Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus dem ausführlichen Bericht, den Frau Kollegin Niggemeyer gegeben hat, geht hervor, daß es sich der Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs wirklich nicht leicht gemacht hat. Er hat es sich auch bei der Abstimmung über den Entwurf in der Ihnen vorliegenden Form nicht leicht gemacht. Wie aber draußen, so sind auch im Ausschuß und in diesem Hause die Meinungen geteilt. Ich glaube aber mit Bestimmtheit sagen zu können, daß der weitaus überwiegende Teil der vernünftigen Menschen in unserem Volk seit langem nach einem Schutz der Jugend vor den immer häufiger und frecher werdenden jugendgefährdenden Schriften aller Schattierungen ruft. Auch viele Anhänger und Wähler d e r Parteien, die im Ausschuß dagegen gestimmt haben oder nachher bei der Abstimmung vielleicht dagegen stimmen werden, rufen nach diesem Gesetz und verlangen, daß endlich eine Bereinigung dieser giftigen Atmosphäre vorgenommen wird.
- Woher ich das weiß? Das geht aus den vielen Resolutionen aus Hamburg, aus Württemberg und all den Eingaben von Leuten aller Konfessionen, aller Schichten und Stände und aller Parteien hervor.
— Das können Sie schriftlich sehen! Der widerliche Zustand, den heute das Straßenbild in aufdringlicher Form durch Kioske und Schaufenster als kulturelle Visitenkarte bietet, ist zum öffentlichen Ärgernis, insbesondere für die Jugend, geworden.
Es ist bei der Kürze der Redezeit nicht möglich, auf alle Argumente für und gegen dieses Gesetz einzugehen. Ich will mich daher auf einige wesentliche Punkte beschränken.
Die Gegner dieses Gesetzes suchen die Wirkung dieser Schriften auf die Jugend zu bagatellisieren. Aber eigentlich müßten uns schon die Zahlen der verschiedenen Schriftenreihen erschrecken. Lassen Sie mich nur einige Ziffern aus einer neueren Statistik von dem auch von Ihnen, Frau Keilhack, erwähnten Kölner Staatsanwalt Schilling von der Mitte des vorigen Jahres zitieren. Zu dieser Zeit existierten 73 sogenannte Verlage, von denen inzwischen ein Teil eingegangen und andere dazugekommen sein mögen, die zumindest für die Jugend fragwürdige, ungeeignete und gefährdende Schriften herausgeben.
Die etwa 50 Verlagsobjekte verteilen sich auf 9 Magazine, 7 Aktbildsammlungen, 15 Sittenromanreihen, 4 sogenannte Witzblätter, 7 FFK-Zeitschriften, 4 sexualreformerische und 4 sexualpathologische Zeitschriften. Zu diesem vorwiegend ero-
tisch-sexuellen Schrifttum kommt noch eine Flut von Wildwest- und Kriminalromanserien; dazu kommen aber auch noch — das beruht auf einer ganz neuen Statistik — 145 Versandgeschäfte, die in Reklamesendungen für die eben angeführten Schriften und darüber hinaus für Sexual-Stimulantien und ähnliche Erzeugnisse werben. Wenn man aber nun noch erfährt, wer die Inhaber dieser sogenannten Verlage und die Autoren sind, dann muß man sagen: es ist geradezu unbegreiflich, wie sich seriöse Autoren, Verleger und Buchhändler durch ihren Kampf gegen das Gesetz mit diesen Leuten beinahe solidarisch erklären können.
Wer nur einmal einige Kilo dieser Massenproduktion gelesen hat, dem kann einerseits schlecht werden ob soviel Geschmacklosigkeit und schlecht erfundener Geschichten, der erschrickt aber andererseits, wenn er an die Auswirkungen denkt, über soviel Rohheit, Verbrechen und Schamlosigkeit, die von dieser Art Literatur in grellen Farben vor der Jugend ausgewalzt werden.
Man darf das, meine Damen und Herren, in der Auswirkung auf die Jugend — von den Erwachsenen wollen wir hier lieber nicht reden — wirklich nicht bagatellisieren und auch nicht dem Argument, mit dem Frau Keilhack operiert hat, zum Opfer fallen, daß die vorhandenen Möglichkeiten des § 184 des Strafgesetzbuches genügten. Wenn dieser Paragraph genügte, um den Staatsanwälten und Richtern die Möglichkeit zum Eingreifen zu geben, hätten wir heute nicht den oben geschilderten Zustand.
,) Im übrigen — das ist unsere feste Überzeugung — sind die Prüfstellen ein viel besserer Schutz für eine möglichst objektive Beurteilung, als wenn der einzelne Richter zu entscheiden hat, was jugendgefährdend ist.
Die Strafgesetzbestimmungen des § 184 sind nicht nach pädagogischen und jugenderzieherischen Grundsätzen entstanden. Die seelische Verfassung des Jugendlichen wird in diesen Bestimmungen überhaupt nicht berücksichtigt. Was auf den reifen Menschen ohne gefährdende Wirkung bleiben kann, gehört nicht immer auch schon in die Hand des Jugendlichen. Es ist ein Unterschied, ob ein junger Mensch oder ein reifer Erwachsener ein Aktbildheft oder einen Sittenroman zur Hand nimmt. Die ungeklärte und sehr labile Einbildungskraft des Jugendlichen empfängt hier zweifellos Eindrücke und Reize, die nur verwirrend auf ihn wirken. Der Jugendliche mit seinen ungelösten und nicht bewältigten seelischen und körperlichen Spannungen gerät durch die Lektüre dieser Schriften in eine Situation, die für seine seelische Entwicklung eine große Gefahr darstellt. Die heutigen Sexualaufklärungsschriften, Magazine und Aktbild-hefte bieten ihm bestimmte Reize an, die zu überwinden ihm größte Schwierigkeit bereiten muß.
Wir wollen aber mit dem Gesetz gar nicht einseitig und auch nicht einmal in erster Linie das erotisch-sexuelle Schrifttum treffen. Das geht aus dem § 1 ganz eindeutig hervor. Von den Wildwestheften und Kriminalreißern, die in unerhörten Auflagen mit verlockenden Titeln und Titelbildern werben, geht ebenfalls eine weitere zersetzende Wirkung auf die geistige Entwicklung aus, und diese Schriften kann man überhaupt nicht mit dem
§ 184 treffen. Bei zahlreichen Verbrechen, die in den letzten Jahren von Jugendlichen begangen wurden — ich muß hier im Gegensatz zu Frau Keilhack sagen, daß die Jugendpsychologen und Jugendrichter das fast einhellig bestätigen —, konnte wirklich nachgewiesen werden, daß durch die Lektüre solcher Schriften zumindest eine Tatstimmung und eine Tatbereitschaft erzeugt oder gefördert wurde.
Ich weiß, man wirft hier ein, daß doch nur ein kleiner Prozentsatz von Jugendlichen auf Grund solcher Lektüre kriminell wird und auch Milieu und Situationsbedingtheit sowie vorhandene Anlagen eine entscheidende Rolle dabei spielen. Wir müssen ohne weiteres zugeben: die Jugend von heute ist nicht schlechter als die Jugend früherer Tage; sie hat nur mit viel mehr inneren und äußeren Schwierigkeiten zu kämpfen als früher, Schwierigkeiten — das darf man aber dazusagen —, die vielfach aus der Verantwortungslosigkeit der Erwachsenen kommen.
Die Jugendkriminalität ist in einem erschreckenden Maße gestiegen. Aber wir sind auch der Meinung, daß man, selbst wenn es sich nur um einen kleinen Prozentsatz handeln würde, auch um die, ser jungen Menschen willen etwas tun muß.
Es ist für uns aber gar nicht entscheidend, ob und wie viele nun ausgesprochen kriminell werden. Die vielfache Zerstörung der seelischen, geistigen und auch religiösen Werte ist doch eine ebenso traurige Folge und oft die Ursache eines verpfuschten Lebens.
Die Gegner des Gesetzes haben Angst, das Grundrecht der Pressefreiheit würde verletzt, und eine Zensur würde eingeführt. Man darf aber bei diesem Einwand nicht immer nur den Absatz 1 des Artikels 5 des Grundgesetzes zitieren, sondern man muß den Absatz 2 dazulesen. Dieser Absatz ist hier entscheidend; denn es heißt darin: Diese Rechte finden ihre Schranken in den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend. Und darum handelt es sich hier.
Niemand denkt daran, die Pressefreiheit einzuengen oder eine Zensur einzuführen. Aber es gibt keine Freiheit ohne Bindung, und es ist geradezu ein schlechter Scherz, daß diejenigen, die die Freiheit mißbrauchen, auf einmal am lautesten nach der Demokratie und ihren Grundrechten schreien, weil es um ihre schmutzigen Geschäfte geht.
Es fällt doch keinem vernünftigen Menschen ein, zu sagen, seine Freiheit sei beeinträchtigt, weil er viele Medikamente, die starke Gifte enthalten, nicht an jedem Obststand und in jedem Milchladen kaufen kann, ja, nicht einmal in der Apotheke ohne Rezept, und hier gilt das sogar auch für die Erwachsenen. Und wenn in diesem Haus ein Gesetzentwurf über die Verwendung von Giften zur Schädlingsbekämpfung vorgelegt wird, dann ist es doch selbstverständlich, daß gesetzlich festgelegt wird, wie diese Mittel angewendet werden dürfen, damit andere Pflanzen oder Tiere dabei nicht zugrunde gehen. Wenn das in diesen Bereichen schon so ist und vernünftigerweise nicht als
Einengung der Freiheit empfunden wird, dann sind wir der Meinung, weil wir die Erzeugnisse, gegen die sich das vorliegende Gesetz richtet, allerdings für Gift, für schlimmes Gift in der Jugend halten, daß man sie erst recht davor schützen muß; denn die geistige und sittliche Ordnung muß doch höher stehen.
Es läßt sich nicht vermeiden, wenn das Gesetz wirksam sein soll, daß Schriften, die in die Liste aufgenommen sind, in Kiosken, im Straßenverkauf oder von Haus zu Haus nicht mehr verbreitet werden dürfen. Wenn nun die Erwachsenen ein solches Heft oder Buch nicht mehr an jedem Kiosk kaufen können, sondern in der Buchhandlung danach fragen müssen, statt es im Vorbeigehen unauffällig mitzunehmen, oder wenn die Verleger nun auch einmal ein Buch, das für die Jugend nichts taugt, aber für Erwachsene durchaus gut sein kann, nicht mehr an den Kiosken, sondern nur mehr im Buchladen absetzen können, so sind das meines Erachtens doch sehr kleine Opfer, die im Interesse der Jugend einfach gebracht werden müssen.
Ich muß in diesem Zusammenhang ein Wort an die Autoren, Verleger und Buchhändler richten, an die guten, und das sind Gott sei Dank die meisten. Dieses Gesetz enthält in keinem Punkt Möglichkeiten — der Herr Minister hat vorhin bereits darauf hingewiesen —, die ihre Rechte beeinträchtigen könnten. Alle Beschlüsse der Prüfstellen können nur mit Zweidrittelmehrheit gefaßt werden. Die Prüfstellen haben einen beamteten Vorsitzenden und acht Mitglieder, davon vier aus den Kreisen der Kunst, der Literatur, der Verleger und des Buchhandels. Es kann also gar kein Beschluß zustande kommen, ohne daß Vertreter dieser Gruppen mit dafür stimmen. Das gleiche gilt für die einstweilige Verfügung. Auch diese muß von drei Mitgliedern einstimmig beschlossen werden, wovon wieder einer aus den oben erwähnten Gruppen sein muß. Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung den Autoren, Verlegern und Buchhändlern ein großes Vertrauen entgegengebracht, ihnen aber auch eine große Verantwortung auferlegt. Wir haben hier eine echte, im Gesetz verankerte Selbstkontrolle. Verleger, Autoren und Buchhändler haben es in der Hand, durch Verbreitung guter Bücher, durch Zusammenarbeit mit den Behörden, mit den Jugendverbänden und ihren Buchvertrieben, vor allem aber auch durch Ablehnung aller schlüpfrigen und zerstörenden Literatur dieses Gesetz bald überflüssig zu machen.
Nun noch ein ernstes Wort, das uns allen gilt. Die Frau Kollegin St r o h b a c h hat hier über den Sittenverfall im Westen geklagt und uns triumphierend berichtet, daß es im Osten keinen Schmutz und Schund gibt. Nun, Frau Strohbach, Sie haben natürlich in der Diktatur wirksamere Mittel als wir mit unseren Prüfstellen. Sie wenden sich allerdings auch nicht nur gegen jugendgefährdende Schriften, sondern gegen alles und jedes und gegen jede Presse, die nicht im Sinne der SED ist, so daß ohne Zensur bei Ihnen j a überhaupt nichts erscheinen kann. Kommen Sie also doch nicht hier herauf, um ein Klagelied über die angebliche Einschränkung der Pressefreiheit bei uns anzustimmen. Aber eines, meine Damen und Herren, ist sicher: ich glaube, wir müssen uns alle schämen, wenn unsere Brüder und Schwestern
aus dem Osten zu uns kommen und sehen, was wir im Westen mit unserer Freiheit anfangen.
Auch das bildet ja laufend ein Argument und einen Propagandaschlager im Kalten Krieg der SED.
Lassen Sie mich noch zu einem Einwand gegen das Gesetz Stellung nehmen. Es wird gesagt — Frau Keilhack hat sehr lange darüber geredet —, man solle die schlechte Literatur durch positive Maßnahmen, also durch Förderung guter Schriften, beseitigen. Es ist uns genau so klar, daß es mit Verboten allein nicht getan wäre. Aber man kann auch mit positiven Maßnahmen allein den Schmutz nicht beseitigen. Hier gilt, das eine tun und das andere nicht lassen. Es ist auch nicht so — und das wäre ein schlechtes Zeichen für unsere Autoren und Verleger —, daß es keine guten Jugendbücher gibt. Im letzten Jahr sind allein 2500 auf den Markt gekommen, darunter Kinderbücher, Experimentierbücher, naturwissenschaftliche und für die Jugend geeignete technische Bücher. Natürlich sind davon nicht alle gut. Immerhin sind aus der Produktion seit 1945 zur Zeit 1200 gute Jugendbücher griffbereit. Dabei ist es allerdings so — und leider so! —, daß diese Bücher viel zu teuer sind, weil die Auflage relativ klein ist. Aber auch hier — Sie haben das vom Herrn Minister vorhin gehört — sind neue Bestrebungen im Gange und ist einiges geschehen. Einige Verleger bringen jetzt von sich aus gute Jugendbücher in der Art der RowohltBücher zum Preise von etwa 2 DM heraus, was natürlich auch nur möglich ist bei einer Mindestauflage von 25 000. Jedenfalls laufen zur Zeit Besprechungen und Verhandlungen, und ich glaube, wir werden auch die erforderlichen Mittel bekommen, um das einzusetzen, was im Antrag der SPD, der im übrigen in manchen Punkten sehr problematisch ist und den wir seinem Inhalt nach im Jugendfürsorgeausschuß zu behandeln wünschen, gefordert wird, die Mittel, die notwendig sind, um auch auf diesem Gebiet wieder ein Stück voranzukommen.
Das gleiche gilt für die sozialen Schwierigkeiten. Das Wohnungselend und die Berufsnot der Jugend haben von Anfang an unsere besondere Aufmerksamkeit gefunden, und, das wissen Sie doch, Frau Kollegin Keilhack, wir haben viele Notstände beseitigt und werden stets bemüht sein, der Jugend zu Beruf und menschenwürdiger Wohnung zu verhelfen. Wir brauchen uns der positiven Maßnahmen auch auf diesem Gebiet in keiner Weise zu schämen, wenngleich wir wissen, daß hier noch viel geschehen muß.
Ich will im einzelnen zu dem Antrag der SPD nicht mehr Stellung nehmen, sondern zum Schluß nur noch folgendes sagen: Das Gesetz gegen jugendgefährdende Schriften u n d positive Maßnahmen, das zusammen wird es uns ermöglichen, den derzeitigen Zustand zu beseitigen. Befürworter und Gegner dieses Gesetzes wollen beide, daß die Gefahren des jugendgefährdenden Schrifttums soweit als möglich beseitigt werden; nur über den Weg bestehen Meinungsverschiedenheiten, wobei die Gegner uns allerdings bis zur Stunde noch keinen besseren, brauchbaren Vorschlag machen konnten; denn nicht ein einziger Einwand von denen, die gekommen sind, stellt eine echte Alternative dar.
Eines aber sollten wir nicht tun: uns gegenseitig Motive unterstellen, die nicht vorhanden sind. Nichts ist leichter — das gilt nicht nur für dieses
Haus, sondern das gilt vor allem für die Diskussion draußen in der Öffentlichkeit —, als hier mit billiger Polemik, mit Hohn und Spott die zu überschütten, die in echter Sorge um die deutsche Jugend zur Zeit einen anderen Weg als den des Gesetzes nicht sehen.
Ich muß dankbar anerkennen, daß im Ausschuß
der Boden der Sachlichkeit bei den vielen Sitzungen nicht ein einziges Mal verlassen wurde, wenngleich wir leider nicht zu einem gemeinsamen Beschluß über die Methoden gekommen sind. Aber
ich habe den Eindruck, daß diejenigen von Ihnen,
die die Jugendnot und die Jugendgefährdung kennen und trotzdem gegen das Gesetz stimmen, selbst
unglücklich wären, wenn das Gesetz fallen würde.
Wir wollen ohne jede Prüderie und ohne jedes Muckertum eine saubere, gesunde und quicklebendige Jugend, der alles offenstehen soll, was schön und gut ist, von der aber auch ferngehalten werden muß, was ihr schadet. Darum fördern wir alle positiven Maßnahmen, darum geben wir dem Gesetz unsere Zustimmung; und weil wir es für so wichtig halten, beantragen wir für die Schlußabstimmung namentliche Abstimmung.