Rede von
Arthur
Mertins
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute in diesem Hohen Hause zum zweitenmal mit dem Bericht des Auswärtigen Ausschusses über die Frage des Knechtsandes. Beide Ausschußberichte sind gleichlautend, und man könnte beinahe zu dem Schluß kommen, daß die Zurückverweisung der Drucksache Nr. 3162 an den Ausschuß keine neuen Argumente erbracht habe, daß in der Zwischenzeit nichts geschehen sei. Auch die Darstellung des Herrn Berichterstatters, deren Objektivität ich nicht anzweifeln will, hat meines Erachtens diese Meinung erhärtet. Ich möchte jetzt .auf einige Dinge eingehen, die doch die Sachlage verändert erscheinen lassen, und auch einiges richtigstellen, von dem ich glaube, daß es aus subjektiver Empfindung in den Bericht des Herrn Berichterstatters hineingekommen ist.
Die Besichtigungsfahrt mit der Vorbesprechung, die die Kommission des Auswärtigen Ausschusses am 4. und 5. Juni durchgeführt hat, hat meines Erachtens — auch nach Ansicht der Teilnehmer außerhalb dieses Hohen Hauses — die Argumente der Opposition, die ich damals vorzubringen die Ehre hatte, voll und ganz bestätigt und sie sogar erweitert. Ich will mich nicht wiederholen. Sie können meine Ausführungen bei der damaligen Behandlung des Themas nachlesen. In der Besprechung der Kommission wurde von allen Seiten festgestellt, daß diese Aktion die Vernichtung der Existenz von 400 Familien — ich denke jetzt nicht nur an die Fischer, sondern auch an die Zubringer- und die verarbeitenden Industrien — mit sich bringt, daß ferner eine Gefährdung der Küsten zum mindesten nicht ausgeschlossen erscheint und daß schließlich die Anlagen bei Nordholz und Cuxhaven wahrscheinlich nicht mehr zu dem Zweck, zu dem sie geschaffen worden sind, benutzt werden können. Selbst der Vertreter des Verkehrsministeriums mußte in dieser Besprechung zugeben, daß der Hohe Knechtsand, der als Bollwerk gegen den Atlantik vorgeschoben ist, nicht beschädigt werden dürfte, da sonst eine große Gefahr für die Küste entstehen würde. Nachdem wir die Zielsicherheit der Royal Air Force auf Helgoland kennengelernt haben, wo bekanntlich noch 7,5 km außerhalb der Gefahrenzone — d. h. also 14,0 km vom eigentlichen Ziel entfernt — Bomben gefallen sind,
können wir nicht umhin, festzustellen, daß es bagatellisieren heißt, wenn man davon spricht, daß eine Gefährdung der Küste nicht in Frage kommen kann.
Neu hinzugekommen und sehr beachtlich ist folgendes Argument gegen die Bombardierung von Knechtsand: Es wird unter allen Umständen eine Beunruhigung der Großschiffahrt auf Weser und Elbe eintreten. Die Weser ist 14 km, die Elbe 17 km entfernt. Selbst der Vertreter der Dienststelle Blank, Herr Oberst a. D. — so muß es wohl heißen, Herr Hasemann, und nicht Oberst — Eschenauer, hat festgestellt bzw. einwandfrei zugegeben, daß auf dem Schiffahrtsweg die Bombenabwürfe zu hören sein werden und daß an Land die Fensterscheiben klirren werden. So habe ich es mir aus der Kommissionssitzung wörtlich notiert. Ein Kapitän, der dort auch als Sachverständiger an-
wesend war, hat die Ansicht geäußert, daß wie an anderen Punkten der Erde auch hier auf der Seekarte dieses Gebiet als Warngebiet eingetragen wird und daß die Dampferkapitäne der Großschiffahrtsrouten sich weigern werden, diese Schifffahrtswege weiter zu benutzen. Ich verstehe das auch vom rein menschlichen Standpunkt. Denn wenn jemand von Amerika nach Europa reisen will und weiß, daß er in die Nähe eines solchen Bombenabwurfgebietes kommt, wird er als Passagier lieber eine englische oder holländische Linie bevorzugen an Stelle einer deutschen, die Bremerhaven oder Hamburg anläuft.
In mir ist der Gedanke aufgetaucht, der nach unseren Erfahrungen der letzten Zeit vielleicht gar
nicht so von der Hand zu weisen ist, daß hier vielleicht auch die Großschiffahrtsgesellschaften anderer Staaten ein dringendes Interesse an der Niederhaltung der deutschen Konkurrenz haben könnten.
In der Kommission ist die Frage des schwimmenden Bombenziels nicht restlos geklärt worden. Es ist von keiner Seite festgestellt worden, aus welchen Gründen ein schwimmendes Bombenziel, das weitab von der Küste und weitab von den Hauptschiffahrtswegen liegen könnte, nicht in Frage kommt. Man hat darauf hingewiesen, daß die Landbeobachtung sehr wichtig sei. Demgegenüber ist festzustellen, daß auch bei den Bombenabwürfen auf Helgoland keine Landbeobachtung vorhanden war, sondern die Beobachtung auch von den Küstenwachschiffen der Royal Air Force durchgeführt wurde.
Die Argumente der Opposition sind also durch die Kommissionsverhandlungen und durch die Bereisung des Großen Knechtsands, die j a deutlich gezeigt hat, wie nahe die Küste ist. obwohl Nebel aufkam — an einem sonnenhellen Tag hätte man es noch viel deutlicher sehen können —, nicht entkräftet worden. Nicht nur allein, sondern auch
alle anderen von der Küste, die dort vertreten waren, hatten den Eindruck, daß die Mitglieder der Kommission, auch der Koalitionsparteien, von den Sachverständigen-Ausführungen tief beeindruckt gewesen sind. Ich erinnere mich nur an die Äußerungen des Herr Dr. von Merkatz und des Herrn Tobaben, die dieser Meinung Ausdruck gegeben haben. Demnach ist mir und meinen Freunden der zweite Bleichlautende Ausschußbericht völlig unverständlich.
Nun ist in der Zwischenzeit noch ein besonderes Ereignis eingetreten, das die Frage des Knechtsandes zu einem innerdeutschen Politikum ersten Ranges zu gestalten scheint. Die Presse meldete zwei Tage vor der in der vergangenen Woche beabsichtigten Debatte den Abschluß eines Vertrages zwischen dem Herrn Bundeskanzler und — die Meinungen sind da widersprechend, ich weiß nicht genau, wem — den Hohen Kommissaren oder Großbritannien, nach dem der Knechtsand zur Bombardierung freigegeben werden soll. Dieser Bundestag ist im Verkehr der Bundesregierung mit ihm schon allerhand gewohnt; aber ich glaube, daß dieses Vorgehen des Herrn Bundeskanzlers — wenn sich die Pressemeldungen bestätigen — doch, sagen wir mal, zu den größten Bedenken Anlaß gibt.
Der Herr Bundeskanzler und seine Beauftragten
mußten aus der ersten Verhandlung über den Ausschußbericht wissen, daß die Meinung in diesem
Hause in der Mehrheit gegen eine Bombardierung des Knechtsandes war. Wenn es damals zur Abstimmung gekommen wäre und die Koalitionsparteien nicht einen Zurückverweisungsantrag gestellt hätten, wäre der Ausschußbericht hier abgelehnt worden. Trotz dieser Sachlage hat der Herr Bundeskanzler, den Pressemeldungen zufolge, einen solchen Vertrag abgeschlossen. Ich will mir angesichts der hohen Persönlichkeit des Herrn Bundeskanzlers die Frage, ob er den Bundestag brüskieren wollte, nicht gestatten.
Aber die Meinung des Bundestags müßte hier eindeutig zum Ausdruck kommen, daß das Hohe Haus sich eine solche Behandlung nicht gefallen läßt.
Die zweite Debatte über den Großen Knechtsand mußte hier abgewartet werden, da auch heute noch der Ausgang ungewiß ist, wenn nicht ein Teil Ihrer Freunde, meine Damen und Herren von der Koalition, bereit ist, wieder einmal umzufallen.
— Ich habe Ihnen j a eben sachlich dargelegt, Herr Hasemann, daß es Leute wie mich und viele andere gibt, die das Ergebnis der Kommissionsverhandlungen etwas anders beurteilen als Sie als Berichterstatter.
Wir fragen daher die Bundesregierung, ob die Pressemeldungen über den Abschluß eines Vertrages stimmen, und zweitens, mit wem der Herr Bundeskanzler einen solchen Vertrag abgeschlossen hat. In den Verhandlungen wurde uns seinerzeit gesagt, daß dieses Bombenziel der NATO, der Royal Air Force oder auch der amerikanischen Luftwaffe zur Verfügung gestellt werden solle. Wir wissen nichts davon. Wir bitten ferner um Aufklärung darüber, weichen Inhalt dieser Vertrag hat, und wir fragen, ob wir als Bundestagsabgeordnete diesen Vertrag in seinem Wortlaut bald zu Gesicht bekommen werden. Wir stellen schließlich die entscheidende Frage: Sind der Herr Bundeskanzler oder die Bundesregierung bereit, einen Gesetzentwurf einzubringen, nach dem dieser Vertrag vom Bundestag genehmigt werden kann?
Unser Standpunkt in dieser Angelegenheit ist folgender. Der Herr Bundeskanzler ist zum Abschluß eines solchen Vertrages nicht berechtigt. Er muß als Anlage zu diesem Vertrag ein Gesetz vorlegen, und zwar nach den Artikeln 32 und 59 des Grundgesetzes. Aber auch das Abkommen selber verstößt in seinem Inhalt gegen das Grundgesetz, und zwar gegen die Artikel 11 und 12, in denen die Freizügigkeit und das Recht auf freie Wahl eines Arbeitsplatzes für alle Bürger der Bundesrepublik garantiert sind. Ohne Gesetz können diese Grundrechte nicht aufgehoben werden, auch nicht für diese 400 Fischerfamilien an der Küste von Nordholz und Dorum.
Wir wünschen ferner eine ausführliche Darstellung, möglichst vor dem Abschluß der Verhandlungen im Bundestag über diese Frage, wie sich die Regierung die Entschädigung denkt. Bisherige Verlautbarungen betreffend die Verhandlungen über die Frage der Entschädigung für die Fischer und die sonstigen Betroffenen sind für uns völlig unverständlich. Wir wissen, daß die Fischer sehr schwer um ihre Existenz zu ringen haben, daß sie
Darlehen, die sie für ihre Fahrzeuge aufgenommen haben, tilgen müssen. Wir wissen, daß die Steuerleute die Drohung Wahrmachen werden, abzumustern, wenn Knechtsand bombardiert wird, und daß dann dort die Fischerei völlig stilliegt.
Wir bedauern bei der von mir geschilderten Sachlage die Haltung der Mehrheit im Ausschuß, und wir bedauern auch die Haltung der Bundesregierung, die, ohne diese Debatte abzuwarten, zu einem Vertragsabschluß gekommen ist. Wir hoffen auf eine gerechte Beurteilung unserer Argumente durch dieses Hohe Haus. Wir lehnen den Ausschußbericht ab.