Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 230. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte um Ihre Aufmerksamkeit für die Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Für drei Wochen suchen um Urlaub nach die Abgeordneten, die an der Beratenden Versammlung des Europarates in Straßburg teilnehmen.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Wönner, Kurlbaum, Freitag, Schmitt , Dr. Veit, Dr. Kneipp, Dannemann, Frau Schroeder (Berlin), Dr. Hoffmann (Lübeck), Richter (Frankfurt), Even, Dr. Solleder, Etzel (Duisburg), Loritz, Lausen, Dr. Atzenroth, Dr. Nowack (Rheinland-Pfalz) und Gockeln.
Meine Damen und Herren, ich unterstelle, daß der über eine Woche hinausgehende Urlaub für die Teilnahme an der Beratenden Versammlung des Europarats bewilligt ist. — Das ist der Fall.
An den Sitzungen des Europarats nimmt der Abgeordnete Ahrens teil, der heute seinen 73. Geburtstag feiert. Ich darf ihm namens des Hauses die Glückwünsche des Hauses übermitteln.
Meine Damen und Herren, ich unterstelle Ihr Einverständnis, daß wir heute von 13 Uhr bis 14 Uhr 30 eine Mittagspause machen.
Wir kommen zunächst zur
Fragestunde ,
die um 9 Uhr 5 beginnt.
An Stelle des Herrn Abgeordneten Erler wird die erste Frage von Herrn Abgeordneten Ritzel gestellt.
Ritzel , Anfragender:
Ist dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen bekannt, aus welchem Grunde der deutsche Staatsangehörige Walter Weyer aus Arnheim ausgewiesen wurde, obwohl er Ende 1946 von den holländischen Behörden die Aufenthaltserlaubnis erhalten hatte?
Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, das ist dem Auswärtigen Amt nicht bekannt. Das Auswärtige Amt hat einen Bericht von der Botschaft im Haag angefordert.
Ritzel , Anfragender: Eine Zusatzfrage!
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Ritzel!
Ritzel , Anfragender: Darf ich das so auffassen, daß dann vielleicht in der nächsten Fragestunde die Antwort des Auswärtigen Amts erfolgt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja!
Ritzel , Anfragender: Ich danke, Herr Staatssekretär.
Zur Frage 2 Herr Abgeordneter Niebergall!
Niebergall , Anfragender:
Was hat die Bundesregierung entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 6. Februar 1952 unternommen, um den deutschen Besitzern von Eigentum im elsaß-lothringischen Grenzgebiet zu ermöglichen, über ihren Besitz frei zu verfügen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung kann im Einvernehmen mit der Regierung des Landes RheinlandPfalz feststellen, daß nach der Unterbrechung durch den zweiten Weltkrieg die früheren gutnachbarlichen Beziehungen im deutsch-französischen Grenzgebiet wieder aufleben. Die deutschen wie die französischen Verwaltungsbehörden im Grenzgebiet sind bestrebt, das Zusammenleben der Grenzbevölkerung, deren landwirtschaftlicher Grundbesitz sich auf beiden Seiten der Grenze befindet, nach Möglichkeit in die alten Bahnen zu lenken. Die Bewirtschaftung von Grundstücken deutscher Eigentümer, die sich auf französischem Gebiet unweit der Grenze befinden, geschieht größtenteils durch die Eigentümer der Grundstücke im Grenzgebiet.
Niebergall , Anfragender: Eine Zusatzfrage!
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niebergall.
Niebergall , Anfragender: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um a 11 e n Menschen zu ermöglichen, über ihren Besitz zu verfügen? Es ist nur ein Teil der Menschen, die gegenwärtig darüber verfügen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie gedenkt im Einvernehmen mit der Regierung des Landes Rheinland-Pfalz ihre Bemühungen fortzusetzen, mit den französischen Grenzbehörden in dieser Richtung zusammenzuarbeiten.
Die Frage ist erledigt. Zur dritten Frage Abgeordneter Cramer!
Cramer , Anfragender: Meine Frage richtet sich an den Herrn Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen und lautet:
Ist ihm bekannt, daß auf den noch verwendeten Antragsformularen
— ich habe so ein Formular mitgebracht —
auf Teilnahme am Postsparkassendienst der „Ausweis der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen" noch als gültiger Ausweis bezeichnet wird? Warum werden diese Formulare nicht vernichtet?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär im Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen.
Als be-
) reits kurz nach dem Zusammenbruch der Postbetrieb wieder aufgenommen werden konnte, mußte naturgemäß noch mit alten Formularen gearbeitet werden.
Aber bereits damals hat die damalige Hauptverwaltung für Post- und Fernmeldewesen für den Bereich des Vereinigten Wirtschaftsgebiets an die OPDen folgende Verfügung erlassen:
Alle Dienststellen der OPD haben sofort ihre gesamten Bestände an Papiermaterial daraufhin zu prüfen, ob auf diesen noch Symbole des Dritten Reiches, auch Wasserzeichen oder Aufdrucke, die an das Dritte Reich erinnern, angebracht sind. Falls Papierbestände der erwähnten Art noch vorhanden sein sollten, so sind bei diesen umgehend die Symbole usw. zu entfernen oder unkenntlich zu machen. Erforderlichenfalls sind die Papierbestände zu vernichten.
Jeder Beamte, Angestellte und Arbeiter ist dafür verantwortlich, daß alle an seinem Arbeitsplatz und in seinem Dienstzimmer vorhandenen Gegenstände gleich welcher Art ohne Erinnerungsmerkmale an das Dritte Reich sind. Alle Weiterungen, die sich aus der Nichtbeachtung dieser Anordnung ergeben, hat der für das Versäumnis verantwortliche Beamte zu tragen.
Diese Verfügung ist allen Angehörigen der OPD gegen Namensunterschrift zur Kenntnis zu bringen. An alle neu in den Dienst der OPD eintretenden Kräfte ist sie vor Aufnahme der Dienstgeschäfte gegen Anerkenntnis bekanntzugeben.
So der Wortlaut der Verfügung. Mehr konnten wir nicht tun.
Mir vorliegende Antragsformulare des Postsparkassenamts in Hamburg vom November 1945 und im Oktober 1945 für die US-Zone hergestellte Formulare sind bereits ohne den beanstandeten Wortlaut aufgelegt worden. Hiernach kann es sich, Herr Abgeordneter, bei dem von Ihnen erwähnten Vorfall nur darum handeln, daß ein Formblatt irrtümlich der Vernichtung entgangen ist,
was trotz aller Sorgfalt nicht immer vermieden werden kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Cramer?
Cramer , Anfragender: Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, dem Postamt Mittenwalde in Oberbayern Anweisung zu geben, diese Formulare jetzt endgültig zu vernichten?
Jawohl!
Herr Abgeordneter, ich nehme an, daß es sich um Mittenwald handelt. Damit es ganz klar ist!
Zur vierten Frage Herr Abgeordneter von Thadden!
von Thadden , Anfragender:
Kann der Herr Bundesminister der Finanzen Auskunft darüber geben, weiche Beträge schätzungsweise für die Verpflichtungen aus der Rückerstattungsgesetzgebung der Alliierten gezahlt worden sind bzw. noch gezahlt werden müssen?
Hat der Herr Bundesminister der Finanzen die Bundesregierung darauf aufmerksam gemacht, welche Gefahren mit dem Anwachsen dieser ungeheuren Beträge auf Sperrkonten für die deutsche Wirtschaft verbunden sind? Welche Maßnahmen sind getroffen worden, um dieses mögliche Fluchtkapital unter Kontrolle zu behalten, und sind solche Kontrollen nach den bisherigen Erfahrungen überhaupt in wirksamer Weise möglich?
Welche Gründe waren dafür maßgebend, daß die jetzige einschlägige Gesetzgebung der Alliierten durch den Generalvertrag beibehalten werden soll? Ist der Bundesregierung bekannt, daß damit altem Unrecht aus dem „Dritten Reich" teilweise weit größeres Unrecht hinzugefügt wird? Was gedenkt die Bundesregierung für diese Rückerstattungs-Geschädigten zu tun?
Der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter! Sichere Unterlagen über den Wert der nach den Rückerstattungsgesetzen der alliierten Militärregierungen zurückerstatteten oder noch zurückzuerstattenden Vermögen könnten wegen der Unsicherheit der Bewertungsunterlagen, wenn überhaupt, nur in längerer schwieriger Arbeit beschafft werden. Es läßt sich aus der Erfahrung der Rückerstattungspraxis aber mit Sicherheit sagen, daß Zahlen von 38 oder 20 Milliarden DM, wie sie gelegentlich in der Öffentlichkeit genannt worden sind, das tatsächliche Ausmaß der zurückerstatteten oder zurückzuerstattenden Vermögen weit übersteigen. Soweit die von den Ländern geführten Statistiken über Rückerstattungsverfahren Angaben über die bereits zurückerstatteten Werte enthalten, zeigt sich, daß diese im allgemeinen erheblich unter den gestellten Anträgen bleiben. Daß die obengenannten Zahlen nicht zutreffen können, ergibt sich weiter schon daraus, daß das gesamte jüdische Vermögen in Deutschland für das Jahr 1933 von jüdischer Seite auf etwa 8 Milliarden RM geschätzt wird; in einer Zusammenstellung anläßlich der Verhandlungen in Den Haag wurden 7 bis höchstens 10, im Durchschnitt also 8,5 Milliarden RM genannt. Hiervon müssen bei einer Berechnung der in der Bundesrepublik einschließlich West-Berlins zurückzuerstattenden Werte die in der Ostzone gelegenen Vermögen abgezogen werden. Weiter ist zu bedenken, daß das zurückzugebende Vermögen nicht ausschließlich im Verhältnis von 1 RM = 1 DM bewertet werden darf, da ein nicht unerheblicher Teil der Ansprüche aus Geldsummenansprüchen besteht, die entweder als rückerstattungsrechtliche Reichsverbindlichkeiten nur im Verhältnis 10 zu 1 oder als Entschädigungsansprüche im Verhältnis 10 zu 2 umzustellen sind. Zudem sind in Teil III des Überleitungsabkommens die rückerstattungsrechtlichen Geld verbindlichkeiten des Reiches auf 1,5 Milli-
arden DM begrenzt, auch wenn sie einen höheren Betrag ausmachen sollten.
Der Wert des in der Bundesrepublik einschließlich West-Berlins zurückzuerstattenden Vermögens dürfte sonach den Betrag von 6 bis 7 Milliarden DM nicht übersteigen.
Zweitens. Die Forderungen Rückerstattungsberechtigter sind, soweit die Berechtigten ihren Wohnsitz oder Sitz im Ausland haben, nach den Devisenbewirtschaftungsgesetzen gesperrt. Sie unterliegen damit der Kontrolle der Devisenbehörden. Die Befriedigung solcher Forderungen hat nach der Vierten Durchführungsverordnung zu den Devisengesetzen auf ein Sperrkonto des Zahlungsempfängers bei einem Geldinstitut im Gebiet der Bundesrepublik oder in den Westsektoren von Berlin zu erfolgen. Entsprechendes gilt für Entschädigungszahlungen auf Grund der Gesetze zur Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus, soweit die Entschädigungsberechtigten ihren Wohnsitz oder Sitz im Ausland haben.
Über die gesperrten Forderungen und Guthaben kann nach den geltenden devisengesetzlichen Bestimmungen teils im Rahmen allgemeiner Genehmigungen der Bank deutscher Länder, teils mit Sondergenehmigung verfügt werden. Ein Transfer der Beträge in das Ausland kann jedoch angesichts der deutschen Devisenlage gegenwärtig nicht stattfinden. Es bleibt abzuwarten, ob ein begrenzter Transfer möglich sein wird, sobald sich die Auswirkungen der Londoner Schuldenverhandlungen und der Verhandlungen mit dem Staate Israel auf die deutsche Devisenlage klarer übersehen lassen.
Die Frage der Entstehung so erheblicher Sperrforderungen und Sperrguthaben, wie sie im Zusammenhang mit der Rückerstattungs- und Entschädigungsgesetzgebung notwendig entstehen müssen, bleibt ein ernstes devisenwirtschaftliches Problem. Die Sperre der Beträge und ihre alleinige Freigabe zur Verwendung im Inland kann nur eine Zwischenlösung darstellen. Das Volumen der Sperrforderungen und Sperrguthaben schließt, solange es nicht herabgesetzt werden kann, praktisch eine Rückkehr zur Konvertibilität der D-Mark aus. hierzu kommt, daß das gesperrte Vermögen in das Ausland drängt; es besteht die Gefahr, daß devisengesetzlich verbotene Transaktionen hinsichtlich dieser Vermögen unternommen oder versucht werden. Derartig verbotene Transaktionen würden andererseits in entsprechendem Umfange unsere allgemeine Transferfähigkeit verringern. Aus diesem Grunde wird den illegalen Transaktionen im Rahmen der devisengesetzlichen Bestimmungen in aller Schärfe entgegengetreten. Auch werden die sperrkontoführenden Institute laufend devisenmäßig überprüft.
Drittens. Die alliierten Rückerstattungsgesetze beruhen auf dem allgemeinen, auch im deutschen Recht von jeher geltenden Rechtsgrundsatz, Vermögen und Eigentum vor Willkür zu schützen und niemanden an eine unter Zwang abgegebene Erklärung zu binden. Trotz gewisser Härten und Mängel der alliierten Gesetzgebung auf dem Gebiete des Rückerstattungsrechts kann deren Änderung im gegenwärtigen vorgerückten Abwicklungsstadium und wegen der Unmöglichkeit, die schwierigen, durch zwölf Jahre nationalsozialistischer Gewaltherrschaft auf diesem Gebiete verursachten Probleme in einer für beide Teile nicht mit Härten verbundenen Weise zu regeln, nicht befürwortet werden.
Viertens. Die Frage der Zubilligung eines Ausgleichsanspruchs für die von der Rückerstattung betroffenen redlichen Erwerber wird von der Bundesregierung seit langem erwogen. Doch kann nach Ansicht der Bundesregierung so lange an einen Ausgleichsanspruch der Rückerstattungspflichtigen nicht gedacht werden, als die Befriedigung der Rückerstattungsansprüche der Berechtigten gegen das Reich, z. B. aus der Einziehung von Konten, Wertpapieren und dergleichen, noch nicht in Angriff genommen ist. Durch Teil III des Überleitungsabkommens ist die Erfüllung der letzteren Ansprüche zugesagt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter?
von Thadden , Anfragender: Nein!
Meine Damen und Herren, ich darf im Interesse der sachgemäßen Durchführung der Fragestunde noch einmal bitten, Fragen, die den Charakter der kurzen mündlichen Anfrage überschreiten, ebensowenig zu stellen wie Antworten zu geben, die dem Typ der Antwort auf eine kleine Anfrage entsprechen, und solche Antworten schriftlich zu erteilen. Ich glaube nicht, daß unsere Fragestunde durch derartige umfangreiche Erörterungen gefördert wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, darf ich mir die Bemerkung erlauben, daß diese Anfrage von uns wegen ihrer Länge schriftlich beantwortet worden war, daß aber der Herr Fragesteller Wert auf eine mündliche Erörterung gelegt hat.
Meine Damen und Herren, ich bitte, den Appell an den richten zu dürfen, den es angeht.
Zur Frage 5 Herr Abgeordneter von Thadden!
von Thadden , Anfragender:
Ist der Herr Bundesminister für Arbeit gewillt, die zurückkehrenden sogenannten „Kriegsverbrecher" rechtlich den Spätheimkehrern gleichzustellen? Kann der Herr Bundesminister eine solche Gleichstellung von sich aus anordnen bzw. veranlassen?
Der Herr Bundesminister für Arbeit!
Die im Ausland in Gefängnissen und Strafanstalten festgehaltenen früheren Kriegsgefangenen haben die vollen Rechtsansprüche aus dem Heimkehrergesetz. Anders liegen die Dinge bei den in Deutschland in fremdem Gewahrsam Gehaltenen; bei ihnen handelt es sich nicht nur um frühere Soldaten. Für sie werden auf Grund des § 28 a des Heimkehrergesetzes dort, wo es notwendig und angebracht ist, die Leistungen aus dem Heimkehrergesetz entweder ganz oder teilweise gewährt. Es ist deshalb vorläufig von meinem Ministerium nicht vorgesehen, eine Erweiterung des berechtigten Personenkreises vorzunehmen. Eine derartige Erweiterung
hätte zur Voraussetzung, daß eine Verständigung mit dem Finanz- und Vertriebenenministerium herbeigeführt wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter?
von Thadden , Anfragender: Herr Minister, es kommen jetzt — hoffentlich, wollen wir sagen — in zunehmendem Maße aus den alliierten Haftanstalten in Deutschland die sogenannten „Kriegsverbrecher" zurück. Nach dem bisher vorliegenden Zahlenmaterial — und Sie haben bereits hinsichtlich der Nichtsoldaten eine Einschränkung gemacht — kann es sich doch kaum um eine derartig große Zahl handeln, daß eine gravierende Belastung unseres Etats dadurch zu erwarten wäre.
Darauf kommt es im wesentlichen gar nicht an. Ich kann unmöglich Leuten, die wegen ihrer in den Konzentrationslagern begangenen Taten festgehalten worden sind, dieselben Rechte zubilligen, wie ich sie einem Kriegsgefangenen zubillige.
von Thadden , Anfragender: Herr Minister, es hat niemand erwartet, — —
Herr Abgeordneter, das ist doch keine Frage!
von Thadden , Anfragender: Von einer Gleichstellung von Konzentrationslagerbewachern ist nicht gesprochen worden. Aber ich kann nicht einsehen, — —
Herr Abgeordneter, ich bitte, Fragen zu stellen und nicht zu diskutieren.
von Thadden , Anfragender: Ist es effektiv nicht möglich, einen Mann, der zufällig in die Mühle der Alliierten hineingeriet,
so zu stellen wie einen, der eben aus der Kriegsgefangenschaft später zurückgekehrt ist? Das ist doch dasselbe!
Herr Abgeordneter, deshalb haben wir j a den § 28 a in das Gesetz hineingebracht, damit, wie ich vorhin schon sagte, überall dort, wo die Notwendigkeit und die Zweckmäßigkeit gegeben sind, dieselben Rechte eingeräumt werden können. Es ist doch praktisch so, daß in den letzten zwei Jahren von den am Anfang festgehaltenen 1318 sogenannten Kriegsverbrechern, wie Sie sagen, bereits 753 entlassen worden sind. Bei der Durchführung und bei Anwendung des Gesetzes haben sich für mich noch keinerlei sichtbare Schwierigkeiten aus dem § 28 a ergeben. Ich nehme an, daß wir auch mit den Problemen der 565 heute noch Festgehaltenen auf demselben Wege in einer guten Form fertig werden.
Für Frau Abgeordnete Schroeder wird die Frage 6 von der Frau Abgeordneten Kipp-Kaule gestellt.
Frau Kipp-Kaule , Anfragende: Herr Bundesarbeitsminister, ich habe eine Frage:
Wann sind die Ausführungsbestimmungen zu dem Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter vom 24. Januar 1952 zu erwarten?
Mit der Vorlage bzw. dem Erlaß einer Rechtsverordnung zu § 14 des Mutterschutzgesetzes ist in sechs bis acht Wochen zu rechnen. Mit einer Rechtsverordnung zu § 10 Abs. 2 und zu § 16 Abs. 3 ist zur Zeit nicht zu rechnen, weil sich hierfür noch keine zwingende Notwendigkeit ergeben hat und man doch erst einmal abwarten sollte, wie sich das Gesetz in der Anwendung draußen auswirkt.
Frau Kipp-Kaule , Anfragende: Darf ich eine Zusatzfrage stellen?
Bitte, eine Zusatzfrage!
Frau Kipp-Kaule , Anfragende: Herr Minister, haben Sie die Absicht, die Streitigkeiten, die draußen bis jetzt angelaufen sind, später in den Durchführungsbestimmungen zu berücksichtigen, d. h. Ihre Entscheidungen dann entsprechend zu treffen?
Das ist ganz klar. Wir haben ja bereits eine Rechtsverordnung zu § 14 fertiggestellt gehabt; es haben sich aber bei den Beteiligten und vor allen Dingen beim Bundesrechnungshof einige Schwierigkeiten ergeben, so daß diese Rechtsverordnung umgearbeitet werden muß. Sie wissen j a, daß wir diese Rechtsverordnung nicht von uns aus allein erlassen können, sondern die Genehmigung des Bundesrates dazu benötigen. Deshalb wird diese Rechtsverordnung zu § 14, aus dem sich all die Schwierigkeiten ergeben, die heute draußen bestehen, noch sechs bis acht Wochen auf sich warten lassen.
Zur Frage 7 ebenfalls Frau Abgeordnete Kipp-Kaule.
Frau Kipp-Kaule , Anfragende:
Wie weit sind die Vorarbeiten für den vom Bundesinnenministerium dem Bundestag zu unterbreitenden Gesetzentwurf zum Schutze von Mutter und Kind, d. h. zum Schutze solcher werdender Mütter, die im Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter nicht erfaßt werden, gediehen? Wann wird das Gesetz dem Bundestag vorgelegt werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das bereits erlassene Mutterschutzgesetz bezieht sich, wie Sie j a selbst, Frau Abgeordnete, eben angedeutet haben, nur auf die erwerbstätige Mutter.
Maßnahmen zum Schutze der nicht erwerbstätigen Mutter und ihres Kindes für die Zeit der Schwangerschaft, für die Zeit unmittelbar nach der Geburt und für den gesundheitlichen Schutz des Säuglings und des Kleinkindes können nur schwer Gegenstand eines speziellen Schutzgesetzes sein. Es handelt sich hier vielmehr um Maßnahmen der vorbeugenden Gesundheitsfürsorge. Für diese vorbeugende Gesundheitsfürsorge eine ausreichende gesetzliche Grundlage zu schaffen, ist eines der schwierigsten Probleme der Gesundheitspolitik.
Besonders die dafür erforderlichen Eingriffe in die persönliche Rechtssphäre bedürfen sorgfältiger Überlegung.
Die Unterlagen hierfür, insbesondere Material darüber, wie das Problem in den andern europäischen Staaten behandelt worden ist oder wird, sind bereits gesammelt. Sobald ihre Auswertung durchgeführt ist, werden sie dem Gesundheitsausschuß des Bundestages in der Form einer Denkschrift der Bundesregierung zugeleitet werden.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete?
Frau Kipp-Kaule , Anfragende: Damit darf ich annehmen, Herr Staatssekretär, daß Sie die Entschließung, die dieses Haus bei der Verabschiedung des Gesetzes einstimmig angenommen hat, erfüllen werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir werden sie zunächst in der Form erfüllen, daß wir dem Ausschuß eine Denkschrift zuleiten und uns mit dem Ausschuß darüber klarwerden, wie wir die vorbeugende Gesundheitsfürsorge, namentlich im Hinblick auf diese Frage des Mutterschutzes, ausgestalten wollen.
Frage 7 ist erledigt. Zur Frage 8 der Abgeordnete Ekstrand.
Ekstrand , Anfragender: Herr Minister, ich hätte die Frage an Sie zu richten, warum in dem Zonengrenzbahnhof Bächen in Schleswig-Holstein zwar ein neues Verwaltungsgebäude gebaut, aber der Wartesaal im Keller einer Ruine belassen worden ist.
Der Bundesminister für Verkehr.
Der Bahnhof in Bächen ist bekanntlich zerstört worden. Das neue Dienstgebäude ist auf meine Veranlassung 1950/51 gebaut worden. 1952 sollte das entsprechende Gebäude mit Wirtschaftsräumen, Wartesaal und Toiletten errichtet werden. Durch die finanzielle Situation der Bundesbahn konnte das in diesem Jahr nicht durchgeführt werden, weil die dazu erforderlichen 150 000 DM fehlten. Es wird im nächsten Jahr errichtet werden.
Die Frage ist erledigt.
Frage 9! Herr Abgeordneter Dr. Mommer ist nicht da. Soll die Frage von einem anderen Abgeordneten gestellt werden? — Sie kann zurückgestellt werden.
An Stelle des Herrn Abgeordneten Dr. Reismann wird der Herr Abgeordnete Hoffmann die Frage 10 stellen.
Hoffmann (FU), Anfragender:
Trifft die Nachricht zu, die in den Kreisen der Kriegssachgeschädigten umgeht, wonach etwa 100 000 DM aus Soforthilfemitteln an die Firma Schippers van der Ville in Hamburg für den Bau eines oder mehrerer Auto-Karussells „Avus" vergeben worden sind, angeblich zur Beschaffung von Dauerarbeitsplätzen?
Ist es richtig, daß dies Unternehmen sein Personal an jedem Ort fast vollständig wechselt?
Billigt die Bundesregierung diese Verwendung für das Geld?
Ist es der Bundesregierung möglich und ist sie willens, in Zukunft zu verhindern, daß Lastenausgleichsgelder in solcher Weise zweckentfremdet werden? Welche Schritte beabsichtigt sie eventuell in dieser Richtung zu tun?
Der Herr Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Nachricht trifft nicht zu. Die Firma Schippers van der Ville in Hamburg-Altona hat im Frühjahr dieses Jahres ein Arbeitsplatzdarlehen aus Soforthilfemitteln zum Bau einer Avusbahn in Höhe von 50 000 DM bei gleichzeitiger Bereitstellung von 12 Dauerarbeitsplätzen beantragt. Der Antrag ist aber abgelehnt worden. Die Firma hat Soforthilfemittel nicht erhalten. Soweit nach dem Lastenausgleichsgesetz die Bundesregierung auf die Verwendung der Lastenausgleichsmittel Einfluß hat, wird sie selbstverständlich ihren Einfluß weiterhin in dieser Richtung geltend machen.
Die Frage ist erledigt. Zur Frage 11 Herr Abgeordneter Hoffmann !
Hoffmann (FU), Anfragender:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei den Spruchsenaten in Bad Homburg noch mehrere hundert unerledigte Einsprüche, sogar aus den Jahren 1950 und 1951, vorliegen, und was gedenkt sie zu tun, um eine schnellere Erledigung dieser Fälle zu ermöglichen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, es trifft zu, daß beim Spruchsenat für Soforthilfe in Bad Homburg noch eine große Anzahl unerledigter Rechtsbeschwerden vorliegen. Ich kann hier die genauen Zahlen nennen. Zu Beginn seiner Tätigkeit lagen dem Spruchsenat 1 756 Rechtsbeschwerden vor, die inzwischen infolge von über 900 Neueingängen auf über 2 600 Rechtsbeschwerdefälle angewachsen sind. Davon ist aber in der Zwischenzeit mehr als die Hälfte — über 1 300 — erledigt worden, so daß die jetzt vorliegenden Rechtsbeschwerden sich noch auf etwa ebenfalls 1 300 Fälle belaufen. Da die Rechtsbeschwerden grundsätzlich in der Reihenfolge des Eingangs behandelt werden, kann man annehmen, daß die älteren Fälle bereits erledigt sind.
Die Abwicklung der Rechtsbeschwerdefälle ist im § 353 des Lastenausgleichsgesetzes geregelt, d. h. der Spruchsenat für Soforthilfe hat nur noch die Fälle zu bearbeiten, in denen Anträge auf mündliche Verhandlung schweben. Im übrigen werden die Rechtsbeschwerden an die Beschwerdeausschüsse abgegeben; diese haben zu prüfen, ob sie der Rechtsbeschwerde abhelfen können. Nur soweit das nicht der Fall ist, ist die Rechtsbeschwerde als Revision nach dem Lastenausgleichsgesetz an das Bundesverwaltungsgericht zu leiten. Wir hoffen, daß hierdurch eine Streuung der Bearbeitung der anhängigen Rechtsbeschwerden auf die über 100 Beschwerdeausschüsse stattfinden wird und damit eine rasche Abwicklung gewährleistet ist.
Keine Zusatzfrage. Zur Frage 12 Herr Abgeordneter Niebergall!
Niebergall , Anfragender: Ich frage:
Was ist der Bundesregierung über die Errichtung einer chemotechnisch-biologischen Lehranstalt für amerikanische Besatzungssoldaten in der ehemaligen Nationalpolitischen Erziehungsanstalt in Weihershof bei Kirchheim-Bolanden bekannt, und was gedenkt sie gegen diese für die deutsche Bevölkerung bedrohliche Maßnahme der US-Besatzungsmacht zu tun?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bundesregierung ist über diese Angelegenheit nichts bekannt. Sie hat die Anfrage des Herrn Abgeordneten zum Anlaß genommen, um bei dem zuständigen Ministerium des Landes Rheinland-Pfalz um eine Auskunft zu bitten. Sobald die Stellungnahme des Landesministeriums vorliegt, werden wir die Anfrage schriftlich beantworten.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Niebergall!
Niebergall , Anfragender: Die Presse hat
sich mit diesem Fall beschäftigt und hat eine Verlautbarung der Amerikaner veröffentlicht, wonach
es sich tatsächlich um eine Pestanstalt in Kirchheim-Bolanden handelt. Ist das der Bundesregierung bekannt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann nur wiederholen, daß der Bundesregierung hierüber nichts bekannt ist.
Zur Frage 13 Herr Abgeordneter Niebergall!
Niebergall , Anfragender: Ich frage:
Ist dem Herrn Bundesminister der Finanzen bekannt, daß im Kreise Wittlich eine große Anzahl von Tabakbauern im Zusammenhang mit der am 19. Februar 1952 rigoros durchgeführten Groß-Razzia der Zollbehörde auf die Tabakbauern fortgesetzt zu Vernehmungen vorgeladen wird, was berechtigterweise eine große Beunruhigung und Empörung in diesen Kreisen ausgelöst hat? Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diesen Übergriffen der Zollbehörde ein Ende zu machen?
Der Herr Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das zuständige Hauptzollamt hatte seit langem im Wittlicher Bezirk Schwarzhandel mit unversteuertem Tabak beobachtet. Die ständigen Klagen des ehrlichen Tabakgewerbes über einen empfindlichen Umsatzrückgang, der in jüngster Zeit bis zu 75 % betrug, und die häufige Feststellung der getarnten Lieferungen von Tabakschneidemaschinen haben das Hauptzollamt veranlaßt, hier umfangreiche Ermittlungen vorzunehmen. Es handelt sich dabei um eine unter Verstärkung des Steueraufsichtsdienstes am 19. Februar 1952 bei einer großen Anzahl von angemeldeten Pflanzern gleichzeitig vorgenommene Ermittlung. Das Ergebnis dieser Aktion hat ihre Berechtigung in vollem Umfange bestätigt. In insgesamt 135 Aufgriffen wurden beschlagnahmt — ich nenne nur die Hauptpunkte —: 2 575 kg verheimlichter Rohtabak, 33 kg illegal hergestellter Fein- und Krüllschnittabak, 31 Stück Tabakschneidemaschinen usw.
Es haben dann sehr starke Angriffe gegen die Zollverwaltung eingesetzt. Das Bundesfinanzministerium hat die Vorgänge sofort untersucht und folgendes festgestellt. Begründete Beschwerden über die Durchführung dieser Aktion können nicht erhoben werden und sind nicht erhoben worden. In einer Aussprache mit den Tabakanbauern am 25. Februar sind keine Namen derjenigen genannt worden, die sich durch die Nachschaumaßnahmen beschwert fühlen könnten. Es ist kein konkreter Fall mitgeteilt worden. Im Gegenteil, die Vorsitzenden der örtlichen Verbände haben mitgeteilt, daß irgendwelche Übergriffe oder Inkorrektheiten von Beamten in keinem Fall stattgefunden haben.
Was die Vernehmungen betrifft, so ist es klar, daß nach solchen Feststellungen sich Nachbesteuerungsverfahren, eventuell Strafverfahren einleiten. Um diese Verfahren durchzuführen, sind Vernehmungen der Betreffenden notwendig. Diese Vernehmungen sind in der Abgabenordnung geregelt und dienen dazu, daß die Betreffenden ein einwandfreies rechtliches Gehör in dem Verfahren haben. Die Vernehmungen dienen also dem Interesse der betreffenden Tabakpflanzer. Das Bundesfinanzministerium ist nicht gewillt und, soweit gerichtliche Verfahren in Betracht kommen, überhaupt gesetzlich nicht in der Lage, in die laufenden Steuer- und Strafverfahren einzugreifen.
Niebergall , Anfragender: Eine Zusatzfrage!
Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Niebergall!
Niebergall , Anfragender: Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Ablieferungstermin der 31. März 1952 war, während die Razzia bereits am 19. Februar 1952 durchgeführt wurde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist bekannt. Die steuerlichen Ermittlungen können jederzeit durchgeführt werden. Sie sind nicht von dem Termin abhängig.
Die Frage ist erledigt. Zur Frage 14 Herr Abgeordneter Rümmele!
Rümmele , Anfragender:
Ist im Bundesfinanzministerium daran gedacht, die immer komplizierter werdenden Steuererklärungsformulare so zu vereinfachen, daß sie auch ohne fremde Hilfe von den Steuerzahlern ausgefüllt werden können, und welche Maßnahmen könnten hierfür bis zu welchem Zeitpunkt ergriffen werden?
Könnten zwischenzeitlich auf dem Verordnungswege Erleichterungen dadurch geschaffen werden, daß z. B. vor allem Kleingewerbetreibende, Bauern und Freiberufler mit einem kleinen Besitz und Jahresumsätzen unter 12 000 DM von der Gewerbesteuererklärung befreit und ihnen vereinfachte Steuerformulare für die anderen Steuerarten gegeben werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das Bundesfinanzministerium erstrebt mit Ihnen seit langer Zeit eine Vereinfachung der Steuererklärungsvor-
drucke. Schon bei der Gestaltung der Vordrucke für das Jahr 1951 haben wir diese Frage erörtert und auch einige Vereinfachungen gebracht. Wir werden das weiter tun. Ich darf aber auf eines hinweisen: Solange die Steuergesetze ein derartiges Maß der Kompliziertheit behalten, solange wird es sehr schwierig sein, bei komplizierten Steuergesetzen die Steuererklärungsformulare zu vereinfachen. Ich glaube also, der Hebel ist erst einmal bei der Kompliziertheit der jetzigen Gesetzgebung anzusetzen, und ich sehe hier eine gemeinsame Aufgabe des Hohen Hauses und des Bundesfinanzministeriums, bei zukünftigen Gesetzgebungsakten diesen Punkt gebührend zu berücksichtigen.
Ich darf noch auf eines hinweisen. Die Steuergesetze enthalten eine Vielzahl von gesetzlichen Vergünstigungen, und es ist klar, daß dann in den Steuerformularen eine Frage nach diesen Vergünstigungen gestellt werden muß. Die Steuerpflichtigen würden es als nicht loyal ansehen, wenn in den Steuererklärungsformularen ein Hinweis auf die Vergünstigungen fehlte, und es würden sich später eventuell im Rechtsmittelverfahren langwierige Erörterungen daran anschließen. Ich glaube, man muß die Steuerpflichtigen auf diese Vergünstigungen hinweisen.
Was den zweiten Teil der Frage betrifft, so überlegen wir zur Zeit mit den Finanzministern der Länder weitere Vereinfachungen. Ich bin aber nicht sicher, ob wir in diesen Fällen der kleineren Steuerpflichtigen gänzlich auf die Gewerbesteuererklärung verzichten können, weil dann eine Reihe von zusätzlichen Fragen in das Einkommensteuererklärungs-Formular aufgenommen werden müßten, was auch keine Vereinfachung ist. Die Angehörigen von freien Berufen und Land- und Forstwirte sind überhaupt nicht gewerbesteuerpflichtig; sie haben keine Gewerbesteuererklärung abzugeben.
Ich darf noch bemerken, daß die Frage der Vereinfachung der Steuererklärungsvordrucke bereits in der 204. Sitzung des Hohen Hauses am 3. April 1952 behandelt worden ist. Die Sache ist dem Finanzausschuß überwiesen, der hierfür einen Unterausschuß eingesetzt hat. Der Unterausschuß hat in einer Sitzung am 26. Juni die Frage mit den Vertretern der Handwerker und der Kleingewerbetreibenden erörtert. Die Bundesregierung hat daraufhin eine Reihe von Erleichterungen in diesen Formularen in Aussicht genommen. Wir hoffen, daß die Länderfinanzminister diesen unseren Absichten zustimmen werden.
Keine Zusatzfrage. Zur Frage 15 Frau Abgeordnete Kalinke.
Frau Kalinke , Anfragende: Ich frage die Bundesregierung:
Wann wird der Gesetzentwurf für die Senkung der Kaffeesteuer endlich vorgelegt? Glaubt die Bundesregierung verantworten zu können, daß nach Senkung der Tabaksteuer große Kreise des deutschen Volkes weiter auf den Kaffee als Heil- und Genußmittel verzichten müssen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, das Hohe Haus hat am 23. April dieses Jahres einen Antrag der
SPD, der die Senkung der Kaffee- und Teesteuer um mindenstens 50 % verlangt, an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen und an den Ausschuß für Grenzlandfragen überwiesen. Der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen hat am 11. Juli eine Entschließung gefaßt, dem Bundestag zu empfehlen, die Bundesregierung um Vorlage von Gesetzentwürfen zur Senkung der Kaffee- und Teesteuer auf 5 DM je Kilogramm zu ersuchen. Diese Entschließung wird also demnächst in dem Hohen Hause beraten werden.
Zur Sache darf ich aber — ich nehme an, daß Ihnen das willkommen ist — bereits einige Worte hinzufügen. Das Bundesfinanzministerium hat in den Ausschußberatungen schon darauf hingewiesen, daß bei einer Senkung der Kaffeesteuer von 10 auf 5 DM je Kilogramm der bestehende Kaffeeschmuggel und der Schwarzmarkt nicht beseitigt werden können.
Der Durchschnittspreis für ein Kilogramm Röstkaffee würde nach der Steuersenkung auf 5 DM etwa 25 DM betragen, während der Schwarzmarktpreis bei 18 DM liegt. Die Preisspanne zwischen dem neugebildeten legalen Kaffeepreis und dem Schwarzmarktpreis würde demnach noch 7 DM für ein Kilogramm Röstkaffee betragen und damit weiterhin einen Anreiz für den Schmuggel geben. Die Kaffeemengen, die bisher illegal verbraucht werden, können also bei einer solchen Steuersenkung auf 5 DM nicht legalisiert werden. Es ist daher davon nur eine unwesentliche Steigerung des Kaffeeabsatzes zu erwarten.
Der Mehrverbrauch an Kaffee, der sich durch die Preissenkung ergeben würde, wird auf etwa 20 bis 25 % geschätzt. Das würde bedeuten, daß bei einer solchen Steuersenkung trotz dieser Konsumsteigerung ein Steuerausfall von 160 Millionen DM eintreten würde. Auf diesen Betrag kann der Bund bei der Lage seines Haushalts nicht verzichten. Deckungsvorschläge zum Ersatz für diesen Ausfall von 160 Millionen DM sind bisher nicht gemacht worden.
Frau Kalinke , Anfragende: Haben Sie, Herr Staatssekretär, denn in der Bundesregierung auch schon geschätzt, welche Mehreinnahmen Sie haben würden, wenn der Kaffee nicht auf illegalem Wege, sondern auf legalem Wege verkauft und der Mehrverbrauch steigen würde? Haben Sie auch überlegt, welche unnötigen Kosten wegfallen und von welcher Situation wir befreit würden, wenn der unerhörte Schmuggel und die notwendigen vermehrten Maßnahmen des Zollgrenzschutzes aufgehoben würden, die auch Geld kosten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, ich glaubte gesagt zu haben,
daß wir bei einer solchen Senkung eine Konsumsteigerung von 20 bis 25 % schätzen können und daß trotzdem noch ein Ausfall von 160 Millionen D-Mark bleibt. Der Zollgrenzschutz muß außerdem weiterbestehen; denn es wird ja an den Grenzen nicht nur Kaffee geschmuggelt.
Frau Kalinke , Anfragende: Eine Zusatzfrage!
Noch eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete!
Frau Kalinke , Anfragende: Wird die Bundesregierung dann vorschlagen, daß mit Rücksicht auf die von Ihnen getroffenen Feststellungen die Kaffeesteuer noch mehr gesenkt wird,
als es der Ausschuß vorgeschlagen hat, damit es sich wirklich lohnt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube nach unseren Berechnungen nicht, daß sich bei einer noch stärkeren Senkung und infolgedessen einem noch stärkeren Ausfall, allerdings auch einer stärkeren Konsumsteigerung, ein geringerer Ausfall als 160 Millionen DM ergeben wird. Ich glaube, die Sache könnte sehr gefördert werden, wenn der Bundesregierung nunmehr zugleich Deckungsvorschläge für diesen Ausfall bekanntgegeben werden könnten.
Zur Frage 16 Herr Abgeordneter Dr. Wuermeling.
Dr. Wuermeling , Anfragender:
Welche Maßnahmen hat der Herr Bundesminister der Finanzen getroffen, um die Zahlung des halben Monatsbezugs für die Pensionsempfänger des Bundes entsprechend dem mit Zustimmung des Bundesfinanzministeriums gefaßten Beschluß des Haushaltsausschusses vom 25. Juni 1952 termingemäß zum 1. Oktober 1952 durchzuführen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die für die Auszahlung der vom Bund zu leistenden Versorgungsbezüge zuständigen Dienststellen sind mit Schnellbrief vom 13. September 1952 ermächtigt worden, vorschußweise die Jahreszuwendung in Höhe eines halben Monatsbezuges an die Versorgungsempfänger des Bundes einschließlich der sogenannten 131er Pensionäre auszuzahlen. Die Dienststellen sind angewiesen worden, die Auszahlung so zu beschleunigen, daß sie möglichst gemeinsam mit den Versorgungsbezügen für den Oktober 1952 durchgeführt wird.
Soweit das kassentechnisch bei der Kürze der Zeit nicht möglich ist, werden die Bezüge in den ersten Tagen des Monats Oktober gezahlt werden, also nicht etwa erst mit der Zahlung zum 1. November. Ich nehme an, daß in den ersten Tagen des Monats Oktober die gesamten Berechnungen und Auszahlungen erledigt sein werden.
Der Herr Bundeskanzler kann zur Beantwortung der Frage Nr. 17 nicht zur Verfügung stehen. Da die Beantwortung durch ein anderes Mitglied der Bundesregierung nicht möglich ist, muß die Frage heute abgesetzt werden.
Zur Frage Nr. 18 Herr Abgeordneter Mehs.
Mehs , Anfragender: Ich frage die Bundesregierung:
Wie ist es möglich, daß am 4. September 1952 im Bereich der Stadt Bitburg Kartoffel- und Rübenfelder ohne Wissen und Befragen des Eigentümers Peter Riemann von heute auf morgen für militärische Zwecke in Anspruch genommen wurden, und welche Maßnahmen werden ergriffen, um den Eigentümer schnellstens zu entschädigen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In der Nähe des neuangelegten Flugplatzes Bitburg ist ein Gelände von etwa 50 ha beantragt, um Wohnungen für verheiratete Soldaten und Offiziere der auf dem Flugplatz stationierten Truppen errichten zu können. Mit diesem Antrag sind die zuständigen deutschen Dienststellen, insbesondere auch die örtlichen Behörden befaßt worden. Bei einer Besprechung am 18. August 1952 ist über das in Anspruch zu nehmende Gelände in Gegenwart des Landrats und des Bürgermeisters von Bitburg eine Einigung erzielt worden.
Die Beschlagnahme ist noch nicht ausgesprochen, sondern am 3. September 1952 in der in Bitburg üblichen Weise, und zwar durch öffentlichen Aushang und mittels Ortsschelle bekanngegeben worden. Das Entschädigungsverfahren wird von der zuständigen Oberfinanzdirektion sofort in Angriff genommen werden, sobald das Gelände beschlagnahmt ist.
Mehs , Anfragender: Darf ich noch eine Zusatzfrage stellen?
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mehs!
Mehs , Anfragender: Es geht ja hier nicht etwa um das Einverständnis des Landrats und des Bürgermeisters, sondern um das Einverständnis des Eigentümers. Ich weiß nicht, ob das die richtige Methode ist, daß das nur durch Anschlag festgestellt wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, daß die Methode der Veröffentlichung sich nach den örtlichen Gewohnheiten richtet. Nach dem Material, das mir zugegangen ist, scheint es in Bitburg üblich zu sein, daß derartige Bekanntgaben durch öffentlichen Aushang und durch die Ortsschelle erfolgen. Das Einverständnis des Eigentümers wird ja durch die Verhandlungen der Behörde über die Beschlagnahme ersetzt, gegen die er dann die üblichen Rechtsmittel hat.
Mehs , Anfragender: Ich danke!
Zur Frage 19 Herr Abgegeordneter Morgenthaler!
Morgenthaler , Anfragender:
Welchen Einfluß nimmt die Bundesregierung auf das Vergabewesen bei Bauten und Beschaffungen alliierter Stellen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, im Besatzungsstatut haben sich die Alliierten das Recht der Vergabe bei Bauten und bei Beschaffungen für die alliierten Streitkräfte selbst vorbehalten. Sie haben sich dabei bereits frühzeitig der Mithilfe deutscher Stellen bedient, jedoch sehr verschiedenartig. In ,der britischen Besatzungszone geschieht die Vergabe auf dem Gebiete des Bauwesens nach deutschen Rechts vorschriften durch deutsche Baudienststellen nach Zustimmung der britischen oder belgischen Besatzungsmacht. Auch die französische Besatzungsmacht hat deutsche Bauämter beim Vergabewesen eingeschaltet, schaltete sich aber
stärker als die britische Besatzungsmacht ein. In der amerikanischen Besatzungszone wurden die Bauleistungen zunächst ausschließlich von der Besatzungsmacht selber ausgeschrieben und vergeben. Die sonstigen Beschaffungen haben sich die Alliierten vorbehalten.
Nach Übernahme der Besatzungslasten auf den Bund ist es das besondere Bestreben der Bundesregierung gewesen, das Vergabewesen in die deutsche Hand zu bekommen. Der Bundesminister der Finanzen hat bautechnische Arbeitsgruppen am Sitz der alliierten Oberkommandos eingeschaltet, und zwar in Heidelberg, in Wiesbaden und in Oeynhausen. Dadurch wird darauf hingewirkt, daß die Vergabe nach deutschen Rechtsgrundsätzen erfolgt. Die Länder unterstützen uns durch die örtlichen Bauämter und die Landesbauabteilungen dabei.
Auf dem Gebiet der sonstigen Beschaffungen führt die amerikanische Besatzungsmacht leider Ausschreibungen und Vergabe immer noch selbst durch. Die britische Besatzungsmacht hat das Vergabewesen in deutsche Hand gelegt. Sie vergibt die Aufträge nach Ausschreibung durch die Sonderabteilung des Bundesministeriums der Finanzen. Für die Beschaffungen der französischen Besatzungsmacht ist in Baden-Baden ein deutsches beratendes Büro tätig.
Hinsichtlich der zukünftigen Regelung im Deutschland-Vertrag darf ich wohl der Kürze der Zeit halber auf die Regelung in den Vertragsentwürfen verweisen, durch die ein ganz weitgehendes deutsches Mitwirkungsrecht festgelegt ist.
Morgenthaler , Anfragender: Ist damit der Mißstand, der beim Vergabewesen heute zutage tritt — um nicht einen schärferen Ausdruck zu bringen — hiernach restlos beseitigt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir sind der Ansicht, daß nach Ratifizierung der Verträge mit den Alliierten diese Mißstände beseitigt werden.
Zur Frage 20 Herr Abgeordneter Willenberg!
Willenberg , Anfragender:
Ist der Bundesregierung der in der Presse gemeldete Mißbrauch von Wohnungsbaugeldern in Baden bekannt, wonach Kredite für Flüchtlingssiedlungen durch gefälschte Baulisten an Unberechtigte verteilt wurden?
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um das geschehene Unrecht an den Flüchtlingen wiedergutzumachen?
Der Herr Bundesminister für den Wohnungsbau!
Eine Nachprüfung hat ergeben, daß die erhobenen Beschuldigungen unbegründet sind.
Die Angelegenheit ist bereits durch einen badischen Landtagsabgeordneten zusammen mit einem Vertreter der Landesregierung auf Grund der erhobenen Beschuldigungen nachgeprüft worden. Dabei wurde festgestellt, daß sämtliche hier in Frage kommen den Wohnungen von Umsiedlern bezogen worden sind. Nur in zwei Gemeinden ist ein Tausch zwichen Umsiedlern und Einheimischen vorgenommen worden. Dieser Tausch ist im Einvernehmen mit der örtlichen Flüchtlingsvertretung erfolgt. Die Flüchtlingsorganisation hat die Sache geprüft und in Ordnung befunden.
Keine Zusatzfrage. Zur Frage 21 Herr Abgeordneter Reitzner.
Reitzner , Anfragender:
Trifft es zu, ,daß der deutsche Generalkonsul in London, Herr Schlange-Schöningen, dem ehemaligen tschechischen Justizminister Dr. Jaroslav Stransky ein gebührenfreies Visum zur Einreise nach Deutschland ausstellen ließ?
Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, Herr Abgeordneter. Die Gründe sind folgende. Dr. Stransky war im Besitz eines britischen Ausweises für Flüchtlinge entsprechend dem Londoner Abkommen und wies ein Einladungsschreiben des Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen für den Juristenkongreß in Berlin vor.
Personen, die sich durch ein Einladungsschreiben des Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen auswiesen, erhielten gebührenfreien Sichtvermerk.
Reitzner , Anfragender: Ich danke vorläufig.
Keine Zusatzfrage? Reitzner , Anfragender: Nein, nicht!
Dann zur Frage Nr. 22 ebenfalls Herr Abgeordneter Reitzner.
Reitzner , Anfragender:
Wann wird nach der Meinung des Herrn Bundesministers der Finanzen die Änderung des Ortsklassenverzeichnisses möglich sein?
Der Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Änderung des Ortsklassenverzeichnisses wird erst dann möglich sein, wenn das Hohe Haus die Bundesregierung ermächtigt, von den Bestimmungen des Gesetzes vom 24. Mai 1940 Ausnahmen zuzulassen. Bereits im Entwurf eines 1. Besoldungsänderungsgesetzes, das am 6. Dezember 1951 verkündet worden ist, war von der Bundesregierung eine Bestimmung vorgesehen, durch die der Bundesfinanzminister ermächtigt werden sollte, in besonderen Ausnahmefällen mit Zustimmung des Bundesrats Änderungen des Ortsklassenverzeichnisses vorzunehmen. Das Hohe Haus hatte dem Entwurf in dieser Fassung zugestimmt. Auf Verlangen des Bundesrats hat aber der Vermittlungsausschuß diese Bestimmung des Entwurfs damals gestrichen. Der Bundesfinanzminister hat in den zur Zeit im Bundeskabinett in Beratung befindlichen Entwurf eines 3. Besoldungsänderungsgesetzes wieder eine gleiche Bestimmung aufgenommen wie die oben genannte. Das Ortsklas-
senverzeichnis kann erst geändert werden, wenn dieser Gesetzentwurf verabschiedet ist.
Ich darf ,die Hoffnung aussprechen, daß, wenn dieser Gesetzentwurf auf Wunsch des Bundesrats nochmals in dieser Angelegenheit den Vermittlungsausschuß beschäftigen sollte, das Hohe Haus dann im Vermittlungsausschuß darauf bestehen wird, daß der Bundesregierung die Möglichkeit zur Änderung des Ortsklassenverzeichnisses gegeben wird.
Keine Zusatzfrage.
Zur Frage Nr. 23 Herr Abgeordneter Dr. Miessner!
Dr. Miessner , Anfragender: Herr Staatssekretär,
welche Bezüge erhalten die Angehörigen der noch in Kriegsgefangenschaft befindlichen oder vermißten Bundesbeamten? Sind hierzu seitens der Bundesregierung Anordnungen ergangen, die eine Kürzung der Bezüge gegenüber dem bisherigen Rechtszustand bedeuten? Wann und in welcher Weise beabsichtigt die Bundesregierung, diesen Fragenkomplex einer gesetzlichen Regelung zuzuführen?
Der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Angehörigen der vermißten Bundesbeamten erhalten Verschollenenbezüge nach § 106 des Deutschen Beamtengesetzes, also Witwen- oder Waisengeld.
Auf die in Kriegsgefangenschaft befindlichen Zollbeamten bzw. deren Angehörige werden die vor Übergang der Zollverwaltung auf den Bund in den einzelnen Ländern ergangenen Bestimmungen angewandt, so daß die Zollbeamten jeweils so behandelt werden wie die Beamten der Finanzverwaltung des betreffenden Landes.
Für die Beamten der Post und der Bahn sind Anordnungen der Bundesregierung nicht ergangen. Bereits vor Schaffung der Bundesorgane haben diese Verwaltungen nach längeren Bemühungen die Genehmigung der Militärregierungen erwirkt, 50 % der Dienstbezüge — und dazu gegebenenfalls volle Kinderzuschläge — zu zahlen. Diese Regelung entspricht den bestehenden Bestimmungen in den meisten Ländern.
Die Erörterungen über eine bundesgesetzliche Regelung sind noch nicht abgeschlossen. Ich darf aber darauf hinweisen, daß bei der Bundesbahn und bei der Bundespost gegenwärtig die Angehörigen von zusammen nur noch etwa 40 kriegsgefangenen Beamten versorgt werden. In der Zollverwaltung handelt es sich ebenfalls nur noch um vereinzelte Fälle.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Miessner.
Dr. Miessner , Anfragender: Hält die Bundesregierung aber für die Zukunft doch eine einheitliche bundesgesetzliche Regelung für erforderlich, und ist der Bundesregierung bekannt, daß durch das Fehlen einer einheitlichen Regelung zur Zeit recht unterschiedliche Verhältnisse in Bund und Ländern in Erscheinung getreten sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich hatte schon darauf hingewiesen,
daß die Regelungen vor dem Inkrafttreten der Bundesorgane getroffen worden sind, und zwar so, daß immer die Regelung für die inzwischen zu Bundesbeamten gewordenen Beamten an die Regelung für die betreffenden Landesbeamten angepaßt worden ist. Nunmehr, nach Rückkehr mancher Kriegsgefangener, handelt es sich, wie ich schon sagte, vielleicht noch um 50 Fälle. Ich glaube, es ist eine Frage der Gesetzesökonomie, ob man für 50 Fälle ein eigenes Bundesgesetz machen soll.
Dr. Miessner , Anfragender: Ich danke ihnen, Herr Staatssekretär.
Zur letzten Frage Herr Abgeordneter Dr. Preller!
Dr. Preller , Anfragender: Ich darf den Herrn Bundesminister der Finanzen fragen: ob ihm bekannt ist, daß die Germania-Werft Kiel eine Forderung an die ehemalige JEIA aus Schrotterlösen hat, die mit zur Befriedigung der Pensionsansprüche von 1200 Pensionären der Werft dienen soll?
Wann kann die Auszahlung erfolgen, nachdem die Abwicklung der JEIA von den Alliierten auf die Bundesregierung übergegangen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Frage ist uns bekannt. Es ist Ihnen ja auch in einigen Schreiben bereits der seinerzeitige Stand der Verhandlungen mitgeteilt worden. Ich glaube, es ist von Wichtigkeit, auch den jetzigen Stand der Sache bekanntzugeben. Die Absicht der Bundesregierung, die Erzöse aus den Schrottentnahmen zugunsten der Wirtschaft in der britischen Zone zu verwenden, wurde vereitelt durch ein Memorandum des Finanzausschusses der Alliierten Hohen Kommission vom 24. November 1950, in dem zum Ausdruck gebracht wurde, daß gemäß dem Byrnes-Bevin-Abkommen die Erlöse sämtlicher Exporte aus Deutschland der .TEIA zufließen, daß diese Beträge der deutschen Wirtschaft erst bei Liquidierung der JEIA und nicht in Form einer gesonderten Zahlung zur Verfügung gestellt werden. Die Abwicklung der JEIA durch die Bundesregierung ist in einem Schriftwechsel zwischen dem Bundeskanzler und dem früheren Hochkommissar McCloy festgelegt worden und in Teil IX Art. 4 des Deutschlandvertrages zum wesentlichen Bestandteil dieses Vertrages geworden. Diese Vorschrift bedarf aber zu ihrer Wirksamkeit selbstverständlich der Ratifizierung des Deutschlandvertrages.
In diesem Schriftwechsel ist zwar niedergelegt, daß die D-Mark-Aktiven der JEIA auf die Bundesregierung übergehen. Es steht aber bereits fest, daß diese Aktiven nicht zur ausschließlichen Verfügung der Bundesregierung stehen, sondern daß ihr Verwendungszweck mit den Alliierten abgestimmt werden muß.
Die JEIA hat nun behauptet, sie sei nicht zahlungspflichtig, weil es sich bei den Schrottentnahmen um Entmilitarisierungsmaßnahmen gehandelt habe. Sie hat daher Rückstellungen für noch nicht abgewickelte Verbindlichkeiten aus Schrotterlösen in ihrer Liquidationsbilanz nicht vorgenommen. Die Alliierten haben zum Ausdruck gebracht, daß es sehr schwer sei, Ansprüche, die sie bereits abgelehnt hätten, wieder aufleben zu lassen.
Das Bundesfinanzministerium hat mit dem Generaldirektor der JEIA verhandelt und zum Ausdruck gebracht, daß die Germania-Werft den Wert
des in ihren Anlagen demontierten Schrotts auf etwa 16 Millionen DM beziffere. Der Generaldirektor der JEIA hat geantwortet, einen Devisenbetrag, der seines Wissens etwa 10 Millionen DM übersteige, habe er von Konten der Militärregierung zwar erhalten. Dieser Betrag sei jedoch für JEIA Aufgaben verwandt worden, so daß er sich zu einer Verteilung der Schrotterlöse nicht mehr in der Lage sähe.
Nunmehr hat das Bundesministerium für Wirtschaft im Einvernehmen mit der Leitung der Firma Friedrich Krupp, Essen, es übernommen, in einer Anfrage bei den Alliierten nach dem Umfang der entnommenen Schrottmengen zu fragen. Sobald die Bundesregierung das gesamte amtliche alliierte Material, auch hinsichtlich der geschädigten Firmen, in Händen hat, wird sie die Alliierten um Zahlung des Gegenwertes ersuchen, und zwar auf der Preisgrundlage von 7/2/6 englischen Pfunden pro Tonne, wie sie in dem Byrnes-Bevin-Abkommen vereinbart war. Es wird alsdann erneut an die JEIA mit dem Verlangen nach Auszahlung der Schrotterlöse herangetreten werden. Das Bundeswirtschaftsministerium und das Bundesfinanzministerium werden sich dieser Angelegenheit nach wie vor mit allem Nachdruck annehmen.
Dr. Preller , Anfragender: Eine Zusatzfrage.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Preller.
Dr. Preller , Anfragender: Ich entnehme aus den mir nicht ganz unbekannten Tatbeständen, daß Sie als Bundesfinanzministerium wie auch ich der Auffassung sind, daß die JEIA diese Teile der Schrotterlöse widerrechtlich an sich genommen hat. Frage: Wäre es Ihnen als Bundesfinanzministerium möglich, im Wege der Vorleistung an die Germania-Werft, d. h. besser an die Pensionskasse der Germania-Werft, die Leistungen auszuschütten, die später im Interesse der Pensionäre von der JEIA zu erwarten sind?
Hartmann, Staatssekretär im• Bundesministerium der Finanzen: Dem Bundesfinanzministerium wird es nicht möglich sein, eine Vorleistung auf Ansprüche zu machen, deren Erfüllung von dem eigentlichen Schuldner, nämlich der JEIA, bestritten wird. Es handelt sich ja insofern nicht um eine feststehende Forderung, die bevorschußt werden könnte.
Keine Zusatzfrage? — Die Fragestunde ist beendet.
Meine Damen und Herren, ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung.
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zum Entwurf eines Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Binnenschiffahrts- und Rheinschiffahrtssachen (Nrn. 3689, 3303, 3582, 3651 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Minister Renner . Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Renner, Justizminister des Landes Baden-Württemberg, Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat in seiner 226. Sitzung am 18. Juli 1952 das Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Binnenschifffahrts- und Rheinschiffahrtssachen entsprechend
dem Mündlichen Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht verabschiedet. Der Bundesrat hat in seiner 90. Sitzung am 30. Juli 1952 beschlossen, die Einberufung des Vermittlungsausschusses zu verlangen mit dem Ziele, den § 12 des Entwurfes zu ändern und § 16 sowie die Hinweisbestimmungen auf diesen in § 24 Satz 1 zu streichen.
Durch die Änderung des § 12 wünscht der Bundesrat die Vertretung vor den Schiffahrtsobergerichten auf die bei den Oberlandesgerichten zugelassenen Rechtsanwälte zu beschränken. Die in § 16 vorgesehene Ermächtigung des Bundesministers der Justiz hält der Bundesrat für verfassungsrechtlich nicht haltbar, weil unabhängig davon, ob es sich um eine Ermächtigung zur Vornahme eines Verwaltungsaktes oder um eine Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsnormen handelt, eine Kompetenz des Bundes nicht gegeben sei. Der Zweck dieser Bestimmung, bestimmte Funktionen bei bestimmten Gerichten zu konzentrieren, kann nach Auffassung des Bundesrats durch Abschluß von Verwaltungsvereinbarungen zwischen den beteiligten Justizverwaltungen erreicht werden.
Der Vermittlungsausschuß hat dem zuerst erwähnten Antrag des Bundesrats nicht stattgegeben. Er war also nicht der Auffassung, daß bei den Obergerichten nur die bei den Oberlandesgerichten zugelassenen Rechtsanwälte zuzulassen seien. Dem weiteren Antrag hat er aber entsprochen. Er ist der Auffassung, daß die Bestimmung des § 16 durch die Sonderbestimmung des § 4 gedeckt ist. Dieser Auffassung hat sich das Bundesjustizministerium ausdrücklich angeschlossen.
Der Vermittlungsausschuß schlägt dem Deutschen Bundestag deshalb in der Drucksache Nr. 3689 vor, den Gesetzesbeschluß vom 18. Juli 1952 in der Weise zu ändern, daß § 16 und die auf ihn verweisende Bestimmung in § 24 gestrichen werden, daß es aber bei dem § 12 sein Bewenden haben soll, wie der Bundestag ihn beschlossen hat.
Der Vermittlungsausschuß hat ferner beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die vorstehenden Änderungen gemeinsam abzustimmen sei.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird gewünscht, daß Erklärungen abgegeben werden? — Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Vermittlungsausschusses Drucksache Nr. 3689, und zwar über die Punkte 1 und 2 gemeinsam. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Vermittlungsausschusses entsprechen wollen, eine Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit des Hauses. Dieser Antrag des Vermittlungsausschusses ist angenommen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf: Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der Deutschen Partei und Genossen betreffend Lösung der „Kriegsverbrecher"-Frage .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 20 Minuten und eine Aussprachezeit von 90 Minuten vor. — Das Haus ist mit dieser Regelung einverstanden.
Zur Begründung der Großen Anfrage Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz!
Dr. von Merkatz , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Auf-
gabe der Begründung dieser Großen Anfrage sind sich meine politischen Freunde und bin ich mir der großen Verantwortung bewußt, die hiermit verbunden ist. Aber wir sind der Auffassung, daß es im Völkerleben Fragen gibt, die so auf das Wesentlichste des Rechts und der Beziehungen unter den Völkern gerichtet sind, daß es vor diesen Fragen kein taktisches Ausweichen gibt. Das behutsame Wort und die Kunst der Diplomatie, die unter den Völkern die Schwierigkeiten zu beseitigen trachten, muß dem Bedürfnis nach Deutlichkeit dienen, wo es um die Grundprinzipien der Rechtsgemeinschaft geht. Meine Damen und Herren, wir sind nicht der Auffassung, daß wir uns auf diesem Gebiet etwas ertrotzen könnten; aber wir fühlen die Verantwortung vor der Zukunft. Nach diesen beiden furchtbaren Kriegen, nach dem Einbruch des totalitären Rechtsdenkens in die Kulturgemeinschaft bedarf es des wahrhaften Aufbaus derjenigen Rechtsprinzipien, auf denen unsere Gemeinschaft beruhen soll.
Ich habe nicht die Absicht, über das zu sprechen, was gewesen ist, sondern unsere Anfrage bezweckt, Klarheit zu gewinnen, was in der Zukunft zu tun ist. Wir sind der Auffassung daß es sich hier nicht um eine Parteiangelegenheit handelt, sondern um eine Angelegenheit, die vom ganzen Hause, von allen rechtlich denkenden Menschen mitgetragen wird. Wir beanspruchen nicht, hier gewissermaßen die Spitze am Rammbock zu sein, sondern wir haben die Absicht, mit Ihnen allen zusammen die deutsche Energie darauf zu lenken, daß gerechte Prinzipien zur Geltung gebracht werden.
In der Einleitung der Anfrage steht der Begriff der Ehrenhaftigkeit. Üper Punkte der Ehre läßt sich nicht streiten. Sie stehen unweigerlich fest und sind mit dem Wesen eines Menschen verbunden. Ehrenhaftigkeit in den Beziehungen unter den Völkern bedeutet, daß man voneinander die Meinung gewinnt, daß man sich in Geist und Praxis aufeinander verlassen kann, daß grundsätzliche Prinzipien des Rechts und der Moral untereinander gelten, die die stillschweigende Voraussetzung aller vertraglichen und aller praktischen Beziehungen sind. Wenn man Ehrenstandpunkte einander gegenüberstellt, erzielt man nur eine Verhärtung ' und keine Lösung.
Die Lösung, die in dem Aufbau des künftigen Völkerrechts zu finden ist, muß über diesen beiden Standpunkten liegen. Es ist nicht mehr als billig und gerecht, zu fragen, was man will. Hier habe ich unsererseits eine einfache Antwort zu geben: Wir wollen die Freiheit aller Unschuldigen, und den Weg, wie diese Freiheit zu gewinnen ist, sehen wir darin, daß in dem künftigen Kriegsrecht und bei der Praxis der Kommissionen die Prinzipien fundamentiert werden, auf denen unsere künftige Rechtsgemeinschaft beruht. Weil das so ist, können wir diese Probleme nicht liegenlassen. Es ist ein rechtliches Problem, ein Problem der Menschlichkeit.
Wir kommen aus einer Epoche der Verwilderung des Völkerrechts. Ich stehe nicht an, namens meiner politischen Freunde — und, ich glaube, der Mehrheit der Deutschen — zum Ausdruck zu bringen, daß wir die Verfahren, auf die sich unsere Anfrage bezieht, als eine Ungerechtigkeit empfinden müssen, eine Ungerechtigkeit im Hinblick auf die Rechtsgrundlage, im Hinblick auf die prozessualen Methoden, im Hinblick auf die Begründung der Urteilssprüche und im Hinblick auf die Vollstreckung. Diese Tatsachen können nicht liegenbleiben, sie bedürfen der Bereinigung. Diese Bereinigung ist aus den auf diesem Gebiete geltenden alten Rechtsgrundsätzen zu gewinnen. Wir sind uns bewußt, daß das Prinzip der tabula rasa, jenes Prinzips, das geschaffen wurde, um die Greuel und Schrecken der Kriege zu vergessen, um das, was sich letzthin menschlichem Richterspruch, menschlichem Gerechtigkeitsvermögen entzieht, in das Dunkel des Vergessens sinken zu lassen, wie es klassisch und einmalig im Edikt von Nantes formuliert worden ist, nicht voll erfüllt werden kann. Wir sind uns klar darüber, daß diese großzügige Geste nach allem, was geschehen ist, nicht mehr erreicht werden kann. Es ist notwendig, daß hier eine Auflösung stattfindet in idem Sinne, daß bei der Beurteilung der übriggebliebenen Taten die Prinzipien zur Geltung kommen, die in den neuerarbeiteten Genfer Konventionen von 1949 zum Ausdruck gekommen sind.
Man kann einen Unschuldigen nicht begnadigen. Dennoch ist es notwendig, daß der richtige Weg gefunden wird, bevor durch die Vertragswerke die neue Rechtsgemeinschaft in Europa entsteht. So weit als möglich sollte man gemäß den überkommenen Prinzipien einen Schlußstrich unter eine furchtbare Vergangenheit ziehen und soviel wie möglich jener noch sieben Jahre nach Waffenruhe in den Gefängnissen festgehaltenen deutschen Soldaten in Freiheit setzen, und zwar schon vor Beginn der Tätigkeit der Kommissionen. Wir wollen der Spruchpraxis der Kommissionen nicht vorgreifen. Es versteht sich von selbst, daß diese Kommissionen ihre Sprüche in richterlicher Unabhängigkeit zu finden haben. Aber wir halten es für notwendig, daß von deutscher Seite hinsichtlich der Maßstäbe und Prinzipien, nach denen diese Sprüche gefunden werden sollen, Klarheit geschaffen wird. eine Klarheit, die immer wieder das eine große Ziel verfolgt: die uns in Europa und in der freien Welt vereinigenden Ideen
der Demokratie, der Menschlichkeit und der Ritterlichkeit, ,die aus unserer abendländischen Tradition hervorgehen, zum Ausdruck zu bringen.
Auf diesen Grundlagen muß auch das Rechtsgebäude der Zukunft aufgebaut werden. Wir streben einem Völkerrecht zu, das nicht auf die Souveränitäten, sondern das auf die Menschenrechte begründet wird. Diese Grundlage ist die wahrhafte Gegenidee, die wir dem östlichen Totalitarismus entgegenzusetzen haben. Deshalb fühlen wir bei der Lösung dieser Frage eine besondere Verantwortung vor der Zukunft und bitten die Regierung, sich über unsere Fragen auszusprechen. Diese Prinzipien, mit denen Europa in wahrhaft europäischem und humanitärem Geiste die Greuel und Schrecken der Vergangenheit zu überwinden vermag, werden die stärksten Waffen sein in der Auseinandersetzung mit dem Geist der östlichen Herrschaftsansprüche.
Hier sind die Prinzipien des Totalitarismus und die Prinzipien der freiheitlichen, humanitären, rechtsstaatlichen Demokratie klar gegenüberzusetzen. Wir sind der Auffassung — und das lehrt und beweist die geschichtliche Erfahrung —, daß die Prinzipien, die überzeugend von der Rechtsgemeinschaft geübt werden, im Bereich der geistigen Auseinandersetzung die Gefahren überwinden werden, die aus Haß, Rachsucht, Willkür und der Säkularisierung der Idee der Gerechtigkeit hervorzugehen drohen. Wir haben diese Frage angerührt in dem Bestreben, daß auf dieser Walstatt
rechtlicher, moralischer Auseinandersetzung dieser große geistige Kampf um die Zukunft der Menschheit geschlagen wird. Es handelt sich nicht darum, daß man über Dinge der Vergangenheit den Mantel der Liebe breiten möchte, sondern es handelt sich um das innerste Anliegen, eine Heilung all der Wunden zu bewirken, die der geistigen und moralischen Substanz unserer europäischen, unserer freien Rechtsgemeinschaft geschlagen worden sind. Wir müssen einen Weg in die Zukunft finden, damit von aller Willkür gereinigte Prinzipien des Rechts und der Moral unsere Gemeinschaft wieder regieren. Auf ihnen soll die Vertragstreue und Zuverlässigkeit der Rechtsgenossen begründet sein als eine geistige und moralische Abwehrfront gegenüber der Bedrohung der Menschheit durch die Willkür der totalitären Systeme.
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage gebe, muß ich eine Unterlassung wiedergutmachen. Nach fast einjähriger Krankheit ist Herr Abgeordneter Mayer wieder unter uns erschienen. Ich heiße ihn sehr herzlich willkommen.
Zur Beantwortung der Großen Anfrage hat das Wort der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat seit ihrem Bestehen der Heimführung der in ausländischer Haft unter der Beschuldigung von Kriegsverbrechen festgehaltenen deutschen Gefangenen ihre ganz besondere Aufmerksamkeit zugewendet. In diesem Bestreben hat die Bundesregierung den in den westlichen Ländern inhaftierten Gefangenen jeden möglichen Rechtsschutz zukommen lassen und gegenüber den Regierungen dieser Staaten immer wieder zum Ausdruck gebracht, welche Bedeutung die Lösung dieser Fragen für das deutsche Volk hat.
Während der letzten zweieinhalb Jahre sind fast drei Viertel dieser durch ausländische Gerichte verurteilten oder angeklagten Deutschen freigelassen worden. In einigen Ländern konnte die Gefangenenfrage inzwischen bis auf ganz wenige Fälle gelöst werden. Aber auch für die westlichen Länder, in denen sich die Hauptzahl der Verurteilten befinden, ergeben die Vergleichszahlen bereits eine wesentliche Verbesserung der Lage. In diesem Zeitraum wurden aus französischem Gewahrsam von 1140 Gefangenen 748, aus britischem Gewahrsam von 380 Gefangenen 258 und aus amerikanischem Gewahrsam von 665 Gefangenen 327 entlassen.
Zu den einzelnen Punkten der Anfrage möchte ich folgendes bemerken. Die Bundesregierung ist während der ganzen Dauer der Verhandlungen über das Vertragswerk mit den drei Mächten wie auch noch auf der Bonner Außenministerkonferenz am Tage vor der Unterzeichnung der Verträge und in der Folge beständig und planmäßig bemüht gewesen, zu erreichen, daß noch vor dem Inkrafttreten der Verträge so rasch wie möglich in umfassender Weise Entlassungen von Inhaftierten vorgenommen werden. Diese Bemühungen werden bei den Vertragspartnern und bei den übrigen Gewahrsamsländern auch weiterhin mit
allem Nachdruck fortgesetzt, und zwar im Hinblick auf alle in den Ziffern 1 bis 3 der Anfrage aufgeführten Punkte. Seit dem Zeitpunkt der Unterzeichnung der Verträge ist bisher die Freilassung von 103 Gefangenen zu verzeichnen. Neue Verfahren gegen Deutsche sind seit langer Zeit nicht eingeleitet worden. Der britische Hohe Kommissar hat mir nach Unterzeichnung der Verträge mitgeteilt, seine Regierung habe angeordnet, daß er eine Nachprüfung sämtlicher Fälle der in britischem Gewahrsam befindlichen Personen vornehmen solle.
Zu Ziffer 4 der Anfrage ist zu bemerken, daß die Bundesregierung bemüht ist, den nach Art. 6 des Überleitungsvertrags vorgesehenen Gemischten Ausschuß schon vor dem Inkrafttreten der Verträge, und zwar so schnell wie möglich, tätig werden zu lassen.
Zu B der Anfrage: Für Vorschläge der Bundesregierung zur Ausgestaltung des Verfahrens vor dem Gemischten Ausschuß und für die Erteilung von politischen und rechtlichen Richtlinien an die Mitglieder dieses Ausschusses ist nach Art. 6 Absätze 2 und 8 des Überleitungsvertrages kein Raum. Die Mitglieder dieses Ausschusses müssen nach diesen Bestimmungen unabhängige Personen sein, die nicht an Weisungen der Regierung gebunden sind, die sie ernannt hat. Die Aufstellung von Grundsätzen und Verfahrensvorschriften obliegt ausschließlich dem Ausschuß selbst.
Zu Ziffer 1: Die Gesichtspunkte für die Auswahl der deutschen Mitglieder des Ausschusses ergeben sich aus Art. 6 Abs. 2. Hier wird bestimmt, daß die Mitglieder unabhängige Personen sein müssen, die keine andere amtliche Tätigkeit außer der eines Richters oder eines Universitätslehrers ausüben. Persönlichkeiten, die in irgendeiner Weise an diesen Verfahren beteiligt waren, dürfen nicht ernannt werden. Die Bundesregierung nimmt die Auswahl der deutschen Mitglieder dieses Ausschusses mit größter Sorgfalt vor. Es wird sich um Persönlichkeiten von hohem menschlichem, politischem und juristischem Ansehen handeln müssen. Die Namen werden bald bekanntgegeben werden.
Zu Ziffer 2: Ob der Gemischte Ausschuß in seiner Spruchpraxis von der Anwendbarkeit der Haager Konventionen auf die Kriegführung mit der Sowjet-Union ausgehen wird, entzieht sich der Einflußnahme der Bundesregierung. Im übrigen dürfte es dem Sinn der Konstituierung dieses Ausschusses entsprechen, daß er sich weniger von formaljuristischen. als vielmehr von menschlichen Gesichtspunkten leiten lassen wird.
Zu Ziffer 3: Die Frage des höheren Befehls entscheidet sich nach Auffassung der Bundesregierung nach § 47 des ehemaligen Militärstrafgesetzbuches.
Hiernach ist der Befehlsempfänger nur dann als Teilnehmer strafrechtlich verantwortlich, wenn ihm bekannt gewesen ist, daß der Befehl des Vorgesetzten eine strafbare Handlung bezweckte. Maßnahmen eines totalitären Staates können den Befehlsempfänger in einen Befehlsnotstand versetzen. Hierbei wird es auf 'den einzelnen Fall ankommen.
Zu Ziffer 4: Die Bundesregierung steht hinsichtlich der Anwendung rückwirkenden Strafrechts auf dem Boden des Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes.
Zu Ziffer 5: Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Grundsätze der Genfer Konventionen und die Erklärungen der Menschenrechte für die Prozeßverfahren und ihre Auswirkung weitgehend richtungweisend sein sollten. Die Bundesregierung vertraut darauf, daß sich der Gemischte Ausschuß der geläuterten Rechtsüberzeugung der westlichen Welt nicht entziehen wird, wie sie sich in diesen Konventionen und Erklärungen manifestiert hat.
Zu C: Durch laufende generelle Schritte und Bemühungen in Einzelfällen ist die Bundesregierung bestrebt, die Anrechnung der gesamten Gefangenschaft seit Mai 1945 in allen Fällen zu erreichen. Den Gefangenen im französischen Gewahrsam wird die gesamte Freiheitsentziehung allgemein angerechnet. Die amerikanische Gewahrsamsmacht berücksichtigt eine ununterbrochene Gefangenschaft in amerikanischem Gewahrsam seit Mai 1945 und darüber hinaus in Einzelfällen auch Haftzeiten im Gewahrsam bei einer anderen Macht. Es ist ferner gelungen, bei den britischen Dienststellen in der Praxis die Anrechnung der vollen Internierungszeit zu erreichen. Die Bundesregierung ist weiterhin bemüht, bei allen Gewahrsamsländern einen möglichst günstigen Entlassungsmodus zu erzielen.
Zu D: Die Gefangenen in Landsberg, Werl und Wittlich sind auf Veranlassung der zentralen Rechtsschutzstelle beim Bundesministerium der Justiz durch ihre Verteidiger über die Tragweite des Art. 6 des Überleitungsvertrages unterrichtet worden. Die Öffentlichkeit wird hierüber im Rahmen der Gesamtunterrichtung über das Vertragswerk orientiert. Die Betroffenen werden durch die zentrale Rechtsschutzstelle bei der Anwendung der sich aus dem Art. 6 ergebenden Möglichkeiten auf jede Weise unterstützt.
Zu E: Die gesamten Bemühungen der Bundesregierung um eine baldmögliche Freilassung der deutschen Gefangenen in den westlichen Ländern erfolgen auch unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Rückwirkung auf die Bestrebungen zur Freilassung der deutschen Gefangenen in der Sowjetunion und in den Ostblockstaaten.
Lassen Sie mich noch einige Worte hinzufügen. Ich verstehe durchaus die Beunruhigung weitester Kreise des deutschen Volkes, ja fast der gesamten deutschen Öffentlichkeit über die uns beschäftigenden Fragen.
Ich glaube aber doch, auf einige Gesichtspunkte hier noch hinweisen zu sollen. Nicht alle im Gewahrsam befindlichen Personen sind eines Gnadenerweises würdig.
Ein gewisser Teil würde auch von einem deutschen Gerichtshof mit hohen Strafen belegt worden sein. Ich weiß, daß die Forderung nach Freilassung der im Gewahrsam befindlichen Deutschen diese nicht einschließt. Aber ich glaube, man sollte, wenn man in der Öffentlichkeit diese Forderung erhebt, doch, um keine Mißverständnisse hervorzurufen, hier und da darauf Rücksicht nehmen, daß sich, wie ich eben schon sagte, ein wenn auch kleiner Prozentsatz von absolut asozialen Elementen unter den in Gewahrsam gehaltenen Personen befindet.
Noch ein Weiteres. Das deutsche Volk, unsere öffentliche Meinung muß sich darüber klar sein, daß die Regierungen der Gewahrsamsländer auch mit der öffentlichen Meinung ihrer Länder zu rechnen haben.
Vorgänge der letzten Zeit in einem Nachbarlande haben das sehr deutlich gezeigt.
Darum müssen die Bundesregierung und auch unsere öffentliche Meinung sich darüber klar sein, daß der gesamte Fragenkreis zwar mit Zähigkeit und Ausdauer, aber auch mit Klugheit und Takt behandelt werden muß, wenn man — und das scheint mir das vornehmlichste Ziel zu sein — den in Gewahrsam Befindlichen helfen will.
Ultimative Forderungen helfen den in Gewahrsam Zurückgehaltenen nicht, sondern sie richten nur Schaden an.
Daß unsere Bemühungen von Erfolg gekrönt sind, beleuchten folgende Gesamtzahlen. In den Ländern außerhalb des Ostblocks waren am 1. April 1950 3649 Deutsche in Gewahrsam; am 13. September 1952 sind es noch 1017. Die Zahl der Entlassenen beträgt also 2632. Ich glaube, eine Pflicht zu erfüllen, wenn ich der Arbeit ,der Deutschen, aber auch einer ganzen Anzahl von Ausländern und auch der Hilfe der drei Hohen Kommissare bei den Bemühungen gedenke, die wir angestellt haben, um unsere Landsleute zu befreien.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu Spandau sagen. In Spandau liegen die Dinge ja besonders, weil die dort Inhaftierten im Gewahrsam der vier — früheren — Alliierten stehen.
Es hält sehr schwer, die Zustimmung eines dieser vier früheren Alliierten auch nur zu irgendwelchen Erleichterungen zu bekommen.
Ich darf darauf hinweisen, daß der amerikanische Hohe Kommissar, Herr Donnelly, auf meine Bitte noch in der letzten Woche gerade im Interesse der in Spandau Inhaftierten bei General Tschuikow vorstellig geworden ist.
Ich glaube, daß die deutsche Öffentlichkeit es nicht verstehen würde, wenn die Bundesregierung in diesem Zusammenhang nicht auch ein Wort über diejenigen armen deutschen Landsleute sagte, die noch in der Sowjetunion zurückgehalten werden.
Wir kennen die Zahl nicht;
aber, meine Damen und Herren, wir können mit Bestimmtheit sagen, daß zur Zeit noch weit über hunderttausend Kriegsgefangene in Sowjetrußland zurückgehalten werden.
— Meine Damen und Herren, auf den Zwischenruf möchte ich nur folgendes sagen: ich glaube, ein Deutscher sollte empört sein, auch wenn es „nur" über hunderttausend sind.
Herr Abgeordneter Niebergall, stammte der Zuruf von Ihnen?
— Herr Abgeordneter Rische, ich rufe Sie zur Ordnung.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, ich darf auch, wie ich annehme, in fast aller Namen — ich muß das „fast" ja aus bekannten Gründen hinzusetzen — den Vereinten Nationen dafür danken, daß sie sich bemühen, zu einer Lösung der Frage der in der Sowjetunion zurückgehaltenen deutschen Kriegsgefangenen zu gelangen. Wir haben alles getan, um der von den Vereinten Nationen eingesetzten Sonderkommission alle notwendigen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Ich glaube, wir müssen es begrüßen, daß diese Kommission trotz der ständigen Weigerung der Sowjetunion, eine Mitarbeit durchzuführen, ihre Bemühungen fortsetzen will. Wir werden — und ich glaube, darin sind wir fast mit dem gesamten deutschen Volke einig — unsere Bemühungen fortsetzen und unaufhörlich an das Gewissen der Welt appellieren, damit diese ganze Frage, aber einschließlich der Frage der in der Sowjetunion zurückgehaltenen Kriegsgefangenen, baldmöglichst einer günstigen Lösung entgegengeführt wird.
Ich unterstelle, daß eine Besprechung der Großen Anfrage gewünscht wird. Das Wort hat — im Rahmen der Redezeit von 90 Minuten — der Abgeordnete Professor Wahl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das sogenannte Kriegsverbrecherproblem beschäftigt uns seit Jahren immer wieder. Im Auswärtigen Ausschuß ist für diese Frage ein besonderer Unterausschuß gebildet. Der Ausschuß selbst hat sich schon in vielen Sitzungen mit dem Gegenstand beschäftigt. Heute gibt die Große Anfrage der DP und FDP und die eingehende Antwort des Herrn Bundeskanzlers den Anlaß, zur gegenwärtigen Situation Stellung zu nehmen. Bei der ersten großen Wehrdebatte trat ich — übrigens im Sinne der Beschlüsse des Unterausschusses — für meine Fraktion dafür ein, daß keine Generalamnestie kommen solle, weil wir keine Veranlassung haben, für Leute einzutreten, die gemeine Verbrechen begangen haben; und wer möchte leugnen, daß es bei den furchtbaren Untaten, mit denen der deutsche Name befleckt wurde, auch solche Deutsche gegeben hat? Bei der ersten Lesung des Vertragswerkes hat Herr Kollege Bazille von der SPD sich im gleichen Sinne geäußert, daß seine Partei und auch die Kriegsteilnehmer nichts anderes wollen als Gerechtigkeit. In diesem Sinne hat auch die Regierung gearbeitet und in Art. 6 des Überleitungsvertrages die damals von mir geforderte
gemischte deutsch-alliierte Kommission als Überprüfungsausschuß herausgehandelt. Natürlich ist diese Kommission als Ergebnis schwieriger Verhandlungen ein Kompromiß; aber die Wiederaufrollung der Verfahren im ordentlichen Prozeß sollte aus naheliegenden Gründen vermieden werden.
Heute ist der entscheidende Punkt, ob auch die Alliierten bereit sind, als Ziel der Arbeiten dieses Ausschusses die Entlassung aller derer herbeizuführen, die keine gemeinen Verbrechen begangen haben. Das entspricht genau den Beschlüssen des Verbandes ehemaliger Angehöriger des Deutschen Afrika-Korps, die gestern die Zeitung gemeldet hat. Jedenfalls ist das der Leitgedanke, der meine Freunde bewegt. Wenn wir zu der Vereinbarung ja sagen, so tun wir es in der Erwartung und in der Annahme, daß auch die Gegenseite sich diesen Leitgedanken zu eigen macht.
Lassen Sie mich zur Problematik der Kriegsverbrecherfrage, die so außerordentlich viele Seiten hat, nur auf wenige Punkte hinweisen, die hier in aller Ruhe vorgetragen werden sollen.
Gottlob ist die Kriegspsychose in den westlichen Ländern im Abklingen, wie insbesondere die vorjährige Tagung der Europäischen Bewegung in Hamburg gezeigt hat, bei der die französische Delegation den Hitlerismus in besonders engen Zusammenhang mit den Friedensverträgen nach dem ersten Weltkrieg gebracht hat. Das läßt hoffen, daß auch für rechtliche Erwägungen eine gewisse Aufnahmebereitschaft da ist, und das gibt mir den Mut zu meinen Ausführungen, die die Dringlichkeit der Bereinigung der Frage unterstreichen sollen.
In der Öffentlichkeit wird manchmal so getan, als ob die deutsche Forderung nur durch das Vertragswerk hätte aufkommen können und als ob hier nur ein politisches Geschäft gemacht werden sollte. Wir bedauern im Interesse des Rechts, daß dieser Eindruck entstehen konnte. Wir haben schon zu einer Zeit für das Recht gekämpft, als noch niemand an den deutschen Verteidigungsbeitrag dachte.
Die Nürnberger Gerichte standen vor einem völlig neuartigen Rechtsproblem, ebenso auch die sonstigen alliierten Gerichte, nämlich wie sich der Bürger in einem Gewaltregime verhalten muß, das vor Verbrechen nicht zurückschreckt, ja sie in Form von Gesetzen den Staatsorganen und Staatsbürgern vorschreibt und sie dadurch zu einem Bestandteil der Ordnung des Gemeinschaftslebens macht. Damit ist das Problem des état criminel gestellt, für den die Strafgesetze, die sich den Verbrecher als Individuum und das Verbrechen als Einzelvorgang vorstellen, keine Lösung haben. Wenn dieser état criminel zugleich ein aus Propaganda und Terror gemischtes System der Menschenbeeinflussung und -beherrschung entwickelt hat, dann tauchen Sachverhalte auf, denen gegenüber das bisherige Strafrecht ratlos ist.
Der einzelne kann die Verbrechen, an denen er mitwirken soll, durch eigenes Wohlverhalten gar nicht verhindern, während sonst im Strafrecht das Abstandnehmen des einzelnen Verbrechers von seinem Vorhaben auch einen günstigen Erfolg herbeiführt. Aber hier tritt an die Stelle des Widersetzlichen, dem es gelingt, sich der Erfüllung des
Gesetzes zu entziehen, sofort 'ein anderer als willfähriges Werkzeug. Dadurch hat der einzelne das Gefühl, daß sein Anteil an dem Geschehen eigentlich bedeutungslos ist. Man erlebt die Gewalt eines übermächtigen Staatsapparats, den der einzelne in seiner Ohnmacht wie ein über ihn gekommenes unentrinnbares Verhängnis empfindet.
Im I.G.-Farben-Prozeß hat das Gericht das Problem besonders klar gesehen, als es ausführte, daß, wenn man bloß auf den Fortgang des Lebens in solchen Gemeinwesen schaue, eigentlich alle sich der Teilnahme schuldig machen. Aber da man diese Folgerung nicht ziehen kann, „weil" — und ich zitiere wörtlich — „dies der Billigung des Begriffs der Kollektivschuld gleichkäme und daraus logischerweise Massenbestrafung folgen müßte, für die es keinen Präzedenzfall im Völkerrecht und keine Rechtfertigung in den Beziehungen zwischen den Menschen gebe", stehe man vor der schweren Aufgabe, die Umstände näher zu präzisieren, die die strafbare Teilnahme begründeten.
Da man andererseits darauf bestand, nicht nur an der engsten Führerclique Vergeltung zu üben, hat man diejenigen zur Strafe herangezogen, die unmittelbar mit der Ausführung der verbrecherischen Akte betraut oder in besondere zu ihnen gerückt waren. Das führt zu dem Ergebnis, daß es oft ein Zufall ist, wer diese Voraussetzungen erfüllte. Damit kommt eine gewisse Willkür in die Auswahl der von den Prozessen betroffenen Personen. War etwa ein militärischer Führer gerade in Urlaub, als gewisse verbrecherische Befehle ausgeführt werden sollten, ist er straffrei. Dann tritt sein Vertreter im Dienst auch in die strafrechtliche Verantwortung ein. Daraus ergibt sich zweierlei: einmal das weitverbreitete Mitgefühl mit dem Kameraden, der aus eigenem Antrieb nie ein Verbrechen begangen hätte, dem aber durch das System die Verantwortung dafür aufgezwungen worden ist, wobei der Gedanke mitschwingt, daß einem selbst das gleiche hätte widerfahren können, andererseits aber auch die merkwürdige Tendenz zum Gesinnungsstrafrecht, der sich hier niemand entziehen kann, weil der äußere Erfolg aller Widerstandsbemühungen gegenüber diesem mächtigen System von Anfang an sehr gering war und deshalb über die Strafwürdigkeit des einzelnen letztlich nur seine innere Gesinnung entscheidet.
Die einzige allgemeine Äußerung aus früherer Zeit zu diesem schwierigen Problem findet sich im Corpus Iuris Canonici. Papst Innozenz I. schrieb am 13. Dezember des Jahres 414 in der stürmisch bewegten Zeit der Völkerwanderung an die mazedonischen Bischöfe:
Wenn von Völkern oder einer großen Menge gesündigt wird, so pflegt dies ungesühnt durchzugehen, da wegen der großen Zahl nicht gegen alle vorgegangen werden kann. Deshalb, sage ich, muß das Vergangene dem Urteil Gottes überlassen bleiben und für die Zukunft mit äußerster Anstrengung vorgebeugt werden.
Ein bekannter Autor weist darauf hin, daß durch die Aufnahme dieses Briefausschnittes in das Corpus Iuris Canonici dem Leser auch eine juristische Erkenntnis vermittelt werden sollte, und er schließt mit dem Satz: ,.Es ist nicht wahrscheinlich, daß unsere Zeit die Weisheit dieses Rates widerlegen wird."
Das zweite große Problem, das im Völkerrecht liegt, ist die Behandlung des totalen Krieges. Die
Haager Landkriegsordnung baute auf dem Grundsatz von Kombattanten und Nichtkombattanten auf mit dem Bestreben, die Nichtkombattanten so weit wie möglich aus dem Kriegsgeschehen herauszuhalten. Nun kommt der totale Krieg, der in der Form des Luftkriegs die Zivilbevölkerung und ihre Rechtsgüter vom Leben bis zu ihrem Besitz zum Angriffsobjekt macht, sie im Zeichen des Wirtschaftskrieges auch dem Zugriff der feindlichen Besatzungsmacht auf ihre Arbeitskraft und ihre Wirtschaftsgüter aussetzt und sie — mindestens auf den östlichen Kriegsschauplätzen — systematisch im Kampfe verwendet. Darüber ist kein Zweifel, daß die Haager Landkriegsordnung für diese massenhaft auftretenden Phänomene, die geradezu das Gesicht des Krieges bestimmten und seine Entscheidung herbeiführten, keinerlei passende Regeln enthält, da nach ihrer Auffassung solche Erscheinungen höchstens als bedauerliche Einzelvorkommnisse in Betracht kommen. Für das Gericht ein wahrhaft dorniges Problem! Soll es die Entwicklungen bejahen und daraus folgern, daß große Teile der Haager Landkriegsordnung obsolet geworden sind, oder vor der tatsächlichen Entwicklung die Augen verschließen in der Hoffnung, daß durch das Festhalten an den alten Sätzen wenigstens nachträglich der Schutz der _Zivilbevölkerung sich im gerichtlichen Nachspiel durchsetzt? In den Vereinten Nationen ist eine Kommission ins Leben gerufen worden, die das Völkerrecht neu formulieren soll, weil das alte Recht für die modernen Gestaltungen insbesondere der Kriegführung nicht mehr paßt.
Die grundsätzlichen Zweifel wegen des Okkupationsrechts hatte zuerst der Amerikaner Feilchenfeld dargelegt, allerdings ohne die Folgerung daraus zu ziehen, daß die Stringenz der Vertragsregelungen dadurch gelockert sei. Die Feststellung des IG-Urteils, daß der technische Fortschritt der Waffen und der Luftkrieg das Besatzungsrecht doch nicht ändern könnten, ist in dieser Simplifikation offensichtlich nicht genügend.
Zum Partisanenkrieg ist zu bemerken, daß man sich unter dem Franktireur einen Zivilisten vorstellte, der aus eigenem Antrieb zur Waffe greift, um dem Landesfeind entgegenzutreten. Im Osten war der Partisanenkrieg von der feindlichen Regierung selbst organisiert worden, obwohl sie wußte, welches furchtbare Schicksal sie damit nach Kriegsrecht für die Zivilisten heraufbeschwor. Ja, die deutschen Truppenkommandeure wurden durch grausamste Verstümmelungen abgesprengter Truppenangehöriger zu schwersten Vergeltungsmaßnahmen provoziert, um durch diese die Bevölkerung der Kriegsgebiete von jeder Kollaboration mit den Deutschen abzuhalten. In der Organisation dieses Partisanenkrieges liegt einer der schwersten Verstöße gegen das Kriegsrecht. Andererseits erwies er sich als ein außerordentlich wirksames Mittel zur Schwächung der kämpfenden Truppen. Es soll durchaus nicht geleugnet werden, daß die geübte Vergeltung oft jedes Maß vermissen ließ, aber hier muß das Verschulden der Gegenseite, die nun einmal das Verhalten ihres Volkes völkerrechtlich verantwortlich gesteuert hat, zumindest als Milderungsgrund stärker beachtet werden.
Noch eine Bemerkung über die prozessuale Seite. Es ist ein alter Grundsatz des internationalen Rechts, daß die Verfahrensfragen besonders ernst genommen werden müssen; denn beim Zusammenwirken von Juristen aus verschiedenen Ländern prallen in einem Verfahren verschiedene na-
tionale Rechtssysteme aufeinander, und dadurch gewinnen die Prozeßfragen eine Bedeutung, die sie im nationalen Bereich nicht haben. Bei den Nürnberger Prozessen kann man zu dem Ergebnis kommen, daß die ordinance Nr. 7 als Prozeßgesetz schlechter war, als was die Gerichte daraus gemacht haben, wenn auch das Übergewicht der Anklage gegenüber der Verteidigung unerträglich gewesen ist. Aber was in Dachau und bei anderen Militärgerichten an fundamentalen Prozeßverstößen geschehen ist, ist bisher nur ungenügend gutgemacht, und hier wird die Gemischte Kommission noch eine große Aufgabe zu erfüllen haben; denn der Gedanke, daß hier noch acht Jahre nach Kriegsschluß noch Menschen sitzen, die vielleicht unschuldig sind, weil ihre angebliche Überführung nach rechtsstaatlichen Maßstäben jeder Glaubwürdigkeit entbehrt, ist unendlich bedrückend.
Der Bruch des zwanzigsten Jahrhunderts mit den Traditionen der Vergangenheit ist auf kaum einem Gebiet so sinnfällig gewesen wie auf dem der Kriegführung. Das Recht, das auf Erfahrung beruht, konnte sich daher den neu auftauchenden Anforderungen nicht gewachsen zeigen. In dem Neuland der jüngsten Geschichte unter dem Gestrüpp von alten Gesetzen und neuen Gestaltungen. in dem Gewirr ethischer Postulate und politischer Tendenzen den engen und steilen Pfad der Gerechtigkeit zu finden und keinen Fußbreit davon abzuweichen, geht offenbar über menschliche Kraft. Aber der ungemessenen Gewaltanwendung des Kriegs das Recht entgegenzusetzen, entspricht dem sittlichen Bedürfnis des Menschen, und je grauenhafter die Formen des Krieges werden, um so dringender wird die Aufgabe des Kriegs- und Kriegsverhütungsrechts, schon um der Selbsterhaltung der Menschen willen.
Wir haben es hier mit einer Frage zu tun, die auch schon, bevor man über andere politische Dinge Verträge abzuschließen beabsichtigte, bei uns eine große Rolle spielte, eine Frage, die auch ohne diese Verträge dringend der Klärung bedurfte. Es wird in diesen Verträgen ja versucht, die Angelegenheit der in französischem, in britischem und amerikanischem Gewahrsam befindlichen Menschen einer Lösung zuzuführen. Eben diese Koppelung mit den anderen Fragen in diesen Verträgen, die auf einem ganz anderen Gebiet liegen, dieses Junktim der Frage der deutschen Kriegsgefangenen mit der Frage der Ratifizierung des Generalvertrags und des EVG-Vertrages lehnt meine Fraktion ab und hat es immer abgelehnt. Wir wünschen eine umfassende und eine endgültige Lösung der Kriegsgefangenenfrage, nicht nur bei den Unterzeichnerstaaten dieser Verträge, sondern auch bei allen anderen Gewahrsamsstaaten, die heute noch deutsche Kriegsgefangene festhalten. Für uns ist die Bereinigung dieser Herzensangelegenheit des ganzen deutschen Volkes keine Sache, die man ohne Not und ohne zwingende Notwendigkeit mit irgendwelchen anderen politischen Fragen koppeln kann oder koppeln sollte,
die vor allen Dingen nicht benutzt werden sollte als Voraussetzung für politische Zugeständnisse irgendwelcher Art.
Der Herr Bundeskanzler hat vorhin in der Antwort auf die Große Anfrage bereits die Zahlen genannt, um die es hier geht. Er sprach von den 392 Kriegsgefangenen in französischem, den 338 in amerikanischem und 122 in britischem Gewahrsam. Er hat auch die Gesamtzahl derer genannt, die sich noch in anderen Gewahrsamsländern befinden: 71 Kriegsgefangene in den Niederlanden, 21 in Norwegen, 15 in der Schweiz, 9 in Dänemark, je 6 in Luxemburg und Belgien, 2 in Italien und einer in Griechenland. Darüber wollen wir nicht die 35 Kriegsgefangenen in Jugoslawien vergessen und die ungezählten in den östlichen Gewahrsamsstaaten, die der Herr Bundeskanzler schon genannt
hat. Für sie alle gilt die grundsätzliche Forderung,
die mit Verträgen anderer Art nichts zu tun hat,
daß ihnen nämlich Gerechtigkeit widerfahren muß.
Diese Forderung leitet sich her aus der politischen Vernunft; sie leitet sich her aus der Menschlichkeit, die eine umgehende Klärung des Schicksals dieser Menschen fordert. Wenn man aber dieses Schicksal mit Verträgen koppelt, die sich im übrigen mit Fragen befassen, die auf einer ganz anderen Ebene liegen, dann kann sich das vielleicht zugunsten dieser Menschen auswirken; es kann sich aber auch ebensogut zuungunsten dieser Menschen auswirken, weil sie die Klärung ihres Schicksals abhängig macht von der Klärung aller möglichen anderen Fragen, weil sie diese Klärung verzögert und — das scheint mir noch das Allerunangenehmste zu sein — weil durch ihre Verkoppelung eine Zersplitterung in die bis dahin vollkommen einheitliche Front der deutschen Haltung gebracht wird.
Die sozialdemokratische Fraktion hat — um Ihnen das nur als kleinen Beweis für diese Behauptung zu sagen — am 25. April vorigen Jahres eine Interpellation eingebracht, die sich mit dem Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen im Westen befaßte. Wir hatten erwartet, daß die Bundesregierung den Anlaß dieser Interpellation benutzen würde, um in aller Klarheit die deutschen Forderungen herauszustellen, über die ja im großen und ganzen kaum Meinungsverschiedenheiten bestehen. Auf Wunsch des Herrn Professors Hallstein ist damals diese Interpellation in einen Antrag umgewandelt und dieser Antrag dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten überwiesen worden. Der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten hat sich damit befaßt und am 15. November 1951 klare Beschlüsse über diesen Antrag formuliert. Die Beschlüsse sind dem Herrn Bundeskanzler wohl am selben Tage mitgeteilt worden,
und der Herr Bundeskanzler hat dann zwei Monate später, am 15. Januar 1952, diese Mitteilung bestätigt. Aber, meine Damen und Herren, bis heute wartet der Bundestag noch auf die Erledigung dieses Antrages. Er wartet auf den Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, einen Bericht, der aber ohne die bündigen Erklärungen der Bundesregierung nicht erfolgen kann.
Wir haben die Frage zu stellen: Warum bleibt dieser Antrag unerledigt, während die mit dem Verteidigungsbeitrag in Zusammenhang stehende Große Anfrage der Deutschen Partei über einen ähnlichen Gegenstand auf die Tagesordnung gesetzt wird?
Ich kann es nicht glauben, daß die Rücksichtnahme beispielsweise auf die französische Empfindlichkeit oder auf die innerpolitische Situation der französischen Regierung dazu führen darf, daß die deutsche Stimme nicht mit aller notwendigen Klarheit und Deutlichkeit erhoben wird, wenn es um das Schicksal von Deutschen in fremdem Gewahrsam geht.
Der Herr Bundeskanzler hat als Grundsätze für die Behandlung dieser Frage herausgestellt: Zähigkeit, Ausdauer, Klugheit und Takt. Ich möchte ihn
bitten, diesen vier Grundsätzen noch den Grundsatz der Deutlichkeit und Klarheit hinzuzufügen.
Was ich fordere — ich sagte es schon vorhin — ist Gerechtigkeit. Herr Kollege Wahl hat in einer viel besseren Art und Weise, als ich das könnte, über einige Prinzipien gesprochen, die bei der Forderung nach Gerechtigkeit zugrunde gelegt werden müssen. Ich will ihm keine Konkurrenz auf diesem seinem ureigensten Gebiet machen und kann es auch gar nicht. Aber das ist selbst einem juristischen Laien klar, daß die Prozesse, deren Opfer diese Männer wurden, nicht dem Vollzug der Gerechtigkeit gedient haben, sondern daß sie politische Prozesse mit einem ad hoc geschaffenen Recht gewesen sind.
Sie dienten der Ausübung politischer Macht und politischer Gewalt. Das ist nicht etwa nur eine rein deutsche, eine einseitige Auffassung von diesen Dingen, sondern diese Auffassung wird von sehr angesehenen Juristen auf der ganzen Welt geteilt. Ich denke an die Äußerung des Richters am Obersten Bundesgerichtshof der Vereinigten Staaten William O. Douglas der am 28. Juni
1949 in der „New York Times" erklärte: Die Kriegsverbrecherprozesse sind lediglich ein Instrument politischer Machtausübung, und der Senator Taft, der ja selber Jurist ist, sagte:
„In diesen Prozessen haben wir die sowjetrussische Idee vom Zweck eines Prozesses angenommen, nämlich Regierungspolitik und nicht etwa Gerechtigkeit zu treiben; indem wir die Politik in die Form einer legalen Prozedur gekleidet haben, ist die Idee der Gerechtigkeit in Europa durch unser Verhalten für viele Jahre in Mißkredit geraten."
Das sagte er am 18. Juni 1948, und diese Auffassung wird bestätigt durch die Äußerung des amerikanischen Anklägers bei den Nürnberger Prozessen, des Generals Taylor , der im Jahre 1949 in Paris sagte:
„Die Prozesse haben einen beachtlichen Anteil der amerikanischen Außenpolitik gebildet und einen wichtigen Ausschnitt aus der Besetzung Deutschlands."
Ich denke dabei auch an den französischen Rechtsanwalt de 1 a Pradelle , der sich ja mit hundert seiner Kollegen um die Verteidigung der deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich außerordentlich verdient gemacht hat und der in einer Pariser Zeitschrift, „Ecrits de Paris", erklärt, daß die Behandlung der deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich nur als Rechtsbruch und als Betrug angesehen werden könne; sie bedeute einen Bruch der französischen Verfassung und einen Verstoß gegen das Völkerrecht. Der französische Völkerrechtler Donnedieu de Vabres hat sich in ähnlichem Sinne geäußert. Ich denke auch an den Engländer, der in dem Prozeß gegen Erich von Manstein freiwillig und ohne Honorar die Verteidigung übernommen hat, Mr. Paget, Mitglied des Unterhauses. Dieser sagte in bezug auf den Prozeß Manstein etwas, was für alle diese Prozesse sehr typisch ist:
In diesem Prozeß wurde ein Recht angewendet, das gar nicht bestand, auf Tatsachen, die nicht bewiesen wurden und nicht bewiesen werden konnten, und vor einem Gericht, das
seine Zuständigkeit keiner andern Macht als der Gewalt verdankte.
Das sind die Kennzeichen der Kriegsverbrecherprozesse. Man glaubte, mit Hilfe der Macht aus Unschuldigen Schuldige machen zu können und was ist erreicht worden, meine Damen und Herren? Nichts anderes, als daß man aus Schuldigen Unschuldige gemacht hat, die heute bereits mit dem Glorienschein des nationalen Märtyrers auch dann umgeben sind, wenn sie tatsächlich schwerste Verbrechen begangen haben.
Nach dem Völkerrecht sind, auch von uns Deutschen stets anerkannt, Kriegsverbrechen immer solche Handlungen gewesen, die der Angehörige eines Staates gegenüber dem Angehörigen des feindlichen Staates oder gegenüber feindlichem Vermögen verübt, die das Strafrecht des eigenen Landes des Täters verletzen, sofern diese Tat zugleich auch die Regeln des Völkerrechts und die Gebräuche des Krieges verletzt; der Täter kann nur belangt werden, wenn er das für ihn allein geltende Strafrecht des eigenen Landes verletzt hat, und er kann nur von den Gerichten seines eigenen Landes bestraft werden, nachdem die Feindseligkeiten abgeschlossen sind und keine Kampfhandlungen mehr stattfinden. Deswegen hat auch das Reichsgericht nach dem ersten Weltkrieg immer diese Haltung eingenommen.
Dazu kommt als wichtige Einschränkung der Strafbarkeit, die dem Grundsatz des Völkerrechts und der Souveränität der Staaten entspringt, daß eine individuell strafbare Handlung nicht vorliegt, wenn der Täter auf Befehl seiner Regierung gehandelt hat; dann ist völkerrechtlich der gegnerische Staat verantwortlich.
Es ist bereits erwähnt worden, daß alle bedeutenden Friedensverträge der Neuzeit darauf verzichten, daß die Vertragschließenden Verfolgungen wegen der von Staatsangehörigen des andern Teils gegenüber denen des einen Teils begangenen strafbaren Handlungen einleiten. Herr Kollege Wahl ist sogar auf den Codex Iuris Canonici zurückgegangen, und ich bezweifle nicht, daß sich auch aus der altrömischen und vielleicht der altpersischen Geschichte noch Beispiele beibringen ließen. Nur der Versailler Vertrag enthielt in Art. 227 ff. Strafbestimmungen. Aber die Auslieferung, die damals von den Vertragsmächten beabsichtig war, scheiterte an der einmütigen Ablehnung des ganzen deutschen Volkes, und die Nationalversammlung tat etwas, was wir nach meiner Auffassung noch tun müssen: sie beschloß ein Gesetz über die Verfolgung von Kriegsverbrechen und -vergehen vom 18. Dezember 1919, in dem das Reichsgericht als erste und letzte Instanz für diese Verbrechen für zuständig erklärt wurde. Es ist interessant, einmal zu hören, was dabei herausgekommen ist. Die Alliierten haben damals 1800 Auslieferungsbegehren gestellt. Alle diese 1800 Fälle sind vor das Reichsgericht gezogen worden, einem Strafprozeß unterworfen worden, und nach sorgfältiger Prüfung sind von diesen 1800 Fällen ganze sechs Verurteilungen erfolgt. Ich frage Sie: wie hätte das Ergebnis ausgesehen, wenn die Auslieferung erfolgt wäre und wenn rechtswidrige Verfahren vor unzuständigen Gerichten durchgeführt worden wären? Damals hat die amerikanische Delegation diesem Art. 227 des Versailler Vertrags widersprochen, und zwar wegen des in ihm enthaltenen groben Verstoßes gegen den juristischen Grundsatz: nullum crimen sine lege, nulla poena sine lege. Solche Hemmungen haben weder die Amerikaner noch die anderen im Jahre 1945 — leider müssen wir das heute sagen — gehabt. Aber etwas, was niemals im Völkerrecht diskutiert worden ist, das sollte nun der Anfang eines internationalen Strafrechts sein, nämlich daß nach dem Kriege der Sieger über den Besiegten zu Gericht sitzen soll.
Man hat es nun nicht dabei bewenden lassen, daß man auf die Deutschen, die man gefangennahm, das Strafrecht des Landes, in dem sie sich befanden, angewendet hat — schon das wäre ein Verstoß gewesen —, nein, man ist darüber hinausgegangen. Man hat für sie ein Sonderrecht geschaffen, ein Sonderrecht, das eine einzige grobe Verletzung allgemeiner Rechtsgrundsätze und des Völkerrechts ist. Das Kontrollratsgesetz Nr. 10, belgische, dänische, französische, luxemburgische, niederländische und norwegische Gesetze sind alle, oft jahrelang nach dem Kriege — 1947, zum Teil 1948 — erlassen worden. Dieses nur für Deutsche geschaffene Ausnahmerecht ist unter gar keinen Umständen mit dem Völkerrecht und auch dem nationalen Recht vereinbar. Wir haben die Fragen, die für diese Beurteilung wesentlich sind, ja wiederholt in den Ausschüssen des Bundestags zur Debatte gestellt; ich brauche darüber nichts weiter zu sagen. Gerade Frankreich, das immer so großen Wert auf eine saubere Rechtspflege gelegt hat, muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß es z. B. in dem Art. 5 seiner Verordnung vom 28. August 1944 ein allgemeines Rechtsprinzip der zivilisierten Welt verletzt hat, indem nämlich bestimmt wird, daß die Angehörigen der französischen Widerstandsbewegung richterlich beteiligt werden. Niemand darf in eigener Sache Richter sein, und die Nichtigkeitserklärung eines Urteils ist aus diesem Grunde jederzeit möglich.
Ich habe diese zweifelhaften Rechtsgrundlagen nur deshalb gestreift, weil sich allein schon aus ihnen — neben den anderen Gründen — ergibt, daß die gefällten Urteile nicht anerkannt werden können, sondern daß sie vom deutschen Standpunkt aus und vom Standpunkt des Völkerrechts aus als null und nichtig zu betrachten sind, soweit sie nach dem 8. Mai 1945 gefällt worden sind. Nur deutsche Gerichte hätten hier nach deutschem Recht wirklich Recht sprechen können.
Die Forderung nach der Heimsendung der Kriegsgefangenen, gegen die Verfahren schweben oder die verurteilt sind, ergibt sich nun allein, abgesehen von den politischen und menschlichen Erwägungen, schon aus den rechtlichen Erwägungen. Professor Wahl hat das ja auch in seinen Ausführungen deutlich dargetan.
Niemand will nun in Deutschland — auch das muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden —, daß Verbrecher ohne Strafe bleiben sollen. Denn es schadet der Gerechtigkeit und der Sache des Rechts, wenn Verbrechen ungesühnt bleiben. Deswegen ist die Forderung nach der Generalamnestie, die Forderung nach der tabula rasa, die einen Schlußstrich unter alles ziehen will, was in diesem Krieg und dem Verlaufe seiner Aktionen geschehen ist, nicht zu unterstützen. Sie würde gleichfalls einen Rechtsbruch und einen Verstoß gegen das Recht bedeuten. Es schadet aber der Sache des Rechts genau so, wenn Unschuldige bestraft werden und diese Strafe verbüßen müssen. Die Gewahrsamsmächte mögen zur Kenntnis nehmen, daß sie der Sache des Rechts auf alle Fälle
— das steht heute schon fest — einen unendlichen Schaden zugefügt haben und daß sie im Begriffe stehen, nun auch noch der Sache des Friedens und der Sache der Menschlichkeit einen gleich großen Schaden zuzufügen, wenn es ihnen nicht möglich ist, zu einer umfassenden Lösung in unserem Sinne zu kommen. Das wäre eine wahrhafte Handlung für den Frieden, einen Frieden, der aus ehrlichem Willen zur vertrauensvollen Zusammenarbeit auf dem Boden der Gleichberechtigung geboren ist, einen Frieden, der sich aber nicht begründet auf der größeren Macht des einen über die schwache Kraft des andern, der sich nicht begründet auf einer Diskriminierung des einen, der sich gegen die Diskriminierung nicht wehren kann, durch den andern. Wir müssen Schluß machen mit jeder Diskriminierung von Deutschen auch vor dem Gesetz, Schluß mit der Rechtspraxis, deren Grundlagen von dem Willen zur Rache und zur Vergeltung diktiert worden sind. Das bedeutet ohne Zweifel Opfer für alle Beteiligten, Opfer für die, die zu Unrecht sieben Jahre gesessen haben und die auf Schadensersatz und auf Rehabilitierung, soweit sie überhaupt notwendig sein sollte, verzichten müssen. Es bedeutet Opfer für die Gewahrsamsstaaten, die auf die Durchsetzung des Sühneprinzips, eben zugunsten eines höheren Prinzips, des Friedens, verzichten müssen. Das Kriegsgefangenenproblem war und ist auf dem Boden der internationalen Verhandlungen ein Prüfstein dafür, ob die Staaten sich inzwischen von den Ressentiments des Krieges gelöst haben, bevor sie seine Folgen liquidieren wollen. Die bisherige Haltung der Gewahrsamsstaaten ist trotz allen Entgegenkommens in einzelnen Fällen ein deutliches Zeichen dafür, daß man sich doch noch nicht ganz zu einem neuen Denken und zu einer neuen Konzeption des Zusammenlebens der Völker entschließen kann. Gerade der Inhalt des Generalvertrages in diesem Punkt ist der Beweis dafür. Denn die Schaffung dieser Gemischten Kommmission ist, wie schongesagt wurde, ein Kompromiß; sie ist keine klare Lösung. Die Schaffung dieser Gemischten Kommission verquickt wiederum rechtliche und politische Probleme miteinander und verursacht eine ungeheure Zeitversäumnis. Denn abgesehen von der gewöhnlichen Langsamkeit der internationalen Rechtspflege müssen hier über 600 Urteile nachgeprüft werden. Es kann sein, daß bei allseits gutem Willen diese Kompromißlösung sich zum Guten auswirken wird. Der Herr Bundeskanzler hat ja schon bei Gelegenheit seiner Hoffnung Ausdruck gegeben, daß sie das tun wird. Aber eine schnellere und viel einfachere Lösung wäre, wenn dieser Kommission überhaupt keine große Arbeit mehr übertragen zu werden brauchte, sondern wenn sie sich nur noch mit den Fällen zu beschäftigen haben würde, bei denen es sich um gemeine Verbrechen aus niedrigen Gesichtspunkten handelt. Wenn die unschuldig Verurteilten und solche, bei denen die Verfahren überhaupt noch nicht angelaufen sind, entlassen werden, dann ist auch eine Lösung der Fälle möglich, in denen offenkundige Verbrechen begangen worden sind. Ich denke nur an die Form des Auslieferungsverfahrens oder an andere Verfahren.
Das Schicksal der Kriegsgefangenen im Westen kann nun nicht isoliert betrachtet werden von dem Schicksal der Kriegsgefangenen im Osten. Der Herr Bundeskanzler hat das schon angedeutet. Eine ungleich höhere Zahl von Menschen befindet sich noch im Gewahrsam der Sowjetunion. Auch diese Kriegsgefangenen — zum allergrößten Teil verurteilt — sind das Opfer einer Willkürjustiz und Opfer einer Justiz, die nichts mit dem Völkerrecht zu tun hat. Die Sowjetunion wird auf eine Strafvollstreckung an diesen bedauernswerten Menschen eher verzichten können, wenn auch die Westmächte sich zu einer umfassenden Aktion durchgerungen haben. Ich glaube, daß eine solche Aktion das Schicksal der Kriegsgefangenen in der Sowjetunion wesentlich günstiger und auch wesentlich schneller beeinflussen würde als die gewiß verdienstvollen und dankenswerten Ausschußberatungen der Vereinten Nationen, die ohne sowjetische Beteiligung stattfinden und die deswegen überhaupt vor unüberwindlichen Schwierigkeiten stehen. Die Westmächte hätten gerade in dieser Kommission und vor dem Forum der Vereinten Nationen eine wesentlich bessere Möglichkeit, sich für die deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion einzusetzen, wenn sie sich nicht fortgesetzt sagen lassen müßten, daß sie ja genau das, was sie den Sowjets vorwerfen, selber praktizieren.
Noch ein Wort an die Bundesregierung bei dieser Gelegenheit. Niemand weiß besser als ich, was an Maßnahmen für die Verteidigung und Betreuung von Kriegsgefangenen von seiten der Bundesregierung geschieht und was früher von seiten des Länderrates und des Vereinigten Wirtschaftsgebietes geschehen ist. Aber die Betreuung und die Sicherstellung der Verteidigung allein genügen nicht. Es genügt, glaube ich, auch nicht, in einzelnen Verhandlungen den einen oder anderen Fall einer günstigen Klärung zuzuführen. Alles das muß sein; aber es muß noch etwas dazukommen. Es muß nämlich hinzukommen, daß dieses Problem und die sich aus ihm ergebenden deutschen Forderungen auf dem internationalen Boden vollkommen klar angemeldet werden.
Ich will Ihnen an einem Beispiel zeigen, wie ich das meine. Im September 1949 erwartete z. B. der französische Direktor des Gefängnisses Cherche Midi in Paris, daß nach der Bildung der deutschen Bundesregierung bis zum 31. Oktober 1949 alle Gefangenen entlassen sein würden.
Ein Untersuchungsrichter am Pariser Militärgericht stellte seine Arbeit mit dem Hinweis ein: Sie haben ja jetzt wieder eine Regierung; damit dürfte sich für mich die weitere Arbeit erübrigen, da j a ohnehin in Kürze auf Forderung Ihrer Regierung das sogenannte Kriegsverbrecherproblem politisch gelöst und alle deutschen Gefangenen entlassen werden.
Damals war diese Forderung nicht möglich; damals waren eine Menge Zuständigkeiten nicht gegeben, und das war praktisch nicht zu machen, was man dort erwartet hat. Heute ist die Situation aber eine vollkommen andere. Heute muß die klare Forderung der Regierung, die auf diesem Gebiet wohl im Namen des allergrößten Teils des deutschen Volkes spricht, angemeldet werden. Die Ergebnisse der Londoner Besprechungen, die der Herr Bundeskanzler am 20. Februar bekanntgegegeben hat, sind nicht befriedigend und stellen keine Lösung dar, sondern sie sind ein Kompromiß, und darüber hinaus bedeuten sie eine Komplizierung der ganzen Angelegenheit. Ich weiß nicht, ob die von ihm damals vorausgesagten zweiseitigen Verhandlungen mit der französischen Regierung inzwischen zustande gekommen sind. Wir wollen es hoffen und auch wünschen, daß sie günstige Aus-
wirkungen haben werden. Mir liegen aber Briefe der Kriegsgefangenen in Werl und Loos bei Lille vor, die von dem Inhalt der Verträge Kenntnis erhalten haben und deren sich nun nicht etwa Zuversicht und Hoffnung, sondern grenzenlose Verbitterung und Hoffnungslosigkeit bemächtigt hat.
Die Verbindung der Kriegsgefangenenfrage mit dem Deutschlandvertrag war ohne jeden Zweifel ein Fehler. Aber es ist noch nicht zu spät, diesen Fehler wiedergutzumachen, diese Frage jetzt — unabhängig von diesen Verträgen und ihrem Schicksal — einer Lösung zuzuführen. Dazu gehört aber eben eine kompromißlose Entschiedenheit und klare Sprache, die sich, wie ich schon sagte, in dieser Frage auf den wirklich einhelligen Willen des deutschen Volkes gründen kann. Denn wir wollen Gerechtigkeit und wir wollen Frieden. Beides gehört zusammen. Nur das Gerechte schafft dauernden Frieden, und nur ein Höchstmaß an Gerechtigkeit bietet das höchste Maß von Friedensgarantie.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit der Bundesregierung etwas anderes zu bedenken geben, was in der Fragestunde vorhin schon angesprochen worden ist. Entgegen dem klaren Wortlaut des Völkerrechts, wie er im Genfer Abkommen niedergelegt ist, haben die Gewahrsamsstaaten den verurteilten deutschen Soldaten den Kriegsgefangenenstatus aberkannt und sie dadurch zahlreicher Vorteile, vor allen Dingen des Schutzes des Völkerrechts beraubt. Die Bundesregierung sollte alles unterlassen, was diese Auffassung der Gewahrsamsstaaten unterstützen könnte. Sie sollte vor allen Dingen unterlassen, den aus Landsberg, Werl und Wittlich entlassenen Soldaten entgegen dem klaren Wortlaut des Heimkehrergesetzes die Heimkehrereigenschaft nur unter großen Schwierigkeiten zuzuerkennen.
Auf diesem Gebiet, meine Damen und Herren, haben gewagte Winkelzüge irgendeines tüchtigen Juristen keinen Platz. Wir sollten den Gewahrsamsmächten auch nicht den geringsten Vorwand aus unserer eigenen gesetzgeberischen Tätigkeit und der Ausführung unserer Gesetze geben, damit sie womöglich darin noch die Grundlagen für ihre eigenen bösen Sitten finden.
Wir ersuchen die Bundesregierung dringend, unabhängig von dem Schicksal dieser beiden Verträge und von den Verhandlungen darüber alles Erdenkliche dafür zu tun, daß allen deutschen Kriegsgefangenen Gerechtigkeit widerfährt, und dafür zu sorgen, daß sie nicht auf dem Altar der Politik geopfert werden.
Das Wort hat Herr Staatssekretär Hallstein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Merten ist in seinen Ausführungen darauf zu sprechen gekommen, daß der Antrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei, der sich auf die Kriegsgefangenenfrage bezieht, seine Erledigung noch nicht gefunden hat. Aus seiner Darstellung konnte der Eindruck entstehen, daß das von der Bundesregierung zu verantworten ist. Ich darf demgegenüber die Mitteilungen, die der Herr Abgeordnete gemacht hat, dahin ergänzen, daß der Ausschuß für das Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten sich zuletzt am 11. Juli dieses Jahres mit jenem Antrag beschäftigt hat, daß er beschlossen hat, den Anträgen des Berichterstatters zuzustimmen, und daß er sich der Auffassung seines Vorsitzenden angeschlossen hat, daß anläßlich der zweiten Lesung des Ratifikationsgesetzes bei Erörterung des die Kriegsgefangenen betreffenden Teils der Zusatzverträge die Stellungnahme des Ausschusses zu dem Antrag beraten werden sollte.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mende.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die große Übereinstimmung des ersten Redners der Koalition und des Sprechers der Opposition im Grundsätzlichen gestattet mir, für die Fraktion der FDP mich auf Ergänzungen zu beschränken.
Lassen Sie mich zunächst in der Zeit der allgemeinen Begriffsverwirrungen mit einer Begriffsdefinition beginnen: Wenn wir von den unter dem Vorwurf des Kriegsverbrechens festgehaltenen Deutschen sprechen, so meinen wir alle jene, die als Angehörige der Wehrmacht, der Waffen-SS, der Polizei, j a im totalen Krieg vielleicht auch als Angehörige der Zivilverwaltung aus den besonderen Verhältnissen des Krieges in Schuld verstrickt wurden und hier schuldig oder teilschuldig geworden sind oder die vielleicht sogar unschuldig sind und Opfer von Siegerwillkür, von Besatzungsjustiz aus der Morgenthau-Psychose, von Mißverständnissen, vielleicht von Verfahrensmängeln mit Berufszeugen und Geständniserpressungen geworden sind. Wir meinen jedoch nicht jene, die auch nach deutschem Recht objektiv und subjektiv schuldig geworden sind und die Verbrecher im wahrsten Sinne des Wortes sind, weil sie sich ohne die Not des Krieges, ohne einen Zwang als Sadisten in Gefangenenlagern, als Menschenschinder oder als sonstige asoziale Elemente betätigt und den Namen ihres Volkes mit Schande bedeckt haben, so daß wir viele, viele Zeit brauchen, um in der öffentlichen Meinung der Welt das wiedergutzumachen, was solche Verbrecher angerichtet haben. Es wäre zweckmäßig, wenn auch die Auslandspresse hier diesen Unterschied machte, den sowohl der Herr Bundeskanzler wie die beiden Vorredner als entscheidend für eine Verständigung mit dem Ausland auf diesem Gebiete bezeichnet haben.
Man fragt sich draußen, warum das deutsche Volk sich mit einer solchen Intensität dieses Problems bemächtigt habe. Meine Damen und Herren, weil das deutsche Volk ja selbst erlebt hat, daß in der Geschichte der Völker Licht und Schatten sich verteilen und daß das Völkerrecht leider im totalen Krieg auf beiden Seiten gebrochen wurde. Die Trümmer Dresdens, Hamburgs und Kölns und die Ereignisse, die in Reutlingen, in Aitrach, in Markdorf geschehen sind, um nur einige Namen zu nennen — das Material liegt ja in unserer Hand —, beweisen, daß auch die andere Seite in vielen Fällen das tat, was man der deutschen Seite zum Vorwurf macht, und, meine Damen und Herren, sieben Jahre danach scheint doch nun Gelegenheit zu sein, einen Schlußstrich zu ziehen. Wir wollen nicht nach dem Prinzip „tu quoque" aufrechnen. Wir wollen den Blick nach vorn tun; aber wir müssen erwarten, daß auch die andere Seite den gleichen guten Willen hat.
Nun sind selbstverständlich auch der deutschen Bevölkerung jene Mängel bei den Verfahren bekannt. Wer wollte leugnen, daß im Rahmen der Dachauer Prozesse oft jene Methoden Anwendung fanden, die bei uns vorher bitter beklagt wurden und von denen uns zu befreien die Alliierten ja in den Krieg gezogen waren? Auch bei den Prozessen der Nachkriegszeit sind Geständniserpressungen, Folterungen, Scheinhinrichtungen und dergleichen vorgekommen, und sogar die amerikanische Öffentlichkeit ist darüber orientiert. Es genügt also nicht, wenn heute bei der Nachprüfung vielleicht lediglich die Akten eingesehen werden; sondern wer sich mit dem Problem der Verurteilten befaßt, muß auch die Umstände der Zeit und die Mängel der Verfahren in Rechnung ziehen. Die bloße Akteneinsicht genügt nicht.
Wir wissen außerdem, daß manche Verurteilungen auf Grund von Sondergesetzen erfolgt sind. Herr Professor Wahl hat das hier schon ausführlich dargelegt. Ich darf zum Beispiel erwähnen, daß das englische Militärstrafgesetzbuch im April 1944 geändert wurde und der § 443 im Kapitel 14 eine andere Fassung bekommen hat. Im Jahre 1950 ist jedoch wieder die alte Fassung bezüglich der Verantwortlichkeit bei Handeln auf Befehl eingeführt worden. Die USA hat im November 1944 die Regeln der Landkriegführung geändert. Frankreich hat Sondergesetze im Jahre 1944 und im Jahre 1948 erlassen, die die kollektive Schuldvermutung fixieren und die die Umkehrung der Beweislast festlegen. Grob gesagt: wenn der Täter einer Straftat nicht zu ermitteln ist, haftet kollektiv der ganze Verband oder besser alle Angehörigen dieses Verbandes, es sei denn, daß sie den Beweis ihrer Unschuld bringen.
Die Genfer Konvention von 1949 hat die Nichtanerkennung des Befehlsnotstandes, die in Nürnberg fixiert wurde, nicht übernommen. Es ist interessant, wie im Protokoll zum EVG-Vertrag über die allgemeinen Strafrechtsgrundsätze, im Justizprotokoll, das Problem des handeins auf Befehl gelöst wurde. Es heißt hier — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:
Bei der Festsetzung der Strafen und bei der Art ihrer Anwendung wird die Schwere der Straftat, ferner der Umstand, ob der Täter sie als solche erkannte, und schließlich, ob er den Willen hatte, sie zu begehen, berücksichtigt, jedoch soll die Unkenntnis des Strafgesetzes nicht ein allgemeiner Grund für Straffreiheit sein können.
Infolgedessen soll das Gesetz gestatten, das Strafmaß anzupassen und gegebenenfalls den Strafvollzug den tatsächlichen Umständen der Tat und den persönlichen Gegebenheiten beim Täter anzupassen.
Das Gesetz soll die Fälle festlegen, in denen der materielle Urheber einer Straftat nicht strafbar ist; dies ist insbesondere der Fall:
— und hier bitte ich besonders hinzuhören -
a) wenn der Täter im Augenblick der Begehung der Tat vollkommen seines Bewußtseins oder seines Willens beraubt war. Demjenigen, der sich vorsätzlich in einen derartigen Zustand versetzt hat, kann jedoch das Gesetz die obigen Straf ausschließungsgründe verweigern,
b) wenn der Täter sich infolge eines unwiderstehlichen physischen oder moralischen
Zwanges genötigt sah, eine Handlung zu begehen oder sie zu unterlassen,
c) wenn der Täter von einer hierzu befugten Stelle einen rechtmäßigen Befehl erhalten hat,
d) wenn der Täter in Notwehr gehandelt hat. Das ist doch letzten Endes noch mehr als das, was wir schon in § 47 des Militärstrafgesetzbuches hatten und was wir auch auf die Verfahren der wegen Kriegsverbrechen verurteilten oder noch festgehaltenen Deutschen in Anwendung gebracht haben wollen.
Dabei darf man aber nun nicht vergessen, daß es ein Unterschied ist, militärischer Befehlshaber in einem demokratischen Staat oder in einem autoritären Staat zu sein, der jeden Befehlshaber mit der Geißel der Sippenhaft bedroht, wenn er den Befehl nicht ausführt. Für den 72jährigen Feldmarschall List, der sich in vielen Fällen den Befehlen Hitlers widersetzt hat, gilt das im besonderen. Er hat 1942 bereits seine Kaltstellung erfahren und saß in Wien. Er verantwortet wirklich nicht das, was nach 1942 noch auf dem Balkan geschehen ist. Trotzdem sitzt der Mann mit 72 Jahren en noch in Landsberg, während wirklich Schuldige frei sind.
Die Technisierung und Totalisierung des Krieges haben natürlich zur allgemeinen Verschärfung der Kampfgrundsätze geführt. Hier möchte ich vor allem Sie, Herr Rische, der Sie ja auch heute wieder durch Zurufe brillierten, fragen: wer hat denn den Grundsatz der verbrannten Erde erfunden? Wer ha, denn jene Verschärfung der Kampfmethoden durch den Partisanenkrieg gebracht? Das war die Rote Armee, der Sie so sympathisch gegenüberstehen.
Der deutsche Ostfrontsoldat weiß, daß von Grodno
über Minsk bis Smolensk, Wjsma und Kiew längst
die Städte in Brand waren, bevor ein deutscher Soldat sie betreten hatte, und daß ihnen später noch die Sprengstücke um die Ohren flogen. Sie haben jene Völkerrechtsbrüche provoziert, wie es auch Professor Wahl sagte,
und S i e haben am wenigsten Grund, heute so zu tun, als wenn die Rote Armee und ihre Kriegführung ein Musterbeispiel an Achtung vor Völkerrecht und Völkersittlichkeit gewesen wären.
Sie lesen vielleicht das Buch Ihres alten Genossen Plivier einmal nach, das er jetzt über Moskau schreibt.
Die Bereinigung der Kriegsverbrecherfrage ist leider Gottes nicht im Sinne des völkerrechtlichen „tabula-rasa-Prinzips" zu erreichen, wie wir als Realisten feststellen müssen. Ich möchte meinem Vorredner, Herrn Kollegen Merten, doch zu bedenken geben, ob ein solches völkerrechtliches Postulat, das jahrhundertealt ist, nicht gerade deswegen besonders günstig wäre, weil es einen allgemeinen Schlußstrich zieht. Bei jeder Amnestie und bei jeder allgemeinen Bereinigung trifft natürlich die Wohltat des Gesetzes auch Unwürdige; aber mir scheint, es ist besser, einige Unwürdige freizulassen, als einen großen Teil Unschuldiger festzuhalten.
Ich glaube, daß es möglich sein wird, auf dem Wege anderer Maßnahmen, vielleicht durch das Parole-Verfahren mit dem Ziel, nach Verbüßung eines Drittels der Strafe die Betreffenden nach Hause zu schicken, hier einem großen Teil die Freiheit zu geben.
Nun sagt man draußen: „Das Junktim ist unglücklich!", und manche Kollegen müssen sich vielleicht auch den Vorwurf in der Auslandspresse gefallen lassen, sie stellten ultimative Forderungen. Meine Damen und Herren, wenn wir das Problem unserer Zustimmung zum Verteidigungsvertrag nun einmal auch von einer gewissen psychologischen Voraussetzung und von der Bereinigung der Kriegsverbrecherfrage abhängig machen, so ist diese Koppelung nicht unmoralischer als die Koppelung des Generalvertrages mit dem EVG-Vertrag. Man kann hier also nicht das eine als richtig und das andere als falsch ansehen. Aber auch ich möchte bestätigen, daß die Kollegen, die hier gewisse Bedenken haben, sich schon zu einer Zeit mit der Kriegsverbrecherfrage beschäftigt haben, als der Bundestag vor drei Jahren noch das Verbot der Herstellung von Kriegsspielzeug diskutiert hat und nicht die Frage, ob die Integrierung auf Korpsebene oder Divisionsebene beginnen soll. Ich glaube, Abgeordnete aller Parteien, die hierin tätig sind, sind frei von dem Vorwurf, sie wollten hier durch ultimative Forderungen einen Druck ausüben. Aber, meine Damen und Herren, die Frage ist ein Problem psychologischer Voraussetzungen, weil eine Armee und auch die deutschen Divisionen keine Addition von Offizieren, Unteroffizieren und Soldaten und Material sind, sondern ein Organismus; und entscheidend für einen Organismus ist der Geist! Es ist ein Gebot der Fairneß sowohl gegenüber dem Ausland wie gegenüber der Regierung, rechtzeitig zu sagen, welche Gewissensbedenken man hat, damit alles getan werden kann, um diese Gewissensbedenken durch Taten auszuräumen.
Die Redezeit ist abgelaufen!
Nun ein Wort noch zum Schluß nach innen an die Verbände. Der Herr Bundeskanzler hat schon erwähnt, daß das Kriegsverbrecherproblem eine Frage zweier Seiten ist und daß der vox populi in Deutschland eine vox populi im Ausland gegenübersteht. Und hier scheint mir, daß bei uns in einem Wettbewerb der Verbände die Dinge allzusehr überspitzt werden. Ich bin der letzte, der die Mitarbeit der verschiedensten, auf Grund des Koalitionsrechts entstandenen Soldaten- und Heimkehrer- und Kriegsopferverbände unterschätzen würde. Aber Außenpolitik ist keine Addition von Appellen und Resolutionen, sondern Außenpolitik ist ein mühsamer Weg für ein besiegtes Volk,
und jeder Schritt muß in schwierigen Verhandlungen erkämpft werden. Daher sollte man hier nicht unter dem Motto: „Alles oder nichts!" alle jene diffamieren, die versuchen, mit Teillösungen im Grunde genommen dasselbe zu erreichen; und es ist bestimmt Herrn Kesselring, dem ehemaligen Generalfeldmarschall, kein Dienst damit erwiesen worden, — —
Ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
— daß ein Verband ihn zu seinem Ehrenpräsidenten wählte, ohne daß der Betreffende überhaupt gefragt wurde oder die Möglichkeit hatte, dieses Präsidium in der Gegenwart auszuüben.
Meine Damen und Herren! Ich darf zum Schluß — ich darf betonen, daß ich etwas Redezeit von der CDU benutzen darf — —
Das ist mir nicht mitgeteilt worden. Davon weiß ich nichts. Das muß man schon vorher mitteilen.
Ich darf bitten, daß man mir die fünf Minuten der CDU noch zu einer Schlußfeststellung gestattet.
Ich bin auch hier legitimiert zu erklären, daß weder der ehemalige Feldmarschall von Manstein noch andere ehemalige Soldaten erklärt haben, daß man auf sie in der Frage der Ratifizierung überhaupt keine Rücksicht nehmen solle; sondern die Betreffenden — ich darf das in deren Namen hier erklären, soweit sie mir Mitteilung zukommen lassen konnten — sehen diese Entscheidung als das alleinige Recht der dazu berufenen politischen und parlamentarischen Instanzen an, die selbstverständlich dabei auch ihr Problem nicht übersehen sollen.
Da das Problem Frankreich hier ausführlich von Herrn Kollegen Merten diskutiert wurde, darf ich noch bezüglich Frankreich eine Anregung an den Herrn Bundeskanzler geben. Ein auch über die Grenzen Deutschlands bekannter Völkerrechtler schreibt, daß leider die Verbindung zu den Kriegsgefangenen in Frankreich nicht so ist, wie sie wünschenswert wäre. Während man in Lyon, Paris und Marseille unbehindert korrespondieren kann, verhindert in Bordeaux beim Militärgericht ein deutscher Emigrant jeglichen Briefwechsel der deutschen Verteidiger mit ihren Klienten
und hält selbst Geburtstags- und Weihnachtsbriefe zurück. Eine Beschwerde an das französische Verteidigungministerium hatte leider keinen Erfolg Ich werde mir erlauben, diese Unterlagen dem Herrn Bundeskanzler zu überreichen mit dem Ziel, daß für das Gericht in Bordeaux das gleiche gilt, was bei den Gerichten von Paris, Lyon und Marseille seit Jahr und Tag selbstverständlich ist.
Ebenfalls wird beim Militärgericht in Marseille die Besuchserlaubnis zum Teil verweigert, während sie in Lyon und Paris selbstverständlich ist.
Meine Damen und Herren, für die Gnadenkommission darf ich mir einen Vorschlag erlauben. Es wäre nicht richtig, wenn hier lediglich Juristen, vielleicht sogar allzusehr formal, die Dinge betrachten würden; sondern ich glaube, es wäre die günstigste Lösung, wenn in den Gnadenkommissionen ein Jurist — ein Völkerrechtler —, ein ehemaliger Militär, der die besonderen Möglichkeiten der Schuld-Verstrickung des Soldaten im modernen Krieg beurteilen kann, und ein Theologe Platz nehmen könnten; ein Theologe, der vielleicht besonders gut darüber aussagen kann, in welche Gewis-
senskonflikte ein freier Bürger, insbesondere ein
Soldat, in einem autoritären Staat kommen kann.
Eine solche Zusammensetzung, Herr Bundeskanzler, würde am ehesten dem Wunsch gerecht werden, den Sie in der Beantwortung der Großen Anfrage zum Ausdruck brachten, daß die Gnadenkommission nach menschlichen Gesichtspunkten tätig sein sollte und nicht etwa nach formalem Recht.
Meine Damen und Herren, wir stehen nicht allein da mit dem Versuch, das unglückliche Problem zu lösen. Victor Gollancz, der nun wirklich alle Ursache hätte, auf Grund der Vergangenheit sehr nachteilig über uns zu urteilen, schreibt in einem Buche schon im Jahre 1948:
Menschen, die einem Deutschen antun, was sie nie einem Engländer gegenüber tun würden, oder einem General, nicht aber einem Bergarbeiter, oder einem Feinde, nicht aber einem Freunde — diese Menschen können sich sozial nennen, bis sie platzen. Was sie in Wirklichkeit tun, ist, in einer neuen Weise Rassenvorurteile gegen ihre Mitmenschen anwenden. Es ist das völlige Versagen, auch nur zu verstehen, was es bedeutet, ein Nächster zu sein.
Ich darf noch den Wunsch an den Herrn Bundeskanzler richten, daß von meinem seinerzeitigen Vorschlag, zunächst besonders den Alten, den Kranken und den ganz Jungen die Möglichkeit der Befreiung zu verschaffen, Gebrauch gemacht wird. Das wäre der erste psychologische und symbolische Schritt, auf den sicher weitere Schritte folgen würden, mit dem Ziel, in beiderseitigem Interesse das leidige und tragische Problem der noch festgehaltenen Deutschen endgültig zu lösen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ewers.
Ich bitte das Hohe Haus vorweg, ebenso wie dem Herrn Vorredner auch mir eine um fünf Minuten verlängerte Redezeit zuzugestehen.
Darf ich darauf aufmerksam machen: s o geht es nicht! Die Redezeiten sind j a beschlossen. Es liegt ein Beschluß des Hauses vor.
Ja eben; ich bitte, den Beschluß zu ändern, Herr Präsident!
Nein, das geht nicht; das kann man j a nicht tun. Aber ich nehme an, daß eine der Fraktionen von ihrer Redezeit, die noch übrig ist, etwas zur Verfügung stellen wird. Ich wäre nur dankbar, wenn man diese Abmachungen vorher träfe, damit man sich danach richten kann.
Ich werde mich so kurz wie möglich fassen. Ich bitte aber, wenn es geht, mich nicht zu unterbrechen, wenn ich etwa um drei Minuten überschreite, weil das unglaublich stört.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Darf ich die Debatte auf unsere Große Anfrage und die Beantwortung durch den Herrn Bundeskanzler zurückführen! Der Herr von der SPD hat gemeint, das Junktim zwischen dem Thema der Kriegsverurteilten — ich bitte doch, das Wort „Kriegsverbrecher" allgemein zu vermeiden; es sind ja im wesentlichen keine Verbrecher, sondern unschuldig Verurteilte — und dem Generalvertrag und dem EVG-Vertrag sei lästig. Ich und meine Freunde finden es nicht nur lästig, wir finden es abscheulich! Aber wir sind nun einmal in internationalen Beziehungen, die sich nicht nur durch das Kriegsverurteilten-Problem kennzeichnen, sondern die unendlich weitläufig sind. Wir müssen alle Probleme lösen und möglichst alle im Zusammenhang, und daher kommt dann das, was man — nicht gerade sehr schön, aber in der Diplomatensprache üblich — „Junktim" nennt.
Unsere Anfrage geht von diesem sogenannten Junktim aus, und zwar von folgender Erwägung, die ich mir jedenfalls vom ersten Moment an gemacht habe. Der Art. 6, Herr Dr. Mende, sieht keine Gnadenkommission vor — ich bitte, das Wort „Gnade" um Gottes willen nicht zu gebrauchen —, sondern eine Überprüfungskommission, die die Urteile und die Strafmaße herabsetzen oder die Vollstreckung aufheben kann, nicht aus „Gnade", sondern aus Gründen, die sie nach ihrer Geschäftsordnung sich selbst gibt. Dieser Art. 6 befriedigt nicht. Ich sage offen: er befriedigt meine Fraktion in toto nicht. Aber wir wollen diesem Vertragswerk nicht im Wege stehen. Wir wollen diese große europäische Zukunftshoffnung nicht wegen eines einzelnen Paragraphen zum scheitern bringen.
Unsere Anfrage geht nun dahin: wie wird denn nun eigentlich praktisch das Los dieser unglücklichen Verurteilten auf Grund des Art. 6 aussehen?
— Entschuldigung! Wieso? Lassen Sie mich bei meiner knappen Zeit bitte ausreden! Ich kann auf noch so kluge Zwischenrufe des Herrn Dr. Greve nicht eingehen!
— Ist es nicht gewesen? Eine seltene Ausnahme!
— Bitte, meine Damen und Herren, würden Sie so freundlich sein, mich nicht zu stören; ich möchte gern meinen Duktus zu Ende führen und keine Zwiegespräche führen, mit niemandem, auch nicht mit dem Zwischenrufer Nicht-Dr.-Greve!
— Ich bin etwas nervös; das Thema veranlaßt zum Nervöswerden, denn ich habe noch allerhand zu sagen.
Der Art. 6 befriedigt nicht, aber die Gestaltung der Durchführung nach den Grundsätzen, nach denen wir fragen, die Auswirkungen seiner Methoden könnten dazu führen, daß man sagt: Nun, es ist zwar keine Rehabilitierung des Rechtes, aber es ist in tatsächlicher Beziehung das, was wir alle wollen: Schluß mit dieser Art von Siegerjustiz in jedem Sinn! Dem dient die Anfrage.
Dazu möchte ich nun betonen: es wird nicht „Gnade" gewährt, sondern es werden Urteilsfolgen beseitigt aus Gründen, die nach der Geschäftsordnung dieses Gemischten Ausschusses festzulegen sein werden. Es werden Entlassungen vorgenommen werden. Darf ich zu der Frage der bisherigen Praxis der Entlassungen ein Wort der Kritik äußern; denn wir müssen kritisieren, taktvoll,
mäßig und verständig, wenn wir etwas bessern wollen. Nach meiner Erkenntnis gewisser Zusammenhänge, die ich auf Grund der Akten, die mir zugänglich sind, habe nachprüfen können, sind bisher Entlassungen bei den Massenprozessen immer dann vorgenommen worden, wenn sich die unglücklichen gequälten Mitbeschuldigten herbeigelassen haben, im Sinne der Amerikaner falsche Aussagen zu machen und andere zu belasten. Als Belohnung für die Beschuldigung — die wahrheitswidrige Beschuldigung! — von Mitangeklagten wurden sie dann entlassen. Es sind weiter, wie ich der „Frankfurter Allgemeinen" entnehme, neuerdings bei den verhafteten russischen Spionen — die in den letzten zwei Jahren hier Spionage getrieben haben — in einem ganz anderen Ausmaß wegen guter Führung bei Verbüßung einer ganz kurzen Strafzeit Entlassungen vorgenommen worden als bei deutschen Besatzungsgefangenen.
Die Entlassungen Deutscher, die vorgenommen worden sind, nachdem wir nun sieben Jahre nach Kriegsschluß hinter uns gebracht haben, haben für mich nichts Imposantes; aber die Tatsache, daß hier auf Grund dieser Verfahren nun immer noch etwas „verbüßt" wird, hat für den Rechtsbeflissenen etwas ungemein Störendes. Wir haben von Herrn Professor Wahl in für jeden Juristen höchst einleuchtender Weise die Unmöglichkeit des angewandten Rechts erfahren, und die anderen Redner haben mit für den Juristen ebenfalls verständlichen, aber auch jedermann zugänglichen allgemeinen Bemerkungen und auch mit Zitaten ausländischer Verfasser all das untermauert. Ich brauche dazu nur folgendes festzustellen: Hier ist auf Grund eines nur gegen Deutsche bestimmten Sonderrechts — und schon diese einseitige Bestimmung der Schuldigen macht für mich die ganze Sache von A bis Z unmöglich; denn das Recht ist unteilbar! —,
mit einer solchen Art der Zielsetzung auf Grund von Sondergesetzen, die sowohl prozessual- wie materiellrechtlich mit abendländischen Grundsätzen nichts gemein haben, ein Urteil in Verfahren gesprochen worden, in denen durch Abscheulichkeiten, die sich jeder Schilderung hier im Bundestag entziehen, Aussagen erpreßt und Geständnisse hervorgerufen worden sind, die in einem GPU-Gefängnis nicht übler sein können.
Diese Methoden sind an Schuldigen, Unschuldigen und Unbeteiligten — es sind nämlich Namensverwechselungen vorgekommen — Personen begangen worden. Alles dies und mehr ist in den Broschüren über diese Prozesse bekanntgeworden. Es haben sich auch hervorragende amerikanische, englische und französische Verteidiger darüber hinreichend — auch öffentlich — geäußert. Ich schweige darüber.
Diese so produzierten Urteile — ohne Begründung nebenbei, kein Urteil ist begründet; man kann nur Urteilssprüche, keine Urteile einsehen — zeitigen heute noch Folgen, die wir ablehnen müssen, und zwar — ich sage es ganz offen — auch für die Verurteilten, die Verbrecher sind. Denn auch ein Verbrecher hat Anspruch auf ein anständiges rechtliches Verfahren, und das ist ihm nicht geworden.
Deswegen meine ich: Materiell ist die Regelung des Art. 6 bedauerlich, aber es kann etwas draus werden, und eine solche Regelung muß aus drei
Gründen erzielt werden. Abschließend möchte ich kurz diese drei Gründe kundtun.
Einmal: Wir — nämlich von der Koalition — wollen doch die europäische Gemeinschaft! Wir wollen Schluß mit der Vergangenheit und den Blick in die Zukunft über EVG und Montanunion, diesen Geist europäischer Gemeinschaft, von dem mein Freund Merkatz gesprochen hat. Wir trauen ihm aber nicht, wenn nicht mit diesen Kriegsfolgen Schluß gemacht wird. Wir haben noch kein Vertrauen zu diesem Geist. Bedenken wir noch einmal: im Dezember 1945 haben die Besatzungsmächte — alle vier damals — das Gesetz gegen Deutsche gemacht, das rückwirkend die Unmenschlichkeit unter Strafe stellte. In denselben Monaten begannen die Abscheulichkeiten hinter den Gefängnistüren. In demselben Moment, in dem für Deutsche die Unmenschlichkeit rückwirkend strafbar wird, begeht man sie. In den nachfolgenden Jahren haben die UNO und der Europarat in Straßburg diese Menschenrechte verkündet. Ja, sind das alles nur Lippenbekenntnisse? Gilt denn das nicht gegenüber den Besiegten? Und deswegen ist der erste Grundsatz das Vertrauen, das wiederherzustellen ist.
Nun aber weiter. Wir sollen doch Soldaten stellen. Wie kann man dieses Kriegsrecht noch auf eine Armee anwenden, mit der man Europa verteidigen will? Wie kann man Befehle, die gegeben sind, nachher von jedem einzelnen Untertan daraufhin prüfen lassen, ob sie auch berechtigt sind? Das ist ganz unmöglich.
Und drittens: Wie kann man mit irgendwelchem Rückgrat gegenüber dem Osten Abstellung der Unmenschlichkeiten fordern, wenn man sich selbst zwar nicht zu ihnen bekennt, sie aber noch weiterhin geschehen läßt.
Diese drei Erwägungen zwingen meines Erachtens uns Deutsche dazu, über diese Dinge nicht zu schweigen und unsere Regierung inständig zu bitten, in Fortsetzung aller ihrer Bemühungen dafür zu sorgen, daß bis zur Ratifikation der Verträge in der dritten Lesung ein Zustand herbeigeführt ist, mit dem wir Deutsche uns ehrenhafterweise einigermaßen abfinden können.
Von dem Zustand sind wir heute noch weit entfernt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist unmöglich, der Auffassung des Herrn Kollegen Merkatz zu folgen, der in seiner Begründung der Anfrage die Aufstellung von Grundprinzipien der Rechtsgemeinschaft in den Vordergrund gestellt hat. Eine ausführliche Begründung für diese Auffassung, vor allen Dingen eine politische Begründung, wäre im Interesse der politischen Klarheit außerordentlich zweckmäßig gewesen.
Aber auch der zweite Satz seiner Begründung erscheint mir außerordentlich bedenklich und erhärtet unsere Meinung zu diesem Gesamtproblem. Er sagte nämlich, daß wir dabei an die Zukunft denken sollen. Gerade weil wir an die Zukunft denken sollen, gehen wir an die gesamte Problematik, die mit dieser Anfrage aufgeworfen worden ist, von anderen Gesichtspunkten heran, als es der Herr Kollege von Merkatz hier getan hat. Wir
denken nicht daran, bestimmten militärischen Herren für die Zukunft einen Freibrief zur Begehung neuer Verbrechen auszustellen.
Wir sind vielmehr der Meinung, daß in Zukunft Verbrechen am deutschen Volk, Verbrechen am Frieden und Verbrechen an der Menschheit unmöglich gemacht werden müssen.
Man kann nicht so, wie es hier zum Teil getan worden ist, alles damit begründen, daß man sagt: Es bestand damals ein gewisser Kriegsnotstand; dieser Kriegsnotstand ist zum Teil eine Entschuldigung für die Verbrechen, die begangen worden sind. Wir sind mit Ihnen der Meinung: Freiheit allen Unschuldigen,
aber wirkliche Bestrafung und Festhaltung all der Verbrecher, die während des Krieges Verbrechen begangen haben!
Herr von Merkatz, Sie waren so liebenswürdig — man ist das von Ihnen gewöhnt; Sie glauben, damit eine gewisse politisch-psychologische Wirkung erzielen zu können —, in Ihrer Argumentation im Zusammenhang mit Ihrer Anfrage auf die Prinzipien des Totalitarismus hinzuweisen, und Sie zitierten die humanitäre Auffassung des Westens. Der Herr Bundeskanzler hat in seinen Ausführungen auf die Verhältnisse in Spandau hingewiesen und, wie nicht anders zu erwarten, selbstverständlich der Sowjetunion die Schuld für diese Dinge gegeben. Ich würde beiden Herren das Studium eines Artikels in der „Süddeutschen Zeitung" von vorgestern sehr ernsthaft empfehlen, weil nämlich dort einwandfrei, und zwar geschichtlich richtig, festgestellt worden ist. daß die Frage Spandau und der sogenannte Strafvollzug dort eine ureigenste amerikanische Angelegenheit ist, die von den Amerikanern bis zum letzten ausgearbeitet wurde. Wenn Sie jetzt versuchen, in dieser Frage eine gewisse Geschichtsfälschung zu betreiben, so muß man Sie eben korrigieren. Vergessen Sie auf der anderen Seite auch nicht, daß beispielsweise — der Herr Bundeskanzler hat das erwähnt — in Belgien die Kräfte, die die nationale Würde verteidigen, außerordentlich stark sind, wie die Demonstrationen gegen die Begnadigung bestimmter Kollaborateure dort beweisen. In Westdeutschland, und das soll man im Zusammenhang mit dieser Anfrage feststellen, öffnen sich die Tore für die Kriegsverbrecher. Sie läßt man in Freiheit. Aber alle die, die für die Erhaltung des Friedens kämpfen, sucht man und sperrt man ein.
Meine Damen und Herren! Wir sind der Auffassung, daß es für das deutsche Volk in seiner gesamten Entwicklung und für die Erhaltung des Friedens sehr gut wäre, wenn man Leute wie Krupp nicht freigelassen und ihnen nicht das Vermögen wiedergegeben hätte, sondern wenn man diese Herren, die an dem deutschen Unglück schuld sind, lebenslänglich hinter Gittern halten würde. Drücken Sie doch bei der Frage Krupp und einer Reihe von anderen Dingen nicht auf die Tränendrüsen der alten Weiber auch männlichen Geschlechts und treiben Sie nicht auch in dieser Frage
eine üble Geschichtsklitterung. Alle diese Dinge, die Sie hier sehen, sind ein Beweis für das politische Regime, unter welchem wir in Westdeutschland leben.
Herr Kollege Mende, ich kann mit Ihrer Argumentation nicht ganz einverstanden sein.
— Ich erwarte das von Ihnen nicht anders. Sie sind Soldat gewesen. Sie haben hier eine Theorie als Soldat aufgestellt. Ich habe zwar nicht Ihren Rang gehabt, aber als ehemaliger Soldat begreife ich nicht, daß Sie den Überfallenen plötzlich zum Schuldigen stempeln, indem Sie in der Frage der Theorie der verbrannten Erde nun die Sowjetunion schuldig sprechen als die Erfinderin dieser Theorie.
Rußland sollte es also nicht gestattet sein, sich bei dem Überfall durch den deutschen Nationalsozialismus, durch die nationalsozialistischen Verbrecher zu verteidigen.
— Aber natürlich, Sie haben das festgestellt, Herr Kollege Mende!
— Schön, die Frage des Wie; ein anderes Wort. — Aber nennen Sie mir einmal einen deutschen Heeresbericht, der auch nur einmal davon spricht, daß sowjetrussische Bomberverbände deutsche Städte zerstört und Frauen und Kinder getötet haben!
Denken Sie bitte an Dresden. Fünf Minuten vor dem endgültigen Zusammenbruch hat man widerrechtlich —
— auch das stimmt geschichtlich nicht — den Angriff auf Dresden gestartet, und dabei sind 70 000 Menschen ums Leben gekommen.
Denken Sie an den Abwurf der ersten Atombombe auf Hiroshima,
und Sie werden erkennen können, was Sie eigentlich mit Ihrer Argumentation bezwecken.
Herr Kollege Mende, in der sozialdemokratischen Zeitung „Rheinische Zeitung" stand ein sehr interessanter Artikel über Auslassungen des Herrn General Ridgway. Der Herr General Ridgway gibt bereits dort den Ton an, wie man die Frage lösen kann, indem er sagt, seine in Korea gesammelten Erfahrungen hätten bewiesen, wie nahe ein verantwortlicher Militär an die Grenze der Kriegsverbrechen geraten könne.
Meine Damen und Herren, um was geht es denn hier?
Der Generalvertrag und seine Ratifizierung ist eng verbunden mit der Freilassung der Kriegsverbrecher.
— Wenn Sie wollen, Generalkriegsvertrag, das ist richtig —, und dagegen wenden wir uns. Wir ver-
gessen nicht die Vergangenheit. Wir vergessen nicht die Rolle des deutschen Imperialismus in der Vergangenheit. Wir wissen auch den Weg, der beschritten werden wird, wenn der Generalvertrag ratifiziert und der Verteidigungsbeitrag Wirklichkeit wird. Wenn wir den Frieden erhalten wollen, müssen wir dem deutschen Volke immer wieder das eine klarmachen: daß über all diese Fragen letzten Endes nicht Sie, meine Damen und Herren, sondern das Gewissen der Welt entscheidet!
Das Wort hat der Abgeordnete Ribbeheger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beantwortung der Großen Anfrage der Deutschen Partei durch den Herrn Bundeskanzler war klar, erschöpfend und unmißverständlich und hat erkennen lassen, mit welch hohem Ernst und mit welchem Verantwortungsgefühl die Bundesregierung gerade in dieser Frage alles darangesetzt hat, um eine günstige Lösung für unsere Kriegsgefangenen zu erreichen.
Auch in der anschließenden Diskussion konnte man feststellen, daß in grundsätzlichen Fragen die Mitglieder dieses Hohen Hauses mit Ernst und Einmütigkeit zu diesem Problem Stellung genommen haben.
Die Fraktion der Föderalistischen Union teilt die Auffassung, daß alle diejenigen, die Verbrechen begangen haben, eines Gnadenerweises nicht würdig sind. Wir teilen weiterhin die Auffassung, 'daß diese Große Anfrage betreffend Lösung der Kriegsverbrecherfrage auf die gesamten deutschen Kriegsgefangenen ausgedehnt werden muß und daß der Grundsatz Anwendung finden muß: Recht vor Macht.
Wir sind der Meinung, daß die Große Anfrage der Deutschen Partei dem ganzen Anliegen der Kriegsgefangenenfrage nicht in dem Sinne gedient hat, wie es nach unserer Auffassung notwendig gewesen wäre, indem nämlich hier ein Junktim zwischen EVG und der Lösung der Kriegsgefangenenfrage geschaffen wurde.
— Sie haben 'in der Einleitung 'der Anfrage zum Ausdruck gebracht:
Eine den Geboten der Gerechtigkeit und der politischen Vernunft gemäße Lösung der Frage der sogenannten „Kriegsverbrecher" ist eine Voraussetzung für die Möglichkeit einer ehrenhaften Zustimmung zu einem deutschen Verteidigungsbeitrag.
Ich darf abschließend feststellen, daß die Fraktion der Föderalistischen Union an den Herrn Bundeskanzler appelliert, seine Bemühungen in dieser Weise fortzusetzen,
die bisher zu einem so großen Erfolg für unsere Kriegsgefangenen geführt hat.
Das Wort hat der Abgeordnete von Thadden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Vorredner haben auf die Praxis der Sondergerichte, der Sondergesetze, der Willkür usw. in überzeugenden Worten hingewiesen. Zum Thema der Kriegsverbrecher folgende Erinnerung. Im Jahre 1871 forderte die „Times", daß Napoleon III., nachdem er durch Preußen besiegt war, vor ein Kriegsgericht zur Aburteilung als „Kriegsverbrecher" gestellt werde. Damals schrieb der Fürst Bismarck an die „Times" folgendes:
Es ist nicht Sache der Sieger, mit dem Anschein der moralischen Verpflichtung über den Besiegten zu Gericht zu sitzen. Die Politik hat nicht zu rächen, was geschehen 'ist, sondern dafür zu sorgen, daß es nicht wieder geschehen kann.
Ich glaube: ein Wort, das heute wieder eine ungemein aktuelle Bedeutung hat.
Meine Damen und Herren! Es ist an vielen Beispielen heute darauf hingewiesen worden, daß es sich bei diesem ganzen Fragenkomplex nicht um Gerichte handelte, die Recht sprachen, sondern um ad-hoc-Institutionen, die gebildet wurden, um gewisse Richtlinien der Politik auf diesem Gebiete fortzusetzen. Herr Merten hat darauf hingewiesen, daß eine ganze Reihe von Dingen nicht mehr vertretbar sei, und er hat u. a. unter der Rubrik „Unmoral und Unvereinbarkeit mit dem Recht" auch das Kontrollratsgesetz Nr. 10 zitiert. Da können wir ihm völlig zustimmen. Hier könnten wir aber, bevor wir uns an die andern wenden, auch einmal anfangen, indem wir nämlich diejenigen, die in Nürnberg abgetretenen Verfahren auf eben dieser schütteren Basis verurteilt worden sind, nun selbst erst einmal herauslassen, ehe wir an die anderen appellieren, die bei ihnen Inhaftierten herauszulassen. 'Herr Ridgway ist hier eben zitiert worden, dessen Erfahrungen in Korea sich zweifellos mit den Erfahrungen von Millionen deutscher Ostfrontsoldaten decken. Wir können ihm nur empfehlen, daß er einmal auf seinen Stellvertreter dahin einwirkt, zunächst einmal die in Landsberg einsitzenden, der Jurisdiktion 'der amerikanischen Armee unterstehenden Leute herauszulassen. Das ist nämlich schon eine ganz beachtliche Anzahl.
Ein anderes. Die Beantwortung des Antrags der Sozialdemokratie vom vorigen Jahr durch die Bundesregierung wurde von dem Sprecher der SPD heute gerügt. Es ist nicht gut, daß anläßlich der zweiten Lesung des Generalvertrages dieses Thema noch einmal erörtert wird. Wir wollen hoffen, daß dies vorher geschieht. Ich glaube, daß sich nach der heutigen Aussprache doch wohl — von den Kommunisten können wir absehen — eine einheitliche Auffassung in diesem Hause zu diesem Punkt herbeiführen läßt und auch entsprechende konkrete Beschlüsse gefaßt werden könnten, die von der überwältigenden Mehrheit dieses
Hauses in Übereinstimmung mit der Auffassung des Volkes getragen werden könnten.
Die Bundesregierung sollte auf der Basis der Unterlagen, über die die zentrale Rechtsschutzstelle in vollem Umfang verfügt, eine Liste aller derjenigen aufstellen, die nach Auffassung dieser Stelle auf Grund der damals in Kraft befindlichen ordentlichen Strafgesetze durch ein Gericht niemals verurteilt worden wären. Diese Leute sollten jetzt beurlaubt werden. Dann ist immer noch Zeit, daß der durch den Vertrag zu bildende gemeinsame Gemischte Ausschuß in Tätigkeit tritt und sich einmal zunächst mit denen befaßt, die dann noch sitzen. Darüber hinaus hat er die Möglichkeit, sich mit denen zu befassen, die dann in Urlaub sind. Der Bundestag sollte unter allen Umständen die Annahme des Vertragswerks — es ist die Koppelung, die Herr Mende hier eben brachte — davon abhängig machen, ob hier konkrete Maßnahmen getroffen worden sind oder nicht.
Es ist auch nicht gut, glaube ich, daß sich der Bundestag auf allgemeine Vertröstungen in dieser Frage verläßt. Wenn hier im November, oder wann es sein soll, ratifiziert ist, dann ist die letzte Möglichkeit vergangen. Es muß - daß ist ganz klar herauszustellen — in jeder Beziehung eine klare Luft herrschen; ansonsten ist von einer Zusammenarbeit mit künftigen „Verbündeten" kaum zu reden. Die Westmächte, bei denen selber sich in immer zunehmendem Umfang die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß die Dinge, die 1945, 46, 47, 48 unter dem Stichwort „Rechtsprechung" hier vor sich gegangen sind, mit Recht nichts zu tun haben, brauchen sich nicht mehr so vor den auch bei ihnen vorhandenen Chauvinisten in acht zu nehmen.
Ich hoffe, daß nach der jetzigen Aussprache, vor allen Dingen nach der so einwandfreien und eindeutigen Stellungnahme, die Herr Merten für die Sozialdemokratie im Gegensatz zu früheren Erklärungen heute abgegeben hat, der Bundestag sich zu einem konkreten Beschluß in der Kriegsverbrechersache aufrafft, und zwar dahingehend, daß er das Verlangen stellt, diese Frage, die mit den Erfordernissen des heutigen Tages unvereinbar ist, unverzüglich zu lösen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Merkatz!
— Er ist nicht anwesend! Dann, meine Damen und Herren, ist die Rednerliste erschöpft und damit der Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Fraktion der KPD betreffend Großer Knechtsand (Nrn. 3604, 2970 der Drucksachen).
Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Dr. Hasemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag Drucksache Nr. 2970 der Kommunistischen Partei und der dazu erstattete Mündliche Bericht des Auswärtigen Ausschusses Drucksache Nr. 3162 haben das Hohe Haus bereits in der 202. Sitzung vom 27. März 1952 beschäftigt. Der Antrag wurde damals an den Auswärtigen Ausschuß zurückverwiesen, weil sich bei der Debatte ergab, daß hinsichtlich der Auswirkungen der Bombardierung des Knechtsandes gewisse Bedenken vorhanden waren. Einige Redner, die in der Debatte sprachen, wünschten noch vorherige Aufklärung darüber.
Der Auswärtige Ausschuß setzte daraufhin einen Unterausschuß ein, der am 4. Juni dieses Jahres in Bremerhaven eine Sitzung mit den Vertretern der betroffenen Kreise, mit Vertretern der zuständigen Behörden und mit zahlreichen Sachverständigen abhielt und am 5. Juni eine Besichtigung des Knechtsandes selbst und des dortigen Küstengebietes vornahm. In seiner Sitzung vom 11. Juli 1952 hat der Auswärtige Ausschuß den Bericht des Unterausschusses entgegengenommen und die Frage Knechtsand noch einmal diskutiert. Mit Mehrheit hat dann der Auswärtige Ausschuß beschlossen, dem Plenum den Antrag, wie er bereits in der Drucksache Nr. 3162 formuliert war, erneut vorzulegen. Dieser Antrag steht jetzt gemäß Drucksache Nr. 3604 zur Debatte.
Zur Sache selbst möchte ich als Berichterstatter noch folgendes ausführen. Hinsichtlich der Vorgeschichte und hinsichtlich der grundsätzlichen Seite dieses Problems darf ich auf meinen Bericht, den ich in dieser Sache bereits in der 202. Sitzung erstattet habe, sowie auf die daran anschließende Debatte verweisen. Ich möchte dem Hohen Hause aber zur Klärung der Situation noch von dem Ergebnis der Verhandlungen und Prüfungen des Unterausschusses Kenntnis geben. Ich möchte das kurz, aber dennoch erschöpfend tun, weil ich der Auffassung bin, daß die Frage Knechtsand immerhin eine Frage von einiger politischer Bedeutung ist. In Bremerhaven wurde allen beteiligten Kreisen noch einmal Gelegenheit gegeben, in aller Ausführlichkeit und Gründlichkeit ihre Sorgen und Bedenken vorzutragen. Wesentliche und entscheidende neue Argumente wurden dabei nicht vorgebracht. Es war, wie Sie sich erinnern werden, den Betroffenen ja schon in den ersten Verhandlungen vor dem Auswärtigen Ausschuß Gelegenheit gegeben, ihren Standpunkt darzulegen. Es wurde aber in Bremerhaven eine Reihe von Sachverständigen gehört, die zu den vorgebrachten Sorgen und Bedenken Stellung nahmen.
Es waren insbesondere vier Komplexe, die noch einmal untersucht werden sollten, und zwar erstens die Schädigung der Krabbenfischerei in den Dorumer Fanggebieten des Knechtsandes, zweitens die Gefährdung der Festlandentwässerung und des Uferschutzes, drittens die Gefährdung der Großschiffahrtswege der Weser und Elbe und viertens die Gefährdung der an der Küste liegenden Krankenhäuser in Nordholz und Wusterheide.
Zur ersten Frage ist zu sagen, daß die Verhandlungen erneut ergaben, daß mit Sicherheit eine Schädigung der Dorumer Fischer zu erwarten ist. Die Ansichten über den Umfang der Schäden gingen allerdings weit auseinander. Während die Dorumer Fischer einen völligen Verlust ihrer Fanggebiete befürchten, vertraten die gehörten Sachverständigen, und zwar Herr Professor Friedrich vom Institut für Meeresforschung in Bremerhaven und Herr Fischereirat Dr. Nolte vom Fischereiamt, einen unterschiedlichen Standpunkt. Professor Friedrich führte aus, daß eine gewisse Schädigung des Krabbenbestandes wahrscheinlich sei; Endgültiges und Verbindliches könne man natürlich
nicht voraussagen. Eine entscheidende Störung der Ernährungsgrundlage für die Krabben — diese Frage war in der Debatte der ersten Verhandlung besonders angeschnitten worden — sei nicht zu befürchten, da die Krabben von toter organischer Substanz, gleichgültig ob tierischen oder pflanzlichen Ursprungs, lebten und nicht zu erwarten sei, daß diese Ernährungsgrundlage durch ein Bombardement zerstört werde. Herr Dr. Nolte, der Fischereifachmann, führte aus, daß der Krabbenfang Saisonfischerei sei, etwa in den Monaten April bis Oktober. Der Ertrag sämtlicher Fänge im Knechtsandgebiet betrage insgesamt etwa 5000 bis 6000 t, meist Futterkrabben, im Werte von etwa 800 000 bis 1 Million DM. Der Ertrag der unmittelbar beteiligten Fischereikreise aus Dorum und Spieka betrage etwa 3000 bis 4000 t im Werte von etwa einer halben Million DM. Die Erträge seien, so führte Dr. Nolte aus, durch ein Kontrollsystem sehr genau zu ermitteln. Dabei werde durchschnittlich mit 180 Fangtagen in der Saison gerechnet. Würden also etwa an 18 Tagen dieser Fangzeit Bomben geworfen, so würden die Fischer um mindestens 10 °/o ihres Ertrages geschädigt, wobei zu berücksichtigen ist, daß es sich hierbei nicht um Umsatzschäden, sondern um reine Gewinnschäden handelt, da ja die allgemeinen Unkosten die gleichen bleiben. Hierbei wurde der Ausfall weiterer Fangtage, etwa durch Nachtübungen, natürlich nicht eingerechnet. Dr. Nolte bezifferte den Umfang der Schäden unter den eben dargelegten Voraussetzungen mit etwa 1000 DM pro Kutter, wobei nicht die Schäden eingerechnet sind, die eventuell an den Schiffen selbst oder an Netzen und dergleichen verursacht werden.
Da es sich bei den Dorumer Fischern also um allgemein anerkannte und echte Schäden handelt, sagte der anwesende Vertreter des Bundesfinanzministeriums, Herr Ministerialrat Weise, auch zu, daß im Falle der Zurverfügungstellung des Knechtsandes für eine ausreichende finanzielle Entschädigung gesorgt würde.
Nun zur zweiten Frage. Bezüglich der eventuellen Folgen der Bombardierung des Knechtsandes hinsichtlich der Uferbefestigungen und der Festlandentwässerung wurden mehrere Sachverständige gehört, und zwar zunächst der zuständige örtliche Deichgräfe, Herr Lübs, weiter Herr Professor Agartz, der Präsident der Wasserbauverwaltung Bremen, und Herr Dr. Walter von der Wasserstraßendirektion des Bundesverkehrsministeriums. Herr Lübs hielt eine Gefährdung der Entwässerung durch Versandung der Außentiefe für möglich und wahrscheinlich, desgleichen eine Gefährdung des Knechtsandes als Uferschutz, da der Knechtsand als Barre diene und verwundbar sei. Die Sachverständigen Professor Agartz und Dr. Walter hielten Gefahren sowohl hinsichtlich der Entwässerung wie auch des Uferschutzes in keiner Weise für gegeben. Sie führten übereinstimmend aus, daß das eigentliche Zielgebiet des Knechtsandes der sogenannte niedere Knechtsand sei, während der sogenannte hohe Knechtsand als Barre und Uferschutz diene. Wenn man berücksichtige, daß der Knechtsand, solange es überhaupt Seekarten gebe, in seiner Struktur unverändert sei, und wenn man bedenke, daß solche ungeheuren Naturgewalten wie Spring- und Sturmfluten in Jahrhunderten den Knechtsand gar nicht oder nur ganz unwesentlich verändert hätten, so könne man gegenüber diesen ungeheuren Naturkräften die Bombentreffer nur als Nadelstiche bezeichnen. Hinsichtlich der Möglichkeit, daß einmal ein Priel oder ein Tief durch
naheliegende Bombentreffer versanden sollte, wiesen die Sachverständigen darauf hin, daß es jetzt moderne Räumboote gebe, die ohne weiteres in der Lage seien, diese Versandung wieder zu beseitigen. Der Vertreter des Finanzministeriums erklärte dazu, daß die Kosten solcher etwa notwendig werdender Räumungen selbstverständlich vom Finanzministerium übernommen würden. Der Ausschuß schloß sich in seiner Mehrheit den überzeugenden Darlegungen dieser Sachverständigen an, besonders, nachdem von seiten der Regierung auch mitgeteilt wurde, daß die Struktur des Knechtsandes durch ständige Luftbeobachtung und Luftaufnahmen überwacht werden solle.
Zur dritten Frage hinsichtlich einer Gefährdung der Großschiffahrtswege der Weser und Elbe trug Herr Oberbürgermeister Gullasch aus Bremerhaven seine Bedenken vor. Bremerhaven befürchte, daß seine steigende Bedeutung als Hafen einen Rückgang erleide, wenn der Knechtsand bombardiert werde; das gleiche treffe naturgemäß auch für den Elbeschiffahrtsweg zu. Die Bedenken waren neben der Möglichkeit eines Bombenfehlwurfs und eines eventuellen Abstürzens von Flugzeugen auf fahrende Schiffe insbesondere aber auch psychologischer Natur, ein Moment, das auch von anderen Beteiligten vorgebracht wurde. Professor Agartz führte als Sachverständiger aus, daß der Schifffahrtsweg der Weser etwa 14 bis 15 Kilometer und der der Elbe mehr als 17 Kilometer vom Bombenziel entfernt sei. Eine Gefährdung der Schiffahrt sei dadurch in keiner Weise gegeben. Herr Oberst Eschenauer von der Dienststelle Blank bestätigte als militärischer Sachverständiger diese Auffassung. Bei der Bombardierung des Knechtsandes handele es sich nicht um Massen- oder Teppichabwürfe wie etwa bei Helgoland, bei denen Fehlwürfe möglich oder sogar wahrscheinlich seien, sondern es handle sich hier um einzelne Testwürfe auf ein verankertes Zielschiff, und es sei bei der modernen Bombenabwurftechnik kaum wahrscheinlich, daß Fehlwürfe vorkämen. Die Wahrscheinlichkeit eines Fehlwurfs außerhalb des vorgesehenen Sicherheitsradius von 7 km wurde mit 1 : 10 000 beziffert.
Hinsichtlich des letzten Punktes, Gefährdung der Krankenhäuser an der Küste, beschloß der Unterausschuß eine Ortsbesichtigung. Die beiden Krankenhäuser Nordholz und Wusterheide liegen nicht unmittelbar an der Küste, sondern etwa 13 bzw. 15 km vom Zielgebiet entfernt. Oberkreisdirektor Kleemeier aus Bremerhaven brachte zum Ausdruck, daß weniger eine direkte Gefährdung als vielmehr ein Belästigung befürchtet werde, die psychologisch auf die dort liegenden, meist an Tuberkulose Erkrankten wirken würde, eine Belästigung durch das Motorengeräusch und das Detonationsgeräusch der Bomben. Herr Oberst Eschenauer führte dazu aus, daß es durchaus möglich sei, dieses Gebiet der Krankenhäuser als Sperrzone zu erklären, eine Sperrzone, die nicht überflogen werden dürfe, so daß also der Anflug zum Bombenziel des Knechtsandes nicht über dieses Gebiet, sondern parallel zur Küste erfolgen müsse. Da außerdem zwischen dem Zielgebiet und den Krankenhäusern Waldbestände lägen — wie wir uns selbst überzeugt haben —, sei eine allzu ernsthafte Belästigung durch die Detonationsgeräusche der Bomben ebenfalls nicht zu befürchten.
Auf Grund der sorgfältigen Abwägung der vorgebrachten Argumente und Gegenargumente und unter Berücksichtigung des durch die Ortsbesichtigung des Knechtsandes und des Küstengebietes ge-
wonnenen Eindrucks hat der Auswärtige Ausschuß in seiner Mehrheit dahin entschieden, daß Schäden nur bezüglich der Krabbenfischerei zu erwarten sind. Da es sich dabei, wenn auch nicht um eine Existenzvernichtung, so doch immerhin um eine sehr ernste materielle Schädigung der betroffenen Fischer handelt, wurde im Ausschuß allgemein die ausreichende Entschädigung der Fischer als absolute Notwendigkeit anerkannt. Hinsichtlich der anderen Fragen schloß sich der Auswärtige Ausschuß in seiner Mehrheit den überzeugenden Argumenten der Sachverständigen an, daß Gefahren oder Schäden nicht zu erwarten seien.
Unter Berücksichtigung der vielfachen Sicherheitsmaßnahmen, die ich bereits in meinem ersten Bericht zu der Frage Knechtsand erläutert habe, und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß eine Kündigungsklausel für den Fall vorgesehen ist, daß trotz gegenteiliger Zusicherungen z. B. Fehlwürfe vorkommen oder nicht erwartete Schäden eintreten, hat der Auswärtige Ausschuß erneut beschlossen, den Antrag der KPD auf Drucksache Nr. 2970 abzulehnen und der Regierung die in Drucksache Nr. 3604 genannten Auflagen zu machen.
Ich habe Sie zu bitten, dem Antrag des Auswärtigen Ausschusses Ihre Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Für die nachfolgende Aussprache hat der Ältestenrat eine Gesamtredezeit von 40 Minuten vorgesehen. Ich nehme die Zustimmung des Hauses dazu an.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Thiele.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Unsere Bevölkerung wurde in diesen Tagen durch die Presse lakonisch davon informiert, daß die britische Luftwaffe in Kürze mit Bombenabwürfen auf den Großen Knechtsand beginnen wird und damit das Abkommen zwischen Dr. Adenauer und den Hohen Kommissaren über die Zurverfügungstellung des Großen Knechtsandes als Bombenabwurfziel in Kraft tritt. Zu dieser Pressemitteilung darf ich folgende Feststellung treffen.
1. Die Ankündigung der Bombardierung des Großen Knechtsandes ist ein erneuter Beweis dafür, daß der Bundeskanzler eine Politik der vollendeten Tatsachen schafft.
Damit soll um jeden Preis die Konzeption des Generalvertrages, das ist die Konzeption der Vorbereitung eines Krieges, gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt werden.
2. Diese Methode der Politik der fertigen Tatsachen greift den noch ausstehenden Beschlüssen des Bundestages voraus. Sie zeigt mit erschreckender Deutlichkeit, daß die Bundesregierung die demokratischen Prinzipien, so wie sie in der Verfassung verankert sind, mißachtet. Die Bundesregierung versucht mit dieser Methode nicht zum ersten Mal, dieses Haus als Ja-Sage-Maschine in den Dienst ihrer Politik zu stellen.
3. Die Mitteilung über die bevorstehende Bombardierung des Großen Knechtsandes beweist, daß die von Dr. Adenauer unterzeichneten Bonner und Pariser Vertragswerke alles andere enthalten, nur keine Souveränität.
Einer Meldung der dpa vom 29. Januar dieses Jahres zufolge hat das britische Außenministerium bestätigt, ,daß der Grolle Knechtsand vor Cuxhaven nach einer zwischen den Regierungen in London und Bonn getroffenen Vereinbarung an Stelle Helgolands als Ersatzziel für die Bombenflugzeuge der RAF dienen wird. Wie einseitig dieses Abkommen ist, beweist die Erklärung von Charles Gardener in einer britischen Rundfunkstation, in der er feststellt, daß es zwar eine Reihe von Übungszielen für die RAF auch vor der britischen Küste gebe, aber immer, wenn die RAF die Absicht habe, Luftmanöver in großem Umfang durchzuführen, hierzu nur Helgoland und damit die deutsche Bucht geeignet sei. Und mit der Feststellung, daß die Arbeiten und die Kosten für die Vorbereitung ,des Großen Knechtsandes als Bombenabwurfziel von den Deutschen zu tragen seien, fordert er die baldmöglichste Inangriffnahme des Projekts.
Es ist offensichtlich, daß die Erklärung des britischen Außenministeriums und die Veröffentlichung in unserer Presse in diesen Tagen über das Bevorstehen der Bombardierung sich in nichts unterscheiden. Die Besatzungsmächte haben befohlen, Dr. Adenauer hat bereitwilligst ja gesagt. Das ganze Gerede von der Souveranität ist auch an dem Beispiel Knechtsand widerlegt, und die heutige Aussprache ist im Grunde genommen ein lächerliches Manöver. Wie rücksichtslos der Bundeskanzler über das Wohl der deutschen Bevölkerung hinweggeht, beweist das strategische Ziel, das mit der Bombardierung des Großen Knechtsandes verbunden ist. Ich darf mich auch hier noch einmal auf Charles Gardener berufen, der gesagt hat, daß wohl etwas Besseres zu finden sei, dann müsse man aber nach Nordafrika gehen. Aber man geht nicht nach Nordafrika, sondern zum Großen Knechtsand, weil nämlich hier die Anflugbedingungen zu den Zielpunkten studiert werden suilen, und zwar nach Zielpunkt A, nach Bremen, weiter nach Hannover und dem Ruhrgebiet über Zielpunkt B nach Hamburg, Magdeburg, Berlin, Prag und zu den weiter östlich vorgesehenen Kriegsschauplätzen.
Britische Piloten und amerikanische Nachtbomberschützen sollen die Anflugrouten zum Abladen von Atombomben genauestens exerzieren. Das Schicksal unserer deutschen Heimat soll das Schicksal von Hiroshima und Nagasaki werden. Um dieser Zielsetzung willen wurde bei der Bevölkerung an der deutschen Nordseeküste mit der Methode des Totschweigens und der Flüsterpropaganda seit sechs Monaten eine Stimmung erzeugt, die den Anschein erweckte, als ob der Plan der Bombardierung des Großen Knechtsandes fallengelassen wäre. Zu diesem Zweck nährten sowohl das Auswärtige Amt als auch das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen diese Stimmung, und das Bundesministerium sandte eine Delegation dorthin — wie Sie auch durch die Berichterstattung des Herrn Hasemann hier erfahren haben -, die in der Bevölkerung das Gefühl erweckte, als ob in Wirklichkeit alles getan würde, um die Bombardierung abzuwehren. In Wirklichkeit aber ging die Dienststelle Blank inzwischen tatkräftig an die Arbeit; sie führte bereits Vermessungen durch, schickte Offizierskommissionen zur Begutachtung der Aufstellung von B-Türmen und brachte die Vorbereitung der Bombardierung des Großen Knechtsandes in vollen Gang. Meine Herren und Damen, gehen
Sie dort oben hin zum Knechtsand; dort werden Sie sehen, welche Tatsachen auch auf praktischem Gebiet hier von der Adenauer-Regierung getroffen worden sind.
Heute stehen wir vor der endgültigen Entscheidung über das Schicksal, das dem Großen Knechtsand zugedacht ist. Im Interesse der Existenz des deutschen Volkes und im Interesse der ganzen Bevölkerung dort oben kommt es darauf an, diese Maßnahmen zu verhindern. Ich erinnere Sie daran, daß vor dem Großen Knechtsand 70 % des hochwertigen Geflügelfutters Garnelen gefangen werden; 20 bis 25 % aller Fangergebnisse der Küstenfischerei werden hier dem Meere abgerungen. Die Existenz von 35 Fischereifamilien im Dorumer Tief soll restlos zerschlagen und die Lebensgrundlage aller Küstenfischer zwischen Bremerhaven und Hamburg vernichtet werden. Ein wichtiger Ernährungssektor des deutschen Volkes soll entscheidend vernichtet werden, und das alles im Interesse der Vorbereitung eines neuen Krieges, denn nichts anderem dienen ja schließlich diese Bombenabwurfübungen.
Ich appelliere deshalb hier an Ihr Gewissen, ich appelliere an das Verantwortungsgefühl, das jeder einzelne von Ihnen vor dem ganzen deutschen Volke und vor der Bevölkerung im Knechtsand haben muß. Wer diesen Schritt tut, d. h. der Bombardierung von Knechtsand zustimmt, der tut damit auch den ersten Schritt zur Auslösung eines neuen Krieges.
Darum dürfte es meiner Ansicht nach keine andere Entscheidung geben, als dem Antrag unserer Fraktion zuzustimmen, der lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Bundesregierung wird untersagt, den Britischen Militärbehörden an Stelle der Insel Helgoland den Großen Knechtsand oder irgendein anderes deutsches Gelände als Bombenziel anzubieten bzw. zur Verfügung zu stellen.
Die Bevölkerung des betroffenen Gebiets — —
Frau Abgeordnete, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen, Ihre Redezeit ist beendet.
Noch einen Satz!
Ich appelliere an Ihre Großzügigkeit wie bei den Vorrednern.
Es geht hier nicht um Großzügigkeit, sondern um Gerechtigkeit gegen jedermann.
Die Bevölkerung des betroffenen Gebiets aber muß wissen, daß sie die Verteidigung ihrer Existenz und ihres Lebens nunmehr selbst in die Hand nehmen muß. Dabei sind die Erfolge einheitlicher, gemeinsamer Abwehr von Landbeschlagnahmen, von 'Besatzungswillkür Beweis dafür, daß ein Volk, das in Notwehr nationalen Widerstand leistet, das Recht der Völker auf seiner Seite hat und daß man auf die Dauer nicht ein Volk unterdrücken und mit solchen Maßnahmen belegen kann, wie es jetzt auch mit der Bombardierung von Knechtsand beabsichtigt ist.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Mertins.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute in diesem Hohen Hause zum zweitenmal mit dem Bericht des Auswärtigen Ausschusses über die Frage des Knechtsandes. Beide Ausschußberichte sind gleichlautend, und man könnte beinahe zu dem Schluß kommen, daß die Zurückverweisung der Drucksache Nr. 3162 an den Ausschuß keine neuen Argumente erbracht habe, daß in der Zwischenzeit nichts geschehen sei. Auch die Darstellung des Herrn Berichterstatters, deren Objektivität ich nicht anzweifeln will, hat meines Erachtens diese Meinung erhärtet. Ich möchte jetzt .auf einige Dinge eingehen, die doch die Sachlage verändert erscheinen lassen, und auch einiges richtigstellen, von dem ich glaube, daß es aus subjektiver Empfindung in den Bericht des Herrn Berichterstatters hineingekommen ist.
Die Besichtigungsfahrt mit der Vorbesprechung, die die Kommission des Auswärtigen Ausschusses am 4. und 5. Juni durchgeführt hat, hat meines Erachtens — auch nach Ansicht der Teilnehmer außerhalb dieses Hohen Hauses — die Argumente der Opposition, die ich damals vorzubringen die Ehre hatte, voll und ganz bestätigt und sie sogar erweitert. Ich will mich nicht wiederholen. Sie können meine Ausführungen bei der damaligen Behandlung des Themas nachlesen. In der Besprechung der Kommission wurde von allen Seiten festgestellt, daß diese Aktion die Vernichtung der Existenz von 400 Familien — ich denke jetzt nicht nur an die Fischer, sondern auch an die Zubringer- und die verarbeitenden Industrien — mit sich bringt, daß ferner eine Gefährdung der Küsten zum mindesten nicht ausgeschlossen erscheint und daß schließlich die Anlagen bei Nordholz und Cuxhaven wahrscheinlich nicht mehr zu dem Zweck, zu dem sie geschaffen worden sind, benutzt werden können. Selbst der Vertreter des Verkehrsministeriums mußte in dieser Besprechung zugeben, daß der Hohe Knechtsand, der als Bollwerk gegen den Atlantik vorgeschoben ist, nicht beschädigt werden dürfte, da sonst eine große Gefahr für die Küste entstehen würde. Nachdem wir die Zielsicherheit der Royal Air Force auf Helgoland kennengelernt haben, wo bekanntlich noch 7,5 km außerhalb der Gefahrenzone — d. h. also 14,0 km vom eigentlichen Ziel entfernt — Bomben gefallen sind,
können wir nicht umhin, festzustellen, daß es bagatellisieren heißt, wenn man davon spricht, daß eine Gefährdung der Küste nicht in Frage kommen kann.
Neu hinzugekommen und sehr beachtlich ist folgendes Argument gegen die Bombardierung von Knechtsand: Es wird unter allen Umständen eine Beunruhigung der Großschiffahrt auf Weser und Elbe eintreten. Die Weser ist 14 km, die Elbe 17 km entfernt. Selbst der Vertreter der Dienststelle Blank, Herr Oberst a. D. — so muß es wohl heißen, Herr Hasemann, und nicht Oberst — Eschenauer, hat festgestellt bzw. einwandfrei zugegeben, daß auf dem Schiffahrtsweg die Bombenabwürfe zu hören sein werden und daß an Land die Fensterscheiben klirren werden. So habe ich es mir aus der Kommissionssitzung wörtlich notiert. Ein Kapitän, der dort auch als Sachverständiger an-
wesend war, hat die Ansicht geäußert, daß wie an anderen Punkten der Erde auch hier auf der Seekarte dieses Gebiet als Warngebiet eingetragen wird und daß die Dampferkapitäne der Großschiffahrtsrouten sich weigern werden, diese Schifffahrtswege weiter zu benutzen. Ich verstehe das auch vom rein menschlichen Standpunkt. Denn wenn jemand von Amerika nach Europa reisen will und weiß, daß er in die Nähe eines solchen Bombenabwurfgebietes kommt, wird er als Passagier lieber eine englische oder holländische Linie bevorzugen an Stelle einer deutschen, die Bremerhaven oder Hamburg anläuft.
In mir ist der Gedanke aufgetaucht, der nach unseren Erfahrungen der letzten Zeit vielleicht gar
nicht so von der Hand zu weisen ist, daß hier vielleicht auch die Großschiffahrtsgesellschaften anderer Staaten ein dringendes Interesse an der Niederhaltung der deutschen Konkurrenz haben könnten.
In der Kommission ist die Frage des schwimmenden Bombenziels nicht restlos geklärt worden. Es ist von keiner Seite festgestellt worden, aus welchen Gründen ein schwimmendes Bombenziel, das weitab von der Küste und weitab von den Hauptschiffahrtswegen liegen könnte, nicht in Frage kommt. Man hat darauf hingewiesen, daß die Landbeobachtung sehr wichtig sei. Demgegenüber ist festzustellen, daß auch bei den Bombenabwürfen auf Helgoland keine Landbeobachtung vorhanden war, sondern die Beobachtung auch von den Küstenwachschiffen der Royal Air Force durchgeführt wurde.
Die Argumente der Opposition sind also durch die Kommissionsverhandlungen und durch die Bereisung des Großen Knechtsands, die j a deutlich gezeigt hat, wie nahe die Küste ist. obwohl Nebel aufkam — an einem sonnenhellen Tag hätte man es noch viel deutlicher sehen können —, nicht entkräftet worden. Nicht nur allein, sondern auch
alle anderen von der Küste, die dort vertreten waren, hatten den Eindruck, daß die Mitglieder der Kommission, auch der Koalitionsparteien, von den Sachverständigen-Ausführungen tief beeindruckt gewesen sind. Ich erinnere mich nur an die Äußerungen des Herr Dr. von Merkatz und des Herrn Tobaben, die dieser Meinung Ausdruck gegeben haben. Demnach ist mir und meinen Freunden der zweite Bleichlautende Ausschußbericht völlig unverständlich.
Nun ist in der Zwischenzeit noch ein besonderes Ereignis eingetreten, das die Frage des Knechtsandes zu einem innerdeutschen Politikum ersten Ranges zu gestalten scheint. Die Presse meldete zwei Tage vor der in der vergangenen Woche beabsichtigten Debatte den Abschluß eines Vertrages zwischen dem Herrn Bundeskanzler und — die Meinungen sind da widersprechend, ich weiß nicht genau, wem — den Hohen Kommissaren oder Großbritannien, nach dem der Knechtsand zur Bombardierung freigegeben werden soll. Dieser Bundestag ist im Verkehr der Bundesregierung mit ihm schon allerhand gewohnt; aber ich glaube, daß dieses Vorgehen des Herrn Bundeskanzlers — wenn sich die Pressemeldungen bestätigen — doch, sagen wir mal, zu den größten Bedenken Anlaß gibt.
Der Herr Bundeskanzler und seine Beauftragten
mußten aus der ersten Verhandlung über den Ausschußbericht wissen, daß die Meinung in diesem
Hause in der Mehrheit gegen eine Bombardierung des Knechtsandes war. Wenn es damals zur Abstimmung gekommen wäre und die Koalitionsparteien nicht einen Zurückverweisungsantrag gestellt hätten, wäre der Ausschußbericht hier abgelehnt worden. Trotz dieser Sachlage hat der Herr Bundeskanzler, den Pressemeldungen zufolge, einen solchen Vertrag abgeschlossen. Ich will mir angesichts der hohen Persönlichkeit des Herrn Bundeskanzlers die Frage, ob er den Bundestag brüskieren wollte, nicht gestatten.
Aber die Meinung des Bundestags müßte hier eindeutig zum Ausdruck kommen, daß das Hohe Haus sich eine solche Behandlung nicht gefallen läßt.
Die zweite Debatte über den Großen Knechtsand mußte hier abgewartet werden, da auch heute noch der Ausgang ungewiß ist, wenn nicht ein Teil Ihrer Freunde, meine Damen und Herren von der Koalition, bereit ist, wieder einmal umzufallen.
— Ich habe Ihnen j a eben sachlich dargelegt, Herr Hasemann, daß es Leute wie mich und viele andere gibt, die das Ergebnis der Kommissionsverhandlungen etwas anders beurteilen als Sie als Berichterstatter.
Wir fragen daher die Bundesregierung, ob die Pressemeldungen über den Abschluß eines Vertrages stimmen, und zweitens, mit wem der Herr Bundeskanzler einen solchen Vertrag abgeschlossen hat. In den Verhandlungen wurde uns seinerzeit gesagt, daß dieses Bombenziel der NATO, der Royal Air Force oder auch der amerikanischen Luftwaffe zur Verfügung gestellt werden solle. Wir wissen nichts davon. Wir bitten ferner um Aufklärung darüber, weichen Inhalt dieser Vertrag hat, und wir fragen, ob wir als Bundestagsabgeordnete diesen Vertrag in seinem Wortlaut bald zu Gesicht bekommen werden. Wir stellen schließlich die entscheidende Frage: Sind der Herr Bundeskanzler oder die Bundesregierung bereit, einen Gesetzentwurf einzubringen, nach dem dieser Vertrag vom Bundestag genehmigt werden kann?
Unser Standpunkt in dieser Angelegenheit ist folgender. Der Herr Bundeskanzler ist zum Abschluß eines solchen Vertrages nicht berechtigt. Er muß als Anlage zu diesem Vertrag ein Gesetz vorlegen, und zwar nach den Artikeln 32 und 59 des Grundgesetzes. Aber auch das Abkommen selber verstößt in seinem Inhalt gegen das Grundgesetz, und zwar gegen die Artikel 11 und 12, in denen die Freizügigkeit und das Recht auf freie Wahl eines Arbeitsplatzes für alle Bürger der Bundesrepublik garantiert sind. Ohne Gesetz können diese Grundrechte nicht aufgehoben werden, auch nicht für diese 400 Fischerfamilien an der Küste von Nordholz und Dorum.
Wir wünschen ferner eine ausführliche Darstellung, möglichst vor dem Abschluß der Verhandlungen im Bundestag über diese Frage, wie sich die Regierung die Entschädigung denkt. Bisherige Verlautbarungen betreffend die Verhandlungen über die Frage der Entschädigung für die Fischer und die sonstigen Betroffenen sind für uns völlig unverständlich. Wir wissen, daß die Fischer sehr schwer um ihre Existenz zu ringen haben, daß sie
Darlehen, die sie für ihre Fahrzeuge aufgenommen haben, tilgen müssen. Wir wissen, daß die Steuerleute die Drohung Wahrmachen werden, abzumustern, wenn Knechtsand bombardiert wird, und daß dann dort die Fischerei völlig stilliegt.
Wir bedauern bei der von mir geschilderten Sachlage die Haltung der Mehrheit im Ausschuß, und wir bedauern auch die Haltung der Bundesregierung, die, ohne diese Debatte abzuwarten, zu einem Vertragsabschluß gekommen ist. Wir hoffen auf eine gerechte Beurteilung unserer Argumente durch dieses Hohe Haus. Wir lehnen den Ausschußbericht ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Tobaben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anläßlich der letzten Beratung der gleichen Frage, über die wir uns heute hier unterhalten, habe ich dem Hause folgenden Antrag vorgelegt:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, bei der Britischen Hohen Kommission zu erwirken, daß von einer Inanspruchnahme des Großen Knechtsands als Bombenabwurfersatzziel für Helgoland Abstand genommen wird und dafür, falls nicht zu umgehen, ein markiertes Ziel so weit in die offene See gelegt wird, daß eine Gefährdung des Uferschutzes und der sonstigen wirtschaftlichen Interessen der Küstenbevölkerung einschließlich Seeschiffahrt vermieden wird.
Auf Antrag des Kollegen Mende ist dieser Antrag dann dem Ausschuß überwiesen worden. Ich bin auch heute noch der Auffassung — und ich glaube, daß die eingehenden Ausführungen des Kollegen Mertins Ihnen die Berechtigung meiner Auffassung bereits bewiesen haben —, daß dieser Antrag und die sachlich aufgeführten Argumente bei den Verhandlungen im Ausschuß nicht ausreichend berücksichtigt worden sind. Wenn man seitens sogenannter Wassersachverständiger erklärt, daß sich, solange es Seekarten gebe, das Watt dort an der Küste noch nicht verändert hätte und daß das deswegen auch nun nicht der Fall sein würde, so glaube ich, diese Herren haben nicht berücksichtigt, daß dort bisher ja auch noch nicht in dem Maße Bomben — und zwar schwere Bomben — geworfen worden sind, wie das beabsichtigt wird.
Es besteht nicht nur die Möglichkeit, sondern nach meiner Auffassung und der Auffassung der dort wohnenden betroffenen Sachverständigen sogar die Wahrscheinlichkeit, daß sich erhebliche Verschiebungen durch die Bombardierungen und der nachfolgenden Strömung ergeben werden, so daß die Entwässerung durch die Priels nachher unmöglich sein wird. Es werden dann teure und umfangreiche Schöpfwerksbauten mit erheblichen Kapitalanlagen und erheblichen Unkosten für ihre Erhaltung notwendig werden. Wenn hier heute schon davon gesprochen wird, daß das nicht eintreten wird, dann haben die betroffenen Anlieger die berechtigte Sorge, daß sie sich, wenn es einmal doch so kommen sollte, mit der Bürokratie auseinandersetzen müssen, wer denn nun eigentlich diesen Schaden bezahlen soll. Ich glaube, es ist heute noch keine genügende Sicherheit geschaffen, daß ein eventuell auftretender Schaden tatsächlich von den Betroffenen abgewendet wird. Ich halte
es auch — das ist hier bereits gesagt worden; ich will es nicht im einzelnen wiederholen, um mich nicht allzu sehr verbreiten zu müssen — für sehr wahrscheinlich, daß man sich in den Konkurrenzhäfen an anderen Küsten heute schon freuen wird, wenn die Überseefrachten nicht mehr in Bremen gelöscht werden, so daß man selber dabei etwas verdienen kann.
AH diese Dinge sind meines Erachtens nicht ausreichend berücksichtigt worden. Ich glaube, wir können eine Entscheidung, die so hart in die Verhältnisse der Anlieger an der Küste hineingreift, so nicht treffen; wir kommen nicht darum herum, in diesem Hause über die Fragen zu entscheiden, über die meines Erachtens der Ausschuß nicht ausreichend beraten hat.
Ich stelle deswegen den Antrag, abweichend von dem Ausschußantrag über den von mir damals gestellten Antrag direkt abzustimmen.
Meine Damen und Herren, es war vorgesehen, um 13 Uhr die Sitzung zu unter brechen und eine Pause bis 14 Uhr 30 eintreten zu lassen. Es haben sich noch mehrere Redner, vor allem auch der Herr Staatssekretär zum Wort gemeldet. Ich halte es für sinnvoll, jetzt die Sitzung zu unterbrechen
und um 14 Uhr 30 wieder zusammenzutreten.
Die Sitzung wird um 14 Uhr 33 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort. Wir setzen die Besprechung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Fraktion der KPD betreffend Großer Knechtsand fort. Das Wort hat der Abgeordnete Müller-Hermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion wird den Empfehlungen des Auswärtigen Ausschusses und den vorbereiteten Maßnahmen der Bundesregierung ihre Zustimmung geben.
Wir tun das nicht aus Begeisterung darüber, daß eine Sandbank vor der deutschen Küste für Versuchsbombenabwürfe benutzt wird, und auch nicht, ohne eine ganze Reihe von Bedenken anzuerkennen, die heute in der Diskussion bereits geäußert worden sind. Wir glauben aber, daß nach einer sorgfältigen Abwägung aller Gesichtspunkte die Empfehlungen des Auswärtigen Ausschusses und die Maßnahmen der Bundesregierung durchaus zu verantworten sind.
Wir lassen uns vor allem von dem Gesichtspunkt
leiten, daß eine einmal von der deutschen Bundesregierung gemachte Zusage und Zusicherung auch
unter allen Umständen eingehalten werden muß.
— Ich komme darauf.
Meine Damen und Herren, vielleicht darf ich doch einiges in Ihr Gedächtnis zurückrufen, was in unserer sehr kurzlebigen Zeit auch in diesem Zusammenhang allzu leicht vergessen wird. Denken Sie daran, wie vor zwei Jahren, wie vor einem Jahr die öffentliche Meinung und auch hier das Plenum des Bundestags die Bundesregierung unter einen außerordentlich starken Druck gesetzt haben mit der Forderung, alle nur möglichen Mittel und Wege zu suchen und zu finden, um die Insel Helgoland vor weiteren Bombardierungen zu bewahren. Damals schien kein Preis zu hoch, um dieses Ziel zu erreichen. Es war zu einer Zeit, zu der das Besatzungsstatut noch uneingeschränkt die alleinige Maxime der Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Besatzungsmächten war. Damals hat sich die Bundesregierung mit den Besatzungsmächten und vor allem mit der englischen Regierung, mit dem englischen Hochkommissar in Verbindung gesetzt und dann nach sehr schwierigen und delikaten Verhandlungen erreicht, daß im Februar des Jahres 1951 in einem Übereinkommen zwischen der Bundesregierung und der Hochkommission die Zusicherung gegeben wurde, daß Helgoland zum 1. März 1952 von weiteren Bombardierungen befreit werden würde, vorausgesetzt,
daß die Bundesregierung die Errichtung von Ausweichzielen auf Sandbänken an der deutschen Nordseeküste erleichtern würde.
Das, meine Damen und Herren, ist der Tatbestand, und den, glaube ich, sollten wir auch bei unseren heutigen Überlegungen berücksichtigen und nicht Dinge ableugnen, die als Realitäten nun einmal anerkannt werden müssen.
Bei der Suche nach einem Ersatzziel hat sich die Bundesregierung in erster Linie davon leiten lassen, daß keine öffentlichen und möglichst auch keine privaten Interessen in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Untersuchung des Unterausschusses des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, über die Herr Kollege Dr. Hasemann hier bereits ausführlich berichtet hat, ist zu dem Ergebnis gekommen, daß abgesehen von einigen Beeinträchtigungen einiger Krabbenfischer in ihrem Erwerb keinerlei darüber hinausgehende Schäden im Zusammenhang mit solchen Bombardierungen eintreten werden. Wir haben außerdem die Zusicherung von der Bundesregierung erhalten, daß solche individuell auftretende Schäden fair abgegolten werden.
Herr Kollege Mertins hat darüber hinaus darauf hingewiesen, daß die Großschiffahrtswege zur Weser und zur Elbe in Mitleidenschaft gezogen werden könnten.
Aus den Urteilen von Fachleuten ist uns völlig klargeworden, daß jene Bedenken nicht zu Recht bestehen. Ich glaube, die einzige Gefahr, die für deutsche Interessen eintreten könnte, entsteht nicht daraus, daß eventuell 14 oder 20 km von den Bombenabwurfplätzen entfernt Fensterscheiben klirren, sondern daß in der Öffentlichkeit über solche Gefahren geredet wird, die dann vielleicht von irgendwelchen Konkurrenten bereitwilligst aufgegriffen werden, um die deutschen Nordseehäfen zu schädigen.
Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß in dem Abkommen, über dessen rechtliche Situation
Herr Staatssekretär Hallstein dem Hause wahrscheinlich noch Auskunft geben wird, ausdrücklich Revisionsmöglichkeiten eingebaut worden sind für den Fall, daß sich bei den Bombardierungen Schäden oder Benachteiligungen ergeben sollten, die nicht verantwortet werden könnten. Ich möchte aber noch einmal Ihr Augenmerk darauf richten, daß wir ganz besonders in der heutigen Situation der Gesamtheit einen sehr schlechten Dienst erweisen würden, wenn wir in der Öffentlichkeit des Auslandes, gerade auch im Zusammenhang mit diesem Problem, Zweifel an dem guten Willen der Bundesregierung und der Bundesrepublik
aufkommen lassen würden, eine einmal gegebene Zusage auch einzuhalten.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Bartram.
Dr. Bartram (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zu dieser Angelegenheit ganz kurz Stellung nehmen. Es ist schon von meinem Vorredner gesagt worden,
daß die Angelegenheit Knechtsand ohne Helgoland nicht zu betrachten ist. Wir haben diese Frage damals in der schleswig-holsteinischen Landesregierung sehr häufig behandelt. Besonders mein Vorgänger im Amt, Herr Diekmann, hat sich in dieser Angelegenheit sehr eingesetzt und mir bei der Amtsübernahme auch diesen Fall Helgoland ans Herz gelegt. Wir sind dann immer gemeinsam, auch unter Geschlossenheit des schleswig-holsteinischen Landtags, in dieser Angelegenheit vorstellig geworden. Wir haben damals im allgemeinen nicht viel erreichen können. Da kam uns die HelgolandAktion der europäischen Jugend zu Hilfe. Sie hat mit dieser Aktion etwas erreicht, und zwar besonders dadurch, daß sie sich eine weise Beschränkung auferlegte, sich den staatspolitischen Notwendigkeiten zur rechten Zeit beugte und nicht in ein extrem nationales Fahrwasser kam. Ich möchte dies hier besonders betonen, weil damit dokumentiert wurde, daß eine solche Aktion, wenn sie zur richtigen Zeit einsetzt und zur richtigen Zeit abgebrochen wird, der Politik sehr viel helfen kann. Sie hat es damals getan; ich möchte das besonders erwähnen.
Meine Damen und Herren! Helgoland ist ein Stück europäischer Geschichte. Die Insel war in dänischer und in englischer Hand und ist in deutscher Hand. Sie ist ein Zeichen unserer europäischen Zerrissenheit gewesen. Möge sie heute, wo sie wieder mit ihrem Leuchtfeuer den friedlichen Zielen dient und gleichzeitig eine Erholungsstätte für die Menschheit ist, mit diesem Symbol ein leuchtendes Wahrzeichen für Europa in Frieden und Freiheit sein!
Das Wort hat der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den einzelnen Anträgen der Drucksache Nr. 3604, die sich als Auflagen des Auswärtigen Ausschusses an die Bundesregierung darstellen, habe ich vor diesem Hohen Hause bereits in der Sitzung
am 27. März dieses Jahres Ausführungen gemacht. Ich möchte diese Ausführungen ergänzen, indem ich die Entwicklung der Frage bis zum heutigen Tage darstelle.
Ehe ich das tue, bitte ich aber unterstreichen zu dürfen, was von den beiden letzten Herren Rednern gesagt worden ist, daß nämlich ein Urteil über das Ob und das Wie des Abkommens „Sandbank" nur gefunden werden kann, wenn man die Frage im Zusammenhang mit dem HelgolandProblem sieht. Hier war es so, daß der Bundesregierung durch einen einstimmigen Beschluß dieses Hohen Hauses schon im Dezember 1949 der Auftrag erteilt war, mit allen Mitteln die Freigabe dieser Insel und die Rückkehr ihrer Bevölkerung anzustreben. Es ergab sich die Möglichkeit dazu in Verhandlungen, die der Herr Bundeskanzler mit dem englischen Hohen Kommissar geführt hat. Die Verwirklichung dieses Wunsches war freilich an die Bedingung gebunden, daß eine Sandbank oder mehrere Sandbänke in der Nordsee als Ersatzziel für die britische Luftwaffe zur Verfügung gestellt würden. Die Bundesregierung hat diese Bedingung akzeptiert, weil die Annahme dieser Bedingung nach Lage der Dinge das einzige Mittel war, um die Freigabe der Insel zu erlangen und damit den Wunsch dieses Hohen Hauses zu erfüllen.
Die Vereinbarung, die über dieses Ersatzziel zustande gekommen ist, liegt auch nach Auffassung der Bundesregierung in der Zuständigkeit der Bundesregierung. Damit darf ich mit wenigen Worten zu der Auffassung Stellung nehmen, die von Herrn Abgeordneten Mertins hier vertreten worden ist. Er hat der Erwartung Ausdruck verliehen, daß dem Bundestag ein Ratifikationsgesetz zu diesem Abkommen vorgelegt werden würde. Die Bundesregierung vermag sich dieser Auffassung nicht anzuschließen. Sie hat die Frage der Ratifikationsbedürftigkeit sorgfältig geprüft. Sie ist zu dem Ergebnis gekommen, daß dieses deutsch-britische Notenabkommen nicht der Zustimmung des Bundestags bedarf. Der einzige Gesichtspunkt, unter dem diese Zustimmung gefordert werden könnte, ist der des Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes. Dessen Voraussetzungen treffen aber auf unseren Fall nicht zu. Das Abkommen regelt nicht die politischen Beziehungen des Bundes zu Großbritannien, es betrifft nur die rein militärisch-technische Frage der Bereitstellung einer unbewohnbaren Sandbank vor der deutschen Küste als Bombenabwurfziel für die britische Luftwaffe. Auch bezieht sich das Abkommen nicht — zweiter Fall des Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes — auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung. Es trägt keinen Gesetzescharakter, es begründet keine unmittelbaren Rechte und Pflichten für die Einwohner des Bundesgebiets. Infolgedessen liegt kein Grund vor, das Abkommen durch ein Zustimmungsgesetz in innerstaatliches Recht zu übersetzen. Soweit die Möglichkeit besteht, daß das Abkommen in private Rechte eingreift, ist durch Verhandlungen mit den Inhabern derartiger Rechte sichergestellt worden, daß diese hierzu ihre Zustimmung erteilen. Es wird daher auch nicht notwendig sein, die Vorschriften des Reichsleistungsgesetzes anzuwenden. Im übrigen ergeben sich aus dem Abkommen nur Rechte und Pflichten der beiden vertragschließenden Regierungen, die im Bereich ihrer Kompetenzen liegen. Die Vereinbarung hält sich daher im Rahmen eines Regierungsabkommens.
Dennoch würde die Bundesregierung den Abschluß dieses Abkommens, der am 9. Dezember durch
Notenaustausch vollzogen worden ist, bis nach der Beendigung der heutigen Debatte verschoben haben, wenn das mit Anstand möglich gewesen wäre. Es war nicht möglich. Über die Zurverfügungstellung eines solchen Zieles ist seit Frühjahr 1951 verhandelt worden. Der ganze Sommer 1951 war mit Untersuchungen darüber ausgefüllt, welches Übungsziel etwa in Betracht kommen könnte. Das Ergebnis ist gewesen, daß das einzige in Betracht kommende Ziel eben diese Sandbank ist. Auch in den heutigen Beratungen ist ein Ersatzvorschlag nicht gemacht worden. Im Oktober 1951 haben dann die Verhandlungen über die Formulierung des Abkommens begonnen. Sie haben sich über das ganze Frühjahr und den Sommer des Jahres 1952 erstreckt. Am 1. März hat England die Insel Helgoland freigegeben, nachdem die Bundesregierung ihre Bereitschaft, ein Ersatzziel zu stellen, noch einmal ausgesprochen hatte. England hat also in dieser Frage vorgeleistet, und es erscheint der Bundesregierung nicht möglich, jetzt von der einmal gegebenen Zusage wieder abzugehen. Ich sagte, es war auch nicht möglich, die Verhandlungen noch länger hinzuziehen, und zwar deshalb nicht, weil alle Chancen der Verhandlung inzwischen ausgeschöpft worden sind. Wir waren seit diesem Sommer in Kenntnis der Wünsche des Auswärtigen Ausschusses, die ja auch den Inhalt des heutigen Antrages bilden. Diese Wünsche haben die Bundesregierung veranlaßt, die Verhandlungen noch einmal aufzunehmen. Was an Erfüllung der Wünsche erreicht werden konnte, ist daraufhin erreicht worden. Erlauben Sie mir, diesen letzten Satz mit einigen Worten zu begründen und zu konkretisieren.
Zunächst ist in Ziffer 2 a des Antrages der Wunsch ausgesprochen worden, das Abkommen in seiner Geltung zeitlich zu begrenzen. Tatsächlich sieht es einen Geltungszeitraum von fünf Jahren vor. Es war nicht möglich, unsere Absicht durchzusetzen, die Gültigkeit auf einen Zeitraum von zwei Jahren zu beschränken. Infolgedessen haben wir, sobald dies feststand, in den Verhandlungen besonderen Wert auf eine ins einzelne gehende Festlegung der Revisionsbestimmungen des Abkommens gelegt, und zwar in der Richtung, daß sie einer etwaigen Veränderung der Lage Rechnung tragen, die sich während der Laufzeit des Abkommens ergeben könnte. Demgemäß ist in Ziffer 17 Absätzen 1 und 2 des Abkommens festgelegt worden — ich darf das mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren —:
Die Bundesregierung und Ihrer Majestät Regierung sind bereit, diese Abmachungen zu revidieren, wenn durch die Benützung des Übungsgebietes ernste Schwierigkeiten — besonders im Hinblick auf die Großschiffahrtswege zur Elbe und Weser, auf Erdölbohrungen in diesem Gebiet und auf etwaige Veränderungen der geologischen Struktur des Großen Knechtsandes, der als Barre für die Marschgebiete an der Küste wirkt — verursacht werden sollten.
Ich zitiere weiter:
Unter „ernsten Schwierigkeiten" werden auch schwere Sach- oder Personenschäden verstanden, die durch Fehlabwürfe von Bomben oder Nichteinhaltung der Sicherheitsvorschriften durch die Luftstreitkräfte des Vereinigten Königreichs unter Umständen verursacht werden, die eine Wiederholung nicht als ausgeschlossen erscheinen lassen.
Zu Ziffer 2 b, zu der Auflage, eine enge Begrenzung der Abwurfzeiten zu erreichen, ist zu sagen: Das Übungsgelände steht für britische Luftwaffenübungen nicht unbeschränkt zur Verfügung. Tagsüber in der Zeit von einer Stunde vor Sonnenaufgang bis eine Stunde nach Sonnenuntergang ist das Zielgebiet grundsätzlich für Fischerei und Schifffahrt frei. Abwurfübungen bei Tage müssen in jedem Falle spätestens 24 Stunden vorher angekündigt werden. Auch an Übungstagen müssen mindestens sechs Stunden für Schiffahrt und Fischerei frei sein, so daß die Boote auslaufen und zurückkehren können. Sonnabends und sonntags finden keine Tagesübungen statt.
Zu Ziffer 2 c, das Gewicht und die Natur der Bomben betreffend: Das Gewicht der Bomben bei scharfen Übungswürfen ist begrenzt. Als Höchstgewicht ist für Sprengbomben 1000 lbs., das sind 453,6 kg, festgelegt. Im gleichen Zusammenhang wurde der englischen Regierung nahegelegt, in der ersten Zeit bei Übungen ausschließlich und auch später vorwiegend Übungsbomben zu verwenden. Bei den Verhandlungen der letzten Wochen war das Auswärtige Amt darüber hinaus besonders um die Sicherheit der Fischereibevölkerung gegen Unfälle durch Blindgänger bemüht. Es ist gelungen, dem Abkommen eine Bestimmung beizufügen, wonach das Übungsgelände nach jeder Übung, bei der der Einschlag der einzelnen Bomben nicht genau beobachtet werden konnte, durch ein britisches Suchkommando nach Blindgängern abgesucht werden muß. Da sich das Bombengebiet, dessen Radius rund 820 m beträgt, in einer Entfernung von 7 km von der Küste befindet, ist nach Auskünften von Sachverständigen der Dienststelle Blank bei Einhaltung der vorgesehenen Sicherheitsvorschriften eine Gefährdung der Bevölkerung nicht anzunehmen.
Zu Ziffer 2 d, die Entschädigung betreffend, darf ich im Einverständnis mit dem Bundesfinanzministerium das Folgende sagen. Der Herr Berichterstatter hat hier bereits erwähnt, daß schon bei den örtlichen Verhandlungen in Bremerhaven und Dorum durch das Finanzministerium erklärt worden ist, daß es grundsätzlich bereit ist, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Bombardierung des Großen Knechtsands eintretenden Schäden angemessen abzugelten. Im Einvernehmen mit den beteiligten Bundesressorts hat das Bundesfinanzministerium bereits Maßnahmen vorbereitet, um tatsächliche Unterlagen für die Bemessung etwaiger Schäden zu gewinnen. Der Herr Bundesminister für Verkehr hat sich bereit erklärt, wegen etwaiger Veränderungen in der Struktur des Knechtsandes, der Küste und der Wasserwege durch das Wattenmeer Peilungen und Luftbildaufnahmen zur Festhaltung des jetzigen Zustandes vorzunehmen und künftig Kontrollmaßnahmen durchführen zu lassen. Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ist gebeten worden, bei dem örtlich zuständigen Fischereiamt die Unterlagen über Fangergebnisse sowie ihre wirtschaftliche Verwertung zum Zwecke der Beweissicherung zu überprüfen und gegebenenfalls weitere Verhandlungen zu veranlassen. Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ist ferner gebeten worden, Richtlinien für die Gewährung von Entschädigung für Verdienstausfall im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme des Großen Knechtsands zu übermitteln.
Ich darf schließlich darauf hinweisen, daß der Notenwechsel, der dieses Thema zum Gegenstand hat, in der letzten Ausgabe des Bulletins des Presseamts der Bundesregierung veröffentlicht worden ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Hasemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu den kritischen Äußerungen, insbesondere denen des Kollegen Mertins, einige Worte sagen. Ich will dabei nicht polemisieren, sondern mich streng an die Sache selbst halten.
Wir wissen zwar alle, daß die Frage Knechtsand im wesentlichen eine politische Frage ist. Aber ich bin der Ansicht, man sollte dann sein Ja oder Nein, das politisch gemeint ist, auch so kennzeichnen und sich nicht hinter sachlichen Argumenten verstecken. Ich habe das Gefühl, daß man das Nein, das wir ja schon oft von dieser Seite des Hauses gehört haben, nur verbrämen will.
Ich mache darauf aufmerksam, daß ich jetzt nicht als Berichterstatter spreche. Ich tue das, damit nicht die Objektivität meines Berichts angezweifelt werden kann. Ich spreche jetzt namens meiner Fraktion.
Ich glaube, ich kann es mir ersparen, auf die Darlegungen unserer Kollegin Frau Thiele einzugehen; aber ich kann es mir doch nicht verkneifen, ein Wort dazu zu sagen, daß sich Frau Thiele Sorgen darüber macht, es könnten etwa auf Bremen, Hamburg oder Hannover Atombomben geworfen werden. Wir teilen diese Sorge nicht, daß sie etwa aus westlicher Richtung kommen. Wenn Sie darauf hinwirken, daß von seiten Ihrer östlichen Freunde keine Atombomben auf deutsches Gebiet geworfen werden, dann können wir völlig ruhig schlafen. Andere Sorgen brauchen Sie sich also nicht zu machen.
Im übrigen wissen wir — das ist sattsam bekannt —, daß nicht nur im Westen Flug- und Abwurfübungen gemacht werden, wir kennen die
Methoden in dieser Beziehung im Osten genau,
ohne daß wir von hier aus eine Einflußmöglichkeit hätten und ohne daß wir je gehört hätten, daß Ihre Freunde im östlichen Teil unseres Vaterlandes irgendwie und irgendwann und irgendwo einmal Stellung dazu genommen hätten.
— Durch Lautstärke gewinnen Ihre Argumente
keine größere Bedeutung.
Nun zu den sachlichen Argumenten. Wir sind uns alle darüber klar — und ich habe das als Berichterstatter auch völlig eindeutig zum Ausdruck gebracht —, daß wirklich ernste und echte Schäden bei der Krabbenfischerei entstehen. Ich freue mich, daß die Auflage, die der Ausschuß in seiner Empfehlung gemacht hat, von der Regierung voll anerkannt wird und daß eine ausreichende und, wie ich hoffe, auch großzügige Entschädigung der sicherlich sehr hart betroffenen Dorumer Fischer stattfinden wird. Aber ich glaube, es wäre falsch,
von einer völligen Vernichtung der Existenzgrundlage dieser Dorumer Fischer zu sprechen. Wir alle sind zwar keine Fachleute, aber wir haben uns an Ort und Stelle auch ein Bild gemacht. Mich persönlich haben die Darlegungen des Fischereifachmanns, des Herrn Fischereirats Dr. Nolte, überzeugt, daß sicherlich Schäden hinsichtlich der Fangergebnisse zu erwarten sind, daß man aber von einer Vernichtung der Existenzgrundlage für alle Zeiten mit Bestimmtheit nicht reden kann. Ich kann mir nicht helfen; ich glaube auch nicht, daß Herr Mertins davon überzeugt ist. Ich habe natürlich volles Verständnis dafür, daß er als Vertreter eines Wahlkreises der Küste sich ganz besonders der Belange dieser Fischer annimmt. Aber ich bin auch Niedersachse. Die Leute gehören auch zu meiner engeren Heimat, und ich kann sagen, daß auch mir das Schicksal dieser Menschen wirklich sehr am Herzen liegt; aber man kann das Problem nicht gesondert betrachten, kann es nicht aus dem großen Zusammenhang lösen und damit das Gesamtbild verzerren.
Nun zur Gefahr der Fehlabwürfe. Ich bin kein Luftwaffenfachmann. Ich verlasse mich auf das, was die Experten dazu gesagt haben, und ich verlasse mich insbesondere darauf, daß durch die Revisionsklausel die Möglichkeit gegeben ist, diesen Vertrag außer Kraft zu setzen, wenn die gegebenen Zusagen nicht eingehalten werden.
Das gleiche gilt für die Frage der Gefährdung der Großschiffahrtswege. Herr Mertins, der Herr Kapitän Spreen, den ich ja mit angehört habe, hat zwar das Gespenst beschworen, daß die psychologische Wirkung nach draußen so groß sei, daß nachher kein Dampfer mehr Bremerhaven anlaufe. Dazu ist mit sehr viel Recht erwidert worden: wenn wir nicht selber das Gespräch in diese Richtung drängen, brauchen wir nicht zu befürchten, daß vom Ausland her solche Gedanken auftauchen.
Und nun noch ein Wort. Sie wollen es der Regierung zum Vorwurf machen, wenn sie gewissermaßen freiwillig oder in einer höheren Erkenntnis dies Abkommen geschlossen hat. Wie sähe es denn nun aus, wenn wir wirklich nein sagen würden? Vergessen wir doch nicht, daß wir noch unter dem Besatzungsstatut leben. Vergessen wir doch nicht, daß morgen dekretiert werden könnte, allerdings dann so, daß es in Form eines Befehls geschieht, ohne unser Mitspracherecht, ohne eine Revisionsmöglichkeit. Ich weiß nicht, ob das in Ihrem Sinn läge. Und vergessen wir doch auch nicht, daß diese Übungen auch unserem Schutze mit dienen werden. Wenn Sie sich aber ganz frei machen wollen von jeglicher Form des Befehles von seiten der Westalliierten, wenn sie uns so frei machen wollen, daß wir als ganz freie Vertragspartner in solchen Dingen mitzuentscheiden haben — nun gut, dann werden wir uns bei der Beratung des Generalvertrages gerade über diese Dinge vielleicht noch einmal unterhalten können.
Nun noch einen Satz zu dem Gespenst, möchte ich beinahe sagen, das der Herr Kollege Tob ab e n hier beschworen hat, indem er — das wurde damals in den Besprechungen zwar nicht sehr überzeugend, aber doch immerhin vorgetragen — davon sprach, daß die Festlandentwässerung so stark gefährdet würde, daß man ein Millionenobjekt in Form eines Schöpfwerkes dort bauen müßte. Herr Kollege Tobaben, ich glaube, daß Sie selbst wohl kaum im Ernst an diese Dinge denken, und auch Ihnen möchte ich sagen: sollte wirklich diese Befürchtung bei Ihnen vorhanden sein, so lesen Sie
sich die Revisionsklausel durch. Es ist dort auch auf eine mögliche Gefährdung des Knechtsandes als Barre und als Uferschutz hingewiesen. Sollten also irgendwo und irgendwann auch nur die ersten kleinsten Anzeichen einer ernsten Gefährdung auftreten, ist für uns die Revisionsmöglichkeit gegeben.
Ich bin der Auffassung, daß nach den Darlegungen des Herrn Staatssekretärs die Regierung die Auflagen, die wir ihr vom Auswärtigen Ausschuß gemacht haben, im Rahmen der ihr überhaupt zur Verfügung stehenden Möglichkeiten durchaus erfüllt hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Mertins.
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zwei Vorbemerkungen. Der Herr Abgeordnete Hasemann hat jetzt hier den feinen Satz gebraucht: Man soll sich nicht immer hinter Tatsachen verschanzen. Ich bin der Überzeugung: die Tatsachen, die ich angeführt habe, sind für mich ein besserer Schild und eine bessere Phalanx als die Illusion jedes Generalvertrages und jeder Gleichberechtigung.
Dann zweitens: Herr Hasemann hat gesagt, er verstehe es, daß ich mich als Vertreter des Wahlkreises für die Interessen der davon Betroffenen einsetze. Nicht nur als Vertreter des Wahlkreises, sondern als Sozialdemokrat, der sich immer da einsetzt, wo Macht gegen Recht angewandt wird, habe ich gesprochen!
Der Herr Abgeordnete Müller-Hermann hat eines meiner Argumente herausgegriffen, und zwar die Gefährdung des Großschiffahrtsweges. Er hat gesagt, man sollte nicht darüber reden. Ich bin der Überzeugung, man sollte vorher reden und nicht nachher; denn der erste Dampfer, dessen Passagiere Bombenabwürfe hören, wird ein Alarmsignal geben, das die Schiffahrtsinteressenten anderer Länder recht freudig aufnehmen werden zum Schaden der deutschen Großschiffahrt.
- Die wissen dann schon, wo sie ihre Fracht und ihre Personen entladen werden.
Dann zu den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs! Der Herr Staatssekretär hat hier erklärt, daß die Regierung nicht beabsichtige, ein Ratifikationsgesetz vorzulegen. Er hat dann den mir etwas unverständlichen Satz gebraucht: Inhaber privater Rechte sollen ihre Zustimmung zu diesen Abmachungen geben. Wenn er mit den Inhabern privater Rechte die geschädigten Fischer oder die geschädigten Gemeinden meint, dann glaube ich, hier erklären zu können, daß er deren Zustimmung nie bekommen wird.
Wenn hier durch den Herrn Staatssekretär eindeutig festgestellt worden ist, daß dieser Vertrag sozusagen auf Druck der britischen Regierung abgeschlossen ist, dann stelle ich hier fest, daß sich dieser Druck kurz vor dem von Ihnen gewünschten Abschluß des Generalvertrages und des EVG-Vertrages doch sehr merkwürdig ausnimmt. Ein Diktat wäre uns dann lieber als die Zustimmung der deutschen Bundesregierung dazu.
Berufenere als ich werden in meiner Fraktion die Frage prüfen, ob die staatsrechtliche Ansicht des Herrn Staatssekretärs richtig oder falsch ist, und wir behalten uns Schritte in dieser Beziehung vor.
Zu dem Inhalt des Vertrages nun noch ein paar Bemerkungen. Der Herr Staatssekretär hat auf die Revisionsmöglichkeit hingewiesen. Wenn man anfängt zu bombardieren, entsteht der Schaden, und dieser Schaden — man kann darüber zweierlei Meinung sein — könnte auf Jahrzehnte die Existenz der Fischer vernichten. Durch eine Revision kann also nichts mehr gutgemacht werden. Die Begrenzung der Abwurfzeiten ist eine theoretische Annahme und eine Illusion. Es steht einwandfrei fest, daß manchmal die Schiffe, die den Wattenschiffahrtsweg benutzen, sieben Tage im Wattenweg festliegen, weil die Flut nicht ausreicht, um sie flottzumachen.
— Das steht drin. Aber es ist unmöglich, das immer vorauszusehen, genau so, wie es unmöglich ist — wie es in dem Vertrag heißt, wenn er derselbe ist wie derjenige, der mir seinerzeit einmal zugänglich war —, nach dem Bombenabwurf durch irgendwelche Minenräumboote die Bomben aus den Löchern herauszuholen, die dort in den Sänden sind. Die Herren Fachleute — bei manchem zweifle ich mitunter an seiner Sachkenntnis — haben diese Dinge völlig außer acht gelassen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch auf zweierlei hinweisen. Erstens hat der Herr Staatssekretär es nicht für nötig gehalten, sich über folgendes zu äußern. Ich habe in meinen Ausführungen behauptet, daß der abgeschlossene Vertrag gegen die Art. 11 und 12 des Grundgesetzes über die Freizügigkeit der Bewohner und über die freie Arbeitsplatzwahl verstößt. Wir können Einschränkung der Freizügigkeit und der freien Arbeitsplatzwahl von 400 Familien nur durch Gesetz im Bundestag regeln. Auch diese Frage müßte geprüft werden. Wir werden dann zu gegebener Zeit hier eine Stellungnahme dazu abgeben.
Weiter möchte ich bitten, sich den Argumenten der Opposition nicht zu verschließen. Sie sehen, daß in Ihren eigenen Reihen, meine Damen und Herren von der Koalition, sehr große Meinungsverschiedenheiten über die Zweckmäßigkeit dieses Vertrages bestehen. Sie sehen, daß sogar eine große Meinungsverschiedenheit über die etwaigen Folgen der Bombardierung von Knechtsand besteht. Und wenn hier schon ein Vertrag unter Druck zustande gekommen ist, sollte diese Abstimmung jetzt in diesem Hause, in der der Ausschußbericht abgelehnt werden sollte, für die britische Regierung der Mahnruf sein, im Sinne der Gleichberechtigungstheorie freiwillig auf ihr Verlangen zu verzichten.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung.
Sie haben vor sich erstens den Antrag des Ausschusses auf Drucksache Nr. 3604. Herr Abgeordneter Tobaben hat für seine Fraktion den von ihm verlesenen Antrag gestellt. Soll ich ihn noch einmal verlesen?
- Also der Antrag des Herrn Abgeordneten Tobaben lautet:
Die Bundesregierung wird ersucht,
bei der britischen Hohen Kommission zu erwirken, daß von einer Inanspruchnahme des
Großen Knechtsands als Bombenabwurfersatzziel für Helgoland Abstand genommen wird und dafür, falls nicht zu umgehen, ein markiertes Ziel soweit in die offene See verlegt wird, daß eine Gefährdung des Uferschutzes und der sonstigen wirtschaftlichen Interessen der Küstenbevölkerung einschließlich Seeschifffahrt vermieden wird.
Dieser Antrag ist der weitergehende. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Herrn Abgeordneten Tobaben und Fraktion zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich vermag es nicht mit Bestimmtheit zu erkennen.
— Ich verfahre nach der Geschäftsordnung. Da das Abstimmungsergebnis nicht eindeutig zu erkennen ist, bitte ich, im Wege des Hammelsprungs abzustimmen. Wer für den Antrag des Herrn Abgeordneten Tobaben ist, geht durch die Ja-Tür.
Ich bitte, den Saal möglichst schnell zu verlassen.
— Ich bitte mit der Auszählung zu beginnen.
Ich bitte, die Abstimmung zu beenden und die Türen zu schließen.
Die Abstimmung ist beendet.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Für den Antrag des Abgeordneten Tobaben haben gestimmt 123 Abgeordnete, dagegen 141, bei zwei. Stimmenthaltungen. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Auswärtigen Ausschusses, Drucksache Nr. 3604. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrage zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. —
Ich bitte um die Gegenprobe. Enthaltungen? -
Ich stelle fest, daß dieser Antrag mit der gleichen Mehrheit angenommen ist.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, mit Rücksicht auf die Tatsache, daß der Punkt offenbar nur kurze Zeit in Anspruch nimmt, den Punkt 6 vor Punkt 5 zu erledigen. — Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Abgeordneten Rademacher, Dr. Schäfer, Dr. Friedrich, Juncker, Rüdiger, Stahl, Dr. Wellhausen und Fraktion betreffend Freigabe von Küstenschiffen (Nrn. 3639, 263 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Semler. Der Bericht ist schriftlich erstattet*).
Es ist an sich vorgesehen, daß eine Aussprache stattfindet, wenn es gewünscht wird. Wünscht jemand das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses — Ziffer 2 des Schriftlichen Berichts, Drucksache Nr. 3639 —, den Antrag Drucksache Nr. 263 für erledigt zu erklären. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; dieser Antrag ist angenommen.
*) Siehe Anlage Seite 10552.
Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Güterfernverkehr mit Kraftfahrzeugen und des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Güterkraftverkehr (Güterkraftverkehrsgesetz) (Nr. 1344 der Drucksachen);
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Verkehrswesen (Nr. 3515 der Drucksachen; Änderungsanträge Umdrucke Nrn. 620, 658, 659). (Erste Beratung: 93. Sitzung.)
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Rademacher. Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Behandlung der beiden Gesetze, über die ich namens des Ausschusses für Verkehrswesen zu berichten habe, war wohl die schwierigste Aufgabe, die dem Ausschuß seit seinem Bestehen gestellt war. Wie beim Bundesbahngesetz lagen auch in diesem Fall zwei Gesetzentwürfe vor, der eine von der Bundesregierung und der andere vom Bundesrat. Beide datieren vom September 1950. Die wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Gesetzen bestehen darin, daß die Regierung mit ihrem Entwurf den Nahverkehr vorläufig nur lose regeln wollte, um später ein besonderes Gesetz für den Nahverkehr zu schaffen; ferner darin, daß der Regierungsentwurf im wesentlichen eine zentrale Regelung über eine Anstalt des öffentlichen Rechts vorsah, die Bundesanstalt zur Überwachung des Fernverkehrs, während der Bundesratsentwurf einerseits den Nahverkehr gleich einbezogen wissen und andererseits die Überwachung in den einzelnen Ländern Landesanstalten übertragen wollte.
Ich muß zur Einleitung namens meines Ausschusses ganz kurz auf die Geschichte der Kontrolle des Straßenverkehrs eingehen. Durch eine Verfügung des Reichspräsidenten vom 6. Oktober 1931 wurde zum ersten Mal versucht, den unhaltbaren Zuständen, insbesondere auch dem Kampf SchieneStraße durch eine Verordnung Einhalt zu gebieten. Etwas Maßgebliches geschah dann am 26. Juni 1935 mit dem Gesetz zur Regelung des Güterfernverkehrs, das in seiner Begründung feststellte — und das scheint mir wesentlich zu sein —, daß die Überwachung des Reichskraftwagentarifes, der immer schon paritätisch mit den Eisenbahntarifen gebunden war, durch Landesbehörden unmöglich sei. Es kam dann gleichzeitig zur Gründung eines Reichskraftwagenbetriebsverbandes, eines Zwangsverbandes, auf den ich im Laufe der Berichterstattung noch eingehen werde. Dieser Reichskraftwagenbetriebsverband wurde 1945 mit dem Einmarsch der Alliierten aus den bekannten Gründen aufgelöst. Der erste Versuch, eine gewisse Ordnung wieder zu schaffen, wurde dann mit dem Güterfernverkehrsänderungsgesetz am 2. September 1949 unternommen, von dem Sie wissen, daß es wegen der verzögerten Verabschiedung der heute zum Bericht stehenden Gesetze in diesem Hause einige Male verlängert werden mußte.
Darf ich vorweg zusammenfassend sagen, welches eigentlich die Aufgaben des neuen Gesetzes sind. Zunächst handelt es sich um die Bestätigung der Konzessionierung und der Kontingentierung, wie sie seit Bestehen des ersten Gesetzes vorhanden gewesen sind. Ferner kommt es darauf an, im Straßenverkehr die Tarifehrlichkeit wieder herzustellen, und es kommt darauf an, unter Umständen auf Grund gewisser Selbstkostenuntersuchungen eine Tarifentwicklung zu ermöglichen. Eine weitere wesentliche Aufgabe ist die Koordinierung an sich, d. h. des Straßenverkehrs in sich, aber auch in seinem Verhältnis zu den anderen Verkehrsträgern. Ferner soll durch eine klare Statistik endlich erfaßt werden, was sich auf den Straßen an Fahrzeugen, aber auch an Gütern bewegt, um darauf eine vernünftige Verkehrspolitik aufzubauen. Schließlich haben wir eine Regelung des Güternahverkehrs — das darf ich hier noch einmal einschalten — nach einer ganz kurzen Überlegung, aber auch nach einer kurzen Behandlung dem Entwurf des Bundesrates entsprechend in das Gesetz mit hineingearbeitet und haben neben dem eigentlichen Güternahverkehr etwas völlig Neues geschaffen, nämlich den Güterliniennahverkehr, auf den ich bei der eingehenden Behandlung des Gesetzes noch zurückkommen werde. Das Gesetz enthält ferner bestimmte Regelungen auch für den Werkfernverkehr, die Überwachung hinsichlich der Pflichtversicherung, wie sie in den Bestimmungen des Straßenverkehrs vorgeschrieben ist, und schließlich die ordnungsgemäße Abführung der Beförderungssteuer.
Der Ausschuß hat sich in ungefähr 30 Sitzungen mit diesen beiden Gesetzen befaßt. Mindestens die ersten 10 Sitzungen sind damit vergangen, daß wir uns in endlosen Grundsatzdebatten mit den Ländervertretern darüber unterhalten haben, ob es denn überhaupt möglich sei, nach dem Willen des Regierungsentwurfs eine Bundesanstalt zu schaffen, also das zu schaffen, was in Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes vorgesehen ist, und zwar mit dem entsprechenden Unterbau in den einzelnen Ländern. Schließlich hat der Ausschuß, nachdem die einzelnen Mitglieder ihre Fraktionen befragt hatten, eine erste Fassung erarbeitet, weil er zu der Erkenntnis gekommen war, daß doch nun zunächst einmal eine Grundlage geschaffen werden müßte, auf der man verhandeln kann. Den Vertretern der Länder wurde aber bei dieser Gelegenheit gleich zugesagt, daß vor der zweiten und endgültigen Lesung im Ausschuß noch einmal Besprechungen stattfinden sollen zwischen den Verkehrsausschüssen der beiden Häuser.
Nachdem sich ,der Ausschuß in der ersten Lesung und in der Folge nicht für den Reichskraftwagenbetriebsverband sondern für eine Bundesanstalt des öffentlichen Rechts entschieden hat, habe ich im Auftrage des Ausschusses einige Bemerkungen darüber zu machen, weil gerade dieser Punkt sehr viel Kritik in der Öffentlichkeit hervorgerufen hat. Zunächst einmal, glaube ich, sind wir alle in diesem Hause ein wenig skeptisch und hoffentlich auch genügend vorsichtig, Zwangsorganisationen wieder einzuführen, die wie in diesem Fall z. B. durch den Nationalsozialismus geschaffen wurden. Man mag vieles zugunsten eines Zwangsverbandes sagen, aber wenn man ein Kriterium gegenüber der nationalsozialistischen Zeit herausstellen will, darf man bei diesem Zwangsverband nicht vergessen, daß zu jeder Zeit die nationalsozialistische Knute dahintergestanden hat. Es kam den Ausschußmitgliedern auch darauf an, den Werkverkehr in einem gewissen Umfang in diesem Gesetz mit zu regeln, eine Angelegenheit, die in einer sogenannten Selbstverwaltungsorganisation nicht möglich gewesen wäre.
Schließlich hat sich auch der Ausschuß überzeugen müssen, daß Teile der Selbstverwaltung, die
heute noch bei dem Gewerbe liegen, nicht überall diejenige korrekte Behandlung gefunden haben, die sie verdienen. Meine Ausschußkollegen werden sich daran erinnern, was der Vertreter des Bundesfinanzministeriums über die Abführung der Beförderungssteuer gesagt hat.
Die entscheidende Sitzung der beiden Ausschüsse, von der ich sprach — am 20. und 21. Mai —, nahm ungefähr acht Stunden in Anspruch. Es ist dann in diesen beiden Ausschüssen gelungen, eine Einigung herbeizuführen. Ich darf auch namens des Ausschusses bei dieser Gelegenheit den Ländervertretern den Dank aussprechen für ihre Bereitwilligkeit, zu einer Klärung und zu einer Einigung zu kommen. Insbesondere gedenke ich in dieser Beziehung des hervorragenden Fachmanns, des verstorbenen Ministerialrats Wilhelm aus Württemberg-Baden, der wirklich entscheidend dazu beigetragen hat, daß eine Einigung herbeigeführt werden konnte.
Ich darf nun das Gesetz im einzelnen behandeln. Der erste Abschnitt behandelt die Allgemeinen Vorschriften. Darin ist zunächst einmal festgelegt worden — wie es auch bisher schon geregelt war —, daß die Nahzone auf ein Gebiet von 50 km begrenzt bleibt Wir haben aber gewissen Verstellungen Rechnung getragen und haben in Abs. 4 des § 2 eine Ausnahmebestimmung hineingebracht, die folgendermaßen lautet:
Für grenznahe Gebiete kann der Bundesminister für Verkehr durch Rechtsverordnung Ausnahmen von Absatz 2 zulassen.
Damit ist also vor allen Dingen die Möglichkeit offengeblieben, gewissen verkehrspolitischen Erf ordernissen in Grenzgebieten Rechnung zu tragen. Zu diesem Absatz liegt ein Änderungsantrag der Föderalistischen Union vor, das Wort „kann" in „soll" zu ändern. Ich will im Augenblick im Auftrag des Antragstellers nur bekanntgeben, daß er auf eine Beratung und Änderung in der zweiten Lesung verzichtet, so daß dieser Änderungsantrag erst in der dritten Lesung zu behandeln ist. Auch mit einigen weiteren Änderungsanträgen soll so verfahren werden, um die bekannten Schwierigkeiten bei der Annahme von Änderungsanträgen in zweiter Lesung zu überwinden.
Im § 5 a ist analog dem allgemeinen Eisenbahngesetz und dem Bundesbahngesetz ausdrücklich noch einmal das Koordinierungsrecht des Herrn Bundesverkehrsministers festgelegt worden. Der betroffene gewerbliche Verkehr hat zu den letzten beiden Sätzen Bedenken gehabt. Der Ausschuß ist in einer nochmaligen Rücksprache mit Vertretern des gewerblichen Verkehrs diesen Bedenken entgegengekommen. Auch hier darf ich mir erlauben, in der dritten Lesung die entsprechende Änderung des § 5 a — besser gesagt: Streichung — zu begründen.
Der Zweite Abschnitt — Sie werden damit einverstanden sein, daß ich wirklich nur das Wesentliche behandle, obgleich es sich um ein außerordentlich wichtiges Gesetz handelt — befaßt sich mit der Genehmigung. Ich habe bereits in den einleitenden Ausführungen darauf hingewiesen, daß es bei der Kontingentierung und auch bei der Einzelkonzessionierung bleibt. Es wurde verschiedentlich auf den Art. 12 des Grundgesetzes hingewiesen, und der Ausschuß hat sich mit dieser Frage sehr, sehr eingehend befaßt. Durch die Rechtsprechung ist schon seit geraumer Zeit anerkannt, daß Art. 12 des Grundgesetzes in seiner Bedeutung dort eingeschränkt wird, wo die Grenzen der öffentlichen Sicherheit dies erforderlich machen. Und wo sonst
könnte es Grenzen der öffentlichen Sicherheit geben, wenn nicht gerade im Straßenverkehr? Weiter heißt es ja auch in Art. 12, daß die Berufsausübung durch Gesetz geregelt werden kann.
Schließlich hat sich der Ausschuß in seinen Besprechungen sehr stark auf den Art. 2 des Grundgesetzes gestützt, in dem es heißt, daß dem deutschen Menschen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit garantiert wird. Es ist weiter eingewandt worden — und auch damit hat sich der Ausschuß sehr eingehend befaßt —: Warum diese Kontingentierung und Konzessionierung für den gewerblichen Verkehr und nicht für den Werkverkehr? Auf den Werkverkehr selbst werde ich bei dem betreffenden Abschnitt noch zu sprechen kommen. Es besteht ein elementarer Unterschied zwischen dem Werkverkehr auf der Straße und dem gewerblichen Verkehr. Der Werkverkehr eines Betriebes betreibt den Transport von Gütern auf der Straße als eine Nebenbeschäftigung seiner Produktion und seines Handels. Dagegen ist der gewerbliche Verkehr gezwungen, in einer fortgesetzten Konkurrenz gegenüber den anderen Verkehrsträgern zu arbeiten und zu wirken. Das ist nicht nur die Deutsche Bundesbahn, sondern das ist in gewissem Umfang auch die deutsche Binnenschiffahrt. Weil das so ist, muß der gewerbliche Verkehr — und zu dieser Erkenntnis ist auch der Ausschuß einstimmig gekommen — in einer rationellen Ausnutzung der Zeit und des Laderaums in einer ganz anderen Weise arbeiten als der Werkverkehr. Dadurch ergeben sich naturgemäß beim gewerblichen Verkehr größere Unsicherheitsfaktoren, und das allein rechtfertigt schon die Kontingentierung und Konzessionierung.
Im übrigen hat sich der Ausschuß auch sehr ausgiebig mit den analogen Regelungen in den europäischen Nachbarländern und in den Vereinigten Staaten von Amerika befaßt. Wenn es bei dieser Gelegenheit dem Berichterstatter gestattet ist, auch einmal ein persönliches Wort zu sagen: Ich bin gerade von einer Reise aus den Vereinigten Staaten zurückgekommen. Ich habe mir dort gerade die Straßenverkehrsverhältnisse sehr genau angesehen und darf Ihnen sagen: Wenn auch in abgewandelter Form, im Prinzip ist die Verkehrsregelung mindestens so scharf, wenn nicht noch schärfer, als sie in der deutschen Gesetzgebung ist bzw. als wir sie anstreben, und das in dem Land, in dem j a die individuelle Freiheit sehr groß geschrieben wird.
Die anderen Paragraphen zu dieser Frage der Genehmigung sind eigentlich im wesentlichen nur Ausführungsbestimmungen. Sie behandeln beispielsweise in § 7 das Recht des Bundesverkehrsministers, die Höchstzahlen festzusetzen, die bekanntlich nach einer Vereinbarung auf die einzelnen Länder der Bundesrepublik verteilt werden.
Der Unternehmer muß zuverlässig und fachlich geeignet sein; die Leistungsfähigkeit des Betriebes muß gewährleistet sein. Dann kann die Genehmigung unter gewissen Bedingungen erteilt werden.
Es ist eine besondere Kategorie bestätigt worden, die wir schon haben, nämlich die Einschränkung des Güterfernverkehrs auf über 150 km. Wichtig ist aber, an dieser Stelle zu sagen, daß sich der Ausschuß nach dem Regierungsentwurf dafür entschieden hat, daß die Erteilung der Genehmigung eine Angelegenheit der höheren Landesverkehrsbehörden bleibt, auch nach der Verabschiedung dieses Gesetzes.
Der Zweite Titel behandelt die Tarife. In § 20 ist gesagt, daß die Beförderungsentgelte Festentgelte sind, soweit im Tarif nichts anderes bestimmt ist. Ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß wir zur Zeit eine Parität der Tarife zwischen der Eisenbahn und dem Fernverkehr haben. Ich muß aber auch pflichtgemäß im Namen meines Ausschusses darauf hinweisen, daß leider diese Tarifparität, die Einhaltung der Tarife im Straßenverkehr im wesentlichen nur auf dem Papier steht. So weit sind die Dinge leider gediehen. Es möge niemand kommen und sagen, die Tarifüberwachung, die Tarifehrlichkeit sei eine Angelegenheit zum Schutze der Deutschen Bundesbahn. Kein Zweifel: die Deutsche Bundesbahn hat ein Recht darauf, daß die andern Verkehrsträger, bei denen die Tarife geregelt sind, die Tarife einhalten. Aber es muß immer wieder darauf hingewiesen werden, daß es im Interesse des gewerblichen Verkehrs selbst liegt, die Tarife einzuhalten. Die Sachverständigen und Interessenten, die wir im Ausschuß gehört haben, sind auch hundertprozentig des guten Willens, mit diesem neuen Instrument zu diesem Ziel zu gelangen, das ja letzten Endes dazu dienen soll, den Unternehmer und auch den Menschen, der in dem Betrieb arbeitet, zum gerechten Tarif und zum gerechten Lohn kommen zu lassen, was andererseits wieder dem Gesetzgeber ermöglicht, diesem gefährlichen Straßenverkehr technische und sonstige Bedingungen aufzuerlegen, die eben nur zu erfüllen sind, wenn die Unternehmer auch den gerechten Tarif und den gerechten Preis erhalten. In keiner Weise wird dadurch behindert, vielleicht einmal später, wenn die Untersuchungen das ergeben, von der Tarifparität Schiene-Straße abzukommen. Aber auch dann, wenn der Tarif niedriger oder höher sein sollte, gelten die gleichen Grundsätze.
Der Tarif muß eingehalten werden aus den Gründen, die ich Ihnen eben aufgezeigt habe. In § 21 ist daher ausdrücklich verankert, daß die Bundesanstalt bei ihrem Verwaltungsrat eine Tarifkommission zu bestellen hat, die also in dieser Tarifentwicklung und in der Einhaltung der Tarife zu beraten hat. Auch in diesem Punkt sind wir dem Gewerbe entgegengekommen. Das Gewerbe hatte Bedenken, daß es in Zukunft vom Bundesverkehrsministerium, wie es bisher gewesen ist, nicht mehr gehört werde, wenn es nicht ausdrücklich im Gesetz verankert sei. Ich darf mir erlauben, diese Änderung des § 21 in der dritten Lesung zu begründen.
Der Dritte Titel behandelt die Pflichten der am Beförderungsvertrag Beteiligten. Da ist zunächst in § 24 ausgesprochen, daß sich der Unternehmer gegen alle Schäden, für die er nach den Beförderungsbedingungen haftet, zu versichern hat. In § 26 werden die Vorschriften gegeben für die Beförderungs- und Begleitpapiere und für das Fahrtenbuch.
Schließlich haben wir in § 29 a versucht, einem Übelstand abzuhelfen, der maßgeblich zu der Unordnung auf der Straße beigetragen hat. Das ist das sogenannte wilde Maklerwesen. Das sind diejenigen unverantwortlichen Elemente, die vor den Toren der Verkehrszentren und in obskuren Kneipen die Fernfahrer abfangen, um dort mit einer unsinnigen Tarifunterbietung auch die bisher bestehenden Gesetze schon auszuhöhlen. In Abs. 3 ist noch ein kleiner Schönheitsfehler vorhanden, auf den wir im Augenblick nicht eingehen; damit kann sich der Verwaltungsrat befassen. Wahrscheinlich wird es notwendig sein, über die Preisbehörde oder durch einen Nachtrag festzulegen, daß die Provisionen
für diese Makler, nachdem sie jetzt legalisiert worden sind, auch amtlich festgesetzt werden, damit hier indirekt keine Unterbietungen erfolgen.
Der Vierte Titel befaßt sich mit dem Abfertigungsdienst. Hier ist der Spediteur in seiner Aufgabe als Vermittler zwischen der verladenden Wirtschaft und dem Verkehrsträger erfaßt. Genau so wie als Vermittler zur Seeschiffahrt, zur Binnenschiffahrt, zum Luftverkehr usw. hat er auch im Straßenverkehr eine Vermittlungsaufgabe, und damit hier keine Lücke entsteht, hat sich der Ausschuß für Verkehrswesen entschlossen, auch auf diesem Gebiet klare Abfertigungsordnungen zu schaffen, auf die ich hier im einzelnen nicht weiter einzugehen brauche.
Der Fünfte Titel befaßt sich mit den Sondervorschriften für den Möbelfernverkehr, da es sich hier um eine besondere Sparte des Straßenverkehrs handelt. Bedenken, die noch in letzter Stunde an mich herangetragen worden sind, die aber meine Ausschußkollegen noch nicht kennen, nämlich seitens der Berliner Kollegen, daß sie doch darauf angewiesen sind, aus der Westzone auch andere Ladung wieder mit herüberzunehmen, werden durch § 33 Abs. 3 ausgeräumt:
Ausnahmen kann der Bundesminister für Verkehr durch Rechtsverordnung zulassen, wenn und soweit dies zur Durchführung im öffentlichen Interesse liegender Aufgaben erforderlich ist.
Der Sechste Titel befaßt sich mit den Sondervorschriften für den Güterfernverkehr der Deutschen Bundesbahn. Hierüber ist im Ausschuß sehr ausgiebig diskutiert worden. Die Vertreter der Deutschen Bundesbahn sind gehört worden, und man hat sich schließlich darauf geeinigt, daß in Abs. 2 des § 39 die Höchstzahl der bundesbahneigenen Fahrzeuge mit 31/2 % festgesetzt wird, was ungefähr dem gegenwärtigen Stand des Bundesbahnkraftwagenbetriebs entspricht. In § 41 ist der Bundesbahn noch gestattet worden, zu den allgemeinen Bedingungen dieses Gesetzes freie Unternehmer zu beschäftigen, aber eben nach den tarifmäßig festgelegten Sätzen. Es ist lange darüber gesprochen worden, ob es nicht eine besondere Aufgabe sei, der Bundesbahn auch hier eine gewisse Beschränkung aufzuerlegen, um sie auf ihre ureigenste Aufgabe, den Betrieb auf der Schiene, zu konzentrieren. Ich glaube aber, es wird in erster Linie Angelegenheit des Verwaltungsrats der Deutschen Bundesbahn sein, sich mit diesem Thema zu befassen.
Ich komme damit zum Siebenten Titel: Sondervorschriften für den Werkfernverkehr. Meine Damen und Herren, die Paragraphen, die Sie hier vorfinden, sind im großen und ganzen mit Industrie und Handel abgestimmt — einige Streichungen in der ersten Lesung sind daher wieder rückgängig gemacht worden —, und zwar nicht mit dem Ausschuß abgestimmt worden, sondern in diesem Falle schon vorher mit der Regierung, die dann entsprechend formuliert hat. Naturgemäß mußten bei der Behandlung des Werkverkehrs sehr eingehende Betrachtungen darüber angestellt werden, ob man nicht auch den Werkverkehr schärfer regeln muß, als es bisher der Fall gewesen ist. Der Ausschuß hat sich nach langen Betrachtungen zu dieser Auffassung nicht bekennen können. Es bleibt dabei — und auf diesem Gebiete ist auch in der Vergangenheit sehr viel gesündigt worden —, daß der unechte Werkverkehr verboten bleibt. Was unechter
Werkverkehr ist, geht sehr klar und einwandfrei aus diesem Siebenten Titel des neuen Gesetzes hervor.
Ich muß aber auch im Namen des Ausschusses für Verkehrswesen bei dieser Gelegenheit ein ernstes Wort an den Werkverkehr als solchen richten. Neueste Statistiken haben einwandfrei bewiesen, daß es in vielen, vielen Fällen — nicht in allen, aber in einer sehr überwiegenden Zahl — für die Betriebe rentabler ist, die bestehenden Verkehrsmittel, die Bundesbahn, den gewerblichen Binnenschiffahrtsverkehr und Straßenverkehr, zu benutzen. Vielleicht überlegt man sich einmal — da die Zeiten der Abschreibung in der alten Form j a doch vergangen sind —, ob es nicht gesünder ist, sich ein wenig von dem eigenen Werkverkehr zu trennen. Wenn sich aber herausstellen sollte — das ist wiederum die Meinung des Ausschusses —, daß durch diese einseitige scharfe Regelung des gewerblichen Verkehrs die Ordnung auf der Straße nicht herzustellen ist, und wenn festgestellt werden sollte, daß die unzulänglichen Zustände im wesentlichen auch noch im Werkverkehr liegen, dann wird wahrscheinlich dem Gesetzgeber nichts anderes übrig bleiben, als sich mit diesen Dingen zu befassen. Darum ist auch vorläufig in § 43 ausdrücklich gesagt worden, der Werkfernverkehr sei nicht genehmigungspflichtig. Daher wollen wir in § 45 auch dafür sorgen, daß eine Kontrolle hinsichtlich des unechten Werkverkehrs möglich ist. Beförderungs- und Begleitpapiere sind mitzuführen.
Ich sprach in meiner Einleitung von der statistischen Erfassung. Die Statistik muß alles erfassen, weil es, wie gesagt, nur möglich ist, eine vernünftige Verkehrspolitik zu entwickeln, wenn man weiß, was sich auf den Straßen bewegt.
Ich komme damit zu dem Achten Titel und eigentlich zu dem Kernpunkt des ganzen Gesetzes überhaupt, das ist die Einrichtung der Bundesanstalt für den Güterfernverkehr. Hierum ging bekanntlich der Streit zwischen der Bundesregierung
und den Ländern, welch letztere die Landesanstalten gegenüber einer Bundesanstalt einführen wollten. Es ist schließlich gelungen, zu einer Einigung dahin zu kommen, daß die Bundesanstalt als solche errichtet wird, j a, daß die Bundesanstalt das Recht bekommt, Außenstellen einzurichten, daß aber bei der Besetzung der Leitung dieser Außenstellen wie auch bei dem Sitz der Außenstellen die Länder maßgeblich mitsprechen; mit anderen Worten, es muß ein Einverständnis erzielt werden.
Der § 47 spricht dann von den Aufgaben der Bundesanstalt: Beratung des Bundesministers für Verkehr, Mitwirkung bei Tarifmaßnahmen, Überwachung der Beförderung von Gütern im Fernverkehr. Sie hat darauf zu achten, daß Tarife und Beförderungsbedingungen eingehalten werden, daß die Beförderungssteuer abgeführt wird, daß der Güterfernverkehr nicht ohne die erforderliche Genehmigung betrieben wird. Der Ausschuß hat sich schließlich nach eingehender Überlegung und Anhörung der Gewerkschaften dazu entschlossen, in Ziffer 3 des Abs. 3 des § 47 ausdrücklich hineinzubringen, daß es auch Aufgabe der Bundesanstalt ist, darauf zu achten, daß die Rechtsvorschriften über die Arbeitszeit der Kraftfahrzeugführer und Beifahrer eingehalten werden. Ich glaube, ich brauche hier nicht besonders auf die Wichtigkeit mit Beziehung auf die Sicherheit auf der Straße hinzuweisen, was gerade diese Vorschrift im allgemeinen in der Zukunft hoffentlich bedeutet. Ich brauche
auch die Aufgaben der Statistik nicht zu wiederholen.
In § 50 wird eine neue Sache eingeführt. Hier ist die Möglichkeit geschaffen, daß neben der Überwachung durch die Bundesanstalt der Güterfernverkehrsunternehmer die Möglichkeit einer Vorprüfung durch Wirtschaftsorganisationen hat. Wir haben ausdrücklich „Wirtschaftsorganisationen" gesagt. Im großen gemeint sind aber die Straßenverkehrsgenossenschaften, denen dann für diese Vorprüfung von dem Entgelt, daß der Unternehmer an die Bundesanstalt abzuführen hat, ein Teil rückvergütet wird. Welches ist der Sinn, die Genossenschaften in ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten? Wenn Sie sich in den großen Verkehrszentren umsehen — und der Ausschuß für Verkehrswesen hat sich mit dieser Frage ernstlich befaßt —, dann stellen Sie fest, wie es sich die Genossenschaften — Gott sei Dank — zu ihrer Aufgabe gemacht haben, aus Sicherheitsgründen für Ladung und Menschen sowie aus sozialen Gründen große Autobahnhöfe zu bauen. Um dieses segensreiche Werk fortzusetzen, hat sich der Ausschuß entschlossen, diese Bestimmung bezüglich der Genossenschaften aufzunehmen. Es sind Gerüchte in Umlauf gesetzt worden, daß der Unternehmer gezwungen werden soll, in eine Genossenschaft einzutreten. Das ist nicht der Fall. Es bleibt bei seiner Freiwilligkeit, und es liegt an der Tüchtigkeit der Genossenschaft selber — ohne daß ihnen, wie es zeitweilig gewollt war, ein Monopol geschaffen wird —, daß sie sich durch Leistungsfähigkeit um ihre Mitglieder kümmern, damit sie dann ihre entsprechenden Aufgaben in der bisherigen Weise fortsetzen können.
Ich komme nun zum Verwaltungsrat — § 53 -, über den selbstverständlich, wie immer bei der Zusammensetzung solcher Gremien, lange gestritten worden ist. Ein äußeres Zeichen der Einigung zwischen Bund und den Ländern ist darin zu sehen, daß ursprünglich die Länder in dem Verwaltungsrat nicht vertreten waren. Wir haben sie
jetzt hineingenommen, allerdings auch in einer beschränkten Zahl. Ich möchte hierzu doch ein Wort sagen. Wir haben gerade in diesen Tagen wieder in der Zeitung — ich bin überzeugt, ich sage das jetzt im Auftrag meiner Kollegen — von den ungeheuren Schwierigkeiten an der Zonengrenze gelesen. Ich würde es daher sehr begrüßen, verehrter Herr Minister Renner, wenn sich der Bundesrat dazu entschließen könnte, dem Land Berlin wegen dieser besonderen Schwierigkeiten einen Sitz zu geben oder den Weg zu suchen, den der Verwaltungsrat der Bundesbahn gegangen ist, mindestens einen Sitz ohne Stimme im Verwaltungsrat für Berlin zu schaffen.
Meine verehrten Damen und Herren, auch hier sei es vielleicht dem Herrn Berichterstatter ausnahmsweise gestattet, eine persönliche Bemerkung zu machen. Die Frage der Schwierigkeiten an der Zonengrenze, die wir im Verwaltungsrat sehr eingehend behandeln müssen, wäre vielleicht auch ein ausgezeichnetes Gesprächsthema für den Besuch, den wir in der nächsten Zeit zu erwarten haben.
Über die Funktionen des Verwaltungsrates brauche ich nicht weiter zu sprechen. Ich möchte nur noch etwas über die fünf Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes im Verwaltungsrat sagen. Es ist von der CDU ein Antrag eingereicht worden, das Wort „Deutscher Gewerkschaftsbund"
durch „Gewerkschaften" zu ersetzen. Auch hier werde ich mir erlauben, in der dritten Lesung zu der Angelegenheit als Berichterstatter Stellung zu nehmen. Ich darf aber als Berichterstatter erwähnen, daß immerhin eine fünfstellige Zahl von Angestellten auch im Straßenverkehr beschäftigt ist, so daß der Wunsch, bei dieser Gelegenheit die DAG zu berücksichtigen, sicherlich auch im Ausschuß die Mehrheit gefunden hätte. Im Ausschuß selbst ist übrigens gesagt worden — ich lege auch darauf Wert, daß das protokollarisch in meinem Bericht festgehalten wird —, daß wegen der sachlichen Arbeit es außerordentlich zu begrüßen wäre, wenn die Gewerkschaftsvertreter im Verwaltungsrat aus der Fachgewerkschaft kämen, deren Vertreter doch eine ganze Reihe von diesen Dingen verstehen, in vielen Fällen früher sogar selbst einmal am Steuer gesessen haben.
Ich glaube, ich kann damit zum § 66 übergehen, der die Kosten der Bundesanstalt regelt. Wir haben hier eine sehr merkwürdige Situation. Die Bundesanstalt ist zwar eine oberste Bundesbehörde; aber trotzdem werden alle Beteiligten — der gewerbliche Verkehr, die Vermittler und auch der Werkverkehr — in gewissem Umfange zu den Kosten der Bundesanstalt herangezogen. Das bedeutet eine weitere Belastung. Das wird vom Verkehr selbst durchaus zugestanden; auch der Ausschuß hat das zugestanden. Wenn aber das neue Gesetz den Unternehmen die gerechten Tarife garantiert und schafft, dann glaube ich und glaubt vor allen Dingen der Ausschuß, daß diese Dinge ebenfalls noch tragbar sind.
Im § 67 wird gesagt:
Die Bundesanstalt untersteht der Aufsicht des Bundesministers für Verkehr.
Der neunte Titel befaßt sich dann mit der Aufsicht ganz allgemein. Es wird dann noch einmal ausdrücklich festgelegt, daß der Unternehmer wegen Erfüllung der gesetzlichen Vorschriften und der ihm durch die Genehmigung auferlegten Bedingungen usw. der Aufsicht der Genehmigungsbehörde — das sind die Länderbehörden — untersteht. Das aber bedeutet ganz klar und deutlich, daß diese Angelegenheit nur funktionieren kann, wenn eine enge Zusammenarbeit zwischen der Bundesanstalt und den Genehmigungsbehörden der Länder im Zuge der Inkraftsetzung dieses Gesetzes erzielt wird. Der § 69 behandelt dann die Möglichkeiten, die Genehmigung unter besonderen Umständen durch dieselbe Genehmigungsbehörde der Länder wieder zu entziehen.
Damit habe ich den Abschnitt „Güterfernverkehr" in der Berichterstattung beendet. Ich komme dann zum allgemeinen Güternahverkehr. Hier ist nicht eine Einzelkonzession, sondern lediglich eine Betriebskonzessionierung vorgesehen. Ich darf dabei gleich auf einen Schlußparagraphen vorausgreifen, der sagt, alles, was heute im Nahverkehr fährt, gilt — wenn keine gegenteiligen Feststellungen gemacht werden — in toto als genehmigt, d. h. sie haben die Erlaubnis erhalten. Es geht eben im wesentlichen darum, auch im Nahverkehr nur verläßliche Betriebe und verläßliche Organe beschäftigt zu wissen; denn auch in einer Entfernung von 50 km, vor allen Dingen im Stadtverkehr, sind die Gefahren für das Leben der Menschen und die Sicherheit genau so groß wie im Güterfernverkehr auf der Landstraße.
Ich darf mich einer ganz besonderen Sache zuwenden, die etwas Neues darstellt; das ist der Güterliniennahverkehr. Auch er bleibt auf 50 km
begrenzt. Bei ihm wurde zum erstenmal die Beförderungspflicht und der Festtarif wie bei der Bundesbahn festgelegt. Damit beschreiten wir absolutes Neuland. Es ist überlegt worden, ob hier eine Grenze von 50 km überhaupt genügt. Die Entscheidung dieser Frage wird man der späteren Entwicklung überlassen können. Zu § 691 liegt ein kleiner Änderungsantrag vor, der auch mit den Interessenten vereinbart worden ist. Ich werde ihn aber in der dritten Lesung begründen. Auch beim Güterliniennahverkehr erteilt die höhere Landesverkehrsbehörde die Genehmigung und macht sie rückgängig.
Der Vierte Abschnitt enthält die Straf- und Bußvorschriften. In § 70 wird zunächst einmal festgelegt, daß, wer dieses Gesetz verletzt, „eine Zuwiderhandlung im Sinne des § 18 des Wirtschaftsstrafgesetzes vom 26. Juli 1949 ..." begeht. In § 71 wird dann gesagt, daß mit einer Geldbuße bis zu 10 000 DM belegt werden kann, wer vorsätzlich oder fahrlässig all diese Bestimmungen verletzt, die ich Ihnen im wesentlichen aufgezählt habe. Das geschieht, um eine Handhabe zu besitzen, die Beachtung des Gesetzes zu erzwingen, — to enforce the law, wie der Amerikaner sagt, der auf diesem Gebiet genau die gleichen Schwierigkeiten hat, wie wir sie bis heute gehabt haben.
Der Fünfte Abschnitt befaßt sich mit den Schlußbestimmungen. Es wird bestimmt, daß der Bundesminister für Verkehr mit Zustimmung des Bundesrats gewisse Rechtsverordnungen erlassen kann. In § 73 ist wegen der besonderen Verhältnisse im Lande Rheinland-Pfalz eine Änderung vorzunehmen, damit dort ein vernünftiger Übergang gewährleistet wird. Außerdem ist in § 73 a noch ein Schreibfehler zu berichtigen. Es muß statt „1942" heißen: 1952. § 74 schafft die Übergangsbestimmungen zwischen dem gegenwärtigen Zustand und dem, was in Zukunft nach diesem Gesetz zu geschehen hat.
Damit bin ich am Ende der eigentlichen Berichterstattung über diesen Gesetzentwurf. Ich bin vom Ausschuß für Verkehrswesen ermächtigt worden, abschließend noch einige ergänzende Bemerkungen zu machen. Auch hier handelt es sich wieder um eine Teillösung. Niemand sollte von. diesem Gesetz große Wunder erwarten. Es ist ein Teil der gesamten Regelung, zu der z. B. die Änderung und Verschärfung der Straßenverkehrsordnung und der Straßenverkehrszulassungsordnung gehören, womit in der letzten Zeit schärfere technische Bestimmungen getroffen sind; so wurde z. B. die 20-MeterLänge für den Lastzug von einem bestimmten Termin an vorgeschrieben.
Eine ganz entscheidende Komponente zu diesem Gesetz ist das Unfallverhütungsgesetz. Ich soll im Namen meiner Kollegen das große Bedauern zum Ausdruck bringen, daß zwar der Ausschuß für Verkehrswesen seit sechs Monaten mit diesem wichtigen Gesetzenwurf fertig ist, bedauerlicherweise aber der Rechtsausschuß wegen seiner bekannten Überlastung ihn noch nicht verabschieden konnte. Wir hoffen, nachdem er in der vorigen Woche fleißig daran gearbeitet hat, daß es nun doch gelingt, in dieser Woche das Gesetz zum Abschluß zu bringen. Darin sind vorgesehen die richterliche Entziehung des Führerscheins, vor allen Dingen die Beseitigung des zweiten Anhängers, ferner die Einführung des Fahrtenschreibers, die von ganz besonderer Bedeutung für den Fernverkehr ist, den wir eben gerade in diesem Gesetz behandelt haben.
Auch namens des Ausschusses muß ich kurz auf die unzähligen Eingaben eingehen, die sowohl der Ausschuß als die Ministerien und einzelne Mitglieder bekommen haben. Der Ausschuß hat allein 800 Eingaben bekommen, und ich glaube, die Gesamtzahl wird 2000 und mehr Eingaben des organisierten Massenprotestes — alle in sehr uniformer Art — umfassen. Der Ausschuß für Verkehrswesen glaubt, den Initiatoren dieser Aktion doch sagen zu müssen, daß die Sache genau so wenig klug war wie die seinerzeit ebenfalls einstimmig vom Ausschuß verurteilte Sternfahrt nach Bonn.
Es ist auch meine Pflicht und mein Auftrag, im Auftrage des Ausschusses zu sagen, daß alle die Gesetze, die ich hier heute im Detail und am Rande behandelt habe, allein nicht genügen, um die Ordnung und Sicherheit auf der Straße zu schaffen, wenn nicht der Gesetzgeber sich auch aufrafft, das zu tun, was in allen Ländern Europas gemacht wird, nämlich Straßen zu bauen, die dem Verkehr entsprechen. Wir kennen die Kapitalnot. Der Ausschuß für Verkehrswesen hat sich wiederholt mit diesen Problemen befaßt. Er bedauert sehr, daß seinerzeit die Absicht, ein zweites Arbeitsbeschaffungsprogramm im Umfang von 500 Millionen DM zu schaffen — darüber hat eine Unterhaltung zwischen den beiden Ministerien stattgefunden —, nicht verwirklicht worden ist. Denn mit allen Gesetzen, mit goldenen, silbernen und bronzenen Nudeln schaffen Sie die Unsicherheit auf der Straße nicht fort, wenn nicht neben diesen scharfen Gesetzen, die wir in jeder Weise bejahen, auch gleichzeitig das getan wird, was der Gesetzgeber auf der anderen Seite zu tun hat, nämlich Mittel für den Straßenbau zu schaffen, die doch auch in reichlichem Maße von den Verkehrsteilnehmern fließen.
Ich darf Sie abschließend bitten, auf Abänderungen in der zweiten Lesung zu verzichten und die beiden Änderungsanträge auf die dritte Lesung zurückzustellen, genau so wie ich im Auftrag des Ausschusses den einen Antrag auch auf die dritte Lesung zurückgestellt habe. Ich bitte Sie im Namen des Ausschusses um unveränderte Annahme des Gesetzes, bis auf diejenigen Anträge, die Ihnen vorliegen.
Bei dieser Gelegenheit darf ich auch Herrn Minister Renner bitten, sich ganz und gar dafür zu verwenden — nach diesen schwierigen Einigungsverhandlungen, und nachdem nur unwesentliche Änderungen geschaffen worden sind, die übrigens von den Ländervertretern gebilligt sind, besteht dazu die absolute Möglichkeit —, daß das Gesetz als solches auch so schnell wie möglich vom Bundesrat her bestätigt wird. Denn wir haben keine Zeit mehr; wir müssen dieses weitere Gesetz in Kraft setzen, um einen erheblichen Schritt auf dem Gebiete der Ordnung und Sicherheit im Verkehr auf den deutschen Straßen weiterzukommen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Da das Gesetz 74 Paragraphen hat, empfehle ich dem Ausschuß, sich gelegentlich freundlichst auch des § 74 der Geschäftsordnung zu bedienen und Berichterstattungen erheblichen Umfanges möglichst schriftlich zu geben.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Einzelbesprechung in der zweiten Beratung. Ich weise darauf hin, daß einmal der von dem Abgeordneten
Rademacher erwähnte Änderungsantrag Umdruck Nr. 620 zur dritten Beratung gestellt wird und daß die beiden Änderungsanträge Umdrucke Nrn. 658 und 659 der Fraktion der CDU/CSU und der Föderalistischen Union beide zur dritten Beratung gestellt werden.
Zur zweiten Beratung liegen keine Änderungsanträge vor. Darf ich generell fragen, um das Verfahren zu vereinfachen: Wird gewünscht, daß jemand in der zweiten Beratung zu irgendeinem Paragraphen des Gesetzes das Wort nimmt? — Das ist nicht der Fall. Dann darf ich insgesamt aufrufen die §§ 1 bis 74, Einleitung und Überschrift. Ich bitte die Damen und Herren, die diesen Paragraphen, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit allen gegen wenige Stimmen angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Zur Einzelbesprechung stehen nur die Paragraphen, hinsichtlich deren Änderungsanträge gestellt sind. Das ist zunächst der § 2 Abs. 4, Änderungsantrag Umdruck Nr. 659.
— Ich bitte um Entschuldigung! Wird eine allgemeine Aussprache gewünscht?
— Dann eröffne ich zunächst die allgemeine Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begrenzung der allgemeinen Aussprache auf 60 Minuten vor. — Das Haus ist damit einverstanden.
Wer wünscht das Wort? — Herr Abgeordneter Dr. Bucerius!
Meine Damen und Herren! Wir stimmen dem Gesetz zu, aber nicht ohne Bedenken. Wenn dieses Gesetz in Kraft getreten ist, wird die Zulassung zum Güterfernverkehr sehr einschneidenden Beschränkungen unterworfen sein. Das ist ohne Frage ein tiefer Einbruch in den Grundsatz der Gewerbefreiheit, der im allgemeinen das heutige Recht noch beherrscht.
Wir wissen, daß der Grundsatz der Gewerbefreiheit, von einer liberalen Wirtschaftsordnung in Zeiten ausgeglichener Wirtschaftsabläufe proklamiert und mit Erfolg durchgeführt, in Krisenzeiten, in denen wir heute immer noch leben, nur mit erheblichen Einschränkungen vertreten werden kann. Doch bedeutet dieses Gesetz — und es gilt, das zu erkennen — einen ganz besonderen Einschnitt. Zum ersten Mal seit dem Beginn der Diskussion in diesem Hause über die Frage, ob Gewerbefreiheit oder nicht, ob Befähigungsnachweis oder nicht, schickt sich der Gesetzgeber hier an, für einen sehr bedeutenden Zweig der deutschen Volkswirtschaft die fachliche und die persönliche Zuverlässigkeit zur Voraussetzung für die Zulassung zum Gewerbe zu machen.
§ 8 dieses Gesetzes ist in dieser Beziehung besonders bedeutsam. Es heißt dort: Die Genehmigung kann nur erteilt werden, wenn der Unternehmer zuverlässig und fachlich geeignet ist und wenn zweitens die Leistungsfähigkeit des Betriebes gewährleistet ist. Der Unternehmer, der die Zulassung zum Gewerbe verlangt, kann also zurückgewiesen werden, wenn seine fachlichen Voraussetzungen nach Meinung der Behörde nicht gegeben sind, wenn er die finanzielle Leistungskraft seines Betriebes nicht nachgewiesen hat. Man muß zuge-
ben, daß das sehr weitgehende und einschneidende Maßnahmen sind. Ich sage nicht zuviel, wenn ich ausspreche, daß die Anwendung dieser Bestimmungen uns in Zukunft noch große Sorge bereiten wird. Dem Gesetzgeber, der die Voraussetzung der fachlichen Zuverlässigkeit näher dargetan hat, ist es z. B. nicht gelungen, nähere Angaben über die persönliche Zuverlässigkeit zu machen, eine Definition des Begriffs der persönlichen Zuverlässigkeit zu geben. Wir sind darauf angewiesen, daß die zuständigen Behörden, nämlich die Landesverkehrsverwaltungen, die persönlich zuverlässigen von den persönlich nicht zuverlässigen trennen. Fürwahr ein Schritt, den man erkennen muß, wenn man ihn tun will, so unausweichlich er im gegenwärtigen Augenblick auch sein mag.
Daß nicht nur die Leistungsfähigkeit des Betriebes in technischer Beziehung, sondern auch in finanzieller Beziehung geprüft werden soll, ist eine Bestimmung, die nur aus der gegenwärtigen bedenklichen Lage des Güterfernverkehrs im allgemeinen überhaupt zu erklären ist. Wir haben es im allgemeinen abgelehnt, die Zulassung zu irgendeinem Berufszweig davon abhängig zu machen, daß der Bewerber uns nachweist, er verfügt über die notwendigen Mittel. Zuzugeben ist hier, daß wir, wenn wir überhaupt wieder Ordnung in den völlig chaotischen Zustand unseres Straßenverkehrsgewerbes bringen oder, um es präziser zu sagen, den bereits erreichten Ordnungsgrad nicht wieder zerstören wollen, es nicht zulassen können, daß beliebig Leute, die nicht im Besitz der Mittel sind, die notwendig sind, um den Gewerbebetrieb auch dauernd durchzuführen, in diesem Gewerbe verbleiben. Immerhin muß man zugeben, daß die Diskussion über die Gewerbefreiheit für die Zukunft durch diese Bestimmung in erheblichem Maße präjudiziert wird.
Die Frage des Befähigungsnachweises in anderen Gewerbezweigen wird unter dem Gesichtspunkt dieses Gesetzes, das wir heute beschließen, natürlich besondere Aspekte erlangen. Wir tun in der Tat einen Schritt weiter zum allgemeinen Befähigungsnachweis.
Meine Damen und Herren, nicht weniger einschneidend ist der Teil des Gesetzes, der sich mit der öffentlichen Tarifordnung des Güterfernverkehrs befaßt. Es ist inzwischen uns allen eigentlich selbstverständlich geworden, daß der Unternehmer im Güterfernverkehr nicht mehr berechtigt ist, die Entgelte für seine gewerbliche Leistung, also seine Beförderungstarife, selbst zu bestimmen. Der Preis als Regler von Angebot und Nachfrage ist aus diesem Teil unseres Wirtschaftslebens entfernt worden. Die Tarife — so bestimmt § 19 des Gesetzentwurfs — werden vom Bundesministerium für Verkehr festgesetzt. Nun hat schon die Erfahrung der Vergangenheit gezeigt, und ein so erfahrener Fachmann wie der Herr Berichterstatter hat es Ihnen gesagt, daß die behördliche Festsetzung von Preisen gerade auf dem Gebiet des Güterfernverkehrs schon zu erheblichen Unzuträglichkeiten geführt hat. Zahlreiche Unternehmer des Güterfernverkehrs haben die amtlichen Tarife unterboten. Unter Aufwendung des ganzen staatlichen Zwanges mußten sie gezwungen werden, höhere Entgelte für ihre gewerbliche Leistung zu verlangen, als sie nach ihrer eigenen Berechnung zur Aufrechterhaltung ihres Betriebes benötigten. Das ist in der Tat ein seltsamer Zustand. Ich muß Ihnen sagen: es ist eine meiner unerfreulichsten Aufgaben als Abgeordneter , gewesen, gewerblichen Fernverkehrsunternehmen, zu denen die Behörde gekommen war, um von ihnen eine Nachberechnung des nichterhobenen Teils des Entgelts zu verlangen, klarzumachen, daß der Gesetzgeber darauf bestehen mußte, daß sie von ihren Kunden mehr verlangten, als sie eigentlich selbst zu haben wünschten.
Aus einem wirtschaftlich bedrohten Landesteil der Bundesrepublik ist sogar geradezu der Wunsch an uns herangetragen worden, diese Unterbietungen jedenfalls nicht über das bisherige Maß hinaus zu erschweren. Besonders ein Teil des Gewerbes in diesem Landesteil beruhe geradezu darauf, daß man nicht auf die teuren Tarife der Bundesbahn, sondern auf Unterbietungen durch den gewerblichen Fernverkehr angewiesen sei.
Das alles soll aber jetzt definitiv ein Ende haben und wird es haben. Eine straffe Organisation, in der die Vertreter des Güterfernverkehrs selbst das Recht haben, bei der Bestimmung der Tarife und bei der Überwachung mitzuwirken, wird dafür sorgen, daß in Zukunft nicht mehr die Leistungskraft einzelner besonders qualifizierter oder glücklich gelagerter Unternehmer, sondern der allgemeine Durchschnitt den Preis der Leistung bestimmt. Wenn wir dem Gesetz zustimmen, so muß natürlich besonders hierauf hingewiesen werden. Gewiß haben die Schwierigkeiten, die sich aus der Möglichkeit einer Unterbietung ergeben, in den letzten Monaten und im letzten halben Jahr infolge der gesteigerten Kosten des Güterfernverkehrs abgenommen. Sie können aber bei einer Veränderung dieser Kostenlage jederzeit wieder auftreten, z. B. dann, wenn die Bundesbahn ihre Tarife erhöht und nach der Automatik des Gesetzes dann gleichzeitig auch die Tarife des Güterfernverkehrsgewerbes erhöht werden.
Das Hauptbedenken liegt vielleicht noch nicht einmal darin, daß in diesem Falle einige Unternehmer gezwungen werden, mehr zu verdienen, als sie verdienen wollen und verdienen müssen — die Steuerbehörde sorgt schon dafür, daß ihnen ein namhafter Teil dieses Verdienstes wieder abgenommen wird —; das ernsthafte Bedenken liegt vielmehr darin, daß in Zukunft bei vielen Betrieben das scharfe Kalkulieren und Rationalisieren zur Minderung des sich aus dem Preiskampf sonst ergebenden Unkostenfaktors entfernt wird. Die Steigerung der Kosten ist bekanntlich ein typisches Merkmal vieler Kartelle, und man kann nicht bestreiten, daß es sich bei diesem Gesetz um eine kartellähnliche Regelung handelt. Dieses Ventil des Wirtschaftslebens, das der Kostensenkung, wird hier zweifellos durch das Gesetz entfernt.
Warum dann aber ein so einschneidendes, bestimmte Grundsätze unserer Wirtschaftsordnung verletzendes Gesetz? Die Antwort ist sehr einfach: Die ungeklärte Konkurrenzlage zur Bundesbahn zwingt zu einem Eingriff in den Wettbewerb zwischen Schiene und Straße. Wenn wir heute den Verkehr auf der Straße und seine Tarife völlig freigeben würden, so würde die Bundesbahn den stärksten Schädigungen ausgesetzt werden. Warum? Weil ein bestimmter Teil des Verkehrs von der Bundesbahn zu den billigeren Tarifen der Straße abwandern würde. Wiederum erkennbar ein starker Eingriff des Gesetzgebers in den natürlichen Wirtschaftsablauf; aber dieser Eingriff ist heute unvermeidlich, und deshalb müssen wir dem Gesetz zustimmen.
Warum unvermeidlich? Meine Damen und Herren, wir werden gewiß eines Tages auch den Wettbewerb zwischen Schiene und Straße auf echte
volkswirtschaftliche Grundlagen stellen müssen. Keine Volkswirtschaft, am allerwenigsten die arme deutsche Volkswirtschaft kann es sich leisten, auf diesen echten Wettbewerb zu verzichten. Stellt sich heraus, daß die Schiene auf bestimmten Gebieten des Verkehrslebens nicht mehr wirtschaftlich arbeitet, stellt sich heraus, daß der Lastkraftwagen die Funktion der Schiene besser und billiger übernehmen kann, so wäre es in der Tat volkswirtschaftlich nicht vertretbar, der Schiene weiterhin einen unnatürlichen Schutz angedeihen zu lassen. Wir wissen, daß andere Länder und Nachbarn Deutschlands im Begriffe sind, aus dieser Erwägung ernste Konsequenzen hinsichtlich ihrer eigenen Staatsbahnen zu ziehen.
Diese Seite des vor uns stehenden Problems, nämlich die Frage „Ist die Bundesbahn in ihrer gegenwärtigen Form noch rentabel oder ist der Straßenverkehr vielleicht rentabler?" wird in der Tat immer dringlicher. Es ist einer der Nachteile dieses Gesetzentwurfes, daß er es ermöglicht, die Lösung dieses dringenden Problems wieder einmal hinauszuschieben. Hier wird eine große Verantwortung für den Herrn Bundesminister für Verkehr begründet. Wir müssen endlich zur exakten Kostenfeststellung bei allen Verkehrsträgern kommen. Wir müssen wissen, ob die Bundesbahn noch rentabel arbeitet. Wir müssen wissen, ob der Lastkraftwagen wirklich, wie vielfach behauptet wird, in der Lage ist, volkswirtschaftlich billiger zu arbeiten.
Seit langem geht um diese Frage der Kampf zwischen den einzelnen Verkehrsträgern. Die Bundesbahn beschwert sich darüber, daß ihre Kostenrechnung mit Faktoren belastet ist, die mit ihrem Betrieb nichts zu tun haben, z. B. mit Flüchtlingspensionen, Zinsen für die Ausgleichsforderungen des Bundes, bestimmten ihr durch den Gesetzgeber, durch dieses Haus auferlegten sozialen Leistungen wie verbilligte Tarife für Kriegsbeschädigte, Arbeiter, Schüler usw. Sie behauptet ferner aber, daß der Lastwagen, ihre Konkurrenz also, die von ihm verursachten volkswirtschaftlichen Kosten nicht deckt. Sie behauptet, daß die durch den Lastkraftwagen verursachte Lasten, z. B. die Abnutzung der Straßen, sein Anteil an der Verkehrspolizei, die anderen Aufwendungen des Staates für den Verkehr usw. höher seien als die vom Verkehr geleisteten Beiträge.
Meine Damen und Herren, der Verkehr seinerseits ist in diesen Monaten auf der ganzen Linie zum Gegenangriff übergegangen. Er hat uns dargelegt, daß die Leistungen, welche der Verkehr in Gestalt der verschiedenen Steuern, Kraftfahrzeugsteuer, Abgaben für Mineralöl, Benzin usw. aufbringt, bei weitem höher seien als die vom Kraftwagen insgesamt verursachten Kosten. Wer. in diesem Streit recht hat, läßt sich heute nicht sagen. Die hierfür erforderlichen Untersuchungen sind noch nicht zum Abschluß gekommen. Aber es ist wirklich unerläßlich, daß sie unverzüglich zum Abschluß gebracht werden. Es ist ferner für die Zukunft unausweichlich, daß in der Tat die Abgaben, welche der Kraftwagen aufbringt, ausschließlich dem Kraftwagen zugute kommen. Wir wissen, daß in der Vergangenheit in nicht unerheblichem Umfang die auf dem Kraftwagen im weitesten Sinne ruhenden Lasten eine allgemeine Finanzeinnahme des Staates gewesen sind. Wenn aber der Gedanke einer organischen Steuerreform überhaupt einen Sinn hat, dann muß sie auch hier kostengerechte Verhältnisse schaffen. Der Verkehr als solcher ist
nach meiner Ansicht ein höchst ungeeigneter besonderer Steuerträger. Daß er Steuern und Abgaben aufbringen muß, ist selbstverständlich. Aber sie haben dazu zu dienen, diejenigen Leistungen des Staates zu ermöglichen, die dem Verkehr ihrerseits eine Existenzgrundlage schaffen.
Also Grundsatz: Alle vom Verkehr aufgebrachten Steuern müssen grundsätzlich dem Verkehr zugute gebracht werden. Das ist eine Frage, die der Herr Verkehrsminister seinerseits mit dem Herrn Finanzminister auszutragen hat. Das wird nicht leicht sein. Wir alle wissen, daß der Staat — der Bundesfinanzminister — auf jede Finanzquelle angewiesen ist und auch auf diese Finanzquelle nicht wird verzichten können. Aber wir wünschen, daß diese Auseinandersetzung mit allem Ernst in Angriff genommen wird. Wird sie nicht geführt, wird der Nachweis nicht erbracht, daß der Verkehr wirklich die von ihm aufgebrachten Beträge in Gestalt staatlicher Leistungen zurückerhält, dann werden wir uns einem ständigen und ununterbrochenen Vorwurf des Verkehrs aussetzen, und diesen Vorwurf kann der Gesetzgeber nicht ungestört hinnehmen.
Meine Damen und Herren, die Aufgabe, diese
Unterlagen zu beschaffen, liegt beim Bundesverkehrsministerium. Wir wissen, daß das Verkehrsministerium diese Aufgaben in Angriff genommen hat. Es ist nicht sein Verschulden, daß sie noch nicht zum Abschluß gebracht werden konnten. Unsere Bitte, Herr Bundesverkehrsminister, geht allerdings dahin, diese Arbeiten im äußerst möglichen Umfang zu beschleunigen. Das chaotische Bild unserer Straßen, die ständig wachsenden, in die Milliarden gehenden Investitionsbeträge der beiden Verkehrsträger verlangen eine volkswirtschaftliche Klärung dieses Sachverhalts, damit der Gesetzgeber in der Lage ist, richtige Entscheidungen zu treffen.
Noch ein Wort über die Zusammensetzung der Bundesanstalt. Die Bundesanstalt ist eine Behörde. Sie hat einen Verwaltungsrat mit der Aufgabe, die am Verkehr selbst Beteiligten möglichst weitgehend an der Regelung des Güterfernverkehrs zu beteiligen. Von den 27 Mitgliedern des Verwaltungsrats werden allerdings nur 6 von der Arbeitsgemeinschaft des Güterfernverkehrs, also von den eigentlichen Betroffenen selbst gestellt. Man kann sich in der Tat fragen, ob diese Vertretung ausreichend ist. Wir werden von der Prüfung dieser Frage nicht dadurch entbunden, daß die Betroffenen eine nach meiner Auffassung unzulässige und jedenfalls nicht sehr zweckmäßige Form der Einflußnahme auf das Parlament gewählt haben. Es sind nur 6 von 27; aber in den Kreisen der Beteiligten wird nach meiner Auffassung übersehen, daß der Verwaltungsrat kein Parlament ist, in dem Stimmengruppen den Ausschlag geben. Er ist vielmehr ein Arbeitsgremium, in das der Güterfernverkehr so viele Vertreter entsenden muß, wie erforderlich ist, um alle Aspekte des Güterfernverkehrs ausreichend zur Diskussion zu stellen und zur Geltung zu bringen. Wenn man die Dinge unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, glaube ich, daß der Güterfernverkehr mit sechs Vertretern eine gute Vertretung im Verwaltungsrat entwickeln kann. Hoffentlich gelingt es ihm, sechs hervorragende Männer seines Berufsstandes zur Mitarbeit in diesem Gremium zu gewinnen. Sollte sich herausstellen, daß die Zahl von sechs nicht ausreichend ist, um alle wohlverstandenen Interessen und Sorgen des Güterfernverkehrs zu berücksichtigen, so muß und wird das
Gesetz in diesem Punkt einer Nachprüfung unterzogen werden.
Dem Verwaltungsrat sollen auch fünf Vertreter der Gewerkschaften angehören. Es schien uns allerdings nicht Aufgabe des Gesetzgebers zu sein, ausschließlich eine bestimmte Gewerkschaft zu bezeichnen und z. B. die Deutsche Angestelltengewerkschaft von der Beteiligung auszuschließen. Deshalb hat die CDU-Fraktion zur dritten Lesung den vorliegenden Änderungsantrag eingebracht.
Ich halte es als ein Mitglied des Verkehrsausschusses für meine Pflicht, dem Verkehrsminister und seiner Verwaltung für die ausgezeichnete Mitarbeit bei diesem schwierigen Gesetz zu danken. Aber, Herr Minister, der Gesetzgeber wird heute in dieser Sache seine Pflicht tun, — jetzt sind S i e am Zuge!
Das Wort hat der Abgeordnete Peters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion ist hinsichtlich des jetzt zur Beschlußfassung vorliegenden Güterkraftverkehrsgesetzes nicht überzeugt, daß es in allen Teilen die beste Lösung für das angestrebte Ziel, die Ordnung auf der Straße, darstellt. Die Entwürfe der Bundesregierung und des Bundesrates lagen dem Ausschuß seit zwei Jahren vor. In vielen Fällen sind Kompromisse geschlossen worden, die nicht immer befriedigen können. Das Fernverkehrsgewerbe, das ja von dem Gesetz am meisten betroffen wird, hatte wohl immer die stärksten Bedenken gegen die einzelnen Paragraphen. Soweit diese Bedenken ausgeräumt werden konnten, ist das geschehen; aber die vorgetragenen Argumente waren nicht immer so, daß der Ausschuß sie auch anerkennen konnte. Ich glaube, daß die Durchführung des Gesetzes zeigen wird, wie falsch es sein kann, nur durch die Interessenbrille zu blicken.
Auf der anderen Seite muß man anerkennen, daß die Fachleute des Gewerbes, der Behörden und des Bundesrates sehr viele nützliche Anregungen, Hinweise und auch Formulierungen für einzelne Paragraphen gegeben haben. Auf ihre Mitarbeit hätte nicht verzichtet werden können. Ich glaube, man war sich in jedem Augenblick der Beratung darüber klar, daß man zu einer Ordnung im Verkehr und zu einer sinnvollen Verkehrspolitik nur in der Zusammenarbeit mit dem Verkehrsgewerbe kommen kann. Einwandfrei steht wohl auch fest, daß das Verkehrsgewerbe diese Ordnung genau so will wie der Gesetzgeber, genau so will wie der Staat. Anerkannt darf auch werden, daß die Straßenverkehrsgenossenschaften für diese Ordnung im Verkehr bisher Vorbildliches geleistet haben. Der Gesetzgeber hat deshalb größtes Interesse daran, daß diese Wirtschaftsorganisationen des Gewerbes, daß diese Genossenschaften erhalten bleiben. Sie vor allen Dingen sollen über die Bundesanstalt auch bei der Prüfung der Frachtbriefe eingeschaltet bleiben und auch eine möglichst gesunde finanzielle Grundlage erhalten. Alle an der Beratung des Gesetzes Beteiligten, die Ausschüsse des Bundestags und des Bundesrats, das Ministerium für Verkehr und die Fachleute, wünschen deshalb eine starke Verankerung dieser Wirtschaftsorganisationen in der Rechtsverordnung zu den §§ 50 und 50 a des Gesetzes. Wenn in der Abfassung eben dieser beiden Paragraphen die Wünsche des Verkehrsgewerbes nicht berücksichtigt wurden, so darf man doch feststellen, daß die Tätigkeit der Genossenschaften tatsächlich nicht beeinträchtigt werden soll und wird.
Meine Fraktion begrüßt die Schaffung einer bundesunmittelbaren Anstalt des öffentlichen Rechts mit dem Namen „Bundesanstalt für den Güterfernverkehr". Wir bedauern jedoch in Übereinstimmung mit dem Gewerbe, daß diese Anstalt nicht mit einer Ordnungsstrafgewalt ausgestattet ist. Die Bestimmung des § 48 a, nach der die Bundesanstalt die Durchführung von Verwaltungsmaßnahmen erzwingen kann, ist nur eine halbe Lösung. Wir haben mit der Verabschiedung dieses Gesetzes zwar ein einheitliches Verfahren bei der Feststellung strafbarer Tatbestände, jedoch bleibt die Gefahr differenzierter Entscheidungen und die Gefahr nicht gewünschter zeitlicher Verzögerungen bestehen. Man weiß leider gar nicht einmal, ob überall in der Bundesrepublik das Bestreben vorhanden ist, der Bundesanstalt auch zu einem Erfolg zu verhelfen. Vielleicht könnte man hier durch die Schaffung eines Strafrahmens für die einzelnen Verstöße helfen. Das Ziel muß ja eine möglichst gleichmäßige Ahndung der Gesetzesübertretungen sein.
Daß der Bundesanstalt nicht nur die Überwachung im Fernverkehr übertragen wurde, sondern daß sie auch bei Tarifmaßnahmen mitwirkt, wird von uns begrüßt. Die Unordnung auf der Straße kann nicht nur durch polizeiliche, sondern muß auch mit tarifpolitischen Maßnahmen überwunden werden. Durch den Verwaltungsrat bei der Bundesanstalt ist das Verkehrsgewerbe bei diesem wichtigen Problem eingeschaltet und erhält zudem durch den vorliegenden interfraktionellen Antrag zu § 21 weitere Möglichkeiten der Mitwirkung.
Die Zusammensetzung des Verwaltungsrats ist leider etwas willkürlich. Die Verkehrsträger insgesamt haben 11 Vertreter, die Länder 6, die übrige Wirtschaft 5 und der Deutsche Gewerkschaftsbund 5. Hier liegt ein Kompromiß mit Mängeln vor. Wenn jedoch keine Interessentengruppe eine Mehrheit hat, wie das ja vom Fernverkehrsgewerbe gefordert wurde, so wird damit wohl am besten die Neutralitätsfunktion gewahrt werden können.
Meine Fraktion bedauert, daß der Werkverkehr nicht dem Gesetz unterliegt und nur der unechte Werkverkehr durch die Straßenkontrollen unterbunden wird. Wir bedauern auch aus verkehrstechnischen, aus wirtschaftlichen und finanzpolitischen Gründen die starke Einengung der Bundesbahn. Wir sind ferner der Meinung, daß für eine gute Ordnung auf der Straße der Nahverkehr hätte im echten Sinne geregelt werden müssen. Die Erlaubnispflicht scheint uns dafür nicht ausreichend zu sein. Ein Vergleich zwischen dem „freien Pferdefuhrwerk" mit einer Tragkraft von 20 Zentnern und dem Lieferwagen mit nur 15 Zentnern Tragkraft, wie er von dem Herrn Kollegen Dr. Fricke angestellt wurde, ist, glaube ich, nicht gut möglich.
Die sozialdemokratische Fraktion stimmt dem Gesetz trotz der Bedenken und trotz der von mir herausgestellten Mängel zu. Die mit dem Gesetz angestrebte und zu erreichende Ordnung ist für die gesamte Volkswirtschaft von Nutzen. Wir stimmen dem interfraktionellen Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 620 zu. Wir lehnen den Antrag der CDU/CSU auf Umdruck Nr. 658 ab, werden aber dem Antrag der Föderalistischen Union auf Umdruck Nr. 659 zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Volkholz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Föderalistische Union hat den Antrag gestellt, in § 2 Abs. 4 das Wort „kann" in „soll" umzuändern. Der Grund ist folgender. Es handelt sich hier in der Hauptsache um Gebiete, welche an der Grenze liegen, und hier wiederum im besonderen um Betriebe in den Gebieten am jetzigen Eisernen Vorhang. Diese Betriebe sind dadurch benachteiligt, daß sie einen großen Teil ihres Aktionsgebietes durch die willkürliche Grenzziehung verlieren. Sie kommen in sehr großen Nachteil, und es ist deshalb notwendig, daß nicht nur eine entsprechende Rechtsverordnung in Aussicht gestellt wird oder „vielleicht gemacht werden kann", sondern daß sie möglichst rasch gemacht wird. Es ist auch darauf zu achten, daß diese Rechtsverordnung möglichst großzügig gehandhabt wird, so daß es nicht vorkommen kann, daß beispielsweise kurz vor einer Großstadt oder vor einem besonderen Industriezentrum die Grenze gezogen wird, so daß vor der Stadt selbst haltgemacht werden müßte. Es wäre vorzusehen, daß in
diesem Falle auch die entsprechenden wichtigen
Orte mit einbezogen werden können. Wir bitten Sie aus diesem Grunde, dem Änderungsantrag der Föderalistischen Union zuzustimmen.
Wir sind zwar erst in der allgemeinen Besprechung; das Haus wird es aber sicher dankbar begrüßen, daß Sie Ihre Ausführungen zu § 2 vorweggenommen haben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Niebes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man könnte dieses Gesetz wohl mit gutem Grund ein Gesetz gegen den Güterkraftverkehr nennen. Denn die Verkehrsunternehmer selbst haben fast ausnahmslos diesem Gesetz, teilweise mit recht drastischen Formulierungen, widersprochen und wenden sich nach wie vor gegen seine Annahme. Aber auch der Umstand, daß die Bundesregierung, wie wir hier gehört haben, kontra Bundestag — jeder für sich — einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht hat, ist nicht gerade ein gutes Zeichen dafür, daß für dieses Gesetz unter den beteiligten gesetzesvorschlagenden Stellen eine besondere Einigkeit bestanden hat.
Im Rahmen der mir zur Verfügung stehenden Zeit ist es mir natürlich nicht möglich, so, wie das die Herren Vorredner gemacht haben, über alle Einzelheiten der Gesetzesvorlage zu sprechen. Ich muß mich deshalb auf die wesentlichsten Mängel beschränken.
Da ist zunächst einmal der § 5 a, der besonders Anstoß erregt hat und in dem der zweite Satz eine Ermächtigung für den Minister darstellt, unter Umständen ein Monopol für den Verkehr auf der Straße zu erteilen. Der Antrag Umdruck Nr. 620 sieht nun eine Änderung dieses Zustandes vor; denn offensichtlich hat sich wohl auch der Ausschuß dem Druck, der auf ihn ausgeübt worden ist,
nicht mehr widersetzen können, und er war genötigt, diesen Antrag einzubringen, um eine Änderung in dieser Hinsicht vorzunehmen.
Was aber den allerschärfsten Widerspruch unter den Verkehrsträgern hervorgerufen hat, ist die Errichtung der Bundesanstalt für den Güterfernverkehr. Hierüber sind die Meinungen am schärfsten aneinandergestoßen. Die Bundesanstalt sucht sich zunächst einmal einen Sitz, und da wird eine Zentrale aufgemacht mit einer entsprechenden äußeren Dekoration. Dann werden in den Ländern Außenstellen errichtet, und auf diese Weise kommt eine Behörde zustande, die sich sehen lassen kann. Die Genossenschaften des Verkehrsgewerbes, die die notwendigen Arbeiten bisher in Selbstverwaltung ausgeführt haben, werden auf diese Weise auf die Seite geschoben; die hat man nicht mehr nötig. An die Stelle der Selbstverwaltung tritt jetzt die behördliche Bürokratie. Selbstverständlich hat sie einen Verwaltungsrat nötig, und an diesem Verwaltungsrat ist ja bereits von den Herren Vorrednern Kritik geübt worden. Wenn das Verkehrsgewerbe in diesem Verwaltungsrat nur mit sechs Sitzen beteiligt ist, dann besteht zweifellos von dieser Seite ein Recht zur Beschwerde über diese Benachteiligung.
Die Arbeitnehmer werden durch die Gewerkschaften — und darin soll jetzt auch wieder eine Änderung erfolgen — lediglich mit fünf Vertretern im Verwaltungsrat vertreten sein. Man muß hinzufügen, daß beispielsweise diejenigen Kreise, die die Kosten für die Ausführung dieses Gesetzes zu tragen haben, überhaupt nicht vertreten sind.
Die Bundesanstalt wird sich mit Tarifgeschichten, mit Überwachungen, mit Kontrollen, mit Erhebungen über die Stärke des Verkehrs und allem Möglichen befassen. Aber mit keinem Wort ist in dem Gesetz gesagt, wie dem Verkehrsgewerbe geholfen werden soll, damit es vorankommen kann.
Wer das alles bezahlen soll —, das ist ja wieder die alte Leier. Man wird die Kosten, die durch Umlagen und durch Meldebeiträge erhoben werden, auf den Konsumenten abschieben, auf den letzten Abnehmer der beförderten Güter. Der muß sich damit abfinden; daß er zu zahlen hat. Der geduldige Steuerzahler wird überhaupt nicht danach gefragt, was man hier macht. Er muß einfach zu allem j a und amen sagen.
Man fragt sich, welchem Zweck der ganze Apparat eigentlich dienen soll. Zweifellos soll zunächst einmal — das ist ja auch schon erwähnt worden — die Konkurrenz gegenüber der Bundesbahn ausgeschaltet werden, weil die Hegemonie der Bundesbahn im Verkehrswesen aufrechterhalten bleiben soll. Man kämpft mit Paragraphen gegen den technischen Fortschritt. Denn wenn das Verkehrsgewerbe mit geringeren Tarifen auskommen kann und obendrein auch noch seine Existenz findet — nun aber soll es gezwungen werden, die Tarife der Bundesbahn zu erheben —, dann sehen wir doch, daß die Straße mit ihren Lastwagen wesentlich leistungsfähiger und in der Lage ist, den Verkehr besser zu bewältigen, als das die Bundesbahn tun kann.
— Ich bin sofort fertig, Herr Präsident.
Aber meine Partei ist auch der Auffassung, daß dieses Gesetz ein Aggregat zu der im Bau befindlichen Kriegsmaschinerie darstellen soll.
Man wünscht, das Verkehrsgewerbe heute bereits
zu registrieren. Man will eine Übersicht darüber haben, was es leisten kann. Wir haben das ja alles schon einmal erlebt.
Sie haben offenbar aus der Erfahrung nicht gelernt. Wir haben erlebt, daß man dann im entscheidenden Augenblick in der Lage ist, diesen wesentlichen Faktor der Kriegführung einsetzen zu können.
Einem solchen gefährlichen Gesetz, das alle Kennzeichen des Rückschritts an sich trägt und das keinerlei Nutzanwendungen aus den Erfahrungen der Vergangenheit gezogen hat, können meine politischen Freunde und ich nicht ihre Zustimmung geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Rademacher.
Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der FDP möchte ich die Zustimmung zu dem Gesetz erklären, möchte aber auch zum Ausdruck bringen, daß auch in unserer eigenen Fraktion allergrößte Bedenken bestanden haben, etwa auf den Gebieten, die Dr. Bucerius hier eben zum Ausdruck gebracht hat. Schließlich sind wir aber doch zu der Überzeugung gekommen, daß der gegenwärtige Zustand der Deutschen Bundesbahn, der gegenwärtige Zustand der deutschen Straßen und zum Teil auch der Zustand der Straßenverkehrsmittel selbst eine andere Regelung im Augenblick nicht zulassen. Wir hoffen alle, daß die Verhältnisse möglichst bald gestatten, die eine oder andere dieser sehr stark polizeilichen Maßnahmen aufzuheben; aber bedauerlicherweise wird das noch eine ganze Weile dauern. Ich darf nochmals darauf hinweisen, daß auch das europäische Ausland sich fast in den gleichen Schwierigkeiten befindet wie wir.
Ich möchte aber doch noch auf eine Sache eingehen, die Herr Dr. Bucerius erwähnt hat. Er hat sich an die Deutsche Bundesbahn gewandt und hat gesagt — wenn ich ihn richtig verstanden habe —, daß dort neue organisatorische Maßnahmen, neue verkehrspolitische Erkenntnisse Platz greifen müssen. Vielleicht habe ich als Berichterstatter nicht genügend zum Ausdruck gebracht, was die Neueinführung des Güterliniennahverkehrs bedeutet. Hier ist in der Tat ein Ansatzpunkt; denn es ist ja zur Genüge bekannt, daß bei der Deutschen Bundesbahn gerade die Nahverkehre sich in einer besonders schwierigen Situation befinden. Herr Dr. Bucerius — das habe ich sehr gern gehört — hat zum erstenmal hier ausgesprochen, was ich wiederholt ausgesprochen habe, nämlich die Auffassung bzw. die Tatsache, daß ja eigentlich vom Straßenverkehr längst die Kosten aufgebracht werden, die notwendig sind, um den Straßenbau in der heutigen Form zu erhalten. Das ist keine einseitige Feststellung seitens der Betroffenen selbst. Ich verweise auf den Bericht des Verbandes der deutschen Automobilfabriken von 1951, wo die Zahlen sehr einwandfrei genannt sind. Ich darf namens meiner Fraktion in diesem Zusammenhang bitten, die Überlegung anzustellen: Können wir nicht endlich auf zwei Gebieten, nämlich bei der Kraftfahrzeugsteuer und bei der Beförderungssteuer, die Zweckbindung aussprechen — darin stimme ich wieder mit Dr. Bucerius überein —, damit wenigstens auf diesen Gebieten für die Erweiterung und die Verstärkung des Straßenbaus etwas getan wird?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will zum Schluß nur noch einen Satz sagen: Das Wirken und die Wirkung des heute zu beschließenden Güterkraftverkehrsgesetzes — so heißt es — wird maßgeblich davon abhängen, in welchem Sinne und in welchem Geiste Bund und Länder, aber auch der gewerbliche Verkehr an die Erfüllung dieses Gesetzes herangehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Walter.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Es ist von allen Seiten zum Ausdruck gebracht worden, daß dem Gesetz zugestimmt werden soll. Ich darf für meine Fraktion erklären, daß wir trotz aller Bedenken, die wir gegen einzelne Paragraphen dieses Gesetzes haben, haben müssen, ihm zustimmen, weil wir ebenfalls der Meinung sind, daß es höchste Zeit wird, eine gewisse Ordnung in unsern Sraßenverkehr zu bringen und den sehr häßlichen Streit zwischen Schiene und Straße durch eine gesetzliche Regelung nach Möglichkeit zu beseitigen. Wir begrüßen es vor allen Dingen, daß das Selbstverwaltungsprinzip für den Verkehr hier zum Tragen gekommen ist, so daß der Verkehr es selbst in der Hand hat, so weit wie möglich seine Angelegenheiten selbst zu regeln, im Interesse des Verkehrs selbst, aber auch im Interesse der gesamten Volkswirtschaft. Ich. betone nochmals, daß wir trotz aller Bedenken diesem Gesetz unsere Zustimmung geben werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucerius.
Herr Rademacher, ich bedaure eine Berichtigung: ich habe nicht gesagt, ich sei überzeugt, daß der Straßenverkehr durch seine Abgaben die von ihm verursachten volkswirtschaftlichen Kosten bereits heute voll decke. Ich habe gesagt, daß der Kraftverkehr dies behaupte, und habe gesagt, daß die Bundesbahn es bestreite. Daraus habe ich den Schluß gezogen, es sei erforderlich, unverzüglich, d. h. so schnell wie möglich die volkswirtschaftlich verursachten Kosten dieses wichtigen Verkehrsträgers nachzuprüfen. Ich habe ferner gefordert, daß — wenn die Nachprüfung ergibt, der Verkehr deckt die von ihm verursachten Kosten — dann allerdings dafür Sorge getragen werden muß, daß die aufgebrachten Beträge auch restlos für den Verkehr zur Verfügung gestellt werden. Ich bin nämlich der Überzeugung, daß der Verkehr kein eigener Steuerträger ist.
Herr Rademacher, einen Punkt wissen wir zweifellos heute schon, nämlich daß der Güterfernverkehr die von ihm verursachten Kosten nicht trägt; einen Punkt, den wir demnächst in diesem Hause zu behandeln haben werden und der uns sehr wenig Freude machen wird. Mir liegt das Gutachten vor, welches das Wirtschaftsministerium über die Frage der Kraftfahrzeugversicherungen erstellt hat. Auch hier müssen wir Preise festsetzen, ein für den Gesetzgeber immer höchst unerwünschter Zustand. Die Aufstellung, die uns das Bundeswirtschaftsministerium vorgelegt hat, ergibt, daß der gewerbliche Fernverkehr Schäden in Höhe von nicht weniger als 104 % der Prämieneinzahlungen verursacht, d. h. er erhält mehr von den Versicherungsgesellschaften, als er Prämien zahlt, von den allge-
meinen Verwaltungsunkosten gar nicht zu reden. Wir haben aus dieser Aufstellung entnehmen müssen, daß merkwürdigerweise z. B. der Werkverkehr nur die Hälfte der Kosten verursacht. Gewisse Erklärungen haben wir dafür. Wir wissen, daß der zum Teil noch unerträgliche Zustand im Güterfernverkehr dem Unternehmer zuviel zumutet und so zu einer höheren Schadensquote führt. Aber hier werden wir notgedrungen verpflichtet sein, an die kostengerechte Behandlung der Dinge heranzugehen. Ich wiederhole: Grundsatz muß sein: alles, was der Verkehr aufbringt, muß ihm wieder zur Verfügung gestellt werden. Aber ob er alles aufbringt, das muß geprüft werden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die allgemeine Aussprache zur dritten Beratung geschlossen.
Wir kommen nun zur Einzelberatung. Ich werde nur die Paragraphen aufrufen, zu denen Änderungsanträge vorliegen.
Zunächst § 1. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
§ 2. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Föderalistischen Union vor, Umdruck Nr. 659. Das Wort hat Herr Abgeordneter Rademacher.
Meine Damen und Herren! Wenn Sie den Antrag der Föderalistischen Union annehmen, so würde das bedeuten, daß der Bundesminister für Verkehr grundsätzlich gezwungen ist, für alle Grenzgebiete Ausnahmen zuzulassen. Das war aber nicht der Sinn des vom Ausschuß vorgelegten Absatzes. Es gibt eine Reihe von Grenzgebieten, wo diese Notwendigkeit gegeben ist. Aber ich bitte dringend, von der Änderung der KannVorschrift in eine Soll-Vorschrift abzusehen. Die einzelnen Ländervertreter die sonstigen Vertreter im Verwaltungsrat haben genügend Gelegenheit, die verkehrspolitischen Notwendigkeiten vorzutragen. Die allgemeine Rechtsverordnung wird es dann ermöglichen, solche Ausnahmen zuzulassen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Änderungsantrag der Föderalistischen Union, Umdruck Nr. 659 zu § 2. Ich bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über § 2 in der Ausschußfassung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf die §§ 2 a bis 5. Dazu liegen Änderungsanträge nicht vor. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist zweifellos die Mehrheit; die aufgerufenen Paragraphen sind angenommen.
Wir kommen zu § 5 a. Dazu liegt ein interfraktioneller Antrag der Abgeordneten Rümmele und Genossen auf Umdruck Nr. 620 vor. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Auch das ist eine große Mehrheit; der Änderungsantrag ist angenommen. Ich bitte nun diejenigen, die § 5 a mit der soeben beschlossenen Änderung anzunehmen gewillt sind, die Hand zu heben. — Das ist die überwältigende Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf die §§ 6 bis 20 a und bitte diejenigen, die diesen aufgerufenen Paragraphen zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die überwältigende Mehrheit; angenommen.
Ich rufe § 21 auf. Dazu liegt auf Umdruck Nr. 620 Ziffer 2 ein Änderungsantrag der Abgeordneten Rümmele und Genossen vor. — Zur Begründung ist das Wort nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist eine überwältigende Mehrheit; die Änderung ist beschlossen. Ich bitte diejenigen, die den § 21 mit der soeben beschlossenen Änderung anzunehmen gewillt sind, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf die §§ 22 bis 52. Dazu liegen Änderungsanträge nicht vor. Das Wort ist nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Paragraphen bis einschließlich § 52 zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe § 53 auf. Dazu liegt auf Umdruck Nr. 658 ein Änderungsantrag der CDU vor. — Das Wort dazu ist nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die diesem Änderungsantrag zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen. Ich bitte nun diejenigen, die den § 53 mit der soeben beschlossenen Änderung anzunehmen gewillt sind, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe nun die §§ 54 bis 69 k auf. Dazu liegen keine Änderungsanträge vor. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Paragraphen zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist zweifellos die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe § 691 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Rümmele und Genossen auf Umdruck Nr. 620 Ziffer 3 vor. — Das Wort ist nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. — Das ist zweifellos die Mehrheit; der Änderungsantrag ist angenommen. Ich bitte diejenigen, die dem § 69 1 mit der soeben beschlossenen Änderung zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist ebenfalls die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe weiter auf §§ 69 m bis 72. Auch dazu liegen Änderungsanträge nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Paragraphen zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit. Angenommen.
Nun rufe ich § 73 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Rümmele und Genossen Umdruck Nr. 620 Ziffer 4 vor. Ich bitte diejenigen, die diesem Änderungsantrag zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist zweifellos die Mehrheit. Der Änderungsantrag ist angenommen. Ich bitte diejenigen, die dem § 73 mit der soeben beschlossenen Änderung zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit. Angenommen.
Ich rufe § 73 a auf. Dazu liegt in Umdruck Nr. 620 Ziffer 5 ein Änderungsantrag vor. — Auch dazu ist nicht das Wort gewünscht. Ich bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag Umdruck Nr. 620 Ziffer 5 zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist zweifellos die Mehrheit. Der Änderungsantrag ist angenommen. Ich bitte nun diejenigen, die § 73 a mit
der soeben beschlossenen Änderung zustimmen, die Hand zu heben. — Zweifellos die Mehrheit. Angenommen.
Ich rufe § 74, — Einleitung und Überschrift auf. — Auch dazu liegen keine Wortmeldungen vor. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem § 74, der Einleitung und der Überschrift zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist zweifellos die Mehrheit. Damit ist die dritte Beratung beendet.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz im ganzen zustimmen, sich von den Plätzen zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Gegen wenige Stimmen ist das Gesetz verabschiedet.
Wir müssen jetzt noch über den Ausschußantrag Drucksache Nr. 3515 Ziffer 2 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die diesem Ausschußantrag zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit. Auch dieser Ausschußantrag ist angenommen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Es ist gewünscht worden, den Punkt 9 der Tagesordnung jetzt zu behandeln, nachdem Punkt 6 schon heute morgen vorgezogen worden ist.
Ich rufe also auf Punkt 9:
a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Vertrieb jugendgefährdender Schriften ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Fragen der Jugendfürsorge (Nr. 3666 der Drucksachen);
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Jugendschrifttum .
Zu Punkt 9 a hat das Wort zur Berichterstattung Frau Abgeordnete Niggemeyer.
Frau Niggemeyer , Berichterstatterin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Auftrag, Ihnen heute im Namen des Ausschusses für Fragen der Jugendfürsorge und der mitbeteiligten Ausschüsse über die Arbeit dieser Ausschüsse Bericht zu erstatten.
Der Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge wurde mit der Materie dieses Gesetzes schon im Jahre 1949 befaßt, als ein Antrag der Fraktion der CDU von der Regierung forderte, daß sie Maßnahmen gegen Schmutz und Schund ergreife. Im November 1949 faßte der Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge einstimmig den Beschluß, die Regierung zu ersuchen, einen diesbezüglichen Gesetzentwurf vorzulegen. In der 24. Sitzung des Deutschen Bundestages wurde dieser Beschluß des Jugendfürsorgeausschusses beraten und fand einmütige Annahme.
Die Vorlage des Regierungsentwurfs erfolgte im Juni 1950 und die erste Lesung im Juli 1950 in der 74. Sitzung dieses Hohen Hauses. In der damaligen Sitzung ergab sich aus der Diskussion dieses Hauses eine einmütige Auffassung aller Parteien über die Tatsache, daß eine Flutwelle von Schmutz und Schund die Jugend bedroht. Einmütigkeit bestand auch darin, daß positive Maßnahmen zum Schutze der Jugend wesentlich geeignet seien, auch der Gefährdung durch Schmutz und Schund entgegenzuarbeiten. Die Mehrheit des Hauses sprach sich dafür aus, daß neben den positiven jugendfördernden Maßnahmen wegen des Umfanges der Gefährdung
durch Schmutz und Schund auch ein Gesetz zur Verhinderung dieser Gefahr notwendig sei. Mit Mehrheitsbeschluß wurde damals der Entwurf an vier Ausschüsse überwiesen. federführend an den Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge, außerdem an den Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films, an den Kulturpolitischen Ausschuß und an den Rechtsausschuß. Mein Bericht ist nun im Einvernehmen mit den beteiligten Ausschüssen eine Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse aller beteiligten Ausschüsse.
Das heute zur Verabschiedung vorliegende Gesetz hat in der Arbeit der Ausschüsse in verschiedenen Punkten eine wesentliche Änderung gegenüber der Regierungsvorlage erfahren. Rein äußerlich erhielt es vor allem nach der Überarbeitung durch den aus Mitgliedern des Jugendfürsorge- und des Rechtsausschusses bestehenden Unterausschuß ein wesentlich anderes Gesicht. Der besseren Übersicht wegen wurde es in sieben Unterabschnitte aufgegliedert. Die Zahl der Paragraphen erhöhte sich von 26 auf 32. Aber diese Umstellung der Paragraphen und die Erhöhung der Zahl bedeuten keine wesentlichen materiellen Änderungen.
Gegenüber der Regierungsvorlage glaubte der federführende Ausschuß, zur besseren Klarstellung dessen, was der Gesetzgeber wollte, die Überschrift ändern und statt „Gesetz über den Vertrieb jugendgefährdender Schriften" sagen zu müssen: „Verbreitung jugendgefährdender Schriften". Das Wort „Vertrieb" wurde im Ausschuß als zu eng angesehen.
Der Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge befaßte sich in 17 Sitzungen des Gesamtausschusses und in mehreren Unterausschußsitzungen mit der Gesetzesvorlage. Eine Mehrheit des Ausschusses bejahte grundsätzlich die Notwendigkeit des Gesetzes gegen den Vertrieb jugendgefährdender Schriften. Die Minderheit des Ausschusses erklärte sich bereit, trotz ihrer grundsätzlichen Gegeneinstellung an der Erarbeitung der Gesetzesform mitzuarbeiten, um das Bestmögliche zu erreichen.
Der Ausschuß sah eine Verpflichtung darin, weitgehend Gutachter zu der Materie zu hören, um den anstehenden Fragenkomplex von allen Seiten beleuchtet zu wissen. So kamen im Ausschuß zu Wort Herr Dr. Hagemann als Kriminalist und Staatsanwalt, Herr Direktor Siehe als Mitglied der Prüfstelle Berlin in den Jahren 1932 bis 1935, Herr Dr. Thomas als Psychologe, Herr Amtsgerichtsrat Clostermann als Jugendrichter. Weiter kamen die Autoren Erich Kästner und Stefan Andres zu Wort. Wir hörten einen Sprecher des Verbandes Deutscher Autoren, Herrn Schäferdiek, auch einen Sprecher der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Herrn Dr. Döblin, und vom Volkswartbund Herrn Dr. Calmes. Sämtliche Gutachter anerkannten das Vorliegen einer Gefährdung der Jugend durch bestimmte Schriften. Herr Dr. Hagemann und Herr Amtsgerichtsrat Clostermann beleuchteten die Situation aus der Erfahrung der Jugendkriminalistik und Jugendgerichtsbarkeit. Freilich konnten sie auf Grund der Arbeit der Gerichte nicht mit 100%iger Sicherheit sagen, daß ein Kriminellwerden der Jugend lediglich auf das Lesen jugendgefährdender Schriften zurückzuführen ist. Herr Direktor Siehe auf Grund seiner Erfahrungen bei der Prüfstelle Berlin bis zum Jahre 1935 und der Psychologe Dr. Thomas, dessen Stellungnahme auf grundlegenden jugendpsychologischen Untersuchungen der vergangenen Jahrzehnte und der Jetztzeit beruht, sprachen sich für
die Notwendigkeit eines Gesetzes aus. Auch von seiten des Autorenverbandes und der Akademie der Wissenschaften und der Literatur wurde auf diese Notwendigkeit hingewiesen. Herr Dr. Calmes vom Volkswartbund unterstrich in seinen Ausführungen die Notwendigkeit vor allem auf Grund seiner Erlebnisse in Elternversammlungen und sprach sich aus der Praxis, die er nicht nur in konfessionell oder parteilich gebundenen Versammlungen erfahren konnte, dringend für die Verabschiedung eines Gesetzes gegen Schmutz und Schund aus. Die zwei Gutachter der Vertreter der Autoren konnten sich nicht für die Notwendigkeit eines Gesetzes aussprechen, mußten aber zugeben, daß sie vor der Erstellung ihres Referats von unserem Gesetzentwurf keine Kenntnis hatten. Sie mußten auf Grund der Diskussion auch zugeben, daß der vorliegende Gesetzentwurf nicht gegen das Grundgesetz verstößt.
Nach Anhörung dieser Gutachter gewann eine Mehrheit des Ausschusses die Überzeugung, daß ihre grundsätzlich bejahende Einstellung zu dem Entwurf weitgehend begründet ist. Eine Minderheit sprach sich gegen die Notwendigkeit des Gesetzes aus, vor allen Dingen mit der Begründung, daß die §§ 184 und 184 a des Strafgesetzbuches eine genügende Handhabe zu einem wirksamen Vorgehen gegen Schmutz und Schund bieten.
In der Einzelberatung kam es schon hei § 1 zu einer ausgedehnten Grundsatzdebatte. In Abs. 1 von § 1 ist gesagt: „Schriften, die geeignet sind, Jugendliche sittlich zu gefährden, sind in eine Liste aufzunehmen". Es schien uns notwendig zu sein, den Begriff „sittlich gefährdend" näher zu umschreiben. Der Ausschuß war einmütig der Ansicht, daß unter dem Begriff „sittlich gefährdend" nicht nur das geschlechtlich-erotische Moment zu verstehen ist, sondern daß unter Schriften, die geeignet sind, die Jugend sittlich zu gefährden, auch solche Schriften zu verstehen sind, die eine Verherrlichung des Verbrecherischen darstellen und zu einer allgemeinen Verwilderung und Verrohung der Jugend führen. Der Ausschuß in seiner Gesamtheit stimmte auch für die Einbeziehung kriegsverherrlichender Schriften, antisemitischer Schriften und Abhandlungen, die den Rassenhaß predigen, in die Liste der für Jugendliche verbotenen Schriften. Der Ausschuß billigte nicht die vom Bundesrat vorgeschlagene Änderung, in § 1 Abs. 1 statt „sittlich zu gefährden" die Worte „erheblich sittlich zu gefährden" zu setzen und dafür in § 2 den Abs. 1: „Von der Aufnahme der Schrift in die Liste kann in Fällen geringer Bedeutung abgesehen werden", zu streichen. Aber er stimmte dem Änderungsvorschlag des Bundesrates zu, das Wort „Zielsetzung" im Abs. 2 Ziffer 1 des § 1 durch das Wort „Inhalt" zu ersetzen, und zwar gründete er diese seine Ansicht auf die Tatsache, daß nicht das subjektive Wollen eines Autors, sondern allein der objektive Beitrag einer Schrift entscheidend sein müsse.
Zur klareren Übersicht entschloß sich der Ausschuß, den § 1 in drei Unterabschnitte zu gliedern in der Form, wie er Ihnen heute vorliegt.
Die Endabstimmung über § 1 ergab eine Mehrheit; dagegen stimmte eine kleine Minderheit.
Zu einer besonderen Debatte kam es um Abs. 2 Ziffer 2, die besagt: „wenn sie der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre dient".
In § 2 schlägt der Ausschuß im Satz 1 eine Änderung vor. Der Entwurf lautete: „Von der Aufnahme der Schrift in die Liste kann in Fällen geringerer
Bedeutung abgesehen werden." Er entschloß sich für die Worte „geringer Bedeutung".
Zu einer ausgedehnten Debatte kam es um § 3. Er hat auch gegenüber der Regierungsvorlage in der Ausschußarbeit eine wesentliche Änderung erfahren. Der Entwurf sah vor, daß eine Schrift, deren Aufnahme in die Liste bekanntgemacht sei, Jugendlichen unter 18 Jahren nur mit Einverständnis des Erziehungsberechtigten zugänglich gemacht werden darf, daß aber die entgeltliche Überlassung auch mit Einverständnis des Erziehungsberechtigten verboten sei. Der Ausschuß sah in der verschiedenartigen Behandlung entgeltlicher und unentgeltlicher Überlassung an Jugendliche eine Inkonsequenz. Es ergab sich die Frage, ob bei einer geänderten Formulierung des § 3 das Elternrecht genügend gewahrt sei, und weiterhin, ob bei einer Übertretung von seiten der Eltern oder Erziehungsberechtigten diese oder der Jugendliche oder beide Seiten zu bestrafen seien. Der Ausschuß kam einmütig zu folgender Auffassung.
Schriften, deren Aufnahme in die Liste bekanntgemacht ist, sollen Jugendlichen unter 18 Jahren weder entgeltlich noch unentgeltlich zugänglich gemacht werden. Fahrlässige Zuwiderhandlungen der Erziehungsberechtigten sollen straffrei sein. Bei fahrlässiger Übertretung der Bestimmung durch Angehörige der Jugendlichen soll die Feststellung
einer Straffälligkeit dem Ermessen des Richters überlassen werden.
Über die Straffälligkeit von Erziehungsberechtigten und Angehörigen bei vorsätzlicher Zuwiderhandlung konnte keine einmütige Auffassung im Ausschuß erzielt werden. Folgende Argumente standen einander gegenüber. Auf der einen Seite fordere die Tatsache der fortschreitenden Verseuchung der Jugend durch gefährdende Schriften eine Bestrafung bei vorsätzlicher Gesetzesübertretung, wenn eine durchgreifende Besserung erreicht werden solle. Auf der andern Seite bestehen die Bedenken, ein Gesetz zu schaffen, das in den zentralen Raum der Familie eingreift. Aus diesem letztgenannten Grunde vertrat letztlich der Ausschuß die Ansicht, daß von einer Strafandrohung für den Erziehungsberechtigten bei Überlassung an Jugendliche abzusehen sei.
Auf Grund dieser genannten Richtlinien kommt der Ausschuß zu der Fassung des § 3 im vorliegenden Gesetzentwurf, die lediglich besagt:
Eine Schrift darf, sobald ihre Aufnahme in die Liste bekanntgemacht ist, einem Jugendlichen unter achtzehn Jahren nicht feilgeboten oder zugänglich gemacht werden.
Da schon bei § 3 die Frage der Bestrafung, ihrer Art und ihres Ausmaßes eine wesentliche Rolle spielte, steht zu diesem Paragraphen der eigentliche Strafparagraph, der § 28, in einem engen Zusammenhang. Da auch in der Diskussion beide Fragen eng miteinander verknüpft waren, beziehe ich § 28 schon an dieser Stelle mit in die Berichterstattung ein. Der Regierungsentwurf sah in seinem entsprechenden Paragraphen — § 23 — in Satz 2 eine Strafbarkeit der entgeltlichen Überlassung vor und in seinem Satz 3 bei unentgeltlicher Überlassung eine Strafmöglichkeit auf Antrag der Eltern oder des Erziehungsberechtigten. Nach den vom Ausschuß erarbeiteten und eben schon erwähnten Grundsätzen mußte also eine wesentliche Neuformulierung dieses Strafparagraphen erfolgen. § 28 enthält also nun in Abs. 2 die Bestimmung der Straffreiheit der Erziehungsberechtigten und ferner die Ausnahmebestimmungen für Personen, die nach
§ 52 Abs. 1 der Strafprozeßordnung den Eltern und Erziehungsberechtigen gleichzusetzen sind und zur Hausgemeinschaft gehören.
Abs. 4 klärt die Frage der Strafbarkeit oder der Straffreiheit von Jugendlichen, die jugendgefährdende Schriften verbreiten oder verteilen und damit gegen das Gesetz verstoßen. Es bestand im Ausschuß allgemein der Wunsch, analog zum Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit die Straffreiheit der Jugendlichen zu sichern. Daneben wurde auch geltend gemacht, daß bei der Größe der herrschenden Gefahr, daß jugendgefährdende Schriften von Jugendlichen in Schulen und in Betrieben von Hand zu Hand weitergegeben werden, eine zumindest abschreckende Wirkung durch das Gesetz auf die Jugend gegeben sein müßte, die auch geeignet sei, die beabsichtigten Erziehungsmaßnahmen zu fördern. Der Ausschuß einigte sich somit auf die Fassung des § 28 Abs. 4. Diese Vorschrift entspricht dem § 12 des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit. Sie sieht das Eingreifen und Weisungsrecht des Vormundschaftsrichters im Einvernehmen mit dem Jugendamt vor.
Der Ausschuß folgte bezüglich des § 4 auch den Vorschlägen des Bundesrats und schuf durch Einfügen des Wortes ,.Händler", denen neben Reisenden verboten ist, Schriften, die in diese Liste aufgenommen sind, zu vertreiben oder zu verleihen, eine ganz klare Definition des Personenkreises, gegen den sich diese Verbotsbestimmung richtet. Trotzdem löste der § 4 eine ausgedehnte und lebhafte Diskussion aus, vor allen Dingen um den Begriff „feste Verkaufsstelle". Die Mehrheit des Ausschusses entschied sich für die Fassung, die Ihnen im Entwurf vorliegt.
Der § 5 erhielt durch die Ausschußarbeit lediglich redaktionelle Änderungen, in seinem letzten Satz allerdings einen Zusatz, daß Anzeigen in Fachblättern des Buchhandels zulässig sind. Dieser Zusatz erfolgte vor allen Dingen auf Grund der Einwirkung und Mitarbeit des Rechtsausschusses.
§ 6 ist wieder einer der Paragraphen, die im Ausschuß eine lebhafte Diskussion hervorgerufen haben. Es ist jener Paragraph, der in seinem Abs. 2 besagt, daß „Schriften, die durch Bild für Nacktkultur werben", den Beschränkungen der §§ 3 bis 5 unterworfen sind, ohne daß es einer Aufnahme in die Liste und einer Bekanntmachung bedarf. Die Mehrheit des Ausschusses konnte sich dem Vorschlag des Bundesrates, den § 6 zu streichen und die Entscheidung darüber, ob die durch Bild für Nacktkultur werbenden Schriften als jugendgefährdend anzusehen seien, von Fall zu Fall der Prüfstelle zu überlassen, nicht anschließen. Der Ausschuß vertrat vielmehr die Ansicht, daß die durch Bild für Nacktkultur werbenden Schriften generell als jugendgefährdend anzusehen seien.
Der § 6 enthält also in seiner Letztformulierung als Abs. 1 den Abs. 2 des früheren § 3 des Regierungsentwurfs, der sinngemäß hier am Platze ist, und in Abs. 2 die Einbeziehung der Schriften, die durch Bild für Nacktkultur werben. Die Abstimmung über diesen Paragraphen ergab sieben Stimmen für und vier gegen die Aufnahme der Bestimmung des Abs. 2 in § 6.
Der § 7, der die Frage der Behandlung periodischer Druckschriften regelt, fand inhaltlich die Billigung des Ausschusses. Die Änderungsvorschläge des Bundesrats gegenüber der Regierungsvorlage waren nur redaktioneller Art und wurden akzeptiert.
Über die folgenden Abschnitte des Gesetzes: Einrichtung der Prüfstellen, Zuständigkeit, Verfahrensvorschriften, Rechtsweg und Schlußbestimmungen, gab es im Ausschuß keine wesentlich unterschiedlichen Auffassungen. Mit dem § 8 beginnen die Bestimmungen über die Bildung der Landesprüfstellen, mit dem § 12 der Zuständigkeitsbereich, mit dem § 14 das Verfahren der Prüfstellen, mit dem § 20 das Beschwerdeverfahren und mit dem § 23 die Vorschriften über das Führen der Liste.
Bei der Behandlung der Frage der Bildung der Landesprüfstellen berücksichtigte der Ausschuß den Vorschlag des Bundesrats, die Zahl der Mitglieder der Landesprüfstellen gegenüber der Regierungsvorlage von vier auf sieben zu erhöhen. Als sich die mitberatenden Ausschüsse, vor allen Dingen der Kulturpolitische Ausschuß und der Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und Films für eine Neunzahl aussprachen, wurde auch dies vom Ausschuß angenommen.
An dieser Stelle weise ich hin auf die Änderung der Bezeichnung „anerkannte Religionsgemeinschaften", die wir im Regierungsentwurf fanden, die nach einer Erklärung des Bundesministeriums des Innern den bisher gesetzlich üblichen Begriffen und der verfassungsrechtlichen Lage nicht mehr entspricht. Daher beschloß der Ausschuß, diesen Ausdruck durch die Formulierung „andere Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind" zu ersetzen.
Bei der Beratung der §§ 15, 18 und 21 ergab sich eine Debatte um die Frage der einfachen oder Zweidrittelmehrheit bei den Entscheidungen. Der Ausschuß beschloß, daß Prinzip der Zweidrittelmehrheit sowohl für die Anordnung der Aufnahme in die Liste als auch bei der Bestätigung einer solchen Anordnung der Landesprüfstelle durch die Bundesprüfstelle gegeben sein zu lassen. Der Antrag der Minderheit im Ausschuß, bei Entscheidung über die Beschwerde mit einfacher Mehrheit zu entscheiden, wurde vom Ausschuß mit Mehrheit abgelehnt. Es kam also zunächst zu der Entscheidung, daß auch über die Beschwerde mit Zweidrittelmehrheit zu entscheiden sei. Diesem Beschluß hat auch der Rechtsausschuß Rechnung getragen, und so lautet die Letztfassung:
Zur Anordnung der Aufnahme in die Liste oder zur Bestätigung einer solchen Anordnung im Beschwerdeverfahren bedarf es einer Zweidrittelmehrheit.
Im folgenden § 16 ist festgelegt, welchen Stellen die Entscheidungen der Prüfstelle mitzuteilen sind. Auch das begrüßen wir, und wir begrüßen, daß hier der Kreis derjenigen, denen die Entscheidung mitzuteilen ist, vergrößert worden ist.
Eingefügt ist in der Letztfassung des § 16 die Feststellung, daß dem Verleger oder Verfasser einer Schrift soweit wie möglich in dem Verfahren vor der Prüfstelle Gelegenheit zur Äußerung gegeben sein muß. Wir glauben, daß durch die im Ausschuß geleistete Arbeit an der Formulierung des Gesetzes ein einwandfreies Arbeiten der Prüfstelle gewährleistet ist.
Die folgenden Paragraphen, die sich mit der einstweiligen Verfügung befassen, sagen, daß der Vorsitzende der Prüfstelle nicht allein, sondern jeweils nur mit zwei weiteren Mitgliedern einstweilige Verfügungen erlassen kann und daß dieser
Beschluß einstimmig gefaßt werden muß. Der Entwurf sieht weiter vor, daß zu der Gruppe dieser drei ein Mitglied einer der in § 9 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 genannten Verbände und Personengruppen jeweils zu solchen Entscheidungen hinzugezogen werden muß.
Das Beschwerdeverfahren fand in den §§ 20 und 21 des neuen Entwurfs nach Änderungsvorschlägen von seiten des Bundesrats unter Überarbeitung durch den Rechtsausschuß eine umfassende und klare Formulierung.
Die §§ 23, 24 und 25, die die Führung der Liste behandeln, gaben keinen Anlaß zu wesentlichen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Arbeit des Ausschusses.
Der § 25 legt fest, daß eine Schrift, wenn sie durch rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts für unzüchtig im Sinne des § 184 oder für schamlos im Sinne des § 184 a des Strafgesetzbuchs erklärt wird, von Amts wegen in die Liste aufzunehmen ist. Der Anregung des Bundesrats, daß die Entscheidung hierüber nicht dem Vorsitzenden allein zustehen, sondern daß die Bundesprüfstelle insgesamt hierzu Stellung nehmen soll, ist stattgegeben worden. Nach nochmaliger Beratung ist dann in der Schlußfassung gesagt worden, daß eine solche Schrift unter Hinweis auf das gerichtliche Urteil in die Liste aufzunehmen ist, und in Abs. 2, daß der Vorsitzende die Entscheidung der Bundesprüfstelle herbeizuführen hat, nämlich dann, wenn widersprechende gerichtliche Entscheidungen über dieselbe Schrift bekanntwerden.
Der § 21 erhält dann nach der Fassung des Bundesrates noch den Zusatz: „Sie hat keine aufschiebende Wirkung", um klarzustellen, daß auch die Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht keine aufschiebende Wirkung hat.
Über die Kostenfrage, die in § 22 geregelt ist, ist wenig zu sagen.
Die Schlußvorschriften der §§ 29 und 30 sind in der Fassung des Regierungsentwurfs unverändert angenommen worden. Ich habe hier lediglich noch zu bemerken, daß im Gegensatz zu dem Ihnen vorliegenden Entwurf bei der Berlin-Klausel eine redaktionelle Änderung vorzunehmen ist. Es muß hier im letzten Satz heißen:
Dieses Gesetz gilt nach Maßgabe der §§ 13 und 14 des Gesetzes über die Stellung des Landes Berlin im Finanzsystem des Bundes vom 4. Januar 1952 (Bundesgesetzblatt I Seite 1) auch im Lande Berlin.
Auf Wunsch des Bundesjustizministeriums hatten wir zunächst die Ihnen vorliegende Fassung aufgenommen. Es hat sich aber herausgestellt, daß diese Fassung nur für ein bestimmtes Gesetz notwendig war.
In der Endabstimmung nach der dritten Lesung im Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge ergaben sich 6 Stimmen für die Annahme des Gesetzes, 3 Stimmen dagegen, bei einer Stimmenthaltung.
Als Ergänzung zu meinen eingangs gegebenen Erläuterungen zur Stellungnahme der an der Arbeit an dem Gesetz mitbeteiligten Ausschüsse sei noch folgendes gesagt. Alle drei Ausschüsse haben es nicht als ihre Aufgabe angesehen, grundsätzlich zu dem Entwurf Stellung zu nehmen. Sie haben jeweils zu den ihrem Aufgabengebiet entsprechenden Paragraphen des Entwurfs Stellung genommen.
Der Kulturpolitische Ausschuß beschränkte sich im wesentlichen auf die Stellungnahme zur Frage der Zusammensetzung der Prüfstellen neben kleinen redaktionellen Änderungen, denen Rechnung getragen worden ist.
Der Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und Films äußerte Bedenken, und zwar a) gegen die Wirksamkeit des Gesetzes überhaupt und b) wegen der Möglichkeit eines Vorgriffs auf ein künftiges Bundespressegesetz. Er stellte aber diese letzteren Bedenken nach den Ausführungen des Vertreters des Bundesinnenministeriums in der 54. Sitzung des Ausschusses zurück, nach denen keine rechtlichen Bedenken bestehen, das Gesetz in dieser vom Bundesrat und vom Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge erarbeiteten Form zu verabschieden. Angesichts des rein vertriebsbeschränkenden Charakters werden keine Schwierigkeiten im Hinblick auf das künftige Bundespressegesetz gesehen. Der Ausschuß stimmte den in seinen Zuständigkeitsbereich fallenden §§ 1, 5, 7, 9 ohne Änderung zu, schlägt für § 23 eine redaktionelle Änderung vor und spricht sich bei § 18 für eine Erhöhung der Zahl der Beisitzer in den Prüfstellen aus. Den Wünschen des Ausschusses ist in der Endfassung Rechnung getragen worden.
Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht hat das Gesetz als nicht verfassungswidrig anerkannt. Er beschäftigte sich wesentlich mit dem Rechtsinhalt des Gesetzes. Er nahm die Unterteilung in sieben Abschnitte vor, die eine weitgehende Umstellung der Paragraphen und eine Erhöhung ihrer Zahl bedingte. Der Ihnen heute vorliegende Entwurf ist von Beauftragten des Rechtsausschusses und einer Gruppe von Mitgliedern des Ausschusses für Fragen der Jugendfürsorge gemeinsam erarbeitet worden. Der Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge stimmte diesen Änderungen zu, selbstverständlich unter Beibehaltung der grundsätzlichen Auffassung der Minderheit des Ausschusses. Die Mehrheit des Ausschusses für Fragen der Jugendfürsorge bittet das Hohe Haus, der Vorlage seine Zustimmung zu geben.
Ich danke der Frau Berichterstatterin. Ich bitte nun die Antragstellerin oder die Antragsteller, zunächst ihren Antrag zu Punkt 9 b der Tagesordnung zu begründen.
— Ja, erst müssen wir die Tagesordnung abwickeln, und da ist zunächst der Antrag zu 9 b zu begründen.
— Das soll in der dritten Lesung gemacht werden! Dann hat das Wort der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte bereits wiederholt Gelegenheit, vor dem Hohen Hause zu dieser Vorlage zu sprechen und Ihnen die Bitte der Bundesregierung zu unterbreiten, die Dringlichkeit anzuerkennen und weiter anzuerkennen, daß wir in der Praxis ohne das Gesetz tatsächlich nicht genügend zum Schutz unserer Jugend tun können.
Mein Ministerium ist verantwortlich für den Jugendschutz, und ich erkläre Ihnen noch einmal mit aller Eindringlichkeit: auch wir haben die Fest-
stellung gemacht, daß wir in der Praxis das Gesetz nicht entbehren können. Die bisherigen Schutzgesetze für die Jugend und auch ein erweitertes Strafrecht werden nicht den raschen und wirksamen Schutz gegenüber der bedenkenlosen Geschäftemacherei schaffen, gegen die allein sich doch das Gesetz wendet. Dieser Schutz ist dringend notwendig.
Nach dem ausführlichen Referat der Frau Berichterstatterin und den Darlegungen im einzelnen kann ich aus der Gesamtmaterie nur folgende Punkte hervorheben und Sie bitten, sie in der Abstimmung zu bewerten.
Der erste Punkt ist, daß unsittliche Schriften und Schriften, die das Verbrechen verherrlichen, die Mitursache von zahlreichen Verbrechen Jugendlicher sind. Ich darf Ihnen aus der Statistik, die Ihnen vorgelegen hat, vorbehalten, daß diese Verbrechen an Zahl, Scheußlichkeit und Rohheit erschreckend zugenommen haben. Das hat auch die Presse in den vergangenen Jahren und Monaten immer wieder eindringlich betont. Sie haben einen so erfahrenen Mann und bekannten Jugendrichter wie Herrn Dr. Clostermann, Bonn, im Ausschuß gehört. Er hat Ihnen bestätigt, daß auch von seinem Blickpunkt, vom Blickpunkt des Jugendrichters aus, das Gesetz dringend notwendig ist.
Der zweite Punkt, den ich Ihnen besonders vortragen will, geht dahin: Erfahrene Pädagogen haben nachgewiesen, daß nicht so sehr das offensichtlich unzüchtige Schrifttum die Quelle alles dieses Übels ist, sondern daß eine besondere Gefährdung der Jugend durch das schleichende Gift hervorgerufen wird, das in seiner Dauerwirkung eine moralische Zerstörung der Jugend anrichtet, weil es das sexuelle Gefühlsleben verzerrt und im gesamten Bereich des Sexuellen die Wertmaßstäbe verschiebt, und zwar vielfach ohne daß sich die Jugend dieser Gefahr, dieser Einwirkung bewußt wird. Es ist nicht nur für die erfahrenen Jugendpädagogen erkennbar, daß junge Menschen, die Monat für Monat solche Produkte lesen und ihren Sinn in sich aufnehmen, durch solches erotisches Schrifttum ganz allmählich, aber nachhaltig eine völlig falsche Vorstellung von Sinn und Zweck der Geschlechtskraft im Menschen erhalten. Wir dürfen diese Dauerwirkung in keiner Form bagatellisieren, und es ist nicht übertrieben, wenn ich auf Grund der amtlichen Vorstellungen und Unterlagen, die ich in meinem Hause habe prüfen lassen, sage, daß zur Zeit in unserer Jugend eine wirkliche Seuche grassiert. Wer hier die Augen verschließt, sieht nicht die ganze furchtbare Wirklichkeit.
Und ein dritter Punkt, den ich Ihnen einmal vorhalten möchte. Wenn man die Verbreitung dieser Schriften unterbindet, trifft man nicht die seriösen Verlage; diese stehen völlig außerhalb des Bereichs des geplanten Gesetzes. Getroffen wird durch das Gesetz die skrupellose übelste Geschäftemacherei und sonst gar nichts. Ich habe neulich in einer unserer angesehensten Tageszeitungen gelesen, daß man jetzt über 100 Verlage festgestellt hat, die sich ausschließlich mit dem Vertrieb erotischer Schriften befassen. Die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft in Köln, die Ihnen im Ausschuß vorgelegen haben, sprechen eine eindringliche Sprache.
Viertens darf ich Sie zugunsten der seriösen Verlage auf folgendes hinweisen. Begrüßenswert in dem Gesetz ist die Verankerung der Selbstkontrolle der Kreise der Buchhändler, der Verleger, der Kunst, der Literatur. Es ist zu bedenken, daß nur mit Zweidrittelmehrheit der Stimmen aus diesen Kreisen die Verbotsliste aufgestellt werden kann, und in dem entscheidenden Gremium des beteiligten Schrifttums und der interessierten Kreise muß sich mehr als ein Drittel der Stimmen vereinigen, um ein Verbot auf dieser Liste auszusprechen. Gegen diese Stimmen kann eine Schrift niemals auf die Liste gesetzt werden, und das ist auch der Grund, weshalb sich in den Ausschußberatungen die Sprecher des Autorenverbandes ebensowohl wie die Sprecher der Akademie für Wissenschaft und Kunst für das Gesetz ausgesprochen haben.
Fünftens. Allein das Bestehen des Gesetzes wird seine Wirkung zeigen. Ich hoffe, daß insbesondere durch die Auswirkungen dieses Gesetzes unsere Kioske so gesäubert werden, daß man sich nicht mehr als Deutscher von Ausländern auf die gegenwärtigen unhaltbaren Zustände in den Kiosken ansprechen lassen muß.
Die Frau Berichterstatterin hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, daß sich dieses Hohe Haus bereits am 16. Dezember 1949 mit überwältigender Mehrheit für eine solche Vorlage ausgesprochen und die Regierung aufgefordert hat, die Vorlage einzubringen. Bereits mein Herr Amtsvorgänger hat das am 2. Mai 1950 getan, und seit der Zeit ist nun an dem Entwurf geprüft und gefeilt worden.
Ich darf Ihnen aber am Schluß meiner Ausführungen eines zur Beruhigung sagen. Die Regierung ist in der Zwischenzeit nicht untätig gewesen, in der klaren Erkenntnis, daß rein repressive Maßnahmen nicht ausreichen und daß man in einen positiven Abwehrkampf auch von der Regierung aus eintreten mußte. Das ist geschehen. Ich habe Ihnen im Bundestag schon vorgetragen — ich wiederhole es noch einmal —, daß im Rahmen des Bundesjugendplans die Förderung des Jugendschrifttums als vordringlich erkannt ist und daß bisher 2,650 Millionen DM zur Förderung des Jugendschrifttums an dieser Stelle verteilt sind. Von diesen 2,650 Millionen DM sind 1,720 Millionen DM für Zeitschriften und sonstiges Schrifttum den Jugendverbänden gegeben. 600 000 DM erhielten die beiden gemeinnützigen Jugendbuchvertriebe, und zwar der Deutsche Jugendbuchvertrieb in Hannover, um das gute Jugendbuch auf den verschiedensten modernen Vertriebwegen insbesondere auch an die nicht organisierte Jugend heranzubringen. Je 100 000 DM wurde für das berufskundliche Schrifttum und für die Versorgung der Jugendwohnheime im ganzen Bundesgebiet mit guten Jugendbüchern bereitgestellt und verteilt. Dann blieb noch ein Rest von 130 000 DM, den wir den Fachzeitschriften der Jugendverbände, der Jugendwohlfahrt, einzelnen Publikationen, der Vertriebenenjugend und einer Buchaktion für die Jugendherbergen gegeben haben.
Ich bitte Sie unter Hinweis auf diese positiven Maßnahmen zur Förderung des guten Jugendschrifttums und des guten Jugendbuchs eindringlich, dieser Vorlage Ihre Zustimmung zu geben, nach Möglichkeit sie so zu verabschieden, wie es Ihnen der Ausschuß vorgeschlagen hat.
Meine Damen und Herren, wir treten nun in die Einzelberatung ein.
Ich rufe § 1 auf. — Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hammer.
Meine Damen und Herren! Der § 1 bestimmt, daß Schriften, die sittlich gefährden, in eine Liste aufzunehmen sind. In Abs. 2 des § 1 stehen nun drei Ausnahmebestimmungen. Wir haben soeben dem Herrn Präsidenten einen Antrag übergeben, worin wir eine weitere, vierte Ausnahmebestimmung formuliert haben. Ich darf den Antrag verlesen:
In § 1 Abs. 2 wird folgende Ziffer 4 eingefügt:
4. wenn die in den Gesetzen betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst und betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie in der Fassung des Gesetzes zur Verlängerung der Schutzfristen im Urheberrecht vom 13. Dezember 1934 vorgesehene Schutzfrist abgelaufen ist.
Da diese Schutzfrist 50 Jahre beträgt, würde das
bedeuten, daß, um es einmal auf einen einfachen
Nenner zu bringen, die ganze klassische Literatur
nicht mehr diskutiert werden könnte. Ich weiß, daß die Aufgabe dieser Prüfstellen nur dahin geht, diese Schriften daraufhin zu prüfen, ob sie die Jugend sittlich gefährden. Immerhin bitte ich zu bedenken, daß sich diese Prüfstellen nach den §§ 9 und 10 unter anderem aus Vertretern des Buchhandels, der Verlegerschaft, der Jugendverbände und der Jugendwohlfahrt zusammensetzen. Ich unterstelle zwar, daß von dem Ausschuß sehr viel Mühe darauf verwendet worden ist, diese Prüfstellen zu entpolitisieren. Aber, meine Damen und Herren, wann ist es jemals gelungen, einen solchen Ausschuß zu entpolitisieren? Jedenfalls: wenn das Gesetz so bleibt, wenn unser Zusatzantrag nicht aufgenommen wird, wenn Antragsteller unter Umständen jeder einzelne Staatsbürger sein kann, dann sind Sie nicht dagegen gefeit, daß diese Prüfstellen Werke der klassischen Literatur zu überprüfen haben. Sie werden die Ilias auf ihren militaristischen Gehalt hin zu überprüfen haben und sie werden zu überprüfen haben, ob die Heilige Hochzeit des Zeus auf dem Berg Idae unsittlich wirkt. Niemand kann diese Prüfstellen davon entbinden, einen solchen Antrag zu bearbeiten.
Unsere Sorgen um die deutsche Jugend nach dieser entsetzlichen Katastrophe des Krieges in Zeiten des schweren Verfalls sind außerordentlich groß. Ein Teil meiner Freunde ist der Ansicht, daß dieses Gesetz bei weitem nicht so weit geht, wie es eigentlich gehen müßte, um zu einem Erfolg zu führen. Trotzdem möchten wir nicht, daß durch dieses Gesetz irgendeinem Gremium in Deutschland die Möglichkeit gegeben wird — wenn auch in bester Absicht —, ein Geschmuddel mit der klassischen Literatur zu betreiben und der Welt Anlaß zum Gelächter über uns zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Kemmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte die Angst des Herrn Kollegen Hammer für unbegründet. Ich habe hier die ganzen Prüfungsergebnisse aus der Weimarer Zeit von 1926 bis 1933 vor mir liegen. In dieser Liste befindet sich nicht ein einziges der Werke, von denen der Herr Kollege Hammer Angst hat, daß sie auf die Liste gesetzt werden könnten. Dabei war dieses Gesetz damals noch viel weitergehend als das Gesetz, das wir diesmal beschlossen haben.
Ich bin der Meinung, wir können den Antrag ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammer.
Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Kemmer hat mich nicht überzeugt. Er hat mir in einer Unterredung vor 10 Minuten gesagt, daß man unter Umständen auch ,,Tausendundeine Nacht" in den Schaufenstern des Buchhandels nicht zeigen könne, weil es gefährdend sein könne. Ich würde einen derartigen Entschluß nicht für gut halten.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag zu § 1, der soeben von dem Herrn Abgeordneten Hammer begründet worden ist. Ich bitte diejenigen, die diesem Änderungsantrag zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Meine Damen und Herren, es ist bei der nicht ganz klaren Begrenzung der Gruppen nicht zu vermeiden, daß wir im Hammelsprung auszählen. Um die Angelegenheit klarzustellen: es geht also um den Änderungsantrag, der soeben von Herrn Dr. Hammer begründet worden ist.
Ich glaube, das erstere war die Mehrheit.
Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich stehe auf dem Standpunkt, daß es nicht dem Geist dieses Gesetzes entspricht, wenn man von vornherein irgendeine Gruppe von Schriften auf die Liste setzt, ohne sie geprüft zu haben.
Es geht nicht an, daß man werbende Schriften, die von Verbänden herausgegeben werden, die eine bestimmte Weltanschauung haben oder irgendeiner lebensreformerischen Idee nachgehen, von vornherein dadurch diffamiert, daß man sie ohne Prüfung Schriften, die Jugendliche offensichtlich schwer gefährden, gleichsetzt, wie es hier in § 6 geschehen ist.
Durch die Aufnahme des § 6 Abs. 2 in dieses Gesetz wird weitgehend ein Werturteil gefällt.
Es ist nun etwas zuviel Geräusch! Ich glaube, es wird gut sein, einmal zuzuhören!
Durch die Aufnahme des Abs. 2 in § 6 dieses Gesetzes wird praktisch ein Werturteil über eine ganze Gruppe von Menschen und deren Geistesrichtung gefällt.
Ich stehe auf dem Standpunkt, daß es dem Gesetzgeber nicht ansteht, in einem Gesetz ein derartiges Werturteil zu verankern.
In diesem Gesetz steht in § 7 die Bestimmung, wonach eine periodische Druckschrift, bei der durch den Prüfungsausschuß zweimal innerhalb von 12 Monaten festgestellt worden ist, daß sie sittlich gefährdend für die Jugend ist, in ihrer ganzen Schriftenfolge für ein Jahr verboten werden kann.
Davon kann in diesem Fall wie bei allen anderen
Schriften Gebrauch gemacht werden, wenn der Tatbestand dieses Gesetzes erfüllt wird.
Im übrigen muß ich feststellen, daß die Fassung, wie sie hier vorliegt, nicht gerade sehr korrekt ist. Man sollte auch im Gesetz diese Schriften nicht als Schriften für Nacktkultur, sondern für Freikörperkultur werbend bezeichnen, wie es im Schrifttum üblich ist.
— Wenn Sie lachen, so beweisen Sie dadurch, daß man, wenn man den Ausdruck in dieser Form in das Gesetz aufnimmt, hiermit eine tendenziöse Propaganda betreiben will. Das lehne ich ab; denn ich halte es für unbillig.
Ich bitte also, meinem Antrag auf Streichung des § 6 Abs. 2 zuzustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Heiler.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich glaube, die Behauptung von Frau D r. I 1 k , eine generelle Aufnahme einer bestimmten Gruppe von Schriften in die Liste der verbotenen Schriften sei als eine Diffamierung an sich anzusehen, ist nicht richtig. Wenn wir die Schriften, die für Nacktkultur oder sagen wir ruhig: für Freikörperkultur werben, ohne weiteres in die Liste der für den Vertrieb an Jugendliche verbotenen Schriften aufgenommen haben, dann wissen wir ganz gut, daß zwischen den Schriften, die für Freikörperkultur werben, und den Magazinen oder den Sexualaufklärungsschriften ein Unterschied besteht.
Ich erkenne diesen Unterschied an. Es ist etwas
anderes, ob man Aktserien herausbringt, die im
Atelier mit allen Raffinessen aufgenommen sind,
oder ob man unretuschierte Freilichtaufnahmen bringt. Diesen Unterschied wollen wir ruhig zugeben. Ich gebe auch zu, daß die Anhänger der
Freikörperkultur und ihre Vereinigungen etwas wollen, was in ihren lebensreformerischen Tendenzen als — von ihnen aus gesehen — gut anzuerkennen ist. Aber es ist etwas anderes, ob sie in ihren Kreisen dafür werben oder ob das geschieht, was nämlich in Wirklichkeit mit diesen Schriften geschieht, daß sie in breiter Öffentlichkeit verkauft und an jedermann ausgehändigt werden, der die Tendenz, die diese meist aus einer früheren Jugendbewegung oder sonstigen Bewegung kommenden Leute haben, überhaupt nicht mitmacht. Darum glauben wir, daß es im Hinblick auf die Jugendlichen besser ist, ihnen diese Schriften am Kiosk nicht auszuhändigen oder sie ihnen durch einen Gesellen, der sie dem Lehrling gibt, zugängig zu machen.
Es ist auch zu beachten, daß durch den § 28 Abs. 2 die Möglichkeit vorgesehen ist, daß Eltern ihren Kindern Schriften, die sonst verboten sind, aushändigen können, ohne daß sie den Strafbestimmungen unterstellt werden. Wenn also innerhalb der Familie ein Vater oder eine Mutter es für nötig oder richtig und gut hält, ihre Kinder mit derartigem Schrifttum bekanntzumachen, dann mögen sie es tun. In der Familie wird die Atmosphäre eine andere sein. als wenn diese Schriften am Kiosk verkauft werden. Die Ausbalancierung gerade im Familienkreis wird manche Gefahren, die sonst bestehen, beseitigen. Ich bin aber der Meinung, daß eine generelle Aushändigung etwas Ungesundes und Verkehrtes und Schädliches ist. Das Schamgefühl ist etwas Natürliches. Naturgemäß sind die Zucht und die Schamhaftigkeit und nicht die durch ungehemmte Verbreitung von Nacktkulturschriften wissentlich oder vielleicht meistens unwissentlich geförderte Zuchtlosigkeit. Die Freikörperkultur ist, auf die Breite gesehen und mindestens außerhalb des eigentlichen Kreises der Freunde dieser Bewegung. ein Kampf gegen das natürliche Empfinden. Aber nur bei gesund erhaltenem sittlichem Empfinden kann die echte sexuelle Spannung zwischen den Geschlechtern erhalten bleiben, und allein aus dieser heraus kann sich eine gesunde Erotik bei den jungen Menschen entfalten.
Weil es uns darum zu tun ist, ohne Prüderie und ohne Muckertum
der sexuell-erotischen Entwicklung des jungen Menschen Hemmnisse zu nehmen, der Überhitzung der Phantasie und der Überreizung der Sinne entgegenzutreten, darum wollen wir auch die Zeitschriften der Freikörperkultur mit in die Liste aufgenommen haben. Sie den Jugendlichen wahllos zugänglich zu machen, ist ein Unrecht an den jungen Menschen. Die Schamhaftigkeit wie auch die sexuelle Spannung zwischen den Geschlechtern gehören zu den gottgewollten Geheimnissen der Schöpfung,
und ihre künstliche Verminderung ist unnatürlich. Darum stimmen wir dem § 6 Abs. 2 zu.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann kommen wir zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Änderungsantrag, § 6 Abs. 2 zu streichen. Ich bitte diejenigen, die für diese Streichung sind, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über § 6 in der Ausschußfassung. Ich bitte diejenigen, die dem Paragraphen zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit. Angenommen.
Wir kommen nun zu den §§ 7, — 8, — 9, —10, — 11, — 12, — 13. — Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Paragraphen in der Fassung der Auschußbeschlüsse zustimmen, die Hand zu heben.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Das erste war die Mehrheit. Angenommen.
Ich rufe nun auf die §§ 14, — 15, — 16, — 17, —18,-19,-20,-21,-22,-23,-24,-25,26, — 27, — 28, — 29, — 30, — 31, — 32, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort ist nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Paragraphen und der Einleitung und Überschrift zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe.
— Das erste war die Mehrheit. Angenommen. Damit ist die zweite Beratung beendet.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung
und eröffne zunächst die allgemeine Aussprache. Dazu gebe ich das Wort der Frau Abgeordneten Keilhack zur Begründung des Antrags der Fraktion der SPD Drucksache Nr. 3629. Für die allgemeine Aussprache der dritten Beratung hat der Ältestenrat eine Gesamtredezeit von 60 Minuten vorgesehen. — Ich nehme die Zustimmung des Hauses an.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Fronten der Befürworter und der Gegner dieses Gesetzes sind hier und im Laufe der langen öffentlichen Diskussionen abgesteckt worden. — Meine Fraktion wird gegen das Gesetz stimmen.
Ich glaube, wir haben ausreichende und durchschlagende Gründe für eine solche Haltung. Sie
gestatten, daß ich sie hier noch einmal skizziere.
Dieses Gesetz ist nicht nur unklar und gefährlich in der Anwendung der Bestimmung des § 1 — „Schriften, die Jugendliche sittlich gefährden" —, es ist auch rechtlich unzulänglich. Lassen Sie mich das kurz begründen.
In der Fassung, in der das vorliegende Gesetz das Verbot gewisser Schriften und Abbildungen vornehmen will, gibt es keine klare Abgrenzung. Diese Fassung bietet allen Auslegungsmöglichkeiten freien Raum. Sie droht sogar zu einem kulturpolitischen Kampfmittel zu werden. Wie die Auslegungsmöglichkeiten dieser Begriffsbestimmung sind, darf ich Ihnen einmal an Hand früherer Äußerungen sagen. Erlauben Sie mir bitte, diese zu verlesen. Als vor langer Zeit das erste Gesetz gegen Schmutz und Schund, das durch diese Begriffsbestimmung eine sehr viel größere Einengung der zu erfassenden Schriften festlegte, im Reichstag beraten wurde, hat man vom Katholischen Jugendverband bereits versucht, eine Erweiterung vorzunehmen, die im jetzigen Gesetz Raum gefunden hat und die ich hier anführe, um Ihnen zu zeigen, wie gefährlich eine solche unklare Bestimmung ist und für welche Erweiterungsmöglichkeit sie eine Handhabe bietet. In dem damaligen Antrag hieß es:
Für Schriften, die, ohne der Schund- und Schmutzliteratur anzugehören, geeignet sind, die Jugend in sittlicher Beziehung zu gefährden, gelten folgende Bestimmungen.
Und so weiter. Ich glaube also, daß die jetzige Formulierung eine ganz bewußte Ausweitung ist, die sicher nicht von allen hier gebilligt wird.
In einer Umfrage bei katholischen Geistlichen, Lehrern und Erziehern über die Begrenzung der zu erfassenden Schriften und Abbildungen ist folgendes Urteil ergangen:
Die ästhetische Leistung eines Bühnenregisseurs oder eines Filmregisseurs, der ein beispielsweise den Katholiken heiliges Gut unter dem Gesichtswinkel eines materialistischen Genusses erfaßt, kann diesem rein materialistischen Regisseur Kunst im höchsten Sinne, dem Katholiken Schund und Schmutz sein.
Ich darf dann noch einen Artikel aus einer Zeitschrift des Volkwart-Bundes anführen, in dem gesagt wird:
Jene Form der Toleranz, wie sie z. B. in Lessings Nathan dem Weisen vertreten wird, muß der gläubige Christ zurückweisen, weil sie zu einer Nivellierung und zu einem allgemeinen Relativismus führt.
Ich glaube, damit sind die Gefahren aufgezeichnet, gegen die ich hier nicht polemisieren, jedoch als Fakten, als Tatbestände charakterisieren will. Abgesehen davon sind in § 1 Abs. 2 Ziffern 1 und 2 Formulierungen gefunden, die bei Prüfung alles andere als eindeutig sind. Es heißt z. B., daß „Schriften nicht allein wegen ihres politischen, sozialen, religiösen oder weltanschaulichen Inhalts verboten werden dürfen". Dieses „allein" ist für mein Gefühl eine unerlaubte Begrenzung.
In Ziffer 2 heißt es, daß Schriften nicht in die Liste aufgenommen werden dürfen, „wenn sie der Kunst, der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre diene n". Klarer wäre es gewesen, wenn man geschrieben hätte:
Werke der Kunst, der Wissenschaft, der Forschung und der Lehre dürfen nicht in die Liste hineinkommen.
Ich glaube, meine Herren und Damen, hierhinter steckt keine irrtümliche oder unklare Formulierung, sondern durchaus eine Absicht, die wir aufs schärfste bekämpfen müssen.
Schauen Sie sich weiter die Konstruktion des Gesetzes in rechtlicher Beziehung an. Es sollen dort die Bücher und Schriften, die erfaßt werden, auf Grund des § 1 in eine Liste aufgenommen werden. Diese Liste ist nach diesem Gesetz ganz zweifellos eine verbindliche Rechtsgrundlage für Verleger und Händler. Wenn Sie sich den § 6 dazunehmen, stellen Sie fest, daß hier wiederum eine Abstufung derart vorgenommen worden ist, daß es schwergefährdende Werke gibt, die einer Prüfung gar nicht unterliegen und bei denen selbstverständlich vorausgesetzt wird, daß sie die Beschränkungen der §§ 3 bis 5 erhalten. Welcher Verleger und welcher Händler und auch welche Privatperson — denn diese trifft das Gesetz mit seinen Strafmöglichkeiten genau so — soll wissen, was die Prüfungskommission oder die Spruchstelle unter „schwer gefährdend" versteht.
Außerdem gibt es gegen diesen § 6 keine Einspruchsmöglichkeit bei irgendeiner Rechtsinstanz.
Das sind also ganz unmögliche Dinge. Man halst
hierbei das Risiko und auch die möglicherweise folgende Bestrafung den Verkäufern und den Verlegern von Büchern und Zeitschriften auf.
Auch die in § 5 festgelegten Beschränkungen gehen weit über die Beschränkungen hinaus, die dem erfaßten Kreis, nämlich den Jugendlichen unter 18 Jahren, dienen sollen. Diese Beschränkungen können keinesfalls mit dem Sinn des Art. 5 des Bonner Grundgesetzes in Übereinstimmung gebracht werden.
Der Abs. 2 des § 6, über den Sie eben leider verneinend abgestimmt haben — verneinend im Sinne des Änderungsantrags von Frau Dr. Ilk —, das darf ich hier auch noch einmal betonen, ist eine Sonderbestimmung, die für uns völlig undiskutabel ist und die Ihnen sicherlich noch manche Kommentare in der Öffentlichkeit bringen wird, eine Sonderbestimmung, die nach 1945 sicherlich zum erstenmal erfolgte und gegen eine Schriftengruppe erlassen worden ist, die Sie nicht schlechthin und global als jugendgefährdend kennzeichnen können.
Auch die Einrichtung von 12 Landesprüfstellen und einer Bundesprüfstelle ist eine außerordentlich bedenkliche und dazu noch kostspielige Sache,
die mit den Hilfskräften und dem Apparat, den sie aufbauen werden, im Verhältnis zu der Teilaufgabe, die diese Prüfungskommissionen zu erfüllen haben, ein viel zu großes und viel zu schweres Gewicht bekommen.
Ich darf noch einmal betonen, daß dieses Gesetz nur eine Teilaufgabe im Rahmen der gesamten Jugendpolitik haben kann, die Bekämpfung des schlechten Schrifttums, und es wird viel zu sehr in den Mittelpunkt gerückt, was eines der Randgebiete der Jugendpolitik ist, eines der vielen Probleme der Jugendarbeit in der Bundesrepublik. Ich glaube, eine zustimmende Verabschiedung dieses Gesetzes könnte das Gewissen der Verantwortlichen in Regierung und Verwaltung sogar allzusehr beruhigen, daß genug getan sei.
Wir müssen immer wieder betonen und nicht müde werden, zu sagen, daß im Mittelpunkt der Arbeit für unsere junge Generation steht: die Sicherung der Familie, in der sie lebt und in der sie sich entfalten kann; steht: eine gute Erziehung und eine gute Ausbildung in der Schule; steht: die Schaffung von Arbeitsplätzen, von Lehrstellen, von Heimen für heimatlos gewordene junge Menschen; stehen: a usreichende Freizeitgestaltung und gute Arbeits- und Sozialgesetze. Doch diese Dinge sind hier schon so oft
und bei so vielen verschiedenen Gelegenheiten gesagt worden, daß man annehmen könnte, auch auf diesem Gebiet würden dieser Bundestag und die Regierungskoalition etwas aktiver werden. Man sieht aber: man muß immer wieder darauf hinweisen.
Trotzdem, meine Herren und Damen — das darf ich an dieser Stelle sagen —, verkennen wir nicht, daß eine gewisse Sorte von Unternehmern ihre miserablen Geschäfte und Gewinne auf Kosten der Jugendlichen zu machen versucht, die in einem bestimmten Entwicklungsstadium, begünstigt durch eine unfreie Erziehung und durch die trostlosen Nachkriegsverhältnisse, angereizt werden, die schlechten Machwerke minderwertiger Verfasser
und Verleger zu bekommen. Diesen Leuten soll man allerdings das Handwerk legen, und auch wir sind der Meinung, daß es geschehen muß. Wir glauben aber, daß die §§ 184 und 184 a des Strafgesetzbuches, wie es hier auch schon zum Ausdruck gekommen ist, durchaus ausreichen, wenn sie richtig gehandhabt werden.
Man kann vielleicht nicht voraussetzen, daß Sie alle den Inhalt dieser Paragraphen kennen. Aber sie erfassen alles das, was nötig ist, um den wirklichen Schmutz aus der Öffentlichkeit herauszubringen.
Es heißt in § 184:
Mit Gefängnis bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen feilhält, verkauft, verteilt, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder anschlägt oder sonst verbreitet, sie zum Zwecke der Verbreitung herstellt oder zu demselben Zwecke vorrätig hält, ankündigt oder anpreist.
Ein verstärkter Schutz von Personen unter 16 Jahren ist in § 184 a außerdem noch vfestgelegt. Darüber hinaus gibt es Bestimmungen der Gewerbeordnung und auch der Strafprozeßordnung, die das ermöglichen, was man in dieser Sache heute möglich machen kann und auch muß. Durch entsprechende Richtlinien des Bundesjustizministeriums und auch der Länderjustizminister, vielleicht durch Einrichtung von Zentralstellen auf der Landesebene wird eine durchgreifende Bekämpfung des wirklichen Schmutzes durchaus erreicht werden. Man kann auch daran denken, durch die Einrichtung und Mitarbeit freiwilliger Ausschüsse von Wohlfahrts- und Jugendorganisationen auf örtlicher Ebene und mit Hilfe von Selbstkontrolleinrichtungen der Verleger-, Buchhändler- und Zeitschriftenverbände eine erheblich bessere Arbeit zu erzielen, als sie bisher geleistet worden ist. Sie würde sich dann auf dem Boden der gültigen Rechtsbestimmungen bewegen und nicht zweigleisig durch ein zusätzliches Sondergesetz zu erfolgen brauchen, ein Sondergesetz, das, wie ich glaube bewiesen zu haben, immer die Gefahr eines Mißbrauchs oder die Gefahr von Interessentenentscheidungen in sich trägt.
Meine Herren und Damen, für unsere Haltung sprechen auch die vielen Gutachten von Jugendpsychologen, von Jugendrichtern, von Erziehern und Schriftstellern, die wir im 33. Ausschuß gehört haben und von denen keiner konkret sagen konnte, daß durch die Bücher, die jetzt auf dem Markt sind und die über den „Schmutz" hinaus durch dieses Gesetz erfaßt werden sollen, wirklich augenscheinliche, beweisbare Gefahren entstanden sind. Diese Herren und Damen, die uns die Gutachten abgegeben und Zuschriften zugesandt haben, stehen weltanschaulich in allen Gruppen unseres Volkes. Ich darf sie vielleicht einmal mit den beiden Namen charakterisieren, die Sie alle kennen: Erich Kästner und Stefan Andres. Für unsere Auffassung haben Fachleute gesprochen wie z. B. der Staatsanwalt Schilling, der der Dezernent für unzüchtige Schriften und Abbildungen bei der Staatsanwaltschaft Köln ist und der sich sehr eingehend in der etwa von mir hier vertretenen Weise in langen Ausführungen geäußert hat.
Aber, meine Herren und Damen, ich möchte damit auf das Gebiet kommen, das mit diesem Gesetz angesprochen wird. Es ist doch wohl sehr wichtig, daß wir uns einmal die Situation in der Jugendliteratur vor Augen halten. Sie alle werden bestätigen, daß unsere Kinder einen außergewöhnlich großen Lesehunger haben. Die Kinder- und Jugendbibliotheken haben einen wesentlich schnelleren Verleihumlauf, als sie z. B. die Erwachsenenbüchereien haben. Die Bücher sind dort nach einjährigem Gebrauch schon so zerlesen und so schlecht, daß sie nicht mehr verwendbar sind und wegen des Mangels an Mitteln auch nicht mehr aufgefüllt werden können. Die Schulbibliotheken sind denkbar mager. Kinder- und Jugendheime, öffentliche und private Erziehungsheime müssen sich bei Freunden und Bekannten oder Gönnern ein paar Bücher zusammenbetteln. Jeder von Ihnen, der Heimbesichtigungen mitgemacht hat oder in der Arbeit steht, wird das festgestellt haben. Andererseits sind die guten Jugendbücher heute so teuer, daß die Mehrzahl der Jugendlichen oder ihre Eltern sie nicht kaufen können. Bei den Eltern zu Hause ist das gleiche Bild. In unzähligen Familien, in denen ein ausreichender Bücherschatz vorhanden war, ist kein Buch mehr, weil die Familie ausgebombt oder der Bücherbestand' durch die Flucht vernichtet worden ist.
Meine Herren und Damen, ich frage Sie unter diesen Umständen, ob man mit gutem Gewissen verantworten kann, daß wir hier in dieser Situation nur ein Verbot der billigen und schlechten Lektüre beschließen? Wirkt es in diesem Zeitpunkt dann nicht wie eine Verhöhnung des Lesebedürfnisses unserer Kinder?
Ich frage Sie: Was ist im Verhältnis zur Buchnot unter unseren Kindern nun wirklich praktisch getan? Gibt es z. B. eine gute und billige interessante Kinderzeitung oder -zeitschrift? Gibt es die billigen Bücher, die Kinderlesestuben und die Räume in anderen Biblioheken, in denen sich die jungen Leser einrichten können? Wir wissen, daß die Gemeinden und die Länder Ansätze gemacht haben. Aber es hat durchaus nicht gereicht, und es wird sicher nötig sein, auch ihr Interesse in dieser Richtung erneut anzuregen.
Was hat der Bund, der jetzt dieses Gesetz erlassen will, bisher an Positivem getan? Bis zum dritten Bundesjugendplan — das hat Herr Minister Lehr hier angeschnitten — wurden ausgeschüttet über die Beträge an die Jugendorganisationen hinaus — die natürlich nur im Rahmen dieser Organisationen verwendet wurden — für Jugendbuchvertriebe 400 000 DM und an Buchspenden für Jugendwohnheime 100 000 DM; das in drei Jahren, meine Herren und Damen! Die Wirkung dieser Unterstützungen ist wirklich nicht weit über die Angehörigen unserer Jugendverbände hinausgegangen.
Deshalb beantragt meine Fraktion heute, daß der Bundestag für den Haushaltsplan 1952 folgende Beträge für den Zweck der Förderung des Jugendschrifttums einsetzt: 50 000 DM für die Aussetzung von Prämien an Verfasser von zwanzig wertvollen Jugendbüchern, 500 000 DM als Ausfallbürgschaft für Verlage, die sich bemühen, wertvolle Bücher für Kinder und Jugendliche zu möglichst niedrigen Preisen herauszubringen, und 500 000 DM mit der Zweckbestimmung, für diesen Betrag zusätzlich wertvolle Bücher zu erwerben, die an
Schulen und Jugendbüchereien zu spenden sind. Diese Maßnahmen sind organisatorisch im Rahmen des Bundesjugendplans durchzuführen; die Gelder dafür sollen aber als zusätzliche Mittel ausgeworfen werden.
Wir erwarten vom Bundestag die Annahme dieses Antrags, damit ganz deutlich wird, daß die Abgeordneten dieses Hauses wissen, daß Verbote kein oder nur ein außerordentlich schlechter Ersatz für die echte Leistung auf diesem Sektor unserer Jugendarbeit sind. Wenn wir den Kampf gegen das jugendgefährdende Schrifttum zuerst so beginnen, wie es durch unseren Antrag ausgedrückt wird, und durch eine große Buchspende des Bundestags an unsere Jugendbüchereien proklamieren, dann werden wir auch im Gefolge dieses Beispiels die Länder und Gemeinden erneut auffordern können, sich unseren Maßnahmen anzuschließen.
Wir möchten weiter durch die Herausgabe von Prämien und durch die Ausfallbürgschaften unsere Dichter und unsere Verleger anrufen, sich der wichtigen und schönen Aufgabe anzunehmen, unseren Kindern das zu geben, was zu ihrer seelischen und geistigen Entwicklung unbedingt nötig ist. Heute ist es leider so, daß es Jugendbuchschriftsteller deshalb so wenig gibt, weil die Manuskripte den Verlegern zu teuer sind und von ihnen nicht angekauft werden bzw. weil die dann auch zu teuren Kinderbücher einen zu geringen Absatz haben.
Ich glaube, daß die kulturpolitisch gefährlichen Auswirkungen des vorliegenden Gesetzes über den Vertrieb jugendgefährdender Schriften und die rechtlichen Schwierigkeiten, die es in sich trägt — ich erinnere daran, daß auch kein Wiederaufnahmeverfahren vorgesehen ist —, Grund genug geben, dieses Gesetz abzulehnen und sich zu entschließen, zunächst einmal das zu tun, was jetzt möglich ist: eine bessere Handhabe der bestehenden Paragraphen, und erst einmal positive Maßnahmen zu versuchen, um unsere Jugend aus der Gefahr der geistigen Verarmung und Verflachung herauszureißen. Das ist die einzige Möglichkeit, einmal nicht an Symptomen zu kurieren, sondern den Ursachen dieses Notstandes entgegenzuwirken. Ich beantrage, daß unser Antrag Drucksache Nr. 3629 an den Haushaltsausschuß geht.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Strohbach.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es besteht kein Zweifel darüber, daß es dringend erforderlich ist, Maßnahmen zu ergreifen, die unsere heranwachsende Jugend vor Schund und Schmutz bewahren, wobei unter diesen Begriff auch die Veröffentlichungen gehören, die der Herr Innenminister Lehr so geflissentlich verschwiegen hat: die Verherrlichung der alten Nazigrößen und ihrer Kriegsverbrechen
und die immer offener betriebene Völker- und Rassenhetze. Das vorliegende Gesetz enthält zwar eine Reihe von Vorschriften und Verboten, aber jeder weiß, daß damit nicht verhindert werden wird, daß es unter den gegenwärtigen Verhältnissen den erwähnten Schund und Schmutz in der vielfältigsten Form geben wird. Ich bin sogar der Meinung, daß es sehr einflußreiche Kreise gibt, die diese Art Jugendliteratur besonders fördern und verbreiten.
Das Gesetz wird also für eine wirkliche Bekämpfung der Jugendgefährdung unwirksam bleiben. Andererseits birgt es aber die Gefahr in sich, daß diejenigen, die es im Auftrag der AdenauerRegierung handhaben werden, damit politischen Mißbrauch treiben, indem sie politisch unliebsame Druckerzeugnisse unter dem Vorwand, sie seien jugendgefährdend, beschlagnahmen und verbieten. Angesichts der ganzen übrigen Politik auf den einschlägigen Gebieten besteht sogar der begründete Verdacht, daß es eine sehr wesentliche Aufgabe dieses Gesetzes sein soll, auf diesem Weg alles von der Jugend fernzuhalten, was sie in ihrem Abwehrwillen gegen die Pläne des Herrn Blank und seiner Auftraggeber bestärkt,
während andererseits die kriegsverherrlichenden Schriften ungehindert ihr verderbliches Werk unter der Jugend tun können.
Die Gefährdung unserer Jugend besteht aber leider gar nicht ausschließlich in den üblen Druckerzeugnissen, die ganz Westdeutschland mit ihrer Schlammflut bedecken. Eine mindestens ebenso verheerende Wirkung in dieser Richtung haben die Filme, und hier in erster Linie die amerikanischen Kitsch- und Wildwestfilme, die in dem vorliegenden Gesetz überhaupt nicht erwähnt werden. Dazu kommen solche Auswüchse, wie sie heute zum Beispiel in den „Stuttgarter Nachrichten" geschildert werden. Diese Zeitung berichtet davon, daß auf der Berliner Industrieausstellung eine deutsche Schauspielerin täglich eine Entkleidungsszene vor allem Publikum aufführe, urn damit die Besucher an den betreffenden Stand zu locken. Auftraggeber für diese unmögliche Art von Reklame ist bezeichnenderweise das amerikanische Außenministerium und das Amt für gegenseitige Sicherheit.
Meine Herren und Damen, das sind die Quellen,
denen aus die deutsche Jugend systematisch verseucht werden soll, wobei ich zum Lob dieser Jugend sagen muß, daß sie dieser bewußten Verseuchung zu einem guten Teil erfolgreichen Widerstand entgegensetzt. Unsere Aufgabe muß es sein, die Jugend in ihrem Widerstand gegen die Überfremdung der deutschen Kultur mit amerikanischem Kitsch und Schund zu unterstützen. Das kann nicht geschehen durch ein Gesetz, das völlig in der Verneinung bleibt und nichts als Vorschriften und Verbote enthält. Wenn man hier wirklich helfen will und das Gesetz nicht nur ein Aushängeschild für die Öffentlichkeit sein soll, dann muß man ausreichende Mittel bereitstellen, um die Verleger instand zu setzen, gute fortschrittliche Jugendliteratur zu angemessenen Preisen herauszubringen, nach der die Jugend aus eigenem Interesse greift.
Es ist allgemein anerkannt, daß es in der Deutschen Demokratischen Republik das Problem, mit dem wir uns heute hier zu beschäftigen haben, nicht gibt. Dort finden Sie keine Zeitungskioske mit solch üblen Veröffentlichungen, wie sie hier bei uns üblich sind.
Ich schlage Ihnen vor, lassen Sie uns Maßnahmen beschließen, die es ermöglichen, daß die vorbildliche Jugendliteratur aus der Deutschen Demokratischen Republik
in Westdeutschland eingeführt und verkauft werden kann. Dann werden wir mehr für unsere Jugend getan haben als mit dem vorliegenden Gesetz.
— Sie müssen sich mal etwas anderes überlegen!
Das Wort hat der Abgeordnete Kemmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus dem ausführlichen Bericht, den Frau Kollegin Niggemeyer gegeben hat, geht hervor, daß es sich der Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs wirklich nicht leicht gemacht hat. Er hat es sich auch bei der Abstimmung über den Entwurf in der Ihnen vorliegenden Form nicht leicht gemacht. Wie aber draußen, so sind auch im Ausschuß und in diesem Hause die Meinungen geteilt. Ich glaube aber mit Bestimmtheit sagen zu können, daß der weitaus überwiegende Teil der vernünftigen Menschen in unserem Volk seit langem nach einem Schutz der Jugend vor den immer häufiger und frecher werdenden jugendgefährdenden Schriften aller Schattierungen ruft. Auch viele Anhänger und Wähler d e r Parteien, die im Ausschuß dagegen gestimmt haben oder nachher bei der Abstimmung vielleicht dagegen stimmen werden, rufen nach diesem Gesetz und verlangen, daß endlich eine Bereinigung dieser giftigen Atmosphäre vorgenommen wird.
- Woher ich das weiß? Das geht aus den vielen Resolutionen aus Hamburg, aus Württemberg und all den Eingaben von Leuten aller Konfessionen, aller Schichten und Stände und aller Parteien hervor.
— Das können Sie schriftlich sehen! Der widerliche Zustand, den heute das Straßenbild in aufdringlicher Form durch Kioske und Schaufenster als kulturelle Visitenkarte bietet, ist zum öffentlichen Ärgernis, insbesondere für die Jugend, geworden.
Es ist bei der Kürze der Redezeit nicht möglich, auf alle Argumente für und gegen dieses Gesetz einzugehen. Ich will mich daher auf einige wesentliche Punkte beschränken.
Die Gegner dieses Gesetzes suchen die Wirkung dieser Schriften auf die Jugend zu bagatellisieren. Aber eigentlich müßten uns schon die Zahlen der verschiedenen Schriftenreihen erschrecken. Lassen Sie mich nur einige Ziffern aus einer neueren Statistik von dem auch von Ihnen, Frau Keilhack, erwähnten Kölner Staatsanwalt Schilling von der Mitte des vorigen Jahres zitieren. Zu dieser Zeit existierten 73 sogenannte Verlage, von denen inzwischen ein Teil eingegangen und andere dazugekommen sein mögen, die zumindest für die Jugend fragwürdige, ungeeignete und gefährdende Schriften herausgeben.
Die etwa 50 Verlagsobjekte verteilen sich auf 9 Magazine, 7 Aktbildsammlungen, 15 Sittenromanreihen, 4 sogenannte Witzblätter, 7 FFK-Zeitschriften, 4 sexualreformerische und 4 sexualpathologische Zeitschriften. Zu diesem vorwiegend ero-
tisch-sexuellen Schrifttum kommt noch eine Flut von Wildwest- und Kriminalromanserien; dazu kommen aber auch noch — das beruht auf einer ganz neuen Statistik — 145 Versandgeschäfte, die in Reklamesendungen für die eben angeführten Schriften und darüber hinaus für Sexual-Stimulantien und ähnliche Erzeugnisse werben. Wenn man aber nun noch erfährt, wer die Inhaber dieser sogenannten Verlage und die Autoren sind, dann muß man sagen: es ist geradezu unbegreiflich, wie sich seriöse Autoren, Verleger und Buchhändler durch ihren Kampf gegen das Gesetz mit diesen Leuten beinahe solidarisch erklären können.
Wer nur einmal einige Kilo dieser Massenproduktion gelesen hat, dem kann einerseits schlecht werden ob soviel Geschmacklosigkeit und schlecht erfundener Geschichten, der erschrickt aber andererseits, wenn er an die Auswirkungen denkt, über soviel Rohheit, Verbrechen und Schamlosigkeit, die von dieser Art Literatur in grellen Farben vor der Jugend ausgewalzt werden.
Man darf das, meine Damen und Herren, in der Auswirkung auf die Jugend — von den Erwachsenen wollen wir hier lieber nicht reden — wirklich nicht bagatellisieren und auch nicht dem Argument, mit dem Frau Keilhack operiert hat, zum Opfer fallen, daß die vorhandenen Möglichkeiten des § 184 des Strafgesetzbuches genügten. Wenn dieser Paragraph genügte, um den Staatsanwälten und Richtern die Möglichkeit zum Eingreifen zu geben, hätten wir heute nicht den oben geschilderten Zustand.
,) Im übrigen — das ist unsere feste Überzeugung — sind die Prüfstellen ein viel besserer Schutz für eine möglichst objektive Beurteilung, als wenn der einzelne Richter zu entscheiden hat, was jugendgefährdend ist.
Die Strafgesetzbestimmungen des § 184 sind nicht nach pädagogischen und jugenderzieherischen Grundsätzen entstanden. Die seelische Verfassung des Jugendlichen wird in diesen Bestimmungen überhaupt nicht berücksichtigt. Was auf den reifen Menschen ohne gefährdende Wirkung bleiben kann, gehört nicht immer auch schon in die Hand des Jugendlichen. Es ist ein Unterschied, ob ein junger Mensch oder ein reifer Erwachsener ein Aktbildheft oder einen Sittenroman zur Hand nimmt. Die ungeklärte und sehr labile Einbildungskraft des Jugendlichen empfängt hier zweifellos Eindrücke und Reize, die nur verwirrend auf ihn wirken. Der Jugendliche mit seinen ungelösten und nicht bewältigten seelischen und körperlichen Spannungen gerät durch die Lektüre dieser Schriften in eine Situation, die für seine seelische Entwicklung eine große Gefahr darstellt. Die heutigen Sexualaufklärungsschriften, Magazine und Aktbild-hefte bieten ihm bestimmte Reize an, die zu überwinden ihm größte Schwierigkeit bereiten muß.
Wir wollen aber mit dem Gesetz gar nicht einseitig und auch nicht einmal in erster Linie das erotisch-sexuelle Schrifttum treffen. Das geht aus dem § 1 ganz eindeutig hervor. Von den Wildwestheften und Kriminalreißern, die in unerhörten Auflagen mit verlockenden Titeln und Titelbildern werben, geht ebenfalls eine weitere zersetzende Wirkung auf die geistige Entwicklung aus, und diese Schriften kann man überhaupt nicht mit dem
§ 184 treffen. Bei zahlreichen Verbrechen, die in den letzten Jahren von Jugendlichen begangen wurden — ich muß hier im Gegensatz zu Frau Keilhack sagen, daß die Jugendpsychologen und Jugendrichter das fast einhellig bestätigen —, konnte wirklich nachgewiesen werden, daß durch die Lektüre solcher Schriften zumindest eine Tatstimmung und eine Tatbereitschaft erzeugt oder gefördert wurde.
Ich weiß, man wirft hier ein, daß doch nur ein kleiner Prozentsatz von Jugendlichen auf Grund solcher Lektüre kriminell wird und auch Milieu und Situationsbedingtheit sowie vorhandene Anlagen eine entscheidende Rolle dabei spielen. Wir müssen ohne weiteres zugeben: die Jugend von heute ist nicht schlechter als die Jugend früherer Tage; sie hat nur mit viel mehr inneren und äußeren Schwierigkeiten zu kämpfen als früher, Schwierigkeiten — das darf man aber dazusagen —, die vielfach aus der Verantwortungslosigkeit der Erwachsenen kommen.
Die Jugendkriminalität ist in einem erschreckenden Maße gestiegen. Aber wir sind auch der Meinung, daß man, selbst wenn es sich nur um einen kleinen Prozentsatz handeln würde, auch um die, ser jungen Menschen willen etwas tun muß.
Es ist für uns aber gar nicht entscheidend, ob und wie viele nun ausgesprochen kriminell werden. Die vielfache Zerstörung der seelischen, geistigen und auch religiösen Werte ist doch eine ebenso traurige Folge und oft die Ursache eines verpfuschten Lebens.
Die Gegner des Gesetzes haben Angst, das Grundrecht der Pressefreiheit würde verletzt, und eine Zensur würde eingeführt. Man darf aber bei diesem Einwand nicht immer nur den Absatz 1 des Artikels 5 des Grundgesetzes zitieren, sondern man muß den Absatz 2 dazulesen. Dieser Absatz ist hier entscheidend; denn es heißt darin: Diese Rechte finden ihre Schranken in den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend. Und darum handelt es sich hier.
Niemand denkt daran, die Pressefreiheit einzuengen oder eine Zensur einzuführen. Aber es gibt keine Freiheit ohne Bindung, und es ist geradezu ein schlechter Scherz, daß diejenigen, die die Freiheit mißbrauchen, auf einmal am lautesten nach der Demokratie und ihren Grundrechten schreien, weil es um ihre schmutzigen Geschäfte geht.
Es fällt doch keinem vernünftigen Menschen ein, zu sagen, seine Freiheit sei beeinträchtigt, weil er viele Medikamente, die starke Gifte enthalten, nicht an jedem Obststand und in jedem Milchladen kaufen kann, ja, nicht einmal in der Apotheke ohne Rezept, und hier gilt das sogar auch für die Erwachsenen. Und wenn in diesem Haus ein Gesetzentwurf über die Verwendung von Giften zur Schädlingsbekämpfung vorgelegt wird, dann ist es doch selbstverständlich, daß gesetzlich festgelegt wird, wie diese Mittel angewendet werden dürfen, damit andere Pflanzen oder Tiere dabei nicht zugrunde gehen. Wenn das in diesen Bereichen schon so ist und vernünftigerweise nicht als
Einengung der Freiheit empfunden wird, dann sind wir der Meinung, weil wir die Erzeugnisse, gegen die sich das vorliegende Gesetz richtet, allerdings für Gift, für schlimmes Gift in der Jugend halten, daß man sie erst recht davor schützen muß; denn die geistige und sittliche Ordnung muß doch höher stehen.
Es läßt sich nicht vermeiden, wenn das Gesetz wirksam sein soll, daß Schriften, die in die Liste aufgenommen sind, in Kiosken, im Straßenverkauf oder von Haus zu Haus nicht mehr verbreitet werden dürfen. Wenn nun die Erwachsenen ein solches Heft oder Buch nicht mehr an jedem Kiosk kaufen können, sondern in der Buchhandlung danach fragen müssen, statt es im Vorbeigehen unauffällig mitzunehmen, oder wenn die Verleger nun auch einmal ein Buch, das für die Jugend nichts taugt, aber für Erwachsene durchaus gut sein kann, nicht mehr an den Kiosken, sondern nur mehr im Buchladen absetzen können, so sind das meines Erachtens doch sehr kleine Opfer, die im Interesse der Jugend einfach gebracht werden müssen.
Ich muß in diesem Zusammenhang ein Wort an die Autoren, Verleger und Buchhändler richten, an die guten, und das sind Gott sei Dank die meisten. Dieses Gesetz enthält in keinem Punkt Möglichkeiten — der Herr Minister hat vorhin bereits darauf hingewiesen —, die ihre Rechte beeinträchtigen könnten. Alle Beschlüsse der Prüfstellen können nur mit Zweidrittelmehrheit gefaßt werden. Die Prüfstellen haben einen beamteten Vorsitzenden und acht Mitglieder, davon vier aus den Kreisen der Kunst, der Literatur, der Verleger und des Buchhandels. Es kann also gar kein Beschluß zustande kommen, ohne daß Vertreter dieser Gruppen mit dafür stimmen. Das gleiche gilt für die einstweilige Verfügung. Auch diese muß von drei Mitgliedern einstimmig beschlossen werden, wovon wieder einer aus den oben erwähnten Gruppen sein muß. Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung den Autoren, Verlegern und Buchhändlern ein großes Vertrauen entgegengebracht, ihnen aber auch eine große Verantwortung auferlegt. Wir haben hier eine echte, im Gesetz verankerte Selbstkontrolle. Verleger, Autoren und Buchhändler haben es in der Hand, durch Verbreitung guter Bücher, durch Zusammenarbeit mit den Behörden, mit den Jugendverbänden und ihren Buchvertrieben, vor allem aber auch durch Ablehnung aller schlüpfrigen und zerstörenden Literatur dieses Gesetz bald überflüssig zu machen.
Nun noch ein ernstes Wort, das uns allen gilt. Die Frau Kollegin St r o h b a c h hat hier über den Sittenverfall im Westen geklagt und uns triumphierend berichtet, daß es im Osten keinen Schmutz und Schund gibt. Nun, Frau Strohbach, Sie haben natürlich in der Diktatur wirksamere Mittel als wir mit unseren Prüfstellen. Sie wenden sich allerdings auch nicht nur gegen jugendgefährdende Schriften, sondern gegen alles und jedes und gegen jede Presse, die nicht im Sinne der SED ist, so daß ohne Zensur bei Ihnen j a überhaupt nichts erscheinen kann. Kommen Sie also doch nicht hier herauf, um ein Klagelied über die angebliche Einschränkung der Pressefreiheit bei uns anzustimmen. Aber eines, meine Damen und Herren, ist sicher: ich glaube, wir müssen uns alle schämen, wenn unsere Brüder und Schwestern
aus dem Osten zu uns kommen und sehen, was wir im Westen mit unserer Freiheit anfangen.
Auch das bildet ja laufend ein Argument und einen Propagandaschlager im Kalten Krieg der SED.
Lassen Sie mich noch zu einem Einwand gegen das Gesetz Stellung nehmen. Es wird gesagt — Frau Keilhack hat sehr lange darüber geredet —, man solle die schlechte Literatur durch positive Maßnahmen, also durch Förderung guter Schriften, beseitigen. Es ist uns genau so klar, daß es mit Verboten allein nicht getan wäre. Aber man kann auch mit positiven Maßnahmen allein den Schmutz nicht beseitigen. Hier gilt, das eine tun und das andere nicht lassen. Es ist auch nicht so — und das wäre ein schlechtes Zeichen für unsere Autoren und Verleger —, daß es keine guten Jugendbücher gibt. Im letzten Jahr sind allein 2500 auf den Markt gekommen, darunter Kinderbücher, Experimentierbücher, naturwissenschaftliche und für die Jugend geeignete technische Bücher. Natürlich sind davon nicht alle gut. Immerhin sind aus der Produktion seit 1945 zur Zeit 1200 gute Jugendbücher griffbereit. Dabei ist es allerdings so — und leider so! —, daß diese Bücher viel zu teuer sind, weil die Auflage relativ klein ist. Aber auch hier — Sie haben das vom Herrn Minister vorhin gehört — sind neue Bestrebungen im Gange und ist einiges geschehen. Einige Verleger bringen jetzt von sich aus gute Jugendbücher in der Art der RowohltBücher zum Preise von etwa 2 DM heraus, was natürlich auch nur möglich ist bei einer Mindestauflage von 25 000. Jedenfalls laufen zur Zeit Besprechungen und Verhandlungen, und ich glaube, wir werden auch die erforderlichen Mittel bekommen, um das einzusetzen, was im Antrag der SPD, der im übrigen in manchen Punkten sehr problematisch ist und den wir seinem Inhalt nach im Jugendfürsorgeausschuß zu behandeln wünschen, gefordert wird, die Mittel, die notwendig sind, um auch auf diesem Gebiet wieder ein Stück voranzukommen.
Das gleiche gilt für die sozialen Schwierigkeiten. Das Wohnungselend und die Berufsnot der Jugend haben von Anfang an unsere besondere Aufmerksamkeit gefunden, und, das wissen Sie doch, Frau Kollegin Keilhack, wir haben viele Notstände beseitigt und werden stets bemüht sein, der Jugend zu Beruf und menschenwürdiger Wohnung zu verhelfen. Wir brauchen uns der positiven Maßnahmen auch auf diesem Gebiet in keiner Weise zu schämen, wenngleich wir wissen, daß hier noch viel geschehen muß.
Ich will im einzelnen zu dem Antrag der SPD nicht mehr Stellung nehmen, sondern zum Schluß nur noch folgendes sagen: Das Gesetz gegen jugendgefährdende Schriften u n d positive Maßnahmen, das zusammen wird es uns ermöglichen, den derzeitigen Zustand zu beseitigen. Befürworter und Gegner dieses Gesetzes wollen beide, daß die Gefahren des jugendgefährdenden Schrifttums soweit als möglich beseitigt werden; nur über den Weg bestehen Meinungsverschiedenheiten, wobei die Gegner uns allerdings bis zur Stunde noch keinen besseren, brauchbaren Vorschlag machen konnten; denn nicht ein einziger Einwand von denen, die gekommen sind, stellt eine echte Alternative dar.
Eines aber sollten wir nicht tun: uns gegenseitig Motive unterstellen, die nicht vorhanden sind. Nichts ist leichter — das gilt nicht nur für dieses
Haus, sondern das gilt vor allem für die Diskussion draußen in der Öffentlichkeit —, als hier mit billiger Polemik, mit Hohn und Spott die zu überschütten, die in echter Sorge um die deutsche Jugend zur Zeit einen anderen Weg als den des Gesetzes nicht sehen.
Ich muß dankbar anerkennen, daß im Ausschuß
der Boden der Sachlichkeit bei den vielen Sitzungen nicht ein einziges Mal verlassen wurde, wenngleich wir leider nicht zu einem gemeinsamen Beschluß über die Methoden gekommen sind. Aber
ich habe den Eindruck, daß diejenigen von Ihnen,
die die Jugendnot und die Jugendgefährdung kennen und trotzdem gegen das Gesetz stimmen, selbst
unglücklich wären, wenn das Gesetz fallen würde.
Wir wollen ohne jede Prüderie und ohne jedes Muckertum eine saubere, gesunde und quicklebendige Jugend, der alles offenstehen soll, was schön und gut ist, von der aber auch ferngehalten werden muß, was ihr schadet. Darum fördern wir alle positiven Maßnahmen, darum geben wir dem Gesetz unsere Zustimmung; und weil wir es für so wichtig halten, beantragen wir für die Schlußabstimmung namentliche Abstimmung.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Gaul.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer diesem Gesetz die Zustimmung gibt, tut es aus Gründen guter Überzeugung, und wer es ablehnt, tut es für mich auch aus Gründen guter Überzeugung. Und damit ich es nicht vergesse: Herr Kollege Kemmer , ich hörte bei Ihren Ausführungen einen Satz, der mir nicht gefallen hat. Sie sagten dem Sinne nach ungefähr: wer dieses Gesetz ablehnt, stellt sich auf die Seite derer, die diese Kriminalromane verfassen.
— Anscheinend ist es ein Mißverständnis.
Meine Damen und Herren, in den letzten Wochen ist in der Öffentlichkeit in zahlreichen Versammlungen, Jugendwochen und -foren aus Anlaß der Häufung von Verbrechen, begangen von jungen Menschen. an der gefährlichen, jugendvergiftenden Literatur berechtigte und heftige Kritik geübt, und verstärkter Schutz für die Jugend gegen unzüchtige und untergeistige Schriften gefordert worden.
In solchen Versammlungen ist, sobald von diesem Gesetzentwurf gesprochen wurde, insbesondere von Müttern gesagt worden: „Warum fangt ihr erst auf der vorgerückten Stufe an, diese Schriften zu fassen, nämlich auf der Stufe des Vertriebs? Wenn ihr auf solche Schriften aufmerksam werdet und holt sie in die Prüfstellen und setzt sie auf die Listen, dann sind wahrscheinlich schon eine ganze Menge in der Öffentlichkeit und in den Händen der Jugendlichen!"
- Darin liegt, Herr Kollege Kemmer, die schwache Stelle des Gesetzes!
Ich habe vor einiger Zeit bei der Diskussion um dieses Gesetz einen sehr lesenswerten Aufsatz von dem Herrn Oberstaatsanwalt Schilling aus Bonn gelesen. Dieser legt auch die Hand auf die schwache Stelle und bringt dafür einen nach meiner Meinung passenden Vergleich. Er sagt: Wenn das Rohr einer Wasserleitung geplatzt ist, dann muß man das eingedrungene Wasser herausschöpfen. Aber das reicht nicht; das ist zuwenig. Man muß an den Haupthahn und muß diesen Haupthahn abdrehen!
— Hier ist der „Haupthahn", Herr Kollege von Brentano,
daß man den Verfasser und den Hersteller trifft!
— Gleich, gleich! — Ich werde so oft draußen in der Öffentlichkeit, wenn über dieses Gesetz gesprochen wird, gefragt: „Warum macht ihr euch nicht die Mühe und sorgt dafür, daß diejenigen, die das schreiben und verlegen, gefaßt werden? Dann brauchten wir uns weniger um den Vertrieb zu kümmern!"
Nun ist auch von Herrn Kollegen Kemmer gesagt worden, es sei keine Alternative gestellt. Hier komme ich auf § 184 und § 184 a des Strafgesetzbuches. In § 184 sind Strafbestimmungen gegen denjenigen aufgeführt, der unzüchtige Schriften verbreitet oder sie herstellt, um sie zu verbreiten. Hier ist die Stelle, um den zu fassen, der unzüchtige Schriften verfaßt. Und mit § 184 a wird der getroffen, der solche Schriften herstellt und vertreibt, die das Schamgefühl verletzen. Man brauchte also nur in diesen Paragraphen — in den ersten oder zweiten Paragraphen, wo Sie es einfügen wollen — hinzuzusetzen: .,Schriften, die geeignet sind, auf die Jugend in verbrecherischer Weise einzuwirken oder verbrecherische Neigungen zu fördern". Es wäre doch möglich. diesen Zusatz in § 184 aufzunehmen, und dann könnte man an Hersteller und Verleger heran. Ich bin überzeugt, daß man dann die Verlagsfirmen — auch die seriösen, von denen der Herr Minister gesprochen hat — schützen würde.
Wenn § 5 Abs. 2 so, wie er hier steht, bleibt — und er bleibt jedenfalls —, dann werden Sie wahrscheinlich auch eine ganze Menge Schriften bei den Verlagsfirmen entweder unter die Theke zwingen, oder aber sie werden hier verschwinden und in das Winkelverlegertum fliehen. Dann werden sie dort teurer und gehen noch mehr ab, weil ja gerade dieses Zeug gedruckt wird, weil es gelesen wird.
Meine Damen und Herren, wir sollten diese beiden Paragraphen erweitern. Wenn es dann noch nicht reicht, könnte man die einschlägigen Bestimmungen in der Gewerbeordnung ändern oder ergänzen. Man könnte z. B. auch die Werbung in § 43 a noch hierunter fassen. Oder man könnte die Kioske einbeziehen und auch den Versandhandel durch besondere Bestimmungen treffen. Es wäre auch zu überlegen, ob man einen neuen Paragraphen in die Gewerbeordnung aufnehmen soll. der die fachliche Eignung und die persönliche Zuverlässigkeit fordert, mindestens den Nachweis darüber.
Das wären all die gesetzlichen Maßnahmen, die zu ergreifen wären. Über die positive Seite ist schon gesprochen worden.
Im Jahre 1926 hatten wir ein Gesetz gegen Schund und Schmutz. Wer es aus der damaligen Zeit noch In Erinnerung hat, weiß, daß dieses Gesetz nicht viel Erfolg gehabt hat. Wir haben nachgerechnet, daß damals, um ein einziges Buch auf den Index zu setzen, etwa 4000 Mark Kosten erwachsen sind. Dafür konnte man 20 000 gute Reclam-Bändchen anschaffen. Ich fürchte — und teile auch da die Meinung des Herrn Ministers nicht —, daß dieses Gesetz nicht rascher wirkt, als wenn die §§ 184 und 184 a erweitert würden. Es sind zwölf Landesprüfstellen und eine dreizehnte Bundesprüfstelle vorgesehen. Ich glaube, daß der Apparat zu umständlich ist und wahrscheinlich auch zu teuer werden wird.
Meine Fraktion hat sich sehr lange mit diesem Gesetz befaßt, und die Meinungen sind bei uns geteilt. Manche Kollegen sagen: „Das Gesetz hat eine ganze Menge von Schwächen, aber wir stimmen ihm trotzdem zu, weil wir meinen, es könnte einen Druck ausüben und die Zahl dieser gefährlichen Schriften könnte dadurch vermindert werden." Die anderen möchten den Weg der Erweiterung der Strafbestimmungen gehen, weil sie meinen, das genüge.
Dann noch ein Wort zu der positiven Seite. Wir müssen viel mehr Schülerbüchereien, freie Jugendbüchereien und Volksbüchereien einrichten. Vor
allem sollten die Kultusminister, wie sie das bei
dem besonderen Unterricht in der Sozialkunde ge-
tan haben, auch die Erziehung und die Gewöhnung an das gute Buch im Deutschunterricht nachdrücklich fördern und überwachen. Ich glaube, wenn das durchgeführt würde, könnten wir mit den erweiterten Strafbestimmungen und mit dem Positiven unserer Jugend dienen.
Das Schicksal des Gesetzes wird sich in wenigen
Augenblicken entscheiden. Hoffen wir — mag die
Entscheidung so oder so fallen —, daß etwas erreicht wird, was unserer Jugend nützt.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedensburg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es liegt mir als altem Verwaltungspraktiker daran, festzustellen, daß die Hoffnung, die einige der Herren Vorredner auf die Gewerbeordnung und auf das Strafrecht gesetzt haben, sich in der Praxis nicht erfüllt hat.
— Eine jahrzehntelange schmerzliche Erfahrung, Frau Kollegin Keilhack, hat uns doch gezeigt, daß die Bestimmungen nicht ausreichen. Sie haben nicht ausgereicht, um die Zustände zu verhindern, die uns doch heute tatsächlich zum Schandfleck unter den anderen Ländern machen, auch dort nicht, Frau Kollegin Keilhack, wo sozialdemokratische Justizminister und Polizeipräsidenten heute bestimmen. Ich will nicht behaupten, daß es in Hamburg, in Hannover oder in Braunschweig besonders schlimm sei; aber es ist jedenfalls dort in keiner Weise besser als anderswo. Es ist deshalb sinnlos, auf Paragraphen zu rechnen, die sich in langer Erfahrung als nutzlos und sinnlos erwiesen haben.
ich ergreife das Wort aber aus einem anderen Grunde, nämlich um noch etwas zu unterstreichen, was schon Kollege Kemmer angeführt hat. Ich
appelliere an die Gegner dieses Gesetzes, sich einmal klar zu machen, wem sie hierbei Hilfestellung leisten. Die Zustände, gegen die sich unser Gesetz richtet, sind Gegenstand der Propaganda des Ostens gegen unsere Gesellschaftsordnung. Ist den Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei bekannt, daß die FDJ, die kommunistische Freie Deutsche Jugend, mit Westgeld ausgestattet wird, daß von ihren Vorgesetzten einzelne besonders zuverlässige, ausgesuchte junge Leute nach Westberlin geschickt werden, um dort an den Kiosken die Broschüren einzukaufen, die dann in Weimar und in Schwerin verteilt werden, um zu zeigen: So sieht die Freiheit aus, zu der euch die Amerikaner führen wollen!?
Ist ihnen bekannt, daß vorige Weihnachten, Weihnachten 1951 — ja, Herr Kollege, bitte, hören Sie gut zu! , daß dort eine besondere sogenannte „Gesamtdeutsche Tagung der Gemeinschaft zum Schutze der Kinder" stattgefunden hat, deren fast alleiniger Gegenstand die Propaganda gegen diese Zustände an unseren westdeutschen Verkauf s-ständen gewesen ist!?
Ich will Ihnen vorlesen aus dem kommunistischen „Neuen Deutschland". Dort hat der Greifswalder Professor Hanns Schwarz am 22. Dezember 1951 folgendes geschrieben:
Welche Ziele verfolgt nun diese „Gemeinschaft” ja ist neben den vielen bestehenden Organisationen überhaupt nötig, werden manche fragen. Die bisherigen Eindrücke, Erhebungen und Berichte aus den faschistisch-imperialistischen I.,iindern und vor allem aus dem zum Tummelplatz für Kriegsvorbereitungen und Rüstungsfieber ausersehenen Westen unserer deutschen Heimat haben ergeben, daß man diese Gemeinschaft, wäre sie nicht schon da, unbedingt gründen mußte.
. Sehen wir uns doch einmal um, was es dazu zu tun gäbe. Gehen wir an einen Zeitungskiosk in Westdeutschland. Da liegen Tageszeitungen mit hetzerischen Überschriften, hängen die Illustrierten mit Bildern von abgehalfterten Generalen, Mordwerkzeugen und Sexualreizen, werden die Memoiren von Naziheroen, astrologische Kalender und Magazine mit Kriminalsensationen, mit der Anatomie des weiblichen Körpers und lasziven Eindeutigkeiten angeboten. Alles das sehen die Kinder, und sie sind nicht die schlechtesten Kunden. Schlagen wir irgendeins dieser Machwerke auf, so finden wir in schamloser Weise die Wirkungen dieser Literatur im Teufelskreis höllischer Sensationen, ...
und dann wird das im einzelnen ausgeführt. Wenn sich hier die Sprecherin der Kommunistischen Partei gegen das Gesetz ausgesprochen hat, so fürchte ich, tut sie es lediglich deswegen, weil sie Sorge hat, daß ihr diese glänzende Propagandamöglichkeit durch das Gesetz entzogen werden kann.
Ich beneide nicht die Kollegen von anderen Parteien, die der Kommunistischen Partei bei diesen unerfreulichen Bemühungen Hilfestellung leisten wollen!
Das Wort hat der Abgeordnete Ribbeheger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den Beratungen des Fürsorgeausschusses und auch in den heutigen Beratungen der dritten Lesung dieses Gesetzes konnte nicht bestritten werden, daß die Jugend durch Schrift und Bild gefährdet wird. Wenn man erkennt und wenn man weiß, daß Jugend gefährdet wird, hat man die Verpflichtung, etwas zu tun, das erlassen wird, um einer solchen Gefährdung vorzubeugen.
Wir sind nämlich der Meinung, daß dieses Gesetz ein Vorbeugungsgesetz ist, um nicht hinterher heilen zu müssen.
Aus diesem Grund ist dieses Gesetz in vielen langen Beratungen des Ausschusses in der jetzigen Form zustande gebracht worden.
Wir begrüßen außerordentlich, daß in den § 1 dieses Gesetzes neben den Schriften, die die Jugend sittlich gefährden, insbesondere Verbrechen, Krieg und Rassenhaß verherrlichende Schriften mit aufgenommen worden sind. Aber ganz besonders begrüßen wir es, daß dieses Gesetz endlich eine Handhabe dazu bietet, daß die skrupellose und hemmungslose Geschäftemacherei unterbunden wird.
Wir sind der Meinung, daß uns dieses Gesetz in keiner Weise der Verpflichtung enthebt und entheben soll, für die Existenzsicherung der Jugendlichen in der Familie, für die Erziehung in der Schule und für einen Arbeitsplatz zu sorgen. Wir, die wir im Ausschuß an diesem Gesetz mitgearbeitet haben, können am besten bestätigen, in welchem Umfang sich der Ausschuß gerade mit der Not der Arbeits-, Berufs- und Heimatlosen befaßt und beschäftigt hat.
Ich bin nicht der Meinung, wie das eben gesagt worden ist, daß dieses Gesetz eine Verhöhnung des Lesehungers der Kinder sei. Wir sind der Meinung — und da möchte ich auch an den Herrn Bundesinnenminister appellieren —, daß in erweitertem Umfang und in verstärkter Weise mehr für das gute Buch und für die Förderung des guten Jugendbuchs getan werden muß. Wir werden für den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion betreffend Jugendschrifttum stimmen, insofern er dem Haushaltsausschuß und dem Jugendfürsorgeausschuß überwiesen wird.
Wir stimmen diesem Gesetz zu, und zwar stimmt die Föderalistische Union — Zentrum/Bayernpartei — diesem Gesetz deshalb geschlossen zu, weil sie glaubt, so handeln zu müssen in dem Bewußtsein und in der Überzeugung, mit diesem Gesetze der Jugend einen guten Dienst zu erweisen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die sozialdemokratische Fraktion hätte kein Bedürfnis bestanden, noch einmal in diese Diskussion einzugreifen, wenn bei den letzten Rednern nicht Töne aufgeklungen wären, die uns zwingen, hier einmal ein sehr deutliches Wort zu sagen.
Daß man in diesen Fragen verschiedener Meinung sein kann, sollte man mindestens unterstellen.
Man sollte auch nicht den Versuch machen, den Gegnern dieses Gesetzes Motive zu unterschieben, die ihnen — das wissen Sie ganz genau — nicht eigen sind.
Wenn Sie für sich den sittlichen Ernst beanspruchen, der Sie bei dieser Arbeit geleitet hat, und wenn Sie glauben, daß das, was Sie jetzt hier auf dem Wege der Gesetzgebung verwirklichen wollen, im Interese der deutschen Jugend sei, dann müssen Sie, wenn Sie Ihre eigene Haltung und Ihren eigenen Anspruch nicht entwerten wollen, auch den Gegnern dieses Gesetzes denselben sittlichen Ernst zubilligen und darauf verzichten, hier Untertöne anklingen zu lassen, die dann nachher draußen in der Propaganda auf Ihrer Seite sehr viel anders klingen.
Ich sage Ihnen eines: wenn dieses Gesetz draußen Gegenstand der Propaganda werden sollte — Sie können sicher sein, daß wir es nicht tun; aber wir sind auch an einiges von der anderen Seite gewöhnt —, dann werden wir Sie einmal nachdrücklich darauf hinweisen, daß nicht die Kioske und nicht die Winkelverleger allein, sondern die Tatsache zur sittlichen Verwahrlosung weiter Kreise der Jugend beigetragen hat, daß heute in Deutschland Dutzende und aber Dutzende von Menschen in schlechten Wohnungen zusammengepfercht sind, in denen sich vor den Augen der Kinder all das abspielt, was man ihnen eigentlich vorenthalten sollte.
Es gehört auch zur positiven Gegenwirkung, daß man die Mittel bereitstellt, um die Wohnungsnot zu beseitigen.
— Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Sie brauchen sich nicht zu empören.
Wir wissen alle, daß Sie sich genau so um dieses Problem bemühen wie wir. Aber sehen Sie die Dinge bei einer solchen Gelegenheit nicht einseitig, sehen Sie sie in ihrem Zusammenhang und vergessen Sie eines nicht — das muß noch einmal gesagt werden —: Gesetze, die Sie hier beschließen, sind genau so wirkungsvoll, genau so unwirksam, wie es eben schließlich die gesamte soziale Situation in unserem Volke möglich macht. Aber die entscheidende Vorbeugung ist, daß Sie gesunde soziale Verhältnisse schaffen, in denen dieses Unwesen nicht wuchern kann. Wenn Sie das tun, dann brauchen Sie nicht denen, die einen anderen Weg gehen wollen, den Vorwurf zu machen oder ihnen mindestens zu unterstellen, daß sie dabei nicht denselben Dienst an der deutschen Jugend leisten wollen, den Sie für sich beanspruchen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ewers.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es besteht hier auf allen Bänken des Hauses die klare Einsicht in die Verpflich-
tung, die Jugend auch vor sittlichen Gefährdungen zu bewahren. Es handelt sich also nicht um das Kernproblem, sondern um die Frage, ob mit dieser Vorlage, die die Ausschüsse beschäftigt hat, dem Ziel, das wir alle anstreben, richtig und zweckmäßig' gedient wird.
Meine Fraktion ist geteilter Meinung.
Wer von uns zustimmt, stimmt unter Überwindung allerschwerster Bedenken zu. Ich persönlich habe schon in den Ausschüssen, aber auch in Korrespondenzen mit Verlegern erklärt, daß ich unmöglich zustimmen könne. Daher möchte ich die ablehnende oder die Bedenken tragende Haltung meiner Freunde ganz kurz begründen, und zwar zunächst rein rechtlich.
In diesem Gesetz werden die folgenden Kennzeichnungen behandelt, die ich in der Reihenfolge der Höchstgefährdung vortragen will: Es handelt sich um „unzüchtige" Schriften, um „schamlose" Schriften, um „unsittliche" Schriften, um „jugendgefährdende" Schriften, und es handelt sich außerdem noch um die Jugend „offensichtlich sittlich schwer gefährdende" Schriften. Ich sage mir, wenn das gesetzliche Definitionen sein sollen für verschiedene Qualitäten von Schriften, dann möchte ich den Senat eines höchsten Gerichtes sehen, der das für jedermann verständlich in seitenlangen Definitionen endlich klarstellt.
Das ergibt eine unübersehbare Kasuistik, und das wäre schon schlimm genug.
Nun aber kommt dieses umfängliche Verfahren, dessen Umständlichkeit Herr Dr. Hammer schon geschildert hat. Diese Prüfstellen werden von den Landesregierungen berufen. Wir wissen alle, wir haben Landesregierungen solcher und solcher Qualität. Ich kann mir nicht gut vorstellen, daß etwa über diese Begriffe in Niedersachsen dieselbe Auffassung herrschen wird wie in Nordrhein-Westfalen. Ich könnte mir vorstellen, daß das sehr divergieren wird.
Dann aber kommt die Tatsache, daß sich der Gegesetzgeber durch seine eigene Bestimmung davor schützen mußte, daß die Listeneintragung nicht zu einer Reklame benutzt wird.
Das ist eines der Hauptargumente gegen das ganze System. Fassen Sie diese Bestimmung, wie Sie wollen: die Tatsache, daß gewisse minderwertige Subjekte daraus einen Anreiz zum Ankauf machen werden, werden Sie mit keinem Gesetz aus der Welt schaffen.
Denjenigen von meinen Freunden, die mit mir ablehnen, gehen die Bestimmungen des Gesetzes einfach nicht weit genug. Uns wurde im Ausschuß vorgetragen, es gäbe Verlagsfirmen, die sich mit dem Verlagswesen bis vor drei Jahren noch nie befaßt hätten und die jetzt eine Fülle unsittlicher Schriften auf den Markt würfen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es muß ein Leichtes sein, mit einigen klaren Hinweisen zu erklären, unter welchen Umständen solche Verlage endgültig verboten werden können; nur so fassen Sie das Übel an der Wurzel. Dann braucht man nicht mehr zu fragen, ob etwa eine etwas gewagte Darstellung eines Kunstwerks, das den Kenner wegen seiner künstlerischen Reize außerordentlich gefangen nimmt, einen Knaben von 14 Jahren, der es
mit dem feixenden Lächeln eines dummen Jungen betrachtet, gefährdet, sondern dann wird ganz einwandfrei erreicht, daß Schriften, die nur hergestellt und abgesetzt werden können, wenn der Gefährdungszweck erreicht wird, überhaupt nicht mehr hergestellt werden. Das, meine ich, sollte der Kulturhöhe unseres Volkes würdig sein.
Da an diesen Gedanken, den ich schon im Ausschuß aufwarf, im Gesetz überhaupt nicht gedacht ist und auch nicht eine Spur von Verwirklichung steht, bedauert also ein Teil meiner Freunde, nicht zustimmen, der andere nur unter Überwindung schwerster Bedenken zustimmen zu können.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Brentano.
Meine Damen und Herren! Ich war etwas überrascht über die anfänglich scharfe Reaktion des Herrn Kollegen Schoettle.
— Ich spreche hier von den Ausführungen, die meine Fraktionskollegen nicht zu der Kommunistischen Partei, sondern zu den andern Parteien des Hauses gemacht haben.
Ich glaube, daß man sich sachlicher und ruhiger, als es beispielsweise mein Freund Kemmer getan hat, auch nicht mit den Argumenten der Gegenseite auseinandersetzen könnte. Aber, meine Damen und Herren, ich muß wieder einmal feststellen, wenn wir hier unser Ja begründen, dann setzt das implizite voraus, daß wir uns mit dem Nein der Gegenseite auseinandersetzen. Und wenn wir das einmal wagen, dann werden Sie so empfindlich wie die Mimosen.
Ich bin mit dem Herrn Kollegen Schoettle vollkommen einig, wenn er sagt, daß auch andere milieubedingte Einflüsse von uns beseitigt werden müssen, und wir wollen gemeinsam daran arbeiten. Aber ich könnte ihm auch antworten, daß in seinen Ausführungen gewisse Untertöne angeklungen sind, die uns mißfallen. Denn wollten Sie etwa sagen, daß wir daran schuld seien, daß die Wohnungsnot herrscht? Oder haben Sie vergessen, daß es das „Dritte Reich" und die Zerstörungen des Krieges waren?
— Meine Damen und Herren, dem Ermächtigungsgesetz haben auch Leute zugestimmt, die von ihnen zum Ministerpräsidenten gewählt werden.
Meine Damen und Herren, ich stelle noch einmal fest: wenn wir unser Ja zu einem Gesetz sagen, dann haben wir das Recht, das Nein der anderen sachlich, wie es hier geschehen ist, zu kritisieren, und lassen uns dies Recht nicht verküm-
mern. Wir werden uns selbstverständlich für das Ja und das Nein auch vor der deutschen Öffentlichkeit, vor den Müttern und den Vätern verantworten müssen, und wir sind bereit, es zu tun.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die allgemeine Besprechung der dritten 'Beratung. Eine Einzelberatung findet nicht statt, da Änderungsanträge nicht gestellt sind.
Für die Schlußabstimmung ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmzettel einzusammeln.
Meine Damen und Herren, wir können während der Auszählung in den Beratungen fortfahren.
Die Landesgruppe der CSU hat mich gebeten, bekanntzugeben, daß der Abgeordnete Donhauser in die Landesgruppe aufgenommen ist und der Fraktion der CDU/CSU angehört.
Zur heutigen Tagesordnung darf ich folgendes sagen. Mir ist mitgeteilt worden, daß die Fraktion der SPD damit einverstanden ist, daß die Punkte 7 a, b und c, die die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein betreffen, abgesetzt werden. Ich darf unterstellen, daß das Haus ebenfalls damit einverstanden ist, daß Punkt 11 der Tagesordnung betreffend Paßgebühren heute abgesetzt wird.
Darf ich annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist, auch den Punkt 13, betreffend Subventionen für phosphorhaltige Düngemittel, heute abzusetzen?
— Das Haus ist einverstanden.
— Herr Abgeordneter Wellhausen spricht den Wunsch aus, den Punkt 10 abzusetzen.
— Es gibt Stimmen des Hauses, die der Auffassung sind, daß die Dienststrafordnung sehr dringlich sei, so daß es erwünscht sei, diesen Punkt heute zu erledigen.
— Meine Damen und Herren, wir können darüber sehr leicht eine Meinungsäußerung herbeiführen. Ich bitte die Damen und Herren, die wünschen, daß der Punkt 10 der Tagesordnung abgesetzt wird, eine Hand zu erheben. -- Es bedarf keines Hammelsprungs; das ist die Mehrheit.
Der Punkt 10 ist abgesetzt.
Ich rufe auf Punkt 8:
Erste Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, eine Aussprache nicht stattfinden zu lassen. Die Regierung verweist auf die schriftliche Begründung.
Ich schlage Ihnen vor, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen.
— Die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe auf Punkt 12:
Beratung des Ersten Mündlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den Antrag der Fraktion der SPD und den Änderungsantrag der Fraktion der FU (BP-Z) betreffend Preise für Butter und Kartoffeln (Nrn. 3680, 3664 der Drucksachen, Umdruck Nr. 651).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Bauknecht. Ist Herr Abgeordneter Bauknecht anwesend?
— Herr Abgeordneter Dr. Dr. Müller übernimmt die Berichterstattung.
Meine Damen und Herren! In der Sitzung der vergangenen Woche stand der Antrag der SPD zur Debatte, die Zölle für Butter und Kartoffeln zu suspendieren. Der Antrag wurde dem Ausschuß für Ernährung und Landwirtschaft überwiesen. Er hat sich nur mit dem Teil, der sich auf die Kartoffeln bezog, beschäftigen können, weil das die dringendste Frage war.
Der Ausschuß hat sich nach eingehender Beratung auf den Standpunkt gestellt, daß die Zölle grundsätzlich suspendiert werden sollen. Darüber bestand Einmütigkeit. Über den Termin - 31. Dezember oder 31. März — ist dann abgestimmt worden, und die Mehrheit hat sich dafür entschieden, daß die Zölle bis zum 31. Dezember suspendiert werden sollen.
Bei der nachherigen Beratung im Außenhandelsausschuß, dem der Antrag auch überwiesen war, war man sich einstimmig darin einig, daß, wenn im Dezember die Verhältnisse ein Eingreifen erforderlich machen, der weiteren Verlängerung der Suspendierung der Zölle niemand Schwierigkeit machen wird.
Der Ausschuß hat weiter beschlossen, daß die Bundesregierung sich bemühen soll, alles zu tun, um Kartoffeln aus dem Ausland einzuführen und die industrielle Verarbeitung in Brennereien und Stärkefabriken einzuschränken, wobei seitens der Regierung geprüft werden müsse, inwieweit das geschehen kann, ohne neue soziale Schwierigkeiten hervorzurufen. Der Ausschuß hat aber seine Beschlußfassung noch erweitert. Da im süddeutschen Raum die Kartoffelernte sehr schlecht werden wird und die großen Industrieorte in Süddeutschland, vor allem in Bayern, großen Kartoffelbedarf haben, soll mit der Bundesbahnverwaltung verhandelt werden, daß für den Transport von Speisekartoffeln nach Süddeutschland ein besonders ermäßigter Tarif eingesetzt wird. Ferner ist die Bundesregierung ersucht worden, mit den Genossenschaften und Konsumvereinen zu verhandeln, um hier eine engere und weitergehende Zusammenarbeit als bisher herbeizuführen.
Namens des Ausschusses bitte ich Sie, diesen Vorschlägen zuzustimmen.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, von einer Aussprache abzusehen. Das Haus ist damit einverstanden.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Ausschusses Drucksache Nr. 3680 zuzustimmen wün-
schen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; dieser Antrag ist angenommen.
Meine Damen und Herren, ich frage, sind noch Abgeordnete vorhanden, die in der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes über den Vertrieb jugendgefährdender Schriften ihre Stimme abzugeben wünschen. — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Beratung des Entwurfs eines gemeinsamen Antrages des Bundestages, des Bundesrates und der Bundesregierung an das Bundesverfassungsgericht auf Erstattung eines Rechtsgutachtens über die Frage der Zuständigkeit des Bundes zum Erlaß eines Baugesetzes .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, ebenfalls auf eine Aussprache zu verzichten und den Antrag dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen.
— Sind Sie mit einer sofortigen Abstimmung einverstanden?
— Das Haus ist damit einverstanden.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag Drucksache Nr. 366Q zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; ist angenommen.
Wir kommen zu Punkt 15 der Tagesordnung: Beratung der Ubersicht Nr. 57 über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages
über Petitionen .
Ich bitte die Damen und Herren, die den Anträgen der Ausschüsse auf Umdruck Nr. 646 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. —Das ist die Mehrheit; ist angenommen
Zur Tagesordnung der übernächsten Woche muß ich angesichts der Tatsache, daß wir einige Punkte heute nicht erledigt haben, bitten, sich auf eine Beratung an zwei Tagen einzurichten. Der Ältestenrat wird sich morgen darüber noch verständigen.
Ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes über den Vertrieb jugendgefährdender Schriften bekannt. Es sind 305 gültige Stimmen und 17 Berliner Stimmen abgegeben worden. Mit .Ta haben gestimmt 165 Abgeordnete, mit Nein 133 Abgeordnete, bei 7 Enthaltungen. Von den Berliner Abgeordneten haben mit Ja 6, mit Nein 11 gestimmt. Damit ist das Gesetz in der Schlußabstimmung angenommen.
Meine Damen und Herren, im übrigen steht noch der Antrag der Fraktion der SPD betreffend Jugendschrifttum — Drucksache Nr. 3629 — offen, der mit diesem Gesetz in der Beratung verbunden war. Es ist vorgeschlagen worden, dieses Gesetz federführend dem Haushaltsausschuß und dem Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge mitberatend zu überweisen. — Das Haus ist mit der Überweisung einverstanden. Ich stelle das fest.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende, der heutigen Tagesordnung.
*) Vergl. das endgültige Ergebnis Seite 10556.
Zu einer tatsächlichen Erklärung Herr Abgeordneter Merten! Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Ich habe folgende tatsächliche Erklärung abzugeben.
Der Herr Abgeordnete von Thadden hat laut Protokoll meine im Namen der Fraktion der SPD gemachten Ausführungen zur Frage der als Kriegsverbrecher verurteilten Deutschen mit der Bemerkung apostrophiert, es handle sich um eine einwandfreie und eindeutige Stellungnahme „im Gegensatz zu früheren Erklärungen".
Unter schärfster Zurückweisung der in dieser Bemerkung des Herrn Abgeordneten von Thadden zum Ausdruck kommenden Absicht, die Stellungnahme der Sozialdemokratie zur Frage der verurteilten Kriegsgefangenen in Zweifel zu ziehen, erkläre ich folgendes.
Die Fraktion der SPD hat im Bundestag wiederholt Initiativen ergriffen, die Beiträge zur positiven Lösung der Kriegsgefangenenfrage in ihrem ganzen Umfang darstellen. Die Fraktion der SPD hat sich auch im speziellen der verurteilten und unter Anklage gestellten kriegsgefangenen Deutschen angenommen. Es war der verstorbene Vorsitzende der Fraktion der SPD Dr. Kurt Schumacher, der in seiner Rede anläßlich der ersten außenpolitischen Debatte des Bundestags am 15. November 1949 erklärte:
Sie wissen, wie sehr das Schicksal der Kriegsgefangenen, die Häufung der Leiden, die diese Menschen aushalten und die ihre Angehörigen in unserem Lande tragen, die deutsche Öffentlichkeit und die Menschen in unserem Lande bewegt. Es ist eine große Sache, wenn deutsche Initiative die Rückkehr unserer
Kriegsgefangen aus dem Osten beschleunigt
oder ihre Behandlung verbessert. Aber vergessen wir die anderen Kriegsgefangenen nicht! In der Psychose der Vergeltung nach der Liquidation des Hitler-Krieges sind in Frankreich eine große Anzahl von militärgerichtlichen Urteilen gegen deutsche Kriegsgefangene gefällt worden, die wohl nicht immer den Tatbestand gerecht beurteilt haben, in der großen Überzahl der Fälle aber im Strafmaß, das gleich nach Jahrzehnten bemessen worden ist, über das menschlich Erträgliche hinausgegangen sind.
In diesem Sinne hat die gesamte Fraktion der SPD in diesem Hause stets zu wirken versucht. Alle früheren Erklärungen der SPD haben immer dieselbe Haltung zum Kriegsgefangenenproblem zum Ausdruck gebracht, die auch heute zum Ausdruck gebracht wurde. Es gibt in dieser Frage keine Gegensätze.
Meine Damen und Herren, es ist eine Deutsche Mark in Silber gefunden worden. Wenn sich ein Eigentümer nicht meldet, werde ich sie dem Fonds für die Einführung der Jugend in die Arbeit des Parlaments zuführen.
Ich berufe die 231. Sitzung des Deutschen Bundestags auf Mittwoch, den 1. Oktober, vorsorglich auf 13 Uhr 30, für den Fall, daß keine andere Vereinbarung im Ältestenrat erfolgt, und schließe die 230. Sitzung.