Protokoll:
1221

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 1

  • date_rangeSitzungsnummer: 221

  • date_rangeDatum: 9. Juli 1952

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 13:33 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 19:06 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Juli 1952 9785 221. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 9. Juli 1952. Geschäftliche Mitteilungen . 9786B, 9801C, 9841C Glückwünsche zum 60. Geburtstag der Abg. Dr. Köhler, Ludwig und Rath und zum 64. Geburtstag des Abg. Schill . . . 9786C Aufnahme des Abg. Wittmann als Gast in die Fraktion der CDU/CSU 9786C Mandatsniederlegung des Abg. Vesper (KPD) 9786C Vorlage der Rechnungen über den Haushalt des Rechnungshofs im Vereinigten Wirtschaftsgebiet für das Rechnungsjahr 1948 bzw. 1949 9786D Ausschußüberweisung 9786D Beschlußfassung des Deutschen Bundesrats zum Gesetz zur Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes über den Kapitalverkehr 9786D Gesetz über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Arbeitslosenversicherung 9786D Gesetz über Preise für Getreide inländischer Erzeugung für das Getreidewirtschaftsjahr 1952/53 und über besondere Maßnahmen in der Getreide-und Futtermittelwirtschaft (Getreidepreisgesetz 1952/53) 9786D Gesetz betr. Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik (Österreich über Gastarbeitnehmer vom 23. November 1951 . . . 9787A Gesetz 'über die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten 9787A Gesetz betr. das Protokoll vom 16. Februar 1952 über Zollvereinbarungen zwischen der Bundesrepublik- Deutschland und der Türkei 9787A Gesetz über das Erste Berichtigungs- und Änderungsprotokoll zu den Zollzugeständnislisten des Allgemeinen Zoll-und Handelsabkommens (GATT) . . . 9787A Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiet der Sozialversicherung 9787A Kleine Anfrage Nr. 274 der Fraktion der SPD betr. Unterrichtung der diplomatischen Vertretungen über das Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für die im Ausland lebenden Angehörigen des öffentlichen Dienstes (Nrn. 3447, 3519 der Drucksachen) . . . . 9787A Kleine Anfrage Nr. 273 der Fraktion der SPD betr. Jugendarbeitsschutzgesetz (Nrn. 3446, 3553 der Drucksachen) . . . 9787A Kleine Anfrage Nr. 275 der Fraktion der SPD betr. Bauaufträge der Besatzungsbehörden (Nrn. 3448, 3554 der Drucksachen) 9787B Kleine Anfrage Nr. 280 der Fraktion der CDU/CSU betr. Anwendung der Soforthilfe — DVO — (Nrn. 3469, 3555 der Drucksachen) 9787B Kleine Anfrage Nr. 271 der Fraktionen der FDP, DP/DPB, FU betr. Verbilligung von Dieselkraftstoff (Nrn. 3378, 3556 der Drucksachen) 9787B Kleine Anfrage Nr. 278 der Fraktion der SPD betr. Hilfsmaßnahmen für durch Schließung der Zonengrenze im Kreis Eschwege arbeitslos gewordene Eisenbahner (Nrn. 3467, 3557 der Drucksachen) 9787B Kleine Anfrage Nr. 279 der Fraktion der SPD betr. Unterbindung der Werbung für die Fremdenlegion (Nrn. 3468, 3558 der Drucksachen) 9787B Kleine Anfrage Nr. 269 der Abg. Albers, Dr. Pünder u. Gen. betr. Absichten der belgischen Besatzungsbehörden auf Beschlagnahme von Gelände im äußeren Grüngürtel der Stadt Köln für Zwecke von Kasernenbauten (Nrn. 3348, 3401, 3564 der Drucksachen) 9787C Zur Tagesordnung, betr. Absetzung der Beratung der Mündlichen Berichte des Vermittlutngsausschusses zu den Gesetzentwürfen über den Lastenausgleich (Nr. 3548 der Drucksachen), zur Einfügung eines Art. 120 a in das Grundgesetz (Nr. 3550 der Drucksachen), über Teuerungszuschläge zur Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz (Nr. 3549 der Drucksachen) und zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes (Nr. 3560 der Drucksachen) . . . 9787C Dr. Mende (FDP) 9787C Beratung vertagt 9787D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer durch den Bund im Rechnungsjahr 1952 (Nrn. 3547, 3168, 3245, 3355 der Drucksachen) . . . 9787D Dr. Wellhausen (FDP), Berichterstatter 9787D Schoettle (SPD) (zur Abstimmung) 9788C Beschlußfassung (namentliche Abstimmung) 9788D, 9842 Erste Beratung der Entwürfe 1. eines Gesetzes betr. den Vertrag vom 26. Mai 1952 über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten mit den Zusatzverträgen, 2. eines Gesetzes betr. das Abkommen vom 26. Mai 1952 über die steuerliche Behandlung der Streitkräfte und ihrer Mitglieder (Nr. 3500 der Drucksachen) in Verbindung mit der Ersten Beratung der Entwürfe 1. eines Gesetzes betr. den Vertrag vom 27. Mai 1952 über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und betr. den Vertrag vom 27. Mai 1952 zwischen dem Vereinigten Königreich und den Mitgliedstaaten der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, 2. eines Gesetzes betr. das Abkommen vom 27. Mai 1952 über die Rechtsstellung der Europäischen Verteidigungsstreitkräfte und über das Zoll- und Steuerwesen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (Nr. 3501 der Drucksachen, Umdruck Nr. 599), sowie in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen (Nr. 3495 der Drucksachen) 9788D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 9789B Unterbrechung der Sitzung . 9801C Dr. Gerstenmaier (CDU) 9801C Dr. Schmid (Tübingen) (SPD) . . . 9807D Dr. Schäfer (FDP) 9819A Dr. von Merkatz (DP) 9823D Schäffer, Bundesminister der Finanzen 9829C, 9839A Schoettle (SPD) 9834A Weiterberatung vertagt 9841C Beratung des interfraktionellen Antrags betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck Nr. 597) 9841C Beschlußfassung 9841C Nächste Sitzung 9841C Zusammenstellung der namentlichen Abstimmung über den Antrag des Vermittlungsausschusses zum Entwurf eines Gesetzes über die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommensteuer und der Körschaftsteuer durch den Bund im Rechnungsjahr 1952 (Nr. 3547 der Drucksachen) 9842 Die Sitzung wird um 9 Uhr 3 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Namentliche Abstimmung über den Antrag des Vermittlungsausschusses zum Entwurf eines Gesetzes über die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer durch den Bund im Rechnungsjahr 1952 (Nr. 3547 der Drucksachen) Name Abstimmung Name Abstimmung CDU/CSU Höfler Ja Hohl Ja Dr. Adenauer Ja Dr. Holzapfel — Albers Ja Hoogen Ja Arndgen . . . .. . • Ja Hoppe . . . . . . . . Ja Dr. Bartram (Schleswig-Holstein) Ja Dr. Horlacher Ja Bauereisen J a Horn Ja Bauknecht . . . . . .. . Ja Huth Ja Dr. Baur (Württemberg) . . . . Ja Dr. Jaeger (Bayern) enthalten Bausch Ja Junglas Ja Becker (Pirmasens) Ja Kahn Blank (Dortmund) Ja Kaiser Ja Bodensteiner Ja Karpf Ja Frau Brauksiepe Ja Dr. Kather Ja Dr. von Brentano Ja Kemmer Ja Brese Ja Frau Dr. Brökelschen Ja Kemper Ja . . . . . Dr. Brönner Ja Kern . . . . . . . . . . entschuldigt Brookmann Ja Kiesinger Ja Dr. Bucerius Ja Dr. Kleindinst Ja . . . . . . . . Frau Dietz Ja Dr. Köhler . . . . . . . . . Ja . . . . . . .. Dr. Dresbach . . . . . . . . — Dr. Kopf Ja Eckstein Ja Kühling . . . . . . . . . . Ja Dr. Edert Ja Kuntscher . . . . . . . . Ja Dr. Ehlers . . . . . . . . . Ja Kunze . . . . . . . . . . Ja Ehren Ja Dr. Laforet . . . . . . . . . Ja Dr. Erhard Ja Dr. Dr. h. c. Lehr . . . . . . Ja Etzel (Duisburg) . . . . . . . Ja Leibfried Ja Etzenbach Ja Lenz Ja Even — Leonhard Ja Feldmann Ja Lücke Ja Dr. Fink Ja Majonica . . . . . . . . . Ja Dr. Frey Ja Massoth Ja Fuchs Ja Mayer (Rheinland-Pfalz) . . . Ja Dr. Freiherr von Fürstenberg . . Ja Mehs Ja Fürst Fugger von Glött . . . . Ja Mensing — Funk Ja Morgenthaler . . . . . . . . Ja Gengler Ja Muckermann . . . . . . . . Ja Gerns Ja Mühlenberg . . . . . . . . Ja Dr. Gerstenmaier Ja Dr. Dr. Müller (Bonn) Ja Gibbert Ta Müller-Hermann Ja Giencke .Ta Naegel Ja Dr. Glasmeyer Ja Neber Ja Glüsing Ja Nellen Ja Gockeln entschuldigt Neuburger krank Dr. Götz Ja Nickl Ja Frau Dr. Gröwel — Frau Niggemeyer Ja Günther Ja Dr. Niklas — Hagge Ja Frau Heiler Ja Dr. Oesterle Ja Heix Ja Dr. Orth Ja Dr. Henle Ja Pelster Ja Hilbert . . . . . . . . . . Ja Pfender Ja Name Abstimmung Name 1 Abstimmung Dr. Pferdmenges . . . . . . . Ja Bromme Nein Dr. Povel entschuldigt Brünen Nein Frau Dr. Probst Ja Cramer Nein Dr. Pünder . . . . . . . . . Ja Dannebom Nein Raestrup Ja Diel Nein Rahn Ja Frau Döhring . . . . . . . . Nein Frau Dr. Rehling Ja Eichler Nein Frau Rösch Ja Ekstrand Nein Rümmele Ja Erler Nein Sabel . Ja Faller . . . • . . . . . . Nein Schäffer Ja Franke Nein Scharnberg . . . . . . . . . Ja Freidhof . . . . . . . . . Nein Dr. Schatz Ja Freitag Nein Schill Ja Geritzmann . . . . . . . . Nein Schmitt (Mainz) Ja Gleisner . . . . . . . . . Nein Schmitz beurlaubt Görlinger . . . . . . . . . Nein Schmücker Ja Graf Nein Dr. Schröder (Düsseldorf) Ja Dr. Greve — Schüttler . . . . . . . . . Ja Dr. Gülich . . . . . . . . Nein Schütz entschuldigt Happe . . . . . . . . . . Nein Schuler Ja Heiland Nein Schulze-Pellengahr Ja Hennig Nein Dr. Semler Ja HenBler krank Dr. Serres Ja Herrmann Nein Siebel Ja Hoecker Nein Dr. Solleder Ja Höhne Nein Spies Ja Frau Dr. Hubert Nein Graf von Spreti Ja Imig Nein Stauch Ja Jacobi Nein Frau Dr. Steinbiß Ja Jacobs Nein Storch — Jahn Nein Strauß Ja Kalbfell krank Struve _ Kalbitzer Nein Stücklen Ja Frau Keilhack Nein Dr. Vogel Ja Keuning . . . . . . . . . Nein Wacker Ja Kinat Nein Wackerzapp Ja Frau Kipp-Kaule — Dr. Wahl . . . . . . .. . Ja Dr. Koch Nein Frau Dr. Weber (Essen) . . . . Ja Frau Korspeter Nein Dr. Weber (Koblenz) Ja Frau Krahnstöver Nein Dr. Weiß Ja Dr. Kreyssig Nein Winkelheide Ja Kriedemann Nein Wittmann Ja Kurlbaum beurlaubt Dr. Wuermeling . Ja Lange Nein Lausen entschuldigt Frau Lockmann Nein SPD Ludwig Nein Dr. Laetkens Nein Frau Albertz . . . . . . . . Nein Maier (Freiburg) Nein Frau Albrecht . . . . . . . . Nein Marx . . . . . . . . . . . Nein Altmaier Nein Matzner Nein Frau Ansorge . . . . . . Nein Meitmann Nein Dr, Arndt Nein Mellies . . . . . . . . . . Nein Arnholz Nein Dr. Menzel Nein Dr. Baade Nein Merten Nein Dr. Bärsch Nein Mertins Nein Baur (Augsburg) Nein Meyer (Hagen) Nein Bazille Nein Meyer (Bremen) Nein Behrisch Nein Frau Meyer-Laule . . . . . . Nein Bergmann Nein Mißmahl . . . . . . . . . Nein Dr. Bergstraeßer . . . . . . . Nein Dr. Mommer . . . . . . . . Nein Berlin Nein Moosdorf Nein Bettgenhäuser . . . . . . . Nein Dr. Mücke Nein Bielig Nein Müller (Hessen) Nein Birkelbach . . Nein Müller (Worms) Nein Blachstein . . . . . . . . . Nein Frau Nadig . . . . . . . . Nein Dr. Bleiß Nein Dr. Nölting . . . . . . . . Nein Böhm Nein Nowack (Harburg) Nein Dr. Brill Nein Odenthal Nein Name Abstimmung Name Abstimmung Ohlig Nein Dr. Leuze Ja Ollenhauer Nein Dr. Luchtenberg . . . . Ja Paul (Württemberg) Nein Margulies Ja Peters Nein Mauk . . . . . . . . . . Ja Pohle Nein Mayer (Stuttgart) krank Dr. Preller entschuldigt Dr. Mende Ja Priebe Nein Dr. Miessner . . . . . , . . Ja Reitzner Nein Neumayer Ja Richter (Frankfurt) Nein Dr. Dr. Nöll von der Nahmer Nein Ritzel Nein Dr. Nowack (Rheinland-Pfalz) . . — Ruhnke Nein Onnen krank Runge Nein Dr. Pfleiderer Ja Sander Nein Dr. Preiß Ja Sassnick Nein Dr. Preusker Ja Frau Schanzenbach Nein Rademacher entschuldigt Dr. Schmid (Tübingen) Nein Rath Ja Dr. Schmidt (Niedersachsen) . . Nein Dr. Freiherr von Rechenberg . krank Dr. Schöne Nein Revenstorff Ja Schoettle Nein Dr. Schäfer Ja Dr. Schumacher krank Dr. Schneider Ja Segitz Nein Stahl Ja Seuffert Nein Stegner Ja Stech Nein Dr. Trischler Ja Steinhörster Nein Dr. Wellhausen Ja Stierle Nein Wirths . . . . . . . . . . Ja Striebeck Nein Dr. Zawadil . . . . . . . . — Frau Strobel Nein Temmen Nein DP-DPB Tenhagen Nein Troppenz Nein Ahrens . . . . . . . . . , Ja Dr. Veit krank Bahlburg Ja Wagner — Frau Bieganowski Ja Wehner Nein Eickhoff Ja Wehr Ewers Ja Weinhold Nein Farke . . . . . . . . . . . Ja Welke . . . . . . . . . . Nein Dr. Fricke Ja Weltner Nein Frommhold Dr. Wenzel Nein Hellwege Ja Wönner Nein Jaffé Ja Zühlke . . . . . . . . . . Nein Frau Kalinke Ja Kuhlemann Ja Dr. Leuchtgens Ja FDP Löfflad Ja Matthes Ja Dr. Atzenroth . . . . . . . . Dr. von Merkatz . . . . . . . Ja Dr. Becker (Hersfeld) . . . . . Ja Dr. Mühlenfeld Ja Dr. Blank (Oberhausen) . . . . Ja Reindl Ja Blücher . . . . . . . . . Ja Schmidt (Bayern) . . . . . . . Ja Dannemann Ja Schuster Ja Dr. Dehler — Dr.Seebohm . . . . . . . . Ja Dirscherl krank Tobaben — Euler Ja Wallner Ja Fassbender Ja Walter Ja Freudenberg Ja Wittenburg . . . . . . . . — Dr. Friedrich Ja Frühwald Ja FU Funcke Ja Gaul Ja Freiherr von Aretin Nein Dr. von Golitschek Ja Frau Arnold Nein Grundmann Ja Dr. Bertram (Soest) — Dr. Hammer Ja Dr. Besold Nein Dr. Hasemann Ja Clausen Nein Dr. Hoffmann (Lübeck) . . . . . Ja Dr.-Ing. Decker Nein Dr. Hoffmann (Schönau) . . . . Ja Determann Nein Frau Hütter . . . . . . . . Ja Eichner Nein Frau Dr. Ilk . . . . . - . . Ja Dr. Etzel (Bamberg) Nein Juncker Ja Hoffmann (Lindlar) Nein Dr. Kneipp . . . . . . . . . Ja Lampl Nein Kühn Ja Mayerhofer Nein Name Abstimmung Name Abstimmung Dr. Meitinger . . . . . . . . Nein Renner — Fürst zu Oettingen-Wallerstein . krank Rische entschuldigt Pannenbecker Nein Frau Strohbach Nein Parzinger Nein Frau Thiele Nein Dr. Reismann Nein Ribbeheger Nein Volkholz — Fraktionslos Wartner Nein Frau Wessel . . . . . . . . Nein Aumer — Willenberg Nein Donhauser Ja Dr. Dorls . . . . . . . . . — Fröhlich enthalten KPD Goetzendorff Nein Agatz Nein Hedler Ja Fisch — Frau Jaeger (Hannover) . . . . Nein Gundelach Nein Dr. Keller — Harig Nein Langer Ja Kohl (Stuttgart) . . . . . . krank Loritz entschuldigt Müller (Frankfurt) krank Müller (Hannover) — Niebergall Nein Dr. Ott krank Paul (Düsseldorf) . . . . . . . Nein von Thadden Nein Reimann Nein Tichi — Zusammenstellung der Abstimmung: I Abstimmung Abgegebene Stimmen . • • • 349 Davon: Ja 196 Nein 151 Stimmenthaltung . . . . 2 Zusammen wie oben . . . . 349 Berliner Abgeordnete Name Abstimmung I Name I Abstimmung CDU/CSU Neumann Nein Dr. Friedensburg — Dr. Schellenberg krank Dr. Krone Ja Frau Schroeder (Berlin) . . . . Nein Lemmer Ja Schröter (Berlin) Nein Frau Dr. Maxsein Ja Frau Wolff krank Dr. Tillmanns Ja FDP SPD Dr. Henn Ja Brandt Nein Hübner Ja Dr. Koenigswarter Nein Frau Dr. Mulert Ja Löbe Nein Dr. Reif Ja Neubauer Nein Dr. Will Ja Zusammenstellung der Abstimmung der Berliner Abgeordneten Abstimmung Abgegebene Stimmen . . . . 16 Davon: Ja . . . . . • . 9 Nein . . . . . . . . 7 Stimmenthaltung . . . . — Zusammen wie oben 16
Gesamtes Protokol
Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0122100000
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 221. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.

Oskar Matzner (SPD):
Rede ID: ID0122100100
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach die Abgeordneten Müller (Frankfurt) für sechs Wochen wegen Krankheit, Dr. Freiherr von Rechenberg für fünf Wochen wegen Krankheit, Kalbfell für vier Wochen ab 26. Juni wegen Krankheit, Frau Wolff für zwei Wochen wegen Krankheit, Dr. Schellenberg für zwei Wochen wegen Krankheit, Dr. Veit für zwei Wochen. wegen Krankheit, Kohl (Stuttgart) für weitere zwei Wochen wegen Krankheit, Mayer (Stuttgart) für weitere zwei Wochen wegen Krankheit und Dirscherl für zwei Wochen wegen Krankheit.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0122100200
Meine Damen und Herren, 1 ich darf unterstellen, daß Sie mit der Erteilung des Urlaubs, soweit er über eine Woche hinausgeht, einverstanden sind. — Das ist der Fall.

Oskar Matzner (SPD):
Rede ID: ID0122100300
Der Präsident hat für zwei Tage Urlaub erteilt den Abgeordneten Dr. Povel, Schütz, Kern, Dr. Preller, Rische und Rademacher.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0122100400
Meine Damen und Herren! Ich habe weiter Abgeordneten, die ihr 60. oder ein darüber hinausgehendes Lebensjahr vollendet haben, zu gratulieren: Herrn Abgeordneten Dr. Köhler,

(Beifall)

der am 27. Juni, ferner Herrn Abgeordneten Ludwig, der ebenfalls am 27. Juni sein 60. Lebensjahr vollendet hat,

(Beifall)

Herrn Abgeordneten Rath, der am 6. Juli sein 60. Lebensjahr vollendet hat,

(Beifall)

und Herrn Abgeordneten Schill, der am 7. Juli sein 64. Lebensjahr vollendet hat.

(Beifall.)

Sodann habe ich bekanntzugeben, daß die Fraktion der CDU/CSU mir mitgeteilt hat, daß sie den Abgeordneten Wittmann als Gast aufgenommen hat.
Unter dem 30. Juni hat der Abgeordnete Vesper von der Gruppe der KPD mir mitgeteilt, daß er sein Mandat als Abgeordneter des Deutschen Bundestages aus Gründen anderer politischer Arbeiten niederlege.

(Unruhe und Zurufe.)

Ich -habe ferner bekanntzugeben, daß der Präsident des Bundesrechnungshofes gemäß § 108 Abs. 3 der Reichshaushaltsordnung die Rechnungen über den Haushalt des Rechnungshofes im Vereinigten Wirtschaftsgebiet — Einzelpläne XIII und XX — für das Rechnungsjahr 1948 bzw. 1949 mit der Bitte um Entlastung durch den Bundestag überreicht hat. Ich darf annehmen, daß das Haus mit der Überweisung der beiden Vorlagen Drucksachen Nrn. 3561 und 3562 an den Haushaltsausschuß zur weiteren Behandlung einverstanden ist. — Das ist der Fall.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Deutsche Bundesrat hat in seiner Sitzung am 4. Juli 1952 beschlossen, den nachfolgenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen:
Gesetz zur Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes über den Kapitalverkehr.
Gesetz über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Arbeitslosenversicherung,
Gesetz über Preise für Getreide inländischer Erzeugung für das Getreidewirtschaftsjahr 1952/53 und über besondere Maßnahmen in der Getreide- und Futtermittelwirtschaft (Getreidepreisgesetz -1952/53),


(Präsident Dr. Ehlers)

Gesetz betreffend Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Gastarbeitnehmer vom 23. November 1951,
Gesetz über die Konvention zum Schutze
der Menschenrechte und Grundfreiheiten,
Gesetz betreffend das Protokoll vom 16. Februar 1952 über Zollvereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei,
Gesetz über das erste Berichtigungs- und Änderungsprotokoll zu den Zollzugeständnislisten des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT).
Den Vermittlungsausschuß hat er angerufen zum
Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiet der Sozialversicherung.
Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts hat unter dem 23. Juni 1952 die Kleine Anfrage Nr. 274 der Fraktion der SPD betreffend Unterrichtung der diplomatischen Vertretungen über das Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für die im Ausland lebenden Angehörigen des öffentlichen Dienstes — Nr. 3447 der Drucksachen — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3519 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 26. Juni 1952 die Kleine Anfrage Nr. 273 der Fraktion der SPD betreffend Jugendarbeitsschutzgesetz — Nr. 3446 der
Drucksachen — beantwortet. Sein Schreiben
wird als Drucksache Nr. 3553 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 27. Juni 1952 die Kleine Anfrage Nr. 275 der Fraktion der SPD betreffend Bauaufträge der Besatzungsbehörden — Nr. 3448 der Drucksachen — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3554 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 27. Juni 1952 die Kleine Anfrage Nr. 280 der Fraktion der CDU/CSU betreffend Anwendung der Soforthilfe — DVO — Nr. 3469 der Drucksachen — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3555 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 28. Juni 1952 die Kleine Anfrage Nr. 271 der Fraktionen der FDP, DP/DPB, FU (BP-Z) betreffend Verbilligung von Dieselkraftstoff — Nr. 3378 der Drucksachen — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3556 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 1. Juli 1952 die Kleine Anfrage Nr. 278 der Fraktion der SPD betreffend Hilfsmaßnahmen für durch Schließung der Zonengrenze im Kreis Eschwege arbeitslos gewordene Eisenbahner — Nr. 3467 der Drucksachen — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3557 verteilt. .
Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts hat unter dem 1. Juli 1952 die Kleine Anfrage Nr. 279 der Fraktion der SPD betreffend Unterbindung der Werbung für die Fremdenlegion — Nr. 3468 der Drucksachen — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3558 verteilt.
Der Herr Beauftragte des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen hat in Ergänzung seines Zwischenbescheides vom 21. Mai 1952 — Nr. 3401 der Drucksachen — unter dem 5. Juli 1952 die Kleine Anfrage Nr. 269 der Abgeordneten Albers, Dr. Pünder und Genossen betreffend Absichten der belgischen Besatzungsbehörden auf Beschlagnahme von Gelände im äußeren Grüngürtel der Stadt Köln für Zwecke von Kasernenbauten — Nr. 3348 der Drucksachen — abschließend beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3564 verteilt.
Zur heutigen Tagesordnung darf ich zunächst darauf hinweisen, daß an Stelle des Berichterstatters, des Herrn Finanzsenators Dr. NoltingHauff, Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen die Berichterstattung zu Punkt 1 übernimmt. Zu den Punkten 2 und 3 wünscht der Herr Abgeordnete Dr. Mende einen Antrag zur Tagesordnung zu stellen.

Dr. Erich Mende (CDU):
Rede ID: ID0122100500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin gezwungen, um Absetzung der Punkte 2 und 3 von der heutigen Tagesordnung zu bitten. Leider sind die Drucksachen erst gestern früh verteilt worden, die Fristen der Geschäftsordnung also nicht innegehalten, und meine Fraktion — und, ich nehme an, auch andere Fraktionen —hat nicht genügend Zeit gehabt, sich mit den Drucksachen und den Gegenständen zu befassen. Wir bitten, diese beiden Punkte auf die morgige Tagesordnung zu setzen, und glauben, daß eine Verzögerung um 24 Stunden durchaus verantwortet werden kann.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0122100600
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag gehört. Darf ich unterstellen, daß das Haus damit einverstanden ist, daß die Punkte 2 und 3 auf die morgige Tagesordnung genommen werden. — Das ist der Fall.
Dann rufe ich zunächst auf den Punkt 1: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungssausschuß) zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer durch den Bund im Rechnungsjahr 1952 — Nrn. 3547, 3168, 3245, 3355 der Drucksachen —.
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.

Dr. Hans Wellhausen (FDP):
Rede ID: ID0122100700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das von I unserem Hause am 24. April dieses Jahres verabschiedete Gesetz über die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer durch den Bund im Rechnungsjahr 1952 kommt über den Vermittlungsausschuß in Gestalt der Drucksache Nr. 3547 wieder an uns zurück. Der Bundesrat hatte den Vermittlungsausschuß mit dem Ziele angerufen, in § 1 die Zahl 40, die wir beschlossen hatten, durch 27 zu ersetzen, also um ein Drittel zu verkürzen.
Die ursprünglich vier kurzen und knappen Paragraphen des Gesetzes sind auf sieben angewachsen


(Dr. Wellhausen)

und enthalten für den Nichtfachmann auf den ersten Blick zum Teil kompliziert erscheinende Bestimmungen. Es drückt sich aber in ihnen das im Vermittlungsausschuß errungene — „errungene" muß man, glaube ich, schon unterstreichen — Kompromiß aus. Die prozentuale Inanspruchnahme der Ländereinkünfte aus der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer ist nämlich nunmehr von 40 auf 37 herabgesetzt worden. Außerdem sind zwei wichtige Einzelbestimmungen hinzugekommen. Es sollen nämlich in den Ländern 105 vom Hundert des den Ländern im Vorjahr verbliebenen Anteils an diesen Steuern — Einkommen- und Körperschaftsteuer — garantiert werden. Der Vermittlungsausschuß fing mit 120 an — diesen Antrag stellte eines seiner Mitglieder — und einigte sich dann mit Mehrheit auf 105. Mit diesem Prozentsatz — oder besser gesagt: mit dieser Garantie — soll der Tatsache des auch bei den Ländern naturgemäß steigenden Finanzbedarfes Rechnung getragen werden.
Sodann ist eine Klausel eingebaut worden, die eine Verminderung des eingangs erwähnten Satzes von 37% dann vorsieht, wenn der Bund aus seinen Steuern und Zöllen mehr einnimmt als den vom Bundesminister der Finanzen für das Rechnungsjahr 1952 geschätzten Betrag von 15,6 Milliarden DM. In diesem Falle soll nämlich für je 100 Millionen DM Mehreinnahme der Prozentsatz um 1% gesenkt werden.
Die übrigen Bestimmungen brauche ich nicht zu erläutern, da sie technischer Natur sind.
Der Vermittlungsausschuß hat nach Einsetzung eines Unterausschusses in heißem Bemühen — „heiß" durchaus wörtlich zu nehmen — sich mit zum Teil natürlich ganz anders gearteten Anträgen und Vorschlägen beschäftigt. Ich verzichte aber, darauf einzugehen, da sie Ihnen für Ihre Erkenntnisse kaum einen Gewinn bedeuten würden. Schließlich sind wir eben doch darauf zurückgekommen, daß eine Änderung des Prozentsatzes die weitaus einfachste Lösung und allem anderen vorzuziehen sei.
Ganz sicher glaube ich, auch als Berichterstatter, der Meinung Ausdruck geben zu dürfen, daß das gefundene Kompromiß das Äußerste enthält, was die Länder zugestehen zu können glaubten und was der Herr Bundesminister der Finanzen auf Grund seiner vielfach betonten und — wie Sie wissen — im Grundgesetz verankerten Verantwortung hinzunehmen gewillt ist.
Das Abstimmungsergebnis lautete: 10 Stimmen für den Vorschlag, den Sie hier sehen, 9 dagegen, eine Enthaltung. Im Unterausschuß war die Abstimmung etwas anders ausgefallen; darauf brauche ich aber nicht einzugehen.
Dagegen halte ich es für nötig, zum Schluß noch eine Frage zu streifen, die in den Ausschußberatungen eine gewisse Rolle gespielt hat, nämlich die Frage, ob die Inanspruchnahme eines Teils der Ländersteuern gemäß Art. 106 Abs. 3 des Grundgesetzes auch dann eine legitime Maßnahme darstellt, wenn der Bundeshaushalt, dessen Ausgleich diese Maßnahme dienen soll, noch nicht verabschiedet ist. Der Bundesfinanzminister und auch die Bundesregierung haben die Auffassung vertreten, daß diese Frage zu bejahen ist, da der Bund bei der Aufstellung seines Haushaltsplans auch in dieser Richtung schließlich wissen müsse, mit welchen Einnahmen er rechnen könne.

(Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)

Geschätzte Zahlen bleiben es ohnehin. Nachdem nun aber die Bundesregierung während der Verhandlungen des Vermittlungsausschusses den Haushaltsvoranschlag des Finanzministers durch formalen Beschluß festgestellt hatte, hat sich auch der Vermittlungsausschuß durch konkludente Handlung, ohne formalen Beschluß, auf diese Auffassung festgelegt. Er ist also praktisch davon ausgegangen, daß ein so festgestellter Haushaltsvoranschlag eine ausreichende Grundlage für eine Verabschiedung in dem Sinne bilden kann, wie das in dem Antrag Drucksache Nr. 3547 zum Ausdruck kommt.
Meine Damen und Herren, ich habe den Auftrag, das Hohe Haus zu bitten, sich dem Antrag des Vermittlungsausschusses Drucksache Nr. 3547 anzuschließen.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0122100800
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. — Sollen Erklärungen abgegeben werden?

(Abg. Schoettle: Zur Abstimmung!)

Herr Abgeordneter Schoettle zu einer Erklärung zur Abstimmung.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0122100900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Hinblick auf die Bedeutung dieses Gesetzes und vor allem im Hinblick auf die Tatsache, daß im Vermittlungsausschuß eine Mehrheitsentscheidung in dieser Frage getroffen worden ist, sowie im Hinblick auf die Bemerkung, die der Herr Berichterstatter in der letzten Passage seines Berichts gemacht hat, und schließlich im Hinblick darauf, daß es sich hier nicht nur um den Haushaltsausgleich handelt, sondern daß damit zugleich die Absicht einer Finanzierung von Projekten verbunden ist, die erst noch der gesetzlichen Festlegung bedürfen, beantrage ich im Namen der sozialdemokratischen Fraktion namentliche Abstimmung.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0122101000
Weitere Erklärungen sollen offenbar nicht abgegeben werden.
Wir stimmen in namentlicher Abstimmung über den Antrag des Vermittlungsausschusses Drucksache Nr. 3547 in seiner Gesamtheit ab. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Abstimmungskarten einzusammeln.

(Einsammeln der Abstimmungskarten.)

Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.

(Auszählen der Abstimmungskarten.)

Sind noch Abgeordnete vorhanden, die ihre Stimme abzugeben wünschen? — Das ist nicht der Fall. — Doch, ein Abgeordneter kommt noch. Ich bitte, die Stimmabgabe möglichst zu beschleunigen. — Ich stelle fest, daß nunmehr alle Abgeordneten ihre Stimme abgegeben haben. Ich schließe die
Abstimmung.

(Pause.)

Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung bekannt. Von den stimmberechtigten Abgeordneten haben Stimmen abgegeben 349, davon mit Ja 196, mit Nein 151 bei 2 Enthaltungen. 16 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben; davon haben 9 mit Ja, 7 mit Nein gestimmt. Damit ist der Antrag des Vermittlungsausschusses angenommen.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung:
a) Erste Beratung der Entwürfe
1. eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 26. Mai 1952 über die Beziehungen *) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 9845.


(Präsident Dr. Ehlers)

zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten mit den Zusatzverträgen,
2. eines Gesetzes betreffend das Abkommen vom 26. Mai 1952 über die steuerliche Behandlung der Streitkräfte und ihrer Mitglieder (Nr. 3500 der Drucksachen)

b) Erste Beratung der Entwürfe
1. eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 27. Mai 1952 über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und
betreffend den Vertrag vom 27. Mai 1952 zwischen dem Vereinigten Königreich und den Mitgliedstaaten der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft,
2. eines Gesetzes betreffend das Abkommen vom 27. Mai 1952 über die Rechtsstellung der Europäischen Verteidigungsstreitkräfte und über das Zoll- und Steuerwesen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (Nr. 3501 der Drucksachen)

c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen (Nr. 3495 der Drucksachen).
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, daß eine Aussprache in der ersten Beratung im Rahmen einer Zeitdauer von neun Stunden stattfindet. Zum Technischen ist vorgesehen, daß nach der Begründung der Gesetzentwürfe durch den Herrn Bundeskanzler eine Unterbrechung der Sitzung bis 13 Uhr 30 eintritt. Wir planen, die Beratung heute etwa um 19 Uhr abzuschließen und morgen früh um 9 Uhr wieder zu beginnen. Ich bitte, sich freundlichst darauf einzurichten.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0122101100
Meine Damen, meine Herren! Die Genehmigungsgesetze zum Deutschlandvertrag und zum Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft mit ihren Annexen sind dem Hohen Hause zugegangen. Aus den Ihnen weiter zugegangenen Abmachungen hebe ich besonders hervor den Bündnisvertrag mit Großbritannien, die Vereinbarungen mit NATO, die Sicherheitserklärungen der Vereinigten Staaten.
Die Entscheidung, die Sie, meine Damen und Herren, zu treffen haben, ist von wahrhaft geschichtlicher Bedeutung. Ihr Ja wie Ihr Nein wird entscheidend sein für das Schicksal Deutschlands und Europas. Ich werde, um nicht die Hauptprobleme in ihrer Bedeutung zurücktreten zu lassen oder gar zu verdunkeln, in diesem Stadium der Beratungen nicht eingehen auf die Auffassung des Bundesrates, daß sämtliche Genehmigungsgesetze Zustimmungsgesetze seien. Ich werde aus dem gleichen Grunde in diesem Stadium nicht eingehen auf die Frage, ob das Zustimmungsgesetz zum Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft verfassungsändernd ist oder nicht. Auf diese Frage möchte ich im gegenwärtigen Augenblick auch deshalb nicht eingehen, weil sich das Bundesverfassungsgericht, wie Sie wissen, mit ihr beschäftigt.
Im gegenwärtigen Augenblick sind wir dem deutschen Volke und der Weltöffentlichkeit eine klare Stellungnahme zu den grundlegenden Prinzipien des Vertragswerks selbst schuldig. Das
deutsche Volk soll selbst sehen und soll klar
sehen, worum es im Grunde geht. Es sollen nicht
die Wucht der Tatsachen, die gefahrvolle Lage
Deutschlands und Europas verschleiert und unklar
gemacht werden durch juristische Ausführungen,

(Abg. Reimann: Durch Ihre Geheimverhandlungen aber!)

die zur gegebenen Zeit ihre Bedeutung haben werden. Dem Volke selbst muß durch diese Bundestagsverhandlungen Klarheit gegeben werden über die Grundprobleme, damit es sich ein Urteil bilden kann über die Stellungnahme des Bundestages und der Bundesregierung. Sein Urteil, meine Damen und Herren, wird es zum Ausdruck bringen bei den Bundestagswahlen des kommenden Jahres. Ich sehe diesem Urteil nicht nur mit Ruhe, ich sehe ihm mit Zuversicht entgegen, weil ich weiß, daß das deutsche Volk in seiner großen Mehrheit den Weg bejaht, den wir gehen.

(Sehr richtig! bei den Regierungsparteien. — Unruhe links.)

Bei der Frage, ob Genehmigung der Verträge oder nicht, handelt es sich — in wenigen Worten kurz zusammengefaßt — darum, ob sich die Bundesrepublik Deutschland an den Westen anschließen soll oder nicht; ob sie sich den Schutz des atlantischen Verteidigungssystems sichern soll oder nicht; ob sie die Integration Europas einschließlich Deutschlands will oder nicht; ob sie die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit in einem freien Europa will, oder ob sie bereit ist, eine Teilung Deutschlands oder eine Wiedervereinigung Deutschlands in Unfreiheit hinzunehmen.
Die Einzelheiten der Verträge sind natürlich nicht gleichgültig, und sie müssen studiert und geprüft werden. Aber diese Prüfung muß sich in der Hauptsache meines Erachtens darauf erstrecken, ob die Verträge eine geeignete Grundlage für die Erhaltung des Friedens und der Freiheit, die Schaffung Europas und die Wiedervereinigung Deutschlands sind und ob sie der Bundesrepublik die Basis dafür geben, als gleichberechtigter Partner an diesem Werk teilzunehmen. Diese Verträge müssen als Ganzes gesehen, als Ganzes geprüft, als Ganzes genehmigt oder verworfen werden.
Ich sagte schon: sicher haben auch die einzelnen Bestimmungen ihre Bedeutung. Es wird Aufgabe der Ausschüsse sein, sie zu prüfen, Aufgabe der Bundesregierung, in den Ausschüssen die verlangten Aufklärungen zu geben. Bei der Prüfung der Einzelbestimmungen wird man sich meines Erachtens vor Augen halten müssen, w i e das Werk zustande gekommen ist: daß es sich in sehr vielen und naturgemäß in den verwickeltsten Fällen darum handelte, ein Kompromiß — manchmal unter Vieren, wie beim Deutschlandvertrag; manchmal unter Sechsen, wie beim Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft — zu finden. Kompromisse haben es nun einmal ihrer Natur nach an sich, daß niemand dabei hundertprozentig mit seiner Ansicht durchdringt. Aber zum Schluß der Beratungen in den Ausschüssen werden die Fragen, die Sie sich stellen werden, nicht Fragen über die Abänderung dieser oder jener Einzelbestimmung sein. Ich versichere Ihnen, meine Damen und Herren, daß auch ich bei manchen Bestimmungen eine andere Fassung lieber gesehen hätte als diejenige, auf die man schließlich im Wege des Kompromisses abgekommen ist. Aber ich kann nur nochmals betonen: die Entscheidung wird nur über die Vertragswerke


(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

als Ganzes getroffen werden können. Das liegt bei internationalen Vereinbarungen von solchem Umfang und bei der Vielzahl der Vertragspartner in der Natur der Sache. Die Fragestellung bei der endgültigen Beschlußfassung wird meines Erachtens folgende sein müssen: Gestatten diese Abmachungen die Erreichung der eingangs von mir skizzierten Ziele und bringen sie die Bundesrepublik ihnen näher, oder aber, meine Damen und Herren, gibt es einen anderen, einen besseren Weg, der diese Ziele schneller und sicherer erreichen läßt? Wenn man einen solchen anderen Weg nicht sieht und wenn die Prüfung ergibt, daß man auf dem mit diesen Verträgen eingeschlagenen Wege unseren Zielen näherkommt, dann muß man den Mut haben, diese Entscheidungen zu treffen und ja zu ihnen zu sagen!

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Lassen Sie mich nunmehr einige Ausführungen über den Zusammenhang zwischen Deutschlandvertrag und EVG-Vertrag machen. Keine Europäische Verteidigungsgemeinschaft ist möglich mit einem Staat, der unter Besatzungsstatut steht. Daher ist die Aufhebung des Besatzungsstatuts Voraussetzung des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Umgekehrt gilt aber auch: Aufhebung des Besatzungsstatuts durch die Westmächte kann diesen vernünftigerweise bei der zwischen Ost und West nun einmal bestehenden Spannung nicht zugemutet werden; es kann ihnen nicht zugemutet werden, auf Rechtspositionen, die sich für sie aus der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands ergeben haben, zu verzichten, solange die Bundesrepublik sich nicht in den Westen eingliedert. Es besteht, meine Damen und Herren, ein innerer Zusammenhang zwischen den beiden Verträgen. Es handelt sich nicht etwa um eine äußere, künstlich konstruierte Verkoppelung. Man kann sie beide nur im Zusammenhang betrachten, nicht das eine bejahen und das andere ablehnen.
Lassen Sie mich hier einschieben, daß, wenn Deutschland und Frankreich zugestimmt haben, die Ratifizierung des Vertrags über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft durch die anderen Teilnehmerstaaten sich aber aus irgendwelchen Gründen zu lange hinausziehen sollte, zwischen den Teilnehmern des Deutschlandvertrages überlegt werden soll, welche Bestimmungen des Deutschlandvertrages schon vorzeitig in Kraft gesetzt werden sollen.
Um nicht zuviele und damit verwirrende Einzelheiten zu bringen, unterlasse ich es, alle Abmachungen einzeln aufzuzählen; sie sind ja in Ihren Händen. Ich werde mich damit begnügen, die wichtigsten Abmachungen und Bestimmungen hervorzuheben und zu erläutern.
Ich beginne bei meinen Darlegungen mit dem Deutschlandvertrag, weil er, wie ich eben schon ausführte, die Grundlage für die Schaffung des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ist.
Aus der Präambel des Deutschlandvertrages ist zunächst folgendes hervorzuheben. Es wird vereinbart, daß das gemeinsame Ziel der Unterzeichnerstaaten — also Englands, Frankreichs, der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland — ist, „die Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage der Gleichberechtigung in die europäische Gemeinschaft zu integrieren". Weiter wird in der Präambel erklärt, „daß die Wiederherstellung eines völlig freien und vereinigten Deutschlands auf friedlichem Wege und die Herbeiführung einer frei vereinbarten friedensvertraglichen Regelung ... ein grundlegendes und gemeinsames Ziel der Unterzeichnerstaaten bleibt".

(Abg. Fisch: Papier ist ja geduldig!)

Im Art. 1 ist die grundlegende Bestimmung enthalten, daß die Bundesrepublik volle Macht über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten hat, vorbehaltlich der Bestimmungen des Vertrages.

(Zuruf von der KPD.)

Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, meine Damen und Herren, ergibt sich, daß im Zweifelsfall die Vermutung für die Souveränität der Bundesrepublik spricht.
Die Ausnahmen, die sogenannten Vorbehaltsrechte, sind im Art. 2 enthalten. In Art. 2 ist festgelegt, daß sich die Drei Mächte im Hinblick auf die internationale Lage die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte in bezug auf die Stationierung von Streitkräften in Deutschland und den Schutz von deren Sicherheit, auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands in einer friedensvertraglichen Regelung vorbehalten.

(Abg. Fisch: Das ist die wahre „Gleichberechtigung"!)

Der Vorbehalt dieser Rechte, meine Damen und Herren, liegt auch in unserem Interesse.

(Aha-Rufe links. — Zuruf von der KPD: Wer ist denn das, „wir"?!)

Der Hauptgrund dieses Vorbehaltsrechts ist, Sowjetrußland

(erneute Aha-Rufe links)

nicht den Vorwand zu geben, bei seiner Politik gegenüber der Sowjetzone den Standpunkt einzunehmen, die Drei Mächte hätten sich ja selbst von allen vertraglichen Bindungen, die sie mit Sowjetrußland in bezug auf diese Fragen eingegangen seien, gelöst, daher sei auch Sowjetrußland völlig frei in der Verfügung über die Sowjetzone. Insbesondere das Vorbehaltsrecht bezüglich Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung geht davon aus, daß eine Wiedervereinigung nur im Wege der Verhandlungen — auch mit Sowjetrußland — möglich ist und daß sich daher die drei Mächte in unserem Interesse das Recht vorbehalten, in diesem Sinne — aber mit uns gemeinsam — mit Sowjetrußland zu verhandeln.
Im Art. 3 des Deutschlandvertrags ist die Aufnahme der Bundesrepublik in die UNO vorgesehen.
Der Art. 5 behandelt einen etwa auftretenden Notstand bezüglich der Sicherheit der im Bundesgebiet stationierten Streitkräfte.

(Abg. Paul [Düsseldorf]: Militärdiktatur!)

Die Drei Mächte haben in einem solchen Fall nur dann die Möglichkeit, Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um die Ordnung aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen und die Sicherheit ihrer Streitkräfte zu gewährleisten, wenn die Bundesrepublik und die Europäische Verteidigungsgemeinschaft außerstande sind, der Lage Herr zu werden.

(Abg. Frau Thiele: Das ist doch dehnbar! — Lachen in der Mitte und rechts.)

Die Ziffer 6 des Art. 5 gibt der Bundesrepublik das Recht, den Rat der Nordatlantikpakt-Organisation zu ersuchen, die Lage zu überprüfen und


(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

zu erwägen, ob der Notstand beendet werden soll. Wenn der Rat zu dem Ergebnis kommt, daß die Aufrechterhaltung des Notstands nicht länger gerechtfertigt ist, so haben die Drei Mächte den Normalzustand so schnell wie möglich wiederherzustellen.

(Abg. Niebergall: Das glauben Sie! — Gegenrufe rechts: Ruhig!)

Dieser Notstandsartikel gibt den Drei Mächten nicht das Recht, die volle Gewalt wieder an sich zu nehmen, wie sie das nach dem Besatzungsstatut getan haben. Er schafft weiter eine Instanz zur Nachprüfung der etwa getroffenen Maßnahmen mit dem Ziel, den Normalzustand wiederherzustellen.
Der Art. 6 dient dem besonderen Schutze Berlins.
Der Art. 7 ist von so großer Bedeutung, daß ich ihn wenigstens teilweise wörtlich vorlesen möchte: Die Bundesrepublik
— so heißt es —
und die Drei Mächte sind darüber einig, daß ein wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland ist, welche die Grundlage für einen dauerhaften Frieden bilden soll.

(Zuruf rechts: Theorie!)

Sie sind weiterhin darüber einig, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu dieser Regelung aufgeschoben werden muß.
Bis zum Abschluß der friedensvertraglichen Regelung werden die Bundesrepublik und die Drei Mächte zusammenwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung ähnlich wie die Bundesrepublik besitzt und das in die europäische Gemeinschaft integriert ist.
Im Falle der Wiedervereinigung Deutschlands . . . werden die Drei Mächte die Rechte, welche der Bundesrepublik auf Grund dieses Vertrages und der Zusatzverträge zustehen, auf ein wiedervereinigtes Deutschland erstrecken und werden ihrerseits darin einwilligen, daß die Rechte auf Grund der Verträge über die Bildung einer integrierten europäischen Gemeinschaft in gleicher Weise erstreckt werden, wenn ein wiedervereinigtes Deutschland die Verpflichtungen der Bundesrepublik gegenüber den Drei Mächten oder einer von ihnen auf Grund der genannten Verträge übernimmt.

(Abg. Fisch: So sieht der Ausverkauf aus, den Sie unterschrieben haben!)

Meine Damen und Herren, ich bitte, daraus zu entnehmen, daß das wiedervereinigte Deutschland die Freiheit hat, sich entscheiden, was es tut.

(Abg. Fisch: Amerikanisch zu werden, nach Ihrer Meinung!)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0122101200
Herr Abgeordneter Fisch,
ich bitte Sie, nicht ständig zu unterbrechen. Ich
habe nicht die Absicht, dauernde Zwischenrufe, die

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Frau Strohbach: Das stört uns auch, was der Herr Bundeskanzler sagt! — Lachen bei den Regierungsparteien. — Abg. Fisch: Wenn Sie erst einmal Divisionspfarrer wären, dann könnten Sie so verfahren! Soweit sind wir noch nicht!)


Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0122101300
Meine Damen und Herren, ich mache weiter aufmerksam auf den Art. 9, der ein Schiedsgericht einsetzt, und endlich auf den Art. 10, der eine Revision des Deutschlandvertrags vorsieht, insbesondere für den Fall der Wiedervereinigung Deutschlands oder der Bildung einer europäischen Föderation. Es bedarf wohl keiner näheren Erläuterung, warum in einem solchen Falle z. B. der Wiedervereinigung Deutschlands eine Revision nötig ist. Die ganzen Vorbehaltsrechte werden dann überflüssig geworden sein.

(Zuruf von der KPD: Ja, ja, ja!)

Was die Zusatzverträge zu dem Deutschlandvertrag angeht, so darf ich aus dem Truppenvertrag hervorheben, daß er im großen und ganzen den Verträgen nachgebildet ist, die mit den einzelnen NATO-Staaten hinsichtlich des Aufenthalts von fremden Truppen in ihrem Lande abgeschlossen sind. Es ist wohl ohne weiteres einleuchtend, daß der Aufenthalt fremder Truppen in einem Lande eine Fülle von Tatbeständen mit sich bringt, die vertraglich geregelt werden müssen.

(Abg. Fisch: Es gibt auch andere, die nicht vertraglich sind!)

Für die der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft angehörenden Truppen ist eine besondere Regelung in dem Truppenvertrag der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft vorgesehen. Die französischen Truppen in unserem Gebiet werden für eine kurze Übergangszeit, nämlich für die Zeit bis zum 30. Juni 1953, nach den Bestimmungen des Truppenvertrags zum Deutschlandvertrag behandelt werden. Von da an unterliegen sie den Bestimmungen des Truppenvertrags der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft.
Da die ganze Materie des Truppenvertrags außerordentlich kompliziert ist und man erst Erfahrungen sammeln muß, ist für den Truppenvertrag eine Überprüfung nach zwei Jahren vorgesehen.

(Abg. Frau Strohbach: Die sind ja schon sieben Jahre da!)

Über den Finanzvertrag wird Herr Bundesfinanzminister Schäffer im Laufe der Debatte sprechen.

(Abg. Niebergall: 0 weh, o weh!)

Was den Überleitungsvertrag angeht, so muß ich auch hier zunächst auf die in den Ausschüssen stattfindenden Beratungen verweisen. Ich möchte hier nur eins hervorheben. Das Problem des Auslandsvermögens ist nicht etwa durch den Abschluß dieser Verträge aufgeworfen. Das Auslandsvermögen ist leider schon, wie nach 1918, seit geraumer Zeit beschlagnahmt und wird zur Tilgung der Auslandsschulden verwendet.

(Abg. Niebergall: Dank Ihrer Politik ist es möglich!)

Es ist aber gelungen, hinsichtlich des in neutralen Staaten beschlagnahmten deutschen Vermögens nunmehr Verhandlungsmöglichkeiten zu ihrer Freigabe zu schaffen.
Der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ist nach meinem Dafürhalten der


(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

wichtigere der beiden Verträge, die Ihnen vorgelegt worden sind. Er ist deswegen der wichtigere,

(Zuruf von der KPD)

weil er ganz losgelöst von den Problemen, die die Niederlage Deutschlands und die bedingungslose Kapitulation mit sich gebracht haben, in allererster Linie dazu bestimmt ist, für 50 Jahre in Westeuropa einen Krieg unter den europäischen Völkern unmöglich zu machen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft wird viel zu sehr nur unter dem Gesichtspunkt der Abwehr einer etwaigen sowjetrussischen Aggressionsabsicht angesehen. Er dient bei weitem, in erster Linie

(Abg. Frau Thiele: Der Aggression!)

und in der Hauptsache dem eben von mir gekennzeichneten Zweck der Befriedung Europas.

(Abg. Fisch: Sagen Sie doch mal was über die Grenzen Europas!)

Er ist ein Instrument des Friedens von denkbar größter Bedeutung.
Der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft sieht den Verzicht der Teilnehmerstaaten auf ihr wichtigstes Souveränitätsrecht, nämlich die Aufstellung eigener Streitkräfte, vor. Er sieht weiter die Übertragung dieses Rechts auf eine supranationale Stelle vor.

(Abg. Frau Thiele: Auf Ridgway!)

Er wird von weittragendsten Konsequenzen für die Schaffung eines vereinten Europa sein. Durch ihn wird gleichsam automatisch eine Angleichung der Teilnehmerstaaten in außenpolitischen und in wirtschaftlichen Fragen herbeigeführt, die zumit dem Schumanplan und anderen im Stadium der Beratung befindlichen Projekten sehr bald zu einer europäischen Föderation oder Konföderation führen wird. Dieser Vertrag über den Abschluß der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ist ein Akt, der einzig ist in der langen Geschichte Europas,

(Sehr richtig! bei der KPD — Abg. Niebergall: Und von kurzer Dauer!)

dieses Europas, das immer wieder von kriegerischen Wirren erschüttert wurde, dem aber jetzt, nachdem es durch die beiden letzten Kriege an den Rand des Abgrunds gebracht worden ist, ein dauernder Friede und ein neues Leben gegeben werden soll.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Lassen Sie mich aus der Präambel dieses Vertrags zwei Abschnitte im Wortlaut vorlesen:
Sie
— das sind die Unterzeichnerstaaten —
werden es sich dabei angelegen sein lassen, die geistigen und sittlichen Werte zu wahren, die das gemeinsame Erbe ihrer Völker sind, und sie sind überzeugt, daß in der gemeinsamen Streitmacht, die ohne unterschiedliche Behandlung der beteiligten Staaten gebildet wird, die Vaterlandsliebe der Völker nicht an Kraft verlieren, sondern sich vielmehr festigen und in erweitertem Rahmen neue Gestalt finden wird.
Sie tun diesen Schritt in dem Bewußtsein, hiermit einen weiteren und bedeutsamen Schritt auf dem Wege der Schaffung eines geeinten Europas zurückzulegen.
Es gibt, meine Damen und Herren — lassen Sie mich das nochmals nachdrücklich aussprechen —, in der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft keine Diskriminierung eines Teilnehmerstaats. Im Art. 38 des Vertrags sind der Versammlung und dem Rat der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft sowie den Regierungen der Mitgliedstaaten bestimmte befristete Verpflichtungen auferlegt, Vorschläge zur Bildung eines vereinigten Europas auszuarbeiten. Alle diejenigen, meine Damen und Herren, die für den europäischen Gedanken, für die Bildung einer europäischen Gemeinschaft sind, müssen der Schaffung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in herzlicher Freude zustimmen.

(Lachen und Zurufe links. — Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)

Wie ich bereits ausgeführt habe, handelt es sich für Sie um eine politische Entscheidung, die zu treffen ist. Lassen Sie mich die theoretischen Möglichkeiten klarlegen. Wir können zwischen folgenden Möglichkeiten wählen: erstens Bejahung der Verträge und damit Anschluß an den Westen, zweitens Ablehnung der Verträge, um damit den Anschluß an den Osten oder die Neutralisierung Deutschlands zu erreichen,

(Zuruf von der SPD: Billiger geht's nicht!)

und drittens: Herauszögern einer Entscheidung, um eventuell neu zu verhandeln.
Um eine richtige Entscheidung treffen zu können, muß man zuerst versuchen, die zur Zeit bestehende Lage bei uns, in der Sowjetzone, in Europa und in der ganzen Welt klar zu sehen; denn alle Entwicklungen, die zur gegenwärtigen Lage geführt haben, und die zur Zeit bestehenden Spannungen in der Welt hängen eng miteinander zusammen. Man sieht die Probleme nicht richtig und kann daher nicht zu ihrer richtigen Beurteilung kommen, wenn man diesen Zusammenhang nicht berücksichtigt. Auch das Problem Deutschland darf man nicht als ein für sich allein stehendes betrachten; es ist ein sehr wichtiger Teilabschnitt in der großen Spannungslinie Ost-West.
Man muß ferner untersuchen, wie es zur gegenwärtigen Situation gekommen ist, ob und welche Richtungs- und Entwicklungstendenzen zu erkennen sind, um aus ihnen auf die kommende Entwicklung zu schließen. Man muß untersuchen, ob nach Annahme des Vertragswerks eine Lage eintritt, die eine friedliche Weiterentwicklung und schließlich eine für uns annehmbare Lösung des Deutschlandproblems verspricht. Man muß sich endlich über die Folgen einer Ablehnung der Verträge klarwerden, sei es daß man damit eine Neutralisierung oder eine Option für den Osten will.
Schließlich muß man sich gewissenhaft prüfen, ob ein Hinauszögern der Entscheidung zum Zwecke von neuen Verhandlungen möglich und mit den deutschen Interessen vereinbar ist. Dazu möchte ich eines schon jetzt sagen. Eine sachlich nicht gerechtfertigte Verschiebung einer Entscheidung kommt immer einem Ausweichen gleich.

(Abg. Dr. Wuermeling: Sehr gut!)

Sie ist bei der allgemeinen politischen Lage in der Welt nicht möglich. Man kann nicht erwarten, daß, nachdem nunmehr zwischen den Regierungen von acht Staaten in mühsamster Arbeit eine Einigung erzielt ist, einzelne Teilnehmerstaaten die Ratifizierung auf die lange Bank schieben können. Das


(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

gilt verstärkt, nachdem inzwischen der amerikanische Senat seine Zustimmung fast mit Einstimmigkeit beschlossen hat.

(Zurufe von der KPD. — Glocke des Präsidenten.)

Die Welt geht weiter; wir können ihren Gang nicht aufhalten.

(Abg. Fisch: Sie bestimmt nicht, das war mal die Wahrheit!)

Sachlich unbegründete Verzögerung ist nichts anderes als eine in eine andere Form gekleidete Ablehnung, und sie wird auch dementsprechend empfunden werden.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Ich werde nunmehr versuchen, die Entwicklung, die seit 1945 eingetreten ist und die zu der gegenwärtigen Lage geführt hat, durch Wiedergabe der markanten und entscheidenden Tatsachen zu zeichnen. Wir alle haben zwar diese Entwicklung miterlebt; aber sie ist in so stürmischem Tempo erfolgt, daß es sich empfiehlt, sie sich noch einmal vor Augen zu führen, um dann die nötigen Schlüsse daraus zu ziehen.

(Abg. Niebergall: Wie ist das mit dem Omnibus?)

Die wirtschaftliche und politische Entwicklung in der Bundesrepublik sind nicht voneinander zu trennen. Die wirtschaftliche Vernichtung Deutschlands war zuerst von den Alliierten geplant als politisches Instrument. Im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 wurde bestimmt:
. . . bei der Organisierung der deutschen Wirtschaft das Hauptgewicht auf die Entwicklung
der Landwirtschaft und der einheimischen für
friedliche Zwecke arbeitenden Industrien zu
legen.
Als Richtschnur sollte dienen, daß der Lebensstand in Deutschland nicht höher sein dürfte als in dem Durchschnitt aller europäischen Länder ausschließlich Großbritanniens und der Sowjetunion,

(Lachen bei den Regierungsparteien)

aber einschließlich der südeuropäischen und osteuropäischen Länder. Deutschland sollte die Produktion aller seetüchtigen Schiffe verboten werden. Die Produktion von Metallen, Chemikalien, Maschinen und anderen Gütern, die für eine Kriegswirtschaft unmittelbar notwendig sind, sollte einer strengen Kontrolle unterworfen, die Produktionsstätten sollten zum großen Teil demontiert oder zerstört werden. Eine derartige Umänderung und Niederhaltung der deutschen Wirtschaft war und ist natürlich nur möglich durch ein vorgesehenes ausgedehntes und strenges Kontrollsystem. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Sowjetunion in dem zur Zeit laufenden Notenwechsel zwischen ihr und den Westmächten verlangt, daß das Potsdamer Abkommen zur Grundlage des Friedensvertrages mit Deutschland gemacht wird.

(Lebhafte Zurufe von den Regierungsparteien: Hört! Hört!)

Die Beschlüsse von Potsdam wurden zunächst in dem Industrieplan vom März 1946 im einzelnen ausgearbeitet, und dieser Industrieplan fand die Zustimmung des Viermächtekontrollrats. Nach diesem Plan sollte die Höhe der Industrieproduktion Deutschlands etwa 50 bis 55 % der Produktionshöhe von 1938 betragen. Alle darüber hinausgehenden Produktionskapazitäten sollten demontiert und entweder als Reparationsgüter ins Ausland gebracht oder an Ort und Stelle zerstört
werden.
Die wichtigsten Industriebeschränkungen wurden in folgenden Ziffern festgelegt: Stahlkapazität 7,5 Millionen Tonnen jährlich, chemische Grundstoffe 40 % der Kapazität von 1936,

(Hört! Hört! rechts) Werkzeugmaschinenindustrie 11,4 % der Kapazität von 1938,


(Hört! Hört! bei den Regierungsparteien — Zuruf rechts: Wahnsinn ist das!)

Nach dem Scheitern der Moskauer Friedenskonferenz im März 1947 begannen die 3 westlichen Besatzungsmächte — jetzt für sich allein handelnd — einen neuen und etwas liberaleren Industrieplan für ihre Besatzungszonen auszuarbeiten. Dieser Plan wurde am 27. August 1947 veröffentlicht. Nach diesem Plan sollte die deutsche Industrieproduktion in den Westzonen auf 90 bis 95 % des Standes von 1936 gehoben werden. Im einzelnen wurde festgelegt: Stahlprodukt ion 10,7 Millionen Tonnen jährlich, schwere Maschinen 80% der Vorkriegserzeugung, wovon aber 35 % als Reparationen abgeführt werden sollten. Trotzdem sollten nach diesem Plan noch 918 Industriewerke demontiert werden, und zwar 338 als sogenannte Kriegsindustrien und 580 Werke als sogenannte überschüssige Betriebe. Der größte Teil der zu demontierenden Werke — nämlich 496 —
lag in der britischen hen Zone, darunter Walzwerke, Eisenbahnzulieferungswerke, Röhrenwerke, Bergbauzulieferungswerke.
Im Juli 1947 kam eine Wendung. Damals machte der amerikanische Außenminister General Marshall in einer Rede in Harvard den Vorschlag, daß die Völker Europas sich zu einem gegenseitigen wirtschaftlichen Hilfs- und Wiederaufbauprogramm zusammenschließen müßten. Die Vereinigten Staaten seien bereit, die hierzu nötige Wirtschaftshilfe zu leisten. Deutschland sollte in dem Programm eingeschlossen sein.
Auf der bald darauf in Paris zusammengetretenen Konferenz der europäischen Länder versagte der damalige sowjetische Außenminister Molotow schon nach den ersten Verhandlungstagen die Mitarbeit der Sowjet-Union und verließ Paris.

(Hört! Hört! bei den Regierungsparteien.)

Die Satellitenstaaten Polen und Tschechoslowakei wurden gezwungen, ebenfalls ihre Mitarbeit zu versagen.

(Abg. Reimann: Wie der kleine Moritz das sieht!)

Der Marshallplan wurde dadurch praktisch auf Westeuropa begrenzt.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0122101400
Darf ich unterbrechen, Herr Bundeskanzler! — Stammt der Zuruf ,.der kleine Moritz" von Ihnen, Herr Abgeordneter Niebergall?

(Abg. Niebergall: Nein! Das hätte ich genau so gerufen! — Abg. Reimann: Von mir!)

— Herr Abgeordneter Reimann, ich rufe Sie zur Ordnung.

(Weitere Zurufe von der KPD.)



Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0122101500
Im Frühsommer 1948 waren die Vorbereitungen soweit gediehen, daß die Marshallplanorganisation in Paris ins Leben gerufen werden konnte.
Deutschland hat bis jetzt unter dem Marshallplanprogramm insgesamt 1 Milliarde 372 Millionen Dollar, das sind 5,7 Milliarden DM an wirtschaftlicher Hilfe erhalten. Hierzu kommen 1,6 Milliarden Dollar — das sind 6,8 Milliarden D-Mark — Wirtschaftshilfe durch die GARIOA. Zusammen hat Deutschland an Wirtschaftshilfe 12,5 Milliarden D-Mark erhalten.

(Zuruf von der KPD: Und wieviel Kohle und Stahl wurde gestohlen?!)

Das Washingtoner Abkommen vom 8. April 1949, durch das das Besatzungsstatut und die Vereinigung der drei Westzonen gebilligt wurde, enthielt gleichzeitig eine Revision des bisherigen Demontageprogramms. Von der Demontageliste wurden 159 Fabriken in den Westzonen ganz oder zum größten Teil abgesetzt, darunter 32 Stahlwerke, 88 Metallbearbeitungsfabriken, 32 chemische Werke. Die deutsche Stahlkapazität sollte auf 13,3 Millionen Tonnen pro Jahr, die Produktion auf 11,1 Millionen Tonnen pro Jahr erhöht werden.

(Zuruf von der KPD: Für die amerikanische Rüstung! — Abg. Niebergall: „Kanonen statt Butter"!)

Gleichzeitig wurde die Liste der verbotenen und beschränkten Industrien nicht unwesentlich revidiert. Zum Beispiel wurde das Verbot der Aluminiumerzeugung aufgehoben, die Produktion jedoch auf 88 000 t im Jahr beschränkt.

(Abg. Niebergall: Für Flugzeuge!)

Die Fabrikation von Kugellagern wurde bis zur Höhe von 33 Millionen Einheiten zugelassen, der Bau von Seeschiffen bis zu einer Größenordnung von 7200 BRT mit nicht mehr als 12 Knoten Schnelligkeit. Erleichterungen wurden auch für die Maschinenindustrie eingeführt.
Durch das Petersberger Abkommen vom 22. November 1949

(Abg. Niebergall: Ja, Präambel!)

wurde erreicht, daß der Bau von Schiffen in der im Washingtoner Abkommen vorgesehenen Größenordnung nunmehr tatsächlich genehmigt wurde. Außerdem wurden zusätzliche Erleichterungen für den Schiffsbau gewährt, insbesondere wurde der Bau von Seeschiffen für Exportzwecke, allerdings innerhalb der der deutschen Schiffahrt auferlegten Grenzen, genehmigt.

(Abg. Fisch: Wie war das mit der Vereinbarung, daß es keine Remilitarisierung geben darf?)

Eine größere Anzahl von Stahlwerken und synthetischen Treibstoff- und Gummiwerken

(Abg. Reimann: Herr Dr. Adenauer, ich denke Sie sprechen über den Generalvertrag?!)

wurden mit sofortiger Wirkung von der Demontageliste gestrichen.

(Abg. Reimann: Sprechen Sie über den Generalvertrag!)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0122101600
Herr Abgeordneter Reimann, ich rufe Sie zur Ordnung wegen dauernder Störung.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Reimann: Wieso? Ich störe doch nicht! Ist das eine Störung? — Abg. Niebergall: Unerhört! — Abg. Niebergall klappt mit dem Pultdeckel.)

— Herr Abgeordneter Niebergall, ich rufe Sie wegen des Zurufs „Unerhört" gegenüber meiner Maßnahme zur Ordnung.

Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0122101700
Die Demontagen in Berlin wurden völlig eingestellt. Durch das Petersberger Abkommen ist es gelungen,

(Unruhe — Glocke des Präsidenten)

den größten Teil der wichtigsten deutschen Werke

(Abg. Reimann: Es ist allerhand, daß jemand einen Ordnungsruf bekommt, der einen Zwischenruf macht! — Glocke des Präsidenten — Abg. Niebergall: Wie auf dem Kasernenhof! — erneutes Glockenzeichen — Abg. Frau Thiele: Wir wollen etwas über den Generalvertrag hören! — weitere Zurufe von der KPD)

vor der Demontage zu retten.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Wuermeling: Schumacher war dagegen!)

Es gelang dann, noch weitere Erleichterungen zu erreichen,

(Zurufe von der KPD)

insbesondere wurden die Werke Watenstedt-Salzgitter fast ganz gerettet.

(Zuruf von der KPD: Das ist auch nicht die ganze Wahrheit!)

Und nun, meine Damen und Herren, durch den am 26. Mai 1952 unterzeichneten Deutschland-Vertrag fallen sämtliche Begrenzungen und Einschränkungen der deutschen Produktion und des deutschen Handels fort.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es handelt sich nur noch um zwei Ausnahmen: den Bau von Flugzeugen und die Herstellung von Atomwaffen. Die Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der Atomenergie ist nicht mehr verboten.

(Hört! Hört! bei der KPD. — Zuruf von der KPD: Bakterienkrieg! -Lachen bei den Regierungsparteien. — Abg. Niebergall: Lacht ihr nur, es geht ja weiter! — Abg. Strauß: Hört! Hört!)

Es ist nämlich nötig, meine Damen und Herren, daß man sich die ganze Situation und die ganze Entwicklung an diesem Scheidewege der deutschen Geschichte, an dem wir stehen, einmal vor Augen hält.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es handelt sich bei der Entscheidung, die der Bundestag zu treffen hat, nicht um eine Entscheidung wie über irgendein anderes Gesetz, sondern — ich wiederhole nochmals — die deutsche Geschichte steht an einer Wende. Es ist nötig, daß man sich klarmacht, welchen Weg wir zurückgelegt haben, damit man dadurch in die Lage versetzt wird, zu sehen, ob der Weg, den wir eingeschlagen haben, richtig ist und ob es richtig ist, diesen Weg auch fortzusetzen.

(Sehr gut! bei den Regierungsparteien. — Abg. Niebergall: Das ist der Weg in die Katastrophe! — Abg. Strauß: Für euch! — Gegenruf von der KPD: Für Sie steht der Omnibus schon bereit! — Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)

Ich glaube, meine Damen und Herren, auch einige Ausführungen machen zu sollen über die


(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

politische Entwicklung bei uns und später über die politische Entwicklung in der Sowjetzone.

(Aha-Rufe bei der KPD.)

Auf politischem Gebiet war der Zustand in der Bundesrepublik bei der bedingungslosen Kapitulation doch so, daß nur noch Gemeindebehörden wenigstens einigermaßen funktionierten. Der ganze übrige staatliche Apparat war zerschlagen. Am 5. Juni 1945 übernahmen die Alliierten die oberste Regierungsgewalt in Deutschland. Der Wiederaufbau der Verwaltungs- und staatlichen Organisationen erfolgte in den drei Zonen in verschiedenem Tempo, aber im wesentlichen nach dem gleichen Schema. Sowohl in den Gemeinden wie in den neugeschaffenen Ländern wurden Parlamente eingesetzt, in die ernannte Mitglieder berufen wurden. Nach verhältnismäßig kurzer Zeit wurden freie Wahlen sowohl für die Gemeindeverwaltungen wie für die Landtage gestattet. Die zunächst ziemlich schroffe Überwachung der Gemeinde-und Länderverwaltungen wurde fortschreitend gelockert.
Im Dezember 1946 vereinbarten die amerikanischen und britischen Behörden die Zusammenlegung ihrer Besatzungszonen in wirtschaftspolitischer Hinsicht. In Frankfurt wurde der Zweizonenwirtschaftsrat gebildet.

(Abg. Frau Thiele: Was soll denn das? Das wissen wir doch alles viel besser!)

Gleichzeitig erfolgte die Errichtung des deutschen Obergerichts. Auf Grund des Londoner Deutschlandkommuniqués wurde am 1. Juli 1948

(Zuruf von der KPD: Erzählen Sie doch etwas über die Verträge! — Zuruf rechts: Mund halten!)

die Bildung einer verfassunggebenden Versammlung und einer zentralen Regierung vorgeschlagen. Die elf Regierungschefs der Länder des westlichen Besatzungsgebiets arbeiteten Gegenvorschläge aus, in denen zum erstenmal vom Parlamentarischen Rat und vom Grundgesetz gesprochen wurde. Dann trat der Ausschuß in Herrenchiemsee zusammen. Der Parlamentarische Rat konstituierte sich, das Grundgesetz wurde beschlossen, und am 14. August 1949 fanden die Wahlen zum ersten Deutschen Bundestag statt.

(Zuruf von der KPD.)

Nach der Bildung der Bundesregierung erfolgte der erste Besuch des Bundeskanzlers und von Mitgliedern des Kabinetts auf dem Petersberg

(Aha-Rufe von der KPD)

am 21. September 1949. 23/4 Jahre später wurde der Petersberg geräumt,

(Beifall bei den Regierungsparteien — Zurufe von der KPD)

und am 26. Mai 1952 wurde hier bei uns in Bonn der Deutschland-Vertrag unterzeichnet, der die Aufhebung aller politischen Beschränkungen vorsieht.

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich nun einen Blick werfen auf die Entwicklung in der Sowjetzone.

(Sehr gut! in der Mitte. — Zurufe von der KPD.)

Im Juli 1945 wurde dort der Antifaschistische Block gebildet.

(Lachen in der Mitte. — Abg. Strauß: Wer lacht da?)

Im April 1946 bildete sich die Sozialistische Einheitspartei. Im September 1946 gab der sowjetrussische Außenminister Molotow eine Erklärung über die deutsche Ostgrenze ab.

(Hört! Hört! bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der KPD.)

Die einzige Konferenz aller deutschen Ministerpräsidenten in München scheiterte im Juni 1947 infolge Abreise der Sowjetzonenvertreter.

(Hört! Hört! in der Mitte. — Zuruf von der KPD: Ach, wie schön!)

Im März 1948 verließ die sowjetische Delegation den Alliierten Kontrollrat. Im April 1948 begann die Abschnürung Berlins, und im November 1948 wurde die Spaltung der Stadt durch die Einsetzung eines Ost-Magistrats vollzogen.

(Hört Hört! bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der Mitte: Hört! Hört!, Herr Reimann!)

Im Oktober 1949 konstituierte sich die provisorische Volkskammer. Im Juni 1950 erkannte die Sowjetzonenregierung in einem Abkommen mit Polen die Oder-Neiße-Linie als endgültige Grenze an,

(lebhafte Pfui-Rufe von den Regierungsparteien — Abg. Niebergall: Was ist mit dem Saargebiet, Herr Adenauer? Wie ist es im Westen?)

und im Oktober 1950 fanden die Wahlen zur Volkskammer statt.
Im Gegensatz zu den finanziellen Hilfeleistungen an die Bundesrepublik im Rahmen des Marshallplans wurden in der sowjetischen Zone an die Besatzungsmacht in verschiedenster Gestalt in der Zeit von 1945 bis 1951 Werte in Höhe von insgesamt 31 Milliarden DM abgeführt.

(Hört! Hört! bei den Regierungsparteien. — Abg. Frau Strohbach: Was ist bei uns herausgeschleppt worden? Das möchten wir auch gern hören! — Abg. Fisch: Machen Sie mal die Rechnung für hier auf!)

Das wirtschaftliche Leben ist in der Sowjetzone aufs schwerste beeinträchtigt. Die Bevölkerung leidet Not.

(Zuruf von der KPD: Das ist die alte Walze!) Sie muß schwerste Arbeit leisten.


(Erneuter Zuruf von der KPD: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Freie Wahlen gibt es nicht, ebenso wenig freie Parteien,

(Zuruf von der KPD: Sie machen Agitation!) Freiheit der Meinung, der Presse, der Versammlungen. Es gibt dort keine Grundrechte, wie wir sie besitzen.


(Abg. Dr. Wuermeling: Dafür Menschenraub! — Abg. Fisch: Die haben große Sehnsucht nach der „Ordnung" des Herrn Lehr! — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0122101800
Herr Abgeordneter Fisch, ich rufe Sie wegen dauernder Störung zur Ordnung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0122101900
Die Entwicklung der politischen Lage in der Welt, meine Damen und Herren, wird bestimmt durch den allmählich immer stärker werdenden Gegensatz zwischen Sowjetrußland einerseits und den Westmächten


(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

andererseits. Nach 1945 rüsteten die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich ab, und zwar in einem geradezu überhasteten Tempo. Im Gegensatz zu ihnen behielt die Sowjetunion nicht nur ihre Rüstung bei, sondern sie baute sie fortgesetzt aus. Sie schritt schon 1945 zu aggressiven Handlungen gegenüber Griechenland. Die Kämpfe in Griechenland dauerten bis 1947. Sie wurden beendet zugunsten Griechenlands durch die Unterstützung der Vereinigten Staaten und Großbritanniens. Die Sowjetunion versuchte ferner im Jahre 1946, in Persien einen Aufstand zu erregen. Hier wurde sie durch die UNO zum Rückzug gezwungen. Dann versuchte sie, durch die BerlinBlockade Berlin auszuhungern,

(Hört! hört! rechts)

um die Übergabe Berlins an Sowjetrußland herbeizuführen. In den gleichen Jahren vernichtete Sowjetrußland die Selbständigkeit der jetzt zu Satellitenstaaten gewordenen Länder. Unter Bruch der zwischen den Alliierten und diesen Staaten geschlossenen Friedensverträge ging die Sowjetunion überall nach der gleichen Methode des Kalten Krieges vor.

(Zuruf von der KPD: Das ist doch nur Hetze!)

Am Ende der Aktion stehen überall sogenannte freie Wahlen, die unter dem Gebrauch demokratischer Nomenklatur den Völkern den letzten Rest von Freiheit nahmen.

(Sehr richtig! bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der KPD: „Völkischer Beobachter"!)

Von den Vorgängen, die im Ostblock als „freie Wahlen" bezeichnet werden, geben die Zahlen, die ich Ihnen jetzt mitteilen werde, ein überzeugendes Bild. In Albanien siegte im Dezember 1945 die Einheitsliste der Nationalen Demokratischen Front mit 95 Prozent.

(Lachen bei den Regierungsparteien. — Zuruf rechts: Waren es nicht 99,9 Prozent? — Abg. Strauß: „Völkischer Beobachter"!)

In Bulgarien siegte die Vaterländische Front im November 1945 mit 80 Prozent, im Dezember 1949 mit 97 Prozent.

(Lachen bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der KPD.)

In Polen siegte der Block der Nationalen Einheit
im Januar 1949 mit 89 Prozent. In Rumänien siegte
der Regierungsblock im März 1948 mit 97 Prozent.

(Erneutes Gelächter. — Zuruf rechts: Anna Pauker!)

In der Tschechoslowakei siegte die Einheitsliste
der Nationalen Front im Mai 1948 mit 90 Prozent.

(Zuruf von der KPD: Das tut weh! — Abg. Dr. von Brentano: Nirgends über hundert Prozent?)

In Ungarn siegte die Unabhängigkeitsfront im Mai 1949 mit 98 Prozent. Und Sie wissen alle, meine Damen und Herren, wie die Einheitsliste in der Sowjetzone bei den „freiesten aller Wahlen", wie sie dort genannt wurden, mit fast 100 Prozent gesiegt hat.

(Abg. Fisch: Und Sie wollen ein Wahlgesetz, das Ihnen 65 Prozent sichert!)

Überall, meine Damen und Herren, dieselbe Methode: Einheitsliste, Terror, Zwang zur Wahl — und dann diese glänzenden, für eine „freie demokratische Wahl" sprechenden Wahlergebnisse.

(Sehr richtig!)

Der Krieg in Korea im Sommer 1950 führte einen neuen Abschnitt in dem Verhältnis der Westmächte gegenüber der Sowjetunion herauf. Während vorher die Westmächte, insbesondere die Vereinigten Staaten, geglaubt hatten, sich gegenüber dem Vordringen des Kommunismus unter Sowjetrußlands Führung lediglich durch wirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen zur Wehr setzen zu können, während sie sich bis dahin mit papierenen Protesten gegenüber der Unterwerfung der Satellitenstaaten begnügt hatten, schritten die Westalliierten nach Beginn des Korea-Krieges zur Wiederaufrüstung. In Kenntnis der Gefahren, die ihnen aus der ,von Sowjetrußland verfolgten Politik drohten, schlossen sich nunmehr eine Reihe von Mächten im April 1949 im Atlantikpakt zusammen. Im Februar 1952 traten Griechenland und die Türkei bei, so daß jetzt im Nordatlantikpakt 14 Staaten vereinigt sind. Der Nordatlantikpakt — und wir haben deswegen ein solches Interesse an ihm, weil wir nach Genehmigung der Verträge über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft in ihn eingegliedert werden —,

(Zuruf: Korporativ oder einzeln?)

der Nordatlantikpakt ist in seinen wesentlichen Bestimmungen ein in den Rahmen der Vereinten Nationen eingebauter Konsultativ- und Beistandspakt, der vor allem auf dem in Art. 51 der Charta bestätigten natürlichen Recht der Staaten auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung gegen jeden bewaffneten Angriff beruht. Ein Angriff auf ein Mitglied gilt als Angriff gegen alle. Der Pakt ist aber nicht rein militärischer Art, sondern er verpflichtet die Mitglieder auch zur Förderung der Voraussetzungen für Stabilität und Wohlfahrt der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und zur Beseitigung von Konflikten in ihrer internationalen Wirtschaftspolitik.
Das Ergebnis dieser Entwicklung seit 1945 fasse ich in folgenden Feststellungen zusammen: Es haben sich zwei gewaltige Machtsysteme aufgebaut: das von Sowjetrußland geführte und das westliche, in dem als stärkste Macht die Vereinigten Staaten hervortreten.

(Zuruf von der KPD: Klingt wie ein großer Politiker!)

In dem von Sowjetrußland geführten Machtsystem

(Zuruf von der KPD: Das ist aber eine schöne Wahlrede!)

sind, wie zahlreiche Vorkommnisse klar erkennen lassen, starke Expansions- und Aggressionskräfte wirksam. Die Auswirkung dieser Kräfte erstreckt sich im Wege des Kalten Krieges weit über die Grenzen des Ostblocks hinaus, insbesondere auch in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs und Italiens, und zwar getarnt und ungetarnt. Das westliche Machtsystem hat seinen Ausdruck gefunden im Atlantikpakt

(Zuruf von der KPD: Nehmen Sie doch Herrn Lehr nicht alles vorweg!)

und in einer Reihe von ebenso ausgesprochen defensiven Bündnissen und Abmachungen.

(Zuruf von der KPD: Wers glaubt!)

Ich betone nochmals: alle diese Pakte und Bündnisse sind nicht nur nach ihrem Wortlaut, sondern auch nach ihrer Konstruktion

(Abg. Niebergall: Angriffsverträge!)

rein defensiver Natur!

(Zuruf von der KPD: Kriegspakte!)



(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier feststellen, daß in keinem einzigen Falle seit 1945 die Westmächte sich irgendeinen Akt des Angriffs haben zuschulden kommen lassen!

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der KPD. — Abg. Frau Strohbach: Überfall auf Korea! — Gelächter bei den Regierungsparteien.)

Wenn wir das Wirken dieser beiden Machtsysteme in Deutschland betrachten, dann ergibt sich folgendes. In dem im Bereiche des Ostblocks liegenden Teil Deutschlands gibt es keine persönliche, keine wirtschaftliche, keine politische Freiheit;

(Zuruf von der KPD: Das ist doch unwahr! — Abg. Harig: Hör schon auf!)

die Bevölkerung ist verelendet, die Wirtschaft ausgeplündert.

(Abg. Harig: Da kennst du nichts von! — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0122102000
Herr Abgeordneter Harig, wir haben das allgemeine Du für den Bundestag noch nicht eingeführt!

(Sehr gut! in der Mitte.)


Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0122102100
In dem Teile Deutschlands, meine Damen und Herren, der in der Sphäre des westlichen Machtsystems liegt, herrscht persönliche, wirtschaftliche und politische Freiheit.

(Zuruf von der KPD: Herrscht Militärdiktatur und Terror! — Lachen und Gegenrufe bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der Mitte: Dann würden wir hier nicht so ruhig sitzen!)

Nun, meine Damen und Herren, die kommunistischen Zwischenrufer allein von heute beweisen zur Genüge, daß hier persönliche und politische Freiheit herrscht.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien und rechts. — Gegenrufe von der KPD. — Glocke des Präsidenten. — Zuruf von der KPD: Und die Ordnungsrufe?!)

Können Sie sich etwa vorstellen, meine Damen
und Herren, daß in der Volkskammer ein Nichtkommunist solche Zwischenrufe machen dürfte?

(Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Abg. Frau Thiele: Dort redet auch niemand so dumm!)


(Glocke des Präsidenten.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0122102200
Darf ich unterbrechen, Herr Bundeskanzler. Frau Abgeordnete Thiele, Ihre Beurteilungen sind natürlich höchst interessant; aber der Vorwurf der Dummheit geht über den Rahmen der parlamentarischen Ordnung hinaus. Ich rufe Sie zur Ordnung.

Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0122102300
Die wirtschaftliche Kraft im Westteil Deutschlands ist schnell gestiegen. Sie ist gestiegen auch dank der finanziellen Hilfe, die wir in starkem Maße bekommen haben, so daß es möglich war, die Kriegsschäden weitgehend zu beseitigen und den wirtschaftlichen, den politischen und den sozialen Wiederaufbau zu fördern. Die dem Hohen Hause vorliegenden Verträge führen die bisher von den Westmächten gegenüber der Bundesrepublik Deutschland angewandte Politik fort und führen die Bundesrepublik als gleichberechtigtes Mitglied in den Kreis
der freien Völker zurück. Dadurch wird auch die
soziale Lage der Bevölkerung erneut gefördert.

(Zurufe von der KPD: Erschwert!)

Wie schnell, meine Damen und Herren, die Entwicklung infolge der Einsicht der Westmächte und infolge des Drucks, der von Osten her auf sie ausgeübt wurde,

(Zuruf von der KPD: Ja, der Schwarze Mann!)

wie schnell die Entwicklung des Verhältnisses der
Bundesrepublik zu den Mächten Westeuropas und
die Entwicklung in Westeuropa selbst sich geändert
haben, ergibt sich aus folgendem. Am 10. Dezember 1944 schloß die französische Regierung mit
der Sowjetunion einen auf 20 Jahre berechneten
Bündnisvertrag, der sich ausdrücklich und aus-
schließlich gegen Deutschland richtete. Am 4. März
1947 schlossen Frankreich und das Vereinigte
Königreich in Dünkirchen ein 50jähriges Bündnis, das ausdrücklich gegen Deutschland gerichtet
war. Am 12. März 1948 schlossen Großbritannien,
Frankreich, Belgien, die Niederlande und Luxemburg in Brüssel ein 50jähriges Bündnis, das laut
seiner Präambel für den Fall der Erneuerung
einer deutschen Aggressionspolitik gedacht war.

(Zuruf von der KPD.)

Und, meine Damen und Herren, am 26. Mai 1952, wurde in Bonn der Deutschlandvertrag und am 27. Mai in Paris der EVG-Vertrag unterzeichnet, Verträge, durch die nach ihrer Genehmigung Deutschland zum Verbündeten der Westmächte wird.

(Zurufe von der KPD.)

Auch die Integration Westeuropas, meine Damen und Herren, schreitet fort. Sie begann mit dem Europarat, sie erhielt den ersten kräftigen Anstoß durch den Abschluß des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, den Schumanplan. Dieser Vertrag ist von den beteiligten sechs Staaten in der Zwischenzeit ratifiziert worden. Die Hinterlegung der Ratifizierungsurkunden wird in diesem Monat in Paris erfolgen; der Vertrag tritt damit in Kraft. Er wird die Integration Europas in kräftiger Weise fördern. Der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft wird, wie ich schon ausführte, die Integration Westeuropas ein großes Stück vorwärts bringen. Leider können wir infolge der gesamten internationalen Lage zur Zeit immer nur von der Integration Westeuropas sprechen. Aber alle diese Pakte, die die Integration fördern, und diejenigen, die noch zu schließen sind, um sie zu vollenden, sehen den Beitrag auch der anderen europäischen Länder vor und werden ihn vorsehen, so daß wir mit Bestimmtheit hoffen können, im Laufe der Zeit zu einer Integration ganz Europas zu kommen.

(Sehr gut! in der Mitte. — Zurufe von der KPD: Bis zum Ural! Ja, ja! — Monaco!)

Lassen Sie mich jetzt noch die Lage der Bundesrepublik infolge der seit 1945 eingetretenen Entwicklung skizzieren. Die Bundesrepublik steht noch unter Besatzungsstatut. Sie ist unbewaffnet. Sie ist nicht in der Lage, sich zu verteidigen. Sie ist — und darauf lassen Sie mich besonders hinweisen — zur Zeit rechtlich gesehen nur Objekt politischer und strategischer Überlegungen. Ich habe gesagt: „rechtlich gesehen", weil sie bei Genehmigung der Verträge vom Objekt zum Mithandelnden würde und weil die Westmächte in der Annahme, daß diese Verträge in Kraft treten werden, uns jetzt schon nicht mehr lediglich als Ob-


(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

jekt politischer und strategischer Überlegungen betrachten. Deutschland ist zudem noch geteilt. So liegt es zwischen den beiden großen Machtsystemen, die ich eben geschildert habe. Es liegt mitten in einem Spannungsfeld zwischen Ost und West, und zwar an einer besonders gefährdeten Stelle.
Welche Fortschritte werden nun die Verträge nach ihrem Inkrafttreten gegenüber dem heutigen Zustand für Deutschland bringen? Das Besatzungsstatut fällt fort. Alle wirtschaftlichen Beschränkungen hören auf. Wir erhalten die Unterstützung der Vereinigten Staaten. Wir erhalten ein Defensivbündnis mit Großbritannien. Die europäische Föderation beginnt auf dem neuralgischsten Gebiet, nämlich dem militärischen. Europäische Kriege sind in Zukunft ausgeschlossen.

(Lachen bei der KPD. — Abg. Gundelach: Glaubt Ihr das?)

Durch den Einbau in das größte Verteidigungssystem der Geschichte erhalten wir die denkbar größte Sicherheit, und, meine Damen und Herren, wir sind nicht mehr Objekt politischer und strategischer Überlegungen, sondern wir werden Mithandelnde.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Frau Thiele: Und bleiben Protektorat!)

Ich glaube, gerade dieser letzte Punkt verdient noch einige Ausführungen. Die Spannungen zwischen Ost und West kennt jeder von uns. Wenn es auch in hohem Grade unwahrscheinlich ist, daß es zu einem heißen Krieg zwischen Ost und West kommt, so muß man doch bei seinen Überlegungen auch entfernte Möglichkeiten mit in den Kreis seiner Betrachtungen ziehen. Solange wir besetztes Land sind, solange wir uns nicht in das westliche Verteidigungssystem eingefügt haben, sind wir ein Niemandsland zwischen zwei großen Mächtegruppen.

(Zustimmung in der Mitte. — Abg. Niebergall: Und morgen Kriegsschauplatz!)

Wie wir in den diplomatischen Auseinandersetzungen Objekt sind, so würden wir auch bei ernsten Auseinandersetzungen Objekt sein. Mit anderen Worten: wir würden Schauplatz dieser Auseinandersetzungen werden mit all den furchtbaren Folgen, die sich daraus für unser Volk ergeben würden.

(Abg. Frau Strohbach: Dazu dient der Generalvertag! — Abg. Niebergall: Ihre Politik führt dahin!)

Ich bin der Auffassung, meine Damen und Herren, daß diese die Weltlage beherrschenden Spannungen, die wir nicht aus der Welt schaffen können, dringend von uns verlangen, aus dem Zustand der Schwebe, in dem wir uns jetzt befinden, herauszukommen.

(Abg. Frau Strohbach: Ein einiges Deutschland aufbauen!)

Wenn wir Mithandelnde werden, können wir auch unsere ganze Kraft dafür einsetzen, daß die bestehenden Spannungen zwischen Ost und West auf friedlichem Wege gelöst werden.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der KPD.)

Bleiben wir Objekt, so haben wir diese Möglichkeit nicht.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Und welches würden nun die Folgen der Ablehnung der Verträge sein?

(Zuruf von der KPD.)

Zunächst ist eines sicher. Es werden keine neuen
Verhandlungen auf der gleichen Basis erfolgen,

(Sehr richtig! in der Mitte — Abg. Frau Strohbach: Das wäre gut!)

um Änderungen in dieser oder jener Hinsicht an diesem oder jenem Artikel zu erreichen. Darauf habe ich bereits hingewiesen. Aber, meine Damen und Herren, eine Folge der Ablehnung der Verträge durch die Bundesrepublik würde ein Fiasko der bisherigen Politik

(Abg. Frau Strohbach: Adenauers sein!)

der Westmächte gegenüber der Bundesrepublik bedeuten,

(Zuruf von der KPD: Nee, nee, nee!)

und dieses Fiasko würde in sich schließen einen diplomatischen Erfolg für Sowjetrußland,

(Sehr richtig! in der Mitte.)

der die sowjetische Selbsteinschätzung in unerträglicher Weise erhöhen würde.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der KPD.)

Die diplomatische Lage in der Welt würde sich in starker Weise zugunsten Sowjetrußlands verschieben. Das Scheitern der bisherigen Politik der Westmächte bezüglich Deutschlands in Verbindung mit dem dadurch verursachten diplomatischen Gewinn Sowjetrußlands würde die Westmächte höchstwahrscheinlich zu einer grundlegenden Überprüfung ihrer Politik gegenüber Deutschland, Europa und Sowjetrußland veranlassen.

(Abg. Strauß: Sehr richtig!)

Ich halte es für sehr wohl möglich, daß als Ergebnis einer solchen Verschiebung der diplomatischen
Lage das Verlangen Sowjetrußlands auf Neutralisierung Deutschlands, das es in seinen Noten gestellt hat, Aussicht auf Erfolg bekommen würde.

(Abg. Reimann: Das ist besser als Krieg!)

Das Besatzungsstatut würde bestehen bleiben. Wegen der unsicheren Haltung der Bundesrepublik würde das Vertrauen, das wir uns bisher bei den Westmächten und in der ganzen Welt erworben haben, verlorengehen.

(Sehr gut! in der Mitte. — Zurufe von der KPD.)

Die Handhabung des Besatzungsstatuts würde gegenüber dem jetzigen Zustand eine Wendung zur verschärften Kontrolle nehmen.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Ich habe schon erwähnt, daß eine Ablehnung der Verträge die Möglichkeit heraufbeschwört, daß Sowjetrußland mit seiner Forderung auf Neutralisierung Deutschlands durchdringen würde. Die Integration Europas, meine Damen und Herren, würde in einem solchen Falle ausgeschlossen sein,

(Zuruf von der KPD: Das ist nur ein Kleineuropa!)

da ein Westeuropa sich ohne Deutschland nicht schaffen läßt.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Die Bundesrepublik würde dank der dann in Westeuropa entstehenden Situation und mit Hilfe der jetzt schon in großer Zahl bestehenden sowjetrussischen Tarnorganisationen in die sowjetische Machtsphäre in der einen oder in der andern Form hineingeraten.

(Sehr richtig! in der Mitte.)



(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

Dann würde bei uns die gleiche Entwicklung einsetzen, wie sie sich in den nunmehrigen Satellitenstaaten vollzogen hat,

(Zustimmung in der Mitte)

d. h. ganz Deutschland würde ein Satellitenstaat werden,

(Abg. Dr. Schröder [Düsseldorf]: Sehr richtig!)

und die Hoffnung der Ostzone, daß sie durch unsere politische Arbeit zur Wiedervereinigung mit uns in Freiheit kommen würde, würde sich nicht erfüllen.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Ich möchte noch einige in der Öffentlichkeit aufgeworfene Fragen besprechen, die von besonderer Bedeutung sind. Es ist behauptet worden, die Genehmigung der beiden Verträge mache die Wiedervereinigung mit der Sowjetzone unmöglich.

(Abg. Niebergall: Das stimmt auch! — Weiterer Zuruf von der KPD: Das stimmt ganz genau!)

Ich halte diese Behauptung für falsch.

(Abg. Reimann: Das steht doch im Vertrag, Herr Dr. Adenauer!)

Ich, meine Damen und Herren, bin gerade der umgekehrten Ansicht,

(Abg. Reimann: Aber Sie haben das doch unterschrieben!)

daß wir mit dem Abschluß dieser Verträge einen bedeutenden Schritt vorwärts tun auf das Ziel, das seinerzeit der Bundestag fast einstimmig so formuliert hat: Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit in einem freien Europa.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Reimann: Herr Dr. Adenauer, lesen Sie vor, was in § 7 Abs. 2 steht! -Weitere Zurufe und Unruhe bei der KPD.)

Es ist richtig, daß die Wiedervereinigung in Freiheit nur mit Zustimmung der vier Alliierten, also auch mit Zustimmung Sowjetrußlands, erfolgen kann.

(Abg. Frau Strohbach: Aha! Das hat sich einmal ganz anders angehört!)

Ich bin der Auffassung, daß es klug ist, wenn man sich für diese Politik die Hilfe von wenigstens drei von den vieren zunächst sichert, wie wir das im Deutschlandvertrag tun.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Abg. Niebergall: Das ist auch eine Argumentation!)

Ich glaube, daß es möglich sein wird, im richtigen Augenblick mit Sowjetrußland an den Verhandlungstisch zu kommen,

(Abg. Niebergall: Das soll nun ein Argument sein!)

wenn wir die Hilfe dieser drei Mächte dabeihaben.

(Beifall bei den Regierungsparteien. Abg. Fisch: Das ist doch kein Argument!)

Aber keiner — nicht einmal meine Freunde von der äußersten Linken —

(Heiterkeit)

glauben, daß die Sowjetunion aus sich heraus die Sowjetzone freigeben wird.

(Abg. Niebergall: Jawohl! Das tut sie! — Lachen in der Mitte. — Gegenrufe von der Mitte: Anfragen! — Abg. Dr. Wuermeling: Dann tut es doch! — Abg. Fisch: Lachen ist auch eine Gabe Gottes! — Anhaltende Zurufe von der KPD.)

Ich kann deswegen in keiner Weise einsehen, daß wir die Aussichten für die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit dadurch, daß wir diese Verträge schließen, verschlechtern.

(Abg. Frau Strohbach: Doch, das tut ihr!)

Ein Gesamtdeutschland, wie es bis jetzt Sowjetrußland in seinen Noten fordert, also ein neutralisiertes Deutschland, ein auf dem Boden des Potsdamer Abkommens errichtetes Gesamtdeutschland ist für uns nicht möglich.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir werden mit Hilfe der drei Westalliierten versuchen müssen,

(Zuruf von der KPD)

Sowjetrußland von dieser seiner Forderung im Wege der Verhandlung abzubringen. Ich bin überzeugt davon, daß Sowjetrußland, wenn es sieht, daß infolge des Abschlusses der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft seine Politik, im Wege des Kalten Krieges im vorliegenden Fall zur Neutralisierung der Bundesrepublik zu kommen, keinen Erfolg mehr verspricht, daß dann Sowjetrußland diese neugeschaffene politische Situation beachten und seine Politik dementsprechend einstellen wird.

(Abg. Niebergall: Säbelrasseln! — Abg. Paul [Düsseldorf]: Das ist Abenteurerpolitik!)


(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich weiß, daß die Männer und die Frauen in der Ostzone diese Ansicht teilen.

(Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien und rechts.)

ich weiß, meine Damen und Herren, daß sie eine Ablehnung der beiden Verträge nicht verstehen würden,

(erneuter lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien)

und ich weiß, daß auch sie den von uns eingeschlagenen Weg als den einzigen Weg betrachten, der auch sie aus ihrer Not herausführen wird.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der KPD.)

Es ist weiter die Frage aufgeworfen worden, ob nicht die militärische Stärkung des Westens, die das Vertragswerk zur Folge haben wird, Sowjetrußland dazu reizen würde, zum heißen Krieg überzugehen. Auch hier glaube ich, meine Damen und Herren, daß das Gegenteil richtig ist. Ich bin der Überzeugung, daß man einen hochgerüsteten totalitären Staat nicht dadurch von einer Aggression abhält, daß man möglichst schwach bleibt.

(Lebhafte Zustimmung und Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Reimann: Wie Adolf Hitler! Der hat das auch gesagt!)

Die Geschichte der letzten zwanzig Jahre bietet zwei ausgezeichnete und schlagende Beispiele für die Richtigkeit dieser meiner Auffassung.

(Abg. Fisch: Sehr richtig! Jawohl, mit Drohungen hat's der Hitler auch versucht! — Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)



(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

Als Hitler aufrüstete, ist zunächst von seiten der anderen europäischen Staaten und von seiten der Vereinigten Staaten von Amerika nichts geschehen.

(Abg. Reimann: Jetzt verteidigt er sogar Hitler!)

Weil Hitler wußte,

(Abg. Reimann: Aha!)

daß diese Länder militärisch schwach waren, hat er in dem Augenblick, als er glaubte,

(Abg. Reimann: Na also!)

er sei stark genug, um einen schnellen Sieg zu erlangen, losgeschlagen.

(Abg. Reimann: Verteidigung für Hitler! — Unruhe.)

Hätte man damals, als Hitler aufzurüsten begann, in den anderen Ländern auch die Verteidigungskräfte vermehrt, so würde Hitler niemals den Krieg gewagt haben.

(Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der KPD. - Unruhe.)

Etwas Ähnliches, meine Damen und Herren, gilt auch für die Zeit nach 1945. Da Sowjetrußland stark gerüstet blieb, während die anderen Länder abrüsteten,

(Zuruf von der KPD: Wer denn?)

machte es von seiner militärischen Überlegenheit durch die Unterwerfung der jetzigen Satellitenstaaten rücksichtslosen Gebrauch.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Ich bin überzeugt, daß Sowjetrußland das nicht
getan hätte, wenn es hätte befürchten müssen,
daß die anderen ihm in den Arm fallen würden.

(Zustimmung in der Mitte.)

Mit jeder Stärkung der westlichen Verteidigungskraft wächst die Wahrscheinlichkeit, daß Sowjetrußland nicht zum heißen Krieg übergehen wird, und die westliche Verteidigungskraft ist jetzt schon so stark, daß Sowjetrußland in einem heißen Kriege kaum etwas zu gewinnen, aber sehr viel zu verlieren hat.

(Abg. Niebergall: Das ist nicht das Problem! Wir haben a 11e zu verlieren! — Gegenruf von der Mitte: Ihr, ja!)

Meine Damen und Herren, ich darf nochmals darauf hinweisen, daß keines der an den Vertragswerken beteiligten Länder in der Lage war, seine Meinung in allen Punkten zur Annahme zu bringen. Ich darf darauf hinweisen, daß in jedem Land Regierung und Parlament auf die öffentliche Meinung ihres Landes Rücksicht nehmen müssen und daß die öffentliche Meinung in den einzelnen Ländern verschieden ist. Ich habe unlängst an anderer Stelle ausgeführt, daß wir Deutschen doch etwas sehr dazu neigen, nur die Meinung im eigenen Lande, nur den eigenen Standpunkt zu berücksichtigen, und daß wir ferner dazu neigen, schnell zu vergessen, namentlich wenn es uns angenehm ist, zu vergessen.

(Lebhafte Zustimmung in der Mitte.)

Ich glaube, wir müssen klar erkennen, daß die Siegerländer in diesem Vertragswerk dem besiegten Deutschland ein großes Entgegenkommen zeigen.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Es ist charakteristisch, daß als erstes Parlament der amerikanische Senat

(Zuruf von der KPD: Allerdings!)

den Deutschlandvertrag genehmigt hat.

(Zuruf von der KPD: Die haben's doch gemacht! — Weitere Zurufe von der KPD.)

Ich meine, die europäischen Teilnehmerstaaten und insbesondere auch wir Deutschen müssen dem amerikanischen Senat und der amerikanischen Regierung von Herzen dankbar sein für dieses mutige Vorangehen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der KPD.)

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen ja schon mehrmals gesagt, daß auch ich mir manchen Artikel und manchen Paragraphen lieber anders gewünscht hätte. Aber wenn erst einmal auf Grund der Verträge die Zusammenarbeit zwischen den Teilnehmerstaaten enger geworden ist, werden auch manche Bestimmungen, die uns jetzt nicht befriedigen, eine Auslegung erfahren, die uns befriedigen kann. Das gilt meines Erachtens auch von der Kriegsverbrecherfrage. Die britische Regierung hat jetzt schon eine Nachprüfung aller Fälle angeordnet. Der Französische Hohe Kommissar wird aus Anlaß des französischen Nationalfeiertages am 14. Juli eine große Zahl von Begnadigungen aussprechen. Ich glaube, daß auch die Vereinigten Staaten schon vor Inkrafttreten der Verträge so handeln werden wie diese beiden Länder.

(Bravo! bei den Regierungsparteien und rechts. — Zuruf rechts: Und die Gefangenen in Frankreich?!)

Die Antwortnote auf die Sowjetnote muß ich in diesem Zusammenhang auch erwähnen. Sie wird in diesen Tagen in Moskau überreicht werden.

(Abg. Reimann: Morgen!)

- Morgen!

(Heiterkeit. — Abg. Reimann: Nach der Debatte! Das haben Sie organisiert!)

— Nein, Sie sind falsch unterrichtet, Herr Reimann! Sie sind zu selten hier bei uns; daher sind Sie nicht mehr im Bilde. —

(Lebhafter Beifall und Heiterkeit bei den Regierungsparteien. Abg. Dr. Mende: Aber er erhält fleißig seine Aufwandsentschädigung für Nichtarbeit!)

Sie wissen, meine Damen und Herren, daß der Entwurf dieser Note mit mir erörtert worden ist. Ich bin durchaus einverstanden mit dem Abhalten einer Viererkonferenz.

(Abg. Niebergall: Bloß kein Resultat darf sie haben!)

— Das hängt von Ihren Freunden ab! —(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Allerdings gehe ich davon aus, daß auf dieser Konferenz keine Verschleppungstaktik geduldet werden darf,

(Zustimmung bei den Regierungsparteien)

weil dadurch vielleicht in dem einen oder andern Lande Verzögerungen hinsichtlich der Genehmigung der Verträge eintreten können. Ich halte eine solche Verzögerung der Genehmigung der Verträge nicht nur im deutschen Interesse, sondern im Interesse der gesamten politischen Entwicklung für gefährlich. Ich glaube, es ist daher richtig,


(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

wenn der Gegenstand der Verhandlungen auf einer solchen Viererkonferenz vorher so festgelegt wird, daß Verschleppungsmanöver unmöglich werden.

(Sehr richtig! in der Mitte. — Zuruf von der KPD: Ja und Nein!)

Die Bundesrepublik Deutschland kann nicht ohne Anlehnung an andere Staaten bestehen. Deutschlands geographische Lage ist politisch betrachtet besonders ungünstig. Deutschland liegt in der Mitte Europas, und es hat keine geschützten Grenzen.

(Zuruf von der KPD: Ach, ist das neu!) Deutschland hat deswegen, gezwungen durch diese seine geographische Lage, schon seit den 70er Jahren nach Verbündeten gesucht. Es glaubte, zunächst durch den Drei-Kaiser-Bund — Deutschland, Österreich, Rußland — im Jahre 1872 sich Bundesgenossen und Sicherheit verschaffen zu können. Aber Bismarck hat damals schon bald erkannt, daß ein lediglich auf dem monarchischen Gedanken beruhendes Bündnis auf die Dauer keinen genügenden Halt haben würde. In der Folge bildeten sich zwei Bündnissysteme heraus: der Dreibund zwischen Deutschland, Österreich und Italien im Jahre 1882, die Triple-Alliance zwischen England, Frankreich und Rußland.


(Abg. Frau Thiele: Geschichtsunterricht, achte Klasse Volksschule! — Gegenruf von der Mitte: Ganz gut für Sie, wenn das wiederholt wird! — Heiterkeit.)

Unter Delcassé bildete sich zwischen 1900 und 1904 die Entente cordiale und endlich das französisch-russische Bündnis.

(Abg. Reimann: Das ist das Format eines Kanzlers! — Glocke des Präsidenten.)

1911 wurde eine Defensivallianz zwischen Großbritannien, Frankreich und Rußland gebildet, nachdem in den Jahren 1901 bis 1911 England dreimal versucht hatte — leider vergeblich —, mit Deutschland zu einer Verständigung zu kommen.

(Abg. Fisch: Und wann fuhr die erste Eisenbahn? — Heiterkeit bei der KPD.)

Durch diese Entwicklung waren die dann kommenden Katastrophen vorbereitet. Es ist auch hier nötig, daß wir uns den Ablauf der Geschichte vergegenwärtigen, um in einem solchen historischen Zeitpunkt wie dem jetzigen zur richtigen Entscheidung zu kommen.

(Abg. Reimann: Was hat das mit dem Generalvertrag zu tun?)

Wir sind jetzt, meine Damen und Herren, mehr denn je auf Bundesgenossen angewiesen, um unsere Freiheit zu bewahren.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Durch den Eintritt in die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, die ihrerseits wieder mit dem Atlantikpakt verknüpft ist, durch den Abschluß des Defensivbündnisses mit Großbritannien und durch das Sicherheitsversprechen der Vereinigten Staaten bekommt unser Land die denkbar größte Sicherheit. Alle diese Bündnisse — ich betone es nochmals — haben einen rein defensiven Charakter. Dieser defensive Charakter ist nicht nur ausdrücklich in den Satzungen, Statuten und Artikeln ausgesprochen, er ist auch durch die innere Struktur des ganzen Systems gewährleistet. Das westliche Verteidigungssystem kann und wird — das ist meine feste Überzeugung - Europa und uns
Frieden und Freiheit sichern. Die Spannung zwischen Ost und West ist zur Zeit da. Die Kräfte
der europäischen Länder sind gelähmt; sie sollen
zusammengefaßt werden für den Frieden, auch
für den Frieden mit Sowjetrußland! Die Vereinigten Staaten und Großbritannien unterstützen mit
ganzer Kraft diese Bestrebungen. Wir werden
durch die Genehmigung der Verträge der Sache
der Freiheit, der Schaffung eines neuen Europas,
der Wiedervereinigung Deutschlands und dem
Höchsten, dem Frieden und der Freiheit, dienen.

(Langanhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0122102400
Meine Damen und Herren, entsprechend der getroffenen Vereinbarung unterbreche ich die Sitzung bis 13 Uhr 30.
Ich darf noch darauf hinweisen, daß der Ältestenrat um 11 Uhr 30 zusammentritt.

(Unterbrechung der Sitzung: 11 Uhr 16 Minuten.)

Die Sitzung wird um 13 Uhr 33 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schäfer wieder eröffnet.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0122102500
Die Sitzung ist wieder eröffnet. — Ich bitte, die Plätze einzunehmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Gerstenmaier.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0122102600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Vorlage dieses Vertragswerkes an die oberste frei gewählte gesetzgebende Körperschaft Deutschlands und mit der sie begleitenden großen Rede des Herrn Bundeskanzlers ist die politische Auseinandersetzung in Deutschland, wie wir meinen, zu ihrem Kern vorgedrungen und in ein Stadium der Entscheidung eingetreten. Welches auch immer die rechtlichen Zuständigkeiten und Verfahrensweisen anderweitig beteiligter Instanzen der Bundesrepublik sein mögen, — wir werden sie respektieren, wie es die Verfassung gebietet. Wir möchten aber keinen Zweifel darüber lassen, daß nach unserer Überzeugung dieses Haus dazu berufen ist, die Entscheidung zu treffen, die ihm mit der Vorlage dieser Verträge abverlangt wird.
Es handelt sich hier nicht nur um ein Recht, sondern zugleich um eine Pflicht der politischen Entscheidung, die dem Deutschen Bundestag nicht abgenommen werden können. Weder die Exekutive noch ein oberstes Gericht, weder der Bundesrat noch eine sogenannte Volksentscheidung, auch wenn sie sich in der Form von Neuwahlen zum Bundestag vollzöge, kann und darf diesen Bundestag des Rechtes, der Pflicht und der Würde entkleiden, die weitaus bedeutsamste politische Entscheidung zu treffen, die ihm die Geschichte offenbar zugedacht hat. Wir gehen jedenfalls in die Debatte dieser Verträge in dem vollen Bewußtsein der diesem Haus auferlegten Verantwortung und in dem Willen, uns diese Entscheidung von niemand abnehmen zu lassen.
Meine Damen und Herren, schon der bisherige Verlauf der außerparlamentarischen Debatte hat gezeigt, daß weit wichtiger als die Einzelbestimmungen der Verträge der politische Ort ist, von dem aus sie entworfen sind, und das politische Leitbild oder Thema, dem sie in der Vielfalt der von ihnen behandelten Probleme folgen. Die Diskussion auch noch so bedeutender Einzelfragen ist richtigerweise auch zurückgetreten hinter der Frage, welche Konsequenzen denn dieses Vertrags-


(Dr. Gerstenmaier)

werk für die Entwicklung Deutschlands, und zwar des ganz en Deutschlands, hat. Wird es der Wiedervereinigung Deutschlands zuträglich oder wird es ihr abträglich sein? Das Thema der Verträge ist die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit in einem vereinigten Europa. Das politische Leitbild, dem das ganze Vertragswerk folgt, ist dementsprechend eine auf die Einbeziehung Gesamtdeutschlands gerichtete freie europäische Integration.
Der politische Ort, von dem aus die Verträge entworfen sind, ist nicht die bedingungslose Kapitulation vom 8. Mai 1945, sondern er ist das Ereignis der europäischen Bewegung.
Sie entstammt der geschichtlich weitaus wichtigsten und bedeutsamsten politischen Idee des 20. Jahrhunderts: der Schaffung der Vereinigten Staaten 'von Europa. Was wir auch im ganzen und im einzelnen zu dem Vertragswerk kritisch zu bemerken haben werden, zu diesem Thema und zu diesem Leitbild des Vertragswerkes sagen wir ja.
Wir halten es für ein Ereignis von höchstem geschichtlichem Rang, daß dieses Vertragswerk dem grauenhaft simplen Gesetz von Schlag und Gegenschlag in der Geschichte endlich absagt, indem es, wenn auch erst nach bitteren Erfahrungen und wenn zunächst auch nur für den größeren Teil Deutschlands, die Epoche der Unterwerfung der Besiegten beendet.

(Abg. Strauß: Sehr richtig!)

Dieses Werk will fortan weder Sieger noch Besiegte kennen, sondern nur noch Bundesgenossen. Sie sollen die Träger einer gemeinsamen Zukunft, eines gemeinsamen freien europäischen Vaterlandes sein, das wiederum überdacht und geschützt ist von der Bundesgenossenschaft der freien atlantischen Welt. Weil wir dieses Leitbild nicht respektieren, sondern weil wir uns zu ihm als zu unserer eigenen Sache bekennen, deshalb billigen wir die Grundkonstruktion des Vertragswerkes, das einen Voroder Teil-Friedensvertrag mit einem Bündnisvertrag verbindet.
Wir sprechen dieses Ja also nicht deshalb aus, weil wir der Meinung wären, daß das Vertragswerk im ganzen und in den Einzelheiten ein deutscher Triumph wäre. Das ist es nicht. Es gibt Einzelheiten in den Verträgen, die für uns nur unter Aufbietung aller Entschlossenheit zum Ziel der Verträge tragbar sind. Aber wir sind auf der andern Seite tief davon überzeugt, daß das Bekenntnis zu einem vereinigten Europa das Bekenntnis zu unserer eigenen Epoche und zu der uns aufgegebenen Geschichte ist. Wenn es redlich gemeint ist, darf es niemals nur ein Lippenbekenntnis sein, das vor den ersten Schwierigkeiten kapituliert.
Schon weil diese Verträge also unter dem Leitbild der europäischen Vereinigung entworfen sind, verbietet sich ihnen gegenüber die Ablehnung a priori, und schon deshalb fordern sie unsere ernste aufgeschlossene Prüfung. Für uns Deutsche ist diese Prüfung aber nun, wie ich meine, unter zwei Gesichtspunkten vordringlich, nämlich erstens unter der Frage: Was leistet dieses Werk für die Bewältigung der bedingungslosen Kapitulation? und zweitens: Was leistet dieses Werk für die Wiedervereinigung Deutschlands? Die meisten Friedensverträge, die in den letzten hundert Jahren geschlossen wurden, insbesondere aber die Pariser Vorortverträge nach ,dem ersten Weltkrieg, zeigen, daß es keineswegs selbstverständlich ist, daß blutige Katastrophen zwischen den Völkern abgeschlossen werden nicht nur mit dem redlichen Willen zur Versöhnung, sondern — was weit mehr ist — auch mit dem vertraglich niedergelegten Willen zur Vereinigung ihres künftigen Schicksals.
Man kann bei dem vorliegenden Vertragswerk an diesem oder jenem Kritik üben. Aber wer es etwa mit Versailles in einem Atem nennt, der weiß nicht, was er tut.

(Zustimmung in der Mitte.)

Die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers hat bereits in unwiderleglicher Weise dargelegt, daß mit dem Deutschlandvertrag die Folgen der bedingungslosen Kapitulation, zunächst wenigstens für die Bundesrepublik, in entscheidenden Punkten bewältigt werden. Die Aufhebung des Besatzungsstatuts bringt der Bundesrepublik definitiv jenes Maß von Rechtshoheit und völkerrechtlicher Handlungsfreiheit, das wir uns nicht scheuen würden als Souveränität anzusprechen, wenn uns der Begriff der nationalstaatlichen Souveränität nicht in einem so hohen Maß suspekt geworden wäre.

(Beifall bei der CDU.)

Wir erklären frei, daß uns wenig Sinn und Weisheit darin zu liegen scheint, wenn man sich auf der einen Seite zu der europäischen Vereinigung bekennt und auf der andern Seite sich dem Begriff der Souveränität verpflichtet fühlt. Unter dem Leitbild der europäischen Vereinigung darf man die nationalstaatliche Souveränität nicht zum Maß aller Dinge machen.

(Beifall bei der CDU.)

Die Frage, ob unter Anwendung der Begriffe

(Zuruf von der SPD: Sehr einseitig!)

etwa des 19. Jahrhunderts der Deutschlandvertrag uns die volle Souveränität der alten Nationalstaaten bringt, ist uns deshalb weit weniger interessant als die andere Frage, nämlich die, ob uns diese Verträge die volle, uneingeschränkte Gleichberechtigung mit unseren bislang doch gewiß als souverän geltenden Partnern bringen. Wenn auf diese Frage mit ja geantwortet werden darf, dann halten wir dafür, daß die Zeit der bedingungslosen Kapitulation vorbei ist und eine Zeit der nationalen Katastrophe und — scheuen wir uns nicht, das auszusprechen! — auch der nationalen Unehre sich ehrenvoll gewendet hat.

(Beifall bei der CDU.)

Wir glauben also, daß diese Wiederherstellung unserer Rechtshoheit so bedeutsam ist, daß diesem Haus alles daran gelegen sein muß, so schnell wie möglich aus dem Schatten des 8. Mai 1945 herauszutreten und Deutschland nicht nur de facto, sondern auch de jure seine Freiheit wieder zu verschaffen.

(Erneuter Beifall bei der CDU.)

Es ist kein Geheimnis, daß die Zeit des Besatzungsstatuts nicht nur deshalb für Deutschland erträglich war, weil es einen Bundeskanzler gab, der sich ihm gewachsen zeigte, sondern vor allem auch deshalb, weil sich in diesen Jahren eine echte Gemeinsamkeit der Interessen zwischen den Drei Mächten und Deutschland herausgebildet hat. Wer diese Gemeinsamkeit stört oder seine Macht in ihr zu überziehen versucht, der läuft Gefahr, daß er nicht zu neuen Verhandlungen mit besseren Ergebnissen kommt — ich sage: er läuft Gefahr! —, sondern daß er zurückgeworfen wird in einen


(Dr. Gerstenmaier)

Zustand, den wir mit Mühe — und hoffentlich auch einiger Weishheit — für immer hinter uns gebracht haben.

(Sehr richtig bei der CDU.)

Aber nun hören wir: Über den Deutschlandvertrag läßt sich reden, denn — so sagt einer seiner vornehmen Kritiker — er bringt Deutschland unzweifelhaft ein Mehr an staatsrechtlichen Befugnissen. Aber der Verteidigungsvertrag! Zwar, meine Damen und Herren, wird auch hier nicht bestritten, daß sich sein Inhalt vertreten läßt; aber die Verbindung der Verträge, das Junktim, wird für schlechterdings untragbar erachtet.
Ich will mich hier weder mit den rechtlichen noch mit den politischen Sonderfragen des Verteidigungsvertrages auseinandersetzen; darüber werden in diesem Hause andere — ich nehme an: sachlich Berufenere - sprechen. Ich möchte lediglich ein Wort zu dem politischen Begründungszusammenhang sagen, der die beiden Verträge umspannt. Es ist nicht nur unsere Pflicht, alles zu tun, um die oberste Gewalt in Deutschland wieder in deutsche Hand zu bringen, sondern es ist ebenso unsere Pflicht, diese oberste Gewalt und ihren Vollzug mit der auf ihr beruhenden rechtsstaatlichen Ordnung zu sichern. Daß wir eine Garantie unserer Sicherheit von anderen von dem Augenblick ab nicht mehr verlangen können, in dem wir uns weigern, das Unsere für den Schutz dieser unserer Sicherheit beizutragen, ist doch ganz selbstverständlich. Wir stehen noch dazu, was wir im August 1950 in Straßburg auf die an uns ergangene Aufforderung hin erklärt haben: daß wir nämlich nicht von anderen verlangen, daß sie für uns etwas tun, was wir selbst für uns zu tun nicht bereit sind.

(Abg. Kunze: Sehr richtig!)

Ich glaube, im deutschen Volk hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß es schon die Selbstachtung gebietet, entweder auf die Sicherheitsgarantie der drei Mächte auf die Dauer zu verzichten oder aber uns an ihrer Verwirklichung aktiv zu beteiligen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Von Anfang an, meine Damen und Herren, hielten wir — ich glaube mich dabei in einer breiten Übereinstimmung mit diesem Hause zu befinden — den Gedanken einer deutschen Nationalarmee nicht für vollziehbar, und zwar nicht deshalb — lassen Sie mich auch das einmal aussprechen —, weil wir vor den auch heute noch in der Welt vorhandenen Vorbehalten gegenüber einer deutschen Armee kapitulierten oder weil uns das deutsche Soldatentum als solches etwa selbst suspekt wäre. Nichts von alledem! Vielmehr glauben wir, daß sich eine deutsche Armee auch in der Zukunft der großen Tradition echten deutschen Soldatentums würdig erweisen würde. Aber es ist einfach nicht mehr an der Zeit, in diesem Augenblick der geschichtlichen Entwicklung Europas Nationalarmeen aufzurichten. Es ist vielmehr an der Zeit, auch in dieser Hinsicht Konsequenzen zu ziehen, und zwar Konsequenzen zu ziehen nicht nur aus der gegenwärtigen Situation, sondern vor allem aus dem politischen Leitbild, zu dem wir uns bekennen.
Schon die gegenwärtige Lage macht die Wiederholung alter Formen und Lösungen einfach unmöglich. Zur Schaffung einer modernen deutschen
Nationalarmee fehlen Deutschland so gut wie alle materiellen Voraussetzungen. Die Russen wissen mit ihrem so großzügig aussehenden Angebot einer wahrscheinlich übrigens dauernder auswärtiger Kontrolle unterworfenen deutschen Nationalarmee recht gut, daß in der Zeit der Atomwaffen 100 000 Mann oder mehr, unzureichend bewaffnet, nichts anderes sind als Hellebardenträger gegenüber Maschinengewehren. Wir haben nicht die Absicht, meine Damen und Herren, uns auf ein solches Abenteuer einzulassen. Wir haben nicht die Absicht, uns zu Hellebardenträgern von Rußlands Gnaden machen zu lassen, selbst dann nicht, wenn man uns eine noch so gute Militärmusik großzügig dazu konzediert.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Aber selbst wenn die materiellen Voraussetzungen dafür vorhanden wären, würden wir es für eine der größten Fehlentscheidungen halten, in Europa die Tradition der Nationalarmeen fortzusetzen.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Europa ist so klein geworden, seine vitalen Lebensinteressen liegen so ineinander, die freien Völker Europas sind so unabweisbar aufeinander angewiesen, daß sie in Zukunft nur noch die Möglichkeit haben, gemeinsam zu leben oder nacheinander unterzugehen.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Wenn wir Deutsche uns schon entschließen, das Unsrige für die Aufrechterhaltung unserer Freiheit und Sicherheit zu tun, so müssen wir uns auch entschließen, es in der Gestalt zu tun, die heute unserem politischen Leit- und Zielbild am ange
messensten ist, d. h. aber eben in der Form der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Mehr als die Montan-Union und wirkungsvoller, als es bis jetzt der Europarat vermochte, ist die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ein erstrangiges Instrument der europäischen Vereinigung.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Ihr Wert und ihre Bedeutung als Element und Antriebskraft der europäischen Integration ist für uns mindestens ebenso wichtig wie ihre Bedeutung als ein defensives Bündnis neuer Art — meine Damen und Herren, beachten wir: neuer Art —, als ein neuer Schutzbund der freien Völker unseres alten Kontinents. Ich glaube, daß der Herr Bundeskanzler kein Wort zuviel gesagt hat, wenn er darauf hinwies, daß dieser Vertrag mehr als alles andere das Gesicht Europas verändern wird. Es ist wahr, er wird es, weil er etwas qualitativ anderes ist als die politischen und militärischen Allianzen des 19. Jahrhunderts und weil er etwas völlig anderes ist als die Koalitionen des 20. Jahrhunderts, die wir his jetzt erlebt haben.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Diese Verteidigungsgemeinschaft hat ihr höheres Ziel verfehlt und sie hat ihren eigentlichen Sinn verloren, wenn sie nicht — dürfen wir es wagen, das auszusprechen? — noch im Laufe des nächsten Jahrzehnts überdacht und umfaßt wird von der Gemeinschaft, auf die sie angelegt ist, nämlich auf die europäische Föderation.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nun muß die Europäische Verteidigungsgemeinschaft leider einstweilen gelten lassen, daß auch sie keine Garantie für eine allgemeine Abrüstung im Weltmaßstab darstellt. Aber sie ist ohne jeden


(Dr. Gerstenmaier)

Zweifel die denkbar beste Garantie dafür, daß das Schießen, das wir erlebt haben, das Schießen über den Rhein, über die Alpen und über den Belt für immer ein Ende hat!

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Neue Massenfriedhöfe in Flandern, um Verdun und um den Hartmannsweilerkopf wird es danach nie mehr geben, wenn dieser Vertrag in Kraft ist. Und ist das wirklich so wenig?
Meine Damen und Herren, die wirkliche Entscheidung, vor die wir mit diesem Vertragswerk gestellt sind, fängt also nicht an bei der Notstandsklausel und sie hört nicht auf bei den Entflechtungsbestimmungen, sondern diese Entscheidung beginnt und endet mit der Frage, wo wir Deutsche selber unsere Zukunft suchen. Es hieße unsere Vergangenheit, ihre Größe und ihr Elend unterschätzen, wenn wir der Meinung wären, daß sich unter dem Aspekt der Einigung Europas nunmehr alle Schwierigkeiten und Widerstände leichthin überwinden ließen. An dem ist es leider nicht. Die Wiederaufrichtung des Reiches als eine unabhängige Großmacht zwischen West und Ost halten manche immer noch für das einzig erlaubte Leitmotiv aller deutschen Politik. Da und dort mögen auch späte, überspäte Träumer ihre RapalloTräume weiterpflegen.

(Abg. Strauß: Wirths!)

Auch dort, wo mehr Verstand vorausgesetzt werden darf, liegt seit einiger Zeit die Vermutung nahe, daß der Abstand vom Westen, der stillschweigende oder praktische Verzicht auf die europäische Integration vielleicht nicht nur die Wiedervereinigung Deutschlands ermöglichen, sondern auch irgendwann die Chance bieten werde, zwischen West und Ost noch einmal eine eigene deutsche Politik zu betreiben. Es würde eine Politik des nationalen Revisionismus sein, von der mancher träumt, daß sie zum Zünglein an der Waage zwischen Ost und West werden könnte.
Diejenigen, die so offen oder geheim der Politik der europäischen Föderation zugunsten einer Politik des nationalen Revisionismus abgesagt haben oder abzusagen im Begriffe sind, muß man daran erinnern, daß dieser Weg ein sehr gefährlicher Weg ist. Es ist die Schuld und die Tragödie des Versailler Vertrags, daß er ein berechtigtes deutsches Revisionsbegehren schuf, das Demagogen sondersgleichen zu einer Leidenschaft entfachte, die nicht ruhte und nicht rastete, bis jener Fackelzug durch die Wilhelmstraße in Berlin zog, jener Fackelzug, an dem sich schließlich ein Weltbrand entzündet hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Und nun meinen wir, meine Damen und Herren, daß diese Erfahrung uns alle verpflichtet. Den Siegern, die im Begriffe waren, nach dem Rezept eines Mannes namens Morgenthau ein Super-Versailles in die Welt zu setzen, begann es Gott sei Dank zu dämmern. Wir sollten dem unbefangenen Mut der Vereinigten Staaten von Amerika mit Respekt begegnen, dem Mut nämlich, der es fertiggebracht hat, weit verbreitete und vertiefte Gefühlskomplexe und festgefahrene Anschauungen im eigenen Lande ohne jede Rücksicht auf sogenanntes Prestige so zu verwandeln, daß von dem Gebäude Morgenthaus sieben Jahre nach dem Kriege kaum noch ein Stein auf dem andern geblieben ist.

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aber es wäre ein Irrtum, wenn daraus bei uns gefolgert würde, daß die anderen ihrer Sache nicht mehr sicher seien und deshalb die Politik des nationalen Revisionismus die chancenreichste und mithin die gebotene sei. Wir glauben, daß trotz der vorliegenden Verträge und über sie hinaus auch einiges, ja vielleicht noch vieles von erheblicher Bedeutung in Deutschland zu revidieren ist. Ich sage nur Saar und Oder-Neiße. Man könnte anderes hinzufügen. Aber es kann kein Zweifel sein, daß auch dieser sittlich und politisch gebotene Revisionswille nicht zu einem Ergebnis gelangen kann gegen den Geist und gegen die Partner dieser Verträge, sondern nur in der Verständigung mit ihnen. Mit anderen Worten: die Chancen für die Durchsetzung der berechtigten Revisionsanliegen des deutschen Volkes auch in der Zukunft sehen wir nur auf dem Boden dieser Verträge und in der Treue zu ihrem politischen Leitbild. Aber wir sehen sie nicht in einer Politik, die sich vermißt, das Zünglein an der Waage im Spiel der Weltmächte zu sein. Wir sehen sie erst recht nicht in dem Versuch einer völlig deplacierten Wiederholung deutscher Großmachtpolitik. Ob diese Politik sich nun mit dem Gedanken der bewaffneten oder der unbewaffneten Neutralität verbindet, sie ist und bleibt gleich reaktionär und gleich gefährlich. Auf dem Wege einer Politik des nationalen oder nationalistischen Revisionismus steht seit Hitlers Tagen nicht nur ein Stopp-, sondern ein Verbotsschild. Es steht dort nicht deshalb, weil es uns die Sieger hingesetzt hätten, sondern es steht dort nach unserem Willen, weil wir Deutsche nicht taub und blind durch die Geschichte unserer Größe und unseres Elends taumeln, sondern weil wir willens sind, dieses Mal aus eigener Einsicht die rechte Richtung zu halten, und das heißt: hin zur europäischen Vereinigung!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aber nun, meine Damen und Herren, bewegt uns alle seit Jahr und Tag die Frage des Gewissens: Ist dieser Verzicht auf Neutralisierung, auf autonomen Revisionismus nicht zugleich der Verzicht auf die Wiedervereinigung Deutschlands? Damit stehen wir vor dem anderen vordringlichen Gesichtspunkt der Überprüfung dieses Vertragswerkes, nämlich vor der Frage: Was leistet es für die Wiedervereinigung? Zunächst eine Feststellung in Gestalt einer Frage. Was ist denn eigentlich von russischer Seite bislang auf die immer wieder und wieder unternommenen Bemühungen — ich denke etwa an die Bemühungen der Kirchenführer oder anderer Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Deutschland — um die Wiedervereinigung geschehen? Es ist doch so lange nichts geschehen, bis durch die Politik, die von der Bundesregierung — es wäre leider zuviel gesagt, wenn ich nun sagen würde: und von diesem Hause — getragen wird

(Abg. Dr. Schröder [Düsseldorf]: Seien Sie großzügig, Herr Gerstenmaier!)

— nun, so sage ich: von der Mehrheit dieses Hauses getragen wird —, neue Tatbestände geschaffen wurden,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

Tatbestände von so plastischer und konkreter Bedeutung, daß sich sogar die Sowjets schließlich bemüßigt fühlten, ihre intransigente Ablehnung des
deutschen Einheitsverlangens aufzugeben oder
wenigstens zu tarnen. Es ist doch eine Tatsache,
die merkwürdigerweise bis jetzt viel zu wenig


(Dr. Gerstenmaier)

beachtet wird, daß die Russen eigentlich erst von dem Augenblick an ihre Noten zu schreiben und sich einigermaßen ins Zeug zu legen begannen, als sie sahen, daß der Westen, durch die Schüsse von Korea und einiges andere mehr aus seiner Apathie aufgeschreckt, planvoll zu handeln begann und sogar nicht davor zurückscheute, Deutschland die gleichberechtigte Partnerschaft anzubieten.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Es wird auch in diesen Tagen darüber geredet werden, ob oder daß es richtiger wäre, um den Preis des Verzichts auf einen deutschen Wehrbeitrag die Sowjets zum Abzug zu bringen. Das Bemerkenswerte, meine Damen und Herren, an diesem Vorschlag ist, daß an dem Fortgang der politischen und wirtschaftlichen Einigung Europas festgehalten, auf die Teilnahme an der militärischen Integration aber verzichtet werden soll. Auch in diesem oppositionellen Kompromißvorschlag wird Moskau ein Preis angeboten, der zunächst ausschließlich ein Ergebnis der so hart bekämpften Politik des Herrn Bundeskanzlers und der drei Mächte ist. Ob dieses Angebot — und das scheint mir nun weit wichtiger — von den Russen indessen als ausreichend oder als nicht ausreichend betrachtet wird und ob der Preis von unserer Seite als erbringbar angesehen werden kann, das, meine Damen und Herren, ist eine offene Frage.
Nun erlauben Sie mir einmal, auch in diesem Hause folgendes zu sagen. Ich glaube, es ist der Augenblick, in dem wir alle nun doch noch einmal mit denkbar großem Nachdruck aussprechen müssen, daß wir, ich glaube, wie wir hier versammelt sind, von ganzem Herzen nicht für die Aufrüstung in der Welt, sondern für die Abrüstung in der Welt sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Was uns betrifft, würden wir in der Tat die politische Integration ausschließlich etwa auf dem Weg, den die entschlossenen Föderalisten Europas in Straßburg seit Jahr und Tag unverdrossen zu gehen versuchen — also mit einer europäischen Verfassung und einer europäischen Legislative, mit einer gemeinsamen europäischen Außen- und Wirtschaftspolitik —, bei weitem allem anderen vorziehen. Die total abgerüsteten Vereinigten Staaten von Europa in einer ebenso total abgerüsteten Welt, — das ist das Ideal unserer Herzen!

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Nun hat der Herr Bundeskanzler schon mit Recht auf den Tatbestand hingewiesen, der zum Nachteil der freien Welt, zum Nachteil der Freiheit und der Rechtssicherheit in der Welt überhaupt jahrelang ignoriert wurde, auf den Tatbestand nämlich, daß nach dem zweiten Weltkrieg niemand ernsthaft abgerüstet hat als ausgerechnet die drei Großmächte, die nun unsere Partner sein werden.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Während sie abgerüstet haben, hat Rußland mit seinen Satelliten — ganz gleichgültig, ob es ihnen gefiel oder nicht gefiel; ich bin der Meinung, daß es ihnen nicht gefallen hat — in einem unerhörten Umfang weiter aufgerüstet.

(Sehr richtig!)

Abrüstung aber muß, wenn sie einen Sinn haben soll, auf beiden Seiten durchgeführt werden. Das sollten uns nun endlich auch die zugestehen, die uns immer im Verdacht haben, daß wir irgend etwas für die Aufrüstung übrig hätten. Wir haben
gar nichts für die Aufrüstung übrig, wir haben aber etwas für die Überlegung übrig, daß Abrüstung, wenn sie einen Sinn haben soll, auf beiden Seiten in gleichem Maße durchgeführt werden muß.
Und wie steht es hier? Ich weiß nicht, ob Sachverständige und Militärexperten dazu das Wort nehmen. Sie werden uns vielleicht eine Bilanz über die Ergebnisse der Abrüstung in der Welt aufmachen können.
Ich sage also, ein Verzicht auf den deutschen Wehrbeitrag würde bei dieser Lage der Dinge weder die Abrüstung im Osten noch im Westen zur Folge haben. Er würde lediglich bedeuten, daß wir Niemandsland würden,

(Richtig! in der Mitte)

daß wir ein Objekt strategischer Erwägungen und
militärischer Maßnahmen anderer würden, bei
denen wir ganz bestimmt nichts zu sagen hätten.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Bei näherem Zusehen erweist sich deshalb auch dieser zunächst ansprechende Vorschlag, der an dem Gedanken der europäischen Integration festzuhalten wünscht, de facto leider als nichts anderes als eine Variante der Neutralisierung; denn die Verteidigungsgemeinschaft unter Beteiligung der Bundesrepublik ist heute, wie gesagt, ein so integraler Bestandteil der europäischen Einigung, daß der Ausfall dieses Verteidigungsbeitrags den Integrationsprozeß überhaupt, insbesondere in politischer Hinsicht, schwer beeinträchtigen, ja wahrscheinlich zerstören müßte. Täte er das nicht, dann wäre nämlich auch nicht einzusehen, was sich die Russen von diesem Teilverzicht versprechen sollen.
Denn es ist nun doch wahr: weit bedeutsamer als 12 Divisionen mehr oder weniger ist schließlich auch für die Russen, ob die Einigung der freien Völker Europas überhaupt zustande kommt oder ob die Stunde dafür vertan wird und dem einheitlich organisierten und hochgerüsteten kommunistischen Rußland und Asien ein Haufen von europäischen Nationalstaaten gegenüberliegen wird, die sich untereinander in häuslichen Fehden und Wirtschaftskämpfen bekriegen und im Flitterglanz ihrer überfällig gewordenen nationalen Souveränität dem Untergang zutreiben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Gesetzt den Fall, die europäische Integration würde scheitern und die USA würden aufhören, den damit verbundenen politischen Bankrott Europas unbegrenzt zu sanieren, wer würde denn dann in der Lage sein, einem vom Rhein bis zur Oder vereinten Deutschland Freiheit und Rechtssicherheit zu gewährleisten?

(Abg. Dr. Wuermeling: Sehr richtig!)

Wenn wir die überwältigende Mehrheit der deutschen Männer und Frauen, der alten und der jungen, hinter dem Eisernen Vorhang in ihrer Knebelung richtig verstanden haben, so ist es doch nicht nur der Wunsch, daß sie mit uns in dem vereinten Vaterland endlich wieder zusammenleben können, sondern es ist die Sehnsucht, daß sie in einem vereinten Deutschland in Freiheit und Frieden leben dürfen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.) Wenn im Falle der Wiedervereinigung nicht gewährleistet ist, daß nachher in Leipzig ebenso gelebt werden kann wie jetzt in Düsseldorf oder in München, sondern wenn die Gefahr besteht, daß



(Dr. Gerstenmaier)

sich über kurz oder lang die Dinge in Düsseldorf oder in München den jetzigen Zuständen in Leipzig oder Magdeburg nähern, dann, meine Damen und Herren, hat die Vereinigung vielleicht nicht jeden, wohl aber ihren entscheidenden Sinn verfehlt.

(Erneuter lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Deshalb ist es doch unsere legitime, gar nicht abweisbare Aufgabe, Tag und Nacht nicht nur an die Wiedervereinigung zu denken, sondern auch auf die Mittel und Wege zu sinnen, auf denen diese Vereinigung in Freiheit und Frieden zustande gebracht und gesichert werden kann.

(Beifall bei der CDU.)

Ich glaube, daß auch in der Art, wie der Gedanke einer Viermächtekonferenz über die Wiedervereinigung Deutschlands in der Bundesrepublik aufgenommen wurde, der gute Wille zur friedlichen Wiedervereinigung soeben einen überzeugenden Ausdruck gefunden hat. Aber nun hat man leider auch versucht, der Bundesregierung eine Schlinge daraus zu drehen, daß sie sich freimütig und von Herzen immer wieder zur Wiedervereinigung bekannt hat. Wenn es ihr höchstes Ziel sei — so wird gesagt —, diese Wiedervereinigung herbeizuführen, dann müsse sie auch bereit sein, auf die Ratifizierung der Verträge mindestens so lange zu verzichten, bis alle Möglichkeiten der Viermächtekonferenz erschöpft seien. Nun will ich hier über die dergestalt heraufbeschworene Rangordnung der Termine oder der dahinterliegenden Werte nicht rechten. Ich will deshalb nicht streiten, weil es sich hier in Wahrheit nicht um eine Hierarchie der Werte handelt, nämlich etwa Wiedervereinigung Deutschlands Numero eins. europäische Integration Numero zwei oder umgekehrt. Das Wesenhafte unserer deutschen Politik. wie es sich in dem hier angesprochenen politischen Leitbild darstellt. beruht gerade in der polaren Zusammenspannung beider. Auf der polaren Zusammenspannung beider Werte, beider Grundaufgaben, beruht das politische Leitbild. dem wir folgen. Um es einfach zu sagen: wir halten dafür. daß die Wiedervereinigung Deutschlands unlösbar verbunden, ia hineingewickelt ist in das Problem der europäischen Integration und daß umgekehrt die europäische Integration unter keinen Umständen darauf verzichten kann, Deutschland als Ganzes zu integrieren.

(Abg. Dr. Schröder [Düsseldorf]: Sehr gut!)

Auch einem anerkannten Europäer wie M. Aron gegenüber muß ich darauf verweisen. daß die europäische Integration unter keinem Betracht über Anfangs- und Mittelstufen hinauskommt, solange sie nicht Deutschland als ganzes zu erfassen vermag; und wenn unser verehrter luxemburgischer Kollege Herr Margue in der Beratenden Versammlung des Europarats in einem bewundernswert klaren und einprägsamen Bericht — den ich nur Ihrem Studium empfehlen kann — über die europäische Verteidigungsgemeinschaft dargelegt hat, daß Deutschland es eben hinnehmen müsse, sich heute nur partikulär den Aufgaben der europäischen Integration zuwenden zu können. so besagt uns auch das nicht, daß wir eine Rangordnung anzuerkennen bereit wären von der Art: Integration in erster Linie. Wiedervereinigung in zweiter Linie. Das können und wollen wir Deutsche nicht tun.
Aber wer sagt uns eigentlich, daß wir es zu tun bhrauchen? So liegen die Dinge doch genau nicht. Würde nämlich der Antrieb der europäischen Einigung hinfällig, so könnte ich nicht mehr sehen,
was die Russen noch veranlassen könnte, über ihren Abzug, sagen wir einmal, bis wenigstens hinter die Oder-Neiße-Linie ernsthaft mit sich reden zu lassen. Andererseits ist einstweilen auch die Behauptung nicht zu widerlegen, daß ohne den garantierten definitiven Verzicht Deutschlands, und zwar auch Gesamtdeutschlands, auf die Teilnahme an der europäischen Integration die Russen nicht räumen werden. Was folgt daraus? Zunächst nur dies, daß jene Rangordnung, wie sie uns — sei es polemisch, sei es reflektierend — vorgehalten wird, eben eine Abstraktion ist. Hingegen ist es eine Tatsache: das einzige Element der Bewegung, das im seitherigen status quo der Zweiteilung Deutschlands erschienen ist, ist geboren aus der Politik der Integration und wirkt einstweilen geradezu automatisch als ein Anstoß zur Wiedervereinigung.

(Beifall in der Mitte.)

Der Einwand, der von mancher Seite in diesen Wochen gegen diese Politik laut geworden ist, hat sich schließlich dahin zusammengefaßt, daß die Ratifizierung so lange unterbleiben müsse, bis die Viermächtekonferenz — sei es mit, sei es ohne Ergebnis — beendet sei. Wenn man aber schon von einer derartigen Abstraktion ausgeht und wenn man sich schon für die alternative Behandlung von Ratifizierung und Viermächtekonferenz ausspricht, dann muß gefragt werden, ob damit die Bereitschaft verbunden werden soll, im Namen etwa der Priorität der Wiedervereinigung auch den definitiven Verzicht auf die deutsche Mitwirkung an der europäischen Integration zu erbringen. Denn wenn schon bezahlt werden soll und wenn man schon bereit ist, auf russische Forderungen einzugehen, dann sehe ich nicht, was Moskau daran hindern sollte, wirksame Garantien gerade für diesen definitiven Verzicht Deutschlands auf die Beteiligung an der europäischen Föderation zu verlangen. Sollte der Kreml so schlecht über die freiheitliche Grundrichtung der überwältigenden Mehrzahl der 18 Millionen zwischen Elbe und Oder unterrichtet sein, daß er nicht wüßte, daß eine gesamtdeutsche Regierung, daß eine deutsche Nationalversammlung, daß die 18 Millionen, wenn sie sich mit uns einmal in Freiheit vereinen könnten, sich alsbald auch mit uns für das in Freiheit geeinte Europa entscheiden würden?

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

In Anbetracht dieser Sachlage halten wir dafür, daß der wahrscheinlich beste Beitrag, den wir Deutsche für diese Viermächtekonferenz liefern können, der unbeirrte Vollzug der Ratifizierung dieser Verträge ist. Denn Ratifizierung heißt: Schach den Verhandlungsmethoden der Sowjets, wie sie sie in Osterreich exerzieren, heißt Schach den Verhandlungsmethoden der Sowjets, wie sie im Marbre-Rose-Palais in Paris angewandt wurden, und heißt schließlich auch Schach den Methoden, wie wir sie in den Waffenstillstandsverhandlungen in Korea seit mehr als einem Jahr erleben. Wir glauben, daß man — genau umgekehrt, wie Sie, meine Herren von der Opposition, es wollen — sagen muß: in dem Maße, in dem das Leitbild der europäischen Integration mit Deutschland sich verwirklicht, in dem Maße steigen die Chancen für eine ernsthafte Verhandlung mit Rußland.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Zu den seltsamen, aber realen gedanklichen Tatbeständen, mit denen wir es in dieser Gesprächssituation in Deutschland immer wieder zu tun haben, gehört die Anschauung, daß mit der voll-


(Dr. Gerstenmaier)

zogenen Ratifizierung der Verträge die Möglichkeit für Verhandlungen mit der Sowjetunion ein für allemal vorbei sein werde. Meine Damen und Herren, es gibt nichts, aber auch gar nichts, was diese Annahme auch nur annähernd zu rechtfertigen vermöchte. Steht hinter diesem Gedanken nicht doch vor allem die apokalyptische Angst, daß die Ratifizierung den Krieg, und zwar den Angriffskrieg von seiten Rußlands auslösen könnte? Auch dafür gibt es keinen Anhaltspunkt. Diese Angst ist nicht nur ein Ergebnis des Erbes aus dem letzten Krieg; sie ist auch ein Ergebnis unserer ungemeisterten Nervosität und des mit allen Mitteln — auch mit allen unerlaubten Mitteln — geschürten politischen Kampfes.
Wir sind der Meinung, daß die Viererkonferenz angestrebt werden muß. Wir sind das nicht nur den 18 Millionen hinter dem Eisernen Vorhang schuldig - ihnen vor allem und zuerst —, sondern wir sind es uns selber und Europa schuldig, daß wir allen Ernstes und mit dem nachdrücklichsten Willen alles tun, was wir vermögen, um nicht nur zum Zustandekommen, sondern auch zum Gelingen dieser Konferenz beizutragen. Aber man täte denen hinter dem Eisernen Vorhang, uns und Europa einen schlechten Dienst, wenn man sich dabei unter Verzicht auf unerläßliche Voraussetzungen zum Objekt des russischen Verfahrens machte. Darum sind wir den 18 Millionen gleichermaßen die Ratifizierung schuldig. Sie schafft auch insofern keine neue Situation gegenüber Rußland, als nicht einzusehen ist, warum Rußland nicht auch nach der Ratifizierung und selbst nach einer gescheiterten Viererkonferenz immer wieder verhandeln würde.
Was uns betrifft, so sollten auch wir frei und
unbefangen dazu bereit bleiben, weil die Wiedervereinigung und die europäische Integration heute schon tatsächlich ineinanderliegen und ineinandergreifen wie ein Gelenk. Darum muß auch die Konsequenz daraus gezogen werden, daß die Verwirklichung unseres politischen Leitbildes und unser ernstes und nachdrückliches Bestreben zur Wiedervereinigung Deutschlands miteinandergehen. Im Blick auf die Verträge bedeutet das, daß wir revisionsbereit und revisionswillig sind, insbesondere im Blick auf die Fragen, ja die Nuancen, die es mit der Wiedervereinigung Deutschlands zu tun haben. Wir bekennen uns also zu einer Politik der ruhigen, aber der festen Hand in Sachen der deutschen Wiedervereinigung. Wir sind der Meinung, daß dieses Vertragswerk dafür eine brauchbare Grundlage schafft.
Wir sprechen aber auch frei aus, daß uns kein noch so ansprechender oder auch abschreckender Begründungszusammenhang dazu veranlassen kann, an die Wiedervereinigung Deutschlands anders als mit den Mitteln des Friedens zu denken. Kreuzzugstheorien finden bei uns keinen Boden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir kennen den Krieg so sehr, daß wir gewillt sind, alles zu seiner Verhinderung beizutragen. auch dort, wo er uns selber möglicherweise oder voraussichtlich sogar verschonen würde. Aber so entschieden wir jeden Gedanken an Kreuzzug und Gewalt abweisen, so sehr werden wir der Tyrannei widerstehen, der Tyrannei, meine Damen und Herren, die wir auch kennengelernt haben und deren Male noch mancher unter uns am Leibe trägt. Wir werden der Tyrannei widerstehen, wo sie den Versuch macht, nach uns und unserer Freiheit zu greifen. Es ist wahr — es ist vielleicht leider wahr —: zur Entschlossenheit eines solchen Widerstandes gehören auch Waffen. Aber weit wichtiger als sie ist uns — ich wiederhole es —jeder friedliche Schritt zur Einigung Deutschlands und Europas. Nicht nur durch unser Volk, sondern durch die Völker der Welt — ich glaube, diesseits und jenseits des Vorhangs — geht ein unüberhörbar tiefes Bedürfnis und Sehnen nach Frieden und nach einer gefestigten Ordnung der Freiheit. Daran teilzunehmen, daß sich diese Sehnsucht noch zu unseren Lebzeiten erfüllt und in unserm Kontinent eine gemeinsame politische, wirtschaftlich und sozial vollziehbare Gestalt gewinnt, das ist unser Wille.
Wir glauben mit dem Herrn Bundeskanzler, daß in dem Maße, in dem eine solche Einigung zum Hort der Freiheit wird, die Chancen für den Frieden und die friedliche Vereinigung aller Deutschen in einem vereinten Europa wachsen. Denen aber, denen dieser Begriff Europas als Mythos verdächtig sein sollte oder die glauben, ihn bagatellisieren zu können, weil er sich in seiner einstweiligen Gestalt leider nur auf den europäischen Kontinent zu begrenzen scheint, möchten wir doch sagen, daß uns die Theorie des „Alles oder nichts" keinen Eindruck macht, am wenigsten in der Politik und angesichts der Aufgabe, vor die wir gestellt sind.
Wir sagen auch zu diesem Kontinentaleuropa ja, weil hier in der Gemeinschaft der sechs Vertragspartner der Montanunion und der Verteidigungsgemeinschaft Europa endlich in seinem Kern Wirklichkeit wird. Auch eine solche Wirklichkeit ist uns noch immer unendlich viel mehr als jedes noch so schöne Konzept eines Gesamteuropas, das leider einstweilen in den Sternen steht.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit einer persönlichen Bemerkung schließen. Als ich im April 1945 den Kerker verließ, da wehten über den Dörfern und Städten Deutschlands die weißen Fahnen. Die Sieger des letzten Krieges haben uns nut einer freundlichen Geste längst die Fahne des Bundes konzediert. Aber es ist kein Geheimnis, meine Damen und Herren, daß diese Lehne, so-large es ein Besatzungsstatut gibt, mehr als ein Zeichen der Verheißung denn als ein Symbol der verbürgten Freiheit über uns weht. Nun, die Zeit der weißen Fahne ist für Deutschland vorüber und muß vorüber sein! Lassen Sie uns die Fahne einer schwer errungenen Freiheit nunmehr so über unserem Vaterlande befestigen, daß sie von keinem Sturm der Zeit geworfen werden kann und daß sie nicht nur uns, sondern auch den 18 Millionen Deutschen in der Knechtschaft täglich und stündlich das Zeichen ist für die auch ahnen mit Gottes Hilfe schlagende Stunde der Freiheit.
Wir, meine Damen und Herren, sagen ja zu diesem Vertragswerk.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0122102700
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schmid von der sozialdemokratischen Fraktion.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0122102800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung das große Vertragswerk, über das wir zu beraten haben, in die Reihe der großen Bündnissysteme gestellt, die die Geschichte des 19. und des Beginns unseres Jahrhunderts charakterisiert haben: Dreibund, Tripel-


(Dr. Schmid [Tübingen])

allianz, Entente cordiale usw. Er hat uns weiter in seinen Ausführungen dargelegt, die Lage, in der sich Deutschland befinde, schlösse es aus, daß wir ohne Bündniszusammenhang mit anderen Staaten lebten, und er hat uns gesagt, daß dieses Vertragswerk gerade dies leisten werde und daß es den alten Bündnissystemen gegenüber einen grundsätzlichen Wandel bringe. Es integriere nämlich — wenn ich ihn recht verstanden habe — ehemalige Feinde, künftige mögliche Feinde zu neuen politischen Einheiten und mache so Kriege unter ihnen unmöglich; schon das sei ein absoluter Wert.
Ich frage mich, ob diese Feststellung ganz schlüssig ist. Wenn ich mir die alten Bündnisverträge anschaue, so stelle ich fest, daß sie mit dem neuen Vertragswerk sicher eines gemein haben: sie waren Militärbündnisse wie dieses Vertragswerk auch, und sie haben ein anderes gemein: sie haben die Integration einer Gruppe von Staaten, wenn auch eine lose, bewirkt und damit die Verhärtung des Zusammenhangs einer anderen Gruppe von Staaten eingeleitet. Zwischen beiden blieb aber und verbreiterte sich die Kluft. Zwar gab es innerhalb dieser Bündnissysteme keine Kriege mehr, aber zwischen den beiden Gruppen von Bündnissystemen gab es leider noch Kriege,

(Sehr richtig! bei der SPD)

obwohl sie beide mit der Behauptung und mit der ernsten Versicherung angetreten sind, sie seien nur zu Verteidigungszwecken geschlossen worden.
Ich will daraus keine Folgerungen ziehen. Ich glaube nicht daran, daß man in einer ernsthaften politischen Auseinandersetzung allzu viel mit Analogien operieren sollte. Ich glaube auch nicht, daß, was sich einmal ereignet hat, sich auch bei einigermaßen vergleichbaren äußeren Voraussetzungen notwendig wieder ereignen müsse. Aber es scheint mir eine gefährliche Sache zu sein, mit historischen Analogien überzeugen zu wollen.

(Zustimmung bei der SPD.)

Man kann nämlich Analogien und Antithesen recht nach Belieben zusammensuchen, wenn man in den Handbüchern der Geschichte blättert.

(Abg. Strauß: Siehe jetzt!)

— Herr Strauß, sehen Sie, ich verzichte darauf, Ihnen die Freude zu machen, etwa mit der Rheinbundakte zu operieren und daraus Analogieschlüsse zu ziehen.

(Beifall bei der SPD.)

Es wäre vielleicht reizvoll und würde Sie sicher
unterhalten, aber es wäre eine schlechte Methode,

(Abg. Strauß: Aber auch eine schlechte Analogie!)

und darum will ich es nicht tun.
Ich glaube, in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers ist mit voller Wahrheit gesagt worden, daß es diesen Vertragswerken gegenüber nur ein fundamentales Ja oder ein fundamentales Nein geben kann; aber ich glaube nicht, daß es richtig ist, zu sagen, es sei deswegen nötig, auf die Betrachtung von Einzelheiten zu verzichten. Denn die Einzelheiten in ihrer richtigen Zusammenfügung ergeben ja das Diagramm, die große Linie, in der der Sinn und die Möglichkeiten dieser Verträge zum Ausdruck kommen.
In der Begründung zu den Verträgen ist gesagt worden, daß mit diesen Verträgen ein Stück Weltgeschichte gemacht worden sei. Nun, sicher! Weltgeschichte geschieht immer und geschieht meistens
dort, wo man nicht weiß, daß man sie bewegt und wer sie bewegt. Es gibt da ein beherzigenswertes Wort Oliver Cromwells ... Ich glaube, daß es da schon richtiger ist, auf die Behauptung einzugehen, die heute morgen aufgestellt worden ist, durch diese Verträge sei die Geschichte Deutschlands an einen Wendepunkt gekommen. Denn die Frage, die sich uns stellt, ist doch in Wirklichkeit die: Begründen diese Verträge einen neuen Anfang oder sind sie der krönende und konservierende Abschluß einer Politik, die 1945 begonnen hat? Das ist die Frage. Ich glaube. darüber muß man sich auseinandersetzen, und darüber sollte man sich leidenschaftslos auseinandersetzen in dem Bewußsein, daß jeder nach bestem Vermögen sich zu den Gründen bekennt, von denen er annehmen muß, daß sie die guten sind.
Es ist viel davon gesprochen worden, was alles seit 1945 erreicht worden ist, und es unendlich viel erreicht worden.

(Beifall des Abg. Majonica.)

Aber ich glaube, daß man bei der Buchführung darüber — Herr Kollege Majonica, Sie haben zu früh geklatscht — zwischen den Abschnitten 1945 his 1949 und 1949 bis 1952 trennen muß.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Euler: Auch da sieht es nicht anders aus!)

Denn es ist schon in der ersten Periode, Herr Euler, eine Reihe von Dingen geschehen, in denen sehr viel Geschichte steckt und die Wendepunkte brachten, ehe es eine Bundesrepublik und eine Bundesregierung gab.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Diese Wenden sind eingetreten auf Grund der Schwerkraft der Tatsachen, denn die Zeit bleibt nicht stehen am Tage nach dem Siege, sondern sie wandelt sich und verschiebt dabei die Machtverhältnisse durch sich selbst. Koalitionen zerfallen, und man weiß — es hat das schon sehr oft gegeben —, daß sich nach Koalitionskriegen das Bedürfnis erweist, die Bündnissysteme herumzuwerfen. Der entscheidende Wandel ist aber bewirkt worden durch den elementaren Willen des deutschen Volkes, nicht nur zu überleben, sondern sein Schicksal neu zu bezwingen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Nach dem Zusammenbruch vor 7 Jahren haben die Sieger dieses zweiten Weltkrieges sich nicht damit begnügt, nur die obrigkeitliche Gewalt in Deutschland an sich zu reißen. Sie haben sehr viel mehr getan: sie haben versucht, dieses Deutschland aus dem Kräftefeld des politischen Geschehens auszuklammern. Das ist mehr, als es nur zu einem Objekt zu degradieren, — sie haben es zu einem Stück ihrer eigenen Politik gemacht, und was man Besatzungsregime nennt, war zumindest im Anfang nichts anderes als die Technik, Deutschland nicht nur zum Gegenstand, sondern zum Feld ihrer eigenen Politik machen zu können.
Diese Politik haben sie nicht von ungefähr und nicht zusammenhanglos gemacht. Sie haben diese Politik in Teheran vereinbart, und ein Stück dieser Vereinbarung war, daß Deutschland dadurch aus dem Kräftefeld der Politik ausgemerzt werden sollte, daß man einen Teil des Landes in den Westen hinein integriert und den anderen in den Osten. Alles, was nach 1945 zunächst kam, sollte diesem Zweck dienen. Sogar das Zonenregime, das man eingeführt hatte, sollte so etwas wie Integrationswasserscheiden in Deutschland bilden, und zwar nicht nur in der Richtung Nord-Süd, sondern


(Dr. Schmid [Tübingen])

auch in der Richtung Ost-West. Man hat deutsches Gebiet abgegliedert, obwohl man in den Urkunden, die wir kennen, erklärt hat, daß man deutsches Gebiet nicht annektieren wolle, und im Potsdamer Abkommen heißt es, daß die endgültige Festlegung der Ostgrenze durch einen Friedensvertrag erfolgen soll und daß Rußland und Polen in diesem Friedensvertrag die Gebiete östlich Oder und Neiße zugeschlagen bekommen sollten. Nun, wir wissen, daß die Russen und daß die Kommunisten bei uns in Deutschland der Meinung sind, daß damit eine endgültige Grenze im Osten Deutschlands geschaffen worden sei, obwohl die Texte des Potsdamer Abkommens klar sind, und in einer der letzten Noten auf die sowjetische Anregungsnote hin haben die Besatzungsmächte im Westen erklärt, daß die russische Behauptung, die Ostgrenze sei endgültig, nicht richtig sei. Aber — und darauf muß hingewiesen werden! — in diesem Potsdamer Abkommen, auf das man sich auch im Westen heute noch beruft, haben sich der Präsident der Vereinigten Staaten und der britische Premierminister verpflichtet, auf dieser Friedens-Konferenz den Vorschlag der Potsdamer Konferenz zu unterstützen.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Und nun frage ich: Haben unsere Vertragspartner mit ihrer Versicherung, ihre Politik auf die Herstellung der Einheit Deutschlands zu richten, diese Verpflichtung den Russen gegenüber für gegenstandslos erklärt oder nicht?

(Sehr gut! bei der SPD.)

Ich glaube nicht, daß man das wird ohne weiteres annehmen können. Denn in Art. 1 des ersten Teils des „Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen" heißt es, daß Rechtsvorschriften. welche die vorläufigen Grenzen der Bundesrepublik festlegen, nur mit Zustimmung der drei Mächte geändert oder aufgehoben werden dürfen. Ich muß gestehen, daß ich den Sinn dieser Bestimmung nicht recht begriffen habe. Ich wäre dankbar dafür, wenn man uns hier Aufklärung geben könnte, und ich glaube, daß wir im Ausschuß sehr lange über den Sinn und die Tragweite dieser Bestimmung werden sprechen müssen.
Zu diesen vorläufig abgetrennten Gebieten gehört ja auch das Saargebiet. Das Saargebiet liegt im Westen. Über das Saargebiet kann man sprechen, ohne mit den Russen verhandeln zu müssen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Frankreich ist einer der Vertragspartner, und Frankreich kann das Recht an der Saar herstellen, wenn es das Recht und die Einheit Deuschlands will.

(Erneuter starker Beifall bei der SPD.)

Ich hoffe nicht und ich glaube nicht, daß es hier Leute gibt, die sagen werden: „Angesichts der großen Vorhaben, die vor uns stehen, ist die Sache mit der Saar eine relativ gleichgültige Angelegenheit." Ich glaube nicht, daß irgend jemand hier so denkt. Aber wenn wir weiter so verfahren, daß wir die Sache der Saar bei jeder Verhandlung ausklammern, könnte doch im deutschen Volk da und dort eine schlimme Vermutung wachsen und Nahrung bekommen;

(Sehr wahr! bei der SPD)

und ich meine, daß alles geschehen sollte, um das zu verhindern.
Man erklärt uns, wenn wir davon sprechen, immer wieder, es seien sich doch alle darüber einig, daß der Zustand an der Saar nur ein vorläufiger Zustand sei und daß die endgültige Regelung im Friedensvertrag erfolgen werde. Aber schon darüber, was „vorläufiger Zustand" heißt, bestehen offizielle Kontroversen und Meinungsverschiedenheiten, die man noch nicht einmal auszutragen versucht hat.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Für uns bedeutet „vorläufig": Es ist dort nur de facto ein anderer als der alte Rechtszustand geschaffen worden. Aber die französische Regierung hat uns zu wiederholten Malen erklärt, daß dort etwas materiell Endgültiges geschaffen worden sei und daß ..Vorläufigkeit" nicht mehr bedeute, als daß der Notar noch nicht erschienen sei, der die Begebenheiten und die Unterschriften beurkundet und beglaubigt.
Wir wissen auch, daß die Vereinigten Staaten und Großbritannien auf der Londoner Konferenz des Jahres 1948 Frankreich die Zusicherung gemacht haben, auf der Friedenskonferenz für die französischen Saarpläne einzutreten. Ich frage: Hat sich an dieser Haltung unserer Vertragspartner durch den Abschluß dieser Verträge etwas geändert? Vielleicht kann uns die Bundesregierung darüber Auskunft geben und auch darüber, was in Anbetracht der wiederholten Erklärungen des offiziellen Frankreich, daß die Saar nie wieder deutsch werden werde, die jüngsten Erklärungen — auch des offiziellen Frankreich — bedeuten: die Saarfrage müsse vor Ratifikation des Generalvertrages und des EVG-Vertrages endgültig geregelt werden. Man konnte in der Presse lesen, daß Herr Staatssekretär Hallstein mit Mr. Acheson darüber Gespräche geführt habe; vielleicht können wir Auskunft über den Inhalt dieser Gespräche bekommen.
Die Haltung, die in diesen Dingen zum Ausdruck kommt, hätte man noch verstehen können zu der Zeit, in der uns die Gedanken des heute so oft.— und mit Recht oft — zitierten Herrn Morgenthau regieren sollten, der unser Land in ein Land von Hirten und Bauern verwandeln wollte. Das ist ihm nicht geglückt, obwohl zu Anfang einiges getan wurde, um diesen Plan zu verwirklichen; er ist letzten Endes gescheitert an seiner eigenen Stupidität, und er ist gescheitert an dem unorganisierten, anonymen inneren Widerstand des ganzen deutschen Volkes. Ich werde nie vergessen, wie im südlichen Württemberg ein alter Arbeiter dem französischen Offizier, der Maschinen, die demontiert werden sollten, mit weißer Farbe abzeichnete, sagte: „Wenn ihr es nicht fertig bringt, uns die Hände abzuhacken — solange wir noch einen rostigen Nagel und einen Stein haben, mit dem wir klopfen können, werden wir in unserem Lande Maschinen bauen!" An dieser Haltung des deutschen Volkes ist das Morgenthaudenken primär gescheitert. Aber man hat uns Böses genug angetan; im Bereich des rein Politischen mit jenem negativistischen Föderalismus der Amerikaner und Franzosen — ich betone, Herr Strauß, negativistischen Föderalismus —,

(Heiterkeit — Abg. Strauß: Daran tun Sie auch gut!)

mit den Maßnahmen zur wirtschaftlichen Niederhaltung Deutschlands, der politischen Entmündigung und dem uferlosen Interventionismus der ersten Jahre. Eine Weile ist das gegangen. Man


(Dr. Schmid [Tübingen])

glaubte ja am Anfang auf beiden Seiten an die Allmacht der Besatzungsmächte. Aber dieser Glaube schwand; er schwand auch in Ihrer Heimat, Herr Kollege Strauß.
Da gab eines Tages eine Rede des Außenministers Byrnes — die Rede, die er in Stuttgart hielt das Zeichen, daß ein neues Denken im Begriff war zu wachsen. Ich möchte es hier offen sagen: es ist ein Ruhm der Vereinigten Staaten von Amerika, daß sie als erste umzudenken begonnen haben!

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Ich glaube, sie haben es nicht getan aus sentimentalen Gründen, sie haben es nicht getan, weil wir so besonders sympathisch geworden wären, sondern sie haben es getan, weil man erkannte, daß ein verfaulendes Deutschland die ganze übrige Welt krank machen mußte.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Es war vernünftiges Selbstschutzdenken, das den Wandel gebracht hat!

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Richtiges Denken in der Politik geht meistens aus vom richtig verstandenen Eigeninteresse. Man sollte das nicht beklagen, Herr Kollege Gerstenmaier; man sollte diese Tatsache hinnehmen und versuchen, damit etwas anzufangen. Schließlich haben die Besatzungsmächte eingesehen, was für ein schweres Erbe ein totaler Sieg ist. Mancher hat früh erkannt. daß es recht schwer ist, sein eigenes Land zu regieren, und auf die Dauer unmöglich, ein zweites dazu — vor allen Dingen ein zweites in der Lage Deutschlands!
Aber das entscheidende Ereignis war dann schließlich doch der von dem Außenminister General Marshall eingeleitete Akt: die Marshallhilfe. Das war ein echtes Stück weltgeschichtliche; Leistung, die erste wirklich große Tat der Solidarität einer großen Demokratie mit den anderen Demokratien in der Welt. Ich glaube. wir, nicht nur wir, die ganze Welt, hätten alle Ursache, dafür dankbar zu sein!

(Lebhafter Beifall hei der SPD und FDP. — Abg. Strauß: Und die Konsequenzen zu ziehen!)

Die Notwendigkeit, für die Verteilung der
Marshallgelder ein Instrument zu schiffen, führte zur Bildur:g der Bizone und des Frankfurter Wirtschaftsrates. Frankreich blieb fern, weil es sich seine Zustimmung durch die Anerkennung seiner Saarpolitik abkaufen lassen wollte. Es kam die Währungsreform, die die Russen zum Anlaß nahmen, Deutschland zu spalten und den Kontrollrat lahmzulegen. Es kann die Blockade Berlins, und es kam der Widerstand des deutschen Volkes in Berlin; und dieser Widerstand war abermals etwas. das eine weltgeschichtliche Wende herbeigeführt hat.

(Beifall bei der SPD.)

Denn was dort geschah, hat die Welt davon überzeugt, daß das deutsche Volk ein unentbehrlicher Aktivfaktor einer jeglichen Politik des Westens ist.

(Erneute Zustimmung bei der SPD.)

Das brachte, wie ich glaube, die radikale Umkehr.
Während vorher die politische Weisheit darin bestand, das deutsche Volk aus dem Kräftefeld der
Politik auszuklammern, begann man nunmehr einzusehen, daß man Deutschland braucht, wenn man
den Westen politisch verteidigen will. Denn der
Westen kann ja in Deutschland selber tödlich getroffen werden, und ohne daß das deutsche Volk sich an diesem politischen Kampf mit allen Kräften beteiligt, kann er nicht verteidigt werden. Aber mit dem deutschen Volk kann er wirksam verteidigt werden.

(Zustimmung in der Mitte und rechts.)

Man ist auf die Deutschen so angewiesen — hat man damals gelernt — wie wir auf die Völker des Westens. Sie können die Grenzwerte unserer politischen Möglichkeiten letztlich nicht mehr bestimmen als wir die übrigen trotz aller vorhandenen oder fehlenden Divisionen. Diese Erkenntnis hat die entscheidende Wendung gebracht, noch bevor es eine Bundesrepublik gab.
Die Erkenntnisse, die damals entstanden, führten zu den Londoner Empfehlungen vom Juni 1948, durch die den Deutschen im Westen die Möglichkeit gegeben werden sollte, auf dem Gebiet der drei westlichen Besatzungszonen — ohne das Saargebiet — ein eigenes Staatswesen zu schaffen. Ich erlaube mir — ich bitte um die Erlaubnis des Herrn Präsidenten, zitieren zu dürfen —, aus den Londoner Empfehlungen einen Satz anzuführen. Er heißt:
Die Verfassung soll so beschaffen sein, daß die den Deutschen ermöglicht, ihr Teil dazu beizutragen, die augenblickliche Teilung Deutschlands wieder aufzuheben.
Die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands war also damals schon das erklärte Ziel und ein Faktor der westalliierten Politik, zu einer Zeit, als man noch nicht an deutsche Soldaten dachte und als noch nicht von Gegenleistungen die Rede war, wie sie heute verlangt werden.

(Zustimmung bei der SPD.)

Man hat diese Einheitspolitik zu einem Stück alliierter Politik gemacht, weil man eingesehen hatte, daß jede andere Politik gegen die eigenen Interessen gehen mußte.
Inmitten der Freude über die neuen Möglichkeiten, die sich durch diese Londoner Erklärung boten, wurde von einer Reihe verantwortlicher Leute in Deutschland eine besondere Gefahr erkannt, die Gefahr nämlich, ein westdeutscher Staat mit eigenem Staatsgefühl und eigener Geschichtspersönlichkeit müsse sich zwangsläufig der östlichen Hälfte Deutschlands gegenüber absetzen. Es tauchte das Bild von den möglichen „Zwei Deutschland" auf. Der nicht erfaßte Teil Deutschlands wäre damit selber zu einer eigenen Staatspersönlichkeit gepreßt worden, und die Spaltung wäre dann ein Stück öffentlichen Rechtes Deutschlands geworden. Das mußte vermieden werden; und das Verdienst, es vermieden zu haben, liegt bei den deutschen Länderministerpräsidenten. die in der Mantelnote vom 10. Juli 1948 einstimmig feststellten — und ich bitte auch hier, mir zu erlauben, zu zitieren —:
Die Minister glauben jedoch, daß unbeschadet der Gewährung möglichst vollständiger Autonomie an die Bevölkerung dieses Gebietes alles vermieden werden müßte, was dem zu schaffenden Gebilde den Charakter eines Staates verleihen würde. Sie sind darum der Ansicht, daß auch durch das hierfür einzuschlagende Verfahren zum Ausdruck kommen müsse, daß es sich ausdrücklich um ein Provisorium handelt sowie um eine Institution, die ihre Entstehung lediglich dem augenblicklichen Zu-


(Dr. Schmid [Tübingen])

stand der mit der gegenwärtigen Besetzung
Deutschlands verbundenen Umstände verdankt. In Anbetracht der bisherigen Unmöglichkeit — heißt es weiter
einer Einigung der vier Besatzungsmächte über Deutschland müssen die Ministerpräsidenten besonderen Wert darauf legen, daß bei der bevorstehenden Neuregelung alles vermieden wird, was geeignet sein könnte, die Spaltung zwischen Ost und West zu vertiefen.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Das war politisch und gesamtdeutsch gedacht. Es beruhte auf der Erkenntnis, daß die Spaltung Deutschlands nur beseitigt werden kann, wenn man seine Politik auf die Anerkennung gewisser Konsequenzen der durch die Spaltung geschaffenen Voraussetzungen einer jeden möglichen gesamtdeutschen Politik im Westen aufbaut. Wer sich verhält, als sei Westdeutschland eine eigenständigpolitische Potenz, macht Westdeutschland zu einem Staat mit eigenem politischen Schicksal und macht so das andere Stück Deutschland auch zu einem Wesen mit eigenem geschichtlichen Schicksal. Und umgekehrt macht jener, der seine Politik auf der Erkenntnis des fragmentarischen Charakters jeder Organisation deutscher Staatsgewalt im Zustand der Spaltung einrichtet, gesamtdeutsche Politik; denn er erhält die Einheit der politischen Schicksalslinie aller Teile Deutschlands.

(Beifall bei der SPD.)

Diese Koblenzer Erklärung der Ministerpräsidenten widerlegt jene, die behaupten, daß unsere Opposition gegen die Schaffung gewisser vollendeter Tatsachen im Westen nur Opposition um des Opponierens willen sei. Schon ehe es eine Bundesregierung gab, der man opponieren konnte, haben sich verantwortliche Männer in Deutschland dagegen gewehrt, daß man durch Schaffung definitiver politischer Realitäten und Bindungen im Westen der Separierungspolitik im Osten Vorschub leiste und Tatbestände schaffe, die die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands erschweren könnten.

(Beifall bei der SPD.)

Und dann begann der Kampf um das Grundgesetz. Heute morgen wurde Herrenchiemsee zitiert. Ich erinnere mich mit Kummer daran, daß sich in Herrenchiemsee noch eine Reihe deutscher Landesregierungen auf den Standpunkt stellte, daß Deutschland nicht mehr existiere und neu geschaffen werden müßte. Doch lassen wir das. Das Grundgesetz sagt in seiner Präambel ausdrücklich, daß die Bundesrepublik geschaffen werde, um dem staatlichen Leben für die Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben. Damit ist wiederum klar zum Ausdruck gekommen, daß die Bundesrepublik nur ein Provisorium sein sollte, und ein Provisorium kann nur Provisorisches schaffen und sich nicht anmaßen, Endgültiges aufzurichten, das den Status Gesamtdeutschlands präjudizieren könnte; es sei denn, dieses Provisorium könne sich so stark machen — und es kann das nun einmal nicht —, daß es eine Chance hätte, eine Irredenta zu befreien. Ich zitiere hier nicht aus dem Artikel von Herrn Ingrim im „Rheinischen Merkur".

(Heiterkeit.)

So wurde auf einem Teil des gesamtdeutschen Staatsgebietes eine fragmentarische deutsche Staatsgewalt geschaffen, wobei vermieden wurde, daß die Bundesrepublik zu- einem eigenen west-
deutschen Staat wurde. Die Bundesrepublik ist kein Selbstzweck und sollte es von Anfang an nicht sein, und diese Erkenntnis mußte die Außenpolitik, die in diesem Teil Deutschlands betrieben wurde, bestimmen.

(Abg. Euler: Hat sie auch bestimmt!)

Für diese Außenpolitik gab es eine ganze Reihe sicher bestimmbarer Aufgaben zu bewältigen. Zunächst die Schaffung des richtigen Verhältnisses zu den Besatzungsmächten; ich glaube, darüber braucht man nicht besonders viel zu sagen. Daneben aber mußten und das war eine Aufgabe jedes einzelnen Tages — mit allen Kräften die Voraussetzungen für die Wiederherstellung der deutschen Einheit geschaffen und gefördert werden, wozu auch nicht nur die Modifizierung des Besatzungs statuts, sondern die Aufhebung des Besatzungs regimes selbst gehört. Das sollte das erste Ziel aller Politik der Bundesregierung und das oberste politische Ziel von uns allen sein. Demgegenüber konnten und können alle anderen Ziele nur sekundär sein, weil wir ohne die Erreichung dieses obersten Zieles die anderen nicht mit Aussicht auf Dauerwirkung erreichen können. Mit diesem Geist mußte man darangehen, an der Gestaltung der Voraussetzungen mitzuwirken, ohne deren vorherige Verwirklichung ein politisch geeintes Europa nicht zustandekommen kann. Man mußte das tun im ständigen Bewußtsein, daß dieses Europa nicht auf Kosten der deutschen Einheit geschaffen werden kann, nicht aus deutschem Interesse allein, sondern im Interesse Europas selbst. Denn ein halbes Deutschland in Europa einzubringen, das wäre ein Danaergeschenk für Europa,

(Beifall bei der SPD.)

Man mußte verhindern, daß das deutsche Volk aufs neue zu der verhängnisvollen Außenpolitik des Revisionismus gezwungen wurde, zu der es nach 1919 gezwungen worden ist. Deswegen darf man keine Verträge unterzeichnen, von denen man bei der Unterzeichnung schon weiß, daß man sie in Bälde nicht mehr wird halten können und wollen. Revisionismus ist noch nicht Dynamik, Herr Gerstenmaier.

(Unruhe und Zurufe von der Mitte.)

So mußte vermieden werden, daß man mit Dauerwirkung als eigene vertragliche Verpflichtung übernahm oder wenigstens zum Teil übernahm, was einst auf Grund Besatzungsrechts einseitig auferlegt worden war. Denn durch diese Methode verewigt man die Deklassierung Deutschlands, und die Folgen für die Chancen der Demokratie in Deutschland werden gefährlich sein.

(Abg. Arnholz: Sehr wahr!)

Der Herr Bundeskanzler hat uns heute morgen dargelegt, von welchen großen Prinzipien seine Politik getragen ist. Ich glaube, man kann diese Prinzipien noch durch ein weiteres ergänzen, und das heißt: eine der großen Aufgaben, die bewältigt werden müssen, sei, das Mißtrauen Frankreichs zu beseitigen — was richtig ist —, und das könne nur geschehen durch Integration der Bundesrepublik in ein westlich bestimmtes politisches System, das im Zeichen Europas das, was den Franzosen als deutsche Gefahr erscheinen könnte, einer supranationalen Autorität unterstellt, d. h. der alleinigen Verfügungsmacht der Deutschen entzieht, was nicht schlüssig ist und in seinen Erfolgschancen durch das bisherige Verhalten der Franzosen widerlegt worden ist. Daraus sollte schließ-


(Dr. Schmid [Tübingen])

lich das Europa der Sechs hervorgehen. Dieses Europa der Sechs würde dann aus innerer Notwendigkeit unseren deutschen Anliegen die Erfüllung bringen.
Was ist auf diesem Wege geschehen und mit welchem Erfolg? Es ist da manches geschehen, das jeder von uns wird bejahen können. Es ist aber auch manches geschehen, das gegen die elementarsten Notwendigkeiten verstieß. Man hat heute morgen das Petersberger Abkommen gerühmt. Sicher hat es Erleichterungen gebracht,

(Abg. Dr. Hasemann: Aha!)

wenn auch nicht in entscheidenden Punkten, Herr Hasemann.

(Abg. Euler: Könnten Sie denn die anderen verurteilen, mehr zu geben?)

Wenn man vom Geiste spricht, der durch dieses Abkommen zu wehen begonnen hat, warum verhindern dann die Interessenten, daß die AugustThyssen-Hütte und Watenstedt-Salzgitter die Kredite bekommen, die sie brauchen, um wiederaufgebaut werden zu können?

(Beifall bei der SPD.)

Es ist aber noch ein anderes geschehen. Man hat diese Erleichterungen dadurch erkauft, daß durch die Unterschrift einer deutschen Regierung das Verfügungsrecht der Besatzungsmächte über Kohle und Eisen der Ruhr - das diese sich bisher nur kraft ihrer tatsächlichen Macht angeeignet hatten — als für Deutschland rechtlich verbindlich anerkannt worden ist. Damit hat man sich auf einen schlechten Weg begeben.

(Abg. Strauß: Theoretiker!)

Wir sind in den Europarat eingetreten und haben
es hingenommen, daß auch die Saar dort vertreten wird, als wäre sie ein selbständiger Staat, statt daß wir darauf gedrängt hätten, daß vorher das Unrecht an der Saar in das Recht zurückverwandelt wird.

(Beifall bei der SPD.)

Wir haben in der Zwischenzeit erfahren, welche rechtlichen Konsequenzen Außenminister Schuman im französischen Parlament aus dieser Tatsache gezogen hat. Wir haben den Schumanplan ratifiziert und damit die Verfügung über die Wirtschaftskraft der Ruhr in die Hand der Konkurrenten Deutschlands gelegt und haben diesen ganzen Bereich der parlamentarischen Kontrolle in Deutschland entzogen.

(Abg. Euler: Die Gaullisten in Paris behaupten genau das Gegenteil!)

Dazu kommt, daß dieser Vertrag so geschlossen worden ist, daß die Ausdehnung seines Anwendungsbereichs auf Gesamtdeutschland nur mit Zustimmung aller Vertragspartner erfolgen kann. Wenn bei einem Vertrag, dann sind bei diesem Vertrag die Deutschen die Gebenden und Angeforderten gewesen, und ich frage: warum hat man diese Situation nicht genutzt, um diesmal wenigstens die Saarfrage ein Stück vorwärtszubringen?

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Mit dem Schumanplan hat man weiter eine Reihe von Staaten, die kein Mitspracherecht bei der Regelung der gesamtdeutschen Frage gehabt hätten, ökonomisch an der Aufrechterhaltung der deutschen Spaltung interessiert.
Das Thema der deutschen Einheit ist nicht erst in diesen Jahren auf die Tagesordnung gesetzt worden. Schon im Jahre 1947 und 1949 ist darüber

(Bildung einer westeuropäischen Armee Deutschland bereit sei, einen Beitrag in Form eines deutschen Kontingents zu leisten. Dieses Angebot wurde angenommen, und im Deutschland-Kommuniqué der New Yorker Außenministerkonferenz von 1950 heißt es, daß die Streitkräfte... der Besatzungsmächte in Deutschland außer ihrer Besatzungsaufgabe noch die wichtige Rolle zu übernehmen hätten, als Sicherheitstruppen zum Schutz und zur Verteidigung der freien Welt einschließlich der Bundesrepublik und Westberlins zu dienen; sie würden jeglichen Angriff auf die Bundesrepublik und Berlin, von welcher Seite er auch kommen möge, als einen Angriff auf sich selber betrachten. Das ist genau das, was im Generalvertrag steht. Ich frage: Wo liegt demgegenüber im Generalvertrag der Fortschritt? Ein Fortschritt hätte vorausgesetzt, daß über diese allgemeinen Erklärungen, die jeder einseitigen Interpretation offenstehen, hinaus präzise quantitative und qualitative Verpflichtungen übernommen worden wären, und das ist nicht der Fall. Dann kamen die Beratungen der Außenminister der Atlantikpaktstaaten in Brüssel; es kamen die Verhandlungen über den EVG-Vertrag und schließlich die Washingtoner Erklärungen, in denen man uns zur Förderung unserer Zustimmungsbereitschaft gesagt hat, wir würden gleichberechtigt werden, wir bekämen „Sicherheit" und wir würden nunmehr Partner sein. Das Ergebnis der Verhandlungen sind die Verträge, über die wir heute beraten. Man hat uns den amerikanischen Senat •gepriesen, der so einmütig ratifiziert habe, und man sprach von dem großen Mut, den dieser Senat dabei aufgebracht habe. Ich glaube aber, zur Ratifikation in Washington brauchte es nicht viel Mut; die Amerikaner erhalten doch einen Vertrag, der ihre Politik krönt, einen Vertrag, der ihnen nunmehr vertraglich einschneidende Rechte in Deutschland einräumt, ohne daß sie dadurch Verpflichtungen übernommen hätten, (lebhafter Widerspruch bei den Regierungsparteien — Abg. Dr. Wuermeling: Was heißt denn das?)


(Abg. Arnholz: Sehr gut!)


(Abg. Dr. von Brentano: Welche zum Beispiel?) — „Welche z. B." fragen Sie? Nun, die Verpflichtung, was man bereit ist für die Verteidigung Europas einzusetzen und was man bereit ist für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands konkret zu tun.


(Sehr richtig! bei der SPD)

die über das hinausgehen, was von ihnen schon übernommen worden ist und in ihrem unmittelbaren Interesse liegt.

(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von den Regierungsparteien. — Abg. Kunze: Präzise!)

Für die Amerikaner sind diese Verträge die Ordnung eines Stückes ihrer Außenpolitik; für uns sind sie etwas, das die Existenz des deutschen Volkes unmittelbar betrifft, und das ist ein Unterschied!

(Abg. Euler: Unmittelbar sicherstellt!)



(Dr. Schmid [Tübingen])

— Das werden wir sehen, Herr Euler!

(Abg. Kunze: Nicht in so allgemeinen Redensarten! Bitte klare Tatsachen! — Abg. Schoettle: Herr Kunze, wir haben auch alles angehört, was Sie uns gesagt haben!)

Dieser EVG-Vertrag — Herr Kunze, ich komme jetzt darauf — ist in Wirklichkeit die Verpflichtung, die Bundesrepublik unlöslich in ein politisches und militärisches Vertragssystem einzubringen, das die russische Besatzungsmacht, ohne deren Zustimmung wir die Voraussetzungen für die Schaffung der Einheit Deutschlands nicht erfüllen können — ob mit Recht oder Unrecht —, nun einmal als gegen sich gerichtet betrachtet, und wir übernehmen darin recht präzise Verpflichtungen. Aber weder die Briten noch die Amerikaner übernehmen präzise Verpflichtungen für konkrete Leistungen, und wenn NATO ihnen solche Verpflichtungen auferlegen sollte, dann wird das ohne unsere Beteiligung geschehen, und nichts im Generalvertrag außer der allzu allgemeinen Generalklausel hindert die Vereinigten Staaten, ihre Truppen zurückzuziehen oder das Maß ,der Truppen, die sie in Europa halten, nach ihren Vorstellungen zu bestimmen.
Gewiß, wir haben die Garantieerklärung der Vereinigten Staaten erhalten. Aber der amerikanische Senat hat sie mit dem einstimmigen Vorbehalt ratifiziert, daß diese Garantieerklärung und ihre Ratifikation keine Ermächtigung für den Präsidenten der Vereinigten Staaten bedeute, mehr Truppen nach Europa zu schicken, als bisher schon dort stehen.

(Hört! Hört! bei der SPD. — Zurufe rechts.)

Also jede Vermehrung der Streitkräfte der Vereinigten Staaten in Europa wird einen besonderen Kongreßbeschluß nötig machen, und dieser Beschluß

(Abg. Dr. von Brentano: Haben Sie dafür kein Verständnis?)

wird nur dann im Sinne unserer Wünsche ergehen, wenn der Kongreß die Vermehrung der USA-Truppen als im Interesse der Vereinigten Staaten liegend betrachtet, und der Generalvertrag zwingt ihn nicht, einen solchen Beschluß zu fassen.

(Abg. Dr. Hasemann: Wenn wir nichts tun, werden sie nichts schicken!)

Gleichzeitig übernehmen wir die Verpflichtung, Kosten zu tragen, von denen ich nicht weiß, wie man sie je wird aufbringen können, wenn man an die Zahlen denkt, die der Herr Kollege Blank neulich bekanntgegeben hat, Aufwendungen, von denen ich fürchte, daß sie die Widerstandskraft des deutschen Volkes im Kalten Krieg recht nachteilig beeinflussen könnten, und ich frage Sie: was geschieht denn in der Welt, wenn der Kalte Krieg in Deutschland verlorengehen sollte, und wer hat ihn geführt und wer kann ihn denn letzten Endes führen, wenn nicht in erster Linie die breiten Massen unseres Volkes?

(Zurufe und Unruhe.)

Es heißt in der Begründung der 'Bundesregierung zu den Verträgen, daß zu echter Partnerschaft wechselseitiges Vertrauen gehöre.

(Zuruf von der FDP.)

Warum gestattet man dann nicht den Deutschen den Eintritt in das Atlantikpaktsystem, wo die eigentlichen Entscheidungen fallen? Dieses deutsche Kontingent steht doch zur Verfügung von
NATO, und wer nicht in NATO vertreten ist, der bleibt das Objekt, das er heute schon ist.

(Zustimmung bei .der SPD.)

Und wenn Partnerschaft wechselseitiges Vertrauen bedeutet, warum dann die Erklärung des französischen Außenministers kurz vor der Unterzeichnung der Verträge, daß er nur unterzeichnen könne, wenn Großbritannien und die Vereinigten Staaten die Garantie übernehmen, daß die Bundesrepublik nicht aus diesem Vertragssystem ausbrechen kann? Das könnte sich eines Tages seltsam auswirken. Genau betrachtet ist damit ein neues Bündnis gegen Deutschland geschaffen worden, und die Garantieverträge von 1947 und 1949, von denen heute morgen die Rede war und die gegen Deutschland gerichtet waren, scheinen von unseren Vertragspartnern aufrechterhalten werden zu wollen. Jedenfalls hat man bisher noch nichts davon gehört, daß man sie für gegenstandslos erklärt hätte.
Wir schaffen durch diesen Vertrag die Organisation des Europäischen Verteidigungskommissariats, das nicht nur weithin Herr über Maßnahmen sein wird, die tief in das Leben unseres Volkes eingreifen werden, — auf wichtigsten Lebensgebieten wird durch seine Kompetenzen die Kontrolle des Parlaments, die doch ein Kernstück unserer Demokratie sein soll, gegenstandslos gemacht werden,

(Zustimmung bei der SPD)

und durch die „europäische" Zentralisierung der Beschaffung und der Verwendung der finanziellen Verteidigungsbeiträge wird dieses Kommissariat zusammen mit der Hohen Behörde des Schumanplans ohne jede echte parlamentarische Kontrolle zum Herrn über die Wirtschaft unseres Landes werden.

(Abg. Dr. Hasemann: Bei Väterchen Stalin haben Sie gar nichts zu sagen!)

— Ach, Herr Hasemann, reden Sie doch nicht so gemütlich und sinnig von Väterchen Stalin, bleiben Sie ernsthaft!

(Heiterkeit und Zustimmung bei der SPD.)

Man erklärt, dies alles sei der Preis dafür, daß wir nunmehr verteidigt würden;

(Abg. Ewers: Europäer werden!)

denn ohne diese Unterwerfungen hätten wir weder die EVG-Garantien noch die NATO-Garantien noch die Großbritanniens und der Vereinigten Staaten erhalten. Nun, man soll Garantien, wie sie erklärt werden, gewiß nicht unterschätzen. Man sollte sie aber auch nicht überschätzen und man sollte insbesondere nicht vergessen, was sich hinter diesen Garantien in Wirklichkeit vollzieht. Schließlich ist es doch so, daß diese Garantiemächte mit den Truppen in unserem Lande auch ihr eigenes Land verteidigen wollen und daß sie die von uns zu stellenden Truppen haben wollen, damit auch ihr Land besser verteidigt werden kann.

(Zuruf von der Mitte: Unerhört! — Weitere lebhafte Zurufe von den Regierungsparteien. — Große Unruhe.)

Man hat uns schon oft genug gesagt: „Wir können Frankreich nur in Deutschland verteidigen" und „wir können es nur unter Mitwirkung der Deutschen verteidigen".

(Abg. Euler: Wir können Deutschland nur hier verteidigen und mit Hilfe der anderen!)



(Dr. Schmid [Tübingen])

Die Vertragspartner garantieren in Deutschland, Herr Euler, ihre eigene Sicherheit mit,

(fortgesetzte Zurufe von den Regierungsparteien)

und es hätte auf dieser Grundlage vielleicht nicht jeder Preis bezahlt zu werden brauchen, den Sie zu bezahlen bereit sind.

(Beifall bei der SPD.)

Wir wissen durch die Erklärung Mr. Achesons zu der Garantieerklärung der USA, daß die dort vorgesehenen Leistungen nicht automatisch ausgelöst werden, und wir wissen aus anderen Erklärungen, daß jede der Garantiemächte selbst beurteilen wird, ob die Voraussetzungen für die Garantieleistungen vorliegen oder nicht. Dieses ganze Geflecht von Verträgen verbindet uns mit Staaten, von denen einige heute noch Bündnisverträge mit Sowjetrußland unterhalten.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Wie stellt man sich denn das Wechselspiel der Verpflichtungen aus beiden Vertragssystemen vor? Wofür wird sich denn im konkreten Fall Frankreich entscheiden, wenn wir in die Krise kommen? Es ist doch nach zwei Seiten hin gebunden! Wird es sich entscheiden für die Verpflichtungen aus seinem Bündnisvertrag mit Rußland oder für die Verpflichtungen aus den Verträgen mit uns? Und ich wiederhole, daß auch die Bündnisverträge des Westens, die gegen uns gerichtet sind, noch weiter aufrechterhalten werden sollen.

(Abg. Dr. Schröder [Düsseldorf]: Wollen Sie denn angreifen? — Das ist doch der Punkt! — Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

— Herr Schröder, Sie bleiben unterhalb Ihres Niveaus! In allen diesen Verträgen gehen die echten Leistungen — von wenigen Ausnahmen abgesehen — zu unseren Lasten. Was man im Generalvertrag „Leistungen" unserer Vertragspartner nennt, das ist doch im wesentlichen nicht mehr als Verzicht auf Befugnisse und Kommandohebel, die man sich kraft des Sieges angeeignet hatte. Und man verzichtet dabei im Grunde doch nur auf das, was sowieso nach sieben Jahren einseitig nicht mehr zu halten war oder was bis zum heutigen Tage schon durch Erfüllung konsumiert worden ist.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Wir haben kein Vertragswerk vor uns, das gleichwertige gegenseitige Leistungen vorsieht. Wir haben ein Vertragswerk vor uns, in dem zum Teil wenigstens Deutschland Leistungen zugemutet werden, die freien Völkern nicht zugemutet zu werden pflegen. Wir sollen dadurch Souveränität und Gleichberechtigung bekommen, und das Besatzungsregime soll dadurch verschwinden: Nun — wir erhalten weder Souveränität noch Gleichberechtigung, noch wird in der Wirklichkeit. das Besatzungsregime abgeschafft. Sicherlich erhalten wir gewisse Erleichterungen und auf manchen Gebieten auch sehr schätzbare Erleichterungen.

(Lebhafte Rufe bei den Regierungsparteien: Aha!)

Aber um welchen Preis erhalten wir sie?

(Zurufe rechts.)

Wir erkaufen sie durch die vertragliche Übernahme von Lasten, die bisher alle Nachteile des einseitig Auferlegten an sich trugen und

(Zuruf des Abg. Euler)

darum jedem politischen Angriff deutscherseits offen standen. Das wird nunmehr für uns unangreifbar, es sei denn, wir wollten unsere Unterschrift verleugnen. Wir erkaufen diese Erleichterungen weiter dadurch, daß wir bei allen vitalen Entscheidungen, die unser Volk betreffen, in den Schatten der Politik der Drei zu treten haben.
Gleich in Art. 1 des Generalvertrages sagt man uns, wie es um die Souveränität der Bundesrepublik stehen soll. Herr Kollege Gerstenmaier, ich bin wie Sie der Meinung, daß Souveränität eine alte Sache, eine abgestandene Sache ist. Aber man überwindet sie nicht schon dadurch, daß man sich Souveränitätsansprüchen Dritter unterwirft!

(Beifall bei der SPD. — Zuruf des Abg. Dr. Gerstenmaier.)

Es heißt im Generalvertrag:
Die Bundesrepublik hat volle Macht über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten, vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Vertrages.
Im alten Besatzungsstatut hieß es in Ziffer 1:
Der Bund und die Länder haben — lediglich
den Bestimmungen dieses Statuts unterworfen — volle gesetzgebende, vollziehende und
rechtsprechende Gewalt gemäß dem Grundgesetz und den Länderverfassungen. Zugegeben, die heutige Ausdrucksweise ist konzilianter, dem Inhalt, dem Prinzip nach aber ist die neue Regelung von der alten nicht sehr verschieden. Aber zum Unterschied gegen früher sollen wir uns jetzt rechtlich verpflichten, diesen zustand als Internationales Statut Deutschlands anzuerkennnen!

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Die Vorbehaltsrechte der Drei im Generalvertrag betreffen letztlich die Grenzwerte unserer staatlichen Existenz. Das Recht, den Grenzfall zu be- stimmen, ist aber, was die Souveränität ausmacht. Der Unterschied gegen früher ist, daß auf einer Reihe von Randgebieten Vorbehalte gefallen sind, daß auf wesentlichen Sachgebieten die Vorbehalte des Besatzungsstatuts in die Zusatzverträge verbannt worden sind und daß ihr eigentlicher politischer Kern nunmehr im Generalvertrag als öffentliches Recht Deutschlands anerkannt wird. Diese Vorbehalte sind — wenigstens in Krisenzeiten — unsere Oberverfassung. Es gibt ein Schiedsgericht, das Schiedsgericht des Generalvertrages kann die Ausübung der wesentlichen unter diesen Vorbehalten nicht kontrollieren. Dagegen kann dieses Schiedsgericht jedes Gesetz, das im Bundesgebiet gilt, aufheben; es kann jeden Verwaltungsakt, jedes Urteil aufheben, ja dieses Gericht kann sogar Urteile des Bundesverfassungsgerichts aufheben, wenn es der Meinung ist, eines seiner Urteile stehe Bestimmungen des Generalvertrages entgegen. Dagegen können Urteile der alliierten Militärgerichte nicht aufgehoben werden!

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Über diese Grenzfälle entscheiden nach dem Generalvertrag die Besatzungsmächte selbst und allein. Dadurch, daß man sie in Schutzmächte umbenannt hat, ändert man nichts an der Tatsache, daß sie Besatzungsmächte geblieben sind.

(Abg. Arnholz: Sehr richtig!) Außenminister Schuman hat gleich nach der Unterzeichnung dieser Verträge erklärt — ich bitte ihn zitieren zu dürfen —

Deutschland wird besetzt bleiben, nicht weil
es damit einverstanden ist, sondern weil


(Dr. Schmid [Tübingen])

es unser Recht ist, das wir durch die Unterzeichnung der Verträge nicht verlieren.

(Abg. Dr. von Brentano: Bis zur Ratifizierung!)

Die Substanz der Souveränität liegt weiter bei den Besatzungsmächten.

(Abg. Dr. von Brentano: Bis zur Ratifizierung!)

— Hat er diese Einschränkung wirklich gemacht?

(Abg. Dr. von Brentano: Es stand am nächsten Tage drin!)

— Ich bedanke mich für die Belehrung.

(Abg. Strauß: Darum schnell ratifizieren!)

Die Substanz der Souveränität liegt jedenfalls auch nach der Ratifizierung weiter bei den Besatzungsmächten; so steht es im Vertrag. Diese treten ihre Ausübung für normale Zeiten an die Bundesregierung ab. In den Krisenzeiten aber nehmen sie sie für sich in Anspruch.

(Abg. Dr. von Brentano: Nein!)

Die Alliierte Hohe Kommission wird auf gehoben. Die Drei Mächte sollen nunmehr mit der Bundesrepublik nur noch durch Botschafter verkehren. Das Wort Botschafter hat seit einigen Ereignissen im Nahen Westen einen schlechten Klang bekommen. (Sehr richtig! bei der SPD.)

Es steht fest: Überall, wo es sich um die für Deutschland entscheidenden politischen Fragen handelt, handeln die drei Botschafter gegenüber der Bundesregierung als Gemeinschaft. Im Bereich der Administration treten sie weit zurück — das ist richtig —, soweit nicht die Zusatzverträge alliierte Befugnisse aufrechterhalten. Aber ist im
des
Zentrum des Politischen, hei den zentralen Fragen
unserer politischen und nationalen Existenz der Unterschied gegenüber der bisherigen Hohen Kommission wirklich so sehr groß? Das Entscheidende ist doch, daß dieser Botschafterrat das Monopol der auf die Herstellung der Einheit Deutschlands gerichteten Politik erhalten soll.

(Abg. Dr. von Brentano: Es gibt keinen Botschafterrat!)

Was bleibt dann noch an eigenständigen politischen Möglichkeiten für Deutschland dort übrig, wo es um unsere Existenz als Nation geht?
Man sagt uns, diese Rechtsfigur habe vereinbart werden müssen wegen der Verträge von Jalta und Potsdam, damit die Geschäftsgrundlage der Verträge nicht zerstört werde, die zugunsten Berlins geschlossen worden sind. Das ist ein Gesichtspunkt, den ich anerkenne. Aber warum hat man nicht darauf verzichtet, ein Recht, das man der Substanz nach im Verkehr mit den Russen braucht, den Deutschen gegenüber im Innenverhältnis tatsächlich auszuüben?
Art. 5 spricht vom Notstandsrecht. Man sollte dieses Recht nicht verkennen: es handelt sich dabei nicht um den bloßen polizeilichen Notstand — die Besatzungsmächte erhalten in gewissen Situationen, und zwar in den besonders schicksalsgeladenen Situationen, entscheidende Verfügungsmacht über unser Land!

(Abg. Dr. Hasemann: Die auch in unserem Interesse angewendet werden kann!)

authentische Interpretation dieser Einschränkungen ausschließlich bei den Alliierten liegt!

(Sehr richtig! bei der SPD.) Dieser Notstand kann schon erklärt werden, wenn einer der vorgesehenen Fälle auch nur droht. Das gibt einen Spielraum, der Mißbrauch allzu leicht macht. Und was bedeutet denn im einzelnen die Klausel: Maßnahmen, die erforderlich sind, die Ordnung aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen? Es gibt da einen verhängnisvollen Vorgang: das Urteil im Prozeß der Papen-Regierung gegen Preußen über die Auslegung des Art. 48 der Weimarer Verfassung. Das Gericht hat damals ausgesprochen, daß Art. 48 der Weimarer Verfassung der Reichsregierung das Recht gebe, für die preußische Regierung zu handeln. Ich hoffe nicht, daß man eines Tages bei der Anwendung des Art. 5 auf dieses Urteil zurückgreifen wird.

Am schlimmsten ist aber, daß der Notstand schon im Falle eines drohenden Krieges erklärt werden kann. Was bedeutet denn das im einzelnen? Im Falle drohender Kriegsgefahr werden fremde Mächte bestimmen, was zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit der Verteidigungstruppen notwendig ist! Freilich — die Bundesregierung soll konsultiert werden - aber Konsultation bedeutet doch nicht Mitwirkung! Und was bedeutet die Möglichkeit der Berufung an NATO? Das bedeutet doch Berufung gegen eine Entscheidung der Drei an ein Organ, in dem die Drei vertreten sind, wir selber aber nicht!
Und was bedeutet die gesamtdeutsche Klausel des Art. 7. Al s. 3? Der ursprüngliche Text ging dahin, daß die Verträge automatisch auch Gesamtdeutschland verpflichten sollten. Nun, das hat man als die völkerrechtliche Unmöglichkeit, die es ist, erkannt, und man hat nunmehr eine neue Formel gefunden. Nunmehr besagt die Klausel, daß Gesamtdeutschland die Rechte, die der Bundesrepublik eingeräumt werden, erwerben kann, wenn es gleichzeitig die Verpflichtungen der Bundesrepublik aus dem Generalvertrag und EVG-Vertrag übernimmt. Da kann man doch nicht gut davon sprechen, daß die künftige deutsche Regierung frei sei, sich zu entscheiden, wie sie wolle!

(Abg. Dr. von Brentano: Wieso?)

Wenn sie sich nämlich anders entscheidet, als es in diesen Verträgen vorgesehen ist, dann müßte — zumindest bei strikter Anwendung des Vertragstextes — ihr Statut geringer werden als das Statut, das die Bundesrepublik hat.

(Zurufe von der Mitte: Wo steht denn das? Das steht nicht drin! — Das ist falsch!)

(Abg. Dr. von Brentano: „Maximal" steht
auch nicht drin!)
einverstanden, wenn Gesamtdeutschland alle Verpflichtungen aus dem Generalvertrag und dem EVG-Vertrag übernimmt.
Nun kann die Einheit Deutschlands doch nur zustandekommen, wenn die Russen — ja auch die Russen — mit gesamtdeutschen freien Wahlen einverstanden sind. Und glaubt man denn, daß sie dazu bereit sein werden, wenn von vornherein feststehen soll, daß der Teil Deutschlands, den sie aufgeben, auf Grund einer heute geschaffenen vertraglichen Verpflichtung einem Block zugeschlagen werden soll, den dieses Rußland nun einmal als feindselig empfindet? Als ich das in Straßburg einem Delegierten eines nordischen Landes sagte, gab er mir zur Antwort: „Ihr müßt euch eben damit abfinden: uns ist es lieber, wir haben das halbe Deutschland ganz als das


(Dr. Schmid [Tübingen])

ganze Deutschland halb." Das mag da ein Gesichtspunkt für Dritte sein, aber für uns Deutsche kann das kein Gesichtspunkt sein!

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Wir können uns dagegen nicht mit den Worten trösten, daß wir durch diese Verträge nunmehr zusammen mit dem Westen so stark werden, daß wir mit den Russen endlich die Sprache sprechen können, die sie allein verstehen. Glaubt man denn wirklich, mit diesen Verträgen die Russen zur politischen Kapitulation zwingen zu können? Wenn man die Zustimmung der Russen will, muß man ihnen doch eine Chance lassen, durch die sie kompensiert finden könnten, was sie aufgeben!
Es hat allerdings keinen Sinn, von uns Deutschen, wie das gelegentlich geschieht, zu verlangen, daß wir einen Preis nennen sollten. Es ist nicht Sache der Deutschen, einen Preis vorzuschlagen; denn sie sind es ja nicht, die aushandeln können, was geschehen soll. Es ist Sache der Russen und der Amerikaner — der beiden einzigen Mächte, die den Frieden der Welt in der Hand haben und die Macht, ihn zu verwirklichen —, sich über das Soll und Haben auseinanderzusetzen, das ihrer Einigung zugrunde gelegt werden soll. Denn ohne eine Grundeinigung dieser beiden einzigen noch übriggebliebenen weltgeschichtlichen Mächte wird es keine echte Einigung über die Fehlordnungen irgendwo in der Welt geben. Wir sollten diesen Mächten sagen, daß sie es sind, die verhandeln, und nicht wir. Wir sollten aber nicht die Hand dazu bieten, was solche Verhandlungen erschweren könnte. Und es wird unsere Sache sein, diesen großen Mächten im rechten Augenblick zu sagen, was Deutschland akzeptieren kann und was es nicht akzeptieren wird.
Ich brauche über die Revisionsklausel nicht sehr viel zu sagen. Diese Revisionsklausel spricht nichts aus als die Binsenwahrheit, daß revidiert werden kann, wenn alle einverstanden sind. Das versteht sich auch dann von selbst, wenn ein Vertrag keine Revisionsklausel enthält. Und ich brauche über die Reparationsbestimmungen in den Verträgen nichts zu sagen, darüber und über die Zusatzverträge wird ein anderer sprechen.
Was haben wir letzten Endes unserer Entscheidung zugrundezulegen? Ein Vertragssystem, das mit dem Schumanplan anhebt, der die Verfügung über das mächtigste deutsche Wirtschaftspotential aus der deutschen Souveränität nimmt, wobei die Gleichheit der Vertragspartner nur scheinbar ist, denn nur Deutschland gibt in Wirklichkeit etwas her; wir haben vor uns den EVG-Vertrag, der die Verfügung über das deutsche militärische und einen Teil des finanziellen Potentials deutscher parlamentarischer Kontrolle entzieht und zur Verfügung Dritter stellt; wir haben den Generalvertrag zu beurteilen, durch den wir uns verpflichten, die Rolle eines besetzten Landes — partiell wenigstens — zu akzeptieren, und durch den wir uns das Recht zu einer eigenen aktiven, auf Wiederherstellung der Einheit Deutschlands gerichteten Politik blockieren lassen. Und wir werden in den Verband der westlichen Staaten aufgenommen um den Preis des Verzichts auf Wirkungsmöglichkeiten, die sich die anderen vorbehalten wollen. Das ist kein Neubeginn; das ist der Schlußstein des Gebäudes, das 1945 begonnen worden ist — und es geschieht sicher nicht mit Wissen und Wollen, aber aus Resignation. Im Grunde wollen wir uns damit begnügen, uns in der durch den Zusammenbruch geschaffenen und durch den Wandel der Zeit modifizierten Situation so gut wie möglich einzurichten — um den Preis des Verzichts auf die Möglichkeiten einer eigenständigen Politik, die uns geblieben sind, so schwer es auch sein mag, sie je und je zu aktualisieren. Wir haben zugelassen, daß deutsche Schicksalsfragen ausgeklammert wurden, die wir zusammen mit dem Westen lösen müssen, wenn wir zu einer tragfähigen Westintegration kommen wollen, zu einer Westintegration, die den Namen „europäische Politik" verdient. Es genügt nicht, die Europaflagge zu hissen, um die Gefahr, die in ungelösten Problemen liegt, zu bannen! Nicht das Europa, auf das Sie ohne Kompaß hinsteuern, wird die Probleme lösen, die auch Sie gelten lassen, sondern die Lösung dieser Probleme — zumindest aber die echte Bemühung um ihre Lösung — ist die Voraussetzung dafür, daß wir Europa bauen können!
Ich glaube nicht, daß die Antithesen schlüssig sind, die heute morgen vorgetragen wurden: ob Anschluß an den Westen oder nicht; ob Schutz durch das Atlantikpaktsystem oder nicht; ob Integration Europas oder nicht; ob Integration Deutschlands in Europa oder nicht. Die Frage ist anders zu stellen: ob alle diese Dinge auf diese Weise und mit den Konsequenzen geschehen sollen, die diese Verträge vorsehen! Das ist die eigentliche Frage! Echt scheint mir nur die eine Antithese zu sein: ob die Teilung Deutschlands oder die Wiedervereinigung in Freiheit angestrebt werden soll. Die Frage ist, ob die Verträge uns diese Wiedervereinigung bringen können.

(Zuruf des Abg. Dr. von Brentano.)

Man sagt uns: durch den EVG-Vertrag und die militärische Beteiligung Deutschlands an der militärischen Verteidigung Europas schaffen wir Sicherheit und legen wir den Grund zur Möglichkeit einer wirksamen Verteidigung der Freiheit in Deutschland. So sagen S i e.

(Abg. Dr. von Brentano: Sagen Sie uns doch, wie wir es machen sollen!)

Sehen wir völlig ab von der Frage, ob diese Koalitionsarmee des Mißtrauens wirklich ein taugliches Instrument der Verteidigung sein kann und sein wird; sehen wir auch davon ab, den Widerspruch zu diskutieren, der zwischen Ihren Forderungen und der Behauptung besteht, die wir heute morgen hörten, daß der Westen auch ohne unseren Beitrag heute schon so stark sei, daß die Russen keinen Angriff riskieren könnten: ohne präzise Verpflichtungen der Westmächte für bestimmte konkrete militärische Leistungen werden uns Generalvertrag und EVG-Vertrag nur die Illusion der Sicherheit bringen. Aber darüber hinaus werden in den Verträgen Leistungen von uns verlangt, die uns in die Gefahr bringen, den Kalten Krieg zu verlieren!
Sie sagen: Wir machen durch die Verträge uns und den Westen stark, und nur, wenn wir den Westen stark machen — in einer früheren Debatte wurde einmal gesagt: militärisch stark machen —, kann man den Russen gegenüber eine offensive Deutschland-Politik betreiben, denn sie verstehen nur die Sprache der Macht. Dazu sagen wir Ihnen: die Macht, die wir dazu brauchten, schaffen diese Verträge nicht.

(Abg. Dr. von Brentano: Also, was sollen wir dann tun?)



(Dr. Schmid [Tübingen])

Keiner unserer Partner ist durch diese Verträge zu konkreten politischen Maßnahmen für die Einheit Deutschlands verpflichtet.

(Abg. Dr. von Brentano: Was sollen wir machen?)

Jeder einzelne bleibt in jedem einzelnen Falle Herr seiner Entscheidungen.

(Abg. Dr. von Brentano: Und was sollen wir machen?)

Wie weit muß denn, Herr von Brentano, die militärische Kraft des Westens wachsen, bis — nach Ihrer Voraussetzung — die Russen ihre Zone unter den Bedingungen des Generalvertrages freigeben werden?

(Abg. Dr. von Brentano: Was sollen wir machen?)

Werden die Russen nicht jeden Machtzuwachs im Westen durch Schaffung neuer eigener Machtmittel — vielleicht sogar in dem von ihnen besetzten Deutschland — kompensieren und überkompensieren?

(Abg. Dr. von Brentano: Welchen Weg sollen wir denn gehen?)

Herr Kollege Ger s t e n m a i e r sagte uns, die Abrüstung sei sein Ideal. Es ist auch unseres; aber glauben Sie, auf Ihrem Wege kämen wir zur Abrüstung? Auf Ihrem Wege kommen wir zum Wettrüsten und nicht zur Abrüstung!

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Gerstenmaier: Das dürfen die Russen sagen, aber nicht unsere Vertreter!)

Wir sagen Ihnen weiter, daß es gefährlich ist, eine
politische Offensive auf Macht stützen zu wollen,

(Abg. Strauß: Auf Reden kann man sie nicht stützen!)

denn man muß dann auch bereit sein, seine Machtmittel anzuwenden — es sei denn, man sei überzeugt, der andere werde von vornherein in die Knie gehen. Aber niemand — keiner unserer Partner und auch nicht das deutsche Volk — will doch Machtmittel einsetzen, um die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands auf dem Wege der Gewalt zu erzwingen, denn niemand will den dritten Weltkrieg! Aber es ist eine Illusion, zu glauben, daß im Umgang mit den Russen die Kapitulation v o r dem Kriege komme!

(Beifall bei der SPD.)

Sie sagen weiter: Deutschland kann nicht neutral bleiben, es gehört zum Westen, es muß sich daher für den Westen entscheiden, und die Entscheidung für den Westen fordert Entscheidung für diesen konkreten EVG-Vertrag und für diesen konkreten Generalvertrag! Dazu sagen wir Ihnen: Ja, Deutschland will keinen Neutralismus und kann ihn nicht wollen! Es hat sich längst für ein Leben auf Grund von Ordnungen entschieden, die heute nur im Westen dieses Kontinents existieren können.

(Zurufe von der CDU: Bravo! — Also!)

Und daß es diesen Willen hat, hat dieses deutsche Volk auch dort bewiesen, wo der Osten lockte. Aber diese Entscheidung für den Westen bedeutet doch nicht, daß man auf die Möglichkeit eigener deutscher Politik verzichten und eine Politik betreiben müsse, deren machtpolitische Versuche mit Sicherheit durch Gegenmaßnahmen im anderen Teile Deutschlands kompensiert werden!

(Abg. Euler: Wann lüften Sie denn Ihren Schleier?)

Was S i e Neutralität nennen, nennen wir die Weigerung, alle Möglichkeiten einer deutschen Politik zu Funktionen der Politik anderer reduzieren zu lassen. Es ist nicht wahr, daß es nur die eine Alternative gebe, Satellit des Ostens oder Vasall des Westens zu sein. Es gibt die dritte:

(Zuruf von der CDU: Aha, jetzt kommt es!) sich dem Westen in Formen zu verbinden, die der Osten nicht bedrohlich zu finden braucht,


(Lachen bei den Regierungsparteien)

und mit dem Osten in ein Verhältnis freien Austausches zu treten,

(Beifall bei der SPD)

das den Westen stärkt, statt ihn zu schwächen.

(Zuruf von der CDU: Eine Halbheit! — Abg. Dr. Wuermeling: Wie unwirklich!)

Nur so können wir zur Wiederherstellung eines freien einheitlichen Deutschland kommen. Für die Einzel-Etappen .des Weges gibt es kein Patentrezept,

(Zurufe: Aha! und Beifall bei der CDU) aber man muß auf dieses Ziel hin verhandeln, und das ist besser, als militärisch zu denken, wo politisch gedacht werden muß!


(Beifall bei der SPD.)

Sie sagen, auf dem Wege über den Generalvertrag und die anderen Verträge kämen wir zu den Vereinigten Staaten von Europa und über sie dann schließlich zur deutschen Einheit. — Auf Ihrem Wege kommt man vielleicht zu einer engen Verbindung von sechs Staaten im äußersten Westen Europas — aber dieses Klein-Europa, zu dem wir so kommen könnten, wird nichts anderes sein als bestenfalls ein neuer Bundesstaat, der einen Teil Europas staatlich organisiert. Das wird aber die Probleme des Kontinents als Ganzes nicht gegenstandslos machen, sondern wird zu den alten neue schaffen und vielleicht auf dramatischere Weise, als es heute der Falle ist. Denn auch dieses Europa der Sechs wird vor der Frage stehen: entweder mit den Russen auf eine gütliche Einigung hin zu verhandeln oder den Versuch zu machen, sie zu zwingen. Die Lage wird nicht anders sein als sie heute ist, sie wird nur gefährlicher sein!
Und schließlich: Sie fragen mich immer wieder, Herr von Brentano: „Was wollen S i e denn?" Nun, jetzt frage ich Sie, Herr von Brentano: Glauben Sie denn, daß die Verträge die Einheit Deutschlands automatisch wirken werden?

(Zuruf von der CDU: Automatisch?)

Sie haben uns bisher nicht gesagt,

(Zuruf von der CDU: Wir sind keine politischen Automaten!)

Sie haben uns bisher nicht gesagt, Herr Tillmanns, was Sie mit diesen Verträgen m a c h en wollen, auf daß die Einheit Deutschlands zustande komme!

(Sehr gut! bei der SPD.)

Und das dem deutschen Volke zu sagen, wäre doch die entscheidende Frage.

(Beifall bei der SPD.)

Was wollen Sie mit dem Instrument dieser Verträge konkret anfangen? Denn mehr als ein Instrument ist das, was Sie schaffen wollen, nicht! Aber Sie können uns die Frage nicht beantworten; denn die Entscheidung liegt durch den Generalvertrag nicht in Ihrer Hand!

(Anhaltende Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)



(Dr. Schmid [Tübingen])

Wir können die Einheit Deutschlands nur bekommen, wenn die vier Besatzungsmächte — und zu ihnen gehört leider auch Rußland — sich über gesamtdeutsche Wahlen einigen. Das ist auch Ihre Auffassung, wie wir heute hörten.

(Zuruf von der CDU: Das ist unser aller Auffassung!)

Wir sollten dabei die Initiative nicht den Russen überlassen, wie das bisher — zum mindesten von außen her gesehen — der Fall gewesen ist,

(Zuruf von der CDU: Es ist traurig, daß Sie diese These aufnehmen!)

und wir sollten alles tun — und die Westmächte mit uns —, um die Russen in die Situation dessen zu bringen, der antworten muß. Bisher haben wir uns immer in die Situation dessen drängen lassen, der antworten muß!

(Abg. Dr. von Brentano: Sie vielleicht, wir nicht!)

Es sollte das vornehmste Nahziel 'unserer Politik sein, auf die Abhaltung einer Viermächtekonferenz hinzuwirken, auf der der Osten und der Westen klipp und klar zum Ausdruck bringen sollen, wie man sich dort, wo man noch Geschichte machen kann, die Lösung unserer Schicksalsfrage vorstellt und welche Voraussetzungen von der einen oder von der anderen Seite für das Einverständnis verlangt werden. Einen anderen Weg gibt es schlechthin nicht!
Aber das setzt voraus, daß wir heute keine vollendeten Tatsachen schaffen, die den Russen jedes Interesse an Verhandlungen nehmen könnten.
Sie sagen uns: Die Ratifikation mache Verhandlungen nicht unmöglich. — Das ist natürlich theoretisch richtig. Aber sind einmal die Verträge in Kraft, sind einmal Rechte erworben und Institutionen geschaffen, dann bedeutet doch Einigung notwendig Verzicht auf erworbene Rechte oder das Eingeständnis der Schwäche, sich zu behaupten. Solche Verzichte sind verständlicherweise schwerer zu erzielen als der vorherige Ausgleich möglicher Chancen. Was heute noch möglich sein könnte, wird so morgen vielleicht unmöglich geworden sein.

(Abg. Dr. von Brentano: Sehr richtig!)

Sie scherzen, Herr von Brentano, aber bedenken Sie: die Verhärtung zu lösen, die durch die Verträge eintreten wird, wird einen viel größeren Kraftaufwand verlangen als den, den die heutige Lage erfordern mag.

(Zuruf rechts: Also zurück?)

So meine ich denn, daß unsere Bemühungen darauf konzentriert werden sollten, die Chancen für das Zustandekommen einer Viermächtekonferenz zu verstärken,

(Sehr richtig! bei der CDU)

zu einer Konferenz, in der ein echter Versuch gemacht werden muß, zu einer Einigung zu kommen, ein Versuch, der Entschlossenheit, Energie, Zielsicherheit, aber auch Geduld erfordert.

(Beifall bei der SPD.)

Wir möchten nicht, daß man eine Viermächtekonferenz allein zu dem Zweck einberuft, Herr Strauß, zu beweisen, daß es keinen Sinn habe, mit den Russen über gesamtdeutsche Wahlen zu verhandeln.

(Abg. Euler: Wie wollen Sie es denn machen?)

Wenn so verhandelt wird, daß das 'deutsche Volk
die Überzeugung gewinnt, daß es dem Westen
wirklich ernst ist, zu einem positiven Resultat zu kommen, und sollten die Russen durch ihr Verhalten unmißverständlich zeigen, daß sie die Einheit Deutschlands nicht wollen — es sei denn, in der Form einer russischen Provinz —, nun, dann wird eine neue Lage geschaffen sein;

(Aha-Rufe von den Regierungsparteien — lebhafter Beifall bei der SPD — Abg. Dr. Wuermeling: Das wissen Sie noch nicht?)

dann wird man sich überlegen müssen, was auf
Grund dieser neuen Lage zu geschehen haben wird.

(Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)

Was es sein wird, ist heute noch nicht zu sagen; denn wir kennen die Umstände nicht, die in jenem kritischen Zeitpunkt herrschen werden. Eines aber ist sicher: Sollte es nötig werden — und es mag nötig werden —, mit dem Westen Verträge zu schließen, dann werden es keine Verträge sein dürfen, die der Bundesrepublik Hypotheken auferlegen, wie der Generalvertrag und die anderen Verträge sie vorsehen. Denn diese Hypotheken sind nicht nur lästig, sondern sie sind eine Gefahr für den Bestand der Demokratie in Deutschland, die nur wachsen kann, wenn dieses Volk spürt, daß es in seinem ganzen Lebenskreis frei über sich entscheiden und sein Schicksal selbst verantworten kann.
Und es wird auf der Grundlage einer anderen Europakonzeption verhandelt werden müssen als der bisherigen: es wird verhandelt werden müssen von der Vorstellung eines Europa aus, in dem alle gleiche Rechte und Pflichten haben — und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern in der Welt der Wirklichkeiten —, eines Europa, das nicht Angsttraum des Mißtrauens ist, sondern Frucht des Vertrauens und der Solidarität der Völker!

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Ein solches Europa, Herr Euler, weisen uns die von Ihnen gewollten Verträge noch nicht.
Man hat uns gesagt, die Haltung der Opposition, auf jeden Fall Viererverhandlungen zu fordern, ehe ratifiziert wird, sei Obstruktion, und es sei Obstruktion, wenn wir verlangen, daß erst das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zu fallen habe, ehe wir uns über den politischen Wert dieser Verträge unterhalten. — Meine Damen und Herren! Wenn jemand nach sorgfältiger Prüfung zu sehen meint, daß die Weichen falsch gestellt sind und der Zug dem Unheil zutreibt, wenn der dann die Notleine zieht, dann treibt er keine Obstruktion, sondern dann tut er seine Pflicht.

(Stürmischer Beifall bei der SPD.)

So wie diese Verträge die Weichen für die künftige Entwicklung stellen, kommen wir nicht an das Ziel, das auch Sie sich als die Patrioten, die Sie sind, vorgenommen haben: die friedliche Wiederherstellung der Einheit eines freien Deutschland in einem Europa von Gleichberechtigten! Wir kommen so nicht nur nicht ans Ziel, sondern wir laufen Gefahr, der Ausweglosigkeit zuzutreiben. Darum sollten wir alle zusammen helfen, der verderblichen Entwicklung Einhalt zu gebieten, die diese Verträge unausweislich macht. Wir können es, wenn wir diesem Vertragswerk die Zustimmung verweigern.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0122102900
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schäfer von der Fraktion der Freien Demokratischen Partei.


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0122103000
Meine Damen und Herren! Es wäre fruchtbarer für unsere Auseinandersetzung und es wäre vor allen Dingen dankbarer für denjenigen, der nach dem Herrn Kollegen Schmid zu sprechen hat, wenn er in der Lage wäre, sich zu einer echten politischen Auseinandersetzung hierher zu begeben und sich dann auseinanderzusetzen mit einer wirklich gezeigten Alternative zu den Wegen, die die Bundespolitik geht.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD: Sie wollen sie ja nicht hören! — Unruhe.)

Aber ich habe leider in den eineinhalb Stunden sehr aufmerksamen Zuhörens und auch des Willens, die Dinge zu begreifen — nämlich die Wege, die gegangen werden sollten —, nichts weiter wahrgenommen

(fortgesetzte lebhafte Zurufe von der SPD) als eine wundervolle Zusammenstellung — —


(Anhaltende Zurufe von der SPD. — Gegenrufe von den Regierungsparteien. — Unruhe.)

— Ja, Sie werden mir auch gestatten müssen, daß ich mal eine andere Meinung habe als Sie. Ich glaube, Sie müssen von der Tatsache ausgehen, daß es zum Wesen des Parlaments

(erneute Zurufe von der SPD)

— für dessen Rechte Sie sich ja sonst so empfindsam gebärden — gehört, auch einmal einem Menschen mit anderer Überzeugung zuzuhören.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

Meine Damen und Herren, ich habe mich in den letzten eineinhalb Stunden eifrig bemüht, etwas von einem anderen politischen Weg zu hören, mit dem ich den Weg der Bundesregierung hätte vergleichen können.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Ich habe eine Fülle von Ausschnitten aus dem
Zettelkatalog der verschiedenartigen Geschehnisse
— Notenwechsel, Verträge, was weiß ich, diplomatischen Geschehnisse — gehört, wobei der Versuch gemacht wurde, die Dinge immer so — nach einem relativ einfachen Rezept — zu deuten: Alles das,

(Zuruf von der SPD: S i e deuten sie so!)

was inzwischen innerhalb der Verträge niedergelegt ist, ist unwesentlich und geringfügig; denn
irgendwo hat schon mal etwas Ähnliches gestanden;

(Zustimmung und Heiterkeit bei den Regierungsparteien)

infolgedessen ist es kein Fortschritt, wenn das jetzt in den hier verhandelten Verträgen vorhanden ist. Es ist eine Fülle von Punkten aufgezählt worden, die man gegebenenfalls hätte regeln können, die aber nicht geregelt sind. Es mag sein, daß manches darunter ist, was zu regeln wir für wünschenswert gehalten hätten.

(Zuruf von der SPD: Na also!)

— „Na also". Meinen Sie, dieses Vertragswerk sei für uns der Gipfel der Vollkommenheit? Aber wir haben eine ganz bestimmte realistische Vorstellung. Ich muß leider nach diesem Zwischenruf etwas primitiv anfangen,

(Heiterkeit bei den Regierungsparteien — Zuruf von der SPD: Sind wir von Ihnen gewohnt! — weitere Zurufe)

ich muß nämlich doch einmal auf einige Grundvorstellungen der Außenpolitik hinweisen. Sie unterscheidet sich nämlich von der Innenpolitik durch ein sehr wesentliches Merkmal. Man kann in der Innenpolitik seinen Einfluß geltend machen, indem man sich an die Spitze der Organe einer staatlichen Gruppe, eines Staatswesens heranmacht, um von dort auf die Entwicklung einzuwirken. Man kann auf diese Weise die innerstaatliche Entwicklung bestimmen und beeinflussen. Leider gibt es zwischen den Völkern keine Zentralinstanz, von der aus man die Dinge regeln könnte, sondern die außenpolitische Gestaltung vollzieht sich so, daß man Kräfte und Gegenkräfte in einer bestimmten Richtung so zwischen den Völkern zu gruppieren bemüht ist, damit sich aus bestimmten Konstellationen und Kräfteverhältnissen eine Entwicklung ergibt, innerhalb deren man für sein eigenes Volk und für die Völker in der Welt ein Höchstmaß an Frieden und Ordnung herbeizuführen gedenkt. Voraussetzung ist, daß man von dem Prinzip ausgeht, daß die Zwecke der Außenpolitik in erster Linie Frieden und Ordnung zwischen den Volksteilen der Menschheit sein sollen, wenn man nicht von vornherein hinter den Dingen machtpolitische Zielgedanken hegt.
In den vorhin gehörten Ausführungen ging man z. B. von der Vorstellung aus. als ob diese Einederung Deutschlands ausschließlich ein Geschäft für die anderen wäre und alles, was wir mit den anderen zu tun bereit sind, immer nur zu deren Vorteil gereichte und für uns vorwiegend Nachteile darstellte. Ich glaube, es ist notwendig, diese Betrachtung vor der deutschen Öffentlichkeit doch einmal auf das richtige Maß zurückzuführen.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.) Auch da wieder — nach der Fülle der gravitätisch einherschreitenden Negationen — eine sehr einfache tatsächliche Feststellung:


(Beifall bei der FDP.)

Man sehe auf die Weltkugel und studiere da die Größenverhältnisse dieser Bundesrepublik und der übrigen Inhalte der Oberfläche des Globus. Dann gewinnt man nämlich auch das Gefühl für die echten Maße und die Möglichkeiten, eine Sicherheitspolitik für unser Land zu betreiben.
Ich wiederhole jetzt das, was ich nach unserem Zusammentritt hier vor etwas weniger als drei Jahren gesagt habe: All unser Mühen gilt der Festigung dieses neuen Staatswesens mit — ich will das jetzt nicht weiter erörtern — mehr oder weniger provisorischem Charakter! Dafür sind wir doch alle hierhergekommen. Jedenfalls haben alle diese Bemühungen nur dann einen Sinn, wenn der äußere Rahmen der Stetigkeit und der Sicherheit seiner Entwicklung so schnell wie möglich geschaffen wird. Diese einfache Vorstellung ist für alle Überlegungen maßgebend gewesen, die wir anzustellen haben. Dabei sind wir allerdings nicht davon ausgegangen, uns selbst mit der Vorstellung eines Übermaßes unserer Eigengewichte zu täuschen. Wir haben vielmehr davon auszugehen, daß wir unser Eigengewicht zu gewinnen, zu bekräftigen und zu verstärken haben mit dem Grade einer fortschreitenden Eingruppierung dieser Bundesrepublik in ein kollektives Sicherheitssystem der freien Völker.
Auch da ist wieder ein sehr einfacher Grundgedanke — wenn wir schon von Ost und West reden — für die Himmelsrichtung dieser Entscheidung bestimmend gewesen. Wir sind davon ausge-


(Dr. Schäfer)

gangen: Man kann sich nicht im Inneren seines Volkes um eine Demokratie bemühen und für die Festigung demokratischer Entwicklungen eintreten, wenn man sich nicht darüber klar ist, daß man das nur innerhalb einer Gruppenbildung freier demokratischer Völker zu erreichen vermag.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Insofern besteht zwischen der Grundtendenz der
Innen- und Außenpolitik eine absolute Kongruenz.

(Sehr richtig! rechts.)

Wenn man von dieser sehr einfachen Vorstellung ausgeht,

(Zuruf von der SPD: Sehr einfach!)

dann sagt man sich, daß demokratische Lippenbekenntnisse nach innen keineswegs genügen. Vielmehr muß die Außenpolitik so gegründet sein, daß der innere demokratische Fortschritt möglichst störungsfrei verläuft. Zum zweiten muß man — möglichst eingebaut in eine wechselseitige Sicherheitsgewährleistung — die Möglichkeit haben, auch innerhalb der weltpolitischen Entwicklung die politischen Grundprinzipien, die Grundformen des staatlichen Lebens, die man im Innern anstrebt, auch nach außen hin in der Ordnung der Welt zur Geltung zu bringen. Also diesen Maßstab sollte man einmal an dieses Vertragswerk anlegen.
Es geht dabei um ein Ziel: die eigenen Freiheiten zu erhöhen und zu verteidigen. Nun darf ich wieder einmal darauf aufmerksam machen, daß sich j a dieses politische Streben nicht in einem Laboratorium, nicht in einem Vergnügungspark vollzieht, sondern in dieser weiten Welt mit ungeheuren Gegensätzen, Unterschieden und Spannungen zwischen Völkern und Interessen.

(Abg. Kunze: Sehr richtig!)

Alles, was neue politische Ordnung zu werden vermag, kann nur geschehen und gedeihen in der Stufenfolge eines organischen Wachstums. Vorhin wurde dem Herrn Kollegen Schmid zugerufen: Ja, wo ist denn dies oder jenes? Und dann machte er den Einwand: Diese Regelung hat ja nicht automatisch dieses oder jenes zur Folge. Als ob in der Außenpolitik überhaupt allein der Maßstab gelten kannte, eine Entwicklung sei deswegen gut oder böse, weil sie automatisch erfolgt!

(Sehr gut! bei der FDP.)

Außenpolitik ist keine exakte Wissenschaft. Sie beruht nicht auf bestimmten Kausalgesetzen. Sie hat keine zwangsläufigen Gesetzmäßigkeiten. So besteht schon bei der Ausgangsstellung, bei den Grundvoraussetzungen einer außenpolitischen Konzeption eine Fülle von Vermutungen und Schätzungen. Deswegen ist auch die Auseinandersetzung so schwierig. Deswegen ist es so entsetzlich leicht, eine geistvoll klingende Negation aneinanderzureihen und in Wirklichkeit keine einzige positive Idee einer Alternative zu unseren Vorstellungen zu entwickeln.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aber, meine Damen und Herren, weil diese Außenpolitik im Grunde genommen deswegen so schwer ist, weil sie nicht mit mathematischen Berechnungen arbeiten kann, gerade deswegen setzt sie ein besonderes Maß an Verantwortung voraus. Ich weiß nicht. ob diese damit gegeben ist. daß man sich zu einzelnen Vorgängen und Vorsätzen mit formalen oder juristischen Einwänden begnügt.
Ich greife als Beispiel die Frage der Souveränität heraus. Herr Kollege Gerstenmaier hat schon auf die Fragwürdigkeit dieses Begriffs hingewiesen. Herr Kollege Dr. Schmid hat ihm da in gewisser Weise zugestimmt. Ich will mich auf dieses Gebiet der Relativität aller Souveränitätsvorstellungen jetzt nicht begeben, sondern ich will nur fragen: Ja, ist denn das eine verwerfliche Beschränkung der Souveränität, wenn in einem System kollektiver Sicherheit alle Beteiligten zugunsten dieses gemeinsamen Zweckes Souveränitätsverzichte auf sich nehmen und der eigene Staat auch solche Verzichte auf sich nimmt? Diese Souveränitätsverzichte sind doch wechselseitig!

(Abg. Kunze: Sehr richtig!)

Daß je nach der Art der exponierten Lage unter Umständen die militärischen Bedingtheiten und die Voraussetzungen des Funktionierens des Sicherheitssystems verschiedenartig gestuft und geregelt werden müssen, ergibt sich nicht aus Rangunterschieden der Souveränitätshöhe, sondern aus den praktischen Notwendigkeiten einer folgerichtigen Anwendung des Sicherheitssystems. Daran wird aber wieder in dieser Polemik überhaupt nicht gedacht,

(Abg. Kunze: Das verschweigt man!)

und es wird nun gesagt: In Wirklichkeit ist, weil in einem bestimmten Stadium durch die Notstandsklausel die Möglichkeit des Eingreifens gegeben ist, um die innere Sicherheit herzustellen, eine Souveränität fragwürdig.
Stellen Sie sich doch bitte die praktische Seite der Dinge vor. Da sind Truppen, da sind Menschen, die die Sicherheit dieses Gebietes aufrechterhalten sollen. Es wird dann in ihrem Rücken oder in diesem Staatsgebiet eine Unruhe angezettelt. Sollen sie dann erst ein kompliziertes System von allen möglichen Abstimmungen — oder was weiß ich — zur Durchführung bringen? Eine bessere Form, sich subversiven Kräften ausliefern zu wollen, könnte ich mir nicht vorstellen. Es ist heute nicht zitiert worden, aber es ging neulich einmal durch die Zeitungen, daß man sagte: Der ist ja der eigentliche Souverän, der den Belagerungszustand auslösen kann. Das ist genau so, als wenn Sie sagen würden, die Feuerwehr ist der eigentliche Hauseigentümer, weil sie bei einem Brand das Recht hat, das Haus zu betreten und eventuell sogar zu Löschzwecken eine Wand einzureißen.

(Sehr gut! und Beifall hei der FDP.)

Nein, wir müssen hier, glaube ich, die Dinge auf ihr richtiges Maß zurückführen.
Die Frage, um die es hier bei uns geht, ist in diesem System eine Steigerung unserer Sicherheit. Für die Anwendung der Notstandsklausel besteht zudem auch eine Möglichkeit einer Besserung der Eigenständigkeit. Diese Möglichkeit besteht in dem Maße. in dem wir selbst, in dem diese Bundesrepublik eigene Mittel und Kräfte gewinnt, bei ihr selbst die innere Ordnung mit stärkeren Garantien auszustatten. Das haben wir selbst in der Hand. Insofern besteht also die Möglichkeit, den Anwendungsumfang der Notstandsklausel sehr weitgehend selbst weiter zu bilden.
Hier ist über die Frage der deutschen Wiedervereinigung gesprochen worden in einer Weise, als sei dies Vertragswerk ein Hindernis solcher Wiedervereinigung. Einer meiner Fraktionskollegen wird im Laufe der Debatte sich ganz besonders dieser Frage zuwenden. Ich will nur soviel


(Dr. Schäfer)

dazu sagen: Ich habe in den Ausführungen des Vorredners auch wieder nach Lösungsvorschlägen gesucht. Sie sind dann gekommen mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer Viermächtekonferenz. Es ist dabei sehr kräftig, ja sehr markig gesagt worden, dort müßten die Ost- und Westmächte klipp und klar erklären, was sie nun hinsichtlich der gesamtdeutschen Entwicklung zu tun beabsichtigten. Einverstanden! Aber, meine Damen und Herren, wenn die Dinge so einfach wären! Leider ist die gesamtdeutsche Frage, das Anliegen der deutschen Wiedervereinigung über den Rahmen ihres eigenen — wie soll ich sagen? — geographischen Raumes hinausgewachsen und hineingestellt in die weltpolitischen Zusammenhänge. Sie ist nicht isoliert zu behandeln. Wegen dieser Frage allein werden Sie ein derartiges Gespräch daher nicht haben. Sondern Sie werden es dann mit einer Fülle von verwickelten Problemen der Weltpolitik zu tun bekommen. Ich widerspreche nicht dem Wunsch nach solchen Gesprächen. Aber ich möchte davor warnen, weil man gar nichts Besseres zu sagen vermag, allein in solchen Gesprächen, in einer solchen Viermächtekonferenz, die doch im System von Panmunjon, oder was weiß ich, bis in alle Ewigkeit ausgedehnt werden könnte, die bessere Patentlösung für die gesamtdeutsche Wiedervereinigung zu sehen. Meinen Freunden und mir scheint es jedenfalls unbefriedigend, der Lösung, die in diesen Verträgen mit dem Versuch angestrebt wird, eine Eingliederung Deutschlands in eine große weltpolitische Kräftegruppierung zu bewirken, allein die Forderung nach einer Viermächtekonferenz entgegenzustellen.
In dieser Eingliederung, in dieser Eingruppierung liegt für uns das bewegende Element. Das
hat nichts zu tun mit aggressiven Absichten, sondern es geht um die Möglichkeit der Wandlung. Im Außenpolitischen haben Sie nie absolute Gewißheiten, sondern in solchen verwickelten Zusammenhängen immer größere oder geringere Wahrscheinlichkeiten. Es geht uns um die Erwartung, diese erstarrten Fronten, diese erstarrten Beziehungen, diese verkrampfte Welt des kalten Krieges erneut und zugleich unter unserer Beteiligung in Bewegung zu bringen. Ich halte es dabei als Gegenleistung für einen Fortschritt, daß nicht in den vagen Formen der Noten aus der Washingtoner Konferenz, sondern in echten vertraglichen Bindungen die Beteiligung des Westens an der Wiederbefreiung der besetzten, der unerlösten deutschen Gebiete klar und bestimmt zum Ausdruck gekommen ist.

(Abg. Kunze: Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren, es ist von den verschiedensten Unzulänglichkeiten gesprochen worden. Der Herr Bundeskanzler hat heute morgen gesagt, auch er hätte in vielen Dingen eine andere Fassung gewünscht. Ich gehe noch weiter: ich würde nicht nur eine andere Fassung, sondern in vielen Dingen einen anderen Inhalt vorgezogen haben; und ich stehe nicht an zu sagen, daß manches oder sogar vieles von dem, was hier in den Verträgen geregelt ist, in sehr bedenklicher Weise Restbestände von Gedankengängen und Denkweisen widerspiegelt, die im Grunde genommen in Vorstellungen des hinter uns liegenden Krieges ihre Wurzel haben.

(Sehr richtig! rechts.)

Aber ist es nicht seltsam, was sich hier überhaupt
vollzieht? Es werden viele historische Analogien
versucht. Ich muß Ihnen sagen: ich sehe eigentlich keine für den einzigartigen Vorgang, der sich innerhalb der zur Erörterung stehenden außenpolitischen Entscheidungen des Bundestages abspielt. Da wird im Grunde genommen dreierlei zugleich gemacht. Da entsteht zunächst aus einem besetzten Gebiet, aus einem Besatzungszustand eine eigenständige staatliche Existenz. Da wird zum zweiten so etwas geschaffen wie eine Abwicklung des Kriegszustandes in den neugeordneten Beziehungen mit den bisherigen Besatzungsmächten, also so etwas wie ein Vorfriedensvertrag gemacht. Als drittes kommt dann ein Allianzverhältnis dazu, aber auch noch nicht einmal ein Allianzverhältnis in dem früheren Sinne einer Koalition, die einfach nationale Armeen addiert, sondern ein Allianzverhältnis, das mit einer Art von Fusion der Staaten, wenigstens mit einer Verschmelzung von Souveränitätsteilen dieser Staaten verbunden ist. Diese drei Stufen der Entwicklung sind nun in das eine Vertragswerk hineingepackt.
Dieser ungewöhnliche Akt vollzieht sich in einer Welt voller Vorurteile und unter Beteiligung von mindestens sechs Parlamenten, sechs Regierungen und sechs öffentlichen Meinungen, vor allen Dingen, wie ich eben sagte, von sechs Parlamenten, die die in repräsentativen Demokratien übliche Aufteilung in Regierungs- und Oppositionsparteien haben. Hier übrigens zeigt sich eine Gefahr wie bei allen Integrationsbemühungen in der letzten Zeit: Diese Wechselwirkungen in den Parlamenten nach Regierungs- und Oppositionsparteien erschweren den Integrationsvorgang allenthalben. Früher war es so: wenn Staaten sich verbanden, in eine Form gebracht wurden, dann geschah das durch irgendeinen Gewaltakt, durch Annexion, oder was weiß ich. Hier sollen Staaten aus demokratischer, aus freier Entscheidung zusammenwachsen. Also sie sollen sich gemeinsame supranationale Institutionen schaffen; und nun steht dieser Vorgang immer unter dem Gesetz von Regierung und Opposition. Das Ergebnis ist, daß die Integrationsbemühungen der Regierungen oft dadurch behindert und gestört werden, daß die Oppositionsparteien die alten nationalstaatlichen Instinkte weiter umschmeicheln und so das Zusammenwachsen der Völker erschweren.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Da wird dann eine politische Erörterung zugespitzt nicht unter dem Gesichtspunkt: wie erreichen wir ein Höchstmaß an für alle gleich wirksamer und erfolgreicher Gemeinsamkeit?. sondern es wird nach dem Gesichtspunkt gehandelt: wie hole ich mir bei einem Konsortialgeschäft für mich selber möglichst viel heraus? Das ist noch nie ein Verfahren gewesen. ein erfolgreiches Konsortialgeschäft zu machen.

(Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)

Das ist aber der Denkfehler, der sich auch hier in unserem Hause immer wieder sehr verhängnisvoll zeigt. Die parlamentarische Demokratie der freien Völker des Westens darf sich nicht als langsam und lahm erweisen vor der Notwendigkeit, die Integrationsprozesse, zu denen unser Zeitalter drängt, möglichst rasch und schnell und entschlossen zu erledigen.

(Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

Wie gesagt, es ist sehr leicht für denjenigen, der Einwendungen aussprechen will, in diesen Verträgen manche Steckenpferde einer einst blühen-


(Dr. Schäfer)

den Besatzungspädagogik zu finden. Es ist nun einmal so, daß manche Pflänzchen — wenn Sie wollen, Unkräuter — leider noch weiter wuchern, auch da, wo man auf dem besten Wege ist, ein fruchtbares Gelände aus einem Brachland zu machen. Ich gebe zu, sie sind vorhanden. Aber da gibt es auch wieder eine sehr einfache Fragestellung für uns: wenn ich aus dem Zustand, sagen wir einmal, mit der Note fünf hineinwachsen kann in einen Zustand der Note drei bis zwei und nicht auf Anhieb die Note eins erreichen kann, soll ich dann lieber auf der Nummer fünf bleiben und auf die zwei bis drei verzichten?

(Sehr gut! und Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Kunze: Sitzenbleiben!) Das ist die furchtbar einfache Frage, die hier zu stellen und zu entscheiden ist.


(Abg. Mellies: „Furchtbar einfach"!)

— Ja, furchtbar einfach, Herr Mellies. Es ist nämlich manchmal notwendig, dort, wo versucht wird, durch Kompliziertmachen von Geschehnissen und Ereignissen die Klarheit der Entscheidung zu vernebeln, durch den Nebel durchzustoßen und auf die einfachen Grundtatsachen hinzuweisen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.) Ich will nicht weiter auf diese Dinge eingehen.

Wenn wir den Unterschied in der deutschen Außenpolitik zwischen Utopie und Realität erkennen wollen, dann bietet dazu auch Anlaß ein Ereignis, das sich vorgestern in Berlin abspielte, wo man einen meiner politischen Freunde einfach so von der Straße weg geraubt und irgendwohin gekidnapt hat. Das sind Tatbestände, Unterscheidungsmerkmale zwischen zwei Welten, die ein solches Ereignis symptomatisch verdeutlicht.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Sehen Sie, angesichts solcher Deutlichkeiten wird uns in der Frage: „dreieinhalb oder eins?" die Entscheidung nicht erschwert. Eine positive Entscheidung zu den unterzeichneten Verträgen wird durch ein solches Vorkommnis nur erleichtert.
Im übrigen sehen wir auch als ein sehr positives Element des Vertragswerkes die europäischen Chancen an, die gerade in dem EVG-Vertrag unserer Meinung nach verstärkt erscheinen. Denn hier wird mehr, als das in den Institutionen von Straßburg der Fall ist, an einem sehr entscheidenden konkreten Beispiel ein Element supranationaler Willensbildung und supranationaler Ordnung geschaffen und bewirkt. Uns scheint das wesentlich. Wir haben vorhin von meinem verehrten Herrn Vorredner gehört, daß das alles geringfügig sei; das sei das Klein-Europa, unendlich weit entfernt von der großen europäischen Einheit, nach der wir streben wollten und von der wir träumten.

(Abg. Wehner: Und mit sehr kontingentierter Demokratie!)

— Ich komme gleich darauf! —

(Abg Kunze: Es lohnt sich aber nicht!)

Nun, meine Damen und Herren, ich will Ihnen auch da wieder einmal ein unabänderliches Lebensgesetz nennen. Es besteht nämlich darin, daß, wer groß werden will oder was groß werden soll, klein anfangen muß. Das gilt auch für die politische Verknüpfung in Europa. Dieses Lebensgesetz scheint mir im Vertragswerk vertreten. Oder wollen Sie sagen: Weil ich nicht sofort das ganze Große bekommen habe, bekommen kann, verzichte ich auf den kleinen Anfang? Schön, wenn Sie das wollen, dann müssen Sie sich auch darüber klar sein, daß
Sie mit solchem Perfektionismus auf das Ganze und das Endgültige verzichten. Es gibt keine Vollkommenheit, die ohne einen Reifeprozeß entstehen könnte. Das Fertige ist niemals da wie bei einem Zauberer, der nur die Hand ausstreckt, um Armeen auf der flachen Hand zu entwickeln.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

So glauben wir an die Wirksamkeit der Entwicklungsgesetze. Wir werden uns durch den Einwand, daß das Anfänge, daß das unzulängliche Anfänge sind, nie abhalten lassen, die Anfänge zu bejahen und zu beschreiten. Wir betreiben eine positive Politik und nicht die Negation, die sich damit rechtfertigt, daß sie auf die Unzulänglicheit der Anfänge hinweist.
Es ist eben ein Zuruf gemacht worden von der Beschränkung der Souveränitäten. Herr Kollege, in dieser Beschränkung der Souveränitäten sehe ich allerdings die einzige Möglichkeit, supranationale Wirklichkeit wachsen zu lassen.

(Sehr richtig! bei der FDP.)

Ich sehe in diesen Verträgen keineswegs, daß ausschließlich Deutschland Souveränitätsverzichte auferlegt sind, sondern ich sehe, daß sie auch den anderen beteiligten Völkern auferlegt werden. Wenn ich mich in die Seele manches anderen Volks versetze — nach bestimmten Geschehnissen und Erlebnissen der jüngsten Zeit, auch im Hinblick auf Traditionen, die bestimmte Einrichtungen des Staates und des Landes zu Elementen des nationalen Stolzes und Selbstgefühls werden ließen — und wenn ich sehe, daß sie manche schon vorhandenen Einrichtungen, die uns als Bestandteil in dem neuen Gemeinsamen noch zuwachsen, genau so einbringen müssen, dann weiß ich nicht, ob der für alle wirksame Souveränitätsverzicht manchmal nicht für uns sogar leichter ist als für die anderen Partner dieses Vertragswerkes.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich glaube — ich weiß, es wird mir dieser Satz mißdeutet werden —, wir werden den Mut haben müssen, auch einmal von der Seelenlage und dem psychologischen Innenverhältnis unserer Partner bei diesem Vertragswerk zu sprechen und davon auszugehen.

(Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

Dann ist hier weiter ein weniges von der Neutralität gesagt worden; d. h. man hat sie nicht direkt genannt. Man hat aber die Möglichkeit einer deutschen Verstärkung der Verteidigung, die beabsichtigte Erhöhung des Risikos für den Angreifer beiseite geschoben mit formalen Einwänden, mit Bezweiflungen der guten Absichten des einen oder des andern, mit der Fragwürdigkeit der materiellen Möglichkeiten. Auch darauf will ich ein kurzes Wort erwidern. Diese Neutralität ist doch nur eine Selbsttäuschung. Denken wir doch einmal zurück! Der Herr Bundeskanzler hat es heute morgen angedeutet, und ich glaube, man muß es noch einmal ein bißchen verdeutlichen. Warum kam denn dieser zweite Weltkrieg zustande? Weil die freiheitlichen Völker die rechtzeitige Vorbereitung von Gegenmitteln versäumt hatten. So konnte der tyrannische Eroberer zunächst glauben, er könne risikolos seinem Gewaltstreben nachgehen.

(Abg. Dr. von Brentano: Richtig! — Abg. Mellies: Es kommt auch noch einiges andere hinzu!)

Wer also in der Enthaltsamkeit von Verteidigungsmitteln eine außenpolitische Lösung andeutet, ach,


(Dr. Schäfer)

der findet leicht den Beifall all der Bequemen. Sicherlich ist es mühsam, was da verlangt wird; es ist teuer, was da zu erwarten ist. Dieser Appell an die leichten Auswege findet immer Widerhall bei allen, die die unbequeme Wirklichkeit nicht auf sich selbst beziehen wollen. Aber er bewirkt die Minderung des Wagnisses für den tyrannischen Machtstreber. Insofern fördert er mittelbar dessen Chancen. Hier handelt es sich einfach um die Verteilung der Chancen. Das muß man bei diesem ganzen Vertragswerk sehen.
Es gibt noch viele Fragen. Eine will ich noch aufwerfen. Ich bitte, sich die Konsequenz der Ablehnung einmal klarzumachen. Der Herr Bundeskanzler hat bereits heute morgen davon gesprochen. Es bleibt dann bei dem gegenwärtigen Zustand mit seiner Beengtheit. Es bleibt bei Handelsbeschränkungen. Es bleibt bei Wirtschaftseingriffen. Es bleibt bei jenem „herrlichen" Sicherheitsamt, und es bleibt bei allen möglichen Beengungen von Handel und Wandel, von Ausfuhr und Einfuhr. Die Beharrung beim gegenwärtigen Zustand hätte doch nur Sinn, wenn andere Maßnahmen, die auch bleiben, einen Nutzen darstellen könnten. Man könnte für die Erhaltung des gegenwärtigen Zustandes doch nur eintreten, wenn man neben einigen Nachteilen auch einige Vorteile sähe. Leider ist dafür eine solche Beweisführung auch nicht gegeben worden. Wenn mir also die Frage gestellt wird, ob denn ein Nein eine bessere Situation bringt, so muß ich sie verneinen. Ich komme deswegen immer wieder zu dem Schluß: lieber die Stufe 31/2 als 5, auch wenn ich die 1 noch nicht erreichen kann.
Im Zusammenhang mit Betrachtungen über die
Möglichkeit von Vierer-Konferenzen sind auch Vorstellungen angeklungen, als ob sich eine andere Lösung ergeben könnte durch einen ähnlichen Status, wie wir ihn bei Österreich haben, oder in der Form eines Zustandes, wie wir ihn etwa unter einer Viermächte-Kontrolle hatten. Meine Damen und Herren, eine solche Einheit Deutschlands ist doch keine Einheit in Freiheit. Eine solche Einheit — ich darf Sie da auch einmal auf die wirtschaftliche Seite der Sache hinweisen — würde uns ja. gar nicht in die Lage versetzen, die Einheit zu realisieren.

(Abg. Dr. von Brentano: Richtig!)

In dem Augenblick, in dem der „Eiserne Vorhang" aufgeht, entsteht doch eine ungeheure Fülle von wirtschaftlichen Verpflichtungen, um diese große neue Kolonisationsaufgabe unseres Volkes zu verwirklichen,

(Abg. Wehner: Hört! Hört! „Kolonialaufgabe", das ist ja toll!)

aus einem verödeten, zerstörten und ausgepowerten Gebiet wieder einen fruchtbaren deutschen Lebensbereich zu machen.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Das wird gewaltige Anstrengungen und gewaltige Belastungen für uns bedeuten. Wir wollen sie auf uns nehmen, meine Damen und Herren, aber wir wollen uns dabei darüber klar sein, daß wir dazu die Hilfe derer brauchen, die bereit sind, auch in dieser Hinsicht nicht nur ein theoretisch, sondern in seiner ganzen wirtschaftlichen Struktur faktisch freies Deutschland aus diesen jetzt verödeten Gebieten zu machen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, wir haben also hier zu entscheiden, ob wir uns einfach bei der Aufzählung all der Unzulänglichkeiten verlieren wollen, die in dem Vertrag enthalten sind, oder ob wir von der Einsicht ausgehen wollen, daß ein Vertragswerk, das unter den parlamentarisch-politischen Verhältnissen in den beteiligten Völkern, wie wir sie vorauszusetzen haben, aus einer Fülle von Kräften und Gegenkräften heraus entwickelt werden mußte, immer ein Kompromiß bleiben muß, bei dem für den einen oder den andern unerfreuliche Dinge unvermeidlich sind. Ich bin auch bereit zu sagen, daß, wenn nicht sogleich die Gipfelstufe erreicht werden kann, das für die weitere Entwicklung Nächstliegende getan werden sollte, damit die Chance wächst, einst einen höheren Vollkommenheitsgrad unserer zwischenstaatlichen Beziehungen zu erreichen. Ich bin mir absolut. klar darüber, meine Damen und Herren, daß der Weg, den wir zu gehen bereit sind, nicht der bequemere, sondern der mühevollere Weg ist.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

— Der mühevollere, jawohl, aber es ist ein Weg, dem gegenüber ein anderer überhaupt gangbarer Weg bisher nie gezeigt worden ist,

(Zustimmung bei den Regierungsparteien) und ich lasse mich nicht davon abbringen.

Wenn draußen Besserwisser sich so gebärden, sich so anstellen, als ob sie einen überlegenen Weg wüßten, und ich kriege hier nichts anderes zu hören als eine schier endlose Aneinanderreihung von sehr klangvoll formulierten Gemeinplätzen,

(Beifall bei den Regierungsparteien) gemischt mit allen möglichen Zettelkastenexzerpten, dann, meine Damen und Herren, kann mich doch damit niemand von einer positiven Entscheidung abbringen. Ich glaube deswegen, im Namen meiner politischen Freunde sagen zu können, daß wir in aufgeschlossener Bereitschaft


(Abg. Wehner: Sehr aufgeschlossen!)

in den Ausschüssen bei der Vorberatung der Ratifikation mitarbeiten werden. In diesen Verträgen sehen wir jedenfalls einen weiteren Schritt auf dem Wege der Außenpolitik, zu der wir ans bekannt und für die wir uns bereits in jenen Tagen entschieden haben, als wir hier zu den ersten Regungen unseres neuen Staatslebens zusammengekommen sind.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0122103100
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz von der Fraktion der Deutschen Partei.

Dr. Hans-Joachim von Merkatz (CDU):
Rede ID: ID0122103200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die mir zur Verfügung stehende knappe Redezeit nicht damit vergeuden, daß ich ein Streitgespräch mit der Opposition beginne. Aber mir ist eines aufgefallen, was ich für so wesentlich halte, daß ich es an den Anfang stellen möchte. Ich weiß' nicht, ob es die richtige Lösung ist, so wie es aus den Worten von Herrn Professor Carlo Schmid hervorstach, daß man hier gegenüber dem Westen eine starke, fast von deutschnationaler Eitelkeit getragene Haltung eingenommen hat, während man sich anscheinend den Russen gegenüber recht entgegenkommend beweisen will.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Neumann: Das müssen ausgerechnet Sie feststellen!)



(Dr. von Merkatz)

Ich glaube nicht, daß es in dieser Stunde, in der sich das deutsche Volk Sorgen über die Tragweite des Ja oder des Nein macht, gut ist, eine Politik des Absentismus zu vertreten, wie das von der Opposition geschehen ist.

(Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)

Denn in Wahrheit ist der Vorschlag, man solle die Chancen für ein Vierergespräch schaffen, ja doch nichts anderes, als daß man die Chancen für die Sowjet-Union schaffen soll, damit dieses Vierergespräch ihr lukrativ erscheint. Ich glaube nicht, daß in dieser Situation den Sorgen des deutschen Volkes gedient wird, wenn man von solcher Ausgangsposition die Debatte über diese schicksalsschwere Frage unseres Landes einleitet.
Ja oder nein? Es hat sich eine Mode breitgemacht: Man bemüht sich, in die Abgründe des Ja zu starren. Die Abgründe des Nein werden übergangen, werden verschwiegen oder werden in einen Nebel gehüllt, damit man um so sicherer in den Abgrund des Nein hinunterstürzen möge. Eines sollte doch wirklich klar und einfach für uns erkennbar sein: Die deutsche Situation, die europäische Situation ist gefährlich. Der Ausgang des Krieges hat eine solche Konstellation der Staaten, eine solche Zerstörung der Ordnung mit sich gebracht, daß die Wiederherstellung einer echten, einer soliden Friedensordnung unerhört schwer wird und daß wir, die wir durch den Zusammenbruch Mitteleuropas gespalten sind, uns in großer Gefahr befinden. Dann soll man glauben, in einer so gefährlichen Situation ohne Bundesgenossen auskommen zu können?
Es geht hier um viel mehr als nur um das Erfechten dieser oder jener Einzelheit. Es geht tatsächlich um das Überleben des deutschen Volkes, darum, die letzte Chance zu gewinnen, die uns die Vernichtung in einer dritten Katastrophe erspart. Bundesgenossen in dieser Zeit, das bedeutet sehr viel. Wir sind uns der Sorgen voll bewußt, die man sich im Volke macht. Man besorgt einen heißen Krieg; man fühlt sich nicht genügend geschützt. Auch die Tatsache, daß Deutschland bisher ein Objekt gewesen ist, ein Glacis, etwas, mit dem die anderen nach eigenem Gutdünken verfuhren, auch das ist eine Grundlage für jene Besorgnis, die unser Volk durchwühlt.
Aber auch das andere muß ich erwähnen. Es wird Mißtrauen in jede Art von Partnerschaft gesetzt, gewiß! Aber hält man es dann für nützlich, alle Faktoren des Mißtrauens zu unterstreichen und aufzublähen? Ist es nicht die Aufgabe aller Politik, letzthin aus einer fast aussichtslosen Lage des traditionellen Mißtrauens einen Weg zu finden zum Vertrauen und damit die geistigen. die sozialen Fundamente für eine künftige Zusammenarbeit zu schaffen, echte Bündnisse zu schaffen? Oder soll man ständig in einer Position und einer Zeit verharren. deren Mißerfolg und Irrweg, deren Schrecken im letzten Ergebnis ia doch offensichtlich geworden sind? Haben wir denn alle, alle Völker in Europa, nicht nur wir Deutschen, noch nicht genug gelernt aus den zwei Weltkriegen. ihren Voraussetzungen und ihrem Ausgang? Hat man denn nicht gelernt, daß jenes cauchemar des coalitions, von dem Bismarck gesprochen hat, daß die fehlenden Bündnisbindungen unser Land in das Verderben getrieben haben? Und sollte man nicht alle Energie daran wenden, nun die Grundlage für echte Partnerschaften und Bündnisse zu bilden, um sie zu kämpfen, sie in aktiver Außenpolitik zu erringen?
Gewiß erfüllt uns alle die Sorge um die Spaltung unseres Landes. Aber das deutsche Volk ist sich doch wohl auch bewußt, daß, wenn auch nur ein Funken echter Veständigungsbereitschaft auf seiten der expansiven sowjetischen Macht vorhanden gewesen wäre, wir in diesen Zustand der Spaltung Deutschlands doch nicht hineingeraten wären. Denn nicht w i r haben Deutschland gespalten, auch die Westmächte haben Deutschland nicht gespalten, sondern gespalten hat Deutschland der Ostblock.

(Sehr richtig! rechts.)

Das ist eine Tatsache, vor der man nicht ausweichen kann, auf die man, so trostlos sie ist, eine deutsche Außenpolitik einstellen muß und nach der man sich richten muß, um diesen unsere Nation letzthin vernichtenden Zustand zu überwinden. Denn darüber sind wir uns klar: eine gespaltene deutsche Nation ist gar keine deutsche Nation mehr. Wenn wir nun durch die Gnade des Schicksals noch einmal die Möglichkeit haben, von einem freien deutschen Kerngebiet aus praktisch darum zu ringen — nicht in einer Politik der Nachgiebigkeit gegenüber dem Ostblock, sondern in einer Politik aktiver Bündnispartnerschaft —, daß die Einheit der Nation wieder ersteht, dann sollte doch jeder Deutsche Herz und Mut zusammennehmen, um diese letzte, allerletzte Chance des Überlebens unserer Nation zu nutzen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich komme nun zu der weiteren Besorgnis, zu der Frage der Gleichberechtigung. Meine Damen und Herren, Gleichberechtigung wird einem nicht geschenkt; die erwirbt man sich, weil man die Kraft dazu hat. Gleichberechtigung ist keine juristische Angelegenheit, sondern eine Frage der Selbstachtung unseres Volkes; und ich hasse diese Worte, daß der Westen ja nur „Hiwis" brauche. Ein Volk, das sich seine eigene Leistung und sein Anerbieten im Sinne einer konstruktiven Politik der Zukunft mit den Ausdrücken und Begriffen seiner Niederlage diffamieren läßt, kann niemals — niemals! — zu dem Selbstbewußtsein und zu der Stärke, zu diesem echten patriotischen Gefühl zurückfinden, mit denen Völker, die geschlagen worden sind, überleben.
Meine Damen und Herren, es ist in der letzten Zeit auch sehr viel Strategie getrieben worden. Es ist vom Kriege gesprochen worden. Es ist einmal definiert worden, der Krieg sei die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Ich möchte für das zwanzigste Jahrhundert eine andere Definition ceben: Der Krieg ist die Katastrophe einer jeden Politik!

(Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)

Infolgedessen ist das, was wir hier als Außenpolitik vertreten, im innersten Impuls durchdrungen von dem Ziel, den Krieg zu verhindern. Denn nur wenn dieser Krieg verhindert wird. kann unser deutsches Volk überleben. Diese innere Moralität, mit der wir an die Fragen der außenpolitischen Verpflichtung — wir hier in einem Teilbereich unserer Nation. der aber noch in Freiheit handeln kann. der das Kernstück des Ganzen ist — herantreten, diese Verpflichtung, den Krieg zu verhindern — das ist das Wesentliche und überhaupt der Grundgedanke der ganzen außenpolitischen Konzeption.
Ich glaube, wer sich ganz bewußt geworden ist, was der Ausgang des zweiten Weltkrieges für unsere Nation bedeutet, wird sehr viel be-


(Dr. von Merkatz)

scheidener sein in der Bewertung der realen Möglichkeiten, die erreichbar sind. Ich glaube, es ist keine Überheblichkeit, zu sagen, daß der Weg der deutschen Außenpolitik seit 1949 überraschend viel — eigentlich mehr, als man sich bei den besten Erwartungen versprechen konnte — gebracht hat.

(Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Versetzen wir uns doch einmal zurück in jene Zeit, da wir zu Beginn des Bundestages die erste außenpolitische Debatte hatten. Wenn wir damals uns heute an diesem Platz erlebt hätten mit dem, was jetzt geschaffen worden ist, wir hätten diesem Traum nicht geglaubt!

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Worum ging es denn damals noch? Ich möchte nicht alles wiederholen, was der Herr Bundeskanzler gesagt hat. Aber allein die Überwindung der uns auferlegten Demontage bedeutet ja doch einen sehr weiten Weg in einer Frage, die tief in die Substanz unseres Volks- und Soziallebens eingriff.
Gestatten Sie mir, doch einiges über die Grundkonzeption zu sagen, über das, was man als deutsche Lage ansehen kann, und darüber, wie die deutsche Lage im Zusammenhang mit der Weltlage zu betrachten ist. Ich sagte bereits einleitend, daß als Ergebnis des Ausgangs des zweiten Weltkrieges festgestellt werden müsse, daß die sogenannten Zentralmächte, wie man sie noch im ersten Weltkrieg nannte — Deutschland, Österreich usw. — untergegangen sind und daß damit der Kern und das Herzstück Europas vernichtet worden ist. Rußland ist heute die Zentralmacht geworden. Es ist ein altes Gesetz der Politik, daß um diese Zentralmächte herum — Zentralmächte, die in der Regel eine expansive Kraft haben — sich die Ringmächte bilden. Das ist ein Vorgang fast wie in der Biologie. Deswegen glaube ich, daß bei einer distanzierten Sicht das, was mit unserem Lande geschieht, und die Bildung des Ringes, die Bildung der Bündnissysteme eine Entwicklungslinie ist, die sozusagen unvermeidlich ist, um überhaupt ein Mittel zu finden, die Expansion der Zentralmacht einzudämmen.
Nun hat die Bildung des Ringes um die Zentralmacht zweimal in Europa zur allerschwersten Katastrophe geführt. Für uns, die wir ja gewissermaßen an der äußersten Kante des Ringes liegen
unentschieden, wohin das deutsche Volk geworfen wird —, ist die große Aufgabe, unbedingt aus der Stellung eines Objekts herauszukommen und in die Stellung eines Subjekts einzugehen; denn wir sind diejenigen, die das größte Risiko zu tragen haben. Der Kampf um diese Stellung, um die Mitwirkung, das Mithandein, das Mit-amTisch-der-Nationen-Sitzen, das ist der schwierige Weg der deutschen Außenpolitik, um Gefahren abzuwenden, um unsere Stimme mit in die Waagschale zu werfen, wenn Sturm aufkommt, wenn dramatische Situationen kommen. Es wird für uns außerordentlich wichtig sein, durch die Art unserer außenpolitischen Handlung alles Dramatisieren zu vermeiden, wenn die echte kritische Situation entsteht. Aber wir können doch auch nicht vor der kritischen Situation einfach den Kopf in den Sand stecken und so tun, als ob sie tatsächlich nicht vorhanden wäre, als ob wir neutral sein könnten, als ob man unseren Willen, nicht in den Weltkonflikt einbezogen zu sein, nur weil wir es wünschten und wollten, respektieren würde.
Es ist hier von der Tribüne schon so oft über die Unmöglichkeit der Neutralität und der Neutralisierung und ihre bösen Folgen gesprochen worden, so daß ich mich hier nicht wiederholen möchte. Allerdings hat Herr Professor Carlo Schmid heute eine besondere und neue Definition der Neutralität gegeben, indem er sagt: dieser dritte Weg, das sei die Möglichkeit für Deutschland, überhaupt eine Politik, eine eigenständige Außenpolitik zu führen, und wir dürften unsere Außenpolitik unter keinen Umständen fremdem Willen unterwerfen. Ich muß sagen, daß ich mit dieser Formel nicht viel anzufangen weiß. Denn was besagt sie wirklich? Von Neutralität ist damit kein Wort gesagt; sie besagt doch letzthin eigentlich das, was die Regierung nun seit zweieinhalb, seit drei Jahren tut: nämlich aus dem Zustand der vollkommenen Ohnmacht, aus dem Zustand des Objekts heraus- und allmählich in den Zustand des Subjekts hineinzukommen, eben den deutschen Willen nicht abhängig zu machen, ihn nicht zum Spielball worden zu lassen.
Aber, meine Damen und Herren, was heißt diese Eigenliebe der sogenannten selbständigen Politik, was bedeutet diese „selbständige Politik", diese Illusion einer selbständigen Politik zwischen den beiden Machtblöcken, dem Machtblock des Ostens und dem Machtblock des Westens? Machen wir uns doch nichts vor! Man soll sich doch einmal die Geschichte von Neutralen in Europa in den beiden letzten Weltkriegen ansehen: selbst Mächte, die auf gewisse Bündnismöglichkeiten nach dem Westen hin rechnen konnten, haben tatsächlich und praktisch — in sehr viel günstigerer Lage — ihre Neutralität nicht voll aufrechtzuerhalten vermocht. Was sollte hier aus diesem Deutschland werden, wenn es — ich möchte fast sagen — die Anmaßung der Neutralitätspolitik betreiben wollte. Sie ist eine Anmaßung in dem gegenwärtigen Zeitpunkt, und durch eine Neutralisierungspolitik würde dieses Deutschland ein Hexentanzplatz aller Welt.

(Sehr richtig! rechts.)

Diese Vorstellungen sind doch entweder Wunschträume, Illusionen, sich nach Möglichkeit aus dem Weltkonflikt herauszudrücken, oder es sind verschleierte Anerbieten an den Ostblock,

(Zustimmung bei der DP)

von dem man vielleicht in mancherlei Beziehungen
auch eine Position sozialpolitischer Art erwartet,

(Lebhafte Zustimmung rechts)

die reichlich bedenklich ist.
Meine Damen und Herren. wenn die Wahl gestellt ist zwischen den Satelliten des Ostens und einer Politik der Partnerschaft, der Zusammenarbeit — gewiß auch der Abhängigkeiten, machen wir uns nichts vor: schwache Mächte sind von Großmächten und Weltmächten in der Regel abhängig; das ist so in der Welt —, aber wenn die Wahl gestellt wird zwischen den Satelliten einer Mächtegruppe, die die gesamten Grundwerte unserer abendländischen Existenz verneint, und einer Mächtegruppe, die diese Grundwerte letzthin zum Maßstab ihres staatlichen und politischen Seins macht, dann, glaube ich, sollte doch die Wahl nicht allzuschwer fallen, sich den gesamten Versuchungen einer Überwältigung von drüben zu widersetzen.
Es ist heute morgen in der Regierungserklärung sehr eindringlich klargelegt worden, wie die Entwicklung seit 1945 gelaufen ist. Ich kann es mir ersparen, noch darauf einzugehen. Aber eines muß


(Dr. von Merkatz)

unterstrichen werden, was gerade für unsere Gruppe bei der sehr nüchternen Bewertung der Vertragswerke von großer Bedeutung ist, und das ist folgendes. Zum ersten Male in der neueren deutschen Geschichte findet sich die Möglichkeit eines angelsächsischen Bündnisses. Wenn wir uns daran erinnern, wie die vergangenen Generationen, die vergangene deutsche Außenpolitik — Bismarcks und der späteren Zeit — um die Frage des Bündnisses mit der angelsächsischen Welt gerungen haben, wenn wir uns das vergegenwärtigen, dann sollten wir die Entwicklungslinie, die sich hier andeutet, doch nicht allzu gering schätzen.

(Abg. Strauß: Sehr richtig!)

Wir sollten hierin vielmehr eines der konstruktivsten Elemente für Europa und für die Fundamente eines künftigen Friedens sehen, die es überhaupt gibt.
Dann auch einmal ein Rückblick auf das berühmte preußisch-russische Bündnis! Was ist denn diese früher von gewissen Militärkreisen bei uns so überschätzte sowjetrussische Bündnisverpflichtung bisher gewesen? Preußen war ein Satellit Rußlands bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Warum ist denn Bismarck auf den Dreibund übergegangen? Warum? — Ich möchte hier die Dinge nicht allzu deutlich aussprechen. Auch Bismarck hat es sehr gespürt, was eine Abhängigkeit auf Gedeih und Verderb von einer derart von irrationalen Kräften durchdrungenen Macht, wie es Rußland in der Geschichte immer gewesen ist, bedeutet. Bismarcks ganze Bündnispolitik in ihrem letzten Ziel — nämlich im Hinblick auf ein Bündnis mit den Angelsachsen ausgewogene Verhältnisse für Mitteleuropa zu schaffen — ist gescheitert. Dieser Albdruck der Koalitionen ist ein sehr deutliches Zeichen für die überaus prekäre Lage gewesen, in der sich Deutschland in der Mitte Europas von jeher befunden hat. Das Satellitenverhältnis nach Osten hin ist — und das beweist unsere deutsche Geschichte — immer nur Zeichen einer Epoche der Schwäche gewesen. Wir müssen uns gegenüber diesem Block die Freiheit erringen; und die einzige Möglichkeit eines ausgewogenen Verhältnisses ist das solide Bündnis mit der angelsächsischen Welt, mit der westlichen Welt insgesamt.
Über das Verhältnis zwischen uns und Frankreich sind viele Worte gesprochen worden. Es ist da — ich gebe es offen zu und sage das namens meiner politischen Freunde — zum Schluß eine Kette von Enttäuschungen festzustellen. Ich beschränke mich deshalb darauf, zu erklären, daß wir nach wie vor an der Grundkonzeption festhalten: die Verständigung zwischen uns und Frankreich in Verbindung mit dem angelsächsischen Bündnis ist eine unbedingte Notwendigkeit, wenn überhaupt die Lage des rechten Maßes — eine wirklich ausgewogene Friedensordnung in der westlichen Welt und auch gegenüber der östlichen Welt — aufgebaut werden kann. Das Hochziel dieser Politik der Verständigung kann und darf im lebensnotwendigen deutschen Interesse nicht aufgegeben werden.
Was ist das Ziel? Wie kann man sich vorstellen, daß nach dieser Katastrophe ein Frieden in der Welt aufgebaut wird? Zwei grundsätzliche Ziele sind anzusteuern: einen echten Ausgleich, eine echte Ausgewogenheit zu schaffen und daran mitzuwirken, daß wir bei der Entwicklung des neuen Staatensystems, bei den großräumigen politischen
Gebilden, die augenblicklich im Entstehen begriffen sind, mit am Tisch der Nationen sitzen.

(Abg. Strauß: Sehr richtig!)

Es wäre überaus gefährlich, uns gerade in dieser Epoche in einen eigensinnigen Absentismus, in eine Politik der Verneinung zu verbeißen. Wir würden die letzten Chancen unseres — ich muß es so deutlich sagen — Überlebens verspielen; denn eine Nation, die ihren mitbestimmenden Charakter in der Entwicklung der Welt verliert, gibt sich auf und stirbt daran. Leider ist dieses 20. Jahrhundert so geartet, daß nicht nur die moralische und die kulturelle, sondern auch die physische Vernichtung von Völkern möglich geworden ist, und darum ist die Situation um ein Vielfaches gefährlicher.
Der Gedanke der supranationalen Gebilde, der im Vertrag für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft konzipiert worden ist, bedeutet tatsächlich etwas vollkommen Neues. Dieser Vertrag zur Bildung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft mit seinem Art. 38 enthält den konkreten Anfang, nun praktisch an die Ausarbeitung der europäischen Verfassung heranzugehen. Dazu bitte ich mir eine kurze Bemerkung zu gestatten.
Die europäische Verfassung der Zukunft, die durch den EVG-Vertrag möglich wird, darf nicht mehr auf dem Prinzip der Souveränitäten aufgebaut werden.

(Abg. Hilbert: Sehr gut!)

Das Völkerrecht, das auf dem Souveränitätsprinzip beruht, gehört einer Epoche der Vergangenheit an und muß überwunden werden. Die Demokratie im Inneren der Staaten muß ihre Spiegelung und Entsprechung auch in der Gestaltung des Völkerrechts finden. Deshalb, glaube ich, können wir Deutschen, die wir 15 Millionen Vertriebene, die wir die große Katastrophe unseres Volkes erlebt haben, den Grundgedanken mit einbringen, daß diese künftige europäische Verfassung auf den Prinzipien des Menschenrechts aufgebaut wird. Dieses grundsätzliche Menschenrecht, das wir hier zu nennen haben, ist das Recht auf die Heimat. Aus dem Erlebnis der Völkerkatastrophe sollte in Europa das grundsätzliche Prinzip für die Bildung einer neuen völkerrechtlichen Ordnung geboren werden. Diese neue Ordnung, die auf den Menschenrechten aufgebaut ist, und zwar — um dieses Menschenrecht in eine kurze Formel zu fassen — auf dem Recht auf die Heimat, aus der niemand den Menschen vertreiben kann, sollte unser deutscher Beitrag sein, ein Beitrag, den wir mit Millionen Toten zu bezahlen hatten. Nur dann, wenn eine völkerrechtliche Ordnung und eine europäische Ordnung, die auf dem Menschenrecht aufgebaut ist, geschaffen ist, wird es möglich sein. den Menschen über seine nationale Erige hinauszuheben zum Europäertum, zum Bewußtsein des Europäischen in jeder einzelnen Seele.
Es wäre sehr reizvoll, die wirtschaftliche Bedeutung des Vertragswerks, das wir hier zu behandeln haben, zu betrachten und an diese Betrachtung die über die soziale Tragweite anzufügen. Mir bleibt nicht viel Zeit. Ich kann es daher nur ganz kurz andeuten. In einem Zeitalter, in dem Technik und Verkehr die Entwicklung bestimmen, und zwar großräumig bestimmen, kann eine Wirtschaftsverfassung auch nur großräumig lebendig sein. Ich glaube, daß diese wirtschaftliche Entwicklung gerade für uns, die wir ein zerstörtes Land, ein übervölkertes Land sind, ein Land, das vom Export lebt, eine Lebensnotwendigkeit ist.


(Dr. von Merkatz)

Um den sozialen Aspekt der Großraumbildung zu berühren, darf ich vielleicht darauf hinweisen, daß es mir unmöglich erscheint, die großen Aufgaben sozialer Art, die das 20. Jahrhundert stellt, zu lösen, ohne daß hinter diesem Vollbringen die Wirtschaftskraft eines großen Raumes steht, der Massenwohlstand, der möglich wird in einer europäischen Großraumwirtschaft, die eng mit der atlantischen Gemeinschaft verbunden ist. Allerdings — und das ist eine Frage der Ausführung dieses Vertragswerks, das j a letzthin auch mit dem Schumanplan eine Einheit bildet —: es wird sehr eingehend darauf zu sehen sein, daß die innerwirtschaftliche Verfassung unseres Landes sich an dieses geschichtliche große Entwicklungsgesetz anpaßt. Ich würde es — und sage das hier in dieser Stunde offen — für eine Katastrophe halten, wenn wir uns im Jahre 1953 in Deutschland einen Rückfall in eine sozialistische Planwirtschaft leisteten.

(Beifall bei der DP.)

Das würde völlig die Entwicklungslinie in die Zukunft abschneiden.
Ich glaube, es wird hier gerade auch eine Aufgabe der Frauen sein, die soziale Seite dieser europäischen Politik zu unterstützen. Denn letztlich bestimmt die Frau über die Vitalsituation eines Volkes. Wir sollten in unserer Politik und auch in unseren Taten und in unseren Entscheidungen mehr Rücksicht nehmen auf die Bedürfnisse der Frau

(Beifall)

und uns in diesem Punkt die Frauen zu Bundesgenossen machen. Denn wer die Frauen einer Nation hat, kann die Zukunft des Landes aufbauen. Deshalb darf ich hier einmal an die Hilfe der deutschen Frau appellieren, die schon die Krise des Krieges und der Nachkriegszeit in so beispielhafter Weise zu überwinden geholfen hat. Auch dieser Weg in eine europäische Zukunft hinein wird sehr wesentlich mit von der deutschen Frau zu tragen, zu verstehen und zu lehren sein.
Der Generalvertrag ist in einer überaus kritischen Weise von Herrn Professor Schmid analysiert worden. Darüber ist die eigentliche Zielsetzung des Deutschlandvertrags, der nämlich den Zweck hat, Deutschland zu einer Bündnispartnerschaft fähig zu machen, ziemlich aus dem Auge verloren worden. Ich möchte Ihnen deshalb noch einmal das in Erinnerung rufen, was in der Präambel und in den entscheidenden Artikeln steht: die Integration Europas, die Wiederherstellung Deutschlands und die Ermöglichung eines frei vereinbarten Friedensvertrags. Gewiß, es bestehen Vorbehalte. Heute morgen ist etwas Merkwürdiges geschehen. Herr Professor Schmid hat davon gesprochen, daß derjenige, der über das Vorbehaltsrecht verfügt, der über das Recht zur Verhängung des Ausnahmezustandes verfügt, der eigentliche Herr der Verfassung sei. Nun, ich möchte hier eine sehr merkwürdige Identität zwischen zwei Herren ähnlichen Namens feststellen; der eine schreibt sich mit tt, der andere schreibt sich mit d.

(Abg. Schoettle: Das ist ein billiges Argument gegen eine geschichtliche Erfahrung, Herr Merkatz!)

— Gut! — Wer aber das Vorbehaltsrecht, den Notstand, der hier eingeführt worden ist, im Sinne
von Karl Schmitt — tt — auffaßt, der verkennt
das Wesen dieses Vorbehalts grundsätzlich, und deshalb muß ich widersprechen.

(Abg. Schoettle: Hoffentlich wird man durch die Erfahrung eines Besseren belehrt!)

Es ist nicht der Vorbehalt, nicht der Ausnahmezustand, der aus der inneren Legitimation einer Verfassung entspringt,

(Sehr gut! in der Mitte)

sondern — wir halten daran fest — durch diese Verträge ist die oberste Gewalt der Alliierten nicht anerkannt worden. Niemand hat in eine Beschränkung der Souveränität eingewilligt, und wenn das die juristische Ausgangsbasis ist, dann bedeuten die Begrenzungen der Ausnahmegewalt, die in dem Vertrag bindend vereinbart worden sind, substantiell etwas ganz anderes als das, was Herr Professor Schmid gesagt hat.

(Abg. Dr. von Brentano: Richtig!)

Denn es ist nicht möglich, diesen Vorbehalt des Notstands seitens der Alliierten aus einer rein innerpolitischen deutschen Situation heraus zu benutzen. Es handelt sich hier lediglich um einen Notstand, dessen Ursache aus einer unmittelbaren oder mittelbaren äußeren Bedrohung entspringt und der die Sicherheit der Truppen gefährdet.
Meine politischen Freunde haben immer den größten Wert darauf gelegt, zwischen der obersten Gewalt und der Vorstellung der deutschen Souveränität einen klaren Trennungsstrich zu ziehen. Dieser klare Trennungsstrich ist bei der Verhandlung des Deutschlandvertrags durchaus beachtet worden. Ich betrachte es als einen ganz wesentlichen Fortschritt unserer Situation, daß an Stelle von Punkt 3 des Besatzungsstatuts nun die Begrenzung der obersten Gewalt mit Konsultation der Bundesregierung eingeführt worden ist. Dazu kommt — das ist der Beweis, daß ich mit dieser Auslegung recht habe, daß hier lediglich zur vertraglichen Bindung die Begrenzung der Ausübung der obersten Gewalt im Rahmen dieser drei Vorbehalte gehört — der Art. 9, in dem ein Schiedsgericht eingeführt worden ist, das über die Grenzen letzthin der Ausübung jenes Fremdrechtes auf deutschem Boden Bestimmungen zu treffen hat.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion wird sich eine Stellungnahme zu den Zusatzverträgen im einzelnen für die zweite und dritte Lesung und besonders für die Beratungen in den Ausschüssen vorbehalten. An einigen Fragen kann ich aber nicht vorbeigehen. Die Behandlung der Frage der sogenannten Kriegsverbrecher in der Nachkriegszeit, nach Ausgang dieses zweiten Weltkrieges bedeutet ein Abgehen von einem alten völkerrechtlichen Prinzip. Es ist nicht möglich, Richter in eigener Sache zu sein. Es ist nicht möglich, daß der Sieger über den Besiegten richtet. Hier sind uralte Prinzipien abendländischer Rechtsauffassung verlassen worden. Ich möchte feststellen, daß in Art. 6 des Zusatzvertrags auch die Bundesregierung keine Anerkennung dieser Urteile vollzieht.

(Abg. Dr. von Brentano: Richtig!)

Das ist festzuhalten; denn es hängt hier ein Stück unserer deutschen Würde daran. Es ist hier ein Prinzip verlassen worden, das seinerzeit Heinrich IV. von Frankreich in der Präambel des Edikts von Nantes sehr viel klarer, sehr viel richtungweisender auszudrücken gewußt hat als eine spätere Zeit. Meine Redezeit ist fortgeschritten;


(Dr. von Merkatz)

deshalb verzichte ich auf eine Verlesung dieser Präambel. Aber letzthin kommt hier der Geist der Großzügigkeit, der Geist zum Ausdruck, daß es nach den Schrecken des Krieges notwendig ist, reinen Tisch zu machen, daß ein Schlußstrich unter die Schrecken gemacht wird und daß es letzten Endes Schuld und Unschuld gibt, über die zu richten Menschenkraft nicht mehr in der Lage ist.

(Beifall rechts.)

Meine Damen und Herren, meine Freunde fordern eine vorherige Bereinigung der Frage der sogenannten Kriegsverbrecher, nicht weil dies eine billige nationalistische Formel und Forderung wäre — wir lehnen die politische Geschäftemacherei mit dieser Frage aus innerster Überzeugung ab —; aber es geht hier tatsächlich um ein abendländisches Prinzip. Eine Nation kann aus Selbstachtung auf den Schlußstrich unter diese Frage nicht verzichten. Wer eine neue Welt aufbauen will, der muß auch drüben vor seiner Öffentlichkeit den Mut haben, einen Schlußstrich unter die Schrecken des Krieges zu ziehen. Es wird über dieses Problem, wenn wir unsere Große Anfrage an die Regierung zu begründen haben werden, noch im einzelnen zu sprechen sein. Ich möchte mich hier lediglich mit dieser prinzipiellen Feststellung begnügen und sagen, daß das Gefühl echter Partnerschaft nur dann gegeben sein kann, wenn in dieser grundsätzlichen, mit der Ehre eines Volkes zusammenhängenden Frage eine Bereinigung erzielt ist.

(Sehr gut! rechts.)

Hier geht es um mehr. Hier geht es nicht um die Personen, hier geht es auch nicht um die Untersuchung einzelner Rechtsfragen, sondern hier geht es um die Kraft, Vergangenes vergangen sein zu lassen.

(Sehr gut! bei der DP.)

Meine Damen und Herren, auch zur Frage des Auslandsvermögens wäre viel zu sagen. Wir behalten uns dies für die zweite und dritte Lesung vor. Da ist in der Öffentlichkeit allerdings insofern eine falsche Vorstellung entstanden, als habe die Bundesregierung einen Verzicht auf diese Auslandswerte ausgesprochen. Meine Damen und Herren, das ist nicht der Fall.

(Vizepräsident Dr. Schmid übernimmt den Vorsitz.)

Letzthin ist die Auflage, keine Einwendungen zu erheben für das, was in der Vergangenheit geschehen ist, und das, was noch in der Zukunft geschehen sollte, nicht zu verstehen im Sinne einer Anerkennung dieser rechtswidrigen und der gesamten völkerrechtlichen Entwicklung wider- sprechenden Maßnahmen. Immerhin liegt in diesem Komplex eine gewaltige Gefahr für die Zukunft. Es handelt sich um einen Wert der Auslandsvermögen, den manche Experten auch heute in der Hälfte, in der er noch besteht, auf etwa zehn Milliarden DM schätzen. Ich glaube, daß es daher nicht unbillig ist, hinsichtlich der Durchführung der Verträge an die Bundesregierung die Bitte zu richten, daß sie ihre Zusage — ich muß in diesem Fall schon sagen: die ihr abgenötigte Zusage —, keine Einwendungen zu erheben, so wie es in Art. 3 steht, nur unter Wahrung ihres grundsätzlichen Rechtsstandpunktes abgibt, eines grundsätzlichen Rechtsstandpunktes, der dann, wenn über die Frage abschließend in einer friedensvertraglichen Regelung gesprochen wird, die rechtliche Position wahrt.
Zweitens sollten die drei Mächte zu einer Erklärung gebracht werden — auch das gehört zu einer echten Partnerschaft, wenn wir den Weg in die Zukunft antreten wollen —, daß sie neue Maßnahmen gegen deutsches Auslandsvermögen nicht zulassen bzw. nicht unternehmen werden. Drittens sollte klargestellt werden, daß der Schutz deutschen Vermögens, das im Ausland nach dem 8. Mai 1945 erworben worden ist, absolut gewährleistet bleibt und daß für die im neutralen Gebiet gelegenen Werte in deutschem Besitz das Völkerrecht und mit ihm in letzter Instanz der Spruch des Haager Gerichtshofs maßgebend Geltung behalten sollen.
Auch auf dem Gebiet der Entflechtung — ich möchte hier die Ausführungen dem besonderen Sachkenner überlassen — scheinen mir Prinzipien obgewaltet zu haben, die im Hinblick auf die einseitig Deutschland auferlegten Dekartellisierungsmaßnahmen die Einbeziehung, die wirkliche Eingliederung unserer deutschen Wirtschaft in eine europäisch-atlantische Großraumwirtschaft unter Umständen beeinträchtigen können. Aber wer den Weg des Schritt für Schritt in der Politik des Erreichens des Möglichen geht und wer erkannt hat, daß in den bisherigen Versuchen, uns aus den Ketten der Niederlage zu befreien und einen neuen konstruktiven Weg des Zusammenarbeitens unter den Völkern zu finden, eine außerordentliche Dynamik nach vorne gegeben ist, der wird mir auch zugeben, daß bei der Ausführung und Durchführung dieser Vertragswerke sehr viele Möglichkeiten bestehen, parallel mit dem Geist, in dem die neue politische Bildung geschieht, die Vernunft obsiegen zu lassen und damit zu zeigen, daß alle die schwarzen Befürchtungen, die die Opposition ausgesprochen und ins Volk gesenkt hat — nebenbei gesagt auch beim Petersberger Abkommen, ja bei jeder Station des Weges, den wir gegangen sind —, nicht zutreffen, sondern daß letzthin die Dynamik nach vorn, der vernünftige, konstruktive Weg den Sieg über die Unvernunft und die Unterdrückungspolitik mit sich bringt.
Auch auf dem Gebiet des Requisitionswesens wird es weniger auf die juristische Formel ankommen, wie sie im Vertrag vereinbart ist, sondern letzthin auf die Anwendung, auf die Praxis der Auftragsvergebung und auf die Praxis der Aufwandsforderungen, die von den Sicherungstruppen gestellt werden können.
Die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands! Auch hier werden viele Wortschiebungen gemacht. Bisher hat sich noch kein deutlicher Weg abgezeichnet, auf welcher Basis ein fruchtbares Gespräch über die Wiedervereinigung stattfinden könnte. Ich persönlich schätze das berühmte Argument von der gegenseitigen Stärke nicht besonders; ich möchte diesen Ausdruck „Stärke" in einem andern Sinn verwenden. Es kommt vielmehr darauf an, ein Staatensystem zu schaffen, in dem eine Ordnung möglich ist. Nur wenn aus dem völligen deutschen und europäischen Vakuum gegenüber Rußland ein echtes, widerstandsfähiges Staatensystem im Entstehen begriffen ist, erst dann besteht j a ein reales Bedürfnis, die deutsche Frage einer Lösung näherzubringen. Was hat bisher die ganze Argumentation in unserem Volk getan, z. B. gerade die Haltung der Opposition, ihr Neinsagen zu diesen Verträgen um jeden Preis? Haben Sie einmal verfolgt, was in der ersten und in der zweiten Sowjetnote enthalten war und wie dann, nachdem ruchbar geworden war, daß etwa das Bundesverfassungsgericht die Ratifikation der Ver-

von Merkatz)
träge unmöglich machen könnte, die dritte Sowjetnote gehalten war? In der stand gar nichts mehr drin!

(Sehr richtig! rechts.)

Ich achte die Opposition, soweit sie ein echtes Anliegen ist. Auch wir sind nicht bereit, prinzipielle Rechte preiszugeben, um für diesen Preis uns aus dem Joch der Niederlage zu befreien. Wir sehen manche Notwendigkeit, der wir uns in unserer anomalen Lage beugen müssen, nicht als eine glanzvolle, nicht als eine zu preisende Sache an. Auch wir haben Verständnis, wirklich Verständnis für manches Bedenken, das vorgebracht worden ist. Aber es muß dann auch ein echtes Anliegen sein. Ein echtes Anliegen kann nur dann gegeben sein, wenn man den andern Weg, die Alternative aufzuzeigen weiß, wenn man ein konstruktives Bild hinzustellen vermag, das das Volk überzeugt. Bisher hat die Opposition dieses Bild, diese Möglichkeit nicht hinzustellen gewußt. Wenn das letzte Ergebnis ihrer Worte zur deutschen Frage ist, man solle die Chance für eine Viermächtebesprechung schaffen, so kann ich den teuflischen Pferdefuß, der in diesem Vorschlag liegt, nicht laut genug vor aller Öffentlichkeit anprangern; denn wir sind nicht bereit, Konzessionen auf Kosten der Freiheit unseres Volkes, der Menschenwürde und der europäischen Integration an die Sowjetunion zu machen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. Abg. Jacobi: Wer will denn solche Konzessionen machen?)

Ich möchte zum Abschluß kommen und noch folgendes kurz sagen. Es ist immer ein schlechtes Zeichen für das Selbstbewußtsein einer Nation, wenn über den Ehrenstandpunkt gestritten wird. Ich betrachte es nicht als eine Stärke — weder für uns noch für die Opposition —, daß hier Fragen der Würde, der Ehre, der Souveränität zur Diskussion gestellt werden. Ich möchte folgendes sagen. Die Ehre eines Volkes ist grundsätzlich das Unverzichtbarste, was es in der Welt gibt; über das braucht und darf man nicht reden.

(Zuruf von der SPD: Sie auch!)

Letzthin besteht diese Ehre darin,

(Zuruf von der SPD: Hören Sie auf!)

daß man Verantwortung auf sich nehmen will. Ich sehe den ganzen Patriotismus darin, daß ein Volk die Kraft gewinnt, Verantwortung für sein Geschick zu tragen, wieder für sich selbst einzustehen, nicht, sich über die Schwere der Zeit durch ein Provisorium hinwegzuschwindeln. Gewiß, die Bundesrepublik soll nur ein Provisorium sein. Wir sind uns dessen sehr wohl bewußt. Aber in uns muß Kraft und Ehre des ganzen deutschen Volkes — ich meine das ganze deutsche Volk mit seinem Anspruch in seinen historischen Grenzen — stehen. Dieser Kernstaat hat den Karren aus dem Dreck zu ziehen.
Meine Damen und Herren, darin sehe ich die vaterländische Pflicht: das Mögliche zur Befreiung, zur Rückkehr zu unserer Selbstachtung, zu unserem Selbstbewußtsein, das Mögliche in dieser Außenpolitik zu erzielen. Allen, die da glauben, die Ehre des deutschen Soldaten oder die Ehre des deutschen Volkes oder irgendeines Menschen sei verletzt und gekränkt worden und darüber könnte man nicht hinwegkommen, möchte ich sagen: ein Herr bleibt ein Herr, und wenn er in Ketten liegt!

(Beifall bei der DP.)

Herr sein unter den Nationen heißt, daß man bereit und gewillt ist, für sein Geschick einzutreten. Darum sehe ich die oberste Pflicht darin, an den Tisch der Nationen zurückzukehren mit dem Willen, Verantwortung zu tragen, mitzuarbeiten an dem konstruktiven Weg, eine neue Welt aufzubauen, die den Frieden gibt. Wenn Sie zurückblicken auf den Weg dieser drei Jahre, den wir — die christlich-sozialen, liberalen und konservativen Kräfte dieser Koalition — zur Wiederherstellung unserer Staatlichkeit und unserer Verantwortungsfähigkeit gegangen sind, dann werden Sie bei einem einigermaßen sachlichen und ruhigen Urteil bestätigen können: dieser Weg war gut, und er ist durch die Gnade des Himmels gesegneter gewesen, als wir je erwarten durften.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0122103300
Das Wort hat der Herr Bundesminister Schäffer.

Fritz Schäffer (CSU):
Rede ID: ID0122103400
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat sich in seiner großen Rede — und die anderen Redner sind ihm darin gefolgt — in erster Linie mit der geschichtlichen Bedeutung der Verträge beschäftigt, mit ihrem großen Ziel, dem Weg Deutschlands zur Einheit und zur Freiheit, der Gründung eines europäischen Staatenbundes zum Schutze des Friedens, zur Vermeidung eines dritten Weltkriegs. Ich habe an dieser Stelle nur über eine Teilfrage, ein Sachgebiet mit Ihnen zu sprechen: über die finanzielle Bedeutung, die finanzielle Auswirkung der Verträge, über den Teil „Finanzvertrag" in den Einzelverträgen. Ich darf aber an folgendes erinnern. Es gibt keine geschichtliche Leistung, es gibt keine geschichtliche Entwicklung, die von den einzelnen Völkern nicht große Opfer erforderte.

(Zuruf rechts: Sehr wahr!)

Ich habe aus anderem Anlaß bei Betrachtung des deutschen Haushalts und einem Vergleich mit den anderen Haushalten von dieser Stelle aus schon einmal dargelegt, welch große Opfer die übrigen Nationen der freien demokratischen Welt in diesem Ringen zur Vermeidung eines heißen Krieges auf sich genommen haben. Ich habe darauf hingewiesen, daß z. B. die Vereinigten Staaten von Amerika heute mehr als 70 % ihrer gesamten Ausgaben dem Zwecke widmen, den Frieden in der Welt zu erhalten, und daß eine ähnliche prozentuale Steigerung der Ausgaben in allen Haushalten der Welt heute zu finden ist. Das hat notwendigerweise zur Folge, daß in allen Ländern der Erde und in den Haushalten aller europäischen und außereuropäischen Finanzminister die Einnahmen ebenfalls gesteigert werden mußten und die Steuerlasten der einzelnen Nationen in den letzten Jahren seit Korea stark gestiegen sind.
Der Weg, den wir erstreben, zur Vermeidung des dritten Weltkrieges, ist ein Weg mit Opfern. Er ist für uns Deutsche aber auch gleichzeitig ein Spiegelbild der politischen Entwicklung und Verselbständigung des deutschen Volkes.
Lassen Sie sich, um das zu erkennen, einmal den Zustand schildern, der bisher war und heute ist. Wir haben, abgesehen von all dem andern — es ist ja nur ein Teil, ein Ausschnitt —, was die Tatsache der Besatzung für uns wirtschaftlich bedeutet und was in den Worten: Verlust von Patenten und Lizenzen, Beschränkungen der äußeren Handlungsfreiheit usw. enthalten ist, einen Posten,


(Bundesfinanzminister Schiffer)

den wir ziffernmäßig kontrollieren können: den Posten Besatzungskosten. Wir müssen daran denken, daß in der Gestaltung dieses Postens, der im letzten Jahr 40 % des Bundeshaushalts ausgemacht hat, eine deutsche Mitwirkung bis heute überhaupt nicht gegeben war. 40 % unserer Ausgaben liefen unter dem Titel Besatzungskosten, waren Folge des verlorenen Krieges, die Folge der Besatzung. Nicht die Regierung, nicht der Bundestag, der heute beieinandersitzt, sind an dieser Tatsache schuld und haben sie zu verantworten. Schuld sind die, die den zweiten Weltkrieg angezettelt, die ihn total geführt und mit einem totalen deutschen Zusammenbruch haben enden lassen.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Aber es ist eine unbestreitbare Tatsache für uns: an 40 % der gesamten deutschen Ausgaben waren der Deutsche Bundestag, das deutsche Parlament, und die deutsche Bundesregierung völlig unbeteiligt. Weder bei der Aufstellung des Haushalts durch die Besatzungsmächte noch bei der Durchführung des Haushalts, bei der Verwendung der Gelder, war eine deutsche Mitwirkung gegeben. Wir haben uns oft über die Frage Sparsamkeit und Zweckmäßigkeit in der Verwendung dieser Gelder unterhalten in der Absicht, einen moralischen Einfluß zu gewinnen, nicht in 'der Hoffnung, auf diesem Wege rechtlich die Dinge anders gestalten zu können. Der Haushalt war an sich auch unberechenbar, denn er ist nicht nur einfach durch Anordnung aufgestellt worden, sondern die einzelnen Posten waren in sich auch völlig übertragbar, und alle sogenannten nicht verwendeten Reste der Vorjahre konnten zur beliebigen Zeit zu Lasten des deutschen Volkes irgendwann und irgendwie einmal angefordert werden.
So war auch einer Steigerung dieser Besatzungskosten Tür und Tor geöffnet, und wir haben bezahlt im Jahre 1945 2,5 Milliarden, Reichsmark damals, im Jahre 1949 rund 4,2 Milliarden bei Entstehung der Bundesrepublik, im nächsten Jahr bereits 4,8 Milliarden und im Jahre 1951 7 931 Millionen DM Besatzungskosten. Ein Sprung in zwei Jahren um 85 %! Ein Sprung hauptsächlich vom Jahre 1950 auf das Jahr 1951, gegeben allein aus der Tatsache heraus, daß sich die Zahl der Besatzungsangehörigen stark vermehrt hat, eine Vermehrung, die in dieser Zeit vom deutschen Volke sogar als Schutz des deutschen Territoriums begrüßt werden mußte.
Das war der Stand der Besatzungskostenfrage, ein Stand, der mit der neuen Zeit, in die wir hineingehen, und mit dem neuen Geist dieser Zeit nicht vereinbar ist. Denn die neue Zeit soll bringen einen Geist von Verbündeten, einen Geist von Nationen, die ein gemeinsames Ziel und eine gemeinsame Aufgabe haben und in der Liebe zum Frieden Brüder geworden sind.

(Sehr gut! und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn diese Nationen auch gemeinsam Opfer zur Bewahrung des Friedens bringen müssen — denn in der Welt wird der Kampf zwischen Licht und Schatten ewig bleiben —, so bringen sie diese Opfer in einem ganz anderen Geist, als er in dem Wort Besatzungskosten enthalten war und sich auswirkte. Aber schon seit den Tagen Nebukadnezars hat es Besatzungsarmeen gegeben,

(Heiterkeit)

und es ist bisher in der Geschichte noch nie dagewesen, — —

(Abg. Schoettle: Auch Finanzminister!)

— Ob es Finanzminister gab, weiß ich nicht. Säckelmeister hat's damals gegeben,

(erneute Heiterkeit)

und sie haben sich damals schon darum bemüht, wenn sie ehrlich waren, ihren Säckel nicht für sich, sondern für das Volk und die Allgemeinheit zu verwalten und zu verwenden. — Ich sage: seit den Zeiten ist es menschlich, daß es einer siegreichen Besatzungsarmee nicht leicht fällt, sich überzeugen zu lassen, nun aus freien Stücken und freiem Willen, ohne daß das besetzte Land irgendeinen Zwang auf Grund einer Macht ausüben könnte, in einem neuen Geiste auf all die Vorteile persönlicher Art verzichten zu sollen, die ein Besatzungskostensystem seit Urzeiten für den Besatzungssoldaten gehabt hat.
Sie können sich deshalb denken, daß diese Verhandlungen nicht so sehr um Geld geführt werden mußten, wenn auch über Geld gesprochen wurde, sondern daß es ein gewisses geistiges Ringen war, die Gegenseite davon zu überzeugen, daß man, um einer gemeinsamen Aufgabe zu dienen, auf Vorteile, die man durch Macht und Kraft gewinnen könnte, freiwillig verzichten muß. Denn das mußte von der ersten Stunde an anerkannt werden: weder das deutsche Volk noch die vereinigten europäischen Staaten noch die Vereinigten Staaten von Amerika und die ganzen Nordatlantikpaktstaaten sind reich genug, um neben ihrer Aufgabe des sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus den Schutz des Friedens zu gewährleisten und daneben noch Besatzungsluxus zu finanzieren.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das mußte die Erkenntnis sein, von der man von der ersten Stunde an auszugehen hatte.
Die deutsche Bundesregierung mußte in diesem Geiste sich bemühen, alle davon zu überzeugen, daß nun die deutsche Bundesregierung genau so als Vertreter der deutschen Bundesrepublik zu behandeln ist, wie die Vertreter aller anderen Nationen als Vertreter ihrer Staaten behandelt werden. Äußerlich gesprochen: die deutsche Bundesregierung mußte Wert darauf legen, daß die Verhandlungsweise zwischen ihr und der Gegenseite genau die gleiche ist, wie sie auch unter den Atlantikpaktstaaten geübt wird. Deshalb mußte sie Wert darauf legen, daß der Weg der Empfehlungen der Mitglieder des Exekutivkomitees of the T. T. C. — in der Presse die drei Weisen genannt — auch der deutschen Bundesrepublik 'gegenüber gegangen wird und daß die Grundsätze, die bei allen anderen Staaten angewandt werden, auch der deutschen Bundesrepublik gegenüber zur Anwendung kommen; Grundsätze, die nicht etwa in einem geschriebenen Kodex bestehen, sondern die in den still vereinbarten und die Verhandlungen tragenden Normen bestehen, die sich innerhalb der Atlantikpaktstaaten herausgebildet hatten.
Grundsatz war dabei, •daß jeder der Mitgliedstaaten das Bestmögliche, das für ihn, an seiner Kraft gemessen, äußerst Mögliche leistet, um die gemeinsame Verteidigung zu tragen. Grundsatz mußte aber auch sein, daß diese Leistung in einer Art erfolgt, die den eigentlichen Zweck der Leistung nicht gefährdet. Die deutsche Bundesregierung hat infolgedessen von der ersten Stunde an erklärt, die deutschen Leistungen müßten insoweit


(Bundesfinanzminister Schiffer)

auch im Rahmen der deutschen Leistungskraft liegen, so daß sämtliche Aufgaben, die sich das deutsche Volk zu Bewahrung des inneren sozialen Friedens gestellt hat, nach wie vor aus deutscher Kraft erfüllt werden können.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Nach der Überzeugung der deutschen Bundesregierung hat die Erhaltung der geistigen Widerstandskraft des deutschen Volkes zur Voraussetzung, daß dem deutschen Volke die Mittel zur Überwindung der sozialen Nöte nach wie vor ungeschmälert zur Verfügung stehen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die deutsche Bundesregierung mußte weiterhin aussprechen, daß gerade im Jahre 1950 nach Ausbruch des Korea-Krieges in Vorausschau der wirtschaftlichen und politischen Folgen dieser Weltenkrise das deutsche Volk schon Steuerlasten auf sich genommen hat, die an die äußerste Grenze der deutschen Leistungskraft gehen und ohne Gefährdung der deutschen Wirtschaftsordnung und des deutschen wirtschaftlichen Aufbaus nicht mehr überschritten werden können.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Sie mußte weiterhin betonen, daß unter keinen Umständen, wenn diese Grenzen eingehalten werden, der Ausweg der Feigheit gesucht und der Weg der inflationären Entwicklung beschritten werden darf. Denn sie wußte doch - nach einem Wort Lenins —, daß es das Ziel gerade des Kommunismus immer ist — wie es Lenin ausgedrückt hat —, die sogenannten kapitalistischen Länder dadurch zu zerstören, daß zuerst die Geldordnung dieser Länder zerstört wird.

(Abg. Paul [Düsseldorf]: Die zerstören Sie selber!)

Die deutsche Bundesregierung wie alle Regierungen mußten sich bewußt sein, daß der kalte Krieg, der von seiten des Ostens geführt wird, vielleicht als eines seiner Hauptziele sogar diese Kriegsangst, dieses Rüstungsfieber und damit die Gefährdung der Geldordnung der Länder der demokratischen Welt hat.
Mit diesen Grundsätzen mußten die Verhandlungen seinerzeit in Paris begonnen werden. Zuerst war die deutsche Leistungskraft mit 13 Milliarden DM jährlich genannt worden. Es stand mehr als nur ein unverantwortlicher Journalist hinter dieser Zahl, und es hat langer Verhandlungen bedurft, um eine Klarheit über das — vom Ausland immer wieder maßlos überschätzte — deutsche Brutto-Sozialprodukt und den deutschen wirtschaftlichen Wiederaufbau in ruhiger Überlegung sicherzustellen. Das Ausland übersieht, daß jemand, dessen Wohnhaus und dessen Werkstätte durch die Bomben nicht zerstört worden ist, genau so reich geblieben ist, wie er vorher war, und meint, daß der, der aus seinem Luftschutzkeller heraus in den Anfängen des Wohnungsbaues, in den Anfängen der Bemühung, wieder Arbeitsplätze zu schaffen, steht, deshalb plötzlich reich ist gegenüber dem Zustand in der Stunde, als er aus dem Luftschutzkeller herausgekrochen ist. Und dabei wäre dieses Volk sehr froh, wenn es den Zustand schaffen könnte, in dem andere Länder sind — ohne Mühe sind! —, die den Bombenkrieg und all das nicht erlebt haben.

(Sehr gut! bei der CDU.)

Aber das Ausland sieht nur dieses äußerliche Bild
des Wiederaufbaues und überschätzt maßlos die
deutsche Leistungskraft und das deutsche Leistungsvermögen.

(Zustimmung.)

Unter diesen Voraussetzungen mußte eine ruhige, nüchterne Betrachtung einsetzen. Ergebnis der Betrachtung war, daß die deutsche Leistungskraft für alle Verteidigungsausgaben — auch für die, die in dem deutschen Haushalt des Bundes und der Länder schon enthalten sind —auf 11,25 Milliarden DM geschätzt wurde und daß man in Empfehlungen anerkannt hat, daß Deutschland heute schon das höchstbesteuerte Land der Erde ist, daß ihm eine weitere Steigerung der Steuerlasten nicht mehr zugemutet werden kann und daß das Bemühen der deutschen Bundesregierung, jede inflationäre Entwicklung zu verhindern, auch in dieser Stunde volle Beachtung und Anerkennung auf der Gegenseite finden müßte. In den 11,25 Milliarden DM waren alle Verteidigungsausgaben inbegriffen; aber wie weit der Rahmen zu ziehen ist und was anzurechnen ist, darüber konnten wir uns in jener Stunde nicht restlos einigen. Wir haben von seiten der deutschen Bundesregierung die Überzeugung vertreten, daß zu diesen Ausgaben, die das deutsche Volk heute schon leistet, nicht nur Polizei und Grenzschutz und Ruhegehälter für Wehrmachtangehörige und kleinere Dinge wie Wetterdienst und Luftsicherungsdienst und dergleichen gehören, sondern insbesondere auch die Ausgaben, die in Form der Berlin-Hilfe für den Vorposten der freien demokratischen Welt, für die Insel im roten Meer, für unsere Stadt Berlin geleistet werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.).

Wir haben die Überzeugung vertreten, daß Berlin vielleicht die Probe darauf ist, ob der Frieden der Welt erhalten bleibt, und daß diese Probe wesentlich davon abhängt, ob die Bevölkerung der Stadt Berlin ihre geistige Widerstandskraft, die sich bisher in solchem Maß bewährt und gezeigt hat, aufrechterhalten kann und nicht unter wirtschaftlichen Nöten, Arbeitslosigkeit und sozialen Schwierigkeiten in der geistigen Widerstandskraft zusammenbricht. Deshalb haben wir den Standpunkt vertreten, daß jede D-Mark, die wir an Berlin-Hilfe ausgeben — ob sie für polizeiliche Zwecke oder für soziale Zwecke oder sogar für kulturelle und rein wirtschaftliche Zwecke gilt —, genau so hoch einzuschätzen ist wie jede D-Mark, die für unmittelbar militärische Zwecke der Verteidigung anderswo ausgegeben wird.

(Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Da wir diesen Standpunkt nicht aufgeben, ihn aber auf der andern Seite auch nicht sofort zum vollen Erfolg führen konnten, schloß man ein Kompromiß, indem man die Lösung dieser Frage einer allgemeinen Revision des deutschen Verteidigungsbeitrages überließ, die vor dem 30. Juni 1953 stattfinden muß. Am 30. Juni 1953 erlischt an sich der deutsche Verteidigungsbeitrag in der jetzt vorgesehenen Höhe; bis dahin muß eine neue freie Vereinbarung stattfinden, eine freie Vereinbarung auf folgender Grundlage: Deutschland gleichbelastet mit allen anderen Ländern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und der westlichen Welt überhaupt. Im Laufe der nächsten Monate bis zum 30. Juni 1953 wird sich übersehen lassen — was bei den voraufgegangenen Verhandlungen noch nicht möglich gewesen ist —, was jedes dieser Länder wirklich leistet. Bei diesen Verhandlungen


(Bundesfinanzminister Schiffer)

wird dann der mögliche Maßstab für die Anpassung aller Leistungen aneinander, gemessen an der Leistungskraft des einzelnen Volkes, gegeben sein. Wir werden bei diesen Verhandlungen frei verhandein dann in einem, man darf sagen, Dreierkollegium, nämlich 1. der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, der wir in dieser Stunde aber selbst als Mitglied mit einem nicht unbedeutenden Stimmrecht angehören, 2. der Deutschen Bundesrepublik als solcher, und 3. mit den Ländern, die in Deutschland mit Zustimmung der EVG und der Bundesrepublik Truppen unterhalten und die nicht in jener Stunde der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft angehören. Wir werden also die Verhandlungen in einer anderen Atmosphäre führen, als die ersten Verhandlungen haben geführt werden müssen, und wir werden in diesen Verhandlungen insbesondere die Frage der anrechnungsfähigen Verteidigungsausgaben, die bereits im deutschen Haushalt von Bund und Ländern enthalten sind, zur erdgültigen Entscheidung bringen müssen.
Wir haben, da wir diese Revisionsklausel nehmen mußten, um den deutschen Standpunkt für die Zukunft aufrechtzuerhalten, eine vorläufige Regelung wegen der Zahl treffen müssen. Wir haben uns darauf geeinigt, daß wir vom Tage des Inkrafttretens der Verträge an bis zum 30. Juni 1953 eine monatliche Leistung von 850 Millionen DM übernehmen. In den bisherigen Verträgen ist die Anerkennung der Unmöglichkeit einer Steuererhöhung in Deutschland, einer inflationären Entwicklung bereits ausgesprochen, und das wird auch für die Revisionsverhandlungen die Grundlage sein. Daneben ist eine Hilfsklausel insofern enthalten, als die deutsche Bundesrepublik für den Fall, daß die
Berechnungen der Drei Weisen über die Höhe und Entwicklung des deutschen Brutto-Sozialprodukts im ersten Jahr sich nicht bewahrheiten sollten, sich vorbehält — ebenso wie es schon andere Länder getan haben —, zur Ermöglichung seiner Leistung die Hilfe des Auslands, d. h. die Hilfe der Vereinigten Staaten in Anspruch zu nehmen. Das sind die Verhandlungen, auf denen dann der Finanzvertrag im EVG-Vertrag und der Finanzvertrag im Deutschlandvertrag in den Artikeln 3 und 4 aufgebaut sind und die diese Gedanken wiedergeben. Dabei ist ausdrücklich auch betont worden, daß alles, was die deutsche Bundesrepublik leistet — was sie leistet für den Aufbau der deutschen Kontingente, was sie leistet für die gemeinsamen Zwecke der EVG, was sie leistet für die stationierten Truppen —, vom ersten Tage an über den Haushalt der EVG, der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft läuft. Denn letzten Endes müssen wir betonen, daß es keine Besatzungskosten mehr gibt, daß es infolgedessen für das deutsche Volk nur eine Leistung gibt, die Leistung zur gemeinsamen Verteidigung, repräsentiert durch die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, und daß wir deswegen als Partner, dem gegenüber wir leisten, in erster Linie die Europäische Verteidigungsgemeinschaft anzuerkennen haben. Auf diesem Grundsatz ist der Finanzvertrag nach jeder Richtung hin aufgebaut. Nach diesem Finanzvertrag soll — um den Wortlaut einer Bestimmung zu wiederholen — die deutsche Wirtschaft insoweit in Anspruch genommen werden, als es „unter Zugrundelegung der Vergleichsmaßstäbe der Nordatlantikpakt-Organisation dem Ausmaß entspricht, in dem die anderen großen westlichen Staaten ihre eigene Wirtschaftskraft für Verteidigungszwecke ... in Anspruch nehmen".
Die Verhandlungen mußten nun unter der Voraussetzung weitergeführt werden: was kommt den stationierten Truppen, was kommt den gemeinsamen Zwecken der EVG, was kommt der Aufstellung der deutschen Kontingente zugute? Diese Aufgabe war mit einer zweiten unlösbar verbunden: mit welchen Besatzungskosten ist noch vor Inkrafttreten der Verträge zu rechnen? Ich habe Ihnen vorhin die Zahlen der Steigerung der Besatzungskosten von Jahr zu Jahr genannt. Ich könnte sie ergänzen durch die Zahlen der Steigerung der Besatzungskosten im letzten Haushaltsjahr von Monat zu Monat, die mit 350 Millionen Monatsdurchschnitt begannen, im Februar 612 Millionen erreicht hatten und im März in einem Mona auf die enorme Zahl von 1460 Millionen Monats ausgabe hinaufgestiegen sind.

(Hört! Hört! in der Mitte und rechts.)

Wir haben daraus die Lehre gezogen, daß die deutsche Finanzkraft den Lasten der Zeit der der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft nickt gewachsen sein kann, wenn sie vorher durch ungemessene Besatzungskosten erschüttert oder gestört wird.

(Sehr richtig! rechts.)

Infolgedessen haben wir bei den Verhandlungen Wert darauf gelegt — nachdem wir zuerst eine mehr ungesicherte Zusage der Sparsamkeit und Einschränkung erhalten hatten —, nun auch eine zahlenmäßige Höchstgrenze zu erhalten. Es wurde die Zustimmung der Besatzungsmächte erreicht, daß vor Inkrafttreten der Verträge die Besatzungskosten im Durchschnitt monatlich 600 Millionen DM nicht übersteigen dürften. Weiter haber die Besatzungsmächte anerkannt: Soweit di dieser Durchschnitt überschritten würde, ist der übersteigende Betrag nach Inkrafttreten der Verteidigungsbeträge auf die Leistungen für die stationierten Truppen anzurechnen. Damit ist eine unbedingte Gewähr für die Einhaltung dieser Grenze gegeben
Wir mußten uns aber dann auch über die Verteidigung als solche einigen. Selbstverständlich war, daß das Bemühen sein mußte, all die Gelder, die das deutsche Volk in der Zeit der Verteidigungsbeiträge aufbringt, dem Verteidigungszweck: zuzuführen und irgendwelche unnötige, überflüssige Luxusausgaben abzudrosseln.

(Abg. Strauß: Sehr richtig!)

Es wurde erreicht, daß von der ursprünglichen Forderung für stationierte Besatzungstruppen ein recht beträchtlicher Prozentsatz gestrichen worden ist. Wir haben uns dann darauf geeinigt, in den ersten sechs Monaten einen höheren Bedarf anzuerkennen unter dem Grundsatz, daß in dieser Zeit der Bedarf des deutschen Kontingents naturgemäß noch nicht so hoch sein kann, da es ja erst in Aufstellung ist. Mit dem Steigen des Bedarfs des deutschen Kontingents müssen die Aufwendungen für die stationierten Truppen sinken; das ist der Grundsatz.

(Zuruf von der Mitte: Schon vorher!)

Wir haben für die ersten sechs Monate aus de., 850 Millionen für stationierte Truppen 551 Millionen und in den nächsten drei Monaten nur meb 319 Millionen. Wir sind uns einig, daß — nach einem Zwölf-Monats-Kalenderjahr gerechnet —
die Aufwendungen für die stationierten Truppe in den folgenden 10 bis 12 Monaten nur mehr eit Bruchteil dessen sein dürfen, was die Aufwendungen im dritten Kalendervierteljahr mit den. 31.)


(Bundesfinanzminister Schiffer)

Millionen gewesen sind, so daß wir — auf 12 Monate gerechnet — für das erste Jahr auf einen Aufwand für stationierte Truppen von ungefähr 4600 Millionen Höchstsumme kämen. Dabei müssen wir aber bedenken, daß wir über den Zeitabschnitt von 30. Juni 1953 hinauskommen und die ganze Regelung mit diesem Stichtag neu vereinbart werden muß.
Unter dieser Voraussetzung kann für das laufende und folgende Jahr ungefähr diese Berechnung aufgestellt werden: Gehen wir davon aus, daß die Verträge — wofür eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht — nicht, wie wir gerechnet hatten, etwa mit dem 1. November 1952, sondern, wie man in der internationalen Welt rechnet, am 1. Januar 1953 in Kraft treten, dann hätten wir für neun Monate an Besatzungskosten 5400 Millionen, in den folgenden drei Monaten des Haushaltsjahres an Verteidigungsbeitrag 2550 Millionen, zusammen 7950 Millionen. Dazu kommen aber in dieser Zeit noch die Besatzungskosten in Berlin, die sogenannten nicht anerkannten Besatzungskosten, Auftragsausgaben und sonstige Verteidigungsfolgelasten, insbesondere ein Rückstand an Besatzungsschäden aus früherer Zeit, ein Betrag, der mit rund 850 Millionen insgesamt anzunehmen ist, so daß der Haushaltsansatz, der von Anfang an mit 8800 Millionen in Aussicht genommen war, wohl eingehalten werden kann.
Im nächsten Jahr, für die Zeit bis zum 30. Juni, ist, je nachdem, ob sechs Monate oder drei Monate vorbei sind oder nicht, damit zu rechnen, daß für deutsche Truppen, wenn die sechs Monate abgelaufen wären, dreimal 531 Millionen, für die stationierten Truppen dreimal 319 Millionen in Frage kämen, in diesen drei Monaten also jedenfalls eine Summe von etwa 2550 Millionen DM.
Das ist der Stand, wie er sich heute darstellt. Wenn ich nun ein Bild darüber gewinnen will, muß ich die Frage aufwerfen: Wie wäre der Stand, wenn die Verteidigungsverträge nicht geschlossen würden? Wenn die Verteidigungsverträge nicht geschlossen würden, dann würden wir ganz bestimmt eine Höchstgrenze der Besatzungskosten nicht haben erreichen können. Wir würden in der Stunde, in der sicher ist, daß das deutsche Volk seine Mitwirkung an den Verteidigungsverträgen verweigert, mit dem alten Zustand der Besatzungskosten in voller Höhe und vollem Gewicht zu rechnen haben.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Wir hatten im Jahre 1951 eine Summe von 7931 Millionen DM an Besatzungskosten. In der Zwischenzeit ist die Zahl der Besatzungsangehörigen wieder stark gestiegen. Die Frage der nicht verbrauchten Reste der Vorjahre, die Frage der alten Besatzungsschäden und so fort können von den Besatzungsmächten, wenn wir keine Verteidigungsverträge abgeschlossen haben, nach der Willkür des Besatzungsstatuts ohne jede deutsche Mitwirkung gelöst und eine entsprechende Regelung angeordnet werden. Ich habe keinen Zweifel, daß die Leistung des deutschen Volkes, wenn wir die Verteidigungsverträge nicht abschließen, finanziell unter dem Titel Besatzungskosten allein mindestens die gleiche Belastung bedeuten würde, die die Verteidigungsbeiträge nach den Verträgen für das deutsche Volk sind.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Keine Hilfsklausel, keine Revisionsklausel und kein Grundsatz der Gleichberechtigung mit den anderen, kein Abwägen hinsichtlich der gleichen Leistung stünde auf unserer Seite und könnte von uns für die Zukunft eingesetzt werden.
Ich möchte also unter diesem Gesichtspunkt sagen: auch der Säckelmeister des Nebukadnezar würde mit stolzer Ruhe seinem Volk und seinem — damals gab's Landesherren — Landesherren sagen: Der Vertrag, den wir geschlossen haben, ist, rein materiell betrachtet, vertretbar. Wir wissen, daß wir Opfer tragen müssen, und wir glauben, einen Vertrag gemacht zu haben, für den wir weder im Inland noch im Ausland einen Vorwurf verdienen.

(Zuruf der Abg. Frau Strohbach.)

Man erhält Vorwürfe, und ich denke hier an Vorwürfe aus dem Ausland, gerade in der englischen Presse. Man denke daran: Frankreich scheidet mit dem 30. Juni 1953 als EVG-Staat aus dem Posten stationierte Truppen ohne weiteres aus. Die Vereinigten Staaten haben selbst bei den Verhandlungen die Erklärung durch Unterstaatssekretär Nash abgegeben: Es ist selbstverständlich, daß in dem Maß, in dem die Aufwendungen für das deutsche Kontingent wachsen, ihre Ansprüche zurückgehen. Es bleibt eine schwere Sorge bei anderen Ländern, die in ihrer Devisennot und der Zerstreuung ihrer Truppen über ein ganzes Empire dann eine Haushaltsbelastung fürchten, wenn gerade ihre in Deutschland stationierten Truppen nicht mehr auf Kosten des deutschen Steuerzahlers im bisherigen Umfang finanziert werden. Das müssen wir anerkennen, und deswegen müssen wir es verstehen, wenn im Ausland auch man-
ches unwirsche Wort über Deutschland fällt, so
z. B. ein Wort, das in einer englischen Zeitung mit dem Satz geprägt worden ist: „Fritz" — da war nicht der Finanzminister gemeint;

(Heiterkeit)

das ist der Name für den Deutschen schlechthin —, „Fritz zahlt im Vorbeigehen". Nein, so ist es nicht! Ich bin mir ganz genau bewußt, daß die Lasten, die das deutsche Volk für Verteidigungszwecke aufbringt, mindestens genau so schwer sind wie die der anderen Länder. Ich halte sie — verglichen mit den sozialen Leistungen und den für unseren Wiederaufbau notwendigen Beträgen — für schwerer und angesichts des geringeren Ausmaßes unseres Sozialprodukts, pro Kopf der Bevölkerung gemessen, für viel mehr fühlbar als in jedem anderen Land.
Aber eines müssen wir dem deutschen Volk sagen und eines wollen wir der Welt ganz ehrlich sagen. Wenn die Lasten auch schwer sind und wenn wir dem deutschen Volk gegenüber die Verantwortung für die Einnahmenseite, für die Steuern auch tragen müssen —, das Ziel aller Arbeit ist, einen neuen Weltkrieg zu vermeiden und den Frieden der Welt und der deutschen Nation zu erhalten. Steuer zahlen - das habe ich schon früher einmal gesagt — ist schwer; aber den Sohn sterben sehen, ist viel schwerer!

(Langanhaltender, lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0122103500
Das Wort hat der Abgeordnete Schoettle.


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0122103600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man merkt an der Art des Beifalls im Hause, daß das Radio eingeschaltet ist.

(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Erregter Widerspruch und Pfui-Rufe bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Wuermeling: Typisch SPD!)

— Meine Damen und Herren, ich bin genau in der gleichen Lage wie Sie.

(Abg. Strauß: Das war den ganzen Tag eingeschaltet, auch bei Carlo Schmid! — Abg. Dr. Wuermeling: SPD, wie sie leibt und lebt!)

— Ich sage es ja, ich bin genau in der gleichen Lage wie Sie bei uns.

(Abg. Lücke: Die SPD gibt die Visitenkarte ab! — Abg. Strauß: Ausgerechnet Sie mit ihrer Geräuschkulisse! — Anhaltende große Unruhe.)

— Die Geräuschkulisse war heute im Lager der Regierungskoalition erheblich stärker als auf seiten der Opposition.

(Abg. Strauß: Das war auch begründet!)

— Ich glaube nicht, daß Sie sich heute hier im einzelnen so benommen haben, wie Sie das gern von anderen wünschen. Aber lassen wir das hier beiseite. Ich komme zur Sache.

(Abg. Lücke: Das ist auch am besten für Sie. Schulmeistereien können Sie sich sparen!)

— Ach, was Schulmeistereien betrifft, sind Sie gelegentlich auch Meister.
Hier hat soeben der Herr Bundesfinanzminister gesprochen, und wie es in der Natur seiner Aufgabe liegt, sprach er von den finanziellen Problemen, die mit diesen Verträgen zusammenhängen. Ich muß ihm auf dieses Gebiet folgen; denn es ist klar, daß diese Fragen bei der Beurteilung der Wirkung der Verträge auf unsere Volkswirtschaft, auf unsere steuerliche Belastung, auf unsere inneren Möglichkeiten eine außerordentliche Rolle spielen. Nicht umsonst ist man ja in der Propaganda für die Verträge immer wieder mit der These aufgetreten, daß es durchaus möglich sei, die Lasten auf die Schultern der Bundesrepublik zu übernehmen ohne eine Steigerung der steuerlichen Belastung und ohne eine Beeinträchtigung der sozialen Leistungen der öffentlichen Hand. Diese These ist von Herrn Schäffer mehrmals vertreten worden, und der Herr Bundeskanzler hat gerade in den letzten Tagen durch ein Interview im „Echo der Zeit", abgedruckt im „Bulletin" der Bundesregierung, geradezu das klassische Zitat geliefert, als er auf Fragen seines Interviewers erklärte, daß es durchaus falsch sei, wenn man von der Annahme ausgehe, daß wir mit dem Verteidigungsbeitrag etwa unsere sozialen Leistungen einschränken und neue Steuern ausschreiben müßten. Ich will dies Zitat hier nicht wiederholen; es kann ja von jedermann nachgelesen werden.
Herr Bundesfinanzminister Schäffer hat hier
— ich nehme das jetzt durchaus so ironisch, wie er es gemeint hat — vom Säckelmeister Nebukadnezars geredet. Nun, meine Damen und Herren, ich kenne nicht die einzelnen Schicksale der möglicherweise verschiedenen Säckelmeister dieses babylonischen Tyrannen;

(Sehr gut! bei der SPD)

aber ich kann mir sehr gut vorstellen, daß zu jener Zeit die Dinge etwas anders waren als heutzutage und daß ein Säckelmeister, der nicht den Wünschen seines Herrn und Meisters blindlings entsprochen hätte, an einer Zinne des babylonischen Ziggurat aufgehängt worden wäre. Wir verfahren heute mit Finanzministern glimpflicher. Aber die Entwicklung scheint auch nach den vorliegenden Verträgen doch auf einen gewissen Abbau der demokratischen Kontrolle der öffentlichen Ausgaben hinauszulaufen.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Davon glaube ich, muß man im Zusammenhang mit diesen Verträgen auch reden, weil die Konstruktion — und das ist nicht das erste Mal; das ist beim Schumanplan so; das ist auch beim EVG- Vertrag so — letzten Endes darin gipfelt, daß eine ganz kleine Gruppe von Menschen über einen sehr großen Finanzfundus verfügt, ohne daß die Parlamente der Länder, die an diesen Verträgen beteiligt sind, mehr zu tun haben, als eine Globalsumme zu bewilligen.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Man komme uns nicht damit, daß man sagt: Ja, aber wir sind im Ministerrat beteiligt, und dann gibt es ja auch die Versammlung. Ich komme darauf noch zurück und will nachweisen, wie wenig das in der Praxis bedeutet.
Nun hat der Herr Bundesfinanzminister aus der reichen Kenntnis des Verhandlungsverlaufs und der Verhandlungsergebnisse hier im Hause berichtet. Es ist selbstverständlich, daß es in vielen Fragen, die die Beurteilung von Ziffern betreffen, gar keine Meinungsverschiedenheiten geben kann, soweit eben rechnerische Ergebnisse vorliegen. Der wirkliche Gegensatz bei der Beurteilung der Verträge liegt ja auch nicht in ihren finanziellen Wirkungen, sondern er liegt im Politischen; er liegt in der Unterschiedlichkeit der Absichten und der Ziele, die mit diesen Verträgen verfolgt werden und die von der oder jener Seite dieses Hauses und — das darf man noch hinzusetzen — auch im Volke sehr verschiedenartig beurteilt werden. Ich bin mir also vollkommen bewußt: wenn man von Geld und von Summen redet — und da bin ich vermutlich in der gleichen Lage wie der Herr Bundesfinanzminister —, hat man nicht dieselbe Resonanz, wie wenn man die großen Probleme aufrollt und dabei mit Gefühlen operieren kann. Hier geht es nicht um die Gefühle, sondern hier geht es darum, meine Damen und Herren, daß, an der Oberfläche gesehen — und das hat der Herr Bundesfinanzminister durchaus zugegeben —, auch in Zukunft rund 40 % unseres gesamten Haushaltsvolumens für Verteidigungslasten — früher waren es Besatzungslasten — zunächst einmal in einer Globalsumme zur Verfügung gestellt werden müssen. Wir reden zwar bei der Festsetzung dieser Summe mit; aber, ich glaube, es kommt sehr bald ein Zeitpunkt, wo unsere Mitsprache nicht mehr das gleiche Gewicht hat wie etwa in der Übergangszeit, nämlich wenn wir nach den vollen NATO-Grundsätzen mit veranlagt werden. Denn dann entscheidet eine Körperschaft, an der wir nicht beteiligt sind und die nach anderen Maßstäben, nach einem festgefugten Schlüssel die Anteile der einzelnen Länder festlegt.
Aber, wie gesagt, das ist eine Frage, die man im einzelnen zu prüfen haben wird. Ich glaube, es ist in dieser ersten Lesung der Verträge gar nicht möglich, auf alle Details einzugehen. Wir


(Schoettle)

werden bei der zweiten und dritten Lesung und vor allem in den Ausschüssen Gelegenheit haben, festzustellen, wie die einzelnen Teile des Vertragswerks aufeinander wirken und wo noch Verpflichtungen und Lasten enthalten sind, die man nicht auf den ersten Blick sieht; und auch solche Möglichkeiten und' solche Lasten gibt es. Ich glaube, daß die wenigsten in diesem Hause — und ich nehme es auch nicht für mich in Anspruch — jede Implikation bereits erkannt haben, die in den einzelnen Vertragstexten, die so eng miteinander verflochten sind, noch verborgen ruht.
Der Herr Finanzminister hat zunächst einmal zugestehen müssen, daß die Bundesrepublik einen Betrag von 850 Millionen DM vom Inkrafttreten des Vertragswerks ab an deutschem Verteidigungsbeitrag bezahlt. Wie immer man nun den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verträge ansetzt, ob das der 1. November 1952 oder der 1. Januar 1953 ist, das ändert im Effekt nichts an der Tatsache, daß wir nur für dieses Haushaltsjahr noch einen Spielraum haben, daß wir aber zu irgendeinem Zeitpunkt, der übersehbar ist — wenn die Verträge ratifiziert werden —, das volle Gewicht der Lasten zu spüren bekommen.
Man kann also die Frage zunächst ausschalten, wann das in vollem Umfang in Betracht kommt, und es genügt festzustellen, daß wir wahrscheinlich im Schnitt pro Jahr bei den 10,2 oder 10,5 Milliarden bleiben oder ankommen werden, die so im Laufe der Verhandlungen als deutscher Beitrag für die EVG herausgerechnet worden sind. Die Frage kann gestellt werden, ob es dabei bleiben wird, ob das die totale Last ist, die die Bundesrepublik auf sich zu nehmen hat. Ich habe schon davon gesprochen, daß ein Zeitpunkt kommen wird, an dem wir nicht mehr so mitreden werden wie in der Übergangsperiode, nämlich, wenn NATO mit ins Spiel kommt.
Im übrigen ist es aber so, daß die Last, die zunächst einmal fixiert worden ist, nach dem Betrag, der für die stationierten Truppen aufgebracht werden muß, und nach dem Teil, der auf das deutsche Kontingent entfällt, in Wirklichkeit — auch wenn man die sich langsam umwandelnden Quoten in Betracht zieht — doch nur die Unterhaltung der deutschen Kontingente betrifft, nicht aber ihre Aufstellung und Ausrüstung. Die Aufstellung und Ausrüstung dieser zunächst zwölf deutschen Divisionen kostet ja auch Geld. Man muß sie ausstatten, damit sie überhaupt Soldaten sind, man muß ihnen Waffen geben, man muß ihnen Uniformen geben. Das alles kostet Geld. Es gibt einen Experten. der es wissen muß und der sich darüber auch- öffentlich geäußert hat, nämlich unser Herr Kollege Blank ten die Summe genannt, die die Erstausstattung, die Aufstellung der deutschen Kontingente kosten wird. Er hat die Kosten pro Division für die Erstausstattung, Aufstellung, Ausrüstung auf 3 Milliarden DM beziffert, d. h. wenn man zwölf Divisionen zugrunde legt, kam er auf einen runden Betrag von 40 Milliarden DM für die Aufstellung der deutschen Kontingente.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Das wird sich wahrscheinlich nicht in einem Augenblick abrollen lassen, sondern das wird langsam, im Tempo, in dem diese Divisionen aufgestellt werden, erst spürbar werden. Aber es sind doch — nach Herrn Blank — 40 Milliarden DM, die diese 12 deutschen Divisionen zunächst kosten.
Herr Blank hat außerdem dann weiter gerechnet 'I und hat gesagt — und auch das ist durchaus anzuerkennen —, daß es ja mit der Aufstellung von 12 Divisionen nicht getan ist. Er hat eine Dienstzeit von 2 Jahren unterstellt und hat ausgerechnet, daß das im Laufe von 10 Jahren einen Umschlag macht, der sich auf 60 Divisionen Reserven beläuft. Diese Reservedivisionen haben auch nur dann einen Wert, wenn man ihre Ausrüstung bereitstellt, sonst sind es ja einfach Menschen in Uniform, und vielleicht das noch nicht einmal. Man muß also auch dafür einen bestimmten Betrag in Rechnung stellen. Er hat diesen Betrag auf 10 Jahre mit rund 200 Milliarden DM beziffert.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Ich kann nur das zitieren, was Herr Blank öffentlich gesagt hat, und es ist nicht meine Sache, im einzelnen den Sachverstand dieses Experten der Bundesregierung anzuzweifeln.
Ist noch hinzuzufügen, daß die Vereinigten Staaten für die Erstausstattung dieser 12 deutschen Divisionen einen Betrag von 5 Milliarden DM oder 1 Milliarde Dollar in Aussicht gestellt haben. Daß das nicht ausreicht, um die deutschen Kontingente auszurüsten, ist klar. Es erhebt sich die Frage: wer bezahlt den Rest? Die EVG sicher nicht; denn die hat ja die Beträge, die sie aus den einzelnen nationalen Beiträgen ansammelt, in erster Linie für die Unterhaltung der Truppen zu verwenden. Man muß also die Frage stellen: wer bezahlt den Rest? Die Frage wird einmal zu beantworten sein. Ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich behaupte, daß das in vollem Umfang auf die Bundesrepublik, auf ihren Bundesfinanzminister und ihre Steuerzahler zukommt.
Nun eine andere Frage. Diese Form der Verträge — ich habe das Problem schon vorhin angedeutet
— führt vor allem dazu, daß wir durch internationale Verpflichtung auch im internen Verhältnis gezwungen sind, bestimmte recht umfangreiche Teile unseres eigenen Haushaltsvolumens global zur Verfügung zu stellen. Nun kann man sagen, daß war schon bisher bei den Besatzungskosten so
— das ist richtig — und es wird in Zukunft auch so sein; aber wir können wenigstens über die Höhe dieser Globalsumme mitsprechen. Aber, meine Damen und Herren, hier wird am deutlichsten, was Verzicht auf Souveränität bedeutet. Ich bin kein Illusionist und ich glaube, ich kann da für die ganze sozialdemokratische Fraktion sprechen: Wer uns unterstellt, daß wir die nationale Souveränität als einen anbetungswürdigen Fetisch betrachten, der verkennt nicht nur die ganze Geschichte, der verkennt auch die gegenwärtige Haltung der Sozialdemokratischen Partei.

(Beifall bei der SPD.)

Aber wenn man schon von den Dingen so redet, daß sie nahezu zu Idolen werden — nämlich vom Verzicht auf die Souveränität als dem großen Fortschritt unserer Zeit —, dann muß man auch im Konkreten sagen, was das praktisch für das Funktionieren der Demokratie bedeutet. In diesem Falle der Haushaltskontrolle, einem der wichtigsten Rechte aller Parlamente, werden zwar alle Parlamente der Länder, die an der europäischen Verteidigungsgemeinschaft beteiligt sind, gleichmäßig betroffen. Das muß ohne weiteres gesagt werden: diese Einschränkung gilt für alle Parlamente. Aber sie bedeutet auch für alle Parlamente, daß sie auf einen wesentlichen Teil ihrer Kontrollrechte verzichten müssen.

(Zurufe von der Mitte: Zugunsten Europas!)



(Schoettle)

— Nein, nicht zugunsten Europas. Wenn Europa darin besteht, daß man die Demokratie im Interesse des Funktionierens einer solchen Gemeinschaft abbaut, dann frage ich mich, ob der Preis nicht doch etwas zu hoch ist.

(Beifall bei der SPD. — Zuruf des Abg. Dr. Gerstenmaier.)

Schließlich ist ja Europa nicht einfach eine Summierung von Menschen. Wenn es so sein soll, daß wir alle in diesem Europa leben können, dann muß es eben tatsächlich auch eine funktionsfähige demokratische Ordnung haben. Es ist eines der entscheidenden Anliegen jeder Demokratie, mag sie nun auf nationaler oder auf kontinentaler Basis aufgebaut sein, daß diejenigen, die das Geld ausgeben, von denen kontrolliert werden müssen, die vom Volk dazu beauftragt sind.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Wie steht es da bei der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft? Das Budget wird vorbereitet, aufgestellt vom Kommissariat, beschlossen vom Ministerrat. Es kann dann von der sogenannten Versammlung abgelehnt werden, aber nur mit zwei Dritteln der Stimmen. Meine Damen und Herren, es ist ein bequemes Regieren, wenn man seinen Haushaltsplan schließlich noch mit einem Drittel der Stimmen unter Dach bringen kann. Der Bundesfinanzminister Schäffer wird seinen Haushalt in diesem Bundestag hoffentlich nicht einmal nach dem Beispiel der Organisation der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft unter Dach und Fach bringen.

(Abg. Erler: Der lernt! — Weitere Zurufe von der SPD.)

Ich glaube, daß hier ein Punkt ist, der zu den allerschwersten Bedenken Anlaß gibt, und zwar nicht nur deshalb, weil hier in einem einzelnen Fall so verfahren wird, sondern weil es eine allgemein zu beobachtende Tendenz ist, auf dem Wege über solche Verträge die Parlamente auszuschalten.

(Sehr richtig! bei der SPD. — Abg. Euler: Wir wollen ja möglichst schnell eine europäische Konstituante!)

— Ich kann hier nicht auf alle Zwischenrufe eingehen, auch nicht auf die von Herrn Euler; ich muß es ihm überlassen, seinen Standpunkt von hier aus zu vertreten.
Ein anderes Problem ist die steuerliche Behandlung der Streitkräfte, die in unserem Lande stationiert sind. Es ist nicht nur deshalb ein Problem, weil der Gedanke der Partnerschaft und der Gleichberechtigung nach unserer Auffassung in außerordentlich starkem Maße lädiert worden ist, sondern auch deshalb, weil die steuerliche Behandlung der in Deutschland stationierten Kräfte gewisse sehr unwillkommene Konsequenzen für unser eigenes Steuersystem, für unsere eigene Finanzmoral und für gewisse innere Zustände hat.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Daß hier der Grundsatz der Gleichberechtigung mindestens im Verfahren und in der Bewertung der deutschen inneren Situation nicht eingehalten ist, ergibt sich, wenn man sich den Art. 2 des einschlägigen Vertrags zwischen den NATO-Ländern vergegenwärtigt, nämlich das „Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikpakts über die Rechtsstellung ihrer Truppen". Da ist eine — wenn man an all diesen Dingen Gefallen findet! —
sehr saubere Lösung für ein schwieriges Problem gefunden worden. In der Ziffer 1 dieses Art. 2 heißt es:
Die Mitglieder einer Truppe oder des Gefolges sowie ihrer Angehörigen können sich an Ort und Stelle die für ihren eigenen Verbrauch erforderlichen Waren und die von ihnen benötigten Dienstleistungen unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaates verschaffen.

(Abg. Erler: Hört! Hört!)

Von dieser, ich möchte beinahe sagen, gentlemanliken Behandlung, wenn dieses etwas verkrachte englische Wort hier angebracht ist,

(Abg. Dr. Gerstenmaier: Es geht!)

ist in den Verträgen mit der Bundesrepublik nichts zu spüren.
Ein leiser Nachklang davon, in welcher Art diese Dinge wahrscheinlich auch hinter den Kulissen von den Streitkräften selbst, nämlich von der Militärbürokratie der Besatzungstruppen, im Kampf mit dem Herrn Bundesfinanzminister schließlich fixiert worden sind, ist ja in seinen eigenen Ausführungen noch zu verspüren gewesen, als er davon sprach, wie schwer es eben für Besatzungstruppen sei, von Dingen herabzukommen, die sie sozusagen ererbt haben.

(Zustimmung bei der SPD.)

Ich bin der letzte, Herr Minister Schäffer, der Ihnen einen Vorwurf macht, daß Sie nicht das letzte mögliche Verhandlungsergebnis erzielt haben. Ich habe Ihre zähe Verhandlungskunst oft bewundert und bin überzeugt, wenn manche unserer Unterhändler so zäh verhandelt hätten wie der Bundesfinanzminister, wäre in anderen Teilen der Verträge vielleicht auch ein anderes Ergebnis erzielt worden. Aber das zu beurteilen, ist nicht die Sache der Opposition, es ist auch nicht reine Courtoisie Ihnen gegenüber, Herr Schäffer, sondern es ist einfach die Feststellung eines Tatbestandes.

(Zuruf links: Siehste, siehste!)

— Ihre Reaktionen sind mir herzlich Wurst, muß ich offen sagen.

(Glocke des Präsidenten.)

Meine Damen und Herren, die steuerliche Behandlung — ich kann sagen: Sonderbehandlung — der Streitkräfte und ihrer Angehörigen ist auch insofern ein Problem, als ja hier folgender Tatbestand vorliegt: Kein Mensch wird, wenn man die Tatsache der Stationierung fremder Truppen auf unserem Gebiet einmal akzeptiert, gegen den Grundsatz polemisieren, daß der Aufnahmestaat, in diesem Falle die Bundesrepublik, aus der Anwesenheit fremder Truppen keine steuerlichen Vorteile ziehen soll. Ich glaube, darüber brauchen wir gar nicht zu reden. Aber etwas anderes ist es, ob die Bundesrepublik steuerliche Nachteile und Ausfälle in Kauf zu nehmen hat.
Wir haben eine lange und trübe Erfahrung mit dem Aufenthalt fremder Truppen auf unserem Gebiet, was den Besatzungsschmuggel betrifft. Ich will mal von der moralischen Seite der Sache gar nicht reden, von der Form, in der Menschen unseres eigenen Fleisches und Blutes korrumpiert werden durch die Beziehungen zu den Schmuggelzentren, die deshalb im Lande entstanden sind, weil die Schmuggelgrenze quer durch unser Land gezogen oder ins Land hineinverlegt worden ist.

ScHoettle)
Aber der Ausfall an Einnahmen aus Zöllen und Verbrauchsteuern durch den Besatzungsschmuggel wird nach offiziellen Schätzungen auf rund 400 Mililonen DM jährlich beziffert bei einem Gesamtausfall durch den Schmuggel von vielleicht 800 Millionen DM. Ich frage mich — und darauf habe ich keine klare Antwort in den Verträgen gefenden, und auch der Herr Bundesfinanzminister hat darüber nicht sehr viel gesagt —, ob durch die Verträge nach ihrem Wortlaut und ihrem Geist und nach der Art, wie die Besatzungsmächte, unsere künftigen Verbündeten, sich zu diesen Fragen gestellt haben, eine Möglichkeit besteht —ich will gar nicht sagen: vollkommen —, diesen Besatzungsschmuggel zu beseitigen, oder ob das auch künftighin so weitergehen soll. Denn Tatsache ist — und auch davon wird man sehr schwer herunterkommen —, daß z. B. die amerikanischen Besatzungsangehörigen in einem Maße mit wichtigsten Verbrauchsgütern versorgt werden, daß sie sie gar nicht konsumieren können und geradezu zum „Schmuggel" gezwungen sind. Wenn das nicht anders wird, meine sehr verehrten Damen und Tierren, dann werden wir dieses Loch mit all den Wirkungen, die sich daraus ergeben, auch künftig haben. Auch das ist auf der Negativseite, wenn nan von den finanziellen Dingen redet, mitzuauchen; man kann nicht darum herum und muß s mit zur Kenntnis nehmen.
Ein weiterer Punkt — ich kann jetzt nur an Beispielen illustrieren, was sich im einzelnen an Kritik im Ausschuß und in der zweiten und dritten Lesung wahrscheinlich ergeben wird — ist der Vertrag, der sich mit den Folgen der Kriegsereignisse usw. beschäftigt. Sein komplizierter Titel heißt Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen. Dieser Vertrag spricht in seinem Teil VI, Art. 3, einen Verzicht auf das Auslandsvermögen aus, auf das private Auslandsvermögen wohlgemerkt. Herr Dr. von Merkatz hat hier versucht, diesen Verzicht zu bagatellisieren oder, wie er meinte, in die richtige Perspektive zu rücken. Ich weiß nicht, ob es möglich ist, das auf dem Wege der Interpretation zu tun. Es helfen alle Worte nicht über die Tatsache hinweg, daß hier ein Verzicht vorliegt. Daß der Verzicht abgenötigt worden ist, wie Herr Dr. von Merkatz hier gesagt hat, mag sein. Ich kann darüber nicht rechten. Immerhin, daß er abgenötigt werden konnte, ist auch bezeichnend für den Geist, in dem die Verhandlungen zum Teil geführt worden sind.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Wir sollten doch nicht vergessen, daß es sich nicht nur um reiche Leute handelt, um Industrieunternehmungen, deren Auslandsanlagen etwa dadurch abgeschrieben worden sind, sondern, wie wir aus vielen Briefen wissen, um zahllose kleine Besitztümer, die die Leute zum Teil ererbt, erspart oder erarbeitet haben und die auch mit verlorengehen.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Es ist schwer, einen Stein zu werfen. Aber es ist notwendig, klipp und klar zu sagen, daß hier eine Legierung, die auf ihre Fahne unter anderem auch den Schutz des Privateigentums geschrieben hat, auf deutsches Privateigentum im Werte von rund
Milliarden Verzicht leistet,

(Sehr richtig! bei der SPD)

und zwar nicht nur Verzicht leistet für Akte, die
in der Vergangenheit geschehen sind, sondern auch
für solche, die noch geschehen können. Man muß das festhalten.

(Zurufe von der Mitte.)

— Ja, meine Damen und Herren und Herr Kollege Bausch, wir werden ja im allgemeinen als Feinde des Privateigentums ausgeboten, nicht wahr!

(Zurufe von der Mitte: Nein! — Abg. Bausch: Nicht mit diesem Pathos!)

— Nein, ich rede hier nicht mit Pathos, ich rede nur mit großer Energie von einem Faktum, das klipp und klar aus den Verträgen herauszulesen ist und zu dem Sie auch ja zu sagen bereit sind.

(Zurufe von der Mitte.)

— Ja, Sie werden immer empfindlich, wenn wir Ihnen etwas Unangenehmes sagen.

(Widerspruch in der Mitte.)

Wenn man das alles zusammennimmt, worauf hier Verzicht geleistet wird, dann kommt man zu einem Betrag, der von Sachverständigen — ich will jetzt nicht darüber reden, wieweit sie recht haben — auf 20 Milliarden geschätzt wird.

(Abg. Bausch: 1945 hat kein Mensch gehofft, noch einen Pfennig zu bekommen!)

— Ich sage noch einmal: der Verlust durch den Verzicht an Privateigentum im Ausland wird auf 20 Milliarden geschätzt. Nimmt man dazu noch die Patente und Warenzeichen im Werte von rund 15 Milliarden, dann kommt ein Gesamtbetrag von 35 Milliarden heraus, auf den in Teil VI Art. 3 des erwähnten Zusatzabkommens Verzicht geleistet wird.

(Abg. Bausch: Völlig freiwillig!)

— Ich habe ja nicht behauptet, Herr Kollege
Bausch, daß das kein völlig freiwilliger Verzicht
sei. — Wenn Sie sich darüber aufregen, daß das
hier festgestellt wird, so bitte ich Sie, nachher hier aufs Podium zu kommen und den Leuten, die es angeht, zu erklären, mit welcher moralischen Begründung das geschehen ist.

(Beifall bei der SPD.)

Ein anderes Problem, das ich in diesem Zusammenhang nur kurz berühren kann, das aber doch berührt werden muß, ist das Problem, das durch die weitgehenden Wirkungen dieser Verträge in unsere eigene Volkswirtschaft hinein aufgeworfen wird, nämlich das güterwirtschaftliche Problem. Es wird zweifellos — und das gilt für alle Länder, die in diesen Prozeß der Aufrüstung hineinkommen — eine gewisse Umschichtung der Produktion vom zivilen auf einen anderen Sektor eintreten. Nicht umsonst ist in den letzten Wochen nicht nur einmal, sondern mehrmals, auch von offiziöser Seite, vor einem übertriebenen Optimismus und vor einer Hoffnung auf einen Rüstungsboom, auf eine Rüstungskonjunktur gewarnt worden. Ich glaube, diese Warnung war außerordentlich notwendig, denn man soll sich die Dinge nicht etwa so vorstellen, daß in dem Moment, in dem die Verträge in Gang kommen, sich das wiederholen wird, was sich in den Jahren 1933, 1934 und 1935 bei der Hitlerschen Aufrüstung ereignet hat. Das Problem der Unterbringung von immerhin mehr als 1 Million Arbeitsloser, das uns in Deutschland gestellt ist, ist nicht damit zu lösen, daß man soundso viel Menschen ins Militär bringt. Hier werden noch einige andere Probleme und einige andere Fragestellungen auftauchen.
Aber ich möchte mich in diesem Zusammenhang mit einem Zitat begnügen, einem Zitat, das aus einer Quelle stammt, die wirklich objektiv ist. Es


(Schoettle)

ist nämlich das Buch „Sechs Jahre Besatzungslasten", herausgegeben vom Institut für Besatzungsfragen in Tübingen, und zwar von Herrn Professor von Schmoller. Hier wird folgendes gesagt, was sich durchaus auch in die Debatte über den Verteidigungsbeitrag und über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft organisch einfügt, und zwar zur Frage des Leistungsentzuges und der dagegen vorgebrachten Argumente — „Scheinargumente" heißt es in diesem Buch —:
Unter dem Gesichtspunkt des Leistungsentzuges betrachtet, stellen die Besatzungslasten
— und deshalb zitiere ich das —
weitgehend etwas Ähnliches dar wie Wehrausgaben. In beiden Fällen besteht die Belastung der Volkswirtschaft darin, daß Leistungen ohne entsprechenden unmittelbar wirtschaftlichen Gegenwert entnommen werden. Durch den Entzug von Leistungen aus dem normalen Kreislauf der Wirtschaft mindert sich zwangsläufig die Lebenshaltung. Die für eine eigene Wehrmacht oder für die Besatzungsmacht bestimmten Leistungen werden von der Gesamterzeugung der Volkswirtschaft abgezweigt. Besatzungslasten und Wehrausgaben werden daher praktisch von dem einzelnen Verbraucher durch eine Beschränkung seines Konsums getragen.
Nun kann man sagen: „Das haben wir ja schon bisher gehabt, und die Besatzungslasten waren noch unangenehmer als die Verteidigungslasten, die wir mehr oder weniger freiwillig auf uns nehmen." Ich möchte aber dem Herrn Bundesfinanzminister nicht folgen in seinem Versuch, uns klarzumachen, daß das Nichtzustandekommen der Verträge zwangsläufig eine weitere Steigerung der Besatzungslasten unter denselben Bedingungen bedeuten würde, wie sie bisher obgewaltet haben. Es ist hier so oft heute gesagt worden, daß die Zeit nicht stille stehe. Ich glaube, die Zeit steht auch dann nicht stille, wenn dieses Parlament sich weigert, Verträge zu unterschreiben, deren Inhalt es nicht gutheißt, und wenn es den Wunsch ausspricht, bestimmte Dinge zu ändern oder neue Verhandlungen einzuleiten.

(Beifall bei der SPD.)

Ich glaube, die Voraussetzungen, unter denen diese Verträge von den Verhandlungspartnern der Bundesregierung angestrebt und mit formuliert worden sind, werden morgen genau die gleichen sein, wie sie gestern waren.

(Abg. Dr. Wuermeling: Das möchten Sie!)

— Nein, Herr Wuermeling! Ich bitte Sie nur einmal an einen klassischen Fall zu denken. Der Herr Bundesfinanzminister hat vorhin sehr schöne Worte über Berlin und seine Bedeutung im Rahmen der westlichen Verteidigung gefunden. Es war schwer, den Alliierten Verständnis für diese Bedeutung Berlins beizubringen, wie sich ja auch daraus ergibt, daß man das Problem der Anrechnungsfähigkeit der Leistungen der Bundesrepublik für Berlin doch offenbar noch nicht ganz gelöst hat. Vielleicht wird es eines Tages auch dort dämmern, daß Berlin, wenn es gehalten werden kann, für die Demokratie in der westlichen Welt ein unersetzliches Bollwerk ist, und daß, wenn Berlin aufgegeben würde, das eine entscheidende moralische und eine politisch-militärische Niederlage für die westliche Demokratie wäre.

(Abg. Albers: Also darf es nicht fallen!)

— Ich bin mit Ihnen durchaus einer Überzeugung, Herr Kollege Albers: Berlin darf nicht fallen! Ich will daran nur illustrieren, daß es einfach nicht so ist, wie vielfach gesagt wird: daß die westlichen Mächte überhaupt keine Interessen hätten, die sie nicht ohne weiteres aufgeben könnten.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Ich glaube, im Falle Berlin wird das drastisch illustriert. Denn wenn dieses Bollwerk aufgegeben würde, meine Damen und Herren, würden die Leute, die mit der Bundesrepublik in ein vertragliches Verhältnis kommen wollen, erneut nachzudenken haben.
Aber ich wollte Ihnen an diesem Fall nur illustrieren, wie die güterwirtschaftlichen Probleme unter Umständen doch im Gesamtvolumen unserer Wirtschaft, wenn keine überraschende Erweiterung eintritt, Umschichtungen und Spannungen erzeugen. Auch die Bundesregierung hat ja bei ihren Versuchen in den Verhandlungen, auf Grund von Berechnungen das Sozialprodukt und seine Steigerungsmöglichkeiten zu ermitteln, einen Steigerungssatz von, wenn ich mich recht erinnere, 5% für die erste Periode angenommen. Ganz abgesehen davon, daß sich sehr viel darüber sagen läßt, ob diese Hoffnung richtig ist — eines ist zu sagen: selbst wenn eine solche Steigerung eintritt, wird die Mehrbelastung, die wir im gesamten auf uns nehmen werden, diese Steigerung nicht nur in vollem Umfange konsumieren, sondern es wird zwangsläufig eine Umschichtung vom zivilen auf den militärischen Sektor eintreten.
Zusammengenommen, meine Damen und Herren: Ich bin mir klar darüber, daß eine völlige Ermittlung aller wirklichen materiellen Belastungen erst möglich ist, wenn wir die Verträge in allen ihren Einzelheiten in den Ausschüssen beraten haben werden. Aber im ganzen, glaube ich, darf man auf die Frage, ob der Verteidigungsbeitrag in seiner fetzigen Form ohne Steuererhöhungen und ohne
Kürzung der Sozialleistungen geleistet werden kann. mit einem glatten Nein antworten.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Gewiß, es wird durchaus möglich sein — und die Entwicklung mit der Ratifizierung hat ja schon einen solchen Spielraum er geben —, daß man im ersten Jahr des Anlaufens die Dinge noch etwas kaschieren kann. Man kann sie sogar bagatellisieren, falls sich zeigt, daß da noch gewisse Ersparungen gegenüber ursprünglichen Ansätzen möglich sind, und damit wird man operieren. Aber ich glaube, daß dieses Spiel nicht allzu lange gehen wird. Das mag im ersten und im zweiten Jahr gehen: aber dann wird die Wucht der Verpflichtungen und Belastungen in vollem Umfange auf uns zukommen, und dann wird man feststellen, daß man — andere europäische Länder haben ja dasselbe Problem, nur unter viel, viel günstigeren Bedingungen, zu behandeln — auf die Weise, die hier versucht worden ist oder versucht werden wird, im Begriff ist, das soziale Fundament zu zerstören, auf dem militärisch, wirtschaftlich und vor allem politisch die Freiheit allein sicher verteidigt werden kann.
Ich glaube, meine Damen und Herren, eine solche Alternative, eine solche Möglichkeit müßte eigentlich Anlaß genug sein, mit großem Ernst und
mit vollem Verantwortungsbewußtsein hier nicht nur die schönen Thesen von der künftigen europäischen Gemeinschaft zu predigen, sondern auch die möglichen materiellen und sozialen Konse-


(Schoettle)

quenzen dieser Verträge bis ins einzelne zu ermitteln und danach zu handeln.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0122103700
Das Wort hat Herr Bundesminister Schäffer.

Fritz Schäffer (CSU):
Rede ID: ID0122103800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Vorredner hat in seinen Ausführungen auch darauf hingewiesen, daß ich über manches geschwiegen hätte, insbesondere über den Teil des Finanzvertrages, der sich mit Steuern und Zöllen beschäftigt. Das veranlaßt mich, meine Ausführungen etwas zu ergänzen. Bei dieser Gelegenheit darf ich auch auf die Ausführungen des Herrn Vorredners eingehen.
Der Herr Vorredner hat zunächst einmal gesagt, die Bundesregierung habe die These aufgestellt, daß sie keine neuen Steuererhöhungen und keine Inflation will. Richtig! Die These war einmal, ganz im Telegrammstil gesprochen: Verteidigungsbeitrag aus Pflichtgefühl ja, Steuern erhöhen nein, Inflation nein. Ich glaube, die Parole war richtig und wird auch von dem Herrn Vorredner nicht bestritten. Ich glaube, daß der Herr Vorredner auch nicht behaupten kann, daß das Verhandlungsergebnis dieser Parole entgegen sei, sondern daß er zugeben muß, daß das Verhandlungsergebnis diese Parole aufrechterhält und bewahrt.
Sehr ernst hat er darüber gesprochen, daß ja die demokratische Kontrolle nicht gegeben sei. Herr Kollege Schoettle als Vorsitzender des Haushaltsausschusses, ich muß sagen, darüber bin ich etwas verwundert. Sie haben bisher im Parlament über den ganzen Besatzungskostenhaushalt nie einen Beschluß gefaßt, weil Sie gewußt haben: das sind vollendete Tatsachen. Sie haben diesen Abschnitt immer nur zur Kenntnis genommen,

(Abg. Schoettle: Das ist doch kein Idealzustand, Herr Minister!)

ich möchte sagen: knirschend zur Kenntnis genommen. Das war kein Ideal! Wenn nunmehr der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft besteht, wenn nunmehr über diese Verteidigungsbeiträge zu beschließen ist, dann haben Sie ganz genau dasselbe Recht und dieselbe Befugnis wie das französische, italienische, belgische, holländische Parlament und sonstige Parlamente in der Welt auch.

(Zuruf des Abg. Erler.)

Sie können jetzt die Verantwortung übernehmen, ob Sie den Verteidigungsbeitrag ablehnen oder nicht. Wenn Sie meinen, es sei wirklich die Aufgabe, daß alle elf Nationen, etwa die Italiener, nachprüfen, ob die Holländer in ihrer Kaserne 6 Hocker oder 8 Hocker haben und ob das Luxus ist oder nicht,

(lebhafte Zurufe von der SPD)

wenn Sie an die Einzelheiten denken, dann brauchen Sie sich nur zu entschließen, den Gedanken des europäischen Parlaments möglichst rasch zu fördern, und Sie können die letzten Einzelheiten sogar noch in einem Parlament beschlossen haben! Bis dahin muß man sich mit der Tatsache abfinden, daß die Entscheidung in einem Gremium liegt, in dem das einzelne Land nach seiner Beitragsleistung im Stimmengewicht vertreten ist. Die Entscheidung über die Kasse der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft liegt in den Händen des Ministerrats
und der sonstigen Ausschüsse, und nach den Mehrheitsvorschriften, die gegeben sind, kann in diesen Gremien eine Entscheidung von großer Bedeutung gegen den bewußten Willen Deutschlands, wenn es nur einen Verbündeten findet, gar nicht fallen. Und wer sie dort vertritt, unterliegt in diesem Hause der parlamentarischen Verantwortung. Ich glaube, daß damit dem Gedanken der Demokratie voll Rechnung getragen ist.

(Zuruf von der SPD: Na, na!)

Wenn Sie nun sagen, es bleibe nach wie vor die Tatsache, daß 40 % der gesamten Haushaltssumme für Verteidigungslasten ausgegeben werden, — richtig, aber da ist doch ein Unterschied, muß ich sagen. Bisher konnten wir die Summe nicht bestimmen, bisher ist die Summe keinem Deutschen zugute gekommen, außer den Lohnangestellten, über deren Zahl und über deren Tätigkeit wir manchmal unsere eigenen Gedanken gehabt haben.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Jetzt aber wächst Monat für Monat der deutsche Zweck, das europäische Kontingent deutscher Nation in diese Summe hinein. Sie können den Monat bestimmen, an dem Sie sagen können: alles, was der deutsche Steuerzahler zu leisten hat, kommt dem europäischen Kontingent deutscher Nation zugute. Ich glaube, das ist ein ganz anderer Gesichtspunkt.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Dieses System unterliegt der parlamentarischen Einwirkung in viel höherem Maße als das System, das wir bisher gehabt haben.
Bei allen Verträgen ist doch zu überlegen: ist der Vertrag ein Schritt vorwärts, oder ist er es nicht.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Und nun sprechen Sie von den 850 Millionen monatlich, vergessen aber doch, etwas Wesentliches zu betonen. Die 850 Millionen sind vom Inkrafttreten der Verträge an monatlich zu zahlen. Sie sind vorerst bis zu einem Endtermin — dem 30. Juni 1953 — zugesagt und stehen dann unter dem Revisionsvorbehalt. In dem Finanzvertrag finden Sie ausgedrückt, was in den Vertragsverhandlungen vereinbart worden ist: die Revision wird durchgeführt von der deutschen Bundesrepublik, der EVG — in der die deutsche Bundesrepublik stark vertreten ist — und den beteiligten Mächten der stationierten Truppen, gleich zu gleich und unter der Voraussetzung, daß alle anderen Nationen mindestens das Gleiche dessen geleistet haben, was insgesamt vom deutschen Volke als Leistung für Verteidigungszwecke erwartet wird. Damit, so können wir sagen, haben wir über die Zweckverwendung mitzubestimmen. Wir haben den deutschen Verwendungsplan, der der Haushaltsplan für die Aufstellung des deutschen Kontingents ist, j a bereits aufgestellt. Ich darf Ihnen Ihre Sorgen, daß er nicht ausreichen könnte, etwas erleichtern. Sie haben gemeint: 200 Milliarden, nicht in einem Jahr selbstverständlich.

(Abg. Schoettle: Das habe ich ja auch nicht behauptet!)

— Ich weiß schon, das haben Sie selber betont; ich kann Ihnen aber folgendes sagen. Die Vereinigten Staaten haben die Verpflichtung übernommen, das gesamte schwere Material für die Ausrüstung der deutschen Kontingente in derselben Art, in derselben Güte, in derselben Menge, wie es nach den sogenannten NATO-Verträgen für irgendein Kon-


(Bundesfinanzminister Schiffer)

tingent zu liefern ist, auch dem deutschen Kontingent unentgeltlich zu liefern.

(Zuruf des Abg. Erler: Befristet bis 30. Juni 1953!)

Sie haben sich daneben verpflichtet, auch leichtes Material in einem bestimmten Wert und zahlenmäßig genannten Umfange zu liefern. Wir sind uns einig geworden, daß wir den deutschen Boden möglichst wenig für Exerzierplätze, Depots etc. in Anspruch nehmen wollen, uns deswegen als gleich behandeln und eine gleichmäßige gemeinsame Benutzung dieser Anlagen von vornherein vereinbaren wollen, wodurch der Bedarf auch wesentlich geringer wird. Also das Menschenmögliche ist getan, und ich glaube, auch mein Freund Blank — und der ist sicherlich geneigt, hier sorgfältig nachzurechnen und zu denken — wird Ihnen bestätigen, daß er unter diesen Bedingungen für die Aufstellung des deutschen Kontingents im ersten, menschlich voraussehbaren Zeitraum keine Sorgen mehr hat.

(Abg. Erler: Aber ab 1. Juli 1953, da kommen die Sorgen!)

— Ich hoffe, daß Sie die deutsche Bundesregierung und die Unterhändler bei den Revisionsverhandlungen möglichst unterstützen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie werden sich dann bemühen, Ihnen diese Sorgen auch für die Zeit nach dem 1. Juli 1953 abzunehmen.

(Heiterkeit.)

Die andere Frage noch mit der globalen Summe des Haushalts: das sei ein Verzicht auf die Souveränität. Herr Kollege Schoettle,

(Abg. Schoettle: Ich habe das nicht gesagt, Herr Schäffer!)

selbstverständlich ist jeder Verteidigungsbeitrag und jede Verteidigungsausgabe in allen Jahrhunderten ein Greuel für jeden Finanzminister gewesen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Finanzminister hätten ihr Geld am liebsten für andere Zwecke als ausgerechnet für den Soldaten verwendet. Das ist eine alte Geschichte; da brauche ich gar nichts Neues zu erzählen.

(Zurufe von der SPD.)

Immerhin aber verwende ich das Geld lieber für ein europäisches Kontingent deutscher Nation als für eine Besatzungstruppe.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Und nun: Werden unsere sozialen Leistungen dadurch eingeschränkt? Ich darf Ihnen eine reine Zahl nennen, und ich bitte, darüber nachzudenken. Die Steigerung der deutschen Steuereingänge vom Jahre 1950 auf das Jahr 1951 beträgt 27 %.

(Abg. Dr. Wellhausen: Hört! Hört!)

Die Steigerung der Verteidigungsausgabe plus Besatzungskosten gegenüber dem Vorjahr von 7931 auf 8800 Millionen beträgt rund 10 %. 17 %, also der größere Teil, bleiben für die übrigen Leistungen des Bundes. Sie wissen, daß sich die Sozialleistungen und Verteidigungsausgaben oder Besatzungskosten bisher ungefähr die Waage gehalten haben. Von der Steigerung der deutschen Steuerkraft bleibt der größere Teil für die sozialen Leistungen des deutschen Volkes erhalten!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das ist das Bestmögliche, was nach menschlicher Voraussicht überhaupt zu erreichen war.
Und nun zu den Steuern und Zöllen. Ich bin geneigt und sehr gern bereit, die Einzelheiten der Verträge nach dieser Richtung durchzusprechen. Ich möchte hier nur zwei Grundsätze aufstellen. Sie haben einen selbst schon genannt. Es ist natürlich, daß die Gegenseite sagt: von der Tatsache, daß wir unsere Truppen bei euch stationieren, dürft ihr steuerlich keinen Vorteil haben. Ebenso natürlich war es, daß ich zur Antwort gab: und ich will steuerlich auch keinen Nachteil haben. Infolgedessen — Grundsatz im allgemeinen, internationale Gepflogenheit —: Die Truppeneinheit als solche genießt Zollfreiheit. Das ist auch gar nicht anders zu machen.
Schwierig ist die Frage bei der Verbrauchsteuer. Der Grundsatz bei der Verbrauchsteuer ist: Wenn ihr im Inland Waren kauft, die ich wieder importieren muß, fällt es mir gar nicht ein zu sagen: ich werde dadurch, daß ihr aufkauft, begünstigt. Ich bin in diesem Fall benachteiligt, weil ich für den deutschen inländischen Verbrauch dann mit Devisen sofort wieder einkaufen muß. Infolgedessen werden Sie sehen, daß die Truppen auch für Waren, bei denen der Rohstoff oder die Ware selbst für deutschen Bedarf aus dem Ausland importiert werden muß, in keiner Weise verbrauchssteuerfrei oder sonst bevorzugt sind. Ich wünsche, daß sie ihren Bedarf selbst importieren und will die deutschen Devisen sparen. Das ist natürlich.
Wenn nun die Truppenangehörigen über PXLäden gewisse Bevorzugungen genießen, so kommt ein zweiter Grundsatz. Ich habe anerkannt: in all den Fällen, in denen die Truppeneinheiten mit Devisen einkaufen, wird es so betrachtet, wie wenn es ein Export von Deutschland in das Ausland wäre. Denn wer bei mir mit Devisen kauft, leistet mir dasselbe, was der Exporteur mir an Devisen hereinbringt. Das gilt auch für PX-Läden. Zwar zahlt der Kunde dort in D-Mark, aber die PX-Läden erhalten ihre Zahlungen in Scrips, und die Leitung der Geschäfte kauft in Deutschland zwar in D-Mark ein. Aber diese D-Mark sind alle bei der Bank deutscher Länder erst durch Dollarverkauf aus Devisen in D-Mark umgewandelt worden, stehen also volkswirtschaftlich ebenfalls dem Export begrifflich nahe. Unter dieser Voraussetzung muß man diese Steuerbestimmungen verstehen.
Ich möchte dann noch sagen, weil Sie Sorgen wegen der wirtschaftlichen Folgen geäußert haben: denken Sie daran, daß in dem EVG-Vertrag die Bestimmung steht, daß in jedem Land mindestens 85 % des von dem Land aufgebrachten Beitrags in dem Land wirtschaftlich verwendet werden müssen. Ich bin der Überzeugung, daß in Deutschland bei den gegebenen Wirtschaftsbedingungen — Leistungsfähigkeit und Sonderart der deutschen Wirtschaft, die auf Friedenswirtschaft eingestellt ist — mehr als 85% des deutschen Beitrags im Lande verwendet werden.
Es ist nicht mein Ressort, über das Auslandsvermögen zu sprechen. Aber wenn wir die Dinge ruhig betrachten, müssen wir doch sagen: 20 Milliarden DM war der Wert — war der Wert — der Patente und Lizenzen. Leider Gottes sind aber seit dem Jahre 1945 schon sechs Jahre hingegangen und vieles, was man an deutschem Vermögen im Ausland noch erhalten wünschte, ist leider Gottes nicht erhalten geblieben, und keine Macht der Erde könnte dieses Auslandsvermögen wiederherstellen. Es ist noch nie ein Friedensvertrag gewesen, in dem der Besiegte dem Sieger die Bedin-


(Bundesfinanzminister Schiffer)

gung aufgebürdet hätte, daß dieser das während des Krieges beschlagnahmte Vermögen dem besiegten Staat etwa hätte vergüten müssen.

(Abg. Erler: Das Privatvermögen ist zurückgegeben worden, bloß das öffentliche nicht!)

Ich glaube, damit auf die Einwendungen geantwortet zu haben. Ich weiß, Herr Kollege Schoettle, daß Sie in eine ehrliche Kritik der Verträge eintreten werden. Sie werden mich bereit finden, ehrlich zu der einzelnen Kritik Stellung zu nehmen. Ich darf aber doch einen Wunsch aussprechen: Wenn wir uns über Steuern und Zölle unterhalten, so gehört das mit zu unserer Aufgabe; aber in der Größenordnung ist zwischen einer einzelnen Steuer und dem Frieden der Welt ein weiter Unterschied.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0122103900
Meine Damen und Herren, wir haben heute morgen vereinbart, um 19 Uhr aufzuhören. Ich schlage Ihnen vor, diese Vereinbarung strikt einzuhalten.

(Zustimmung.)

Ich bitte Sie jedoch, sich noch eine Minute zu gedulden. Wir können den Punkt 5 der Tagesordnung:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck Nr. 597),
in dieser Minute erledigen. Das Haus ist mit dieser Überweisung einverstanden? — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen. Die Anträge sind an die bezeichneten Ausschüsse überwiesen.
Ich habe noch bekanntzugeben, daß der Unterausschuß Landwirtschaft des Heimatvertriebenenausschusses nicht um 19 Uhr, sondern um 20 Uhr in Zimmer 204 des Südflügels tagen wird.
Damit, meine Damen und Herren, berufe ich die 222. Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, 10. Juli 1952, 9 Uhr, ein und schließe die 221. Sitzung des Deutschen Bundestags.