtermittelge-setzbuch, LFGB, zu dem in der kommenden Woche eineAnhörung des ELV-Ausschusses stattfindet, und eineNovelle des Verbraucherinformationsgesetzes. DieLinke sieht es als wenig nachvollziehbar an, dass we-sentliche Entscheidungen – zum Beispiel Trennung derProduktionsströme, verbindliche Anforderungen an dasEigenkontrollsystem der Unternehmen und die Zulas-sungspflicht für die Futtermittelbetriebe – in Rechtsver-ordnungen geregelt und damit nicht im Parlament be-handelt werden sollen. Das sind wesentliche Fragen, diewegen ihrer Bedeutung für die Verbraucherinnen undVerbraucher vom Parlament entschieden werden soll-ten.Der Entwurf einer Änderung der Futtermittelverord-nung liegt mittlerweile auch auf dem Tisch. Die Futter-mittellobby hat bereits Protest angemeldet und kritisiertangeblichen politischen Aktionismus. Ministerin Aignerwird also Schwierigkeiten haben, selbst die meiner Mei-nung nach wenig ambitionierten Vorhaben gegen die ge-bwlefimagnbtisUmleVUteKdudtiTntidinJrrgteteMLfudFLrnadbdssLtruwvwsHdZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11777
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11778 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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kriminellen Gier und Skrupellosigkeit einiger Wenigerist es zu verdanken, dass eine ganze Branche so schwererschüttert werden konnte.Dabei sind die meisten Landwirtinnen und Landwirtevöllig unschuldig in diese Situation geraten. Die Linkefordert, die betroffenen Betriebe mit ihren finanziellenSchwierigkeiten nicht alleinzulassen und Entschädi-gungsleistungen zu ermöglichen, beispielsweise über dieLandwirtschaftliche Rentenbank. Per Gesetz sollte fürzukünftige Schadensfälle ein Ausgleichsfonds geschaf-fen werden. Dieser muss von der Futtermittelindustriefinanziert werden. Haftpflichtregelungen reichen nicht,weil sie bei vorsätzlichem Handeln nicht greifen.Abschließend noch ein Wort zum Thema Forschung.Die wird ja immer gern vergessen, ist jedoch die Grund-lage für die Politikberatung, also für unser Handeln imDeutschen Bundestag. Wir brauchen ein veterinärepide-miologisches Zentrum, das sich zum Beispiel auch mitden Eintragsrisiken von Umweltgiften in die Nahrungs-mittelkette befasst, und wir brauchen die Entwicklungvon zuverlässigen und schnelleren Diagnostikmethoden.Aber statt die politikberatende Forschung zu stärken,wird die Bundesressortforschung seit Jahren und seitmehreren Bundesregierungen immer weiter zusammen-gestrichen. Das kritisiert die Linke schon seit Jahren.Gemeinsam mit den Bundesländern muss eine Strategiezur Sicherung der Futtermittelsicherheit erarbeitet undständig weiterentwickelt werden. Gesetzgeberische Lü-cken müssen identifiziert und konsequent geschlossenwerden.
Der Dioxin-Skandal, der im Januar Deutschland be-
wegte, ist inzwischen aus der Presse verschwunden.
Ausgestanden ist er damit noch lange nicht. Noch immer
kämpfen Betriebe mit den Folgen des Skandals und noch
immer sind die Quellen des Dioxins nicht restlos aufge-
klärt. Die Verwaltungen von Bund und Ländern bringen
nach und nach den 14-Punkte-Dioxinaktionsplan in
Rechtsform, und der Bundestag wird die Beratungen
über die Änderung des Lebens- und Futtermittelgesetz-
buches am Montag mit einer öffentlichen Anhörung be-
ginnen. Das alles geschieht nicht wirklich im Eiltempo,
und vieles, was die Bundesregierung bisher vorgelegt
hat, bedarf noch der Konkretisierung und muss sich erst
noch als praxistauglich erweisen. Dennoch haben Bund
und Länder da, wo sie tätig werden, unsere Unterstüt-
zung.
Was fehlt, sind die politischen Konsequenzen aus der
Dioxinkrise. „Lehren aus dem Dioxin-Skandal ziehen –
Ursachen bekämpfen“ lautet die Überschrift des hier
debattierten Antrags der Linken. Genau daran mangelt
es nach wie vor, und auch der Antrag der Linken hat
dazu nicht viel anzubieten. Im Antrag der Linken fehlt,
was die Bundesregierung von Anfang an versäumt hat:
die politischen Konsequenzen aus dem Dioxinskandal zu
ziehen.
Der politische Skandal im Dioxinskandal ist doch
nicht der Mangel an technischen und juristischen Nach-
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Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten BettinaHerlitzius, Monika Lazar, Winfried Hermann,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENFrauenquote bei Gremienbesetzungen durchdas Bundesministerium für Verkehr, Bau undStadtentwicklung konsequent einhalten– Drucksache 17/5257 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAuch diese Reden nehmen wir zu Protokoll.
Zunächst möchte ich feststellen: Die Bundesregie-
rung ist bei der Berufung und Entsendung von Frauen in
Gremien ein gutes Stück vorangekommen. Dies belegt
der Fünfte Gremienbericht für den Zeitraum 30. Juni
2005 bis 30. Juni 2009. Wir wollen aber hier nicht ste-
hen bleiben. Denn trotz erheblicher Fortschritte ist eine
gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in
Gremien noch nicht gegeben.
Um weitere Verbesserungen zu erreichen, will die
Bundesregierung das Bundesgremienbesetzungsgesetz
novellieren. Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen
und Männern ist Ziel dieses Gesetzes. Eine starre Frau-
enquote – wie in Norwegen – sieht das Gesetz für die
Gremien des Bundes nicht vor. Das Bundesministerium
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hat bei seinen
Gremienbesetzungen aber bereits jetzt versucht, darauf
hinzuwirken, dass eine gleichberechtigte Teilhabe von
Frauen und Männern in Gremien geschaffen und erhal-
ten wird.
Das BMVBS hat im Gleichstellungsplan für die Jahre
2010 bis 2013 eine ganze Reihe von Maßnahmen festge-
halten. Nach dem Bundesgremienbesetzungsgesetz ist
jede vorschlagsberechtigte Stelle bei der Besetzung von
Gremien im Bundesbereich grundsätzlich verpflichtet,
für jeden ihr zustehenden Gremiensitz jeweils eine Frau
und einen Mann gleicher Eignung zu benennen. Die
Verpflichtung zur Doppelbenennung entfällt nur in eini-
gen Ausnahmefällen; die Gründe hierfür müssen schrift-
lich angegeben werden. Das jeweils zuständige Fachre-
ferat bemüht sich darum, Frauen für Gremienfunktionen
zu gewinnen. Der alleinige Hinweis auf die Beachtung
der Vorschriften des Gremienbesetzungsgesetzes reicht
nicht aus. Die Gleichstellungsbeauftragte ist bei den
Gremienbesetzungen zu beteiligen.
Die im Antrag angesprochenen Gremien muss man
differenziert betrachten.
Das Kuratorium Nationale Stadtentwicklungspolitik
zielt auf eine breite Verankerung der nationalen Stadt-
entwicklungspolitik in der Fachöffentlichkeit. Mitglie-
der sind: die Vorsitzenden bzw. Präsidenten der Baumi-
nisterkonferenz, die kommunalen Spitzenverbände, die
für die Belange der Stadtentwicklung relevanten Ver-
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Das Thema Frauenquote in der Wirtschaft wird zur-
zeit intensiv diskutiert. Wir Sozialdemokratinnen und So-
zialdemokraten fordern mindestens 40 Prozent für Auf-
sichtsräte und Vorstände. Das muss aber auch für die
Gremien des Bundes gelten. Werfen wir doch einmal ei-
nen Blick in die Aufsichtsgremien der Deutschen Bahn
AG: Der Bund hat in den meisten Fällen keine einzige
Frau in den Aufsichtsrat entsandt. Das ist nicht hinnehm-
bar. Wir können nicht auf der einen Seite die Wirtschaft
auffordern, mehr für Frauen in Führungspositionen zu
tun, und auf der anderen Seite bei Gremienbesetzungen,
die im Einflussbereich des Bundes liegen, untätig blei-
ben. Das nimmt uns doch keiner ab!
Das Bundesgremienbesetzungsgesetz hat zwar zu
kleinen Erfolgen geführt – der Frauenanteil in den Gre-
mien des Bundes ist im Jahr 2009 auf 24,5 Prozent ge-
stiegen –, jedoch verläuft die Entwicklung zu langsam.
Das geht auch aus dem Fünften Gremienbericht der
Bundesregierung zum Bundesgremienbesetzungsgesetz
hervor: „15 Jahre nach Verabschiedung des BGremBG
liegt das Ziel der gleichberechtigten Teilhabe von
Frauen und Männern noch immer in weiter Ferne. Ge-
rade einmal jede vierte Gremienposition ist mit einer
Frau besetzt. Gut jedes zehnte Gremium ist weiterhin
rein männlich.“
Dieses Gesetz ist zwar gut gemeint, aber die geringen
Fortschritte machen deutlich, dass das Gesetz viel zu
schwach ist. Es fehlen verbindliche Zielgrößen, Kon-
troll- und Sanktionsmechanismen. Hier muss dringend
nachgebessert werden. Ansonsten können wir uns in den
nächsten fünf Jahren wieder nur über einen Zuwachs
von knapp 5 Prozent freuen. Angesichts der vielen gut
ausgebildeten Frauen in unserem Land ist das ein Hohn.
Wir vergeuden wichtige Potenziale.
Besonders deutlich werden diese Defizite am Beispiel
des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtent-
wicklung. Das Verkehrsministerium hat den drittgrößten
Anteil an Gremien aller Ressorts, belegt jedoch mit ei-
ner Frauenbeteiligung von 17 Prozent einen der hinters-
ten Ränge.
Ebenso traurig sieht es beim Frauenanteil in Lei-
tungsfunktionen aus: Mit einem Frauenanteil von nur
20 Prozent belegt das Verkehrsministerium innerhalb
der obersten Bundesbehörden einen der hintersten Ränge.
Alle fünf Staatssekretärsposten sind fest in Männerhand,
und unter den neun Abteilungsleitern ist nur eine Frau.
Hier liegt einiges im Argen.
Die Unterrepräsentanz von Frauen in leitenden
Funktionen setzt sich in den Gremien fort.
Wo keine Frauen in den unteren Ebenen sind, können
nur schwer welche in den Gremien sein. Andersherum
gilt auch: Fehlen Frauen in den Gremien, so fehlen auch
die Vorbilder und der Druck, in den unteren Ebenen – an
den Strukturen – etwas zu verändern. Daher sind wir So-
zialdemokratinnen und Sozialdemokraten auch hier für
eine verbindliche Quote von 40 Prozent.
Das Bundesgremienbesetzungsgesetz muss dringend
novelliert werden. Dabei sind folgende Punkte von be-
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11780 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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des BGremBG mit dem Bundesgleichstellungsgesetz ge-prüft werden. Das entspräche auch der Koalitionsforde-rung nach Entbürokratisierung.All diese Vorschläge, liebe Kolleginnen und Kollegender Opposition, finden sich auf den Seiten 36 bis 39 desGremienberichts der Bunderegierung, und noch einigemehr. Weshalb der Bundestag hier und heute also dieNovellierung eines Gesetzes fordern soll, ist mehr alsfraglich. Offenbar ist doch die Bundesregierung längstweiter, als von der Opposition gefordert.Ein nächster Punkt: Warum begrenzen Sie Ihre For-derungen auf ein Ministerium? Sie fordern das Bundes-ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung,BMVBS, zur Einhaltung der durch das BGremBG gefor-derten Frauenquote auf. Müsste diese Forderung nichtfür alle Ministerien gelten? Und tut sie es nicht längst,qua Gesetz? Ministerien zur Einhaltung von Gesetzenaufzufordern, hieße, Eulen nach Athen zu tragen.Im Übrigen bleiben Sie auch hier wieder im Unkon-kreten. Den mahnenden Zeigefinger zu heben, ist jaschön und gut, reicht aber nicht aus. Nehmen wir alsodie in Ihrem Antrag angesprochenen Gremien desBMVBS: Im Kuratorium Nationale Stadtentwicklungsind folgende Mitglieder tätig: die Vorsitzenden bzw.Präsidenten der Bauministerkonferenz, die kommunalenSpitzenverbände, für die Stadtentwicklung relevanteVerbände, Kammern und Vereinigungen sowie fachlichprofilierte Einzelpersönlichkeiten. Sie können sich vor-stellen, dass bei der Auswahl der Vertreter der Verbändeund Kammern die Bundesregierung nicht mitbestimmenkann. Demzufolge sind die Einflussmöglichkeitenzwangsläufig begrenzt. Oder nehmen Sie das Fachgut-achtergremium zur Beurteilung der eingegangenen Inte-ressenbekundungen für die zweite Förderrunde im Rah-men des ESF-Förderprogramms. Hier beträgt derFrauenanteil 53 Prozent. Grund zur Beanstandung kanndas nicht sein. Die Vorgaben des Gesetzes werden hiervoll erfüllt.Sie fordern weiterhin die mindestens hälftige Beset-zung mit Frauen in Fachjurys, Arbeits- und Wahlgre-mien. Diese Forderung ist völlig unverständlich, weil alldie Gremien schon jetzt dem Geltungsbereich desBGremBG unterliegen. Ich sage nur noch einmal: Euleund Athen.Die christlich-liberale Koalition hat sich die Hebungdes Frauenanteils und die praktische Umsetzung dergleichberechtigten Partizipation von Frauen längst zumThema gemacht. Das zeigt nicht nur der Fünfte Gre-mienbericht der Bundesregierung zum BGremBG, daszeigen auch die Bemühungen der Bundesministerinnenvon der Leyen und Schröder zur Frauenquote in Füh-rungspositionen in der Privatwirtschaft. Ihr Antrag zurEinhaltung der Frauenquote bei Gremienbesetzungendurch das Bundesministerium für Verkehr, Bau undStadtentwicklung ist in sich inkonsistent und verknüpftForderungen ganz verschiedener Handlungsebenen.Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt diesen Antrag daherab.BGmbGFBmbzngtiBtrdkiseAktedEdtemnzgFvApfodVVekbmtireSedkrimgMzVZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11781
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11782 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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sichtsratsmitglied Großmann ihn massiv gedrängt hat,diese Position zu beziehen.Angesichts des atomaren Super-GAU in Fukushimaund der aktuellen Energiedebatte wäre es ein doppeltgutes Signal, jetzt beim Bahnaufsichtsrat mit den kon-kreten Taten zu beginnen, die den Reden und der Besorg-nis der Bundesregierung folgen müssen.Anstelle der Atom- und Kohlerepräsentanten könntenVertreterinnen von Umweltverbänden in den Bahnauf-sichtsrat. Wir brauchen dort qualifizierte und profilierteFrauen, die dazu beitragen, die Bahn auf besseren Kurszu bringen.
Seit nunmehr 15 Jahren ist in der Bundesrepublik das
Bundesgremienbesetzungsgesetz in Kraft. Dieses Gesetz
soll die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Gre-
mien sicherstellen. Das damals verfolgte Ziel, nämlich
die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern
bei Gremienbesetzungen im Einflussbereich des Bundes,
ist jedoch noch immer in weiter Ferne. Während der
durchschnittliche Frauenanteil in Gremien im Einfluss-
bereich des Bundes bei 24,5 Prozent liegt, verzeichnet
der Bericht im Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung einen
Frauenanteil von nur 17 Prozent – und das, obwohl der
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
sich gerne als Frauenförderer sehen möchte. Herr
Minister, Frauen sind im Zuständigkeitsbereich des Bun-
desministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
in wichtigen Zukunftsfeldern – und das geht weit über
die Gremienbesetzungen hinaus – noch immer erheblich
unterrepräsentiert.
Gerade vor dem Hintergrund der öffentlichen De-
batte um die Frauenquote in Aufsichtsräten ist die ge-
schlechterparitätische Besetzung von Gremien im Ein-
flussbereich des Bundes von besonderer Relevanz. Der
Bund sollte in puncto Frauenförderung mit gutem Bei-
spiel vorangehen. Wir fordern Sie deshalb auf, die
gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Gremien,
Kommissionen, Fachjurys und Aufsichtsräten konse-
quent sicherzustellen. Dieses Anliegen ist kein Selbst-
läufer, das erfordert schon einige Bemühungen.
Noch immer ist etwa jedes zehnte Gremium rein
männlich besetzt. Das Bundesministerium für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung führt zum Beispiel die im Zu-
ständigkeitsbereich des BMVBS gegebene erhebliche
Unterrepräsentanz von Frauen in Gremien und in Füh-
rungspositionen auf die überwiegend technisch-natur-
wissenschaftliche Ausrichtung des BMVBS zurück.
Dabei belegt der aktuelle Bundesgremienbesetzungsbe-
richt, dass Ministerien auch bei technisch-naturwissen-
schaftlicher Ausrichtung die paritätische Besetzung von
Gremien sicherstellen könnten, wenn der entsprechende
politische Wille vorhanden ist.
Wir fordern in unserem Antrag daher insbesondere
das BMVBS auf, zukunftsorientierte Politik – weg von
den männlich dominierten Strukturen in Gremien – zu
machen und dafür Sorge zu tragen, dass Frauen konse-
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legen der FDP-Fraktion haben ja einen ähnlich lauten-
den Antrag bereits im Jahr 2006 gestellt.
Bevor entsprechende Einwände kommen – ja, ich
weiß, auch meine Fraktion hat diesen Antrag damals ab-
gelehnt. Das wurde mit den Verweisen auf die verschie-
denen Zuständigkeiten bei den gestellten Forderungen
begründet. Auch Ihr Antrag ist alleine aus Zuständig-
keitsgründen abzulehnen. Anträge auf finanzielle Förde-
rung müssen die Bundesländer bei der Europäischen
Union einreichen, und die einheitlichen Maßgaben zur
Ermittlung der Schäden müssen diese ebenfalls – zum
Beispiel im Rahmen der Agrarministerkonferenz – fest-
legen. Das BMELV kann und sollte – unserer Meinung
nach – solche Abspracheprozesse natürlich moderierend
begleiten.
Für die Koalition aus CDU/CSU und FDP hat der
Fischartenschutz den gleichen Stellenwert wie der Vo-
gelschutz oder der Tierschutz allgemein. Die Koalitions-
fraktionen haben deshalb bereits einen eigenen Antrag
zu diesem Thema vorbereitet, da uns die Notwendigkeit
eines bundeseinheitlichen Kormoranmanagements be-
wusst ist. Gerade Frau Dr. Happach-Kasan bringt die-
ses Anliegen seit Jahren positiv voran, und auch unser
Koalitionsvertrag beinhaltet auf Seite 49 eine Passage
zum Thema Kormoranmanagement.
Sie sehen also, dass gerade wir als Koalition dieses
Thema vorangetrieben haben, und zwar nicht mit abge-
kupferten Anträgen wie Sie, sondern mit Gesprächen
hinter den Kulissen. Wir freuen uns deshalb natürlich,
wenn Sie zu ähnlichen Schlüssen kommen wie wir.
Dass es Ähnlichkeiten zwischen dem, was Sie wollen,
und dem, was wir wollen, gibt, soll jedoch nicht über
grundlegende Unterschiede hinwegtäuschen. So legen
wir uns bei der Bestandsregulierung nicht auf eine Form
der Regulierung fest, wie Sie das mit der Regulierung
der Reproduktion erreichen wollen. Hier muss genau be-
obachtet werden, welche Maßnahmen in welcher Region
helfen und welche eben nicht. In Dänemark wurden Kor-
morane beispielsweise beim Brüten durch grelles Licht
gestört. Diese haben ihre Brutplätze verlassen, die Eier
sind ausgekühlt, und der Kormoranbestand wurde regu-
liert. Dieses Vorgehen hatte in Baden-Württemberg hin-
gegen keinen messbaren Erfolg zu verzeichnen. Welche
Form der Bestandsregulierung sich am besten eignet,
sollte unserer Meinung nach vor Ort entschieden und
nicht vonseiten des Bundes festgelegt werden.
Dass bei allen Anstrengungen, die der Bund in diese
Richtung unternimmt, ein gemeinsames europäisches
Kormoranmanagement weiter zwingend notwendig ist,
bedarf nicht der Aufklärung durch die Opposition.
Die Frage, warum – wenn wir das eben Geschilderte
doch alles wissen – unser Antrag noch nicht eingegan-
gen ist, hat ganz einfache Gründe: Politik lässt sich, wie
das Leben, nur bedingt voraussagen und dementspre-
chend schlecht planen. Auch die Koalition aus CDU/
CSU und FDP wäre beim Punkt Kormoranmanagement
gerne weiter. Jedoch haben sich seit Juni vergangenen
Jahres auch einige Dinge ereignet, die in dieser Form
nicht vorhersehbar waren und die verantwortungsvolles
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11783
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tenschutz an der Wasseroberfläche aufhört. Welche Aus-rede er dieses Jahr finden wird, wissen wir noch nicht.Wir müssen beim Kormoran sehen, dass es Menschengibt, deren berufliche Existenz durch den Kormoran zu-nichte gemacht wird. Es mussten schon einige Teich-wirte den Betrieb einstellen. Das sind oftmals über meh-rere Generationen betriebene Familienbetriebe, die jetztam Rande der Existenz stehen. Passive Abwehrmaßnah-men gibt es, sie sind aber sehr teuer. Außerdem ist derKormoran sehr intelligent. Er findet meist einen Wegdurch die Abspannungen hindurch. Passive Abwehr-maßnahmen sind also wenig erfolgversprechend.Man muss sich einmal anschauen, was passiert wenndie Teichwirte den Betrieb einstellen. Denn die Teich-wirte übernehmen wichtige Aufgaben bei der Pflege derKulturlandschaft. Teichwirtschaften haben eine heraus-ragende ökologische Bedeutung. Es kann doch niemandernsthaft wollen, dass diese Lebensgemeinschaften derTeichgebiete verschwinden. Ohne Teichwirte wird eskeine Fischteiche geben, und mit den Fischteichen ver-schwindet einer der hochwertigsten Lebensraumkom-plexe der mitteleuropäischen Kulturlandschaft. DerSchutz der Teichwirte und der Schutz der biologischenVielfalt der Teichgebiete sind daher zwei Seiten einerMedaille.Das musste übrigens auch der NaturschutzbundDeutschland NABU feststellen. Der NABU ist der Ver-band, der den Kormoran im Jahr 2010 zum Vogel desJahres gemacht hat. Dieser NABU hat eine Teichwirt-schaft gekauft und versucht nun, diese extensiv zu be-wirtschaften. Er musste aber feststellen, dass wegen desKormorans eine Bewirtschaftung nicht lohnenswert ist.Dort akzeptiert der NABU sogar den Abschuss des Kor-morans – den Abschuss des von ihm selbst ernannten Vo-gels des Jahres. Das ist doch ein bemerkenswerter Vor-gang – und das Eingeständnis, dass der Kormoran wohldoch eine Gefahr ist.Der Kormoran wurde, als es ihm schlecht ging, europa-weit unter Schutz gestellt. Warum sollen wir ihn jetzt nichtauch europaweit managen? Die Vogelschützer haben sei-nerzeit doch offensichtlich erkannt, dass man die Pro-bleme des Kormorans nur europaweit und nicht etwa lokallösen kann. Gleiches gilt jetzt auch für die Gefahren, diedurch den Kormoran entstehen. So wie der Kormoran An-fang der 1980er-Jahre in Europa unterrepräsentiertwar, so ist er nun überrepräsentiert. Das EuropäischeParlament hat sich im sogenannten Kindermann-Be-richt für ein europaweites Kormoranmanagement aus-gesprochen, aber seitdem ist nichts passiert. Die Euro-päische Kommission sieht keinen Handlungsbedarf.Die Diskussion um den Kormoran wird äußerst emo-tional geführt. Das kann nicht gut sein. Das geht schonin der Bundesregierung los. Da erklärt sich der Bun-desumweltminister nicht zuständig, weil der Kormorannicht in seiner Art gefährdet ist. Deutsche Angler undFischer haben kürzlich über 100 000 Unterschriften fürein europäisches Kormoranmanagement gesammelt.Die wollte der Herr Bundesumweltminister gar nicht an-nehmen, die Frau Bundeslandwirtschaftsministerinebenso wenig – sie sei ja nicht zuständig.trddnRpAreÜgdefüzrudtäBmLbzaAKlegdgwdeinJgdadHsN2NhbdfinddzfiZu Protokoll ge
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11784 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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ließen sich diese Transporte leicht durch ein sinnvollesKormoranmanagement vermeiden.Wie die Bundesregierung auf Anfrage der Linken– Drucksache 17/980 – eingeräumt hat, ist die Anzahlder heimischen Brutpaare auf etwa 25 000 gestiegen.Die europäische Population des Kormorans wird aufrund 700 000 erwachsene Brutvögel bzw. eine Gesamt-zahl von insgesamt etwa zwei Millionen Vögel geschätzt.Damit ist es zwangsläufig an der Zeit, über eine Regulie-rung nachzudenken, damit die Artenvielfalt in den Ge-wässern nicht unter dem enormen Fraßdruck des Kor-morans zu leiden hat.Als reiner Fischfresser ist der Kormoran nicht nur fürdie Artenvielfalt in den Gewässern, sondern auch für dieFischerei ein Problem. Ein ausgewachsener Kormoranfrisst täglich bis zu 500 Gramm Fisch. Anders als derGraureiher kann er nicht auf Mäuse oder andere Beuteausweichen. Die Verluste in der Teichwirtschaft durchKormoranfraß – zum Beispiel Aal und Karpfen – betra-gen bis zu 90 Prozent. Für die bedrohten Fischarten Aalund Äsche können vergleichbare Schäden nachgewiesenwerden. In Teichwirtschaft und Binnenfischerei machendie wirtschaftlichen Schäden nach Angaben der Bran-chenverbände bis zu einem Viertel des Gesamtumsatzesaus. Einigen Fischern und Teichwirten hat der Kormo-ranfraß ein Wirtschaften unmöglich gemacht.Es besteht ein allgemeines Einverständnis, dass auchaufgrund des Fehlens von Wolf und Bär, Raubtieren, diefrüher einmal bei uns heimisch waren, der Mensch Reh-,Rotwild- und Damwildbestände beschränken muss, umim Wald Schäden durch winterlichen Verbiss zu min-dern. Genauso müssen wir jetzt durch ein nachhaltigesBestandsmanagement für Kormorane verhindern, dassdie durch verschiedene Faktoren bedrohte Fischfaunadurch Kormoranfraß irreparabel in Mitleidenschaft ge-zogen wird.Die Äsche, der Fisch des Jahres 2011, ist dafür einBeispiel. Ihre Bestände haben sich drastisch in dem Um-fang gemindert, in dem die Kormoranbestände gewach-sen sind. Die sehr informative Broschüre, die der Ver-band der Deutschen Sportfischer herausgegeben hat,dokumentiert die Gefährdungssituation dieser Fischart.Das Heft ist sehr ansprechend gestaltet. Allerdings ver-misse ich ein Grußwort der Präsidentin des Bundesam-tes für Naturschutz, Frau Professor Beate Jessel, die inden Vorjahren in solchen Heften, die sehr eindeutig demNaturschutz verpflichtet sind, ein Grußwort geschriebenhat. Offensichtlich ist sie nicht frei, in einem Heft, in demselbstverständlich auch der vom Kormoran verursachteFraßdruck angesprochen wird, ein Grußwort zu schrei-ben.Es gibt im Rahmen der Kormoranverordnungen derBundesländer bereits viele Beispiele für regionale Akti-vitäten, die eine Regulierung des Kormorans bezwecken.Der Kormoran ist allerdings ein Wandervogel, und imLaufe des Jahres kommt es zu einem massenhaftenDurchzug von Vögeln aus den nordeuropäischen Staa-ten, die zusätzlichen Druck auf bedrohte Fischbeständeausüben. Zwar sind regionale und nationale Maßnah-men gegen den Kormoran richtig und wichtig, aber ohneeuKdvgebmwKuwvefobbsEwdiscAumwughsBGarshgshimpgKrshRßFZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11785
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ser durch Kormorane erhebliche Verluste bereitet. Dassdie Fischentnahme durch Kormorane zu erheblichenökonomischen Einbußen für Teichwirte führt, bestreitetübrigens selbst der Naturschutzbund NABU nicht.Ich möchte einmal zwei Beispiele anführen. Vor20 Jahren rechneten Teichwirte im letzten Aufzuchtjahrfür Karpfen mit Verlusten von circa 5 bis 10 Prozent.Nach einer Erhebung des LandesfischereiverbandesBrandenburg liegen die Verluste im letzten Aufzuchtjahrmittlerweile bei fast 30 Prozent. Die Teichwirtinnen und-wirte in Brandenburg mussten dieser Erhebung nach –zusätzlich zu den natürlichen Verlusten bei der Aufzucht– im Jahr 2009 außerordentliche Verluste von über einerMillion Euro verbuchen – und das bei einem Gesamtjah-resumsatz von 3,6 Millionen Euro. Sie können sich aus-rechnen, dass Teichwirte bei dem resultierenden Ein-kommen darüber nachdenken müssen, ihr Unternehmenaufzugeben. Wenn in der Folge die Teiche verlanden,verlieren etliche Tierarten ihren Lebensraum.Ein zweites Beispiel aus einer anderen Region. In ei-nem Abschnitt der Nagold, einem Fluss in Baden-Württemberg, wurden Anfang der 90er-Jahre regelmä-ßig zwischen 160 und 240 Äschen gefangen. Das hat derLandesfischereiverband Baden-Württemberg dokumen-tiert. Nachdem im Winter 1996/1997 circa 400 Kormo-rane dort überwinterten, sank der jährliche Ertrag aufunter 25 Äschen, und er ist bis 2008 auf diesem Niveaugeblieben. Für Fließgewässer – die für überwinterndeKormorane oftmals das letzte Jagdrevier darstellen,weil sie nicht zufrieren – gibt es etliche dieser Fälle, fastalle Fischarten betreffend. Der Artenerhalt an diesenGewässern ist zum Teil nur noch den Besatzmaßnahmender Fischereiberechtigten zu verdanken, den kommer-ziellen Fischern oder den Anglervereinen. Die verspü-ren nach dem vierten Kormoranbesuch aber verständli-cherweise keine Lust mehr, nur noch Kormoranfutter indie Flüsse zu kippen; dafür ist auch kein Geld da.Für die kommerzielle Binnen- und Küstenfischereiund auch für die Anglerverbände, deren Mitglieder inehrenamtlicher Arbeit ihre Gewässer pflegen und damiteinen aktiven Beitrag zum Naturschutz leisten, ist derunkontrollierte Kormoranbestand ein Problem, das diePolitik nicht vernachlässigen darf. Wir dürfen die wirt-schaftliche Bedeutung der kommerziellen und Freizeit-fischerei nicht ignorieren, die in strukturschwachen Re-gionen Arbeitsplätze sowohl in der Fischereiwirtschaftselbst als auch im Tourismus sichert, der gerade imOsten der Republik ein großes Entwicklungspotenzialdarstellt. Und wir dürfen dem Fischartenschutz keinengeringeren Stellenwert einräumen als dem Vogelschutz.Am 4. Dezember 2008 hat das Europäische Parla-ment die Europäische Kommission und die Mitglied-staaten der EU mit großer Mehrheit aufgefordert, eineneuropäischen Kormoranmanagementplan zu erarbeitenund umzusetzen. Ziel dieses Kormoranmanagementssollte es sein, die Kormoranbestände in Europa langfris-tig in die Kulturlandschaft zu integrieren und damitSchäden an den Beständen von Wildfischarten an derKüste und in den Binnengewässern zu reduzieren sowieSchäden von der Fischereiwirtschaft abzuwenden.rdEgedAZmrGSgoAVPBSdvFdBskrMrehaMswEMeembsindhmmSgekudssloZu Protokoll ge
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11786 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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des Fischs, der in der Bundesrepublik konsumiert wird,wird importiert. In manchen Teilen der Welt fischen in-ternationale Fangflotten ihn der Bevölkerung praktischvor der Nase weg, damit wir sie billig im Discounterkaufen können. Die Fischerei ist ein Beispiel dafür, daswir regionale Potenziale besser nutzen können.Um ein Kormoranmanagement kommen wir nicht he-rum, vor allem auch weil sämtliche passive Schutz-methoden an natürlichen Gewässern und Teichen nichtfunktionieren. Das hat übrigens auch der NABU, derden Kormoran im Jahr 2010 zum Vogel des Jahres erho-ben hat, bei seinen eigenen Teichen an der BlumbergerMühle in Brandenburg feststellen müssen. Der RBB hatberichtet, dass der NABU seit Jahren für seine dortigeKarpfenzucht tonnenweise Satzfische aus Tschechienimportiert, in einer Größe, die der Kormoran nicht mehrbewältigen kann. Damit Gäste des NABU-Besucherzen-trums nicht mit Vergrämungsabschüssen konfrontiertwerden, wird das Problem einfach ausgelagert. Ob esüber den tschechischen Zuchtteichen aussieht wie nacheiner Kissenschlacht, ist dem NABU dabei offensichtlichegal. An diesem Beispiel kann man gut erkennen, dasswir mehr Ehrlichkeit in der Diskussion um den Arten-schutz in der Bundesrepublik und in Europa brauchen.Zu einem konstruktiven Dialog fordere ich an dieserStelle ausdrücklich auch den NABU auf. Artenschutzdarf weder an der Wasseroberfläche enden, noch sollteer sich auf Tiere mit hübschen Knopfaugen beschränken.Wenn wir die Vorgaben der EU-Wasserrahmenrichtli-nie einhalten wollen, wenn wir wollen, dass Wiederan-siedlungsprojekte für den Lachs oder den Stör erfolg-reich sind, und wenn wir Arten wie den Aal und dieÄsche – genauso wie den Kormoran – weiterhin erhaltenwollen, können wir nicht auf Europa warten, sondernmüssen jetzt etwas tun. Ich bitte Sie daher um Zustim-mung zu unserem Antrag.Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Zweifelsfrei nimmt der Kormoran überall dort, wo erlebt, Einfluss auf die Fischbestände. Das ergibt sich lo-gisch aus seinen Ernährungsgewohnheiten. Und wennman denn diese Ernährungsgewohnheiten, also dasnatürliche Verhalten des Kormorans, als „Beeinträchti-gung der Natur“ ansieht, dann liegt eine solche Beein-trächtigung tatsächlich auch vor. Sicher kann es dort,wo durch intensive Teichwirtschaft den Kormoranen ineiner ansonsten „ausgeräumten“ Wasserlandschaft einbesonders verlockendes Nahrungsangebot gemachtwird, zu Nutzungs- und damit zu Interessenkonfliktenkommen. Wir müssen uns aber abgewöhnen, diese Nut-zungskonflikte immer und quasi automatisch mit Ausrot-tung oder Vertreibung der tierischen Konkurrenten zubeantworten. Das genau ist das erklärte Ziel des Arten-schutzes.Maßnahmen zur Reduktion des Drucks auf fischerei-wirtschaftliche Fischbestände unterliegen daher hohenRestriktionen, denn der Kormoran ist nach europäi-schem Naturschutzrecht geschützt und unterliegt damiteinem strengen Schutz, der erhebliche ZugriffsverbotenGdregIngofäeheisshprebVfüme„wkvterAedlieliddussliEpagtiKWeadfocBuunZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11787
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11788 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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Es ist sicher auch vernünftig und richtig, zu prüfen,ob und wie nachteilige Auswirkungen des Fressverhal-tens der Kormorane – so sie sich eindeutig verifizierenlassen – durch Entschädigungszahlungen ausgeglichenwerden können. Wir Grünen werden uns in den Länderneiner solchen Regelung sicherlich nicht verschließen.Allerdings werden auch diese Regelungen ausschließ-lich dort beschlossen – und nicht von der Bundesregie-rung.Das Verwaltungsgericht in Baden-Württemberg zumBeispiel hat die Zahlen geprüft und keine Korrelationfeststellen können; die höchsten Fangerträge wurden inRadolfzell dann erzielt, als dort die Kormoranbeständeam größten waren. Vielleicht wäre es erst einmal ange-bracht, Untersuchungen dazu auf den Weg zu bringen,wie sich Verluste beziffern lassen, um anerkannteGrundlagen für mögliche Entschädigungszahlen oderregulierende Maßnahmen zu haben. Ertragsschwankun-gen – darauf habe ich vor diesem Hohen Hause schon2008 hingewiesen – haben vielfältige Ursachen. Diesemonokausal auf die Kormorane zurückzuführen, istnicht haltbar. Klimaabläufe, sinkender Phosphorgehaltder Gewässer, Undurchlässigkeit der Gewässerkörperusw. spielen insofern eine Rolle.Ich wiederhole es hier gerne: Wer die Fischbeständenachhaltig stärken will, der muss die naturnahe Bewirt-schaftung von Teichen und Seen fördern, die Gewässerrenaturieren, Laich- und Lebensräume erhalten, anstattdie Schuld für Ertragseinbußen dem Kormoran in denSchnabel zu schieben.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/5378 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 sowie die Zu-
satzpunkte 6 und 7 auf:
23 Beratung des Antrags der Abgeordneten Inge
Höger, Paul Schäfer , Kathrin Vogler, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Umfassende Entschädigung für Radarstrah-
lenopfer der Bundeswehr, der ehemaligen
NVA und ziviler Einrichtungen
– Drucksache 17/5233 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Arnold, Dr. Hans-Peter Bartels, Dr. h. c. Gernot
Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
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für den Betroffenen der Nachweis sein kann, dass seine
heutige Erkrankung mit der Arbeit an Radargeräten vor
Jahrzehnten zusammenhänge. Die Anerkennungskrite-
rien der Radarkommission sind vielfach weit ausgedehnt
worden – im Zweifel für das Opfer, gewissermaßen. So
wurden etwa trotz eines festgestellten Konkurrenzrisikos
– Beispiel: starkes Rauchen – Ansprüche anerkannt.
Man hat bei der Entscheidung über die Anträge auf den
eigentlich vom Gesetz geforderten Kausalitätsnachweis
im Sinne eines Vollbeweises verzichtet, wenn eine soge-
nannte qualifizierte Tätigkeit und eine qualifizierte
Erkrankung vorlagen. Man ging vielmehr von diesem
Zusammenhang aus – und zwar gleichermaßen bei frü-
heren Angehörigen der NVA und der Bundeswehr.
Es wäre deshalb falsch, Verschwörungstheorien zu
stricken. Niemand – weder im Verteidigungsministerium
noch anderswo – hat das Ziel, die Fälle auszusitzen.
Dass sich Schwererkrankte, deren Anträge abgelehnt
wurden, bisweilen ungerecht behandeln fühlen, ist
menschlich nachvollziehbar. Ich nehme aber ausdrück-
lich die Beamten in Schutz, die diese Verfahren begleitet
haben und weiter begleiten. Sie handeln nach Recht und
Gesetz.
Nun können wir sicher nicht davon ausgehen, dass
mit den bewilligten Anträgen auf ewig alle Probleme aus
der Welt geschafft wären. Die gesundheitlichen Beein-
trächtigungen im Alltag bleiben häufig. Und mehr noch:
Sie verändern sich mit den Jahren und dem Alter – leider
wohl eher selten zum Besseren. Eine Stiftung, wie sie im-
mer wieder vorgeschlagen wird, hätte auf den ersten
Blick Charme. Allerdings sind diese Überlegungen kei-
neswegs neu. Das Verteidigungsministerium hat eine
solche Idee seinerzeit unter Beteiligung anderer Res-
sorts verworfen, weil es erstens für die betroffenen
Gruppen bereits gesetzliche Bestimmungen als Grund-
lage für Versorgungsanträge gibt und weil zweitens – so
das Ergebnis der Prüfung – eine Stiftung einseitig Men-
schen begünstigen würde, bei denen auch bei wohlwol-
lender Betrachtung ein Zusammenhang zwischen Ge-
sundheitsschaden und früherer Arbeit an Radargeräten
unwahrscheinlich ist. Auch eine Stiftung braucht natür-
lich Kriterien, um Ansprüche zu prüfen; schließlich geht
es um Steuergeld. Wegen einer Behauptung allein kann
keine Unterstützung gezahlt werden. Überdies müsste
auch diese Stiftung zunächst mit Geld gefüttert werden,
um überhaupt helfen zu können. Natürlich spricht prin-
zipiell wenig dagegen, die Radargerätehersteller an der
Entschädigung zu beteiligen. Dies wäre sogar wün-
schenswert, aber ob es auch machbar ist, werden wir se-
hen.
Manches, was die Fraktion Die Linke fordert, wird
bereits gemacht. Auch deshalb werden wir dem Antrag
nicht zustimmen. So erhält der Verteidigungsausschuss
einmal im Jahr einen schriftlichen Sachstandsbericht;
und die Vorschläge der Radarkommission werden schon
lange eins zu eins umgesetzt. Andere Forderungen klin-
gen prima – bis man sich mit den Konsequenzen be-
schäftigt. Natürlich wollen wir nicht, dass sich ehema-
lige NVA-Soldaten als Opfer zweiter Klasse fühlen. Aber
wer eine Gleichbehandlung fordert, sollte auch wissen,
was uns dann laut Juristen erwartet: Es könnte bedeu-
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der Bundeswehr und der ehemaligen NVA gefordert.Dabei wird unter anderem eine Stiftungslösung in Erwä-gung gezogen. Weiterhin wird gefordert, dass die Ent-schädigungssysteme für Angehörige der Bundeswehrund der früheren NVA angeglichen werden. Der Antragder Linken fordert zur Aufklärung und Dokumentationder Verstrahlung sowie zur Verbesserung der Strahlen-sicherheit darüber hinaus eine erneute Einsetzung einerExpertenkommission, wie wir sie im Jahre 2002 einge-richtet hatten.Anfang Juli 2003 hat die Expertenkommission ihrenAbschlussbericht vorgelegt. Bis heute werden die ent-haltenen Empfehlungen konsequent umgesetzt. BeiVorliegen einer qualifizierten Erkrankung und einerqualifizierenden Tätigkeit wird auf den individuellenKausalitätsnachweis verzichtet. Das bedeutet, dass imEinzelfall nicht nachgewiesen werden muss, dass die Er-krankung tatsächlich auf die Beschäftigung an und mitRadargeräten hervorgerufen worden ist. Diese Regelunghalte ich so nach wie vor für sinnvoll und richtig. ImÜbrigen wurde den Betroffenen in vielen Fällen bei derAuslegung der Anerkennungskriterien entgegengekom-men. Einzelfälle und Vorgehensweisen wurden in derVergangenheit an sogenannten runden Tischen zusam-men mit Vertretern des Bundes zur Unterstützung Radar-geschädigter beraten. Bislang wurden etwa 20 Prozentder Anträge positiv beschieden, circa 68 Prozent wurdenabgelehnt. Eine erneute Einrichtung einer Experten-kommission halte ich zum jetzigen Zeitpunkt für nicht er-forderlich. Der Bericht der Radarkommission entsprichtnach wie vor dem Stand von Wissenschaft und Technik.Sollten zukünftig neue wissenschaftliche Erkenntnisseeine Ergänzung dieser Regelung nötig machen, so wirddie Bundesregierung das selbstverständlich berücksich-tigen.Die SPD fordert die Angleichung der Entschädi-gungssysteme für Angehörige der Bundeswehr und derfrüheren NVA. Ich möchte Ihnen noch einmal in Erinne-rung rufen, dass wir uns seit der Jahrtausendwende mitdem Thema der Radarstrahlenproblematik beschäftigen.2001 wurde umfassend geprüft, ob es eines neuen Geset-zes für die Opfer von Radarstrahlen bedarf. Letztlichwurde jedoch davon Abstand genommen, da für die be-troffenen Personen bereits Rechtsvorschriften bestehen,die Leistungen bei einer durch dienstliche Tätigkeitenbedingten gesundheitlichen Schädigung vorsehen. Da-bei handelt es sich um Versorgungsansprüche wegen ei-ner strahlenbedingten Beschädigung – für Soldaten derBundeswehr nach den Bestimmungen des Soldatenver-sorgungsgesetzes, für Beamte nach den Regelungen desBeamtenversorgungsgesetzes und für Arbeitnehmernach den Vorschriften der gesetzlichen Unfallversiche-rung. Ehemalige Soldaten der NVA können einen An-spruch nach dem Dienstbeschädigungsausgleichsgesetzgeltend machen.Dass ehemalige Angehörige der NVA nicht in der Ver-sorgung durch das Soldatenversorgungsgesetz mit ein-bezogen wurden, steht im Einigungsvertrag und wurdeum Zuge der Gesetzgebung zur Überleitung von Ansprü-chen nach dem Recht der DDR beschlossen. Die unter-schiedlichen Regelungen bei geschädigten Grundwehr-dfüdluUddUgtegbRwdTvFbssddliGvstuvembwvAEsdnLFzdbdwluhTreund2Zu Protokoll ge
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11790 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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beschäftigt. Im Jahr 2002 wurde eine Kommission mitder Untersuchung dieser Fälle beauftragt. 2003 hat die„Radarkommission“ in ihrem Abschlussbericht Krite-rien erstellt, die festlegen, in welchen Fällen eineKrankheit auf Strahleneinwirkung zurückzuführen ist.Die Beschreibung qualifizierender Tätigkeiten und qua-lifizierender Erkrankungen sollte die Anerkennungsver-fahren beschleunigen und erleichtern. In diesem Zusam-menhang wurde von der Radarkommission auch dieUmkehr der Beweislast in Teilbereichen zugunsten derBetroffenen empfohlen.Von 3 803 gestellten Anträgen wurden 19,7 Prozentzugunsten der Antragsteller entschieden, 68 Prozent derAnträge wurden abgelehnt, der Rest befindet sich imlaufenden Verfahren. Die Interessenvertreter der jewei-ligen Betroffenengruppen – Bundeswehr und ehemaligeNVA – gehen davon aus, dass die Anerkennungskriteriendes Radarberichts nicht umfassend im Sinne der Antrag-steller auslegt werden, was die Bundesregierung ent-schieden zurückweist.In der 16. Wahlperiode waren sich alle im Parlamentvertretenen Fraktionen einig, dass es zeitnah eine Lö-sung des Problems im Sinne der Betroffenen gebenmuss.In Umsetzung der Ergebnisse der Radarkommissionund vor dem Hintergrund des hohen Alters der Betroffe-nen fordern wir als SPD die Bundesregierung daher auf,zeitnah eine praktikable Lösung im Sinne der Betroffe-nen vorzulegen. Wir streben vorzugsweise eine Stif-tungslösung an, die den unterschiedlichen Betroffenen-gruppen gerecht wird. Diese Stiftungslösung ermöglichtdarüber hinaus die Einbeziehung der Geräteherstellersowie die Erschließung weiterer Stiftungsgelder.Eine weitere Angleichung der unterschiedlichen An-erkennungs- und Entschädigungsverfahren von ehemali-gen Bundeswehrangehörigen und NVA-Soldaten mussebenfalls weiter vorangebracht werden. Die Entschei-dungsspielräume sollen dabei zugunsten der Betroffenenausgelegt werden.Darüber hinaus werden wir uns dafür einsetzen, dassdie Ergebnisse der Radarkommission – wie vom Vertei-digungsausschuss einstimmig beschlossen und vom Ver-teidigungsministerium zugesagt – eins zu eins umgesetztwerden. Dabei ist es selbstverständlich, dass auch nachVorliegen eines Gesetzes weiterhin neue Erkenntnisseder medizinischen und biologischen Forschung in dieEntscheidungen mit einfließen. Hier ist ein dynamischesVorgehen notwendig.Für die Vermittlung in Zweifelsfällen fordern wir ein– auch von der Radarkommission befürwortetes – unab-hängiges Gremium zur Entscheidungsfindung einzube-ziehen. Dem Verteidigungsausschuss muss zu den Bemü-hungen und den weiteren Schritten der Bundesregierungjährlich ein Evaluierungsbericht vorgelegt werden.Lassen Sie uns im Sinne der Betroffenen zügig han-deln und entscheiden!sslesgdsbHdvFLfüRstaBDZelezdUhdtisudgnuztedDbJwduSzhBbdBZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11791
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aber im Jahre 2011 die Möglichkeit, dass wir nun ausübergeordneten politischen Gründen gleich behandeln.Das ist unser politischer Wille.Wir als FDP-Fraktion setzen uns schon seit Anfang2001 für eine großzügigere Entschädigung der Radar-strahlenopfer ein und haben dieses immer wieder, so-wohl im Verteidigungsausschuss als auch im Plenum,zum Ausdruck gebracht. Wir laden daher alle Fraktio-nen ein, mit uns eine geeignete Lösung zu finden und un-seren breiten Konsens in einer gemeinsamen Initiativezum Ausdruck zu bringen.
Seit vielen Jahren kämpfen radargeschädigte ehema-
lige Soldaten aus Ost und West für eine angemessene
Anerkennung und für eine Entschädigung für Erkran-
kungen, die auf ihre Tätigkeit an Radaranlagen zurück-
geführt werden können. Es ist dringend notwendig, dass
die Bundesregierung hier schnell Abhilfe schafft, da die
Betroffenen immer älter und kränker werden. In ein paar
Jahren ist es für viele zu spät. In der Vergangenheit ent-
stand der Eindruck, die jeweiligen Bundesregierungen
spielen auf Zeit und drücken sich um eine umfassende
Lösung des Problems. Damit muss nun endlich Schluss
sein.
In der vergangenen Legislaturperiode waren sich
Abgeordnete aller im Bundestag vertretenen Parteien ei-
nig, dass es zeitnah eine umfassende Lösung des Pro-
blems geben muss. Allerdings hapert es bei der Umset-
zung durch die verschiedenen Bundesregierungen. Der
Prozess der Aufarbeitung stagniert seit Jahren. Das ist
angesichts des Alters der Betroffenen und der ernsthaf-
ten Erkrankungen unerträglich. Die Linke fordert eine
schnelle, unbürokratische und umfassende Anerkennung
und Entschädigung der Strahlengeschädigten. Dabei
dürfen die Ermessensspielräume für das Vorliegen der
Anerkennungskriterien nicht zu eng gefasst sein.
Ehemalige Angehörige der NVA und der Bundeswehr
müssen gleich behandelt werden. Bislang sind radarge-
schädigte Bundeswehrsoldaten wegen der seltenen
Anerkennung ihrer Krankheit Bürger zweiter Klasse.
Ehemalige Soldaten der NVA sind sogar Bürger dritter
Klasse. Sie unterliegen laut Einigungsvertrag dem
Dienstbeschädigungsausgleichsgesetz. Dies ist aus
Sicht der Betroffenen noch „strenger“ als das Soldaten-
versorgungsgesetz, das für ehemalige Bundeswehrsol-
daten gilt. Die Bundesregierung erklärt, dass diese
Ungleichbehandlung politisch gewollt ist. Das ist aus
unserer Sicht unerträglich.
Die Linke fordert auch, dass neben dem Staat als Ar-
beitgeber auch die Radargerätehersteller als Mitverant-
wortliche an den Entschädigungskosten zu beteiligen
sind. Außerdem brauchen wir mehr Transparenz und
mehr Mitbestimmung durch den Bundestag. Deshalb
soll es erneut eine Radarkommission geben, die dem
Bundestag regelmäßig einen Bericht vorlegt.
Die Linke ruft die Bundesregierung außerdem dazu
auf, strahlengeschädigten Angestellten ziviler Einrich-
tungen, wie zum Beispiel der Sowjetisch-Deutschen Ak-
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11792 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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lich ein Armutszeugnis für die Fürsorgepflicht gegen-über aktiven und ehemaligen Soldaten.Seit Jahren setzen sich der Bund zur UnterstützungRadargeschädigter, als Interessenvertretung ehemaligerBundeswehrsoldaten, und der Bund zur UnterstützungStrahlengeschädigter, die Interessenvertretung ehemali-ger NVA-Angehöriger, für eine verbesserte Entschädi-gungspraxis ein. Für ihr Engagement, ihren Mut undihre Ausdauer gebührt ihnen Dank und Anerkennungdieses Hauses. Nur reicht die Erklärung dieses Dankesnicht mehr aus. Die größte Anerkennung zeigen wir, in-dem wir endlich diese traurigen Zustände beenden.Wir alle sind uns darüber einig, dass den betroffenenMenschen geholfen werden muss. Dabei geht es nichteinmal um die abschließende Klärung von Schuld; esgeht vielmehr um die Übernahme von Verantwortung.Und eine besondere Verantwortung haben wir für dieehemaligen Angehörigen beider Armeen – der Bundes-wehr und der NVA.Die Probleme bei den Anerkennungsverfahren sindschon oft thematisiert worden; sie müssen aber auch an-gegangen werden. Dabei spielt Zeit eine ganz entschei-dende Rolle. Zehn Jahre, nachdem die Problematik erst-mals bekannt wurde, ist es allerhöchste Zeit fürLösungen. Wer sich hier weiter hinter der Komplexitätder Frage versteckt, wird unglaubwürdig und fügt denBetroffenen unnötigerweise weiteres Leid zu. Denn wäh-rend Formen der Entschädigung hin und her diskutiertwerden und Parlament und Bundeswehrverwaltung, Re-gierung und Opposition ihre Konkurrenzen austragen,leiden Menschen und ihre Angehörigen. Zu viele der Be-troffenen erleben das Ende der lang gezogenen Verwal-tungsverfahren nicht mehr. Seit geraumer Zeit mahnenalle Fraktionen hier Verbesserungen an. Aber wenn wiruns dabei in parteipolitisches Gezänk verstricken, wer-den zu viele der betroffenen Menschen die Lösung fürdie offenen Verfahrensfragen nicht mehr erleben. DieserGedanke sollte uns alle innehalten lassen.Dieses Thema eignet sich nicht dazu, die Grenzenzwischen den Parteien, zwischen Koalitionsfraktionenund Opposition zu betonen. Stattdessen sollten wir beidieser Frage über unseren Schatten springen – zuguns-ten der Betroffenen – und gemeinsam für eine vor allemschnelle Lösung arbeiten.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/5233, 17/5365 und 17/5373 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Jan Korte, Petra Pau, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE
Abzug deutscher Polizisten aus Afghanistan
– Drucksache 17/4879 –
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Polizisten danken, die diese harte Arbeit Tag für Tag mit
Stolz verrichten.
Zugegebenermaßen gab es auch Probleme, so zum
Beispiel bei der Rekrutierung mangels Teilnehmer und
einer hohen Verlustrate bei den ausgebildeten afghani-
schen Sicherheitskräften. Das Ziel der Londoner Konfe-
renz von 134 000 Polizisten bis Oktober 2011 war ge-
fährdet. Aber gerade in solch schwierigen Situationen
muss man seiner Führungsverantwortung gerecht wer-
den und Probleme bewältigen, statt vor ihnen davonzu-
laufen, wie es uns die Linken in ihrem Antrag empfehlen.
Und wie weit Sie mit Ihren Empfehlungen danebenlie-
gen, könnten Sie am besten vor Ort erfahren. Ich bin
sehr beeindruckt, dass unsere deutschen Polizistinnen
und Polizisten mir vor Ort regelmäßig das Vertrauen mit
auf den Weg geben, diese Schwierigkeiten lösen und die
Projekte erfolgreich zu Ende bringen zu wollen, Mit die-
ser Motivation kommen wir auch politisch Schritt für
Schritt voran: Durch Anreizprogramme, wie einer bes-
seren Bezahlung und einer Weiterverpflichtungsprämie,
haben sich zum Beispiel wieder deutlich mehr Polizei-
schüler beworben.
Vor allem werden wir aber für unser nachhaltiges und
ganzheitliches Schulungskonzept bei den Afghanen wie
auch bei den Bündnispartnern hoch geschätzt: Nicht nur
eine angepasste Staatsbürgerkunde zeigt Wirkung, unser
Alphabetisierungsangebot gilt als Auszeichnung und
sorgt für ein hervorragendes Bild über uns, nicht nur in
der arabischen Welt. Wem es hier an Zuversicht fehlt,
was diesen Einsatz anbelangt, dem empfehle ich eine
Reise nach Afghanistan. Die Motivation, die Sie vor Ort
bei unseren Leitern, Ausbildern und den afghanischen
Auszubildenden erleben, würde ganz sicher dazu führen,
dass ein Antrag der Linken, wie wir ihn heute diskutie-
ren müssen, so nicht geschrieben würde.
Auch im Bereich der polizeilichen Infrastruktur gibt
es mutmachende Erfolge: Im Jahr 2010 wurde der Bau
der Grenzpolizeifakultät an der Polizeiakademie in Ka-
bul abgeschlossen. Eine Außenstelle der Polizeiakade-
mie in Masar-i-Scharif befindet sich noch im Bau. Die
Hauptquartiere der Verkehrs-, Bereitschafts- und Grenz-
polizei in Kabul sowie eine Reihe von Hauptquartieren
in den Provinzen, etwa in Faizabad, und Distrikten
konnten bereits übergeben werden. Zahlreiche für die
örtliche Sicherheit besonders wichtige feste Checkpoints
wurden fertiggestellt, andere sind noch im Bau. Das
spricht für Taten und Perspektiven!
Nicht ohne Grund verhält sich Deutschland über alle
Fraktionen hinweg sehr sensibel, wenn es darum geht,
mit den Bündnispartnern in militärische Einsätze zu ge-
hen. Die Bundesrepublik Deutschland hat aber die
Chance, seinen Bündnisverpflichtungen im Schwerpunkt
insbesondere auf dem Sektor der Demokratisierung und
des zivilen Wideraufbaus, also zum Beispiel der polizei-
lichen Aufbauhilfe nachzukommen. Wir haben das
Know-how, die Infrastruktur und eben ein weltweit her-
vorragendes Image, das wir uns in vielen internationa-
len Polizeieinsätzen erarbeiten konnten. Daher stellt
sich für mich nicht die Frage des Ausstiegs, sondern
eher die Frage: Sind wir bei der Polizei für bevorste-
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11794 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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Polizei in der Bevölkerung einen extrem schlechten Rufgenießt.Um zu verstehen, worüber wir sprechen, wenn wirden Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte meinen,müssen wir zuallererst unser gewohntes Bild von „Poli-zei“ aus dem Kopf streichen. Wenn wir Polizei meinen,denken wir an bestens ausgebildete Sicherheitskräfte,die allein dem staatlichen Gewaltmonopol unterstelltund in den Rechtsstaat eingebunden sind und die ihreklar definierte exekutive Rolle im staatlichen Gleichge-wicht aus Legislative, Exekutive und Judikative einneh-men.Davon kann beim weitaus größten Teil der sogenann-ten Polizei in Afghanistan nicht einmal im Ansatz dieRede sein. Die von den US-Streitkräften in Afghanistanausgebildeten sogenannten Polizisten werden innerhalbeiner Woche einsatzbereit gemacht, bei den meisten an-deren sind es auch gerade einmal sechs Wochen. Manmuss nicht erklären, dass in dieser kurzen Zeit allenfallsder halbwegs ordentliche Umgang mit der Waffe und an-derer Ausrüstung erlernt werden kann. Weil die meistender rekrutierten Männer Analphabeten und dabei oft inschlechter körperlicher Verfassung sind, kommt jeglicheweitere Ausbildung – geschweige denn rechtsstaatlicheUnterrichtung – ohnehin von vornherein nicht infrage.Um es kurz zu machen: In Afghanistan werden diejeni-gen Männer, die bereit sind, mit den Streitkräften gegendie Taliban zu kämpfen, unter Waffen gestellt und unterdem Gesamtbegriff „Polizei“ zusammengefasst. Dass esdabei in erster Linie um die Quantität statt Qualität derSicherheitskräfte geht und dass der Überblick über dieGesamtstärke dieser Kräfte dann schon einmal verlorengehen kann, versteht sich von selbst.Ein derart vollzogener Polizeiaufbau macht aus ver-schiedener Hinsicht nicht nur keinen Sinn, sondern istsogar gefährlich für die ohnehin schon kaum vorhan-dene innere Sicherheit Afghanistans. Eine solche „Poli-zei“ wird von der Bevölkerung natürlich nicht aner-kannt, geschweige denn respektiert. Diese sogenanntenPolizisten sind auch nicht in der Lage, mit dem erst imAufbau befindlichen Verwaltungs- und Justizwesen zukooperieren. Sie agieren also quasi in einem staatlichleeren Raum. Wem sie ihre Loyalität schulden – westli-chen Streitkräften, lokalen Stammesfürsten, der Zentral-regierung in Kabul oder erst einmal nur ihren ureigenenpersönlichen Interessen – hängt von der jeweiligenSituation und den örtlichen Umständen ab. Ob sie imErnstfall tatsächlich ihre Gesundheit oder ihr Leben inder Auseinandersetzung mit Taliban, Drogenbossenoder einfachen Verbrechern riskieren, ist sehr oft zwei-felhaft. Das zeigt die hohe Fluktuation und die Unmög-lichkeit, die Stärke dieser Sicherheitskräfte genau zu be-ziffern. Ein Staat ist mit diesen Kämpfern definitiv nichtzu machen. Und was wird in Zukunft aus diesen Kräften,wenn die westlichen Verbündeten abgezogen sind? DieGefahr ist sehr groß, dass sich dann aus diesen Kämp-fern paramilitärische Einheiten bilden und dass sie denBürgerkrieg verschärfen. Anstatt – wie es ursprünglichja ihr Auftrag sein sollte – das Gewaltmonopol desafghanischen Staates aufzubauen, werden sie diesen oh-nehin schwachen Staat noch weiter schwächen. Ein sol-cuFBteDnasAsluAdfüancwfibwMESabgAreKnAdtosaeahBAuzd„WdgBInsdkZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11795
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Diese unerträgliche Tatsachenverdrehung kann mannicht so stehen lassen. Der Einsatz deutscher Polizistin-nen und Polizisten in Afghanistan ist ein wesentlicherBeitrag zum zivilen Wiederaufbau des Landes, zumAufbau eines Rechtsstaates, zur Schaffung geordneterStrukturen und zur langfristigen Stabilisierung der Re-gion. Es ist von entscheidender Wichtigkeit, dass vor al-lem der Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen unterstütztwird, damit die internationale Gemeinschaft in ein paarJahren ein Land verlassen kann, das nicht wieder in dieHände von Extremisten und Terroristen fällt. Die PolizeiAfghanistans muss hier einen zentralen Beitrag leisten,damit ein wirklicher Rechtsstaat entstehen kann.In unserem Antrag in der letzten Legislaturperiodehaben wir festgestellt:Der Aufbau eines funktionierenden Polizei-, Justiz-und Strafvollzugswesens ist eine wesentliche Vo-raussetzung für die Herstellung der Sicherheit undOrdnung und damit die Herstellung stabiler Ver-hältnisse in Afghanistan. Ziel ist es, dass die afgha-nische Regierung zunehmend ihre Eigenverantwor-tung wahrnehmen und perspektivisch selbst für die
ghanistan, zum Beispiel im Rahmen der Internatio-nal Security Assistance Force , an derDeutschland als drittstärkster Truppensteller mitder Bundeswehr maßgeblich beteiligt ist, darf nichtüber Gebühr ausgedehnt werden. Von zentraler Be-deutung für die Herstellung stabiler Verhältnisse inAfghanistan ist der Aufbau einer funktionstüchtigensowie den rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflich-teten Polizei.Diese Haltung vertritt die FDP-Fraktion auch heute.Gerade vor dem Hintergrund der Abzugsperspektive fürdie Bundeswehr aus Afghanistan ist die Polizeiausbil-dung von besonderer Bedeutung.Die Haltung der Linken hingegen ist verantwortungs-los. Die Linke will die Bundeswehr umgehend ausAfghanistan abziehen, lehnt aber zugleich jede Verant-wortung für den Wiederaufbau ab, insbesondere für denAufbau eines Rechtsstaats mit einer funktionierendenPolizei.Es ist unbestritten, dass es auch Probleme beim Poli-zeiaufbau in Afghanistan gibt. Diese aber damit zu be-antworten, das Land sehenden Auges nicht mehr beimAufbau eines Rechtsstaates zu unterstützen, ist unver-antwortlich. Die Antwort kann doch nicht sein, dieFlinte ins Korn zu werfen, sondern die Antwort mussvielmehr sein, die bestehenden Probleme anzupacken.Dazu gehört natürlich vor allem, die Ausbildung zügig,aber zugleich möglichst solide zu gestalten.Dass das in Afghanistan be- und entstehende Rechts-system nicht eins zu eins das Rechtssystem Deutschlandsabbildet, auch nicht im Bereich des Polizeirechts, istnicht nur nachvollziehbar, sondern auch richtig und gut.Afghanistan kann nur dann als Rechtsstaat funktionie-ren, ein an Demokratie und Menschenrechten orientier-tes Rechtssystem und eine Polizei können nur dannAsdjevsAPkPFsAinKihpAdninnvhzAR1nBbsgteDwmreFgUkwPgwredtäbZu Protokoll ge
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11796 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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US-Pentagon oder der NATO verantwortet, die auch denLehrplan festlegen. Das Oberkommando liegt bei einerDienststelle der US-Armee. Die Bundesregierung kenntden militärischen Charakter dieser Polizei, und sierechtfertigt ihn sogar: Afghanische Polizisten sollteneine „modulare Ausbildung im militärischen Sinne“ er-halten, beschied sie in ihrer Antwort auf eine Große An-frage der Fraktion Die Linke .Die Linke hingegen sagt: Deutsche Polizisten habenin einem Kriegsgebiet nichts zu suchen – zum einen, weildas lebensgefährlich ist, zum anderen, weil wir feststel-len: So verfehlt der Militäreinsatz in Afghanistan ist, soverfehlt ist auch der Polizeieinsatz, der nur die andereSeite der gleichen Medaille darstellt.Ein Nutzen für den Rechtsstaat ist weit und breit nichtzu erkennen, im Gegenteil. Die Bundesregierung kannkeine Zahlen dazu angeben, wie viele afghanische Poli-zisten es überhaupt gibt. Klar ist nur, dass die offiziellenAngaben weit übertrieben sind. Die britische Botschaftschätzt den Anteil sogenannter Geisterrekruten, die nurauf dem Papier existieren und deren Sold in die Taschen
Keine verlässlichen Zahlen gibt es auch darüber, wieviele der ausgebildeten Polizisten nach ihrer Ausbildungim Dienst verbleiben. Etliche von ihnen, nach Schätzun-gen 20 Prozent, quittieren ihren Dienst und nehmen da-bei häufig ihre Waffen mit.Das größte Problem ist aber nicht etwa, dass derPolizeiaufbau ineffektiv ist.Die Frage, was dabei herauskommt, wenn man jun-gen Männern eine Uniform überstreift, ein Gewehr indie Hand drückt und einen Schnellkurs verpasst, hat derfrühere stellvertretende UNO-Sonderbeauftragte in Ka-bul Peter Galbraith in einem Interview mit „CNN“ wiefolgt beantwortet: „Was dabei herauskommt, ist keinPolizist, sondern jemand, der von seinen Mitmenschen
Genau dieser Eindruck wird auch von deutschenPolizisten und Soldaten, die aus Afghanistan zurückkeh-ren, bestätigt. Der Bund Deutscher Kriminalbeamterberichtet von systematischer Wegelagerei und Straßen-räuberabzocke. Selbst der Chef der NATO-Ausbildungs-mission, General Caldwell, räumt ein, dass die großeMehrheit der Afghanischen Nationalpolizei die Gesetze,die sie angeblich durchsetzen soll, überhaupt nichtkennt, und er kommt zum Schluss, die meisten Afghanensähen in der Polizei „gesetzlose bewaffnete Männer“.Das ist die offizielle Bilanz von neun Jahren sogenann-ter Aufbauarbeit. Der afghanischen Bevölkerung wurdenicht zu mehr Demokratie verholfen, sondern es wurdeihr ein weiterer Unterdrückungsapparat beschert, dersie in die Zange nimmt.Es ist unverantwortlich, diese Politik fortzusetzen. ImFalle Afghanistan muss man klar sagen: Lieber keinePolizei als solch eine. Denn diese Polizei dient nichtdem Recht, nicht der Bevölkerung, sondern sie lässt denKrieg und die Gewalt nur noch weiter eskalieren. DabeidwDzdtiAinehassdugaKgndzissserrdwdgvrzjazVzüzduehSfasmdtülePnZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11797
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11798 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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erreichen könnte. Sie haben einfach ein grundsätzlichesProblem damit, dass sich Deutschland in Afghanistanengagiert, und deshalb wollen Sie den Abzug. Wir sindweiterhin der Auffassung, dass wir eine Pflicht haben,zum Aufbau eines funktionierenden Staatswesens inAfghanistan beizutragen. Weil das eine höchst gefähr-lich Aufgabe ist, interessieren wir uns für die Sicherheitund den Schutz der deutschen Polizistinnen und Polizis-ten, die vor Ort eine notwendige Aufgabe mit großemEinsatz zu erfüllen versuchen. Ihnen schulden wir guteAusstattung und bessere Konzepte für den Aufbau, nichtpolitische Instrumentalisierung. Zu einem Antrag nachdem Motto „Die Lage ist schwierig, deshalb führen wirdie Katastrophe gleich herbei“ können wir nur Nein sa-gen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/4879 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Einführung einer Kennzeichnungspflicht für
Angehörige der Bundespolizei
– Drucksache 17/4682 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Auch diese Reden nehmen wir zu Protokoll.
Bevor ich auf den haltlosen Antrag der Fraktion Die
Linke eingehe, möchte ich all den engagierten Bundes-
polizistinnen und Bundespolizisten danken, die tagtäg-
lich für den Schutz der Bevölkerung höchste Einsatzbe-
reitschaft aufbringen.
Sie, meine Damen und Herren von der Linken, be-
haupten in Ihrem Antrag ernsthaft, dass die Bundesre-
gierung mit dem Verzicht auf die Kennzeichnungspflicht
der Bundespolizisten Spielraum für polizeiliche Strafta-
ten einräumt und die Möglichkeit gibt, sich außerhalb
der Gesetze, in der Anonymität zu bewegen. Diese Aus-
sage ist schlicht und ergreifend haltlos und wird von mir
strengstens abgelehnt.
Seit vielen Jahren hat die Regelung Bestand, dass
sich Beamte der Bundespolizei mittels Dienstausweis
gegenüber einer von polizeilichen Maßnahmen betroffe-
nen Person legitimieren müssen, sofern der Sinn der
Amtshandlung dadurch nicht beeinträchtigt wird. Im
Falle eines von Ihnen so oft genannten Einsatzes in ge-
schlossenen Einheiten besteht außerdem die Möglich-
keit, über taktische Kennzeichnungen oder Einsatzbe-
richte etwaige Ausweisungen vorzunehmen. Dieses
Vorgehen ist heute gängige und bewährte Praxis bei
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verstößen seitens der Polizisten, liegen uns keinerlei
belastbare Aussagen oder Beweise vor. Nur um Ihnen
das noch einmal mit Nachdruck zu verdeutlichen: Die
Kleidung der Bundespolizisten wird ausschließlich unter
der Maßgabe der Zweckmäßigkeit und Sicherheit der
Beamtinnen und Beamten ausgewählt und nicht, um eine
Anonymisierung herzustellen. Ebenso unterliegen straf-
rechtliche Untersuchungen gegen Mitglieder der Bun-
despolizei den geltenden Rechtsvorschriften. Ein Ab-
schluss eines Verfahrens, erfolgt nur, wenn die
umfassenden Ermittlungen und Prüfungen der Staatsan-
wälte und Richter dies rechtfertigen. Die Behauptung,
dass dadurch das Vertrauen der Bürger in die Bundesre-
publik Deutschland als Rechtsstaat zerstört wird, ist
meiner Ansicht nach völlig widersinnig und nicht nach-
vollziehbar, meine Damen und Herren von der Linken.
Zusammengefasst besteht nachweislich kein Erfor-
dernis, eine Kennzeichnungspflicht für die Beamtinnen
und Beamten der Bundespolizei einzuführen. Misstrauen
gegenüber den Polizistinnen und Polizisten sowie eine
hohe persönliche Gefährdung wären eine unabdingbare
Folge dessen. Dies kann von unserer Seite nicht hinge-
nommen werden. Darum ist der Antrag der Linken ein-
deutig abzulehnen.
Die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht für
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte wird auch in der
SPD-Bundestagsfraktion schon länger diskutiert. In ei-
nem Rechtsstaat darf es keine Gewalteskalationen durch
die Polizei geben. Bei Straftaten durch Beamtinnen und
Beamte sind umgehend strafrechtliche Konsequenzen zu
ziehen.
Dennoch verwahre ich mich gegen den eventuell auf-
kommenden Eindruck, jede Demonstration werde sei-
tens der Polizei zu einem hemmungslosen Spannungsab-
bau genutzt. Es handelt sich hier um Einzelfälle, nicht
um ein gesamtpolizeiliches Phänomen!
Die Kolleginnen und Kollegen sind an vielen Wo-
chenenden in der gesamten Republik unterwegs, in un-
terschiedlichsten Lagen, ob Castor, Fußballspiel oder
Demonstration. Oft üben sie ihren sehr verantwortungs-
vollen Beruf unter schlechten Bedingungen aus. Diese
wichtige Arbeit möchte ich an dieser Stelle auch einmal
ganz ausdrücklich würdigen.
Der Antrag der Fraktion Die Linke pauschalisiert
nach meiner Meinung an einigen Stellen zu stark. Ande-
rerseits fordert er auch Dinge, die bereits geregelt sind.
Grundsätzlich habe ich nichts dagegen, eine Kennzeich-
nungspflicht für die Bundespolizei einzuführen, aber
nicht per se für jede Beamtin und jeden Beamten in jeder
Dienstsituation. Hier muss schon differenziert werden.
Meiner Meinung nach sollte eine nach Tätigkeiten
abgestufte Kennzeichnungspflicht eingeführt werden:
Im Innendienst sollte es für jede Beamtin und jeden Be-
amten verpflichtend sein, ein Namensschild zu tragen.
Ebenso wäre im Sinne einer bürgerfreundlichen Polizei
auf dem Schreibtisch ein Namensschild anzubringen. Im
Einzeldienst sollten die Beamtinnen und Beamten wahl-
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Zu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11799
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zen, um ihre Arbeit zu tun. Ihre Arbeit im Übrigen, diedarin besteht, Recht und Gesetz durchzusetzen. Mit All-machtsfantasien, wie die Linke sie hier behauptet, hatdas nämlich ganz gewiss gar nichts zu tun.Es ist selbstverständlich, dass Polizistinnen und Poli-zisten, die im Dienst Grenzen überschreiten und sichstrafbar machen, wie jeder andere zur Rechenschaft ge-zogen werden müssen. Es ist auch selbstverständlich,dass in solchen Fällen genauso sorgfältig ermittelt wer-den muss wie in allen anderen Fällen. Damit die Identi-tät eines Täters aufgeklärt werden kann, ist ein Namens-schild aber nun wirklich nicht erforderlich. Es bestehendie ganz normalen Möglichkeiten der Ermittlung vonTätern. Und sie werden ja auch genutzt; es ist ja nichtso, als ginge die Polizei Straftaten, die in den eigenenReihen begangen werden, nicht mit den Mitteln desStrafrechts wie auch des Disziplinarrechts nach.Fordern Sie von den Linken eigentlich konsequenter-weise auch, dass der Schwarze Block nur noch mit Na-mensschildern, wahlweise „Nummernschildern“, verse-hen an Demonstrationen teilnehmen darf, damit dieErmittlungen nachher leichter fallen, wer die Flascheauf den Polizisten geworfen hat? Nein, natürlich nicht.Denn Ihnen von der Linken geht es nur darum, die Poli-zistinnen und Polizisten in Misskredit zu bringen, undnicht darum, dass das wirklich eine zielführende Maß-nahme zur Aufklärung von tatsächlichen Vergehen undVerbrechen ist.Natürlich ist eine bürgernahe Polizei ein wichtigesAnliegen, auch, weil unser Rechtsstaat von dem Ver-trauen der Menschen in ihre Polizei lebt. Polizistinnenund Polizisten sind die Gesichter unseres Rechtsstaates.Anträge wie der von der Linken vorgelegte leisten hieraber einen Bärendienst, wenn sie die Polizei so verzerrtdarstellen. Die Forderung der Linken ist nicht davon ge-tragen, dass die Menschen auf der Straße den Streifen-polizisten nach Blick auf dessen Namensschild einfreundliches „Guten Tag, Herr Müller!“ entgegnen kön-nen, sondern davon, dass sie unterstellt, es könne imGrunde jederzeit von jedem Polizisten zum unberechtig-ten Angriff kommen.Es ist – wie ich schon in der vergangenen Woche an-merken musste – wirklich ausgesprochen bedauerlich,dass die Linken eigentlich diskussionswürdige Themenauf ein Niveau herunterzieht, auf dem man nicht mehrernsthaft über die Sache sprechen kann.Diskussionswürdig wäre beispielsweise ja durchaus,ob die, selbst nach Abzug der zahlreichen Anzeigen auchbei legitimer Gewaltanwendung durch die Polizei, rela-tiv geringe Zahl von Gerichtsverfahren wegen Körper-verletzung im Amt manchmal auch Zeichen eines falschverstanden Korpsgeistes sein könnte, und wie man hieretwas verbessern kann. Diskussionswürdig wäre aberebenso, in wie vielen Fällen die vermeintlichen Opfervon Polizeigewalt schon von vornherein aggressiv undmit Gewaltdrohung auf die Polizistinnen und Polizistenzugegangen sind. Wenn die Linke hier auf Berlin ver-weist, so muss sie doch auch darauf verweisen, dass ge-rade in dieser von der Linken mitregierten Stadt Polizis-tinnen und Polizisten über eine ganz besonders geringeAgmdnDmdGsddLBwdszvwLAtrihs2GeRewShdBVihsswhbdDssnZu Protokoll ge
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11800 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011 11801
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Die Linke meint: Wenn der Rechtsstaat sich selbsternst nehmen will, muss er dieses Problem anpacken.Eine Kennzeichnungspflicht kann zwar nicht Polizeige-walt verhindern, aber sie kann das Problem der fehlen-den Identifizierung lösen.Gegner der Kennzeichnung behaupten immer wieder,sie ermuntere Gewalttäter zu falschen Beschuldigungenoder gar zu persönlichen Nachstellungen.Wir wollten das mal genauer wissen und haben zu-nächst die Bundesregierung in einer Kleinen Anfragedazu befragt. Die Regierung antwortete, es lägen ihrkeine eigenen Informationen vor.Daraufhin haben wir den Wissenschaftlichen Dienstdes Bundestages um eine Untersuchung gebeten. Undsiehe da: In fast der gesamten Europäischen Union istdie Kennzeichnungspflicht bereits umgesetzt. Deutsch-land ist, neben Österreich, der einzige Verweigerer. Undnirgends gibt es Belege für eine damit verbundene Ge-fährdung von Polizisten. Lediglich aus Spanien werden„in einigen wenigen Einzelfällen“ unberechtigte An-schuldigungen oder Übergriffe vermeldet, ansonsten lä-gen jedoch „keine relevanten Informationen vor, ob dieEinführung der Kennzeichnungspflicht zu einem Anstiegunberechtigter Anschuldigungen gegen Polizeibeamteoder gar zu persönlichen Übergriffen auf diese geführthat“.Amnesty International zog daraus die Bilanz: Es lä-gen keine wirklichen Gründe gegen eine Kennzeich-nungspflicht vor.Dennoch stemmen sich gerade die Polizeigewerk-schaften noch immer vehement dagegen.Der Berliner Polizeipräsident Dieter Glietsch hathierzu in einer Anhörung im Brandenburger LandtagAnfang Januar das Notwendige gesagt: Die Polizistenhätten vielfach „emotionale Vorbehalte“, die sich abernicht auf Tatsachen stützten.Berlin hat mittlerweile eine Kennzeichnung beschlos-sen, Brandenburg steht kurz bevor. Dort hat interessan-terweise die CDU die Initiative ergriffen – und die stehtwohl genauso wenig im Verdacht, angeblichen linkenGewalttätern nahezustehen wie der Berliner Polizeichef.Die Brandenburger CDU führt in ihrem Gesetzentwurfvöllig zu Recht aus, eine namentliche Kennzeichnungkönne das Vertrauen in die Polizei durch Transparenzund Bürgernähe stärken. Das sagen wir auch den Poli-zeigewerkschaften: Sie haben nichts zu verlieren, im Ge-genteil. Wenn die Bürger wissen, mit wem sie es zu tunhaben, werden sie eher mehr als weniger Vertrauen indie Rechtsstaatlichkeit polizeilichen Handelns haben.Die Kennzeichnung dient, so schreibt es auch dieBrandenburger CDU, der Sicherstellung der Rechts-schutzgarantie für die Bürger und gewährleistet eineschnelle Aufklärung von Fällen von Polizeigewalt.Die Linke zieht hieraus das Fazit: Eine Kennzeich-nung kostet nichts, sie richtet keinen Schaden an, sie istaber geeignet, Schaden abzuwenden, indem sie Opfernpolizeilicher Übergriffe die Möglichkeit gibt, die Täterzu identifizieren und belangen zu lassen. Eine Kenn-ztetradKwhliDDDtewGinmdzmetajuBAidhdgBGcdgsdBNretigReCDcmleDfü(C(Deichnung wäre daher ein Gewinn für ehrliche Polizis-n wie für die Bürger.
Polizistinnen und Polizisten sind vom Staat beauf-
agt, das Recht durchzusetzen. Sie sind befugt, dazu
uch unmittelbaren Zwang auszuüben. Sie üben dabei
as staatliche Gewaltmonopol aus, und das heißt im
onfliktfall eben auch: Sie üben Gewalt aus. Diese An-
endung von Gewalt durch die Polizei muss immer ver-
ältnismäßig sein, und sie muss immer auf klarer recht-
cher Grundlage geschehen. Sonst ist sie rechtswidrig.
Um die Fälle rechtswidriger Gewalt geht es hier.
ass es sie gibt, kann niemand ernsthaft bestreiten.
ass sie nicht der Regelfall sind, sei auch klar gesagt.
ie Zeiten der Leberwursttaktik eines Polizeipräsiden-
n Duensing sind zum Glück Vergangenheit. Aber Ge-
altexzesse kommen eben gelegentlich vor, gerade bei
roßlagen wie Demonstrationen. Da gibt es die Fälle,
denen Bürgerinnen und Bürger, die lediglich ihr De-
onstrationsrecht ausüben, zur Zielscheibe von Gewalt
urch Polizeibeamte werden. Es bringt nichts, hier jetzt
u streiten, wie es dazu in der Situation jeweils gekom-
en ist. Was zählt, ist: Ein Bürger sieht sich als Opfer
xzessiver Gewalt und damit als das Opfer einer Straf-
t. Er muss die Möglichkeit haben, diesen Vorfall einer
stiziellen Überprüfung zuzuführen. Doch ein solcher
ürger steht heute vor einem Problem: Er muss seine
nzeige gegen Unbekannt stellen, denn er kann nicht
entifizieren, wer ihn da unverhältnismäßig attackiert
at. Denn Beamte tragen Uniform und sehen deshalb,
as sagt das Wort Uniform schon, alle mehr oder weni-
er gleich aus – erst recht, wenn sie Helm tragen.
Die Anonymität der Uniform aufzuheben, um den
ürgerinnen und Bürgern nach einem ganz konkreten
ewaltakt eine rechtsstaatliche Ermittlung zu ermögli-
hen – darum geht es. Dazu brauchen wir eine indivi-
uelle Kennzeichnung der Polizistinnen und Polizisten,
erade wenn sie in geschlossenen Einheiten im Einsatz
ind. Das ist kein Generalverdacht gegen die Polizei;
as ist Vorsorge für den Problemfall. Dadurch wird kein
eamter gefährdet. Denn es muss ja nicht der echte
ame sein, der da auf der Uniform klar lesbar steht; es
icht eine einprägsame Zahl oder Buchstabenkombina-
on, und die kann auch von Einsatz zu Einsatz neu ver-
eben werden.
Zum Abschluss: Der Antrag der Linkspartei will das
ichtige. Dies allerdings von der Bundesregierung zu
rwarten, verwundert etwas. Ein Innenminister von der
SU bekommt vielleicht die Kennzeichnungspflicht für
emonstranten hin, schwerlich aber Erkennungszei-
hen für die Polizei. Wenn das im Gesetz stehen soll,
üssen wir das als Bundestag schon selbst in die Wege
iten.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufrucksache 17/4682 an die in der Tagesordnung aufge-hrten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstan-
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11802 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. April 2011
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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den? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-schlossen.Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-ordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf morgen, Freitag, den 8. April 2011, 9 Uhr,ein.Die Sitzung ist geschlossen.