Gesamtes Protokol
Guten
Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung
ist eröffnet.
Der Ältestenrat hat in seiner gestrigen Sitzung ver-
einbart, daß in der Haushaltswoche vom 3. Mai keine
Regierungsbefragung, keine Fragestunden und keine
Aktuellen Stunden stattfinden sollen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Finanzausgleichs-
gesetzes
– Drucksache 14/487 –
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses
– Drucksache 14/812 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Schild
Jochen-Konrad Fromme
– Drucksache 14/813 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Jacoby
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Auch
hierzu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist es so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat
die Kollegin Barbara Hendricks von der SPD-Fraktion
das Wort. – Nein, die Parlamentarische Staatssekretärin
Hendricks, Entschuldigung.
D
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Es bleibt richtig, Herr Präsi-dent, daß ich natürlich der SPD-Fraktion angehöre. Aberich spreche heute in meiner Eigenschaft als Parlamenta-rische Staatssekretärin.
Mit dem heute zu verhandelnden Gesetzentwurf tra-gen wir einem grundsätzlichen Merkmal unseres föde-ralen Systems Rechnung: Solidarität bei aller Unter-schiedlichkeit der Länder in ihrer finanziellen Aus-gangslage und Wirtschaftskraft. Diese Solidarität be-weist sich gerade dann, wenn sich Glieder der bundes-staatlichen Gemeinschaft in einer unverschuldeten fi-nanziellen Notlage befinden. Um eine solche Maßnahmezur solidarischen Unterstützung durch die Fortsetzungder Sanierungshilfen für Bremen und das Saarland han-delt es sich bei dem vorliegenden Gesetzentwurf.Bremen und das Saarland befinden sich schon seitMitte der 70er Jahre auf Grund der Strukturkrisen vonSchiffbau-, Montan- und Stahlindustrie in einer schwie-rigen Haushaltslage. Die Zinsbelastungen waren weitüberdurchschnittlich. Die beiden Länder waren nichtmehr in der Lage, ihre Nettokreditaufnahme verfas-sungskonform zu begrenzen.Das Bundesverfassungsgericht hat am 27. Mai 1992die extreme Haushaltsnotlage Bremens und des Saarlan-des festgestellt und die Unterstützungspflicht der bun-desstaatlichen Gemeinschaft hervorgehoben. Deswegenhat der Bund die beiden Länder in den Jahren 1994 bis1998 jährlich mit Hilfen in Höhe von zusammen 3,4Milliarden DM unterstützt.Gleichzeitig hatten Bremen und das Saarland Aufla-gen zur Verwendung der Sanierungshilfen zu erfüllen.Hierzu gehörten die Begrenzung des Ausgabenwachs-tums, die Nutzung der Zinsersparnisse für wirtschafts-kraftfördernde Investitionen oder zur weiteren Rückfüh-rung der Verschuldung. Diese Auflagen sind eingehaltenworden, was im Finanzplanungsrat stets anerkannt wor-den ist.
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2892 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 36. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. April 1999
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– Ja, ein Beifall für die Länder Bremen und Saarlandschadet an dieser Stelle nicht.
Es ist erfreulich, wenn wir heute feststellen können,daß die Sanierungshilfen in Bremen und dem Saarlanderste Erfolge zeigen. Die Unterstützung ist nicht wir-kungslos verpufft. Der Abstand zur Finanzlage in denanderen Ländern ist spürbar geringer geworden, undauch beim Wirtschaftswachstum haben sie wieder An-schluß an die anderen Länder gewonnen. Dies ist für dielängerfristige Gesundung der Finanzen in Bremen unddem Saarland von zentraler Bedeutung.
Gleichwohl ist das Sanierungsziel in Bremen unddem Saarland noch nicht erreicht. Weiterhin ist dieZinsvorbelastung in beiden Ländern deutlich höher alsim Durchschnitt der Länder. Ohne Sanierungshilfenkönnten beide Länder immer noch keinen verfassungs-gemäßen Haushalt aufstellen. Die Nettokreditaufnahmewäre weit höher als die Investitionen. Dies liegt nichtzuletzt an den erheblichen Steuermindereinnahmenauf allen staatlichen Ebenen in den letzten Jahren, diedie finanzschwachen Länder mit entsprechenden Vor-belastungen besonders hart getroffen haben.Deshalb ist es unstrittig: Um die noch bestehendeHaushaltsnotlage in Bremen und dem Saarland endgül-tig zu überwinden und die bisherigen Fortschritte in denbeiden Ländern nicht in Frage zu stellen, ist die weitereGewährung von Sanierungshilfen notwendig.Grundsätzlich ist die bundesstaatliche Gemeinschaft,also Bund und Länder, verfassungsrechtlich zur Hilfeverpflichtet. Es ist jedoch weder der alten noch der neu-en Bundesregierung gelungen, die Länder für eine di-rekte Beteiligung an den Sanierungshilfen zu gewinnen.Der Bund kommt deshalb der Verpflichtung des Bun-desstaates mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nach,indem er die Lasten wiederum allein trägt.
Die Höhe der Sanierungshilfen wird gegenüber demSanierungszeitraum von 1994 bis 1998 insgesamt spür-bar abgesenkt werden. Sie betragen im Zeitraum 1999bis 2004 für Bremen 7,7 Milliarden DM und für dasSaarland 5 Milliarden DM. Bremen erhält dabei höhereSanierungshilfen, da die Zinsvorbelastung je Einwohnerspürbar höher als im Saarland ist.Im Jahre 1999 betragen die Sanierungshilfen für Bre-men 1,8 Milliarden DM und für das Saarland 1,2 Milliar-den DM. Die gleiche Größenordnung für 1999 hielt auchder Finanzminister der alten Bundesregierung, Herr Wai-gel, zur Sanierung für notwendig und hatte dies den be-troffenen Ländern schriftlich mitgeteilt. Daß die alte Bun-desregierung hierfür jedoch im Haushalt keinerlei Vor-sorge getroffen hatte, entlarvt ein weiteres Mal die unsoli-de Haushaltswirtschaft der Vorgängerregierung.
Die Sanierungshilfen werden mit der zu erwartendenAnnäherung an die Finanzsituation der anderen Länderschrittweise bis zum Jahre 2004 auf 700 Millionen DMin Bremen und 500 Millionen DM im Saarland zurück-geführt. Damit wird ein abrupter Strukturbruch verhin-dert. Die Länder können sich auf das Auslaufen der Sa-nierungshilfen vorbereiten. Eine verläßliche Haushalts-wirtschaft ist möglich.Nach Auslaufen der Sanierungshilfen sollen Bremenund das Saarland einen verfassungsgemäßen Haushaltvorlegen können. Dabei muß beiden Ländern klar sein:Mit dem Jahr 2004 muß die Sanierungsaktion abge-schlossen sein; die Sanierungshilfen werden auslaufen.Genauso wichtig wie die Hilfe des Bundes ist eindeutlicher Eigenbeitrag. Beide Länder sind hierzu be-reit. Dies ist erfreulich, aber zugleich auch eine Selbst-verständlichkeit, wenn man Hilfe von anderen erhält.Die Maßgaben der Sanierungshilfen sind dabei insge-samt strenger als in den Jahren 1994 bis 1998. Bremenund das Saarland müssen ihre restriktive Haushaltspoli-tik fortsetzen. Der Ausgabenzuwachs ist unter den Emp-fehlungen des Finanzplanungsrates zu halten. Die kon-sumtiven Ausgaben müssen sogar spürbar geringerwachsen. Bremen und das Saarland sollten versuchen,diese Obergrenzen im eigenen Interesse klar zu unter-schreiten. Weitergehende Einsparungen können länger-fristig zusätzliche Freiräume für eine eigenständige Fi-nanzpolitik Bremens und des Saarlandes schaffen.Die Finanzierungsspielräume, die sich durch dieZinsersparnisse aus den Sanierungshilfen ergeben, sindgrundsätzlich zur Schuldentilgung zu verwenden. DasSaarland kann aus den Zinsersparnissen außerdem wirt-schaftskraftfördernde Investitionen zur Abfederung desAbbaus der Beschäftigung im Kohlebergbau tätigen.Bremen und das Saarland werden jährlich Berichte überden Fortgang der Haushaltssanierung vorlegen.Mit dem Gesetzentwurf liegt somit insgesamt einschlüssiges Konzept vor, die Haushaltsnotlagen in Bre-men und im Saarland in der Verbindung von Sanie-rungshilfen und deutlichem Eigenbeitrag zu überwinden.
Ich möchte noch einen ergänzenden Hinweis geben:Dem Gesetzentwurf wurde im Finanzausschuß ein neuerArt. 2 zur Änderung des Gemeindefinanzreformgeset-zes angefügt. Hierbei handelt es sich um Änderungen imZusammenhang mit der Neuberechnung des Vertei-lungsschlüssels für den Gemeindeanteil an der Umsatz-steuer, die unter Wahrung des Statistikgeheimnisses denInformationsfluß an die Gemeinden und ihre Verbändesicherstellen.Herzlichen Dank.
Alsnächster Redner hat der Kollege Peter Jacoby von derCDU/CSU-Fraktion das Wort.Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 36. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. April 1999 2893
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Herr Präsident! meineDamen und Herren! Die heute zu beschließende Fortset-zung der Sanierungshilfen für die Bundesländer Bremenund das Saarland bedeutet in allererster Linie Kontinui-tät: Kontinuität in der Umsetzung des Urteils des Bun-desverfassungsgerichtes aus dem Jahre 1992, Kontinui-tät im solidarischen Verhalten des Bundes gegenüberzweier Bundesländer, die auf Unterstützung angewiesensind, und im übrigen Kontinuität im Blick auf die einge-setzten Instrumente, nämlich Sanierungshilfen in Formvon Sonderbundesergänzungshilfen bereitzustellenund das Ganze mit entsprechenden Auflagen zu verse-hen. Daher bedeutet das Dritte Gesetz zur Änderung desFinanzausgleichsgesetzes mit der auf sechs Jahre ange-legten Gewährung weiterer Sanierungshilfen in der Grö-ßenordnung von insgesamt 12,7 Milliarden DM dieFortsetzung einer Politik, die mit dem Jahre 1994 be-gann und deshalb gerade den Stempel der Vorgänger-koalition aus CDU/CSU und F.D.P. trägt.Selbstverständlich gelten auch heute noch die zentra-len Aussagen des Bundesverfassungsgerichtes vomMai 1992 und die in dem Urteil angelegten Maßstäbe.
Ich möchte daran erinnern, daß das Gericht damals aus-führte, beide Bundesländer befänden sich in einer ex-tremen Haushaltsnotlage, aus der sie sich aus eigenerKraft nicht befreien könnten. Das normale dreistufigeInstrumentarium des bundesstaatlichen Finanzausgleichs– Steueraufteilung, horizontaler Finanzausgleich undBundesergänzungszuweisungen im Rahmen des verti-kalen Finanzausgleichs – reiche zur Behebung der be-stehenden Probleme nicht aus. Karlsruhe sah und siehtin dieser Lage das bundesstaatliche Prinzip als solchesberührt. Es geht – so hat es das Gericht formuliert – „umdas Einstehen füreinander als Ausdruck der im Bundes-staat bestehenden Solidargemeinschaft von“ – meineDamen und Herren, jetzt kommt eine entscheidendePassage – „Bund und Ländern“.
Das Urteil war nicht in den Wind gesprochen; es bliebauch keine Theorie. Vielmehr war es der Hintergrund, vordem im Jahre 1993 Bremen und dem Saarland anläßlichder damals stattgefundenen SolidarpaktverhandlungenSanierungshilfen in Höhe von 1,8 Milliarden DM bzw.1,6 Milliarden DM, und zwar jährlich über fünf Jahrehinweg, bewilligt wurden – alles mit dem Ziel, es denbeiden Ländern zu ermöglichen, finanzwirtschaftlich wie-der Anschluß an die Gesamtheit der Bundesländer zu fin-den, an denen es sich zu orientieren gilt.Ich stelle fest: Auch in der zügigen Umsetzung desKarlsruher Urteils aus dem Jahre 1992 gab es geradeauch im Blick auf die zurückliegenden Jahre nicht bloßein wohlfeiles, den Föderalismus beschwörendes Lip-penbekenntnis. Ganz im Gegenteil: Nicht zuletzt aufdem Gebiet der öffentlichen Finanz- und Haushaltswirt-schaft erwies der Bund schon bisher – das soll auchheute so sein; insofern stellen wir uns in diese Konti-nuität – vor allem im Blick auf Bremen und das Saar-land seine handfeste Solidarität.
Hoffnungen, die 1993 mit den in den Folgejahrenjährlich bereitgestellten Haushaltshilfen verbunden wa-ren, haben sich im Blick auf Bremen und das Saarlanddennoch nicht erfüllt. Das kommt in der Regierungs-vorlage zu dem heute zu verabschiedenden Gesetz zumAusdruck; das belegen wichtige Indikatoren wie die Pro-Kopf-Verschuldung, die Zinsausgabenquote, die Zins-steuerquote, die Defizitquoten und etliches anderesmehr. Das eine oder andere mag besser geworden sein– darauf hat Frau Staatssekretärin Hendricks hingewie-sen –; es gibt aber auch berechtigte Kritik, die ebenfallsangesprochen werden muß.Die Kritik ist zum Beispiel dergestalt, daß sich dieLandespolitik zuweilen auf das Erschließen von Trans-ferleistungen reduziere, ohne daß der eigentlich ent-scheidenden Frage, nämlich der Verbreiterung und Mo-dernisierung der wirtschaftlichen Struktur oder der Ver-besserung der hausgemachten Standortfaktoren, dieselbeAufmerksamkeit zuteil wurde. Dabei gab es im Verlaufder Sanierung durchaus interessante Unterschiede in derGestaltung des Strukturwandels zwischen dem Bundes-land Bremen und dem Bundesland Saarland.Ich möchte daran erinnern, daß es Gutachter gegebenhat, die vor Jahren von den Landesregierungen selbsteingeschaltet worden sind und die expressis verbis aufPapier gebracht haben, daß der Zufluß an hohen Bun-desergänzungszuweisungen alleine noch keine hinrei-chende Erfolgsbedingung für eine definitive Überwin-dung einer Haushaltsnotlage eines Bundeslandes sei.Vielmehr – so diese Gutachter – würden die finanz-politischen Perspektiven eines Landes in erster Linie da-von abhängen, ob es gelänge, Bedingungen zu schaffen,die zukunftsorientierte Industrien, moderne Dienst-leistungen anzögen; denn nur dann könne erwartet wer-den, daß in diesen Ländern die Wachstumsrate des So-zialprodukts zunehme und dadurch die Last der öffent-lichen Verschuldung zumindest relativ gesenkt werdenkönne.Es bleibt also auch in einer Debatte wie der des heu-tigen Tages zu sagen, daß es im Blick auf die Wahrneh-mung der landespolitischen Verantwortung nach wie vorEntscheidendes zu tun gibt. Auch das, glaube ich, gehörtdazu.
Sei es, wie es sei. An einer Fortführung der Hilfen –so hat es auch die vom Finanzplanungsrat eingesetzteBund-Länder-Arbeitsgruppe schon im letzten Jahr, al-so vor dem Regierungswechsel, gesehen – führt keinWeg vorbei.Frau Staatssekretärin Hendricks hat dankenswerter-weise darauf hingewiesen, daß dies auch die Sicht vonBundesfinanzminister Waigel und der Vorgängerregie-rung gewesen ist. In der Tat gibt es einen Briefwechselzwischen Waigel und dem bremischen FinanzsenatorPerschau, in dem die frühere Bundesregierung bekundethat, weitere Hilfen über 1998 hinaus zu gewähren.Ferner heißt es im Entwurf zum Bundeshaushalt1999, der noch vor dem Regierungswechsel eingebrachtworden ist, expressis verbis – Zitat –:
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2894 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 36. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. April 1999
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Es ist beabsichtigt, die 1998 auslaufenden Sanie-rungshilfen für die Länder Bremen und das Saar-land auf der Grundlage der Entscheidung des Bun-desverfassungsgerichts als gemeinsame Finanzie-rung von Bund und Ländern fortzusetzen.
Aus Bundessicht– so ist damals formuliert worden –kommt dabei für 1999 eine Größenordnung von ca.3 Milliarden DM insgesamt in Betracht.3 Milliarden DM ist genau der Ansatz, der jetzt etati-siert wird, zugegebenermaßen in der Verantwortung desBundes. Aber dazu ist durchaus die eine oder andereBemerkung zu machen; das will ich gern tun.Ich möchte, was die rückwärtsgewandten Aspekte inder Rede von Frau Hendricks anbelangt, doch daraufhinweisen, daß auch die beiden Bundesländer Bremenund das Saarland sehr wohl davon ausgegangen sind,daß es eine Fortsetzung der solidarischen Hilfe des Bun-des und der Länder, und zwar in der genannten Größen-ordnung von 3 Milliarden DM, geben wird; denn beideLänder haben vor dem Regierungswechsel bei ihrerEtatplanung für 1999 in ihren Haushalten entsprechendeAnsätze ausgebracht. Das heißt, man konnte davon aus-gehen – die beiden Länder haben dies getan –, daß dembündischen Prinzip weiterhin Rechnung getragen würde.Insofern hätte ich die herzliche Bitte, Frau Staatssekretä-rin, daß Sie nicht rückwärtsgewandt die falschen De-batten führen, sondern nach vorne schauen, und dasdann mit Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion.
Herr
Kollege Jacoby, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kröning aus Bremen?
Selbstverständlich.
Bitte
schön.
Herr Kollege Jacoby, auch
ich möchte die Einmütigkeit, die sich im Hause abzeich-
net, nicht in Gefahr bringen. Aber Sie tragen mindestens
in dem Maße wie Frau Staatssekretärin Hendricks zur
Vergangenheitsbewältigung bei. Deshalb darf natürlich
auch eine Bremer Stimme nicht fehlen.
Können Sie dem Haus bestätigen, daß im Haus-
haltsentwurf von Finanzminister Waigel für 1999 nur
eine Absichtsbekundung stand, daß diese Absichtsbe-
kundung nicht über das Jahr 1999 hinausreichte und daß
sie auch noch nicht mit einer rechtlichen Grundlage ver-
sehen war, also mit einem einwandfreien, zwischen
Bund und Ländern abgestimmten Finanzierungsvor-
schlag? Seien Sie – trotz der Verbeugung, die wir vor
Minister Waigel für die bisherige Zusammenarbeit ma-
chen – so freundlich, dies dem Hause zu bestätigen.
Herr Kollege Kröning,
ich will Ihre Frage unter Bezugnahme auf Ihre frühere
Tätigkeit als Finanzsenator des Bundeslandes Bremen
beantworten. Nach den Entscheidungen zum Bundes-
haushalt 1999 in der Verantwortung der Bundesregie-
rung hat der bremische Senat aus SPD und CDU eine
Senatsvorlage gefertigt – ich habe sie zu dieser Debatte
mitgebracht –, im folgenden steht:
Erstens würden die im Finanzausgleichsgesetz bis
31.12.1998 befristeten Sanierungshilfen für Bremen und
das Saarland fortgesetzt. Das habe Bundesfinanzminister
Waigel gegenüber dem Land Bremen zum Ausdruck ge-
bracht und es auch im Entwurf des Bundeshaushaltes
mit Rechtsqualität versehen. Zweitens halte der Bund
für 1999 einen Betrag von insgesamt 3 Milliarden DM
für beide Länder für angemessen. Drittens solle die Fi-
nanzierung – zugegebenermaßen – je zur Hälfte von
Bund und Ländern erfolgen. Der Bundesfinanzminister
erkläre auch ausdrücklich, daß die Fortsetzung der Sa-
nierungshilfen auf der Grundlage der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 1992 erfolgen
solle.
Weil das so ist, Kollege Kröning, bin ich wirklich der
Auffassung, daß es überhaupt keinen Sinn macht, im
nachhinein – deshalb habe ich mich auf das bezogen,
was Staatssekretärin Hendricks vorgetragen hat – Zwei-
fel an der Entschlossenheit des Bundes aufkommen zu
lassen, sich gemeinsam mit den Ländern voll in die Ver-
antwortung zu stellen, was die Fortsetzung der Sanie-
rungshilfen zugunsten der Bundesländer Bremen und
Saarland anbelangt. Wenn Sie dafür sind, keine rück-
wärtsgewandten Debatten zu führen, dann unterlassen
Sie es bitte. Das möchte ich zu Ihrer Zwischenfrage sa-
gen.
Herr
Kollege Jacoby, erlauben Sie eine weitere Zwischenfra-
ge des Kollegen Kröning?
Ja.
Herr Kollege Jacoby, zumparlamentarischen Dialog gehört sicherlich, daß manverschiedener Auffassung ist, wie man sich einläßt. Siehaben mit Ihrer Antwort, für die ich Ihnen sehr dankbarbin, eingeräumt, daß erst in dem Haushaltsentwurf vonMinister Lafontaine Vorsorge getroffen war. Diese Vor-sorge haben wir gestern im Haushaltsausschuß endgültigbeschlossen.Ich möchte aus wohlerwogenen Gründen, und zwarnicht nur bezogen auf die Jahre 1998 und 1999, sondernauch auf die Ursprungsjahre 1992 und 1993, an diesebremisch-saarländische Gemeinsamkeit erinnern; dennauch dieser Minister hat es fertiggebracht, die Gesetzes-Peter Jacoby
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 36. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. April 1999 2895
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vorlage, die wir heute verabschieden wollen, ohne Ver-zug einzubringen. Lassen Sie uns ab jetzt in die Zukunftgucken!
Zu der Frage, die Sie,
Kollege Kröning, mir gestellt haben, möchte ich noch
einmal sagen: Wir stehen heute in der Kontinuität der
Sanierungshilfen, die über fünf Jahre hinweg geleistet
worden sind. Der Bundesfinanzminister war in Vor-
bereitung des Bundeshaushaltes 1999 schon vor dem
Regierungswechsel dabei, die vollen Beträge einzu-
stellen,
und er hat entsprechende Erläuterungen im Haushalt
ausgebracht.
Bevor nicht eine Verhandlung mit den Ländern statt-
gefunden hat, kann er eine Zahl noch nicht etatisieren.
Das Bundesland Bremen hat aber in seiner Senatsvorla-
ge bestätigt, daß davon auszugehen sei. Deshalb verste-
he ich nicht ganz, warum Sie mit Ihren Fragen diesen
aus meiner Sicht falschen Zungenschlag in diese Debatte
einbringen.
Herr
Kollege Jacoby, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Barbara Hendricks?
Bitte schön.
Bitte
schön, Frau Hendricks.
Herr Kollege Jaco-
by. Sie haben mir vorgeworfen, ich hätte mich in dieser
Debatte rückwärtsgewandt ausgedrückt. Ich darf Sie
freundlich darauf hinweisen, daß ich eine einzige Be-
merkung zur Vergangenheit gemacht habe. Ich habe
nämlich gesagt, daß Bundesfinanzminister Waigel im
Haushaltsentwurf 1999 keine Vorsorge für seine bekun-
dete Absicht getroffen hatte.
Es ist zweifellos richtig – das haben Sie jetzt bestä-
tigt, und ich bin Ihnen dankbar dafür –, daß der Bundes-
finanzminister die Absicht hatte, die Sanierungshilfen
für das Saarland und für Bremen fortzusetzen; sonst
hätte er dies seinem Kollegen Finanzsenator Perschau
guten Gewissens nicht schreiben können. Es ist zwei-
fellos aber ebenso richtig – ich darf Sie bitten, dies vor
dem Hohen Hause zur Kenntnis zu nehmen –, daß weder
3 Milliarden DM noch ein kleinerer Anteil des Bundes
etatisiert war. Zumindest hätte ein Anteil des Bundes
etatisiert werden müssen, wenn man von erfolgreichen
Verhandlungen mit den Ländern ausgeht.
Ich darf Sie abschließend darum bitten, zur Kenntnis
zu nehmen, daß somit meine Aussage, dies sei ein weite-
rer Beweis für die unverantwortliche Haushaltspolitik
der Bundesregierung gewesen, richtig war.
Frau Staatssekretärin,
daß es Ihnen selbst nicht gelingt, den Zusammenhang
zwischen der Verantwortung des Bundes und der der
Länder völlig auszublenden, ergibt sich ja aus einer
Formulierung, die Sie vor zwei Monaten bei einer De-
batte im Bundesrat benutzt haben. Sie sagten: „Der
Bund tritt einseitig in Vorleistung. Der Bund erwartet,
daß die Länder dies in anderem Zusammenhang berück-
sichtigen.“ Was heißt denn das anderes, als daß bei Ih-
nen durch die Hintertür und bei uns mit offenem Visier
auf den Gesamtzusammenhang der Verantwortung von
Bund und Ländern hingewiesen wird.
Ein Zweites möchte ich in diesem Zusammenhang
auch noch sagen: Ich halte es für ein einigermaßen un-
glaubwürdiges Vorgehen, daß ausgerechnet Sie, die Sie
sich in der Frage der Kindergelderhöhung oder in der
Frage der Finanzierung der Steuerausfälle durch die Än-
derungen bei den 630-DM-Jobs bisher in einer Weise
über Länderinteressen hinweggesetzt haben, wie es sei-
nesgleichen sucht,
jetzt in dieser Debatte mit Blick auf die Länder den Ver-
such unternehmen, sich schadlos zu halten. Das wird Ih-
nen nicht gelingen. Das ist ein Widerspruch.
– Ich lasse jetzt keine weiteren Zwischenfragen mehr zu.
Frau
Kollegin Hendricks, Sie haben nicht das Wort. Herr Ja-
coby, setzen Sie bitte Ihre Rede fort.
Es ist schon etwas be-merkenswert, Frau Staatssekretärin, wenn Sie eine Re-dezeit von einer Viertelstunde ausschöpfen und zweiMinuten später eine Zwischenfrage nach der anderenstellen.
Ich denke, das ist nicht die übliche Umgangsform.
Volker Kröning
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2896 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 36. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. April 1999
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Meine Damen und Herren, ich stelle fest: Am heutigenTage geht es um Kontinuität, um die Fortsetzung einerPolitik auf der Basis einer Entscheidung des Bundesver-fassungsgerichtes aus dem Jahre 1992. Es geht auch dar-um, daß das bündische Prinzip insbesondere durch dasVerhalten des Bundes erneut mit Leben erfüllt wird.
Ich möchte in dieser Debatte noch einen letztenAspekt ansprechen. Der Gesetzentwurf der Bundesregie-rung spricht nämlich mit Blick auf die erneut zu gewäh-renden Sanierungshilfen von einer letztmaligen Hilfe,die zudem degressiv ausgestaltet werden soll. Die Bot-schaft des Gesetzes, das heute zu beschließen ist, ist alsoeindeutig: Den Ländern Bremen und Saarland muß mitden vorgesehenen Hilfen zur Haushaltssanierung jetztauch die Bewältigung ihrer Haushaltsprobleme gelingen.Die Chancen hierfür sind gegeben. Ansonsten droht eineganz andere Konsequenz.Deshalb richtet sich unser Appell natürlich auch andie beiden Landesregierungen, nicht nur die Forderungnach der Selbständigkeit ihrer Bundesländer, für dieauch ich bin, vor sich her zu tragen, sondern auch vorOrt durch eine tatkräftige Politik Eigenverantwortungwahrzunehmen, weiterhin nachhaltige Eigenbeiträge zurHaushaltskonsolidierung zu leisten und im übrigenauch an einer Reform des Föderalismus, durch die jederEbene eine klarere Verantwortung, als das heute der Fallist, zugewiesen wird, mitzuwirken.Einer erneuten Hilfe zur Selbsthilfe stimmt dieCDU/CSU-Bundestagsfraktion am heutigen Tage zu.
Als
nächster Redner hat der Kollege Klaus Müller vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Klaus Wolfgang Müller (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Wollen wir das noch fortsetzen?
LiebeKolleginnen und Kollegen, jetzt hat der Kollege KlausMüller das Wort. Ich bitte, ihm auch die Gelegenheit da-zu zu geben. – Bitte schön, Herr Müller.Klaus Wolfgang Müller (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Das Scharmützel ist ja sehr interessant. –Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen undKollegen! Wir sind uns ja sicherlich alle einig darin, daßes sich bei den neuen Ergänzungszuweisungen des Bun-des nicht um irgendwelche Wohltaten handelt, sondernum einen Rechtsanspruch, den die Bundesregierung jetztauch einlöst. Diesen Rechtsanspruch hat das Bundesver-fassungsgericht in aller Deutlichkeit festgestellt. FürBremen und das Saarland wurden in der Entscheidungim Mai 1992 auf Grund erheblicher Abweichungen we-sentlicher Kennziffern von denen der Ländergesamtheiteine extreme Haushaltsnotlage festgestellt. Das Urteilbesagt, daß bei solchen Haushaltsnotlagen einzelnerLänder, und zwar unter der Voraussetzung, daß sie sichnicht selbst helfen können, die Solidargemeinschaft vonBund und Ländern in die Pflicht eintritt, dem betroffe-nen Glied der bundesstaatlichen Gemeinschaft Hilfe zuleisten.Bremen und das Saarland haben bereits in den Jahren1994 bis 1998 Bundesergänzungszuweisungen zurHaushaltssanierung erhalten. In dieser Zeitspanne habensich die beiden Länder dazu verpflichtet, eigene Sanie-rungsleistungen zu erbringen. Wir haben bereits festge-stellt – Bund und Länder haben dies einvernehmlich be-stätigt –, daß sich beide Länder auch daran gehalten ha-ben. Das Ausgabenwachstum ist sowohl im Saarland alsauch in Bremen deutlich unter den Empfehlungen desFinanzplanungsrates für das allgemeine Ausgaben-wachstum gehalten worden.
Die Finanzierungsspielräume aus den Sanierungshilfensind für wirtschaftskraftfördernde Investitionen oder zurweiteren Begrenzung der Neuverschuldung genutztworden. Das begrüßen wir; das war sicherlich auch Sinnund Zweck der Zuweisungen.Insgesamt hat sich der Abstand Bremens und desSaarlandes zu den anderen Ländern hinsichtlich ihrerVerschuldung und der daraus folgenden Zinsbelastungetwas verringert. Bremen und das Saarland sind gegen-über der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschlandnicht weiter zurückgefallen, sondern haben zum Endedes Sanierungszeitraums Anschluß an die allgemeinedurchschnittliche Wachstumsentwicklung gefunden.Aber – das haben auch meine Vorrednerinnen undVorredner bestätigt – trotz des bisher Erreichten ist dieHaushaltssituation in Bremen und im Saarland nochimmer weitaus schlechter als in anderen Ländern, wasverschiedene Indikatoren – Pro-Kopf-Verschuldung,Zins-Ausgaben-Quote, Zins-Steuer-Quote usw. – imBund-Länder-Bericht eindeutig belegen. Das heißt – dieKonsequenz wird heute wohl konsensual vom Haus ge-tragen –, sie können sich aus ihrer Notlage nach wie vornicht aus eigener Kraft befreien. Deshalb ist es, um dieerreichten Sanierungsfortschritte zu sichern und dendauerhaften Anschluß an die Ländergesamtheit zu errei-Peter Jacoby
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 36. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. April 1999 2897
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chen, notwendig, weitere Sanierungshilfen zu gewähren.Dies wurde, wie gesagt, konsensual festgestellt.Um dies zu erreichen, sind natürlich trotzdem aucheigene Anstrengungen der beiden Bundesländer not-wendig. Für den Erfolg der Haushaltssanierung und ent-sprechend ihren verfassungsrechtlichen Kooperati-onspflichten sind weitere starke Anstrengungen Bre-mens und des Saarlandes zwingend notwendig. Die un-terschiedliche Höhe der Sanierungshilfen spiegelt dieZinsvorbelastungen in Bremen und dem Saarland wider.Die Zinsbelastung des Bremer Haushalts ist spürbar hö-her und rechtfertigt deshalb entsprechend höhere Hilfenje Einwohner.Der Kernpunkt des Gesetzes – an der Stelle stimmeich meinem Vorredner, dem Kollegen Jacoby, aus-drücklich zu – liegt darin, daß die Sanierungshilfen nachsechs Jahren auslaufen und daß darüber hinaus keineSonderleistungen des Bundes mehr erfolgen werden.Darauf verweisen auch die degressiv abnehmenden Be-träge. Die beiden Länder müssen also in den nächstenJahren die Grundlage für solide Finanzen schaffen. Dar-an führt kein Weg vorbei, es sei denn – das wird sicherniemand hier wollen –, Bremen und das Saarland wür-den im Jahre 2005 ihre Selbständigkeit aufgeben.Die Regelungen – jetzt komme ich zu dem Teil, denich politisch etwas interessanter finde als die Scharmüt-zel des Kollegen Jacoby zuvor – des Föderalen Konso-lidierungsprogramms mit den neuen Ländern, die inden Finanzausgleich einbezogen worden sind, laufen2004 aus. 2004 ist noch weit entfernt, aber ich glaube,daß es für die Politik manchmal gut ist, rechtzeitig De-batten anzustoßen, die in die Zukunft weisen.
Das bedeutet, daß wir eine Anschlußregelung findenmüssen, die die Aufbaumaßnahmen in den neuen Län-dern auch weiterhin sicherstellt. Wir bekräftigen deshalbdas im Gesetz zur Umsetzung des FKP für den Zeitraumbis zum Jahre 2004 festgelegte Finanzausgleichssystem.Die notwendige Neuordnung der Finanzverfassungmuß jetzt aber zügig vorbereitet werden. Die Koalitionwill deshalb laut Koalitionsvertrageine Enquete-Kommission beauftragen, die not-wendige Neuordnung der Finanzverfassung ab demJahr 2005 vorzubereiten. Die Belange der finanz-schwächeren Länder und insbesondere der ostdeut-schen Länder werden dabei ebenso besondere Be-rücksichtigung finden wie das Ziel, zu einem Fi-nanzausgleichssystem zu kommen, das es für alleLänder attraktiver macht, zusätzliche Einnahmen zuerzielen.
Aus unserer Sicht ist in den Finanzbeziehungen zwi-schen Bund und Ländern tatsächlich ein erheblicherKorrekturbedarf vorhanden. Die föderale Umverteilungist undurchschaubar und komplex geworden. Dies be-trifft nicht nur den Steuerverbund und dessen Regelun-gen, die wir überprüfen wollen.Die Umverteilungen im Rahmen der Finanzverfas-sung sind durch eine Vielfalt von Regelungen gekenn-zeichnet, die die Transparenz und zugleich eine effizi-ente Mittelverwendung erschweren, aber auch die Ent-stehung dieser Mittel unter Umständen negativ tangie-ren. Finanzverantwortung ist kaum noch eindeutig zuzu-ordnen, und auch die Zuständigkeiten werden verwischt.Die horizontale Umverteilung zwischen den Ländern,der eigentliche Finanzausgleich, ist nur ein kleiner Teilder umverteilenden Maßnahmen. Sie wird überlagertund ergänzt durch eine Vielzahl von weiteren Umver-teilungsinstrumenten.Ein weiteres Problem liegt aus unserer Sicht in dergeringen Finanzautonomie der Länder. Die Ausgabender Länder und Gemeinden werden vielfach durch Bun-desgesetze festgelegt und fremdbestimmt. Einsparmög-lichkeiten sind deshalb begrenzt, und sie lohnen sich ausSicht der Länder vielfach nicht. So wird etwa bei derVerteilung der Umsatzsteuer auch das Ausgabenzu-wachsvolumen der Länder mit berücksichtigt. Diesschafft natürlich Anreize, die Ausgaben auszuweiten.Gleichzeitig werden dort Länderausgaben zusätzlichangeregt, wo sie mit Bundeszuschüssen verknüpft sind.Steuerquellen zu schaffen und auszuschöpfen lohnt sichfür die Länder kaum, wenn den finanzschwachen Län-dern über den horizontalen Finanzausgleich ohnehin99,5 Prozent der durchschnittlichen Finanzkraft derBundesländer zusteht und gleichzeitig den finanzstarkenLändern 60 bis 70 Prozent der den Durchschnitt über-treffenden Finanzkraft abgenommen wird.Auch das Konnexitätsprinzip blieb unbeachtet: Auf-gaben wurden in der Vergangenheit – die Verantwor-tungsträger dafür sitzen rechts von mir – auf untere Ebe-nen verlagert, ohne daß für einen Kostenausgleich ge-sorgt worden wäre. Ich erinnere nur an die Regelungenbeim Rechtsanspruch auf Kindergartenplätze sowie andie Verpflichtungen aus dem Bundesnaturschutzgesetz.
– Das haben wir wunderbar gegenfinanziert.
Die Kommission von Bund und Ländern, die jetzt –entsprechend dem Beschluß der Länder und einer Ver-einbarung zwischen dem Bundeskanzler und den Regie-rungschefs der Länder – eingesetzt wird, muß diese Pro-bleme angehen. Diese Reform wird vom Bund und vonden Ländern in einem kooperativen Verfahren vorbe-reitet werden, damit hier im Bundestag im kommendenJahr ein diesbezügliches parlamentarisches Verfahrenmöglich ist. Die Arbeitsgruppe – bestückt aus Expertender Bundesregierung und der Länderregierungen – wirdihre Tätigkeit Ende dieses Jahres abschließen. Über dieErgebnisse wollen die Regierungschefs der Länder An-fang nächsten Jahres beraten. Die Regierungsarbeits-gruppe wird nach ihrer Konstituierung in diesem Früh-jahr die Arbeit aufnehmen und für uns bis zum Jahres-Klaus Wolfgang Müller
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ende eine Vorlage schaffen. Ich glaube, daß wir danneine spannende Debatte erleben werden.Aus unserer Sicht ist dabei das gesamte System derAufgaben-, Ausgaben- und Einnahmenverteilung zwi-schen Bund, Ländern und Kommunen auf den Prüfstandzu stellen, damit nicht wiederum – wie schon beim FKP– Lösungen gefunden werden, die sich für wirtschaftli-che oder gesellschaftliche Entwicklungen als nachteiligerweisen.Ich möchte vier Punkte nennen, die nach unsererSicht Bestandteil dieser Debatte sein sollten, damit manhier tatsächlich zu einer Neuregelung kommen kann:Der erste Punkt ist die Verbesserung des Verhält-nisses von Ausgaben und Aufgaben. Wir braucheneine bessere Abgrenzung der Ausgaben der EU, desBundes, der Länder und der Gemeinden im Hinblick aufZuständigkeiten und Vollzug.Der zweite Punkt ist die Neujustierung der Steuer-einnahmen und der Mittelzuteilung. Die eigenverant-wortlichen Entscheidungsspielräume von Bund, Ländernund Gemeinden auf steuerlichem Gebiet sollten gestärktwerden. Dabei sollen die Vorteile eines einheitlichenSteuergebietes weitgehend gesichert, administrativeVerwerfungen verhindert und die Notwendigkeit vonAusgleichsmechanismen zur Sicherung und Herstellungvergleichbarer Lebensverhältnisse nicht grundsätzlich inFrage gestellt werden. Zu prüfen ist deshalb, inwieweitdie Länder – um deren Eigenverantwortung zu stärken –ihre Steuereinnahmen mitgestalten können. Ich glaube,daß es für unsere Kolleginnen und Kollegen in den Län-derparlamenten oft eine quälende Situation ist, die not-wendigen Mittel für Aufgaben, die nötig sind, und fürProjekte, die sie politisch befürworten, nicht selbständigbeschließen zu können.Der dritte Punkt ist: Der horizontale Finanzaus-gleich sollte auf eine neue Grundlage gestellt werden.Auch das System des horizontalen Finanzausgleichs be-sitzt Regelungen, die zu einer straffen Nivellierung undgleichzeitig zu ungünstigen Anreizen bei den Ländernführen. Zusätzliche Mehreinnahmen werden in hohemMaße abgeschöpft. Ebenso werden die Bemühungen,eigene Steuerquellen auszuschöpfen, im Finanzausgleichnicht honoriert. Umgekehrt gibt es keinen Sparanreiz fürdie Nehmerländer. Notwendig sind Anreize, die Steuer-basis zu pflegen und sie steuer- und wirtschaftspolitischsinnvoll auszuschöpfen. Erforderlich ist im Rahmen desbundesstaatlichen Solidaritätsprinzips ein angemessenerAusgleich der Finanzkraft. Er sollte transparent und ein-fach sein.Der vierte Punkt: Wir würden gern die Kommunal-finanzen einbeziehen. Bund und Ländern muß es ver-fassungsrechtlich untersagt sein, weiter öffentliche Auf-gaben auf die Kommunen zu verlagern, ohne daß diesendie dafür notwendigen Finanzmittel zur Verfügung ge-stellt werden.Dieses erfordert zum einen eine Grundgesetzände-rung und zum anderen die Anpassung der Länderverfas-sungen bzw. deren strikte Handhabung. In der Finanz-verfassung des Grundgesetzes müßte geregelt werden,daß der Bund dann die Ausgaben für Leistungen zu tra-gen hat, wenn die Länder und Kommunen Maßnahmendes Bundes ausführen, bei denen sie kein nennenswertesAusführungsermessen haben, das Volumen der Ausga-ben also durch das Bundesgesetz vorgegeben ist.Auch im Verhältnis von Ländern zu Kommunen mußdas Konnexitätsprinzip in gleicher Weise zur Geltungkommen. In den Ländern, die eine entsprechende Rege-lung bereits vorsehen, bedarf es ihrer strikten Anwen-dung.Der Niedersächsische Staatsgerichtshof hat dazuVorgaben formuliert, die die Gesetzgeber in Niedersach-sen wie in anderen Ländern mit vergleichbarer Regelungkünftig zu berücksichtigen haben. Die Länder sind da-nach verpflichtet, für die den Kommunen übertragenenAufgaben eine detaillierte Aufgaben- und Kostenanalysevorzunehmen, um auf dieser Grundlage über die Ko-stenerstattung zu entscheiden.Die von mir vorgetragenen Vorschläge sind sicherlichsehr weitreichender Natur und dazu gedacht, eine leb-hafte Debatte anzustoßen. Ich will auch nicht die Pro-bleme vernachlässigen, die bei einer Reform auftretenkönnten. Ein Ja zum Pluralismus und zu Anreizen istkeine Befürwortung eines ungehemmten Wettbewerbszwischen den Bundesländern. Aber, um zu zitieren:Der Konsens über die Notwendigkeit einer Reformdes Föderalismus ist sehr viel größer als gemeinhinangenommen.
Dies hat Hans Eichel gesagt, als er seine Ansprache alsBundesratspräsident am 6. November 1998 gehalten hat.Ich stimme mit ihm absolut überein und möchte gerneinen weiteren Passus aus seiner Rede zitieren. Zu denAufgaben der bereits erwähnten Kommission zählteHans Eichel damalsnicht nur die Erweiterung der Gesetzgebungskom-petenzen der Länder, sondern auch die Finanzbe-ziehungen zwischen Bund und Ländern. Ziel dieserKommission sollte es sein, einen Vorschlag zu un-terbreiten, der die Eigenstaatlichkeit der Länderstärkt, Aufgaben- und Ausgabenverantwortung zu-sammenführt und die Finanzbeziehungen zwischenBund und Ländern sowie zwischen den Ländern ineiner die verschiedenen Interessen soweit wiemöglich berücksichtigenden … und gleichermaßenvertretbaren Weise neu ordnet.Auch dieser Aussage wie den meisten Ausführungen inseiner sehr bemerkenswerten Rede, die ich jedem zumNachlesen empfehlen möchte, möchte ich mich an-schließen.Ich hoffe, daß wir nach dieser Debatte heute das„Pflichtprogramm“ für Bremen und das Saarland unddie erwähnten statistischen Änderungen beschließenwerden und daß wir in den kommenden Monaten einespannende Debatte darüber erleben, welche Reform desFöderalismus aus unserer Sicht notwendig ist. Ich binsicher, daß wir dazu viele Vorschläge aus Hans EichelsKlaus Wolfgang Müller
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Rede und aus Vorarbeiten aufnehmen werden. Ich binauf die Debattenbeiträge in diesem Haus gespannt.Vielen Dank.
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie schon an die-
ser Stelle darauf hinweisen, daß der Antrag auf nament-
liche Abstimmung beim nächsten Tagesordnungspunkt
zurückgezogen worden ist.
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr.
Werner Hoyer, F.D.P.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wenn die F.D.P.-
Bundestagsfraktion dem vorliegenden Gesetz heute zu-
stimmt, dann tut sie das ganz sicherlich nicht ohne
Bauchschmerzen. Sie tut das aus Solidarität mit den bei-
den Ländern und den Menschen in diesen beiden Län-
dern, die sich in der Tat in einer schwierigen Notlage be-
finden. Das erkennen wir ausdrücklich an, und deswe-
gen stimmen wir nolens volens zu.
Bei allem Respekt vor Ihrer Rede, Herr Kollege Ja-
coby, der ich in fast allen Passagen zustimme, habe ich
bei einem Punkt Bedenken: bei dem Begriff Kontinui-
tät. Wir sind als Bund sicherlich in der Kontinuität der
Solidarität gegenüber den beteiligten Ländern. Aber
was nicht weitergehen darf – deswegen wehre ich mich
gegen den Begriff Kontinuität –, ist die Schlamperei in
den beteiligten Ländern, die dazu geführt hat, daß wir
heute dieses Gesetz erneut beschließen müssen.
Der Mangel an Solidarität seitens 14 anderer Bundes-
länder, der hier zum Ausdruck kommt, darf nicht wei-
tergehen.
Wir haben hier ein, wenn Sie so wollen, Reparaturge-
setz vor uns.
Wir nehmen ein Kilo Lack in die Hand und übertünchen
etwas.
Wir werden schöne Farbe darüberstreichen und das Au-
tomobil im Glanz erscheinen lassen, Herr Kollege von
Larcher. Fakt ist aber: Darunter rostet es weiter, wenn
sich nicht nachhaltig etwas ändert. Kollege Müller hat
vollkommen recht: Es wird sich nachhaltig nichts än-
dern, wenn wir nicht an die Themen Finanzverfassung
und Regelung der Finanzbeziehungen von Bund, Län-
dern und Gemeinden herangehen.
Wir tragen mit diesem Gesetz also der extremen
Notlage der Länder Bremen und Saarland Rechnung.
Allerdings muß man hinzufügen, daß wir mit diesem
Gesetz natürlich auch der Notlage Rechnung tragen
müssen, die sich dadurch ergibt, daß die bundesstaatli-
che Gemeinschaft durch das Bundesverfassungsgericht
zur Hilfe verurteilt worden ist. Wir wollen, wie gesagt,
die Zahlungen an sich nicht anzweifeln. Man könnte
aber Anmerkungen zu der Höhe machen. Ist es wirklich
erforderlich, mehr zu zahlen, als die Länder beantragt
haben? Wir halten es auch für falsch und angesichts der
Haushaltslage erst recht für bedenklich, daß der Bund
hier erneut alleine zur Kasse gebeten wird – eine Tradi-
tion, die hier mittlerweile Platz gegriffen hat.
Zum ersten. Es wundert schon sehr, daß der damalige
Finanzminister Lafontaine die Mittel nicht nur ein Jahr
länger als geplant, sondern auch 2 Milliarden DM mehr,
als vom Saarland und von Bremen ursprünglich bean-
tragt, bereitstellte.
Herr
Kollege Hoyer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kröning aus Bremen?
Selbstverständlich.
Herr
Kröning.
Herr Präsident, ich danke
Ihnen. – Herr Kollege Hoyer, ist Ihnen bekannt, daß es
keine Anträge der Länder gegeben hat, sondern daß die
Länder in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Rechenschaft
abgelegt haben und daß die Zahlen, von denen heute die
Rede ist, an die Ergebnisse der Bund-Länder-
Arbeitsgruppe angepaßt und aktualisiert worden sind?
Sie sind wahrhaftig kein Geschenk. Ich habe die objek-
tiv ermittelten Zahlen gelesen und komme zu dem ent-
gegengesetzten Schluß; aber das ist gesetzgeberisches
Ermessen. Diese Zahlen entsprechen der Änderung von
1997 zu 1998. Können Sie das bitte bestätigen?
Erstens. Nein, mir war
das nicht bewußt. Zweitens. Ich habe etwas dazugelernt.
Drittens allerdings möchte ich ergänzen: Die beiden
Länder sind in diese Verhandlungen in der Tat mit For-
derungen hineingegangen. Die beliefen sich für Bremen
auf 6,7 Milliarden DM bis zum Jahr 2003, für das Saar-
land auf 4 Milliarden DM ebenfalls bis zum Jahr 2003.
Auch das ist eine veraltete
Position. Ich nehme an, der saarländische Ministerpräsi-
dent wird darauf noch zu sprechen kommen.
Danke.
Herr Ministerpräsident,ich begrüße es im übrigen außerordentlich, daß Sie heutehier sind. Die Tatsache, daß der Bremer BürgermeisterKlaus Wolfgang Müller
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bzw. sein Finanzsenator es nicht für erforderlich gehal-ten haben, hier heute zu erscheinen, stimmt mich etwastraurig. Insofern können Sie gleich vielleicht ein paarTakte für Bremen mitsagen. Ich halte es insgesamt füreinen schlechten Stil, sich hier mal eben 7,7 MilliardenDM beim Bundesgesetzgeber abzuholen und nicht ein-mal auf der Bundesratsbank präsent zu sein.
Zum zweiten. Immer wieder, wenn Gelder des Bun-des verteilt werden sollen, findet sich die gleiche un-rühmliche Allianz im Bundesrat. Soviel Einigkeit imBundesrat macht einen automatisch mißtrauisch. Liestman das Protokoll aus dem Bundesrat, so erscheintselbst der bayerische Löwe, normalerweise nicht geradeder größte Anhänger saarländischer und bremischerFinanzpolitik, plötzlich wie ein handzahmer Kuschelbär.Da sagt selbst Herr Bocklet als Vertreter Bayerns, es seianzuerkennen, daß sich die beiden Länder so sehr umHaushaltssanierung bemüht hätten. Der Grund ist klar:Es geht um fremdes Geld; es geht nämlich allein umBundesmittel.Richtig ist natürlich, daß wir auf Grund des Urteilsdes Bundesverfassungsgerichts und auf Grund unsererSolidaritätsverpflichtung gegenüber den Menschen inBremen und im Saarland gefordert sind, zwei Länderaufzupäppeln, die mit Vollgas und sehenden Auges insfinanzielle Desaster geschlittert sind. Richtig ist auch,daß der Bund die Ergänzungszuweisungen bisher alleinegeleistet hat. Richtig ist aber nicht, daß das so bleibenmuß;
denn das Bundesverfassungsgericht spricht ausdrücklichdavon, daß die bundesstaatliche Gemeinschaft, also auchdie Länder, in der Pflicht seien.Wir, CDU/CSU und F.D.P., wollten auch die Länderin die Pflicht nehmen. Dieses Vorhaben halte ich auchjetzt noch für richtig, nicht nur, um die Lasten auf mehrSchultern zu verteilen, sondern auch, weil der politischeDruck auf diese Länder für mehr und vor allen Din-gen für wirksame Reformen aufrechterhalten bleibenmuß. Dazu können auch die anderen Bundesländer bei-tragen.Meine Damen und Herren, man kommt nicht umhin,etwas zu der jahrelangen Mißwirtschaft in den betei-ligten Ländern zu sagen. Bei Bremen denke ich nur andie Vulkan-Werft und das damit verbundene Fiasko, dasder Bremer Senat, damals noch unter roter Führung,maßgeblich zu verantworten hatte.Eine weitere Zahl mag das Bremer Desaster nocheinmal vor Augen führen: Für 1992, also ein Jahr bevordas Bundesverfassungsgerichtsurteil erging, lag derSchuldenstand pro Bremer Einwohner bei mehr als24 000 DM. Das ist fast zehnmal soviel wie zur gleichenZeit in Bayern und ein Vielfaches von den Zahlen ande-rer Bundesländer. Es war und ist die Spitzenposition. Essei hier nur am Rande vermerkt, daß der Schuldenstandpro Einwohner 1996 und 1997 sogar noch darüber lag,und das trotz laufender Finanztransfers. Bremen ist so-mit weiterhin einsame Spitze bei der Pro-Kopf-Verschuldung.
Es ist geradezu eine Verhöhnung der Arbeitslosen inBremen und im Saarland, wenn in der Begründung zumGesetzentwurf darauf verwiesen wird, Bremen und dasSaarland hätten Anschluß an die allgemeine Wachs-tumsdynamik gefunden. Die aktuelle Arbeitslosenquoteim Saarland liegt bei 12,2, in Bremen bei 16,4 Prozent.Solche Werte erreicht sonst nur Ostdeutschland, und dasist immerhin 40 Jahre lang von der SED-Planwirtschaftruntergewirtschaftet worden.
Herr Präsident, Meine Damen und Herren, die Ver-längerung der Leistungen an das Saarland und an Bre-men muß ein weiterer Anlaß sein, den jetzigen Länder-finanzausgleich auf den Prüfstand zu stellen. Das im-mer komplizierter werdende Durcheinander von öffent-lichen Einnahmen, Ausgaben und Aufgaben sowie dersich jedes Jahr im Vermittlungsausschuß wiederholendeStreit ums Geld zeigen doch nur: Wir brauchen endlicheine neue Finanzverfassung. Ich freue mich auf dieEnquete-Kommission, Herr Kollege Müller. Ich hoffenur, daß das nicht ein Begräbnis erster Klasse wird oderder Versuch, das Thema ad kalendas Graecas zu verta-gen.Wir brauchen eine Finanzverfassung, die den Bund,den Ländern, den Gemeinden jeweils eigene Steuerein-nahmen zuweist, und zwar in einer Weise, die es ihnenermöglicht, die Höhe ihrer Steuereinnahmen und dieBelastung ihrer Bürger im verfassungsrechtlich vorge-gebenen Rahmen selbst zu bestimmen. Es muß wiedermehr Trennschärfe geben zwischen Aufgaben, Ausga-ben und Einnahmen des Bundes einerseits und Aufga-ben, Ausgaben und Einnahmen der Länder andererseits.Für das Verhältnis von Ländern und Kommunen könnteman ähnliches anführen.
Das heißt dann auch, daß das Leistungsprinzip aufallen Ebenen wieder zur Geltung gebracht werden muß.Es kann nicht angehen, daß übermäßige Anstrengungenvon Ländern insofern bestraft werden, als diese dannübermäßige Schlamperei anderer Bundesländer ausglei-chen müssen. Wir erwarten von der neuen Finanzverfas-sung mehr Wettbewerb zwischen den einzelnen Ge-bietskörperschaften. Ich betone noch einmal: Das betrifftnicht nur das Verhältnis von Bund und Ländern, sondernauch das Verhältnis der Länder untereinander und dasVerhältnis der Länder zu ihren Kommunen.Es ist doch so: Der bisherige Finanzausgleich gibtkaum Anreize zur Ausschöpfung der eigenen Steuer-quellen. Der bisherige Finanzausgleich bestraft die wirt-schaftlich erfolgreichen Länder. Der bisherige Finanz-ausgleich fördert keinen Wettbewerb, er unterstütztvielmehr Bummelanten und finanzpolitische Irrdenker.
Dr. Werner Hoyer
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Die Liberalen wollen eine Reform des Finanzaus-gleichs, und zwar eine solche, die durchaus das Prinzipder Solidarität der wirtschaftlich starken mit den wirt-schaftlich schwachen Ländern erhält, aber mehr Anreizefür eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik, für eine verant-wortliche Haushaltspolitik und für Ausgabendisziplinder Länder setzt. Wir müssen endlich Schluß machenmit der Gleichmacherei und der Schönrederei.Klare Trennungen bei der Steuerhoheit sowie bei derFinanzierung staatlicher Aufgaben schaffen auch klarepolitische Verantwortlichkeiten – Verantwortlichkei-ten, für die der Wähler die jeweiligen verantwortlichenPolitiker dann auch zur Rechenschaft ziehen kann. Eineneue Finanzverfassung setzt so voraus, daß die Verant-wortlichkeiten der verschiedenen Ebenen für die einzel-nen politischen Aufgabenfelder deutlicher werden. Eskann nicht so bleiben, daß in vielen Fällen derjenige, derfür eine politische Ausgabe die Verantwortung trägt,nicht gleichzeitig auch die Verantwortung für die dafürerforderliche Einnahmeerzielung trägt. Und es kannnicht sein – was im Verhältnis zwischen Kommunenund Ländern häufig genug zu beobachten ist; Sie kennendas aus Ihren Heimatgemeinden alle –, daß Maßnahmennicht deshalb vom Stadtrat beschlossen werden, weil sieso überaus sinnvoll sind, sondern weil die Chance be-steht, hierfür Länderzuweisungen zu bekommen.
Wir müssen schnellstmöglich die Rahmengesetzge-bung des Bundes nach Art. 75 des Grundgesetzes än-dern. Das Beamtenrechtsrahmengesetz und auch dasHochschulrahmengesetz verengen die Handlungsspiel-räume der Länder über Gebühr.
Gleiches gilt für die Besoldung und Versorgung imöffentlichen Dienst.Wir müssen schleunigst an die Gemeinschaftsauf-gaben nach Art. 91a des Grundgesetzes herangehen.Insbesondere dann, wenn es sich um originäre Länder-aufgaben handelt, ist nicht einzusehen, warum der BundVerantwortung in Planung und Finanzierung übernimmt,obwohl die Zuordnung von Aufgaben, Ausgaben undEinnahmen eindeutig möglich wäre.Wir brauchen also mehr Subsidiarität und Dezentra-lität in den Entscheidungsstrukturen. Wir brauchen mehrBürgernähe, mehr Wettbewerb, mehr Transparenz –mehr Transparenz übrigens auch in dem Sinne, daß sieAuskunft darüber geben kann, ob eine Politik erfolg-reich war oder auch nicht. Außerdem müssen wir denLändern letztendlich mehr Eigenständigkeit und Eigen-verantwortung einräumen und so einen konstruktivenWettstreit der Ideen ermöglichen. Wir brauchen einengesunden Wettbewerbsföderalismus. Wenn wir dieAutonomie der Länder stärken wollen, heißt dies auch,daß die Länder bereit sein müssen, mehr Verantwortungzu übernehmen.Das jetzt vorliegende Gesetz zeigt zweierlei: daß zumeinen die Regierung der Bundesrepublik trotz einer de-solaten Haushaltslage sehr solidarisch mit in Not gerate-nen Ländern ist und daß zum anderen die Länder zwarmehr Eigenständigkeit wollen, gleichzeitig aber nichtbereit sind, dafür den Preis zu zahlen.Herzlichen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Uwe-Jens Rössel von
der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die Freie Hansestadt Bre-men und das Saarland befinden sich am Ende der 1998ausgelaufenen gesetzlichen Sanierungsfrist noch immerin einer extremen Haushaltsnotlage, aus der sie sich auseigener Kraft nicht befreien können. Die Glieder derbundesstaatlichen Gemeinschaft haben nach dem Urteildes Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 1992 ineinem solchen Fall die Pflicht, dem betroffenen Gliedder bundesstaatlichen Gemeinschaft Hilfe zu leisten. Esist daher selbstverständlich, daß die PDS der Verlänge-rung der Sonder-Bundesergänzungszuweisungen fürBremen und das Saarland bis zum Jahre 2004 zu-stimmt. Wir verbinden mit dieser Zustimmung dieErwartung, daß die damit verbundenen Verpflichtungenerfüllt werden, daß aber zugleich Bremen und das Saar-land auch die ihnen obliegenden sozialen, infrastruk-turellen und ökologischen Aufgaben erfüllen können.
Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit in Bremen undim Saarland ist gewiß eine außerordentliche Herausfor-derung. Der Ministerpräsident, der kurz nach mir spre-chen wird, wird uns sicherlich erklären können, wie dasSaarland mit diesen Problemen umgeht. Ich möchte aberausdrücklich darum bitten, daß die Sanierungsver-pflichtung auch mit der Verpflichtung einhergeht, diedas Saarland gegenüber seinen Kommunen hat. Derkommunale Finanzausgleich muß gewährleistet wer-den, und die dramatische Finanzsituation der Gemeindendarf nicht unter den Tisch gekehrt werden, auch nicht imSaarland.
Der jetzt geltende bundesdeutsche Finanzausgleich istbekanntlich seit dem Jahr 1995 in Kraft. Darin sind auchdie ostdeutschen Länder einbezogen worden, die ja aushinlänglich bekannten Gründen bis 1994 nicht in diesemFinanzausgleich verankert werden konnten. Die Einbe-ziehung der ostdeutschen Länder in den bundesdeut-schen Finanzausgleich hat sich bewährt. Sie hat zueiner deutlichen Verbesserung der Einnahmesituationder ostdeutschen Bundesländer geführt. Allerdings– auch das muß hier vermerkt werden – ist diese Ein-nahmeverbesserung für die ostdeutschen Länder nicht ingleichem Maße für die Städte und Gemeinden wirksamgeworden. Denn die ostdeutschen Länder haben die grö-ßeren Möglichkeiten, aber auch die größeren Freiheitenin der Verwendung der Mittel aus dem Länderfinanz-ausgleich vor allem zur Sanierung ihrer Landeshaushaltegenutzt und die Mittel eben nicht in entsprechendemDr. Werner Hoyer
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Maße zur Verbesserung der Finanzausstattung derGemeinden weitergeleitet. Beim Fonds „Deutsche Ein-heit“ waren die Länder gesetzlich verpflichtet, 40 Pro-zent dieser Mittel an die Gemeinden weiterzuleiten. Mitder Einbeziehung in den Länderfinanzausgleich ist dieVerpflichtung weggefallen. Das hat dazu geführt, daß inallen ostdeutschen Bundesländern – wenn auch differen-ziert – die Kommunen seit 1995 eine weitere Ver-schlechterung der Einnahmesituation erfahren haben,womit wir nicht einverstanden sein können.
Die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs und desbundesdeutschen Finanzausgleichs allgemein ist erfor-derlich. Man muß jetzt beginnen, die politische undfachliche Debatte zu führen. Eine Bund-Länder-Kommission unter ausdrücklicher Einbeziehung derKommunen sollte rasch eingesetzt werden, so wie esBundeskanzler Schröder versprochen hat.Ich möchte nur einige Anforderungen benennen. Eineerste Anforderung ist: Wir müssen unbedingt am Soli-darprinzip festhalten. Das Solidarprinzip, das die Un-terschiede in der Finanz- und Wirtschaftskraft der Län-der in bestimmter Weise ausgleichen soll, wird auf län-gere Zeit hin das föderale bundesdeutsche Finanzsystembestimmen müssen. Ich möchte allerdings auch sagen,daß man natürlich auch Möglichkeiten der stärkeren Be-rücksichtigung von Wettbewerbsgesichtspunkten imRahmen dieser Kommission mit prüfen muß, wozu HerrHoyer auch einige Anregungen gegeben hat.Die zweite Anforderung, die wir sehen: Es mußüberlegt werden, ob die derzeitige Aufgabenverteilungzwischen Europäischer Union, Bund, Ländern undKommunen den Anforderungen entspricht. Die Aufga-benverteilung, aus der viele Fehlentwicklungen resultie-ren, gehört auf den Prüfstand. Subsidiarität und Verstär-kung der Dezentralität müssen auch damit verbundensein, daß dort, wo die Hauptaufgaben zu lösen sind,auch die Mittel hinfließen.
Drittens. Wir brauchen bei einer Neuregelung desbundesdeutschen Finanzausgleichs auch eine stärkereBerücksichtigung der Finanzkraftunterschiede derKommunen. Das BVG-Urteil aus dem Jahre 1992 hatausdrücklich beanstandet, daß die Finanzkraftunter-schiede der Kommunen im bundesdeutschen Finanzaus-gleich nur zu 50 Prozent berücksichtigt werden. Daskann auf Dauer nicht so bleiben. Denn wenn die ost-deutschen Kommunen pro Kopf nur rund ein Drittel derSteuereinnahmen von Kommunen im Altbundesgebiethaben, so liegt auf der Hand, daß diese Frage immerdringender wird. Bei einer Neuregelung des bundesdeut-schen Finanzausgleichs müssen die Finanzkraftunter-schiede der Kommunen zu 100 Prozent berücksichtigtwerden.
Damit bin ich schon beim Gesetzentwurf zur Ände-rung des Gemeindefinanzreformgesetzes. Wir stimmender Veränderung der Datenbasis zu. Sie ist notwendig,um den Verteilungsschlüssel zum Anteil der Gemeindenan der Umsatzsteuer neu zu bestimmen. Das war not-wendig geworden, weil 1998 die Gewerbekapitalsteuerabgeschafft worden ist. In Ostdeutschland ist sie nie ein-geführt worden. An dieser Stelle der Hinweis: Durch dieNichteinführung der Gewerbekapitalsteuer in Ost-deutschland, die wir aus wirtschaftlichen Erwägungenfür richtig gehalten haben, sind aber den ostdeutschenStädten und Gemeinden im Zeitraum von 1990 bis 1997insgesamt 4,5 Milliarden DM Einnahmen vorenthaltenworden, und zwar in einer extrem schwierigen Finanzla-ge der ostdeutschen Städte, Gemeinden und Landkreise,
für die sie nie einen Pfennig Ausgleich bekommen ha-ben. – Herr Michelbach, wir haben darüber diskutiert,daß es dazu Vorschläge gegeben hat.Deshalb verlangen wir nicht nur eine punktuelletechnische Änderung des Gemeindefinanzreformgeset-zes, sondern die generelle Reform, die Strukturreformder Gemeindefinanzen, steht auf der Tagesordnung.
Die Gemeindefinanzen müssen endlich vom Kopf aufdie Füße gestellt, und es müssen konkrete Vorschlägeverwirklicht werden, als gemeinsame Aufgabe vonBund, Ländern und Kommunen. Dazu ist rasch die Ein-setzung einer Enquete-Kommission des DeutschenBundestages, des Bundesrates, der kommunalen Spit-zenverbände unter Einbeziehung des Sachverstandes derWissenschaft notwendig. Die Kommunen brauchen sta-bile eigene Steuereinnahmen. Sie brauchen die Ver-wirklichung des Konnexitätsprinzips, und sie brauchenmehr Verantwortung auch der Länder im Rahmen deskommunalen Finanzausgleichs. Denn nur das ist dieVoraussetzung, daß der Gemeinwohlauftrag der öffent-lichen Hand vollständig erfüllt werden kann.Vielen Dank.
Das
Wort hat nun der Ministerpräsident des Saarlandes,
Reinhard Klimmt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fortset-zung der Teilentschuldung bis zum Jahre 2004 ist so-wohl für Bremen als auch für das Saarland von elemen-tarer Bedeutung. Ich möchte all denen ganz herzlichdanken, die zu dieser für beide Länder so wichtigen Ent-scheidung beigetragen haben, und tue das auch im Na-men von Henning Scherf, der mich ausdrücklich aufge-fordert und ermutigt hat, diesen Dank hier auch für ihnauszusprechen.
Insofern ist er hier auch anwesend.Dr. Uwe-Jens Rössel
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Sie werden sicher verstehen, wenn ich an dieserStelle dem ehemaligen Bundesfinanzminister Oskar La-fontaine im Namen der Bürgerinnen und Bürger desSaarlandes für seinen persönlichen Einsatz ganz beson-ders danke. Dieser Dank gebührt ihm aus unserer Sichtwahrlich.
Mit der Entscheidung, die Teilentschuldung fortzu-setzen, hat die neue Bundesregierung gezeigt, daß siezur föderalen Grundordnung, hier insbesondere zurEinheitlichkeit der Lebensverhältnisse, in Deutschlandsteht.Wir wissen, daß wir uns auch in Zukunft auf die neueBundesregierung verlassen können, wenn es um die be-rechtigten Interessen des Saarlandes und Bremens, aberauch um die der anderen finanzschwachen Länder geht.Gott sei Dank gibt es auch Länder, die nicht so großefinanzielle Schwierigkeiten haben. Deswegen gilt unserDank gleichermaßen all den Ländern, die bereit waren,die uns gewährte Unterstützung mitzutragen. Es fälltnatürlich leicht, dies zu tun, wenn man selber finanziellnicht dazu beitragen muß. Ich bin aber dankbar dafür,daß der Neid, der in unserer Gesellschaft immer wiedereine Rolle spielt, dadurch bezähmt wird.
Mit der heutigen Entscheidung des Bundestages wirddie 1994 begonnene Teilentschuldung weitergeführt, de-ren Grundlage die Anerkennung der extremen Haus-haltsnotlage durch das Bundesverfassungsgericht am27. Mai 1992 war. Dieses hat den Anspruch des Saar-landes und auch Bremens von Verfassungs wegen be-stätigt. Ich möchte hier den wichtigsten Punkt des Ur-teils herausstellen. Das Verfassungsgericht hat eindeutigklargestellt, daß die Selbständigkeit eines jeden Landesin Deutschland nicht nur auf dem Papier stehen darf. Je-des Glied der Solidargemeinschaft muß finanzwirt-schaftlich in der Lage sein, die ihm von der Verfassungzugewiesenen Aufgaben in eigener Verantwortlichkeitwahrzunehmen, um so seine politische Autonomie zuwahren und den Ansprüchen der Bürgerinnen und Bür-ger gerecht werden zu können. Ist die Eigenständigkeitund Eigenverantwortlichkeit nicht mehr gewährleistet,weil sich das betreffende Land in einer extremen Haus-haltsnotlage befindet, erwächst der Solidargemeinschaftvon Bund und Ländern auf Grund des bündischen Prin-zips des Einstehens füreinander eine konkreteHilfspflicht zu.Das Saarland hat daher keinen Anlaß, sich als Bitt-steller zu fühlen. Natürlich sind wir dem Bund und denübrigen Ländern für die solidarische Umsetzung desVerfassungsgerichtsurteils sehr dankbar; das ist keineFrage. Wir äußern unsere Dankbarkeit jedoch in demBewußtsein, daß hier dem Recht Genüge getan wird.Dieses Bewußtsein gründet sich auch auf die wech-selvolle Geschichte unseres Landes: Das Saarland istdas erste Beitrittsland. Mit der Volksabstimmung von1955 haben sich die Menschen unseres Landes eindeutigzum deutschen Kultur- und Sprachraum, zur Bundesre-publik, bekannt, gleichzeitig aber den Weg der Aussöh-nung zwischen Frankreich und Deutschland gewollt undletztlich auch ermöglicht. Über das Schicksal der Saarhaben sich Deutschland und Frankreich gefunden. Ausden einstigen Erbfeinden sind gute Freunde geworden,und darauf sind wir stolz.
1957 wurden wir das elfte Bundesland. 1959 erfolgtedie Währungsumstellung; dies liegt nun schon oder erst– je nachdem, wie man es betrachtet – 40 Jahre zurück.Neben den damaligen Umstellungsschwierigkeiten dersaarländischen Wirtschaft, die im übrigen Parallelen zuden neuen Bundesländern aufweisen, haben uns in den60er Jahren die Kohlekrise und in den 70er und 80erJahren die Stahlkrise getroffen. Das Ergebnis dieserEntwicklung ist Ihnen allen bekannt: Beschäftigungs-rückgang, Verfall der Ertragskraft der Unternehmen unddamit auch der Finanzkraft unseres Landes bei gleich-zeitig zunehmender Beanspruchung des Landeshaus-halts.Diese Entwicklung in der Regierungszeit von CDUund F.D.P. in unserem Land – das muß leider gesagtwerden, Herr Hoyer – hat den Landeshaushalt geradezumalträtiert und – das darf man wohl sagen – nahezu rui-niert. Ich wollte dies nur klarstellen, damit niemandsagt: Das haben die Sozis angestellt. Im Gegenteil, indieser Zeit lag die Regierungsverantwortung bei derCDU, nachher bei CDU und F.D.P.Ich möchte das auch gar nicht den damals Verant-wortlichen, zum Beispiel Herrn Klumpp von der F.D.P.und Herrn Zeyer von der CDU, zum Vorwurf machen;denn bei den schwierigen Entscheidungen, die im Inter-esse der saarländischen Stahlindustrie getroffen wurden,haben wir als Opposition damals auch mitgestimmt. Wirhaben also die Verantwortung für diese Entwicklung beiden Unterstützungsmaßnahmen mit übernommen. Aberdennoch bleibt zu konstatieren, daß der entscheidendeAufwuchs der Schulden bei uns im Land eben in derZeit zwischen 1980 und 1985 war. Das kann man un-schwer an diesem Schaubild erkennen, das mir hier vor-liegt. Die schwarzen und roten Balken zeigen das pro-zentuale Wachstum der Schulden gegenüber dem Vor-jahr. Damit wird deutlich, daß man diese Entwicklungwirklich nicht der jetzigen Landesregierung in die Schu-he schieben kann.
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Die Haushaltsnotlage ist bekanntlich deswegen ent-standen, weil das Land auf der Ausgabenseite mit derAufbringung von Lasten für den Montanbereich über-fordert war. Die Eigenanstrengungen zur Strukturver-besserung haben auch darunter gelitten. Uns wurde zu-nehmend die Bewegungsfreiheit eingeschränkt, um dieuns von der Verfassung zugewiesenen Aufgaben wahr-nehmen zu können. Vor diesem Hintergrund war dieKlage vor dem Bundesverfassungsgericht notwendigund im Ergebnis erforderlich.Die Fortsetzung der Teilentschuldung des Saarlandesund Bremens ist Gott sei Dank unbestritten. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe kam im Februar des vergangenenJahres zu dem Ergebnis, daß die Notwendigkeit derFortsetzung der Sanierungshilfen über das Jahr 1998hinaus besteht. Das war also kein Antrag von uns, son-dern die vereinbarte Überprüfung der Erfolge der vorge-sehenen Entschuldung. Dies ist auch durch den Be-schluß der Länderfinanzministerkonferenz am 13. März1998 bestätigt worden.Um die bisher erreichten Sanierungsfortschritte zu si-chern und einen dauerhaften Anschluß an die Haushalts-situation der anderen Länder zu erreichen, ist die Fort-setzung der Sanierungshilfen richtig und unerläßlich,nicht zuletzt deshalb, weil beide Länder die Sanierungs-hilfen des Bundes durch eine konsequente Haushaltspo-litik in den vergangenen Jahren flankiert haben. Wir ha-ben also nicht geglaubt, mit Unterstützung des Bundesdie Kuh bei uns im Land fliegen lassen zu können, imGegenteil: Das Saarland hat frühzeitig begonnen, auf diesich kontinuierlich verschlechternde Haushaltslage miteiner konsequenten Sparpolitik zu reagieren. Wir habenzum Beispiel als erstes Land überhaupt schon 1986 dieMinisterialzulage gestrichen. Die Zahl der Ministerienwurde von acht auf sechs reduziert. Damit haben wir die– wohlgemerkt zahlenmäßig – kleinste aller Landesre-gierungen.Die Zusammenlegung von Behörden und Ämternbrachte neben einer Kostenreduzierung eine effizientereAufgabenerfüllung. Mit den Sparmaßnahmen konnte derZuwachs bei den Personalausgaben deutlich begrenztwerden. Ihr Anstieg betrug im Zeitraum von 1988 bis1998 im Saarland knapp 30 Prozent. Der Durchschnittbei den westdeutschen Flächenländern liegt dagegen bei44 Prozent. Das war also eine wirklich fulminante An-strengung.
– Das ist einen Beifall wert. – Damit konnte die Perso-nalausgabenquote von 39,4 Prozent auf 38,4 Prozent ge-senkt werden und ist nicht wie in anderen Bereichen ge-stiegen.Das Ausgabenwachstum ist im Saarland – übrigensgenauso wie in Bremen – deutlich unterhalb der Emp-fehlung des Finanzplanungsrates gehalten worden.Gleichzeitig – auch das ist von Herrn Hoyer angemahntworden – haben wir Anschluß an die allgemeine Wirt-schafts- und Wachstumsdynamik gefunden. Die Be-gründung im Gesetzentwurf ist also nicht falsch; dennmit einem realen Wachstum von 9,9 Prozent je Einwoh-ner seit 1993 konnten wir im Saarland unsere Wirt-schaftskraft überdurchschnittlich stärken.
Wir haben den vorhandenen Handlungsspielraum in denvergangenen Jahren genutzt, um den Strukturwandelim Saarland weiter voranzutreiben.Früher fast ausschließlich durch die Montanindustriegeprägt, hat sich das Saarland zu einem Standort mitmoderner Industrie- und Dienstleistungsstruktur entwik-kelt. Der Anteil der sozialversicherungspflichtig Be-schäftigten im Dienstleistungsbereich hat sich von45 Prozent im Jahre 1985 auf 56 Prozent im Jahre 1998erhöht, während sich der Anteil der Beschäftigten imBergbau im gleichen Zeitraum von 7 Prozent auf 4 Pro-zent verringert hat. In absoluten Zahlen ausgedrückt:Wir haben im Saarland seit 1985 netto mehr als 40 000Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich geschaffen; dasist eine stolze Zahl.
Dem stehen mehr als 10 000 Arbeitsplätze gegen-über, die seit 1985 allein im Bergbau verlorengegangensind.
Dieser Prozeß des Abbaus geht weiter; dieser Prozeß hatuns in unseren Schwierigkeiten sehr stark getroffen.Vergessen Sie nicht, daß auf der Grundlage des Kohle-kompromisses bis zum Jahre 2005 die Belegschaft imsaarländischen Bergbau – mittlerweile ist die DSK dasverantwortliche Unternehmen – erneut halbiert wird. Ichbitte Sie, diesen schwerwiegenden und für uns hartenAbbau von Arbeitsplätzen in diesem Sektor zu beachten,wenn Sie zukünftig in diesem Hause über Energiepolitikreden. Wir haben damit sehr schwer zu kämpfen.
Ministerpräsident Reinhard Klimmt
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Bei den Erwerbstätigen – ich möchte auch hier Ih-rem Wunsch nach Aufklärung entsprechen – hat dasSaarland mit einem Anstieg von 0,9 Prozent im vergan-genen Jahr gegenüber 1997 den stärksten Zuwachs unterallen Bundesländern zu verzeichnen.
Wir konnten den Abstand unseres Landes zur Arbeitslo-senquote wohlgemerkt der westlichen Bundesländervon 4,1 Prozentpunkten im Jahr 1985 auf 2 Prozent-punkte im Jahr 1998 halbieren. Das ist immer noch vielzu hoch – das ist völlig richtig –, aber für uns von großerBedeutung. Vergessen Sie dabei aber bitte nicht, daß wirgern und bereitwillig für unsere Nachbarn in Lothringenund Rheinland-Pfalz Arbeitsplätze zur Verfügung stel-len. Wir haben einen Pendlerüberschuß von 20 000. Dasist in Relation zur Zahl unserer Arbeitsplätze der höch-ste Anteil eines Bundeslandes überhaupt, was die Zur-verfügungstellung von Arbeitsplätzen für Nachbarn imIn- und Ausland angeht.Das alles zeigt, daß die Bemühungen des Landes, An-schluß an das Niveau der anderen westdeutschen Länderzu finden, in den letzten Jahren nicht erfolglos waren.Ich sage aber auch: Die ungenügende Einnahmenent-wicklung in den vergangenen Jahren hat dazu geführt,daß wir trotz strengster Ausgabendisziplin das Ziel, nachder letzten Teilentschuldungsrate den Anschluß an diefinanzwirtschaftliche Entwicklung des nächstschwäche-ren Bundeslandes zu schaffen, nicht erreicht haben. DieEinnahmen sind seit 1993 hinter den damaligen Erwar-tungen zurückgeblieben. Die Gründe dafür sind bekannt:Abschwächung der konjunkturellen Entwicklung inDeutschland, verbunden mit einer hohen Arbeitslosig-keit und einer Erosion der Steuereinnahmen. Die volks-wirtschaftliche Steuerquote in Deutschland ging im Zeit-raum von 1993 bis 1998 von 24 Prozent auf 22 Prozentzurück. Die Differenz von 2 Prozentpunkten macht jah-resbezogen für die Bundesrepublik Deutschland einenBetrag von 65 Milliarden DM aus. Das heißt, den öf-fentlichen Kassen in Deutschland fehlten 1998 gegen-über den Finanzplanungen von 1993 rund 65 MilliardenDM. Das bedeutete für uns, daß wir im Sanierungszeit-raum rund 3 Milliarden DM weniger eingenommen ha-ben, als 1993, dem Jahr, in dem man die Teilentschul-dung festgelegt hatte, erwartet wurde.
Uns ist trotzdem gelungen, den Schuldenstand um2 Milliarden DM abzubauen. Der Abstand in der Pro-Kopf-Verschuldung zum nächst finanzschwächerenLand wurde von 4 937 DM Ende 1993 – ich nenne dieseZahlen, damit Sie genau informiert sind – auf 1 195 DMEnde 1998 zurückgeführt. Auch diese Tatsachen müssenregistriert werden.
Trotz des Sparkurses hat das Saarland seine Investiti-onsquote im Sanierungszeitraum gesteigert; mit dem Er-gebnis, daß wir 1998 und 1999 die dritthöchste Investi-tionsquote unter den westdeutschen Flächenländernaufweisen.Ich darf zusammenfassend feststellen: Die Fortset-zung der Teilentschuldung verbessert die Zukunfts-chancen des Saarlandes und auch Bremens. Beide Län-der wissen, daß weitere eigene Anstrengungen unab-dingbar sind. Wir werden den strikten Haushaltskonsoli-dierungskurs weitergehen und versuchen, weiter kreativzu sparen und Investitionen und Wachstum zu fördern.Zu diesem Weg sehen auch wir keine Alternative. Unse-re Politik bleibt darauf ausgerichtet, den Strukturwandelim Saarland weiter voranzutreiben, um die Wirtschafts-und Finanzkraft unseres Landes zu stärken.Meine Damen und Herren, mir ging es darum, an die-ser Stelle Dank zu sagen, aber auch um Verständnis fürunser Land zu werben, das im äußersten SüdwestenDeutschlands an der Grenze zu Frankreich, aber auch imHerzen Europas liegt. Wir waren oft genug Schlachtfeld,lange genug Vorposten. Jetzt wollen wir Brücke sein. Ja,besser noch: Wir wollen Nahtstelle sein, wo Deutsch-land und Frankreich und damit Europa zusammenwach-sen.Ich danken Ihnen noch einmal herzlich. Glück auf!
Als
nächster Redner hat der Kollege Jochen-Konrad From-
me von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsi-dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Überein-stimmung im Ergebnis, daß wir diese Maßnahme fort-setzen wollen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daßhier grundsätzliche Probleme auf der Tagesordnung ste-hen. Daß die Sanierung im Saarland und in Bremennoch nicht vollendet ist, wird in dem vorliegenden Be-richt damit begründet, daß sich die Steuereinnahmen an-ders entwickelt hätten, als man dies angenommen hatte.Wenn man die Steuerschätzung zu hoch ansetzt und siein der Hoffnung zugrunde legt, daß die Vorhersage ein-tritt, dann braucht man sich über die anders verlaufendeEntwicklung nicht zu wundern. Von dieser Entwicklungwaren aber alle Länder und auch der Bund betroffen.Es ist heute nicht zu Unrecht schon mehrfach betontworden, daß der Länderfinanzausgleich die Einnahmen-seite zu 99,5 Prozent anzeigt. Deswegen liegen die Pro-bleme weniger auf der Einnahmenseite als auf der Aus-gabenseite. Ein Blick in die Statistik zeigt, daß dasSaarland und Bremen bezüglich der Einnahmen proKopf im Vergleich zu den anderen Bundesländern garnicht schlecht dastehen. Ich sage noch einmal: Die Pro-bleme liegen eher auf der Ausgabenseite als auf der Ein-nahmenseite. An der Lösung dieser Probleme muß gear-beitet werden.Aber es gibt Unterschiede zwischen dem Saarlandund Bremen, die ich einmal deutlich machen will. Wennman sich die Zahl der öffentlich Beschäftigten für jetausend Einwohner ansieht, dann erkennt man, daßMinisterpräsident Reinhard Klimmt
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Bremen mit 48,8 deutlich unter dem Durchschnitt derStadtstaaten mit 60,1 liegt. Das Saarland jedoch liegt mit25,7 öffentlich Beschäftigten je tausend Einwohnerdeutlich über dem Durchschnitt der westlichen Flä-chenländer, trotz der Tatsache, daß es ein relativ kleinesLand ist, das eine mittlere Verwaltungsebene, die andereLänder haben, gar nicht braucht. Selbst im Großstadt-vergleich weist Bremen immerhin noch die viertniedrig-ste Personalausstattung aller zwölf deutschen Großstädteauf.Bremen ist es gelungen, die Pro-Kopf-Ausgaben mit11 659 DM auf den Durchschnitt der Stadtstaaten zudrücken. Läßt man die Zinsausgaben einmal weg, so lie-gen die Ausgaben sogar unter dem Durchschnitt. Ganzanders sieht die Situation im Saarland aus. Dort liegtman mit 5 823 DM um mehr als 10 Prozent über demDurchschnitt der Flächenländer von 5 099 DM. DieserUnterschied bleibt auch dann bestehen, wenn man dieZinsausgaben wegläßt. Das ist um so unverständlicher,wenn man bedenkt, daß die Kosten in einem kleinenBundesland doch kleiner als in einem großen Bundes-land sein müßten.Da es sich bei beiden Ländern um relativ kleine Län-der handelt, sind die Struktur und der Prozeß vergleich-bar. Das heißt: Es muß unterschiedlich gearbeitet wor-den sein. Man könnte doch glatt auf die Idee kommen,daß das unterschiedliche Engagement der jeweiligenMinisterpräsidenten ausschlaggebend ist. Denn einer derbeiden war mehr im Bund unterwegs als in seinem eige-nen Land und hat sich nicht so sehr um die Angelegen-heiten des eigenen Landes gekümmert. Aber das hat sichnun geändert. Jetzt wird derjenige, der verantwortlichist, zu 100 Prozent im Saarland tätig sein.
Meine Damen und Herren, auch wenn die entspre-chende Länderarbeitsgruppe einvernehmlich zu dem Er-gebnis gekommen ist, daß die Sanierungsmaßnahmefortgesetzt werden muß, muß man doch weiter ein kriti-sches Auge darauf werfen. Die Tatsache, daß die Förde-rung jetzt von Anfang an degressiv ausgestaltet ist, läßthoffen, daß die Maßnahme damit beendet ist. Die Finan-zierung – das ist heute mehrfach angeklungen – ist ange-sichts des Bundeshaushaltes natürlich sehr schwierig.Aber eins muß klar sein: Finanzminister Eichel hat an-gekündigt, die 12 Milliarden DM würden demnächst indie Deckungsquotenberechnung einbezogen, also aufLänder und Kommunen umgelegt. Das darf aber nichtdazu führen, daß solche Instrumente mißbraucht werden,um Wahlgeschenke auf Kosten anderer zu finanzieren.
Das hat nichts damit zu tun, daß alle verantwortlichsind; das geht nur einvernehmlich.In diesem Zusammenhang erinnere ich an das Bei-spiel des Kindergeldes. Herr Müller, wer im Glashaussitzt, darf nicht mit Steinen werfen! Sie haben uns vor-geworfen, wir hätten in der Vergangenheit Politik aufKosten anderer gemacht. Was haben Sie denn gemacht?Im Grundgesetz findet sich eine Sonderlastenregelungfür den Kindergeldbereich. Den haben die A-Länder imZuge der Neuregelung 1996 dem Bund abgetrotzt. Jetzt,meine Damen und Herren, wo erstmalig diese Regelunggreifen müßte, wollen Sie nichts mehr davon wissen.Obwohl es eine Sonderregelung gibt, die nach ihrer Ent-stehungsgeschichte nichts anderes bedeuten kann, alsdaß exakt die Frage des Familienlastenausgleichs her-ausgegriffen und im Verhältnis 76:24 Prozent gelöstwerden soll, stellen Sie sich schlicht und einfach auf denStandpunkt, man müsse das im Paket sehen, könne dasnur insgesamt machen, und wenn die Länder und Ge-meinden insgesamt unter dem Strich – in welchenKlammern auch immer, die Sie künstlich ziehen – nichtbelastet würden, dann sei das in Ordnung. Nicht einmaldiesen formellen Standpunkt, zu dem ich ausdrücklichsage, daß er wegen der Entstehungsgeschichte falsch ist,haben Sie eingehalten. Sie haben vergessen, daß Sie dasKindergeld mit dem Vorläufer einst aus dem Gesamtpa-ket herausgeklammert haben. Damit ist nicht einmalmehr die formelle Voraussetzung dafür erfüllt, daß derLastenausgleich sozusagen in einem Paket stimmt. Ichhoffe, daß ein Bundesland sich aufrafft, seine Rechteund die Rechte seiner Kommunen wahrnimmt und Kla-ge vor dem Bundesverfassungsgericht erhebt, um diesenPunkt anzugreifen. Denn Sie haben die Rechte der ande-ren mit den Füßen getreten.
Wenn wir uns heute mit den Sonder-Bundes-ergänzungszuweisungen befassen, dann macht schonallein der Ausdruck, allein die sprachliche Bezeichnungdeutlich, daß es eigentlich nur um ein Kurieren amSymptom geht, aber nicht darum, das Übel an der Wur-zel zu fassen. Ich bin froh, daß die Grundsatzdebatteschon soweit fortgeschritten ist und daß wir uns in denGrundsätzen – solange es noch nicht an die Realisierunggeht – offenbar weitgehend einig sind. Ein Weg, um zueiner Verbesserung zu kommen, ist es, die Eigenverant-wortung und die Gestaltungsmöglichkeiten für dieHaushalte der Länder auf der Einnahmen- und auf derAusgabenseite zu stärken. Dem steht unsere gegenwär-tige föderale Ordnung entgegen.Lieber Herr Müller, ich freue mich, daß Sie das Urteildes Niedersächsischen Staatsgerichtshofes angesprochenhaben. Was nützt das beste Urteil, was nützt das besteRechtssystem, wenn eine Regierung nicht bereit ist, sichdaran zu halten? Immerhin mußte der niedersächsischeMinisterpräsident und heutige Bundeskanzler sich drei-mal vom Staatsgerichtshof bescheinigen lassen, daß erdie Verfassung gebrochen hat. Der vierte Streit bahntsich an, weil das Land immer noch nicht bereit ist, dieStrukturen zu akzeptieren, die die Verfassung vorgibt.
– Herr von Larcher, was das mit dem Thema zu tun hat,kann ich Ihnen ganz genau sagen. Selbst wenn es unsgelänge, richtige Strukturen zu erarbeiten – daß sie ver-ändert werden müssen, darüber sind wir uns einig –,käme es dann natürlich darauf an, daß sie auch einge-halten werden. Dafür stehen Personen, oder sie steheneben nicht dafür.
Jochen-Konrad Fromme
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Genau das haben wir an der Person, die ich erwähnt ha-be, gesehen.
Ein wichtiger Bestandteil in diesem Kanon ist derLänderfinanzausgleich. Gerade das Thema Sonder-Bundesergänzungszuweisungen und die relativ guteEinnahmesituation der Notständler zeigt, daß grundle-gende Erneuerungen notwendig sind. Wir brauchenmehr Wettbewerbsföderalismus. Daß das funktionierenkann, haben wir in der Vergangenheit in Deutschlandselbst bewiesen. Als wir nämlich 1947 die erste Finanz-verfassung gemacht haben und keinen Länderfinanzaus-gleich hatten, waren die Länder viel stärker darauf an-gewiesen, selbst kreativ zu werden.
Schauen Sie doch einmal auf das Beispiel Bayernund auf das Beispiel Schleswig-Holstein! Schleswig-Holstein befand sich damals am Ende der Leistungsska-la. Es verfügte über ein Fünftel der Einnahmen des Spit-zenreiters Bayern und hat sich dann nach vorne gear-beitet.Bei einem System aber – ein solches haben wir imLaufe der Jahre geschaffen –, bei dem es gar nicht dar-auf ankommt – –
– Herr von Larcher, hören Sie doch einmal zu!
Bei einem System, durch das ein Land ohne Rück-sicht auf das eigene Verhalten über den Länderfinanz-ausgleich praktisch zu 99,5 Prozent so gestellt wird wieein reiches oder armes Land, braucht man sich nicht zuwundern, daß sich die einzelnen gar nicht anstrengen, zuVerbesserungen zu kommen; denn es lohnt sich einfachnicht, und es kommt zu Ungerechtigkeiten.Nehmen Sie doch nur einmal das Beispiel Steuervoll-zug. Warum soll ein Bundesland etwa in eine Be-triebsprüfung Geld investieren, seine Betriebe durch dasAnlegen harter Maßstäbe ärgern, um Steuern hereinzu-holen, die dann auf alle umverteilt werden? Die Ausga-ben bleiben, und die Erfolge gehen weg. Das kann dochkein Anreiz sein, und es führt zu deutlichen Ungerech-tigkeiten. Das muß geändert werden.
Dem steht auch nicht das Gebot nach Vereinheitli-chung der Lebensverhältnisse entgegen. Die Finanzver-fassung kennt dies gerade nicht, sondern diese Klauselsteht im Grundgesetz. Deswegen ist es auch nicht not-wendig, daß das gemacht wird. Wir müssen das, was wirin zwei Schritten, nämlich 1955 und 1969, mit denFinanzreformen gemacht haben, wieder rückgängigmachen.1955 haben wir – um es in Ihr Gedächtnis zurückzu-rufen – den kleinen Steuerverbund und in ersten Schrit-ten den Länderfinanzausgleich eingeführt, allerdings aufwesentlich niedrigerer Basis. Hätten wir dieses Systembeibehalten, so würde das Saarland heute nur noch Zu-weisungen im Rahmen des Finanzausgleichs erhalten.Die Tatsache, daß heute so viele Länder Zuweisungenerhalten, ist doch nur darauf zurückzuführen, daß derProzentsatz für die Sockelgarantie von ursprünglich 88Prozent auf über 99 Prozent angehoben worden ist. Einesolche Gestaltung hat zur Folge, daß die Früchte einerStrukturpolitik eben nicht im eigenen Land bleiben. DieLänder bleiben einerseits auf den Kosten sitzen, habenandererseits aber nichts von den Erfolgen. Das jetzigeSystem sorgt nicht dafür, daß die Länder sich wirklichanstrengen, auf der Ausgabenseite etwas zu tun. Das se-hen wir ja auch daran, wie es gelaufen ist.
– Herr von Larcher, wenn Sie etwas sagen wollen, dannmelden Sie sich doch zu Wort.Die Finanzreform von 1969 hat diesen Zustand nochin einem weiteren Punkt verstärkt. Wir haben nämlichdie Politikverflechtung perfektioniert. Auf der Einnah-menseite wurde der große Verbund geschaffen. Dasheißt, alle steuerlichen Regelungen können nur noch imEinvernehmen zwischen Bund und Ländern geändertwerden und wirken für alle. Auf der Ausgabenseite wur-de dies durch die Gemeinschaftsaufgaben komplettiert.Außerdem haben wir viel stärker als in der Vergan-genheit von der Rahmengesetzgebung Gebrauch ge-macht, so daß im Grunde genommen alle jetzt in demgleichen Korsett stecken. Kein Land – wollte es auchnoch so gern gegen den Strom schwimmen – kommtheraus. Das ist der Strukturfehler, den wir im Augen-blick haben. Deswegen brauchen wir grundlegende Ver-änderungen über den Finanzausgleich hinaus.Der Wissenschaftler Needhams hat die Behauptungaufgestellt – dafür spricht einiges –, daß Europa imMittelalter deshalb stärker geworden ist als das damalstechnisch viel weiter entwickelte China, weil in Europa,bedingt durch die Kleinstaaterei, die natürlich auchmanchen Nachteil hatte, jeder für sich etwas tun konnte.Jeder konnte eigene Experimente durchführen. Mankonnte sehr schnell und sehr wirksam etwas ausprobie-ren. Meine Damen und Herren, man muß auch neueDinge ausprobieren.Ich will nicht zur Kleinstaaterei zurück; vielmehr willich, daß ein Land eigene Verantwortung tragen kann.Aber das ist nur über die Einnahmenseite und über dieAusgabenseite möglich. Wir haben heute selbst im Kul-turbereich, von dem wir immer meinen, er sei die Do-mäne der Länder, gar nicht mehr die Möglichkeit zumeigenen Handeln; denn kein Land kann über seineHochschulen bestimmen. Das ist eine Gemeinschafts-aufgabe geworden, da alle Länder gemeinsam darüberbestimmen. Deshalb funktioniert an dieser Stelle dieKulturhoheit der Länder nicht. Wir müssen hier zu er-heblichen Verbesserungen kommen.Jochen-Konrad Fromme
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Das ist möglich. Wie gesagt, wir haben in den Auf-baujahren, den starken 50er und den 60er Jahren, in de-nen wir dieses System so nicht hatten, große Erfolge er-zielt. Ich wiederhole es: Nicht umsonst konnten sichBayern und Schleswig-Holstein, beides Flächenländer,von den letzten Plätzen nach vorne arbeiten, eben weilsie die Möglichkeiten hatten, eigenverantwortlich zu ge-stalten und selbst zu bestimmen, ob sie ihre Finanzmittelin den konsumtiven oder in den investiven Bereich lei-ten.
– Natürlich haben die Bayern am Anfang Geld bekom-men. Das ist doch gar keine Frage. Aber sie haben etwasdaraus gemacht, und sie haben es geschafft. Darin be-steht doch der Unterschied.
Wir müssen auf diesem Gebiet zu strukturellenVeränderungen kommen. Dies muß möglich sein, undes ist auch möglich. Wie gesagt, das System hat deutlichgemacht, daß man Fortschritte erzielen kann.Daß Sie von der rotgrünen Koalition sich davorfürchten, eigenverantwortlich handeln zu müssen, kannich verstehen. Nach dem Desaster, das Sie mit IhrenHauruckreformen erreicht haben, haben Sie im Augen-blick die Nase natürlich voll, was eigenverantwortlichesHandeln angeht.
Deswegen sprechen Sie sich dagegen aus.
Wir freuen uns über den neuen Finanzminister. Er hatuns im Finanzausschuß deutlich gemacht, daß in Zu-kunft Genauigkeit vor Geschwindigkeit geht. Ich höre,allein mir fehlt der Glaube. War er es nicht und niemandanders, der als Ministerpräsident in seiner Person diesesHauruckverfahren überhaupt möglich gemacht hat?
Wir warten auf Beweise, daß sich in diesem Bereich et-was grundlegend verändert.
Ich komme auf einen weiteren Punkt zu sprechen.Die Statistik im Gemeindefinanzreformgesetz hat sichverändert. In dieser existentiell ganz wichtigen Fragehaben wir einen großen Fortschritt gemacht. Meine Fra-ge im Finanzausschuß, ob die kommunalen Spitzenver-bände am Verfahren beteiligt worden sind, wurde mit Jabeantwortet; das solle in Zukunft immer so sein.Ich hoffe, daß das in Zukunft nicht nur bei den un-wichtigen Fragen der Statistik der Fall ist, sondern auchbei den wichtigen Fragen. Ich komme auf die Kinder-geldregelung zurück. Auf meine Frage, ob mit denkommunalen Spitzenverbänden darüber überhaupt ver-handelt worden sei, hat das Bundesfinanzministeriumgeantwortet, es habe in diesem Punkt überhaupt keineAufgabenzuständigkeit. Wer so handelt, der braucht sichnicht zu wundern, wenn ihm der Wind ins Gesicht weht.Auch das gehört zu strukturellen Veränderungen. Je-der muß für sich handeln. Wenn das geschieht, kann je-der für sich verantwortlich gemacht werden und keinerwird dazu kommen, seine eigenen politischen Risikendurch Fehlpolitik auszugleichen. Dies ist beispielsweisein Bremen geschehen, wo in der Werftenpolitik und ge-genüber der Automobilindustrie große Schäden ange-richtet worden sind. In einem System, wie wir es unsvorstellen, würden die Schäden nicht auf den bremi-schen Schultern landen, sondern auf allen Schultern;deswegen brauchen wir ein Gesetz, das dies leistet.Wenn es Eigenverantwortlichkeit gibt, dann werdensich die Zustände in diesem Bereich verbessern unddann werden wir uns in Zukunft nicht mehr über Repa-raturen, sondern mehr über strukturelle Fragen unter-halten. Das wäre besser. Ich hoffe, daß die Diskussion,die hierzu angefangen hat, dazu führt, daß wir uns dann,wenn es an die Umsetzung im Detail geht, einig werden.Danke schön.
Als
nächster Redner hat der Kollege Horst Schild von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Der Kollege Hoyer beklagt die Schlampereider beteiligten Länder, die sehenden Auges in das finan-zielle Desaster hineingeschlittert seien, und darüber hin-aus die Mißwirtschaft in den beteiligten Ländern. DieBotschaft soll wohl lauten: Die F.D.P. war nicht dabei,sonst wäre das natürlich ganz anders gelaufen.
Herr Kollege Fromme lobt Bremen und tadelt das Saar-land. Das zielt letztlich in die gleiche Richtung.Nun, so ganz vergeßlich wollen wir nicht sein. ImSanierungsbericht des Saarlandes von 1977 wurde dar-auf hingewiesen – der Ministerpräsident des Saarlandeshat es ja auch hier schon angedeutet –, daß bereits seit1974 wesentliche Personalausgaben und sächliche Ver-waltungsausgaben durch Kreditaufnahme finanziertworden sind. Das hat auch kein Ende gefunden, als dieF.D.P. im Saarland in die Regierung kam. Dieser Pro-zeß hat – daher will ich das Ganze ja gar nicht den be-teiligten politischen Parteien anlasten – ganz objektiveGründe. Auch in Bremen liegt es nicht daran, daß seit1995 eine andere Koalition als in den Jahren 1991 bis1995, wo die F.D.P. an der Regierung beteiligt war, re-giert, sondern auch dort bestanden die gleichen objektivfeststellbaren Probleme. Ich will auch gar nicht bestrei-ten, daß sich die F.D.P. in der damaligen Koalition inBremen an Bemühungen zur Sanierung der FinanzenJochen-Konrad Fromme
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dieses Bundeslandes durchaus beteiligt hat. Nein, meineKolleginnen und Kollegen, es gibt sicherlich ein paarobjektive Gründe, die dazu geführt haben, daß sich diesebeiden Länder in einer ganz extremen Haushaltslage be-finden.Heute geht es darum, ihnen weiterhin die Hand zureichen und so die Chance zu eröffnen, diese extremeHaushaltsnotsituation bis zum Jahre 2004 endgültig zuüberwinden. Es ist ja heute schon gesagt worden, daßdas Bundesverfassungsgericht schon 1992 diese Notlagekonstatiert hat. Auf Grund objektiver Daten ist es trotzaller Hoffnungen nicht möglich gewesen, im Zeitraumvon 1994 bis 1998 diese extreme Haushaltssituation zuüberwinden. Aber die Daten, die uns zur Verfügung ste-hen, zeigen eindeutig, daß die Trendwende da ist. Wirkönnen nur hoffen, daß es die allgemeinen Rahmenbe-dingungen erlauben, daß diese beiden Länder bis zumAblauf des Jahres 2004 das erreicht haben, wofür wirihnen heute die Hand reichen.
Unstrittig, meine Damen und Herren, ist doch, daß inbeiden Ländern in diesen Jahren nachweislich erhebli-che Anstrengungen unternommen worden sind.
Über Parteigrenzen hinweg besteht doch Einigkeit dar-über, daß diese Anstrengungen wirklich unternommenwurden. In dieser Einschätzung sind sich auch die Bun-desregierung und der Bundesrat einig.
Das gilt – auch das ist gesagt worden – nicht erst seitdem Regierungswechsel im letzten Herbst. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Fortgang der Haushaltssa-nierung hat ja bereits 1997 einvernehmlich als Ergebnisfestgestellt, daß beide Länder das Sanierungsziel bis1998 nicht erreichen werden, weil sie sich – ich zitiereaus dem Bericht – „weiter in einer extremen Haushalts-notlage befinden , aus der sie sich aus eigenerKraft nicht befreien können, auch wenn sich der Ab-stand zu den anderen Ländern verringert hat.“ Damit giltweiterhin das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom27. Mai 1992, nach dem die bundesstaatliche Gemein-schaft verpflichtet ist, Einzelländern bei bestehendenextremen Haushaltssituationen zu helfen.Auch die Finanzministerkonferenz der Länder hat1998 die Fortsetzung der Sanierungsprogramme unter-stützt. Der damalige Finanzminister hat ja exakt dieSumme, die im heutigen Gesetz der Bundesregierungsteht, als notwendig angekündigt. Daß es dabei einigeDifferenzierungen gab, ist vorhin deutlich geworden.Wer sich einmal den Abschlußbericht der Sanierungs-kommission von 1997 anschaut, kann beim Nachleseneindeutig feststellen, welche Position die alte abge-wählte Bundesregierung in dieser Frage eingenommenhat. Ich empfehle das denen, die heute den Eindruck er-weckt haben, als ginge es hier sozusagen nur noch umdie Kontinuität in der Fortsetzung dessen, was MinisterWaigel in der letzten Wahlperiode versprochen hat.
Das Verhalten und die Äußerungen der Bundesregie-rung, die in den Protokollen der Bund-Länder-Kommission nachzulesen sind, sind sehr restriktiv undzurückhaltend; das darf man heute mit aller Deutlichkeitsagen, ohne daß wir den Blick nur in die Vergangenheitrichten wollten.
Mit der Zustimmung zu dem heutigen Gesetzentwurflöst der Bundestag, letztlich wie schon der Bundesrat,sein Versprechen auf Fortsetzung der Hilfe ein. Das istverfassungsrechtlich geboten. Die SPD-Bundestags-fraktion hält die Verlängerung dieser Hilfe auch für fi-nanzpolitisch vertretbar. Sie hat sie deshalb auch in denBundeshaushalt eingestellt, im Gegensatz zu der altenRegierung, die diese Hilfe in dem Entwurf des Bundes-haushaltes im letzten Jahr nicht vorgesehen hatte. DieserGesetzentwurf sieht vor – ich wiederhole das letztlichnur –, daß beide Länder zusammen im Jahre 1999 3Milliarden DM erhalten und daß diese Ergänzungszu-weisungen bis auf 1,2 Milliarden DM im Jahre 2004stetig zurückgeführt werden.Das ist noch nicht alles. Diese Zuweisungen sind mitentsprechenden Maßgaben für Bremen und das Saarlandverbunden. Das war auch in der Vergangenheit so, aberdiese Maßgaben sind noch präzisiert, man kann auch sa-gen: verschärft worden. Der Ausgabenzuwachs ist un-terhalb der Empfehlung des Finanzplanungsrats für denallgemeinen Ausgabenzuwachs zu halten. Noch schärfersind die Restriktionen im Bereich der konsumtiven Aus-gaben. Die Zuweisungen sind ferner unmittelbar zurSchuldentilgung zu verwenden. In Bremen, das bereitsseit 1994 ein ehrgeiziges Investitionssonderprogrammdurchführt, sind die Zinsersparnisse zur Verminderungder Verschuldung einzusetzen. Das Saarland soll in dieLage versetzt werden, stärker als bisher auch Investitio-nen zu tätigen, die die Wirtschaftskraft fördern. Schließ-lich müssen die Länder, wie auch in der Vergangenheit,jährlich über die Fortschritte bei der Haushaltssanierungberichten.Diese Maßgaben und die abnehmende Höhe derjährlichen Zuweisungen sorgen dafür, daß sowohl Bre-men als auch das Saarland unter hohem Druck stehen,weitere Anstrengungen zur Sanierung ihrer Haushalte zuunternehmen. Es gibt keinen Grund, an dem Willen undder Fähigkeit dieser Länder zur Haushaltssanierung zuzweifeln.
Kollege Fromme, Sie haben, wie ich, die Daten –Zinslastquoten, Zinsausgaben usw. – vom BMF be-kommen. Wenn man sich einmal nicht nur die Daten desSaarlandes und Bremens anschaut, sondern auch einenVergleich zu den anderen Bundesländern zieht – völligunabhängig von den Mehrheiten in diesen Ländern –,könnte man zu dem Schluß kommen, das sei ein Weg,den auch andere Bundesländer bisweilen einmal beden-ken sollten.Trotz der eben angedeuteten positiven Tendenzen inbeiden Ländern befindet sich das Wirtschaftsniveaunoch immer deutlich unter dem bundesdeutschen Durch-Horst Schild
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schnitt; das ist nicht zu verhehlen. Das belegen wichtigeIndikatoren, die heute schon angedeutet worden sind.Diese Probleme können im System des allgemeinenFinanzausgleichs in der Tat nicht hinreichend berück-sichtigt werden.Es geht hier und heute jedoch nicht um die Neuord-nung der Finanzverfassung und um die Diskussion, wiediese eventuell umgestaltet werden sollte.
Das steht auf einem anderen Blatt. Diese Diskussionenwerden sicherlich in Kürze erst einmal Gegenstand derBund-Länder-Regierungskommission sein, die im De-zember 1998 vom Bundeskanzler und den Ministerprä-sidenten der Länder einberufen worden ist. Aber wenndort die vorbereitenden Aufgaben diskutiert wordensind, wird sich sicherlich auch der Deutsche Bundestagmit diesem Problem befassen müssen. In diesem Zu-sammenhang will ich – ohne auf das, was zum ThemaLänderfinanzausgleich gesagt worden ist, einzugehen –noch sagen: Die Solidarität der Starken mit den Schwa-chen und insbesondere die Solidarität mit den neuenLändern wird dabei einer der unverrückbaren Eckpunktesein.
Hier geht es nur um die Sonderlasten finanzschwa-cher Länder, die vorübergehend zu einer extremenHaushaltsnotlage geführt haben. Insgesamt stimmen wirder Einschätzung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu,daß eine weitere Gewährung von Sanierungsbeihilfen –zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt – notwendigist, um den bisher erreichten Sanierungsfortschritt zu si-chern.Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurfist ein Beitrag der Solidarität des Bundes mit den Län-dern Bremen und Saarland geleistet worden. Nach Ab-lauf der für weitere sechs Jahre gewährten Ergänzungs-zuweisungen wird Bremen und dem Saarland der An-schluß an die Haushaltssituation der anderen Länder er-möglicht. Damit wird auch ein Beitrag zur Stärkung desFöderalismus in dieser Republik geleistet.
Es ist eine einstimmige Zustimmung des Bundesrates er-folgt. Auch der Finanzausschuß des Bundestages hateinstimmig zugestimmt. Ich denke, dies wird auch heutetrotz aller unterschiedlichen und differenzierten Bewer-tungen im Detail so sein.Lassen Sie mich noch einige Anmerkungen zu demzweiten Teil des vorliegenden Gesetzentwurfes machen,zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes. Indiesem Gesetz wurde 1997 die Beteiligung der Gemein-den an der Umsatzsteuer als Ausgleich für den Fortfallder Gewerbekapitalsteuer geregelt. Wir haben uns da-mals verpflichtet, im Jahre 1999 den vorläufigen Schlüs-sel für die Verteilung der Umsatzsteuer auf die einzel-nen Gemeinden an Hand von aktuellen Statistiken zuüberprüfen. Hiermit soll sichergestellt werden, daß dieGemeinden – wie den kommunalen Spitzenverbändenversprochen – durch die Umsatzsteuerbeteiligung nichtschlechtergestellt werden als zu Zeiten des Bestehensder Gewerbekapitalsteuer.Auf Grund der Rechtslage ist es nicht möglich, daßdas Statistische Bundesamt diese Zahlen weitergibt. Mitdem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir ermögli-chen, daß den kommunalen Spitzenverbänden und denGemeinden die erforderlichen Daten zur Überprüfungdes Verteilungsschlüssels zur Verfügung gestellt wer-den. Nur so können sie die Berechnung des Verteilungs-schlüssels nachvollziehen und überprüfen. Ohne dieseGesetzesänderung wäre dies nicht möglich. Auch damitleisten wir einen Beitrag dafür, das Vertrauen der Kom-munen in die Politik dieses Hauses zu stärken.Ich danke Ihnen.
Ichschließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von derBundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än-derung des Finanzausgleichsgesetzes, Drucksachen14/487 und 14/812. Der Finanzausschuß empfiehlt, denGesetzentwurf in der Ausschußfassung mit der neuenÜberschrift „Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Ände-rung des Finanzausgleichsgesetzes und zur Änderungdes Gemeindefinanzreformgesetzes“ anzunehmen. Ichbitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-schußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen.– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit istder Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden.Dritte Beratungund Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist derGesetzentwurf auch in dritter Lesung einstimmig ange-nommen.Ich rufe Zusatzpunkt 10 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Hilde-brecht Braun , Rainer Brüderle, ErnstBurgbacher, weiterer Abgeordneter und derFraktion der F.D.P.Entlassung der Parlamentarischen Staatssekre-tärin im Bundesministerium für Umwelt, Na-turschutz und Reaktorsicherheit Gila Alt-mann
– Drucksache 14/798 –Ich weise darauf hin, daß das Verlangen nach einernamentlichen Abstimmung zurückgezogen wurde. Wirwerden heute also keine namentliche Abstimmungdurchführen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Horst Schild
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Ich eröffne die Aussprache. Das Wort zur Begrün-dung des Antrags hat der Kollege Dr. Guido Wester-welle von der F.D.P.-Fraktion.
Meine sehr ge-
ehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Die Parla-
mentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Frau Gila
Altmann hat einen Aufruf vom 14. April 1999 unter-
schrieben, in dem die Kosovo-Politik der Bundesregie-
rung mißbilligt wird. Das bleibt jedem Bürger unbe-
nommen,
aber wenn jemand Mitglied der Bundesregierung ist und
in einem solchen Aufruf der Bundesregierung vorwirft,
sie unterstütze einen Angriffskrieg, also ein Verbrechen
nach dem Grundgesetz und unserem Strafgesetzbuch,
dann kann er nicht Mitglied der Bundesregierung blei-
ben.
Ich habe den in den Tageszeitungen veröffentlichten
Aufruf mitgebracht. Darin heißt es: Den NATO-
Angriffskrieg gegen Jugoslawien sofort beenden.
Wer behauptet, unsere deutschen Soldaten würden
sich an einem Angriffskrieg in Jugoslawien beteiligen,
der fällt diesen Soldaten in den Rücken, der diskreditiert
das Organ, dem er angehört, nämlich die Bundesregie-
rung, und der muß, wenn er nicht zurücktritt, wenigstens
vom Bundeskanzler entlassen werden. Ein öffentlicher
Eintrag ins Klassenbuch ohne Konsequenzen ist wohl
kaum ausreichend.
Es ist unerträglich, daß ein Mitglied der Bundesregie-
rung sagt, wir betreiben einen Angriffskrieg, und im
Amt bleiben kann. Das ist der Tiefpunkt der politischen
Kultur auch in diesem Hause.
Es ist eine geradezu absurde Begründung, wenn die
Behauptung aufgestellt wird, das sei von der Meinungs-
vielfalt gedeckt. Es geht nicht darum, daß jemand viel-
leicht einen Vorbehalt hat, in einer Frage anderer Mei-
nung ist; es geht darum, daß jemand der Bundesregie-
rung angehört und sagt, diese Bundesregierung unter-
stützt einen nach dem Grundgesetz verbotenen An-
griffskrieg.
Das ist nicht akzeptabel, nicht von Meinungsfreiheit
gedeckt und erst recht nicht von der Geschäftsordnung
der Bundesregierung, die die Verpflichtung beinhaltet,
in den Grundfragen selbstverständlich eine geschlossene
Position zu vertreten und sich dementsprechend nicht öf-
fentlich in dieser Art und Weise zu äußern.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in diesem
Aufruf werden die Mitglieder der Bundesregierung
aufgefordert, ihre Unterstützung für den NATO-
Angriffskrieg zu beenden. Das heißt, es sitzt jemand in
der Bundesregierung, der sich selber auffordert, einen
NATO-Angriffskrieg zu beenden. Treten Sie zurück,
Frau Altmann! Sie sind nicht in der Lage, dieses Land
zu regieren! Sie fallen nicht nur Ihrer eigenen Bundesre-
gierung. Sie fallen nicht nur der deutschen Außenpolitik,
Sie fallen vor allen Dingen den deutschen Bundeswehr-
soldaten in den Rücken. Das ist nicht erträglich, das
sagen wir als Oppositionsfraktion.
Sie scheinen selbst so sehr an Ihrem Dienstsessel und
an Ihrem Dienstwagen zu kleben,
daß Ihnen der eigene Charakter verbietet zurückzutreten.
Es gibt zwei Gründe, warum Frau Altmann nicht zu-
rücktritt. Der eine ist Verführung durch Nähe und der
andere sind Sie.
Denn die Bundesregierung hat in Wahrheit in diesem
Hause für ihre Außenpolitik bei den eigenen Fraktionen
keine Mehrheit,
weil sich die Grünen in einer unbekannten Größe in
Wahrheit als Selbsterfahrungsgruppe der Außenpolitik
gerieren. Das ist der eigentliche Grund.
Herr Schröder kann Frau Altmann nicht entlassen, weil
er sonst den grünen Koalitionspartner verliert und vor
dem Parteitag der Grünen am 13. Mai Sorge haben muß.
Das ist ein trauriger Zustand für die deutsche Außen-
politik.
Es ist im übrigen interessant, Frau Altmann, daß Sie
bei den Abgeordneten Platz genommen haben. Sie soll-
ten in dieser Debatte auf der Regierungsbank sitzen;
denn dort haben Sie sich zu verantworten, wenn Sie der-
artige Aufrufe unterschreiben.
Herr
Kollege Westerwelle, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Koppelin?
Sicher.
Bitteschön.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Ich kann die Aufregung
verstehen.
Herr Kollege Westerwelle, Sie haben das Strafge-
setzbuch zitiert. Darf ich Sie danach fragen, ob Ihnen
der Text bekannt ist? Halten Sie es für notwendig, daß
wir dem Hause den Text, der im Strafgesetzbuch zum
Thema Angriffskrieg steht, bekanntgeben sollten?
In § 80 StGB heißt es:
Wer einen Angriffskrieg ..., an dem die Bundesre-
publik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet
und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bun-
desrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit le-
benslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe
nicht unter zehn Jahren bestraft.
Lese ich die Anzeige richtig – vielleicht können Sie
mir dazu etwas sagen –, daß Frau Altmann, die gesagt
hat: „Das ist ein Angriffskrieg“, auf diesen § 80 hin-
weist, wonach sich die Bundesregierung strafbar ge-
macht hat?
Das sehe ich in
der Tat ganz genauso.
Es kommt noch etwas hinzu: Sie spricht von einer
„abenteuerlichen NATO-Politik“. Das mag die Unter-
stützung der PDS finden. Für ein Mitglied der Bundes-
regierung ist das ausgesprochen fraglich. Das, was Frau
Altmann unterschrieben hat, ist im Klartext der Vor-
wurf: Bundeskanzler Schröder, Bundesaußenminister
Fischer sind Angriffskrieger, also Verbrecher. Dann in
dieser Regierung zu bleiben ist ein Stück aus dem Toll-
haus!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Heye,
der Regierungssprecher, stellt sich am Montag hin und
legt Frau Altmann den Rücktritt nah. Danach tritt die
Koalitionsrunde zusammen. Dann darf Frau Altmann
mit einem öffentlichen Tadel davonkommen. Der Grund
dafür ist doch ganz einfach: Den gleichen Vorbehalt,
den Frau Altmann öffentlich ausgesprochen hat, haben
auch große Teile der grünen Fraktion
hier im Deutschen Bundestag, an der Spitze übrigens
Bundesumweltminister Jürgen Trittin, der von einem
Fehler in der NATO-Politik spricht. Wenn das ein
Fehler ist, dann kann man nicht Bundesminister in dieser
Regierung bleiben.
Es ist doch unglaublich, daß die Außenpolitik der Bun-
desregierung ohne die Opposition de facto gar nicht
stattfinden könnte, weil sie keine Mehrheit hätte.
Herr
Kollege Westerwelle, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Dr. Grehn von der PDS?
Selbstverständ-
lich, klar.
Herr Kollege Westerwelle,
sind Sie mit mir einer Meinung, daß man, bevor man das
Strafgesetzbuch zitiert, zuerst die Bundesverfassung,
also das Grundgesetz, zitieren müßte?
Ja.
Danke.
Zwischenfragen
sind manchmal wirklich erhellend.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, wenn der Bundeskanzler erklärt,
man dürfe einen solchen Fehler auch als Regierungsmit-
glied einmal machen, dann wäre die Konsequenz zu-
mindest, daß Sie, Frau Altmann, wenn Sie selbst und
wenn Ihre Kolleginnen und Kollegen das als Fehler ein-
sehen, Ihre Unterschrift unter diesen Appell zurückzie-
hen. Treten Sie zurück! Sie können nicht im Amt blei-
ben; denn Sie sind nicht einmal bereit, Ihre Unterschrift
unter diesen Aufruf zurückzuziehen. Es ist unglaublich,
daß sich ein Mitglied der Bundesregierung bei einer der
wichtigsten außenpolitischen Entscheidungen seit Grün-
dung der Bundesrepublik Deutschland in eine offene
Opposition zur Bundesregierung begibt und glaubt, es
könne Mitglied dieser Bundesregierung bleiben. Sie sind
nur deshalb noch im Amt, weil Sie in Wahrheit Rücken-
deckung von Herrn Trittin und Ihren Fundamentalisten
haben und weil Herr Schröder fürchten muß, er hätte in
diesem Hause sonst keine Mehrheit mehr bei den Regie-
rungsfraktionen. Es ist ein trauriger Zustand, daß Sie so
sehr an der Macht kleben, daß Sie nicht mehr die Kraft
haben, Ihre Charakterstärke durch einen Rücktritt zum
Ausdruck zu bringen!
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ilse Janz von der
SPD-Fraktion das Wort. Das gibt mir die Gelegenheit,
Ihnen, Frau Janz, ganz herzlich zu Ihrem heutigen Ge-
burtstag zu gratulieren.
Vielen Dank, Herr Präsident. –Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieBundesrepublik durchlebt in diesen Tagen mit dem Kon-flikt im Kosovo eine ihrer schwierigsten Phasen. Daßwir in diesem Parlament bis auf wenige Ausnahmen mit
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 36. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. April 1999 2913
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breiter Unterstützung auch der Opposition diese Krise zumeistern suchen, sehe ich als unbestreitbares Kennzei-chen unserer gemeinsamen Verantwortung, wenn Sie sowollen, als Beleg für die oft gescholtene, aber doch vor-handene politische Kultur in unserem Land an.
Um so mehr sind wir verwundert, daß ausgerechnetjetzt, da uns der Konflikt um das Kosovo täglich großeSorgen bereitet, von der F.D.P.-Fraktion ein solcherAntrag auf die Tagesordnung gesetzt wurde.
Selbstverständlich ist das Ihr gutes Recht. Allerdingshilft uns die Debatte nicht weiter; sie ist unnütze Spie-gelfechterei.
Spätestens aus den Medien hätten Sie erfahren kön-nen, daß die Bundesregierung die Auffassung von FrauStaatssekretärin Altmann nicht teilt.
– Schreien Sie doch nicht immer so. Daran merkt mannämlich, daß Sie mit diesem Antrag eigentlich etwasganz anderes wollen.
Der Bundeskanzler hat keinen Zweifel daran gelas-sen, daß die Position der Bundesregierung zum Kosovo-Konflikt uneingeschränkt gilt. Das trifft für die jetzigeBeteiligung am NATO-Einsatz zu, aber auch für diegleichzeitigen wichtigen politischen Initiativen. DieKollegin Altmann ist Mitglied der Regierung; sie waram Entscheidungsprozeß beteiligt. Deshalb wäre es ausSicht der SPD-Bundestagsfraktion besser gewesen, denAufruf nicht zu unterschreiben.
Daß für Sie als F.D.P.-Fraktion die Angelegenheitdamit aber nicht erledigt ist, dachten wir uns schon.Denn Ihnen geht es ja nicht um die Kollegin Altmann –wie wir eben auch bei Ihrer Rede gehört haben –, son-dern darum, Unruhe im Kabinett zu schüren.
Nach dem Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“ hof-fen Sie darauf, daß es Krach im Kabinett gibt – am lieb-sten wären Ihnen Rücktritte.
Es ist mehr als offensichtlich, daß Ihr Antrag ein Show-Antrag ist.
Wenn Sie als Opposition nicht mehr vorzubringen habenals einen solchen Antrag, dann ist das, so finde ich,wirklich traurig. Sie sollten Ihre Oppositionsrolle wirk-lich noch einmal überdenken.
Eines sollten Sie sich merken: Nicht Sie bestimmen,welches Personal in der Regierung arbeitet. Darübersind wir als SPD-Fraktion auch ziemlich froh.
Angesichts der schwierigen Situation mit dem Fingerauf eine Kollegin zu zeigen, die es sich mit ihrer Aussa-ge sicherlich nicht leichtgemacht hat
– Ihr Lachen finde ich in dieser Frage wirklich unver-schämt –,
halte ich angesichts der Lage im Kosovo für politisch zukurz gegriffen. Für den Konflikt dort ist niemand andersverantwortlich als der jugoslawische MinisterpräsidentMilosevic.
Dieser hat Menschenrechtsverletzungen in einem un-glaublichen Ausmaß begangen. Dies muß zu einem Auf-schrei aller demokratischen Menschen führen.
– Nun hören Sie doch einmal auf zu schreien! Wenn Sieetwas sagen wollen, dann melden Sie sich zu Wort. Dasist ja unglaublich!
Wie viele andere in diesem Haus habe auch ich mirmeine persönliche Entscheidung nicht einfach machenkönnen. Mir bleiben Zweifel, ob die Entscheidung rich-tig war. Politik heißt doch nicht nur, Kompromisse undEntscheidungen zu treffen; es gehört auch dazu, Ent-scheidungen ständig zu überprüfen und auch Selbstzwei-fel zuzulassen.
Wir alle wissen ganz genau, wie sehr dieser Konflikt dieMenschen bei uns und in vielen anderen Ländern be-schäftigt. Es ist richtig und gut, daß immer wieder dar-über diskutiert wird, was wie wann getan werden muß.Denn die Greueltaten des Herrn Milosevic dürfen nie-manden kaltlassen.
Auch über den Friedensplan des Außenministers wirdviel diskutiert – nicht nur in unserer Bevölkerung, auchin anderen Ländern. Wenn wir aus den ersten zurück-Ilse Janz
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2914 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 36. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. April 1999
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haltenden Äußerungen die Erkenntnis gewonnen hätten,dieser politische Weg sei nicht durchsetzbar, und derPlan zurückgezogen worden wäre, hätte die Bundesre-gierung vielleicht eine falsche Entscheidung getroffen.Denn inzwischen halten immer mehr Menschen, immermehr Länder den in diesem Plan aufgezeigten Weg füreine richtige politische Lösung.
Und das ist es doch, was wir alle wollen: eine friedliche,politische Lösung und humanitäre Hilfe für die betroffe-nen Menschen.
Die öffentliche Diskussion zeigt uns, daß es wichtig ist,über alle Möglichkeiten zu reden, um dann einen ge-meinsamen Weg – und zwar, wie die Bundesregierungimmer wieder deutlich gemacht hat, zusammen mitRußland – zu suchen. Argumentieren Sie weiter poli-tisch, meine Damen und Herren von der F.D.P.! Ihr An-trag mit der Rücktrittsforderung ist meiner Ansicht nachunter Niveau und geht an der Sache völlig vorbei.
Und noch eines: Gerade die F.D.P.-Fraktion hat ausunserer Sicht am wenigsten das Recht, die Entlassungeiner Parlamentarischen Staatssekretärin zu fordern, dieeine abweichende Auffassung zu den Beschlüssen derBundesregierung geäußert hat. Ich will Ihnen auch gernesagen, warum: Gerade im Zusammenhang mit dem Kon-flikt im ehemaligen Jugoslawien hat die F.D.P. ein poli-tisches Trauerspiel geboten, das in der Geschichte derBundesrepublik einmalig ist.
Erinnern wir uns: Am 2. April 1992 stimmten dieF.D.P.-Minister im Kabinett gegen die Beteiligung deut-scher Soldaten bezüglich des UN-Flugverbots über Bos-nien-Herzegowina, also des sogenannten AWACS-Einsatzes. Wer nun denkt, die F.D.P. forderte denRücktritt ihrer Minister, der irrt.
Natürlich war von Rücktritt keine Rede, im Gegenteil:Die F.D.P.-Fraktion verklagte sogar die von ihr getrage-ne Bundesregierung vor dem Verfassungsgericht wegenverfassungsrechtlicher Unzulässigkeit des Beschlusses.
Werte Kolleginnen und Kollegen der F.D.P., wer sichin einer Regierung derart schizophren verhält, kannnicht erwarten, daß er, wenn er in der Opposition ist,von uns mit einem derartigen Antrag ernstgenommenwird. Wir lehnen Ihren Antrag ab.
Auch von mir
der Kollegin einen herzlichen Glückwunsch.
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen
Westerwelle das Wort.
Frau Kollegin,
auch von mir herzlichen Glückwunsch, aber nur zu Ih-
rem Geburtstag.
In der Auseinandersetzung Anfang der 90er Jahre gab
es, wie wir alle wissen, auch in diesem Hause unter-
schiedliche Auffassungen darüber, wie weit überhaupt
die Beteiligung deutscher Soldaten gehen darf. Das, was
damals gemacht worden ist – übrigens mit ausdrückli-
cher Billigung der seinerzeitigen Bundesregierung –,
war, einen Feststellungsantrag beim Bundesverfas-
sungsgericht einzureichen, um Aufklärung darüber zu
bekommen, was das Grundgesetz zuläßt und was nicht.
Das ist ein wesentlicher Unterschied.
Wir als F.D.P. kritisieren hier nicht, daß jemand in
Ihren Reihen anderer Meinung ist. Das ist selbstver-
ständlich von der Gewissensfreiheit gedeckt. Vielmehr
geht es darum, daß ein Mitglied der Bundesregierung
eben dieser Bundesregierung einen NATO-
Angriffskrieg vorwirft. Um nichts anderes geht es. Sie,
Frau Janz, haben an der Sache vorbeigeredet.
Zur Erwide-
rung, Frau Kollegin Janz.
Ich glaube, Herr Kollege Wester-welle, daß ich nicht an der Sache vorbeigeredet habe.Vielmehr sind Sie es, der an der Sache vorbeigeredethat. Ihnen geht es eigentlich – das habe ich ja schondeutlich gemacht – nicht um den Rücktritt. Wenn Siewirklich die große Sorge haben, die uns alle bewegt –das haben wir hier ja mehrfach diskutiert; ich nehme Ih-nen ab, daß Sie sie haben –, dann sollten Sie bei der po-litischen Grundlage bleiben; dann sollten wir versuchen,Lösungen zu finden, die den Menschen helfen. Sie soll-ten dann aber diese Schaukämpfe, die Sie jetzt hier be-treiben, einstellen. Sie wollen einen Spaltpilz in die Re-gierung hineintragen. Das ist doch Ihr Wunsch; dasmöchten Sie am liebsten.Herr Rexrodt, Sie brauchen gar nicht mit dem Fingerauf Menschen zu zeigen. Ich finde es sehr ehrenwert,wenn sich eine Kollegin Gedanken über dieses Problemmacht. Wenn einer von Ihnen heute behauptet, er wisse,was richtig ist und wie man am allerbesten helfen kann,dann lügt er. Das kann niemand von uns.
Wir müssen versuchen, darüber zu diskutieren, damitwir den richtigen Weg finden. Das ist wichtig, und des-wegen halte ich das für richtig.
Ilse Janz
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Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Eckart von Klaeden.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht nicht, FrauKollegin Janz, um die Frage, ob nicht uns alle der Koso-vo-Konflikt mit großer Sorge erfüllt. Es spricht für dieRegierungskoalition, daß die Äußerungen von FrauAltmann in Wirklichkeit von der Mehrheit in Ihren Rei-hen – das gilt für SPD und Grüne – abgelehnt werden.Das spricht ja für Sie.
Aber wenn Sie meinen, daß die Kontrollfunktion desParlaments in dieser wichtigen Frage von der Oppositi-on nicht wahrgenommen werden darf,
daß die Kontrollfunktion quasi in dem Maße wenigerausgeübt werden darf, wie es um ein schwerwiegendesVerhalten bzw. Fehlverhalten eines Regierungsmitglie-des geht, so muß ich sagen: Das ist für mich nicht nach-vollziehbar.
Es geht nicht um die Frage, welche Konsequenzenman daraus zieht, daß man Sorge hinsichtlich des Koso-vo-Konflikts hat.
Es geht auch nicht darum, die Prinzipien des politischenPazifismus zu diskreditieren. Ich will offen sagen: Ichglaube, daß es heute schwieriger ist, sich zum Pazifis-mus zu bekennen, als das Anfang der 80er Jahre der Fallwar, als die Bundesrepublik Deutschland unter der Kä-seglocke einer beschränkten Souveränität existiert hatund man die öffentliche und veröffentlichte Meinungoder zumindest große Teile davon als Pazifist auf seinerSeite gehabt hat.Ich meine auch, daß die Idee des politischen Pazifis-mus, obwohl ich sie für mit der Idee der Staatsräson un-vereinbar halte, nach wie vor Respekt verdient. Aber esgeht hier nicht um die Frage, ob jemand sich zum politi-schen Pazifismus bekennen darf, sondern es geht um dieFrage, ob hier nicht ein Fall von politischer Schizophre-nie vorliegt, von Opportunismus und letztlich unerträgli-cher Apologie des Vorgehens von Herrn Milosevic.
Der Antrag, Frau Altmann, den Sie unterzeichnet ha-ben, leistet dem politischen Pazifismus einen Bären-dienst. Er bestätigt nämlich den alten Vorwurf, daß dieWirksamkeit des politischen Pazifismus als Staatsräsonvon den Skrupeln der Gegenseite abhängt und deshalbschon in der Analyse dazu führt, die Brutalität und dieVerbrechen von Diktatoren nicht ausreichend zurKenntnis zu nehmen.Ich bin dagegen, daß man bei der Beschreibung vonMilosevic den Eindruck erweckt, die nationalsozialisti-schen Verbrechen hätten ihre Einzigartigkeit eingebüßt.Aber man muß die Verbrechen von Milosevic schon alsdas bezeichnen, was sie sind, nämlich rassistisch moti-vierter und geplanter Massenmord.
In Ihrem Aufruf ist dagegen lediglich von „nationalisti-schen Exzessen“ und von „Vertreibung“ die Rede; dasgeplante Morden wird in dem Aufruf nicht erwähnt. Siesprechen lediglich von „serbischer Unterdrückungspoli-tik gegen die Kosovo-Albaner“ und von „bewaffneterAuseinandersetzung“ – so schlimm das auch sein mag.Aber das ist allein angesichts der Verbrechen, die unsbekannt sind, Frau Altmann, euphemistisch.
Wer in diesem Augenblick noch nicht einmal bereitist, die uns bekannten Verbrechen im vollen Ausmaßbeim Namen zu nennen, der leistet letztlich einen Ver-teidigungsdienst für Milosevic.Statt dessen wird in diesem Aufruf der unerträglicheVorwurf gegenüber NATO und Bundesregierung erho-ben, sie führten gegen den „souveränen Staat … Bun-desrepublik Jugoslawien“ einen „Angriffskrieg“. Daraufist hier schon hingewiesen worden. Allein diese Aus-drucksweise stellt, gelinde gesagt, die Verhältnisse aufden Kopf. Auf Art. 26 des Grundgesetzes ist heute schonhingewiesen worden, auch auf die Tatsache, daß § 80des Strafgesetzbuches dieses Verhalten mit lebenslangerFreiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jah-ren bedroht.Frau Altmann, Sie gehören nach eigener Einschät-zung einer Bundesregierung an, die diesen „Angriffs-krieg“ nicht nur vorbereitet hat, sondern die ihn auchführt. Wie Ihr eigenes Verhalten vor dieser Logik juri-stisch zu qualifizieren ist, will ich gar nicht weiter aus-führen. Ich meine jedenfalls, daß Sie, wenn die Zweifelan Ihrem Verstand und Ihrem Charakter ausgeräumt ge-hören, zurücktreten müssen.
Meine Damen und Herren, ich finde, daß der FallAltmann nicht alleinsteht. Er gehört vielmehr zu demunerträglichen Fehlverhalten an der Spitze des Ministe-riums, das sich eigentlich mit dem Schutz unserer natür-lichen Lebensgrundlagen beschäftigen sollte. Bundes-minister Trittin hat in inakzeptabler Art und Weise diePolitik der NATO und der Bundesregierung, die auchdie ausdrückliche Zustimmung der demokratischen Op-position dieses Hauses findet, kritisiert und hinterherMißverständnisse und Übersetzungsfehler geltend ge-macht. Meine Bereitschaft, dieser fragwürdigen Dar-stellung Glauben zu schenken, wird zusätzlich dadurchgetrübt, daß wir das von Herrn Trittin nicht zum ersten-mal erleben.1993 ist er als damaliger niedersächsischer Ministerdes Kabinetts Gerhard Schröder in London gewesen undhat dort eine Rede gehalten, die von der „Nordwest-Zeitung“ unter der Überschrift „Schröder muß handeln“damals so beschrieben wurde:Der Auftritt des grünen Ministers Jürgen Trittin inLondon – soviel steht mittlerweile fest – dürfte zu
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den peinlichsten Entgleisungen eines deutschenPolitikers im Ausland überhaupt zählen.
Was war geschehen? Trittin hatte Anfang 1993 imLondoner Goethe-Institut eine Rede gehalten und dabeigesagt, Deutschland sei ein – ich zitiere – „in allen Ge-sellschaftsschichten und Generationen rassistisch infi-ziertes Land“; er hat CDU/CSU und Teilen der SPD vor-geworfen, sie würden eine rassistische Antwort auf dieFlüchtlingsfrage geben, die zudem kein reales Problemsei, sondern das Produkt ihrer politischen Kampagnen.Britische Zuhörer haben daraufhin den Saal verlas-sen, haben die Bundesrepublik Deutschland gegen einenniedersächsischen Minister in Schutz genommen. Indem Bericht der deutschen Botschaft heißt es zu diesemVorfall wörtlich:Zu dem Beitrag von Minister Trittin ist folgendesfestzuhalten: Sein Ausdrucksvermögen in der eng-lischen Sprache entsprach nicht dem Schwierig-keitsgrad des Themas Ausländerfeindlichkeit/Ausländerpolitik,
so daß seine Darstellung wegen mangelnder Diffe-renzierungsfähigkeit in der fremden Sprache inMitleidenschaft gezogen wurde.Auch in diesem Fall hat er sich, obwohl die Teilneh-mer an dieser Veranstaltung die von mir zitierten Äuße-rungen ausdrücklich bestätigt haben, auf Mißverständ-nisse und Übersetzungsfehler zurückgezogen.Frau Altmann, Sie stehen wenigstens zu Ihren Äuße-rungen und behaupten nicht, Sie seien mißverstandenworden.Die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ schriebdamals – –
– Ja, wir sind hier, aber ich möchte einmal die Konti-nuität aufzeigen. Als das Verhalten der F.D.P. imZusammenhang mit den AWACS-Einsätzen hier eineRolle spielte, wurde auf die politische Kontinuität ver-wiesen.
Das, Herr Kollege Schlauch, muß nun auch für Bun-desminister Trittin gelten.
Es sind eben nicht einmalige Entgleisungen, Überset-zungsfehler, Mißverständnisse. Vielmehr bricht immerwieder ein politisches Bewußtsein durch, das hinterhernur mühsam kaschiert werden kann.
Damals stand in der „Hannoverschen AllgemeinenZeitung“ unter der Überschrift „Nachspiel zu London –Trittin trickst“:Doch wer Schröder kennt und weiß, wie gern er mitTrittin zusammenarbeitet, wieviel beiden am Erfolgdes rot-grünen Bündnisses gelegen ist, der darf si-cher sein, daß der Regierungschef alles versuchenwird, die Koalition zu stabilisieren. Politisch klugist dies nicht.
Die Ernsthaftigkeit und das Verantwortungsbewußt-sein, mit der die überwältigende Mehrheit der Bundes-regierung in der Kosovo-Krise handelt – das gilt für denBundeskanzler, für Außenminister Fischer und insbe-sondere für Verteidigungsminister Scharping –, werdenvon der demokratischen Opposition dieses Hauses vollunterstützt. Ich appelliere daher an den Bundeskanzler,aus dem Vorgang „Altmann“ Konsequenzen zu ziehen.Dieser Vorgang ist von anderer Qualität als selbst das,was uns Trittin damals als Landesminister geboten hat.Herr Bundeskanzler, ich fordere Sie auf: HandelnSie!
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Kristin Heyne.
FrauPräsidentin! Meine Damen und Herren! Der Appell grü-ner Parteimitglieder, den Frau Altmann unterschriebenhat, nennt sich „Grüne Anti-Kriegs-Initiative“. Er be-zeichnet die NATO-Politik als abenteuerlich und fordertgrüne Regierungsmitglieder und Abgeordnete auf, ihrenEinfluß zu nutzen, den, wie es dort heißt, „Angriffs-krieg“ sofort zu beenden.Ich halte unsere Einflußmöglichkeit – „sofort“ lautetdie Forderung – für weit überschätzt. Vor allem aber ha-be ich große Zweifel, ob diese „Anti-Kriegs-Initiative“wirklich zu Frieden im Kosovo und auf dem Balkan füh-ren würde.Unsere Fraktion hat sich mit deutlicher Mehrheit fürden Einsatz militärischer Mittel zur Herstellung desFriedens entschieden; das ist bekannt. Trotzdem kanndieser Appell nicht als Initiative verantwortungsloserGesinnungspazifisten oder unverbesserlicher Träumerabgetan werden. Ich kenne viele der Unterzeichner seitvielen Jahren; etliche von ihnen kenne ich persönlichund schätze sie. Sie sind ein wichtiger und unverzichtba-rer Teil der grünen Partei.
Es ist wichtig und unverzichtbar, immer wieder zufragen, danach zu suchen und nachzubohren, welchezivilen Mittel jenseits militärischer Logik möglich sind.
Eckart von Klaeden
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 36. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. April 1999 2917
(C)
(D)
Die ausnahmslose Ablehnung militärischer Mittel, dieein bedeutsamer Teil unserer Mitglieder vertritt, ist einwichtiger Ansporn, zivile Lösungen zu finden. Deshalbhaben die Pazifisten einen festen Platz in unserer Partei.
Allerdings nehme ich für die Mehrheit meiner Frakti-on und für unsere Regierungsmitglieder, insbesonderefür Joschka Fischer, in Anspruch, daß sie mit größtemErnst, mit aller Kraft und, wie ich finde, mit beträchtli-chem Erfolg versuchen, politische Lösungen in Gang zusetzen.
Der Appell fordert nun grüne Regierungs- und Frak-tionsmitglieder auf, die Unterstützung der, wie es dortheißt, „abenteuerlichen NATO-Politik“ zu beenden.Damit wird der Versuch der Bundesregierung und derNATO, den Krieg, der im Kosovo gegen die eigene Be-völkerung geführt wird, zu beenden, vollständig abge-lehnt. Das mag aus pazifistischer Sicht folgerichtig seinund ist somit eine legitime Forderung in unserer Partei.Wenn aber ein Mitglied der Bundesregierung dieseForderung unterstützt, erhebt sich die Frage: Wie weitkann und darf ein Regierungsmitglied in der Kritik ander Entscheidung der eigenen Bundesregierung gehen?
Die Geschäftsordnung der Bundesregierung gestattet esden Bundesministern und entsprechend auch den Staats-sekretären nicht, gegen die Politik der eigenen Regie-rung zu wirken.
Diese Vorschrift soll ein effizientes Wirken der Regie-rung sicherstellen.Im Spannungsverhältnis dazu – das wissen Sie alleauch ganz genau – steht Art. 38 des Grundgesetzes, dieFreiheit des Mandats. Der Widerspruch zwischen derAusübung des freien Mandats und der Gebundenheit imRegierungshandeln ist jeweils politisch zu klären.Dabei mag Ihnen ein Blick über die Grenzen helfen.Der französische Innenminister Chevènement hat sichöffentlich gegen die NATO-Luftschläge ausgesprochenund ist weiterhin Mitglied der Regierung. Er ist aller-dings 1990 auf Grund seiner ablehnenden Haltung ge-genüber dem Golf-Krieg aus der Regierung ausgetreten.
Der Widerspruch zwischen der Freiheit des Abgeord-neten und der Einbindung in Regierungshandeln istpolitisch zu entscheiden. Das hat die Regierung in die-sem Fall getan. Das haben der Bundeskanzler, der Mini-ster und die Staatssekretärin getan. Sie haben es alle mitdemselben Ergebnis getan.Meine Damen und Herren von der F.D.P., man mußsich schon über Ihren vorliegenden Antrag wundern,wenn dort vollmundig festgestellt wird, „ein Verbleibenin ihrem Amt als Parlamentarische Staatssekretärin“ –gemeint ist Frau Altmann – ist „undenkbar“. Die Unter-schrift unter einem Appell ist ja in ihrer Wirkung wohlkaum mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsge-richt zu vergleichen. Die Kollegin Janz hat darauf be-reits hingewiesen.Kollege Westerwelle, ich möchte noch einmal dar-stellen, worum es in dieser Klage ging. Ihre Klage bezogsich auf die Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes deut-scher Soldaten. Es ging darum, festzustellen, ob derBeschluß der Bundesregierung, Soldaten in denAWACS- und anderen Frühwarnsystemen sowie in Ein-satzführungssystemen Dienst tun zu lassen, verfas-sungsgemäß war. Auch Sie haben also die Verfas-sungsmäßigkeit des Dienstes der Soldaten in Frage ge-stellt.
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?
Selbstverständlich gestatte ich sie.
Ist Ihnen bekannt,
daß erst durch die Klage der F.D.P.-Fraktion das Bun-
desverfassungsgericht entschieden hat, daß wir Parla-
mentarier solchen Einsätzen zustimmen müssen, bevor
sie durchgeführt werden? Die Tatsache, daß das Parla-
ment bei derartigen Einsätzen erst gefragt werden muß,
geht also auf die Entscheidung des Bundesverfassungs-
gerichts zurück, die die F.D.P. zur Rechtsklarheit her-
beigeführt hat. Das stimmt.
Dasist mir bekannt. Das halte ich auch für notwendig. Den-noch hat es hier einen viel größeren Gegensatz gegeben.Die Regierungsmitglieder haben nicht zugestimmt. DieFraktion hat sogar geklagt. Aber wenn es einen so gro-ßen Gegensatz zwischen Fraktion und Regierung sowieinnerhalb der Koalitionsregierung gibt, dann kann maneine solche Frage durch eine Klage nicht lösen.Es ist offenkundig, mit welchem Ziel Sie hier dieseDebatte führen. Ich finde es bedauerlich, daß jetzt auchparteipolitische Argumente in die Debatte über diesesschwierige Problem eingebracht werden. Ich weiß, daßdie Mitglieder der Bundesregierung sowie der Fraktionenund der Parteien von Bündnisgrünen und Sozialdemo-kraten – jede und jeder auf seine Weise – mit der innerenZerrissenheit bezüglich der Frage von Frieden und Kriegfertig werden müssen. Ich denke, das ist auch das einzigAngemessene angesichts dieses schwerwiegenden Pro-blems. Ein klares Ja oder Nein kann es hier nicht geben.Meine Damen und Herren von der F.D.P., gerade vonIhnen brauchen wir keine Belehrung über die Bedeutungder Zusammenarbeit innerhalb einer Koalition.
Kristin Heyne
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2918 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 36. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. April 1999
(C)
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Roland Claus.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Innerhalb der demokrati-
schen Opposition des Deutschen Bundestages gibt es
einen Dissens, Herr Kollege von Klaeden: Die PDS-
Fraktion lehnt den Antrag zur Entlassung von Frau Alt-
mann selbstverständlich ab.
Größere Sympathie will ich Frau Altmann nicht bekun-
den, sonst gibt es womöglich die zweite Kanzlerverwar-
nung.
Mehr noch als der kritisierte Gegenstand von Frau
Altmanns Handeln bewegt mich allerdings der parla-
mentarische Vorgang.
Frau Janz hat gesagt, den Antragstellern gehe es um
eine Show. Das kann ich nur zum Teil nachvollziehen;
denn in der Regel gehe ich zu einer Show, um mich zu
amüsieren. Ich denke, daß hier eher der Begriff vom
Tiefpunkt der politischen Kultur zutrifft, den der Kol-
lege Westerwelle in einem anderen Zusammenhang ge-
braucht hat.
Tiefpunkt der politischen Kultur ist für mich Ihr Antrag,
in dem sie fordern, daß ein Mitglied der Bundesregie-
rung entlassen werden soll, weil es eine eigene Meinung
öffentlich vertreten hat, für die auch noch das Völker-
recht und das Grundgesetz die Argumente liefern.
Ich habe zunächst nicht glauben wollen, daß dieser
Antrag von der liberalen Fraktion stammt. Ich verhehle
gar nicht, daß es mich durchaus beeindruckt hat, wenn in
der F.D.P. persönliche Meinungen geachtet wurden. Ich
fand es immer bemerkenswert, wenn auch unter dem
Druck eines überwältigend großen Koalitionspartners in
der F.D.P. eigene Meinungen öffentlich vorgetragen
wurden; das Wort vom „schwarzen Joch“ soll ja von Ih-
nen selbst stammen. Nun aber dieser Antrag einer libe-
ralen Fraktion! In Erinnerung an frühere Zeiten habe ich
mir gesagt, daß so etwas nur ein Generalsekretär vortra-
gen kann, so daß ich jetzt beinahe sagen würde: Nicht
wahr, Genosse Generalsekretär Westerwelle?
Ihr politischer Zweck liegt auf der Hand: die Desta-
bilisierung der Bundesregierung und der Regierungs-
koalition. Aber ich frage, ob dieser Zweck jedes Mittel
heiligt, auch um den Preis, eigene Ideale vollends über
Bord zu werfen. Wollen Sie denn jenen unsäglichen
Vorgang fortgesetzt wissen, mit dem die F.D.P.-
Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger seinerzeit zum
Rücktritt genötigt wurde? Ist das denn alles vergessen?
Wenn es im Lande Schule macht, daß Politiker keine
eigene Meinung mehr sagen dürfen, sobald sie der Re-
gierung angehören, dann werden daran die Politik insge-
samt und die Demokratie Schaden nehmen. Die F.D.P.-
Fraktion hat es noch in der Hand, diesen Schaden abzu-
wenden. Meine Damen und Herren, ziehen Sie Ihren
Antrag zurück! Dann könnten wir über Chancen zum
Frieden reden, anstatt Kriegskritikerinnen mundtot zu
machen. Lassen Sie uns über den Hoffnungsschimmer
von gestern reden. Dem Frieden gehört das Wort gere-
det, der Antrag gehört abgelehnt.
Vielen Dank.
Zu einer Kurz-
intervention der Kollege Westerwelle.
Herr Kollege
Claus, ich empfinde, offen gestanden, Ihre Bemerkun-
gen und Ihre Anrede in meine Richtung, vor allem, da
sie von Ihnen als dem früheren ersten FDJ-Bezirks-
sekretär kommt, als eine üble Verunglimpfung der
Wahrnehmung meiner demokratischen Rechte in diesem
Parlament.
Ich rede hier als ein Abgeordneter des frei gewählten
Deutschen Bundestages.
Ich rede hier als ein Oppositionsabgeordneter, der die
Politik der Bundesregierung in dieser Angelegenheit
unterstützt. Es ist eine Unverschämtheit, daß Sie mich in
einen Zusammenhang mit der Diktatur stellen, die es in
Ostdeutschland bis zur deutschen Einheit gegeben hat.
Das ist eine echte, dreckige Sauerei.
Ich schließedie Aussprache.
– Es liegt in der Natur solcher Themen, daß es zu Emo-tionen kommt. Natürlich sind alle Mitglieder des Hausesgehalten, sich auch in ihrer Sprache zu mäßigen. Aberwir wissen, daß das nicht immer gelingt.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 36. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. April 1999 2919
(C)
(D)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nunzur Abstimmung über den Antrag der Fraktion derF.D.P. auf Entlassung der Parlamentarischen Staatsse-kretärin Gila Altmann. Wer stimmt für diesen Antrag? –Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – DerAntrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionenund der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU undF.D.P. abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 und 13 sowieden Zusatzpunkt 11 auf: 12. Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr.Michael Luther, Norbert Geis, Ronald Pofalla,weiteren Abgeordneten und der Fraktion derCDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Verbesserung der Durchsetzung von For-
– Drucksache 14/673 –Überweisungsvorschlag:
Hier ist – wie so oft in der letzten Zeit – kein weiteres
unüberlegtes, sondern zügiges Handeln erforderlich. Sie
wissen, daß wir in der letzten Legislaturperiode einige
Maßnahmen auf den Weg gebracht haben, wie zum Bei-
spiel die Novellierung des Zwangsvollstreckungsrechts.
Nur müssen die Länder endlich handeln und die Maß-
nahmen umsetzen. Das gleiche gilt für die Neuregelung
des Schiedsverfahrensrechts. Ich fordere Verbände und
Kammern auf, sich zusammenzutun und in gemein-
samen Pilotprojekten, vielleicht in Form regionaler
Schiedsgerichte, diese Möglichkeit zu nutzen.
Alles in allem haben uns jetzt Mittelständler vom
„Ostdeutschen Selbsthilfeverein zum Schutz vor Insol-
venzen“ in einer F.D.P.-internen Anhörung klargemacht,
daß weiterhin – trotz der eingeleiteten Maßnahmen –
Handlungsbedarf besteht. Welche Maßnahmen müssen
nun unverzüglich eingeleitet werden? Neben der
außergerichtlichen Streitschlichtung brauchen wir in
Deutschland schnellstens vereinfachte Verfahren für
Schuldbeträge unter 30 000 Euro. Über diesen Betrag
kann man noch reden.
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
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2920 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 36. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. April 1999
(C)
Bitte.
Verehrter Herr Kollege
Türk, ist es nicht so, daß Ihre wirtschaftsorientierte Par-
tei in der vergangenen Legislaturperiode die außerge-
richtliche Streitschlichtung dadurch verhindert hat, daß
sie unsinnigerweise – ich wiederhole: unsinnigerweise –
die Ausgliederung der Handelsregister aus dem ordent-
lichen Gerichtsbetrieb und eine Zuordnung zu den Indu-
strie- und Handelskammern durchsetzen wollte? Wissen
Sie, daß wir das, was Sie fordern, längst hätten haben
können, wenn Sie nicht so wirtschaftsorientiert gewesen
wären? Auch Sie waren in der 13. Legislaturperiode be-
reits dabei.
Lieber Kollege, wirtschafts-
orientiert zu sein ist immer gut, weil das Arbeitsplätze
schafft. Fakt bleibt, daß wir die Novelle zur außerge-
richtlichen Streitschlichtung verabschiedet haben. Jetzt
muß sie nur noch genutzt werden.
Der Werkvertrag muß dahin geändert werden, daß
nicht weiterhin Minimalmängel und konstruierte Mängel
– so weit geht das schon – zu maximalen Vergütungs-
kürzungen bzw. Zahlungsverweigerungen führen.
Weiter muß auf jeden Fall der gesetzliche Verzugs-
zins von jetzt 4 Prozent bzw. 5 Prozent auf einen
marktüblichen Zins bei einem Kontokorrentkredit ange-
hoben werden, damit der Zahlungsverzug nicht mehr als
günstiger Kredit mißbraucht werden kann. Genau das er-
reichen wir, wenn wir den Zins erhöhen; das ist kein
Strafzins. Übrigens haben die Skandinavier das mit Er-
folg gemacht: Dort ist der Zahlungsverzug drastisch zu-
rückgegangen.
Wir müssen schnellstens die Voraussetzungen dafür
schaffen, daß Schuldner eine Zwangsvollstreckung nicht
durch Vermögensverschiebungen – das passiert immer
öfter – behindern können. Das Tricksen muß endlich
aufhören.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, daß der Deutsche
Verdingungssauschuß die Verdingungsordnung Bau und
die Verdingungsordnung Leistungen unverzüglich auf
den Prüfstand stellen muß. Es kann zum Beispiel nicht
sein, daß erst nach 30 Tagen festgestellt wird, ob eine
Rechnung überhaupt prüfbar ist oder nicht. Das kann
man in sehr viel kürzerer Zeit machen, beim heutigen
Stand der Technik zum Beispiel in sechs Tagen. Die
Zahlungsfristen müssen verkürzt werden.
Es muß immer wieder eingefordert werden, daß die
Kommunalaufsicht der Länder verbessert wird. Dabei
sind zwei Punkte herauszustellen. Erstens muß sich et-
was an den Ausschreibungsmodalitäten ändern. Denn in
den meisten Fällen hat nur der billigste Anbieter eine
Chance, obwohl die VO das wirtschaftlichste Angebot
vorschreibt. Doch was billig ist, muß nicht immer wirt-
schaftlich sein und umgekehrt. Zweitens muß die Auf-
sicht dafür sorgen, daß die Zahlungsfristen bei der
öffentlichen Hand eingehalten werden. 100 Tage bis zur
endgültigen Zahlung – das wird jetzt immer häufiger
registriert –, das darf so nicht weitergehen. In solchen
Fällen muß die Kommunalaufsicht der Länder ein-
schreiten, um den Ruin der Handwerker und Mittel-
ständler zu verhindern.
Seit 1994 fordern wir die Länder auf, endlich zentrale
Mahngerichte einzurichten, um die Bearbeitungszeiten
über das automatisierte Mahnverfahren drastisch zu ver-
kürzen. So betrug zum Beispiel 1997 die durchschnitt-
liche gerichtliche Verfahrensdauer in Sachsen-Anhalt,
dem Schlußlicht in der Statistik, fast sieben Monate. In
Brandenburg wurde das in Berlin vorhandene Mahnge-
richt bis heute nicht genutzt. Brandenburg liegt doch um
Berlin herum; das wäre also schon gegangen, denn Ber-
lin ist dazu bereit.
Die F.D.P. ist überzeugt, daß alle angesprochenen
Maßnahmen – sowohl einzeln als auch den Bund betref-
fend – im Paket vorgelegt und beschlossen werden kön-
nen. Auf keinen Fall darf die jetzt angedachte Paket-
lösung zu einem weiteren Zeitverzug führen.
Jedenfalls ist die F.D.P. nicht nur bereit, wieder die In-
itiative zu ergreifen, sondern auch bereit, an der schnel-
len Wiederherstellung der Zahlungsmoral mitzuwirken.
Ich glaube, wir haben in diesem Hause eine gute
Grundlage dafür. Die Grundlage wird an den nachge-
schobenen Anträgen der CDU/CSU und der PDS deut-
lich,
und man kann Zeitungsberichten entnehmen, daß auch
das Bundesjustizministerium mit dieser Problematik be-
schäftigt ist.
Ich glaube, daß wir auf dieser Grundlage eine gemein-
same Lösung hinbekommen müßten. Im Interesse von
unternehmerischen Existenzen und im Interesse von Ar-
beitsplätzen gibt es also viel zu tun. Wir als F.D.P. sind
dazu bereit. Packen wir es endlich gemeinsam an!
Vielen Dank.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Sabine Kaspereit.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Werte Kollegen von derF.D.P., mit Ihrem Antrag haben Sie uns eine Analyse ei-nes aus Ihrer Politik entstandenen Mißstandes geliefert,wie wir sie besser gar nicht hätten machen können. Siebescheinigen sich auch noch selbst, daß all das, was Siein der letzten Legislaturperiode gemacht haben – ich zi-tiere aus Ihrem Antrag –, „noch zu wenig“ ist, „um das
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 36. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. April 1999 2921
(C)
(D)
drängende Problem des Zahlungsverzugs wirksam zubekämpfen“.
Sie haben recht. Das haben wir Ihnen allerdings schon inden vergangenen Jahren gesagt.
Sie hätten nur unseren Anträgen zustimmen müssen,dann hätten Sie eine konkrete Grundlage zur Bekämp-fung des Zahlungsverzuges gehabt. Das aber haben Sienicht getan.
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Türk?
Bitte.
Frau Kollegin Kaspereit, sind
Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß auch die Mehr-
heit der SPD im Bundesrat dort Initiativen hätte einlei-
ten können?
Das hat sie auch getan.
Darauf komme ich noch zu sprechen, Herr Türk. Hören
Sie noch ein Stückchen zu.
Nun kommen Sie mit einem neuen Antrag daher, der
diesen Wirrwarr der Vergangenheit fortsetzt und mit den
vorgeschlagenen Maßnahmen auch noch am Kern des
Problems vorbeizielt. Hierzu nenne ich Ihnen nur ein
Beispiel. Sie schlagen vor, daß der Fälligkeitstermin
geschuldeter Zahlungen eine bestimmte Anzahl von
Kalendertagen nicht überschreiten darf. Vordergründig
erscheint dieser Vorschlag plausibel. Ich gebe zu, wir
hatten diesen Gedanken auch. Der Vorschlag setzt aber
voraus, daß der Besteller einer Leistung auch recht-
stechnisch in Verzug gerät.
In Wirklichkeit ist die Praxis doch so: Viele Auftrag-
geber verweigern die Abnahme von Leistungen schon
wegen geringfügiger Mängel. Dabei spekulieren die Be-
steller unter Zuhilfenahme rechtlicher Möglichkeiten
darauf, die Zahlung so lange hinauszuzögern, bis der
Auftragnehmer den Eingang der Zahlung nicht mehr
überbrücken kann. Für das betroffene Unternehmen
bleibt dann nur noch die Möglichkeit, sich auf verlust-
bringende Abzüge einzulassen.
Die Überschreitung von Fälligkeitsterminen ist doch
nur das vordergründige Symptom, das von mir eben ge-
schilderte spekulative Verhalten aber die tiefer liegende
Ursache. Dieser Ursache wollen wir entgegentreten.
Daß die neue Regierung – wie Sie in Ihrer Begrün-
dung schreiben – noch nichts unternommen hat, ist
schlichtweg falsch. Das gilt im übrigen auch für den
Bundesrat. Die Bekämpfung des Zahlungsverzuges ist
ein klares Ziel der rotgrünen Regierungskoalition. Wir
werden dieses Versprechen halten.
Nun, Herr Türk, hören Sie mir gut zu! Der Justizmi-
nisterkonferenz lag bereits 1997 ein Vorschlag Sach-
sen-Anhalts zu dieser Problematik vor. Dieser Vorschlag
wurde von den anderen Ländern, darunter auch Sachsen,
mit der Begründung abgelehnt, es bestünde kein Rege-
lungsbedarf.
Im Herbst 1998 änderte Sachsen dann plötzlich seine
Meinung. Hatten die cleveren Sachsen inzwischen viel-
leicht bemerkt, daß noch cleverere Leute – ich sage da-
zu: in Ost und West – zunehmend auf den Trick mit den
billigen Lieferanten – und Justizkrediten gekommen
sind? Das unsolidarische Verhalten Sachsens mündete in
den vorliegenden Entwurf der CDU/CSU zum Bauver-
tragsgesetz, der in einem engen Zusammenhang mit dem
F.D.P.-Antrag zu sehen ist. Dieser Vorgang ist partei-
politisch höchst interessant.
Wir werden in Kürze einen an den Bedürfnissen der
Unternehmen ausgerichteten Gesetzentwurf vorlegen,
der im Kern folgende Eckpunkte vorsieht.
Frau Kollegin,
der Kollege Luther möchte ebenfalls eine Zwischenfrage
stellen.
Ja.
Liebe Frau Kolle-
gin Kaspereit, können Sie mir vielleicht erläutern, was
am Verhalten Sachsens undemokratisch ist? Sie haben
gesagt, das Verhalten sei undemokratisch gewesen.
Ich habe „unsolidarisch“
gesagt.
Entschuldigung,ich habe „undemokratisch“ verstanden. Ich darf die Fra-ge daher anders formulieren.Es gab in den neuen Bundesländern eine Länderar-beitsgruppe, an der Sachsen-Anhalt genauso beteiligtwar wie Sachsen. Dort hat man gemeinsam Eckpunkteerarbeitet. Im Wahlkampf hat Sachsen-Anhalt dann die-sen gemeinsamen Boden verlassen und das als sein Pro-dukt verkauft. Letztendlich hätte Sachsen-Anhalt diesel-be Chance gehabt wie Sachsen und hätte einen Gesetz-entwurf vorlegen können. Ein solcher liegt heute vor.Ich meine, das ist nicht unsolidarisch, sondern das ge-schieht im Interesse der Handwerker und ist damit soli-darisch. Gehen Sie darin mit mir konform?Sabine Kaspereit
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2922 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 36. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. April 1999
(C)
Nein, darin gehe ich mit
Ihnen überhaupt nicht konform, weil der Sachverhalt ein
anderer ist. Es gab dazu eine Bund-Länder-
Arbeitsgruppe, in der das Justizministerium gemeinsam
mit den Vertretern der Länder einen Entwurf erarbeitet
hat. Justament kurz vor der gemeinsamen Initiative von
Bund und Ländern hat Sachsen diesen Vorschlag als
seinen eigenen in Form eines Antrages formuliert und
damit den Ball an den Bundestag zurückgespielt. Dar-
über bin ich nicht ganz traurig. Wie gesagt, von „unde-
mokratisch“ habe ich nicht gesprochen. Für mich han-
delt es sich schon ein Stück weit um ein eigenartiges
Verhalten.
Noch jemand
möchte eine Zwischenfrage stellen. Ich möchte die
Kollegen ermahnen: Drei Zwischenfragen bei einer kur-
zen Rede sind genug. Würden Sie die Zwischenfrage des
Kollegen Türk zulassen?
Ja.
Ich möchte ganz kurz fragen,
ob es nicht unwürdig ist und diesem Hause nicht gut zu
Gesicht steht, daß wir in die Vergangenheit zurückkeh-
ren und Scharmützel machen, anstatt endlich einmal
nach vorn zu sehen.
Herr Türk, die Frage kann
ich ganz kurz beantworten. Das hat damit überhaupt
nichts zu tun. Sie haben damit angefangen. Wir werden
unseren Gesetzentwurf vorlegen.
Ich möchte zum Thema zurückkehren. In dem Ge-
setzentwurf, den wir in Kürze vorlegen werden, sind
folgende Eckpunkte vorgesehen:
Erstens. Der Verzug soll künftig auch durch eine
Rechnung mit angegebenem Zahlungsziel begründet
werden können, ohne noch zusätzlich eine Mahnung an
den Schuldner richten zu müssen; denn das bisherige
Verfahren ist überflüssig, weil der Schuldner bereits an
Hand der Rechnung sieht, was er bezahlen soll.
Zweitens. Der derzeit geltende Verzugszins soll an-
gehoben werden. Der Schuldner muß mit finanziellen
Folgen zu rechnen haben. Der Kredit auf Kosten des
Gläubigers gegenüber banküblichen Kreditzinsen darf
sich nicht mehr lohnen.
Drittens. Im Falle des Verkaufs von Forderungen des
Gläubigers, dem sogenannten Factoring, soll der
Schuldner in angemessenem Umfang an den Kosten be-
teiligt werden, wenn dem Gläubiger bei dieser Form der
Liquiditätsbeschaffung Kosten entstehen.
Viertens. Es ist bei BGB-Werkverträgen eine Rege-
lung vorgesehen, die die Besteller von Werkleistungen
verpflichtet, für abgeschlossene Teilleistungen und be-
schafftes Material Abschlagszahlungen oder Vorschüsse
zu leisten. Ich denke, auch das entspricht der Zeit.
Fünftens. Es müssen Möglichkeiten gefunden wer-
den, daß geringfügige Mängel nicht Anlaß dafür sind,
den Eintritt der Fälligkeit insgesamt zu verhindern.
Sechstens. Es müssen auch Möglichkeiten dafür ge-
funden werden, daß die Fälligkeit des Werklohns
schneller und effizienter herbeigeführt werden kann. Der
Besteller muß von vornherein wissen, daß er mit Beru-
fung auf nicht vorhandene Mängel ein hohes Risiko ein-
geht.
Siebtens. Schließlich sollte die Wirksamkeit der Si-
cherungsbürgschaft nach § 648a BGB erhöht werden.
Bei der Insolvenz eines Bauträgers muß der Anspruch
des Unternehmens auf Schadenersatz deutlich verbessert
werden. So könnte man beispielsweise die Sicherungs-
bürgschaft auch auf Nebenforderungen wie Verzugszin-
sen und Prozeßkosten erweitern.
Diese sieben Eckpunkte bilden die Richtschnur, an
der wir die Bekämpfung des Zahlungsverzugs ausrichten
werden, weil es nicht darum geht, einfach nur Verfahren
zu beschleunigen. Unsere Maßnahmen setzen an den
Ursachen an und stärken die Position des Gläubigers.
Wir leisten damit einen entscheidenden Beitrag, die
Zahl der durch Zahlungsverzug bedingten Insolvenzen
zu senken. Damit leisten wir nicht zuletzt auch einen
Beitrag zur Sicherung von Arbeitsplätzen gerade bei
kleinen und mittleren Unternehmen.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Michael Luther.
Sehr geehrte FrauPräsidentin! Meine Damen und Herren! Wer immer inden neuen Bundesländern mit Unternehmern, speziellmit denen des Baugewerbes, ins Gespräch kommt, dermuß feststellen, daß die Gespräche immer bei demThema „schlechte Zahlungsmoral“ enden.
Ich will die Situation kurz beschreiben. Es hat sich inder Vergangenheit herausgestellt, daß es einige wenigeschwarze Schafe gibt, die bewußt darauf spekulieren,Zahlungen zu verzögern oder Preisabschläge zu be-kommen. Sie bringen die Unternehmen damit letztend-lich in Schwierigkeiten. Da andere Firmen dann wegendes schlechten Zahlungseingangs ebenfalls in Liquidi-tätsschwierigkeiten kommen, entsteht ein Teufelskreis.Dieser Teufelskreis muß durchbrochen werden.Lassen Sie mich einige wenige Zahlen nennen. NachUntersuchungen im sächsischen Bau- und Ausbauge-werbe mußten 1997 und 1998 sachsenweit rund 2 bis3 Prozent aller Forderungen für Bauleistungen abge-schrieben werden. 1995 und 1996 waren das nur etwa 1bis 1,5 Prozent. Das sind 600 Millionen DM aus Baulei-stungen, die jedes Jahr verlorengehen. 4 Milliarden DMwurden erst nach Mahnungen und unter Zeitverzug vonsechs Monaten ausgeglichen. 20 Prozent aller Forderun-gen wurden für strittig erklärt. Das ist nicht nur in Sach-sen, sondern überall in den neuen Bundesländern so.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 36. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. April 1999 2923
(C)
(D)
Wir sollten weiterhin festhalten: Die Bauhandwerkerin den neuen Bundesländern haben in den letzten Jahrensehr wohl gelernt, mit dem rechtlichen Instrumentariumumzugehen. Sie sind nicht zu dumm, Rechnungen zustellen oder einzutreiben. Offensichtlich reicht das gel-tende Recht nicht aus. Deshalb muß an dieser Stelle et-was geschehen.
Es handelt sich dabei aber nicht nur um ein Phäno-men aus den neuen Bundesländern. Auch in den altenBundesländern kommen solche Situationen immer häu-figer vor. Ich persönlich beschäftige mich schon seitlängerer Zeit mit dieser Thematik und habe in der letztenLegislaturperiode als Mitglied des Rechtsausschussesversucht, erst einmal die rechtstatsächliche Problematikzusammen mit meinem damaligen Kollegen GerhardSchulz aus dem Finanzausschuß auszuloten. Wir habenbei diesen Aktivitäten erlebt, daß dies nicht nur ein Pro-blem der neuen Bundesländer ist; auch Bauverbände ausden alten Bundesländern sind auf uns zugekommen undhaben gesagt: Hier muß etwas passieren; auch bei unsgeht der Trend dahin, die Zahlungsmoral verschlechtertsich.Als Ergebnis kam dabei – das will ich hier festhalten– am Ende der letzten Legislaturperiode ein Koalitions-antrag heraus, den wir gemeinsam mit der F.D.P. in denDeutschen Bundestag eingebracht haben. Auch die SPDhat die Notwendigkeit erkannt und schnell noch einenAntrag entwickelt.
Wir haben unseren Antrag im Bundestag verabschiedet.Er beinhaltete den Auftrag an die Bundesregierung, indiesem Bereich zu handeln.
Vielleicht darf ich dazu noch sagen – weil Erfolgezum Schluß viele Väter haben –, daß es sich so weiter-entwickelt hat, daß sich auf Initiative von Sachsen, aberauch von Sachsen-Anhalt – denn das Problem bestandinsgesamt in den neuen Bundesländern – eine Länderar-beitsgruppe gebildet hat, die sich damit befaßte, Anhö-rungen durchführte und Handwerker einband. Aus Sach-sen weiß ich, daß sich sächsische Handwerker, Richterund Rechtsanwälte beteiligt haben, um zu einer Lösungdes Problems zu kommen.Nun kann man eine Vielzahl von Fragen aufschrei-ben, bei denen man versuchen könnte, eine Lösung zufinden. Die faktische Unwirksamkeit von § 648a BGBwirft zum Beispiel die Frage auf, wie man dieses Pro-blem löst. Zu jedem Lösungsvorschlag, den ich zu for-mulieren versuche, könnte ich direkt sagen, welche Be-denken trotzdem noch vorgetragen werden könnten.Darin liegt die Schwierigkeit des Problems. Ich danke andieser Stelle den Initiatoren und denjenigen, die sichdarum gekümmert haben, insbesondere in den neuenBundesländern und speziell natürlich in Sachsen, dafür,daß man den Mut hatte, diese Fragen aufzuschreiben, zudurchleuchten und Lösungsvorschläge zu erarbeiten.
Während eines Wahlkampfes geht es so wie immer:Sachsen-Anhalt ergriff die Initiative und hat sich in derÖffentlichkeit als Urheber präsentiert. Ich glaube, dieseFragen sind nebensächlich an dieser Stelle. Viel wichti-ger ist, daß wir angesichts des Problems, das wir alle er-kannt haben und im Deutschen Bundestag lösen wollen,nun endlich zielführend zu einem Ergebnis kommen.
Dieses Ziel verbinden wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion damit, daß wir das fertig formulierteGesetz, das in sich stimmig ist und von Sachsen in denBundesrat eingebracht wurde, in den Bundestag einbrin-gen, weil es als Bundesgesetz letztendlich hierhin gehörtund vom Bundestag beschlossen und behandelt werdenmuß. Damit haben wir einen Gesetzentwurf und auchdie Möglichkeit, jetzt im Bundestag mit der aktivenparlamentarischen Beratung zu beginnen und natürlichalle einzubinden, die Anfragen an oder Bedenken gegendas Gesetz haben.Noch ein Wort zu Ihnen, Herr Türk, und zu derF.D.P. – ich sage das jetzt einmal ein wenig überspitzt –:Wir haben schon vor einem Jahr einen Antrag einge-bracht; Sie bringen nun wieder nur einen Antrag ein; dasist mir zuwenig. Es stellt sich mir die Frage, was Sie dasletzte Jahr gemacht haben. Sie haben honorige Leute inIhren Reihen: Ich sehe den ehemaligen Parlamentari-schen Staatssekretär Funke aus dem Justizministerium –wir kennen uns ja gut, auch was diese Sache angeht –und will auch den ehemaligen Bundesminister der JustizSchmidt-Jortzig nennen. Anträge einzubringen, um zueiner Lösung zu kommen, ist gut. Das hilft aber nichtden Handwerkern. Wichtig ist, daß man eine Lösungvorschlägt. Eine Lösung kann ich in den VorschlägenIhres Antrages nicht erkennen.Ich denke, es kommt jetzt darauf an, daß wir die par-lamentarische Beratung der erkannten Probleme imParlament durchführen. Ich habe in den letzten Wochensehr aufmerksam die Medien verfolgt und gelesen, werwas dazu sagt. Ich habe auch sehr aufmerksam gelesen,was Frau Däubler-Gmelin dazu gesagt hat. Ich war zeit-weise der Meinung, daß sie vielleicht beleidigt darüberist, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den entspre-chenden Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag ein-bringt. Dann hatte ich den Eindruck, daß sie das Haar inder Suppe sucht, danach sucht, was an dem Gesetzent-wurf falsch sein und was man besser machen könnte.Mir ist letztendlich gleichgültig, welche Variante zu-trifft. Entweder bringt sie hier im Bundestag einen bes-seren Gesetzesvorschlag ein – aber bald –,
oder wir arbeiten mit unserem Gesetzentwurf, den Sieals Basis für die Arbeit in der Bund-Länder-Arbeits-Dr. Michael Luther
Metadaten/Kopzeile:
2924 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 36. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. April 1999
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gruppe bewerten, und verändern ihn so, wie es mög-licherweise notwendig ist. Aber ein Ziel muß verfolgtwerden: daß wir dieses Gesetz noch in diesem Jahr, nachder Sommerpause auf den Weg bringen.
Ich will noch drei Punkte nennen, die mir sehr wich-tig sind und die unbedingt aufgegriffen werden müssen.Das eine ist die bessere Anwendbarkeit des § 648 aBGB, in dem es um die Sicherung von Leistungen geht.Es hat sich herausgestellt, daß dieses Instrument, daserst nach siebenjähriger Diskussion im Deutschen Bun-destag Gesetz geworden ist, unzureichend ist. Es wirdnicht angewandt – nicht etwa, weil die Handwerker esnicht kennen würden, sondern aus zwei Gründen: Dereine ist, daß man, wenn man diesen Paragraphen an-wendet, befürchten muß, daß man später keinen Auftragmehr bekommt. Aber das ist nicht das Hauptproblem.Viel schlimmer ist etwas anderes: Wer das Gesetz an-wendet, bekommt den Auftrag gekündigt und steht dannselbst in der Pflicht, nachzuweisen, wie hoch der ihmentgangene Gewinn durch den Verlust des Auftrages ist.Das ist sehr schwierig. Der Lösungsvorschlag des Ge-setzes dazu, eine pauschalierte Sicherungsleistung inHöhe von 5 Prozent einzuführen, ist eine maßvolle Ant-wort auf die Probleme, die § 648 a BGB mit sich bringt.Ein zweites wichtiges, immer wieder vorgetragenesProblem ist, daß die Abnahme eines Werkes häufigwegen geringfügiger Mängel verweigert wird. Dadurchkann der Auftraggeber auch bei einer überwiegend män-gelfreien Werkleistung die Zahlung des gesamten Werk-lohnes verzögern. Das wird aktiv betrieben; es wird so-gar einkalkuliert, weil man sich damit praktisch einenzinslosen Kredit verschafft, den man nicht besichernmuß, oder Preisvorteile, weil man letztendlich denHandwerker, der das Geld braucht, unter Druck setzt, sodaß er sagt: Dann nehme ich halt 80 Prozent, dann habeich wenigstens Geld. Dabei sind natürlich nicht 80 Pro-zent vom Gewinn, sondern 80 Prozent von der Gesamt-bauleistung gemeint, die unterhalb der Höhe des Ge-winns liegt. Das führt zu den Problemen im Bauhand-werk.Für sehr wesentlich halte ich auch die Modernisie-rung eines Gesetzes, das ein Stück in Vergessenheit ge-raten ist, nämlich des Gesetzes über die Sicherung vonBauforderungen, das 1909 in einer ähnlichen Situationgeschaffen worden ist. Es nützt alles nichts, wenn wirnicht den Böswilligen bestrafen können. Das ist dieSchwierigkeit. Wenn Sie sich mit Wirtschaftsstrafsena-ten unterhalten, werden Sie feststellen, daß es sehrschwierig ist, in Bergen von Unterlagen nachzuweisen,wo sich Wirtschaftskriminalität verbirgt. Aus diesemGrunde müssen wir zur Beweiserleichterung eine Do-kumentationspflicht einführen. Diese stellt das Gesetzüber die Sicherung von Bauforderungen dar. Ich glaubenicht, daß damit soviel Mehraufwendungen für das se-riöse Unternehmen verbunden sind. Denn mit den Mit-teln von heute, die es 1909 noch nicht gab – elektroni-sche Datenverarbeitung –, kann vieles leichter gestaltetwerden. Das heißt, der Willige kann diese Dokumenteleicht zur Verfügung stellen, und dem Böswilligen kannder Staatsanwalt leichter auf die Schliche kommen.Ich bin in den Gesetzentwurf nicht verliebt, so daßich sagen würde: nur diesen und sonst keinen. Mir liegtdaran, daß wir das Problem lösen. Ich bitte alle Mitglie-der dieses Hauses daran mitzuarbeiten. Wir wollen alsCDU/CSU-Bundestagsfraktion im Rechtsausschuß sehrschnell in die praktische parlamentarische Beratung ein-treten. Wir werden eine Anhörung beantragen, so daßwir sehr schnell den externen Sachverstand nutzen kön-nen. Ich denke, das Verfahren wird sich dadurch insge-samt beschleunigen. Ich bin optimistisch, daß wir allegemeinsam zu einem guten Ergebnis kommen werden.Schönen Dank.
Das Wort hatjetzt der Abgeordnete Helmut Wilhelm.Helmut Wilhelm (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Her-ren! Das Bauhandwerk in Deutschland ist notleidend.Das ist allgemein bekannt. Alle Anstrengungen derBundesregierung müssen selbstverständlich darauf ge-richtet sein, diese Not zu lindern und am Ende zu besei-tigen. Allein schon das Argument der bedrohten Ar-beitsplätze gebietet dies.Eine Ursache dieser Not sind die vielfach ver-schleppten Werklohnzahlungen der Besteller. Auch die-ser Tatsache muß ins Auge gesehen werden, weil diehohe Zahl der Insolvenzen im Baugewerbe, insbesonde-re die der kleineren Unternehmen im Osten der Repu-blik, wesentlich auf die verzögerte Begleichung vonHandwerkerrechnungen zurückzuführen ist. Es stelltsich die Frage, wie ein vertragstreues Verhalten derBesteller hinsichtlich ihrer Zahlungsverpflichtungen er-zwungen werden kann und ob es überhaupt erzwungenwerden kann.An dieser Stelle ist hervorzuheben, daß die privatenund gewerblichen Besteller von Bauwerken – und leideroft auch die öffentlichen – das praktizieren, was geradebei Versicherungen, aber auch bei Banken an der Tages-ordnung ist und offensichtlich zum erfolgreichen Wirt-schaften dazuzugehören scheint: in allererster Linie anseine Möglichkeiten der Gewinnoptimierung zu denken,die Interessen des Vertragspartners aber hintanzustellen.Dazu gehört selbstverständlich auch, alle Möglichkeitender Zahlungsverzögerung auszuschöpfen, die sich bie-ten. Natürlich ist selbst der Zug durch die Instanzen ofteinkalkuliert.Diese Auffassung – machen wir uns doch bitte nichtsvor – trifft nicht nur auf die Besteller von Bauwerken zu.Sie scheint mittlerweile leider zur vorherrschenden Ein-stellung im Umgang mit Vertragspartnern geworden zusein, zumindest in all den Sparten, in denen es um vielGeld geht. Damit ist das Problem der fehlenden Zah-lungsmoral ein Problem unserer Gesellschaft geworden,das bei Teilen der Bauwirtschaft zu den schon mehrfachbeschriebenen existenzbedrohenden und existenzver-nichtenden Folgen führt.Dr. Michael Luther
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Die Zahlungsmoral läßt sich aber leider nicht per De-kret herstellen oder verbessern. Wenn man sich die vor-liegenden Vorschläge der Opposition anschaut, ist fest-zustellen, daß ihr zugute gehalten werden kann, diesenUmstand erkannt zu haben. Demnach besteht Hand-lungsbedarf. Denn Anreize für vertragswidriges Ver-halten sind nach der derzeitigen Gesetzeslage durchausvorhanden. Die Forderungen, die von der Oppositionaufgestellt werden, sind aber entweder nicht zielführend,prozeßrechtlich zweifelhaft, verstoßen gegen Grundsätzedes Schadensersatzrechts oder sind schlichtweg nurnoch populistisch.Eines sollten wir in dieser Debatte nicht vergessen:Wer die Forderung erhebt, gesetzliche Vorschriften zuerlassen, die das ohnehin schon große finanzielle Risikozum Beispiel der privaten Häuslebauer ins Unüber-schaubare treiben, muß sich nicht wundern, wenn beidiesen emotional eine Schwelle überschritten wird undsie von einem gefaßten Bauentschluß Abstand nehmen.Dies kann nicht im Sinne der Bauwirtschaft sein.Ich selbst hatte als Richter vielfach das Vergnügen, inBauprozessen urteilen zu dürfen. Mir ist nicht gerade oftein mangelfreies Bauwerk untergekommen. Wir befin-den uns also auf einer Gratwanderung, die nicht zu einerschädlichen Übersicherung der Bauindustrie führen darf.Die notwendigen Schritte, die in Angriff genommenwerden, müssen also folgenden Kriterien – hier, aberauch nur insoweit, teile ich die Auffassung der PDS –genügen: Sie müssen ein ausgewogenes Verhältnis vonGläubiger- und Schuldnerschutz gewähren. Denn imWirtschaftsleben wechselt in der Tat die Schuldner- undGläubigerposition mehrfach. Sie müssen rechtsstaatlichunbedenklich sein. Daher halte ich den Vorschlag einerrichterlichen Vorabverfügung für nicht vertretbar undeines sorgfältig und unparteilich handelnden Richters fürunwürdig.
Die Rechtsgrundlagen müssen transparent sowie ver-ständlich sein und ohne bürokratischen Aufwand voll-zogen werden können. Die Forderung nach Anderkontenentspricht letzterem Erfordernis in keiner Weise.
Aus unserer Sicht sollen die rechtlichen Vorausset-zungen für die Begründung des Verzugs vereinfachtwerden. Hierfür könnte zukünftig eine Rechnung genü-gen, in der das Zahlungsziel angegeben ist. Das Gesetzsollte zukünftig deutlich machen, daß der Zahlungsver-zug für den Schuldner folgenreich ist. Die pauschalenVerzugszinsen von derzeit 4 Prozent – bzw. von 5 Pro-zent im HGB – sollten auf mindestens 5 Prozentpunkteüber dem Basissatz angehoben werden, und zwar nichtnur für Bauvorhaben. – Eine Sonderregelung im Bau-recht wäre meines Erachtens verfassungsrechtlich be-denklich. – Dies würde auch dem Richtlinienvorschlagder Europäischen Kommission entsprechen.Ich bin ebenfalls der Meinung, daß Besteller vonWerkleistungen verpflichtet werden sollten, für abge-schlossene Teilleistungen und für vom Unternehmer be-schafftes Material Abschlagszahlungen bzw. Vorschüssezu zahlen.Die Abnahmepflicht nach § 640 BGB kann dahingehend erweitert werden, daß ein geringfügiger, die Ge-brauchsfähigkeit nicht hindernder Mangel eines Bau-werks nicht zur Verweigerung der Abnahme berechtigt,sondern nur zu einem Zurückbehalt eines Betrages etwain mehrfacher Höhe der voraussichtlichen und üblichenMängelbeseitigungskosten. Dies wird auf jeden Fall er-heblich prozeßverkürzend wirken und das Prozeßrisikodes Bestellers so erhöhen, daß auch die Zahl der will-kürlich und nur zur Zahlungsverweigerung angestreng-ten Prozesse abnehmen wird.Der Unionsentwurf schlägt vor, das Gesetz über dieSicherung der Bauforderungen in das BGB zu integrie-ren. Ich fürchte, das wird zu nichts führen. Das Gesetzbesteht seit langem und findet weitgehend keine Beach-tung. Es führt außerdem nicht zu einer beschleunigtenZahlung, da es lediglich dazu verpflichtet, eingehendeBaugelder und ihre Verwendung in Baubüchern festzu-halten. Es sagt aber nichts darüber, ob und aus welchenGründen Baugelder zurückbehalten werden können. Dasaber ist das eigentliche Problem.Die PDS konterkariert ihren eigenen Antrag. So for-dert sie einerseits, wie erwähnt, rechtsstaatlich unbe-denkliche Schritte, verlangt aber andererseits, beiMahnverfahren, die in streitige Verfahren übergeleitetwurden, innerhalb von 120 Tagen ab Anhängigkeit einUrteil zu verkünden. Wie dies bei Bauprozessen, die ge-rade bei Mängelrügen die Einschaltung von Sachver-ständigen erfordern, möglich sein soll, bleibt das Ge-heimnis der PDS.
Ohnedies scheint der Antrag der PDS von einem gren-zenlosen Mißtrauen in die Justiz beseelt zu sein, da indem Antrag pausenlos von Schadensersatzpflichten derJustizkasse die Rede ist und weniger von solchen derBauvertragspartner.Die Bemerkung, daß eine solide personelle Ausstat-tung der Gerichte durch die Bundesländer – an Stelleder derzeit teilweise üblichen Stellenstreichungen – ei-ner Prozeßbeschleunigung und damit einem schnellerenGeldfluß an die Bauunternehmer durchaus dienlich seinkann, mag mir als Richter außer Dienst erlaubt sein.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rolf Kutzmutz.
Verehrte Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast war ich geneigtzu glauben, es fehlt der Hinweis auf die PDS. Ich warschon traurig, es mußte dann aber doch noch eine Zen-Helmut Wilhelm
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sur erteilt werden. Alles andere wäre aus Ihrer Richtungunsinnig gewesen.
Insolvenz wegen großer Außenstände ist unbestrittenein maßgeblicher Grund für den Gang zum Konkurs-richter. Es ist und bleibt indiskutabel, daß ein Viertel bisein Fünftel aller mittelständischen Firmen spürbare Teileseiner Umsätze abschreiben muß. Ich halte auch nichtsdavon, ständig Vorwürfe zu Vergangenheit und Gegen-wart zu machen; denn eines ist Fakt: In der Vergangen-heit haben Bonner Justizbeamte darauf hingewiesen, daßalle erforderlichen Regelungen vorhanden seien, dasHandwerk müsse sie nur besser anwenden.In einer Umfrage der Potsdamer Kammerorganisationkommt zum Ausdruck, daß zum Beispiel 65 Prozent derBefragten ihre Rechte gut kennen, aber nur 20 Prozentsie anwenden. Wenn man nach dem Warum fragt, wirdklar: Aus Furcht, Folgeaufträge nicht zu bekommen undauf schwarzen Listen zu landen, handelt man wider bes-seres Wissen. Durch Wettbewerbsdruck lassen sich Be-triebe auf ein „Terrain ohne Notseile“ drängen. Daswollte ich hier doch ansprechen.Ich glaube, in der Beschreibung der Situation sind wiruns einig. Es bringt überhaupt nichts, wenn wir herum-kritteln und sagen: Dieser Vorschlag geht nicht, jener istetwas besser. Diejenigen, die auf eine Lösung warten,haben von dieser Diskussion überhaupt nichts.
– Nun seien Sie doch nicht so aufgeregt! Das waren siein der Opposition doch auch nicht. Zeigen Sie als Regie-rung einmal Größe! – Ich jedenfalls bin bereit, zu sagen:Wenn ein vernünftiger, durchsetzbarer Vorschlag ge-macht wird, stimme ich zu.Die Folgen für Arbeitsplätze, Steuereinnahmen, Sozial-abgaben und für Lebensplanungen vieler Menschenbrauche ich hier nicht zu beschreiben; da herrscht Kon-sens. Auch über die Notwendigkeit, auf gesetzgeberi-schem Wege die grassierende Zahlungsunmoral einzu-dämmen, besteht Konsens. Schnelles Handeln ist nachmeiner Auffassung erforderlich. Wir dürfen die Lösungnicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben.Änderungsbedarf zum Beispiel beim gesetzlichenVerzugszins ist unstrittig. Entsprechende Änderungenließen sich gesetzestechnisch problemlos und schnellumsetzen. Dennoch finden sich Vorschläge dazu nachwie vor erst in unverbindlichen „Eckpunkten“ der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Verbesserung der Zahlungsmo-ral“ – es kann sein, daß Sie mehr Kenntnisse darüberhaben, uns diese aber nicht weitergeben –, wie amMontag der „Berliner Zeitung“ zu entnehmen war.Da der Verzugszins von 4 auf 5 Prozent erhöht wer-den soll, muß ich fragen: Meinen Sie tatsächlich, daßsich jemand, der böswillig nicht zahlt, von diesem einenProzentpunkt abschrecken läßt? Ich kann darin einfachkeine Lösung sehen. Jedenfalls würden Sie diese unmo-ralische, ja kriminelle Art der „Kreditlinie“ für Auftrag-geber damit nicht verstopfen. Man kann diese Frage ausdem Gesamtpaket herausnehmen, zügig einen Gesetz-entwurf vorlegen und dabei Nägel mit Köpfen machen.Alle anderen Fragen, vom Bauvertrags- bis zum Mahn-recht, sind diffiziler. Die müssen wir weiterhin ganz in-tensiv diskutieren.Lösungen – Herr Kollege Wilhelm hat Zustimmungsignalisiert – müssen erstens rechtsstaatlich unbedenk-lich sein. Ich hätte beispielsweise bei „unabhängigenStellen“, die Mängelfreiheit testieren sollen, schon someine Zweifel, sofern es sich nicht um gerichtliche Prü-fungen handelt. Die aber sollen – glaubt man den Zei-tungen – durch das Justizministerium vorgeschlagenwerden.Lösungen müssen zweitens ein ausgewogenes Ver-hältnis des Schutzes von Gläubigern und Schuldnernwahren. Bei jeder Diskussion zu diesem Thema – auchdarauf hat der Kollege Wilhelm hingewiesen – habenwir gesagt: Passen Sie auf bei den Regelungen, die Sievon uns fordern. Sie sind mal in dieser und mal in jenerSituation. Der, der die Schulden eintreiben will, siehtdas nicht immer so. Deshalb muß man darauf aufmerk-sam machen.Drittens müssen die Lösungen transparent und ver-ständlich sein. Sie dürfen nicht zu vermeidbarem büro-kratischem Mehraufwand bei allen Beteiligten führen.Ich möchte Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kolle-gen, für die weitere Beratung insbesondere unsere Vor-schläge für ein einstufiges Vorgehen im automatisier-ten Mahnverfahren ans Herz legen. Wer ein Mahnver-fahren einleitet, der dokumentiert damit seine Absicht,zu Geld kommen zu wollen. Warum soll er diese Ab-sicht durch gesonderten Antrag auf Vollstreckungsbe-scheid eigentlich noch einmal bekunden müssen? Um-gekehrt hätte der vermeintliche Schuldner durch einelängere Widerspruchsfrist bessere Möglichkeiten alsbisher, sich unberechtigter Forderungen zu erwehren.Die von uns vorgeschlagenen Strafzinsen würden zu-gleich „Prozeßfans“ abschrecken.Mindestens ebenso wichtig erscheint mir unser Vor-schlag hinsichtlich einer zentralen Mahnverfah-rensauskunftstelle, auch wenn das hier in Zweifel ge-zogen wird. Wir können in den Ausschüssen noch dar-über diskutieren. Diese Auskunftstelle ist, wie ichmeine, datenschutzrechtlich unbedenklich konzipiertund würde erstmals ermöglichen, sich vergleichsweiseobjektiv über das Zahlungsverhalten möglicher Ver-tragspartner zu informieren.Richtig ist auch: Aus der Eigenverantwortung für seineGeschäfte kann und darf niemand entlassen werden. Aberjede und jeder muß überhaupt erst die Chance bekommen,die dazu erforderlichen Prüfungen tatsächlich vornehmenzu lassen. Diese Möglichkeit wäre mit der neuen Aus-kunftstelle gegeben. Ich bin der Auffassung, daß die dorterhältlichen Informationen den Interessierten das Geldwert wären, das sie dafür aufbringen müßten.Lassen Sie mich abschließend zwei Grundsätze betonen,über die wir uns meines Erachtens einigen sollten: Erstens.Es gibt nicht das eine Instrument zur Bekämpfung vonZahlungsunmoral. Wir werden vielmehr ein ganzes Maß-nahmenbündel benötigen, um den unterschiedlichenAspekten dieses Problems gerecht zu werden.Rolf Kutzmutz
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Zweitens – das erscheint mir fast noch wichtiger,auch wenn es hier, was den Umfang der Maßnahmenbetrifft, kritisiert worden ist –: Wir sollten nicht daraufhoffen, daß der praktische Vollzug dessen, was wirmöglichst bald beschließen, die Lösung des Problemsist. Uns geht es darum, daß sich derjenige, der mit demGedanken spielt, nicht zu zahlen, angesichts der Maß-nahmen, die ihm drohen, darüber klar sein muß, daß ihmdas zum Schaden gereicht. Es geht nicht darum, daßman immer jeden einzelnen Schritt durchführt. Es gehtvielmehr darum, daß sich der, der nicht zahlen will, überdie Konsequenz klar sein muß.
Es geht schließlich nicht darum, mehr Richter und Ge-richtsvollzieher schneller zu beschäftigen, sondern dar-um, seine Leistung pünktlich und gerecht entgolten zubekommen. Das – und nur das – ist letztlich die Lösungdieses gesellschaftlichen Problems.In diesem Sinne freue ich mich auf eine produktiveDebatte in den Ausschüssen.Danke schön.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Jelena Hoffmann.
Sehr geehrteFrau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirsprechen heute über das Problem der schlechten Zah-lungsmoral – oder sollte ich besser sagen: Zahlungsun-moral? Die Opposition hat offenbar das Bedürfnis, öf-fentlich gelobt zu werden. Liebe Kolleginnen und Kol-legen von der Opposition, mit Ihren Anträgen haben Siein der Tat bewiesen, daß Sie das Problem erkannt haben.Wir haben darüber ja auch schon in der vergangenenLegislaturperiode gesprochen. Doch ein Problem löstman nicht, indem man ein paar Vorschläge zusammen-zimmert. Das ist politischer Pfusch am Bau, liebe Kolle-ginnen und Kollegen.
Eigentlich verstehe ich den Eifer, mit dem Sie jetztIhre Anträge im Plenum einbringen, nicht. Wie Sie allewissen, hat im Herbst eine Bund-Länder-Kommissionihre Arbeit aufgenommen. Sie beschäftigt sich intensivmit den Ursachen von Zahlungsverzug. Die erstenArbeitsergebnisse liegen uns bereits vor. Unter anderemhat auch das Land Sachsen gewollt, daß diese Kommis-sion eingerichtet wird. Nun kommen Sie mit einemeigenen Gesetzentwurf, welcher übrigens bis zum letz-ten Komma mit dem Antrag Sachsens übereinstimmtund der noch in diesem Monat im Bundesrat eingebrachtwerden sollte.
– Nein.Die Redezeit erlaubt mir leider nicht, ausführlich aufdie Auswirkungen mangelnder Zahlungsmoral beson-ders auf kleine und mittlere Unternehmen einzugehen.Nur ein paar Zahlen: Immer mehr private, aber auch öf-fentliche Auftraggeber lassen sich immer mehr Zeit da-mit, ihre Rechnungen zu bezahlen. Innerhalb von 30 Ta-gen haben nur 46 Prozent der westdeutschen und ledig-lich 39 Prozent der ostdeutschen Kunden bezahlt. DieForderungsverluste betragen nicht selten mehr als 1 Pro-zent des Umsatzes. Der Mittelstand hat meist nicht vielEigenkapital und kommt dadurch leicht in Liquiditäts-schwierigkeiten. Die Unternehmen müssen hochverzin-ste Kredite aufnehmen. Am Ende ist die Existenz desBetriebes bedroht.Das kann so nicht bleiben; wir sind uns einig, daß dasrasch geändert werden muß. Bleibt die Frage: Wie? IhreVorstellungen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Op-position, reichen meiner Meinung nach leider nicht aus.Dazu benötigt man eine Gesamtkonzeption, die ich inIhren Vorlagen vermisse. Um das Problem Zahlungsmo-ral in den Griff zu bekommen, muß man das gesamteProblem anpacken und mit Ruhe und Augenmaß versu-chen, daraus eine runde Sache zu machen. Die Schwie-rigkeiten in der Baubranche mögen gravierender sein alswoanders, aber es gibt diese Probleme auch in anderenBranchen. Ein Gesetzentwurf darf deshalb nicht aus-schließlich auf diese eine Branche zugeschnitten sein,was zum Beispiel beim CDU/CSU-Entwurf der Fall ist.Neben der Gesamtkonzeption haben Sie offensicht-lich auch die Einzelaspekte Ihres Entwurfs nicht zu En-de gedacht. Mir fehlt unter anderem die Aussage überdie Problematik der Subunternehmer, die nur über denGeneralauftragnehmer an ihr Geld kommen.Ein weiterer Punkt: Sie möchten das Gesetz über dieSicherung der Bauforderungen wiederbeleben. Eswird jedoch nicht zu einer schnelleren Durchsetzung undBegleichung von Forderungen beitragen. Ich kann mirüberhaupt nicht vorstellen, daß das Gesetz nicht ange-wendet wird, weil – wie Sie meinen – es nicht genugbekannt ist. Engagierte Juristen hatten schließlich eineganze Weile Zeit – wenn ich mich nicht irre, seit 1909 –,das Gesetz aufzuspüren und anzuwenden. An Stelle Ih-res Vorschlages müssen wir vielmehr über eine qualita-tive Änderung der geltenden Gesetze nachdenken. Nurso können wir dem Prinzip „Geld für Leistung aller Pro-duktarten“ zu seinem Recht verhelfen. Dieses Prinzipmuß auf der Baustelle genauso gelten wie im Kaufhaus.Ein richtiger Denkansatz ist auf jeden Fall – da stim-me Ihnen zu –, die gerichtliche Geltendmachung vonForderungen zu beschleunigen und zu vereinfachen.Als Geschäftsführerin eines kleinen Unternehmens habeich früher auf diesem Gebiet einige Erfahrungen machenmüssen. Besonders pfiffige Geschäftsleute konnte keineMahnung, auch kein gerichtliches Mahnverfahren be-eindrucken. Sie hatten ihr Ziel, entweder Zeit zu gewin-nen oder mich mit sofortigen Zahlungen, die aber Teil-zahlungen waren, abzuspeisen, fast immer erreichenkönnen. Ich allerdings mußte immer pünktlich und involler Höhe Löhne und Gehälter zahlen. Doch ob einerichterliche Vorabverfügung der richtige Weg ist,schneller an das Geld zu kommen, das bezweifle ich.Rolf Kutzmutz
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Neben der Gestaltung der Verzugszinsen müssenFragen des Eigentumsvorbehaltes und der Factoring-Möglichkeiten noch geprüft werden.Das Problem ist also bekannt, und die Marschrich-tung ist nicht zuletzt durch die Arbeit der Bund-Länder-Arbeitsgruppe festgelegt. Wir wollen und werden einGesetz erarbeiten, das die Probleme nachhaltig löst undsicherstellt, daß die Kräfte langfristig wieder ins Gleich-gewicht gebracht werden. Bei aller Notwendigkeit, denGläubiger zu schützen, darf dieses Gesetz nicht einseitigwerden und die Rechte des Bestellers aufweichen. DasWichtigste an einer neuen Gesetzesregelung muß sein,daß das Gesetz praktikabel ist, den Bedürfnissen derWirtschaft entspricht und vom Handwerker genauso wievom Häuslebauer angewendet werden kann.Vielen Dank.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Andrea Voßhoff.
Frau Präsidentin!Meine Herren! Meine Damen! Wie die Debatte bishergezeigt hat, ist das Thema Zahlungsmoral, insbesondereim Baubereich, ein mittelstandspolitischer Dauerbren-ner. Alle bisherigen Redner sind sich offenbar in einemPunkt einig: Gesetzgeberische Lösungen zur Ent-schärfung der Situation sind gefordert. Was aber aufder einen Seite der Dauerbrenner ist, ist auf der anderenSeite gleichermaßen ein heißes Eisen. Wie soll, wiekann für das erkannte Problem seitens des GesetzgebersAbhilfe geschaffen werden, ohne die Vertragsparteienunnütz zu reglementieren, ohne den Interessenausgleichzu gefährden, ohne die Grundsätze der Ordnungspolitikzu verlassen, gleichwohl aber einen Handlungsauftragzur Verbesserung der Situation zu erfüllen?Sowohl Ordnungspolitiker als auch Juristen meldenin der Diskussion dieses Themas immer wieder Beden-ken an, hinterfragen die Ursachen der sogenanntenschlechten Zahlungsmoral und stellen die Frage, ob dievorhandenen rechtlichen Mechanismen bei entsprechen-der Anwendung nicht vielleicht ausreichend seien. Dierechtlichen und wirtschaftspolitischen Bedenken, diesich bei vielen dazu einstellen, sind ja teilweise auchnachvollziehbar. Aber dies darf uns nicht davon abhal-ten, im Interesse der mittelständischen Bauwirtschaftkonsequent nach Lösungsansätzen zur Verbesserung derSituation zu suchen.
Die existentiellen Nöte vieler mittelständischer Bau-betriebe, die – von der schwierigen Marktlage einmalabgesehen – durch Forderungsaußenstände und Forde-rungsausfälle in die Insolvenz geraten – wodurch nichtnur der Betrieb, sondern auch die von ihm geschaffenenArbeitsplätze verlorengehen –, sind nicht länger hinzu-nehmen. Während von der rotgrünen Bundesregierungdazu noch gar nichts auf den Weg gebracht wurde,F.D.P. und PDS lediglich Anträge mit diversen Forde-rungen eingebracht haben, legen wir einen vollständigenGesetzesentwurf vor.Warum sind auch wir von der CDU/CSU-Fraktionder Auffassung, daß der Gesetzgeber Maßnahmen zurBekämpfung der schlechten Zahlungsmoral treffenmuß? Meine Herren, meine Damen, Politik, so heißt es,beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit, und diesieht nach Angaben des Zentralverbandes des Deut-schen Baugewerbes so aus, daß nahezu jedes zweiteUnternehmen von überobligationsmäßigen Zahlungsver-zögerungen nachhaltig betroffen ist. Über 50 Prozent derUnternehmen warten nach Fertigstellung, Abnahme undSchlußrechnung mindestens drei Monate, ein weiteresknappes Drittel wartet bis zu acht Monaten, und 6 Pro-zent warten noch länger auf die ihnen zustehendenZahlungen. Die Höhe der Außenstände liegt bei denUnternehmen mittlerweile im Schnitt bei 15 bis 16 Pro-zent der Jahresgesamtleistung. Für diejenigen, die im-mer vermuten, das sei nur ein Spezifikum der neuenLänder, darf ich einmal Zahlen aus den alten Ländernnennen. Nach Angaben des ZDB beklagt sich dort fastjeder fünfte Handwerksbetrieb über stark verspätete odergar nicht eingegangene Zahlungen, und nach einer Un-tersuchung der Vereine Creditreform aus dem Frühjahr1996 mußten 26,2 Prozent der westdeutschen Hand-werksbetriebe Forderungsverluste von mehr als 1 Pro-zent ihres Umsatzes hinnehmen; in den neuen Ländernwaren es sogar 42 Prozent der Befragten. Daß sich hier-aus nicht nur Liquiditätsprobleme ergeben, sondern oft-mals auch Insolvenz die Folge ist, muß wohl kaum mehrim einzelnen dargelegt werden. Das ist heute ja auchvon allen betont worden.Die Gründe für verspätete Zahlung bzw. Nichtzah-lung, so der Zentralverband, liegen interessanterweisenicht in der mangelnden Liquidität oder mangelndenZahlungsfähigkeit des Schuldners. Vielmehr ist fest-stellbar, daß Schuldner ohne jegliche Liquiditätsproble-me im Kreis der Nichtzahler häufiger vertreten sind alsandere.Die Ursachenforschung dazu ist vielschichtig. Aberwird dieses Verhalten nicht gerade auch durch das be-stehende BGB-Werkvertragsrecht begünstigt? Diesesgeht grundsätzlich von einer Vorleistungspflicht desWerkunternehmers aus und begründet die Fälligkeit desWerklohns erst mit der Abnahme des Werkes. Nach derVOB kommt noch die prüffähige Schlußrechnung alsFälligkeitsvoraussetzung hinzu.Dies, gekoppelt mit der rechtlichen Folge, daß dieverbauten Materialien kraft Gesetzes in das Eigentumdes Grundstückseigentümers übergehen, führt insgesamtzu einer Belastung des Unternehmers mit dem vol-len Risiko der Liquidität und Insolvenz seines Auftrag-gebers sowie insbesondere von dessen Zahlungsverhal-ten.Es zeigt sich immer mehr, daß – wie übrigens auch inder juristischen Fachliteratur unbestritten – das BGB-Werkvertragsrecht in keiner Weise auf die spezifischenBedürfnisse und Besonderheiten des Baugeschehens zu-geschnitten ist. Dies ist ja auch mit ein Grund dafür, daßes überhaupt die Verdingungsordnung für das Bauwesengibt.Jelena Hoffmann
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Auch wollte der Gesetzgeber bereits im Jahre 1909mit dem Gesetz zur Sicherung der Bauforderungenzusätzliche Mechanismen zur Sicherung von Bauforde-rungen schaffen, die dann aber nicht vollständig umge-setzt wurden, weil die zur grundbuchlichen Sicherungerforderlichen Durchführungsverordnungen nicht erlas-sen wurden. Das GSB wird heute als „vergessene An-spruchsgrundlage“ bezeichnet, macht aber deutlich, daßschon damals Schwächen des bestehenden Rechts zurSicherung von Bauforderungen erkannt wurden.Immer wieder hat sich die CDU/CSU-Fraktion mitdiesem Thema befaßt und unter anderem mit der Schaf-fung des § 648a BGB, der Zwangsvollstreckungsnovel-le, der Vergaberechtsänderung und anderem mehr dieProblematik mit positiven Ansätzen, wie ich sie soebennannte, entschärft. Gleichwohl höre und lese ich tagtäg-lich nach wie vor Klagen der betroffenen Unternehmen,die auf Grund der Zahlungsverschleppungen und Zah-lungsausfälle in ernste Liquiditätskrisen kommen.Wieder ein Zeitungsartikel, der noch keine drei Wo-chen alt ist und der berichtet, daß die Handwerkskam-mer Potsdam wieder einmal beklagt: Zahlungsverzöge-rungen sind an der Tagesordnung, die laxe Zahlungs-weise ist zur Normalität geworden, moralische Skrupelhat keiner mehr.Daß die Bekämpfung des Zahlungsverzuges im übri-gen auch europaweit als notwendig angesehen wird,zeigt der entsprechende Vorschlag der EuropäischenKommission für eine Richtlinie des Europäischen Ra-tes zur Bekämpfung der Zahlungsmoral im Handelsver-kehr.Angesichts des nach wie vor bestehenden Hand-lungsbedarfs haben wir speziell für den als besondersregelungsbedürftig erkannten Bereich des Bauvertrags-rechts eine konkrete Lösungsmöglichkeit mit dem Ihnenvorliegenden Gesetzentwurf aufgezeigt, der für die wei-teren Beratungen, wie ich meine, eine gute Diskussions-grundlage ist.Aber auch die anderen heute zur Diskussion anste-henden Anträge von F.D.P. und PDS zeigen zumindest,wie sehr offenbar auch andere Parlamentarier in anderenParteien von den Mittelständlern auf die bestehendenProbleme aufmerksam gemacht worden sind.Allerdings fällt beim Antrag der PDS schon auf: Diesist mehr eine wilde Mixtur, die eine Unzahl verschiede-ner Fristen für Erkenntnis-, Mahn- und Vollstreckungs-verfahren enthält. Bemerkenswert ist, daß nach Ansichtder PDS die Finanzämter und Sozialkassen zu Inkasso-stellen der Unternehmen werden sollen, da nach demWillen der PDS die Unternehmen fällige Steuer- oderSozialabgabenzahlungen dadurch erfüllen können, daßsie vollstreckbare Titel gegen Dritte an das Finanzamtabtreten. Dagegen ist ja primär nicht unbedingt etwaseinzuwenden, aber Sie wollen das offenbar mit der Fol-ge, daß das Ausfallrisiko für diese Forderungen vomStaat und damit vom Steuerzahler getragen wird. Einesdürfte doch auch Ihnen klar sein: Wir wollen praktikableund sinnvolle Regelungen zur Verbesserung der Zah-lungsmoral. Das kann aber nicht dazu führen, daß derwirtschaftliche Forderungsausfall letztendlich vom Staatund damit vom Steuerzahler zu zahlen ist. Das sindvielleicht Vorschläge aus Zeiten der Planwirtschaft, aberdie ist vorbei.Des weiteren will auch die PDS unter anderem denAnspruch auf Sicherheitsleistung bei Baumaßnahmennach § 648 a auf private Häuslebauer ausdehnen. Hierwird der Gedanke des Verbraucherschutzes nicht geradegepflegt, denn indirekt werden damit die Baukosten fürdas Eigenheim verteuert. Zudem wird verkannt, daß dertypische Bauauftrag für ein Familieneigenheim in derRegel bankfinanziert und damit so gesichert ist, daß dortkein Regelungsbedarf besteht.
Wenn man sich nun mit dem Antrag der F.D.P. be-schäftigt, wird man feststellen, daß er in vielen Punktenähnliche Ziele verfolgt wie unser Gesetzentwurf. Im üb-rigen wiederholen sich darin aber auch Forderungen, diein einem gemeinsamen Antrag mit der CDU/CSU-Fraktion im vergangenen Jahr bereits beschlossen wur-den.Die Forderung der F.D.P., darüber hinaus unter ande-rem für Schuldbeträge unter 30 000 Euro ein verein-fachtes Gerichtsverfahren durchzuführen, das bei un-strittiger Forderung innerhalb von 60 Tagen zu einemunanfechtbaren Vollstreckungstitel führt, entspricht jaden Vorschlägen der Europäischen Kommission zur Be-kämpfung des Zahlungsverzuges. Da haben Sie dannschon ein bißchen nachgesehen.Für das problemlos durchlaufende Mahnverfahren istdas sicherlich eine interessante und wünschenswerte Re-gelung. Was aber ist mit strittigen Forderungen? Nach Ih-ren Vorgaben sollen diese Verfahren in 90 Tagen erledigtwerden; Sie setzen also eine Frist von 90 Tagen.Ich frage mich zum einen, welche Konsequenzendenn nach Ihrer Ansicht gezogen werden müssen, wenndie Frist überschritten wird. Handelt es sich dann um ei-nen Staatshaftungsfall, oder wie ist dies zu regeln?Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie dieses verein-fachte Verfahren bei strittigen Forderungen aussehensoll? Soll zur Einhaltung der Frist auf die Beweisauf-nahme verzichtet oder der Anwaltszwang beseitigt wer-den? Auch dazu schweigen Sie. Ich hielte beides für be-denklich und kontraproduktiv.Gerade in einem streitigen Bauprozeß ist es doch lei-der oftmals notwendig, daß es zu einer Beweisaufnahmeund zur Einschaltung von Sachverständigen kommt. DieVerfahrensdauer ist in diesen Fällen aber meist nichtmehr vorhersehbar. Wie kann dann eine Frist von90 Tagen eingehalten werden? Was ist die Folge, wenndie Frist nicht eingehalten wird?Das Ziel einer Verfahrensbeschleunigung ist klar;dies ist auch sinnvoll. Wir dürfen aber die Judikativenicht so beschneiden, daß keine ordentlichen Urteilemehr zu erwarten sind. Dies nämlich hätte den gegentei-ligen Effekt.
– Es wird eine Zwischenfrage gewünscht?Andrea Voßhoff
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2930 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 36. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. April 1999
(C)
Bitte.
Frau Kollegin, teilen Sie mit
mir die Auffassung, daß es zweckmäßig wäre, die Justiz
personell und sachlich so auszustatten, daß sie in der
Lage ist, Bauprozesse zügig durchzuführen?
Selbstverständlich,
das ist auch unser Wunsch. Wie aber können Sie trotz
guter Ausstattung der Justiz sicherstellen, daß binnen
einer bestimmten Frist das Verfahren komplett, ein-
schließlich Beweisaufnahme und Sachverständigengut-
achten, abgeschlossen werden kann? Diese Frage bleibt.
– Auch ich kann das feststellen, gar keine Frage. Das ist
aber hier nicht das alleinige Problem.
Der gegenteilige Effekt wäre: Die Zahl der Berufun-
gen oder Revisionen würde sprunghaft ansteigen. Die
Gerichte würden stärker denn je belastet. Zudem hätte
dies für die Verfahrensbeteiligten das Risiko höherer
Anwalts- und Prozeßkosten zur Folge.
Folgte man dem F.D.P.-Antrag in einem weiteren
Punkt und würde man zur Verbesserung der Position des
Bauunternehmers in dem Verfahren auch noch eine
erleichterte Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitslei-
stung „zum Schutz der Gläubigerrechte“ Vorschriften
fordern, stellte sich natürlich die Frage, ob dieser Inter-
essenausgleich nicht zu sehr zu Lasten der Schuldner
geht. Es ist heute schon einmal gesagt worden: Der
Gläubiger auf der einen Seite ist oftmals der Schuldner
auf der anderen Seite.
Ich komme zum Schluß: In Anbetracht der Fülle von
Ideen und Vorschlägen, die heute geäußert wurden, den-
ke ich, daß wir in den beteiligten Ausschüssen eine rege
Diskussion führen werden. Diese wird uns dann hof-
fentlich zu dem Ziel führen, endlich etwas für die mittel-
ständische Bauwirtschaft zu tun.
Sie braucht schnelle und vor allen Dingen praktikable
Lösungen. Wir bieten mit diesem Gesetzentwurf eine
gute Grundlage dafür an. Ich hoffe, verehrte Kollegin-
nen und Kollegen von der Regierungskoalition, daß Sie
die diesmal gemeinsam mit uns erarbeiten und daß es
nicht ein ähnliches Fiasko gibt wie bei den 630-Mark-
Jobs und den Regelungen zur Scheinselbständigkeit. Auf
weitere Geschenke dieser Art können die Betriebe und
Firmen nämlich verzichten.
Vielen Dank.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dirk Manzewski.
Frau Präsidentin! Sehr ge-ehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei dem hier zu disku-tierenden Gesetzentwurf der CDU/CSU – auf diesenmöchte ich besonders eingehen – geht es um die Verbes-serung der Durchsetzung von Forderungen der Bau-handwerker. Das dem Gesetzentwurf zugrunde liegendeProblem ist bekannt und hat insbesondere in den neuenBundesländern – darauf hat der Kollege Luther zu Rechthingewiesen – zum Teil zu dramatischen Entwicklungenin der Bauwirtschaft geführt. Insoweit wird die Intentiondes Gesetzentwurfs vom Grundsatz her völlig geteilt.Nicht nur, daß Handwerkern und mittelständischenBauunternehmern in den letzten Jahren mehrere Milliar-den Mark durch uneinbringliche Forderungen verloren-gingen. Auch die Zeiträume, innerhalb derer heutzutagefällige Forderungen üblicherweise beglichen werden,werden zunehmend länger. Gerade kleinere und mittlereUnternehmen kommen hierdurch oft in erhebliche Be-drängnis, weil sie eben nicht über eine hinreichende Ka-pitaldecke verfügen. Es besteht also eindeutig Rege-lungsbedarf. Ich persönlich sehe in den Entwürfen vonCDU/CSU und F.D.P. viele richtige Ansätze.Unabhängig davon, daß wir bei allem stets die Aus-gewogenheit der Rechte von Bestellern und Unterneh-mern im Auge behalten müssen, halte ich den Gesetz-entwurf der CDU/CSU zur Regelung der Problematikfür nicht umfassend genug und in Teilbereichen fürnicht effektiv.Der Kollege Luther – leider ist er nicht mehr da – hatvorhin bemängelt, daß wir nicht konkreter werden. Ichmöchte das an dieser Stelle machen und einige Beden-ken äußern.Es ist für mich nicht ersichtlich – die Kollegin Hoff-mann hat bereits darauf hingewiesen –, warum Sie mitIhrem Gesetzentwurf allein die Stellung der Bauhand-werker verbessern wollen und sich Ihr Antrag nicht aufdas gesamte Werkvertragsrecht erstreckt, da sich dasProblem der mangelnden Zahlungsmoral nicht nur imBaubereich wiederfinden läßt.Soweit die Integration des Gesetzes zur Sicherungvon Bauforderungen, kurz GSB genannt, in das BGBbeabsichtigt ist, glaube ich kaum, daß dies zur schnelle-ren Begleichung und Durchsetzung von Forderungennennenswert beitragen kann. Nach meiner Auffassunghat das GSB nur deshalb eine geringe Bedeutung er-langt, weil es eben nicht zu einer beschleunigten Zah-lung des Werklohns führt. Das GSB verpflichtet nämlichlediglich dazu, eingehende Baugelder und ihre Verwen-dung in Baubüchern festzuhalten. Aber in ihm wirdüberhaupt nichts darüber ausgesagt – dies ist doch derentscheidende Punkt, über den wir heute diskutieren –,ob und aus welchen Gründen Baugelder zurückgehaltenwerden können.Das gleiche gilt für die begehrte richterliche Vorab-verfügung. Dieses Instrument würde nur dann zu einerbeschleunigten Zahlung beitragen können, wenn die Ge-richte von dieser Möglichkeit auch Gebrauch machenwürden. Dies ist jedoch mehr als zweifelhaft, insbeson-dere deshalb, weil der Vorschlag überhaupt keine Krite-rien dafür enthält, wann diese Verfügung erlassen wer-
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den soll. Es ist deshalb zu erwarten, daß die Gerichtevon dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen wer-den, um sich nicht dem Vorwurf der Willkür auszuset-zen und um nicht den eigentlichen Bauprozeß zu er-schweren. Ich als Richter am Landgericht a.D. hätte je-denfalls in der Praxis damit erhebliche Probleme.Ich stimme mit Ihnen aber darin überein, daß einwesentliches Problem sicherlich darin zu sehen ist, daßfällige Zahlungen oft unter Berufung auf angeblicheMängel zurückgehalten werden, die dann erst in einerumfangreichen Beweisaufnahme aufgeklärt werdenmüssen. Auch wenn die Abnahme nur wegen gering-fügiger Mängel verweigert wird, hat dies nach derbisherigen Rechtslage zur Folge, daß der gesamteWerklohn nicht fällig wird und auch die Verzugsfolgennicht eintreten.Es stellt sich daher durchaus die Frage, ob solcheMängel zum Anlaß genommen werden dürfen, gleichden Eintritt der Fälligkeit der Vergütung insgesamt zuverhindern, oder aber, ob der Besteller die Abnahme er-brachter Werkleistungen dann nicht mehr verweigerndarf, wenn nur noch geringfügige oder die Gebrauchs-tauglichkeit nicht beeinträchtigende Mängel vorliegen.Wichtiger wäre aber nach meiner Auffassung die Prü-fung, ob dem Unternehmer nicht die Möglichkeit eröff-net werden kann, die Fälligkeit des Werklohns schnellerund effizienter herbeizuführen und hierbei die bereitsbestehenden Verfahren zur beschleunigten Durchset-zung von Forderungen zu nutzen.Hier möchte ich Ihnen eine Idee vortragen, über diewir in der Zukunft diskutieren können. Eines der Kern-probleme des Werkvertrags besteht doch in dem Phä-nomen des sogenannten Justizkredits, das heißt, in demVerhalten des Bestellers, unter Berufung auf angeblicheMängel die Abnahme und die Werklohnzahlung zu ver-weigern und es auf ein langwieriges Gerichtsverfahrenankommen zu lassen, um so die Zahlung unter Zuhilfe-nahme der prozessualen Möglichkeiten so lange hinaus-zuzögern, bis sich das Unternehmen auf zum Teil ver-lustbringende Abzüge einläßt, weil es den Zeitraum biszum Eingang der Zahlung nicht mehr überbrücken kann.Es wäre in solchen Fällen daran zu denken – das istmeine Idee –, die Vergütung für erbrachte mängelfreieWerkleistungen bereits dann fällig werden zu lassen,wenn dem Unternehmer unter Vorlage eines schriftlichenVertrages von einer unabhängigen Stelle bescheinigt wer-den würde, die versprochene Werkleistung oder in sichabgeschlossene Teile hiervon mangelfrei erbracht bzw.nach ihrer Überprüfung etwa vorhandene Mängel besei-tigt zu haben. Die Bescheinigung könnte sodann im Rah-men des zügigeren Urkundenprozesses eingebracht undüber den Anspruch dementsprechend durch sogenanntesVorbehaltsurteil schneller entschieden werden. Der Be-steller wäre dabei nicht schlechtergestellt, da er seineRechte im Nachverfahren wahrnehmen könnte und dannvon vornherein wüßte, daß er mit der Berufung auf nichtvorhandene Mängel ein hohes Risiko eingehen würde.Ich würde es auch für wirkungsvoll halten, eine § 16Abs. 1 VOB/B entsprechende Regelung in das BGB ein-zuführen. Nach geltendem Recht der BGB-Werkver-träge ist der Unternehmer zur Zeit verpflichtet, die vonihm zu erbringende Werkleistung vollständig vorzufi-nanzieren. Seine Vergütung wird erst dann fällig, wenner seinerseits vollständig geleistet hat. Dies ist unter denheutigen wirtschaftlichen Gegebenheiten kaum mehrzumutbar. Der Besteller von Werkleistungen könnte da-her verpflichtet werden, für abgeschlossene Teile derLeistung Abschläge zu zahlen. In der Praxis wird dies invielen Fällen ohnehin schon individuell vereinbart.Kollege Funke, mir geht es nur darum, dies vielleichtauch gesetzlich zu verankern.Da Kritik allein einen bekanntlich nicht weiterbringt,werden die Koalitionsfraktionen unverzüglich eineneigenen Gesetzentwurf einbringen, über den noch vorder Sommerpause eine erste Lesung stattfinden sollte.
– Dann sind wir uns ja einig. – Die Diskussion solltedann zwingend im Zusammenhang mit einer Anhörungim Rechtsausschuß erfolgen, da nach meiner Auffassungnoch eine Reihe von Fragen bezüglich dieser Thematikzu klären sind. Ich hoffe, daß Sie uns auf diesem Wegkonstruktiv begleiten werden.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Der Abgeord-nete Peter Friedrich von der SPD hat darum gebeten, ausKrankheitsgründen seine Rede zu Protokoll geben zudürfen.*) Wir entsprechen seiner Bitte und wünschenihm gute Besserung.Ich schließe damit die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 14/673 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esdazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.Dann ist die Überweisung so beschlossen.Wir kommen zu den Anträgen der Fraktion der F.D.P.auf Drucksache 14/567 sowie der Fraktion der PDS aufDrucksache 14/799. Interfraktionell wird Überweisung andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-schlagen. Die Federführung soll beim Rechtsausschuß lie-gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dannsind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14a bis 14c auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Chri-stine Ostrowski, Gerhard Jüttemann, Dr. EvelynKenzler, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion derPDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnderung des Gesetzes zur Regelung derMiethöhe– Drucksache 14/461 –Überweisungsvorschlag:
Dirk Manzewski
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b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Chri-stine Ostrowski, Dr. Christa Luft, Gerhard Jüt-temann, weiteren Abgeordneten und der Fraktionder PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Aufhebung des Altschuldenhilfe-Gesetzes
– Drucksache 14/568 –Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen(federführend)FinanzausschußAusschuß für Angelegenheiten der neuen LänderHaushaltsausschuß c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christi-ne Ostrowski, Dr. Ilja Seifert, Dr. Winfried Wolfund der Fraktion der PDSNovellierung des Eigenheimzulagengesetzes– Drucksache 14/471 –Überweisungsvorschlag:
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Kollegin
Ostrowski, ich hatte die Rednerin eben so verstanden,
daß überhaupt keine Zwischenfragen mehr zugelassen
werden. Oder sind Sie jetzt anderer Meinung, Frau
Lucyga?
Ich möchte keineZwischenfragen zulassen.
Zu hinterfragen wäre auch, inwieweit eine verstärkteBestandsförderung in der von der PDS vorgeschlagenenForm zu stark zu Lasten des Neubaus gehen würde.Damit keine Mißverständnisse aufkommen: Auch wirgeben der Bestandserneuerung einen hohen Stellen-wert; so ist es auch im Koalitionsvertrag niedergelegt.Aber wir werden andere Wege gehen, zum Beispiel den,das Zusammenwirken der Förderinstrumente effizienterzu gestalten und bestimmte Fördernotwendigkeiten neuzu definieren.Bei der weiteren Behandlung des Antrages unter Fe-derführung des Finanzauschusses wird alles Notwendigedazu gesagt werden.Schließlich steht ein Antrag der PDS zur Regelungder Miethöhe auf der Tagesordnung, in dem verlangtwird, die in § 12 Abs. 7 des Miethöhegesetzes vorgese-hene Befristung für die Mietspiegel Ost bis zum 30. Juni1999 aufzuheben. Diese Befristung war eine Über-gangsvorschrift, die für die Aufstellung der ersten ost-deutschen Mietspiegel zur Überleitung der Mieten inden neuen Bundesländern ins Vergleichsmietensystemgeschaffen wurde. Damit wurde der Anteil des aus demMietenüberleitungsgesetz stammenden preisgebundenenWohnungsbestandes berücksichtigt, der laut Miethöhe-gesetz ansonsten nicht in den Mietspiegel gehört hätte.Inzwischen hat sich die Mietensituation in den neuenBundesländern aber deutlich verändert. Wir alle wissen,eines der gravierendsten Probleme ist mittlerweile fürzahlreiche Wohnungsunternehmen der hohe Leerstand.Diese Leerstände werden zum Problem. Das alles hatdazu geführt, daß es im Mietenniveau keine nennens-werten Bewegungen mehr gibt.
Nach Angabe der großen kommunalen Wohnungs-unternehmen ist seit dem 1. Januar 1998 in den neuenBundesländern von Mieterhöhungen kaum Gebrauchgemacht worden,
Dr. Christine Lucyga
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da Leerstände von 3 bis 5 Prozent die Wohnungsunter-nehmen geradezu zwingen, die Wohnungen günstigeranzubieten.
– Lesen Sie einmal die Statistiken nach!
– Vergleichen Sie einmal die Mietspiegel und sehen Siesich bitte einmal an, was dazu auf kommunaler Ebenegesagt wird. Ich denke, das schafft für uns Handlungs-bedarf an ganz anderer Stelle.
Wenn also die PDS in ihrem Gesetzentwurf von einerVerlängerung der Geltungsfrist für die ersten ostdeut-schen Mietspiegel eine mietpreisdämpfende Wirkungerwartet, dann widerspricht das der gegenwärtigen Si-tuation. Nach Ihrer Logik müßten Sie jetzt eigentlicheinen neuen Mietspiegel fordern, um die günstigeMarktlage zu nutzen.Die Arbeit an den zweiten Mietspiegeln in mehrerenostdeutschen Kommunen, die wiederum unter Beteili-gung von Mieter- und Vermieterverbänden erstellt wer-den, deutet darauf hin, daß aufgrund der Marktverhält-nisse keine Korrekturen nach oben zu befürchten sind.
Deshalb könnte eine Aktualisierung des Mietspiegelswohl nicht schaden.Mit einer Verlängerung der zeitlichen Befristung derersten ostdeutschen Mietspiegel über den 30. Juni 1999hinaus wäre außer einer kurzen zeitlichen Verschiebungnichts gewonnen;
denn eine unbegrenzte Geltungsdauer für Mietspiegelsieht das Miethöhegesetz, und zwar aus gutem Grund,nicht vor.Anstatt weiterhin an Sonderregelungen für die neuenLänder festzuhalten, die im Kern nicht mehr ihrenZweck erfüllen, sollten wir daran arbeiten, daß dasThema Miethöhe und Mietspiegel in dem noch in die-sem Jahr aus dem Bundesjustizministerium zu erwarten-den Gesetzentwurf zur Neuregelung des Mietrechts insachgerechter Form vorkommt und daß darin eine Lö-sung der Probleme gefunden wird.Abschließend möchte ich Ihnen, Frau Ostrowski, fol-gendes sagen: Ich weiß, daß im Mai in Rostock-Warnemünde der Deutsche Mietertag stattfindet und daßsolche Anträge natürlich immer einen guten Eindruckmachen. Nur, Ihr Antrag liegt in der Sache völlig dane-ben.
Das wollte ich hier noch einmal deutlich gesagt haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Fraktion der
CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Diet-
mar Kansy.
Frau Präsi-dentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnenund Kollegen, wie auch die bisherige Debatte gezeigthat, gibt es außerhalb der PDS erfreulicherweise nie-manden – weder bei den hier vertretenen Fraktionennoch in der Wohnungswirtschaft –, der den positivenund unverzichtbaren Beitrag des AHG vom Juni 1993für die marktwirtschaftliche und sozialgerechte Umge-staltung des Wohnungswesens in den neuen Bundeslän-dern in Zweifel gezogen hat.
– Angesichts der fortgeschrittenen Zeit möchte ich esIhnen ersparen, Ihr begrenztes Erinnerungsvermögenauszugleichen und Sie daran zu erinnern, wie dieseStädte und Dörfer – mit Ausnahme von Wandlitz – nochvor zehn Jahren ausgesehen haben. Ihr Auftreten hier istschlicht arrogant.
Das Gesetz hat den Weg freigemacht zur Bewälti-gung einer großen Modernisierungsaufgabe und zurStärkung der privaten Wohnungseigentumsbildung. Zu-gegebenermaßen ist man damals davon ausgegangen,daß die Mieter in wesentlich stärkerem Umfang, als esnachher tatsächlich geschehen ist, Wohneigentum bildenwürden.Bereits die alte Bundesregierung hat 1996 mit einerdeutlichen Abflachung der Erlösabführungsquote dieVoraussetzungen dafür geschaffen, daß die Privatisie-rungsziele bis zum Jahre 2003 erfüllt werden können.Herr Kollege Grossmann, heute Staatssekretär, wie invielen Bereichen der Wohnungsbaupolitik scheint heuteaus dem rotgrünen Lager keine wesentliche Änderungdieser Politik mehr ersichtlich zu sein. Ich erinnere michnoch an Forderungen wie die nach Linearisierung derErlösabführung, nach genereller Befreiung der Woh-nungsgenossenschaften, nach Streckung des Gesetzesum drei Jahre und vieles andere. Ich mache Ihnen dasnicht zum Vorwurf. Nur, wenn hier gesagt wird, Siehätten noch vor wenigen Monaten anders als heute gere-det, dann ist das leider wahr.Die Umsetzung des PDS-Antrags würde saldiertmilliardenschwere Folgen für die öffentlichen Kassenbedeuten. Zu diesen Problemen kämen noch Problemebei einigen Kreditinstituten hinzu. Aber wir wissen ausentsprechenden Anträgen der letzten Wochen und Mo-nate, daß das für die PDS wohl keine wesentliche Rollespielt.Dr. Christine Lucyga
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Ich möchte noch eine Anmerkung zum aktuellenKonzept der Bundesregierung, soweit erkennbar – ichdenke an die Beschlüsse des Lenkungsausschusses vonEnde März –, machen. Im Grundsatz finde ich es begrü-ßenswert, daß die Linie, die die alte Koalition einge-schlagen hatte, im wesentlichen fortgeführt wird. DerGrundsatz ist richtig, jenseits von ständigen gesetzlichenÄnderungen einen Weg zu suchen – sei es über dieKfW, den Lenkungsausschuß usw. –, den Vollzug diesesGesetzes an die erforderlichen Änderungen, die sich ausder Verwaltungspraxis ergeben, anzupassen.In der jetzt vorliegenden Antwort der Bundesregie-rung auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion zu denBeschlüssen von April 1998 sehe ich Ansatzpunkte, inder bewährten Art und Weise fortzufahren. Wir bietenjedenfalls auch aus der Opposition heraus unsere Mitar-beit an.Wir möchten aber eines klar sagen: Wir erteilen wei-terhin allen Bestrebungen eine Absage, das AHG in sei-nen Kernpunkten auszuhebeln, nach dem Motto: DieEhrlichen, also die Unternehmen, die die Privatisie-rungsauflagen bereits umgesetzt haben, sind die Dum-men. Das kann nicht das Ergebnis sein.
Auch der PDS-Vorschlag, mit einer Änderung desMiethöhegesetzes ostdeutsche Sonderrechte bei der Auf-stellung von Mietspiegeln auf Dauer beizubehalten, hatwohl weniger – die Kollegin Lucyga sagte es schon –mit der Mietenentwicklung in den neuen Ländern zu tunals mit einer alten, verfehlten und übrigens gescheitertenVorstellung von Wohnungspolitik.Worum geht es? Nach dem Miethöhegesetz bleibenbei der Aufstellung von Mietspiegeln Mieten, die aufGrund gesetzlicher Bestimmungen an Höchstbeträgegebunden sind, außer Betracht. Diese Bestimmung galtund gilt nicht für die neuen Länder, um deren Über-gang in das Vergleichsmietensystem abzufedern. Miet-spiegel, die erst nach dem 30. Juni dieses Jahres in Krafttreten, sollten dann dieser Sonderregelung nicht mehrbedürfen.Obwohl seit dem 1. Januar 1998 die Vergleichsmietebekanntlich auch in den neuen Ländern gilt, sind dieMieten in den neuen Bundesländern 1998 im Schnitt nurum 1,4 Prozent gestiegen, und zwar sowohl bei Alt- wieauch bei Neubauwohnungen. Jegliche Befürchtung vondamals, diesen Schritt der Angleichung und der markt-wirtschaftlichen Normalisierung zu gehen, hat sich alsPanikmache erwiesen. Auch deswegen ist der PDS-Antrag im Grunde Schnee von gestern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Kansy,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Ostrowski?
Das tue ich
gern, auch wenn wir damit die Debatte unnötig verlän-
gern. Bitte schön, Frau Kollegin.
Es ist charmant, Herr
Dr. Kansy, und ich bedanke mich, daß Sie mir die Frage
gestatten.
Sie sagten richtigerweise, daß die Mieten im Durch-
schnitt – wir wissen, was Durchschnitt hier bedeutet – um
1,4 Prozent gestiegen sind. Geben Sie mir recht, daß diese
Steigerung von 1,4 Prozent über dem Anstieg der Lebens-
haltungskosten liegt? Geben Sie mir auch recht, daß die
durchschnittlichen Einkommen in Ostdeutschland noch
deutlich unter den westdeutschen Einkommen liegen?
Zunächst einmalsteigen auch die Lebenshaltungskosten zur Zeit etwa um1,4 Prozent. Wir können feststellen, daß die Steigerungsratefür Mieten in den letzten fünf Jahren Jahr für Jahr vonehemals 5 Prozent – das betrifft jetzt nicht nur die neuenBundesländer – auf rund 1,0 Prozent – das ist die derzeitigeMietsteigerungsrate – zurückgegangen ist und daß das nichtauf den Erfolg irgendeiner bürokratischen Regelung, son-dern auf eine angebotsorientierte, sozial flankierte Woh-nungspolitik zurückzuführen ist.
Es gilt nach wie vor: Der beste Mieterschutz ist danngegeben, wenn die Rahmenbedingungen dafür sorgen,daß Wohnungen gebaut werden. Davon lebt im Grundegenommen auch die derzeitige Regierung.Die restlichen Fragen besprechen wir nachher, damitdie Kollegen nicht warten müssen.Ich wollte eben auf die dritte Initiative zu sprechenkommen. Der Finanzierungsansatz hat doch Ähnlich-keiten mit dem Vorschlag, der zur Zeit aus dem grünenund auch aus dem sozialdemokratischen Lager zu hörenist, nämlich Einkommensgrenzen als Voraussetzung fürdie Inanspruchnahme der Eigenheimzulage abzusenken.Die 1995 übrigens auch mit den Stimmen der Sozial-demokraten, wie zu Recht gesagt wurde, vom Bundestagbeschlossenen Einkommensgrenzen lagen damals bei120 000 DM für Ledige bzw. 240 000 DM für Verhei-ratete und liegen auch heute trotz der zwischenzeitlicheingetretenen Preis- und Mietentwicklung noch auf die-sem Niveau. Die PDS will jetzt eine Absenkung auf80 000 bzw. 160 000 DM. Aber wenn ich Ihre Äuße-rung, Frau Eichstädt-Bohlig, gleich mitbewerten darf,tendieren Sie ebenfalls dazu, diese Einkommensgrenzenum ein Drittel abzusenken. Wenn ich die KolleginDr. Lucyga eben richtig verstanden habe, hat sie sichgeistig auch schon damit angefreundet, obwohl wir da-mals über die Parteigrenzen hinweg das Eigenheimzula-gengesetz, das Sie zu Recht als eines der besten Gesetzebewertet haben, das wir in der letzten Legislaturperiodegemacht haben, beschlossen haben.
Wir sollten nicht anfangen, durch eine Änderung derKonditionen eines der besten Gesetze – wenn auch vonder damaligen Koalition, aber immerhin mit Ihrer Zu-stimmung beschlossen –,
das in nie gekannter Weise den Eigenheimbau in diesemLande beflügelt hat, der heute beim Abbröckeln derDr.-Ing. Dietmar Kansy
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Baukonjunktur in anderen Bereichen die letzte Hoffnungmit Zuwachsraten von 15 Prozent ist, die Baukonjunkturund die Eigentumsbildung in den neuen Ländern zu ge-fährden. Das gilt auch für den Bestandserwerb. DerWegfall des Vorkostenabzugs, der im Rahmen des so-genannten Steuerentlastungsgesetzes beschlossen wurde,ist ein weiterer Schritt zur Demontage dieses damalseinvernehmlich beschlossenen Gesetzes.Ich hatte schon darauf verwiesen, daß es bei Einfa-milienhäusern eine Zuwachsrate von über 15 Prozentgab, während der Bau von Zweifamilienhäusern und vonMehrgeschoßwohnungen deutlich zurückging. Ich warnenur davor, diesen Weg zu gehen. Ein Bürger, eine Bür-gerin oder eine Familie, die Eigentum bilden will,
betrachten die Angebote des Gesetzgebers als ein Paket.Es hat sich gezeigt, daß wir mit den Rahmenbedingun-gen dieses Gesetzes genau das Richtige getroffen habenund daß es mit großen Schritten vorangeht.
Ich warne wirklich davor, auch im Zusammenhang mitnoch so begründeten Finanzierungslöchern an diesesGesetz heranzugehen.Meine Damen und Herren, die CDU/CSU hätte heutegerne mit Ihnen auch schon über Wohngeld diskutiert.Aber nachdem Sie sich bisher erfolgreich, notfalls mitGeschäftsordnungsanträgen, verweigern, über unsereAnträge abzustimmen, werden wir vielleicht im Juni da-zu Gelegenheit bekommen, so hoffen wir. Wir werdenSie – auch unsere Kollegin und Vizepräsidentin AnkeFuchs, die ja gleichzeitig Präsidentin des DeutschenMieterbundes ist – spätestens zu diesem Zeitpunkt fra-gen müssen, wie Sie diesen Spagat zwischen ursprüngli-chen Ankündigungen von Ihnen und dem, was Sie ma-chen, den Sie, Frau Eichstädt-Bohlig und die Koalitionin den letzten Monaten hier vollführt haben, aushaltenwollen: den Spagat zwischen einer rotgrünen Politik, diemit dem Steuerentlastungsgesetz den Mietwohnungsbaugefährden wird, und den Warnungen des Mieterbundesvor einer neuen Wohnungsnot; zwischen einer rotgrünenPolitik, die den sozialen Wohnungsbau stärken wollte,aber bereits heute um fast 20 Prozent gekürzt hat – undwenn das richtig ist, was jetzt über die Agenturenkommt, ist gestern in der Beratung des Haushaltsaus-schusses eine weitere Kürzung um 10 Prozent beschlos-sen worden –, und Ihren Warnungen vor einem Ende dersozialen Wohnungsbaupolitik; zwischen Ihren Zusagennoch wenige Tage vor der Wahl, unter Rotgrün werde eskeinen Verkauf der Eisenbahnerwohnungen geben, unddem, was Sie heute machen; zwischen der Ankündi-gung, sofort und als Chefsache das Wohngeld spätestenszum 1. Juli 1999 zu erhöhen, und dem bisherigen Nicht-handeln in dieser Frage;
letztendlich auch zwischen Ihrer Politik, die mit derÖkosteuerreform zum Preistreiber bei den Mietneben-kosten wird,
und den Ankündigungen der Mieterbundpräsidentin,man müsse endlich etwas gegen die Zweitmietenexplo-sion tun. Dies alles wird zu besprechen sein.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die FraktionBündnis 90/Die Grünen spricht jetzt unsere KolleginFranziska Eichstädt-Bohlig.
und Kollegen! Zunächst ein Kompliment für unsereKollegin Ostrowski und ihre wohnungspolitische Em-sigkeit. Ich denke, ein bißchen Antreiben schadet nichts.
Damit müssen wir uns auseinandersetzen.
Zum ersten zum Antrag auf Verlängerung der Gültig-keit der Mietspiegel Ost: Im Prinzip ist das Ziel unter-stützenswert. Es ist nur so, daß die Regierung der Mei-nung ist, daß die Panikmache nicht angebracht ist. Ichkann das selbst noch nicht überprüfen, aber das Justiz-ministerium sieht es so, daß die Mietspiegel bis zumAblauf der Zweijahresfrist, also bis 2000, durchaus ihreGültigkeit behalten. Von daher schlage ich einfach vor,daß das im Rahmen der Beratungen in den Ausschüssengeprüft wird und daß wir dann gemeinsam sehen, ob daHandlungsbedarf besteht oder nicht. Ich denke, wirsollten nicht jetzt große Auseinandersetzungen darüberführen, ob der Antrag berechtigt ist oder nicht.Zum zweiten zu Ihrem Antrag zum Eigenheimzu-lagengesetz: Richtig ist, daß wir als Grüne ganz beson-ders die Erneuerung von Bestandswohnungen, auch imEigentumsbereich, für unterstützenswert halten und daßdas Gesetz bestimmte Zweifelsfälle, in denen der Er-neuerungsbedarf sehr groß ist, nicht eindeutig regelt.Wir sollten im Ausschuß beraten, ob und wieweit esnotwendig ist, im Gesetz eine Präzisierung vorzunehmenbzw. wieweit das Problem im Gesetzesrahmen zu lösenist. Dabei spielt natürlich auch die Kostenfrage eineRolle.Mich hat an Ihrem Antrag, Frau Kollegin Ostrowski,stutzig gemacht, daß Sie jetzt einen Finanzierungsvor-schlag mit einem Geldvolumen machen, das Sie damit,nachdem Sie sich in der letzten Legislaturperiode unse-rem Anliegen angeschlossen hatten, zum zweitenmalverbraten. Das finde ich nicht ganz korrekt.Richtig ist, Herr Kollege Kansy – wir haben dasschon mehrfach gesagt, zumindest wir Grünen habendas hier immer wieder gefordert –, daß nicht das Eigen-Dr.-Ing. Dietmar Kansy
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heimzulagengesetz als solches in Frage gestellt wird,sehr wohl aber die luxuriöse Forderung von 240 000-DM-Haushalten. Das bedeutet, daß Abgeordnete oderStaatssekretäre im Laufe von acht Jahren eine Eigen-heimzulage von 68 000 DM bekommen. Da sollte sichdie öffentliche Hand einmal überlegen, wo die politi-schen Prioritäten liegen. Ich fände es auch gut, wenn dieCDU/CSU einmal anfangen würde, darüber nachzuden-ken,
insbesondere wenn auch Sie nicht wissen, wie man dasWohngeld sonst finanzieren soll. Von daher sagen wirganz klar, daß das Geld nicht weiter in der Eigenheim-zulage belassen, sondern für die Stärkung des Wohngel-des umgenutzt werden soll, was wir für dringend erfor-derlich halten. – Ich möchte jetzt nicht weiter daraufeingehen, weil ich hoffe, daß wir bald Gelegenheit ha-ben werden, über diesen Aspekt in einem anderen Zu-sammenhang hier ausführlich zu beraten.Lassen Sie mich auf einen weiteren vorliegenden Ge-setzentwurf eingehen, auf die Novellierung des Alt-schuldenhilfe-Gesetzes. Als erstes muß ich feststellen:Herr Kansy, was Sie gesagt haben, ist nicht ganz richtig.Unsere Fraktion hat einerseits immer sehr deutlich ge-sagt, daß sie das Altschuldenhilfe-Gesetz in seiner Ent-stehung und in seiner Begründung für falsch halte. Wirhaben andererseits in der letzten Legislaturperiode keineMöglichkeit zu einer Rückabwicklung gesehen – diesehen wir auch jetzt nicht –, wie sie die PDS gernemöchte.
Von daher haben wir nie entsprechende Anträge gestelltund halten dies sowohl aus finanziellen Gründen alsauch aus Gründen der Gerechtigkeit in bezug auf dieverschiedenen Unternehmen, die in den letzten Jahrendamit umgehen mußten, für falsch.Die Koalition hat sich ja dahin gehend verständigt,daß das Altschuldenhilfe-Gesetz novelliert werden soll.Wir werden dazu bald einen Entwurf vorlegen. Vorran-giges Ziel ist, daß die Unternehmen, die ihre Privatisie-rungsbemühungen objektiv nicht weiterführen können –das betrifft inzwischen eine ganze Reihe; wir alle ken-nen die strukturellen Probleme wie zum Beispiel hoheArbeitslosigkeit, hohen Leerstand und Bevölkerungs-rückgang; wir haben darüber schon in der letzten Legis-laturperiode ausführlich diskutiert –, schnell Klarheithinsichtlich ihres Geschäftsverhaltens bekommen undschnell entlastet werden können. Insofern ist es unserZiel, das Recht auf baldigen Abschluß des Verfahrenszeitlich vor den Stichtag im Jahre 2003 vorzuziehen, sowie es jetzt im Gesetz vorgesehen ist.Darüber hinaus werden wir sicher noch einmal prüfenmüssen, ob hinsichtlich der Kriterien, die in der letztenLegislaturperiode während Ihrer Regierung vom Len-kungsausschuß festgelegt wurden, Handlungsbedarf imgesetzgeberischen Bereich besteht oder ob das Beste-hende so ausreicht. Das sollte man ganz pragmatischentscheiden und daraus keine ideologische Debatte ma-chen.Weitere Probleme betreffen Aspekte, über die wir inder letzten Legislaturperiode zu wenig diskutiert haben.Das sind zum einen die inzwischen zunehmenden Pro-bleme mit Negativrestitutionen, das heißt mit der Ver-pflichtung zur Übernahme von sehr problematischenGebäuden und Grundstücken, und zum anderen die Pro-bleme mit dem strukturellen Leerstand. Hier werden undmüssen wir uns gemeinsam mit den Ländern und denKommunen um Lösungen bemühen. Das wird wegender Kosten- und Finanzprobleme sicherlich wieder zueiner sehr schwierigen Gratwanderung führen.Ich wünsche mir, daß wir darüber hier im Hause undim Rahmen der Zusammenarbeit mit den Ländern sach-lich und ideologiefrei diskutieren, damit wir für dieWohnungsbaugesellschaften und die vielen betroffenenMieterinnen und Mieter vernünftige Lösungen finden.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner in
dieser Debatte ist unser Kollege Rainer Funke, F.D.P.-
Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Der Gesetzentwurf zur Änderungdes Gesetzes zur Regelung der Miethöhe ist – dies ist, daer ein Vorschlag der PDS ist, nicht überraschend –marktwirtschaftsfeindlich.
Denn die Beibehaltung des § 12 Abs. 7 des Miethöhege-setzes führt dazu, daß die Verhältnisse in den neuenBundesländern so festgeschrieben werden, wie sie bishersind, und daß vor allem keine Rechtsangleichung an diewestlichen Bundesländer erfolgt.Wir glauben, daß die allgemeine Regelung des § 2des Miethöhegesetzes auf Grund der dort vorgesehenenVergleichsmieten durchaus angemessen ist. Für eineRegelung dieses Problems bedarf es nicht immer einesMietspiegels, der ja im Einzelfall, wie zum Beispiel inmeiner Heimatstadt Hamburg, nicht zu sehr gerechtenVergleichsmieten führt. Es stehen ja neben dem Miet-spiegel auch Sachverständigengutachten und andereHilfsmittel zur Verfügung. Diese können in Gerichtsver-fahren mit eingeführt werden. Insoweit wäre es richtig,wenn wir Mieter und Vermieter mehr als bisher veran-lassen könnten, sich in den jeweiligen Kommunen zu-sammenzufinden und dort einen gemeinsamen Miet-spiegel zu erarbeiten. Dazu bedarf es dann nicht der öf-fentlichen Hand, und die hohen Kosten, die dabei ent-stehen, würden vermieden werden. Es führt vor allemdazu, daß die Vergleichsmieten, die in diesem Mietspie-gel verankert sind, gerechter und nicht so prozeßanfälligsind wie die staatlichen Mietspiegel.Meine Damen und Herren, zum Eigenheimzulagen-gesetz hat Herr Dr. Kansy alles gesagt. Ich brauche dieDebatte deswegen nicht zu verlängern.Das Altschuldenhilfe-Gesetz, das ebenfalls von derPDS zur Debatte gestellt wird, hat sich im Ergebnis be-währt und führt durchaus zu Privatisierung von Woh-Franziska Eichstädt-Bohlig
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 36. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. April 1999 2939
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nungsbeständen. Es führt zu mehr marktwirtschaftlichenVerhältnissen am Wohnungsmarkt. Soweit einzelne Ge-nossenschaften und Vermieter Schwierigkeiten bei derPrivatisierung haben, muß mit den Betroffenen gespro-chen werden. Vor allem muß über die Verpflichtung zurKredittilgung und Zinszahlung gesprochen werden.Sie, Frau Kollegin Lucyga, haben zu Recht daraufhingewiesen, daß hier auch unterhalb der Gesetzes-schwelle schon viel Vernünftiges getan worden ist. Dasmuß fortgesetzt werden.Eine schlichte Aufhebung des Altschuldenhilfe-Gesetzes, wie die PDS sie vorsieht, ist in diesem Zu-sammenhang wenig hilfreich. Soweit tatsächlich punk-tuell Schwierigkeiten bestehen, wird unterhalb der Ge-setzesschwelle geholfen. Wenn das nicht ausreichensollte, stehen wir nach gründlicher Vorbereitung natür-lich für Diskussionen zur Verfügung.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die
Ausssprache. Interfraktionell wird die Überweisung der
Vorlagen auf den Drucksachen 14/461, 14/568 und
14/471 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlos-
sen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluß unserer Tagesordnung. Ich möchte mich aus-
drücklich bei all den Kolleginnen und Kollegen bedan-
ken, die bis zum Schluß ausgeharrt haben. Ich bedanke
mich selbstverständlich auch bei den vielen interessier-
ten Zuschauerinnen und Zuschauern.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Dienstag, den 4. Mai 1999, 11 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.