Rede von
Dr.
Hermann
Ehlers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird gewünscht, daß Erklärungen abgegeben werden? — Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Vermittlungsausschusses Drucksache Nr. 3689, und zwar über die Punkte 1 und 2 gemeinsam. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Vermittlungsausschusses entsprechen wollen, eine Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit des Hauses. Dieser Antrag des Vermittlungsausschusses ist angenommen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf: Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der Deutschen Partei und Genossen betreffend Lösung der „Kriegsverbrecher"-Frage .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 20 Minuten und eine Aussprachezeit von 90 Minuten vor. — Das Haus ist mit dieser Regelung einverstanden.
Zur Begründung der Großen Anfrage Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz!
Dr. von Merkatz , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Auf-
gabe der Begründung dieser Großen Anfrage sind sich meine politischen Freunde und bin ich mir der großen Verantwortung bewußt, die hiermit verbunden ist. Aber wir sind der Auffassung, daß es im Völkerleben Fragen gibt, die so auf das Wesentlichste des Rechts und der Beziehungen unter den Völkern gerichtet sind, daß es vor diesen Fragen kein taktisches Ausweichen gibt. Das behutsame Wort und die Kunst der Diplomatie, die unter den Völkern die Schwierigkeiten zu beseitigen trachten, muß dem Bedürfnis nach Deutlichkeit dienen, wo es um die Grundprinzipien der Rechtsgemeinschaft geht. Meine Damen und Herren, wir sind nicht der Auffassung, daß wir uns auf diesem Gebiet etwas ertrotzen könnten; aber wir fühlen die Verantwortung vor der Zukunft. Nach diesen beiden furchtbaren Kriegen, nach dem Einbruch des totalitären Rechtsdenkens in die Kulturgemeinschaft bedarf es des wahrhaften Aufbaus derjenigen Rechtsprinzipien, auf denen unsere Gemeinschaft beruhen soll.
Ich habe nicht die Absicht, über das zu sprechen, was gewesen ist, sondern unsere Anfrage bezweckt, Klarheit zu gewinnen, was in der Zukunft zu tun ist. Wir sind der Auffassung daß es sich hier nicht um eine Parteiangelegenheit handelt, sondern um eine Angelegenheit, die vom ganzen Hause, von allen rechtlich denkenden Menschen mitgetragen wird. Wir beanspruchen nicht, hier gewissermaßen die Spitze am Rammbock zu sein, sondern wir haben die Absicht, mit Ihnen allen zusammen die deutsche Energie darauf zu lenken, daß gerechte Prinzipien zur Geltung gebracht werden.
In der Einleitung der Anfrage steht der Begriff der Ehrenhaftigkeit. Üper Punkte der Ehre läßt sich nicht streiten. Sie stehen unweigerlich fest und sind mit dem Wesen eines Menschen verbunden. Ehrenhaftigkeit in den Beziehungen unter den Völkern bedeutet, daß man voneinander die Meinung gewinnt, daß man sich in Geist und Praxis aufeinander verlassen kann, daß grundsätzliche Prinzipien des Rechts und der Moral untereinander gelten, die die stillschweigende Voraussetzung aller vertraglichen und aller praktischen Beziehungen sind. Wenn man Ehrenstandpunkte einander gegenüberstellt, erzielt man nur eine Verhärtung ' und keine Lösung.
Die Lösung, die in dem Aufbau des künftigen Völkerrechts zu finden ist, muß über diesen beiden Standpunkten liegen. Es ist nicht mehr als billig und gerecht, zu fragen, was man will. Hier habe ich unsererseits eine einfache Antwort zu geben: Wir wollen die Freiheit aller Unschuldigen, und den Weg, wie diese Freiheit zu gewinnen ist, sehen wir darin, daß in dem künftigen Kriegsrecht und bei der Praxis der Kommissionen die Prinzipien fundamentiert werden, auf denen unsere künftige Rechtsgemeinschaft beruht. Weil das so ist, können wir diese Probleme nicht liegenlassen. Es ist ein rechtliches Problem, ein Problem der Menschlichkeit.
Wir kommen aus einer Epoche der Verwilderung des Völkerrechts. Ich stehe nicht an, namens meiner politischen Freunde — und, ich glaube, der Mehrheit der Deutschen — zum Ausdruck zu bringen, daß wir die Verfahren, auf die sich unsere Anfrage bezieht, als eine Ungerechtigkeit empfinden müssen, eine Ungerechtigkeit im Hinblick auf die Rechtsgrundlage, im Hinblick auf die prozessualen Methoden, im Hinblick auf die Begründung der Urteilssprüche und im Hinblick auf die Vollstreckung. Diese Tatsachen können nicht liegenbleiben, sie bedürfen der Bereinigung. Diese Bereinigung ist aus den auf diesem Gebiete geltenden alten Rechtsgrundsätzen zu gewinnen. Wir sind uns bewußt, daß das Prinzip der tabula rasa, jenes Prinzips, das geschaffen wurde, um die Greuel und Schrecken der Kriege zu vergessen, um das, was sich letzthin menschlichem Richterspruch, menschlichem Gerechtigkeitsvermögen entzieht, in das Dunkel des Vergessens sinken zu lassen, wie es klassisch und einmalig im Edikt von Nantes formuliert worden ist, nicht voll erfüllt werden kann. Wir sind uns klar darüber, daß diese großzügige Geste nach allem, was geschehen ist, nicht mehr erreicht werden kann. Es ist notwendig, daß hier eine Auflösung stattfindet in idem Sinne, daß bei der Beurteilung der übriggebliebenen Taten die Prinzipien zur Geltung kommen, die in den neuerarbeiteten Genfer Konventionen von 1949 zum Ausdruck gekommen sind.
Man kann einen Unschuldigen nicht begnadigen. Dennoch ist es notwendig, daß der richtige Weg gefunden wird, bevor durch die Vertragswerke die neue Rechtsgemeinschaft in Europa entsteht. So weit als möglich sollte man gemäß den überkommenen Prinzipien einen Schlußstrich unter eine furchtbare Vergangenheit ziehen und soviel wie möglich jener noch sieben Jahre nach Waffenruhe in den Gefängnissen festgehaltenen deutschen Soldaten in Freiheit setzen, und zwar schon vor Beginn der Tätigkeit der Kommissionen. Wir wollen der Spruchpraxis der Kommissionen nicht vorgreifen. Es versteht sich von selbst, daß diese Kommissionen ihre Sprüche in richterlicher Unabhängigkeit zu finden haben. Aber wir halten es für notwendig, daß von deutscher Seite hinsichtlich der Maßstäbe und Prinzipien, nach denen diese Sprüche gefunden werden sollen, Klarheit geschaffen wird. eine Klarheit, die immer wieder das eine große Ziel verfolgt: die uns in Europa und in der freien Welt vereinigenden Ideen
der Demokratie, der Menschlichkeit und der Ritterlichkeit, ,die aus unserer abendländischen Tradition hervorgehen, zum Ausdruck zu bringen.
Auf diesen Grundlagen muß auch das Rechtsgebäude der Zukunft aufgebaut werden. Wir streben einem Völkerrecht zu, das nicht auf die Souveränitäten, sondern das auf die Menschenrechte begründet wird. Diese Grundlage ist die wahrhafte Gegenidee, die wir dem östlichen Totalitarismus entgegenzusetzen haben. Deshalb fühlen wir bei der Lösung dieser Frage eine besondere Verantwortung vor der Zukunft und bitten die Regierung, sich über unsere Fragen auszusprechen. Diese Prinzipien, mit denen Europa in wahrhaft europäischem und humanitärem Geiste die Greuel und Schrecken der Vergangenheit zu überwinden vermag, werden die stärksten Waffen sein in der Auseinandersetzung mit dem Geist der östlichen Herrschaftsansprüche.
Hier sind die Prinzipien des Totalitarismus und die Prinzipien der freiheitlichen, humanitären, rechtsstaatlichen Demokratie klar gegenüberzusetzen. Wir sind der Auffassung — und das lehrt und beweist die geschichtliche Erfahrung —, daß die Prinzipien, die überzeugend von der Rechtsgemeinschaft geübt werden, im Bereich der geistigen Auseinandersetzung die Gefahren überwinden werden, die aus Haß, Rachsucht, Willkür und der Säkularisierung der Idee der Gerechtigkeit hervorzugehen drohen. Wir haben diese Frage angerührt in dem Bestreben, daß auf dieser Walstatt
rechtlicher, moralischer Auseinandersetzung dieser große geistige Kampf um die Zukunft der Menschheit geschlagen wird. Es handelt sich nicht darum, daß man über Dinge der Vergangenheit den Mantel der Liebe breiten möchte, sondern es handelt sich um das innerste Anliegen, eine Heilung all der Wunden zu bewirken, die der geistigen und moralischen Substanz unserer europäischen, unserer freien Rechtsgemeinschaft geschlagen worden sind. Wir müssen einen Weg in die Zukunft finden, damit von aller Willkür gereinigte Prinzipien des Rechts und der Moral unsere Gemeinschaft wieder regieren. Auf ihnen soll die Vertragstreue und Zuverlässigkeit der Rechtsgenossen begründet sein als eine geistige und moralische Abwehrfront gegenüber der Bedrohung der Menschheit durch die Willkür der totalitären Systeme.