Rede von
Erwin
Schoettle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man merkt an der Art des Beifalls im Hause, daß das Radio eingeschaltet ist.
— Meine Damen und Herren, ich bin genau in der gleichen Lage wie Sie.
— Ich sage es ja, ich bin genau in der gleichen Lage wie Sie bei uns.
— Die Geräuschkulisse war heute im Lager der Regierungskoalition erheblich stärker als auf seiten der Opposition.
— Ich glaube nicht, daß Sie sich heute hier im einzelnen so benommen haben, wie Sie das gern von anderen wünschen. Aber lassen wir das hier beiseite. Ich komme zur Sache.
— Ach, was Schulmeistereien betrifft, sind Sie gelegentlich auch Meister.
Hier hat soeben der Herr Bundesfinanzminister gesprochen, und wie es in der Natur seiner Aufgabe liegt, sprach er von den finanziellen Problemen, die mit diesen Verträgen zusammenhängen. Ich muß ihm auf dieses Gebiet folgen; denn es ist klar, daß diese Fragen bei der Beurteilung der Wirkung der Verträge auf unsere Volkswirtschaft, auf unsere steuerliche Belastung, auf unsere inneren Möglichkeiten eine außerordentliche Rolle spielen. Nicht umsonst ist man ja in der Propaganda für die Verträge immer wieder mit der These aufgetreten, daß es durchaus möglich sei, die Lasten auf die Schultern der Bundesrepublik zu übernehmen ohne eine Steigerung der steuerlichen Belastung und ohne eine Beeinträchtigung der sozialen Leistungen der öffentlichen Hand. Diese These ist von Herrn Schäffer mehrmals vertreten worden, und der Herr Bundeskanzler hat gerade in den letzten Tagen durch ein Interview im „Echo der Zeit", abgedruckt im „Bulletin" der Bundesregierung, geradezu das klassische Zitat geliefert, als er auf Fragen seines Interviewers erklärte, daß es durchaus falsch sei, wenn man von der Annahme ausgehe, daß wir mit dem Verteidigungsbeitrag etwa unsere sozialen Leistungen einschränken und neue Steuern ausschreiben müßten. Ich will dies Zitat hier nicht wiederholen; es kann ja von jedermann nachgelesen werden.
Herr Bundesfinanzminister Schäffer hat hier
— ich nehme das jetzt durchaus so ironisch, wie er es gemeint hat — vom Säckelmeister Nebukadnezars geredet. Nun, meine Damen und Herren, ich kenne nicht die einzelnen Schicksale der möglicherweise verschiedenen Säckelmeister dieses babylonischen Tyrannen;
aber ich kann mir sehr gut vorstellen, daß zu jener Zeit die Dinge etwas anders waren als heutzutage und daß ein Säckelmeister, der nicht den Wünschen seines Herrn und Meisters blindlings entsprochen hätte, an einer Zinne des babylonischen Ziggurat aufgehängt worden wäre. Wir verfahren heute mit Finanzministern glimpflicher. Aber die Entwicklung scheint auch nach den vorliegenden Verträgen doch auf einen gewissen Abbau der demokratischen Kontrolle der öffentlichen Ausgaben hinauszulaufen.
Davon glaube ich, muß man im Zusammenhang mit diesen Verträgen auch reden, weil die Konstruktion — und das ist nicht das erste Mal; das ist beim Schumanplan so; das ist auch beim EVG- Vertrag so — letzten Endes darin gipfelt, daß eine ganz kleine Gruppe von Menschen über einen sehr großen Finanzfundus verfügt, ohne daß die Parlamente der Länder, die an diesen Verträgen beteiligt sind, mehr zu tun haben, als eine Globalsumme zu bewilligen.
Man komme uns nicht damit, daß man sagt: Ja, aber wir sind im Ministerrat beteiligt, und dann gibt es ja auch die Versammlung. Ich komme darauf noch zurück und will nachweisen, wie wenig das in der Praxis bedeutet.
Nun hat der Herr Bundesfinanzminister aus der reichen Kenntnis des Verhandlungsverlaufs und der Verhandlungsergebnisse hier im Hause berichtet. Es ist selbstverständlich, daß es in vielen Fragen, die die Beurteilung von Ziffern betreffen, gar keine Meinungsverschiedenheiten geben kann, soweit eben rechnerische Ergebnisse vorliegen. Der wirkliche Gegensatz bei der Beurteilung der Verträge liegt ja auch nicht in ihren finanziellen Wirkungen, sondern er liegt im Politischen; er liegt in der Unterschiedlichkeit der Absichten und der Ziele, die mit diesen Verträgen verfolgt werden und die von der oder jener Seite dieses Hauses und — das darf man noch hinzusetzen — auch im Volke sehr verschiedenartig beurteilt werden. Ich bin mir also vollkommen bewußt: wenn man von Geld und von Summen redet — und da bin ich vermutlich in der gleichen Lage wie der Herr Bundesfinanzminister —, hat man nicht dieselbe Resonanz, wie wenn man die großen Probleme aufrollt und dabei mit Gefühlen operieren kann. Hier geht es nicht um die Gefühle, sondern hier geht es darum, meine Damen und Herren, daß, an der Oberfläche gesehen — und das hat der Herr Bundesfinanzminister durchaus zugegeben —, auch in Zukunft rund 40 % unseres gesamten Haushaltsvolumens für Verteidigungslasten — früher waren es Besatzungslasten — zunächst einmal in einer Globalsumme zur Verfügung gestellt werden müssen. Wir reden zwar bei der Festsetzung dieser Summe mit; aber, ich glaube, es kommt sehr bald ein Zeitpunkt, wo unsere Mitsprache nicht mehr das gleiche Gewicht hat wie etwa in der Übergangszeit, nämlich wenn wir nach den vollen NATO-Grundsätzen mit veranlagt werden. Denn dann entscheidet eine Körperschaft, an der wir nicht beteiligt sind und die nach anderen Maßstäben, nach einem festgefugten Schlüssel die Anteile der einzelnen Länder festlegt.
Aber, wie gesagt, das ist eine Frage, die man im einzelnen zu prüfen haben wird. Ich glaube, es ist in dieser ersten Lesung der Verträge gar nicht möglich, auf alle Details einzugehen. Wir
werden bei der zweiten und dritten Lesung und vor allem in den Ausschüssen Gelegenheit haben, festzustellen, wie die einzelnen Teile des Vertragswerks aufeinander wirken und wo noch Verpflichtungen und Lasten enthalten sind, die man nicht auf den ersten Blick sieht; und auch solche Möglichkeiten und' solche Lasten gibt es. Ich glaube, daß die wenigsten in diesem Hause — und ich nehme es auch nicht für mich in Anspruch — jede Implikation bereits erkannt haben, die in den einzelnen Vertragstexten, die so eng miteinander verflochten sind, noch verborgen ruht.
Der Herr Finanzminister hat zunächst einmal zugestehen müssen, daß die Bundesrepublik einen Betrag von 850 Millionen DM vom Inkrafttreten des Vertragswerks ab an deutschem Verteidigungsbeitrag bezahlt. Wie immer man nun den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verträge ansetzt, ob das der 1. November 1952 oder der 1. Januar 1953 ist, das ändert im Effekt nichts an der Tatsache, daß wir nur für dieses Haushaltsjahr noch einen Spielraum haben, daß wir aber zu irgendeinem Zeitpunkt, der übersehbar ist — wenn die Verträge ratifiziert werden —, das volle Gewicht der Lasten zu spüren bekommen.
Man kann also die Frage zunächst ausschalten, wann das in vollem Umfang in Betracht kommt, und es genügt festzustellen, daß wir wahrscheinlich im Schnitt pro Jahr bei den 10,2 oder 10,5 Milliarden bleiben oder ankommen werden, die so im Laufe der Verhandlungen als deutscher Beitrag für die EVG herausgerechnet worden sind. Die Frage kann gestellt werden, ob es dabei bleiben wird, ob das die totale Last ist, die die Bundesrepublik auf sich zu nehmen hat. Ich habe schon davon gesprochen, daß ein Zeitpunkt kommen wird, an dem wir nicht mehr so mitreden werden wie in der Übergangsperiode, nämlich, wenn NATO mit ins Spiel kommt.
Im übrigen ist es aber so, daß die Last, die zunächst einmal fixiert worden ist, nach dem Betrag, der für die stationierten Truppen aufgebracht werden muß, und nach dem Teil, der auf das deutsche Kontingent entfällt, in Wirklichkeit — auch wenn man die sich langsam umwandelnden Quoten in Betracht zieht — doch nur die Unterhaltung der deutschen Kontingente betrifft, nicht aber ihre Aufstellung und Ausrüstung. Die Aufstellung und Ausrüstung dieser zunächst zwölf deutschen Divisionen kostet ja auch Geld. Man muß sie ausstatten, damit sie überhaupt Soldaten sind, man muß ihnen Waffen geben, man muß ihnen Uniformen geben. Das alles kostet Geld. Es gibt einen Experten. der es wissen muß und der sich darüber auch- öffentlich geäußert hat, nämlich unser Herr Kollege Blank ten die Summe genannt, die die Erstausstattung, die Aufstellung der deutschen Kontingente kosten wird. Er hat die Kosten pro Division für die Erstausstattung, Aufstellung, Ausrüstung auf 3 Milliarden DM beziffert, d. h. wenn man zwölf Divisionen zugrunde legt, kam er auf einen runden Betrag von 40 Milliarden DM für die Aufstellung der deutschen Kontingente.
Das wird sich wahrscheinlich nicht in einem Augenblick abrollen lassen, sondern das wird langsam, im Tempo, in dem diese Divisionen aufgestellt werden, erst spürbar werden. Aber es sind doch — nach Herrn Blank — 40 Milliarden DM, die diese 12 deutschen Divisionen zunächst kosten.
Herr Blank hat außerdem dann weiter gerechnet 'I und hat gesagt — und auch das ist durchaus anzuerkennen —, daß es ja mit der Aufstellung von 12 Divisionen nicht getan ist. Er hat eine Dienstzeit von 2 Jahren unterstellt und hat ausgerechnet, daß das im Laufe von 10 Jahren einen Umschlag macht, der sich auf 60 Divisionen Reserven beläuft. Diese Reservedivisionen haben auch nur dann einen Wert, wenn man ihre Ausrüstung bereitstellt, sonst sind es ja einfach Menschen in Uniform, und vielleicht das noch nicht einmal. Man muß also auch dafür einen bestimmten Betrag in Rechnung stellen. Er hat diesen Betrag auf 10 Jahre mit rund 200 Milliarden DM beziffert.
Ich kann nur das zitieren, was Herr Blank öffentlich gesagt hat, und es ist nicht meine Sache, im einzelnen den Sachverstand dieses Experten der Bundesregierung anzuzweifeln.
Ist noch hinzuzufügen, daß die Vereinigten Staaten für die Erstausstattung dieser 12 deutschen Divisionen einen Betrag von 5 Milliarden DM oder 1 Milliarde Dollar in Aussicht gestellt haben. Daß das nicht ausreicht, um die deutschen Kontingente auszurüsten, ist klar. Es erhebt sich die Frage: wer bezahlt den Rest? Die EVG sicher nicht; denn die hat ja die Beträge, die sie aus den einzelnen nationalen Beiträgen ansammelt, in erster Linie für die Unterhaltung der Truppen zu verwenden. Man muß also die Frage stellen: wer bezahlt den Rest? Die Frage wird einmal zu beantworten sein. Ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich behaupte, daß das in vollem Umfang auf die Bundesrepublik, auf ihren Bundesfinanzminister und ihre Steuerzahler zukommt.
Nun eine andere Frage. Diese Form der Verträge — ich habe das Problem schon vorhin angedeutet
— führt vor allem dazu, daß wir durch internationale Verpflichtung auch im internen Verhältnis gezwungen sind, bestimmte recht umfangreiche Teile unseres eigenen Haushaltsvolumens global zur Verfügung zu stellen. Nun kann man sagen, daß war schon bisher bei den Besatzungskosten so
— das ist richtig — und es wird in Zukunft auch so sein; aber wir können wenigstens über die Höhe dieser Globalsumme mitsprechen. Aber, meine Damen und Herren, hier wird am deutlichsten, was Verzicht auf Souveränität bedeutet. Ich bin kein Illusionist und ich glaube, ich kann da für die ganze sozialdemokratische Fraktion sprechen: Wer uns unterstellt, daß wir die nationale Souveränität als einen anbetungswürdigen Fetisch betrachten, der verkennt nicht nur die ganze Geschichte, der verkennt auch die gegenwärtige Haltung der Sozialdemokratischen Partei.
Aber wenn man schon von den Dingen so redet, daß sie nahezu zu Idolen werden — nämlich vom Verzicht auf die Souveränität als dem großen Fortschritt unserer Zeit —, dann muß man auch im Konkreten sagen, was das praktisch für das Funktionieren der Demokratie bedeutet. In diesem Falle der Haushaltskontrolle, einem der wichtigsten Rechte aller Parlamente, werden zwar alle Parlamente der Länder, die an der europäischen Verteidigungsgemeinschaft beteiligt sind, gleichmäßig betroffen. Das muß ohne weiteres gesagt werden: diese Einschränkung gilt für alle Parlamente. Aber sie bedeutet auch für alle Parlamente, daß sie auf einen wesentlichen Teil ihrer Kontrollrechte verzichten müssen.
— Nein, nicht zugunsten Europas. Wenn Europa darin besteht, daß man die Demokratie im Interesse des Funktionierens einer solchen Gemeinschaft abbaut, dann frage ich mich, ob der Preis nicht doch etwas zu hoch ist.
Schließlich ist ja Europa nicht einfach eine Summierung von Menschen. Wenn es so sein soll, daß wir alle in diesem Europa leben können, dann muß es eben tatsächlich auch eine funktionsfähige demokratische Ordnung haben. Es ist eines der entscheidenden Anliegen jeder Demokratie, mag sie nun auf nationaler oder auf kontinentaler Basis aufgebaut sein, daß diejenigen, die das Geld ausgeben, von denen kontrolliert werden müssen, die vom Volk dazu beauftragt sind.
Wie steht es da bei der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft? Das Budget wird vorbereitet, aufgestellt vom Kommissariat, beschlossen vom Ministerrat. Es kann dann von der sogenannten Versammlung abgelehnt werden, aber nur mit zwei Dritteln der Stimmen. Meine Damen und Herren, es ist ein bequemes Regieren, wenn man seinen Haushaltsplan schließlich noch mit einem Drittel der Stimmen unter Dach bringen kann. Der Bundesfinanzminister Schäffer wird seinen Haushalt in diesem Bundestag hoffentlich nicht einmal nach dem Beispiel der Organisation der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft unter Dach und Fach bringen.
Ich glaube, daß hier ein Punkt ist, der zu den allerschwersten Bedenken Anlaß gibt, und zwar nicht nur deshalb, weil hier in einem einzelnen Fall so verfahren wird, sondern weil es eine allgemein zu beobachtende Tendenz ist, auf dem Wege über solche Verträge die Parlamente auszuschalten.
— Ich kann hier nicht auf alle Zwischenrufe eingehen, auch nicht auf die von Herrn Euler; ich muß es ihm überlassen, seinen Standpunkt von hier aus zu vertreten.
Ein anderes Problem ist die steuerliche Behandlung der Streitkräfte, die in unserem Lande stationiert sind. Es ist nicht nur deshalb ein Problem, weil der Gedanke der Partnerschaft und der Gleichberechtigung nach unserer Auffassung in außerordentlich starkem Maße lädiert worden ist, sondern auch deshalb, weil die steuerliche Behandlung der in Deutschland stationierten Kräfte gewisse sehr unwillkommene Konsequenzen für unser eigenes Steuersystem, für unsere eigene Finanzmoral und für gewisse innere Zustände hat.
Daß hier der Grundsatz der Gleichberechtigung mindestens im Verfahren und in der Bewertung der deutschen inneren Situation nicht eingehalten ist, ergibt sich, wenn man sich den Art. 2 des einschlägigen Vertrags zwischen den NATO-Ländern vergegenwärtigt, nämlich das „Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikpakts über die Rechtsstellung ihrer Truppen". Da ist eine — wenn man an all diesen Dingen Gefallen findet! —
sehr saubere Lösung für ein schwieriges Problem gefunden worden. In der Ziffer 1 dieses Art. 2 heißt es:
Die Mitglieder einer Truppe oder des Gefolges sowie ihrer Angehörigen können sich an Ort und Stelle die für ihren eigenen Verbrauch erforderlichen Waren und die von ihnen benötigten Dienstleistungen unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaates verschaffen.
Von dieser, ich möchte beinahe sagen, gentlemanliken Behandlung, wenn dieses etwas verkrachte englische Wort hier angebracht ist,
ist in den Verträgen mit der Bundesrepublik nichts zu spüren.
Ein leiser Nachklang davon, in welcher Art diese Dinge wahrscheinlich auch hinter den Kulissen von den Streitkräften selbst, nämlich von der Militärbürokratie der Besatzungstruppen, im Kampf mit dem Herrn Bundesfinanzminister schließlich fixiert worden sind, ist ja in seinen eigenen Ausführungen noch zu verspüren gewesen, als er davon sprach, wie schwer es eben für Besatzungstruppen sei, von Dingen herabzukommen, die sie sozusagen ererbt haben.
Ich bin der letzte, Herr Minister Schäffer, der Ihnen einen Vorwurf macht, daß Sie nicht das letzte mögliche Verhandlungsergebnis erzielt haben. Ich habe Ihre zähe Verhandlungskunst oft bewundert und bin überzeugt, wenn manche unserer Unterhändler so zäh verhandelt hätten wie der Bundesfinanzminister, wäre in anderen Teilen der Verträge vielleicht auch ein anderes Ergebnis erzielt worden. Aber das zu beurteilen, ist nicht die Sache der Opposition, es ist auch nicht reine Courtoisie Ihnen gegenüber, Herr Schäffer, sondern es ist einfach die Feststellung eines Tatbestandes.
— Ihre Reaktionen sind mir herzlich Wurst, muß ich offen sagen.
Meine Damen und Herren, die steuerliche Behandlung — ich kann sagen: Sonderbehandlung — der Streitkräfte und ihrer Angehörigen ist auch insofern ein Problem, als ja hier folgender Tatbestand vorliegt: Kein Mensch wird, wenn man die Tatsache der Stationierung fremder Truppen auf unserem Gebiet einmal akzeptiert, gegen den Grundsatz polemisieren, daß der Aufnahmestaat, in diesem Falle die Bundesrepublik, aus der Anwesenheit fremder Truppen keine steuerlichen Vorteile ziehen soll. Ich glaube, darüber brauchen wir gar nicht zu reden. Aber etwas anderes ist es, ob die Bundesrepublik steuerliche Nachteile und Ausfälle in Kauf zu nehmen hat.
Wir haben eine lange und trübe Erfahrung mit dem Aufenthalt fremder Truppen auf unserem Gebiet, was den Besatzungsschmuggel betrifft. Ich will mal von der moralischen Seite der Sache gar nicht reden, von der Form, in der Menschen unseres eigenen Fleisches und Blutes korrumpiert werden durch die Beziehungen zu den Schmuggelzentren, die deshalb im Lande entstanden sind, weil die Schmuggelgrenze quer durch unser Land gezogen oder ins Land hineinverlegt worden ist.
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Aber der Ausfall an Einnahmen aus Zöllen und Verbrauchsteuern durch den Besatzungsschmuggel wird nach offiziellen Schätzungen auf rund 400 Mililonen DM jährlich beziffert bei einem Gesamtausfall durch den Schmuggel von vielleicht 800 Millionen DM. Ich frage mich — und darauf habe ich keine klare Antwort in den Verträgen gefenden, und auch der Herr Bundesfinanzminister hat darüber nicht sehr viel gesagt —, ob durch die Verträge nach ihrem Wortlaut und ihrem Geist und nach der Art, wie die Besatzungsmächte, unsere künftigen Verbündeten, sich zu diesen Fragen gestellt haben, eine Möglichkeit besteht —ich will gar nicht sagen: vollkommen —, diesen Besatzungsschmuggel zu beseitigen, oder ob das auch künftighin so weitergehen soll. Denn Tatsache ist — und auch davon wird man sehr schwer herunterkommen —, daß z. B. die amerikanischen Besatzungsangehörigen in einem Maße mit wichtigsten Verbrauchsgütern versorgt werden, daß sie sie gar nicht konsumieren können und geradezu zum „Schmuggel" gezwungen sind. Wenn das nicht anders wird, meine sehr verehrten Damen und Tierren, dann werden wir dieses Loch mit all den Wirkungen, die sich daraus ergeben, auch künftig haben. Auch das ist auf der Negativseite, wenn nan von den finanziellen Dingen redet, mitzuauchen; man kann nicht darum herum und muß s mit zur Kenntnis nehmen.
Ein weiterer Punkt — ich kann jetzt nur an Beispielen illustrieren, was sich im einzelnen an Kritik im Ausschuß und in der zweiten und dritten Lesung wahrscheinlich ergeben wird — ist der Vertrag, der sich mit den Folgen der Kriegsereignisse usw. beschäftigt. Sein komplizierter Titel heißt Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen. Dieser Vertrag spricht in seinem Teil VI, Art. 3, einen Verzicht auf das Auslandsvermögen aus, auf das private Auslandsvermögen wohlgemerkt. Herr Dr. von Merkatz hat hier versucht, diesen Verzicht zu bagatellisieren oder, wie er meinte, in die richtige Perspektive zu rücken. Ich weiß nicht, ob es möglich ist, das auf dem Wege der Interpretation zu tun. Es helfen alle Worte nicht über die Tatsache hinweg, daß hier ein Verzicht vorliegt. Daß der Verzicht abgenötigt worden ist, wie Herr Dr. von Merkatz hier gesagt hat, mag sein. Ich kann darüber nicht rechten. Immerhin, daß er abgenötigt werden konnte, ist auch bezeichnend für den Geist, in dem die Verhandlungen zum Teil geführt worden sind.
Wir sollten doch nicht vergessen, daß es sich nicht nur um reiche Leute handelt, um Industrieunternehmungen, deren Auslandsanlagen etwa dadurch abgeschrieben worden sind, sondern, wie wir aus vielen Briefen wissen, um zahllose kleine Besitztümer, die die Leute zum Teil ererbt, erspart oder erarbeitet haben und die auch mit verlorengehen.
Es ist schwer, einen Stein zu werfen. Aber es ist notwendig, klipp und klar zu sagen, daß hier eine Legierung, die auf ihre Fahne unter anderem auch den Schutz des Privateigentums geschrieben hat, auf deutsches Privateigentum im Werte von rund
Milliarden Verzicht leistet,
und zwar nicht nur Verzicht leistet für Akte, die
in der Vergangenheit geschehen sind, sondern auch
für solche, die noch geschehen können. Man muß das festhalten.
— Ja, meine Damen und Herren und Herr Kollege Bausch, wir werden ja im allgemeinen als Feinde des Privateigentums ausgeboten, nicht wahr!
— Nein, ich rede hier nicht mit Pathos, ich rede nur mit großer Energie von einem Faktum, das klipp und klar aus den Verträgen herauszulesen ist und zu dem Sie auch ja zu sagen bereit sind.
— Ja, Sie werden immer empfindlich, wenn wir Ihnen etwas Unangenehmes sagen.
Wenn man das alles zusammennimmt, worauf hier Verzicht geleistet wird, dann kommt man zu einem Betrag, der von Sachverständigen — ich will jetzt nicht darüber reden, wieweit sie recht haben — auf 20 Milliarden geschätzt wird.
— Ich sage noch einmal: der Verlust durch den Verzicht an Privateigentum im Ausland wird auf 20 Milliarden geschätzt. Nimmt man dazu noch die Patente und Warenzeichen im Werte von rund 15 Milliarden, dann kommt ein Gesamtbetrag von 35 Milliarden heraus, auf den in Teil VI Art. 3 des erwähnten Zusatzabkommens Verzicht geleistet wird.
— Ich habe ja nicht behauptet, Herr Kollege
Bausch, daß das kein völlig freiwilliger Verzicht
sei. — Wenn Sie sich darüber aufregen, daß das
hier festgestellt wird, so bitte ich Sie, nachher hier aufs Podium zu kommen und den Leuten, die es angeht, zu erklären, mit welcher moralischen Begründung das geschehen ist.
Ein anderes Problem, das ich in diesem Zusammenhang nur kurz berühren kann, das aber doch berührt werden muß, ist das Problem, das durch die weitgehenden Wirkungen dieser Verträge in unsere eigene Volkswirtschaft hinein aufgeworfen wird, nämlich das güterwirtschaftliche Problem. Es wird zweifellos — und das gilt für alle Länder, die in diesen Prozeß der Aufrüstung hineinkommen — eine gewisse Umschichtung der Produktion vom zivilen auf einen anderen Sektor eintreten. Nicht umsonst ist in den letzten Wochen nicht nur einmal, sondern mehrmals, auch von offiziöser Seite, vor einem übertriebenen Optimismus und vor einer Hoffnung auf einen Rüstungsboom, auf eine Rüstungskonjunktur gewarnt worden. Ich glaube, diese Warnung war außerordentlich notwendig, denn man soll sich die Dinge nicht etwa so vorstellen, daß in dem Moment, in dem die Verträge in Gang kommen, sich das wiederholen wird, was sich in den Jahren 1933, 1934 und 1935 bei der Hitlerschen Aufrüstung ereignet hat. Das Problem der Unterbringung von immerhin mehr als 1 Million Arbeitsloser, das uns in Deutschland gestellt ist, ist nicht damit zu lösen, daß man soundso viel Menschen ins Militär bringt. Hier werden noch einige andere Probleme und einige andere Fragestellungen auftauchen.
Aber ich möchte mich in diesem Zusammenhang mit einem Zitat begnügen, einem Zitat, das aus einer Quelle stammt, die wirklich objektiv ist. Es
ist nämlich das Buch „Sechs Jahre Besatzungslasten", herausgegeben vom Institut für Besatzungsfragen in Tübingen, und zwar von Herrn Professor von Schmoller. Hier wird folgendes gesagt, was sich durchaus auch in die Debatte über den Verteidigungsbeitrag und über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft organisch einfügt, und zwar zur Frage des Leistungsentzuges und der dagegen vorgebrachten Argumente — „Scheinargumente" heißt es in diesem Buch —:
Unter dem Gesichtspunkt des Leistungsentzuges betrachtet, stellen die Besatzungslasten
— und deshalb zitiere ich das —
weitgehend etwas Ähnliches dar wie Wehrausgaben. In beiden Fällen besteht die Belastung der Volkswirtschaft darin, daß Leistungen ohne entsprechenden unmittelbar wirtschaftlichen Gegenwert entnommen werden. Durch den Entzug von Leistungen aus dem normalen Kreislauf der Wirtschaft mindert sich zwangsläufig die Lebenshaltung. Die für eine eigene Wehrmacht oder für die Besatzungsmacht bestimmten Leistungen werden von der Gesamterzeugung der Volkswirtschaft abgezweigt. Besatzungslasten und Wehrausgaben werden daher praktisch von dem einzelnen Verbraucher durch eine Beschränkung seines Konsums getragen.
Nun kann man sagen: „Das haben wir ja schon bisher gehabt, und die Besatzungslasten waren noch unangenehmer als die Verteidigungslasten, die wir mehr oder weniger freiwillig auf uns nehmen." Ich möchte aber dem Herrn Bundesfinanzminister nicht folgen in seinem Versuch, uns klarzumachen, daß das Nichtzustandekommen der Verträge zwangsläufig eine weitere Steigerung der Besatzungslasten unter denselben Bedingungen bedeuten würde, wie sie bisher obgewaltet haben. Es ist hier so oft heute gesagt worden, daß die Zeit nicht stille stehe. Ich glaube, die Zeit steht auch dann nicht stille, wenn dieses Parlament sich weigert, Verträge zu unterschreiben, deren Inhalt es nicht gutheißt, und wenn es den Wunsch ausspricht, bestimmte Dinge zu ändern oder neue Verhandlungen einzuleiten.
Ich glaube, die Voraussetzungen, unter denen diese Verträge von den Verhandlungspartnern der Bundesregierung angestrebt und mit formuliert worden sind, werden morgen genau die gleichen sein, wie sie gestern waren.
— Nein, Herr Wuermeling! Ich bitte Sie nur einmal an einen klassischen Fall zu denken. Der Herr Bundesfinanzminister hat vorhin sehr schöne Worte über Berlin und seine Bedeutung im Rahmen der westlichen Verteidigung gefunden. Es war schwer, den Alliierten Verständnis für diese Bedeutung Berlins beizubringen, wie sich ja auch daraus ergibt, daß man das Problem der Anrechnungsfähigkeit der Leistungen der Bundesrepublik für Berlin doch offenbar noch nicht ganz gelöst hat. Vielleicht wird es eines Tages auch dort dämmern, daß Berlin, wenn es gehalten werden kann, für die Demokratie in der westlichen Welt ein unersetzliches Bollwerk ist, und daß, wenn Berlin aufgegeben würde, das eine entscheidende moralische und eine politisch-militärische Niederlage für die westliche Demokratie wäre.
— Ich bin mit Ihnen durchaus einer Überzeugung, Herr Kollege Albers: Berlin darf nicht fallen! Ich will daran nur illustrieren, daß es einfach nicht so ist, wie vielfach gesagt wird: daß die westlichen Mächte überhaupt keine Interessen hätten, die sie nicht ohne weiteres aufgeben könnten.
Ich glaube, im Falle Berlin wird das drastisch illustriert. Denn wenn dieses Bollwerk aufgegeben würde, meine Damen und Herren, würden die Leute, die mit der Bundesrepublik in ein vertragliches Verhältnis kommen wollen, erneut nachzudenken haben.
Aber ich wollte Ihnen an diesem Fall nur illustrieren, wie die güterwirtschaftlichen Probleme unter Umständen doch im Gesamtvolumen unserer Wirtschaft, wenn keine überraschende Erweiterung eintritt, Umschichtungen und Spannungen erzeugen. Auch die Bundesregierung hat ja bei ihren Versuchen in den Verhandlungen, auf Grund von Berechnungen das Sozialprodukt und seine Steigerungsmöglichkeiten zu ermitteln, einen Steigerungssatz von, wenn ich mich recht erinnere, 5% für die erste Periode angenommen. Ganz abgesehen davon, daß sich sehr viel darüber sagen läßt, ob diese Hoffnung richtig ist — eines ist zu sagen: selbst wenn eine solche Steigerung eintritt, wird die Mehrbelastung, die wir im gesamten auf uns nehmen werden, diese Steigerung nicht nur in vollem Umfange konsumieren, sondern es wird zwangsläufig eine Umschichtung vom zivilen auf den militärischen Sektor eintreten.
Zusammengenommen, meine Damen und Herren: Ich bin mir klar darüber, daß eine völlige Ermittlung aller wirklichen materiellen Belastungen erst möglich ist, wenn wir die Verträge in allen ihren Einzelheiten in den Ausschüssen beraten haben werden. Aber im ganzen, glaube ich, darf man auf die Frage, ob der Verteidigungsbeitrag in seiner fetzigen Form ohne Steuererhöhungen und ohne
Kürzung der Sozialleistungen geleistet werden kann. mit einem glatten Nein antworten.
Gewiß, es wird durchaus möglich sein — und die Entwicklung mit der Ratifizierung hat ja schon einen solchen Spielraum er geben —, daß man im ersten Jahr des Anlaufens die Dinge noch etwas kaschieren kann. Man kann sie sogar bagatellisieren, falls sich zeigt, daß da noch gewisse Ersparungen gegenüber ursprünglichen Ansätzen möglich sind, und damit wird man operieren. Aber ich glaube, daß dieses Spiel nicht allzu lange gehen wird. Das mag im ersten und im zweiten Jahr gehen: aber dann wird die Wucht der Verpflichtungen und Belastungen in vollem Umfange auf uns zukommen, und dann wird man feststellen, daß man — andere europäische Länder haben ja dasselbe Problem, nur unter viel, viel günstigeren Bedingungen, zu behandeln — auf die Weise, die hier versucht worden ist oder versucht werden wird, im Begriff ist, das soziale Fundament zu zerstören, auf dem militärisch, wirtschaftlich und vor allem politisch die Freiheit allein sicher verteidigt werden kann.
Ich glaube, meine Damen und Herren, eine solche Alternative, eine solche Möglichkeit müßte eigentlich Anlaß genug sein, mit großem Ernst und
mit vollem Verantwortungsbewußtsein hier nicht nur die schönen Thesen von der künftigen europäischen Gemeinschaft zu predigen, sondern auch die möglichen materiellen und sozialen Konse-
quenzen dieser Verträge bis ins einzelne zu ermitteln und danach zu handeln.