Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die mir zur Verfügung stehende knappe Redezeit nicht damit vergeuden, daß ich ein Streitgespräch mit der Opposition beginne. Aber mir ist eines aufgefallen, was ich für so wesentlich halte, daß ich es an den Anfang stellen möchte. Ich weiß' nicht, ob es die richtige Lösung ist, so wie es aus den Worten von Herrn Professor Carlo Schmid hervorstach, daß man hier gegenüber dem Westen eine starke, fast von deutschnationaler Eitelkeit getragene Haltung eingenommen hat, während man sich anscheinend den Russen gegenüber recht entgegenkommend beweisen will.
Ich glaube nicht, daß es in dieser Stunde, in der sich das deutsche Volk Sorgen über die Tragweite des Ja oder des Nein macht, gut ist, eine Politik des Absentismus zu vertreten, wie das von der Opposition geschehen ist.
Denn in Wahrheit ist der Vorschlag, man solle die Chancen für ein Vierergespräch schaffen, ja doch nichts anderes, als daß man die Chancen für die Sowjet-Union schaffen soll, damit dieses Vierergespräch ihr lukrativ erscheint. Ich glaube nicht, daß in dieser Situation den Sorgen des deutschen Volkes gedient wird, wenn man von solcher Ausgangsposition die Debatte über diese schicksalsschwere Frage unseres Landes einleitet.
Ja oder nein? Es hat sich eine Mode breitgemacht: Man bemüht sich, in die Abgründe des Ja zu starren. Die Abgründe des Nein werden übergangen, werden verschwiegen oder werden in einen Nebel gehüllt, damit man um so sicherer in den Abgrund des Nein hinunterstürzen möge. Eines sollte doch wirklich klar und einfach für uns erkennbar sein: Die deutsche Situation, die europäische Situation ist gefährlich. Der Ausgang des Krieges hat eine solche Konstellation der Staaten, eine solche Zerstörung der Ordnung mit sich gebracht, daß die Wiederherstellung einer echten, einer soliden Friedensordnung unerhört schwer wird und daß wir, die wir durch den Zusammenbruch Mitteleuropas gespalten sind, uns in großer Gefahr befinden. Dann soll man glauben, in einer so gefährlichen Situation ohne Bundesgenossen auskommen zu können?
Es geht hier um viel mehr als nur um das Erfechten dieser oder jener Einzelheit. Es geht tatsächlich um das Überleben des deutschen Volkes, darum, die letzte Chance zu gewinnen, die uns die Vernichtung in einer dritten Katastrophe erspart. Bundesgenossen in dieser Zeit, das bedeutet sehr viel. Wir sind uns der Sorgen voll bewußt, die man sich im Volke macht. Man besorgt einen heißen Krieg; man fühlt sich nicht genügend geschützt. Auch die Tatsache, daß Deutschland bisher ein Objekt gewesen ist, ein Glacis, etwas, mit dem die anderen nach eigenem Gutdünken verfuhren, auch das ist eine Grundlage für jene Besorgnis, die unser Volk durchwühlt.
Aber auch das andere muß ich erwähnen. Es wird Mißtrauen in jede Art von Partnerschaft gesetzt, gewiß! Aber hält man es dann für nützlich, alle Faktoren des Mißtrauens zu unterstreichen und aufzublähen? Ist es nicht die Aufgabe aller Politik, letzthin aus einer fast aussichtslosen Lage des traditionellen Mißtrauens einen Weg zu finden zum Vertrauen und damit die geistigen. die sozialen Fundamente für eine künftige Zusammenarbeit zu schaffen, echte Bündnisse zu schaffen? Oder soll man ständig in einer Position und einer Zeit verharren. deren Mißerfolg und Irrweg, deren Schrecken im letzten Ergebnis ia doch offensichtlich geworden sind? Haben wir denn alle, alle Völker in Europa, nicht nur wir Deutschen, noch nicht genug gelernt aus den zwei Weltkriegen. ihren Voraussetzungen und ihrem Ausgang? Hat man denn nicht gelernt, daß jenes cauchemar des coalitions, von dem Bismarck gesprochen hat, daß die fehlenden Bündnisbindungen unser Land in das Verderben getrieben haben? Und sollte man nicht alle Energie daran wenden, nun die Grundlage für echte Partnerschaften und Bündnisse zu bilden, um sie zu kämpfen, sie in aktiver Außenpolitik zu erringen?
Gewiß erfüllt uns alle die Sorge um die Spaltung unseres Landes. Aber das deutsche Volk ist sich doch wohl auch bewußt, daß, wenn auch nur ein Funken echter Veständigungsbereitschaft auf seiten der expansiven sowjetischen Macht vorhanden gewesen wäre, wir in diesen Zustand der Spaltung Deutschlands doch nicht hineingeraten wären. Denn nicht w i r haben Deutschland gespalten, auch die Westmächte haben Deutschland nicht gespalten, sondern gespalten hat Deutschland der Ostblock.
Das ist eine Tatsache, vor der man nicht ausweichen kann, auf die man, so trostlos sie ist, eine deutsche Außenpolitik einstellen muß und nach der man sich richten muß, um diesen unsere Nation letzthin vernichtenden Zustand zu überwinden. Denn darüber sind wir uns klar: eine gespaltene deutsche Nation ist gar keine deutsche Nation mehr. Wenn wir nun durch die Gnade des Schicksals noch einmal die Möglichkeit haben, von einem freien deutschen Kerngebiet aus praktisch darum zu ringen — nicht in einer Politik der Nachgiebigkeit gegenüber dem Ostblock, sondern in einer Politik aktiver Bündnispartnerschaft —, daß die Einheit der Nation wieder ersteht, dann sollte doch jeder Deutsche Herz und Mut zusammennehmen, um diese letzte, allerletzte Chance des Überlebens unserer Nation zu nutzen.
Ich komme nun zu der weiteren Besorgnis, zu der Frage der Gleichberechtigung. Meine Damen und Herren, Gleichberechtigung wird einem nicht geschenkt; die erwirbt man sich, weil man die Kraft dazu hat. Gleichberechtigung ist keine juristische Angelegenheit, sondern eine Frage der Selbstachtung unseres Volkes; und ich hasse diese Worte, daß der Westen ja nur „Hiwis" brauche. Ein Volk, das sich seine eigene Leistung und sein Anerbieten im Sinne einer konstruktiven Politik der Zukunft mit den Ausdrücken und Begriffen seiner Niederlage diffamieren läßt, kann niemals — niemals! — zu dem Selbstbewußtsein und zu der Stärke, zu diesem echten patriotischen Gefühl zurückfinden, mit denen Völker, die geschlagen worden sind, überleben.
Meine Damen und Herren, es ist in der letzten Zeit auch sehr viel Strategie getrieben worden. Es ist vom Kriege gesprochen worden. Es ist einmal definiert worden, der Krieg sei die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Ich möchte für das zwanzigste Jahrhundert eine andere Definition ceben: Der Krieg ist die Katastrophe einer jeden Politik!
Infolgedessen ist das, was wir hier als Außenpolitik vertreten, im innersten Impuls durchdrungen von dem Ziel, den Krieg zu verhindern. Denn nur wenn dieser Krieg verhindert wird. kann unser deutsches Volk überleben. Diese innere Moralität, mit der wir an die Fragen der außenpolitischen Verpflichtung — wir hier in einem Teilbereich unserer Nation. der aber noch in Freiheit handeln kann. der das Kernstück des Ganzen ist — herantreten, diese Verpflichtung, den Krieg zu verhindern — das ist das Wesentliche und überhaupt der Grundgedanke der ganzen außenpolitischen Konzeption.
Ich glaube, wer sich ganz bewußt geworden ist, was der Ausgang des zweiten Weltkrieges für unsere Nation bedeutet, wird sehr viel be-
scheidener sein in der Bewertung der realen Möglichkeiten, die erreichbar sind. Ich glaube, es ist keine Überheblichkeit, zu sagen, daß der Weg der deutschen Außenpolitik seit 1949 überraschend viel — eigentlich mehr, als man sich bei den besten Erwartungen versprechen konnte — gebracht hat.
Versetzen wir uns doch einmal zurück in jene Zeit, da wir zu Beginn des Bundestages die erste außenpolitische Debatte hatten. Wenn wir damals uns heute an diesem Platz erlebt hätten mit dem, was jetzt geschaffen worden ist, wir hätten diesem Traum nicht geglaubt!
Worum ging es denn damals noch? Ich möchte nicht alles wiederholen, was der Herr Bundeskanzler gesagt hat. Aber allein die Überwindung der uns auferlegten Demontage bedeutet ja doch einen sehr weiten Weg in einer Frage, die tief in die Substanz unseres Volks- und Soziallebens eingriff.
Gestatten Sie mir, doch einiges über die Grundkonzeption zu sagen, über das, was man als deutsche Lage ansehen kann, und darüber, wie die deutsche Lage im Zusammenhang mit der Weltlage zu betrachten ist. Ich sagte bereits einleitend, daß als Ergebnis des Ausgangs des zweiten Weltkrieges festgestellt werden müsse, daß die sogenannten Zentralmächte, wie man sie noch im ersten Weltkrieg nannte — Deutschland, Österreich usw. — untergegangen sind und daß damit der Kern und das Herzstück Europas vernichtet worden ist. Rußland ist heute die Zentralmacht geworden. Es ist ein altes Gesetz der Politik, daß um diese Zentralmächte herum — Zentralmächte, die in der Regel eine expansive Kraft haben — sich die Ringmächte bilden. Das ist ein Vorgang fast wie in der Biologie. Deswegen glaube ich, daß bei einer distanzierten Sicht das, was mit unserem Lande geschieht, und die Bildung des Ringes, die Bildung der Bündnissysteme eine Entwicklungslinie ist, die sozusagen unvermeidlich ist, um überhaupt ein Mittel zu finden, die Expansion der Zentralmacht einzudämmen.
Nun hat die Bildung des Ringes um die Zentralmacht zweimal in Europa zur allerschwersten Katastrophe geführt. Für uns, die wir ja gewissermaßen an der äußersten Kante des Ringes liegen
unentschieden, wohin das deutsche Volk geworfen wird —, ist die große Aufgabe, unbedingt aus der Stellung eines Objekts herauszukommen und in die Stellung eines Subjekts einzugehen; denn wir sind diejenigen, die das größte Risiko zu tragen haben. Der Kampf um diese Stellung, um die Mitwirkung, das Mithandein, das Mit-amTisch-der-Nationen-Sitzen, das ist der schwierige Weg der deutschen Außenpolitik, um Gefahren abzuwenden, um unsere Stimme mit in die Waagschale zu werfen, wenn Sturm aufkommt, wenn dramatische Situationen kommen. Es wird für uns außerordentlich wichtig sein, durch die Art unserer außenpolitischen Handlung alles Dramatisieren zu vermeiden, wenn die echte kritische Situation entsteht. Aber wir können doch auch nicht vor der kritischen Situation einfach den Kopf in den Sand stecken und so tun, als ob sie tatsächlich nicht vorhanden wäre, als ob wir neutral sein könnten, als ob man unseren Willen, nicht in den Weltkonflikt einbezogen zu sein, nur weil wir es wünschten und wollten, respektieren würde.
Es ist hier von der Tribüne schon so oft über die Unmöglichkeit der Neutralität und der Neutralisierung und ihre bösen Folgen gesprochen worden, so daß ich mich hier nicht wiederholen möchte. Allerdings hat Herr Professor Carlo Schmid heute eine besondere und neue Definition der Neutralität gegeben, indem er sagt: dieser dritte Weg, das sei die Möglichkeit für Deutschland, überhaupt eine Politik, eine eigenständige Außenpolitik zu führen, und wir dürften unsere Außenpolitik unter keinen Umständen fremdem Willen unterwerfen. Ich muß sagen, daß ich mit dieser Formel nicht viel anzufangen weiß. Denn was besagt sie wirklich? Von Neutralität ist damit kein Wort gesagt; sie besagt doch letzthin eigentlich das, was die Regierung nun seit zweieinhalb, seit drei Jahren tut: nämlich aus dem Zustand der vollkommenen Ohnmacht, aus dem Zustand des Objekts heraus- und allmählich in den Zustand des Subjekts hineinzukommen, eben den deutschen Willen nicht abhängig zu machen, ihn nicht zum Spielball worden zu lassen.
Aber, meine Damen und Herren, was heißt diese Eigenliebe der sogenannten selbständigen Politik, was bedeutet diese „selbständige Politik", diese Illusion einer selbständigen Politik zwischen den beiden Machtblöcken, dem Machtblock des Ostens und dem Machtblock des Westens? Machen wir uns doch nichts vor! Man soll sich doch einmal die Geschichte von Neutralen in Europa in den beiden letzten Weltkriegen ansehen: selbst Mächte, die auf gewisse Bündnismöglichkeiten nach dem Westen hin rechnen konnten, haben tatsächlich und praktisch — in sehr viel günstigerer Lage — ihre Neutralität nicht voll aufrechtzuerhalten vermocht. Was sollte hier aus diesem Deutschland werden, wenn es — ich möchte fast sagen — die Anmaßung der Neutralitätspolitik betreiben wollte. Sie ist eine Anmaßung in dem gegenwärtigen Zeitpunkt, und durch eine Neutralisierungspolitik würde dieses Deutschland ein Hexentanzplatz aller Welt.
Diese Vorstellungen sind doch entweder Wunschträume, Illusionen, sich nach Möglichkeit aus dem Weltkonflikt herauszudrücken, oder es sind verschleierte Anerbieten an den Ostblock,
von dem man vielleicht in mancherlei Beziehungen
auch eine Position sozialpolitischer Art erwartet,
die reichlich bedenklich ist.
Meine Damen und Herren. wenn die Wahl gestellt ist zwischen den Satelliten des Ostens und einer Politik der Partnerschaft, der Zusammenarbeit — gewiß auch der Abhängigkeiten, machen wir uns nichts vor: schwache Mächte sind von Großmächten und Weltmächten in der Regel abhängig; das ist so in der Welt —, aber wenn die Wahl gestellt wird zwischen den Satelliten einer Mächtegruppe, die die gesamten Grundwerte unserer abendländischen Existenz verneint, und einer Mächtegruppe, die diese Grundwerte letzthin zum Maßstab ihres staatlichen und politischen Seins macht, dann, glaube ich, sollte doch die Wahl nicht allzuschwer fallen, sich den gesamten Versuchungen einer Überwältigung von drüben zu widersetzen.
Es ist heute morgen in der Regierungserklärung sehr eindringlich klargelegt worden, wie die Entwicklung seit 1945 gelaufen ist. Ich kann es mir ersparen, noch darauf einzugehen. Aber eines muß
unterstrichen werden, was gerade für unsere Gruppe bei der sehr nüchternen Bewertung der Vertragswerke von großer Bedeutung ist, und das ist folgendes. Zum ersten Male in der neueren deutschen Geschichte findet sich die Möglichkeit eines angelsächsischen Bündnisses. Wenn wir uns daran erinnern, wie die vergangenen Generationen, die vergangene deutsche Außenpolitik — Bismarcks und der späteren Zeit — um die Frage des Bündnisses mit der angelsächsischen Welt gerungen haben, wenn wir uns das vergegenwärtigen, dann sollten wir die Entwicklungslinie, die sich hier andeutet, doch nicht allzu gering schätzen.
Wir sollten hierin vielmehr eines der konstruktivsten Elemente für Europa und für die Fundamente eines künftigen Friedens sehen, die es überhaupt gibt.
Dann auch einmal ein Rückblick auf das berühmte preußisch-russische Bündnis! Was ist denn diese früher von gewissen Militärkreisen bei uns so überschätzte sowjetrussische Bündnisverpflichtung bisher gewesen? Preußen war ein Satellit Rußlands bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Warum ist denn Bismarck auf den Dreibund übergegangen? Warum? — Ich möchte hier die Dinge nicht allzu deutlich aussprechen. Auch Bismarck hat es sehr gespürt, was eine Abhängigkeit auf Gedeih und Verderb von einer derart von irrationalen Kräften durchdrungenen Macht, wie es Rußland in der Geschichte immer gewesen ist, bedeutet. Bismarcks ganze Bündnispolitik in ihrem letzten Ziel — nämlich im Hinblick auf ein Bündnis mit den Angelsachsen ausgewogene Verhältnisse für Mitteleuropa zu schaffen — ist gescheitert. Dieser Albdruck der Koalitionen ist ein sehr deutliches Zeichen für die überaus prekäre Lage gewesen, in der sich Deutschland in der Mitte Europas von jeher befunden hat. Das Satellitenverhältnis nach Osten hin ist — und das beweist unsere deutsche Geschichte — immer nur Zeichen einer Epoche der Schwäche gewesen. Wir müssen uns gegenüber diesem Block die Freiheit erringen; und die einzige Möglichkeit eines ausgewogenen Verhältnisses ist das solide Bündnis mit der angelsächsischen Welt, mit der westlichen Welt insgesamt.
Über das Verhältnis zwischen uns und Frankreich sind viele Worte gesprochen worden. Es ist da — ich gebe es offen zu und sage das namens meiner politischen Freunde — zum Schluß eine Kette von Enttäuschungen festzustellen. Ich beschränke mich deshalb darauf, zu erklären, daß wir nach wie vor an der Grundkonzeption festhalten: die Verständigung zwischen uns und Frankreich in Verbindung mit dem angelsächsischen Bündnis ist eine unbedingte Notwendigkeit, wenn überhaupt die Lage des rechten Maßes — eine wirklich ausgewogene Friedensordnung in der westlichen Welt und auch gegenüber der östlichen Welt — aufgebaut werden kann. Das Hochziel dieser Politik der Verständigung kann und darf im lebensnotwendigen deutschen Interesse nicht aufgegeben werden.
Was ist das Ziel? Wie kann man sich vorstellen, daß nach dieser Katastrophe ein Frieden in der Welt aufgebaut wird? Zwei grundsätzliche Ziele sind anzusteuern: einen echten Ausgleich, eine echte Ausgewogenheit zu schaffen und daran mitzuwirken, daß wir bei der Entwicklung des neuen Staatensystems, bei den großräumigen politischen
Gebilden, die augenblicklich im Entstehen begriffen sind, mit am Tisch der Nationen sitzen.
Es wäre überaus gefährlich, uns gerade in dieser Epoche in einen eigensinnigen Absentismus, in eine Politik der Verneinung zu verbeißen. Wir würden die letzten Chancen unseres — ich muß es so deutlich sagen — Überlebens verspielen; denn eine Nation, die ihren mitbestimmenden Charakter in der Entwicklung der Welt verliert, gibt sich auf und stirbt daran. Leider ist dieses 20. Jahrhundert so geartet, daß nicht nur die moralische und die kulturelle, sondern auch die physische Vernichtung von Völkern möglich geworden ist, und darum ist die Situation um ein Vielfaches gefährlicher.
Der Gedanke der supranationalen Gebilde, der im Vertrag für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft konzipiert worden ist, bedeutet tatsächlich etwas vollkommen Neues. Dieser Vertrag zur Bildung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft mit seinem Art. 38 enthält den konkreten Anfang, nun praktisch an die Ausarbeitung der europäischen Verfassung heranzugehen. Dazu bitte ich mir eine kurze Bemerkung zu gestatten.
Die europäische Verfassung der Zukunft, die durch den EVG-Vertrag möglich wird, darf nicht mehr auf dem Prinzip der Souveränitäten aufgebaut werden.
Das Völkerrecht, das auf dem Souveränitätsprinzip beruht, gehört einer Epoche der Vergangenheit an und muß überwunden werden. Die Demokratie im Inneren der Staaten muß ihre Spiegelung und Entsprechung auch in der Gestaltung des Völkerrechts finden. Deshalb, glaube ich, können wir Deutschen, die wir 15 Millionen Vertriebene, die wir die große Katastrophe unseres Volkes erlebt haben, den Grundgedanken mit einbringen, daß diese künftige europäische Verfassung auf den Prinzipien des Menschenrechts aufgebaut wird. Dieses grundsätzliche Menschenrecht, das wir hier zu nennen haben, ist das Recht auf die Heimat. Aus dem Erlebnis der Völkerkatastrophe sollte in Europa das grundsätzliche Prinzip für die Bildung einer neuen völkerrechtlichen Ordnung geboren werden. Diese neue Ordnung, die auf den Menschenrechten aufgebaut ist, und zwar — um dieses Menschenrecht in eine kurze Formel zu fassen — auf dem Recht auf die Heimat, aus der niemand den Menschen vertreiben kann, sollte unser deutscher Beitrag sein, ein Beitrag, den wir mit Millionen Toten zu bezahlen hatten. Nur dann, wenn eine völkerrechtliche Ordnung und eine europäische Ordnung, die auf dem Menschenrecht aufgebaut ist, geschaffen ist, wird es möglich sein. den Menschen über seine nationale Erige hinauszuheben zum Europäertum, zum Bewußtsein des Europäischen in jeder einzelnen Seele.
Es wäre sehr reizvoll, die wirtschaftliche Bedeutung des Vertragswerks, das wir hier zu behandeln haben, zu betrachten und an diese Betrachtung die über die soziale Tragweite anzufügen. Mir bleibt nicht viel Zeit. Ich kann es daher nur ganz kurz andeuten. In einem Zeitalter, in dem Technik und Verkehr die Entwicklung bestimmen, und zwar großräumig bestimmen, kann eine Wirtschaftsverfassung auch nur großräumig lebendig sein. Ich glaube, daß diese wirtschaftliche Entwicklung gerade für uns, die wir ein zerstörtes Land, ein übervölkertes Land sind, ein Land, das vom Export lebt, eine Lebensnotwendigkeit ist.
Um den sozialen Aspekt der Großraumbildung zu berühren, darf ich vielleicht darauf hinweisen, daß es mir unmöglich erscheint, die großen Aufgaben sozialer Art, die das 20. Jahrhundert stellt, zu lösen, ohne daß hinter diesem Vollbringen die Wirtschaftskraft eines großen Raumes steht, der Massenwohlstand, der möglich wird in einer europäischen Großraumwirtschaft, die eng mit der atlantischen Gemeinschaft verbunden ist. Allerdings — und das ist eine Frage der Ausführung dieses Vertragswerks, das j a letzthin auch mit dem Schumanplan eine Einheit bildet —: es wird sehr eingehend darauf zu sehen sein, daß die innerwirtschaftliche Verfassung unseres Landes sich an dieses geschichtliche große Entwicklungsgesetz anpaßt. Ich würde es — und sage das hier in dieser Stunde offen — für eine Katastrophe halten, wenn wir uns im Jahre 1953 in Deutschland einen Rückfall in eine sozialistische Planwirtschaft leisteten.
Das würde völlig die Entwicklungslinie in die Zukunft abschneiden.
Ich glaube, es wird hier gerade auch eine Aufgabe der Frauen sein, die soziale Seite dieser europäischen Politik zu unterstützen. Denn letztlich bestimmt die Frau über die Vitalsituation eines Volkes. Wir sollten in unserer Politik und auch in unseren Taten und in unseren Entscheidungen mehr Rücksicht nehmen auf die Bedürfnisse der Frau
und uns in diesem Punkt die Frauen zu Bundesgenossen machen. Denn wer die Frauen einer Nation hat, kann die Zukunft des Landes aufbauen. Deshalb darf ich hier einmal an die Hilfe der deutschen Frau appellieren, die schon die Krise des Krieges und der Nachkriegszeit in so beispielhafter Weise zu überwinden geholfen hat. Auch dieser Weg in eine europäische Zukunft hinein wird sehr wesentlich mit von der deutschen Frau zu tragen, zu verstehen und zu lehren sein.
Der Generalvertrag ist in einer überaus kritischen Weise von Herrn Professor Schmid analysiert worden. Darüber ist die eigentliche Zielsetzung des Deutschlandvertrags, der nämlich den Zweck hat, Deutschland zu einer Bündnispartnerschaft fähig zu machen, ziemlich aus dem Auge verloren worden. Ich möchte Ihnen deshalb noch einmal das in Erinnerung rufen, was in der Präambel und in den entscheidenden Artikeln steht: die Integration Europas, die Wiederherstellung Deutschlands und die Ermöglichung eines frei vereinbarten Friedensvertrags. Gewiß, es bestehen Vorbehalte. Heute morgen ist etwas Merkwürdiges geschehen. Herr Professor Schmid hat davon gesprochen, daß derjenige, der über das Vorbehaltsrecht verfügt, der über das Recht zur Verhängung des Ausnahmezustandes verfügt, der eigentliche Herr der Verfassung sei. Nun, ich möchte hier eine sehr merkwürdige Identität zwischen zwei Herren ähnlichen Namens feststellen; der eine schreibt sich mit tt, der andere schreibt sich mit d.
— Gut! — Wer aber das Vorbehaltsrecht, den Notstand, der hier eingeführt worden ist, im Sinne
von Karl Schmitt — tt — auffaßt, der verkennt
das Wesen dieses Vorbehalts grundsätzlich, und deshalb muß ich widersprechen.
Es ist nicht der Vorbehalt, nicht der Ausnahmezustand, der aus der inneren Legitimation einer Verfassung entspringt,
sondern — wir halten daran fest — durch diese Verträge ist die oberste Gewalt der Alliierten nicht anerkannt worden. Niemand hat in eine Beschränkung der Souveränität eingewilligt, und wenn das die juristische Ausgangsbasis ist, dann bedeuten die Begrenzungen der Ausnahmegewalt, die in dem Vertrag bindend vereinbart worden sind, substantiell etwas ganz anderes als das, was Herr Professor Schmid gesagt hat.
Denn es ist nicht möglich, diesen Vorbehalt des Notstands seitens der Alliierten aus einer rein innerpolitischen deutschen Situation heraus zu benutzen. Es handelt sich hier lediglich um einen Notstand, dessen Ursache aus einer unmittelbaren oder mittelbaren äußeren Bedrohung entspringt und der die Sicherheit der Truppen gefährdet.
Meine politischen Freunde haben immer den größten Wert darauf gelegt, zwischen der obersten Gewalt und der Vorstellung der deutschen Souveränität einen klaren Trennungsstrich zu ziehen. Dieser klare Trennungsstrich ist bei der Verhandlung des Deutschlandvertrags durchaus beachtet worden. Ich betrachte es als einen ganz wesentlichen Fortschritt unserer Situation, daß an Stelle von Punkt 3 des Besatzungsstatuts nun die Begrenzung der obersten Gewalt mit Konsultation der Bundesregierung eingeführt worden ist. Dazu kommt — das ist der Beweis, daß ich mit dieser Auslegung recht habe, daß hier lediglich zur vertraglichen Bindung die Begrenzung der Ausübung der obersten Gewalt im Rahmen dieser drei Vorbehalte gehört — der Art. 9, in dem ein Schiedsgericht eingeführt worden ist, das über die Grenzen letzthin der Ausübung jenes Fremdrechtes auf deutschem Boden Bestimmungen zu treffen hat.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion wird sich eine Stellungnahme zu den Zusatzverträgen im einzelnen für die zweite und dritte Lesung und besonders für die Beratungen in den Ausschüssen vorbehalten. An einigen Fragen kann ich aber nicht vorbeigehen. Die Behandlung der Frage der sogenannten Kriegsverbrecher in der Nachkriegszeit, nach Ausgang dieses zweiten Weltkrieges bedeutet ein Abgehen von einem alten völkerrechtlichen Prinzip. Es ist nicht möglich, Richter in eigener Sache zu sein. Es ist nicht möglich, daß der Sieger über den Besiegten richtet. Hier sind uralte Prinzipien abendländischer Rechtsauffassung verlassen worden. Ich möchte feststellen, daß in Art. 6 des Zusatzvertrags auch die Bundesregierung keine Anerkennung dieser Urteile vollzieht.
Das ist festzuhalten; denn es hängt hier ein Stück unserer deutschen Würde daran. Es ist hier ein Prinzip verlassen worden, das seinerzeit Heinrich IV. von Frankreich in der Präambel des Edikts von Nantes sehr viel klarer, sehr viel richtungweisender auszudrücken gewußt hat als eine spätere Zeit. Meine Redezeit ist fortgeschritten;
deshalb verzichte ich auf eine Verlesung dieser Präambel. Aber letzthin kommt hier der Geist der Großzügigkeit, der Geist zum Ausdruck, daß es nach den Schrecken des Krieges notwendig ist, reinen Tisch zu machen, daß ein Schlußstrich unter die Schrecken gemacht wird und daß es letzten Endes Schuld und Unschuld gibt, über die zu richten Menschenkraft nicht mehr in der Lage ist.
Meine Damen und Herren, meine Freunde fordern eine vorherige Bereinigung der Frage der sogenannten Kriegsverbrecher, nicht weil dies eine billige nationalistische Formel und Forderung wäre — wir lehnen die politische Geschäftemacherei mit dieser Frage aus innerster Überzeugung ab —; aber es geht hier tatsächlich um ein abendländisches Prinzip. Eine Nation kann aus Selbstachtung auf den Schlußstrich unter diese Frage nicht verzichten. Wer eine neue Welt aufbauen will, der muß auch drüben vor seiner Öffentlichkeit den Mut haben, einen Schlußstrich unter die Schrecken des Krieges zu ziehen. Es wird über dieses Problem, wenn wir unsere Große Anfrage an die Regierung zu begründen haben werden, noch im einzelnen zu sprechen sein. Ich möchte mich hier lediglich mit dieser prinzipiellen Feststellung begnügen und sagen, daß das Gefühl echter Partnerschaft nur dann gegeben sein kann, wenn in dieser grundsätzlichen, mit der Ehre eines Volkes zusammenhängenden Frage eine Bereinigung erzielt ist.
Hier geht es um mehr. Hier geht es nicht um die Personen, hier geht es auch nicht um die Untersuchung einzelner Rechtsfragen, sondern hier geht es um die Kraft, Vergangenes vergangen sein zu lassen.
Meine Damen und Herren, auch zur Frage des Auslandsvermögens wäre viel zu sagen. Wir behalten uns dies für die zweite und dritte Lesung vor. Da ist in der Öffentlichkeit allerdings insofern eine falsche Vorstellung entstanden, als habe die Bundesregierung einen Verzicht auf diese Auslandswerte ausgesprochen. Meine Damen und Herren, das ist nicht der Fall.
Letzthin ist die Auflage, keine Einwendungen zu erheben für das, was in der Vergangenheit geschehen ist, und das, was noch in der Zukunft geschehen sollte, nicht zu verstehen im Sinne einer Anerkennung dieser rechtswidrigen und der gesamten völkerrechtlichen Entwicklung wider- sprechenden Maßnahmen. Immerhin liegt in diesem Komplex eine gewaltige Gefahr für die Zukunft. Es handelt sich um einen Wert der Auslandsvermögen, den manche Experten auch heute in der Hälfte, in der er noch besteht, auf etwa zehn Milliarden DM schätzen. Ich glaube, daß es daher nicht unbillig ist, hinsichtlich der Durchführung der Verträge an die Bundesregierung die Bitte zu richten, daß sie ihre Zusage — ich muß in diesem Fall schon sagen: die ihr abgenötigte Zusage —, keine Einwendungen zu erheben, so wie es in Art. 3 steht, nur unter Wahrung ihres grundsätzlichen Rechtsstandpunktes abgibt, eines grundsätzlichen Rechtsstandpunktes, der dann, wenn über die Frage abschließend in einer friedensvertraglichen Regelung gesprochen wird, die rechtliche Position wahrt.
Zweitens sollten die drei Mächte zu einer Erklärung gebracht werden — auch das gehört zu einer echten Partnerschaft, wenn wir den Weg in die Zukunft antreten wollen —, daß sie neue Maßnahmen gegen deutsches Auslandsvermögen nicht zulassen bzw. nicht unternehmen werden. Drittens sollte klargestellt werden, daß der Schutz deutschen Vermögens, das im Ausland nach dem 8. Mai 1945 erworben worden ist, absolut gewährleistet bleibt und daß für die im neutralen Gebiet gelegenen Werte in deutschem Besitz das Völkerrecht und mit ihm in letzter Instanz der Spruch des Haager Gerichtshofs maßgebend Geltung behalten sollen.
Auch auf dem Gebiet der Entflechtung — ich möchte hier die Ausführungen dem besonderen Sachkenner überlassen — scheinen mir Prinzipien obgewaltet zu haben, die im Hinblick auf die einseitig Deutschland auferlegten Dekartellisierungsmaßnahmen die Einbeziehung, die wirkliche Eingliederung unserer deutschen Wirtschaft in eine europäisch-atlantische Großraumwirtschaft unter Umständen beeinträchtigen können. Aber wer den Weg des Schritt für Schritt in der Politik des Erreichens des Möglichen geht und wer erkannt hat, daß in den bisherigen Versuchen, uns aus den Ketten der Niederlage zu befreien und einen neuen konstruktiven Weg des Zusammenarbeitens unter den Völkern zu finden, eine außerordentliche Dynamik nach vorne gegeben ist, der wird mir auch zugeben, daß bei der Ausführung und Durchführung dieser Vertragswerke sehr viele Möglichkeiten bestehen, parallel mit dem Geist, in dem die neue politische Bildung geschieht, die Vernunft obsiegen zu lassen und damit zu zeigen, daß alle die schwarzen Befürchtungen, die die Opposition ausgesprochen und ins Volk gesenkt hat — nebenbei gesagt auch beim Petersberger Abkommen, ja bei jeder Station des Weges, den wir gegangen sind —, nicht zutreffen, sondern daß letzthin die Dynamik nach vorn, der vernünftige, konstruktive Weg den Sieg über die Unvernunft und die Unterdrückungspolitik mit sich bringt.
Auch auf dem Gebiet des Requisitionswesens wird es weniger auf die juristische Formel ankommen, wie sie im Vertrag vereinbart ist, sondern letzthin auf die Anwendung, auf die Praxis der Auftragsvergebung und auf die Praxis der Aufwandsforderungen, die von den Sicherungstruppen gestellt werden können.
Die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands! Auch hier werden viele Wortschiebungen gemacht. Bisher hat sich noch kein deutlicher Weg abgezeichnet, auf welcher Basis ein fruchtbares Gespräch über die Wiedervereinigung stattfinden könnte. Ich persönlich schätze das berühmte Argument von der gegenseitigen Stärke nicht besonders; ich möchte diesen Ausdruck „Stärke" in einem andern Sinn verwenden. Es kommt vielmehr darauf an, ein Staatensystem zu schaffen, in dem eine Ordnung möglich ist. Nur wenn aus dem völligen deutschen und europäischen Vakuum gegenüber Rußland ein echtes, widerstandsfähiges Staatensystem im Entstehen begriffen ist, erst dann besteht j a ein reales Bedürfnis, die deutsche Frage einer Lösung näherzubringen. Was hat bisher die ganze Argumentation in unserem Volk getan, z. B. gerade die Haltung der Opposition, ihr Neinsagen zu diesen Verträgen um jeden Preis? Haben Sie einmal verfolgt, was in der ersten und in der zweiten Sowjetnote enthalten war und wie dann, nachdem ruchbar geworden war, daß etwa das Bundesverfassungsgericht die Ratifikation der Ver-
von Merkatz)
träge unmöglich machen könnte, die dritte Sowjetnote gehalten war? In der stand gar nichts mehr drin!
Ich achte die Opposition, soweit sie ein echtes Anliegen ist. Auch wir sind nicht bereit, prinzipielle Rechte preiszugeben, um für diesen Preis uns aus dem Joch der Niederlage zu befreien. Wir sehen manche Notwendigkeit, der wir uns in unserer anomalen Lage beugen müssen, nicht als eine glanzvolle, nicht als eine zu preisende Sache an. Auch wir haben Verständnis, wirklich Verständnis für manches Bedenken, das vorgebracht worden ist. Aber es muß dann auch ein echtes Anliegen sein. Ein echtes Anliegen kann nur dann gegeben sein, wenn man den andern Weg, die Alternative aufzuzeigen weiß, wenn man ein konstruktives Bild hinzustellen vermag, das das Volk überzeugt. Bisher hat die Opposition dieses Bild, diese Möglichkeit nicht hinzustellen gewußt. Wenn das letzte Ergebnis ihrer Worte zur deutschen Frage ist, man solle die Chance für eine Viermächtebesprechung schaffen, so kann ich den teuflischen Pferdefuß, der in diesem Vorschlag liegt, nicht laut genug vor aller Öffentlichkeit anprangern; denn wir sind nicht bereit, Konzessionen auf Kosten der Freiheit unseres Volkes, der Menschenwürde und der europäischen Integration an die Sowjetunion zu machen.
Ich möchte zum Abschluß kommen und noch folgendes kurz sagen. Es ist immer ein schlechtes Zeichen für das Selbstbewußtsein einer Nation, wenn über den Ehrenstandpunkt gestritten wird. Ich betrachte es nicht als eine Stärke — weder für uns noch für die Opposition —, daß hier Fragen der Würde, der Ehre, der Souveränität zur Diskussion gestellt werden. Ich möchte folgendes sagen. Die Ehre eines Volkes ist grundsätzlich das Unverzichtbarste, was es in der Welt gibt; über das braucht und darf man nicht reden.
Letzthin besteht diese Ehre darin,
daß man Verantwortung auf sich nehmen will. Ich sehe den ganzen Patriotismus darin, daß ein Volk die Kraft gewinnt, Verantwortung für sein Geschick zu tragen, wieder für sich selbst einzustehen, nicht, sich über die Schwere der Zeit durch ein Provisorium hinwegzuschwindeln. Gewiß, die Bundesrepublik soll nur ein Provisorium sein. Wir sind uns dessen sehr wohl bewußt. Aber in uns muß Kraft und Ehre des ganzen deutschen Volkes — ich meine das ganze deutsche Volk mit seinem Anspruch in seinen historischen Grenzen — stehen. Dieser Kernstaat hat den Karren aus dem Dreck zu ziehen.
Meine Damen und Herren, darin sehe ich die vaterländische Pflicht: das Mögliche zur Befreiung, zur Rückkehr zu unserer Selbstachtung, zu unserem Selbstbewußtsein, das Mögliche in dieser Außenpolitik zu erzielen. Allen, die da glauben, die Ehre des deutschen Soldaten oder die Ehre des deutschen Volkes oder irgendeines Menschen sei verletzt und gekränkt worden und darüber könnte man nicht hinwegkommen, möchte ich sagen: ein Herr bleibt ein Herr, und wenn er in Ketten liegt!
Herr sein unter den Nationen heißt, daß man bereit und gewillt ist, für sein Geschick einzutreten. Darum sehe ich die oberste Pflicht darin, an den Tisch der Nationen zurückzukehren mit dem Willen, Verantwortung zu tragen, mitzuarbeiten an dem konstruktiven Weg, eine neue Welt aufzubauen, die den Frieden gibt. Wenn Sie zurückblicken auf den Weg dieser drei Jahre, den wir — die christlich-sozialen, liberalen und konservativen Kräfte dieser Koalition — zur Wiederherstellung unserer Staatlichkeit und unserer Verantwortungsfähigkeit gegangen sind, dann werden Sie bei einem einigermaßen sachlichen und ruhigen Urteil bestätigen können: dieser Weg war gut, und er ist durch die Gnade des Himmels gesegneter gewesen, als wir je erwarten durften.