Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung das große Vertragswerk, über das wir zu beraten haben, in die Reihe der großen Bündnissysteme gestellt, die die Geschichte des 19. und des Beginns unseres Jahrhunderts charakterisiert haben: Dreibund, Tripel-
allianz, Entente cordiale usw. Er hat uns weiter in seinen Ausführungen dargelegt, die Lage, in der sich Deutschland befinde, schlösse es aus, daß wir ohne Bündniszusammenhang mit anderen Staaten lebten, und er hat uns gesagt, daß dieses Vertragswerk gerade dies leisten werde und daß es den alten Bündnissystemen gegenüber einen grundsätzlichen Wandel bringe. Es integriere nämlich — wenn ich ihn recht verstanden habe — ehemalige Feinde, künftige mögliche Feinde zu neuen politischen Einheiten und mache so Kriege unter ihnen unmöglich; schon das sei ein absoluter Wert.
Ich frage mich, ob diese Feststellung ganz schlüssig ist. Wenn ich mir die alten Bündnisverträge anschaue, so stelle ich fest, daß sie mit dem neuen Vertragswerk sicher eines gemein haben: sie waren Militärbündnisse wie dieses Vertragswerk auch, und sie haben ein anderes gemein: sie haben die Integration einer Gruppe von Staaten, wenn auch eine lose, bewirkt und damit die Verhärtung des Zusammenhangs einer anderen Gruppe von Staaten eingeleitet. Zwischen beiden blieb aber und verbreiterte sich die Kluft. Zwar gab es innerhalb dieser Bündnissysteme keine Kriege mehr, aber zwischen den beiden Gruppen von Bündnissystemen gab es leider noch Kriege,
obwohl sie beide mit der Behauptung und mit der ernsten Versicherung angetreten sind, sie seien nur zu Verteidigungszwecken geschlossen worden.
Ich will daraus keine Folgerungen ziehen. Ich glaube nicht daran, daß man in einer ernsthaften politischen Auseinandersetzung allzu viel mit Analogien operieren sollte. Ich glaube auch nicht, daß, was sich einmal ereignet hat, sich auch bei einigermaßen vergleichbaren äußeren Voraussetzungen notwendig wieder ereignen müsse. Aber es scheint mir eine gefährliche Sache zu sein, mit historischen Analogien überzeugen zu wollen.
Man kann nämlich Analogien und Antithesen recht nach Belieben zusammensuchen, wenn man in den Handbüchern der Geschichte blättert.
— Herr Strauß, sehen Sie, ich verzichte darauf, Ihnen die Freude zu machen, etwa mit der Rheinbundakte zu operieren und daraus Analogieschlüsse zu ziehen.
Es wäre vielleicht reizvoll und würde Sie sicher
unterhalten, aber es wäre eine schlechte Methode,
und darum will ich es nicht tun.
Ich glaube, in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers ist mit voller Wahrheit gesagt worden, daß es diesen Vertragswerken gegenüber nur ein fundamentales Ja oder ein fundamentales Nein geben kann; aber ich glaube nicht, daß es richtig ist, zu sagen, es sei deswegen nötig, auf die Betrachtung von Einzelheiten zu verzichten. Denn die Einzelheiten in ihrer richtigen Zusammenfügung ergeben ja das Diagramm, die große Linie, in der der Sinn und die Möglichkeiten dieser Verträge zum Ausdruck kommen.
In der Begründung zu den Verträgen ist gesagt worden, daß mit diesen Verträgen ein Stück Weltgeschichte gemacht worden sei. Nun, sicher! Weltgeschichte geschieht immer und geschieht meistens
dort, wo man nicht weiß, daß man sie bewegt und wer sie bewegt. Es gibt da ein beherzigenswertes Wort Oliver Cromwells ... Ich glaube, daß es da schon richtiger ist, auf die Behauptung einzugehen, die heute morgen aufgestellt worden ist, durch diese Verträge sei die Geschichte Deutschlands an einen Wendepunkt gekommen. Denn die Frage, die sich uns stellt, ist doch in Wirklichkeit die: Begründen diese Verträge einen neuen Anfang oder sind sie der krönende und konservierende Abschluß einer Politik, die 1945 begonnen hat? Das ist die Frage. Ich glaube. darüber muß man sich auseinandersetzen, und darüber sollte man sich leidenschaftslos auseinandersetzen in dem Bewußsein, daß jeder nach bestem Vermögen sich zu den Gründen bekennt, von denen er annehmen muß, daß sie die guten sind.
Es ist viel davon gesprochen worden, was alles seit 1945 erreicht worden ist, und es unendlich viel erreicht worden.
Aber ich glaube, daß man bei der Buchführung darüber — Herr Kollege Majonica, Sie haben zu früh geklatscht — zwischen den Abschnitten 1945 his 1949 und 1949 bis 1952 trennen muß.
Denn es ist schon in der ersten Periode, Herr Euler, eine Reihe von Dingen geschehen, in denen sehr viel Geschichte steckt und die Wendepunkte brachten, ehe es eine Bundesrepublik und eine Bundesregierung gab.
Diese Wenden sind eingetreten auf Grund der Schwerkraft der Tatsachen, denn die Zeit bleibt nicht stehen am Tage nach dem Siege, sondern sie wandelt sich und verschiebt dabei die Machtverhältnisse durch sich selbst. Koalitionen zerfallen, und man weiß — es hat das schon sehr oft gegeben —, daß sich nach Koalitionskriegen das Bedürfnis erweist, die Bündnissysteme herumzuwerfen. Der entscheidende Wandel ist aber bewirkt worden durch den elementaren Willen des deutschen Volkes, nicht nur zu überleben, sondern sein Schicksal neu zu bezwingen.
Nach dem Zusammenbruch vor 7 Jahren haben die Sieger dieses zweiten Weltkrieges sich nicht damit begnügt, nur die obrigkeitliche Gewalt in Deutschland an sich zu reißen. Sie haben sehr viel mehr getan: sie haben versucht, dieses Deutschland aus dem Kräftefeld des politischen Geschehens auszuklammern. Das ist mehr, als es nur zu einem Objekt zu degradieren, — sie haben es zu einem Stück ihrer eigenen Politik gemacht, und was man Besatzungsregime nennt, war zumindest im Anfang nichts anderes als die Technik, Deutschland nicht nur zum Gegenstand, sondern zum Feld ihrer eigenen Politik machen zu können.
Diese Politik haben sie nicht von ungefähr und nicht zusammenhanglos gemacht. Sie haben diese Politik in Teheran vereinbart, und ein Stück dieser Vereinbarung war, daß Deutschland dadurch aus dem Kräftefeld der Politik ausgemerzt werden sollte, daß man einen Teil des Landes in den Westen hinein integriert und den anderen in den Osten. Alles, was nach 1945 zunächst kam, sollte diesem Zweck dienen. Sogar das Zonenregime, das man eingeführt hatte, sollte so etwas wie Integrationswasserscheiden in Deutschland bilden, und zwar nicht nur in der Richtung Nord-Süd, sondern
auch in der Richtung Ost-West. Man hat deutsches Gebiet abgegliedert, obwohl man in den Urkunden, die wir kennen, erklärt hat, daß man deutsches Gebiet nicht annektieren wolle, und im Potsdamer Abkommen heißt es, daß die endgültige Festlegung der Ostgrenze durch einen Friedensvertrag erfolgen soll und daß Rußland und Polen in diesem Friedensvertrag die Gebiete östlich Oder und Neiße zugeschlagen bekommen sollten. Nun, wir wissen, daß die Russen und daß die Kommunisten bei uns in Deutschland der Meinung sind, daß damit eine endgültige Grenze im Osten Deutschlands geschaffen worden sei, obwohl die Texte des Potsdamer Abkommens klar sind, und in einer der letzten Noten auf die sowjetische Anregungsnote hin haben die Besatzungsmächte im Westen erklärt, daß die russische Behauptung, die Ostgrenze sei endgültig, nicht richtig sei. Aber — und darauf muß hingewiesen werden! — in diesem Potsdamer Abkommen, auf das man sich auch im Westen heute noch beruft, haben sich der Präsident der Vereinigten Staaten und der britische Premierminister verpflichtet, auf dieser Friedens-Konferenz den Vorschlag der Potsdamer Konferenz zu unterstützen.
Und nun frage ich: Haben unsere Vertragspartner mit ihrer Versicherung, ihre Politik auf die Herstellung der Einheit Deutschlands zu richten, diese Verpflichtung den Russen gegenüber für gegenstandslos erklärt oder nicht?
Ich glaube nicht, daß man das wird ohne weiteres annehmen können. Denn in Art. 1 des ersten Teils des „Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen" heißt es, daß Rechtsvorschriften. welche die vorläufigen Grenzen der Bundesrepublik festlegen, nur mit Zustimmung der drei Mächte geändert oder aufgehoben werden dürfen. Ich muß gestehen, daß ich den Sinn dieser Bestimmung nicht recht begriffen habe. Ich wäre dankbar dafür, wenn man uns hier Aufklärung geben könnte, und ich glaube, daß wir im Ausschuß sehr lange über den Sinn und die Tragweite dieser Bestimmung werden sprechen müssen.
Zu diesen vorläufig abgetrennten Gebieten gehört ja auch das Saargebiet. Das Saargebiet liegt im Westen. Über das Saargebiet kann man sprechen, ohne mit den Russen verhandeln zu müssen.
Frankreich ist einer der Vertragspartner, und Frankreich kann das Recht an der Saar herstellen, wenn es das Recht und die Einheit Deuschlands will.
Ich hoffe nicht und ich glaube nicht, daß es hier Leute gibt, die sagen werden: „Angesichts der großen Vorhaben, die vor uns stehen, ist die Sache mit der Saar eine relativ gleichgültige Angelegenheit." Ich glaube nicht, daß irgend jemand hier so denkt. Aber wenn wir weiter so verfahren, daß wir die Sache der Saar bei jeder Verhandlung ausklammern, könnte doch im deutschen Volk da und dort eine schlimme Vermutung wachsen und Nahrung bekommen;
und ich meine, daß alles geschehen sollte, um das zu verhindern.
Man erklärt uns, wenn wir davon sprechen, immer wieder, es seien sich doch alle darüber einig, daß der Zustand an der Saar nur ein vorläufiger Zustand sei und daß die endgültige Regelung im Friedensvertrag erfolgen werde. Aber schon darüber, was „vorläufiger Zustand" heißt, bestehen offizielle Kontroversen und Meinungsverschiedenheiten, die man noch nicht einmal auszutragen versucht hat.
Für uns bedeutet „vorläufig": Es ist dort nur de facto ein anderer als der alte Rechtszustand geschaffen worden. Aber die französische Regierung hat uns zu wiederholten Malen erklärt, daß dort etwas materiell Endgültiges geschaffen worden sei und daß ..Vorläufigkeit" nicht mehr bedeute, als daß der Notar noch nicht erschienen sei, der die Begebenheiten und die Unterschriften beurkundet und beglaubigt.
Wir wissen auch, daß die Vereinigten Staaten und Großbritannien auf der Londoner Konferenz des Jahres 1948 Frankreich die Zusicherung gemacht haben, auf der Friedenskonferenz für die französischen Saarpläne einzutreten. Ich frage: Hat sich an dieser Haltung unserer Vertragspartner durch den Abschluß dieser Verträge etwas geändert? Vielleicht kann uns die Bundesregierung darüber Auskunft geben und auch darüber, was in Anbetracht der wiederholten Erklärungen des offiziellen Frankreich, daß die Saar nie wieder deutsch werden werde, die jüngsten Erklärungen — auch des offiziellen Frankreich — bedeuten: die Saarfrage müsse vor Ratifikation des Generalvertrages und des EVG-Vertrages endgültig geregelt werden. Man konnte in der Presse lesen, daß Herr Staatssekretär Hallstein mit Mr. Acheson darüber Gespräche geführt habe; vielleicht können wir Auskunft über den Inhalt dieser Gespräche bekommen.
Die Haltung, die in diesen Dingen zum Ausdruck kommt, hätte man noch verstehen können zu der Zeit, in der uns die Gedanken des heute so oft.— und mit Recht oft — zitierten Herrn Morgenthau regieren sollten, der unser Land in ein Land von Hirten und Bauern verwandeln wollte. Das ist ihm nicht geglückt, obwohl zu Anfang einiges getan wurde, um diesen Plan zu verwirklichen; er ist letzten Endes gescheitert an seiner eigenen Stupidität, und er ist gescheitert an dem unorganisierten, anonymen inneren Widerstand des ganzen deutschen Volkes. Ich werde nie vergessen, wie im südlichen Württemberg ein alter Arbeiter dem französischen Offizier, der Maschinen, die demontiert werden sollten, mit weißer Farbe abzeichnete, sagte: „Wenn ihr es nicht fertig bringt, uns die Hände abzuhacken — solange wir noch einen rostigen Nagel und einen Stein haben, mit dem wir klopfen können, werden wir in unserem Lande Maschinen bauen!" An dieser Haltung des deutschen Volkes ist das Morgenthaudenken primär gescheitert. Aber man hat uns Böses genug angetan; im Bereich des rein Politischen mit jenem negativistischen Föderalismus der Amerikaner und Franzosen — ich betone, Herr Strauß, negativistischen Föderalismus —,
mit den Maßnahmen zur wirtschaftlichen Niederhaltung Deutschlands, der politischen Entmündigung und dem uferlosen Interventionismus der ersten Jahre. Eine Weile ist das gegangen. Man
glaubte ja am Anfang auf beiden Seiten an die Allmacht der Besatzungsmächte. Aber dieser Glaube schwand; er schwand auch in Ihrer Heimat, Herr Kollege Strauß.
Da gab eines Tages eine Rede des Außenministers Byrnes — die Rede, die er in Stuttgart hielt das Zeichen, daß ein neues Denken im Begriff war zu wachsen. Ich möchte es hier offen sagen: es ist ein Ruhm der Vereinigten Staaten von Amerika, daß sie als erste umzudenken begonnen haben!
Ich glaube, sie haben es nicht getan aus sentimentalen Gründen, sie haben es nicht getan, weil wir so besonders sympathisch geworden wären, sondern sie haben es getan, weil man erkannte, daß ein verfaulendes Deutschland die ganze übrige Welt krank machen mußte.
Es war vernünftiges Selbstschutzdenken, das den Wandel gebracht hat!
Richtiges Denken in der Politik geht meistens aus vom richtig verstandenen Eigeninteresse. Man sollte das nicht beklagen, Herr Kollege Gerstenmaier; man sollte diese Tatsache hinnehmen und versuchen, damit etwas anzufangen. Schließlich haben die Besatzungsmächte eingesehen, was für ein schweres Erbe ein totaler Sieg ist. Mancher hat früh erkannt. daß es recht schwer ist, sein eigenes Land zu regieren, und auf die Dauer unmöglich, ein zweites dazu — vor allen Dingen ein zweites in der Lage Deutschlands!
Aber das entscheidende Ereignis war dann schließlich doch der von dem Außenminister General Marshall eingeleitete Akt: die Marshallhilfe. Das war ein echtes Stück weltgeschichtliche; Leistung, die erste wirklich große Tat der Solidarität einer großen Demokratie mit den anderen Demokratien in der Welt. Ich glaube. wir, nicht nur wir, die ganze Welt, hätten alle Ursache, dafür dankbar zu sein!
Die Notwendigkeit, für die Verteilung der
Marshallgelder ein Instrument zu schiffen, führte zur Bildur:g der Bizone und des Frankfurter Wirtschaftsrates. Frankreich blieb fern, weil es sich seine Zustimmung durch die Anerkennung seiner Saarpolitik abkaufen lassen wollte. Es kam die Währungsreform, die die Russen zum Anlaß nahmen, Deutschland zu spalten und den Kontrollrat lahmzulegen. Es kann die Blockade Berlins, und es kam der Widerstand des deutschen Volkes in Berlin; und dieser Widerstand war abermals etwas. das eine weltgeschichtliche Wende herbeigeführt hat.
Denn was dort geschah, hat die Welt davon überzeugt, daß das deutsche Volk ein unentbehrlicher Aktivfaktor einer jeglichen Politik des Westens ist.
Das brachte, wie ich glaube, die radikale Umkehr.
Während vorher die politische Weisheit darin bestand, das deutsche Volk aus dem Kräftefeld der
Politik auszuklammern, begann man nunmehr einzusehen, daß man Deutschland braucht, wenn man
den Westen politisch verteidigen will. Denn der
Westen kann ja in Deutschland selber tödlich getroffen werden, und ohne daß das deutsche Volk sich an diesem politischen Kampf mit allen Kräften beteiligt, kann er nicht verteidigt werden. Aber mit dem deutschen Volk kann er wirksam verteidigt werden.
Man ist auf die Deutschen so angewiesen — hat man damals gelernt — wie wir auf die Völker des Westens. Sie können die Grenzwerte unserer politischen Möglichkeiten letztlich nicht mehr bestimmen als wir die übrigen trotz aller vorhandenen oder fehlenden Divisionen. Diese Erkenntnis hat die entscheidende Wendung gebracht, noch bevor es eine Bundesrepublik gab.
Die Erkenntnisse, die damals entstanden, führten zu den Londoner Empfehlungen vom Juni 1948, durch die den Deutschen im Westen die Möglichkeit gegeben werden sollte, auf dem Gebiet der drei westlichen Besatzungszonen — ohne das Saargebiet — ein eigenes Staatswesen zu schaffen. Ich erlaube mir — ich bitte um die Erlaubnis des Herrn Präsidenten, zitieren zu dürfen —, aus den Londoner Empfehlungen einen Satz anzuführen. Er heißt:
Die Verfassung soll so beschaffen sein, daß die den Deutschen ermöglicht, ihr Teil dazu beizutragen, die augenblickliche Teilung Deutschlands wieder aufzuheben.
Die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands war also damals schon das erklärte Ziel und ein Faktor der westalliierten Politik, zu einer Zeit, als man noch nicht an deutsche Soldaten dachte und als noch nicht von Gegenleistungen die Rede war, wie sie heute verlangt werden.
Man hat diese Einheitspolitik zu einem Stück alliierter Politik gemacht, weil man eingesehen hatte, daß jede andere Politik gegen die eigenen Interessen gehen mußte.
Inmitten der Freude über die neuen Möglichkeiten, die sich durch diese Londoner Erklärung boten, wurde von einer Reihe verantwortlicher Leute in Deutschland eine besondere Gefahr erkannt, die Gefahr nämlich, ein westdeutscher Staat mit eigenem Staatsgefühl und eigener Geschichtspersönlichkeit müsse sich zwangsläufig der östlichen Hälfte Deutschlands gegenüber absetzen. Es tauchte das Bild von den möglichen „Zwei Deutschland" auf. Der nicht erfaßte Teil Deutschlands wäre damit selber zu einer eigenen Staatspersönlichkeit gepreßt worden, und die Spaltung wäre dann ein Stück öffentlichen Rechtes Deutschlands geworden. Das mußte vermieden werden; und das Verdienst, es vermieden zu haben, liegt bei den deutschen Länderministerpräsidenten. die in der Mantelnote vom 10. Juli 1948 einstimmig feststellten — und ich bitte auch hier, mir zu erlauben, zu zitieren —:
Die Minister glauben jedoch, daß unbeschadet der Gewährung möglichst vollständiger Autonomie an die Bevölkerung dieses Gebietes alles vermieden werden müßte, was dem zu schaffenden Gebilde den Charakter eines Staates verleihen würde. Sie sind darum der Ansicht, daß auch durch das hierfür einzuschlagende Verfahren zum Ausdruck kommen müsse, daß es sich ausdrücklich um ein Provisorium handelt sowie um eine Institution, die ihre Entstehung lediglich dem augenblicklichen Zu-
stand der mit der gegenwärtigen Besetzung
Deutschlands verbundenen Umstände verdankt. In Anbetracht der bisherigen Unmöglichkeit — heißt es weiter
einer Einigung der vier Besatzungsmächte über Deutschland müssen die Ministerpräsidenten besonderen Wert darauf legen, daß bei der bevorstehenden Neuregelung alles vermieden wird, was geeignet sein könnte, die Spaltung zwischen Ost und West zu vertiefen.
Das war politisch und gesamtdeutsch gedacht. Es beruhte auf der Erkenntnis, daß die Spaltung Deutschlands nur beseitigt werden kann, wenn man seine Politik auf die Anerkennung gewisser Konsequenzen der durch die Spaltung geschaffenen Voraussetzungen einer jeden möglichen gesamtdeutschen Politik im Westen aufbaut. Wer sich verhält, als sei Westdeutschland eine eigenständigpolitische Potenz, macht Westdeutschland zu einem Staat mit eigenem politischen Schicksal und macht so das andere Stück Deutschland auch zu einem Wesen mit eigenem geschichtlichen Schicksal. Und umgekehrt macht jener, der seine Politik auf der Erkenntnis des fragmentarischen Charakters jeder Organisation deutscher Staatsgewalt im Zustand der Spaltung einrichtet, gesamtdeutsche Politik; denn er erhält die Einheit der politischen Schicksalslinie aller Teile Deutschlands.
Diese Koblenzer Erklärung der Ministerpräsidenten widerlegt jene, die behaupten, daß unsere Opposition gegen die Schaffung gewisser vollendeter Tatsachen im Westen nur Opposition um des Opponierens willen sei. Schon ehe es eine Bundesregierung gab, der man opponieren konnte, haben sich verantwortliche Männer in Deutschland dagegen gewehrt, daß man durch Schaffung definitiver politischer Realitäten und Bindungen im Westen der Separierungspolitik im Osten Vorschub leiste und Tatbestände schaffe, die die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands erschweren könnten.
Und dann begann der Kampf um das Grundgesetz. Heute morgen wurde Herrenchiemsee zitiert. Ich erinnere mich mit Kummer daran, daß sich in Herrenchiemsee noch eine Reihe deutscher Landesregierungen auf den Standpunkt stellte, daß Deutschland nicht mehr existiere und neu geschaffen werden müßte. Doch lassen wir das. Das Grundgesetz sagt in seiner Präambel ausdrücklich, daß die Bundesrepublik geschaffen werde, um dem staatlichen Leben für die Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben. Damit ist wiederum klar zum Ausdruck gekommen, daß die Bundesrepublik nur ein Provisorium sein sollte, und ein Provisorium kann nur Provisorisches schaffen und sich nicht anmaßen, Endgültiges aufzurichten, das den Status Gesamtdeutschlands präjudizieren könnte; es sei denn, dieses Provisorium könne sich so stark machen — und es kann das nun einmal nicht —, daß es eine Chance hätte, eine Irredenta zu befreien. Ich zitiere hier nicht aus dem Artikel von Herrn Ingrim im „Rheinischen Merkur".
So wurde auf einem Teil des gesamtdeutschen Staatsgebietes eine fragmentarische deutsche Staatsgewalt geschaffen, wobei vermieden wurde, daß die Bundesrepublik zu- einem eigenen west-
deutschen Staat wurde. Die Bundesrepublik ist kein Selbstzweck und sollte es von Anfang an nicht sein, und diese Erkenntnis mußte die Außenpolitik, die in diesem Teil Deutschlands betrieben wurde, bestimmen.
Für diese Außenpolitik gab es eine ganze Reihe sicher bestimmbarer Aufgaben zu bewältigen. Zunächst die Schaffung des richtigen Verhältnisses zu den Besatzungsmächten; ich glaube, darüber braucht man nicht besonders viel zu sagen. Daneben aber mußten und das war eine Aufgabe jedes einzelnen Tages — mit allen Kräften die Voraussetzungen für die Wiederherstellung der deutschen Einheit geschaffen und gefördert werden, wozu auch nicht nur die Modifizierung des Besatzungs statuts, sondern die Aufhebung des Besatzungs regimes selbst gehört. Das sollte das erste Ziel aller Politik der Bundesregierung und das oberste politische Ziel von uns allen sein. Demgegenüber konnten und können alle anderen Ziele nur sekundär sein, weil wir ohne die Erreichung dieses obersten Zieles die anderen nicht mit Aussicht auf Dauerwirkung erreichen können. Mit diesem Geist mußte man darangehen, an der Gestaltung der Voraussetzungen mitzuwirken, ohne deren vorherige Verwirklichung ein politisch geeintes Europa nicht zustandekommen kann. Man mußte das tun im ständigen Bewußtsein, daß dieses Europa nicht auf Kosten der deutschen Einheit geschaffen werden kann, nicht aus deutschem Interesse allein, sondern im Interesse Europas selbst. Denn ein halbes Deutschland in Europa einzubringen, das wäre ein Danaergeschenk für Europa,
Man mußte verhindern, daß das deutsche Volk aufs neue zu der verhängnisvollen Außenpolitik des Revisionismus gezwungen wurde, zu der es nach 1919 gezwungen worden ist. Deswegen darf man keine Verträge unterzeichnen, von denen man bei der Unterzeichnung schon weiß, daß man sie in Bälde nicht mehr wird halten können und wollen. Revisionismus ist noch nicht Dynamik, Herr Gerstenmaier.
So mußte vermieden werden, daß man mit Dauerwirkung als eigene vertragliche Verpflichtung übernahm oder wenigstens zum Teil übernahm, was einst auf Grund Besatzungsrechts einseitig auferlegt worden war. Denn durch diese Methode verewigt man die Deklassierung Deutschlands, und die Folgen für die Chancen der Demokratie in Deutschland werden gefährlich sein.
Der Herr Bundeskanzler hat uns heute morgen dargelegt, von welchen großen Prinzipien seine Politik getragen ist. Ich glaube, man kann diese Prinzipien noch durch ein weiteres ergänzen, und das heißt: eine der großen Aufgaben, die bewältigt werden müssen, sei, das Mißtrauen Frankreichs zu beseitigen — was richtig ist —, und das könne nur geschehen durch Integration der Bundesrepublik in ein westlich bestimmtes politisches System, das im Zeichen Europas das, was den Franzosen als deutsche Gefahr erscheinen könnte, einer supranationalen Autorität unterstellt, d. h. der alleinigen Verfügungsmacht der Deutschen entzieht, was nicht schlüssig ist und in seinen Erfolgschancen durch das bisherige Verhalten der Franzosen widerlegt worden ist. Daraus sollte schließ-
lich das Europa der Sechs hervorgehen. Dieses Europa der Sechs würde dann aus innerer Notwendigkeit unseren deutschen Anliegen die Erfüllung bringen.
Was ist auf diesem Wege geschehen und mit welchem Erfolg? Es ist da manches geschehen, das jeder von uns wird bejahen können. Es ist aber auch manches geschehen, das gegen die elementarsten Notwendigkeiten verstieß. Man hat heute morgen das Petersberger Abkommen gerühmt. Sicher hat es Erleichterungen gebracht,
wenn auch nicht in entscheidenden Punkten, Herr Hasemann.
Wenn man vom Geiste spricht, der durch dieses Abkommen zu wehen begonnen hat, warum verhindern dann die Interessenten, daß die AugustThyssen-Hütte und Watenstedt-Salzgitter die Kredite bekommen, die sie brauchen, um wiederaufgebaut werden zu können?
Es ist aber noch ein anderes geschehen. Man hat diese Erleichterungen dadurch erkauft, daß durch die Unterschrift einer deutschen Regierung das Verfügungsrecht der Besatzungsmächte über Kohle und Eisen der Ruhr - das diese sich bisher nur kraft ihrer tatsächlichen Macht angeeignet hatten — als für Deutschland rechtlich verbindlich anerkannt worden ist. Damit hat man sich auf einen schlechten Weg begeben.
Wir sind in den Europarat eingetreten und haben
es hingenommen, daß auch die Saar dort vertreten wird, als wäre sie ein selbständiger Staat, statt daß wir darauf gedrängt hätten, daß vorher das Unrecht an der Saar in das Recht zurückverwandelt wird.
Wir haben in der Zwischenzeit erfahren, welche rechtlichen Konsequenzen Außenminister Schuman im französischen Parlament aus dieser Tatsache gezogen hat. Wir haben den Schumanplan ratifiziert und damit die Verfügung über die Wirtschaftskraft der Ruhr in die Hand der Konkurrenten Deutschlands gelegt und haben diesen ganzen Bereich der parlamentarischen Kontrolle in Deutschland entzogen.
Dazu kommt, daß dieser Vertrag so geschlossen worden ist, daß die Ausdehnung seines Anwendungsbereichs auf Gesamtdeutschland nur mit Zustimmung aller Vertragspartner erfolgen kann. Wenn bei einem Vertrag, dann sind bei diesem Vertrag die Deutschen die Gebenden und Angeforderten gewesen, und ich frage: warum hat man diese Situation nicht genutzt, um diesmal wenigstens die Saarfrage ein Stück vorwärtszubringen?
Mit dem Schumanplan hat man weiter eine Reihe von Staaten, die kein Mitspracherecht bei der Regelung der gesamtdeutschen Frage gehabt hätten, ökonomisch an der Aufrechterhaltung der deutschen Spaltung interessiert.
Das Thema der deutschen Einheit ist nicht erst in diesen Jahren auf die Tagesordnung gesetzt worden. Schon im Jahre 1947 und 1949 ist darüber
— „Welche z. B." fragen Sie? Nun, die Verpflichtung, was man bereit ist für die Verteidigung Europas einzusetzen und was man bereit ist für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands konkret zu tun.
die über das hinausgehen, was von ihnen schon übernommen worden ist und in ihrem unmittelbaren Interesse liegt.
Für die Amerikaner sind diese Verträge die Ordnung eines Stückes ihrer Außenpolitik; für uns sind sie etwas, das die Existenz des deutschen Volkes unmittelbar betrifft, und das ist ein Unterschied!
— Das werden wir sehen, Herr Euler!
Dieser EVG-Vertrag — Herr Kunze, ich komme jetzt darauf — ist in Wirklichkeit die Verpflichtung, die Bundesrepublik unlöslich in ein politisches und militärisches Vertragssystem einzubringen, das die russische Besatzungsmacht, ohne deren Zustimmung wir die Voraussetzungen für die Schaffung der Einheit Deutschlands nicht erfüllen können — ob mit Recht oder Unrecht —, nun einmal als gegen sich gerichtet betrachtet, und wir übernehmen darin recht präzise Verpflichtungen. Aber weder die Briten noch die Amerikaner übernehmen präzise Verpflichtungen für konkrete Leistungen, und wenn NATO ihnen solche Verpflichtungen auferlegen sollte, dann wird das ohne unsere Beteiligung geschehen, und nichts im Generalvertrag außer der allzu allgemeinen Generalklausel hindert die Vereinigten Staaten, ihre Truppen zurückzuziehen oder das Maß ,der Truppen, die sie in Europa halten, nach ihren Vorstellungen zu bestimmen.
Gewiß, wir haben die Garantieerklärung der Vereinigten Staaten erhalten. Aber der amerikanische Senat hat sie mit dem einstimmigen Vorbehalt ratifiziert, daß diese Garantieerklärung und ihre Ratifikation keine Ermächtigung für den Präsidenten der Vereinigten Staaten bedeute, mehr Truppen nach Europa zu schicken, als bisher schon dort stehen.
Also jede Vermehrung der Streitkräfte der Vereinigten Staaten in Europa wird einen besonderen Kongreßbeschluß nötig machen, und dieser Beschluß
wird nur dann im Sinne unserer Wünsche ergehen, wenn der Kongreß die Vermehrung der USA-Truppen als im Interesse der Vereinigten Staaten liegend betrachtet, und der Generalvertrag zwingt ihn nicht, einen solchen Beschluß zu fassen.
Gleichzeitig übernehmen wir die Verpflichtung, Kosten zu tragen, von denen ich nicht weiß, wie man sie je wird aufbringen können, wenn man an die Zahlen denkt, die der Herr Kollege Blank neulich bekanntgegeben hat, Aufwendungen, von denen ich fürchte, daß sie die Widerstandskraft des deutschen Volkes im Kalten Krieg recht nachteilig beeinflussen könnten, und ich frage Sie: was geschieht denn in der Welt, wenn der Kalte Krieg in Deutschland verlorengehen sollte, und wer hat ihn geführt und wer kann ihn denn letzten Endes führen, wenn nicht in erster Linie die breiten Massen unseres Volkes?
Es heißt in der Begründung der 'Bundesregierung zu den Verträgen, daß zu echter Partnerschaft wechselseitiges Vertrauen gehöre.
Warum gestattet man dann nicht den Deutschen den Eintritt in das Atlantikpaktsystem, wo die eigentlichen Entscheidungen fallen? Dieses deutsche Kontingent steht doch zur Verfügung von
NATO, und wer nicht in NATO vertreten ist, der bleibt das Objekt, das er heute schon ist.
Und wenn Partnerschaft wechselseitiges Vertrauen bedeutet, warum dann die Erklärung des französischen Außenministers kurz vor der Unterzeichnung der Verträge, daß er nur unterzeichnen könne, wenn Großbritannien und die Vereinigten Staaten die Garantie übernehmen, daß die Bundesrepublik nicht aus diesem Vertragssystem ausbrechen kann? Das könnte sich eines Tages seltsam auswirken. Genau betrachtet ist damit ein neues Bündnis gegen Deutschland geschaffen worden, und die Garantieverträge von 1947 und 1949, von denen heute morgen die Rede war und die gegen Deutschland gerichtet waren, scheinen von unseren Vertragspartnern aufrechterhalten werden zu wollen. Jedenfalls hat man bisher noch nichts davon gehört, daß man sie für gegenstandslos erklärt hätte.
Wir schaffen durch diesen Vertrag die Organisation des Europäischen Verteidigungskommissariats, das nicht nur weithin Herr über Maßnahmen sein wird, die tief in das Leben unseres Volkes eingreifen werden, — auf wichtigsten Lebensgebieten wird durch seine Kompetenzen die Kontrolle des Parlaments, die doch ein Kernstück unserer Demokratie sein soll, gegenstandslos gemacht werden,
und durch die „europäische" Zentralisierung der Beschaffung und der Verwendung der finanziellen Verteidigungsbeiträge wird dieses Kommissariat zusammen mit der Hohen Behörde des Schumanplans ohne jede echte parlamentarische Kontrolle zum Herrn über die Wirtschaft unseres Landes werden.
— Ach, Herr Hasemann, reden Sie doch nicht so gemütlich und sinnig von Väterchen Stalin, bleiben Sie ernsthaft!
Man erklärt, dies alles sei der Preis dafür, daß wir nunmehr verteidigt würden;
denn ohne diese Unterwerfungen hätten wir weder die EVG-Garantien noch die NATO-Garantien noch die Großbritanniens und der Vereinigten Staaten erhalten. Nun, man soll Garantien, wie sie erklärt werden, gewiß nicht unterschätzen. Man sollte sie aber auch nicht überschätzen und man sollte insbesondere nicht vergessen, was sich hinter diesen Garantien in Wirklichkeit vollzieht. Schließlich ist es doch so, daß diese Garantiemächte mit den Truppen in unserem Lande auch ihr eigenes Land verteidigen wollen und daß sie die von uns zu stellenden Truppen haben wollen, damit auch ihr Land besser verteidigt werden kann.
Man hat uns schon oft genug gesagt: „Wir können Frankreich nur in Deutschland verteidigen" und „wir können es nur unter Mitwirkung der Deutschen verteidigen".
Die Vertragspartner garantieren in Deutschland, Herr Euler, ihre eigene Sicherheit mit,
und es hätte auf dieser Grundlage vielleicht nicht jeder Preis bezahlt zu werden brauchen, den Sie zu bezahlen bereit sind.
Wir wissen durch die Erklärung Mr. Achesons zu der Garantieerklärung der USA, daß die dort vorgesehenen Leistungen nicht automatisch ausgelöst werden, und wir wissen aus anderen Erklärungen, daß jede der Garantiemächte selbst beurteilen wird, ob die Voraussetzungen für die Garantieleistungen vorliegen oder nicht. Dieses ganze Geflecht von Verträgen verbindet uns mit Staaten, von denen einige heute noch Bündnisverträge mit Sowjetrußland unterhalten.
Wie stellt man sich denn das Wechselspiel der Verpflichtungen aus beiden Vertragssystemen vor? Wofür wird sich denn im konkreten Fall Frankreich entscheiden, wenn wir in die Krise kommen? Es ist doch nach zwei Seiten hin gebunden! Wird es sich entscheiden für die Verpflichtungen aus seinem Bündnisvertrag mit Rußland oder für die Verpflichtungen aus den Verträgen mit uns? Und ich wiederhole, daß auch die Bündnisverträge des Westens, die gegen uns gerichtet sind, noch weiter aufrechterhalten werden sollen.
— Herr Schröder, Sie bleiben unterhalb Ihres Niveaus! In allen diesen Verträgen gehen die echten Leistungen — von wenigen Ausnahmen abgesehen — zu unseren Lasten. Was man im Generalvertrag „Leistungen" unserer Vertragspartner nennt, das ist doch im wesentlichen nicht mehr als Verzicht auf Befugnisse und Kommandohebel, die man sich kraft des Sieges angeeignet hatte. Und man verzichtet dabei im Grunde doch nur auf das, was sowieso nach sieben Jahren einseitig nicht mehr zu halten war oder was bis zum heutigen Tage schon durch Erfüllung konsumiert worden ist.
Wir haben kein Vertragswerk vor uns, das gleichwertige gegenseitige Leistungen vorsieht. Wir haben ein Vertragswerk vor uns, in dem zum Teil wenigstens Deutschland Leistungen zugemutet werden, die freien Völkern nicht zugemutet zu werden pflegen. Wir sollen dadurch Souveränität und Gleichberechtigung bekommen, und das Besatzungsregime soll dadurch verschwinden: Nun — wir erhalten weder Souveränität noch Gleichberechtigung, noch wird in der Wirklichkeit. das Besatzungsregime abgeschafft. Sicherlich erhalten wir gewisse Erleichterungen und auf manchen Gebieten auch sehr schätzbare Erleichterungen.
Aber um welchen Preis erhalten wir sie?
Wir erkaufen sie durch die vertragliche Übernahme von Lasten, die bisher alle Nachteile des einseitig Auferlegten an sich trugen und
darum jedem politischen Angriff deutscherseits offen standen. Das wird nunmehr für uns unangreifbar, es sei denn, wir wollten unsere Unterschrift verleugnen. Wir erkaufen diese Erleichterungen weiter dadurch, daß wir bei allen vitalen Entscheidungen, die unser Volk betreffen, in den Schatten der Politik der Drei zu treten haben.
Gleich in Art. 1 des Generalvertrages sagt man uns, wie es um die Souveränität der Bundesrepublik stehen soll. Herr Kollege Gerstenmaier, ich bin wie Sie der Meinung, daß Souveränität eine alte Sache, eine abgestandene Sache ist. Aber man überwindet sie nicht schon dadurch, daß man sich Souveränitätsansprüchen Dritter unterwirft!
Es heißt im Generalvertrag:
Die Bundesrepublik hat volle Macht über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten, vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Vertrages.
Im alten Besatzungsstatut hieß es in Ziffer 1:
Der Bund und die Länder haben — lediglich
den Bestimmungen dieses Statuts unterworfen — volle gesetzgebende, vollziehende und
rechtsprechende Gewalt gemäß dem Grundgesetz und den Länderverfassungen. Zugegeben, die heutige Ausdrucksweise ist konzilianter, dem Inhalt, dem Prinzip nach aber ist die neue Regelung von der alten nicht sehr verschieden. Aber zum Unterschied gegen früher sollen wir uns jetzt rechtlich verpflichten, diesen zustand als Internationales Statut Deutschlands anzuerkennnen!
Die Vorbehaltsrechte der Drei im Generalvertrag betreffen letztlich die Grenzwerte unserer staatlichen Existenz. Das Recht, den Grenzfall zu be- stimmen, ist aber, was die Souveränität ausmacht. Der Unterschied gegen früher ist, daß auf einer Reihe von Randgebieten Vorbehalte gefallen sind, daß auf wesentlichen Sachgebieten die Vorbehalte des Besatzungsstatuts in die Zusatzverträge verbannt worden sind und daß ihr eigentlicher politischer Kern nunmehr im Generalvertrag als öffentliches Recht Deutschlands anerkannt wird. Diese Vorbehalte sind — wenigstens in Krisenzeiten — unsere Oberverfassung. Es gibt ein Schiedsgericht, das Schiedsgericht des Generalvertrages kann die Ausübung der wesentlichen unter diesen Vorbehalten nicht kontrollieren. Dagegen kann dieses Schiedsgericht jedes Gesetz, das im Bundesgebiet gilt, aufheben; es kann jeden Verwaltungsakt, jedes Urteil aufheben, ja dieses Gericht kann sogar Urteile des Bundesverfassungsgerichts aufheben, wenn es der Meinung ist, eines seiner Urteile stehe Bestimmungen des Generalvertrages entgegen. Dagegen können Urteile der alliierten Militärgerichte nicht aufgehoben werden!
Über diese Grenzfälle entscheiden nach dem Generalvertrag die Besatzungsmächte selbst und allein. Dadurch, daß man sie in Schutzmächte umbenannt hat, ändert man nichts an der Tatsache, daß sie Besatzungsmächte geblieben sind.
Außenminister Schuman hat gleich nach der Unterzeichnung dieser Verträge erklärt — ich bitte ihn zitieren zu dürfen —
Deutschland wird besetzt bleiben, nicht weil
es damit einverstanden ist, sondern weil
es unser Recht ist, das wir durch die Unterzeichnung der Verträge nicht verlieren.
Die Substanz der Souveränität liegt weiter bei den Besatzungsmächten.
— Hat er diese Einschränkung wirklich gemacht?
— Ich bedanke mich für die Belehrung.
Die Substanz der Souveränität liegt jedenfalls auch nach der Ratifizierung weiter bei den Besatzungsmächten; so steht es im Vertrag. Diese treten ihre Ausübung für normale Zeiten an die Bundesregierung ab. In den Krisenzeiten aber nehmen sie sie für sich in Anspruch.
Die Alliierte Hohe Kommission wird auf gehoben. Die Drei Mächte sollen nunmehr mit der Bundesrepublik nur noch durch Botschafter verkehren. Das Wort Botschafter hat seit einigen Ereignissen im Nahen Westen einen schlechten Klang bekommen.
Es steht fest: Überall, wo es sich um die für Deutschland entscheidenden politischen Fragen handelt, handeln die drei Botschafter gegenüber der Bundesregierung als Gemeinschaft. Im Bereich der Administration treten sie weit zurück — das ist richtig —, soweit nicht die Zusatzverträge alliierte Befugnisse aufrechterhalten. Aber ist im
des
Zentrum des Politischen, hei den zentralen Fragen
unserer politischen und nationalen Existenz der Unterschied gegenüber der bisherigen Hohen Kommission wirklich so sehr groß? Das Entscheidende ist doch, daß dieser Botschafterrat das Monopol der auf die Herstellung der Einheit Deutschlands gerichteten Politik erhalten soll.
Was bleibt dann noch an eigenständigen politischen Möglichkeiten für Deutschland dort übrig, wo es um unsere Existenz als Nation geht?
Man sagt uns, diese Rechtsfigur habe vereinbart werden müssen wegen der Verträge von Jalta und Potsdam, damit die Geschäftsgrundlage der Verträge nicht zerstört werde, die zugunsten Berlins geschlossen worden sind. Das ist ein Gesichtspunkt, den ich anerkenne. Aber warum hat man nicht darauf verzichtet, ein Recht, das man der Substanz nach im Verkehr mit den Russen braucht, den Deutschen gegenüber im Innenverhältnis tatsächlich auszuüben?
Art. 5 spricht vom Notstandsrecht. Man sollte dieses Recht nicht verkennen: es handelt sich dabei nicht um den bloßen polizeilichen Notstand — die Besatzungsmächte erhalten in gewissen Situationen, und zwar in den besonders schicksalsgeladenen Situationen, entscheidende Verfügungsmacht über unser Land!
authentische Interpretation dieser Einschränkungen ausschließlich bei den Alliierten liegt!
Dieser Notstand kann schon erklärt werden, wenn einer der vorgesehenen Fälle auch nur droht. Das gibt einen Spielraum, der Mißbrauch allzu leicht macht. Und was bedeutet denn im einzelnen die Klausel: Maßnahmen, die erforderlich sind, die Ordnung aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen? Es gibt da einen verhängnisvollen Vorgang: das Urteil im Prozeß der Papen-Regierung gegen Preußen über die Auslegung des Art. 48 der Weimarer Verfassung. Das Gericht hat damals ausgesprochen, daß Art. 48 der Weimarer Verfassung der Reichsregierung das Recht gebe, für die preußische Regierung zu handeln. Ich hoffe nicht, daß man eines Tages bei der Anwendung des Art. 5 auf dieses Urteil zurückgreifen wird.
Am schlimmsten ist aber, daß der Notstand schon im Falle eines drohenden Krieges erklärt werden kann. Was bedeutet denn das im einzelnen? Im Falle drohender Kriegsgefahr werden fremde Mächte bestimmen, was zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit der Verteidigungstruppen notwendig ist! Freilich — die Bundesregierung soll konsultiert werden - aber Konsultation bedeutet doch nicht Mitwirkung! Und was bedeutet die Möglichkeit der Berufung an NATO? Das bedeutet doch Berufung gegen eine Entscheidung der Drei an ein Organ, in dem die Drei vertreten sind, wir selber aber nicht!
Und was bedeutet die gesamtdeutsche Klausel des Art. 7. Al s. 3? Der ursprüngliche Text ging dahin, daß die Verträge automatisch auch Gesamtdeutschland verpflichten sollten. Nun, das hat man als die völkerrechtliche Unmöglichkeit, die es ist, erkannt, und man hat nunmehr eine neue Formel gefunden. Nunmehr besagt die Klausel, daß Gesamtdeutschland die Rechte, die der Bundesrepublik eingeräumt werden, erwerben kann, wenn es gleichzeitig die Verpflichtungen der Bundesrepublik aus dem Generalvertrag und EVG-Vertrag übernimmt. Da kann man doch nicht gut davon sprechen, daß die künftige deutsche Regierung frei sei, sich zu entscheiden, wie sie wolle!
Wenn sie sich nämlich anders entscheidet, als es in diesen Verträgen vorgesehen ist, dann müßte — zumindest bei strikter Anwendung des Vertragstextes — ihr Statut geringer werden als das Statut, das die Bundesrepublik hat.
(Abg. Dr. von Brentano: „Maximal" steht
auch nicht drin!)
einverstanden, wenn Gesamtdeutschland alle Verpflichtungen aus dem Generalvertrag und dem EVG-Vertrag übernimmt.
Nun kann die Einheit Deutschlands doch nur zustandekommen, wenn die Russen — ja auch die Russen — mit gesamtdeutschen freien Wahlen einverstanden sind. Und glaubt man denn, daß sie dazu bereit sein werden, wenn von vornherein feststehen soll, daß der Teil Deutschlands, den sie aufgeben, auf Grund einer heute geschaffenen vertraglichen Verpflichtung einem Block zugeschlagen werden soll, den dieses Rußland nun einmal als feindselig empfindet? Als ich das in Straßburg einem Delegierten eines nordischen Landes sagte, gab er mir zur Antwort: „Ihr müßt euch eben damit abfinden: uns ist es lieber, wir haben das halbe Deutschland ganz als das
ganze Deutschland halb." Das mag da ein Gesichtspunkt für Dritte sein, aber für uns Deutsche kann das kein Gesichtspunkt sein!
Wir können uns dagegen nicht mit den Worten trösten, daß wir durch diese Verträge nunmehr zusammen mit dem Westen so stark werden, daß wir mit den Russen endlich die Sprache sprechen können, die sie allein verstehen. Glaubt man denn wirklich, mit diesen Verträgen die Russen zur politischen Kapitulation zwingen zu können? Wenn man die Zustimmung der Russen will, muß man ihnen doch eine Chance lassen, durch die sie kompensiert finden könnten, was sie aufgeben!
Es hat allerdings keinen Sinn, von uns Deutschen, wie das gelegentlich geschieht, zu verlangen, daß wir einen Preis nennen sollten. Es ist nicht Sache der Deutschen, einen Preis vorzuschlagen; denn sie sind es ja nicht, die aushandeln können, was geschehen soll. Es ist Sache der Russen und der Amerikaner — der beiden einzigen Mächte, die den Frieden der Welt in der Hand haben und die Macht, ihn zu verwirklichen —, sich über das Soll und Haben auseinanderzusetzen, das ihrer Einigung zugrunde gelegt werden soll. Denn ohne eine Grundeinigung dieser beiden einzigen noch übriggebliebenen weltgeschichtlichen Mächte wird es keine echte Einigung über die Fehlordnungen irgendwo in der Welt geben. Wir sollten diesen Mächten sagen, daß sie es sind, die verhandeln, und nicht wir. Wir sollten aber nicht die Hand dazu bieten, was solche Verhandlungen erschweren könnte. Und es wird unsere Sache sein, diesen großen Mächten im rechten Augenblick zu sagen, was Deutschland akzeptieren kann und was es nicht akzeptieren wird.
Ich brauche über die Revisionsklausel nicht sehr viel zu sagen. Diese Revisionsklausel spricht nichts aus als die Binsenwahrheit, daß revidiert werden kann, wenn alle einverstanden sind. Das versteht sich auch dann von selbst, wenn ein Vertrag keine Revisionsklausel enthält. Und ich brauche über die Reparationsbestimmungen in den Verträgen nichts zu sagen, darüber und über die Zusatzverträge wird ein anderer sprechen.
Was haben wir letzten Endes unserer Entscheidung zugrundezulegen? Ein Vertragssystem, das mit dem Schumanplan anhebt, der die Verfügung über das mächtigste deutsche Wirtschaftspotential aus der deutschen Souveränität nimmt, wobei die Gleichheit der Vertragspartner nur scheinbar ist, denn nur Deutschland gibt in Wirklichkeit etwas her; wir haben vor uns den EVG-Vertrag, der die Verfügung über das deutsche militärische und einen Teil des finanziellen Potentials deutscher parlamentarischer Kontrolle entzieht und zur Verfügung Dritter stellt; wir haben den Generalvertrag zu beurteilen, durch den wir uns verpflichten, die Rolle eines besetzten Landes — partiell wenigstens — zu akzeptieren, und durch den wir uns das Recht zu einer eigenen aktiven, auf Wiederherstellung der Einheit Deutschlands gerichteten Politik blockieren lassen. Und wir werden in den Verband der westlichen Staaten aufgenommen um den Preis des Verzichts auf Wirkungsmöglichkeiten, die sich die anderen vorbehalten wollen. Das ist kein Neubeginn; das ist der Schlußstein des Gebäudes, das 1945 begonnen worden ist — und es geschieht sicher nicht mit Wissen und Wollen, aber aus Resignation. Im Grunde wollen wir uns damit begnügen, uns in der durch den Zusammenbruch geschaffenen und durch den Wandel der Zeit modifizierten Situation so gut wie möglich einzurichten — um den Preis des Verzichts auf die Möglichkeiten einer eigenständigen Politik, die uns geblieben sind, so schwer es auch sein mag, sie je und je zu aktualisieren. Wir haben zugelassen, daß deutsche Schicksalsfragen ausgeklammert wurden, die wir zusammen mit dem Westen lösen müssen, wenn wir zu einer tragfähigen Westintegration kommen wollen, zu einer Westintegration, die den Namen „europäische Politik" verdient. Es genügt nicht, die Europaflagge zu hissen, um die Gefahr, die in ungelösten Problemen liegt, zu bannen! Nicht das Europa, auf das Sie ohne Kompaß hinsteuern, wird die Probleme lösen, die auch Sie gelten lassen, sondern die Lösung dieser Probleme — zumindest aber die echte Bemühung um ihre Lösung — ist die Voraussetzung dafür, daß wir Europa bauen können!
Ich glaube nicht, daß die Antithesen schlüssig sind, die heute morgen vorgetragen wurden: ob Anschluß an den Westen oder nicht; ob Schutz durch das Atlantikpaktsystem oder nicht; ob Integration Europas oder nicht; ob Integration Deutschlands in Europa oder nicht. Die Frage ist anders zu stellen: ob alle diese Dinge auf diese Weise und mit den Konsequenzen geschehen sollen, die diese Verträge vorsehen! Das ist die eigentliche Frage! Echt scheint mir nur die eine Antithese zu sein: ob die Teilung Deutschlands oder die Wiedervereinigung in Freiheit angestrebt werden soll. Die Frage ist, ob die Verträge uns diese Wiedervereinigung bringen können.
Man sagt uns: durch den EVG-Vertrag und die militärische Beteiligung Deutschlands an der militärischen Verteidigung Europas schaffen wir Sicherheit und legen wir den Grund zur Möglichkeit einer wirksamen Verteidigung der Freiheit in Deutschland. So sagen S i e.
Sehen wir völlig ab von der Frage, ob diese Koalitionsarmee des Mißtrauens wirklich ein taugliches Instrument der Verteidigung sein kann und sein wird; sehen wir auch davon ab, den Widerspruch zu diskutieren, der zwischen Ihren Forderungen und der Behauptung besteht, die wir heute morgen hörten, daß der Westen auch ohne unseren Beitrag heute schon so stark sei, daß die Russen keinen Angriff riskieren könnten: ohne präzise Verpflichtungen der Westmächte für bestimmte konkrete militärische Leistungen werden uns Generalvertrag und EVG-Vertrag nur die Illusion der Sicherheit bringen. Aber darüber hinaus werden in den Verträgen Leistungen von uns verlangt, die uns in die Gefahr bringen, den Kalten Krieg zu verlieren!
Sie sagen: Wir machen durch die Verträge uns und den Westen stark, und nur, wenn wir den Westen stark machen — in einer früheren Debatte wurde einmal gesagt: militärisch stark machen —, kann man den Russen gegenüber eine offensive Deutschland-Politik betreiben, denn sie verstehen nur die Sprache der Macht. Dazu sagen wir Ihnen: die Macht, die wir dazu brauchten, schaffen diese Verträge nicht.
Keiner unserer Partner ist durch diese Verträge zu konkreten politischen Maßnahmen für die Einheit Deutschlands verpflichtet.
Jeder einzelne bleibt in jedem einzelnen Falle Herr seiner Entscheidungen.
Wie weit muß denn, Herr von Brentano, die militärische Kraft des Westens wachsen, bis — nach Ihrer Voraussetzung — die Russen ihre Zone unter den Bedingungen des Generalvertrages freigeben werden?
Werden die Russen nicht jeden Machtzuwachs im Westen durch Schaffung neuer eigener Machtmittel — vielleicht sogar in dem von ihnen besetzten Deutschland — kompensieren und überkompensieren?
Herr Kollege Ger s t e n m a i e r sagte uns, die Abrüstung sei sein Ideal. Es ist auch unseres; aber glauben Sie, auf Ihrem Wege kämen wir zur Abrüstung? Auf Ihrem Wege kommen wir zum Wettrüsten und nicht zur Abrüstung!
Wir sagen Ihnen weiter, daß es gefährlich ist, eine
politische Offensive auf Macht stützen zu wollen,
denn man muß dann auch bereit sein, seine Machtmittel anzuwenden — es sei denn, man sei überzeugt, der andere werde von vornherein in die Knie gehen. Aber niemand — keiner unserer Partner und auch nicht das deutsche Volk — will doch Machtmittel einsetzen, um die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands auf dem Wege der Gewalt zu erzwingen, denn niemand will den dritten Weltkrieg! Aber es ist eine Illusion, zu glauben, daß im Umgang mit den Russen die Kapitulation v o r dem Kriege komme!
Sie sagen weiter: Deutschland kann nicht neutral bleiben, es gehört zum Westen, es muß sich daher für den Westen entscheiden, und die Entscheidung für den Westen fordert Entscheidung für diesen konkreten EVG-Vertrag und für diesen konkreten Generalvertrag! Dazu sagen wir Ihnen: Ja, Deutschland will keinen Neutralismus und kann ihn nicht wollen! Es hat sich längst für ein Leben auf Grund von Ordnungen entschieden, die heute nur im Westen dieses Kontinents existieren können.
Und daß es diesen Willen hat, hat dieses deutsche Volk auch dort bewiesen, wo der Osten lockte. Aber diese Entscheidung für den Westen bedeutet doch nicht, daß man auf die Möglichkeit eigener deutscher Politik verzichten und eine Politik betreiben müsse, deren machtpolitische Versuche mit Sicherheit durch Gegenmaßnahmen im anderen Teile Deutschlands kompensiert werden!
Was S i e Neutralität nennen, nennen wir die Weigerung, alle Möglichkeiten einer deutschen Politik zu Funktionen der Politik anderer reduzieren zu lassen. Es ist nicht wahr, daß es nur die eine Alternative gebe, Satellit des Ostens oder Vasall des Westens zu sein. Es gibt die dritte:
sich dem Westen in Formen zu verbinden, die der Osten nicht bedrohlich zu finden braucht,
und mit dem Osten in ein Verhältnis freien Austausches zu treten,
das den Westen stärkt, statt ihn zu schwächen.
Nur so können wir zur Wiederherstellung eines freien einheitlichen Deutschland kommen. Für die Einzel-Etappen .des Weges gibt es kein Patentrezept,
aber man muß auf dieses Ziel hin verhandeln, und das ist besser, als militärisch zu denken, wo politisch gedacht werden muß!
Sie sagen, auf dem Wege über den Generalvertrag und die anderen Verträge kämen wir zu den Vereinigten Staaten von Europa und über sie dann schließlich zur deutschen Einheit. — Auf Ihrem Wege kommt man vielleicht zu einer engen Verbindung von sechs Staaten im äußersten Westen Europas — aber dieses Klein-Europa, zu dem wir so kommen könnten, wird nichts anderes sein als bestenfalls ein neuer Bundesstaat, der einen Teil Europas staatlich organisiert. Das wird aber die Probleme des Kontinents als Ganzes nicht gegenstandslos machen, sondern wird zu den alten neue schaffen und vielleicht auf dramatischere Weise, als es heute der Falle ist. Denn auch dieses Europa der Sechs wird vor der Frage stehen: entweder mit den Russen auf eine gütliche Einigung hin zu verhandeln oder den Versuch zu machen, sie zu zwingen. Die Lage wird nicht anders sein als sie heute ist, sie wird nur gefährlicher sein!
Und schließlich: Sie fragen mich immer wieder, Herr von Brentano: „Was wollen S i e denn?" Nun, jetzt frage ich Sie, Herr von Brentano: Glauben Sie denn, daß die Verträge die Einheit Deutschlands automatisch wirken werden?
Sie haben uns bisher nicht gesagt,
Sie haben uns bisher nicht gesagt, Herr Tillmanns, was Sie mit diesen Verträgen m a c h en wollen, auf daß die Einheit Deutschlands zustande komme!
Und das dem deutschen Volke zu sagen, wäre doch die entscheidende Frage.
Was wollen Sie mit dem Instrument dieser Verträge konkret anfangen? Denn mehr als ein Instrument ist das, was Sie schaffen wollen, nicht! Aber Sie können uns die Frage nicht beantworten; denn die Entscheidung liegt durch den Generalvertrag nicht in Ihrer Hand!
Wir können die Einheit Deutschlands nur bekommen, wenn die vier Besatzungsmächte — und zu ihnen gehört leider auch Rußland — sich über gesamtdeutsche Wahlen einigen. Das ist auch Ihre Auffassung, wie wir heute hörten.
Wir sollten dabei die Initiative nicht den Russen überlassen, wie das bisher — zum mindesten von außen her gesehen — der Fall gewesen ist,
und wir sollten alles tun — und die Westmächte mit uns —, um die Russen in die Situation dessen zu bringen, der antworten muß. Bisher haben wir uns immer in die Situation dessen drängen lassen, der antworten muß!
Es sollte das vornehmste Nahziel 'unserer Politik sein, auf die Abhaltung einer Viermächtekonferenz hinzuwirken, auf der der Osten und der Westen klipp und klar zum Ausdruck bringen sollen, wie man sich dort, wo man noch Geschichte machen kann, die Lösung unserer Schicksalsfrage vorstellt und welche Voraussetzungen von der einen oder von der anderen Seite für das Einverständnis verlangt werden. Einen anderen Weg gibt es schlechthin nicht!
Aber das setzt voraus, daß wir heute keine vollendeten Tatsachen schaffen, die den Russen jedes Interesse an Verhandlungen nehmen könnten.
Sie sagen uns: Die Ratifikation mache Verhandlungen nicht unmöglich. — Das ist natürlich theoretisch richtig. Aber sind einmal die Verträge in Kraft, sind einmal Rechte erworben und Institutionen geschaffen, dann bedeutet doch Einigung notwendig Verzicht auf erworbene Rechte oder das Eingeständnis der Schwäche, sich zu behaupten. Solche Verzichte sind verständlicherweise schwerer zu erzielen als der vorherige Ausgleich möglicher Chancen. Was heute noch möglich sein könnte, wird so morgen vielleicht unmöglich geworden sein.
Sie scherzen, Herr von Brentano, aber bedenken Sie: die Verhärtung zu lösen, die durch die Verträge eintreten wird, wird einen viel größeren Kraftaufwand verlangen als den, den die heutige Lage erfordern mag.
So meine ich denn, daß unsere Bemühungen darauf konzentriert werden sollten, die Chancen für das Zustandekommen einer Viermächtekonferenz zu verstärken,
zu einer Konferenz, in der ein echter Versuch gemacht werden muß, zu einer Einigung zu kommen, ein Versuch, der Entschlossenheit, Energie, Zielsicherheit, aber auch Geduld erfordert.
Wir möchten nicht, daß man eine Viermächtekonferenz allein zu dem Zweck einberuft, Herr Strauß, zu beweisen, daß es keinen Sinn habe, mit den Russen über gesamtdeutsche Wahlen zu verhandeln.
Wenn so verhandelt wird, daß das 'deutsche Volk
die Überzeugung gewinnt, daß es dem Westen
wirklich ernst ist, zu einem positiven Resultat zu kommen, und sollten die Russen durch ihr Verhalten unmißverständlich zeigen, daß sie die Einheit Deutschlands nicht wollen — es sei denn, in der Form einer russischen Provinz —, nun, dann wird eine neue Lage geschaffen sein;
dann wird man sich überlegen müssen, was auf
Grund dieser neuen Lage zu geschehen haben wird.
Was es sein wird, ist heute noch nicht zu sagen; denn wir kennen die Umstände nicht, die in jenem kritischen Zeitpunkt herrschen werden. Eines aber ist sicher: Sollte es nötig werden — und es mag nötig werden —, mit dem Westen Verträge zu schließen, dann werden es keine Verträge sein dürfen, die der Bundesrepublik Hypotheken auferlegen, wie der Generalvertrag und die anderen Verträge sie vorsehen. Denn diese Hypotheken sind nicht nur lästig, sondern sie sind eine Gefahr für den Bestand der Demokratie in Deutschland, die nur wachsen kann, wenn dieses Volk spürt, daß es in seinem ganzen Lebenskreis frei über sich entscheiden und sein Schicksal selbst verantworten kann.
Und es wird auf der Grundlage einer anderen Europakonzeption verhandelt werden müssen als der bisherigen: es wird verhandelt werden müssen von der Vorstellung eines Europa aus, in dem alle gleiche Rechte und Pflichten haben — und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern in der Welt der Wirklichkeiten —, eines Europa, das nicht Angsttraum des Mißtrauens ist, sondern Frucht des Vertrauens und der Solidarität der Völker!
Ein solches Europa, Herr Euler, weisen uns die von Ihnen gewollten Verträge noch nicht.
Man hat uns gesagt, die Haltung der Opposition, auf jeden Fall Viererverhandlungen zu fordern, ehe ratifiziert wird, sei Obstruktion, und es sei Obstruktion, wenn wir verlangen, daß erst das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zu fallen habe, ehe wir uns über den politischen Wert dieser Verträge unterhalten. — Meine Damen und Herren! Wenn jemand nach sorgfältiger Prüfung zu sehen meint, daß die Weichen falsch gestellt sind und der Zug dem Unheil zutreibt, wenn der dann die Notleine zieht, dann treibt er keine Obstruktion, sondern dann tut er seine Pflicht.
So wie diese Verträge die Weichen für die künftige Entwicklung stellen, kommen wir nicht an das Ziel, das auch Sie sich als die Patrioten, die Sie sind, vorgenommen haben: die friedliche Wiederherstellung der Einheit eines freien Deutschland in einem Europa von Gleichberechtigten! Wir kommen so nicht nur nicht ans Ziel, sondern wir laufen Gefahr, der Ausweglosigkeit zuzutreiben. Darum sollten wir alle zusammen helfen, der verderblichen Entwicklung Einhalt zu gebieten, die diese Verträge unausweislich macht. Wir können es, wenn wir diesem Vertragswerk die Zustimmung verweigern.