Rede von
Dr.
Walther
Hasemann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag Drucksache Nr. 2970 der Kommunistischen Partei und der dazu erstattete Mündliche Bericht des Auswärtigen Ausschusses Drucksache Nr. 3162 haben das Hohe Haus bereits in der 202. Sitzung vom 27. März 1952 beschäftigt. Der Antrag wurde damals an den Auswärtigen Ausschuß zurückverwiesen, weil sich bei der Debatte ergab, daß hinsichtlich der Auswirkungen der Bombardierung des Knechtsandes gewisse Bedenken vorhanden waren. Einige Redner, die in der Debatte sprachen, wünschten noch vorherige Aufklärung darüber.
Der Auswärtige Ausschuß setzte daraufhin einen Unterausschuß ein, der am 4. Juni dieses Jahres in Bremerhaven eine Sitzung mit den Vertretern der betroffenen Kreise, mit Vertretern der zuständigen Behörden und mit zahlreichen Sachverständigen abhielt und am 5. Juni eine Besichtigung des Knechtsandes selbst und des dortigen Küstengebietes vornahm. In seiner Sitzung vom 11. Juli 1952 hat der Auswärtige Ausschuß den Bericht des Unterausschusses entgegengenommen und die Frage Knechtsand noch einmal diskutiert. Mit Mehrheit hat dann der Auswärtige Ausschuß beschlossen, dem Plenum den Antrag, wie er bereits in der Drucksache Nr. 3162 formuliert war, erneut vorzulegen. Dieser Antrag steht jetzt gemäß Drucksache Nr. 3604 zur Debatte.
Zur Sache selbst möchte ich als Berichterstatter noch folgendes ausführen. Hinsichtlich der Vorgeschichte und hinsichtlich der grundsätzlichen Seite dieses Problems darf ich auf meinen Bericht, den ich in dieser Sache bereits in der 202. Sitzung erstattet habe, sowie auf die daran anschließende Debatte verweisen. Ich möchte dem Hohen Hause aber zur Klärung der Situation noch von dem Ergebnis der Verhandlungen und Prüfungen des Unterausschusses Kenntnis geben. Ich möchte das kurz, aber dennoch erschöpfend tun, weil ich der Auffassung bin, daß die Frage Knechtsand immerhin eine Frage von einiger politischer Bedeutung ist. In Bremerhaven wurde allen beteiligten Kreisen noch einmal Gelegenheit gegeben, in aller Ausführlichkeit und Gründlichkeit ihre Sorgen und Bedenken vorzutragen. Wesentliche und entscheidende neue Argumente wurden dabei nicht vorgebracht. Es war, wie Sie sich erinnern werden, den Betroffenen ja schon in den ersten Verhandlungen vor dem Auswärtigen Ausschuß Gelegenheit gegeben, ihren Standpunkt darzulegen. Es wurde aber in Bremerhaven eine Reihe von Sachverständigen gehört, die zu den vorgebrachten Sorgen und Bedenken Stellung nahmen.
Es waren insbesondere vier Komplexe, die noch einmal untersucht werden sollten, und zwar erstens die Schädigung der Krabbenfischerei in den Dorumer Fanggebieten des Knechtsandes, zweitens die Gefährdung der Festlandentwässerung und des Uferschutzes, drittens die Gefährdung der Großschiffahrtswege der Weser und Elbe und viertens die Gefährdung der an der Küste liegenden Krankenhäuser in Nordholz und Wusterheide.
Zur ersten Frage ist zu sagen, daß die Verhandlungen erneut ergaben, daß mit Sicherheit eine Schädigung der Dorumer Fischer zu erwarten ist. Die Ansichten über den Umfang der Schäden gingen allerdings weit auseinander. Während die Dorumer Fischer einen völligen Verlust ihrer Fanggebiete befürchten, vertraten die gehörten Sachverständigen, und zwar Herr Professor Friedrich vom Institut für Meeresforschung in Bremerhaven und Herr Fischereirat Dr. Nolte vom Fischereiamt, einen unterschiedlichen Standpunkt. Professor Friedrich führte aus, daß eine gewisse Schädigung des Krabbenbestandes wahrscheinlich sei; Endgültiges und Verbindliches könne man natürlich
nicht voraussagen. Eine entscheidende Störung der Ernährungsgrundlage für die Krabben — diese Frage war in der Debatte der ersten Verhandlung besonders angeschnitten worden — sei nicht zu befürchten, da die Krabben von toter organischer Substanz, gleichgültig ob tierischen oder pflanzlichen Ursprungs, lebten und nicht zu erwarten sei, daß diese Ernährungsgrundlage durch ein Bombardement zerstört werde. Herr Dr. Nolte, der Fischereifachmann, führte aus, daß der Krabbenfang Saisonfischerei sei, etwa in den Monaten April bis Oktober. Der Ertrag sämtlicher Fänge im Knechtsandgebiet betrage insgesamt etwa 5000 bis 6000 t, meist Futterkrabben, im Werte von etwa 800 000 bis 1 Million DM. Der Ertrag der unmittelbar beteiligten Fischereikreise aus Dorum und Spieka betrage etwa 3000 bis 4000 t im Werte von etwa einer halben Million DM. Die Erträge seien, so führte Dr. Nolte aus, durch ein Kontrollsystem sehr genau zu ermitteln. Dabei werde durchschnittlich mit 180 Fangtagen in der Saison gerechnet. Würden also etwa an 18 Tagen dieser Fangzeit Bomben geworfen, so würden die Fischer um mindestens 10 °/o ihres Ertrages geschädigt, wobei zu berücksichtigen ist, daß es sich hierbei nicht um Umsatzschäden, sondern um reine Gewinnschäden handelt, da ja die allgemeinen Unkosten die gleichen bleiben. Hierbei wurde der Ausfall weiterer Fangtage, etwa durch Nachtübungen, natürlich nicht eingerechnet. Dr. Nolte bezifferte den Umfang der Schäden unter den eben dargelegten Voraussetzungen mit etwa 1000 DM pro Kutter, wobei nicht die Schäden eingerechnet sind, die eventuell an den Schiffen selbst oder an Netzen und dergleichen verursacht werden.
Da es sich bei den Dorumer Fischern also um allgemein anerkannte und echte Schäden handelt, sagte der anwesende Vertreter des Bundesfinanzministeriums, Herr Ministerialrat Weise, auch zu, daß im Falle der Zurverfügungstellung des Knechtsandes für eine ausreichende finanzielle Entschädigung gesorgt würde.
Nun zur zweiten Frage. Bezüglich der eventuellen Folgen der Bombardierung des Knechtsandes hinsichtlich der Uferbefestigungen und der Festlandentwässerung wurden mehrere Sachverständige gehört, und zwar zunächst der zuständige örtliche Deichgräfe, Herr Lübs, weiter Herr Professor Agartz, der Präsident der Wasserbauverwaltung Bremen, und Herr Dr. Walter von der Wasserstraßendirektion des Bundesverkehrsministeriums. Herr Lübs hielt eine Gefährdung der Entwässerung durch Versandung der Außentiefe für möglich und wahrscheinlich, desgleichen eine Gefährdung des Knechtsandes als Uferschutz, da der Knechtsand als Barre diene und verwundbar sei. Die Sachverständigen Professor Agartz und Dr. Walter hielten Gefahren sowohl hinsichtlich der Entwässerung wie auch des Uferschutzes in keiner Weise für gegeben. Sie führten übereinstimmend aus, daß das eigentliche Zielgebiet des Knechtsandes der sogenannte niedere Knechtsand sei, während der sogenannte hohe Knechtsand als Barre und Uferschutz diene. Wenn man berücksichtige, daß der Knechtsand, solange es überhaupt Seekarten gebe, in seiner Struktur unverändert sei, und wenn man bedenke, daß solche ungeheuren Naturgewalten wie Spring- und Sturmfluten in Jahrhunderten den Knechtsand gar nicht oder nur ganz unwesentlich verändert hätten, so könne man gegenüber diesen ungeheuren Naturkräften die Bombentreffer nur als Nadelstiche bezeichnen. Hinsichtlich der Möglichkeit, daß einmal ein Priel oder ein Tief durch
naheliegende Bombentreffer versanden sollte, wiesen die Sachverständigen darauf hin, daß es jetzt moderne Räumboote gebe, die ohne weiteres in der Lage seien, diese Versandung wieder zu beseitigen. Der Vertreter des Finanzministeriums erklärte dazu, daß die Kosten solcher etwa notwendig werdender Räumungen selbstverständlich vom Finanzministerium übernommen würden. Der Ausschuß schloß sich in seiner Mehrheit den überzeugenden Darlegungen dieser Sachverständigen an, besonders, nachdem von seiten der Regierung auch mitgeteilt wurde, daß die Struktur des Knechtsandes durch ständige Luftbeobachtung und Luftaufnahmen überwacht werden solle.
Zur dritten Frage hinsichtlich einer Gefährdung der Großschiffahrtswege der Weser und Elbe trug Herr Oberbürgermeister Gullasch aus Bremerhaven seine Bedenken vor. Bremerhaven befürchte, daß seine steigende Bedeutung als Hafen einen Rückgang erleide, wenn der Knechtsand bombardiert werde; das gleiche treffe naturgemäß auch für den Elbeschiffahrtsweg zu. Die Bedenken waren neben der Möglichkeit eines Bombenfehlwurfs und eines eventuellen Abstürzens von Flugzeugen auf fahrende Schiffe insbesondere aber auch psychologischer Natur, ein Moment, das auch von anderen Beteiligten vorgebracht wurde. Professor Agartz führte als Sachverständiger aus, daß der Schifffahrtsweg der Weser etwa 14 bis 15 Kilometer und der der Elbe mehr als 17 Kilometer vom Bombenziel entfernt sei. Eine Gefährdung der Schiffahrt sei dadurch in keiner Weise gegeben. Herr Oberst Eschenauer von der Dienststelle Blank bestätigte als militärischer Sachverständiger diese Auffassung. Bei der Bombardierung des Knechtsandes handele es sich nicht um Massen- oder Teppichabwürfe wie etwa bei Helgoland, bei denen Fehlwürfe möglich oder sogar wahrscheinlich seien, sondern es handle sich hier um einzelne Testwürfe auf ein verankertes Zielschiff, und es sei bei der modernen Bombenabwurftechnik kaum wahrscheinlich, daß Fehlwürfe vorkämen. Die Wahrscheinlichkeit eines Fehlwurfs außerhalb des vorgesehenen Sicherheitsradius von 7 km wurde mit 1 : 10 000 beziffert.
Hinsichtlich des letzten Punktes, Gefährdung der Krankenhäuser an der Küste, beschloß der Unterausschuß eine Ortsbesichtigung. Die beiden Krankenhäuser Nordholz und Wusterheide liegen nicht unmittelbar an der Küste, sondern etwa 13 bzw. 15 km vom Zielgebiet entfernt. Oberkreisdirektor Kleemeier aus Bremerhaven brachte zum Ausdruck, daß weniger eine direkte Gefährdung als vielmehr ein Belästigung befürchtet werde, die psychologisch auf die dort liegenden, meist an Tuberkulose Erkrankten wirken würde, eine Belästigung durch das Motorengeräusch und das Detonationsgeräusch der Bomben. Herr Oberst Eschenauer führte dazu aus, daß es durchaus möglich sei, dieses Gebiet der Krankenhäuser als Sperrzone zu erklären, eine Sperrzone, die nicht überflogen werden dürfe, so daß also der Anflug zum Bombenziel des Knechtsandes nicht über dieses Gebiet, sondern parallel zur Küste erfolgen müsse. Da außerdem zwischen dem Zielgebiet und den Krankenhäusern Waldbestände lägen — wie wir uns selbst überzeugt haben —, sei eine allzu ernsthafte Belästigung durch die Detonationsgeräusche der Bomben ebenfalls nicht zu befürchten.
Auf Grund der sorgfältigen Abwägung der vorgebrachten Argumente und Gegenargumente und unter Berücksichtigung des durch die Ortsbesichtigung des Knechtsandes und des Küstengebietes ge-
wonnenen Eindrucks hat der Auswärtige Ausschuß in seiner Mehrheit dahin entschieden, daß Schäden nur bezüglich der Krabbenfischerei zu erwarten sind. Da es sich dabei, wenn auch nicht um eine Existenzvernichtung, so doch immerhin um eine sehr ernste materielle Schädigung der betroffenen Fischer handelt, wurde im Ausschuß allgemein die ausreichende Entschädigung der Fischer als absolute Notwendigkeit anerkannt. Hinsichtlich der anderen Fragen schloß sich der Auswärtige Ausschuß in seiner Mehrheit den überzeugenden Argumenten der Sachverständigen an, daß Gefahren oder Schäden nicht zu erwarten seien.
Unter Berücksichtigung der vielfachen Sicherheitsmaßnahmen, die ich bereits in meinem ersten Bericht zu der Frage Knechtsand erläutert habe, und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß eine Kündigungsklausel für den Fall vorgesehen ist, daß trotz gegenteiliger Zusicherungen z. B. Fehlwürfe vorkommen oder nicht erwartete Schäden eintreten, hat der Auswärtige Ausschuß erneut beschlossen, den Antrag der KPD auf Drucksache Nr. 2970 abzulehnen und der Regierung die in Drucksache Nr. 3604 genannten Auflagen zu machen.
Ich habe Sie zu bitten, dem Antrag des Auswärtigen Ausschusses Ihre Zustimmung zu geben.