Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Fronten der Befürworter und der Gegner dieses Gesetzes sind hier und im Laufe der langen öffentlichen Diskussionen abgesteckt worden. — Meine Fraktion wird gegen das Gesetz stimmen.
Ich glaube, wir haben ausreichende und durchschlagende Gründe für eine solche Haltung. Sie
gestatten, daß ich sie hier noch einmal skizziere.
Dieses Gesetz ist nicht nur unklar und gefährlich in der Anwendung der Bestimmung des § 1 — „Schriften, die Jugendliche sittlich gefährden" —, es ist auch rechtlich unzulänglich. Lassen Sie mich das kurz begründen.
In der Fassung, in der das vorliegende Gesetz das Verbot gewisser Schriften und Abbildungen vornehmen will, gibt es keine klare Abgrenzung. Diese Fassung bietet allen Auslegungsmöglichkeiten freien Raum. Sie droht sogar zu einem kulturpolitischen Kampfmittel zu werden. Wie die Auslegungsmöglichkeiten dieser Begriffsbestimmung sind, darf ich Ihnen einmal an Hand früherer Äußerungen sagen. Erlauben Sie mir bitte, diese zu verlesen. Als vor langer Zeit das erste Gesetz gegen Schmutz und Schund, das durch diese Begriffsbestimmung eine sehr viel größere Einengung der zu erfassenden Schriften festlegte, im Reichstag beraten wurde, hat man vom Katholischen Jugendverband bereits versucht, eine Erweiterung vorzunehmen, die im jetzigen Gesetz Raum gefunden hat und die ich hier anführe, um Ihnen zu zeigen, wie gefährlich eine solche unklare Bestimmung ist und für welche Erweiterungsmöglichkeit sie eine Handhabe bietet. In dem damaligen Antrag hieß es:
Für Schriften, die, ohne der Schund- und Schmutzliteratur anzugehören, geeignet sind, die Jugend in sittlicher Beziehung zu gefährden, gelten folgende Bestimmungen.
Und so weiter. Ich glaube also, daß die jetzige Formulierung eine ganz bewußte Ausweitung ist, die sicher nicht von allen hier gebilligt wird.
In einer Umfrage bei katholischen Geistlichen, Lehrern und Erziehern über die Begrenzung der zu erfassenden Schriften und Abbildungen ist folgendes Urteil ergangen:
Die ästhetische Leistung eines Bühnenregisseurs oder eines Filmregisseurs, der ein beispielsweise den Katholiken heiliges Gut unter dem Gesichtswinkel eines materialistischen Genusses erfaßt, kann diesem rein materialistischen Regisseur Kunst im höchsten Sinne, dem Katholiken Schund und Schmutz sein.
Ich darf dann noch einen Artikel aus einer Zeitschrift des Volkwart-Bundes anführen, in dem gesagt wird:
Jene Form der Toleranz, wie sie z. B. in Lessings Nathan dem Weisen vertreten wird, muß der gläubige Christ zurückweisen, weil sie zu einer Nivellierung und zu einem allgemeinen Relativismus führt.
Ich glaube, damit sind die Gefahren aufgezeichnet, gegen die ich hier nicht polemisieren, jedoch als Fakten, als Tatbestände charakterisieren will. Abgesehen davon sind in § 1 Abs. 2 Ziffern 1 und 2 Formulierungen gefunden, die bei Prüfung alles andere als eindeutig sind. Es heißt z. B., daß „Schriften nicht allein wegen ihres politischen, sozialen, religiösen oder weltanschaulichen Inhalts verboten werden dürfen". Dieses „allein" ist für mein Gefühl eine unerlaubte Begrenzung.
In Ziffer 2 heißt es, daß Schriften nicht in die Liste aufgenommen werden dürfen, „wenn sie der Kunst, der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre diene n". Klarer wäre es gewesen, wenn man geschrieben hätte:
Werke der Kunst, der Wissenschaft, der Forschung und der Lehre dürfen nicht in die Liste hineinkommen.
Ich glaube, meine Herren und Damen, hierhinter steckt keine irrtümliche oder unklare Formulierung, sondern durchaus eine Absicht, die wir aufs schärfste bekämpfen müssen.
Schauen Sie sich weiter die Konstruktion des Gesetzes in rechtlicher Beziehung an. Es sollen dort die Bücher und Schriften, die erfaßt werden, auf Grund des § 1 in eine Liste aufgenommen werden. Diese Liste ist nach diesem Gesetz ganz zweifellos eine verbindliche Rechtsgrundlage für Verleger und Händler. Wenn Sie sich den § 6 dazunehmen, stellen Sie fest, daß hier wiederum eine Abstufung derart vorgenommen worden ist, daß es schwergefährdende Werke gibt, die einer Prüfung gar nicht unterliegen und bei denen selbstverständlich vorausgesetzt wird, daß sie die Beschränkungen der §§ 3 bis 5 erhalten. Welcher Verleger und welcher Händler und auch welche Privatperson — denn diese trifft das Gesetz mit seinen Strafmöglichkeiten genau so — soll wissen, was die Prüfungskommission oder die Spruchstelle unter „schwer gefährdend" versteht.
Außerdem gibt es gegen diesen § 6 keine Einspruchsmöglichkeit bei irgendeiner Rechtsinstanz.
Das sind also ganz unmögliche Dinge. Man halst
hierbei das Risiko und auch die möglicherweise folgende Bestrafung den Verkäufern und den Verlegern von Büchern und Zeitschriften auf.
Auch die in § 5 festgelegten Beschränkungen gehen weit über die Beschränkungen hinaus, die dem erfaßten Kreis, nämlich den Jugendlichen unter 18 Jahren, dienen sollen. Diese Beschränkungen können keinesfalls mit dem Sinn des Art. 5 des Bonner Grundgesetzes in Übereinstimmung gebracht werden.
Der Abs. 2 des § 6, über den Sie eben leider verneinend abgestimmt haben — verneinend im Sinne des Änderungsantrags von Frau Dr. Ilk —, das darf ich hier auch noch einmal betonen, ist eine Sonderbestimmung, die für uns völlig undiskutabel ist und die Ihnen sicherlich noch manche Kommentare in der Öffentlichkeit bringen wird, eine Sonderbestimmung, die nach 1945 sicherlich zum erstenmal erfolgte und gegen eine Schriftengruppe erlassen worden ist, die Sie nicht schlechthin und global als jugendgefährdend kennzeichnen können.
Auch die Einrichtung von 12 Landesprüfstellen und einer Bundesprüfstelle ist eine außerordentlich bedenkliche und dazu noch kostspielige Sache,
die mit den Hilfskräften und dem Apparat, den sie aufbauen werden, im Verhältnis zu der Teilaufgabe, die diese Prüfungskommissionen zu erfüllen haben, ein viel zu großes und viel zu schweres Gewicht bekommen.
Ich darf noch einmal betonen, daß dieses Gesetz nur eine Teilaufgabe im Rahmen der gesamten Jugendpolitik haben kann, die Bekämpfung des schlechten Schrifttums, und es wird viel zu sehr in den Mittelpunkt gerückt, was eines der Randgebiete der Jugendpolitik ist, eines der vielen Probleme der Jugendarbeit in der Bundesrepublik. Ich glaube, eine zustimmende Verabschiedung dieses Gesetzes könnte das Gewissen der Verantwortlichen in Regierung und Verwaltung sogar allzusehr beruhigen, daß genug getan sei.
Wir müssen immer wieder betonen und nicht müde werden, zu sagen, daß im Mittelpunkt der Arbeit für unsere junge Generation steht: die Sicherung der Familie, in der sie lebt und in der sie sich entfalten kann; steht: eine gute Erziehung und eine gute Ausbildung in der Schule; steht: die Schaffung von Arbeitsplätzen, von Lehrstellen, von Heimen für heimatlos gewordene junge Menschen; stehen: a usreichende Freizeitgestaltung und gute Arbeits- und Sozialgesetze. Doch diese Dinge sind hier schon so oft
und bei so vielen verschiedenen Gelegenheiten gesagt worden, daß man annehmen könnte, auch auf diesem Gebiet würden dieser Bundestag und die Regierungskoalition etwas aktiver werden. Man sieht aber: man muß immer wieder darauf hinweisen.
Trotzdem, meine Herren und Damen — das darf ich an dieser Stelle sagen —, verkennen wir nicht, daß eine gewisse Sorte von Unternehmern ihre miserablen Geschäfte und Gewinne auf Kosten der Jugendlichen zu machen versucht, die in einem bestimmten Entwicklungsstadium, begünstigt durch eine unfreie Erziehung und durch die trostlosen Nachkriegsverhältnisse, angereizt werden, die schlechten Machwerke minderwertiger Verfasser
und Verleger zu bekommen. Diesen Leuten soll man allerdings das Handwerk legen, und auch wir sind der Meinung, daß es geschehen muß. Wir glauben aber, daß die §§ 184 und 184 a des Strafgesetzbuches, wie es hier auch schon zum Ausdruck gekommen ist, durchaus ausreichen, wenn sie richtig gehandhabt werden.
Man kann vielleicht nicht voraussetzen, daß Sie alle den Inhalt dieser Paragraphen kennen. Aber sie erfassen alles das, was nötig ist, um den wirklichen Schmutz aus der Öffentlichkeit herauszubringen.
Es heißt in § 184:
Mit Gefängnis bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen feilhält, verkauft, verteilt, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder anschlägt oder sonst verbreitet, sie zum Zwecke der Verbreitung herstellt oder zu demselben Zwecke vorrätig hält, ankündigt oder anpreist.
Ein verstärkter Schutz von Personen unter 16 Jahren ist in § 184 a außerdem noch vfestgelegt. Darüber hinaus gibt es Bestimmungen der Gewerbeordnung und auch der Strafprozeßordnung, die das ermöglichen, was man in dieser Sache heute möglich machen kann und auch muß. Durch entsprechende Richtlinien des Bundesjustizministeriums und auch der Länderjustizminister, vielleicht durch Einrichtung von Zentralstellen auf der Landesebene wird eine durchgreifende Bekämpfung des wirklichen Schmutzes durchaus erreicht werden. Man kann auch daran denken, durch die Einrichtung und Mitarbeit freiwilliger Ausschüsse von Wohlfahrts- und Jugendorganisationen auf örtlicher Ebene und mit Hilfe von Selbstkontrolleinrichtungen der Verleger-, Buchhändler- und Zeitschriftenverbände eine erheblich bessere Arbeit zu erzielen, als sie bisher geleistet worden ist. Sie würde sich dann auf dem Boden der gültigen Rechtsbestimmungen bewegen und nicht zweigleisig durch ein zusätzliches Sondergesetz zu erfolgen brauchen, ein Sondergesetz, das, wie ich glaube bewiesen zu haben, immer die Gefahr eines Mißbrauchs oder die Gefahr von Interessentenentscheidungen in sich trägt.
Meine Herren und Damen, für unsere Haltung sprechen auch die vielen Gutachten von Jugendpsychologen, von Jugendrichtern, von Erziehern und Schriftstellern, die wir im 33. Ausschuß gehört haben und von denen keiner konkret sagen konnte, daß durch die Bücher, die jetzt auf dem Markt sind und die über den „Schmutz" hinaus durch dieses Gesetz erfaßt werden sollen, wirklich augenscheinliche, beweisbare Gefahren entstanden sind. Diese Herren und Damen, die uns die Gutachten abgegeben und Zuschriften zugesandt haben, stehen weltanschaulich in allen Gruppen unseres Volkes. Ich darf sie vielleicht einmal mit den beiden Namen charakterisieren, die Sie alle kennen: Erich Kästner und Stefan Andres. Für unsere Auffassung haben Fachleute gesprochen wie z. B. der Staatsanwalt Schilling, der der Dezernent für unzüchtige Schriften und Abbildungen bei der Staatsanwaltschaft Köln ist und der sich sehr eingehend in der etwa von mir hier vertretenen Weise in langen Ausführungen geäußert hat.
Aber, meine Herren und Damen, ich möchte damit auf das Gebiet kommen, das mit diesem Gesetz angesprochen wird. Es ist doch wohl sehr wichtig, daß wir uns einmal die Situation in der Jugendliteratur vor Augen halten. Sie alle werden bestätigen, daß unsere Kinder einen außergewöhnlich großen Lesehunger haben. Die Kinder- und Jugendbibliotheken haben einen wesentlich schnelleren Verleihumlauf, als sie z. B. die Erwachsenenbüchereien haben. Die Bücher sind dort nach einjährigem Gebrauch schon so zerlesen und so schlecht, daß sie nicht mehr verwendbar sind und wegen des Mangels an Mitteln auch nicht mehr aufgefüllt werden können. Die Schulbibliotheken sind denkbar mager. Kinder- und Jugendheime, öffentliche und private Erziehungsheime müssen sich bei Freunden und Bekannten oder Gönnern ein paar Bücher zusammenbetteln. Jeder von Ihnen, der Heimbesichtigungen mitgemacht hat oder in der Arbeit steht, wird das festgestellt haben. Andererseits sind die guten Jugendbücher heute so teuer, daß die Mehrzahl der Jugendlichen oder ihre Eltern sie nicht kaufen können. Bei den Eltern zu Hause ist das gleiche Bild. In unzähligen Familien, in denen ein ausreichender Bücherschatz vorhanden war, ist kein Buch mehr, weil die Familie ausgebombt oder der Bücherbestand' durch die Flucht vernichtet worden ist.
Meine Herren und Damen, ich frage Sie unter diesen Umständen, ob man mit gutem Gewissen verantworten kann, daß wir hier in dieser Situation nur ein Verbot der billigen und schlechten Lektüre beschließen? Wirkt es in diesem Zeitpunkt dann nicht wie eine Verhöhnung des Lesebedürfnisses unserer Kinder?
Ich frage Sie: Was ist im Verhältnis zur Buchnot unter unseren Kindern nun wirklich praktisch getan? Gibt es z. B. eine gute und billige interessante Kinderzeitung oder -zeitschrift? Gibt es die billigen Bücher, die Kinderlesestuben und die Räume in anderen Biblioheken, in denen sich die jungen Leser einrichten können? Wir wissen, daß die Gemeinden und die Länder Ansätze gemacht haben. Aber es hat durchaus nicht gereicht, und es wird sicher nötig sein, auch ihr Interesse in dieser Richtung erneut anzuregen.
Was hat der Bund, der jetzt dieses Gesetz erlassen will, bisher an Positivem getan? Bis zum dritten Bundesjugendplan — das hat Herr Minister Lehr hier angeschnitten — wurden ausgeschüttet über die Beträge an die Jugendorganisationen hinaus — die natürlich nur im Rahmen dieser Organisationen verwendet wurden — für Jugendbuchvertriebe 400 000 DM und an Buchspenden für Jugendwohnheime 100 000 DM; das in drei Jahren, meine Herren und Damen! Die Wirkung dieser Unterstützungen ist wirklich nicht weit über die Angehörigen unserer Jugendverbände hinausgegangen.
Deshalb beantragt meine Fraktion heute, daß der Bundestag für den Haushaltsplan 1952 folgende Beträge für den Zweck der Förderung des Jugendschrifttums einsetzt: 50 000 DM für die Aussetzung von Prämien an Verfasser von zwanzig wertvollen Jugendbüchern, 500 000 DM als Ausfallbürgschaft für Verlage, die sich bemühen, wertvolle Bücher für Kinder und Jugendliche zu möglichst niedrigen Preisen herauszubringen, und 500 000 DM mit der Zweckbestimmung, für diesen Betrag zusätzlich wertvolle Bücher zu erwerben, die an
Schulen und Jugendbüchereien zu spenden sind. Diese Maßnahmen sind organisatorisch im Rahmen des Bundesjugendplans durchzuführen; die Gelder dafür sollen aber als zusätzliche Mittel ausgeworfen werden.
Wir erwarten vom Bundestag die Annahme dieses Antrags, damit ganz deutlich wird, daß die Abgeordneten dieses Hauses wissen, daß Verbote kein oder nur ein außerordentlich schlechter Ersatz für die echte Leistung auf diesem Sektor unserer Jugendarbeit sind. Wenn wir den Kampf gegen das jugendgefährdende Schrifttum zuerst so beginnen, wie es durch unseren Antrag ausgedrückt wird, und durch eine große Buchspende des Bundestags an unsere Jugendbüchereien proklamieren, dann werden wir auch im Gefolge dieses Beispiels die Länder und Gemeinden erneut auffordern können, sich unseren Maßnahmen anzuschließen.
Wir möchten weiter durch die Herausgabe von Prämien und durch die Ausfallbürgschaften unsere Dichter und unsere Verleger anrufen, sich der wichtigen und schönen Aufgabe anzunehmen, unseren Kindern das zu geben, was zu ihrer seelischen und geistigen Entwicklung unbedingt nötig ist. Heute ist es leider so, daß es Jugendbuchschriftsteller deshalb so wenig gibt, weil die Manuskripte den Verlegern zu teuer sind und von ihnen nicht angekauft werden bzw. weil die dann auch zu teuren Kinderbücher einen zu geringen Absatz haben.
Ich glaube, daß die kulturpolitisch gefährlichen Auswirkungen des vorliegenden Gesetzes über den Vertrieb jugendgefährdender Schriften und die rechtlichen Schwierigkeiten, die es in sich trägt — ich erinnere daran, daß auch kein Wiederaufnahmeverfahren vorgesehen ist —, Grund genug geben, dieses Gesetz abzulehnen und sich zu entschließen, zunächst einmal das zu tun, was jetzt möglich ist: eine bessere Handhabe der bestehenden Paragraphen, und erst einmal positive Maßnahmen zu versuchen, um unsere Jugend aus der Gefahr der geistigen Verarmung und Verflachung herauszureißen. Das ist die einzige Möglichkeit, einmal nicht an Symptomen zu kurieren, sondern den Ursachen dieses Notstandes entgegenzuwirken. Ich beantrage, daß unser Antrag Drucksache Nr. 3629 an den Haushaltsausschuß geht.