Protokoll:
12192

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 12

  • date_rangeSitzungsnummer: 192

  • date_rangeDatum: 24. November 1993

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 23:16 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 12/192 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 192. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 Inhalt: Bestimmung des Abgeordneten Rolf Schwanitz als ordentliches Mitglied im Vermittlungsausschuß 16531 A Tagesordnungspunkt I: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1994 (Haushaltsgesetz 1994) (Drucksachen 12/5500, 12/5870) Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt (Drucksachen 12/6004, 12/6030) in Verbindung mit Einzelplan 05 Auswärtiges Amt (Drucksachen 12/ 6005, 12/6030) in Verbindung mit Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung (Drucksachen 12/6014, 12/6030) in Verbindung mit Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte (Drucksachen 12/6027, 12/ 6030) Hans-Ulrich Klose SPD . . . . 16531D, 16592A Michael Glos CDU/CSU 16537A Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. 16544 C Hans-Ulrich Klose SPD 16544 D Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . . 16551A Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16554 B Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 16557 A Rudolf Scharping, Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz 16566 C Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . 16576B Michael Glos CDU/CSU 16577 B Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. 16578 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 16578D Dr. Jürgen Schmude SPD 16580 C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 16587 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU (zur GO) 16595 B Dietrich Austermann CDU/CSU 16595 C Ortwin Lowack fraktionslos 16598 D Andrea Lederer PDS/Linke Liste . . . 16600 C Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16603B Ernst Waltemathe SPD 16605 D Udo Haschke (Jena) CDU/CSU 16608 A Ingrid Matthäus-Maier SPD 16608 C Dr. Rudolf Krause (Bonese) fraktionslos 16609A Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 16610 D Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16612B Friedrich Bohl, Bundesminister BK . . 16613 D Dr. Hans Stercken CDU/CSU 16614B Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16615A II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD . . . . 16616D, 16630 B Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 16618A Hans-Gerd Strube CDU/CSU 16622 A Dr. Hans Modrow PDS/Linke Liste . . 16623D Carl-Ludwig Thiele F.D.P. . . 16626A, 16630 C Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD . . . 16627 B Ingrid Matthäus-Maier SPD 16628 A Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 16630D Walter Kolbow SPD 16633 C Paul Breuer CDU/CSU 16636 B Dr. Karl-Heinz Klejdzinski SPD . . . 16637 B Präsidentin Dr. Rita Süssmuth 16554 A Namentliche Abstimmung 16638 C Ergebnis 16644 D Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Drucksachen 12/6021, 12/6030) Helmut Esters SPD 16639 B Christian Neuling CDU/CSU 16641D Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . . 16646 D Werner Zywietz F D P 16647 D Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16649 C Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 16650 C Einzelplan 06 Bundesministerium des Innern (Drucksachen 12/6006, 12/6030) in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung (Drucksache 12/6026) in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung (Drucksachen 12/ 6028, 12/6030) Rudolf Purps SPD 16652 D Karl Deres CDU/CSU 16656 C Ina Albowitz F.D.P. 16659 A Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 16661 B Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16662 D Günter Graf SPD 16664 B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 16665 D Erwin Marschewski CDU/CSU 16666 D Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 16668D Freimut Duve SPD 16670A Karl Deres CDU/CSU 16670 C Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . 16671A Klaus Lohmann (Witten) SPD 16672 C Manfred Kanther, Bundesminister BMI 16673 B Nächste Sitzung 16675 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 16677' A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 12: Einzelplan 05 — Auswärtiges Amt Dr. Klaus Rose CDU/CSU 16633' C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 13: Einzelplan 14 — Bundesministerium der Verteidigung Hans-Werner Müller (Wadern) CDU/CSU 16679' A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 16531 192. Sitzung Bonn, den 24. November 1993 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Augustin, Anneliese CDU/CSU 24. 11. 93 Blunck (Uetersen), SPD 24. 11. 93 * Lieselott Böhm (Melsungen), CDU/CSU 24. 11. 93 * Wilfried Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 24. 11. 93 Clemens, Joachim CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 24. 11. 93 Herta Ehrbar, Udo CDU/CSU 24. 11. 93 Ganschow, Jörg F.D.P. 24. 11. 93 Gleicke, Iris SPD 24. 11. 93 Dr. Göhner, Reinhard CDU/CSU 24. 11. 93 Großmann, Achim SPD 24. 11. 93 Dr. Herr, Norbert CDU/CSU 24. 11. 93 Heyenn, Günther SPD 24. 11. 93 Hiller (Lübeck), Reinhold SPD 24. 11. 93 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 24. 11. 93 Jung (Düsseldorf), Volker SPD 24. 11. 93 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 24. 11. 93 Kiechle, Ignaz CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. Kolb, Heinrich L. F.D.P. 24. 11. 93 Kraus, Rudolf CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. Krause (Börgerende), CDU/CSU 24. 11. 93 Günther Kretkowski, Volkmar SPD 24. 11. 93 Kronberg, Heinz-Jürgen CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. Matterne, Dietmar SPD 24. 11. 93 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 24. 11. 93 ** Dr. Ortleb, Rainer F.D.P. 24. 11. 93 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 24. 11. 93 * Rappe (Hildesheim), SPD 24. 11. 93 Hermann Dr. Röhl, Klaus F.D.P. 24. 11. 93 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 24. 11. 93 Ingrid Dr. Ruck, Christian CDU/CSU 24. 11. 93 Schartz (Trier), Günther CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. Scheer, Hermann SPD 24. 11. 93 * Schmidt (Salzgitter), SPD 24. 11. 93 Wilhelm Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 24. 11. 93 Schröter, Karl-Heinz SPD 24. 11. 93 Schwanhold, Ernst SPD 24. 11. 93 Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 24. 11. 93 Christian Dr. Soell, Hartmut SPD 24. 11. 93** Spilker, Karl-Heinz CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. von Teichman, F.D.P. 24. 11. 93 Cornelia Vosen, Josef SPD 24. 11. 93 Wohlleben, Verena SPD 24. 11. 93 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Wollenberger, Vera BÜNDNIS 24. 11. 93 90/DIE GRÜNEN Zierer, Benno CDU/CSU 24. 11. 93* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 12: Einzelplan 05 Auswärtiges Amt Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Mit besonders gemischten Gefühlen stehe ich jetzt am Rednerpult. Denn während wir hier im Warmen und in Sicherheit hehre Außenpolitik formulieren, frieren und sterben weitere Hunderte und Tausende von Menschen in Bosnien. Die Welt schaut zu, Europa schaut zu, Deutschland schaut zu. Eine erfolgversprechende außenpolitische Initiative gibt es nicht. Klaus Bressers Anklage vorgestern abend im deutschen Fernsehen ist zweifellos berechtigt. Seine Schlußfolgerungen einer einzigen Lösung, nämlich eines militärischen Einsatzes, versteht jeder, man schreckt aber davor zurück. In einem neuen Buch von Hans-Peter Schwartz wird der fehlende Mut, der fehlende Wille der Deutschen zur Machtpolitik moniert. Deutschland sei zwar schon lange ein wirtschaftlicher Riese mit automatischer Macht. Aber mit der Rolle des politischen Zwergs müsse es ein Ende haben. Weltmacht wider Willen könne man auf Dauer nicht sein, der politische Gestaltungswille müsse dazukommen. Ich höre jetzt natürlich den Aufschrei, daß die Deutschen wieder von einer großen Rolle in der Weltpolitik träumten. Nein, darum geht es nicht, zumindest nicht um eine Alleinträumerei der Deutschen. In der Weltgemeinschaft, in der Europäischen Gemeinschaft und in manchen internationalen Gremien muß Deutschland seiner Bedeutung gerecht werden. Diese Bedeutung ist nach der Wiedervereinigung naturgemäß anders als früher. Diese Neubewertung deutscher Außenpolitik, diese Umorientierung muß jetzt endlich in der Praxis geschafft werden. Deutschland muß sich sowieso darüber klar werden, daß die Welt sich weiterdreht und daß wir sehr schnell vom Rad geschleudert werden können. Bei der Einbringungsrede des Haushalts im September 1993 habe ich die Bedeutung einer deutschen Asienpolitik herausgestrichen. Ich freue mich deshalb über den Erfolg der Kanzlerreise nach China. Über eines darf der Blick nach Asien nicht hinwegtäuschen: Europa ist in großer Gefahr. Die Gefahr wird beim Blick auf die asiatische Weltkarte deutlich. Dort ist nämlich der Pazifikraum im Mittelpunkt und 16678* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 Europa Randlage, wie wir es von Alaska oder von der Kamtschatka gewöhnt sind. Genau hier setzt das Problem ein. Haben nicht vor wenigen Tagen der amerikanische Präsident und verschiedene asiatische Regierungschefs die Zukunftsrichtung der amerikanisch-pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) gewiesen? Hat nicht mit der NAFTA der nordamerikanische Wirtschaftsverbund den Wettbewerb mit der EG beschworen? Hat nicht der amerikanische Außenminister Warren Christopher gestern im ZDF-Morgenmagazin bei der Formulierung der amerikanischen Prioritäten die Stärkung der NATO erst an dritter Stelle genannt? Wir müssen erkennen, daß Europa aufpassen muß, damit es nicht wirtschaftlich, militärisch und finanziell zu einem unbedeutenden Markt wird. Mit der neuen Versuchung von Kleinstaaterei ist uns allen nicht gedient. Unverzichtbar ist für die EG und besonders für die Deutschen die Gewinnung der osteuropäischen Völker für Demokratie und Marktwirtschaft. Deshalb hatte der Haushaltsausschuß die Idee der Bundesregierung sehr begrüßt, mit der deutschen Beratungshilfe zum Aufschwung beizutragen. Über verschiedene Einzelpläne verteilt werden nächstes Jahr rund 300 Millionen DM eingesetzt. Es gibt am Ziel keinen Zweifel, denn der Aufbau von Forstverwaltungen, von Sparkassen oder von Konversionsprojekten bei früheren Rüstungsbetrieben kann nur unterstützt werden. Es wäre aber falsch, wenn wir am gleichen Weg wie bisher festhalten würden, nämlich alle Mittel an die Zentralregierungen zu geben. Es ist eine Tatsache, daß z. B. die russische Wirtschaft nur dann umgestaltet werden kann, wenn man das Potential der Regionen zur Wirkung bringt. Ich rede nicht einer politischen Dezentralisierung oder Destabilisierung das Wort. Denn ein weiterer Zerfall unter Krach und Donner ist nicht erstrebenswert. Eine einheitliche Rubelzone, eine Art Länderfinanzausgleich wären das Ziel. Doch so viel Demokratie als möglich, so viel föderative Strukturen als machbar sollten von uns herauskristallisiert werden. Mich als überzeugten Europäer, treuen Deutschen und begeisterten Föderalisten freut es jedenfalls, daß jetzt auch in der Republik Südafrika der deutschen Verfassung ähnliche Strukturen eingeführt werden. Die GUS, aber auch die Einzelnachfolger der Sowjetunion sollten auf jeden Fall, so sie es wünschen, beim Aufbau nicht bloß von demokratischen und marktwirtschaftlichen, sondern auch von föderativen Strukturen unterstützt werden. Im Rahmen des auswärtigen Etats muß ein weiteres Thema angesprochen werden. Es geht um die Hilfe in Katastrophenfällen, bei Not und Flüchtlingselend, bei Bürgerkriegen, die wir trotz eigener Haushaltsprobleme nicht vergessen dürfen. Ich erkenne in diesem Zusammenhang gerne die engagierte Leistung des Arbeitsstabs „Humanitäre Hilfe" im Auswärtigen Amt an. Mit der Soforthilfe, d. h. mit medizinischer Betreuung, Übergabe von Nahrungsmitteln und Kleidung, Herstellung von Notunterkünften oder Wiederherstellung von Strom-, Wasser-, Gasleitungen oder von Straßen und Brücken, wird viel Gutes geleistet, mit Sonderhilfen wird viel außenpolitischer Goodwill offenbart. 1993 sind bisher nahezu 500 Millionen DM für die humanitäre Hilfe eingesetzt worden, nicht bloß im Haushalt des Auswärtigen Amts, sondern auch beim BMZ, beim Innenminister oder beim Verteidigungsminister. Dazu kommen die internationalen Beiträge. Beliebig ausweiten läßt sich der vom Steuerzahler finanzierte Anteil an den Hilfsmaßnahmen aber auch nicht. Dankbar registrieren wir daher die Spendenbereitschaft der Deut-. schen insgesamt. Wir registrieren die wie Pilze aus dem Boden geschossenen privaten Unterstützungsorganisationen für die Not in Rußland, in Rumänien oder in Bosnien. Wir registrieren die selbstlose Einsatzfreude vieler Menschen in Deutschland, wenn es um spontane Hilfsmaßnahmen geht. Da wird viel gutgemacht, was durch andere Deutsche, ob glatzköpfige Schläger oder hohlköpfige Schreibtischtäter, an Schande über Deutschland gebracht wird. Wegen der Sperren im Haushaltsgesetz und der Globalkürzung um 5 Milliarden DM, die anteilsmäßig auch den Etat des Auswärtigen Amts betreffen und insgesamt 134 Millionen DM ausmachen könnten, steht die Auswärtige Kulturpolitik noch mehr als früher im Mittelpunkt des Interesses. Im gewünschten Ziel sind wir uns alle einig, nämlich möglichst viel und möglichst effektiv, möglichst überall und möglichst ständig kulturell präsent zu sein. Es sind, das hat der ehemalige Präsident des Goethe-Instituts, Hans Heigert, anerkannt, viele Milliarden DM in die bisherigen Kulturverbindungen mit dem Ausland gesteckt worden. Keinem fällt es leicht, wegen des allgemeinen Sparzwangs bei diesen Kulturbeziehungen Abstriche zu machen. Es war immerhin der Bundeskanzler selbst, der mehrmals betonte, daß die deutsche Sprache im Ausland noch stärker gefördert werden sollte und daß mit einem Sonderprogramm „Deutsche Sprache" besonders in Osteuropa zum Aufbau friedlicher Beziehungen beigetragen würde. Der Haushaltsausschuß jedenfalls hat diese Haltung respektiert und versucht zu helfen, wo zu helfen war — ohne deshalb die Arbeitslosenunterstützung im eigenen Land oder manch unverzichtbare Investition in den neuen Bundesländern zu gefährden. Von einer besonderen „Kultur" zeugt daher nicht, wenn die Verantwortlichen des Goethe-Instituts in München bei einer Pressekonferenz im Oktober dieses Jahres wieder einmal glaubten, von einer „Strafexpedition der Anti-Kultur-Politiker in Bonn" reden zu müssen, weil auch das GoetheInstitut einen Sparbeitrag zur allgemeinen Haushaltslage bringen muß. Am meisten wurde beklagt, daß vier Institute geschlossen werden müßten und daß damit erheblicher außenpolitischer Schaden einträte. Wollen Sie die Namen dieser vier Institute hören? Es handelt sich um Viña del Mar (Chile), Medellin (Kolumbien), San Juan (Argentinien) und Malmö (Schweden). Zumindest bei unseren schwedischen Freunden habe ich bisher keinen Liebesentzug feststellen müssen, dafür freuen sich aber die Städte, die bisher in der sozialistischen Abgeschiedenheit festgenagelt waren, wie St. Petersburg, Kiew, Minsk oder Tiflis, auch Alma Ata und Hanoi, daß ein neues Goethe-Institut dort hinkommt. Sollte etwa ein Sparzwang gar ein Anreiz zu neuem Denken sein? Ich kann nur ermuntern, auch stärker den europäischen Verbund zu sehen. Gemeinsame deutsch-französi- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 16679* sche Botschaften oder auch Kulturinstitute oder zumindest ein gemeinsames Dach dafür könnte so manchen Anstoß zu mehr Effektivität auch in der Kulturpolitik geben. Man ist noch lange kein KulturMuffel, wenn man sich Gedanken über das Aufbrechen verkrusteter Strukturen macht. Heilsam ist letzteres im gesamten staatlichen Haushalt. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 13 Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung Hans-Werner Müller (Wadern) (CDU/CSU): Unsere Soldaten sind aus Kambodscha zurückgekehrt. Unsere Soldaten leisten humanitäre Hilfe in Somalia. Es sind besonders viele aus den Standorten meiner saarländischen Heimat dabei. Unsere Soldaten versorgen Teile der bosnischen Bevölkerung aus der Luft. Unsere Soldaten erfüllen diese Aufträge mit hohem Verantwortungsbewußtsein und vorbildlicher Haltung. Sie dienen dem Ansehen unseres Landes, dafür gebührt ihnen unser Dank. Unsere Soldaten können dies leisten, weil wir eine einsatzbereite, modern ausgestattete und bündnisfähige Bundeswehr haben, und auch weiter haben wollen. Dazu bedarf es erheblicher staatlicher Mittel, die im Einzelplan 14 des hier zu beratenden Haushaltes zur Verfügung gestellt werden. Der 94er Haushalt für die Verteidigung steht im besonderen Maße unter der Notwendigkeit substantieller Einsparungen, weil die Staatsfinanzen insgesamt gesehen zu konsolidieren sind. Konsolidierung der Staatsfinanzen ist erfolgreiche Zukunftssicherung Deutschlands. Dies ist oft genug gesagt worden. Im Wettbewerb um die knappen Ressourcen sind in der Öffentlichkeit gerade die Verteidigungsausgaben besonders zu begründen. Werden doch rund 48 Milliarden ausgegeben, aber immerhin fast 3 Milliarden weniger als 1992. Wir sind, um das gleich vorweg zu sagen, an eine Grenze gestoßen, die wir nicht mehr unterschreiten dürfen, ohne das Ganze zu gefährden. Im vergangenen Jahr wollte die SPD noch 5 Milliarden aus dem Verteidigungshaushalt herausstreichen, heute wird dieser Haushalt anders, wesentlich realistischer beurteilt; man läßt erkennen, durch einige Sprecher zumindestens, daß hier in diesem Einzelplan des Bundesministers der Verteidigung nichts mehr zu holen ist. Ich meine dies ist ein Fortschrittt. Ich will auch sagen, daß in diesem Jahr die Beratungen gerade dieses Haushaltes aus meiner Sicht besonders schwierig waren, im Vergleich zu den früheren Jahren. Ich habe ja die Ehre, schon seit einigen Jahren diesen Haushalt zu bearbeiten. Ich möchte mich an dieser Stelle auch ganz herzlich bei den Beamten des Verteidigungsministeriums für die gute Zusammenarbeit bedanken. Die Beratungen waren aber schwierig, weil es halt immer schwierig ist, die Wünsche, so berechtigt sie auch sind, und die Realität in Einklang zu bringen, wobei wir selbstverständlich den Weg des Ministers unterstützen, der durch energisches Sparen im Bereich der Betriebsausgaben der Bundewehr sich Freiräume zu schaffen sucht für neue Gestaltungsmöglichkeiten und planerische Initiativen. Wir gehen diesen Weg mit, Herr Minister, so wenn wir z. B. ca. 200 Millionen DM Betriebsausgaben sparen und dafür 200 Millionen DM investieren. Es gibt einen militärischen Grundsatz, der da lautet: Entsprechend der Auftragserteilung sind die erforderlichen Mittel bereitzuhalten. Das heißt: Wenn wir über die Auftragserteilung einig sind — und wir sind das in der Union —, dann gilt dreierlei: Erstens. Wir brauchen eine Bestätigung der Verteidigungsausgaben in den nächsten Jahren, zumindest für den Zeitraum des Finanzplanes, also bis 1997. Damit gibt man der Bundeswehr den Planungsrahmen und die erforderliche Planungssicherheit. Zweitens. Der Haushalt für 1994 für den Bundesminister der Verteidigung ist in dieser Größenordnung von etwas über 48 Milliarden DM ein Schritt in diese Richtung. Drittens. Der Haushalt des Bundesministeriums der Verteidigung muß nach entsprechender Umschichtung wiederum etwa 30 Prozent für Investitionen enthalten. Wir werden bald die Stärke von 370 000 Soldaten erreicht haben. Man spricht von Zielstrukturen. Wir hatten einmal in der alten Bundesrepublik 490 000 Soldaten. Trotz der zurückgehenden Zahl sollten wir an der Wehrpflicht festhalten. Die Bundeswehr hat damit einen ständigen Kontakt mit der jungen Generation, einen Kontakt, der prägt. Nahezu die Hälfte der Zeit- und Berufssoldaten rekrutiert sich aus den Teilnehmern am Wehrdienst. Damit bleibt die Bundeswehr ein attraktiver Arbeitgeber mit dem Angebot einer jährlichen Einstellung von rund 20 000 Soldaten auf die Zeit von 4 Jahren und länger. Im nächsten Jahr werden wir die Zielstruktur von 370 000 planmäßig erreichen. Dies gilt sowohl für Umfang als auch für Qualität. Die Laufbahnentwicklung ist damit auch von besonderer Bedeutung. Attraktivität des Soldatenberufes ist nämlich sehr wichtig. So haben wir in diesem Haushalt auch rund 3 000 Hebungen für Oberfeldwebel und 1 000 Hebungen für Stabsunteroffiziere vorgesehen. Die Beförderungswartezeiten für Zeitsoldaten werden radikal reduziert. Wir denken, daß auch dies in der Öffentlichkeit allgemein und bei den betroffenen Jugendlichen zu einer größeren Akzeptanz des Dienstes in den Streitkräften geführt hat. Deswegen gehen die Quoten der Wehrdienstverweigerung auch zurück, obwohl von einer Trendwende noch nicht gesprochen werden kann. Auch beim Zivilpersonal bauen wir im nächsten Jahr mehr als 8 500 Stellen ab. Dies geschieht ausschließlich durch Fluktuation des Personals. Kein Mitarbeiter wird entlassen. Die Sozialverträglichkeit 16680* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 kann durch Anwendung des Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetzes voll gewährleistet werden. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal die Bitte vortragen, daß das Verteidigungsministerium alsbald ein Personalstrukturmodell für die zivilen Bediensteten der Bundeswehr vorlegt, damit die Organisation nach neuen betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen gestaltet werden kann. Mit diesen wenigen Sätzen wollte ich darstellen, was wir u. a. mit diesen 48 Millionen DM im Bereich unserer Verteidigung machen. Ich möchte abschließend darauf hinweisen, daß die Größe, die Struktur und der Auftrag sowie das Selbstverständnis der Bundeswehr hier nicht nur allein etwas mit Geld zu tun haben, sondern daß es auch um eine politische Grundeinstellung geht. Karl Feldmeier hat vor einigen Tagen in der FAZ einen Artikel geschrieben mit der Überschrift „Wozu dient die Bundeswehr?" Er führt dort aus: „Maßgebend wird letzten Endes die Entscheidung darüber sein, ob Politik und Gesellschaft Deutschlands die veränderte Wirklichkeit annehmen und ob sie den Willen zur Selbstbehauptung aufbringen. Es geht darum, ob Deutschland eine gleichberechtigte Macht im Kreise seiner Verbündeten sein oder zum Objekt der Macht anderer werden soll. Ohne den Willen zur Selbstbehauptung wären Streitkräfte überflüssig." Soweit dieses Zitat. Wir, die wir uns mit diesem Haushalt intensiv befaßt haben, sind davon überzeugt, daß wir mit unseren Entscheidungen der Bundeswehr einen wesentlichen Beitrag zur Erfüllung ihrer vielseitigen Aufgaben geliefert haben.
Gesamtes Protokol
Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1219200000
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen einen guten Morgen und eröffne die Sitzung.
Zunächst teile ich mit, daß der Abgeordnete Hinrich Kuessner der Fraktion der SPD als ordentliches Mitglied im Vermittlungsausschuß ausscheidet. Als Nachfolger wird der Abgeordnete Rolf Schwanitz vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fall. Damit ist der Kollege Rolf Schwanitz als ordentliches Mitglied im Vermittlungsausschuß bestimmt.
Wir setzen die Haushaltsberatungen — Punkt I — fort:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1994 (Haushaltsgesetz 1994)

— Drucksachen 12/5500, 12/5870 —
Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß)

Ich rufe dazu Punkt I 11 bis 14 auf:
Einzelplan 04
Bundeskanzler und Bundeskanzleramt — Drucksachen 12/6004, 12/6030 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Rudi Walther (Zierenberg) Dietrich Austermann
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff
Einzelplan 05
Auswärtiges Amt
— Drucksachen 12/6005, 12/6030 —
Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Klaus Rose
Dr. Sigrid Hoth Ernst Waltemathe
Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung — Drucksachen 12/6014, 12/6030 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Rudi Walther (Zierenberg) Hans-Werner Müller (Wadern)
Kurt J. Rossmanith
Hans-Gerd Strube
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

Horst Jungmann (Wittmoldt)

Einzelplan 35
Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte
— Drucksachen 12/6027, 12/6030 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Emil Schnell Dr. Klaus-Dieter Uelhoff
Carl-Ludwig Thiele
Zu Einzelplan 14 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über den Einzelplan 04 namentlich abstimmen werden.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache neun Stunden vorgesehen. — Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat HansUlrich Klose.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1219200100
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte diese Rede — in sicherlich streitiger Debatte, zu der ich beitragen will — nicht beginnen, ohne an die Morde in Mölln, gestern vor einem Jahr, zu erinnern. Es sind nicht die einzigen Gewalttaten geblieben — ich denke an Solingen und die vielen Anschläge, die es seither gegen ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger gegeben hat.
Ich spreche davon, weil wir wie alle Menschen dazu neigen, allzuschnell zu vergessen. Wir dürfen aber nicht vergessen, was geschehen ist und was beinahe täglich geschieht. Daß der Kampf gegen Gewalt, Mord und Unrecht noch immer — leider — auf der Tagesordnung stehen muß, daran wollte ich erinnern, auch



Hans-Ulrich Klose
um die Rang- und Reihenfolge der Probleme zu verdeutlichen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es gibt so viele Probleme hierzulande, daß es wohl angemessen ist, sich bei der heutigen Debatte, die traditionell eine Generaldebatte ist, auf eben diese Probleme zu konzentrieren: Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und die zunehmende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich.
Es sind Ihre Probleme, Herr Bundeskanzler, denn Sie regieren dieses Land seit zwölf Jahren. Auf Erblasten früherer Regierungen können Sie sich nicht mehr herausreden, jedenfalls nicht, soweit es um die alte Bundesrepublik geht. Für die neuen Lander können Sie — das räume ich ein — auf die Erblast einer 40jährigen SED-Diktatur verweisen. Deren Verantwortung soll nicht weggedrückt und auch nicht vergessen werden.
Dennoch wiederhole ich, weil es die Wahrheit ist: Diese Bundesregierung hat die absehbaren Lasten durch eigene Versäumnisse größer gemacht:

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

politisch, weil sie bei den Hoffnungen der Menschen hoch- und bei den Sorgen tiefgestapelt hat,

(Beifall bei der SPD)

handwerklich, weil sie, zumindest anfänglich, so getan hat, als würden sich die außerordentlichen Probleme der Strukturumstellung von Plan auf Markt gewissermaßen im Selbstlauf lösen — kreative Zerstörung, frei nach Schumpeter.
Meine Damen und Herren, Zerstörung hat stattgefunden. Nahezu 70 % der industriellen Arbeitsplätze im Osten der Republik sind verschwunden, und von den verbleibenden 30 % wird, fürchte ich, ein weiteres Drittel verschwinden. Eine wahrhaft erschreckende Bilanz, die das Ausmaß an Zerstörung deutlich macht.
Zerstörung — ich wiederhole es — hat stattgefunden. Wo aber ist das Kreative bei dieser Regierung geblieben? Was hat sie über notwendige Infrastrukturmaßnahmen hinaus, die ich nicht kleinrede, getan, um den alten und den neuen Unternehmen im Osten Deutschlands zu helfen? Den Sanierungsauftrag für sanierungsfähige Unternehmen mußten wir Sozialdemokraten und die ostdeutschen Landesregierungen Ihnen mühsam abringen. Der Erhalt der industriellen Kerne war ja nicht Ihr Programm, sondern unser Punkt in den sogenannten Solidarpaktverhandlungen.
Ausreichende Starthilfen für ostdeutsche Unternehmer, z. B. bei der Bereitstellung von Betriebsflächen und Liquidität, fehlen bis zum heutigen Tage. Und was an Hilfsprogrammen nach und nach entwikkelt wurde, mühsam und immer nur auf Druck, geht seinen üblichen bürokratischen Gang. Das hat den DIHT — Vorstand und Vollversammlung — Ende Oktober dieses Jahres zu einem Beschluß veranlaßt, der, wenn man ihn richtig liest, eine massive Kritik an der Bundesregierung enthält.
Die vorhandenen Hilfsprogramme, so liest man dort, müßten gestrafft und schneller und wirksamer
eingesetzt werden. Das Eigenkapital der Unternehmen müsse im Rahmen der Erweiterung der Kreditgarantiegemeinschaften gestärkt werden. Gefordert wird ein Programm zur Liquiditätssicherung: öffentliche Bürgschaften, Zinsvergünstigungen, Konsolidierungskredite durch Bund oder Länder oder die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Investitionszulagen und Investitionszuschüsse müßten schneller ausgezahlt werden. Das gleiche gelte für Ansprüche auf Mehrwertsteuererstattung. Öffentliche Arbeitgeber — man höre und staune! — sollten ihre Zahlungsverpflichtungen schneller erfüllen. Abnehmer in Westdeutschland sollten ihre ostdeutschen Lieferanten nicht länger als andere mit der Zahlung warten lassen. Oder: Zur Verbesserung des Marktzugangs sollten sich die staatlichen Unternehmensberatungsprogramme auf Verkaufs-, Werbungs- und Marketingmaßnahmen konzentrieren, und die Teilnahme an Messen und Ausstellungen, vor allem in westlichen Märkten, müsse unbürokratisch und schneller gefördert werden.
Meine Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion macht sich nicht alle Forderungen des DIHT zu eigen; aber wir fordern Sie, die Mitglieder der Bundesregierung, doch auf, und zwar dringlich, die Mängelliste des DIHT durchzugehen und die erhobenen Forderungen vorurteilsfrei zu überprüfen. Das zumindest kann man von einer Bundesregierung, die als wirtschaftsfreundlich gelten will, doch erwarten: Prüfung und Bescheid.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das gilt auch für den Vorschlag, die Altschuldenregelung zu ändern. Denn richtig ist doch, daß früh privatisierte Unternehmen häufig benachteiligt worden sind. Diese Benachteiligung ist oft gravierend und geradezu existenzgefährdend.

(Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Das stimmt so nicht!)

Wir schlagen deshalb vor, daß — nach Maßgabe des Einzelfalles — die Altschulden privatisierter Unternehmen, die für diese ein Entwicklungshemmnis darstellen, in langfristige, niedrigverzinsliche Kredite umgewandelt werden. Wir glauben, daß das geht und gemacht werden muß, weil sonst viele Unternehmen in Ostdeutschland allein aus Gründen mangelnder Liquidität in die Knie gehen.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Wer bezahlt?)

Dies bringt mich, meine Damen und Herren, zu einem weiteren Punkt, den ich in diesem Zusammenhang wenigstens ansprechen will. Wenn über die Fortführung der Treuhandarbeit, in welcher Form auch immer, nachgedacht wird, muß jedenfalls sichergestellt sein, daß das sogenannte Vertrags-Controlling mit ökonomischem Sachverstand betrieben wird.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Verträge müssen gehalten werden; das ist richtig.
Aber noch wichtiger ist, daß Arbeitsplätze erhalten



Hans-Ulrich Klose
und gesichert werden. An dieser Zielvorgabe vor allem muß sich das notwendige Controlling orientieren. Von daher gewinnt es seine eigentliche Bedeutung. Wenn das Pochen auf Vertragstexte am Ende zum Aus für das betroffene Unternehmen und zum Verlust von Arbeitsplätzen führt, dann ist das j eden-falls kein sinnvolles Verhalten. Es geht auch beim Controlling nicht um Rechthaberei, sondern um konkrete Hilfe.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir sind uns, so denke ich, einig, daß die Probleme der ostdeutschen Betriebe auf Dauer auch durch noch so effektive Hilfsmaßnahmen nicht überwunden werden können. Es geht auch nicht allein um Kostenprobleme. Entscheidend ist, ob sich diese Unternehmen am Markt neu positionieren können. Denn das ist doch das eigentliche Problem: Die alten, regulierten Märkte im Osten sind weggebrochen, und neue Märkte im Westen sind besetzt, überbesetzt und folglich heftig umkämpft.
Natürlich muß jede Anstrengung unternommen werden, um den noch bestehenden Osthandel zu fördern und neue Exportmärkte in der GUS und in anderen Ländern Mittel- und Osteuropas zu erschließen. Dazu gehören Hermes-Bürgschaften, dazu gehört die Einrichtung von Handels-Entwicklungsgesellschaften, dazu gehören Kooperation und Projekte vor allem mit den unmittelbaren Nachbarn Polen und der Tschechischen Republik.
Dennoch bleibt richtig, daß sich die ostdeutsche Wirtschaft für die absehbare Zukunft in erster Linie auf den gesamtdeutschen und europäischen Markt ausrichten muß. Hier steht sie zahlreichen Hemmnissen und Barrieren gegenüber, die nicht so leicht überwunden werden können. Es ist deshalb erforderlich, die Förderung des Absatzes ostdeutscher Produkte und Dienstleistungen effizient und durchsetzungsfähig zu organisieren.
Herr Bundeskanzler, Goodwillerklärungen dazu haben wir reichlich, auch von Ihnen. Es kommt aber darauf an, daß etwas geschieht. Dafür sind Sie zuständig. Ich frage Sie deshalb: Was haben Sie getan, um die Chancengleichheit ostdeutscher Anbieter bei öffentlichen Aufträgen zu sichern? Wie stellen Sie sicher, daß die Abnahmezusagen der westdeutschen Wirtschaft eingehalten werden?

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Gar nicht!)

Wann haben Sie zuletzt mit westdeutschen Handelshäusern über die Listung ostdeutscher Produkte gesprochen?

(Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Letzte Woche! — Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: In China!)

— In China, klar.
Meine Damen und Herren, der BDI plädiert darüber hinaus für eine generelle Wertschöpfungspräferenz für Unternehmen in den neuen Bundesländern. Ob dies sinnvoll und wirksam ist, erscheint mir eher zweifelhaft. Immerhin werden wir Sozialdemokraten die neuerlich vorgetragenen Argumente des BDI prüfen, so wie wir das Bundesfinanzministerium bitten, in eine erneute Prüfung einzutreten. Ich kenne die
Stellungnahme des Ministeriums vom Januar dieses Jahres und gebe zu: Die Argumente des Ministeriums klingen plausibel. Auf der anderen Seite sind auch die Argumente des BDI nicht völlig von der Hand zu weisen. Ein Mann mit praktischen Erfahrungen in den neuen Bundesländern wie Klaus von Dohnanyi hält sie für überzeugend. Und da ich viel von Klaus von Dohnanyi halte, bitte ich den Herrn Bundesfinanzminister um nochmalige Prüfung — nicht, weil ich ihm zusätzliche Beschwerden verschaffen wollte, sondern weil ich meinerseits bereit bin, fast alles zu tun, um die verzweifelt schlechte Lage der ostdeutschen Betriebe zu verbessern.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es kann uns doch nicht gleichgültig sein, meine Damen und Herren, was dort geschieht, und es ist kein Argument gegen besondere Hilfsprogramme im Osten, daß auch im Westen der Republik die wirtschaftliche Lage inzwischen überaus schwierig geworden ist. Das ist leider so.
Ich denke z. B. an die Stahlindustrie. Sie steckt europaweit in einer Krise. Diese ist nicht von gestern auf heute entstanden. Sie hat sich lange angedeutet, ohne daß es die Bundesregierung für nötig befunden hätte, irgend etwas zu deren Vermeidung oder Milderung zu tun.
Mangelnde strukturpolitische Weitsicht, das ist das Mindeste, was man der Bundesregierung, aber auch der Europäischen Kommission vorwerfen muß. Es gibt doch den europäischen Subventionskodex, an den sich aber außer der deutschen Stahlindustrie niemand zu halten scheint. Darüber in Brüssel mit der nötigen Klarheit zu sprechen wäre Pflicht der Bundesregierung gewesen. Sie hat diese Pflicht versäumt.

(Beifall bei der SPD)

Ergebnis: Es gibt in der EG seit Jahren keine marktwirtschaftliche Ordnung mehr, soweit es um Stahl geht. Einige Regierungen haben ihren nationalen Erzeugern in kurzen Abständen mit hohen Subventionen Vorteile im internationalen Wettbewerb verschafft. Das Ergebnis sind Überkapazitäten, Überproduktionen, nicht kostendeckende Preise und deshalb hohe Verluste. Diese Entwicklung geht vor allem zu Lasten der nicht subventionierten privaten Stahlunternehmen in Deutschland, die schon in den vergangenen Jahren viele tausend Arbeitsplätze verloren haben und die in der nächsten Zeit, wahrscheinlich schon in den nächsten zwei Jahren, noch einmal rund 40 000 bis 50 000 Arbeitsplätze verlieren werden. Die Bundesregierung wartet einfach ab.
Handelsauseinandersetzungen mit den Vereinigten Staaten und östlichen Stahlproduzenten, die mit Dumpingpreisen auf den europäischen Markt drängen, verschärfen die Krise. Will die Bundesregierung auch künftig einfach zuwarten?
Unseren Antrag, eine nationale Stahlkonferenz einzuberufen, hat die Bundesregierung abgelehnt. Unser Antrag vom 3. März dieses Jahres, der darauf abzielte, den Montanstandort Deutschland zu stabilisieren und die sozialen Folgen der Krise aufzufangen,



Hans-Ulrich Klose
wurde erst am 10. November, acht Monate später, im Wirtschaftsausschuß behandelt. Das, meine Damen und Herren, ist mehr als verantwortungslos.

(Beifall bei der SPD)

Denn bis zum 31. Dezember 1995 soll ein Restrukturierungsprogramm für die europäische Stahlindustrie abgeschlossen sein. Zu diesem Zweck hat die Bundesregierung am 30. September 1993 die Freistellung von 37 000 Stahlarbeitern bei der EG angemeldet und dafür 170 Millionen Ecu beantragt. Gleichzeitig hat die EG-Kommission die Absicht, Erzeugungskapazitäten für 29 Millionen t Rohstahl und 19 Millionen t Walzstahl stillzulegen — eine Maßnahme, von der auch deutsche Stahlstandorte betroffen sind.
Der 18. November 1993 wurde lange als Fixpunkt für die europäische Stahlindustrie gehandelt, weil an diesem Tag der EG-Ministerrat in Brüssel den Durchbruch für die Sanierung und künftige Struktur in der europäischen Stahlindustrie erreichen wollte. Der Bundeswirtschaftsminister hat in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder auf dieses Datum hingewiesen — das immerhin sei ihm als Verdienst angerechnet — und versichert, danach werde alles in ruhigeres Fahrwasser kommen. Nichts dergleichen, meine Damen und Herren: Das Ergebnis der Sitzung ist bekannt. Die alten nationalen Egoismen feierten fröhliche Urständ, die Uneinsichtigkeiten waren fester denn je, und der Bundeswirtschaftsminister zeigte sich überrascht, was mich nun überhaupt nicht überrascht.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es liegt mir daran, in diesem Zusammenhang auf einen zusätzlichen sozialpolitischen Aspekt aufmerksam zu machen, der in Zukunft für erheblichen sozialen Sprengstoff sorgen wird. Durch das von der Bundesregierung beschlossene Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramm, in dem auch das Arbeitsförderungsgesetz geändert wird, wird es den Unternehmen der deutschen Stahlindustrie in Zukunft nicht mehr möglich sein, Arbeitnehmer nach Sozialplänen zu entlassen. Durch die Reduzierung des Arbeitslosengeldes und die Kappung der Arbeitslosenhilfe auf zwei Jahre wird es in der Stahlindustrie zu betriebsbedingten Kündigungen kommen, wobei • die soziale Komponente — Stichwort: Familiengröße — ausschlaggebend ist. Was das bedeutet, kann sich jeder leicht ausrechnen, wenn er einen Augenblick nachdenkt.
Meine Damen und Herren, Herr Bundeskanzler, es ist absolut unverantwortlich — und ich wäge meine Worte —, das Land mit solchen Beschlüssen immer tiefer in den Konflikt hineinzutreiben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das sage ich schon heute: Für diese Konflikte sind Sie, Herr Bundeskanzler, und der Bundesfinanzminister verantwortlich.

(Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Wo bleibt Herr Kinkel?)

Und den Bundeswirtschaftsminister kann ich nur
auffordern, bei der erneut angesetzten Sitzung des
EG-Ministerrates am 17. Dezember 1993 ein größeres Maß an Durchsetzungsvermögen zu zeigen.

(Beifall bei der SPD — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das kann der nicht!)

Daß die Lage schwierig ist, weiß ich. Die Regierung ist aber dazu da, diese Schwierigkeiten zu meistern. Wenn sie es nicht kann, dann soll sie es sagen und abtreten.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. KlausDieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Leider, meine Damen und Herren, beschränken sich die Schwierigkeiten nicht auf die Stahlindustrie. Die Krise ist allgemein. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht gemeldet wird, daß wiederum ein bedeutendes Unternehmen soundso viel tausend Arbeitnehmer freigesetzt, Arbeitsplätze eingespart hat. Es ist inzwischen — scheint es — ein Qualifikationsmerkmal für deutsche Unternehmer geworden, Arbeitsplätze einzusparen, 3 000, 5 000, 50 000 — wer bietet mehr zu Lasten der Allgemeinheit?

(Beifall bei der SPD)

Dabei dachte ich immer, es sei Sache der Unternehmer, etwas zu unternehmen, damit sich ein konkretes Unternehmen positiv entwickelt, Produkte herstellt, die am Markt verkauft werden können, damit die Gewinne gesteigert und Arbeitsplätze gesichert werden.
Das scheint heute aber anders zu sein. Heute geht es vor allem um Kosten. Und wenn Unternehmer von Kosten reden, dann denken sie in erster Linie an Lohn- und Lohnnebenkosten und sonstige administrative Preise, also an Kosten, für die andere verantwortlich sind, was bei den Löhnen nicht einmal stimmt, weil — darauf haben Sie hingewiesen, Herr Bundeskanzler — unter Tarifverträgen doch immer zwei Unterschriften stehen.
Kein Zweifel, Deutschland ist ein Hochkostenland und wird es bleiben. Jedenfalls ist es völlig abwegig, zu glauben, wir könnten die Kostenkonkurrenz mit Billigproduzenten vor unserer Haustür gewinnen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich bitte Sie! Die Lohnkosten in der Tschechischen Republik liegen bei ca. 12 % der deutschen, in Polen sind sie noch niedriger, in den baltischen Staaten liegen sie bei 1 bis 2 % der deutschen Lohnkosten. Empfiehlt hier irgend jemand, wir sollten uns auf diese Konkurrenz einlassen? Ich jedenfalls kenne niemanden, der alle Tassen im Schrank hat und das tut.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Es wäre — ich wiederhole es — völlig abwegig, so zu denken. Die Wahrheit ist doch, daß wir nur dann eine Chance haben, aus den Schwierigkeiten herauszukommen — nicht von heute auf morgen, sondern mittelfristig —, wenn wir uns wieder Vorsprünge



Hans-Ulrich Klose
erarbeiten, die wir früher hatten und die uns trotz hoher Preise konkurrenzfähig gemacht haben.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. KlausDieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dazu ist es erforderlich, daß sich die Unternehmer selbst — das deutsche Management — aufmachen und endlich einsehen, daß ein Teil der Wettbewerbsnachteile, die auch Kostennachteile sind, auf ihr Konto gehen. Expertisen, die dazu erstellt worden sind, zeigen überdeutlich, was in der Vergangenheit falsch gelaufen ist. Mein Eindruck ist, daß zumindest weitsichtige Unternehmer, die es ja Gott sei Dank auch gibt, dies erkannt haben und entsprechend handeln. Nicht immer nur fordern, sondern selbst etwas tun!

(Beifall bei der SPD)

Entscheidend ist, daß wir uns gemeinsam zu einer strategischen Anstrengung aufraffen und uns mit einem kräftigen Innovationsschub wieder ins vordere Glied katapultieren. Produkte entwickeln und anbieten, die anderswo nicht oder nicht so gut produziert werden können — das ist die Devise.

(Beifall bei der SPD)

Es ist ein strategischer Fehler, Herr Bundeskanzler, die Haushaltsmittel für Forschung und Technologie zu kürzen. Das Gegenteil wäre richtig. Das wissen Sie auch, aber Sie tun nichts.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN — Widerspruch bei der CDU/ CSU)

Es ist ein Fehler, daß auch die Unternehmen die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung zurückgefahren haben. Sie müssen erhöht werden. Und wenn es dazu — man wird ja realistisch — steuerlicher Anreize bedarf, dann, bitte, präsentieren Sie uns geeignete Vorschläge, damit wir endlich aus der appellativen Ebene herauskommen. Es muß etwas getan werden!

(Beifall bei der SPD)

Das gilt auch für die Förderung des sogenannten Humankapitals. Deutschland ist nicht reich an natürlichen Ressourcen. Unser Reichtum, das sind Köpfe und Hände. Diesen Reichtum müssen wir bewahren und mehren. Dazu bedarf es einer gemeinsamen Anstrengung von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft, damit endlich ein zukunftsweisendes Fortbildungssystem geschaffen wird — als vierte Säule unseres Bildungssystems.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Dies müssen wir schon deshalb tun, weil die demographischen Veränderungen der Gesellschaft uns dazu zwingen. Es macht nämlich einen gewaltigen Unterschied, ob die Arbeitnehmer an der Montagestraße, z. B. bei VW, im Durchschnitt 35 Jahre oder 45 Jahre alt sind. Auf diese Entwicklung muß man sich vorbereiten, und zwar rechtzeitig; sonst geht die Entwicklung über uns hinweg.
Tut die Bundesregierung irgend etwas in dieser Richtung? — Der Herr Bundeskanzler redet gelegentlich über den demographischen Wandel. Mein Eindruck ist aber, daß Sie, Herr Bundeskanzler, diese Entwicklung überwiegend als Negativpunkt sehen, als Problempunkt. Ich aber sage Ihnen, daß darin auch eine Chance liegt. Die Japaner scheinen das — wenn meine Informationen richtig sind — wieder einmal früher erkannt zu haben. Was aber tut das zuständige Ministerium hier zusammen mit dem Wirtschaftsministerium, um die absehbare Entwicklung positiv zu gestalten? Wäre es nicht an der Zeit, ein neues, zukunftsorientiertes Programm zur Humanisierung des Arbeitslebens aufzulegen? Wäre es nicht hohe Zeit?

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, in der Bundesrepublik Deutschland sind derzeit fünf Millionen Menschen ohne oder ohne regulären Arbeitsplatz. Niemand von uns kennt den Königsweg aus dieser Misere,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das glauben wir gern!)

die mit soviel materiellem und psychischem Elend verbunden ist. Mit Konjunkturprogrammen — das wissen wir— ist es nicht getan. Es geht um die richtige strategische Weichenstellung, damit es wenigstens mittelfristig zu schaffen ist.
Dazu gehört — ich weiß, das ist insbesondere aus der Sicht der Liberalen eine harte Anmutung —, daß wir uns endlich dazu entschließen, eine intelligente, marktkonforme Industriepolitik zu betreiben.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der F.D.P: Was ist das?)

Ihr Besuch in China, Herr Bundeskanzler, paßt dazu. Türen öffnen, Unterstützung signalisieren — andere Regierungen waren da jedenfalls in der Vergangenheit weit aktiver. Wenn ich z. B. an die deutschen und die französischen Bemühungen gegenüber Südkorea denke — ich rede vom Verkauf des Hochgeschwindigkeitszugs —, dann tränen einem die Augen. Für Frankreich fuhr der Staatspräsident, für Deutschland ein Staatssekretär. Das muß in Zukunft besser werden, Herr Bundeskanzler.

(Beifall bei der SPD)

Ideologische Scheuklappen, die insbesondere liberale Wirtschaftsminister in ihren Aktivitäten hemmen, dürfen nicht länger als Hinderungsgrund für politisches Handeln akzeptiert werden. Wie lange — so frage ich mich manchmal — machen die Damen und Herren der CSU, die doch eine andere politische Tradition haben, das noch mit?
Damit das klar ist, meine Damen und Herren: Wir denken, wenn wir von Industriepolitik reden, nicht an Erhaltungssubventionen und auch nicht an Protektionismus. Wir wollen, daß im Dialog zwischen Wirtschaft und Politik Weichen gestellt und knappe Ressourcen — finanzielle und personale — gebündelt werden. Was, um Gottes willen, ist daran eigentlich falsch? Haben nicht die vergangenen Jahre bewiesen, daß in der Konkurrenz unterschiedlich organisierter Marktwirtschaften diejenigen am erfolgreichsten waren, die sich für eine intelligente Kooperation von Politik und Wirtschaft entschieden haben?

(Beifall bei der SPD)




Hans-Ulrich Klose
Wer nach Ostasien blickt und dorthin fährt, kann doch nicht übersehen, was anderswo getan wird und mit welchem Erfolg.
Ich wiederhole es: 5 Millionen Arbeitslose. Auch wenn die Konjunktur — was wir alle hoffen — in den nächsten Monaten anspringt, wird sich daran nicht viel ändern. Der erste Arbeitsmarkt wird es eben nicht schaffen, diese Menschen in schneller Zeit in den Arbeitsprozeß zurückzuführen. Wünschen würden wir es uns. Aber Sie von der Koalition wissen so gut wie wir, daß das nicht zu erwarten ist. Deshalb müssen Sie, Herr Bundeskanzler, eine Antwort darauf geben, was Sie zu tun gedenken, um diesen Menschen, die jetzt arbeitslos oder von Arbeitslosigkeit bedroht sind, zu helfen. Sollen sie alle in das ausgedünnte soziale Netz fallen, und das war es dann? Hilft es den Menschen, wenn Sie in diesem Zusammenhang anklagend von zu kurzen Arbeitszeiten, von zuviel Urlaub, vom kollektiven Freizeitpark und davon reden, daß wir über unsere Verhältnisse leben? Das alles hilft gar nichts, Herr Bundeskanzler, im Gegenteil: Es befördert die Spaltung der Gesellschaft, die Entsolidarisierung und die wachsende Bereitschaft enttäuschter und verzweifelter Menschen, Halt bei den Rattenfängern von rechts zu suchen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Dagegen anzureden bringt nichts. Auch die bei Konservativen so beliebte Wertedebatte — ein Stekkenpferd des Kollegen Dr. Schäuble — hilft da nichts. Nicht neue Werte sind gefragt oder die Rückbesinnung auf alte — wogegen ich nichts habe —, sondern bessere Politik.

(Beifall bei der SPD)

Zu tun gäbe es genug, meine Damen und Herren. Ein längerfristig angelegtes Zukunftsinvestitionsprogramm zur Verbesserung der Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur, zur Verbesserung der Entsorgung, der Energieversorgung, des Städte- und Wohnungsbaus. Das wäre es, was wir jetzt brauchten.
In ganz Deutschland fehlen z. B. 2 bis 3 Millionen Wohnungen. Es gibt wieder Wohnungsnot; das Problem der Obdachlosigkeit bedrückt die Kommunen. Was tun Sie eigentlich dagegen? Nichts. Sie bleiben bei dem System der heutigen progressionsabhängigen steuerlichen Förderung des selbstgenutzten Wohnungseigentums, subventionieren den Luxus beim Neubau und bei der Wohnungsmodernisierung und kürzen die Mittel für den sozialen Wohnungsbau.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Unglaublich!)

Allein durch eine Veränderung der Wohnungsförderung wäre viel zu erreichen. Noch besser wäre es, wenn zusätzliche Mittel für Wohnungsbau und Städtebau und für andere Zukunftsaufgaben bereitgestellt werden könnten. Das können sie aber nicht, weil Sie sich haushaltspolitisch in eine Situation der völligen Lähmung hineinregiert haben.

(Beifall bei der SPD)

Es ist doch unübersehbar und durch keinerlei Sprachkünste des Bundesfinanzministers wegzureden, daß die Verschuldung wächst und wächst. Die
von mir im Frühjahr prognostizierten 80 Milliarden DM Nettoneuverschuldung werden, fürchte ich, noch übertroffen.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Und Sie fordern doch immer noch mehr!)

Was tun Sie dagegen? Sie schneiden tief ins soziale Netz, weil Sie sich, wenn es ums Geld geht, an diejenigen halten, von denen Sie sonst nicht allzuviel halten, die mit dem geringeren Einkommen, um ja die sogenannten Leistungsträger schonen zu können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wenn wir dann davon reden, daß dies sozial ungerecht sei, dann reden Sie von Sozialneid. Klientelpolitik nenne ich das; mit sozialer Gerechtigkeit hat das nichts mehr zu tun.

(Beifall bei der SPD)

Nein, Herr Bundeskanzler, das Land ist in keinem guten Zustand. Die Lage ist schwierig, und die Stimmung ist schlecht. Nirgendwo wird bei dieser Regierung erkennbar, daß sie ein ordentliches Konzept hätte, wie es weitergehen soll.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was ist denn mit Ihrer Mitschuld?)

Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Bundeskanzler, glaube ich an die Solidarität der Menschen und an die Bereitschaft, mitzuarbeiten bei dem notwendigen Prozeß der Erneuerung im Osten wie im Westen des wiedervereinigten Landes. Aber die Menschen wollen wissen, wo es langgeht. Sie wollen wissen, wofür sie sich anstrengen, wofür sie Opfer bringen sollen. Sie erwarten, daß es in unserem Land gerecht zugeht. Solche Erwartung ist nicht unbillig. Wenn sie enttäuscht wird, wachsen Unsicherheit und Verdruß. Die Folgen können fatal sein.
Meine Damen und Herren, ich sehe mich nicht in der Rolle der Kassandra. Trotz zunehmender Besorgnis ziehe ich keine Vergleiche zwischen der politischen Entwicklung in Italien und bei uns. Ich bin fest davon überzeugt, daß wir es schaffen können, die Probleme, die wir derzeit haben, zu beherrschen und zu lösen.
Dies ist ein gutes Land mit tüchtigen Menschen. Ohne Führung geht es aber nicht.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Das gilt für die SPD!)

Bei Ihnen, Herr Bundeskanzler, sehe ich leider nur noch eine Führungsleistung: die Koalition über die Runden zu bringen, koste es, was es wolle.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das ist zuwenig, Herr Bundeskanzler, und der Preis ist zu hoch. Es ist Zeit für einen Wechsel.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1219200200
Als nächster spricht der Kollege Glos.

(Zuruf von der SPD: Das kann doch nicht sein!)





Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1219200300
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In allen entscheidenden Fragen der Wirtschafts- und der Finanzpolitik, der inneren Sicherheit und der gewachsenen Verantwortung Deutschlands in Europa und in der Welt fehlen konkrete und umsetzbare Vorschläge der Opposition.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie können nicht lesen! — Weitere Zurufe von der SPD)

Wer geglaubt hat, durch die heutige Rede von Herrn Klose mehr zu erfahren, der ist enttäuscht.

(Beifall bei der CDU/CSU — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Einen ganzen Katalog haben wir vorgelegt!)

Sie haben keine Alternative zum konsequenten Sparkurs der Bundesregierung aufgezeigt.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie haben nicht zugehört!)

Sie haben beklagt, daß der ICE z. B. in Südkorea nicht verkauft worden ist.

(Zuruf von der SPD: Er sieht noch verschlafen aus!)

Aber die SPD und der Wunschpartner der SPD, DIE GRÜNEN, tun alles, um neue Strecken und neue Technologien bei uns zu verhindern.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Sie haben zu Recht beklagt, daß der wirtschaftliche Aufbau in der ehemaligen DDR sehr langsam vorangeht. Sie haben aber verschwiegen, daß über einen mittelfristigen Zeitraum Finanztransfers in Höhe von 150 Milliarden DM jährlich von West nach Ost gehen und daß das eine gewaltige Solidaritätsleistung ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie haben keine Alternative zur Politik der konsequenten Verbrechensbekämpfung. Sie haben keine Alternative zum außenpolitischen Kurs dieser Regierung,

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Da gukken Sie mal die F.D.P. an!)

der auf Zusammenarbeit und gleichberechtigte Kooperation mit den Partnern und Freunden in der Welt setzt und nicht einen deutschen Sonderweg geht.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Können Sie nicht lesen? — Weitere Zurufe von der SPD)

— Ich komme schon noch zu Ihrem Parteitag, weil Ihr Parteitag die angeblichen Alternativen beschlossen hat.

(Detlev von Larcher [SPD]: Wann kommen Sie zu Ihrer Politik?)

Sie haben vor allen Dingen — ich wiederhole das; es war deutlich merkbar — keine wirtschafts- und finanzpolitische Alternative. Symbolhaft dafür war der Kniefall von Oskar Lafontaine, der auf dem Parteitag in Wiesbaden bis zur Selbstverleugnung um Verständnis für ökonomische Wahrheiten gebeten
hat, nämlich dafür, daß sich Löhne und Renten auf die Dauer nicht vom Produktivitätsniveau abkoppeln lassen.
Herr Klose hat die Lage der Stahlindustrie beklagt. Herr Klose, Sie wissen, die Stahlindustrie ist montanmitbestimmt. Hier bestimmen also die Gewerkschaften voll mit, was im Betrieb geschieht. Es ist so, daß es auch hier an entsprechenden Rezepten fehlt. Nicht nur die Stahlindustrie setzt Arbeitskräfte frei. Ich muß in diesem Zusammenhang einmal daran erinnern: Wir haben den neuen Zustand in unserem Land, daß inzwischen Gewerkschaften Arbeitnehmer entlassen, nämlich hauptberuflich bei ihnen tätige Funktionäre.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das kommt daher, weil ihnen zu Recht die Mitglieder davonlaufen und weil dadurch das Funktionärskader verringert werden muß.
Die SPD möchte gerne Regierungsfähigkeit beweisen, hat aber auf ihrem Parteitag in Wiesbaden erneut das Gegenteil bewiesen, weil sie auf die großen Herausforderungen unserer Zeit keine Antworten hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das sehen aber alle anders!)

Arbeitsplätze lassen sich in Deutschland nur sichern und neu schaffen, wenn deutsche Unternehmen weltweit qualitativ und vor allem im Preis wettbewerbsfähige und neue Produkte verkaufen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Vollbeschäftigung einfach per Handaufheben zu beschließen, wie dies die SPD getan hat, sichert keinen einzigen Arbeitsplatz. Auch wenn es die SPD nicht wahrhaben will, besteht eben doch ein enger Zusammenhang zwischen hohen Lohnkosten und der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte auf nationalen und internationalen Märkten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es muß doch nachdenklich stimmen, wenn in den ersten Monaten dieses Jahres in Deutschland 20 % weniger deutsche Autos verkauft worden sind, der Rückgang bei den im Ausland produzierten Pkws aber nur bei 16 % gelegen hat. Das zeigt doch, daß auch dem deutschen Arbeitnehmer die deutsche Arbeit zu teuer oder die deutsche Produktivität zu gering geworden ist.
Wer vor zu hohen Abschlüssen bei den Lohnrunden 1991 und 1992 gewarnt hat, wie wir dies getan haben, wurde von der SPD damals heftigst beschimpft.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Sehr richtig!)

Es wurde uns entgegengehalten, wir würden die Tarifautonomie verletzen.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist doch nicht das Thema!)

Es wurde uns entgegengehalten, wir würden uns
zugunsten der Arbeitgeber in die Tarifauseinander-



Michael Glos
setzengen einmischen wollen. Heute wollen Sie uns für die Folgen des falschen Handelns der Tarifpartner von damals voll verantwortlich machen. Das paßt nicht zusammen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nicht nur Ihre Fähigkeit zur Einsicht in wirtschaftspolitische Fragen ist begrenzt. Das gleiche ist leider auch bei der Außen- und Sicherheitspolitik der Fall.

(Beifall der Abg. Uta Würfel [F.D.P.] — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Du hast keine Ahnung!)

Deutschland muß gerade in Zeiten großer politischer Veränderungen in Europa in der Außen- und Sicherheitspolitik berechenbar, verläßlich und glaubwürdig bleiben. Bündnisse und Mitgliedschaften in internationalen Organisationen sind keine Schönwetterverpflichtungen.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ach Gott! — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Nanu!)

Ich war in der vorletzten Woche in den Vereinigten Staaten. Unsere Bündnispartner fragen uns: Wie wird sich das vereinte Deutschland verhalten? Steht Deutschland zu seinen Verpflichtungen in der NATO? Steht Deutschland zu seinen Verpflichtungen, die es eingegangen ist, als wir Mitglied der UNO geworden sind?
In dieser außenpolitisch sensiblen Situation verfolgt die SPD eine Politik, die quasi einem Teilaustritt aus der UNO gleichkommt. Sie will den militärischen Einsatz der Bundeswehr allein auf den BlauhelmEinsatz beschränken. Dabei weiß doch jeder, daß sich Deutschland mit dem Beitritt zur UNO-Charta zur Erfüllung aller Beschlüsse der UNO verpflichtet hat, auch zu friedensschaffenden Maßnahmen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Widersprüchlicher als die SPD kann man nicht sein. Einerseits fordert sie eine Stärkung der UNO — die UNO solle mehr Frieden durchsetzen, auch mit UNO-Truppen —, andererseits wird eine deutsche Mitwirkung abgelehnt, wenn es ernst wird, und damit eine gefährliche Sonderrolle Deutschlands heraufbeschworen.
Eine Unterscheidung zwischen rein beobachtenden Missionen mit Blauhelmen und anderen Einsätzen auf Grund der UNO-Charta ist künstlich und nicht umsetzbar. Sie, Herr Kollege Klose, sind deshalb auf dem SPD-Parteitag — ich beziehe mich auf einen Bericht der Tageszeitung „Die Welt" vom 19. November 1993 — für eine deutsche Mitgliedschaft in der UNO ohne Wenn und Aber eingetreten.

(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Recht hat er!)

Das ehrt Sie, und ich möchte mich dafür ausdrücklich bedanken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Leider haben Sie Ihren Vorsitzenden, der anschließend zu uns sprechen wird, und auch die Parteitagsdelegierten im Regen stehen lassen. Was sollen deutsche UNO-Soldaten tun, wenn z. B. Blockaden durchbrochen werden? Wenn die SPD auf ihrem Parteitag den Frieden in der Welt beschließt, kümmert dies weder Diktatoren noch Heckenschützen. Ich möchte hierzu Ihren verstorbenen Ehrenvorsitzenden Willy Brandt zitieren. Er sagte: „Vergeßt nicht: Wer Unrecht lange geschehen läßt, bahnt dem nächsten den Weg."

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Er meinte nicht den militärischen Einsatz!)

Die SPD hat auf ihrem Parteitag beschlossen — ich zitiere wieder —: „In diesem Zusammenhang befürworten wir einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat für die Bundesrepublik Deutschland." Deutschland würde in diesem Gremium anderen Mitgliedstaaten Pflichten auferlegen, die es nach SPD-Meinung selbst nicht erfüllen will. Das ist meiner Ansicht nach Mitgliedschaft auf Gutsherrenart: Nicht einmal Ihre Genossen von der Sozialistischen Internationale werden dafür Verständnis haben.
In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, daß auf dem SPD-Parteitag der Antrag, die NATO in Frage zu stellen, immerhin ein Drittel der Parteitagsdelegiertenstimmen erhalten hat. Das zeigt, daß der Ungeist, die NATO in Frage zu stellen und bündnispolitische Verpflichtungen aufzugeben, bei Ihnen noch immer vorhanden ist. In diesem Zusammenhang muß daran erinnert werden, daß die SPD bereit gewesen wäre, die NATO preiszugeben, als über die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes verhandelt worden ist.

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: So war es!)

Es ist Helmut Kohl im Kaukasus gelungen, beides zu erreichen: die Wiedervereinigung und die NATO- Mitgliedschaft als Lebensversicherung für die Zukunft in Freiheit zu erhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Mit der SPD wird Deutschland kein gleichberechtigtes Mitglied der Völkergemeinschaft sein können. Diese Politik führt in die Isolation. Sie wissen, eine solche Sonderrolle würde das Vertrauen in unsere Bündnisfähigkeit und damit in unsere Verläßlichkeit auf das tiefste erschüttern.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dankt den deutschen Soldaten für ihren Einsatz in Kambodscha und Somalia.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Unsere Soldaten haben damit einen sichtbaren Beweis für die Verläßlichkeit und auch für die Verantwortung Deutschlands geleistet.
Wie sehr Anspruch und Wirklichkeit bei den Sozialdemokraten auseinanderfallen, zeigt sich z. B. bei der Wehrtechnik. Der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder tritt vor die Mitarbeiter der DASA und macht sich für den Erhalt dieser Arbeitsplätze stark. Er sagt:
Solange wir eine Bundeswehr haben, müssen wir im eigenen Land für die Ausrüstung sorgen. Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen dem Bereich der Produktion für die Verteidi-



Michael Glos
gungsindustrie und dem zivilen Luftfahrtbereich.
Der Mann hat recht.
Gleichzeitig beschließt der SPD-Parteitag die strikte Ablehnung von europäischen Rüstungskooperationen wie z. B. bei dem Eurofighter. Wo ist da die Logik?

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wo bleibt die Glaubwürdigkeit? Für wie dumm halten Sie eigentlich die Arbeitnehmer in der Luft- und Raumfahrtindustrie?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Glauben Sie, die Leute können keine Zeitung lesen und hören nicht die Berichte Ihres Parteitages?
Interessant ist auch das doppelbödige Verhalten der SPD-Ministerpräsidenten immer dann, wenn es um Arbeitsplätze im eigenen Bundesland geht.

(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Das kann man wohl sagen!)

Schröder sagt in realpolitischer Verantwortung um Arbeitsplätze im Grunde nichts anderes als das, was CDU/CSU schon immer vertreten.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Dann müssen wir fliegende U-Boote nehmen!)

In einer schwierigen Phase des Umbruchs braucht die Industrie Planungssicherheit, um Hochtechnologie und Arbeitsplätze in Deutschland sichern zu können. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dankt deshalb Herrn Bundeskanzler Kohl sehr herzlich für sein Eintreten für deutsche Wirtschaftsprojekte in China zugunsten deutscher Unternehmungen und damit zugunsten deutscher Arbeitsplätze.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Die gute Vorbereitung nicht vergessen!)

Die SPD debattiert, der Kanzler handelt. Ich selbst war Zeuge, als der Kanzler in der China-Delegation mit Vertretern der deutschen Industrie

(Zurufe von bei der SPD: Oh!)

und auch des deutschen Handels darüber gesprochen hat, wie man Produkte aus den neuen Bundesländern stärker in das Sortiment aufnehmen kann. Es sind dort auch entsprechende Zusagen erfolgt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Donnerwetter! — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Mein Gott, was bist du ein großer Mann!)

Durch langes Taktieren und Blockieren bei der Verhinderung des hunderttausendfachen Mißbrauches des Asylrechts hat sich die SPD als zuverlässiger Wahlhelfer von Herrn Schönhuber erwiesen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wer ist denn Schönhuber?)

Die von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion durchgesetzte Grundgesetzänderung erweist sich heute als erfolgreich. Die Asylbewerberzahlen sind auf ein Drittel geschrumpft, Altanträge werden zügig abgearbeitet und neue Anträge rasch entschieden. Vor allem in SPD-regierten Ländern bestehen aber noch viele Vollzugsdefizite.
Der Unmut der Bürger über wachsende Kriminalität muß ernstgenommen werden. Ich lade die SPD ausdrücklich ein, das Sofortmaßnahmenpaket 1994 der Koalition zur Verbrechensbekämpfung mitzutragen.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wir haben unsere eigenen Vorstellungen! — Tragen Sie die doch mit!)

Die Koalition hat bereits beschlossen: beschleunigte Strafverfahren, Verschärfung des Haftrechtes, harte Strafen gegen Schlepperunwesen, höhere Strafen gegen Körperverletzung, besserer Diebstahlschutz für Kfz, Ausweitung der Kronzeugenregelung usw.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der Zulassung elektronischer Überwachung von Gangsterwohnungen scheint es auf den ersten Blick einen Meinungsumschwung bei der SPD zu geben. Es scheint allerdings nicht so zu sein, daß dieser Beschluß besserer Einsicht entspringt. Er dient offenkundig nur dem Ziel, die Koalition auseinanderdividieren zu wollen.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Auch das wäre legitim, Herr Kollege!)

Aber das wird Ihnen nicht gelingen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Für gemeingefährliche Gewaltverbrecher darf es keinen Freiraum geben. Wohnungen von Schwerstverbrechern dürfen keine Ruheräume sein. Wir vertrauen hier auf die Einsichtsfähigkeit unseres Koalitionspartners. Niemand ist davor geschützt, Schritt für Schritt klüger zu werden.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Zur Glaubwürdigkeit der SPD in Fragen der inneren Sicherheit gehört auch, die Blockade der Ernennung eines neuen Generalbundesanwaltes aufzugeben.

(Lachen bei der SPD)

Will die SPD die Verantwortung dafür übernehmen, wenn bei einem terroristischen Anschlag die Generalbundesanwaltschaft nicht voll handlungsfähig ist? Die SPD hat sich verrannt.

(Hans-Ulrich Klose [SPD]: Warum haben Sie denn den alten entlassen?)

— Auch Ihr Zwischenruf, Herr Kollege Klose, kann nicht davon ablenken: Hier geht personelle Parteitaktik über Interessen des Staates und den Schutz der Bürger.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. — Widerspruch bei der SPD — Hans-Ulrich Klose [SPD]: Dann holen Sie den alten doch zurück! — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Den haben Sie doch ungerechterweise entlassen!)




Michael Glos
— Ich weiß, Ihnen geht es um Frau DäublerGmelin.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Eine gute Frau!)

Ich habe sehr deutlich mitbekommen, daß man auf dem SPD-Parteitag eine neue Planstelle für die Genossin Däubler-Gmelin geschaffen hat, indem man sie zur stellvertretenden Bundesvorsitzenden gemacht hat.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie können nicht einmal lesen!)

Nun, nachdem die Dame nicht mehr stellungslos ist, könnten Sie Ihre Blockade doch endlich aufgeben.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Zur Sache!)

Ebenso unverständlich ist — auch hier führen Sie Ihre Glaubwürdigkeit ad absurdum —, daß Sie die Ernennung der ersten Frau zur Präsidentin des Bundesrechnungshofs im Bundesrat immer noch blockieren, obwohl Sie im Deutschen Bundestag zugestimmt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie sollten es sich als Bundestagsfraktion nicht gefallen lassen, daß Sie vom Bundesrat so behandelt werden. Wo bleibt da Ihr Selbstverständnis als Abgeordnete?

(Arne Fuhrmann [SPD]: Wir müssen ja sogar Sie ertragen!)

In einem Parteitagsbeschluß in Wiesbaden beklagt die SPD zu Recht, die positive Werteorientierung in weiten Teilen unserer Gesellschaft sei verlorengegangen. Man versteigt sich allerdings in die schamlose Behauptung, Bundeskanzler Kohl sei der Hauptschuldige dafür.

(Widerspruch bei der SPD)

Das ist allerdings eine falsche Methode, nämlich die Methode „Haltet den Dieb".

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Der Kanzler hat doch damit nichts zu tun!)

— Hören Sie zu, wenn Sie wissen wollen, wie es wirklich war.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Es fällt uns so schwer!)

Wer hat denn jahrelang gerade im Bereich der inneren Sicherheit Werte relativiert, ja sogar verächtlich gemacht? Wer hat grenzenloser Selbstverwirklichung und Konfliktstrategien das Wort geredet? Es war Oskar Lafontaine von der SPD, der Tugenden wie Fleiß, Selbstdisziplin, Pünktlichkeit und Treue als „Sekundärtugenden" diffamierte, mit denen man genausogut ein „KZ führen" könne. Er hat das damals alles nur gesagt, um den damaligen Bundeskanzler und heutigen Wirtschaftsberater von Herrn Scharping, Herrn Schmidt, zu diffamieren. Ich bin gespannt, wie dieses neue, alte Führungsteam jetzt Arm in Arm miteinander in Wahlkämpfen auftreten will.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Uwe Lambinus [SPD]: Was hat das mit den Schulden zu tun?)

Die SPD in Hamburg — wenn ich recht weiß, kommt Herr Klose von dort — hat jahrelang durch die Duldung rechtsfreier Räume wie in der Hafenstraße dem Rechtsbewußtsein schweren Schaden zugefügt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Die SPD weigert sich heute, die Zusammenhänge zu erkennen. Hat man vergessen, daß die Gewalt gegen Personen mit der Duldung von Gewalt gegen Sachen begonnen hat? Hat man vergessen, daß es Strategie der 68er-Bewegung war, jede Autorität und jede Erziehung in Frage zu stellen?

(Zuruf von der SPD)

— Herr Kollege, Ihr lautes Schreien beweist, daß bei Ihnen die Erziehung im Elternhaus offensichtlich auch nicht richtig funktioniert hat.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD — Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Sehr gut! Ausgezeichnet! — Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Herr Glos, sagen Sie mal etwas zum Haushalt!)

Daß die SPD auch bis heute nichts dazugelernt hat, zeigt ein Blick in die aktuellen Beschlüsse. Nötigung durch Sitzblockaden will die SPD erlauben. Bei Ladendiebstahl und Kleinstkriminalität will die SPD auf Bestrafung verzichten. Die Sanktion dieser Gesetzesverstöße soll sogar durch „Richtlinien näher geregelt werden" , wie es in ihrem Programm heißt. Alt ist allerdings die Forderung, daß der Besitz von leichten Drogen wie Haschisch und Marihuana künftig straffrei bleiben soll. Neu ist hingegen, daß auch bei harten Drogen künftig in bestimmten Fällen Straffreiheit zugelassen werden soll.

(Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist nicht nur schlimm für das Rechtsgefühl der Bürgerinnen und Bürger,

(Zuruf von der SPD: Daß Sie nicht zum Haushalt kommen, das ist schlimm!)

sondern es ist schlimm für unsere Jugend,

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Daß sie so einen Schwachsinn anhören muß!)

die damit eine Verharmlosung der Drogen erfährt. Und Sie sind bereit, all dies in Kauf zu nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Andrea Lederer [PDS/Linke Liste]: Dem widersprechen alle Sachverständigen!)

Damit wird das von Ihnen beklagte mangelnde Wertebewußtsein und die Trennung zwischen Recht und Unrecht aufgeweicht und ein höchst gefährlicher Weg beschritten.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion tritt im Gegensatz zur SPD für eine positive Wertordnung ein.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wer regiert hier eigentlich?)




Michael Glos
— Ich kann Ihre Frage, wer eigentlich regiert, schnell beantworten.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das merkt man Ihrer Rede nicht an!)

Hierzu gehört an allererster Stelle der vorbehaltlose Schutz des ungeborenen Lebens. Die SPD hat mit ihrer reinen Fristenregelung ein verfassungswidriges Gesetz beschlossen, das erst vom Bundesverfassungsgericht gestoppt werden mußte.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das hat die Mehrheit im Parlament beschlossen! — Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Gucken Sie zur F.D.P. hin!)

— Das ist eine Tatsache meine Damen und Herren. — Sie sind eingeladen, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes jetzt mit umzusetzen und dabei mitzuwirken, daß es in Zukunft einen besseren Schutz des ungeborenen Lebens gibt.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Das habt ihr doch erstritten! Nun seht auch zu, wie ihr damit klarkommt!)

Auch das Wort „Wahrheit" ist bei der SPD höchst unterentwickelt.

(Zuruf von der SPD: Das zu sagen steht Ihnen wohl nicht zu!)

— Okay. Wenn Sie wollen, daß ich den Wahrheitsbeweis antrete, tue ich das sehr gern. Ich habe mich natürlich darauf vorbereitet.
Was der Untersuchungsausschuß des Landtages in Schleswig-Holstein in diesen Wochen zutage fördert, ist ein Skandal.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.] — Zuruf von der CDU/CSU: Engholm-Skandal!)

Es kann nicht mehr ausgeschlossen werden, daß der unsägliche Herr Pfeiffer mit Wissen oder sogar im Auftrag der SPD tätig geworden ist, um Herrn Engholm wählerwirksam als Opfer darstellen zu können.

(Zurufe von der SPD)

— Hier ist nicht Geschrei notwendig, sondern hier ist anschließend ein klares Wort des Bundesvorsitzenden Scharping notwendig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich fordere Sie auf, Herr Scharping, im Deutschen Bundestag die Rolle der SPD offenzulegen und klar zu bewerten. Mit dieser Aktion damals ist viel Schaden hinsichtlich des Vertrauens in die deutsche Politik entstanden.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ein unglaublicher Lügenskandal!)

Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Anrecht auf die volle Wahrheit, und es ist geradezu ein Hohn, daß Herr Engholm noch vor wenigen Monaten durchs
Land gezogen ist und die Union einer Diffamierungskampagne bezichtigt hat.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Mönch in SachsenAnhalt z. B.! —Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ihre Rede ist eine Zumutung!)

— Darm verlassen Sie den Saal, wenn es Ihnen hier nicht gefällt, Frau Matthäus-Maier. Sie sind die Weltmeisterin in Polemik und beklagen sich, wenn andere die Dinge beim Namen nennen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. — Bundesminister Dr. Theodor Waigel: So ist es!)

Ich wollte Frau Matthäus-Maier eigentlich aussparen, aber nun bin ich gezwungen, die ganze Widersprüchlichkeit aufzuzeigen. Wo sind denn die Rezepte der SPD in der Wirtschaftspolitik? Das in Wiesbaden dazu beschlossene Papier gibt keine Antwort. Selbst Frau Matthäus-Maier setzt sich davon ab und nennt das Papier „anspruchsvoll, auch was die Kosten angeht" . Zu deutsch heißt das: Die SPD hat in einer Zeit, in der die Sparsamkeit bei den öffentlichen Ausgaben oberstes Gebot ist, einen vorweihnachtlichen Wunschzettel zusammengeschrieben, der zig Milliarden neue Ausgaben notwendig machen würde.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wo denn? — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie haben das nicht gelesen!)

Mit der haushaltspolitischen Realität hat das, was Sie dort beschlossen haben, überhaupt nichts zu tun.
Herr Schröder nennt das Wirtschaftsprogramm der SPD zu Recht „notwendig abstrakt", was immer das heißt.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Was hat das mit Frau Matthäus-Maier zu tun?)

Auch hier kann ich Ihnen die Übersetzung in den normalen Sprachgebrauch liefern: Sie wollen mit verbalen Nebelbomben die ökonomische Wirklichkeit verhüllen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Aus diesem Nebel zeichnen sich allerdings Konturen ab. Sie wollen dem Bürger tiefer in die Tasche greifen

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Das geht doch gar nicht mehr!)

und sich Spielraum für neue Umverteilungen schaffen.

(Widerspruch bei der SPD)

Ihr sozialistischer Irrglaube hat Sie nicht verlassen, nur Ihr Vokabular ist moderner geworden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Jetzt spricht man nicht mehr von staatlichen Lenkungs- und Kontrollinstanzen wie in den 70er Jahren, nein, man nennt das jetzt im neuen Soziologendeutsch: „Regionalisierte Arbeitsmarkt-, Beschäfti-



Michael Glos
gungs- und Strukturpolitik braucht einen institutionellen Ort in der Region."

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es ist jedem klar, was damit gemeint ist. Herr Klose hat es vorhin umschrieben; er hat von „marktkonformer Industriepolitik" gesprochen.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das ist schön!)

Es ist offensichtlich: Ihr Glaube an den sozialistischen Staatsinterventionismus sitzt nach wie vor tief. Wir brauchen keine neuen Agenturen und Konferenzen, sondern wir brauchen wettbewerbsfähige Arbeitsplätze in leistungsfähigen Privatbetrieben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Jetzt baut er wieder alte Feindbilder auf, die er braucht!)

Ich kann Ihnen noch mehr Widersprüche aufzeigen.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Ja, machen Sie mal weiter!)

Sie, Frau Matthäus-Maier, wiederholen mit gewohnter Penetranz — wir kennen Ihre Reden — Ihre durchaus richtige Erkenntnis, daß die Neuverschuldung des Staates begrenzt werden muß.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Jetzt müssen Sie mich loben!)

So weit, so gut. Gleichzeitig appelliert Herr Lafontaine an die Länder, das Sparpaket der Bundesregierung abzulehnen.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Weil wir bessere Vorschläge haben!)

Frau Matthäus-Maier hält laut Bericht des „Handelsblatts" vom 10. November die Vorschläge für „nicht akzeptabel", wonach Einkommensausfälle, die durch Arbeitszeitverkürzung entstehen, durch Mittel der Bundesanstalt für Arbeit ersetzt werden sollen.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Da hat sie recht! — Ina Albowitz [F.D.P.]: Wo nehmen wir das Geld her?)

Der Chefökonom Lafontaine hingegen, ihr Angstgegner, der ihr ja in das Schattenkabinett Scharping vorgezogen wurde, rechnet der Öffentlichkeit vor, daß es eigentlich ganz logisch sei, daß die Bundesanstalt für Arbeit zur Zahlung herangezogen werde.

(Manfred Opel [SPD]: Was sagt denn Stoiber dazu?)

Den Vogel schießt er allerdings ab, wenn er über die Höhe der Zuschüsse durch die Bundesanstalt für Arbeit auch noch die Tarifparteien verhandeln lassen will.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ja!)

Was die Tarifparteien mit ihren Verhandlungen in den letzten Jahren alles angestellt haben, das wissen wir,

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sind wir dafür auch noch zuständig?)

und das müssen wir jetzt alle miteinander ausbaden, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Es gehören immer zwei dazu, Herr Glos! Zwei Parteien!)

— Lieber Herr Kollege Jungmann, wenn Sie, statt selbst lautstark die Veranstaltung zu stören, zugehört hätten, hätten Sie merken müssen, daß ich von Tarifparteien gesprochen habe, und es ist selbstverständlich, daß dazu zwei gehören.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: In Bayern weiß man das nicht immer so genau! — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Herr Kollege, Sie sind nicht auf einer CSU-Veranstaltung, sondern im Deutschen Bundestag!)

Die Gewerkschaften haben kein Monopol für wirtschaftliches Versagen bei uns im Land. Hier gab es einen unheilvollen Wettlauf mit manchen Managern.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Mit der Regierung!)

Ihr sogenannter Frankfurter Kreis — das soll eine Organisation von linken SPD-Abgeordneten sein — bestreitet sogar, daß es eine Lohnkosten- und Steuerbelastungskrise in Deutschland gibt.
Ein wirtschafts-, energie- und umweltpolitisches Eigentor schießt die SPD mit ihrem kompromißlosen Beschluß zum Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Die SPD spricht in ihrem Wirtschaftsprogramm unablässig von Ökologie. Ihre Ideologen sind jedoch nicht bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß allein im letzten Jahr durch die Kernenergie fast 160 Millionen t des klimaschädlichen CO2 vermieden werden konnten.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Seit Beginn der Kernenergienutzung in Deutschland ist bis heute der Umwelt ein CO2-Ausstoß von sage und schreibe 1,8 Milliarden t Kohlendioxid erspart geblieben.

(Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Durch den Zusammenbruch der Wirtschaft im Osten, durch nichts weiter!)

Die SPD ist tief gespalten, wie sich an all diesen Beispielen zeigt. Eine Regierungsübernahme der SPD wäre eine Gefahr für unser Land.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Deswegen brauchen wir in dieser schwierigen Zeit Vernunft und Augenmaß zur Wiedererlangung unserer Konkurrenzfähigkeit. Die Dolchstöße der SPD gegen die Leistungsbereitschaft des einzelnen und die Investitionsbereitschaft der Unternehmen sind in einer solchen Phase unerträglich.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Diese militante Sprache verrät Sie, Herr Glos!)

Herr Scharping forderte in seiner Rede auf dem Parteitag in Wiesbaden ein Bündnis der Leistungsfähigen und der Starken; sonst könne den Schwachen nicht geholfen werden.



Michael Glos
Schon einige Sätze später in seiner Rede macht er allerdings gegen diese Leistungsträger Stimmung. Er läßt also die Maske fallen. Er spricht von der „Raffgesellschaft" und davon, daß jeder, der 2 000 DM Steuern zahlt, genausogut 2 200 DM bezahlen kann.

(Zustimmung bei der SPD — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das stimmt doch!)

Jeder, der jetzt noch an der Steuerschraube drehen will, muß wissen, daß er die Wachstumsimpulse im Keim erstickt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie sind geizig, Sie wollen nicht zahlen!)

Ich würde Ihnen einmal empfehlen, beim 16. Präsidenten der USA, Abraham Lincoln, nachzulesen. Ich will nicht den ganzen Absatz vorlesen, aber wenigstens den Beginn:
Ihr werdet die Schwachen nicht stärken, indem ihr die Starken schwächt. Ihr werdet denen, die ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, nicht helfen, indem ihr diejenigen ruiniert, die sie bezahlen. Ihr werdet keine Brüderlichkeit schaffen, indem ihr Klassenkampf und Klassenhaß schürt. Ihr werdet den Armen nicht helfen, indem ihr die Reichen ausmerzt.
All das gilt noch heute.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Die Soziale Marktwirtschaft kann nur funktionieren, wenn auch ausreichend Anreiz zur Leistung vorhanden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir haben eine Belastungsquote der Leistungsträger unserer Gesellschaft erreicht, die, wie ich meine, fast unerträglich ist und die wir nicht willkürlich weiter in Anspruch nehmen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Wie lange sind Sie eigentlich an der Regierung?)

Ich kann deshalb die SPD nur warnen, ihr Steuererhöhungskonzept weiterzuverfolgen. Hinter ihrer Verbalpirouette mit dem großartigen Titel „ökologische Umgestaltung des Steuersystems" verbirgt sich nichts weiter als eine drastische Erhöhung der Energiebesteuerung.
Die Energiepreise, ein wichtiger Wettbewerbsfaktor — wir reden ja über den Wettbewerb der deutschen Wirtschaft —, befinden sich in Deutschland bereits in einer Spitzenposition. Ich erinnere daran: Der strompreisbedingte Mehraufwand der deutschen Industrie im Vergleich zu Frankreich betrug im letzten Jahr sage und schreibe 13,5 Milliarden DM.
Wenn Sie wissen wollen, wie sich eine Energiepreiserhöhung auswirkt, so empfehle ich Ihnen einmal, einen Blick auf die Ölpreiskrisen 1973/74 und 1979/80 und auf die ökonomischen Folgen zu werfen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Wie wollen Sie es den Arbeitern der Stahlindustrie, der Metall- und der chemischen Industrie oder gar der Wälzlagerindustrie in Schweinfurt erklären, warum Sie die Energiepreise verteuern wollen und warum ihre Arbeitsplätze dann noch schneller ins Ausland verlagert werden sollen? Schon heute müssen diese Menschen, wie gesagt, wegen der hohen Produktionskosten bei uns im Land um ihre Arbeitsplätze bangen.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wer regiert hier eigentlich? Das sind doch die Folgen eurer Regierung! — Ingrid MatthäusMaier [SPD]: Ja, wer regiert hier eigentlich in diesem Land?)

— Wir sprechen im Moment von den Folgen hoher Energiekosten.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wer regiert denn hier?)

Da kann ich nur sagen: Wir haben uns allezeit zur Kernkraft bekannt, die die preiswerteste Energie ist. Die Demonstrationszüge gegen die Kernkraftwerke sind allemal von der SPD und den GRÜNEN angeführt worden. Nicht weit weg von der Heimat des Herrn Scharping steht ein Kernkraftwerk, das man zum Museum umbauen kann,

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie haben doch die Mehrheit! Warum regieren Sie nicht?)

das voll intakt und in Ordnung ist, das jeden Tag für 1 Million DM Strom liefern könnte. So kostet es 1 Million DM Zinsen täglich. Wenn man all dies in wirtschaftliche Vernunft umwandeln würde, könnte man schon vielen Arbeitslosen helfen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Scharping kann anschließend auch erklären, was er damit gemeint hat, daß wir die Arbeitslosigkeit nur bewältigen, wenn die Menschen kürzer, also weniger arbeiten. Statt den Bürgern die unangenehme Wahrheit zu sagen, flüchten Sie sich damit in angenehme Unwahrheiten.
Für wie dumm halten Sie eigentlich die Bürger, daß Sie glauben, ihnen sagen zu können: Ihr müßt nur weniger arbeiten, dann werden wir schon wieder wettbewerbsfähig?
Wo bleibt Ihr Gegenfinanzierungsvorschlag für die Finanzierung der Pflegeversicherung? Hier können Sie zeigen, daß Sie wirtschaftlich dazugelernt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Lachen bei der SPD)

Wollen Sie mit noch höheren Lohnkosten, mit noch höheren Lohnzusatzkosten, die zu höheren Lohnstückkosten führen, noch mehr Arbeitsplätze aus Deutschland vertreiben? Ob man es wahrhaben will oder nicht: In Deutschland waren die Lohnkosten je Produkteinheit 1992 immerhin um 30 % höher als 1985. In den USA sind die entsprechenden Kosten im gleichen Zeitraum nur um 3,6 % angestiegen, in Japan um 7,4 %.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Wer regiert seit 1985?)




Michael Glos
Stefan Baron hat in der „Wirtschaftswoche" am 5. November 1993 richtig gesagt:
Mit Umverteilung ist noch nie ein Problem gelöst worden, das seinen Ursprung im Bereich der Produktion hat.
Bei allen wirtschaftspolitischen Entscheidungen, die wir in Deutschland treffen, müssen wir die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Auge behalten. Wir wissen, daß nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa von einer Rezession betroffen ist. Die gegenwärtige Situation in der EG ist geprägt von Strukturkrisen, Budgetdefiziten, Arbeitslosigkeit, steigenden Steuern und Sozialabgaben.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, das Heil kann nicht Protektionismus sein, sondern wir müssen erst recht ja sagen zum freien Welthandel. Deswegen hoffe ich sehr, daß die Uruguay-Runde im Rahmen des GATT zu einem guten Ende geführt wird.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Sitzt da auch die SPD am Verhandlungstisch?)

Ich bedanke mich auch hier für den ausdrücklichen Einsatz des Herrn Bundeskanzlers, der die amerikanischen und die französischen Positionen näher zueinander gebracht hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Peter Sutherland, der GATT-Generaldirektor, hat in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt" vorgestern gesagt:
Mit einem GATT in den 30er Jahren wäre uns vielleicht der Zweite Weltkrieg erspart geblieben.
Von der weiteren Öffnung der Märkte in aller Welt können wir in Deutschland neue wirtschaftliche Impulse erwarten. Bedingung ist allerdings, daß wir unsere eigenen strukturellen Krisen bewältigen, daß wir wieder lernen, nicht mehr auszugeben, als wir einnehmen, daß wir wieder lernen, daß Wohlstand nicht von Freizeit, sondern von Arbeit kommt. Hätten die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg die wenige Arbeit, die vorhanden war, „gerecht verteilt", statt die Ärmel hochzukrempeln, hätte es nie ein deutsches Wirtschaftswunder gegeben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Also 1945 gab es wenig Arbeit? So einen Blödsinn habe ich noch nie gehört!)

Der bekannte Sanierer Kajo Neukirchen sagt heute zu Recht: „In Notzeiten müssen die Menschen eher mehr arbeiten als weniger."
Die SPD ist als angebliche Arbeiterpartei aufgefordert, Arbeitsplätze zu sichern, ihre Blockadehaltung im Bundesrat gegen die Spargesetze aufzugeben, in der Energiepolitik Vernunft einkehren zu lassen, und die SPD ist vor allen Dingen aufgefordert, aufzuhören, die Menschen in unserem Land zu verhetzen.

(Zurufe von der SPD)

Helfen Sie lieber mit, den Karren wieder flottzumachen.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1219200400
Als nächster spricht der Abgeordnete Hermann Otto Sohns.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1219200500
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle wissen, daß wir in einer Epoche tiefgreifender Umwälzungen stehen, daß wir vor weitreichenden Aufgaben unserer Zukunftsgestaltung stehen, daß wir vor Herausforderungen historischer Dimension, vor einer neuen Standortbestimmung von Deutschland stehen — im Inneren wie nach außen. Und die Aufgeregtheit der Diskussion zeigt ja, daß jeder weiß, wie schwierig die Aufgaben sind, die wir zu lösen haben.
Das ist oft beschworen worden. Nur, wir sind noch nicht in einem Zustand der Normalität, und wer dies nicht erkennt oder nicht wahrhaben will, wird der gegenwärtigen Herausforderung auch nicht gerecht werden können.
Wenn Sie, Herr Klose, sagen, es seien die Probleme des Bundeskanzlers, dann haben Sie — für mich jedenfalls — ein merkwürdiges Demokratieverständnis.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Es sind die Probleme von uns allen! Und wenn wir nicht endlich lernen, dies auch so zu begreifen, daß nämlich jeder zunächst gucken soll, was er selbst dazu beitragen kann, die Probleme zu lösen, bevor er auf den anderen zeigt,

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Warum zahlen Sie dann keinen Solidaritätszuschlag?)

dann werden wir allerdings diese Situation nicht beherrschen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1219200600
Herr Solms, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klose? — Bitte, Herr Klose.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1219200700
Herr Kollege Solms, würden Sie dann auch sagen, daß Äußerungen der Bundesregierung, sie habe in bestimmten Zeiträumen von 1982 bis — sagen wir — 1989 soundsoviel Millionen Arbeitsplätze geschaffen, ebenfalls ein mangelndes Demokratieverständnis zeigen?

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1219200800
Nein. Das zeigt, daß die Bundesregierung — jedenfalls was ihren Anteil betrifft — damals richtige Entscheidungen getroffen hat.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Und, Herr Kollege Klose, das zeigt auch, daß wir bereit sind, auf diese Therapie, die wir damals angewendet haben, zurückzugreifen und sie jetzt auch einzusetzen, soweit das in unserer Macht steht.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU — Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Also, die Bundesregierung ist machtlos?)





Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1219200900
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1219201000
Ja, bitte.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1219201100
Würden Sie im Sinne einer solchen Bescheidenheit wenigstens zugeben, daß die Bundesregierung ihren guten Anteil auch am Entstehen der Probleme hat?

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1219201200
Herr Klose, es ist ja nun das alte Spiel seit 1990, daß so getan wird, als ginge die Entwicklung, insbesondere die ökonomische Entwicklung, über den Fall der Mauer hinweg kontinuierlich weiter. Das ist der Fehleindruck, der hier immer zu erwecken versucht wird.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Das hat doch der Bundeskanzler gemacht!)

Aber es gibt ganz im Gegenteil völlig neue Probleme, vor denen nicht nur wir Deutschen stehen, sondern vor denen alle Länder in Europa und der Welt stehen. Kein Land hat Antworten gefunden, die diese Probleme einfach lösen könnten.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Frage nicht beantwortet!)

Was wir hier tun, ist, darum zu ringen, die richtigen Lösungen zu finden. Daß auf diesem Weg auch Fehler gemacht werden, ist völlig selbstverständlich, da es kein Lehrbuch gibt, das einfache Regeln enthält, wie wir das machen sollen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines der zentralen Themen, mit denen wir uns gegenwärtig zu befassen haben und die die Bürger bekümmern, ist die zunehmende Verunsicherung durch wachsende Kriminalität, durch eine Beeinträchtigung der inneren Sicherheit. Der liberale Rechtsstaat hat die Aufgabe, den Menschen vor staatlichen Übergriffen, vor staatlicher Willkür zu schützen. Er hat aber genauso die Aufgabe, den Menschen, den Bürger vor den Übergriffen anderer Menschen, vor der Kriminalität zu schützen. Beide Aufgaben muß er übernehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Die parteipolitisch motivierte Symboldiskussion über den sogenannten großen Lauschangriff lenkt von den tatsächlichen Problemen der inneren Sicherheit ab. Die Grundrechte unserer Verfassung sind die wichtigsten Normen unseres Rechtsstaates.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Eine Verfassungsänderung im Bereich der Grundrechte kann daher immer nur, wenn überhaupt, eine Ultima ratio sein.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Richtig!)

Das ist ein schwieriger Abwägungsprozeß. Erst wenn der Nachweis erbracht worden ist, daß alle anderen Mittel ausgeschöpft sind und noch immer Handlungsbedarf besteht — das haben wir ja im
letzten Jahr gemeinsam getan, als wir um eine Neuregelung des Asylrechts gerungen haben —, kann, ähnlich wie beim Asylrecht, eine Einschränkung von Grundrechten überhaupt in Betracht gezogen werden. Dies kann, wenn überhaupt, nur am Ende der Anstrengungen zur Bekämpfung der Kriminalität stehen. So weit sind wir heute bei weitem noch nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will dazu sagen: Nach meinem Empfinden ehrt es die F.D.P., daß sie sich diese Auseinandersetzung so schwer macht;

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

das zeigt, daß sie die Lösungen nicht je nach politischer Opportunität sucht. Wenn Sie sich die öffentliche Berichterstattung ansehen, stellen Sie ja auch fest, daß die F.D.P. in diesem Zusammenhang nicht sehr gut wegkommt. Trotzdem versuchen wir, diesen Abwägungsprozeß in aller Gründlichkeit und in einer schwierigen innerparteilichen Diskussion so vorzunehmen, daß wir zum Schluß zu einem Ergebnis kommen, das, glaube ich, der Problematik von beiden Seiten her gerecht werden kann.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dazu ist aber jetzt nicht die Zeit. Es ist jetzt die Zeit, die Vollzugsdefizite, die wir alle erkannt haben, zu beseitigen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir unterstützen deshalb auch den Bundesinnenminister und erwarten von der am kommenden Freitag tagenden Konferenz mit den Innenministern der Länder, daß das Bund-Länder-Sicherheitsprogramm von 1974 endlich fortgeschrieben wird. Wir mahnen seit Jahren, daß wir hier vorankommen müssen.

(Zuruf von der SPD: Wir auch!) Bis jetzt ist nichts geschehen.

Wir erwarten von der SPD, die ja die meisten Landesinnenminister stellt, daß sie sich konstruktiv daran beteiligt. Wir halten es für ein elementares Versäumnis, daß dieses Programm trotz unserer ständigen Mahnungen bisher nicht aktualisiert worden ist.
Was den Bundesgesetzgeber betrifft, so haben sich die Experten der Koalitionsfraktionen bereits auf die wichtigsten Eckwerte eines Verbrechensbekämpfungsgesetzes 1994 verständigt. Es wird deutliche Verbesserungen zur Bekämpfung von Straftaten durch die Anpassung des Haftrechts und die Anhebung der Strafrahmen bei Körperverletzung sowie Bestimmungen gegen Schlepperbanden und eine ganze Reihe weiterer Maßnahmen umfassen. Ich hoffe, daß dieses Gesetz dann zügig beraten und verabschiedet werden kann.
Jetzt sind vor allem auch die Länder aufgefordert, endlich ihre Hausaufgaben, was die Vollzugsdefizite betrifft, zu machen. Die Länder müssen neue Prioritäten setzen, um die erforderlichen Mittel bereitzustel-



Dr. Hermann Otto Solms
len, die Polizei und Justiz zur Erfüllung ihrer Aufgaben brauchen. Die Justiz — ich habe in der Zwischenzeit einige Gerichte besucht — arbeitet noch heute mit Organisationsmethoden und -strukturen des letzten Jahrhunderts. Wenn das so weitergeht, werden wir den Erfordernissen des Rechtsstaats nie genügen, weil wir, da es Jahre dauert, bis die Prozesse abgewickelt werden, zu einer Situation der Rechtsverweigerung kommen werden.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

In Bremen, wo der F.D.P.-Senator van Nispen für die innere Sicherheit verantwortlich ist, konnte die Kriminalitätsrate gesenkt werden. Bremen ist — ich will das hervorheben — das einzige Bundesland, in dem die Kriminalitätsrate effektiv gesenkt werden konnte.

(Beifall bei der F.D.P.)

Das ist ein gutes Ergebnis. Andere Landesinnenminister sollten sich ein Beispiel daran nehmen. Denn das ist es schließlich, was der Bürger von uns erwartet.
Schon bevor alle praktischen Möglichkeiten der Kriminalitätsbekämpfung ausgeschöpft sind, ist nun die SPD auf ihrem Parteitag bereit gewesen — sie hat einen Mehrheitsbeschluß durchgeführt —, das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung einzuschränken.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Als Ultima ratio!)

Herr Scharping, ich glaube, das ist in dieser Situation und bei diesem Stand des Vorgehens leichtfertig.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Um die Zustimmung dafür auf Ihrem Parteitag zu bekommen, hat Herr Scharping — das ist noch kritikwürdiger — einen noch höheren Preis gezahlt. Er hat, um deren Zustimmung zu erreichen, den linken Delegierten die Eigentumsgarantie des Art. 14 gleich mit auf den Opfertisch gelegt.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das ist unglaublich!)

So macht man die Grundrechte zu einem beliebigen Instrument der Parteitaktik und der Machtergreifung.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn es um die Macht geht, spielen bei der SPD von heute Grundsätze nur noch eine mindere Rolle. Diesen Eindruck muß man haben.

(Beifall bei der F.D.P. — Dr. Uwe Küster [SPD]: Das sagt ausgerechnet die F.D.P.! — Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Ja, gerade die F.D.P.!)

Ich möchte auch gerne von der CDU, von der wir wissen, daß sie den Lauschangriff und die Änderung des Art. 13 befürwortet, wissen, was sie dazu sagt, daß dies mit einer Änderung des Art. 14, mit einer Aushöhlung der Eigentumsgarantie

(Zurufe von der SPD: Für den Verbrecher! — Für geklautes Geld!)

verbunden sein soll.

(Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Die CDU tut es nicht!)

— Herr Bundeskanzler, ich glaube Ihnen gerne; denn ich denke, daß dies ein Vorgehen ist, welches auf gar keinen Fall akzeptiert werden kann.

(Beifall bei der F.D.P.)

Wer den Schutz des privaten Eigentums antastet, legt die Axt an die Wurzel unserer Gesellschaftsordnung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die von der SPD geplante Änderung, die Aushöhlung der Eigentumsgarantie, ist mit der Eigentumspartei F.D.P. jedenfalls nicht zu machen.

(Beifall bei der F.D.P. — Hans-Ulrich Klose [SPD]: Ja, das glaube ich! — Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Das war sehr verräterisch!)

Gerade in einer Zeit, in der die deutsche Wirtschaft dringend Kapital und Investitionen braucht,

(Zuruf von der SPD: Sie schützen Verbrechergeld!)

hätte ich auch von der SPD erwartet, daß sie sich der Bedeutung des Eigentums für die Funktionsfähigkeit des Investitionsprozesses bewußt wäre.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Der Schutz der Banken war Ihnen immer wichtiger als der Schutz unserer Kinder!)

— Frau Matthäus-Maier, schon Aristoteles hat vor 2 300 Jahren in seiner Soziallehre zur Bedeutung des Eigentums formuliert:
Es darf der Besitz nur in gewisser Weise zum Gemeingut gemacht werden,

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: In gewisser Weise!)

in der Hauptsache aber muß er Privateigentum bleiben. Denn gerade bei der geteilten Verwaltung wird alles besser gedeihen, indem jeder mit Sorgfalt für seinen eigenen Vorteil arbeitet.
Dieser Grundsatz ist schließlich in unsere Verfassung eingeflossen. Das zeigt, wie wichtig er für die Funktionsfähigkeit ist.
Zumindest diese Lehre sollte die SPD aus dem Niedergang des Kommunismus gezogen haben. Wer durch die ehemalige DDR gefahren ist, weiß doch, allein wenn er sich den Wohnungsbestand anschaut, wohin es führt, wenn man Privateigentum geringachtet.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1219201300
Herr Solms, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1219201400
Nein, ich möchte jetzt fortfahren.
Zumindest diese Lehre sollte jetzt endlich gezogen werden, denn privates Wohneigentum schafft darüber hinaus einen Hort für die Familie und eine



Dr. Hermann Otto Solms
Sicherung für das Alter. Die erfolgreiche Politik zur Ankurbelung des Eigenheimbaus durch Frau Schwaetzer und die Bundesregierung ist genau die richtige Strategie, um diesem Gedanken Wirkung zu verleihen. Deswegen wird die F.D.P. auch verhindern, daß die Eigentumsrechte beim Wohneigentum z. B. durch eine überzogene Ausweitung des Mietrechts weiter eingeschränkt werden.
Die SPD muß sich doch nur in der ehemaligen DDR umschauen — darauf habe ich bereits hingewiesen —, wie die Situation sich ohne Eigentum entwickelt. Deshalb ist und bleibt es richtig, auch am Konzept „Rückgabe vor Entschädigung" festzuhalten.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deswegen ist es auch so wichtig, daß wir dem Konzept eines Entschädigungsgesetzes, das Herr Gattermann entwickelt hat, folgen und es möglichst bald mit Gesetzeskraft versehen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wer sich nicht zur wirtschaftlichen Bedeutung des Privateigentums bekennt, wird die wirtschaftlichen Probleme nicht dauerhaft lösen.
Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer tiefgreifenden Problemphase eines strukturellen Umbruchs. Die Umstrukturierung in Ostdeutschland hat zwar 1993 Fortschritte gemacht; ein sich selbst tragender Aufschwung ist jedoch noch nicht errreicht. Immerhin konnten in der Zwischenzeit nahezu 600 000 selbständige Existenzen gegründet werden. Viele Erfolge des Aufbaus Ost beruhen nach wie vor auf der staatlichen Förderung. Deshalb muß diese staatliche Förderung fortgesetzt werden.
Das Konjunkturtal im Westen ist noch lange nicht durchschritten. Der Strukturwandel ist noch nicht abgeschlossen. Allerdings sind inzwischen wichtige Voraussetzungen für einen neuen Aufschwung Ost und West geschaffen: Die Bundesregierung hat weitere Konsolidierungsschritte unternommen. Die Lohnpolitik hat 1993 in Westdeutschland mehr Zurückhaltung gezeigt als in den Jahren zuvor. Die Auftragslage im Export hat sich stabilisiert. Auf Grund der Anstrengungen der Finanzpolitik und der moderaten Lohnpolitik war es der Bundesbank möglich, die Leitzinsen zu senken.
Wer das Vertrauen der Investoren und Konsumenten stärken will, wer mehr Wachstum und Beschäftigung will, wer aus der Krise zum Aufschwung will, der kann nicht auf die weitere Erhöhung der Nettoneuverschuldung setzen. Mit 69,1 Milliarden DM übersteigt sie schon jetzt weit das, was ein konjunkturbedingtes Defizit umfassen darf.
Die SPD redet in ihrem gerade beschlossenen Wirtschaftsprogramm noch davon, daß die Begrenzung des Ausgabenanstiegs in Abhängigkeit von der konjunkturellen Lage vorgenommen werden könne. Dies ist eine der vielen Halbherzigkeiten, eine der vielen falschen ökonomischen Analysen des SPD-Wirtschaftsprogramms.
Meine Damen und Herren, zur weiteren Konsolidierung des Bundeshaushalts gibt es keine Alternative,

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

so auch der Sachverständigenrat. Steigende Defizite wären ein Signal für eine unsolide Haushaltspolitik. Sie führten zu höheren Zinsen, weil der Staat die schon zu wenigen privaten Investoren vollends verdrängte und weil die Bundesbank, um die Stabilität zu sichern, zwingend handeln müßte. Mangelnde Haushaltsdisziplin bedroht Wachstum und Beschäftigung. Konsolidierung dagegen führt zu mehr Wachstum. Mancher Keynesianer mag das nicht verstehen. Aber das haben auch die achtziger Jahre bewiesen.

(Detlev von Larcher [SPD]: Ja, man sieht es jetzt!)

Konsolidierung ist nicht nur Aufgabe des Bundes. Bund, Länder und Gemeinden sind hier gemeinsam aufgefordert zu handeln, denn nur dann kann es gelingen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir haben heute gesamtwirtschaftlich ein Finanzierungsdefizit von 160 Milliarden DM. Wir erreichen 1995 eine Steuerquote von über 25 %.

(Zuruf von der SPD: Ein toller Erfolg!)

Das war seit Anfang der fünfziger Jahre noch nie da.

(Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Doch 1975 schon einmal!)

Wir haben heute schon eine Zinslastquote von 8 % und eine Zins-Einnahmen-Quote von 9,4 %, die 1997 unter Einbeziehung der Erblast auf 15 % anwachsen wird. Dieser Trend muß jetzt gebrochen werden, meine Damen und Herren. Was muß dafür getan werden?

(Zuruf des Abg. Detlev von Larcher [SPD])

Der Trend muß gebrochen werden durch Sparen bei den öffentlichen Ausgaben, durch Privatisierung öffentlicher Aufgaben, durch den Abbau der Regelungsflut sowie durch den Abbau und die Reduzierung der Bürokratie,

(Beifall bei der F.D.P.)

und zwar auf allen öffentlichen Ebenen. Da ist keiner auszunehmen, und jeder muß dort handeln, wo er Verantwortung trägt.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Sehr wahr!)

Die Daten zeigen auch den mangelnden Beitrag der Länder und Gemeinden für die gesamtwirtschaftlich notwendige Konsolidierung. Wer heute nicht konsolidiert, hat in der nächsten Legislaturperiode einen immer geringer werdenden Spielraum für gestaltende Politik.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Warum tun Sie es dann nicht? — Gegenruf von der CDU/CSU: Furchtbar!)




Dr. Hermann Otto Solms
— Ja, also, Frau Matthäus-Maier, jetzt liegen die Sparpakete vor, von denen Sie behaupten, sie gingen viel zu weit.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sie lehnen sie ab! Sie boykottieren!)

Und diese Sparpakete haben Sie in den Vermittlungsausschuß gebracht, um sie noch einmal zu kürzen.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Weil sie ökonomisch unsinnig sind!)

— Nein, sie sind nicht ökonomisch unsinnig. Gerade die Kritik an den Einsparungen bei den Lohnersatzleistungen zeigt doch, daß Sie nicht wahrhaben wollen, was einfach Tatsache sein muß,

(Beifall bei der F.D.P.)

nämlich daß Menschen, die Lohnersatzleistungen bekommen, ohne zu arbeiten, natürlich weniger Einkommen erzielen müssen als Menschen, die für ihr Einkommen arbeiten müssen. Das ist doch geradezu eine Selbstverständlichkeit.

(Beifall bei der F.D.P.)

Deswegen: Wenn die Einkommen real zurückgehen — was ja gegenwärtig unvermeidlich der Fall ist —, dann müssen auch die Lohnersatzleistungen gekürzt werden. Da kommen wir doch gar nicht drum herum.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Eine andere Steuerpolitik!)

Sagen Sie Ihren Mitgliedern doch bitte die Wahrheit, anstatt ihnen vorzugaukeln, es könne so weitergehen, sie müßten nur auf den Kapitalmarkt gehen oder den Steuerzahler weiter plündern. So kann es nicht gehen.

(Beifall bei der F.D.P.)

Wer tatsächlich den Willen hat, in Zukunft als Regierungspartei in Bund oder Land Politik zu gestalten, und sich heute verweigert, der riskiert seinen eigenen künftigen Gestaltungsspielraum. Auch daran müssen Sie denken, weil Sie ja gerne die Regierung übernehmen wollen. Die Gefahr, daß das eintritt, scheint mir immer geringer zu werden. Aber aus Ihrer Sicht ist dieser Gedanke nicht von der Hand zu weisen.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Die glauben selber nicht daran!)

— Deswegen gibt es ja immer mehr Bemühungen, mittels einer Großen Koalition in die Regierung zu kommen.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Oh, was war denn das? Ist das ein Trauma? — Weitere Zurufe von der SPD)

Ich denke, der Wähler würde diesem Ansinnen eine Abfuhr erteilen.

(Beifall bei der F.D.P. — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Weltuntergangsstimmung bei der F.D.P.!)

— Bei uns herrscht keine Untergangsstimmung. Wir sind fest entschlossen, die Probleme, die anstehen, zu lösen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir sind in der Koalition kurz davor, die wichtigsten Probleme gelöst zu haben. Dann werden Sie sich wundern, daß von Ihren Angriffen plötzlich nichts mehr übrigbleibt.

(Detlev von Larcher [SPD]: Fangt doch einmal an!)

— Sie können ja einen Beitrag leisten, beispielsweise bei den gegenwärtig anstehenden Verhandlungen zur Lösung der Probleme bei der Schaffung einer Pflegeversicherung. Wir wollen eine Pflegeversicherung einführen, und zwar auf der Basis eines schwierig ausgehandelten, aber verantwortlichen Kompromisses.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist nicht akzeptabel!)

Wir erwarten nun von Ihnen, dazu einen konstruktiven Beitrag zu leisten.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: So nicht!)

Die Frage ist nur, ob Sie überhaupt noch in der Lage sind, einen konstruktiven Beitrag zu leisten.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Detlev von Larcher [SPD]: Ihr seid euch ja noch nicht einmal in der Koalition einig!)

Also: Auf Ihrem Parteitag in Wiesbaden hat man gehört, daß die Aufwertung der D-Mark und die deutschen Unternehmen die Hauptverantwortlichen für die wirtschaftliche Lage seien. Da, Herr Scharping, sind Sie nun wirklich zu kurz gesprungen. Kümmern Sie sich weniger um die Fehler anderer, handeln Sie da, wo Sie selbst Verantwortung tragen! Dann können wir der Lösung näherkommen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Denn das zentrale Problem des Standorts Deutschland ist der Mangel an Arbeitsplätzen. Selbst wenn das Konjunkturtal durchschritten ist, wird die Zahl der Arbeitslosen noch steigen. Der Grund dafür liegt in einem ganz einfachen Zusammenhang — auch den sollten Sie sich allmählich klarmachen —: Die deutschen Arbeitsplätze sind zu teuer.

(Beifall bei der F.D.P.)

Das ist eine Binsenweisheit der Ökonomie, aber eine unerfreuliche Wahrheit.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Deswegen sind die ja pleite!)

Sie können dem brutalen Kostenwettbewerb, besonders mit dem Osten, nicht standhalten. Wer zu hohe Löhne, wer die Belastung durch Lohnzusatzkosten und Steuern nicht offen anspricht und im Gegenteil Steuererhöhungen ankündigt, der vergibt jedoch die Chance, in der Krise eine Bereinigung vorzunehmen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Vor dem Parteitag schien es so, als hätten Schröder und Lafontaine dies erkannt. Sie haben es offen



Dr. Hermann Otto Solms
gesagt. Jedoch ist die Bereitschaft von Lafontaine, klare Worte zur Lohnpolitik zu sagen, die Bereitschaft von Schröder, konstruktiv am Energiekonsens mitzuwirken, bestraft worden. Lafontaine mußte sogar vor seinem Parteitag Selbstkritik üben — so wie das bei anderen Parteien früher üblich war —,

(Detlev von Larcher [SPD]: Das ist unverschämt! — Dr. Uwe Küster [SPD]: Unglaublich! — Weitere Zurufe von der SPD)

um als stellvertretender Parteivorsitzender nicht abgestraft zu werden.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)

Seine teils richtigen Vorschläge wurden schon vor dem Parteitag eingestampft. Das erinnert mich an die Auseinandersetzung der katholischen Kirche mit Galileo Galilei.

(Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wer hat zum Schluß recht behalten? Die Naturgesetze sind nicht außer Kraft zu setzen, auch nicht durch Mehrheitsbeschlüsse, auch nicht durch Ideologien oder durch Glauben. Sie setzen sich durch. Wenn Oskar Lafontaine bereit ist, das, was er dort zurückgezogen hat, wiederum zu revidieren wie seinerzeit Galilei, der gesagt haben soll: Und sie bewegt sich doch!,

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ich finde es gut, daß Sie uns mit dem Papst vergleichen!)

dann hat er den Namen Oskar Galilei verdient. Aber ich sehe das noch nicht.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wie immer ist interessanter, was im SPD-Wirtschaftsprogramm nicht steht, als das, was darin steht. Mit anderen Worten: Was jetzt richtig und notwendig wäre, haben Sie schon vor Ihrem Parteitag verworfen. Herr Scharping, um sich im nachhinein wenigstens den Anschein einer seriösen Wirtschaftspolitik zu geben, wollen Sie dem Ganzen jetzt das Etikett von Helmut Schmidt aufkleben, wenn man „Focus" glauben darf.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Fragen Sie ihn einmals selbst!)

Nur, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Die Therapie von Schmidt hat schon 1982 bei der SPD keine Zustimmung mehr gefunden. Ich sehe nicht, wie sich das heute nach diesen Beschlüssen geändert haben sollte.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es wäre ja schön, wenn sich die SPD heute wenigstens zu der Therapie von Helmut Schmidt bekennen würde.
Recht hat der Sachverständigenrat, wenn er für 1994 fordert, daß die Lohnabschlüsse in Ost- wie in Westdeutschland sogar unterhalb des Produktivitätswachstums liegen sollten. Aber es sind nicht allein die Lohnkosten, die zu dem Verlust von Arbeitsplätzen geführt haben. Es gilt, den Standort Deutschland im
härter werdenden internationalen Wettbewerb umfassend zu sichern.
Die Bundesregierung hat mit dem Rexrodt-Papier einen umfangreichen Bericht zur Sicherung des Standorts Deutschland vorgelegt. Aber die Analyse reicht nicht. Jetzt müssen wir auch konsequent handeln. Wir unterstützen Günter Rexrodt bei der Durchsetzung seiner Ziele, und fordern die Koalition auf, alle Handlungsanweisung entschlossen umzusetzen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Diese Aufforderung gilt auch an den Kollegen Blüm. Die F.D.P. hat hierzu eine Dopppelstrategie vorgeschlagen, um den regulären Arbeitsmarkt zu beleben und neue Beschäftigungsfelder zu erschließen. Ich will nur kurz die Stichworte nennen.
Der erste Teil umfaßt die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt: Senkung von Steuern und Abgaben, Beseitigung administrativer Hemmnisse. Ich kann Ihnen das alles ganz konkret darstellen, nur nicht in der mir verbleibenden Redezeit. Ich habe es in der ersten Lesung zum Haushalt schon dargelegt.
Zum ersten Teil gehört also die Beseitigung administrativer Hemmnisse. Ich denke hier nur an die gewaltigen Bürokratien, die bei uns bestehen. Der größte Moloch ist die Bundesanstalt für Arbeit mit ungefähr 100 000 Mitarbeitern, zentral und zentralistisch geführt. Das kann nicht funktionieren. Das gleiche gilt für die Großunternehmen, die jetzt an ihrer eigenen Größe kaputtgehen. Das ist wie im Dinosaurierpark, meine Damen und Herren:

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wir wollen die Arbeitsmarktpolitik auch regionalisieren!)

winzige Köpfe, riesige Körper, zum Untergang verurteilt. Das kann nicht funktionieren. Wir brauchen eine schlanke Administration, genauso wie wir eine schlanke Unternehmensführung in der Privatwirtschaft brauchen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir müssen die öffentlichen Aufgaben so weit wie möglich privatisieren, und zwar auch auf kommunaler Ebene. Wir müssen eine maßvolle Lohnpolitik und flexible Tarifverträge erhalten, sowohl was die Arbeitszeit als auch was die Löhne anbetrifft. Wir brauchen mehr Mitwirkungsrechte der Betriebsräte, weil die vor Ort besser wissen, was zu tun ist,

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

als die Gewerkschaftsführung in Frankfurt, oder wo immer sie ist.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir brauchen mehr Teilzeitarbeit. Die Phantasie der Arbeitsgestaltung kennt gar keine Grenzen. Nur die starren Strukturen verhindern, daß man diese Phantasie einsetzt.
Wir brauchen ein leistungsfähigeres Schul- und Ausbildungssystem. Die deutschen Hochschulen sind extrem ineffektiv. Hier könnte vieles getan werden.



Dr. Hermann Otto Solms
Sie bräuchten mehr Selbstbestimmungsrechte, um selbst mit dem knappen Geld umzugehen.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Wir brauchen eine Gleichbehandlung der beruflichen Bildung. Denn die gut ausgebildete Facharbeiterschaft ist das Rückgrat unserer Wirtschaft.
Der zweite Teil der Doppelstrategie ist die Schaffung neuer Beschäftigungsfelder, die insbesondere in den persönlichen Dienstleistungen zu finden sind. Ich bedanke mich bei Herrn Schäuble besonders, der öffentlich erklärt hat, daß er es für richtig halte, — wofür ich seit Jahren werbe — daß die privaten Haushalte als Arbeitgeber genauso behandelt werden sollten wie Betriebe.

(Beifall bei der F.D.P.)

Denn dadurch sind sicher ein bis zwei Millionen Beschäftigungsverhältnisse zu begründen.
Was schlägt die SPD vor? Ich habe mir Ihre Beschlüsse angeschaut und will ein paar herausgreifen.
In Wiesbaden haben Sie vollmundig ein Zukunftsinvestitionsprogramm gefordert. Da kann man nur fragen: Wer soll das bezahlen? Wieder wie früher aus Schulden oder aus höheren Steuern? Beides wäre falsch.
Investitionen in das Schienennetz: Gut, richtig. Warum, frage ich mich, blockiert die SPD dann die Bahnreform? Gerade haben sie sich geeinigt, jetzt werden wieder Nachforderungen gestellt.

(Beifall bei der F.D.P. — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wir haben gestern zugestimmt!)

— Wenn das so ist, nehme ich das zurück. Ich habe nur gehört, daß von einzelnen Bundesländern, beispielsweise aus dem Bundesland, aus dem ich komme, aus Hessen, von Herrn Eichel, Nachforderungen gestellt werden.
Eine verbesserte Kommunikationsinfrastruktur: Warum, frage ich mich, blockieren Sie dann die notwendige Postreform? Können Sie sich aus den Fesseln des Herrn van Haaren nicht befreien?

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Eine bessere Städtebauförderung, vor allem in den neuen Ländern: Warum, frage ich mich, hindern Sie uns daran, die dort bestehenden Hemmnisse abzubauen: das zu enge Planungsrecht, Baugenehmigungen, die zu hohen Standards für das Bauen. Eine Sozialwohnung in Holland wird heute etwa zum halben Preis hergestellt, verglichen mit der Bundesrepublik, ohne daß dort die klimatischen Verhältnisse schlechter wären.
Zusätzliche Investitionen für eine sinnvolle Wasserbewirtschaftung und Abfallverwertung: Warum, frage ich mich, verhindern Sie in vielen Kommunen eine zügige Privatisierung im Bereich der kommunalen Aufgaben?

(Beifall bei der F.D.P.)

Und schließlich eine forcierte Förderung umweltschonender Energien: Warum, frage ich mich, verweigert die SPD dann den dringend notwendigen nationalen Energiekonsens?
So kommen wir nicht weiter, meine Damen und Herren. Wir laufen Gefahr, daß Zukunftsmärkte, wie die der Telekommunikation, modernster Verkehrssysteme und auch die Gentechnologie, verteilt werden, ohne daß Deutschland dabei ist.
Wir haben scheinbar Geld, um wie bei der Kohle die Vergangenheit zu finanzieren, aber kein Geld mehr, um — nehmen Sie das Beispiel Transrapid — die Zukunft zu gestalten,

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

obwohl ich davon ausgehe, daß wir uns noch dafür entscheiden werden.
Wer heute die Zeichen der Zeit übersieht und die Sicherung des Standorts Deutschland anderen überläßt, handelt leichtfertig. Wer ökonomische Notwendigkeiten ignoriert, riskiert Stabilisierungskrisen. Auf dem Spiel steht auch der soziale Friede, und der ist durch Verteilungspolitik nicht zu sichern.

(Beifall bei der F.D.P.)

Jeder weiß, meine Damen und Herren, daß man nur verteilen kann, was man zuvor erarbeitet hat. Die SPD ist und bleibt die Verteilungspartei, ohne Konzept für Wachstum und neue Arbeitsplätze. Die F.D.P. setzt dagegen konsequent und kompromißlos auf neue reguläre Arbeitsplätze. Wir werden alles tun, was diesem Ziel dient, auch wenn die Medizin teilweise bitter schmeckt. Das muß man dann auch offen bekennen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Schon in den 80er Jahren hat die Koalition mit der Schaffung von über 3 Millionen Arbeitsplätzen bewiesen, daß diese Medizin auch den gewünschten Heilungserfolg bewirkt. Die F.D.P. ist in diesem Sinne eine Arbeitsplatzpartei, und dazu bekennen wir uns.

(Beifall bei der F.D.P. — Horst Sielaff [SPD]: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Eine Zweidrittelgesellschaft kann nur verhindert werden, wenn die deutsche Wirtschaft leistungsfähig bleibt. Mehr Wohlstand ist nur über mehr Arbeitsplätze zu erreichen.
Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich sagen, wir müssen diese Veränderungen und diese Schwierigkeiten, in denen wir uns befinden, auch als eine Chance begreifen. Jede Krise ist auch eine Chance zur Gesundung, zur Revitalisierung. Wir haben die große Chance, überholte, überlebte Strukturen aufzubrechen, die Lähmung der gesellschaftlichen Kräfte zu überwinden. Es kommt jetzt darauf an, unser Gemeinwesen aus der Agonie zu befreien und es wieder anpassungsfähig und leistungsstark zu machen.
Optimismus statt Pessimismus. Nicht klagen sondern handeln. Nicht lähmen sondern mobilisieren. Das steht heute an, denn nur damit können wir die deutsche Einheit verwirklichen. Das sollte für uns alle eine begeisternde, eine anspornende Aufgabe sein. Es sollte für uns auch eine stolze Aufgabe sein, daß wir



Dr. Hermann Otto Solms
die Gelegenheit haben, daran mitzuwirken. Ich weiß, daß die meisten in diesem Hause das auch so empfinden. Nur: Es ist nicht gut, wenn wir in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, daß es nicht so sei, sondern daß die Situation viel schlimmer wäre, als sie in Wirklichkeit ist, ja, unbeherrschbar wäre. Denn wir sind auf gutem Wege, und wir werden die Situation meistern.

(Zurufe von der SPD)

Ich kann nur alle auffordern, daran jeweils in ihrem Verantwortungsbereich mitzuwirken.
Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der F.D.P. — Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1219201500
Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1219201600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Haushalt 1994 soll verabschiedet werden, obwohl seine Voraussetzungen höchst unsicher und seine Prämissen außen-, sicherheits-, wirtschafts- und sozialpolitisch — wie ich meine — falsch sind. Wenn es hier um den Bundeskanzleretat geht, ist es angezeigt, sich mit der Regierungspolitik insgesamt auseinanderzusetzen. Der Bundeskanzler und sein Kabinett stehen hoffnungslos überfordert und ideenlos vor den Herausforderungen dieser Welt und in diesem Land.
Nach Wegfall des Ost-West-Konflikts stellt der Nord-Süd-Konflikt die größte und eine die Existenz der Menschheit bedrohende Herausforderung dar. Osteuropa lateinamerikanisiert sich langsam, und wie in den USA wird auch bei uns dadurch Armut zur Selbstverständlichkeit. Auf diese großen politischen, ökonomischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Herausforderungen findet die Bundesregierung nur zwei Antworten. Sie versucht, sich vor Flüchtlingen abzuschotten, und macht die Menschen glauben, daß sich die dahintersteckenden Probleme irgendwie von selbst lösen würden. Und das auch noch, obwohl sie weiß, daß alle führenden Industriestaaten, d. h. auch die Bundesrepublik Deutschland, ihren beträchtlichen Anteil an den Ursachen von Not und Elend in der sogenannten Dritten Welt haben.
Auf der anderen Seite bereitet uns die Bundesregierung täglich darauf vor, daß der Nord-Süd-Konflikt militärisch zu beherrschen sei. Wir sollen Krieg wieder als normales Mittel der Politik empfinden und uns darauf einstellen, daß deutsche Soldaten weltweit operieren werden. Die SPD, die zunächst gegen jegliche Beteiligung deutscher Soldaten auch an Blauhelmeinsätzen war, ist im Laufe der letzten Jahre der Auffassung der Bundesregierung immer näher gekommen. Ich befürchte, daß der Tag nicht mehr weit ist, an dem die Tür auch für weltweite Kampfeinsätze der Bundeswehr ganz geöffnet wird.
Der europäische Einigungsprozeß ist ins Stocken geraten. Das liegt zum einen daran, daß die Bundesregierung führend an einem Maastrichter Vertrag beteiligt war, der die notwendigen Voraussetzungen für eine europäische Einigung eben nicht regelt. Zum anderen haben wir es mit einer rechtskonservativen
nationalistischen antieuropäischen Wende zu tun, die insbesondere in den Äußerungen des bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber deutlich zum Ausdruck kam. Er hat erklärt, daß der europäische Einigungsprozeß nicht mehr erforderlich sei, weil wir als Deutsche keine europäische Identität mehr benötigten, um die Bürde der Vergangenheit loszuwerden, und weil inzwischen gegenüber früheren Vorstellungen die deutsche Einheit auch ohne die europäische gelungen sei. Damit wird sogar der Bundeskanzler aus seinen eigenen Reihen hinsichtlich seiner europäischen Einigungspolitik angegriffen. Die Renationalisierung der Außenpolitik wird von bestimmten Kräften in CDU und CSU gefordert. Ich hoffe, daß die Bundesregierung dagegen widerstandsfähig bleibt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Mit Hilfe von Gysi!)

— Da können Sie sogar meine Hilfe haben. Aber ich hoffe, daß Sie darauf nicht angewiesen sind. Es wäre ja noch trostloser, wenn Sie mich dazu brauchten, solche Angriffe abzuwehren.
Aber das ändert auch nichts daran, daß der Maastrichter Vertrag leider die Bedingungen nicht schafft, die wir im Kampf gegen die Gefahren des Nationalismus und Rechtsextremismus brauchten. Das Europa von Maastricht schließt Osteuropa aus, es schafft überflüssigerweise eine europäische Armee, es weist erhebliche Demokratiedefizite auf. Das ist in unserer gegenwärtigen Entwicklungsphase besonders gefährlich, weil das hohe Maß an Politikverdrossenheit in Demokratieverdrossenheit umzuschlagen beginnt. Wenn der Deutsche Bundestag seine Befugnisse nicht auf das Europäische Parlament, sondern auf eine bürokratisch hinter verschlossenen Türen arbeitende Brüsseler Bürokratie verlagert, dann ist das eben ein Nährboden, der antieuropäische Kräfte ebenso wie antidemokratische Kräfte versorgt.
Aber das Schlimmste am Maastrichter Vertrag ist, daß die Fehler aus der deutschen Vereinigung potenziert wiederholt werden. Die wesentlichen Voraussetzungen für eine Währungsunion und für eine europäische Einigung sind nicht im Vertrag vereinbart worden. Es gibt nicht die geringsten Anzeichen für eine Steuerangleichung, um Kapitalflucht, umfangreiche Steuerverkürzungen und die Ausnutzung von Steuertricks wenigstens zu minimieren. Nichts ist bisher geschehen, um eine Lohn- und Sozialangleichung, eine Angleichung ökologischer Standards und der Standards im Arbeitsschutz und Gesundheitswesen zu erreichen. Die niedrigsten Sozialleistungen, die niedrigsten Löhne, die niedrigsten ökologischen Standards, der niedrigste Arbeitsschutz und das niedrigste Niveau im Gesundheitswesen werden auf diese Art und Weise zum Maßstab des Wettbewerbs erhoben. Jede und jeder kann sich ausrechnen, welche Folgen dies für die europäische Idee haben wird und wie groß der Drang zur Renationalisierung auf diesem Wege sein wird.
Wenn ich nun auf die Probleme in Deutschland zu sprechen komme, so muß ich sagen, es ist klar, daß die Bundesregierung die Probleme der deutschen Einheit nicht bewältigt. Im Gegenteil: Sie nutzt sie aus, um einen Demokratie-, Rechts-, Sozial- und Lohnabbau in Westdeutschland durchzusetzen. Das ist übrigens



Dr. Gregor Gysi
auch gegenüber den Menschen in Ostdeutschland höchst unbillig, weil sie dadurch zu Sündenböcken der Veränderungen in den alten Bundesländern werden. Noch immer leben Hunderttausende Menschen in den neuen Bundesländern wegen des Prinzips „Rückgabe vor Entschädigung" in der Ungewißheit, ob sie ihre Häuser und Grundstücke, ihre Wohnungen behalten können. Sie, Herr Kollege Solms, haben sich hier zum Eigentumsschutz bekannt und haben gesagt, deshalb müßten Sie beim Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung" bleiben. Wieso interessiert Sie eigentlich das Eigentum Hunderttausender Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern nicht, denen Sie mit diesem Prinzip keinen Schutz geben? Selbst wenn sie es behalten könnten, wissen sie nicht, welche Kosten damit verbunden sein werden.
Immer mehr Menschen werden auch wegen hoheitlichen Handelns für die DDR in Strafverfahren verwikkelt. Fast jede Ostdeutsche und fast jeder Ostdeutsche fühlen sich gedemütigt, weil ihnen auch seitens der Bundesregierung immer wieder erklärt wird, daß sie 40 Jahre lang falsch gelebt und falsch gearbeitet haben. Ihre Biographien werden ihnen ebenso zerstört, wie sie auch nicht stolz darauf sein sollen, was sie in den letzten Jahrzehnten aufgebaut haben. Wer aber Menschen in so großer Zahl demütigt, muß mit psychischen Gegenreaktionen rechnen. Das sage ich, obwohl ich weiß, daß sich für die Menschen in den neuen Bundesländern durchaus viele positive Veränderungen ergeben haben. Nur werden sie durch die Massenarbeitslosigkeit, die immer größer werdenden finanziellen Belastungen, den Kultur- und Wissenschaftsabbau und durch die psychischen Demütigungen auf schlimme Art und Weise überschattet.
Aber seit der deutschen Einheit verändert sich die Bundesrepublik auch in den alten Bundesländern. Rechtsunsicherheit herrscht auch hier. Arbeitslosigkeit und Angst vor Arbeitslosigkeit grassieren in ganz Deutschland. Mit diesem Bundeshaushalt wird die Schere bei den sozial Schwächsten und den sozial Schwachen angelegt. Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger, Umschülerinnen und Umschüler, Arbeitslose — sie alle werden ab 1. Januar 1994 weniger haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Herr Gysi, das ist gar nicht wahr!)

— Doch, das ist wahr. Wenn Sie die Teuerungsrate hinzunehmen, wird die Schere noch viel größer.
Aber das Problem ist, daß wir diesen Menschen, den sozial Schwächsten, sagen müssen, daß wir so viel behalten, wie wir schon immer hatten und daß niemand an die Vermögenden in dieser Gesellschaft herangeht. Das ist die eigentliche Katastrophe. Was ist das für eine Art Solidarität, in die nur die Schwächsten in der Gesellschaft einbezogen sind, aber nicht die Vermögenden?
Das bedrückendste und gefährlichste Problem in der Gegenwart ist und bleibt die Massenarbeitslosigkeit, zumal sie täglich zunimmt und inzwischen die Fünf-Millionen-Grenze erreicht hat. Damit ist eine Fülle sozialer und psychischer Probleme verbunden. Welche Konzepte legt die Bundesregierung dagegen vor? Zumindest keine wirksamen. Wer die Massenarbeitslosigkeit wirksam beseitigen will, der muß die vorhandene Arbeit auf mehr Schultern verteilen und zugleich neue Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich, im Kultur-, im Bildungs- und Ökologiebereich schaffen.
Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es einer anderen Arbeitszeitpolitik und einer anderen Steuerpolitik. Aber es war diese Bundesregierung, die bis vor kurzem — heute eigentlich schon wieder — von Arbeitszeitverlängerung sprach. Durch die Initiative von VW ist es nun wenigstens gelungen, die Frage der Arbeitszeitverkürzung ernsthaft auf die politische Tagesordnung in unserer Gesellschaft zu setzen. Sicherlich gibt es noch Streit über die Art und Weise der notwendigen Finanzierung dieser Arbeitszeitverkürzung, aber Tatsache ist natürlich, daß es keine einseitigen Lohnkürzungen geben darf, da sich für die Betroffenen auch die Lebenshaltungskosten nicht senken und weil das im übrigen — was Sie, Herr Solms, immer nicht beachten — zu einer Kaufkraftreduzierung führt und damit zu einem Rückgang der Wirtschaftstätigkeit und zu einem Rückgang der Zahl der Arbeitsplätze.
Warum ist eigentlich diese Arbeitszeitdiskussion in der Koalition unterblieben, obwohl sie doch so off en-sichtlich nötig ist? Haben wir nicht Möglichkeiten, hier Veränderungen zu beschließen? Der Bundestag könnte durch Veränderungen des Arbeitszeitgesetzes die Höchstdauer der Arbeitszeit deutlich beschränken. Wir könnten durch Gesetze die zulässige Zahl von Überstunden weiter beschränken. Es wäre möglich, Steuergerechtigkeit herzustellen, Steuerprivilegien abzuschaffen und jährliche Steuerverkürzungen von 130 Milliarden DM wirksam zu bekämpfen.
Das wäre übrigens ein wesentlich besseres Instrument, als hinter jeder Sozialhilfeempfängerin und jedem Sozialhilfeempfänger herzurennen und zu prüfen, ob er nicht vielleicht zehn Mark zuviel hat. An diese 130 Milliarden DM sollten Sie einmal herangehen.
Ebenso wäre es möglich, den Vermögenden in unserem Land und den Gewinnern der Einheit mehr abzuverlangen, als sie bisher geleistet haben. Dann gibt es noch die berühmten 700 Milliarden DM frei vagabundierendes Kapital, an das man herangehen sollte. Diese Bundesregierung wird das jedoch nicht tun, sie hält sich lieber an Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose.
Woher, frage ich Sie, nehmen Sie eigentlich den Mut, drei bis vier Millionen Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern das Existenzminimum zu kürzen und gleichzeitig 97 Milliardäre in der Bundesrepublik zu schonen und ihnen nicht eine Mark mehr in einer solchen Krisensituation abzufordern? In Krisenzeiten müssen Vermögende einen wirklichen Solidarbeitrag leisten. Ihnen ging es vorher, geht es in einer solchen Zeit und auch in Zukunft immer noch wesentlich besser als jenen ohne Vermögen, denen Sie noch das Existenzminimum kürzen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wie bei Gysi!)

Eine Regierung, die in erster Linie den Lebensstandard der ohnehin Sozialschwachen reduziert, entlarvt



Dr. Gregor Gysi
sich selbst. Die Bundesregierung bekämpft nicht die Armut, sie bekämpft die Armen. Schon allein durch ihre Untätigkeit verschärft sie das Problem der Massenarbeitslosigkeit und verschont die Vermögenden in dieser Gesellschaft.
Sie verändern die Gesellschaft darüber hinaus, so z. B. durch Kultur- und Bildungsabbau und dadurch, daß Sie keinen Beitrag zur Bekämpfung der Ursachen der Kriminalität leisten. Massenarbeitslosigkeit und Wohnungsnot, riesige soziale Unterschiede und Rechtsextremismus bilden den eigentlichen Herd für Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland.
Diese Ursachen werden Sie mit Ihrem großen Lauschangriff nicht beseitigen. Bedauerlich ist, daß nunmehr auch die SPD einer solchen Maßnahme zustimmt, obwohl klar ist, daß eine solche rechtsstaatlich nicht vertretbare Maßnahme, einmal legalisiert, sich immer stärker ausbreiten wird. Sorgen Sie für die Präsenz der Polizei, nicht gegen linke Demonstranten, sondern gegen die wirklich Kriminellen in diesem Land! Verhindern Sie Geisterbahnhöfe, in denen immer mehr Bedienstete entlassen werden! Leisten Sie einen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit und zur Verringerung der sozialen Unterschiede! Sie werden sehen, daß die Kriminalitätsrate zurückgehen wird.
Hören Sie vor allem auf, die wirtschaftlichen und sozialen Probleme zu nutzen, um ideologische Zielvorstellungen durchzusetzen wie z. B. Rückschritte in der Gleichstellung der Frauen. Massenarbeitslosigkeit bekämpft man nicht dadurch, daß man die Frauen in die Küche zurückschickt und versucht, ihnen das auch noch schmackhaft zu machen, weil es angeblich ihre eigentliche Bestimmung sei.
Massenarbeitslosigkeit bekämpft man auch nicht dadurch, daß man Frauen gegen ihren Willen zur Schwangerschaft zwingt. Massenarbeitslosigkeit bekämpft man auch nicht dadurch, daß man jene, die noch Arbeit haben, gegen jene aufstachelt, die nur noch über soziale Transfers ihre Existenz sichern können.
Haben wir doch endlich den Mut, unmittelbare Demokratie einzuführen, damit die Menschen widerstandsfähig werden und auch nicht bereit sind, selbst im Interesse der Lösung eines sozialen Problems auf demokratische Strukturen zu verzichten. Denn das ist doch die Gefahr, daß der Rechtsextremismus die Lösung von sozialen Problemen dafür anbietet, daß wir auf demokratische Strukturen verzichten sollen.
Genau das darf nicht passieren. Dazu muß man Demokratie erlebbar gestalten, unmittelbar gestalten. Wir brauchen plebiszitäre Elemente in diesem Land. Wir brauchen mehr Befugnisse und größeren finanziellen Spielraum für unsere Kommunen. Denn wer Kommunen entmündigt, entmündigt die in ihr lebenden Menschen.
Ich finde es unerträglich, wie die Regierungsparteien bei der Kommunalwahl durch Brandenburg ziehen und immer wieder dazu auffordern, sie zu wählen, obwohl sie hier in Bonn die Möglichkeiten der Kommunen täglich einschränken. Bürgerinitiativen müssen zumindest das Recht haben, in kommunalen Parlamenten Anträge zu stellen. Wir sollten das Wahlrecht so verändern, daß die Wählerinnen und Wähler
auch Einfluß auf die Landeslisten der Parteien nehmen können, damit wir nicht allein über die Reihenfolge der Kandidaten entscheiden.
Lassen Sie uns das Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer und auch das aktive Wahlrecht für 16- und 17jährige einführen.

(Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: Für 5jährige! — Für 8jährige! — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Für 12jährige!)

— Das ist doch albern. Sie wissen ganz genau, daß es Gutachten gibt, die besagen, daß 16- und 13jährige die politische Reife wie 18- und 19jährige haben und durchaus zu einer solchen Entscheidung fähig sind. Wenn Sie das nicht wollen, entmündigen Sie schon wieder eine Gruppe junger Menschen und sagen ihnen, sie sollen sich um diese Demokratie nicht scheren. Dann aber wundern Sie sich, wenn sie sich nicht darum scheren, sondern den anderen Richtungen folgen. Lassen Sie uns doch einmal neue Wege gehen — gerade auch in dieser Hinsicht.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Kommen Sie wieder herunter! — Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Qualifikation Jugendweihe!)

— Nein, nein. Ach wissen Sie, das ist doch alles zu einfach und zu simpel. Das wissen Sie doch. Wenn wir nicht anfangen, gemeinsam über neue Dinge nachzudenken, könnten wir es irgendwann gemeinsam sehr bereuen. Das ist das Entscheidende. Dann hat uns die ganze Polemik gar nichts genutzt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir haben nichts gemeinsam! — Zuruf des Abg. Erich G. Fritz [CDU/CSU])

— Wenn Sie das nicht wollen, dann lassen Sie es bleiben. Aber ich hoffe, Sie kriegen dann auch die Quittung. Wie sagt doch unser Bundeskanzler immer so schön; Er will es nächstes Jahr noch einmal wissen. Ich hoffe, er erfährt es auch, und zwar gründlich.

(Zuruf des Abg. Dietrich Austermann [CDU/ CSU])

— Wissen Sie, wenn Sie wirklich Eigentum schützen wollen — ich habe schon zu den Grundstücken in der DDR gesprochen —, dann denken Sie doch einmal über das Altschuldenhilfegesetz nach. Da machen Sie eine Zwangsenteignung in Höhe von 15 % von schon privatisiertem genossenschaftlichen Eigentum. Aber, was noch schlimmer ist: Sie nötigen die Genossenschaften, bis Ende des Jahres nicht nur Schulden, die sie ablehnen, anzuerkennen, sondern, was der Gipfel ist, zu unterschreiben. Wenn sich später gerichtlich herausstellt, daß sie die Schulden gar nicht hatten, daß sie dennoch auf eine Rückzahlung verzichten, daß sie einen Anspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung nicht geltend machen? Das ist wirklich schlimme Nötigung.
Ich sage Ihnen, wenn das privat zwischen uns so geschähe, dann würden wir eine Strafanzeige wegen



Dr. Gregor Gysi
Nötigung und Erpressung bekommen. Der Bundestag aber leistet sich das durch Gesetzgebung.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Jetzt werden erst einmal die Massenorganisationen enteignet!)

Nein, dieser Haushalt 94 löst kein einziges der vor uns stehenden Probleme. Er wird aber viele verschärfen. Deshalb, Herr Bundeskanzler, kann die PDS/ Linke Liste Ihrem Einzeletat keine Zustimmung geben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber bedauerlich!)

Wenn wir einen wirklich soliden Haushalt haben wollen, dann müßten Sie den ganzen Haushalt in den Ausschuß zur Neustrukturierung zurückschicken.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1219201700
Bevor ich Herrn Kollegen Feige das Wort gebe, möchte ich folgendes noch einmal in Erinnerung rufen. Ausweislich des Protokolls, Herr Glos, haben Sie gesagt: Die SPD ist aufgefordert, damit aufzuhören, die Menschen in unserem Land zu verhetzen. — Für diese Aussage muß ich Sie zur Ordnung rufen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Als nächster spricht der Kollege Feige.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Ich habe doch nicht gesagt, daß sie Hetzer sind!)


Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1219201800
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung dokumentiert mit dem Bundeshaushalt 1994 und den Spargesetzen mehr denn je das Scheitern ihrer Wirtschafts-, Sozial-und Finanzpolitik. Am Ende der Ära Kohl sind in Deutschland knapp vier Millionen Menschen ohne Arbeit, und fast zwei Millionen Menschen befinden sich in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen.
Drei Jahre nach der deutschen Vereinigung rächt es sich bitter, daß diese Regierung wider besseres Wissen optimistische Durchhalteparolen ausgegeben hat. Die Politik der Bundesregierung ist so im Ergebnis der permanenten Selbsttäuschung ein einziger Scherbenhaufen.
Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich heute in einer dreifaltigen Krise:
Erstens. Die ostdeutsche Wirtschaft durchläuft in nahezu allen Bereichen des Lebens eine umfassende Transformationskrise. Die Wirtschaft Ostdeutschlands wurde vom brutalen Anpassungsschock der Währungsreform im Kern getroffen. Die Industrie ist nahezu vollständig zusammengebrochen.
Zweitens. Es gibt auch im vierten Jahr nach der Vereinigung nicht den einen Wirtschaftsstandort Deutschland, sondern deren zwei; einen westlichen, dessen strukturelle Defizite jetzt ans Tageslicht kommen, und einen östlichen, der sich trotz mancher
positiver Entwicklung weiterhin im industriellen Niedergang befindet.

( V o r sitz: Vizepräsidentin Renate Schmidt)

Drittens. Von vielen noch nicht wahrgenommen, weil eben von den beiden zuerst genannten überlagert, entfaltet sich die ökologische Strukturkrise. Diese wird langfristig gesehen noch weit dramatischer und bedrohlicher für die Wirtschaft und Gesellschaft werden, als es die beiden anderen gegenwärtig schon sind. Hier ist das Versagen der Bundesregierung am eklatantesten. Nach wie vor ist die Wirtschaft in Deutschland ökologisch falsch gepolt. Noch immer beruht sie auf Ressourcenverschwendung und Energievergeudung. Nach wie vor wird Raubbau an der Zukunft betrieben.
Die Probleme dieses Landes bündeln sich in der Tatsache, daß die Wirtschaft und die Bundesregierung den wichtigsten Produktionsfaktor, den wir haben, nämlich die Schaffenskraft und den Ideenreichtum von Millionen Menschen, brachliegen lassen. Die Massenarbeitslosigkeit ist daher nicht nur eine soziale Tragödie, sie ist zugleich eine ungeheure Verschwendung einer für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres Landes entscheidenden Ressource.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was haben Sie schon geleistet?)

Was aber hat die Bundesregierung anzubieten, um den wirklichen Problemen des Standortes Deutschland zu begegnen? Damit fangen wir an. Nichts außer vergebenen Chancen, dazu frisierte Prognosen und untaugliche Rezepte. Würde man den Vorschlägen der Bundesregierung folgen, dann hieße deren sogenannte Lösung der Probleme: Sozial- und Umweltschutzabbau, Deregulierung, Privatisierung um jeden Preis und Abbau der demokratischen Rechte. Damit hilft die Bundesregierung den Millionen Arbeitslosen nicht weiter. Sie hilft auf Dauer aber auch nicht der Wirtschaft in diesem Lande. Denn diese profitiert auf längere Sicht doch gerade von den vergleichsweise hohen Sozial- und Umweltstandards in Deutschland.
Ohne verbindliche Rahmensetzung, ohne Unterstützung des Staates werden die Unternehmen weder den ökologischen Umbau bewältigen noch die Erhaltung bestehender und die Schaffung neuer Arbeitsplätze erreichen.
Die Sozialpolitik ist zu einem defizitären Krisenmanagement verkommen. Die elf Jahre Kohl-Regierung entsprechen elf Jahren forcierten Sozialabbaus. Die Bundesregierung gefährdet die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme in unverantwortlicher Weise.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was tun Sie denn?)

Der Wirtschaftsminister z. B. verunsichert durch seine inkompetenten Äußerungen zur Krise der gesetzlichen Rentenversicherung die Wirtschaft und die Bevölkerung. Gleichzeitig bedient sich die Bundesregierung in schamloser Manier hinter dem Rükken der Öffentlichkeit aus den Sozialkassen. Seit der deutschen Vereinigung benutzt diese Regierung die



Dr. Klaus-Dieter Feige
Sozialkassen für die versicherungsfremde Finanzierung der deutschen Einheit. Für die Rentenversicherung bedeutet dies einen Verlust von über 10 Milliarden DM, während in der Arbeitslosenversicherung bis Ende dieses Jahres gar 55 Milliarden DM zweckentfremdet sein werden.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wohin kommt denn das Geld?)

Das ist die Realität.
Hier offenbart sich die ganze Hinterhältigkeit und Verantwortungslosigkeit dieser Regierung. Denn ausgerechnet die Wortführer dieser unsäglichen, völlig auf die Lohnnebenkosten verengten Standortdebatte haben durch ihre dreiste Selbstbedienung diese Lohnnebenkosten erst in die Höhe getrieben. Anderenfalls wäre der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung in diesem Jahr niedriger ausgefallen. Ohne die Plünderung der Sozialkassen wäre auch die Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge um 1,7 % zum 1. Januar 1994 vermeidbar gewesen.
Die drastischen Einschnitte in das soziale Netz führen andererseits auch nicht zu einer höheren Verteilungsgerechtigkeit. Mit seinen Äußerungen zum „kollektiven Freizeitpark" schürt der Bundeskanzler dagegen sogar gezielt Ressentiments gegen Erwerbslose und Sozialleistungsempfänger. Diese Gesellschaft ist aber alles andere als ein „kollektiver Freizeitpark". Herr Solms, Sie haben vorhin nur die Adresse verwechselt. Die Führungsriege der konservativ-liberalen Koalition hat sich ihrerseits dagegen eher in einer Art „Jurassic Park" eingerichtet: viel Panzer, wenig Gehirn und mangels Reproduktionsfähigkeit zum Abtreten verurteilt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Diese fossile Bundesregierung hat nun angekündigt, Mißbräuche im Steuer- und Sozialsystem entschieden bekämpfen zu wollen. Wo wird da angesetzt? Wieder bei den Arbeitslosen und den Empfängem von Sozialleistungen, anstatt gegen die Steuerkriminalität Zeichen zu setzen. Die so zu erwartenden Mehreinnahmen stehen in keinem Verhältnis zu den tatsächlich durch kriminellen Mißbrauch ausfallenden Steuern. Was sind die prognostizierten Einnahmen in Höhe von 1,4 Milliarden DM 1994 im Verhältnis zu geschätzten dreistelligen Milliardenbeträgen, die dem Staat durch kriminelle Steuerhinterziehung verlorengehen? Da muß man ansetzen.
Bezeichnend für diese Regierung ist so auch, daß sie bei der Zinsbesteuerung das Steuergeheimnis und den Datenschutz hochhält, während sie bei der Bekämpfung des Leistungsmißbrauchs bei der Sozialhilfe keine Bedenken gegen die Weitergabe personenbezogener Daten hat — ganz im Gegenteil.
Damit wären wir schon beim Thema Menschenrechtspolitik. Auch hier klafft in vielen Bereichen ein Widerspruch zwischen den Koalitionssonntagsreden und dem praktischen Handeln. Dies gilt insbesondere für die Verteidigung der Menschenrechte an sich. Für diese Bundesregierung ist die Verletzung von Menschenrechten, sei es im früheren Jugoslawien oder in China, nichts anderes als eine taktische Verschiebemasse. Da wird der weltweite Einsatz deutscher Soldaten unter UNO-Flagge vorangetrieben — zum Schutz der Menschenrechte, versteht sich —, und während die Bundeswehr in Somalia den Nachschub für drei indische Soldaten sicherstellt — auf Kosten der Steuerzahler natürlich —, reist der Bundeskanzler nach China, um Geschäfte zu machen. Milliardenaufträge aus der Volksrepublik, und schon wird das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens verdrängt und vergessen. Einer der Hauptverantwortlichen wird statt dessen auf einen Gegenbesuch eingeladen. Makaberer geht es fast nicht. Die Übergabe einer Liste mit den Namen von 20 politischen Gefangenen an die chinesische Führung bekommt den faden Beigeschmack einer öffentlichkeitswirksamen Pflichtübung.
China ist sicher einer der großen Zukunftsmärkte, auch für die deutsche Wirtschaft. Gute Beziehungen der deutschen Wirtschaft zu China können zur Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland beitragen. Ist es da aber wirklich zuviel verlangt, trotzdem laut und deutlich den Schutz der Menschenrechte in China einzufordern?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ob Außen- oder Innenpolitik, was vorherrscht, ist Beliebigkeit und Herumdoktern an Symptomen. Nehmen wir die Kriminalitätsbekämpfung. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land haben Angst vor einer Zunahme von Gewaltdelikten. Die Bundesregierung lassen diese Ängste aber weitgehend kalt. Anstatt nämlich die Ursachen wie z. B. die steigende Arbeitslosigkeit, eine verfehlte Jugend- und Familienpolitik und eine falsche Ausländer- und Drogenpolitik zu bekämpfen, werden ganz einfach demokratische Rechte abgebaut. Jüngster Tiefpunkt: der sogenannte große Lauschangriff. In dieser Debatte schimmert kaum noch durch, daß die Argumente der Befürworter von elektronischen Wanzen mehr als schwach sind. Die rechtlichen und politischen Folgen für unser Gemeinwesen werden noch nicht einmal im Ansatz, nicht einmal heute in der Debatte, problematisiert. Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung soll für viele Menschen nicht mehr gelten. Die Unschuldsvermutung wird abgeschafft. Die Befürworter des großen Lauschangriffs ignorieren schlicht und ergreifend, welche Erfahrungen wir mit zwei Schnüffelsystemen in diesem Jahrhundert in Deutschland sammeln mußten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir halten diese Mittel weder zur Bekämpfung neuer Kriminalitätsformen für effektiv, noch sind sie geeignet, den Schutzinteressen der Bevölkerung und der Bekämpfung der Alltagskriminalität gerecht zu werden.
Aber wohin geht nun die Sozialdemokratie unseres Landes? Es ist doch kein Zufall, daß die Sozialdemokraten auf ihrem Parteitag dem großen Lauschangriff zugestimmt haben. Dies war nach den Koalitionsverhandlungen von Hamburg ein weiterer Hinweis auf den künftigen Weg der SPD. Oder, wie vergangene Woche in der „taz" zu lesen war: „Mit Scharping kehrt Schmidt an die Spitze der SPD zurück. " Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands läuft den Konserva-



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tiven hinterher und entwickelt sich zusehends zum Schoßhündchen der CDU.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das lassen Sie einmal unsere Sorge sein!)

Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, das Ziel haben, eine Große Koalition zu bilden, dann sagen Sie das bitte laut und deutlich. Ihr Vorsitzender hat die Chance dazu. Ihre möglichen Wählerinnen und Wähler haben schon vor der Wahl ein Recht darauf, zu erfahren, ob die SPD und, wenn ja, wie die SPD Kohl ablösen möchte.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Der Wähler löst ihn ab! Wir wollen wählen und nicht manipulieren!)

Die Bürgerinnen und Bürger wollen wissen, ob die SPD überhaupt noch über innovative Kräfte verfügt und zu einem tatsächlichen Machtwechsel bereit ist. Die Wählerinnen und Wähler wollen wissen, ob die SPD ihre Antworten an einer verantwortlichen sozialökologischen Perspektive orientiert. Das Wort Ökologie ist auf Ihrem Parteitag sehr, sehr knapp gewesen.
Wenn die SPD nicht den Mut aufbringt, eine Wende zu vollziehen, dann sage ich den Wählerinnen und Wählern: Im Superwahljahr 1994 sind BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN dann die einzige Alternative zu dem noch Schwarz-Kohl und dem neuen Rot-Kohl. Nur wir stehen für einen wirklichen ökologischen Strukturwandel. Die Bundesrepublik braucht eine Wirtschaftspolitik, die in Ostdeutschland die Überlebenschancen der noch vorhandenen industriellen Substanz soweit wie möglich wahrt. Wir brauchen in ganz Deutschland eine soziale und ökologische Gestaltung des wirtschaftlichen Umbruchs.
Auf dem Programm verantwortlicher Wirtschaftspolitik stehen heute zwei zentrale Aufgaben: zum einen der ökologische Umbau, das Umsteuern auf ein umweltverträgliches Wirtschaften, und zum zweiten die Erhaltung bestehender und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Beide Aufgaben müssen und können miteinander verzahnt werden. Dazu brauchen wir eine ökologische Steuerreform.
In einem ersten Schritt fordern wir die Einführung einer allgemeinen Energiesteuer, eine drastische Erhöhung der Mineralölsteuer und eine Abfallabgabe. Aber — und da unterscheiden wir uns — als Kompensation für diese Belastungen werden wir die Lohnnebenkosten senken, und zwar insbesondere im Bereich der Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Gleichzeitig sind diese Bereiche von versicherungsfremden Leistungen zu entbinden. Leistungen wie die Rentenanpassung oder die Zahlung von Arbeitslosengeld in Ostdeutschland können nicht in erster Linie den Beitragszahlern der Sozialversicherung angelastet werden. Sie sind eine Aufgabe der gesamten Solidargemeinschaft.
Wenn umweltschädliches Verhalten, wenn Ressourcenverbrauch und Energieeinsatz teuer sind, dann kann Arbeitskraft billiger werden. Das fordern Sie doch immer. So leistet der ökologische Wandel einen maßgeblichen Beitrag zur Schaffung sinnvoller Dauerarbeitsplätze.
Der ökologische Umbau unserer hochentwickelten Industriegesellschaft soll zur Leitidee unseres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Handelns werden. Das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN will einen neuen ökologischen Gesellschaftsvertrag, der allen Identifikation und Mithandeln ermöglicht. Wer — wie die Koalition und Teile der SPD — die Umweltpolitik in der Wirtschaftskrise auf Eis legt, gefährdet nicht nur unsere Umwelt, sondern verschlechtert auch die Perspektiven für die wirtschaftliche Entwicklung. Das sollte Ihnen das Beispiel Japan deutlich zeigen.
Die ökologische Ausrichtung der Wirtschaft muß folglich mit einer aktiven Arbeitsmarktpolitik einhergehen. Massenerwerbslosigkeit auf sehr hohem Niveau ist weder ein kurzfristiges Übergangsproblem noch eine schicksalhafte Konsequenz der modernen Industriegesellschaft. Sie ist nur mit einer langfristigen Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik zu überwinden. Dabei geht es um das Drehen an vielen verschiedenen Schräubchen und nicht etwa um die Holzhammermethode.
Arbeitszeitverkürzung muß endlich als Ziel der Politik anerkannt werden, und zwar nicht nur, weil dies ein Beitrag zur Bekämpfung der Massenerwerbslosigkeit ist. Arbeitszeitverkürzung ist auch ein gesellschaftspolitisch relevantes Instrument zur gerechteren Verteilung der Erwerbschancen zwischen Erwerbstätigen und Arbeitslosen, aber auch zwischen Frauen und Männern.
Ein weiterer Schwerpunkt unseres Konzepts liegt dabei in der Verknüpfung von Beschäftigung und Qualifikation. Auf diese Weise kann eine tragfähige Brücke zwischen den öffentlich geförderten Arbeitsplätzen und dem privatwirtschaftlichen Sektor des Arbeitsmarktes gebildet werden.
Arbeitszeitverkürzung, die Schaffung zukunftsgerichteter Arbeitsplätze durch einen klugen und innovativen ökologischen Strukturwandel und eine aktive Arbeitsmarkt- und Qualifikationspolitik, das sind unsere Antworten auf Massenerwerbslosigkeit, Beharrungsvermögen und das Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des Marktes.
Der Staat darf sich nicht der Verantwortung für die Gestaltung unserer Zukunft entziehen. Die wirtschafts- und umweltpolitische Inkompetenz und Richtungslosigkeit der Koalition schafft Zukunftsängste und Vertrauensverluste bei den Menschen in unserem Land.
Wir, das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sind die einzige Alternative zu Schwarz-Kohl und Rot-Kohl. Wir stehen für eine klare und überzeugende Politik der ökologischen Verantwortung. Wir stehen für eine tatsächliche Gesundung des Wirtschaftsstandortes Deutschland — im Interesse der Menschen und neuerdings im Interesse gerade auch der Wirtschaft in unserem Lande.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)





Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1219201900
Das Wort hat nun der Herr Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl.

Dr. Helmut Kohl (CDU):
Rede ID: ID1219202000
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Generalaussprache beim Etat des Bundeskanzlers ist aus guten Gründen eine Gelegenheit, über alle wichtigen Fragen unseres Landes zu sprechen. Ich habe guten Grund, mich zu Beginn dieser Diskussion in einem persönlichen Wort an Sie, Herr Ministerpräsident Scharping, als Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zu wenden. Ich tue dies hier und heute, weil dies die erste Gelegenheit für mich ist, auf eine Äußerung von Ihnen einzugehen; denn ich war, wie jeder weiß, während Ihres Parteitages letzte Woche im Ausland.
Es ist selbstverständlich das gute Recht einer jeglichen Opposition, die Regierung, die Regierungsparteien oder die Regierungsmitglieder und auch den Bundeskanzler anzugreifen. Das ist eine ganz natürliche Sache. Wer dies nicht aushält, darf halt kein Bundeskanzler werden.

(Heiterkeit — Beifall bei der SPD)

Aber, meine Damen und Herren, Sie sehen ja: Ich bin dabei in diesen jetzt beinahe elf Jahren ganz gut gediehen.

(Heiterkeit — Beifall bei der CDU/CSU)

Ich finde jedoch, wir sollten, wenn wir dauernd über politische Kultur reden — nicht zuletzt auch Sie, Herr Ministerpräsident Scharping —, bei aller Gegnerschaft und bei aller Auseinandersetzung wenigstens den Stil im Umgang miteinander wahren. Es ist Ihre Entscheidung, die ich zu respektieren habe, ob Sie einen Kandidaten für ein Amt mögen oder nicht, ob Sie für oder gegen ihn sind. Wer sich um ein wichtiges Amt bemüht und kandidiert, steht natürlich in der öffentlichen Kritik. Aber Sie haben auf Ihrem Parteitag über unseren Freund Steffen Heitmann gesagt, er sei intellektuell bescheiden, politisch ausgelaugt und rechtskonservativ. Das ist jenseits des Erträglichen und Akzeptablen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Herr Ministerpräsident Scharping, wenn das irgend jemand tut, dann ist das eine andere Sache. Aber wenn Sie das tun als Vorsitzender einer großen und traditionsreichen Partei, der zudem Kandidat für das Amt des Regierungschefs der Bundesrepublik Deutschland ist, dann ist das, wie ich denke, etwas ganz anderes. Ich richte ganz einfach die Frage an Sie: Haben Sie das nötig?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich glaube, Sie sollten sich ein Beispiel an dem nehmen — ich fordere Sie nicht dazu auf, ich bitte Sie darum —, was zwei bekannte Persönlichkeiten unseres Landes in diesen Tagen gesagt haben. Bärbel Bohley schreibt:

(Unruhe bei der SPD)

Ich bin keine Freundin von Steffen Heitmann. Aber jeder der vier Bewerber hat seine Vor- und Nachteile. Darüber muß man reden. Was aber gegen Heitmann läuft, ist eine Kampagne.
Weil Sie eben unruhig geworden sind, nehmen Sie bitte auch diese Äußerung zur Kenntnis — ich zitiere wörtlich aus einem Leserbrief —:
Ohne die Umstände der Entstehung und Verbreitung eines Satzes, der Steffen Heitmann öffentlich diffamiert, hier zu erläutern, bedaure ich sehr, daß mein Name mit solch einer Entgleisung verbunden ist. Die heftigen Reaktionen sind mehr als berechtigt. Ich bin in eine journalistische Falle gelaufen und bin daran nicht schuldlos. Die Klärung des Vorgangs ist nicht abgeschlossen. Ein schlimmer Satz schlägt seither wie ein Bumerang auf mich zurück. Soweit das überhaupt möglich ist, distanziere ich mich davon. Bei all meinen grundsätzlichen Einwänden gegen Steffen Heitmanns Ansichten darf persönliche Herabwürdigung nicht zum Stil unserer politischen Kultur gehören. Friedrich Schorlemmer.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Herr Ministerpräsident, ich hoffe, daß Sie auch heute hier das notwendige Wort finden.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, heute vor fast genau vier Jahren, am 28. November 1989, haben wir — das sage ich nicht zuletzt zu dem letzten Sprecher hier, dem Sprecher der Fraktion der GRÜNEN — im Deutschen Bundestag darüber gesprochen, wie wir die deutsche Teilung überwinden könnten. Der Fall der Berliner Mauer lag keine drei Wochen zurück. Ich habe damals die Etappen auf dem Weg zur deutschen Einheit in einem Zehn-Punkte-Programm zusammengefaßt.
Die Entwicklungen in den darauffolgenden Monaten haben unsere kühnsten Hoffnungen und Erwartungen übertroffen. Zehn Monate später, am 3. Oktober 1990, war die staatliche Einheit Deutschlands in Frieden und Freiheit verwirklicht, mit Zustimmung unserer Freunde, Partner und Nachbarn. Darüber freuen wir uns heute genauso wie vor vier Jahren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Heute geht es nun darum, daß wir die innere Einheit unseres Landes vollenden und das europäische Einigungswerk in einer Welt fortsetzen, die sich täglich und tiefgreifend verändert. Genau in dieser Welt von heute müssen wir, die Deutschen, unser Können bewahren, unsere Fähigkeiten erneut unter Beweis stellen. Wir erleben das nicht zuletzt im ökonomischen Bereich: In den meisten Bereichen ist unsere Wirtschaft nicht schlechter geworden, aber andere sind in diesen Jahren sehr viel besser geworden.
So haben sich im Fernen Osten schon seit längerem moderne und leistungsfähige Volkswirtschaften entwickelt. Die Tagung der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft in der vergangenen Woche im amerikanischen Seattle hat die Bedeutung dieser riesigen Region für jedermann deutlich gemacht.
Die Länder dieser Wirtschaftsgemeinschaft — man muß sich das immer wieder vor Augen führen — erwirtschaften rund die Hälfte des Bruttosozialprodukts der Welt. Ich finde es ziemlich nachdenkenswert, daß hier erstmals ein Gremium von solcher



Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Bedeutung und mit solcher Zukunftsperspektive zusammentrat — das wird in Europa kaum zur Kenntnis genommen —, an dem Europa überhaupt nicht teilnahm. Ich denke, es ist höchste Zeit, daß wir in Europa erwachen und diese Tatsachen zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Wachstumsregion Asien ist für Deutschland als zweitgrößte Handelsnation der Welt von zentraler Bedeutung. Das gilt für die Gegenwart und erst recht für die kommenden Jahre, die ins nächste Jahrhundert führen.
Auch aus diesem Grunde habe ich in diesem Frühjahr eine Asien-Reise durch fünf Länder unternommen. Ziel der Reise war die Intensivierung unserer wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen in dieser wichtigen Region.
Herr Kollege Klose, als ein Mann, den ich schätze, frage ich Sie: Wie können sie sich hier hinstellen und sagen, wir hätten uns nicht um den Auftrag für den deutschen Schnellzug in Korea gekümmert? Sie haben François Mitterrand erwähnt, aber der Bundesaußenminister, ich selbst und eine ganze Reihe unserer Kollegen waren ebenfalls dort und haben das Mögliche getan.
Wenn die Geschichte der Vergabe dieses Zug-Auftrages einmal geschrieben wird, dann wird sicherlich festgestellt, daß es nicht am deutschen Angebot lag, daß Deutschland nicht den Zuschlag erhielt, sondern daß andere Faktoren hinzugekommen sind, die mit Sicherheit Ihre Unterstützung nicht gefunden hätten. Bevor Sie also einen solchen Vorwurf erheben, sollten Sie Ihre Worte noch einmal genau überprüfen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir haben unmittelbar nach meiner Rückkehr damals aus Asien die Ergebnisse analysiert und in einer engen Kooperation mit der Wirtschaft ausgewertet. Das Resultat dieser Arbeit war eine umfassende Asien-Konzeption, die wir in der Bundesregierung verabschiedet haben und die, wie ich hoffe, in ein paar Tagen hier im Hohen Hause im Zusammenhang mit der Asienpolitik als Ganzes diskutiert wird.
In diesem Zusammenhang — das will ich hier ausdrücklich positiv hervorheben — hat die deutsche Wirtschaft ihrerseits einen Asien-Pazifik-Ausschuß gegründet, der vor allem die vielfältigen Aktivitäten von Unternehmen und Verbänden bündelt und vor Ort zur Wirkung bringen soll.
Wegen der großen politischen und wirtschaftlichen Bedeutung Asiens bin ich in der vergangenen Woche ein weiteres Mal in das größte Land dieser Region, in die Volksrepublik China, gereist. Ich konnte mich dort — wie auch viele von Ihnen in diesen Jahren— von der Entschlossenheit und dem Leistungswillen überzeugen, mit dem die Volksrepublik China Kurs auf die Weltmärkte nimmt.
Es ist beeindruckend, vor allem für einen Deutschen und Europäer, in welchem Tempo dort modernste Produktionsanlagen im Weltstandard errichtet werden. Wir alle müssen doch wissen und zur Kenntnis
nehmen, daß sich dieses Land mit weit über 1 Milliarde Menschen in den kommenden Jahren zu einer großen Wirtschaftsmacht entwickeln wird. Deswegen ist es wichtig, daß unsere eigene Wirtschaft mit Unterstützung der Politik intensive Beziehungen mit China im Handel, bei Investitionen und Joint-ventures pflegt, und zwar mehr noch, als dies bislang der Fall war.
Wir haben versucht — ich denke, das ist uns gelungen —, mit diesem Besuch ein neues Kapitel in den politischen und wirtschaftlichen Beziehungen unserer Länder aufzuschlagen. Die mich begleitenden deutschen Unternehmer konnten Aufträge und Absichtserklärungen im Wert von rund 7 Milliarden DM mit nach Hause bringen, und es besteht eine gute Chance, daß wir diese Zahl noch in sehr naher Zukunft erhöhen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, natürlich hat dann auch das Ergebnis dieser Reise bereits unmittelbar hier zu Hause etwas mit Sicherung von Arbeitsplätzen und Schaffung neuer Arbeitsplätze zu tun. Es ist ein wichtiges Signal in einer rezessiven Phase, das wir hier mit setzen konnten.
Wir wollen auch im politischen Bereich die Konsultationen enger gestalten. Wir wollen vor allem unser Augenmerk auf die Verstärkung der Zusammenarbeit in den Bereichen Kultur und Ausbildung richten. Deutschland genießt in diesem Teil der Welt — nicht zuletzt durch die Arbeit von deutschen Sinologen — höchstes Ansehen.
Ich möchte einmal mehr, wie ich es oft von dieser Stelle aus schon getan habe, warnend sagen: Wir dürfen unsere internationalen Beziehungen nicht auf rein ökonomisch-politische verkümmern lassen.

(Beifall des Abg. Hans-Ulrich Klose [SPD])

Die kulturelle Dimension ist von allergrößter Bedeutung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vor allem setze ich darauf, daß wir im Blick auf Ausbildungsprogramme angesichts unseres in China besonders geschätzten dualen Systems bei der Ausbildung von Lehrlingen und Facharbeitern Unterstützung leisten können. Ich möchte auch — ich will das hier gleich mit anführen — bei meinem nächsten Gespräch mit den Ministerpräsidenten unserer Bundesländer noch einmal einen Versuch unternehmen herauszufinden, was wir tun können, um trotz der schwierigen Haushaltslage einen neuen Anlauf für wesentlich mehr Stellen im Lehrerbereich für die deutsche Sprache machen zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich habe, meine Damen und Herren, bei diesem Besuch natürlich auch die Menschenrechte angesprochen.

(Zuruf von der SPD)

— Ich habe da keinen Nachholbedarf, Herr Abgeordneter. Ich habe zu einem Zeitpunkt, als andere die



Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Solidarnosc bei Tag nicht grüßten, direkten Kontakt zur Solidarnosc gehabt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich habe alle meine Gesprächspartner auf die große Bedeutung dieser Frage für uns in Deutschland und unsere Partner für viele in der Welt, aber natürlich auch für die politische Führung der Volksrepublik China hingewiesen. Ich habe der chinesischen Regierung in Abstimmung mit Amnesty International und dem Kommissariat der deutschen Bischöfe eine Liste von über 20 Namen übergeben. Wenn Sie das hier kritisieren, verstehe ich das nicht, denn der Versuch muß doch gemacht werden, Menschen konkret zu helfen und sich nicht in allgemeinen Floskeln über Menschenrechte zu ergehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Daraus kann dann auch konkret etwas erwachsen.
Vor allem habe ich damit die Chance, in der Nacharbeit zu diesem Gespräch immer wieder auf diese Namen zurückzukommen und es nicht bei allgemeinen und unverbindlichen Reden zu belassen.
Aus meinen Gesprächen bringe ich die Zuversicht mit, daß in diesem Jahr auch in anderen Fällen bei den politisch Verantwortlichen die Bereitschaft wächst, vielleicht auch die Erkenntnis, daß Menschen- und Bürgerrechte stärker respektiert werden müssen und daß dies auch im Sinne des internationalen Ansehens der Volksrepublik China ist.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, bei meinem Rückflug aus China habe ich vorgestern Präsident Jelzin in Moskau getroffen.

(Zuruf von der SPD)

— Ich habe auch nichts dagegen, wenn Sie das erwähnen. Es zeigt ja, daß wir ganz normale Beziehungen haben, wenn wir zusammen in die Sauna gehen. Wenn Sie daran Anstoß nehmen, habe ich keinen Einwand dagegen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Aber nicht jeden mitnehmen!)

— Das ist in der Tat wahr, was der Finanzminister sagt: Nicht mit jedem würde ich dort hingehen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In meinen Gesprächen mit Boris Jelzin habe ich bekräftigt, daß die demokratischen und reformorientierten Kräfte in Rußland weiterhin unsere volle Unterstützung haben. Ich denke, das ist die Meinung des ganzen Hauses.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Präsident Jelzin hat mich ausführlich über die innere Entwicklung seines Landes unterrichtet, und ich kann nur immer wiederholen, was ich hier schon früher gesagt habe. Seine Darlegungen haben meinen Eindruck verstärkt, daß er und die Reformkräfte in seinem Land aufrichtig und mit aller Kraft danach streben, eine lebensfähige Demokratie aufzubauen.
Angesichts so mancher Kommentare in Deutschland und anderswo im Westen möchte ich doch sagen: Wir sollten uns davor hüten, bei diesem so ungeheuer schwierigen Demokratisierungsprozeß automatisch rein westliche Maßstäbe anzulegen.
Ich habe Boris Jelzin zugesagt, mich nach Kräften für den baldigen Abschluß des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Union und Rußland einzusetzen. Wir haben dabei auch über die künftige Rolle, die dieses wichtige Nachbarland Deutschlands in Europa spielen muß, gesprochen. Wir waren uns auch einig, daß wir eine Sicherheitsordnung für ganz Europa anstreben müssen, in die Rußland einbezogen ist, aber in der auch die Ängste der unmittelbaren Nachbarn in Mittel-, Ost- und Südosteuropa berücksichtigt werden.
Ich habe Präsident Boris Jelzin eingeladen, im Mai des kommenden Jahres zu einem offiziellen Besuch nach Deutschland zu kommen. Er hat diese Einladung angenommen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, bei allen meinen Gesprächen mit Partnern aus vielen Ländern der Welt höre ich: Ihr Deutschen habt doch jetzt die Einheit in Frieden und Freiheit erreicht; ihr seid eines der wichtigsten und reichsten Länder dieser Erde; seid ihr nun auch bereit, eure Verantwortung bei der Erhaltung von Frieden und Stabilität in der Welt wahrzunehmen? — Die Erwartung der Weltgemeinschaft ist klar: Deutschland soll uneingeschränkt an Aufgaben und Einsätzen der Vereinten Nationen zur Erhaltung und Wiederherstellung des Friedens mitwirken können. Wer den Frieden will, der muß auch helfen, ihn zu erhalten. Wer gegen Blutvergießen ist, der muß auch helfen, es zu beenden. Die Erfahrung der Geschichte zeigt: Mit Blauhelmeinsätzen allein läßt sich der Frieden eben nicht bewahren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, wer diesen Satz ablehnt, ist dann in der internationalen Politik auch nicht handlungsfähig. Wer nicht handlungsfähig ist, ist nicht bündnisfähig. Wer nicht bündnisfähig ist, ist auf die Dauer auch nicht regierungsfähig. Auch dies gehört dazu.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren von der SPD, wer Ihre Beschlüsse dazu liest, kann nur mit Bestürzung feststellen: Sie haben nichts dazugelernt und sind auch offensichtlich nicht bereit, etwas dazuzulernen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

1983 waren Sie gegen den Doppelbeschluß der NATO, an dem mein Amtsvorgänger als wesentlicher Autor mitgewirkt hat. Es ist dieser Amtsvorgänger, Herr Ministerpräsident Scharping, der Sie jetzt berät. Sie sollten ihn einmal fragen, was er von dem hält, was Ihre Partei 1983 in dieser Sache veranstaltet hat.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Die haben ihn deswegen ja gestürzt!)

Die Durchsetzung des NATO-Doppelbeschlusses war
doch — dies ist inzwischen ganz unstreitig — eine der
wesentlichen Voraussetzungen für den Zusammen-



Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
bruch des Kommunismus und damit für die Überwindung des Ost-West-Gegensatzes.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ohne diese Veränderung hätte es die deutsche Einheit nicht gegeben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ginge es nach den Parteitagsbeschlüssen der SPD, würde Deutschland auf einen Sonderweg und damit, was für unsere geographische Lage das Schlimmste ist, ins Abseits geraten. Sie wissen dies ganz genau und fassen trotzdem derartige Beschlüsse, weil Sie glauben, damit bei der Wahl politische Geschäfte machen zu können, oder weil Sie damit innerparteiliche Gegensätze zudecken wollen.
Meine Damen und Herren, Willy Brandt hat Ihnen in einer wichtigen Stunde Ihrer Parteigeschichte zugerufen, daß die Sozialdemokraten keine Weltmacht seien und daß sich die Welt nicht nach der Beschlußlage von SPD-Parteitagen richtet. Genau das ist der Fall. Auf diesem Weg werden Sie international eben nicht regierungsfähig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zurufe von der SPD)

Ich kann nur sagen: Herr Ministerpräsident Klose — — Entschuldigung! Herr Klose, aber Sie waren dies ja auch einmal; es ist also verständlich, wenn ich Ihren Namen nenne. — Herr Ministerpräsident Scharping, Sie sollten hier nicht nach Tagesmehrheiten schielen, sondern sich an dem orientieren, was der frühere Hamburger Bürgermeister und jetzige Kollege Klose dazu gesagt hat.
Meine Damen und Herren, auf Ihrem Parteitag gab es wieder das ebenso bösartige wie absurde Gerede von der Bundeswehr als Interventionsarmee.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Pfui!)

Der humanitäre Einsatz unserer Soldaten in Somalia hat dazu beigetragen, hungernden Menschen zu helfen. Wenn diese Hilfe nun von einer Sprecherin der SPD als „Abenteuer" und „Farce" bezeichnet wird, ist das nicht nur, wie bei dieser Dame nicht anders zu erwarten, ein Ausdruck unerhörter Arroganz und menschlicher Kälte, sondern auch eine Beleidigung des Dienstes unserer Soldaten.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, in allen Reden — das ist auch gut so — wurde zu Recht die Frage der inneren Sicherheit angesprochen. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Herr Klose, hat am heutigen Tag die Mordtat von Mölln und all das, was geschehen ist, in Erinnerung gerufen. Ich stimme ihm ausdrücklich zu, gerade bei einer solchen Gelegenheit nicht nur darüber zu reden, sondern das Menschenmögliche zu tun, damit Gewalt in Deutschland keine Chance hat.
Meine Damen und Herren, die Bürger erwarten zu Recht, daß wir alle — hier sind vor allem Bund und Lander gemeinsam gemeint — die innere Sicherheit als ein zentrales Thema begreifen. Der Bundesinnenminister, Manfred Kanther, hat in dem von ihm
vorgelegten „Sicherheitspaket '94" klar aufgezeichnet, vor welchen Bedrohungen wir stehen und was getan werden muß.
Ich möchte an dieser Stelle vor allem die Forderung wiederholen, die Polizeipräsenz vor Ort zu verstärken und die Beschleunigung der Strafverfahren endlich möglich zu machen. Wir müssen jetzt alles tun, um der bedrohlichen Entwicklung der Kriminalität entschlossen entgegenzutreten; denn auch das hat sehr viel damit zu tun, ob unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger diesen Staat als handlungsfähig, als ihren Staat erkennen. Wir alle tragen dabei gemeinsam Verantwortung. Der Rechtsstaat darf vor Verbrechen nicht zurückweichen.
Ich finde, es bringt uns auch nichts, wenn wir wie auch in anderen Feldern Verantwortung sozusagen hin- und herschieben. Die Verfassungsordnung ist klar: Die Länder sind weitgehend für Polizei und Justiz zuständig. Sie müssen sicherlich mehr als bisher dazu beitragen, die innere Sicherheit zu gewährleisten. Wenn wir ja sagen — wir tun dies aus Überzeugung zur föderalen Ordnung —, muß sich die föderale Ordnung auch in einer solch schwierigen Frage bewähren. Ich kann für die Bundesregierung nur noch einmal betonen, daß wir jede nur denkbare und mögliche Zusammenarbeit wünschen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, unser Land braucht klare Zukunftsperspektiven gerade in einer Zeit von Rezession und Strukturwandel. Deshalb haben wir in der Bundesregierung Anfang September den Bericht zur Zukunftssicherung des Standorts Deutschland vorgelegt. Wir haben hierüber vor gut einem Monat debattiert und berichtet. Die Diskussion ist erfreulicherweise weiter in Gang gekommen ungeachtet der Einwände, die ich heute auch hier gehört habe.
Herr Kollege Klose, diese Frage aber ist schon berechtigt: Was hat Ihre Partei auf Ihrem Parteitag zu dieser Debatte beigetragen?

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sehr wahr! — Zuruf von der SPD)

— Wir müssen nicht da gewesen sein. Man kann Sie in dem, was Sie tun, auch begreifen, wenn man nicht dabei ist, meine Damen und Herren.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Zusammenfassung ist relativ einfach: Notwendige Einsparungen, die die Bundesregierung vorsieht und die in Wahrheit jeder von Ihnen für sich allein
— ob in jedem Detail, will ich jetzt gar nicht untersuchen, aber im Prinzip — für richtig hält, werden pauschal als Sozialabbau abqualifiziert. Damit wir als Bundesregierung nicht ganz allein auf der Anklagebank sitzen, wird der Bundesbank bescheinigt, daß sie die Wirtschaft zurückgeworfen habe. Übrigens fühle ich mich auf der Bank gemeinsam mit der Bundesbank sehr wohl. Auch das sage ich gern einmal bei dieser Gelegenheit.
Unsere Antwort an Sie ist ziemlich klar: Mit Umverteilungsdiskussion und Sozialneid läßt sich der Standort Deutschland nicht sichern. Das war in den ganzen 80er Jahren so, und das gilt auch heute. Daß das Ihr



Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Wahlkampfthema ist, kann jeder voraussehen; aber Sie werden damit keine großen Erfolge haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zuruf von der SPD: Abwarten!)

— Aber, meine Damen und Herren, ich warte es ja ab. Sie warten ja auch ab, und jetzt warten Sie beinahe zwölf Jahre! So ist das im Leben.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

In Wahrheit weiß jeder: Die Sicherung vorhandener und die Schaffung neuer Arbeitsplätze sind eine gemeinsame Pflicht des Landes. Es geht hierbei nicht nur um Ökonomie. Es geht um die Betroffenen, die arbeitslos sind, die aus dem Ablauf ihres normalen Lebens herausgeworfen werden. Es geht nicht nur um den einzelnen, es geht natürlich immer auch um die betroffenen Familien.
Zur Sicherung der Zukunft unseres Landes müssen wir uns die Aufgaben jetzt nicht nur stellen und definieren, sondern sie lösen. Ich sehe vor allem zehn Aufgaben.
Erstens. Wir müssen die Rezession überwinden. Die Wirtschaftsexperten beurteilen die Konjunkturaussichten unterschiedlich. Die Forschungsinstitute sagen in ihrem Herbstgutachten für das nächste Jahr in den alten Bundesländern ein Wachstum von 1 % voraus. Der Sachverständigenrat rechnet mit einem Nullwachstum. Auf jeden Fall bleibt der Aufstieg aus dem Konjunkturtal beschwerlich. Der wichtigste Grund liegt darin, daß unsere konjunkturelle Situation deutlich von den strukturellen Problemen überlagert wird.
Der Kollege Klose als jemand, der lange in einem Bundesland Verantwortung getragen hat, weiß, wie die Etatlage aussieht. Als jemand, der sich in der Wirtschaft auskennt, wissen Sie, daß an diesen strukturellen Problemen — ich wiederhole, was ich kürzlich hier in der Debatte gesagt habe — alle beteiligt sind. Diese Probleme sind nicht gestern und vorgestern gewachsen, sondern in einer langen Zeit. Natürlich ist die jetzige Bundesregierung genauso daran beteiligt wie frühere Bundesregierungen, wie Landesregierungen,

(Unruhe bei der SPD)

wie Kommunalpolitiker, wie Wirtschaft und Gewerkschaften. Dies ist doch eigentlich in einer seriösen Diskussion heute überhaupt nicht mehr zu bestreiten. Deswegen sollten wir uns die Zeit sparen, darüber zu reden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es gilt auch die zweite These, daß diese Strukturprobleme Probleme der alten Bundesrepublik sind und nicht mit der deutschen Einheit zu tun haben. Wir sollten damit aufhören, in der Bevölkerung in Westdeutschland den Eindruck zu erwecken, das sei alles eine Folge der deutschen Einheit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wahr ist, daß die Boomjahre mit hohen Wachstumsraten im vergangenen Jahrzehnt in vielen Bereichen
dazu verleitet haben, notwendige Anpassungen an veränderte Wettbewerbsverhältnisse zu unterlassen.

(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Heute müssen wir diese Veränderungen, ob es uns paßt oder nicht, unter schwierigeren Bedingungen in einem schmerzhaften Prozeß vornehmen. Das bedeutet: Auf einen konjunkturellen Aufschwung zu warten reicht allein nicht aus. Wir müssen jetzt und heute erstarrte Strukturen aufbrechen. Dazu ist zunächst die Fähigkeit zum Umdenken notwendig, und zwar nicht nur beim anderen, sondern auf jeder Seite.

(Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Energiekonsens!)

Zweitens. Wir müssen in Deutschland vorrangig Arbeitsplätze sichern und neue Beschäftigung schaff en. Zu dieser Frage hat auch der Sachverständigenrat klare Aussagen gemacht. Es heißt dort:
Die Tarifpolitik darf die Einkommenswirkung des Lohns für alle, die sichere Arbeit haben, nicht in den Vordergrund stellen. Im Interesse all derer, die keine Arbeit haben oder deren Arbeitsplätze gefährdet sind, gebührt jetzt der Beschäftigungswirkung der Vorrang.
Ich finde, diesen Sätzen ist nichts hinzuzufügen. Es ist so: Die Nachfrage nach Arbeitsplätzen — Herr Klose, da sind wir, glaube ich, nicht weit voneinander entfernt — hängt sicher nicht allein, aber doch ganz wesentlich von Arbeitskosten ab. Löhne, Arbeitszeiten, Maschinenlaufzeiten — all diese Kostenfaktoren werden in Tarifverträgen geregelt. Die Tarifverträge tragen bekanntlich zwei Unterschriften. In erster Linie wird in solchen Verträgen über Chancen von Arbeitsplätzen und Beschäftigung in Deutschland bestimmt. Ich sage das nicht in billiger Weise, indem ich auf Gewerkschaften zeige oder auf die Wirtschaft.
Meine Damen und Herren, wir haben damals darüber diskutiert: Wenn man noch einmal die Lohnrunde im öffentlichen Dienst, die damals zu Streiks führte, rekapituliert, muß doch jeder von uns, der heute nüchtern die Lage betrachtet, erkennen, daß die damalige Höhe des Abschlusses ein Fehler war. Ob man das mag oder nicht, das war so.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Hans-Ulrich Klose [SPD]: Dazu hat Möllemann beigetragen!)

— Ich sage das, Herr Kollege Klose, obwohl ich meine Zustimmung gegeben habe und die Bundesregierung mit unterschrieben hat. Ich drücke mich ja nicht vor der Verantwortung. Aber wir müssen doch fähig sein, im nachhinein zu erkennen, daß wir einen Fehler begangen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Hans-Ulrich Klose [SPD]: Der Wirtschaftsminister hat dazu beigetragen! — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die Zahlen hat Herr Möllemann genannt!)

— Sie können Herrn Möllemann vieles vorwerfen.
Aber er hat doch nicht für den öffentlichen Dienst
Verantwortung getragen. Sie brauchen Ihre alten



Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Vorurteile doch jetzt nicht an diesem Punkt abzureagieren, verehrte Kollegen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die 80er Jahre haben gezeigt, wie eine maßvolle Tarifpolitik und eine solide Wirtschafts- und Finanzpolitik Millionen Arbeitsplätze neu schaffen können. Herr Abgeordneter Klose, es geht doch darum: Es war nicht nur die Bundesregierung, es war die Wirtschaft, es waren die Gewerkschaften, die uns in den 80er Jahren durch gemeinsame Arbeit die erstaunlich gute Zahl von drei Millionen neuer Arbeitsplätze gebracht haben. Deshalb ist es, so glaube ich, jetzt wichtig, daß wir uns orientieren, damit wir erkennen, was wir damals richtig gemacht haben, und aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen versuchen.
Es nützt uns auch nicht, nach utopischen Patentrezepten zu suchen. Aber es nützt uns wohl, ausgetretene Pfade zu verlassen und neue, vielleicht auch unkonventionelle Lösungen zu suchen. Einer meiner Vorredner hat gerade über Arbeitszeitmodelle gesprochen. Meine Damen und Herren, es hat lange gedauert, bis wir uns in dieser Frage in Bewegung gesetzt haben.
Ich begrüße es, daß jetzt auch in den Gewerkschaften die Erkenntnis gewachsen ist, daß das, was bisher als unverrückbar und als ein sozialer Abstieg galt, neu überprüft werden muß, auch um dem Willen der Betroffenen zu entsprechen. Denn die Umfragen belegen doch, daß eine große Mehrheit die Sicherung von Arbeitsplätzen und Beschäftigung ganz hoch einordnet.
Stellen Sie sich einmal vor, was in diesem Haus passiert wäre, wenn ich dies vor zwei Jahren an diesem Pult gefordert hätte. Wenn vernünftigerweise jetzt ganz offen, auch in Gewerkschaftskreisen, vom Verzicht auf Einkommenszuwächse gesprochen wird

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Bei Arbeitszeitverkürzung!)

— das können Sie doch drehen und wenden, wie Sie wollen; es geht um einen Verzicht auf Einkommenszuwächse —, dann sind wir doch endlich auf einem vernünftigen Weg. Denn es geht doch darum, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Durch flexiblere Arbeitszeitregelungen ist es auch möglich, die Teilzeitarbeit erheblich auszuweiten. Wieso tun wir hier nicht mehr? Wieso ;st es möglich, daß wir als eines der wichtigsten Länder in Europa unter den Zwölf der Gemeinschaft in der Frage der Teilzeitarbeit immer noch auf dem letzten Platz rangieren? Das zeigt doch, daß auf den verschiedensten Seiten Notwendiges versäumt wurde, zumal wir wiederum wissen, daß nicht wenige, die auf dem Arbeitsmarkt sind, und auch die, die einen Arbeitsplatz suchen, durchaus bereit wären, Halbtagsarbeit anzunehmen. Die alten Ausreden, daß diese Sache für die Bürokratie des jeweiligen Unternehmens nicht mehr zumutbar sei, können doch im Computerzeitalter nicht mehr gelten.
Das neue Arbeitszeitgesetz, mit dem wir flexiblere Arbeitszeiten und längere Maschinenlaufzeiten ermöglichen, liegt jetzt dem Hohen Hause vor. Wenn es intelligent und konsequent genutzt wird, ist natürlich zusätzliche Beschäftigung bei geringeren Produktionskosten möglich. Das muß jetzt geschehen. Ich kann nur hoffen, daß der Appell an die Tarifparteien Frucht trägt, erfolgreich ist und diese neuen Modelle schon 1994 in die Praxis umgesetzt werden können.
Drittens. Wir müssen den Aufbau Ost und damit den Aufholprozeß der neuen Lander weiter vorantreiben. Wir alle wissen, daß dieser Prozeß teurer und langwieriger wird, daß er von den Menschen in den neuen Ländern ein hohes Maß an Anpassungsbereitschaft, an Mut und Zuversicht und eine Eingewöhnung in völlig veränderte Verhältnisse abverlangt. Wir wissen, daß daraus auch verständliche Sorgen, verständliche Ängste und Nöte entstehen.
Aber zu einem wirklichen und realistischen Bild Deutschlands in den neuen Ländern gehört die objektive Wahrnehmung dessen, was bisher an Fortschritten erreicht wurde. Es ist an der Zeit, daß wir all denen entgegentreten, die ihre billigen politischen Geschäfte in diesem Bereich mit Miesmacherei betreiben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

So kommt der Sachverständigenrat in seinem jüngsten Gutachten zu dem Ergebnis — ich zitiere —:
Die Wirtschaftslage in den neuen Bundesländern hat sich auch unter den erschwerten Bedingungen einer Rezession in Westdeutschland weiter verbessert.
Der Sachverständigenrat erwartet für dieses Jahr in den neuen Ländern ein Wirtschaftswachstum in der Größenordnung von 6,5 %. Für das nächste Jahr nennt er die Zahl 7,5 %.
Ich glaube, es ist wichtig, in diesem Zusammenhang einmal darauf hinzuweisen, welche enormen öffentlichen und privaten Aufwendungen hinter diesen Zahlen stehen. Das wird erst dann deutlich, wenn man in Rechnung stellt, daß die notwendigen Mittel in Höhe von dreistelligen Milliardenbeträgen weiter aufgebraucht werden, und das, obwohl wir in Westdeutschland konjunkturelle Schwierigkeiten ersten Ranges haben und obwohl Erträge, Wachstum und Reallöhne rückläufig sind.
Wenn wir diese unterschiedliche Situation in Ost- und Westdeutschland insgesamt betrachten, dann wird auch klar — das sollte dankbar hervorgehoben werden —, in welch großem Ausmaß Bürgerinnen und Bürger und nicht zuletzt auch die Wirtschaft in Deutschland wirkliche Solidarität praktizieren.
Dies geschieht in einem Umfang, der bis an die Grenze des wirtschaftlich und finanzpolitisch Machbaren geht. Deswegen — das will ich ganz klar sagen — ist es für uns in der Koalition und in der Bundesregierung nicht möglich, weitere Wohltaten in Aussicht zu stellen, von denen kein Mensch weiß, wie sie erwirtschaftet und bezahlt werden können. Was jetzt absoluten Vorrang haben muß, sind die Siche-



Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
rung von Arbeitsplätzen und die Beschaffung neuer Arbeitsplätze und Beschäftigungsmöglichkeiten.
Herr Klose, Sie haben mich in diesem Zusammenhang angesprochen — was mich bei Ihrem Informationsstand wiederum erstaunt hat —, was den Absatz ostdeutscher Produkte betrifft. Die von mir zu Anfang dieses Jahres initiierte Einkaufsoffensive neue Bundesländer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und der Treuhandanstalt ist doch in Schwung gekommen. Das Einkaufsvolumen der beteiligten Unternehmen wird noch in diesem Jahr auf mehr als 13 Milliarden DM steigen. Die Unternehmen halten an dem vorgegebenen Ziel fest, bis 1995 eine Verdoppelung auf 26 Milliarden DM zu erreichen. Natürlich gab es enorme Anfangsschwierigkeiten, denen sich nicht zuletzt die Lieferanten aus den neuen Ländern ausgesetzt sahen. Natürlich gab es in einzelnen Bereichen auch einen brutalen Verdrängungswettbewerb. Nicht jeder hat dabei jene Solidarität praktiziert, die in einer solchen Situation unseres Volkes eigentlich zu erwarten war und ist.
Wir in der Bundesregierung helfen den Unternehmen bei Marketing und Qualitätssicherung ihrer Produkte, bei Messebeteiligung im In- und Ausland und bei Vermarktungskampagnen auf den Auslandsmärkten. Zum Thema Listung ostdeutscher Produkte beim Handel will ich nur sagen, daß der Bundeswirtschaftsminister dazu eine ganze Reihe von Handelsgesprächen geführt hat. Die Handelsunternehmen werden verstärkt Ostbeauftragte einsetzen. Vor allem bei einigermaßen vergleichbaren Preisen und Qualitäten wollen sie verstärkt Produkte aus den neuen Ländern einführen.
Dies gilt selbstverständlich auch für den Einkauf ostdeutscher Produkte durch die Bundesbehörden, also bei öffentlichen Aufträgen. Wir haben hierzu folgende Maßnahmen ergriffen: Die ostdeutschen Unternehmen erhalten besondere Startvorteile. Durch die sogenannte Präferenzregelung, die jetzt noch einmal bis Ende 1995 verlängert wurde, können beispielsweise ostdeutsche Anbieter in das Angebot einer westdeutschen Firma eintreten, wenn ihr Angebot nicht mehr als 20 % darüber liegt. Kleinere und mittlere Unternehmen sollen dabei besonders gefördert werden. Gegenüber dem Vorjahr sind die öffentlichen Aufträge der Bundesministerien an ostdeutsche Firmen um gut ein Drittel auf jetzt 20 % des öffentlichen Auftragsvolumens des Bundes gestiegen. Im ersten Halbjahr sind dadurch gut 6 Milliarden DM an öffentlichen Aufträgen in die neuen Länder geflossen. Ich lade alle Kollegen aus den westlichen Bundesländern herzlich ein, in ihren Parteigremien — das gilt für alle — gelegentlich auch mit den Landespolitikern darüber zu sprechen, daß es richtig ist, bei solchen Entscheidungen eine neue Prioritätenliste aufzustellen.
Im Bundeswirtschaftsministerium kümmert sich der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Göhner als Vergabebeauftragter Ost, ebenso wie die Beauftragten in den anderen Ressorts, darum, daß wir diese Zahlen noch verbessern, ganz im Sinne von Herrn Dohnanyi, den Sie hier erwähnt haben, der sich für die Treuhandanstalt um die Absatzförderung kümmert.
Ich freue mich und erwähne dies lobend, daß jetzt, soweit ich es erkennen kann, alle alten Länder endlich bereit sind, die Präferenzregelungen bei öffentlichen Aufträgen zugunsten der ostdeutschen Betriebe zu übernehmen. Ich hoffe, daß damit, verehrter Herr Kollege Klose, Ihr Einwand beantwortet werden konnte.
Meine Damen und Herren, was jetzt — ich sage es noch einmal — Vorrang haben muß, ist die Sicherung der Arbeitsplätze und die Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten. Mit anderen Worten: Die Fortsetzung dynamischer Investitionstätigkeit ist daher der Dreh- und Angelpunkt schlechthin. Wenn die Investitionen — auch das wird oft verschwiegen und muß hier gesagt werden — pro Kopf der Bevölkerung heute in Ostdeutschland höher liegen — und das muß so sein — als in Westdeutschland, so zeigt dies, daß trotz des ganz schwierigen Aufholprozesses eine positive Entwicklung in Gang gekommen ist. Wir müssen alles daransetzen, national wie international, daß weitere Investoren mit ihrem Kapital und ihren Absatzmärkten den Weg in die neuen Bundesländer finden. Ich bin nach den Erfahrungen weniger Wochen im übrigen der Auffassung, daß die Entscheidung der Europäischen Gemeinschaft für den Sitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt eine durchaus positive Wirkung auch für Investitionen in den neuen Ländern haben wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Viertens. Meine Damen und Herren, die mittelfristige Haushaltskonsolidierung muß fortgesetzt werden. Der Bundesfinanzminister hat dazu gestern das Notwendige gesagt. Mit einem Sparprogramm von über 20 Milliarden DM ist ein wichtiges Zeichen gesetzt worden. Hinzu kommen noch die Einsparungen von 5 Milliarden DM nach dem Beschluß des Haushaltsausschusses. Dies ist ein Einsparvolumen von rund 5 % des Bundeshaushalts. Alle, die das in Stadt und Land kritisieren, sollen das jeweils in ihrem eigenen Bereich nachmachen, meine Damen und Herren, und dann diskutieren wir weiter.
Aber die Frage an die Sozialdemokratie ist doch schon berechtigt. Wenn Einsparungen von 25 Milliarden DM natürlich unpopulär sind und Sie diese ablehnen, was wollen Sie an Stelle dessen, was notwendig ist, tun?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn Sie die Haushaltskonsolidierung auf eine mittelfristige Perspektive verschieben, dann wird das nichts bringen. Wenn jetzt „hohe Privateinkommen" und „große Vermögen" stärker besteuert werden sollen — alles ganz alte Ladenhüter —, dann werden genau diejenigen besteuert, von denen wir jetzt Investitionen für Arbeitsplätze erwarten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, ich wäre Ihnen sehr dankbar, Herr Ministerpräsident, wenn Sie uns, da die geheime Kommandosache bis zu uns nicht vorgedrungen ist, sagen würden: Was ist das eigentlich für eine Einkommensgröße, die Sie meinen? Liegt sie bei 5 000 DM, gilt sie für gehobene Facharbeiter, oder wo beginnen die „hohen Einkommen"?



Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Dann haben Sie auch noch die Chance, eine andere Frage zu beantworten. Wie wollen Sie in dem jetzt immer intensiver werdenden gemeinsamen Markt Europa mit offenen Grenzen, wo wir in einem offenen Wettbewerb leben — und unser Ziel ist, die weltwirtschaftliche Dimension in diesem Sinne zu entwikkeln —, Kapitalinvestitionen und Arbeitsplätze sichern, wenn Sie beispielsweise die, die dieses Kapital besitzen, veranlassen, in andere Länder zu gehen? Der Vergleich, meine Damen und Herren, mit sozialdemokratisch geführten Regierungen im übrigen Europa muß Ihnen doch zeigen, daß Sie hier wiederum auf dem Holzweg sind. Andere sind längst einen ganz anderen Weg gegangen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Im übrigen, meine Damen und Herren: Mit der Verdoppelung der privaten Vermögensteuer ab 1995 sind wir doch schon bis an die Grenze des Vertretbaren gegangen.
Ich kann knapp zusammenfassend sagen: Wer jetzt, statt das Problem der Arbeitslosigkeit und der Konjunkturschwäche mit praktischen und greifbaren Maßnahmen anzugehen, auf Sozialneid setzt, gewinnt vielleicht kurzfristig Wählerstimmen. Aber das Land wird Arbeitsplätze, Investitionen und Zukunft verlieren. Und das ist doch das Entscheidende.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es gibt keinen einfachen Ausweg aus der Rezession, vor allem nicht angesichts der aufgestauten Notwendigkeiten des Strukturwandels.
Trotz der unbestreitbaren Konjunkturschwäche, trotz der notwendigen Investitionen in die deutsche Einheit, die wir gern leisten, und trotz der notwendigen finanziellen Unterstützung der Reformstaaten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa ist es gelungen, im Vergleich mit anderen Ländern — das ist kein Trost und vor allem keine Nachricht, die es rechtfertigt, in den Anstrengungen nachzulassen — bei der Kreditaufnahme im Mittelfeld der Industrienationen zu sein. Stabilität der D-Mark, aufwärtsgerichtete Aktienkurse und ungewöhnlich niedrige Zinsen am Kapitalmarkt signalisieren doch bei der Unbestechlichkeit internationaler Kapitalanleger, daß die Bundesrepublik offensichtlich günstig abschneidet. Dies sind Tatsachen, die auch zum Standort Deutschland gehören und auf die wir stolz sein können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Bei der Vorbereitung dieser Rede dachte ich gestern auch darüber nach, was wohl heute in der Debatte angesichts der Rezession, die wir jetzt haben, geschehen würde, wenn wir Ihren Ratschlägen gefolgt wären und eine schnelle Wiedereinführung des Solidaritätszuschlags vorgenommen hätten. Dann hätten Sie uns heute gesagt: Weil Sie diesen Fehler gemacht haben, sind wir in diese Rezession geraten. So wäre Ihre Aussage gewesen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD)

Meine Damen und Herren, fünftens: Wir müssen unsere Privatisierungsvorhaben fortsetzen. Ich nenne hier vor allem Bundesbahn und Bundespost. Wir haben vor zwei Wochen eine, wie ich glaube, gute und
wichtige Vereinbarung zur Bahnreform erreicht. Wir haben große Anstrengungen unternommen — das will ich dankbar erwähnen, auch an die Adresse der Bundesländer, auch an Sie, Herr Ministerpräsident Scharping als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz —, daß die Bahnreform zum 1. Januar 1994 in Kraft gesetzt wird.
Jetzt höre ich Stimmen — übrigens aus den verschiedensten politischen Lagern — —

(Zuruf von der SPD)

— Das ist nicht auf eine Seite beschränkt; Sie müssen nicht aus Ihrer Hamburger Sicht immer nur das eine Bundesland nennen. Sie können in diesem Fall auch das Land Hamburg nehmen. — Jetzt höre ich Stimmen, die den Kompromiß so nicht mehr wollen. Ich sage aber ganz einfach: Wir haben verhandelt, wir haben abgeschlossen, und dabei bleibt es. Wir können nicht dauernd neu verhandeln. Das würde die Glaubwürdigkeit unserer Politik zunichte machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Bei der Postreform geht es wahrlich nicht um eine technisch-administrative Veränderung. Wenn die Telekom international leistungsfähig und konkurrenzfähig werden will, müssen wir jetzt diese Entscheidung treffen. Jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt, weiß, daß es hier um Zehntausende und Aberzehntausende neuer Arbeitsplätze der Zukunft geht, hochqualifizierte Arbeitsplätze, und daß wir, wenn wir jetzt nicht handeln, aus dem weltweiten Wettbewerb ausscheiden werden.
Deswegen bitte ich alle Beteiligten, auch die Kollegen innerhalb der SPD, die dafür besondere Verantwortung tragen — da gibt es nicht wenige, denen ich in diesem Zusammenhang auch Dank schulde, was ich gern einmal sage —, daß sie sich jetzt einen Ruck geben, damit diese Entscheidung möglich wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In den neuen Bundesländern ist die Privatisierung der Kombinate und der volkseigenen Betriebe ein großes Stück vorangekommen. Weltweit, Herr Kollege Klose, wird diese enorme Privatisierungsleistung von mehr als zehntausend Unternehmen anerkannt. Auch wenn wir wissen, daß bei einer solchen gewaltigen Aufgabe Fehler und Unterlassungen vorgekommen sind, will ich dennoch sagen: Es ist eine große Leistung, und diejenigen, die dort arbeiten, haben unseren Dank verdient.
Zu dieser Privatisierung gehören Zusagen von 180 Milliarden DM an Investitionen und die Sicherung von 1,5 Millionen Arbeitsplätzen. Wir müssen uns schon die Frage stellen: Wo stünden wir heute, wo stünden die neuen Bundesländer, wenn man damals prinzipiell gesagt hätte: Sanierung grundsätzlich vor Privatisierung? Wie würden wir zehntausend Betriebe dieser Art in der jetzigen Rezessionsphase überhaupt als Staatsbetriebe halten können?
Deswegen ist es wichtig, daß wir das Menschenmögliche tun, auch jetzt mitten in dem Konjunkturtief, um die Chancen, Investoren und Absatzmärkte für diese Unternehmen zu gewinnen, zu unterstützen. Daß jetzt nach meiner Reise in die Volksrepublik China auch Betriebe aus den neuen Ländern zum Zug



Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
kommen, freut mich dabei ganz besonders. Im übrigen möchte ich bei allem Parteienstreit doch sagen, daß alle Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer in dieser zentralen Frage der Privatisierung auch in schwierigsten Zeiten Kurs gehalten und ihre Zustimmung gegeben haben.
Sechstens. Wir müssen die staatliche Bürokratie weiter zurückdrängen und zu einer wirksamen Deregulierung kommen. Wir haben im Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz demonstriert, was zu tun ist. Wir wollen im Bereich von Planungs- und Genehmigungszeiten noch vieles verkürzen und verändern. Aber, meine Damen und Herren, wir haben nicht viel Zeit. Für das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern ist es eben ganz entscheidend, daß die Ostseeautobahn nicht in 15 Jahren, sondern jetzt kommt, und zwar ohne weiteres Abwarten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Siebtens. Wir müssen den Sozialstaat durch Umbau sichern. Sozialstaat und sozialer Ausgleich sind Wesenselemente unserer Verfassung. Sie sind die Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft. Wahr ist aber, daß das bei uns erreichte hohe Niveau sozialer Sicherung und des sozialen Ausgleichs nur möglich ist auf der Grundlage hoher wirtschaftlicher Leistungskraft.
Meine Damen und Herren, die Gesamtheit aller Sozialleistungen hat im vergangenen Jahr erstmals die Grenze von einer Billion DM überschritten. Das ist ein Drittel unseres Sozialprodukts. Angesichts dieser Größenordnung muß doch klar sein, daß der Anteil jetzt nicht mehr gesteigert werden kann.
Eine weitere Aufgabe, die zusätzlich bewältigt werden muß, ist die Pflegeversicherung, deren Finanzierung nicht zu einer Mehrbelastung der Wirtschaft führen darf. Ich hoffe sehr, daß es in den nächsten Tagen möglich sein wird, hier abschließend zu vernünftigen Lösungen zu kommen.
Achtens. Wir müssen Bildung und Ausbildung zukunftsorientiert gestalten. Wir wissen, daß beides, Bildung und Ausbildung, Standortfaktoren allerersten Ranges sind. Alle müssen dabei zusammenwirken, Bund, Länder, Wirtschaft, Gewerkschaften, Hochschulen, Verbände.
Das Grundsatzgespräch, das am 11. November im Bundeskanzleramt stattgefunden hat, hat mich sehr ermutigt, auf diesem Weg voranzugehen. Wir sind dabei, im Bereich des bewährten, international hochangesehenen beruflichen Bildungssystems an Attraktivität zu verlieren. Die Zahl der Studenten — es ist oft genug gesagt worden — ist stark gestiegen; die Zahl der Lehrlinge deutlich gesunken. Das ganze Qualifikationssystem ist aus dem Lot geraten.
Wir brauchen jetzt neue Konzeptionen, und zwar schnell, um vor allem die berufliche Ausbildung attraktiver zu machen, attraktiver auch für Abiturienten, und zwar als Vollausbildung und nicht nur als Durchgangsstation zum Studium. Was seit Jahren in Baden-Württemberg mit großem Erfolg praktiziert
wird, ist eigentlich ein Beispiel, das längst alle Bundesländer hätten übernehmen können.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Neuntens. Wir müssen den Forschungsstandort Deutschland weiter stärken. Ich habe mir inzwischen, Herr Kollege Klose, die Zahlen kommen lassen. Ich kann nicht verstehen, wie Sie zu diesem Vorwurf kommen. Wir haben an Bundesausgaben insgesamt für Forschung und Technologie und für Wissenschaft außerhalb der Universitäten 1990 7,98 Milliarden DM, 1991 11,29 Milliarden DM, 1992 12,13 Milliarden DM, 1993 12,26 Milliarden DM und 1994 12,33 Milliarden DM aufgewandt bzw. sehen das vor.
Ich bin mit Ihnen einverstanden, daß wir versuchen müssen, diese Ausgaben noch zu erhöhen. Aber dann müssen wir in vielen anderen Bereichen bei der Kürzung zu ganz anderen Dimensionen kommen. Sie werden ja beispielsweise nicht bestreiten — um ein Beispiel zu nennen, das in allen Teilen des Hauses unterschiedlich gesehen wird und wo ich mir über die Realitäten vor allem außerhalb der kohlefördernden Länder ziemlich im klaren bin —, daß der riesige Brocken Steinkohleförderung eben gewaltige Subventionssummen notwendig macht. Dennoch bekenne ich mich aus einer Reihe von Gründen dazu.
In einer Güterabwägung jedoch, Herr Kollege Klose, muß man einfach zugeben, daß wir, da wir das Geld nur einmal ausgeben können, bei der Umschichtung immer nur Schritt für Schritt vorgehen können. Ich finde, die Steigerung von 1990 bis jetzt von 7,98 auf 12,33 Milliarden DM ist immerhin eine Steigerung, die sich sehen lassen kann, obwohl ich zugebe: Noch mehr, vernünftig angewandt, wäre noch besser.
Aber, meine Damen und Herren, daß diese Spitzenleistungen in Forschung und Technik eine wesentliche Voraussetzung für zukunftssichere Arbeitsplätze sind, steht außerhalb jeder Diskussion. Daß in den Forschungslabors und wissenschaftlichen Einrichtungen über die Arbeitsplätze von morgen entschieden wird, ist auch unstreitig.

(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.))

Wir brauchen neue Produkte und Dienstleistungen, mit denen wir im Wettbewerb bestehen können. Nur so können wir als Hochlohnland konkurrenzfähig bleiben. Aber auch das ist ein Bereich, der längst hätte verbessert werden können, d. h. wir hätten auf diesem Feld gar nicht so weit herunterkommen dürfen. Wir brauchen vor allem wieder ein forschungs- und technikfreundliches Klima.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dieses technikfeindliche Klima ist nicht über Nacht entstanden. Es ist ein Klima, das in einem Teil der Medien und in nicht wenigen Schulstuben gefördert worden ist, wo eine ganze Generation in Technikfeindlichkeit oder Technikangst großgezogen wurde. Wenn ich das sage, ist das keine blinde Fortschrittsgläubigkeit. Ich weiß, daß das sofort wieder unterstellt wird.
Am Ende dieses Jahrhunderts wissen wir, daß nicht alles, was wissenschaftlich gemacht, geforscht und



Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
erprobt werden kann, auch ethisch vertretbar ist. Aber dennoch kann man nicht das Forschungsland Nummer eins, zwei oder drei in der Welt sein wollen und gleichzeitig zulassen, daß in Teilen der jungen Generation ein Klima erzeugt wird, das forschungsfeindlich ist. Das kann man relativ rasch ändern, wenn man sich in allen entscheidenden Führungsbereichen unserer Gesellschaft zu dieser Notwendigkeit bekennt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir müssen vor allem — ich denke, da sind wir nicht auseinander — versuchen, die Forschungspolitik besser zu bündeln. Es ist wahr, Herr Kollege Klose, es gibt zu viele Programme bei Bund und Ländern, in den Gesellschaften, die von Staatsgeldern unterstützt werden, die aber natürlich kaum miteinander koordiniert sind.
Wir haben jetzt in der Europäischen Gemeinschaft mit diesem Thema zu tun. Wir werden in ein paar Wochen darüber in Brüssel zu reden haben. Ich finde, es ist hohe Zeit, vielleicht zunächst einmal auf dem Weg eines Experiments, begrenzt auf ein paar Jahre, die notwendigen Kräfte zusammenzubringen. Wenn das dann ein Technologierat ist und er wirklich vernünftig ist und etwas bringt, bin ich der allererste, der sich dafür ausspricht.
Zehntens. Ohne die Offenheit der weltweiten Handelsbeziehungen wird ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland im Nerv getroffen. Der erfolgreiche Abschluß der GATT-Verhandlungen ist deshalb von größter Bedeutung. Der Abschluß der Beratungen im amerikanischen Kongreß über die nordamerikanische Freihandelszone, NAFTA, ist, wie ich denke, ein gutes Signal.
Ich habe Präsident Clinton dazu gratuliert, und zwar in der Hoffnung, die ich auch als Erwartung zum Ausdruck brachte, daß damit aus amerikanischer Sicht der Weg zum Abschluß der Uruguay-Runde geebnet wird.
Ich sage hier noch einmal: Beim GATT geht es nicht nur um uns, um die großen Industrieländer, es geht nicht zuletzt um die Länder der Dritten Welt und ihre Zukunftschancen. Der Welthandel ist in einem viel größeren Maße, als viele dies begreifen, eine Quelle für Wachstum und Beschäftigung.
Die OECD — man muß sich die Zahlen einmal vor Augen halten — hat die Auswirkungen eines erfolgreichen Abschlusses der Uruguay-Runde so bewertet, daß der Wohlstand für die gesamte Welt im Jahre 2002 um rund 270 Milliarden DM größer sein wird als gegenwärtig. Das heißt, hier geht es um Arbeitsplätze für die Zukunft.
Meine Damen und Herren, aus meiner Sicht sind diese zehn Aufgaben wesentlich für die Zukunftssicherung des Standorts Deutschland. Es geht um ein wirtschaftlich starkes und wettbewerbsfähiges Deutschland. Es geht dabei immer um zukunftssichere Arbeitsplätze, um soziale Sicherheit. Und es geht insgesamt um eine gute Zukunft für unser Land.
Wenn wir dies wollen und entsprechend handeln, auch gemeinsam handeln, habe ich keinen Zweifel,
daß wir es schaffen können. Es ist heute hier in einer anderen Rede schon der Vergleich zur Aufbaugeneration in den 50er Jahren gezogen worden. Wenn wir die Maßstäbe von damals in einer ganz anderen Welt mit anderen psychologischen Gegebenheiten rekapitulieren und auf unsere Zeit übertragen, bin ich sicher: Wenn wir die Armel hochkrempeln, werden wir das Ziel erreichen.
Ich bitte Sie darum, daß wir möglichst gemeinsam mit Zuversicht und Wagemut diese Aufgabe angehen, daß wir etwas jetzt auf den Weg bringen, was viele in der Welt von uns erwarten, von den Deutschen der 90er Jahre, daß sie wie die Deutschen der 50er Jahre einen zweiten großen Aufbruch im heute glücklicherweise wiedervereinigten Deutschland ermöglichen.
Die Koalition von CDU, CSU und F.D.P. und die Bundesregierung stellen sich dieser Aufgabe. Ich möchte Sie alle dazu einladen, mitzutun.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1219202100
Das Wort hat nun der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz, Rudolf Scharping.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1219202200
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie wie andere haben auf den sozialdemokratischen Parteitag in mehrfacher Hinsicht Bezug genommen. Ich finde das angemessen;

(Beifall bei der SPD)

nicht nur, daß Sie mit uns rechnen müssen, sondern auch vor dem Hintergrund, daß Parteien wie die Union oder die F.D.P., die zusammen in der Bevölkerung — hier in diesem Hause schon noch — keine Mehrheit haben, sich mit denen auseinandersetzen, die mehrheitliches Vertrauen in der Bevölkerung genießen. Das ist durchaus richtig.

(Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ CSU und der F.D.P. — Zurufe von der F.D.P.: Wo? Wo denn?)


Dr. Norbert Herr (CDU):
Rede ID: ID1219202300
Das ist ja zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Debatte nicht das Zentrale. Das Zentrale ist, daß Sie in den letzten vier Jahren seit dem Fall der Mauer das große Kapital an Hoffnung, an Mut, an Freude, an Engagement, an Bereitschaft zum gemeinschaftlichen Einsatz fast vollständig verwirtschaftet haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wenn eine solche Generalaussprache, Herr Bundeskanzler, der Linie der Politik gelten soll, dann muß man wohl zwei Dinge tun, nämlich über das reden, was die derzeit Regierenden in den letzten Jahren getan haben, und über das reden, was in der Zukunft notwendig ist. Diese Bundesregierung jedenfalls vermittelt nicht das, was Deutschland am dringendsten braucht, nämlich Orientierung, klare Zielsetzung und das Einfordern einer gemeinschaftlichen Aufbauleistung in Deutschland. Das vermitteln Sie nicht.

(Beifall bei der SPD)




Ministerpräsident Rudolf Scharping (Rheinland-Pfalz)

Ich erinnere an die Aussprache bei der ersten Gelegenheit hier und bleibe dabei, daß man sich zunächst einmal mit Fragen auseinandersetzen muß, die die Menschen in Deutschland, ihre konkreten Lebensumstände, ihre Schicksale betreffen.
Man darf sich nicht wundem, wenn in der einen oder anderen politischen Floskel, die da so geäußert wird, der Familienvater, der mit 1 700, 1 800 DM im Monat seine Familie mit zwei Kindern ernähren soll, sich nicht mehr wiederfindet, weil er das Gefühl haben muß, daß diese Lebensumstände bei denen, die da als Regierende politisch reden, völlig unbekannt geworden sind

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Hans Modrow [PDS/Linke Liste])

und keine Vorstellung mehr davon besteht, was normales Leben eigentlich bedeutet.
Wenn ich dann Bemerkungen höre, die mit dem Arbeitsmarkt, mit der sozialen Gerechtigkeit, mit der Situation des Wohnens in Deutschland zu tun haben, dann finde ich das alles bestätigt. Wer so kühl, nur in der Bilanz und nur in der Statistik über das Leben von Menschen redet, der entfremdet sie der Politik und der Notwendigkeit einer gemeinsamen Kraftanstrengung. Genau das tun Sie.

(Beifall bei der SPD)

Da Sie, Herr Bundeskanzler, von der Besichtigung blühender Landschaften im Osten zurückkommen, kann ich Ihnen nur empfehlen, das sehr praktisch zu studieren. Das sind dann zwar keine blühenden Landschaften, aber Menschen, die genau denselben Anspruch darauf haben — ganz unabhängig davon, daß Ihre China-Reise als Erfolg bezeichnet werden kann —, daß Sie sich ihnen mit der gleichen Zeit, mit der gleichen Aufmerksamkeit, mit derselben Konsequenz zuwenden.

(Beifall bei der SPD)

Davor drücken Sie sich.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Dasselbe gilt für die vielen Tausende junger Leute, die im Bergbau, bei den Werften, in der Stahlindustrie oder an anderer Stelle heute in einer Ausbildung stecken, von der sie genau wissen, daß sie keine berufliche Chance bedeutet. Wenn wir die Zukunft dieses Landes sichern wollen, dann werden wir viel mehr dafür tun müssen, daß junge Leute eine Zukunftschance haben, die etwas mit Ausbildung, Beruf, Familienleben und sicheren materiellen Verhältnissen zu tun hat.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie soziale Verhältnisse nicht mehr aufregen, mich regen sie auf. Mich regt auf, daß in diesem Land eine Million Kinder die Erfahrung macht, mit den Eltern gemeinsam von und mit Sozialhilfe leben zu müssen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Hans Modrow [PDS/Linke Liste])

Mich regt das auf, weil ich weiß, was es für die Fähigkeit bedeutet, den eigenen Wert selbst zu erfahren und selbst mit anderen gemeinsam zu bestimmen.
Diejenigen, die immer von Leistung reden und davon, daß sie sich wieder lohnen müsse, müssen sich fragen lassen, wie viele Bedingungen sie eigentlich setzen, daß viele, viele Menschen in diesem Land die Erfahrung eigener Leistung gar nicht mehr machen können.

(Beifall bei der SPD)

Wenn es Sie nicht aufregt, mich regt es auf, daß in diesem Land über 100 000 Menschen mit Kindern obdachlos sind, kein anständiges Dach mehr über dem Kopf haben. Es regt mich auch auf, daß Sie die Absicht haben, den 48jährigen Stahlarbeiter, Bergarbeiter, sonstigen Arbeitnehmer, der unverschuldet arbeitslos wird, jetzt zum Sozialamt zu schicken.

(Widerspruch bei der CDU/CSU) Mich regt das auf.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Gregor Gysi [PDS/Linke Liste] und des Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das, meine Damen und Herren, ist nicht nur eine Frage des eigenen persönlichen Aufregens, sondern vor allen Dingen eine Frage, ob man noch das Gefühl dafür behält, was in einem Land politisch und sozial und kulturell angerichtet wird, wenn solche Verhältnisse regelmäßig mißachtet werden.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. KlausDieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] — Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sich hierhinzustellen, Herr Bundeskanzler, und in besorgten und berechtigten Worten über das Anwachsen von Enttäuschung oder über rechten, meinethalben auch linken Radikalismus zu räsonieren, das ist die eine Sache; in berechtigten und begründeten Worten. Aber die andere Sache ist die Frage danach, was man selbst tut, um solche Verhältnisse zu mildern oder um sie zu fördern.

(Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

— Es freut mich, daß ich Sie wachgemacht habe.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Aber die Methode war trotzdem nicht gut!)

— Wir werden gleich noch sehen, Herr Kollege, ob die Methode gut war. Wir werden ganz sicher noch in eine ganze Reihe von interessanten Erörterungen kommen.
Aber ich sage Ihnen eines: Wenn in diesem Land von den Regierenden wie den Opponierenden, dem Bund wie den Ländern und auch den Gemeinden nicht sehr konkret eine Perspektive entwickelt wird, wie man den Menschen Arbeit, den Frauen Chancengleichheit und den Jugendlichen eine Zukunft geben



Ministerpräsident Rudolf Scharping (Rheinland-Pfalz)

kann, dann, fürchte ich, werden alle Beteiligten davon den Schaden haben.

(Zurufe von der CDU/CSU: Sagen Sie sie doch! — Nur heiße Luft!)

— Ihre Ungeduld ist unbegründet. Ihre Fragen werden noch beantwortet werden, keine Sorge.
Ich wollte deutlich machen, daß ich es für dringend erforderlich halte, daß wir nicht nur über den Industriestandort Deutschland reden, sondern beginnen, auch über den Lebensstandort Deutschland zu reden, um dieses Wort aus der Evangelischen Kirche einmal aufzugreifen.

(Beifall bei der SPD — Hermann Rind [F.D.P.]: Ist doch dasselbe! Ist doch kein Unterschied!)

Denn innerer Frieden und Gerechtigkeit gehören zusammen.
Dann sagen Sie, die Sozialdemokraten schüren den sozialen Neid und schützen das Anspruchsdenken.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Ich will Ihnen folgendes sagen. Es gibt in diesem Land welche, die bieten ein Vorbild, und es gibt welche, die verweigern das Vorbild. Es ist ganz und gar richtig, daß auch bei deutlichem umweltverträglichem Wachstum, mit dem wir im nächsten Jahr leider nicht rechnen können, auch wenn man die günstigsten politischen Rahmenbedingungen dafür schaffte, der hohe Sockel an Arbeitslosigkeit nicht oder nur unmaßgeblich abgebaut werden kann.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Woran liegt es?)

Vor diesem Hintergrund wird es nicht nur darum gehen, Felder zu bestimmen, auf denen Wachstum stattfinden kann, sondern auch darum, die Organisation und die Verteilung der Arbeit zu verändern. Der Bundeskanzler redet von der Europäischen Gemeinschaft, es gibt Vorschläge des Präsidenten Jacques Delors, es gibt Vorschläge anderer Regierungen. Ich habe, Herr Bundeskanzler, hier ein Wort zu der Notwendigkeit vermißt, auch in der Europäischen Gemeinschaft zu einer gemeinsamen Initiative für umweltverträgliches Wachstum und für Beschäftigung zu kommen.

(Beifall bei der SPD)

Diese Frage wird in der zweiten Dezemberwoche beim Europäischen Gipfel eine Rolle spielen. Es ist durchaus interessant zu wissen, ob die Bundesregierung bereit ist, in ihrer eigenen Politik und in der Europäischen Gemeinschaft das zu tun, was jetzt mit Hilfe der Europäischen Gemeinschaft getan werden kann, nämlich Wachstumsfelder zu bestimmen, Investitionen zu fördern. Ich will Ihnen die auch nennen: Das hat etwas mit Umwelttechnologie, mit einem europäischen Verkehrssystem, der europäischen Luft- und Raumfahrt und anderem zu tun. Wenn sich die Bundesregierung hier auf etwas versteift, wie sie es in der bedrohten Branche des Stahls leider getan hat, wo sie um den Preis der notwendigen Hilfe für EKO-Stahl in Brandenburg dafür gesorgt hat, daß der völlig unfaire Subventionswettbewerb in der Europäischen Gemeinschaft auf der Ebene des Stahls fortgesetzt wird, dann hätten wir mit Steinen statt mit Brot gehandelt. Spätestens im Ruhrgebiet werden wir es dann alle zu spüren bekommen.

(Beifall bei der SPD)

Ich will folglich nicht nur sagen, daß wir Wachstumsfelder zu bestimmen haben und daß es in der Europäischen Gemeinschaft dafür entsprechende Initiativen geben muß, sondern auch etwas zur deutschen Situation sagen. Ich will eine Firma zitieren, gegen die Sie ganz sicher nichts einzuwenden haben. Es gibt eine Studie der Unternehmensberatungsgesellschaft McKinsey. Sie weist darauf hin, daß Fragen der Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften sehr klare Ergebnisse haben.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Dafür können wir uns nichts kaufen!)

— Herr Kollege Glos, bei der Frage, wie man einzelne politische Sachverhalte bewertet, ist ihre Kenntnis durchaus hilfreich.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Sie kennen doch den schönen alten Satz, daß vor dem Kehlkopf der Kopf kommt.

(Heiterkeit bei der SPD)

Zwei Drittel der japanischen Kostenvorteile stammen aus überlegenem Management, einer effizienten Produktion und einer vorzüglichen Arbeitsorganisation.
Die Schweizerische Bankgesellschaft, auch kein sozialdemokratisches Institut,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das weiß man nicht!)

weist in einer Studie nach, daß unter jetzt 38 miteinander konkurrierenden Industriestaaten Deutschland zur Zeit hinter den USA, der Schweiz, Japan und Belgien auf Platz 5 der Wettbewerbskraft liegt. Nach der Prognose der Schweizerischen Bankgesellschaft wird, verändert sich nichts, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft bis zum Jahr 2005 auf den 18. Platz der 38 Nationen abgefallen sein, dann hinter Korea, China, Israel, Singapur, Japan und Hongkong, die auf den ersten sechs Plätzen sein werden.

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist Ihr Regierungsprogramm!)

Das, meine Damen und Herren, zitiere ich deshalb, weil ich, und ich könnte Ihnen noch viele andere Zahlen nennen

(Zurufe von der CDU/CSU)

— wehren Sie sich doch nicht gegen Informationen! —,

(Zuruf von der CDU/CSU: Lesen können wir selber!)

fünf Maßnahmen für dringend notwendig halte.
Erstens. Wir müssen dafür sorgen, daß im industriellen Bereich, in der industriellen Fertigung kürzer gearbeitet werden kann. Und in der gegenwärtigen



Ministerpräsident Rudolf Scharping (Rheinland-Pfalz)

Situation gehört die ungeschminkte Wahrheit dazu: Mit vollem Lohnausgleich wird das nicht gehen.

(Beifall des Abg. Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.] — Zuruf von der CDU/CSU: Auch nicht mit halbem Lohnausgleich!)

Das zweite ist in diesem Zusammenhang die Frage, wie das mit der Laufzeit der Maschinen ist. Ich will nicht all das wiederholen, was ich in der ersten Debatte gesagt habe, aber im Kontext der industriell organisierten Arbeit, der Arbeitszeit, der gerechteren Verteilung der Arbeit gibt es — so kann man sagen — ein Vorbild. Dieses Vorbild setzen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Gewerkschaften. Denn mir erscheint es durchaus bemerkenswert, daß der Betriebsrat des Volkswagenwerks in ganzseitigen Anzeigen dafür unter der Überschrift „Lieber kürzer arbeiten als lange arbeitslos!" wirbt, in Verantwortung vor Familien, vor Kindern, vor Kolleginnen und Kollegen. Ich würde mir wünschen, man könnte von dieser Bundesregierung sagen, daß sie in irgendeinem Bereich ähnlich vorbildlich agiert wie beispielsweise die Betriebsräte des Volkswagenwerkes.

(Beifall bei der SPD — Dr. Hermann Otto Sohns [F.D.P.]: Das ist aber der Betriebsrat, nicht die Gewerkschaft!)

Das dritte ist, daß lohnintensive Betriebe entlastet werden müssen, denn sonst werden dort Strategien der Arbeitszeitverkürzung immer auch zu einer Erhöhung der Arbeitskosten führen!

(Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

In diesem Zusammenhang ist es dringend notwendig, die sozialen Sicherungssysteme endlich aus ihrer Funktion als Lastesel und Finanzier der deutschen Einheit zu befreien.

(Beifall bei der SPD)

Es sind die Zahlen des Bundesarbeitsministers und viele andere, die darauf hindeuten, daß man in dieser Situation die Solidarität im deutschen Volk genauso beschädigt wie die Wettbewerbschancen der lohnintensiven Betriebe, wenn man nur über die Sozialversicherungssysteme mit Beiträgen der Arbeitnehmer finanzieren läßt, was von allen gemeinsam in Deutschland geleistet werden muß.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb ist es besonders erstaunlich, daß von dieser Bundesregierung überhaupt keine Initiative kommt, wohl aber der höchst widersprüchliche Satz, daß die Lohnnebenkosten zu hoch seien, während sie auf der anderen Seite eine Politik betreibt, die genau diese Lohnnebenkosten in ungeahnte Höhen getrieben hat. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich nenne diesen zweiten Punkt auch vor dem Hintergrund, daß sich das Volumen der bezahlten Arbeitsstunden in Deutschland fast unabhängig vom Konjunkturverlauf immer bei etwa 46 Milliarden Stunden pro Jahr eingependelt hat. Das signalisiert, daß es in einer Gesellschaft, in der die Jüngeren prozentual abnehmen, die Älteren prozentual zunehmen, auch unter dem Gesichtspunkt der Reform und der dauerhaften Sicherung des Sozialstaates dringend geboten ist, nicht alles über Beitragszahlungen der Arbeitnehmer zu finanzieren, sondern die Gemeinschaft insgesamt zu beteiligen, wenn es um allgemeine Interessen geht.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich weiß, das wollen Sie nicht. Sie reden auch an anderer Stelle viel und gerne von Wettbewerbsfähigkeit, von der Bedeutung von Forschung und Technologie, Bildung und Wissenschaft und dergleichen mehr. Ich will Ihnen dazu nur folgendes sagen: Das Institut für Wirtschaftsforschung kommt zu dem Ergebnis, daß die technologische Wettbewerbsposition der deutschen Industrie bröckelt, daß der Anteil der internationalen Patentanmeldungen deutlich zurückgegangen ist und daß die Forschungsaufwendungen in den Unternehmen und beim Staat — leider — stagnieren. Wir geben insgesamt 2,6 % unseres Bruttosozialproduktes aus, unsere Hauptwettbewerber das gleiche oder mehr.
Es ist also nicht nur eine Frage der Steigerung von Haushaltszahlen. Verehrter Herr Bundeskanzler, die Zahlenreihe, die Sie hier aufgemacht haben, zeigt mit ihren mageren Steigerungsraten in diesen Jahren überdeutlich, daß bei den Forschungs- und Technologieaufwendungen ein schweres Versäumnis für die Zukunft liegt, übrigens auch in den Unternehmen. Denn das, was ich hier beschreibe, ist nicht nur ein Mangel an Tatkraft und Phantasie in der Politik, sondern genauso ein Mangel an Tatkraft und Phantasie in vielen Bereichen des deutschen Managements.

(Beifall bei der SPD)

Man wird also, wie das — Sie haben BadenWürttemberg zitiert; das tue auch ich einmal — zur Zeit in Baden-Württemberg vorbildlich gemacht wird, gerade mittelständische Industrie sowie mittlere und kleinere Unternehmen in einer gemeinsamen Aktion zusammenholen, um Qualität in der Produktion zu sichern und die Information zu schaffen über das, was mit heute geltenden Tarifverträgen in der Organisation der Arbeit überhaupt möglich ist. Der schlimmste Mangel ist ja, daß auf der Ebene der Politik darüber mit sehr deutlicher ideologischer Schlagseite diskutiert wird, während auf der Ebene der Unternehmen und des Managements eine ganz und gar unzureichende Information darüber besteht, was mit Betriebsvereinbarungen auf der Grundlage geltender Tarifverträge schon heute möglich wäre, urn die Laufzeit von Maschinen zu verlängern und Arbeit flexibler und intelligenter zu organisieren.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben zweimal mit einem Seitenhieb gesagt: Jetzt haben Sie Helmut Schmidt an der Seite. Sie werden es mir nicht übelnehmen: Ich habe Helmut Schmidt lieber an der Seite als manchen von Ihnen.

(Beifall bei der SPD — Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das wäre aber besser gewesen!)




Ministerpräsident Rudolf Scharping (Rheinland-Pfalz)

Auch das ist eine Frage der Information und Sachkunde.
Da ich von den Vorbildern und den verweigerten Vorbildern gesprochen habe, will ich Ihnen noch etwas zu dem sagen, was Sie hier angeprangert haben: Nach meinem Empfinden haben wir nicht nur einen Mangel in der Politik. Sie reden immer gern von Eliten, von den „Leistungsträgern", von denen, an denen die zukünftige Entwicklung hängt.

(Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Die sollten Sie nicht verteufeln!)

— Nein, die verteufle ich überhaupt nicht.
Ich fordere nur etwas ein, und zwar gemeinsam mit vielen klugen Unternehmern genauso wie mit vielen in den beiden christlichen Kirchen und anderen, nämlich das bisher verweigerte Vorbild der Eliten. Ich muß Ihnen sagen: Sie tun leider nichts dazu, daß sich dieser Zustand des verweigerten Vorbildes ändern könnte. Im Gegenteil: Sie verschärfen die Situation noch, wenn Sie den Eindruck erwecken, die Gesundung des Gemeinwesens, eine neue Hoffnung für Deutschland, die gemeinsame Kraftanstrengung hingen davon ab, daß man den Schwächeren am intensivsten in die Tasche greift. Sie verschärfen diesen Prozeß noch.

(Beifall bei der SPD)

Die Ungeniertheit, mit der Sie das tun, steht in einem so eklatanten Widerspruch zu Ihrer Angstlichkeit, dieses Vorbild einzufordern, daß man dahinter leider mehr System als Unfähigkeit vermuten muß.

(Beifall bei der SPD — Michael Glos [CDU/ CSU]: Sie waren auch gerade kein Vorbild der Wahrheit!)

Was habe ich in dieser Debatte für unerträglich billige Hinweise gehört,

(Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Ein leuchtendes Beispiel steht da vorn!)

als wollten wir irgend jemandem seine Lebensmöglichkeiten beschneiden, als wollten wir die Investitionskraft der deutschen Wirtschaft schwächen! Nein, wir wollen ausdrücklich, daß Investitionen steuerlich begünstigt werden, daß das Unternehmensteuerrecht entsprechend gestaltet wird. Wir haben genau aus diesem Grunde darum gekämpft, daß im Rahmen des Standortsicherungsgesetzes keine Verschlechterung — jedenfalls keine wirklich spürbare — der Abschreibungsbedingungen eingetreten ist.
Indem wir das tun, fordern wir gleichzeitig von den Leistungsstarken, den Eliten, sich in Deutschland vorbildlich zu verhalten. Ich sage auch hier den Satz: Wenn ein Mensch die Möglichkeit hat, im Monat 2 000 DM Steuern zu zahlen, dann wirft es ihn und seine private Lebensgestaltung nicht um, wenn er in Zukunft 2 200 DM zahlt. Das wirft ihn nicht um.

(Beifall bei der SPD)

Wir sollten uns endlich davon freimachen, zu behaupten, das sei das Schüren des Sozialneides.
Nein, ich verspüre keinen Neid. Aber ich appelliere an die, die stark und mächtig und kräftig in dieser Gesellschaft sind, ihren Beitrag dazu zu leisten, daß diese Gesellschaft gemeinsam vorankommen kann, anstatt sich in Winkeln zurückzuziehen und ihre Besitzstände zu verteidigen.

(Beifall bei der SPD)

Das nenne ich das eigentliche Anspruchsdenken: daß es in einer Zeit, in der sich wirklich vieles verändert und manches dramatisch verändert hat, in unserem Volk gerade bei den Einflußreichen, den Mächtigen und den Einkommensstärkeren eine Haltung gibt, die besagt: Ich muß in meinem Leben nichts verändern; ich will auch nicht. Das ist die schlimmste Haltung überhaupt.
Die Amerikaner sagen etwas spöttisch: Das sind die Nimbys, „not in my backyard". Sie haben eine sehr ausgeprägte Neigung, Abkürzungen zu finden: die Dinks, „double income, no kid", die Yuppies, die „young urban professional people", und jetzt die Nimbys, „not in my backyard" . Es soll sich nichts in meinem eigenen Hinterhof verändern.
Dann gerät eine Gemeinschaft auf die schiefe Bahn, wenn sie erst die Schwächeren weiter schwächt und das Vorbild, die Mitbeteiligung und die Solidarität der Starken nicht einfordert.

(Beifall bei der SPD — Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Auch wenn Sie es zehnmal behaupten, wird es nicht wahrer!)

— Sie müssen es von mir ja nicht akzeptieren; das will ich Ihnen gerne konzedieren.
Aber lesen Sie doch bitte einmal, was in beiden großen Kirchen, in der katholischen Soziallehre, in den evangelischen Kirchen und an anderen Stellen zu diesem Thema gesagt wird! Lesen Sie doch einmal, was in nachdenklichen Unternehmerkreisen zu diesem Thema gesagt wird! Das ist doch keine Propaganda der Sozialdemokratie oder der Gewerkschaften nach dem Motto „Schutzmacht der kleinen Leute", sondern mittlerweile die Grundüberzeugung der meisten in diesem Lande.
Ihr politisches Versäumnis besteht darin, daß Sie weder 1990 noch heute die Fähigkeit und den Mut haben, dieses Vorbild einzufordern. Das ist ein ganz zentrales Versäumnis.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich weiß, daß solche Politik immer mit allen möglichen Hinweisen in ein Abseits gerückt werden kann. Ich mache Sie aber darauf aufmerksam: Wer wirklich politisch verantwortlich agiert, der sollte gerade in diesen Fragen den Konsens suchen. Hier bestehen die größten Unterschiede, und zwar nicht in einer einzelnen politischen Entscheidung, in einer einzelnen sozialpolitischen Maßnahme, sondern in einer Grundüberzeugung von dem, was Gemeinschaft, Solidarität und Zusammenhalt in einer Gesellschaft ist. Sie schwächen das. Wir wollen es stärken.

(Beifall bei der SPD)




Ministerpräsident Rudolf Scharping (Rheinland-Pfalz)

Vor diesem Hintergrund sage ich Ihnen dann einiges zu den vielen Ablenkungsmanövern, die stattfinden.

(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Wann kommen denn die Vorschläge?)

— Sie können nicht zuhören. Ich habe Ihnen vorgeschlagen, die sozialen Sicherungssysteme zu entlasten und eine intelligente Organisation der Arbeit zu verwirklichen. Ich habe Ihnen vorgeschlagen, die Modernisierung des Sozialstaates mit einer aktiven Arbeitsmarktpolitik zu verbinden. Und so weiter, und so weiter.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie denn?)

— Ich nenne Ihnen jetzt nur noch die Stichworte. Ich bin ja gerne bereit, im Zweifel hier noch einmal eine Stunde zu reden. Aber zunächst einmal möchte ich mich Ihnen zuwenden und dem, was Sie an Politik betreiben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt eine dreifache Ablenkung von Ihrer Seite
— dann werden Sie gleich auch wieder Vorschläge hören —: Die erste Ablenkung ist die sogenannte Wertediskussion, die zweite Ablenkung ist die Flucht in das Nationale, und die dritte Ablenkung ist das bewußte Inkaufnehmen von Angst.

(Beifall bei der SPD — Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Wieder keine Vorschläge!)

Zum ersten Punkt, was die Werte angeht: Sie sagen: Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit, Fleiß, Sparsamkeit, Leistung, das alles seien gute Werte. Ich bestreite das nicht; natürlich sind sie das. Dagegen ist nichts einzuwenden. In der politischen Diskussion allerdings ist zu fragen, wer diese Werte beschwört.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Lafontaine! — Zurufe von der CDU/CSU: Helmut Schmidt! — Engholm!)

Bei der Ehrlichkeit und der Glaubwürdigkeit fällt mir im Zusammenhang mit der deutschen Einheit und dieser Bundesregierung eine Menge ein.

(Beifall bei der SPD — Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Uns auch!)

Das sind ja Chiffren für ein Problem, wie Sie alle sehr genau wissen: „Blühende Landschaften", „Niemandem wird es schlechter gehen, vielen bald besser", „Keine Steuererhöhungen" usw. Ich habe nichts dagegen, daß Sie die Tugenden der Ehrlichkeit, der Glaubwürdigkeit, der Wahrhaftigkeit proklamieren. Ich hätte noch viel mehr Sympathie, wenn Sie sie praktizierten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Dann haben Sie hier einiges über Schleswig-Holstein und Herrn Engholm gesagt. Ich will Ihnen auch dazu etwas sagen. Ich finde, das ist aufklärungsbedürftig und wird auch aufgeklärt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das wird auch langsam Zeit! — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Na, gelogen wird, daß sich die Balken biegen!)

Dazu: Die SPD hat doch den Untersuchungsausschuß beantragt. Ich will Ihnen eines sagen, und ich sage das in aller Offenheit: Ich finde vieles davon bedrükkend,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das sollte Sie auch aufregen!)

und ich bin sicher, wir würden vernünftiger miteinander reden, wenn Sozialdemokraten — wenn Sie mal zuhören könnten — zu diesem Teil sagen könnten, daß sie das bedrückend und schwierig finden, und die Christdemokraten zu den Ministergehältern in Sachsen-Anhalt dasselbe sagen könnten.

(Beifall bei der SPD)

Dann wäre das eine glaubwürdige Operation.

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Ja, Entschuldigung! In einem Land wie Sachsen-Anhalt — da lachen Sie möglicherweise, aber das ist dann auch wieder ein Punkt, wo es mir persönlich ein bißchen mehr als nur unter die Haut geht —, in einem Land wie Sachsen-Anhalt mit diesen riesigen Problemen solche Gehälter für die westdeutschen Minister und den Ministerpräsidenten zu zahlen, das finde ich unanständig, um es ganz deutlich zu sagen. Das ist unanständig!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN — Zurufe von der CDU/ CSU)

Das eigentlich Interessante wäre doch, wenn nicht nur wir die Kraft aufbringen könnten, zu sagen: Jawohl, es gibt auch in der Sozialdemokratie — wer wollte das bestreiten— Schwierigkeiten. Und ich füge hinzu, wir sind auch noch nicht so gut, wie wir sein möchten. Aber Ihre Rede würde glaubwürdiger, wenn Sie zu Ihren eigenen Schwierigkeiten auch mal etwas sagen würden, anstatt ständig einen politischen Prozeß voranzubringen, der nur in gegenseitigen Vorwürfen besteht, anstatt eine Linie aufzuzeigen, längs derer man sich bewegen kann.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben noch nicht einmal zugehört!)

Dann sagen Sie — wir sind ja noch bei der Wertediskussion —, Leistung soll sich lohnen, die Leistungsträger usw. Dann erklären Sie mir bitte mal, was diese allgemeine Rede Ihrer Politik eigentlich bedeutet, wenn Sie jetzt jungen Gesellen durch die Änderungen im Arbeitsförderungsgesetz den Weg zum Meisterbrief versperren werden. Dann erklären Sie mir das bitte mal!

(Beifall bei der SPD)

Davon zu reden, Herr Bundeskanzler, wir hätten zu viele Studenten und zuwenig Lehrlinge, das ist ein Punkt, der Gruppen gegeneinander ausspielt und übrigens an den Notwendigkeiten eines technologisch hochentwickelten Landes vorbeigeht.
Aber im übrigen wird Ihre Rede nicht dadurch glaubwürdiger, daß Sie die mangelnde Zahl der Lehrlinge beklagen und gleichzeitig Zukunftschancen gewerblich-technischer Berufe mit Blick auf den Meisterbrief und mit Blick auf die Fachhochschulen



Ministerpräsident Rudolf Scharping (Rheinland-Pfalz)

zuschütten. Wenn Sie das eine beklagen, dürfen Sie das andere nicht tun.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Ihre Rede wird nicht glaubwürdiger!)

Und was die Leistung angeht, meine Damen und Herren: Ich habe ja schon auf die großen christlichen Kirchen und die Soziallehre der katholischen Kirche wie die Diakonie der evangelischen hingewiesen. Sie haben hier das Stichwort von der Raffgesellschaft aufgegriffen. Ich sage Ihnen eines ganz deutlich: Sie wissen ja, wo das Wort steht. Sie wissen also auch, gegen wen Sie sich wenden. Ich versage mir, nachdem ich gehört habe, wie unangenehm das manchem Beteiligten war, aus der Rede des Präses Beier zum 3. Oktober 1993 hier noch einmal zu zitieren. Aber ich mache darauf aufmerksam: In dem Augenblick, wo Sie sich gegen die Sozialdemokratie wenden, weil sie die katholische Soziallehre, weil Sie die evangelischen Kirchen und andere verantwortliche Kräfte bis hin zu den Gewerkschaften zitiert, wenden Sie sich nicht nur gegen die Sozialdemokratie, sondern zugleich gegen alle diese Kräfte, und das werden Sie irgendwann auch als Quittung zurückbekommen.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe davon gesprochen, Herr Bundeskanzler, daß das große Kapital an Mut, Hoffnung und Engagement weitgehend verwirtschaftet ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wann kommen die Vorschläge?)

Vor diesem Hintergrund sage ich dann auch etwas — Sie haben darum gebeten — zu Symbolen.

(Zuruf von der SPD: Zuhören!)

Man kann lange darüber streiten. Ich habe nicht die Absicht gehabt und habe sie auch in Zukunft nicht, Herrn Heitmann zu verletzen. Aber er ist zu einem Symbol geworden, und das reicht doch bis weit in Ihre Partei hinein. Da bringt man sich hier und da mal ein paar Zitate und Presseausschnitte mit, in der Erwartung, daß zu dem Thema etwas gesagt und möglicherweise auch geantwortet werden müsse.
Mich stimmt es bedenklich, wenn der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, Herrn Heitmann vorwerfen muß, daß er zur Enttabuisierung bei Themen beitrage, bei denen es keine Enttabuisierung geben dürfe, weder gegenüber ausländischen Mitbürgern noch gegenüber der Vergangenheit, für die ja viele keine Schuld, der gegenüber wir alle aber gemeinsam Verantwortung haben. Ich könnte Ihnen auch vorlesen, was Herr Eylmann zu diesem Thema gesagt hat, nämlich daß Herr Heitmann keine Integrationsfigur sei. Ich könnte auch zitieren, was ich an anderer Stelle von anderen Abgeordneten und anderen Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes bis weit in die Reihen Ihrer Partei hinein lese.
Schauen Sie, Sie können mir vorwerfen, daß ich mich scharf ausgedrückt habe. Mit diesem Vorwurf kann ich leben.

(Michael Glos [CDU/CSU): Wollen Sie sich

entschuldigen?)
Ich kann mit dem Vorwurf leben, und ich füge hinzu: Persönlich angreifen und herabsetzen möchte ich Herrn Heitmann gar nicht. Mir geht es um etwas ganz anderes, nämlich um die Art und Weise, wie in diesem Land mit dem Amt des Bundespräsidenten in den letzten Monaten umgegangen wurde.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Mir wäre Herr Heitmann nicht eingefallen. Daß er Ihnen eingefallen ist, ist auch ein Signal, ein Symbol.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage Ihnen, Herr Bundeskanzler, genauso deutlich: Das Problem ist nicht der Kandidat, sondern sind die Strukturen, in denen er benannt worden ist, und der politische Wille, der dahintersteht. Das ist das eigentliche Problem.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir schon über Symbole reden — und für mich ist das ein Symbol —, könnte ich vieles hinzufügen. Ich lebe lieber mit solchen Symbolen, wie sie im Umfeld der Sozialdemokratie entstanden sind. Aus meiner Sicht ist nicht nur der im Warschauer Getto knieende Willy Brandt ein gutes Symbol, sondern auch Johannes Rau für das Zusammenwachsen und das Zusammenhalten in Deutschland.

(Beifall bei der SPD)

Das zweite Ablenkungsmanöver ist die Flucht in das Nationale. Sie findet unterschiedlich stark statt, in der CSU sicherlich etwas stärker als in der CDU und dort in manchen Teilen stärker als in anderen. Insgesamt aber geht diese Entwicklung voll zu Lasten einer möglicherweise sehr schlichten, dennoch zutreffenden Erkenntnis: Keines der großen Zukunftsprobleme ist noch national beantwortbar. Wer ins Nationale flieht, flieht zugleich vor der Lösung dieser Zukunftsprobleme.

(Beifall bei der SPD)

Nichts, weder in der Umweltpolitik noch in der Industriepolitik, weder in der Verkehrspolitik noch in anderen Bereichen, schon gar nicht die globalen Themen von Frieden und Entwicklung, läßt sich noch national lösen.
Vor diesem Hintergrund ist es ein ungewöhnlich bedenkliches Zeichen für die geistige Situation der Zeit und die geistige Situation, in der Sie sich befinden, daß Sie Orientierung und Führung auch insoweit verweigern, als Sie den Menschen vorzugaukeln beginnen, man könne mit den Mitteln des nationalen Staates die großen Lebensprobleme und Zukunftsaufgaben noch lösen.

(Beifall bei der SPD)

Ich füge ausdrücklich hinzu, daß ich die Differenzen in der Union sehr wohl sehe. Ich füge an dieser Stelle hinzu, daß ich ausdrücklich die Europapolitik des Bundeskanzlers in der langen Linie — Einzelheiten kann man immer diskutieren — unterstütze. Es wäre



Ministerpräsident Rudolf Scharping (Rheinland-Pfalz)

vielleicht nicht schlecht, wenn die CSU das von sich auch sagen könnte.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Helmut Schäfer [Mainz] [F.D.P.])

Es ist ja nicht so, daß wir aus zum Teil sehr erheblichen Meinungsverschiedenheiten und aus politischer Gegnerschaft eine gewissermaßen prinzipielle Feindschaft machen müßten. Es ist auch nicht so, daß Übereinstimmung in manchen Fragen, die man aus Gründen des überragenden allgemeinen Interesses für wichtig hält und anstrebt, immer wieder sofort in alle möglichen parteipolitischen Kästen einsortiert werden müßte. Ich weiß, die Versuchung ist groß, nicht nur bei Journalisten, sondern auch bei solchen, die davon parteipolitisch leben.
Dennoch füge ich hinzu, daß man auch im Bereich der internationalen Politik schon wegen der dauerhaften Berechenbarkeit eines Landes überall da, wo es möglich ist — notfalls auch einmal unter einer gewissen Anstrengung —, Gemeinsamkeit anstreben sollte.
Vor diesem Hintergrund — ich sage das in diesem Zusammenhang ausdrücklich so — seien Sie mir bitte nicht böse, wenn ich sage, daß Herr Ministerpräsident Stoiber bezüglich der Rolle der Bundeswehr — man kann darüber streiten, wie das mit der „Interventionsarmee" ist — unstreitig ist aus sozialdemokratischer Sicht, daß die Bundeswehr ein Mittel der Landesverteidigung ist und unsere volle Unterstützung hat;

(Beifall bei der SPD)

das kann Ihnen seit dem Godesberger Programm eigentlich nicht mehr neu sein — bei einem Truppenbesuch in Roth das Wort „Interventionsarmee" ausdrücklich als einen Ehrentitel bezeichnet hat. Ich knüpfe daran zunächst einmal keine weiteren Schlußfolgerungen. Ich denke nur, es wäre gut, wenn Sie sich auch damit auseinandersetzten.
Im Zusammenhang mit Somalia und den Vereinten Nationen sage ich Ihnen: Herr Kollege Schäuble hat mir bei der ersten Lesung dieses Haushaltes — neben einigen anderen interessanten Erfahrungen — auch gesagt, ich hätte ihm einen interessanten Zwischenbericht von den Vorarbeiten für den Parteitag der SPD gegeben. Jetzt könnte ich Ihnen, Herr Kollege Schäuble, einen Abschlußbericht liefern. Ich weiß, daß Sie dies nicht freuen würde. Ich weiß auch, daß Sie mit dieser Art von Abschlußbericht gar nicht gerechnet haben. Das aber ist nun wirklich Ihr Problem!
Ich will im Zusammenhang mit internationaler Politik und den Vereinten Nationen nur zwei Sätze sagen. Der eine ist mehr prinzipieller Natur: Es ist völlig unbestritten, daß die Bundesrepublik Deutschland mit dem Beitritt zu den Vereinten Nationen die Rechte und Pflichten der Charta übernommen hat. Genauso muß es unbestritten bleiben, daß in den einzelnen Fragen und, wenn Sie so wollen, für jede Partei entschieden wird, wie man dieser internationalen Verpflichtung gerecht werden will.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der konkrete Satz bezieht sich auf den Einsatz in Somalia. — Herr Kollege Kinkel und Herr Kollege
Rühe, es wäre durchaus reizvoll, aber ich lasse das jetzt einmal weg. — Ich will auf einen ganz anderen Punkt hinweisen, der auch etwas mit der geistigen Situation der Zeit zu tun hat. Ich versuche, mir vorzustellen, welche Debatten in Deutschland entstanden wären, wenn die Hilfsorganisationen gesagt hätten: Verehrte Bundesregierung, gebt uns bitte 500 Millionen DM, damit wir den Menschen in Somalia wirksam helfen können. Ich versuche, mir das vorzustellen!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich bitte Sie, auch einmal zu überlegen, ob es nicht ein auch für Sie bedenkliches Zeichen sein müßte, daß eine solche Frage vermutlich ein eher homerisches Gelächter ausgelöst hätte, wir aber in der Lage sind, zur angeblichen Versorgung von— ich weiß nicht, wie vielen — indischen Soldaten — garantiert nicht annähernd so vielen, wie es hätte sein sollen — beizutragen.

(Vors i t z : Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg)

Ich frage Sie, ob Sie nicht bei der auch aus unserer Sicht unbestreitbar notwendigen Mitwirkung Deutschlands an humanitären Aktionen, an Blauhelmaktivitäten einschließlich ihres Schutzes, auch des Schutzes ihres Auftrages bei Embargomaßnahmen, also an allem, was die Vereinten Nationen in den letzten Jahren gemacht haben und in den nächsten Jahren vermutlich tun werden — unbeschadet der Soldaten und des Respekts ihnen gegenüber —, am Ende mit dieser Art von Einsatz dem Ziel, das verfolgt werden soll — nicht dem humanitären, sondern dem politischen —, eher Schaden zugefügt haben. Dies ist mein Eindruck.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich füge hinzu, daß angesichts dieser Entwicklung für meine Begriffe mancher vordergründige Streit — soweit er ein vordergründiger ist — beerdigt werden könnte, wenn denn alle Beteiligten wollten.
Sie haben etwas zum Doppelbeschluß der NATO gesagt. Man kann dessen Wirkungen so oder so beurteilen. Die deutsche Einheit auf die Durchsetzung des Doppelbeschlusses zurückzuführen, halte ich freilich für eine gerade bei Historikern gefährliche Verkürzung.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ohne das Bild vollständig machen zu wollen, aber um es — jedenfalls in Umrissen — vollständiger zu zeichnen, sage ich: Wir sollten nicht vergessen, daß die große Chance der deutschen Einheit uns auf der Grundlage mehrerer Entwicklungen und politischer Entwicklungslinien erreicht hat. Dazu gehört ganz sicher die Politik Willy Brandts und Helmut Schmidts.

(Beifall bei der SPD)




Ministerpräsident Rudolf Scharping (Rheinland-Pfalz)

Dazu gehört ganz sicher die Politik des Michail Gorbatschow.

(Beifall bei der SPD)

Und, Herr Bundeskanzler, ich stehe in diesem Hause nicht an, neben vielem, was ich zu kritisieren habe, auch zu sagen, daß im Zusammenhang mit der staatlichen Einheit der Deutschen ganz sicher Sie, Ihre Bundesregierung und der Herr Bundesaußenminister ebenfalls Verdienste haben. Das ist genauso unbestreitbar.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber es ist für meine Begriffe weder für die politische Kultur dieses Landes noch für die Auseinandersetzung zwischen Parteien hilfreich, wenn diese schlichten, unbestreitbaren Tatsachen immer wieder dadurch in Abrede gestellt werden, daß man sich nur auf einen einzigen Punkt konzentriert, um gewissermaßen die eigene Durchsetzungsstärke zu demonstrieren. Nein, es war mehreres, das Zusammenwirken vieler Faktoren, vieler Politikerinnen und Politiker, vieler politischer Kräfte. Das sollte man ausdrücklich anerkennen.

(Beifall bei der SPD)

Ein dritter Hinweis ist die Frage nach dem Ablenkungsmanöver bei der Flucht in die Angst. Einige von Ihnen sagen: Die Sozialdemokraten mit ihrer Mehrheit im Bundesrat blockieren.

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das stimmt ja auch!)

Ich habe mir die Abstimmungen über den Haushalt angeschaut und, da ich solches in der Regel gründlich mache, auch die verschiedenen Erklärungen, die dazu abgegeben worden sind. Ich habe also nicht nur die Reden gelesen, sondern auch nachgesehen, was die einzelnen sonst noch schriftlich erklären, in der Hoffnung, es fällt nicht so auf.
Da ist eine relativ große Zahl von Mitgliedern der Unionsfraktion, die bei der Abstimmung im Deutschen Bundestag erklärt haben, erstens hätten sie erhebliche Bedenken gegen den Inhalt des Haushalts, insbesondere der Begleitgesetze, zweitens würden sie zustimmen, drittens täten sie das in der Erwartung, daß über den Vermittlungsausschuß von Bundesrat und Bundestag Verbesserungen erreicht werden könnten.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Sie müssen sich schon entscheiden, welcher Logik Sie eigentlich folgen wollen. Entweder sagen uns 60 oder 70 Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion: Liebe Sozialdemokraten, verhindert mit eurer Mehrheit im Bundesrat das, was wir hier im Deutschen Bundestag, mit schlechtem Gewissen freilich, beschließen, oder aber Sie sagen uns, es sei Blockade. Wenn wir es einmal etwas spöttisch formulieren dürfen: Ich meine, es ist nichts anderes als der Versuch, den Wünschen Ihrer Sozialausschüsse gerecht zu werden, und dagegen kann doch ein vernünftiger Christdemokrat nichts einwenden!

(Beifall bei der SPD)

Da mein Stichwort aber die Angst war, möchte ich an dieser Stelle noch einmal betonen, daß eine Modernisierung des Sozialstaates mit der Überprüfung aller seiner Leistungen, aller seiner Freibeträge nicht dadurch begonnen werden kann, daß man schematisch da wegschneidet, ohne andere zur Leistung mit heranzuziehen. Das genau verursacht die Angst, die Depression, die Wut, die Enttäuschung, am Ende den wachsenden Radikalismus.
Das ist vielleicht ein in Ihren Augen scharfer, aus meiner Sicht absolut begründeter Vorwurf. Im Kern sorgen Sie selbst mit für die wirtschaftlichen und sozialen Ursachen wachsender Angst, wachsender Orientierungslosigkeit und auch wachsenden Radikalismus in diesem Lande.

(Beifall bei der SPD)

Ein zweites Stichwort in diesem Zusammenhang ist die Staatsverschuldung. Der Herr Bundesfinanzminister redet ja immer davon, daß die Konsolidierung fortgesetzt werde. Und so wird ein Haushalt mit einer enormen Schuldenlast, wie im Jahre 1994 beabsichtigt, ebenfalls am Ende wieder zu einem Haushalt der Konsolidierung. Das ist eigenartig. Das entwertet ja nicht nur die Worte, sondern führt im Kern auch dazu, daß viele Leute nicht mehr glauben, was mit diesen Worten eigentlich verbunden ist.

(Beifall bei der SPD)

Sie reden von der Entgeltfortzahlung und meinen die Lohnkürzung. Sie reden von der Konsolidierung und meinen die wachsende Verschuldung — Orwell läßt grüßen.
Diese Frage steht auch im Zusammenhang mit politischer Kultur und mit den Realitäten, die dahinterstecken. Ich beschränke mich auf einen einzigen Satz: Ich hätte Ihre Reden von diesem Pult hören wollen, wenn sich irgendein sozialdemokratischer Finanzminister eine solche Haushalts- und Finanzpolitik geleistet hätte, wie Sie sie sich in den letzten Jahren geleistet haben.

(Beifall bei der SPD)

Gegenüber dem, was Sie hier dann vermutlich zum besten gegeben hätten, ist alles das, was die Kollegin Ingrid Matthäus-Maier sagen kann, ein sanftes Säuseln.
Das sachliche Problem allerdings ist wesentlich ernster. Am Ende des Jahres 1994 wird der Bund — vorausgesetzt Ihre Zahlen und Ihre Planungen träten denn ein; vermutlich treten sie ja eher nicht ein — einen konsolidierten Schuldenstand von fast 750 Milliarden DM haben. In den Schattenhaushalten steht noch einmal fast dieselbe Summe. Man kann lange darüber reden, ob die Höhe der Staatsschuld insgesamt schon problematisch ist. Aber eines ist unbestreitbar: Das Tempo, mit dem Sie die Staatsschuld wachsen lassen, ist ganz und gar unverantwortlich.

(Beifall bei der SPD)

Vor diesem Hintergrund gibt es aus der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion heraus eine Reihe von Vorschlägen. Es gab sie übrigens auch bei dem Föderalen Konsolidierungskonzept. Es war für mich eine der interessantesten Erfahrungen überhaupt, daß weiterreichende Vorschläge der sozialdemokrati-



Ministerpräsident Rudolf Scharping (Rheinland-Pfalz)

schen Ministerpräsidenten und anderer auf Abbau von Subventionen und Steuervergünstigungen bei diesem Bundesfinanzminister keine Gnade gefunden haben,

(Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das ist ja nicht zu fassen!)

obwohl er ansonsten natürlich sehr viel von Konsolidierung redet.

(Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Da meint man wirklich, Sie seien nicht dabeigewesen!)

— Herr Kollege Waigel, ich kann Ihnen das auch gerne noch einmal im einzelnen vorführen, will aber jetzt mit Rücksicht auf die Zeit darauf verzichten.

(Hermann Rind [F.D.P.]: Weil nichts da ist!)

— Entschuldigung, ich kann Ihnen das noch einmal mit den globalen Zahlen belegen: Wir haben dem Bundesfinanzminister eine Liste mit Maßnahmen des Subventionsabbaus vorgelegt, die Posten in der Größenordnung von etwa 11 Milliarden DM umfaßte. Akzeptiert hat er 800 Millionen DM.

(Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Luftbuchungen!)

— Herr Kollege Waigel, da haben Sie allerdings Recht: Sie sind der Berufenste überhaupt, wenn es darum geht, von Luftbuchungen zu reden. Das will ich nicht bestreiten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ein Bundesfinanzminister, der vor einem Jahr prognostiziert hat, er werde im Jahr 1994 die Nettoneuverschuldung des Bundes auf unter 30 Milliarden DM drücken, und der am Ende mit 70 Milliarden DM herauskommt, darf nicht mehr über Luftbuchungen reden und über Seriosität von Finanz- und Haushaltspolitik erst recht nicht.

(Beifall bei der SPD — Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Sie müssen sehen, was sich verändert hat!)

— Ich weiß, was sich verändert hat. Ich weiß auch, was ich als Regierungschef in einem Bundesland zu tun habe. Da werden jedenfalls die Zahlenvorgaben unseres gemeinsamen Finanzplanungsrates befolgt. Das hat durchaus schmerzhafte Entwicklungen und schmerzhafte Entscheidungen zur Folge. Aber ich sage Ihnen auch an dieser Stelle: Wenn Sie in der Lage wären, nicht nur auf die Schwächeren und Benachteiligten in der Gesellschaft zu schauen, sondern alle ins Visier zu nehmen, dann gäbe es in diesem Land nicht nur mehr soziale Gerechtigkeit, sondern auch solidere Finanzen.

(Beifall bei der SPD)

Sie sagen mehreres — im Sinne einer Ablenkung — zur inneren Sicherheit. Es verändert sich eigenartigerweise etwas: Vorher haben Sie geglaubt, mit diesem Thema die Sozialdemokraten treiben zu können. Die Kriminalität steigt — die SPD verhindert, daß
man etwas dagegen tun kann. Mittlerweile hat sich die Argumentation gewendet.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Jetzt meinen Sie, Sie können uns treiben?!)

— Nein, das glaube ich eigentlich nicht. Ich bin an der Lösung eines Problems interessiert, Herr Kollege Schäuble. So taktisch, wie Sie denken, will ich gar nicht denken.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Solms, zu Ihrem Geburtstag, zu dem ich herzlich gratuliere, hätte ich gerne etwas Freundlicheres gesagt, als in diesem Zusammenhang gesagt werden muß.

(Heiterkeit bei der SPD)

Nur, fragen Sie sich als liberale Rechtsstaatspartei, soweit Sie das noch sind, einmal, ob die Zielsetzungen des Schutzes von Freiheitsrechten — hier geht es um den Schutz von Freiheitsrechten — und der Gewährleistung der Stabilität demokratischer Institutionen nicht gerade bei einem liberalen Rechtsstaatspolitiker vollen Anklang finden müßten.
Ich weiß, daß da manches schwierig ist. Aber ich will Ihnen ganz deutlich sagen, daß sich die Mütter und Väter des Grundgesetzes vermutlich nie haben vorstellen können, welche Entwicklung organisierte Kriminalität in Deutschland haben würde. Vieles von dem, was wir als Alltagskriminalität wahrnehmen, ist nichts anderes als Kriminalität mit organisiertem Hintergrund. Das wissen Sie, das weiß ich, und das wissen alle, die sich mit dem Thema beschäftigen.
In diesem Zusammenhang mache ich mir enorme Sorgen, wenn auch nicht so sehr über das, was der Kollege Glos hier gesagt hat. Er redet über Drogen — wir haben ein insgesamt gutes Konzept, das übrigens nach Meinung aller Fachleute ein geschlossenes und das beste aus dem Bereich der Politik zur Bekämpfung von Kriminalität in Deutschland ist — und verbindet das mit Bemerkungen zum Rechtsgefühl. Das finde ich interessant. Darüber kann man auch diskutieren.
Beziehen wir aber in die Diskussion folgendes ein: Was wird im Rechtsgefühl der Bürgerinnen und Bürger angesichts eines Vorganges, der sich mit dem Namen Schalck-Golodkowski verbindet, angerichtet?

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich will jetzt nicht über die privaten Briefe an den Kollegen Schäuble reden; auch dazu könnte man etwas sagen, auch zu der Frage, wie das in anderen politischen Mehrheitsverhältnissen zu einer Debatte geführt hätte.

(Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Was soll denn das, was Sie hier machen?)

— Das wissen Sie ganz genau, was das soll, Herr Bundeskanzler. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß mit Blick auf das Rechtsgefühl von Bürgern ein solcher Umgang mit einem — aus meiner

Ministerpräsident Rudolf Scharping (Rheinland-Pfalz)

Sicht jedenfalls — wesentlichen Problem unangemessen ist.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Für das Rechtsgefühl der Bürger ist die Art und Weise, wie mit Herrn Schalck-Golodkowski in der Vergangenheit umgegangen wurde und möglicherweise in Zukunft umgegangen werden wird, vermutlich wesentlich gravierender als die ernsthafte Diskussion über die Frage, ob man im Bereich der Drogenkriminalität nicht endlich dazu kommen kann, ein wirksames Instrumentarium gegen skrupellose und das Leben und die Gesundheit von Menschen gefährdende Geschäftemacher in die Hand zu bekommen und die Konsumenten nicht ständig über das Strafrecht zwangsläufig zu Verbündeten eben dieser skrupellosen Geschäftemacher zu machen. Darüber muß man wenigstens einmal reden können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Da wir ja von einem vereinten Europa reden und in einem zusammenwachsenden Europa miteinander verhandeln, werden Sie sicher Verständnis dafür haben, daß ich Sie gerade in diesem Zusammenhang auch auf andere internationale Erfahrungen hinweise.
Am meisten bedenklich finde ich, Herr Kollege Sohns, was Sie zu diesem Thema gesagt haben. Denn über den Eigentumsschutz zu reden,

(Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Eigentumsgarantie!)

den Art. 14 GG zu zitieren und die Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums aus Art. 14 GG schlicht zu vergessen,

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

das finde ich schon sehr beachtlich.

(Hermann Rind [F.D.P.]: Das ist eine Unterstellung!)

— Nein, das ist keine Unterstellung; denn wenn Sie den absoluten Eigentumsschutz auch auf kriminell erworbenes Vermögen ausdehnen wollen, dann mißachten Sie genau die Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219202400
Herr Ministerpräsident, sind Sie bereit, eine Frage des Abgeordneten Solms zu beantworten?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1219202500
Aber gerne.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219202600
Bitte sehr.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1219202700
Herr Ministerpräsident, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich in meinen Ausführungen auf den Eigentumsartikel,
auf Art. 14 des Grundgesetzes, hingewiesen habe, so wie er in allen seinen Absätzen und in seiner rechtlichen Interpretierung besteht, und daß ich dabei nur gesagt habe, daß Sie bereit sind, mit Ihren Beschlüssen auf dem Parteitag von Wiesbaden diesen Eigentumsartikel, so wie er besteht und auch in der Rechtsprechung interpretiert ist, zu ändern und das Eigentumsrecht auszuhöhlen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1219202800
Herr Kollege Solms, niemand in der Sozialdemokratie denkt an eine Aushöhlung des Eigentumsrechtes, wohl aber daran, daß bei begründetem Verdacht des kriminellen Erwerbs eines Vermögens dieses Vermögen eingezogen werden kann.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie werden sonst niemals in die Lage kommen, das organisierte Verbrechen im Kern zu treffen, nämlich bei seinen finanziellen und wirtschaftlichen Anreizen.

(Beifall bei der SPD)

Da Sie, Herr Kollege Solms, Fachmann auf dem Gebiet sind, wissen Sie, daß ein kriminell erworbenes Vermögen nach einem Strafverfahren und einer entsprechenden Verurteilung in sehr engen Grenzen beschlagnahmt werden kann.
Was wir wollen, ist, daß in der Regel mit den Gründen, die für den Haftbefehl oder die Erhebung der Anklage ausreichen, vorher auch beschlagnahmt werden kann. Stellt sich heraus, daß es unberechtigt war, dann bekommt der Mensch selbstverständlich sein Vermögen zurück. Stellt sich heraus, daß es berechtigt war, dann hat er während der laufenden Strafverfolgung keine Chance, mit diesem Vermögen noch weiter Schaden anzurichten. Darum geht es.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219202900
Darf ich unterstellen, daß Sie, Herr Ministerpräsident, bereit sind, eine weitere Frage zu beantworten?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1219203000
Wenn wir es dabei belassen könnten, gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1219203100
Ja, natürlich. — Ich hatte mich gemeldet, bevor Sie soeben Ihre Ausführungen machten, will aber trotzdem darauf hinweisen, daß Ihnen sicher bekannt ist, daß im Strafrecht die Möglichkeit der Vermögenseinziehung bereits geregelt ist.

(Zuruf von der SPD: Das hat er doch gesagt!)

Deswegen frage ich Sie, ob Sie tatsächlich der Meinung sind, daß eine Vermögenseinziehung auch schon im Falle des reinen Verdachtes stattfinden soll, oder ob Sie nicht der Meinung sind, daß es in einem Rechtsstaat üblich ist und auch üblich sein muß, daß es zu solchen Maßnahmen erst kommen darf — denn schon mit dem Einzug ist ja eine Vermögensverletzung verbunden —, wenn es zu einer richterlichen Entscheidung, zu einer Schuldentscheidung über



Dr. Hermann Otto Solms
denjenigen, der unter Verdacht steht, gekommen ist.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1219203200
Herr Kollege Solms, ich habe hierzu drei Hinweise zu geben.
Erstens glaube ich nicht, daß die Vereinigten Staaten von Nordamerika in diesem Bereich weniger rechtsstaatlich sind als die Bundesrepublik Deutschland. Aber sie verhalten sich konsequenter.
Das zweite ist: Ich habe den ganz sicheren Eindruck, daß für diese Position alle sachlichen Gründe sprechen. Ich habe nicht vom bloßen Verdacht gesprochen, auch nicht vom Anfangsverdacht, sondern von den Gründen, die in der Regel für einen Haftbefehl oder die Erhebung der Anklage ausreichen. Davon habe ich gesprochen.

(Zurufe von der F.D.P.)

— Moment! Sie wissen doch ganz genau, daß es zwischen dem Anfangsverdacht und dem Verdacht, der die Anklageschrift begründet, einen Unterschied gibt.
Mein dritter Hinweis, Herr Kollege Solms, ist folgender. Ich muß Ihnen mit vollem persönlichen Respekt ehrlich sagen: Ich habe schon gesehen, daß das F.D.P.-Präsidium das Bedürfnis hatte, Herrn Kinkel den Rücken zu stärken. Warum eigentlich?, fragt man sich.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Man muß einmal fragen, wie dieses Bedürfnis eigentlich entsteht. Nur, daß Sie mir jetzt diese Frage stellen, der Sie doch immer kräftig dafür geworben haben, daß bei Art. 13 GG etwas geschehen müsse, weil die F.D.P. sonst in eine schlimme Lage komme, und der Sie im F.D.P.-Präsidium möglicherweise anders votiert haben, jedenfalls öffentlich anders agieren, ist für mich schwer nachvollziehbar. Ich habe diese meine Meinung immer offen geäußert

(Beifall bei der SPD)

und versucht, sie durchzukämpfen. Ihr Problem ist folgendes: Sie haben es nicht durchkämpfen können oder nicht durchkämpfen wollen. Jetzt suchen Sie einen Ablenkungsschauplatz. Das ist alles.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219203300
Herr Ministerpräsident, der Abgeordnete Glos bittet ebenfalls, eine Frage beantwortet zu bekommen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1219203400
Wenn Sie es auch noch einmal versuchen wollen, gerne.

(Heiterkeit bei der SPD)


Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1219203500
Herr Ministerpräsident, ich möchte fragen, ob Sie bereit sind, nachdem Sie den bayerischen Ministerpräsidenten zitiert haben, sein Zitat vollständig zur Kenntnis zu nehmen. Er hat bei dieser von Ihnen angesprochenen Rede gesagt:
Die Mission der Soldaten im 21. Jahrhundert
heißt: schützen, retten, helfen. Lassen Sie sich
nicht von dem bösen Wort „Interventionsarmee" einschüchtern. Die Bundeswehr als Interventionsarmee ist für mich kein Schimpfwort, sondern ein Ruhmestitel.

(Lachen bei der SPD)

Die Bundeswehr interveniert für den Frieden in der Welt, sie interveniert für die Sicherheit der Heimat, sie interveniert nicht zum Kriege.

(Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1219203600
Herr Kollege Glos, ich bin Ihnen für die Verlesung des Zitates schon deshalb dankbar, weil Sie damit klargemacht haben, daß der Kollege Stoiber mit den Worten vom Schützen, Retten, Bergen etc. der Bundeswehr die Beschreibung einer bewaffneten Feuerwehr zugemessen hat — wenn Sie sich damit auskennen.

(Heiterkeit bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

— Nein, mit Verlaub: Wenn das Zitat unvollständig war, nehme ich die Korrektur gern zur Kenntnis und füge hinzu: Wenn der Kollege Stoiber davon gesprochen hat, daß die Bundeswehr nicht im Sinne von Krieg intervenieren solle, dann frage ich mich, wieso eigentlich Sie noch Kritik an der Sozialdemokratie äußern, die genau diese Grenze für Ihre politische Willensbildung formuliert hat. Das müssen Sie mir einmal erklären!

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: Hättest du doch geschwiegen!)

Lassen Sie mich mit Rücksicht auf die Zeit — es ist durch die Zwischenfragen etwas länger geworden — zusammenfassend folgendes sagen:
Wir, die Sozialdemokratie in diesem Haus und überhaupt, treten dafür ein, daß eine dynamische Wirtschaftspolitik mit einer aktiven Arbeitsmarktpolitik verbunden wird, daß die Entlastung von Arbeitskosten und die Wiederherstellung der sozialen Gerechtigkeit, auch die Herstellung gleicher Rechte von Frauen und Männern, als Leitbild zur Reform, zur Modernisierung des Sozialstaats gilt und nicht zum Unterfall der wirtschaftlichen Entwicklung gemacht werden darf.

(Beifall bei der SPD)

Wir treten dafür ein, daß das Zusammenwachsen und Zusammenhalten zwischen Ost und West in Deutschland zum Leitbild der deutschen Einheit gemacht wird und nicht zum Unterfall der ökonomischen Entwicklung gemacht werden darf.
Wir treten dafür ein, daß die ökologische Erneuerung unserer Volkswirtschaft und eine intelligente Organisation der Arbeit das Leitbild der Modernisierung unserer Volkswirtschaft werden und nicht der Unterfall irgendeiner Art von Konjunkturpolitik.

(Beifall bei der SPD)

Schließlich treten wir dafür ein, daß Effizienz und Rationalität im staatlichen Handeln genauso wie erweiterte Möglichkeiten der Beteiligung von Bür-



Ministerpräsident Rudolf Scharping (Rheinland-Pfalz)

gern an politischen Entscheidungen zum Leitbild zukünftigen staatlichen Handelns gemacht werden.
Herr Bundeskanzler, Sie haben davon gesprochen: Dieses Land braucht Zukunftsperspektiven. — Das stimmt. Ich bestreite nicht, daß Sie in manchen Fragen auch für die Sozialdemokratie unterstützenswerte Politik oder Initiativen verfolgt haben. Im Kern allerdings haben Sie insbesondere in den letzten drei, vier Jahren die Bundesrepublik Deutschland in eine Richtung gesteuert, die für das Land zu einem großen Problem geworden ist. Ich habe Ihnen bei der ersten Lesung dieses Haushalts gesagt, Herr Bundeskanzler: Wir setzen nicht auf Ihren Niedergang, sondern auf eine sachlich begründete, von den Bürgern akzeptierte engagierte Alternative.
Dieser Staat besteht in seinen verschiedenen Ausprägungen seit ca. 44 Jahren. 13 Jahre davon haben Sozialdemokraten als Bundeskanzler amtiert, und mit den Namen von Willy Brandt und Helmut Schmidt verbindet sich die Politik des Friedens und der Entspannung, die Politik innerer Reformen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Und der hohen Verschuldung! — Lachen und Zurufe von der SPD)

— Nach dieser Pointe, Herr Kollege, suche ich nach keiner mehr. Denn mehr Gelächter und Freude kann ich in der SPD-Fraktion nicht erzeugen. — Nein, mit diesen 13 Jahren verbindet sich die Entspannungs- und Friedenspolitik, die Politik innerer Reformen und das kluge, konsequente und kompetente Durchsteuern zweier weltwirtschaftlicher Krisen.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sehr richtig!)

Es war auch bei uns so, daß es Rückschläge und Fehler gegeben hat. Wer wollte das bestreiten. Aber im Kern finde ich, daß wir den Mut haben können und berechtigt sagen können: Das waren im Verhältnis zu dem, was heute stattfindet, ganz sicher bessere Jahre.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Norbert Herr (CDU):
Rede ID: ID1219203700
Wenn das Haushaltsbuch die Bilanz des politischen Wollens ist, dann muß ich Ihnen sagen: Das ist eine Bilanz, die weder dem Arbeitsmarkt noch dem wirtschaftlichen Wachstum, weder der Reform des Sozialstaates noch der Konsolidierung der Finanzen in irgend einer Weise wirksam voranhilft. Und das kann keine Zustimmung aus den Reihen der Sozialdemokratie finden.

(Langanhaltender Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219203800
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Dr. Otto Graf Lambsdorff das Wort.

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID1219203900
Herr Ministerpräsident, Sie haben im ersten Teil Ihrer Rede die Bundesregierung aufgefordert, die beschäftigungspolitischen Anstöße oder Initiativen aus der Europäischen Gemeinschaft aufzunehmen. Ich nehme an, Sie haben das Weißbuch, das in Kopenhagen vorgelegt worden ist, gemeint. Darin ist ein 30-MilliardenECU-Ausgabenprogramm enthalten, das staatlich,
durch Steuern oder durch Kredite, finanziert werden soll. Ich frage: Woher soll das eigentlich finanziert werden? Wer soll eigentlich die Wachstumsfelder, von denen Sie gesprochen haben, bestimmen? Ich frage Sie vor allem, ob Sie auch die letzten Anregungen aus der Kommission aufgreifen wollen, nämlich über Abwertung der Währungen, über Wechselkursanpassungen die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaften zu verbessern. Wenn Sie das wollen, sagen Sie das bitte hier! Sagen Sie bitte auch dem deutschen Sparer, daß Sie eine Abwertung der D-Mark empfehlen!
Zweite Anmerkung: Sie haben die Studie der Schweizerischen Bankgesellschaft erwähnt. Sie haben sie sehr verkürzt erwähnt, Herr Ministerpräsident. Das verdient diese Studie eigentlich nicht. Was Sie zur Rangfolge angegeben haben, ist richtig. Alle die Voraussetzungen, die dazu genannt worden sind, haben Sie nicht erwähnt und konnten Sie wahrscheinlich auch nicht erwähnen. Aber ich will doch sagen, daß das kein Schicksal ist, sondern daß Deregulierung, Privatisierung, Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, Abschaffung von Erhaltungssubventionen Voraussetzungen sind, mit denen man eine solche Entwicklung auch nach Auffassung dieser Studie der Schweizerischen Bankgesellschaft verhindern kann, Voraussetzungen, zu denen allerdings die Sozialdemokratische Partei bisher ihre Zustimmung niemals gegeben hat, sondern an deren Schaffung sie uns immer gehindert hat.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Alte Hüte!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219204000
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Wolfgang Schäuble das Wort.

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1219204100
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Scharping, Sie haben hier eine ganz merkwürdige Rede gehalten.

(Lachen bei der SPD)

Sie haben lange davon gesprochen, daß man über die Zukunftsprobleme unseres Landes reden solle, und dann haben Sie am Schluß Ihrer Rede Ihren Regierungsanspruch mit einem Vergleich der Regierungszeit in den siebziger Jahren mit der in den achtziger Jahren begründet. Das ist ja nun ein Anspruch auf Regierungsverantwortung in den neunziger Jahren, der doch sehr rückwärtsgerichtet begründet wird.

(Beifall bei der CDU/CSU — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Sie haben auch schon einen besseren Einstieg gehabt!)

Im übrigen finde ich, daß wir den Vergleich zwischen den Erfolgen der Regierungstätigkeit in den siebziger Jahren und denen in den achtziger Jahren in aller Ruhe betreiben können. Nur sollten wir es nicht heute in dieser Haushaltsdebatte tun. Deswegen will ich es auch nicht lange machen. Wir sind jetzt in den neunziger Jahren. In der Zwischenzeit hat die Wiedervereinigung stattgefunden. Bei vielen Ihrer Argumente verdrängen Sie das und schieben es einfach weg.



Dr. Wolfgang Schäuble
Ich finde, wenn Sie derartige Diskussionsanforderungen an andere stellen, sollten Sie übrigens auch dem Bundesfinanzminister nicht Luftbuchungen vorwerfen. Wenn sich die gesamtwirtschaftlichen Daten bei den Einnahmen und bei den Ausgaben fundamental verändert haben,

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Er „waigelt" sich so durch!)

dann sind das keine Luftbuchungen, sondern bittere Konsequenzen aus wirtschaftlichen Entwicklungen, die in allen Industrieländern dieser Erde entgegen der Annahme aller Sachverständigen der nationalen und der internationalen Institute schleppender verlaufen sind, als wir alle das gehofft haben. Das kann man dem Bundesfinanzminister nicht als Luftbuchungen anlasten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Bei all Ihren Betrachtungen fällt mir auf, daß Sie im Grunde noch immer ein schwieriges Verhältnis zur deutschen Einheit haben.

(Lachen bei der SPD)

— Ja, das ist leider nicht zum Lachen. Ich finde es manchmal traurig.
Ich habe als Innenminister der damaligen Bundesregierung damit zu tun gehabt, daß wenige Wochen nach der Öffnung der Mauer der damalige Kanzlerkandidat der SPD, Oskar Lafontaine, nichts Besseres zu tun hatte, als die Abschaffung des Aufnahmeverfahrens für Übersiedler zu fordern. Die politischen Auseinandersetzungen sind im Jahre 1990 zwischen Regierung und Opposition so bitter geworden, weil Sie den sozialen Neid und soziale Ängste gegen die deutsche Einheit geschürt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Jetzt reden Sie hier von der Flucht ins Nationale und sagen ganz richtig, daß viele Probleme im nationalen Rahmen nicht mehr bewältigt werden können; in der Umweltpolitik nicht, in der Entwicklungspolitik nicht, bei der Entschärfung der globalen Verteilungskonflikte im Ost-West-Verhältnis und im Süd-Nord-Verhältnis nicht. Nur, Herr Ministerpräsident Scharping, Herr Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei, das Problem, was am allerwenigsten national bewältigt werden kann, ist die Sicherung des Friedens. Sicherung des Friedens heißt, daß wir bündnisfähig bleiben müssen. Mit dem Beschluß Ihres SPD-Parteitags würde die Bundesrepublik Deutschland nicht bündnisfähig bleiben, nicht berechenbar und nicht friedensfähig sein.
Deswegen: Wenn wir im nationalen Rahmen unsere fundamentalen Probleme nicht bewältigen können, dann müssen Sie, um Regierungsverantwortung tragen zu können, Ihre Position überprüfen. Wir werden den Frieden in Deutschland und in Europa nicht bewahren, wenn wir nicht gleichberechtigte, verläßliche Bündnispartner sind. Der Friede ist gefährdet. Die Verteilungskonflikte sind eminent.
Über Somalia und darüber, daß sich nicht alle Ziele und Hoffnungen der Vereinten Nationen dort verwirklicht haben, kann man lange reden. Man sollte das nicht mit der Häme tun, mit der Sie es getan haben,
und nicht der Bundesregierung die Verantwortung zuschieben. Man meint ja geradezu, Sie würden sich darüber freuen, wenn Sie mit solcher Häme darüber reden.
Es ist doch traurig, daß die Ziele nicht besser verwirklicht worden sind. Aber das fundamentale Problem, um das es geht, ist, daß wir im Bündnis mit anderen, im Atlantischen Bündnis, das ein Drittel der Delegierten Ihres Parteitags auflösen wollte, und in der Europäischen Gemeinschaft den Frieden in Europa und darüber hinaus sichern müssen, und dies besser, als er heute gesichert ist. Das wird nicht gehen und nicht besser werden, solange das vereinte Deutschland, immer noch der größte Staat unter den europäischen Staaten, seinen gleichberechtigten Beitrag mit Rechten und Pflichten nicht leistet. Das ist die fundamentale Frage für eine erfolgreichere Politik der Friedenssicherung. Vor dieser Anforderung haben Sie auch auf Ihrem Parteitag in Wiesbaden und in Ihrer Rede vor dem Deutschen Bundestag versagt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich will das zweite auch gleich dazusagen: Ich habe immer, im Jahre 1990 und seitdem, die Sorge gehabt, daß die vielen Veränderungen, die zwangsläufig auf die Menschen zukommen — es sind nicht nur Veränderungen in Deutschland, im Ost-West-Verhältnis und in Europa; der Eiserne Vorhang teilt uns nicht mehr —, zu Verunsicherungen führen und daß dies in einer Gesellschaft, die durch 40 Jahre wachsenden Wohlstand und wachsende soziale Sicherheit gekennzeichnet ist, wie wir es in der alten Bundesrepublik hatten, nicht zu mehr Solidarität führt. Das ist übrigens kein schichtenspezifisches Problem, wie ich es bei Ihnen gehört habe.
Ich bin sehr damit einverstanden, daß wir auch von den Leistungsstärkeren entsprechende solidarische Anstrengungen einfordern müssen. Das kann man nicht dem einen oder anderen zuweisen. Da müssen alle ihren Beitrag leisten. Ich finde, von dieser Solidarität in Deutschland bei allen Schichten unserer Bevölkerung eher zuwenig als zuviel.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Geistig-moralisch!)

— Ja, das macht man natürlich, wenn man in der Opposition ist, bei der Regierung fest, Frau Fuchs. Wenn man aber ernsthaft, wie es Ihr Parteivorsitzender gefordert hat, gemeinsam darüber nachdenkt, dann hat es wahrscheinlich mehr damit zu tun, daß eine langanhaltende Periode von Wohlstand nicht notwendigerweise zu Solidarität führt, sondern eher zu Besitzstandsdenken und zu Neid.
Diese Periode ist nun zu Ende. Die Veränderungen sind unendlich viel größer, als wir das bis 1989/90 noch gewohnt waren. Da sind wir schon wegen zwei Stunden Ladenöffnungszeiten fast an den Rand der Reformfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland geraten. Damit hat es sein Bewenden nicht.
Weil dies aber so ist, war und bleibt meine Überzeugung, daß wir der Grundlagen unserer Gemeinschaft wieder sicherer werden müssen, als wir es heute sind. Diese Grundlagen unserer Gemeinschaft, die ja für die Menschen auch eine Legitimation sind,



Dr. Wolfgang Schäuble
warum ihnen der Staat Leistungen abverlangen muß, warum er sie in die Pflicht nehmen muß, warum man Dienst leisten muß für diese Gemeinschaft, sind ein Grundbestand an Werten, an Tugenden, an Institutionen. Es ist aber auch die gemeinsame Identität, die eine regionale, eine europäische und eine nationale ist.
Diese Grundlagen unserer Identität und das Verständnis als Schutz- und Schicksalsgemeinschaft, die brauchen wir, um diese Veränderungen in demokratischer Stabilität zu meistern. Der Prozeß der inneren Einheit Deutschlands ist noch nicht vollendet.
Herr Ministerpräsident Scharping oder Herr SPD- Vorsitzender, so kommen Sie mit Ihrer Entgleisung auf Ihrem Parteitag, mit dem, was Sie zu Steffen Heftmann gesagt haben, hier nicht davon. Das geht nun unter gar keinen Umständen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Wir haben uns nicht gegenseitig das intellektuelle Niveau zu bewerten.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Wo kommen wir denn da hin?


(Joachim Poß [SPD]: Das machen Sie doch jeden Tag!)

— Nein, ich bewerte jetzt noch nicht einmal Ihren Zwischenruf.

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Der ist nämlich zu blöd! — Eduard Oswald [CDU/ CSU]: So ist es!)

Aus den Reihen der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union ist keine der Frauen und keiner der Männer, die von anderen politischen Gruppierungen für die Nachfolge des Bundespräsidenten vorgeschlagen worden sind, in irgendeiner Weise herabgewürdigt worden.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Woran liegt das denn?)

Aber die Art, wie auch von Ihnen und unter Ihrer Verantwortung als Vorsitzender der SPD der Kandidat Steffen Heftmann behandelt worden ist, ist nicht nur unfair, eine schlimme Entgleisung und eine Beschädigung des Amtes, sondern es ist ein Beitrag, die Mauern in Deutschland weiter aufrechtzuerhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Es hat schon seinen guten Grund — dabei bleibe ich; da kann man unterschiedlicher Meinung sein; ich meine, es tut dem vereinten Deutschland gut —, wenn drei Jahre oder vier Jahre nach der staatlichen Einheit auch eine Frau oder ein Mann aus dem Teil Deutschlands, der bis 1990 DDR hieß, in ein führendes politisches Amt in dem gemeinsamen Deutschland kommen kann.
Die Art, wie bisher jeder, der in ein solches führendes Amt gekommen ist oder auch nur kommen soll, im Westen zerredet, kaputtgeredet worden ist, ist für die deutsche Einheit hinderlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deswegen ist der Beitrag von Bärbel Bohley — ich weiß gar nicht, warum Sie auch noch die Schamlosigkeit hatten, darüber zu lachen — so bedenkenswert: wie wenig unsere Landsleute aus den neuen Bundesländern in unserer Art — manchmal habe ich auch das Gefühl: in unserer Sprechblasenkultur, die wir im Westen Deutschlands und in Bonn entwickelt haben —

(Beifall bei der CDU/CSU)

verstanden werden. Das wird doch an solchen Beiträgen sichtbar. Das ist nicht dem einzelnen anzulasten.
Deswegen, Herr Scharping, hätte es Ihnen besser angestanden, Sie hätten sich für Ihre Entgleisung von Wiesbaden hier entschuldigt. Sie können es ja noch nachholen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219204200
Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmude zu beantworten?

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1219204300
Bitte.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219204400
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.

Dr. Jürgen Schmude (SPD):
Rede ID: ID1219204500
Herr Schäuble, halten Sie es eigentlich für zulässig, die gegen Herrn Heitmann vorgebrachten Einwände als gegen die Bürgerinnen und Bürger in den östlichen Bundesländern pauschal gerichtet zu bewerten, obwohl doch auch Ihnen aufgefallen sein muß, daß solche Einwände gegen andere Persönlichkeiten, etwa Herrn Reich oder andere, überhaupt nicht vorgebracht werden und sie auch gar nicht treffen?

(Beifall bei der SPD)


Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1219204600
Herr Kollege Schmude, ich will versuchen, Ihnen zu erklären, warum ich über die Entgleisung von Herrn Scharping so empört bin. Man kann in vielen Sachfragen sehr wohl unterschiedlicher Meinung sein. Man muß nicht jede Sachposition, die Steffen Heitmann vertreten hat, teilen. Man kann sie kritisieren. Ich teile übrigens manche Auffassungen von Herrn Rau gar nicht.
Es ist aber keine Frage des intellektuellen Niveaus.

(Zuruf von der CDU/CSU: Darum geht es!)

Genau das wird vor diesem Hintergrund der Diskussion als eine, wie ich finde, einheitsfeindliche Entgleisung Ihres Parteivorsitzenden verstanden.

(Widerspruch bei der SPD)

— Doch. — Wenn sich einer in den Sprechblasen nicht so äußert, wie es hier und insbesondere auf Ihren Parteitagen Routine geworden ist, dann wird er bewußt mißverstanden und dann bescheinigt man ihm hinterher ein geringeres intellektuelles Niveau. Man kann anderer Meinung sein; man sollte aber nicht sagen, er habe ein geringeres Niveau, zumal man zuviel Anspruch darauf auch gar nicht hat.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)




Dr. Wolfgang Schäuble
Das ist der Punkt, Herr Schmude, warum ich sage: Das ist nicht in Ordnung.
Im übrigen bleibe ich auch dabei: Die Maßstäbe sollten einigermaßen fair sein. Wären Oskar Lafontaine oder Manfred Stolpe nicht Mitglieder der SPD, sondern der CDU Deutschlands, wären sie nicht mehr Ministerpräsidenten. Das ist die Maßstabsungerechtigkeit in Deutschland.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. — Dr. Uwe Küster [SPD]: Und was ist mit Herrn Stoiber?)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219204700
Sind Sie bereit, eine weitere Frage zu beantworten?

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1219204800
Ja.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219204900
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Schmude.

Dr. Jürgen Schmude (SPD):
Rede ID: ID1219205000
Herr Schäuble, mit welchem Recht halten Sie die Schwierigkeiten, die Sie hier schildern, für ein Problem der Herkunft von Herrn Heitmann aus dem Osten, statt zu erkennen, daß es ein Problem seiner Person und seines eigenen Verhaltens ist?

(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1219205100
Herr Kollege Schmude, Sie machen jetzt einen ziemlich untauglichen Versuch, von der Entgleisung Ihres Parteivorsitzenden auf Ihrem Parteitag abzulenken.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das war keine Entgleisung!)

— Ich habe Ihnen erklärt, warum ich es als eine Entgleisung werte. Ich hätte mir gewünscht, daß wir diese Debatte nicht fortsetzen müssen, sondern daß Herr Scharping hier ans Pult geht und sich dafür entschuldigt.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist doch ein Ablenkungsmanöver von Ihnen!)

— Sie wollen ja gar nicht, daß man argumentiert. Dafür, daß von Ihrer Fraktion nur noch zehn Abgeordnete hier sind, nachdem Ihr Parteivorsitzender gerade fünf Viertelstunden geredet hat, machen Sie zuviel Lärm, gnädige Frau. Sie sollten ein bißchen ruhiger sein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will Ihnen gleich noch etwas sagen. Es gehört zu den wirklichen Sorgen, — die wir uns doch gemeinsam machen müssen —, daß diese Verunsicherung und die großen Veränderungen, die stattfinden, die Stabilität unseres demokratischen Rechtsstaats nicht notwendigerweise gefördert haben. Ich unterstreiche, was der Kollege Klose und der Bundeskanzler gesagt haben: Gerade in diesen Tagen müssen wir uns in besonderer Weise unserer Verantwortung für die Stabilität unseres freiheitlichen Rechtsstaats und dessen bewußt sein, daß die Voraussetzungen durch das richtige Tun und die richtigen verantwortlichen Entscheidungen bewahrt werden, damit in unserem Lande Toleranz und Gewaltfreiheit erhalten bleiben und damit die demokratischen Institutionen und das
Ansehen der politischen Parteien, ohne die eine freiheitliche Demokratie nicht wirklich zu organisieren und lebensfähig zu halten ist, nicht immer weiter Schaden nehmen.
Ich finde wirklich, daß Sie das Schachern um Posten und Positionen — Michael Glos hat Ihnen das vorgehalten — endlich aufgeben müssen. Sie fügen dem Rechtsstaat Schaden zu.

(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wer sind Sie denn eigentlich? — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Haben Sie nichts anderes zu erzählen?)

— Ich rede von der Stabilität unseres freiheitlichen Rechtsstaats.
Ich will in diesem Zusammenhang gleich hinzufügen: Die Antwort, die Sie auf die unglaublichen Vorgänge in Schleswig-Holstein gegeben haben, ist völlig ungenügend.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Wir alle wissen, daß die für jedermann bedrückenden — —

(Zuruf der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD])

— Jetzt habe ich es Ihnen doch gerade gesagt. Sie haben hier im Saal inzwischen wirklich nicht mehr Fraktionsstärke, was die Anwesenheit betrifft. Dann sollten Sie auch die Lautstärke entsprechend reduzieren. Das gilt auch für Sie, Frau Fuchs.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Es nervt Sie möglicherweise: Die Vorgänge des Jahres 1987 in Schleswig-Holstein sind für die Stabilität unseres demokratischen Rechtsstaats und seiner Institutionen ein fortwirkender Schaden. Es sind ungeheure Beschädigungen entstanden. Nun erfahren wir Woche für Woche, daß in Schleswig-Holstein durch die führenden Repräsentanten der Sozialdemokratischen Partei bis auf den heutigen Tag gelogen wird, daß sich die Balken biegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Da sind Sie — da hilft kein Ablenken und Ausweichen auf irgend etwas anderes — als Parteivorsitzender gefordert, weil es um den Zustand der Republik geht. Es geht doch nicht an, daß nach diesen entsetzlichen Erfahrungen, von denen alle Parteien betroffen sind, mit der Wahrheit immer noch nicht herausgerückt wird. Ich erinnere mich noch daran, wie die heutige Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, Frau Simonis, geradezu flehentlich beschworen hat, daß nun alle die Wahrheit sagen mögen. Bis heute ist das nicht der Fall, sondern es wird nach wie vor vertuscht und nur zugegeben, was schon bewiesen worden ist.
Inzwischen erfahren wir — es ist nicht mehr zu bestreiten —, daß dieser unselige Mensch Pfeiffer all dies mindestens seit Juni 1987 mit Wissen und wohl im Auftrag führender Sozialdemokraten gemacht hat. Schon damals ist gesagt worden, man brauche sich um den Ausgang des Wahlkampfs keine Sorge mehr zu machen, man habe einen entsprechenden Agenten in der Staatskanzlei plaziert. Das alles läßt Sie unbeteiligt, wenn es um den Zustand unserer Demokratie



Dr. Wolfgang Schäuble
geht? Das kann so nicht sein. Da müssen Sie noch etwas machen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Die Machenschaften stammen wohl von Herrn Barschel!)

Sie haben von der inneren Sicherheit und von der Notwendigkeit, mehr zu tun, gesprochen. Ich begrüße für meine Fraktion sehr, daß die Sozialdemokratische Partei auf ihrem Parteitag im Grundsatz die Notwendigkeit anerkannt hat, den Polizeibehörden von Bund und Ländern die erforderlichen gesetzlichen Instrumentarien bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität besser als bisher an die Hand zu geben.
Es wird Ihnen — ich habe das schon bei früherer Gelegenheit gesagt — nicht gelingen, daraus ein Spiel mit der Koalition zu machen. Wir sind in einer Frage innerhalb der Koalition noch unterschiedlicher Meinung. Die F.D.P. hat einen Parteitagsbeschluß getroffen, von dem man weiß, daß Kollege Solms anderer Ansicht ist. Es muß doch nicht jeder mit jedem Parteitagsbeschluß einverstanden sein. Es ist doch in Ordnung, daß er dies vertritt, solange nicht ein Parteitag der F.D.P. etwas anderes beschließt. Das muß man ihm auch an seinem Geburtstag so bescheinigen. Von dieser Stelle aus auch herzlichen Glückwunsch, lieber Herr Sohns.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

All dies ändert aber überhaupt nichts daran, daß wir in der Frage des Rechtsbewußtseins auf Ihrem Parteitag nach wie vor erhebliche Defizite erkennen. Es geht nicht nur um die Freigabe von Drogen. Natürlich kann man darüber streiten, ob die Freigabe ein Instrument ist, um die Beschaffungskriminalität stärker zurückzudrängen.

(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Entkriminalisierung!)

Aber wenn man weiß, daß weltweit die Warnung und Aufklärung vor dem Gebrauch von Drogen das erfolgreichste Instrument in der Bekämpfung der Drogen ist und daß man eben gegen Warnung und Aufklärung — —

(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wer bestreitet denn das?)

— Dann dürfen Sie den Drogenkonsum nicht freigeben. Genau das ist der Punkt.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Tut doch keiner!)

Da genau handeln Sie gegenläufig. Deswegen bestreiten Sie es.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Im übrigen: Indem Sie Massendelikte entkriminalisieren wollen, leisten Sie dem Rechtsbewußtsein auch keinen guten Dienst.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Wenn der Staat vor dem Verbrechen kapituliert, wenn
er sagt, wir können es strafrechtlich nicht mehr
verfolgen und nehmen es daher aus der Strafbarkeit heraus, indem wir es entkriminalisieren, so ist das der falsche Weg.
Wir müssen mit größerer Entschiedenheit für die Verbrechensbekämpfung eintreten und den Polizeien die notwendigen gesetzlichen, sachlichen und personellen Mittel an die Hand geben. Wir sind dabei, die gesetzlichen Mittel zu schaffen. Für die sachlichen und personellen sind die Bundesländer zuständig. Da werden Sie in Ihrer Verantwortung als Ministerpräsident noch eine Menge zu tun haben.
Ich kann Sie nur herzlich bitten, das Menschenmögliche dessen, was in Ihrer Verantwortung liegt, zu tun, weil die Gefahr, daß ein größerer Teil unserer Bevölkerung an der Schutzfähigkeit unseres Rechtsstaats zweifelt und dadurch der Rechtsstaat Schaden nimmt, groß ist. Deswegen ist es übrigens auch falsch, gegen ein Mitglied der Bundesregierung, das für die innere Sicherheit zuständig ist, den Begriff von „Law and order" quasi als Kampfbegriff zu verwenden. Wenn jemand für Recht und Ordnung ist, dann ist das doch in Ordnung. Es wäre schlimm, wenn das Gegenteil der Fall wäre. Ich hoffe, daß auch Sie dieser Meinung sind.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Die wichtigste Frage, auf die wir uns im Augenblick konzentrieren müssen, ist, die wirtschaftliche Entwicklung zu verbessern, den Anstieg der Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und möglichst rasch zu einem Absinken der Arbeitslosigkeit zu kommen. Aber das, was Sie dazu an Vorschlägen auf Ihrem Parteitag wie heute in Ihrer Rede eingebracht haben, hat mich wirklich überrascht. Das war nun wirklich — —

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Null!)

— Nein, das war unter Null. Verzeihen Sie, Herr Kollege Rüttgers, das war wirklich unter Null; denn die Vorschläge der SPD werden nicht nur nichts verbessern, nein, sie werden schaden.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Sie haben recht!)

Sie haben eine neue Arbeitsorganisation vorgeschlagen. Die kann die Politik der Wirtschaft nicht vorgeben. Sie haben davon gesprochen, die Versicherungsbeiträge zu senken, was natürlich heißt, Steuern entsprechend zu erhöhen. Das ist kein geeignetes Mittel, um die wirtschaftliche Lage zu verbessern. Im übrigen haben Sie am Schluß gesagt, das Tempo der Zunahme der Staatsverschuldung sei besorgniserregend, was eine nicht sehr gute Begründung dafür ist, warum Sie unsere Sparvorschläge ablehnen. Das eine geht nicht mit dem anderen zusammen.
Ich finde, Sie haben in Ihrer Oppositionstrategie ein merkwürdiges Dreieck. Sie sagen: Die Steuern sind zu hoch, die Verschuldung ist zu hoch, und die Ausgabenkürzungen lehnen wir ab. Das geht auch mit 13 Jahren in sozialdemokratischer Gesamtschule nicht zusammen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das reicht nicht einmal zum Gelddrucken!)




Dr. Wolfgang Schäuble
Es hilft doch gar nichts: Wir haben einen ungewöhnlich engen Spielraum für unsere Finanz- und Haushaltspolitik. Der Kollege Roth und der Bundesfinanzminister haben es ja gestern beschrieben. Es hat doch gar keinen Sinn, darüber hinwegzureden. Es hat keinen Sinn, die Lage schönzureden. Die Lage ist ungewöhnlich ernst, und die Anforderungen und Anspannungen sind ungewöhnlich groß. Niemand kann Freude daran haben, daß wir mit so schmerzhaften Spareingriffen die Neuverschuldung im Haushalt 1994 dennoch nur auf 70 Milliarden DM — man wagt es ja kaum auszusprechen — begrenzen konnten, was zu hoch ist und was einen doch hindern muß, Sparvorschläge abzulehnen und gleichzeitig noch zusätzliche Ausgabenforderungen zu stellen.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Und zwar jede Menge!)

Wir haben eine zu hohe Steuer- und Abgabenbelastung. Weil diese Steuer- und Abgabenbelastung insgesamt zu hoch ist, ist es Gift für wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung, wenn jetzt weitere Steuererhöhungen gefordert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das kann man nicht unter dem Stichwort einer sozialen Verteilung kaschieren.

(Hans-Ulrich Klose [SPD]: Sie erhöhen doch selber Steuern und Beiträge! Gegen wen fechten Sie denn?)

— Herr Kollege Klose, das ist wahr. Aber wir beide sinken in unserem Dialog normalerweise nicht auf das Niveau einer solchen Argumentation ab.
Ich bestreite ja gar nicht — ich sage das noch einmal —: Die Neuverschuldung ist eher zu hoch. Die Steuer- und Abgabenbelastung ist zu hoch.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die höchste in dieser Republik! Durch Sie!)

— Ja, Frau Matthäus-Maier. Aber Sie fordern weitere Steuern. Wir sagen: Wir haben bis an die Grenze dessen, was überhaupt noch verantwortbar und erträglich ist, Steuern und Abgaben erhöhen müssen. Das Schlimme ist nur: Sie fordern weitere Steuererhöhungen. Das ist das Schlimme, und dagegen wehre ich mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Lafontaine hat auf dem Parteitag gesagt — ich kann das genau vorlesen; ich habe es dabei —: Wir müssen ganz massiv in konsumtive Ausgaben einschneiden, aber erst, wenn die Konjunktur wieder besser ist. — Er hat natürlich in Wahrheit gemeint: Wir sagen erst nach den Wahlen, wo. Das hat er wohl gemeint.
Aber ich sage Ihnen: Wir müssen, wenn die Konjunktur, wenn die Wirtschaftslage besser werden soll, den Kurs der Konsolidierung, den wir mit dem Haushalt 1994 beschreiten, durchsetzen und durchhalten. Deswegen werbe ich so sehr dafür, daß Sie im Bundestag nicht dagegenstimmen und daß Sie uns vor allen Dingen im Bundesrat, Herr Ministerpräsident Scharping, nicht blockieren, daß Sie nicht bei jeder
Gelegenheit Ihre Mehrheit im Bundesrat dazu ausnutzen, weitere Forderungen zugunsten der Länder durchzusetzen, die nun wirklich besser dastehen als der Bund insgesamt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich gebe zu: Manchmal ziehen die Landespolitiker da an einem Strang, egal welches Parteibuch der jeweilige Repräsentant in seiner Jackentasche trägt. Insoweit spreche ich Sie jetzt auch als Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz an.
Sachverständigenrat, Bundesbank und alle wirtschafts- und finanzwissenschaftlichen Institute haben klar erklärt, daß die Konsolidierungsanstrengungen beim Bund weitergetrieben sind als bei Ländern und Gemeinden, daß die Länder bei der Verteilung des gesamtstaatlichen Steueraufkommens sehr viel besser behandelt werden als der Bund. Deswegen sollte der Versuch aufgegeben werden, zu Lasten des Bundes weitere Vorteile für die Länder durch die Bundesratsmehrheit herauszupressen. Ich will das mit allem Ernst sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Wir machen das auch nicht mehr mit!)

Ich glaube, der entscheidende Unterschied zwischen den Sozialdemokraten und uns ist: Sie glauben noch immer an die Planbarkeit wirtschaftlicher Prozesse durch den Staat und die Politik.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Sie vertrauen nicht auf den Markt.


(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Alte Klamotten holen Sie hier heraus! — Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist doch unter Ihrem Niveau!)

— Lassen Sie mich doch einmal zwei Sätze in einem Stück sagen.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Allein auf den Markt kann man auch nicht vertrauen!)

— Sehen Sie! Sie fordern, wenn eine Stahlkrise herrscht, eine nationale Stahlkonferenz. Wenn wir Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben, fordern Sie einen Beschäftigungspakt.
Im übrigen: Die ganze Rede von Herrn Scharping, soweit sie überhaupt sachlich einschlägig war, bestand aus Forderungen an die Politik.

(Zuruf von der CDU/CSU: An den Staat, ja!)

In Wahrheit müssen wir die Wachstumskräfte der Wirtschaft stärken, das heißt, die Freiräume für den privaten Bereich von Angebot und Nachfrage verbreitern, die bei der zu hohen Steuer- und Abgabenquote zu eng geworden sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das ist unser fundamental anderer Ansatz. Wenn Sie diesen Fehler weiterbegehen, dann werden Sie keinen Zugang zu einer rational begründeten Wirtschafts- und Finanzpolitik finden.



Dr. Wolfgang Schäuble
Der Standort Deutschland ist im europäischen wie im weltweiten Wettbewerb schwächer geworden. Das ist doch keine Frage. Es hat doch keinen Sinn, wenn man sich gegenseitig die Schuld zuweist oder wenn man sagt, wann und wie das entstanden ist. Die Ursachen haben sich in Jahrzehnten langsam angesammelt. Durch die besonderen Belastungen nach der deutschen Einheit und in einer aktuellen Konjunkturkrise der Weltwirtschaft insgesamt werden die strukturellen Probleme, die in Jahrzehnten entstanden sind, wie in einem Brennglas deutlicher sichtbar.
Sie bestehen darin, daß wir im Vergleich zu anderen nicht nur höhere Lohn- und Lohnnebenkosten haben. Wir wollen nicht auf das Niveau der Tschechischen oder der Slowakischen Republik zurück. Wir wollen, daß sie möglichst rasch in die Nähe unseres wirtschaftlichen und sozialen Wohlstands kommen können.

(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

Wir haben also nicht nur höhere Lohn- und Lohnnebenkosten. Auch unser Management ist nicht mehr so toll, wie uns die Größen der Wirtschaft, die über die Politik herziehen, immer gesagt haben. Ich sage deswegen nicht, daß wir besser sind; aber die sind leider auch nicht besser.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Peter Conradi [SPD]: Dem ist lebhaft zuzustimmen!)

Wir sind aber z. B. bei den Energiepreisen teurer als viele andere europäische Länder. Unsere Genehmigungsverfahren sind länger, schwerfälliger, komplizierter, weniger kalkulierbar und damit im Ergebnis teurer als die in anderen Ländern. Warum werden denn zunehmend nicht nur Produktionsstätten, sondern auch Forschungsstandorte aus Deutschland heraus verlagert? Warum finden Absolventen eines Chemiestudiums in Deutschland kaum noch einen qualifizierten Arbeitsplatz?
Wenn wir jetzt selbstkritisch fragen, was Politik zu diesen Entwicklungen beigetragen hat, dann, Herr Ministerpräsident Scharping, wird doch nicht zu bestreiten sein, daß das Nachgeben oder das Schüren oder das Ausbeuten von existentiellen Ängsten, das im Zeichen von Rot-grün mit vielen Entwicklungen moderner Wissenschaft und Technik in den letzten Jahren und Jahrzehnten betrieben worden ist, natürlich einer der Gründe ist, warum der Standort Deutschland im wirtschaftlichen Wettbewerb schwächer geworden ist und warum die Genehmigungsverfahren bei uns länger dauern und teurer sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn wir das ändern wollen, dann müssen wir uns zur Modernisierung, zum Fortschritt von Wissenschaft und Technik, zu ihrer Anwendung und Umsetzung und auch zu moderner Forschung bekennen.
Zum Glück ist es gestern im Vermittlungsausschuß, wenn ich richtig unterrichtet bin, im Zusammenhang mit dem Einspruch des Bundesrats zur Novellierung des Gentechnikgesetzes zu einer Einigung gekommen, die die Sache nicht wesentlich verschlechtert hat.
Ihre Haltung in der Energiepolitik ist allerdings angesichts der Probleme des Standorts Bundesrepublik Deutschland nach wie vor völlig unverantwortlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn Sie in den Formulierungen Ihres Parteitags zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, für die auch Sie inzwischen endlich eintreten, sagen, was dabei alles nicht berührt werden darf, dann sage ich Ihnen voraus: Da geben Sie Steine statt Brot; da werden die Genehmigungsverfahren weiterhin so lange dauern.
Wenn wir Freiräume für privates Wachstum schaffen wollen, dann ist der Weg der Privatisierung richtig. Deswegen sollten Sie die Bahnreform nicht länger blockieren und uns eine Postreform ermöglichen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Wir brauchen Sie ja zur Grundgesetzänderung.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Der Bahnreform haben wir zugestimmt!)

— Nein, Sie haben da noch nicht zugestimmt, Frau Fuchs.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Stoiber hat nicht zugestimmt! Bei der Bahn haben wir gestern zugestimmt!)

— Na gut, wunderbar. Dann hoffe ich, daß wir da zügig vorankommen.
Wir müssen dann noch bei der Postreform erreichen, daß wir auf dem Wachstumsmarkt der Kommunikationsindustrie im Zusammenwirken von Telekom und großen, mittleren und kleinen Unternehmen der elektronischen und Elektroindustrie eine bessere Chance haben, Wachstumspotentiale für die deutsche Wirtschaft zu erschließen. Das wird aber ohne eine wirkliche Privatisierung im Bereich der Post nicht möglich sein. Mit dem Postmonopol ist in dem sich schnell verändernden größten Wachstumsmarkt nichts zu holen.
Deswegen brauchen wir eben viel mehr Privatisierungen. Ich würde mir wünschen, daß Lander und Gemeinden ihre Privatisierungspotentiale in der Entsorgungswirtschaft, in der Energiewirtschaft und in vielen anderen Bereichen erschließen. Ich bin davon überzeugt, daß wir auch beim Bundesfernstraßenbau nicht ohne Privatisierungselemente werden auskommen können,

(Zustimmung des Abg. Jochen Feilcke [CDU/CSU])

weil wir eben wissen, daß die Regelungsmechanismen von Angebot und Nachfrage sehr viel effizienter, sehr viel kostengünstiger, sehr viel markt- und kundennäher reagieren können als öffentliche Daseinsvorsorge durch öffentliche Verwaltung, die eher ineffizient, schwerfällig und zu teuer ist.

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

Das wissen wir aus vielen Bereichen. Das ist die entscheidende Frage!
Die andere Frage, die mit dem Standort Deutschland zu tun hat, betrifft die Motivation der Menschen,



Dr. Wolfgang Schäuble
der einkommensstärkeren wie der einkommensschwächeren. Aber daß Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft die entscheidende Voraussetzung für wirtschaftlichen Wohlstand und soziale Sicherheit sind, das kann man durch keine Sozialverteilungsdiskussion beiseite schieben.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Gegen wen reden Sie eigentlich! — Weiterer Zuruf von der SPD: Sie führen mit sich selber Dialoge!)

— Verzeihen Sie, wir reden darüber, daß Sie uns mit demagogischen Argumenten angreifen, weil wir in einer Zeit, in der die Realeinkommen der Arbeitnehmer nicht mehr steigen können, natürlich auch die Transferleistungen nicht real steigen lassen können. Das haben Sie in diesen Tagen mit demagogischen Argumenten angegriffen. Ich fürchte — die Woche ist noch nicht zu Ende —, Sie werden das noch fortsetzen. Und das ist falsch!
Wenn Menschen in dem Fall, daß sie arbeiten — und sei es Teilzeitarbeit oder saisonale Arbeit —, nicht ein höheres Einkommen haben, als wenn sie nicht arbeiten, dann wird die Motivation für Arbeit weiter mit Füßen getreten, und der wirtschaftliche Wohlstand leidet Not.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Darauf müssen wir unsere Transfersysteme einrichten. Wir haben erste Schritte eingeleitet, die in diese Richtung gehen, und die kann man nicht in der Art, wie Sie, Herr Scharping, es hier zu tun versucht haben, wegwischen und beiseite wischen, wenn man den Standort Deutschland nicht weiter schlechterreden will.
Wir haben ja auch nicht eine bestimmte Menge Arbeit. Wenn ich Herrn Scharping und andere Sozialdemokraten von der „intelligenteren Verteilung von Arbeit" reden höre, dann denke ich immer: Aha, die haben die Vorstellung, daß das definiert ist — er hat ja sogar gesagt, wieviel Millionen Arbeitsstunden das sind — und daß es unveränderlich ist.
In Wahrheit entsteht aber die Nachfrage nach bezahlter Arbeit und damit die Beschäftigung für Menschen

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Durch Angebot und Nachfrage!)

durch den Austauschprozeß von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. Das hat auch mit dem Preis zu tun, und es ist ein dynamischer Prozeß.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ja!)

Wenn Arbeit immer teurer wird, weil man sie anders verteilt, dann entstehen daraus nicht mehr Arbeitsplätze, sondern weniger, weil insgesamt die Nachfrage nach immer teurer werdender Arbeit zurückgeht.
Herr Scharping, dann haben Sie davon gesprochen — das war auch so eine gefährliche Formulierung —, wie intelligent und verantwortungsbewußt die Überlegungen beim Volkswagenwerk seien. Meine Damen und Herren, niemand wird sich dagegen wenden, wenn Arbeitgeber und Belegschaft in einem Unternehmen sagen: Statt eine größere Zahl von
Beschäftigten zu entlassen, kürzen wir für alle die Arbeitszeit entsprechend anteilig.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie sind doch für Teilzeitarbeit?)

—Ja, natürlich, das sage ich ja. Es wird niemand etwas dagegen haben, nur müssen dann die Löhne entsprechend gekürzt werden. Herr Scharping hat aber mit Betonung gesagt, es könne natürlich nicht mit vollem Lohnausgleich gehen. Meine Damen und Herren, es kann auch nicht mit teilweisem Lohnausgleich zu Lasten der öffentlichen Kassen gehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn wir und solange wir — und das ist der Punkt, warum es für den Standort Deutschland und damit für die Chancen für wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung so gefährlich ist — weiterhin so reden, als sei nicht der einzelne in erster Linie selbst dafür verantwortlich, daß er einen Arbeitsplatz findet, und als seien nicht in erster Linie die Tarifpartner verantwortlich, werden wir weiterhin dem Zustand Vorschub leisten, daß insbesondere die Tarifpartner in ihrer Verantwortung nicht hinreichend die beschäftigungspolitischen Notwendigkeiten bedenken. Und das ist genau der falsche Weg. Wer immer alles beim Staat und bei der Politik festmacht, der leistet einem Denken Vorschub, das eben nicht hinreichend die Eigenverantwortung in Anspruch nimmt, und kommt zu einer Beschreibung der sozialen und wirtschaftlichen Lage in Deutschland, wie sie Herrn Scharping etwas einseitig geraten ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

Niemand kann bestreiten, daß es soziale Not in Deutschland gibt. Niemand kann leicht über das Schicksal der Arbeitslosen und ihrer Familien hinweggehen. Aber zu einer wahrhaftigen Beschreibung der Lage in Deutschland insgesamt gehört eben schon auch, daß eine große Zeitung in diesen Tagen geschrieben hat, der Notstand sei ausgebrochen, weil über Weihnachten alle Flugreisen ausgebucht seien. Und zur Beschreibung der Lage in Deutschland gehört eben auch, daß Sie in Westdeutschland und in Ostdeutschland für Bauhaupt- und Baunebengewerbe keine Arbeitskräfte finden,

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

in Baden-Württemberg nicht und in Mecklenburg-Vorpommern nicht. Bei einer Arbeitslosenzahl von vier Millionen ist das nicht erklärbar. Und wenn wir weder in der Landwirtschaft noch im gastronomischen Gewerbe Arbeitskräfte finden,

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

wenn Unternehmen im Bauhandwerk Beschäftigte aus Ungarn nicht mehr beschäftigen können und sagen, dann gehen wir nach Irland, das liegt innerhalb der EG, und holen dort Beschäftigte, weil wir deutsche Arbeitskräfte nicht finden, dann ist doch in Deutschland etwas nicht in Ordnung, und das ist mit der Diskussion von Herrn Scharping nicht erledigt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)




Dr. Wolfgang Schäuble
Und deswegen sage ich, daß der entscheidende Punkt — —

(Peter Conradi [SPD]: Wer regiert denn seit elf Jahren?)

— Ja, Herr Conradi, wer regiert? Es regiert der Bundeskanzler Helmut Kohl mit seiner Regierung, die von der Koalition von CDU/CSU und F.D.P. getragen wird.

(Peter Conradi [SPD]: Das war mir bekannt! )

— Ja, dann fragen Sie doch nicht, wenn Ihnen das bekannt ist; dann stellen Sie doch keine solchen Fragen!

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Wir tun alles dafür, daß es dabei auch bleibt.


(Zurufe von der SPD)

— Jetzt lassen wir sie mal wieder schreien, zwischendurch brauchen sie eine Pause, und mir tut es auch gut. Die Mikrofonanlage ist so, daß man, wenn man gestört wird, ziemlich laut reden muß. Das wissen Sie ja alle, und deswegen machen Sie es ja auch. Deswegen muß ich mich zwischendurch mal erholen; das macht aber nichts.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ich habe nachgelesen, wie oft Sie mich bei meiner Rede gestört haben, Herr Kollege! — Weitere Zurufe von der SPD)

— Wann haben Sie denn geredet?

(Weitere Zurufe von der SPD — Glocke des Präsidenten)

— Lassen Sie uns mit so billigen Mätzchen doch nicht vom Ernst des Themas ablenken.
Die Tatsache, daß unser Land in Schwierigkeiten ist, was die Bewahrung von Frieden und Freiheit für die Zukunft betrifft — was uns mehr fordert als in der Vergangenheit —, was die innere Sicherheit, die Kriminalitätsbekämpfung, die Stabilität unseres demokratischen Rechtsstaats, die wirtschaftliche Entwicklung, die soziale Lage und die Perspektiven des Arbeitsmarktes betrifft, kann man doch gar nicht bestreiten. Das sollte man auch nicht tun. Diese Schwierigkeiten sind nicht allein durch die Politik zu beseitigen, selbst dann nicht, wenn — was wir nicht gern möchten und wofür wir alles tun, um es zu verhindern — Sie regieren sollten. Auch Sie könnten es nicht ändern, weil es in der freiheitlichen Demokratie und der Sozialen Marktwirtschaft nicht allein Aufgabe der Politik ist. Wir sind weder für alle guten Dinge noch für alle Fehlentwicklungen allein verantwortlich.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Ich sage noch einmal: Es hat sich in unserem Lande — vielleicht zum größten Teil als Folge einer langen Wohlstandsperiode — manches eingeschliffen, was wir jetzt in Zeiten größerer Herausforderungen korrigieren müssen. Deswegen ist die vom Bundeskanzler und der Bundesregierung eingeleitete Debatte über den Standort Deutschland richtig und notwendig. Es muß einen Prozeß des Umdenkens bei allen geben, so auch bei den Eliten in Wirtschaft und Gesellschaft. Ich stimme Herrn Scharping zu, daß deren Beitrag größer sein könnte und sein müßte, als er bisher gewesen ist.

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe von dieser Stelle aus und im anderen Plenarsaal oft gesagt, daß die Eliten in unserem Lande eine herausgehobene Verantwortung wahrnehmen und einen entsprechenden Einsatz leisten müssen. Sie müssen auch versuchen, Vorbild zu sein.
Aber nicht nur die Eliten sind gefordert, sondern jeder einzelne ist für sich und unsere Gemeinschaft ein ganzes Stück weit mitverantwortlich. Ich sage noch einmal: Das Beispiel, daß wir in der ganzen Bauwirtschaft bei einer Arbeitslosigkeit von über 4 Millionen keine deutschen Arbeitskräfte finden, zeigt, daß jeder für sich ein Stück weit umdenken muß. Wir machen in unseren politischen Diskussionen einen großen Fehler mit verhängnisvollen Folgen, wenn wir die Diskussion so führen, wie Herr Scharping es hier getan hat, nämlich als sei nicht jeder einzelne ein Stück weit verantwortlich, sondern nur die Regierung. Damit schaffen wir nämlich nicht nur ein Alibi für eigene Verantwortungslosigkeit, sondern wir leisten Widerstand gegen die Notwendigkeit des Umdenkens. Es muß aber in unserem Lande mehr umgedacht werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich bleibe dabei: Wir werden in unserem Lande eine gute Zukunft nur haben, wenn wir uns der Grundlagen unserer Gemeinschaft sicherer werden, wenn wir die nationale Gemeinschaft stärken auf dem unumkehrbaren Weg zur europäischen Einigung, wenn wir die grundlegenden Normen, die unsere Freiheitsordnung prägen, bewahren und erhalten, wenn wir wissen, daß ohne Leistungsbereitschaft, Fleiß und Eigenverantwortung wirtschaftlicher Wohlstand nicht zu erzielen ist, ob das nun Sekundärtugenden sind oder nicht. Herr Lafontaine redet jetzt immerhin schon wieder davon, daß man die Treppe kehren muß. Das ist wenigstens ein Beweis dafür, daß er offenbar zu gewissen Sekundärtugenden zurückkehrt, seit er 50 geworden ist.

(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ja, jedes Alter hat seine Weisheit!)

Aber das ist nicht so entscheidend.
Wir müssen uns, wenn wir uns mit wenigen und teuren Vorkommen an Rohstoffen und Energie an der Spitze der Wohlstandspyramide in der Welt und im europäischen Vergleich halten wollen, zur Modernisierung unserer Wirtschaft und unserer Produktion bekennen. Wir brauchen eine andere Einstellung zur Technik und eine Bekämpfung der Ängste, die mit den Innovationen moderner Technik durchaus verbunden sind, eine Stärkung privater Freiräume, mehr Privatisierung und eine Zurückdrängung des zu hypertroph gewordenen Anteils kollektiver Systeme, die unsere wirtschaftliche Dynamik zunehmend lähmen.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist wieder so ein Satz! — Weiterer Zuruf von der SPD: Eine Wolke!)




Dr. Wolfgang Schäuble
— Dann unterscheidet uns dies, Frau Fuchs. Dann wollen wir festhalten, daß Sie weiterhin darauf vertrauen, daß uns die großen Kollektive wirtschaftlichen Wohlstand und wirtschaftliches Wachstum bringen werden.

(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wer behauptet das denn?)

— Sie mit Ihrem Zwischenruf. (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Quatsch!)

Ich sage Ihnen: Mit den Dinosauriern der großen Kollektive werden Sie wirtschaftliches Wachstum nicht erzielen, Wohlstand nicht erhalten und die soziale Sicherheit verspielen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen sage ich Ihnen, daß eine Politik, die auf Wachstum und Dynamik, auf Eigenverantwortung und Solidarität setzt, eine Politik auch für soziale Gerechtigkeit ist. Dafür wird diese Koalition weiterhin arbeiten.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU — Beifall bei der F.D.P.)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219205200
Das Wort hat nunmehr der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Kinkel.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1219205300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will die Blicke auf die Außenpolitik richten — wesentlich Gegenstand auch dieses Haushalts und für dieses Land ja nicht ganz unwichtig.
Meine Damen und Herren, kein anderes Land hat so viel vom Fortfall des Ost-West-Gegensatzes profitiert wie Deutschland. 1990 hat sozusagen eine neue Zeit begonnen. Mit dem Ende des Kalten Krieges leben wir in einer erneuten Nachkriegszeit. Die Welt ist leider nicht friedlicher geworden, und die Aufgaben, die sich heute der Außenpolitik stellen, sind nicht geringer als die vor einer Generation. Nach dem Kalten Krieg muß die Völkergemeinschaft mit anderen Konflikten fertig werden, um heute eine solide Friedensarchitektur in Europa für die Welt aufzubauen. Es ist keine geringere Aufgabe als nach dem Zweiten Weltkrieg, Strukturen ganz speziell europäischer Sicherheit zu schaffen.
Es gibt aber auch einige erfreuliche Entwicklungen; darauf sollte man hinweisen. Die Überwindung der antagonistischen Blöcke hat auch außerhalb Europas neue Lösungsmöglichkeiten für alte Krisen geöffnet. Im Nahen Osten können und müssen wir den hoffnungsvollen Friedensansatz mit allen Kräften unterstützen. Im südlichen Afrika, wo ebenfalls eine erfreuliche Entwicklung eingetreten ist, fördern wir zusammen mit unseren Partnern den neuen innenpolitischen Reformprozeß und hoffen auf freie Wahlen im nächsten Jahr, auch darauf, daß Gewalt und Apartheid endgültig ein Ende haben.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Herausforderungen für die deutsche Außenpolitik sind vielfältig. Worauf müssen wir uns insbesondere konzentrieren?
Erstens. Ausbau und Vertiefung der europäischen Einigung bestimmen die Grundrichtung unserer Außenpolitik. Wer einen Gegensatz zwischen den deutschen Interessen und Europa zu konstruieren sucht, geht, wie ich meine, vor allem an drei Grundtatsachen vorbei.
1. Als Land im Herzen des Kontinents mit mehr Nachbarn als jedes andere europäische Land sind unsere Interessen mit denen unserer Nachbarn zwangsläufig verflochten. Wir müssen immer wieder gerade auf diese Verflechtung hinweisen. Im Alleingang werden wir überhaupt nichts erreichen, sondern nur altes Mißtrauen neu beleben.
2. Die Einheit Deutschlands — sicherlich das höchste nationale Ziel, das wir hatten — wäre ohne die konsequente europäische Politik der vorangegangenen Jahrzehnte nicht denkbar gewesen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

3. Man sollte auch deutlich und klar sagen: Wer eigene Interessen durchsetzen will — und das wollen wir ja —, muß die der anderen auch berücksichtigen. Wer hieran rüttelt, rüttelt an den Grundfesten der europäischen Friedens-, Stabilitäts- und Wohlstandsgemeinschaft.
An anderen Stellen in Europa toben barbarische Konflikte um nationalistische Ziele. Noch sind keine 50 Jahre vergangen, seit der Krieg — übrigens durch uns entfacht — auch diesen Teil Europas verwüstet hat. Dieser Hintergrund verdeutlicht, was es heißt, wenn wir heute mit gutem Grund sagen können: Krieg ist jedenfalls unter den Mitgliedern der Europäischen Union nicht mehr vorstellbar.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ist uns eigentlich bewußt, wie sensationell diese Feststellung allein angesichts von Vergangenheit und Gegenwart ist? Ist uns allen bewußt, was es hieße, diese Union sozusagen wieder auf einen jederzeit kündbaren Verein reduzieren zu wollen? Nein, das wollen wir nicht.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was dieses Europa anbelangt, müssen wir jetzt nach vorn denken und die nächsten Aufgaben ins Auge fassen, die vor dem Europäischen Rat im Dezember liegen. Diese Aufgaben sind:
1. Die Europäische Union muß neue Wachstumsimpulse freisetzen, und Europa muß — das ist heute schon wiederholt gesagt worden — wieder an die Spitze der technologischen Entwicklungen rücken.
Im Bereich der Europäischen Union sind 17 Millionen Menschen ohne Arbeit. Vorhandene Arbeit gerechter zu verteilen oder weniger zu arbeiten kann eben nur eine vorübergehende, keine dauernde Abhilfe sein. Wir brauchen neue, rentable, produktive Arbeitsplätze. Und Strukturkrisen überwindet man, indem man die Strukturen verändert. Natürlich muß ein solcher Strukturwandel sozialverträglich sein und bleiben. Wo wir aber Altes subventionieren, geht dies zu Lasten des Neuen. Wo wir im Besitzstandsdenken der Vergangenheit verharren, vertun wir — das muß



Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
deutlich gesagt werden — die Chancen der Zukunft.
2. Wir werden als Deutsche in Brüssel ganz besonders stark darauf hinwirken müssen, daß eine konsequente Anwendung des Subsidiaritätsprinzips stattfindet. Es ist nun einmal so, daß überflüssige Regelungen Initiativen verhindern und Kosten erhöhen. Das Dickicht der europäischen Regelungen muß durchforstet, totes Unterholz muß insoweit beseitigt werden.

(Beifall bei der F.D.P.)

Es muß aber auch darauf hingewiesen werden, daß vieles von dem, was aus Europa kommt, von hier aus, gerade aus der Bundesrepublik, angeregt worden ist. Es sieht immer so aus, als käme alles aus der Kommission. Wahnsinnig viel von dem, was auch an nicht Notwendigem in Brüssel geregelt worden ist, kommt aus der Bundesrepublik, aus Forderungen, die wir erhoben haben.

(Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Was die Regierung hier nicht durchsetzen kann, macht sie dann in Brüssel!)

3. Die beiden neuen Pfeiler der Europäischen Union, die im Vertrag von Maastricht vorgesehen sind, müssen zügig aufgebaut werden. Wir wollen eben ein Europa der Bürger und nicht ein Europa der Mafia, wie es manchmal leider den Anschein zu haben scheint.
Natürlich darf auch Europa nicht in außenpolitische Egoismen zurückfallen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU — Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Sehr richtig!)

Wir brauchen eine außenpolitisch handlungsfähige Union und damit natürlich eine gemeinsame Außenpolitik. Mit den Initiativen zum früheren Jugoslawien, der Balladur-Initiative und der Entsendung von Wahlbeobachtern nach Rußland haben wir erste gemeinsame Felder — wie im Maastrichter Vertrag festgelegt — für die europäische Außenpolitik gefunden.
Wir haben als gemeinsame Aktionen auch vorgesehen, die erfreulichen Entwicklungen zu verfolgen, die ich vorhin angedeutet habe, d. h. die Entwicklungen im Nahen Osten und im südlichen Afrika. Wenn dort die Wahlen am 27. April nächsten Jahres hoffentlich gut verlaufen, haben wir Europäer vor, durch eine europäische regionale SADC-Konferenz mit Südafrika und der umliegenden Region zu zeigen, daß wir das belohnen wollen, was im südlichen Afrika und in der Region geschehen ist, und daß wir uns dafür einsetzen, daß dort wirklich demokratische Strukturen unumkehrbar geschaffen werden.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

4. Der Weg zur Wirtschafts- und Währungsunion muß zügig Schritt für Schritt gegangen werden. Wir dürfen nicht vergessen: In gut einem Monat, am 1. Januar 1994, treten wir in die zweite Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion ein. Damit gelten für alle Mitgliedstaaten, natürlich auch für uns, besondere Verpflichtungen zur Haushaltsdisziplin.
5. Den weiteren Ausbau der Europäischen Union müssen wir in der Perspektive der bevorstehenden Erweiterungen gestalten. In gut einem Jahr — ich hoffe, daß vor unserer Präsidentschaft die griechische Präsidentschaft die Erweiterungsverhandlungen möglichst weit vorantreibt — wollen wir die vier EFTA-Länder in die Gemeinschaft aufnehmen. Danach muß die Revisionskonferenz 1996 genutzt werden, um die Union institutionell zu stärken.
Es darf eben keine Europäische Union geben, die sich als Wohlstandsclub abkapselt. Die gleichen Gründe, die vor 40 Jahren für die Gründung der Europäischen Gemeinschaft sprachen, sprechen jetzt für ihre Erweiterung: Erstens. Kein Land muß so stark wie Deutschland bestrebt sein, den sogenannten Westen so weit und so rasch wie möglich nach Osten aszuweiten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dieses Ziel gewinnt an Gewicht, wenn wir sehen, daß sich in Nordamerika und im Pazifikbecken mit der NAFTA und der APEC — siehe die letzten Abschlüsse bzw. Konferenzen — neue, ungeheuer leistungsfähige, Europa viel Konkurrenz bringende Wirtschaftsräume gebildet haben. Auf diese Konkurrenz müssen wir uns in besonderem Maße vorbereiten.
Zweitens. Deutschland muß sich in besonderer Weise als Anwalt seiner östlichen Nachbarn und Partner verstehen. Es ist eine ganz neue, gigantische und für uns ungeheuer wichtige Aufgabe, Partner und Anwalt der Umbruchländer in Mittel- und Osteuropa zu werden, in der politischen, wirtschaftlichen und sicherheitsmäßigen Heranführung an Europa.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Gerade wegen unserer Vergangenheit, als Hauptprofiteure der Umbrüche der letzten Jahre und wegen unserer geographischen Lage, unserer Größe und unserer Wirtschaftskraft sind wir verpflichtet, diese Länder an Europa heranzuführen, sie zu integrieren. Wir sind besonders daran interessiert, ihre innere Stabilität zu gewährleisten, ihre wirtschaftliche Gesundung und ihre äußere Sicherheit mit zu garantieren. Wir können uns gegenüber unseren östlichen Nachbarn — unsere einzigartigen Erfahrungen beim Umbau in den neuen Bundesländern, bei den sozialen Komponenten der Marktwirtschaft, auf allen anderen Gebieten einbringend — wirklich helfend betätigen. Es kann und darf nicht richtig sein, diese Länder über Jahrzehnte nur aufgefordert zu haben, ja, sie dringend gebeten zu haben, sich vom kommunistischen System freizumachen und sich unserem freiheitlichen, westlichen System anzuschließen. Nun haben sie es getan; jetzt dürfen wir sie nicht im Stich lassen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir müssen deutlich und klar sagen: Ohne die Einbeziehung der östlichen Hälfte bliebe Europa ein Torso. Der harte Aufeinanderprall von Arm und Reich, wie wir ihn gegenwärtig noch mitten in Europa erleben, würde wieder — machen wir uns da nichts vor — auf Dauer zwangsläufig zu Spannungen führen müssen.



Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Mit Privatisierung und politischem Pluralismus allein ist es nicht getan. Jahrzehntelange Isolation und Indoktrination haben geistige und kulturelle Folgen hinterlassen, die oft schwieriger zu beheben sind als alles andere. Im Augenblick haben wir diesen Ländern gegenüber gerade auf kulturellem Gebiet eine riesige Chance. Es sollte uns wirklich zu denken geben — ich sehe ein, daß es leider Gottes nicht anders geht —, daß wir ausgerechnet im kulturellen Teil des Haushalts des Auswärtigen Amtes streichen müssen. Die Chance, die wir als Buchnation im Augenblick für unsere Sprache und auch sonst auf kulturellem Gebiet durch die Öffnung hin zu diesen Ländern haben, ist so gewaltig, daß wir sie uns nicht entgehen lassen dürfen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Bitte helfen Sie mit, daß wir diese Chance wahrnehmen!
Polen, die Tschechische Republik und Ungarn befinden sich bereits in einer wirtschaftlichen Konsolidierungsphase. Dies gilt auch für die anderen Länder, für diese genannten etwas mehr. Polen wird in diesem Jahr mit mehr als 4 % voraussichtlich die höchste Wachstumsrate in ganz Europa aufweisen. Handel und Marktzugang werden für diese Lander entscheidender als Hilfe. Über die Kombination von westlicher Technologie und östlichen Kostenvorteilen kann sich eine Wirtschaftsdynamik entfalten, die jener in Ostasien im Grunde nicht nachzustehen braucht. Freilich wird eine solche Dynamik den vorhandenen Umstellungsdruck bei uns zunächst weiter verschärfen. Problem: Flucht in die Billiglohnländer, eine Ausflucht, die wir bereits in der Europäischen Gemeinschaft haben, die aber mit der Heranführung dieser Länder und der Öffnung der Märkte zwangsläufig verbunden ist.
Wir sollten auf der anderen Seite aber nicht übersehen, daß uns das ganz gewaltige Vorteile bringt. Ja, wir müssen sehen, daß im Augenblick ein Stundenlohn in Dresden und Leipzig gleich einem Tageslohn in Breslau ist und — vergessen wir das nicht — gleich einem Monatslohn in der Ukraine. Ich habe das in den letzten Tagen noch einmal nachgeprüft. Das zeigt das Gefälle. Das zeigt, was uns, was die Billiglohnproblematik anbelangt, bei der Arbeitslosigkeit bevorsteht. Es zeigt aber auf der anderen Seite auch, welche gigantischen Märkte uns zur Verfügung stehen. Es ist schon interessant, nachzulesen und nachzuprüfen, wie sich Export und Import mit diesen Ländern in den drei letzten Jahren gewaltig verändert haben.
Drittens. Meine Damen und Herren, es bedarf keiner besonderen Betonung: Außerordentlich wichtig bleibt für uns ein intaktes atlantisches Verhältnis, unsere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten.
Viertens. Dem Wunsch der Lander Mittel- und Osteuropas nach stärkerer sicherheitspolitischer Anbindung wird das Nordatlantische Bündnis bei dem bevorstehenden Gipfel am 10. Januar des nächsten Jahres mit dem Vorschlag einer Friedenspartnerschaft entgegenkommen. Das würde dem Konzept erweiterter Sicherheit entsprechen, wie ich es kürzlich definiert habe. Wir dürfen Mauern, die wir 1989 endlich einreißen konnten, nicht an anderer Stelle in Europa neu errichten.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Deshalb müssen natürlich auch die GUS-Staaten, insbesondere Rußland und die Ukraine, in diese Partnerschaft — nicht auf dieselbe Art und Weise, aber doch durch Vereinbarungen anderer Art — einbezogen werden.
Auch in der WEU brauchen wir eine neue Vernetzung. Bei den trilateralen Gesprächen, die wir vorletzte Woche zusammen mit den Franzosen in Polen hatten, haben der französische Außenminister Main Juppé und ich angeregt, ob man nicht an eine Assoziationspartnerschaft der Visegrad-Länder zunächst gegenüber der WEU denken könnte.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir haben das am vergangenen Montag bei der WEU-Ministerratstagung angeregt. Das ist nicht unproblematisch — ich weiß das sehr wohl —, auch nicht unumstritten. Aber wir haben immerhin erreicht, daß vorgesehen ist, das innerhalb der WEU zu überlegen. Es wäre ein weiterer Vernetzungsakt im Sicherheitsbedürfnis dieser Länder.
Ich kann Ihnen nur sagen, dieses Sicherheitsbedürfnis ist gewaltig. Ich habe in den letzten Tagen mehrere Gespräche mit verantwortlichen Politikern aus diesen Ländern gehabt. Sie haben Angst und sagen mit aller Deutlichkeit: Wir haben die revolutionären Umbrüche herbeigeführt. Wir haben gedacht: Wenn wir diese Umbrüche vollendet haben, dann werden wir wirtschaftlich, politisch und sicherheitsmäßig relativ schnell an dieses Europa herangeführt werden, dann werden wir mit offenen Armen aufgenommen werden. Wir sind in gewisser Beziehung enttäuscht über die relativ langsame Art und Weise, wie Europa das bewältigt, wie es die NATO bewältigt, wie es die WEU, wie es die Europäische Gemeinschaft bewältigt.
Wir sagen allen Partnern: Wir verstehen das. Ihr müßt auf der anderen Seite aber auch die Sensibilität sehen, die in diesen Fragen liegen. Ja, wir möchten euch heranführen. Wir möchten euch im Endeffekt hereinführen. Aber wir dürfen keine neuen Brüche schaffen, nachdem wir die Ost-West-Auseinandersetzung Gott sei Dank beseitigt haben. Wir müssen insbesondere auf Rußland und die Ukraine — ohne jedes Vetorecht — sensibel und vorsichtig Rücksicht nehmen. Denn Rußland und die Ukraine sehen ein näheres Heranrücken der NATO an ihre Grenzen natürlich nicht gerade ohne Sensibilität.
Deshalb wird dem NATO-Gipfel im Januar eine so große Bedeutung beikommen. Deshalb müssen wir ihn präzise und gut vorbereiten. Ich messe dieser europäischen Sicherheitsarchitektur, die wir finden müssen, eine weitere ganz, ganz große Bedeutung in der deutschen Außenpolitik zu.
Fünftens. Die Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Europäischer Union, WEU und NATO einerseits und dem östlichen Teil Europas andererseits muß sich in einem umfassenden Sicherheitskonzept zusam-



Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
menfügen. Dabei müssen wir natürlich auch die KSZE mit ihren Möglichkeiten einbeziehen.
Sechstens. Wir alle wissen, daß Rußland am 12. Dezember Wahlen hat und sich eine neue Verfassung geben will. Dies sind ganz entscheidende Weichenstellungen für die Zukunft, die sich abzeichnen. Die Bundesregierung hat konsequent den auf Reform, Liberalisierung und Stabilisierung gerichteten Kurs der russischen Regierung gestützt. Das war richtig. Wir waren mit dieser Stütze nicht allein. Unsere wesentlichen und wichtigen Partner haben es genauso gesehen und haben es genauso getan wie wir.
Noch vor Weihnachten werde ich im Dialog, insbesondere was die NATO-Erweiterung und die Sicherheitsarchitektur anbelangt, mit dem russischen Kollegen Kosyrew Fragen aufnehmen. Von nichts werden Sicherheit und Stabilität in Europa so stark abhängen wie von der weiteren konsequenten inneren Transformation Rußlands und der Sicherheit, daß die Wege hin zu demokratischen, marktwirtschaftlichen Strukturen dort endgültig unumkehrbar werden.
Es war nicht umsonst so, daß die Welt und auch wir in Deutschland bei Ereignissen der letzten Zeit den Atem angehalten haben. Eines ist jedenfalls sicher: Mit Mitteln von gestern läßt sich dort der Wohlstand von morgen nicht schaffen. Diese Einsicht hat sich auch in Rußland durchgesetzt. Wir müssen allerdings Rußland auf dem schwierigen Weg zur endgültigen Durchsetzung der Reformen weiter unterstützen. Das haben wir uns fest vorgenommen. Das werden wir auch tun.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ganz kurz zur Ukraine: Die geographische Lage, die Größe, die natürlichen Ressourcen und die Talente der Bevölkerung der Ukraine sind ein bedeutendes Potential. Die internationale Gemeinschaft ist genauso wie bei Rußland bereit, die Ukraine zu unterstützen. Ja, sie muß es, denn wirtschaftlich ist die Ukraine in einer noch weit schlechteren Situation als Rußland. Die Ukraine braucht deshalb ganz besonders unsere Unterstützung. Voraussetzung dafür ist, daß sich die Ukraine ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen auf dem Gebiet der nuklearen Abrüstung nicht entzieht.

(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.])

START I muß eben ohne Wenn und Aber ratifiziert und implementiert werden. Wir erwarten von Kiew, wenn wir es unterstützen, auch konsequentere Schritte auf diesem Gebiet. Dazu gehört die Umsetzung des Lissaboner Protokolls und der Beitritt der Ukraine zum Nichtverbreitungsvertrag. Wir stehen mit unserer Abrüstungshilfe bereit, diesen Ländern zu helfen. Es geht immerhin darum, 27 000 nukleare Sprengköpfe und 40 000 t chemische Kampfstoffe zu beseitigen. Die Mittel, die bei uns im Haushalt zur Verfügung gestellt werden, sind nicht gering, sind aber noch zu gering, um wirklich in der Praxis etwas erreichen zu können.
Meine Damen und Herren, die Vereinten Nationen und ihre einzigartige Verantwortung, Frieden und
I Recht weltweit zu stärken, bleibt eine zentrale Aufgabe unserer dem Frieden verpflichteten Außenpolitik. Dies gilt auch und gerade nach den Erfahrungen in Somalia, d. h. wir müssen die Rechte und Pflichten — ich betone ausdrücklich die Pflichten; so hat es Herr Scharping auch getan —, die sich aus unserer Mitgliedschaft ergeben, voll wahrnehmen. Für die Sonderrolle, die wir bisher spielen, schwindet das Verständnis zunehmend, im Ausland, aber auch hier bei uns.
Wir brauchen endlich die Grundgesetzänderung. Zum wiederholten Male appelliere ich an die SPD: Geben Sie in diesem Zusammenhang Ihre Blockade auf und helfen Sie mit, daß wir außenpolitisch voll handlungsfähig werden.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Herr Scharping hat mich wissen lassen, daß er wegen eines anderen wichtigen Termins während meiner Rede nicht anwesend sein kann. Ich verstehe das. Ich akzeptiere das auch, weil auch ich selber oft in Terminnöten bin. Aber ich würde ihm gerne sagen, jetzt über Sie, daß ich nicht nur ihn sondern schon Herrn Engholm, als er noch Parteivorsitzender war, vor geraumer Zeit darum gebeten habe, daß ich im Präsidium der SPD in meiner Eigenschaft als Außenminister dieses Landes vortragen kann, wie sich praktische Außenpolitik im Augenblick gestaltet und welche Probleme sie im Zusammenhang mit dieser verfassungsrechtlichen Bremse hat.

(Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Das tragen Sie mal im Verteidigungsministerium vor! Weitere Zurufe von der SPD)

Es ist mir leider bis heute nicht ermöglicht worden. Ich habe immer auf eine Antwort gewartet. Deshalb habe ich mir vorgenommen, daß ich das heute sage.

(Zuruf von der SPD)

— Nein, ich nehme das sehr ernst. Bei den Koalitionspartnern kann ich diese Schwierigkeiten vortragen. Bei Ihnen konnte ich es bisher nicht. Ich bitte Sie hiermit nochmals, daß ich möglichst bald in Ihrem Präsidium über die außenpolitische Situation und wie sie sich im Augenblick mit der verfassungsrechtlichen Situation darstellt vortragen kann. Ich möchte Ihnen nämlich gern vor Augen führen, wie es tatsächlich in der Praxis aussieht. Ich könnte mir vorstellen, daß mindestens einige von Ihnen dafür Verständnis haben.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wenn es so bleibt wie bisher, dann muß ich Ihnen allerdings — genauso wie der Bundeskanzler — entgegenhalten: Dann würden Sie, was Ihre Partei anbelangt, nicht dazu beitragen, daß wir bündnisfähig sind und bleiben, und dann zeigen Sie sich — auch das wiederhole ich — auch in dieser Frage einfach als nicht regierungsfähig.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Herr Scharping hat stolz darauf hingewiesen — und das verstehe ich —, daß es ihm beim Parteitag gelungen ist, in der ganz speziellen Frage der inneren Sicherheit einen Durchbruch zu erzielen, zwar nur



Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
knapp, aber immerhin aus seiner Sicht ein beachtlicher Erfolg. Wenn er jetzt noch hier wäre, hätte ich ihm gern gesagt, daß für mich die Relationen nicht stimmen. Es wäre von der Bedeutung her unvergleichlich wichtiger gewesen, er hätte sich in der anderen Frage, nämlich der Frage der Out-of-area-Einsätze, der Auffassung von Herrn Klose angeschlossen und sich in dieser für unser Land so wichtigen Frage — um Klassen wichtiger als die andere Frage — durchsetzen können.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

— Ich spiele die Problematik der inneren Sicherheit nicht herunter. Im Gegenteil: Ich weiß, welche Sorgen und Nöte wir in diesem Land haben. Aber Sie kennen unsere Auffassung. Herr Scharping hat das angesprochen. Ich bleibe dabei: Die Frage, ob wir nach einer Grundgesetzänderung außenpolitisch voll handlungsfähig wären und werden oder nicht, ist für dieses Land von grundsätzlicher Bedeutung, von einer ganz entscheidenden und wichtigen Bedeutung. Wenn Sie in der SPD nicht den Schritt finden, bei diesem Fähigmachen deutscher Außenpolitik in allen Fragen mitzumachen, nicht nur in den Rechten, sondern auch in den Pflichten, dann werden Sie sich das in den Wahlkämpfen vorhalten lassen müssen und dann werden wir jedenfalls nach draußen sagen, daß Sie insoweit weit davon entfernt sind, regierungsfähig zu sein.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Zu Somalia. Dieser Einsatz ist nicht so gelaufen, wie wir uns das vorgestellt haben und wie sich die Vereinten Nationen das vorgestellt haben. Wir haben Verantwortung übernommen, wir haben unsere Leistung erbracht. Die Vereinten Nationen haben personelle, strukturelle und andere Schwierigkeiten. In einer solchen Situation war es wohl richtig, daß wir uns nicht auf uns selber fokussiert haben, sondern gestern im Kabinett die notwendige Reduzierung, die geschehen muß, weil die indischen Truppen nicht, wie ursprünglich zugesagt, in Belet Uen angekommen sind, zu beschließen, und zwar im Einvernehmen mit den Vereinten Nationen.

(Zuruf von der SPD)

Die Frage, ob, wie und wann ein endgültiger Abzug stattfindet, wird Mitte des Monats Dezember zu entscheiden sein, ich hoffe, dann wieder im Einvernehmen mit unseren Partnern und den Vereinten Nationen, weil wir außenpolitisch zuverlässig bleiben müssen, gerade bei der verfassungsrechtlichen und sonstigen Situation und den Bremsen, die wir haben.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Lassen Sie mich noch auf einen Punkt eingehen, den Herr Scharping angesprochen hat. Er hat gefragt, ob man wohl, wenn diese Frage gekommen wäre, beispielsweise im humanitär-technischen Hilfsbereich 500 Millionen DM zur Verfügung gestellt hätte. Ich darf Herrn Scharping sagen, wie die Summen aussehen, die wir bilateral und multilateral über die Europäische Gemeinschaft zur Verfügung gestellt haben. Es sind allein in der humanitären Hilfe für
Somalia insgesamt 133 Millionen DM, und bilateral haben wir in den letzten dreieinhalb Jahren für humanitäre Hilfe rund 900 Millionen DM aufgebracht.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Es geht um den militärischen Einsatz, Herr Kinkel!)

Das heißt also, wir haben, was Somalia anbelangt, im humanitären Bereich wie in anderen Bereichen, und auch im früheren Jugoslawien, wahrhaftig gezeigt, daß wir unseren Mann stehen, und es wird weltweit anerkannt, was wir auf diesem Gebiet finanziell geleistet haben. Also bitte bringen Sie uns nicht das finanzielle Argument in der Somaliafrage. Dort haben wir wirklich alles getan, was wir nur tun konnten.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Aber 300 Millionen haben Sie verpulvert für nichts! Verpulvert für nix!)

— Nicht verpulvert für „nix". 350 Menschen sind dort den Hungertod gestorben, bevor der UNO-Einsatz kam. Zum Schluß waren es mehrere hundert am Tag. Es gibt keine Hungersnot mehr in Somalia. Ist das nicht auch etwas, was betont werden muß?

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Nein, wir lassen uns den Einsatz in Somalia von Ihnen nicht zerreden. Sie waren dagegen. Der Einsatz hat etwas gebracht, sogar sehr viel. Er hat Menschen direkt geholfen, Menschen, die in tiefster Not waren. Wenn Sie auf die Frage, ob wir das hätten lassen sollen und nicht hätten helfen sollen, die Antwort „Ja" geben, dann sagen wir: Nein. Es war richtig, daß wir dort hingegangen sind. Dazu stehen wir auch heute noch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Lassen Sie mich zum Schluß noch auf die schreckliche Situation im früheren Jugoslawien eingehen. Wir stehen dort vor einem furchtbaren Winter. Zirka 4 Millionen Menschen sind wirklich vom Tode bedroht, wenn es uns nicht gelingt, dort doch noch zu einer Lösung zu kommen. Das hat den französischen Außenminister Alain Juppé und mich veranlaßt, eine Initiative zu ergreifen, die sich auf drei Punkte bezieht:
Erstens ist es der Versuch, die humanitäre Hilfe in dieser schrecklichen Winterzeit dort zu den Menschen zu bringen durch die Absicherung von Korridoren, durch die Öffnung des Flughafens von Tuzla

(Beifall des Abg. Freimut Duve [SPD]) und durch erhöhte finanzielle Mittel.

Zweitens sind wir der Meinung, daß man in der Krajina vor einer kriegerischen Auseinandersetzung steht. Wir wollen durch einen Modus vivendi versuchen, zu einer Lösung zu kommen.
Drittens sind wir der Meinung, daß es nicht richtig sein kann, daß man in Genf auseinandergegangen ist, weil die moslemische Seite, die Schwächsten, damals erklärt hat, daß sie zu wenig Gebiet aus den von den Serben eroberten und besetzten Gebieten bekommt, um zu überlegensfähigen eigenen Territorien zu gelangen.



Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Der Ansatz ist richtig. Wir wollen versuchen, diesen Ansatz am Schopf zu packen, und wir zwölf europäischen Außenminister wollen uns am kommenden Montag mit den Konfliktparteien — ich hoffe, daß sie kommen; ich gehe davon aus, daß sie sich uns nicht verweigern können — zusammenzusetzen, um vielleicht doch noch — ich sage es noch einmal — vor einem wahrscheinlich schrecklichen Winter mit nicht wiedergutzumachenden Schäden eine Lösung zu erreichen. Ich bin nicht absolut optimistisch, aber es ist uns, Juppé und mir, gelungen, die Europäer am Montag davon zu überzeugen, daß die schreckliche Lage dort jedenfalls den Versuch rechtfertigt.
Halten Sie uns die Daumen, daß es gelingt. Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219205400
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Hans-Ulrich Klose das Wort.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Der kriegt auch nicht genug!)


Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1219205500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um aus der Debatte eine wirkliche Debatte zu machen, muß ich ein paar Punkte auf greif en.
Der erste: Herr Bundeskanzler, wenn es richtig ist, was Sie angedeutet haben, daß nämlich im Falle Südkoreas gewisse Anmutungen an uns gestellt worden sind und daß wir diese nicht erfüllen wollten, dann reduziere ich meine Kritik, weil es keinen Sinn macht, auf einer solchen Basis Kritik zu üben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zweite Bemerkung: Sie wissen, daß ich in der Frage der künftigen Rolle der Deutschen in der Welt und in der Frage des Bundeswehreinsatzes eine andere Position habe als meine Partei. Man kann für seine Positionen nicht immer Mehrheiten gewinnen. Wir sind eine demokratische Partei. Da muß man auch unterliegen können. Aber gerade weil ich eine andere Position habe, möchte ich in einem wichtigen Punkt einer Legendenbildung vorbeugen: Die sozialdemokratische Partei und die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stehen ohne Wenn und Aber zu den Bündnispflichten, die wir im Rahmen der NATO übernommen haben.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte das einfach festhalten, denn es geht heute darum, und es wird darüber diskutiert, ob dieses Bündnis in Zukunft zusätzliche andere Aufgaben erfüllen muß; nach meiner Einschätzung ja. Der Streit geht nicht um die Erfüllung jetzt vorhandener Bündnisverpflichtungen, sondern es geht um die zukünftige Entwicklung des Bündnisses.
Auch aus meiner Position will ich jedenfalls eines hinzufügen: Ich bin, was konkrete militärische Aktionen angeht, durch die Erfahrung der letzten Monate und Jahre eher skeptischer geworden. Zu glauben, daß ich als einer, der eine andere Position hat, ein
Interesse daran hätte, möglichst schnell viele deutsche Soldaten an alle möglichen Fronten der Welt zu schicken, ist ein Irrglaube.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das will niemand! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)

— Okay, das nehme ich interessiert und mit Befriedigung zur Kenntnis.
Drittens. Ich wollte eine Bemerkung zu Ihren Bemerkungen, Herr Kollege Schäuble, machen, und zwar zur Wohlstandsgesellschaft: affluent society, wie die Engländer sagen. Ich glaube auch, daß die Fähigkeiten einer Wohlstandsgesellschaft zur Reform begrenzt sind. Ich muß aber um der historischen Wahrheit willen eines hinzufügen: Es ist jedenfalls meine Auffassung, wenn die Bundesregierung, wenn insbesondere der Herr Bundeskanzler unmittelbar nach dem Fall der Mauer den Menschen gesagt hätte, dies wird schwierig, das wird uns große Opfer abverlangen —,

(Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl [CDU/ CSU]: Hat er ja gesagt! — Zuruf von der SPD: Blühende Landschaften!)

— dann glaube ich, wäre mehr möglich gewesen. Ich bin zudem davon überzeugt, Herr Bundeskanzler, wenn Sie mit diesem Anspruch vor die Wähler getreten wären und nicht mit dem falschen Versprechen, Steuererhöhungen nicht zu machen, hätten Sie außerdem noch ein besseres Wahlergebnis bekommen.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Er hat es einmal versucht!)

Davon bin ich fest überzeugt. Und diesen Punkt möchte ich nicht ganz untergehen lassen.
Viertens. Ich glaube auch, daß manches, was im Zusammenhang mit der Präsidentschaftskandidatur von Heitmann gesagt und geschrieben wird, kampagneartige Ausmaße annimmt. Aber: Ich finde, es ist nicht akzeptabel, unter eine solche Überschrift einen Kritiker wie Ignaz Bubis zu stellen.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Aber Scharping!)

— Ich rede jetzt von Ignatz Bubis. Von wem ich rede, müssen Sie mir schon überlassen, Herr Kollege Schäuble.
Eines möchte ich jedenfalls festhalten: Woran immer es liegen mag — ich will das im einzelnen nicht verfolgen—, Tatsache ist, daß dieser Kandidat spaltet, weil er sich mindestens mißverständlich ausdrückt.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Ich halte fest, daß es ihm offenbar schwerfällt zu begreifen, daß er mit seinen Äußerungen Mißverständnisse auslöst. Ich würde es für klug halten, Herr Kollege Schäuble, diese Aussage nicht weiter zu vertiefen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219205600
Lassen Sie trotzdem eine Zwischenfrage zu?

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1219205700
Nein, weil ich das nicht für klug halte, kann ich sie nicht zulassen. Da würde ich



Hans-Ulrich Klose
mir selber widersprechen. Das müssen Sie einsehen.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sie müssen mich entscheiden lassen, was ich für klug halte!)

— Ja gut, da wir uns aber in einem Dialog befinden, müssen beide Seiten entscheiden. Wenn wir unterschiedlicher Auffassung sind, kann ich entscheiden, ob ich antworte oder nicht.
Fünftens: Die Freigabe von Drogen. Was in unserem Beschluß steht, ist völlig klar. Wir sind dafür, daß die kleinen Haschischkonsumenten in der Tat entkriminalisiert werden. Wir halten das für völlig richtig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Bei den anderen geht es darum, ob es nicht besser wäre, Ersatzdrogen unter medizinischer Aufsicht an bestimmten festgelegten Stellen abzugeben, statt diese Menschen ständig weiter in die Beschaffungskriminalität hineinzudrücken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte gern, daß dieser Unterschied ganz deutlich wird, damit sich in der Öffentlichkeit keine weitere Legende bildet.

(V o r s i t z : Vizepräsident Helmuth Becker)

Sechstens. Ich habe es Ihnen schon beim letztenmal entgegengehalten, Herr Kollege Schäuble, Sie können nicht mit der Behauptung auftreten, Sozialdemokraten seien nicht bereit zu sparen. Wir sagen zu wesentlichen Sparvorschlägen, die Sie machen, nein. Wir haben unsererseits auch ein Sparpaket vorgelegt mit einem Volumen von reichlich 20 Milliarden DM. Es kann sein, daß Ihnen dieses Sparpaket nicht gefällt, aber Sie können nicht behaupten, daß wir keine Vorschläge gemacht hätten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das ist überhaupt kein Sparpaket! Das ist ein Steuererhöhungspaket!)

Ein weiteres werde ich Ihnen auch immer wieder vorhalten, auch wenn es Ihnen nicht gefällt: Die Einnahmesituation des Bundes wäre besser gewesen, und zwar konjunkturunschädlich, wenn Sie den einmal eingeführten Solidaritätszuschlag, am besten in unserer Form der Ergänzungsabgabe, durchgehalten und nicht nach einem Jahr wieder aufgegeben hätten, nur weil Sie sich nicht ein weiteres Mal zu öffentlichen Äußerungen, die Sie zu den Steuern vorher gemacht haben, in Widerspruch setzen wollten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nächste Bemerkung. Herr Kollege Schäuble, es ist eine Legende, es stimmt einfach nicht, daß Sozialdemokraten überzeugt wären, man könne die Wirtschaft planen, und wir wollten das alles irgendwie von Staats wegen steuern. Nein, nein, das ist nicht so.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber ein bißchen!)

Aber zwei Anmerkungen muß ich dazu machen:
Erstens. Wann immer es in den vergangenen Jahren — ich rede jetzt von der alten Bundesrepublik — Strukturkrisen gegeben hat, sind wir nie nach der Devise verfahren: Das regelt alles alleine der Markt, sondern wir haben immer interveniert, um diese Strukturkrisen, bei denen ja immer auch Menschen betroffen sind, sozial beherrschbar zu halten. Das allerdings ist sozialdemokratische Grundüberzeugung, und an der halten wir fest.

(Beifall bei der SPD)

Insofern glauben wir nicht an umfassende staatliche Interventionsfähigkeiten, aber schon an staatliche Verantwortung.
Die zweite Anmerkung, die ich machen muß: Ich bin sehr für Privatisierung. Um es jetzt einmal klarzustellen: Die SPD-Bundestagsfraktion hat gestern der Bundesbahnreform in der Fraktion mit großer Mehrheit zugestimmt. Diejenigen, die jetzt noch Widerstand leisten, sind nicht Sozialdemokraten — das wissen Sie auch genau —, sondern das sind die Länder, denen es wieder einmal um Geld geht.

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Stoiber auch! Seit wann ist Stoiber denn Sozialdemokrat? Hören Sie mal! Lesen Sie doch einmal die heutigen Tickermeldungen. In dem Punkt, wenn es um das Geld geht — das wissen wir doch alle —, sind die Herren Ministerpräsidenten sich alle einig, egal in welcher Partei sie sind. Aber Sie können sich jedenfalls nicht hinstellen und sagen, es seien die Sozialdemokraten. Das stimmt einfach nicht. Ich habe Ihnen den Zettel vorhin gezeigt, Herr Kollege Sohns.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Ich habe mich auf Herrn Eichel bezogen!)

— Ja gut, aber wenn Sie die Wahrheit sagen wollen, dann müssen Sie sich auf die Ministerpräsidenten beziehen. Es ist eben nicht nur Herr Eichel, sondern es sind auch die anderen. Es gehört dazu, wenn man die Wahrheit sagen will, daß man die Wahrheit vollständig sagt, sonst wird sie nämlich schief. Ich lege Wert darauf, daß die Wahrheit vollständig gesagt wird.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das kommt auf die Mehrheitsverhältnisse an!)

Ich bin also sehr für die Privatisierung der Bundesbahn. Ich bin auch sehr dafür, daß wir die Postreform II zustande bringen.

(Beifall des Abg. Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.])

Wir werden darüber wahrscheinlich in der nächsten Woche in der Fraktion beraten. Nur, eines muß ich Ihnen auch sagen: Es kann nicht nach der Devise gehen, daß es die Privatisierung sein muß, wie Sie sie sich vorstellen.

(Beifall bei der SPD)

Dahinter steckt nämlich wieder einmal dieses ständige Imponierverhalten: Alle unsere Pläne sind richtig und wahr, und das, was andere denken, ist unwahr. Wir behalten uns vor, Herr Kollege Schäuble, schon sehr sorgfältig und im Detail zu prüfen, ob wir diese Art der Postreform, die da ausgehandelt worden ist, mitmachen können oder nicht.



Hans-Ulrich Klose
Nächste Bemerkung: Bauarbeiter. Es gibt arbeitslose Bauarbeiter. Das ist die erste Anmerkung. Die zweite ist diese: Es gibt natürlich einen unglaublichen Druck, deutsche Bauarbeiter nicht mehr zu beschäftigen, sondern nur noch ausländische.

(Zuruf von der SPD: Ja! Ja!)

Sie wissen auch genau, warum das so ist. Daß das dazu führt, daß die deutschen Arbeitnehmer nicht mehr ins Baugewerbe gehen, dafür habe ich ein gewisses Verständnis.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das hat aber mit dem AFG nichts zu tun!)

Stichwort: Technikängste. Herr Kollege Schäuble, ich sage Ihnen: Technikängste, die es gibt — ich will auch gar nicht leugnen: Politik, auch sozialdemokratische, hat dazu beigetragen, daß sie eher größer geworden sind —, werden noch größer, wenn man Gefahren leugnet, verharmlost und die notwendige Aufklärung unterläßt.

(Beifall bei der SPD)

Daß Gentechnik auch immer etwas Gefährliches ist, das können Sie schlechterdings nicht leugnen. Es heißt ziemlich großzügig mit Risiken umgehen, sich so vehement für Kernenergie stark zu machen angesichts der Tatsache, daß das Entsorgungsproblem weder in Deutschland noch in irgendeinem Land der Erde wirklich gelöst ist. Das finde ich ziemlich kühn, Herr Kollege Schäuble.

(Beifall bei der SPD)

Nun muß ich noch einige ganz kurze außenpolitische Bemerkungen anfügen. Ich finde richtig, daß die Bundesrepublik Deutschland sich um die osteuropäischen Länder kümmern muß, aber wenn es geht, immer in guter Zusammenarbeit mit den westeuropäischen Partnern, und zwar insbesondere deshalb, weil wir uns nicht überheben sollten. Meine Angst ist ein bißchen, daß deutsche Außenpolitiker allzu großzügig in Osteuropa herumreisen und allen versprechen, wir würden in besonderer Weise Anwalt sein und ihnen helfen.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Da hätten Sie heute mal dem Kanzler zuhören sollen!)

Hinterher werden wir möglicherweise bittere Enttäuschungsprozesse auslösen, weil wir das nicht einhalten können. Ich wäre also sehr dankbar, wenn diese besondere Anwaltschaft unseren Möglichkeiten entspräche.
Ich bin wie die Sozialdemokratische Partei insgesamt dafür, mittel- und osteuropäische Lander in die bestehenden Systeme der Sicherheit aufzunehmen, wohlüberlegt und wohldosiert, aber in dem Bewußtsein, daß man ein sicherheitspolitisches Vakuum nicht bestehenlassen sollte,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

weil es Gefahren mit sich bringt. Wir sind uns darüber einig, und man braucht nicht lange darüber zu reden, daß dies nicht in der Weise geschehen darf, daß sich dabei eine neue Konfliktlinie, etwa zu Rußland, bildet. Mir läge sehr daran, wenn eine solche Erweiterung in engster Abstimmung und mit Zustimmung und unter
Einbeziehung der USA erfolgen könnte, weswegen ich glücklicher wäre, sie würde sich auf der Ebene der NATO vollziehen als auf der Ebene der Westeuropäischen Union.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das wollte ich angemerkt haben, damit es bedacht werden kann.
Im Zusammenhang mit dem Stichwort „Rußland" habe ich eine Bitte; ich gehe davon aus, daß der Kollege Rühe vielleicht noch spricht. Es wird relativ wenig über das, was man die neue russische Militärdoktrin nennt, geschrieben. Was ich dazu gelesen habe, führt bei mir zu einigen Fragen. Wenn ich es recht verstanden habe, nimmt Rußland eine Art von Interventionsrecht, die Funktion einer Ordnungsoder Schutzmacht für sich in Anspruch, jedenfalls gegenüber den Nachbarn, an denen es aus ethnischen Gründen ein besonderes russisches Interesse gibt. Es mag sein, daß ich das falsch sehe. Das müßte jedenfalls geklärt werden.

(Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Ich gebe Ihnen demnächst den Text!)

— Okay, das Angebot nehme ich gern an. Sie sagen immer, ich sei so gut informiert; in dem Punkt bin ich nicht so gut informiert, weil ich das bisher nicht gelesen habe. Ich würde es gern lesen.
Jedenfalls wollte ich in dem Zusammenhang daran erinnern, daß es sinnvoll wäre, wenn die deutsche Außenpolitik größere Anstrengungen unternähme, um aus der KSZE ein handlungsfähiges politisches Instrument der inneren Konfliktlösung zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Mein Eindruck ist, daß die Anstrengungen da in der letzten Zeit nicht ganz so gewesen sind, wie sie hätten sein sollen.
Nun zum Stichwort „Somalia". Damit das klar ist — es gibt wiederum Legendenbildung —: Ich und viele in der SPD-Bundestagsfraktion waren am Anfang eher für den Einsatz in Somalia. Es stimmt einfach nicht, wenn gesagt wird, es waren alle dagegen. Aber ich sage Ihnen: Die Situation in Somalia hat sich so entwickelt, wie man befürchten mußte — sehr ungut. Ich denke, daraus müssen die Konsequenzen gezogen werden.
Jedenfalls ist die Position des Außenministers, der in Wahrheit darauf hinauswill, den Bundeswehreinsatz in Somalia politisch zu instrumentalisieren, nicht akzeptabel. Wir können die Bundeswehr nicht nur deshalb länger in Somalia lassen, um uns gegenüber der UNO als verläßlich zu erweisen, damit die Forderung nach dem ständigen Sitz im Sicherheitsrat größeres Gewicht erhält.

(Beifall bei der SPD)

Ich bitte Sie um Entschuldigung, Herr Bundeskanzler. Sie schütteln den Kopf. Aber so hat der Außenminister argumentiert.

(Widerspruch bei der F.D.P.)




Hans-Ulrich Klose
Das ist nicht akzeptabel; jedenfalls können das Sozialdemokraten nicht akzeptieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Das haben Sie falsch verstanden!)

Ich möchte bei dieser Gelegenheit einen Punkt hinzufügen. Das Kontingent der Bundeswehr hat in Somalia einen präzise beschriebenen Auftrag. Mit diesem Auftrag hat die Bundesregierung auch vor dem Bundesverfassungsgericht argumentiert. Ich weiß, wovon ich rede; ich war dabei. Da hieß es: einen logistischen Versorgungsauftrag für 4 000 Mann überwiegend indische Truppen. Die sind dort nicht hingekommen. Infolgedessen wird dieser Auftrag nicht erfüllt. Ich finde, schon der Respekt gegenüber dem Bundesverfassungsgericht, das nur eine vorläufige Entscheidung getroffen hat, gebietet es, daß daraus die Konsequenzen gezogen werden. Dieses Kontingent dort zu lassen, nachdem die USA abgezogen sind, halte ich für ganz und gar unverantwortlich, und ich sage Ihnen: Jedenfalls in diesem Punkt steht die SPD-Bundestagsfraktion auf seiten des Verteidigungsministers und nicht des Außenministers.

(Beifall bei der SPD)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1219205800
Meine Damen und Herren, jetzt erhält zu einer Kurzintervention nach § 27 unserer Geschäftsordnung unser Kollege Dr. Wolfgang Schäuble das Wort.

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1219205900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Klose, ich habe Herrn Bubis überhaupt nicht kritisiert. Deswegen finde ich es schon bemerkenswert, daß Sie auf meine Bitte an Herrn Scharping, sich für seine Entgleisung zu entschuldigen, damit argumentieren, man könne doch Herrn Bubis nicht kritisieren. Das zeigt für mich, daß Sie meine Bewertung teilen, daß sich Herr Scharping für seine Entgleisung noch zu entschuldigen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Das ist Ihre Interpretation!)

— Sonst hätte er doch nicht mit Herrn Bubis geantwortet. Verzeihen Sie, Ihr Zwischenruf ist so albern, wie er nur sein kann.
Zweite Bemerkung. Sie haben von „Spalten" gesprochen. Es betrifft Steffen Heitmann nicht als einzigen. Alle, die in der früheren DDR gelebt haben, werden, wenn sie sich politisch äußern, bei uns häufig nicht leicht verstanden bzw. leicht mißverstanden.

(Zuruf von der SPD: Meinen Sie Herrn de Maizière?)

Ich möchte Sie gern daran erinnern, daß Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender Thierse, als Herr Momper zurückgetreten war, aufgefordert war, den Vorsitz in der Berliner SPD zu übernehmen, und daß er es sich nicht zugetraut hat, sich in der Westberliner SPD hinreichend Gehör zu verschaffen. Deswegen: Man sollte ihm nicht vorwerfen, daß er spaltet. Vielmehr ist noch zuviel Teilung in Deutschland.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Schlechtes Beispiel!)

Wir sollten mit dieser Debatte verantwortlicher umgehen, als Ihr Parteivorsitzender damit umgegangen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1219206000
Meine Damen und Herren, der nächste Redner ist unser Kollege Dietrich Austermann.

Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1219206100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Anlaß für die Kurzintervention unseres Fraktionsvorsitzenden war einer, der sich in dieser Debatte bisher mehrfach wiederholt hat. Es wurde mit Unterstellungen gearbeitet, die dem von der politisch anderen Seite nahegelegt haben oder zugemutet haben, er sei nicht in der Lage oder bereit, bestimmte Dinge zu tun oder zu wollen.

(Freimut Duve [SPD]: Wir sind in der Haushaltsdebatte!)

Ich komme auf das Thema Haushaltsdebatte zurück, aber zunächst auf das, was der Bundesvorsitzende der SPD hier gesagt hat. Ich meine die Feststellung, es regte ihn auf, daß es soundso viele Kinder in Familien von Sozialhilfeempfängern gibt, oder die Feststellung, wie es mit der Arbeitslosigkeit bestellt ist. Auch Herr Klose hat dies in seiner ersten Rede zum Thema Arbeitslosigkeit aufgenommen. Damit wurde der Eindruck erweckt, alle anderen, die nicht dieser Partei angehören, seien bösen Willens in der Frage, soziale Arbeit zu leisten oder etwas für den Abbau von Arbeitslosigkeit zu tun. Dies weise ich als eine üble Verdächtigung zurück. Diesen Schuh darf sich keiner von uns anziehen.
Wenn es darum geht, Verbesserungen in Deutschland durchzusetzen, mehr zu tun, um neue Arbeitsplätze zu ermöglichen, wird diese Koalition und diese Regierung von niemandem übertroffen. Ich sage das auch in bezug auf die Haltung und die Entscheidungen der SPD in den früheren Jahren ihrer Regierung, weil vorhin das Thema Verschuldung eine Rolle gespielt hat. Es geht um die Frage, wer hat was und wieviel erreicht. Also ganz klar, Frau Matthäus-Maier: Von 1969 bis 1982 haben sich die Ausgaben verzweieinhalbfacht, in unserer Zeit trotz Wiedervereinigung nur verzweifacht. Die Schulden haben sich in derselben Zeit bei Ihnen um das 6,8fache erhöht, bei uns trotz Wiedervereinigung nur um das 2,4fache. Man sollte sich genau überlegen, was man erzählt. 300 Milliarden DM Schulden, die Helmut Schmidt hinterlassen hat, waren ohne Wiedervereinigung aufgelaufen und belasten den Bundeshaushalt auch heute noch.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, nun hat die SPD den Eindruck vermittelt, man müsse sie nur werkeln lassen, dann werde es mit Deutschland vorangehen. Sie vertraut offensichtlich auf ein fehlendes Langzeitgedächtnis der Bürger in diesem Land. 1982 hat die Schmidt-Regierung ein Desaster hinterlassen mit Rezession, Rekordzinsen, 9%iger Arbeitslosigkeit.

(Zuruf des Abg. Freimut Duve [SPD])

Herr Duve, wenn Sie die Entwicklung bis 1989 mit Bewußtsein verfolgt haben, werden Sie doch nicht bestreiten können, daß es auf allen Feldern aufwärts-



Dietrich Austermann
ging und daß die finanziellen Verpflichtungen des Staates durch die Wiedervereinigung eine ganz andere Situation auch bei der Frage der Neuverschuldung geschaffen haben. Es gab 1982 ungesicherte Sozialfinanzen, die Renten waren nicht mehr sicher, es gab Technologiefeindlichkeit und ideologische Barrieren. Dies alles muß man immer wiederholen.
Wenn Sie dann die Frage stellen, wer mehr getan hat und wer im Bereich der Arbeitsmarktpolitik mehr tut, dann sage ich Ihnen, daß 1982 bei einer höheren Arbeitslosigkeit in den alten Bundesländern 9,1 Milliarden DM bereitgestellt wurden, während es in diesem Jahr bei 1,9 Millionen Arbeitslosen in der alten Bundesrepublik — —

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Wieviel hatten wir 1982, wieviel haben wir heute? Sie sind einer, der die Zahlen verfälscht!)

— Moment, Sie können doch nicht die Arbeitslosen aus den neuen Bundesländern ganz einfach oben drauf addieren. Die Situation der letzten Westzahl habe ich dargestellt. Für aktive Arbeitsmarktpolitik wird in diesem Jahr ein Betrag von 60 Milliarden DM bereitgestellt, davon 41 Milliarden DM für die neuen Bundesländer. Ich glaube, deutlicher kann man nicht zeigen, daß wir es ernst meinen mit ganz konkreten Maßnahmen.
Lassen Sie mich noch einmal das Thema Sozialausgaben aufnehmen. Auch hier wurde ja der Eindruck erweckt, wir täten nicht genug, wir seien aus sozialer Härte nicht bereit zu helfen. Die Sozialausgaben in Deutschland stiegen seit 1982 auf 1 Billion DM. Das ist ein Drittel des Bruttosozialprodukts. Wenn wir davon mit unserer Aktion, die wir in diesem Jahr durchführen, 1,5 % einsparen, dann kann man doch nicht von sozialem Raubbau, Kaputtsparen oder sozialer Demontage reden. Wer das tut, hat offensichtlich jedes Maß für eine vernünftige Bewertung verloren.
In keiner sozialdemokratischen Regierung wurde ein Betrag von 13 000 DM pro Person für soziale Leistungen ausgegeben. Selbst wenn man es auf das Gebiet der alten Bundesrepublik beschränkt, ist nicht zu bestreiten, daß heute immer noch etwa 1,5 Millionen Leute mehr als 1982 Arbeit haben, was dadurch zu erklären ist, daß in den letzten Jahren 3 Millionen Menschen in Deutschland Aufnahme gefunden haben, daß also jetzt in Deutschland 3 Millionen Menschen mehr leben, wovon ein großer Teil Arbeit gefunden hat. Wenn man sich Gedanken über die Zukunft macht, dann gehört auch dazu, daß man die Tatsachen richtig erkennt.
Lassen Sie mich etwas zu der Frage sagen, welche Entscheidungen jetzt notwendig sind. Ich sage ganz eindeutig: weder höhere Sozialleistungen noch höhere Steuern. Jeder Mensch weiß, daß es leichter ist, einen Kampfhund an einer Bockwurst vorbeizuführen als die SPD am Geld anderer Leute. Aber wir werden diesen Fehler mit höheren Steuern nicht machen, sondern wir werden dafür sorgen, daß das Geld dort bleibt, wo es am vernünftigsten angelegt ist: bei den Menschen, damit sie selber es vernünftiger ausgeben als der Staat.
Es muß erneut darauf hingewiesen werden, daß die SPD bei einer Fülle von Fällen blockiert. Ein typisches
Beispiel, das allzu leicht vergessen wird, ist das Thema Asyl. Die hohe Zahl der Asylbewerber in den letzten Jahren hat uns Jahr für Jahr 20 Milliarden DM gekostet, wovon der wesentliche Teil von den Bundesländern getragen wurde. Mit diesen 20 Milliarden DM hätte man viele andere Dinge anfangen können. Aber diese Verzögerung ist ein Beleg dafür, daß die SPD immer zwei Jahre später kommt, als es eigentlich nötig wäre, um Entscheidungen zu treffen.
Die SPD plädiert für wettbewerbsfähige Arbeitsplätze. Wie sieht es denn da mit ihrer Bereitschaft aus? Nein, sie verweigert im Energiekonsens die günstigen Strompreise vor allen Dingen durch das Thema Kernenergie. Da kann man auch nicht auf die ungelöste Entsorgungsfrage zurückgreifen, wenn die, die darüber entscheiden, SPD-regierte Bundesländer sind.
Ich nehme ein anderes Beispiel: das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz Ost. Es konnte mit Mühe und Not nach langem Fingerhakeln im Bundesrat durchgesetzt werden. Für den Westen würden wir gern das gleiche tun.
Ich will das an einem Beispiel demonstrieren: In Mecklenburg-Vorpommern geht im Frühjahr 1994 der Bau der A 20 los. Was tut die Landesregierung in Schleswig-Holstein, um zunächst einmal eine Planungsbürokratie zu schaffen oder Privatfirmen zu nutzen? Für das, was in Mecklenburg-Vorpommern in einem halben Jahr passiert, braucht man in Schleswig-Holstein zehn Jahre. Ich glaube, das macht deutlich, wo die Blockade liegt, wer sich der Zukunft verweigert und daß die SPD noch einiges nachzuholen hat, insbesondere wenn es um konkrete Entscheidungen geht
Es wird der Eindruck erweckt, wir täten zuwenig für Luft- und Raumfahrt. Der Kollege Opel, Ihr Abrüstungsexperte, saß vorhin mit einem Button, was für dieses Haus etwas ungewöhnlich ist, und wollte damit wohl dafür demonstrieren, daß wir etwas mehr für die Luftfahrt oder vielleicht auch für die Raumfahrt tun sollten.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Für Lemwerder!)

— Lemwerder ist ein Unternehmen der DASA. Die DASA lebt im wesentlichen von Staatsaufträgen, auch von Rüstungsaufträgen.
Die Ministerpräsidenten aus DASA-Standort-Ländern — fast ausschließlich Sozialdemokraten — treffen sich, um deutlich zu machen, daß man für den Bereich der Rüstung mehr tun müßte. Frau Simonis bittet für Wedel und Herr Schröder für Lemwerder um Rüstungsaufträge, aber Sie haben gestern hier den Antrag gestellt — der Kollege Strube wird nachher darauf eingehen —, die Ausgaben für Rüstung, vor allen Dingen für Forschung im Bereich der Rüstung, um 970 Millionen DM zu reduzieren. Wie paßt das denn zusammen? Ich glaube, das macht deutlich, daß Sie zwar möglicherweise schöne Beschlüsse fassen, aber in der Realität, wenn es konkret wird, eindeutig versagen. Das gilt auch für die Frage der persönlichen Alternativen.
Ich will mir verkneifen, auf das, was Ihr Bundesvorsitzender auf Ihrem Parteitag zur Person unseres



Dietrich Austermann
Bundespräsidentenkandidaten gesagt hat, entsprechend zu erwidern. Aber es fällt einem, wenn man diesem Hause länger angehört, schon auf, daß der Mensch, der heute unter dem Motto „Versöhnen statt Spalten" antritt, in der politischen Geschichte der Bundesrepublik auf sich aufmerksam gemacht hat mit einem „Wörterbuch zur Wende", mit einer Aufschwunglüge, mit der peinlichen Anzeige „Den Anstand wahren" und mit der Behauptung, daß, wenn wir 1987 die Wahl gewinnen, der Krieg über das Land hereinbricht, daß er neben dem Motto „Versöhnen statt Spalten" kräftig geholzt und gleichzeitig mit Verdächtigungen gearbeitet hat, daß der gleiche Mann — Sie nennen sich die Partei der Einheit; da lachen ja die Hühner —1987 bei der Bundestagswahl gesagt hat, er nehme Abschied von dem Wort „Wiedervereinigung" — ich zitiere —:
Ich weiß nicht, ob meine Zukunftsvision für irgendeinen Zeitpunkt noch mit dem Wort „Wiedervereinigung " richtig umschrieben ist.
Oder:
Wer glaubt, das Zueinander sei über eine Staatsauflösung der DDR zu erreichen, der irrt.
Ich glaube, dieser Mann ist wirklich ungeeignet, das Volk zu versöhnen, statt es zu spalten. Das gilt um so mehr für seine Position in Fragen wirtschaftlicher Kompetenz. All die Krisenbranchen, über die wir heute reden müssen, haben ihren Sitz in Nordrhein-Westfalen, von der Kohle bis zum Stahl. Die meisten Probleme, die wir zur Zeit diskutieren, können mit dem Namen Rau verbunden werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Er ist immerhin Ministerpräsident. Ich glaube, deswegen ist es erlaubt, dies hier zu sagen. In den persönlichen Bereich werden wir uns bei der Beurteilung selbstverständlich nicht abdrängen lassen.
Lassen Sie mich noch wenige kurze Beispiele anführen, die besonders deutlich machen, wer für welche Position arbeitet. Wir arbeiten für stabiles Geld. Wir tun dies mit Erfolg. Der Rekord von 5,6 % Inflationsrate von Helmut Schmidt steht noch immer unangefochten im Raum. Wir haben bei den Haushaltsberatungen im Haushaltsausschuß 28 Milliarden DM eingespart.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: An welcher Stelle?)

Dort sind wir von niemandem, auch nicht von Ihnen, überholt worden, der vielleicht mehr dafür tun wollte, daß man die Neuverschuldung weiter herunterbekommt. Die Tatsache, daß es dem Bundeskanzler gelungen ist, das Europäische Währungsinstitut und künftig die Zentralbank der EU nach Frankfurt zu holen, spricht dafür, daß unserer Politik das Vertrauen für stabile Finanzen auch von seiten der Europäischen Union entgegengebracht wird.
Weiterer Punkt: Situation auf dem Arbeitsmarkt. Manch einem im Osten fehlt die Erinnerung, warum der wirtschaftliche Zustand so ist, wie er ist.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Dann sagen Sie es ihm!)

Im Westen machen sich Sünden der vergangenen Jahre bemerkbar. Noch vor einem Jahr klapperte die ÖTV für zweistellige Lohnerhöhungen mit dem Müllkasten. Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß über die Verhältnisse zu leben vor allen Dingen heißt: Weniger erwirtschaften als erhalten. Wir wollen mehr tun für mehr Arbeitsplätze und auch für der Zukunft zugewandte Arbeitsplätze.
Da der Herr Kollege Klose eben davon sprach, daß man die Ängste der Bürger vor neuen Technologien in Bereichen wie z. B. der Kernenergie ernst nehmen will — ich will dies gerne tun —, frage ich einmal: Ist die Angst begründet, wenn man den Transrapid quer durch Deutschland führen will? Gibt es eine Rechtfertigung dafür, Widerstände anzumelden und zu sagen, dies sei etwas, was den Bürgern nicht zumutbar sei?
Überall dort, wo es um Schlüsseltechnologien geht, haben Sie sich in den vergangenen Jahren verweigert.
Ich glaube, daß man unterstreichen muß, daß wir eine ganze Menge erreicht und getan haben. Von dem Erfolg der Chinareise des Bundeskanzlers über die Erhöhung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe, die aktive Arbeitsmarktpolitik und das Standortsicherungsgesetz bis zu den 3,5 Milliarden DM der Treuhandanstalt für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gibt es eine Fülle von Entscheidungen für neue Arbeitsplätze, während man Ihrem Programm dazu wenig entnehmen kann. Der Staat transferiert gewaltige Beträge in die neuen Bundesländer. Die Arbeitnehmer teilen durch ihre hohen Sozialbeiträge. Dafür ist ihnen zu danken.
Ich bin der Meinung, jetzt ist es an der Zeit, aus dem Zehn-Punkte-Papier, das der Bundeskanzler heute entworfen hat, ein weiteres Papier mit konkreten Entscheidungsvorschlägen und Erfolgskontrolle für die nächsten zwölf Monate zu entwickeln.
Da der Außenminister vor kurzem gesprochen hat, noch wenige Sätze zum Thema außenpolitische Entscheidungen.

(Zuruf des Abg. Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD])

— Man möchte, Herr Kollege Jungmann, wohl die Frage stellen: Was heißt denn der Beschluß, den die SPD auf ihrem Bundesparteitag zu Blauhelmeinsätzen getroffen hat, konkret? Haben Sie deswegen Ihre Klage gegen AWACS-Einsätze zurückgenommen?
Es hieß eben: Man entzieht sich nicht den Verpflichtungen gegenüber der NATO. Wie sieht es denn in diesem Falle aus? Das ist eine Verbindlichkeit der NATO, die dort von Bundeswehrsoldaten in AWACS- Maschinen beibehalten wird. Haben Sie Ihre Klage zurückgenommen? — Das haben Sie nicht.
Haben Sie Ihre Klage gegen die Schiffchen in der Adria zurückgenommen? — Das haben Sie nicht.
Haben Sie Ihre Verfassungsbeschwerde zum Somalia-Einsatz, bei dem Sie selber nicht mehr bestreiten, daß es kein kriegerischer ist, zurückgenommen? — Das haben Sie nicht.
Na gut, manch einen von uns, auch von den eigenen Kollegen, stört es, daß der Bundesaußenminister und der Bundesverteidigungsminister öffentlich be-



Dietrich Austermann
stimmte Positionen diskutieren. Aber es ist doch nicht zu bestreiten — daß muß jedermann erkennen —, daß ein Außenminister Klose mit seiner Position, die er vertritt, nicht einmal in der Lage wäre, seinen eigenen Regierungschef hinter sich zu behalten.
Wenn man hier sagt, das könnte alles mit Geld gemacht werden, dann muß man vielleicht einmal an die Situation im Frühjahr 1991 erinnern, als uns vorgeworfen wurde: Ihr löst das Problem der Golfintervention mit Geld. — Heute aber soll genau die gleiche Position in einem anderen Fall vertreten werden.
Stimmen Sie der Grundgesetzänderung zu, dann erweisen Sie sich als handlungsfähig. Solange das nicht der Fall ist, kann man Sie so nicht nennen.
Wir haben auch Entscheidungen zum Thema Verbrechensbekämpfung getroffen. Erst hieß es auf Ihrer Seite, das Thema großer Lauschangriff sei nicht das zentrale Thema; es gehe um die Kriminalität vor Ort. Heute kommt der Scharping hierher und sagt, es ginge doch darum, weil irgendwie alles mit organisierter Kriminalität zusammenhänge. Auch der kleine Spitzbube, der ein Auto knackt, wird angeblich ferngesteuert.
Ich glaube, man muß hier ganz konkret die Frage stellen: Wie sieht es mit Ihrer Bereitschaft aus, unser Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 mitzutragen? Hier können Sie sich entscheiden, hier können Sie Farbe bekennen.
Wollen Sie, was wir wollen, daß auch rechtsextreme Gewalt, daß Gewalt überhaupt stärker bestraft wird, dann können Sie hier im Bundestag die Nagelprobe bestehen.
Beim Thema Rechtsstaatlichkeit ist es, glaube ich, nicht einzusehen, daß sich die SPD aus reiner Berechnung verweigert, die Stelle des Generalbundesanwaltes wieder zu besetzen. Da geht es doch wohl um Verbrechensbekämpfung, insbesondere um die Bekämpfung des organisierten Verbrechens.
Wie sieht das mit der Stelle beim Rechnungshof aus? Die kann den Bürgern viel Geld ersparen. Sie sollten Ihre eigenen Positionen überprüfen.
Ich glaube, auch bei anderen Positionen müssen wir feststellen, daß sich in Deutschland in den letzten zehn Jahren Gewaltiges ereignet hat. Auch heute noch ist die Bundesrepublik eines der reichsten Länder der Erde, was unsere Außenpolitiker manchmal leider überschätzen, wenn sie ins Ausland fahren.
Fast alle Länder in unserer Nachbarschaft würden gerne mit unserer Situation tauschen. Man leugnet die Probleme nicht, die in unserem Land bestehen, wenn man dieses feststellt. Unsere Bürger befinden sich aber auch in einer Wahrnehmungskrise, bedingt durch die Medien, so daß gelegentlich darauf hingewiesen werden muß.
Jedermann muß deutlich werden, daß die Partei, die in den letzten Jahren immer zwei Jahre zu spät kam — Pflegeversicherung, Bundeswehreinsätze, Gesundheitsreform, Bahn- und Postreform, Gentechnologie, Unternehmensentlastung, Haushaltseinsparungen —, wohl kein Garant für Aufwärtsentwicklung sein kann. Die wirtschaftlichen Berater von Herrn
Scharping — vom WSI des DGB — leugnen heute überhaupt noch eine strukturelle Gefährdung. Die SPD kommt bei den Problemen, die es heute in Deutschland gibt, wie eine Schnecke daher: immer hinterher, immer zu spät. Sie bietet außer plakativen Aussagen nichts an.
Wer sich nach den Erfahrungen der letzten Jahre die Frage stellt: Wer ist geeignet, die Probleme unseres Landes zu lösen?, muß bestätigen, was wir tun. Wir sagen: Wir stimmen der Regierungspolitik zu, wir stimmen dem Einzelplan des Bundeskanzlers zu, weil wir der Auffassung sind: Nur er ist in der Lage, dieses Land durch die schwierige Sitution zu führen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Tolle Aussagen! Hätten wir von Ihnen gar nicht erwartet!)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1219206200
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Ortwin Lowack.

Ortwin Lowack (CSU):
Rede ID: ID1219206300
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag! Meine Damen und Herren! Diese Haushaltsdebatte scheint mir kaum geeignet, das Mißtrauen, das draußen in der Bevölkerung besteht, zu beseitigen.
Ich staune manchmal, in welcher Art und Weise die Bundesregierung hier in die Rolle der Opposition schlüpft, um damit ihrer Verantwortung zu entgehen; eine Reihe von Fragen stellt, Aufforderungen an das Parlament richtet, aber dabei verschleiert, daß eigentlich sie selber in der Verantwortung steht, diese Probleme zu lösen.

(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist eine ungewöhnliche Art für einen Finanzminister, vor einem Jahr einen Haushalt 1993 vorzulegen und sich damit zu brüsten, daß die Neuverschuldung gerade einmal bei 38 Milliarden DM liegen würde, dies wenige Wochen später in der Vorbereitung eines Nachtragshaushaltes auf 68 Milliarden DM zu korrigieren und, wie wir wissen, letztlich einen Haushalt vorzulegen, der mit 68 Milliarden DM Neuverschuldung längst noch nicht das hat, was eigentlich dahintersteckt, d. h. durch Verschiebungen in das neue Jahr in Wirklichkeit eine größere Neuverschuldung zu verschleiern.
Es ist eine Unverfrorenheit, wenn dieser Finanzminister jetzt einen Haushalt für 1994 mit einer Neuverschuldung von 70 Milliarden DM vorlegt, und alle Experten wissen längst, daß die Verschuldung bei über 100 Milliarden DM liegen wird, und dazu noch verschleiert, daß spätestens mit der Überführung der Haushalte aus der deutschen Einheit in die allgemeinen Haushalte ab 1. Januar 1995 ungefähr eine halbe Billion DM, 500 Milliarden DM, auf den Haushalt zukommen.



Ortwin Lowack
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ohnehin scheint mir das Rechnen eine der großen Schwächen dieser Bundesregierung zu sein.

(Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Sehr gut!)

Da fährt der Bundeskanzler nach China und hat von Tuten und Blasen keine Ahnung. Ich kann das deswegen sagen, weil ich weiß, woher er seine Informationen über China bekommt, nämlich aus dem Auswärtigen Amt. Wenn im Auswärtigen Amt nachgefragt wird, was eigentlich China ist und ob es da nicht wenigstens noch ein zweites gebe, nämlich das Klein-China oder Taiwan-China, dann kriegt man von dort keine Antworten, sondern diese Anfragen landen in der Regel bei mir. Ich weiß also, wovon ich rede. Dann hätte nämlich der Bundeskanzler bei seiner Fahrt nach Peking zumindest einplanen müssen, daß dort ein kleines chinesisches Volk, 20 Millionen Einwohner, wirtschaftlich unglaublich stark arbeitet, das gleiche Bruttosozialprodukt erwirtschaftet wie 580 Millionen Festlandschinesen und vor allen Dingen maßgeblichen Anteil an der Entwicklung ganz Chinas durch hohe Investitionen hat.
Jetzt kommt die Rechnung. Der Bundeskanzler läßt sich dafür feiern, daß er Aufträge — und ich muß einmal die Wahrheit sagen — bisher überhaupt nur in einer Größenordnung von etwa 2 Milliarden DM einigermaßen gesichert nach Hause bringt und unsicher vielleicht noch ein paar Milliarden DM mehr.
Und was ist die Bilanz? Hätte man am 28. Januar dieses Jahres zugestimmt, daß deutsche Werften Unterseeboote ohne Bewaffnung — die wir ja nicht machen —, Fregatten ohne Bewaffnung — die wir auch nicht gemacht hätten — geliefert hätten, wäre das ein Auftrag von 12 Milliarden DM für die deutsche Werftindustrie gewesen, zuzüglich etwa 17 Milliarden DM Folgeaufträge auch für Frachtschiffe und letztlich auch für den ICE in Taiwan.

(Beifall des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktionslos])

Wenn ich das zusammenzähle, dann ergibt das ein Zehnfaches von dem, was der Bundeskanzler aus China mitgebracht hat. Aber er läßt es eben als großen Erfolg verkaufen.
Eine weitere Sache, meine sehr verehrten Damen und Herren, über die wir uns in den nächsten Monaten mit aller Klarheit hier im Parlament unterhalten müssen: Die Deutsche Bundesbank hat in den letzten Tagen verstärkt gefordert, daß endlich die Finanzierung der Europäischen Gemeinschaft auf den Prüfstand kommt. Die Deutsche Bundesbank befürchtet nämlich, daß wir weit mehr, als unserer wirtschaftlichen Kraft entspricht, an Beiträgen an Europa zahlen.
Ich halte es schon für einen Skandal — und ich wundere mich, daß hier im Parlament überhaupt niemand diese Sache auch nur antippt —, daß die neuen Bundesländer, die das strukturschwächste Gebiet in Europa sind, 50 % in der Wirtschaftskraft unter Griechenland liegen, nur deshalb Strukturmittel bis 1999 in einer Größenordnung von 27 Milliarden DM bekommen, weil der deutsche Steuerzahler
gleichzeitig 93,3 Milliarden DM in den europäischen Topf einzahlt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht ja weiter. Der Adhäsionsfonds und andere Strukturfonds geben uns überhaupt keine Gelegenheit mehr, zu überprüfen, was mit den Geldern geschieht; denn die Länder, die das abrufen, haben überhaupt keinen Begründungszwang. Sie handeln das ausschließlich mit der Europäischen Gemeinschaft aus. Der deutsche Steuerzahler und das deutsche Parlament können das überhaupt nicht mehr beeinflussen.
Auch Maastricht, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann doch nicht die Konsequenzen haben, die der Brüsseler Gipfel mit der maßgeblichen Beteiligung des Bundeskanzlers haben durfte.
Das Verfassungsgericht hat ausdrücklich festgehalten, daß es keine Europäische Union gibt, sondern einen Staatenverbund. Es hat ausdrücklich festgehalten, daß dieser Deutsche Bundestag — und zwar nicht auf Grund eigener Machtvollkommenheit, sondern als Beauftragter des Souveräns, des deutschen Volkes — die Aufgabe hat, eine Mindestsubstanz an Rechten deutscher Rechtsstaatlichkeit zu erhalten und eine Kontrollfunktion über den Ministerrat und Europa zu bewahren.
Wenn der Bundeskanzler das in Brüssel vergißt, dann muß er vom Deutschen Bundestag eine klare Aufforderung bekommen, daß er deutsche Interessen zu wahren und sich zuallererst an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu halten hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe überhaupt manchmal den Eindruck, daß die ordnende Hand an der Spitze dieser Regierung fehlt. Es gibt Ressortdenken. Da werden Dinge kurzfristig gelöst, weil sie ins Ressort passen, aber die ordnende Hand, die koordiniert, daß man z. B. bei Zukunftsindustrien nichts streichen darf, daß man bei Forschungsvorhaben nichts streichen darf, alle Ressorts aufeinander abstimmt, weil wir sonst unsere Zukunft verbauen, fehlt vollkommen. In dieser Richtung geschieht überhaupt nichts.
Ich stimme dem Kollegen Solms zu, der gesagt hat, es gelte, die Agonie der Gesellschaft — so hat er es formuliert — zu überwinden. Ich weiß nicht, ob der Kollege Solms wirklich wußte, was er mit diesem Begriff zum Ausdruck gebracht hat, denn „Agonie" bedeutet „Todeskampf " . „Phlegma" hätte man besser verstehen können.
Er hat aber recht: Der gesamte Mittelstand befindet sich, mit wenigen Ausnahmen, heute bereits in einer Auseinandersetzung mit einem Gestrüpp von Gesetzen, Vorschriften und Maßnahmen, die ihm von der Politik auferlegt werden. Wir werden in fünf bis sieben Jahren 30 % weniger Mittelstand haben, weil das niemand mehr aushält. Der Todeskampf vieler Betriebe hat längst begonnen. Die hohe Fremdkapitalfinanzierung, die heute bei vielen Betrieben festzustellen ist, drückt vielen Betrieben bereits die Gurgel zu.
Nichts, aber auch gar nichts vermag ich in diesem Haushalt zu erkennen, was wirklich wegweisend ist, was ihn wirklich aus der Misere herausführen kann.



Ortwin Lowack
Man soll kluge Menschen zitieren. Deshalb darf ich jemanden zitieren, nämlich den Kollegen Michael Glos.

(Zuruf des Abg. Rudi Walther [Zierenberg] [SPD])

— Er ist ein vernünftiger Mann, Rudi; du hast völlig recht. Ich darf ihn zitieren:
Bundeskanzler und Bundesregierung sind nach unserer Verfassung verpflichtet, diese Bundesrepublik zu regieren. Diesem Auftrag des Grundgesetzes kommen sie nicht nach. Offensichtlich meinen sie, es genüge wie im alten Rom, das Volk mit Zirkusspielen zu unterhalten. Der bisherige Gang der Haushaltsberatungen innerhalb des Regierungslagers ist ein unserer Bürger unwürdiges Schauspiel. Unser Volk erwartet von seiner Regierung geistige Führung. Es erwartet, daß die Regierung kraftvolle Entscheidungen trifft, die endlich die notwendige Wende für eine gesicherte Zukunft herbeiführen. Statt dessen wird zuerst mit kraftmeierischen Erklärungen viel Staub aufgewirbelt, und anschließend werden Entscheidungen vertagt, wird lediglich die Existenz der Koalition durch Nichtregieren gesichert, statt die Existenz unseres Volkes zu sichern. Dabei weiß die Regierung genau, daß sie die Probleme nur noch kurze Zeit vor sich herschieben kann und ihre Beschlüsse neu korrigieren muß. Jetzt bestand eine der letzten Chancen, die richtigen Weichenstellungen vorzunehmen, um unser Staatswesen wieder auf eine gesunde finanzielle Grundlage zu stellen. Dazu fehlt aber der Mut. Statt dessen wird das Vertrauen der Menschen in die politische Führung zerstört und werden letztlich Tendenzen gefördert, sich von unserem freiheitlichen Staatswesen enttäuscht abzuwenden.
Jawohl, recht hatte Michael Glos. Er hat — das möchte ich fairerweise sagen — diese Presseerklärung am 2. September 1981 als damaliger Vorsitzender des Arbeitskreises Wirtschaft der CSU-Landesgruppe abgegeben.
An der Richtigkeit dieser Aussage hat sich nichts verändert. Ich fordere dieses Parlament auf. Die Regierung ist längst nicht mehr in der Lage, ihre Aufgabe zu erfüllen. Sie nimmt längst Zuflucht zu allen möglichen Entschuldigungen. Sie stellt Forderungen auf, die sie über Jahre selbst nicht erfüllt hat.
Die Stabilitätspolitik dieser Bundesregierung ging mit Finanzminister Stoltenberg zu Ende. Als er als möglicher Gegner des Kanzlers ausgedacht war, mußte er von der Bildfläche verschwinden.
Das ist ein Beitrag zu einer Entwicklung, die uns alle leider in unglaubliche Schwierigkeiten und Zukunftsbelastungen geführt hat. Ich möchte heute keine näheren Aussagen zu den unglaublichen Fehlern im Zuge der deutschen Einheit machen, die unnötig waren.
Ich möchte nur eines feststellen: Der Bundeskanzler hat vor der Enquete-Kommission in Berlin die absolute Unwahrheit gesagt, als er meinte, er sei derjenige gewesen, der Gorbatschow überzeugt habe, Deutschland müsse nach der Einheit in der NATO verbleiben. Er wußte von einer Kommission der Fraktion, die 14 Tage vorher in Moskau war, längst, daß diese Zustimmung vorlag. Was er hier hochgespielt hat, ist eigene Propaganda, sonst nichts. Er war derjenige, der aus der Forderung der Sowjets Anfang Juni 1990, 4 Milliarden DM für den Rückzug der sowjetischen Truppen aus Deutschland zu verlangen, ein Paket von 84,4 Milliarden DM — ohne Beteiligung des Parlaments im ganzen ersten halben Jahr — gemacht hat. Das ist die Wahrheit. Das muß hier einmal gesagt werden, damit die Sachen zurechtgerückt werden.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1219206400
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erteile jetzt unserer Frau Kollegin Andrea Lederer das Wort.

Andrea Lederer (PDS):
Rede ID: ID1219206500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist immer ein bißchen schwierig, wenn zwar heftige Kritik an der Bundesregierung formuliert wird, die Grundlage und vor allem die Stoßrichtung aber, wie es weitergehen soll, eigentlich die Beschreibung eines Kurses ist, die noch das, was die Bundesregierung mit ihrer Politik schon angerichtet hat, noch verschärft.
Ich will auf verschiedene Beiträge eingehen — und zu Beginn eine Passage des Bundeskanzlers zum Stichwort Chinareise in Erinnerung rufen. Zitat:
Dieser riesige Kontinent, in dem der größte Teil der Weltbevölkerung lebt, und der angrenzende pazifische Raum werden in den nächsten Jahrzehnten zu einem Gravitationszentrum der Weltpolitik und ganz gewiß der Weltwirtschaft werden. Dieses große Land befindet sich gegenwärtig in einem gewaltigen Aufbruch und Umbruch. Die Volksrepublik China will sich von Grund auf modernisieren und sucht den Anschluß an die internationale wirtschaftliche und technische Entwicklung. Die Modernisierung wird einen riesigen Markt öffnen und der Unternehmenszusammenarbeit auch zwischen den Firmen der Bundesrepublik und der Volksrepublik China ein weites Feld bieten. Die mich begleitenden führenden Repräsentanten der deutschen Industrie konnten Abschlüsse in der Größenordnung mehrerer Milliarden DM tätigen oder die Abschlüsse jedenfalls vorantreiben.
Soweit der Bundeskanzler.
Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist. Dies stammt aus der Rede, die vor neun Jahren vom Bundeskanzler nach seiner ersten Chinareise gehalten wurde. Ich finde, vom Wortlaut her ist eine Identität mit dem, was heute erklärt wurde, festzustellen. Dies ist wirklich erstaunlich.
Herr Bundeskanzler — er ist nicht mehr da —, Ihre Regierung ist reichlich in die Jahre gekommen. Sie haben längst angefangen, sich zu wiederholen, immer dasselbe zu erzählen, bewegen aber tut sich so gut wie nichts — jedenfalls nicht für die 4 Millionen Arbeitslosen, für die 6 bis 8 Millionen Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger und Armen in diesem Land.
Die Anschaffungstouren beispielsweise nach China nützen sicherlich dem nationalen Exportkapital; das will ich gar nicht bestreiten. Es geht auch nicht darum,



Andrea Lederer
grundsätzlich wirtschaftliche Kooperation in Abrede zu stellen. Ich will auch nicht bestreiten, daß Sie ein ganz hervorragender Kanzler sind im Hinblick darauf, den großen deutschen Unternehmen Aufträge zu verschaffen. Ein Kanzler für die Arbeitslosen, für die sozial Schwachen, für die Obdachlosen, für die aus ihrem Beruf gedrängten Frauen, für die Jugendlichen, für Ausländer und Ausländerinnen, die in diesem Land leben, denen Sie mit Ihrer Politik die Zukunft nehmen, das alles sind Sie allerdings nicht.
Darüber kann auch ein Blendwerk nicht hinwegtäuschen, das regelmäßig nach den Reisen vor den Fernsehkameras veranstaltet wird. Ich finde, die Bundesregierung hätte wirklich wenig Anlaß, weiterhin so selbstgefällig aufzutreten, wie sie das getan hat.
Wenn die Regierung Ende nächsten Jahres, nach zwölf Jahren, von Ihnen, Herr Bundeskanzler, verlassen werden muß — ich nehme einmal an, daß es so kommen wird, weil nach meinem Eindruck alles auf eine große Koalition zusteuern wird; der SPD-Parteitag ist hier ja mehrfach erwähnt worden —, dann hinterlassen Sie, dann hinterläßt die Bundesregierung der Bundesrepublik über 4 Millionen Arbeitslose, reichlich mehr als doppelt so viele wie bei Ihrem Amtsantritt — eine wirtschaftliche Wüste in den neuen Bundesländern, die sich immer mehr in die alten Bundesländer hinein ausbreitet.
Wenn der Kollege Schäuble hier heute allen Ernstes erklärt, die Landwirtschaft sei nicht mehr in der Lage, ausreichend Arbeitskräfte zu finden, dann kann ich ihn wirklich nur auffordern, sich einmal nach Mecklenburg-Vorpommern zu begeben, wo nicht etwa Arbeitskräfte gesucht werden, sondern wo ein Betrieb nach dem anderen dichtmachen muß und eine Landflucht größten Ausmaßes eingetreten ist, weil die Menschen in diesem Bereich gar keine Arbeit mehr finden.
Dabei geniert sich der Bundeskanzler gar nicht, rechnerische Verdrehungen anzustellen, um die Lage schönzureden. Herr Ministerpräsident Scharping hat das Beispiel der Forschungspolitik bereits angesprochen. Es gibt einen sinkenden Anteil und keine Steigerung, wie es darzustellen versucht wurde.
Der Bundeskanzler redet auch allen Ernstes davon, daß von den Menschen viel Anpassungsbereitschaft im Osten, in den neuen Bundesländern, abverlangt worden ist. Das ist sicher richtig so. Ich glaube, die Menschen sind einigermaßen überstrapaziert, was die Anforderungen an Anpassung etc. anbelangt.
Was ich vermißt habe, ist ein klares Wort dazu, daß die Menschen in den neuen Bundesländern auch mit einigermaßen Selbstbewußtsein tatsächlich in dieser Gesellschaft leben, mit ihrer Geschichte umgehen können, auftreten und agieren können und Bestandteil dieser Gesellschaft sind. Die Politik der massiven Ausgrenzung sollte endlich ein Ende haben, mit der die Stimmung, die Sie auf der anderen Seite wieder beklagen, produziert und verursacht worden ist.
Die Folge der Politik der Bundesregierung ist auch, daß sie der Ausbreitung des Rechtsextremismus Vorschub leistet. Da findet der Bundeskanzler in seiner heutigen Rede als einzigen, wirklich einzigen Kommentar einen Satz, nämlich, daß Gewalt in unserem
Land keine Chance habe. Das ist eine Verhöhnung all derer, die seit drei Jahren — bei ständig steigender Brutalität — Opfer des Rechtsextremismus geworden sind, eine Verhöhnung der inzwischen rund 80 Menschen, die seit der deutschen Wiedervereinigung infolge rassistischer und rechtsextremistischer Gewalttaten ermordet wurden.
Die Liste des Innenministers nennt lediglich 30 Opfer - die 30 Opfer zuviel sind —, aber es gehört eben auch zur Politik der Bundesregierung, zu verharmlosen, herunterzudrehen und nicht einmal die Fakten genau zu benennen, um darüber hinwegzutäuschen, daß sie mit ihrer Politik genau dafür mit eine Ursache geboten hat. Das Schlimme ist tatsächlich, daß diese Gewalttäter annehmen können, sie hätten hier eben doch eine Chance.
Der Kommentar des Bundeskanzlers zum Rechtsextremismus ist schon weniger als dürftig. Diese Dürftigkeit kann auch gar nicht mehr als Zufall angesehen werden.
Was ich aber für noch viel katastrophaler halte, ist das, was Herr Glos heute morgen geboten hat, der ja für die CDU/CSU — nicht nur für die CSU — gesprochen hat. Er hat tatsächlich so getan, als müsse er hier mit einer Partei konkurrieren, die möglicherweise — hoffentlich nicht — im nächsten Bundestag sitzen wird. Er hat so getan, als müsse er die Wähler und Wählerinnen auf der rechten Seite durch möglichst rechte, rechtsradikale Äußerungen gewinnen.
Es ist wie so häufig: Wo die Politik im eigenen Land in sozialer und kultureller, d. h. auch in demokratischer Hinsicht einen Scherbenhaufen angerichtet hat, sucht die Regierung die Flucht in die Außenpolitik. Wenn man diese aber von ihren Ergebnissen und weniger von Reiseerzählungen her beurteilt, die hier abgeliefert werden, dann bietet auch das wirklich keinen farbenfrohen Anblick.
Ich will auf die leidige Debatte unter den Stichworten Handlungsfähigkeit, Bündnisfähigkeit, Europafähigkeit eingehen, die ja nun zum ich weiß nicht wievielten Male in mehreren Reden wieder veranstaltet worden ist. Was haben Sie eigentlich für Begriffe? Was verstehen Sie eigentlich unter diesen Begriffen? Wenn hier die Logik aufgemacht wird, daß der, der bereit ist, sich an Kampfeinsätzen zu beteiligen, handlungsfähig ist, was verstehen Sie dann eigentlich unter Handlung? Welche Handlung planen Sie eigentlich? Immerhin geht es hier um Fragen eines militärischen Einsatzes.
Wenn Sie weiterhin sagen, wer auf diese Weise handlungsfähig ist, ist auch bündnisfähig, was verstehen Sie dann eigentlich unter einer bündnisartigen Partnerschaftskooperation, unter einem gemeinsamen Agieren verschiedener Staaten in Bündnissen? Was ist das für ein verquerer Begriff, wenn damit wiederum gemeint ist, Bündnisfähigkeit erweise sich dadurch, daß man militärisch überall da mitmacht, wo sich in der Welt Fronten bilden, wo gemeint wird, man müsse intervenieren, wo versucht wird — was ohnehin nicht geht —, Konflikte militärisch zu lösen?
Dann führen Sie weiter aus: Wer auf diese militärische Art und Weise handlungs- und bündnisfähig ist, ist dann auch europafähig. Das heißt, Sie versuchen



Andrea Lederer
auch noch zu suggerieren, die europäische Idee solle sich darüber verwirklichen, daß Sie im Grunde genommen auf militärischer Ebene eine Kooperation bis hin zum Aufbau einer Euroarmee etc. vorantreiben.
Das entlarvt auch die schönen Worte, die in der Europadebatte vor einigen Wochen vorgeführt worden sind, so daß eigentlich alle hellhörig werden müßten, was in dieser Richtung noch geplant ist.
Der Verteidigungsminister hat — ich glaube, es war in der vorletzten Haushaltsdebatte — hier schon einmal deutlich dargestellt, wie wunderbar die Annäherung zwischen Ost und West im deutsch-deutschen Verhältnis in einem Leopard-Panzer vonstatten gehe; das sei ein Beispiel dafür, wie im Grunde genommen auch Völkerverständigung betrieben werden könne. Er hat weiter gesagt, daß das ein Beispiel sei, wie auch auf europäischer Ebene eine solche Politik verwirklicht werden kann.
Wenn das der Kern dessen ist, was Sie unter Europapolitik, unter Bündnispolitik und Handlungsfähigkeit verstehen, kann ich nur sagen: Ich wünschte mir, die Bundesregierung wäre weitaus weniger handlungsfähig, als sie es leider ist; denn sie hat mit all den Militäreinsätzen innerhalb der letzten Monate Fakten geschaffen, die in der Öffentlichkeit im Grunde genommen viel weniger Widerspruch geweckt haben, als es nötig gewesen wäre.
Ich will noch einmal dieser endlosen Legendenbildung entgegentreten, daß die UNO-Charta und der vorbehaltlose Beitritt zu den Vereinten Nationen automatisch die Verpflichtung eines Mitgliedstaates nach sich zögen, an militärischen Einsätzen teilzunehmen. Sie verkaufen die Bevölkerung wirklich für dumm. Ich muß das so sagen. Sie verschweigen sowohl die rechtlichen Grundlagen, die Gesetzestexte, als auch das, was in der UNO Fakt ist, nämlich daß es diese Verpflichtung so nicht gibt. Sämtliche Mitgliedstaaten können sehr wohl souverän entscheiden, ob sie sich militärisch engagieren oder ob sie dies nicht tun, ob sie sich im Rahmen von Blauhelmaktionen mit Kampfeinsätzen beteiligen oder ob sie ihre wirtschaftliche Potenz dafür einsetzen, auf friedliche Art und Weise Konflikte zu lösen. Genau das verschweigen Sie, weil Sie weiterhin die Stimmung, die Bereitschaft in der Bevölkerung erzeugen wollen, daß Kampfeinsätze gebilligt und mitgetragen werden.
Ich kann nur sagen: Wir werden alles daransetzen, dies zu entlarven. In der Aktuellen Stunde zu Somalia haben Sie Ihr Vorgehen genauso bewiesen. Nun haben Sie diesen Einsatz in Somalia, der überflüssig war und 500 Millionen DM kostet, zu verantworten. Herr Kinkel hat heute nicht auf Fragen zum Einsatz ziviler Organisationen geantwortet. Die Bundesregierung hatte es abgelehnt, zivile Organisationen mit humanitären Aufgaben zu beauftragen — —

(Staatsminister Helmut Schäfer: Das stimmt doch gar nicht! Dummes Zeug!)

— Natürlich stimmt das.
Wir hatten eine gemeinsame Sitzung im Ausschuß. Ich habe danach gefragt, ob die Bundesregierung die
Bereitschaft ziviler Organisationen, die Wasserversorgung, den Straßenbau, den Bau von Krankenhäusern, Schulen etc. zu organisieren, erkundet hat. Ich wurde darauf verwiesen, daß 150 Männer vom Technischen Hilfswerk dort hingeschickt werden, und das sei ausreichend. Der Rest müsse unbedingt militärisch, durch die Bundeswehr, erledigt werden. Sie erzählen hier jedesmal wieder, daß die zivilen Organisationen nicht dazu in der Lage seien.
Der eigentliche Auftrag ist flötengegangen — er hat sowieso nie richtig bestanden —, die Inder sind dort nicht eingetroffen. Das, was dort gemacht wurde, hätte billiger und für die somalische Bevölkerung ohnehin besser durch zivile Organisationen erledigt werden können. Und dann stellen sich Herr Kinkel und Herr Möllemann obendrein in der letzten Debatte hier hin und erklären, der Einsatz sei deshalb ein Erfolg, weil man bewiesen habe, daß Rechte und Pflichten aus der UNO-Charta wahrgenommen werden und man jetzt einen Anspruch auf einen ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat anmelden könne.
Das heißt also, daß die 1 700 Bundeswehrsoldaten offenkundig zu dem einzigen Zweck nach Somalia geschickt worden sind — und einer erheblichen Gefahr ausgesetzt worden sind —, um vor der Weltöffentlichkeit den Anspruch auf einen Sitz im UNO- Sicherheitsrat deutlich zu machen. Ich halte dies nicht nur für einen akuten Mißbrauch der Bundeswehrsoldaten, die davon betroffen sind, sondern auch für eine akute Verletzung des Anspruchs der Öffentlichkeit auf Aufklärung und Information darüber, was die wahren Absichten und die wahren Ziele der Bundesregierung sind. Was da betrieben wird, ist ganz eindeutig Volksverdummung.
Ich will noch kurz auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen — Stichwort Wertediskussion. Diese ist inzwischen hier sehr beliebt. Es ist, so glaube ich, kein Zufall, daß diese Diskussion seit der deutschen Einheit ganz massiv stattfindet. Es werden Tugenden neu definiert, angebliches Fehlverhalten disqualifiziert und in einer Weise diskreditiert, daß einem fast schlecht werden kann. Die Rede des Kollegen Glos war dafür wieder ein ganz drastisches Beispiel: Pazifismus ist ein Schimpfwort; Gesamtschulen müssen überwunden werden. In der Diskussion um die innere Sicherheit soll das Stichwort der Deeskalation möglichst kein Begriff mehr sein. Die ganze Debatte um die Rolle der Frauen etc. wird neu entfacht. Die Frauen sollen an Heim und Herd zurückgeschickt werden, was sie sich hoffentlich — ich bin überzeugt, daß es so sein wird — nicht bieten lassen werden.
Neben den katastrophalen sozialen, wirtschaftlichen, demokratischen Auswirkungen der Regierungspolitik sollen die wenigen, von Kräften der Studenten-, der Friedens-, der Frauen-, der Ökologiebewegung erreichten emanzipatorischen Fortschritte im gesellschaftlichen Bewußtsein mit über den Tisch gehen. Sie wollen das zurückdrehen. Sie wollen im Grunde genommen einen Kurs einschlagen, der nichts dazu beiträgt, nicht nur einen Industriestandort, sondern auch — wie dies Herr Scharping heute sagte — einen Lebensstandort zu entwickeln.



Andrea Lederer
Es geht hier um ein ganz bestimmtes Klima, das geschaffen werden soll. Dazu gehört auch, überhaupt auf die Idee zu kommen, einen Mann wie Steffen Heitmann mit seinen Auffassungen als Bundespräsidentschaftskandidaten vorzuschlagen. Es hilft überhaupt nichts, wenn Sie hier noch Bärbel Bohley ins Feld führen, die Herrn Heftmann in Schutz genommen hat. Es ändert nichts daran, daß Kernpunkt der Kritik die geäußerten Auffassungen von Herrn Heitmann sind.
Wenn Herr Schäuble hier vorhin in der Kurzintervention noch anführt, die Menschen aus dem Osten würden hier im Westen manchmal nicht so richtig verstanden, dann kann ich ihm aus meinen Erfahrungen aus den neuen Bundesländern eines mitteilen. Die Menschen dort haben in einer ganz überwältigenden Mehrheit eines klipp und klar geäußert und äußern es noch: Einen Herrn Heitmann auch noch als Beispiel eines Ostdeutschen als Bundespräsidenten können sie sich nicht vorstellen. Im Gegenteil, sie fühlen sich ein Stück weit beleidigt, daß dieser Vorschlag so gekommen ist.
Wenn Frau Bohley äußert, wie in der Presse nachzulesen war, Herr Heitmann habe schon ein Problembewußtsein, doch es mangele ihm an der Fähigkeit, es gut herüberzubringen, kann ich nur sagen: Gott sei Dank mangelt es ihm auch noch an dieser Fähigkeit. Denn es wäre noch katastrophaler, wenn diese Auffassungen auch noch gut herübergebracht werden würden. Ich finde auch nicht wie Frau Bohley — Bürgerrechtlerin hin oder her —, daß Herr Heitmann viele richtige Fragen aufgeworfen hat: zu den Aufgaben der Mutter, zum Nationalbewußtsein und zum europäischen Einigungsprozeß. Ich finde, Herr Heftmann hat einen großen Beitrag dazu geleistet, daß eine Renationalisierung in der Europapolitik offen diskutiert werden kann, daß Frauen an Heim und Herd zurückgeschickt werden sollen und daß Ausländerinnen und Ausländer auf ein Klima in diesem Land und auf massive Angriffe treffen, die ihnen das Leben absolut schwer und unerträglich machen.
Infolgedessen muß in diesem Zusammenhang hier offen über einen solchen Kandidaten diskutiert werden.
Ich danke.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1219206600
Nun hat unser Kollege Gerd Poppe das Wort.

Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1219206700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte über den Haushalt wird einmal mehr durch erhebliche konzeptionelle Mängel der Politik der Bundesregierung, auch ihrer Außenpolitik, geprägt. Um das zu illustrieren, greife ich zwei in jüngster Vergangenheit häufig strapazierte Begriffe heraus: den Begriff der Stabilität, die gesichert werden müsse, und das Wort von der sogenannten Normalisierung, die auf Grund der deutschen Einheit erreichbar wäre.
Im Zusammenhang mit der Europäischen Union wurde und wird häufig vom sogenannten Stabilitätsanker gesprochen. Was ist damit gemeint? Offenbar ein Kern reicher westeuropäischer Staaten, die wegen
ihres politischen und ökonomischen Gewichts in der Lage sind, ihre Besitzstände gegen die unberechenbaren und riskanten Einflüsse anderer Staaten innerhalb und erst recht außerhalb der Union zu schützen. Als Argument dafür wird angeführt, ohne Stabilität gäbe es keine Wachstums- und Währungssicherheit.
Das Wort von der Stabilität suggeriert, in althergebrachter Weise einen Zustand aufrechterhalten und verteidigen zu können, der längst nicht mehr vorhanden ist. Aber das Beispiel des bereits beerdigten Zeitplans für die Einführung der Währungsunion zeigt, wie illusorisch das ist. Da die selbstgewählten Stabilitätskriterien nicht erfüllt werden, ist alles andere als Selbstgefälligkeit angebracht.
Kennzeichnend für die heutige Situation ist eher die Instabilität, ein wirtschaftliches Strukturproblem, hinter dem eine Wachstumskrise der westeuropäischen Wohlstandsgesellschaften steht. Diese Krise ist durch untaugliche Versuche verstärkt worden, mittels EG- Protektionismus und Expansion auf dem Weltmarkt die eigene Schwäche zu verbergen. Handelsbarrieren, mehr oder minder offenkundige Preisdiktate und die rücksichtslose Verwüstung der Natur durch Rohstoffraubbau in den Entwicklungsländern haben katastrophale politische und wirtschaftliche Folgen. Statt sie wahrzunehmen und ihre Ursachen durch eine andere Wirtschaftspolitik zu bekämpfen, wird diesen Folgen durch Abschottung der Festung Europa begegnet.
Nicht nur in den bisher unzureichenden Weichenstellungen für die Europäische Union wird dieser Abschottungsreflex seitens der deutschen und der EG-Politik deutlich. Verstärkt wird er noch durch die drastischen Einschnitte im Asylrecht, die Einschränkung bei der Flüchtlingsaufnahme und die Ablehnung einer geregelten Einwanderung und nicht zuletzt durch den diplomatisch kaschierten Widerstand gegen die zügige Einbindung der mittel- und osteuropäischen Nachbarn in die europäische Integration.
Allen Argumenten in Richtung einer Renationalisierung oder von Ausstiegsoptionen aus der Europäischen Union ist die gegenseitige Bedingtheit von Vertiefung und Erweiterung entgegenzuhalten. Dies gilt für die politische wie für die wirtschaftliche Ebene und bedeutet, über den formalen Abschluß von Assoziationsverträgen hinaus, auch die schnellstmögliche Öffnung der westlichen Märkte für die ost- und mitteleuropäischen Staaten und deren unverzügliche Einbeziehung in eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Dabei spielt das Verhältnis zu Rußland eine wesentliche Rolle. So wichtig die Beziehungen zu Rußland sind, und so richtig es war, Jelzin gegen die rotbraunen Reaktionäre zu unterstützen — eine Rußland-Politik über die Köpfe der Višegradstaaten hinweg darf es nicht geben.
Das zweite eingangs erwähnte Stichwort „Normalisierung" unterstellt, nach dem Zweiten Weltkrieg — der mitunter samt seiner Folgen wie eine Art Naturkatastrophe behandelt wird — sei im Westen Deutschlands die übliche Politik nationaler Interessenvertretung nicht mehr möglich gewesen; nun aber, nachdem der Sozialismus verschwunden sei, könne



Gerd Poppe
sie wieder aufgenommen werden. Die von der veröffentlichten Meinung kolportierte Diskussion beschränkt sich dann häufig darauf, Varianten zwischen erklärtem nationalem Alleingang und deutscher Dominanz in Europa gegenüberzustellen.
Nun sollte gerade die deutsche Politik einen auf die Zeit bis 1945 bezogenen Kontinuitätsanspruch ausdrücklich ablehnen. Es gibt keinerlei Anlaß und Rechtfertigung, auf einen Bedeutungszuwachs für die deutsche Nation zu bestehen.
Noch wird die immer lautstärker geäußerte Auffassung, eine rein nationalstaatlich dominierte Politik sei in Europa wieder möglich und auch wünschenswert, von deutlichen Mehrheiten in den demokratischen Parteien zurückgewiesen. Aber selbst die — vergleichsweise aufgeklärtere — Regierungspolitik ist in weiten Teilen nur eine nationale Politik im europäischen Gewand. Auch sie bedient sich jener provinziellen bis nationalistischen Stimmungen, die in Gestalt von Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhaß daherkommen. Die politische Instrumentalisierung solcher Stimmungen, selbst wenn sie oftmals nur Ausdruck der Verunsicherung über den Zusammenbruch der gewohnten Weltordnung sein mögen, darf nicht hingenommen werden. Sie wird auch nicht dadurch entschuldbar, daß nationalistische Tendenzen europaweit zu registrieren sind.
Den Ostblock gibt es nicht mehr. Aber auch jener Westen, der sich durch Abgrenzung gegenüber einem klaren Feindbild im Osten definierte, ist damit verschwunden. Nationalstaatliche Regelungen sind aber dadurch keineswegs erfolgsversprechender geworden, wie u. a. das Negativbeispiel der deutschen Asylregelungen zeigt. Ein Kordon sogenannter sicherer Drittstaaten mußte eingerichtet werden, um Flüchtlingsströme aus Krisengebieten abzuwehren. Eine solche Politik der nationalen Abgrenzung ist nicht nur diskriminierend, sondern auch völlig aussichtslos und auf groteske Weise anachronistisch. Noch deutlicher wird das im Falle der fast 10 % der Menschen, denen die staatsbürgerlichen Rechte der Bundesrepublik Deutschland weiter verweigert werden, obwohl sie zum Teil seit Jahrzehnten mit uns zusammenleben.
Gerade wer den weiteren Zerfall oder das Wegwandern der politischen Mitte verhindern will, muß immer wieder deutlich machen, daß Bürgerrechte aus den Menschenrechten und nicht aus der ethnischen Zugehörigkeit abgeleitet werden.
Angesichts der nationalistischen Tendenzen in Deutschland und vielen anderen europäischen Staaten muß sich deutsche und europäische Politik vor allem daran messen lassen, inwieweit es gelingt, diese Tendenzen zurückzudrängen.

(V o r s i t z: Präsidentin Dr. Rita Süssmuth)

Wir haben den Völkermord in Bosnien ständig vor Augen, und wenn Europa weiter versagt, wird der Versuch, gewaltsam ethnisch homogene Nationalstaaten zu erzwingen, Nachahmer finden.
Die aktuellen deutsch-französischen Vorschläge für die Durchsetzung humanitärer Hilfe heben sich zwar deutlich von Lord Owens Zynismus ab, der meint, die
Hilfe für die hungernde und frierende Zivilbevölkerung verlängere den Krieg.
Ein minimaler Verzicht auf erobertes Gebiet reicht aber für eine auch nur partielle Rücknahme des Embargos gegen Serbien keinesfalls aus. Diese muß auch voraussetzen, daß die ethnischen Säuberungen sofort beendet werden.
Weiter muß endlich auch der Druck auf Kroatien erhöht werden, um dessen Einfluß auf die bosnischen Kroaten zu nutzen, um endlich die Blockade der Hilfslieferungen zu beenden.
Daß eine europäische politische Initiative die Reste des multiethnischen, -kulturellen und -religiösen Modells Bosnien-Herzegowina erhalten könnte, ist wohl kaum noch zu hoffen, zumal da nach wie vor mit einem einheitlichen Vorgehen der Europäischen Union nicht zu rechnen ist. Wahrscheinlich wird nur ein weiteres Mal das Versagen vor dem gewalttätigen Nationalismus durch verbale Selbstberuhigung verschleiert.
Zurück zu den grundsätzlichen Erfordernissen deutscher Außenpolitik. Nicht die Durchsetzung vermeintlicher nationaler Interessen, sondern die Übertragung staatlicher Souveränitätsrechte auf Internationale Institutionen und deren Demokratisierung ist die notwendige Antwort auf die Herausforderungen am Ende des 20. Jahrhunderts. Welche sollten denn diese nationalen Interessen sein? Das der deutschen Atomindustrie an Absatzmärkten in Tschechien oder Bulgarien? Das der Rüstungsindustrie an Exporten in internationale Krisengebiete? Das eines deutschen Vetorechts im Sicherheitsrat gegen Frankreich oder die USA?
Es ließen sich weitere solcher offensichtlichen Paradoxien aufzählen. Heraus käme insgesamt eine Mischung von „Weiter so" und „Wir sind wieder wer", von Besitzstandswahrung, Großmachtträumen und Abgrenzung, alles andere jedenfalls als ein außenpolitisches Konzept, das den Anforderungen an eine politische Perspektive nach dem Ende des Kalten Krieges und der Erkenntnis von der Begrenztheit ungehemmten Wachstums gerecht werden könnte.
Scheinbar bestätigt die Entwicklung in Ost- und Südosteuropa auch die Forderung einer sicherheitspolitischen Kontinuität. Dies will die trotz Verlustes ihrer ursprünglichen Legitimation strukturell immer noch unveränderte NATO mit ihrer Suche nach neuen Aufgaben glauben machen.
Im Falle des Aufnahmewunsches ost- und mitteleuropäischer Staaten bleiben die Aussagen des Westens bisher eher unbestimmt. Meist begnügt er sich mit vagen Versprechungen einer WEU-Assoziierung.
Politiker aus östlichen Nachbarstaaten — wie beispielsweise gestern der tschechische Außenminister — äußern sich denn auch eher skeptisch über Zustandekommen und Zuverlässigkeit westlicher Sicherheitsgarantien. Einerseits sind die Ängste vor imperialen russischen Ansprüchen noch lange nicht beseitigt, haben durch die neue russische Militärdoktrin sogar neue Nahrung erhalten. Andererseits bleibt auch die Erinnerung an die westliche Appeasementpolitik von 1938 noch lebendig, nicht zuletzt aufgrund



Gerd Poppe
der aktuellen britischen und französischen Haltung zum Krieg im ehemaligen Jugoslawien.

(Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktionslos]: Sehr richtig!)

Da der Westen mit immer mehr Gremien und Institutionen versucht, Osteuropa in Diskussionsprozesse einzubinden, ohne sich in irgendeiner Weise festzulegen, ist der Wunsch der Višegradstaaten nach baldiger NATO-Zugehörigkeit nur allzu verständlich. Das aber genügt nicht, so berechtigt die Sicherheitsinteressen dieser Staaten sind. Eine bloße Osterweiterung der alten NATO hilft lediglich, die historischen Konfrontationsstrukturen in Europa festzuschreiben.
Europäische Sicherheitspolitik darf keine Politik ohne oder gar gegen Rußland sein. Sie darf aber auch keine Politik ohne die USA werden. Nicht eine Großmacht Westeuropa mit der WEU als militärischem Arm darf das Ziel sein, sondern es muß die Schaffung neuer gesamteuropäischer Strukturen mit zivilen Konfliktlösungsmechanismen in enger Zusammenarbeit mit den USA und mit Rußland sein. Statt um wie auch immer geographisch definierte Militärbündnisse muß es um kollektive Sicherheitssysteme gehen.
Statt sich hinter der WEU zu verschanzen, sollte Westeuropa die mangels Verbindlichkeit immer noch ohnmächtige KSZE als nach wie vor einzige gesamteuropäische Institution stärken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In einem solchen Rahmen könnte möglicherweise die Zukunft einer zum gesamteuropäischen Sicherheitssystem reformierten NATO liegen.
Jenseits solcher, zugegeben, diskussionsbedürftigen Perspektiven können aber kurzfristig wichtige außenpolitische Akzente gesetzt werden. Zum Beispiel sollte sich die Bundesregierung für ein völkerrechtlich verbindliches weltweites Verbot aller ABC- Waffen und für ihre komplette Vernichtung unter UNO-Aufsicht einsetzen. Es ist wenig überzeugend, wenn die Ukraine kritisiert wird, andere Staaten aber sogar Atomwaffenversuche wiederaufnehmen.
Ein positives Signal deutscher Außenpolitik wäre auch der Einsatz für eine Demokratisierung und Aufwertung der UNO im Rahmen ihrer Reform. Gleichberechtigung muß sich nicht in dem Anspruch auf Teilnahme an überholten Strukturen wie der des gegenwärtigen Sicherheitsrates ausdrücken.
Ein Beitrag zur Friedenssicherung und -erhaltung wäre schließlich nicht etwa die Erleichterung von Rüstungsexporten, wie es der Kollege Lamers gefordert hat, sondern ihre Einschränkung mit dem Ziel ihres Verbots sowie die Förderung von Projekten zur Rüstungskonversion in Deutschland, aber auch in Osteuropa.

(Zuruf von der F.D.P.: Hört sich gut an, ist aber Unsinn!)

Neben supranationaler Integration und ziviler Konfliktschlichtung ist eine dritte Säule zeitgemäßer Außenpolitik deren Orientierung an den Menschenrechten. Der Schutz von Menschen- und Minderheitenrechten muß endlich ein Schwerpunkt deutscher Außenpolitik werden.
Das Beispiel des Verhältnisses der Bundesrepublik zu China belegt die anhaltende Notwendigkeit dieser Forderung. Vor wenigen Tagen diktierte der amerikanische Präsident der chinesischen Regierung erfolgreich die an der Beachtung der Menschenrechte orientierten Bedingungen für die Beibehaltung der Meistbegünstigungsklausel für den chinesisch-amerikanischen Handel im Rahmen der asiatisch-pazifischen Wirtschaftskooperation. Fast gleichzeitig aber diktieren die chinesischen Gastgeber dem deutschen Bundeskanzler die Bedingungen für die meistbegünstigte Öffnung des chinesischen Marktes für deutsche Waren.
Übrig bleiben bedingungslose deutsche Milliardenofferten und die verschämte Überreichung einer Liste mit 20 verurteilten Dissidenten an den Schlächter vom Tienanmen-Platz. Höflich, aber auch resigniert bezeichnete gestern der Außenminister der tibetischen Exilregierung das Einknicken der Bundesregierung als kontraproduktiv für die versprochene Unterstützung bei der Bewahrung der tibetischen Identität.
Meine Damen und Herren, wirtschaftliche oder Bündnisinteressen dürfen nicht dem Schutz der Menschenrechte übergeordnet werden. Diese sind ebensowenig ein konjunkturabhängiger Luxus wie die Erhaltung der Umwelt. Nationale Beschränktheit bietet auf Dauer weder in Deutschland noch woanders eine Garantie für Stabilität und Frieden.

(Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktionslos]: Das will doch gar keiner!)

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1219206800
Als nächster spricht der Kollege Ernst Waltemathe.

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1219206900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist das Schicksal von Haushaltsberatungen, daß über den Haushalt selber zu einem Zeitpunkt geredet wird, wo der Saal sich merklich geleert hat. Das macht uns, glaube ich, nichts aus. Aber es muß doch nicht nur über die weltweiten außenpolitischen Aspekte geredet werden, sondern auch über die Finanzierung von Außenpolitik. Ich will einen kleinen Versuch dazu unternehmen, ohne allzu viele Zahlen zu nennen und ohne auf Vollständigkeit zu bestehen.
Ich will vorweg sagen, daß ich das sechste Mal für meine Fraktion der Berichterstatter für den Etat des Auswärtigen Amtes gewesen bin. Ich kann also die Entwicklung seit dem Haushalt 1989, d. h. vor der Vereinigung und nach der Vereinigung, beurteilen. Wenn ich davon ausgehe, daß es keinen Nachtragshaushalt mehr geben wird, ist das gleichzeitig das letzte Mal, daß ich in einer ordentlichen Haushaltsberatung zum Haushaltsplan 1994 die Aufgabe für die



Ernst Waltemathe
SPD-Fraktion wahrgenommen habe, weil ich dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören werde.

(Gerlinde Hämmerle [SPD]: Schade! — Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Etwas Besseres kommt nicht nach!)

— Ja, ich höre die empörten Rufe. Sie tun mir natürlich sehr gut. Ich weiß ja, daß ich unübertrefflich bin, aber so überheblich bin ich mm auch wieder nicht.
Ober die deutsche Außenpolitik ist in der Debatte heute morgen und bis jetzt bereits vieles gesagt worden. Ich will nicht behaupten, daß der Stellenwert der Außenpolitik innerhalb des Bundeshaushalts nur an Zahlen abgelesen werden kann. Würde man sich auf die Etatansätze im Einzelplan 05, der jetzt aufgerufen ist, allein beziehen, so müßte sogar festgestellt werden, daß sich der Stellenwert des Auswärtigen Amtes und seines Haushalts auf Talfahrt begeben hat.
Der Einzelplan des Auswärtigen Amtes machte vor fünf Jahren in der alten Bundesrepublik etwa 1 % des Gesamthaushalts aus, nämlich rund 3 Milliarden DM bei einem damaligen Gesamtetat in Westdeutschland von etwa 300 Milliarden DM. Jetzt, drei Jahre nach der Vereinigung, ist ein Einzelplan mit 3,8 Milliarden DM zu gewichten; 3,8 Milliarden DM innerhalb eines Gesamthaushalts von annähernd 480 Milliarden DM. Das sind etwa 0,8 %.
8 Promille sind im Straßenverkehr viel. Das ist das Zehnfache dessen, was noch gerade zugelassen ist. Aber 0,8 % bedeuten, am Gesamthaushalt gemessen, nun nicht gerade einen überragenden Haushalt.
Ich wiederhole: Ich behaupte nicht, daß es immer einen festen Prozentsatz oder einen bestimmten Anteil geben muß. Ich behaupte auch nicht, daß man die außenpolitischen Beziehungen nur aus dem Etat des Auswärtigen Amtes ableiten kann. Uns ist auch bewußt, daß zu einem großen Teil dieser Etat ein Verwaltungsetat ist, ein Personaletat, mit verhältnismäßig wenig operativen Mitteln.
In Wahrheit ist auch gegenüber dem laufenden Jahr 1993 die Manövriermasse für außenpolitische Aktivitäten gesunken. Im Haushaltsentwurf der Bundesregierung stand einem nominalen Anstieg um 200 Millionen DM allein schon eine Erhöhung unseres Pflichtbeitrags an die UNO um mehr als 205 Millionen DM gegenüber. Nur dadurch war überhaupt ein scheinbarer Anstieg des auswärtigen Etats von 3,6 auf etwa 3,8 Milliarden DM zustande gekommen.
Da aber — wie gesagt — der Aufwuchs allein durch den knapp 9 %igen Anteil, den Deutschland als Verpflichtung an die UNO zahlt, verursacht ist, ergibt sich schon aus dem Regierungsentwurf, daß operative Mittel zurückgefahren werden.
Auch wenn sich der Stellenwert deutscher Außenpolitik nicht an Haushaltszahlen allein ablesen läßt, so kann doch festgestellt werden, daß notwendige Maßnahmen im Bereich der Abrüstungshilfe für die Vernichtung von chemischen und atomaren Waffen in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, daß zweitens dringend erforderliche humanitäre Hilfsmaßnahmen und daß drittens die auswärtige Kulturpolitik von Unterdotierungen im Haushaltsansatz oder sogar
von Kürzungen im Etat stark betroffen sind. Es ist deshalb die Frage zu stellen, ob wir uns dies politisch leisten können.

(Beifall der Abg. Ingrid Matthäus-Maier [SPD])

Unabhängig davon, daß ich meine Schwierigkeiten habe, beurteilen zu sollen und zu können, wer eigentlich die Außenpolitik dieser Bundesregierung bestimmt: ist es nun der Bundesminister Kinkel oder der Verteidigungsminister Rühe oder der Bundeskanzler oder — wir werden es gleich von Herrn Rose hören — vielleicht die CSU,

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Diese Schwierigkeiten haben wir auch! — Gerlinde Hämmerle [SPD]: Oder Staatsminister Schäfer!)

wäre doch die Antwort fällig, was nun die heutige Rolle Deutschlands in Europa und in den internationalen Beziehungen sein soll.
Ich habe den Eindruck, daß ein Jahr nach Mölln und ein halbes Jahr nach Solingen durch innenpolitische Entwicklungen unseres Landes Ängste und Ressentiments gegen Deutschland wieder anwachsen. Auf der anderen Seite wird in diesem Kontext durchaus nicht unbedingt Begeisterung hervorgerufen, wenn sich Deutschland in bestimmten Bereichen stärker engagieren will.
Auch außenpolitisch ist deshalb die Frage zu stellen, ob es unserem Ansehen in der Welt dienlich ist, wenn aus dem Verteidigungsauftrag an Bundeswehr und NATO ein Interventionsauftrag abgeleitet wird und wenn Interventionen als humanitäre Hilfe umfirmiert werden. Zweifel muß es wohl auch innerhalb der Koalition geben, wenn ich daran erinnern darf, daß es kontroverse Abstimmungen im Kabinett und eine Klage des Koalitionspartners F.D.P. gegen Beschlüsse in bezug auf den Einsatz der Bundeswehr im Zusammenhang mit dem ehemaligen Jugoslawien gegeben hat.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ungewöhnlich!)

Jetzt fragt man sich verwundert, welche Rolle und wie lange noch — —

(Zurufe von der SPD und der CDU/CSU)

— Die SPD ist nicht an der Regierung. Die ist Opposition. Aber daß innerhalb des Bundeskabinetts Mehrheitsbeschlüsse gefaßt werden und die Minderheit vor das Verfassungsgericht zieht, das hat es noch nie gegeben.
Jetzt fragt man sich also verwundert, welche Rolle die Bundeswehr wie lange noch in Somalia zu spielen hat. Vorhin hat Herr Klose in einer Replik auf die Rede von Herrn Schäuble dazu bereits Stellung genommen. Er hat wörtlich gesagt, wenn ich das richtig im Ohr habe, er stehe in dieser Frage auf der Seite seines Wahlkreisgegners Rühe.

(Staatsminister Helmut Schäfer: Voreilig!)

Ich will diese Themen, die ja in den Debatten des heutigen Tages schon eine umfangreiche Rolle gespielt haben und weiter spielen werden, nicht



Ernst Waltemathe
weiter vertiefen. Wohl aber habe ich den Eindruck, daß es das oberste Ziel des Bundesaußenministers ist, für Deutschland einen Sitz im Sicherheitsrat der UNO zu erstreiten und diesem Ziel alles andere unterzuordnen.

(Zurufe von der F.D.P.: Der streitet nicht!)

— Zu ermöglichen. Ich möchte hier gar nicht mißverstanden werden. Darüber kann man sich ja unterhalten.
In manchem Verdacht mag ich ja stehen; aber ich stehe bestimmt nicht in dem Verdacht, daß ich ein Nationalist oder nationalistischer Umtriebe verdächtig sei.
Dennoch sage ich: Nur mit Wohlverhalten und vorauseilendem Gehorsam wird man dieses Ziel nicht erreichen. Also sage ich im Umkehrschluß: Man kann nicht alles diesem einen Ziel unterordnen.
Da spielt der Somalia-Einsatz eine Rolle, aber auch die Angst, berechtigte finanzielle Forderungen an die UNO unseren Verpflichtungen bei der Beitragszahlung gegenüberzustellen. Ich werde den Verdacht nicht los — vom Berichterstattergespräch über Beratungen im Haushaltsausschuß bis zum heutigen Tage —, daß alles an Argumenten zusammengesucht worden ist, um bloß nicht das im Geschäftsleben und auch im öffentlichen Leben Übliche, nämlich die Möglichkeit der Verrechnung von Forderung und Gegenforderung, stattfinden lassen zu müssen.
Nun will ich auch keinen Zweifel daran lassen: Die Bundesrepublik Deutschland muß ein zuverlässiger und pünktlicher Beitragszahler an die UNO sein und bleiben.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Allein der UNO-Pflichtbeitrag ist von rund 330 Millionen DM auf rund 536 Millionen DM angestiegen. Das ist eine ganze Menge Holz.
Dahinter verbirgt sich der sogenannte normale deutsche Anteil für die Finanzierung der UN, aber auch die Finanzierung von zehn Aktionen von UNO- Friedenstruppen in unterschiedlichen Regionen und Ländern dieser Erde. Es besteht kein Zweifel: Wir sind verpflichtet, diese 536 Millionen DM zu zahlen.
Aber es wäre doch ganz normal, die Zahlung von Forderungen aus der deutschen Beteiligung an UNO- Aktionen in Somalia, Kambodscha und dem ehemaligen Jugoslawien hartnäckig in Gegenrechnung zu stellen. Es wäre auch im internen Haushaltsgebaren des Bundeshaushalts insgesamt erforderlich, einen Saldo zu erstellen,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Bravo!)

damit, meine Damen und Herren, nicht der Auswärtige Etat mit mehr als einer halben Milliarde DM belastet wird, während Einnahmen in anderen Einzelplänen zu Buche schlagen. Alle Versuche, hier zu einer korrekten Verrechnung und Berechnung zu kommen, sind bislang fehlgeschlagen.
Auf der anderen Seite werden besondere Hilfen zur Linderung der Flüchtlingsnot im Nahen Osten und der Beitrag zum Hilfsprogramm der Vereinten Nationen für die arabischen Flüchtlinge aus Palästina jetzt gekürzt, obwohl dies angesichts der schwierigen, aber doch zu großer Hoffnung Anlaß gebenden Verhandlungen zur Herstellung und Sicherung von Frieden zwischen Israel und der PLO überhaupt nicht in die politische Landschaft paßt.
Auch der Ansatz für humanitäre Hilfsmaßnahmen wird erneut nicht ausreichen.
Dringend notwendige, auf völkerrechtlich verbindlichen bilateralen Abkommen beruhende konkrete Hilfe für die Beseitigung gefährlicher Waffen in der GUS kann mit einem Ansatz von lediglich 10 Millionen DM bei weitem nicht finanziert werden. Hier hat vorhin der Bundesaußenminister, Herr Kinkel, gerade zu diesem Thema ausgeführt, wie wichtig es sei, daß Deutschland da verstärkt seinen Beitrag leistet, und wie gefährlich es wäre, wenn diese Waffen in der Ukraine oder in Rußland entweder unbeaufsichtigt bleiben oder sogar z. B. in Schwarzmärkte abwandern würden.
Während für NATO-Verteidigungshilfe — für Materiallieferungen an Griechenland und die Türkei — nach wie vor 60 Millionen DM zur Verfügung stehen, sammeln wir anderswo halbmillionenweise Beträge ein, die die Haushaltsnotlage zwar nicht beseitigen, aber unserem Ansehen großen Schaden zufügen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Die NATO-Hilfe ist vertraglich auf drei Jahre festgelegt; das weiß jeder!)

Dies sind nur einige Beispiele dafür, daß angesichts außenpolitisch zu setzender Prioritäten die Architektur des Bundeshaushalts und des Einzelplans 05 nicht stimmt.
Die Bundesrepublik Deutschland bedient sich inbesondere im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik nicht nur ihrer Beamten und ihrer Diplomaten, sondern wichtiger Mittlerorganisationen. Das ist sehr vernünftig. Wenn gespart werden muß, kann bei diesen Organisationen, die haushaltstechnisch Zuwendungsempfänger sind, kein Wachstum erfolgen. Das ist selbstverständlich. Es ist jedoch das verkehrte Signal, im auswärtigen Kulturbereich überproportional zu kürzen. Aber genau das geschieht.
Die Koalition hat in den Beratungen des Haushaltsausschusses vom ohnehin geschmälerten Kulturetat knapp 40 Millionen DM zusätzlich gestrichen. Nun kommt noch die 10%ige Haushaltssperre von Zuwendungen und Zuschüssen zum Erreichen der globalen Minderausgabe im Gesamthaushalt in Höhe von 5 Milliarden DM hinzu. Es wird also im Etat des Auswärtigen Amtes insbesondere den Kulturhaushalt mit bis zu 70 Millionen DM zusätzlich treffen können.
Denn den vorhin erwähnten Beitrag an die UNO — auch ein sogenannter 6er Titel; es steht vorne also eine 6 — von über 536 Millionen DM kann man wohl nicht zum Einsparziel heranziehen. Bei der humanitären Hilfe, deren Ansatz ohnehin nicht ausreicht, kann man auch nichts einsparen. Also werden erneut die Sprachförderung, das Auslandsschulwesen, Stipen-



Ernst Waltemathe
dienprogramme, Wissenschaftleraustausch usw. bluten müssen, und das auch angesichts der Rede, die Herr Kinkel hier vorhin gehalten hat. Er sagte, wie wichtig die kulturelle Arbeit sei, auch im Hinblick auf Osteuropa. Damit wird also die ohnehin schon falsche Architektur des Etats des Auswärtigen Amtes zusätzlich in eine Schieflage geraten.
Meine Damen und Herren, bei einer parlamentarischen Demokratie halte ich es an sich für eine Tugend und für erstrebenswert, in der auswärtigen Politik einen Konsens herzustellen. Wir haben als Opposition versucht, durch konstruktive Anträge Mittel so umzuschichten, daß für die heute notwendigen Prioritäten in den auswärtigen Beziehungen Manövrierfähigkeit hergestellt worden wäre, ohne den Haushalt aufzublähen. Es hat keine Bereitschaft bei der Koalition gegeben, solche Umschichtungen vorzunehmen.
Der jetzt vorliegende Einzelplan kann deshalb unsere Zustimmung leider nicht finden.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1219207000
Das Wort zu einer Zwischenbemerkung hat der Kollege Haschke.

Udo Haschke (CDU):
Rede ID: ID1219207100
Frau Präsidentin, ich danke Ihnen. Ich habe hinsichtlich meiner Zwischenbemerkung bei der Rednerliste bewußt den Kollegen Waltemathe abgewartet, weil ich ihn als einen sehr sachlichen Kollegen aus der Opposition schätzengelernt habe. Ich möchte diesen Kollegen herzlich bitten, lieber Ernst: Mach deinen Einfluß geltend, damit die Opposition historische Wahrheiten endlich zur Kenntnis nimmt, akzeptiert und die daraus resultierenden Probleme realistisch mit anfaßt! Ich sage das in bezug auf die Rede Ihres Parteivorsitzenden, des Ministerpräsidenten Scharping.

(Klaus Lennartz [SPD]: Das hat er hervorragend gemacht!)

Er hat gesagt, die Politik der Bundesregierung in den letzten drei bis vier Jahren wäre im Kern falsch gewesen. Ich nenne jetzt einfach einmal einige Daten. Ich nenne diese Daten als Thüringer Abgeordneter, als ein Abgeordneter aus dem Teil Deutschlands, der bis 1989 noch „DDR" hieß. Am 28. November 1989 hat der Bundeskanzler Helmut Kohl in Dresden die 10 Punkte zur Wiederherstellung der deutschen Einheit verkündet. War das im Kern falsch? Am 3. Oktober 1990 haben wir endlich die deutsche Einheit herstellen können. War das im Kern falsch?

(Dr. Hartmut Soell [SPD]: Das hat er ausgenommen!)

Vom 21. bis 23. Oktober 1991 war Boris Jelzin hier in Bonn, in Deutschland. War es im Kern falsch, daß wir das endlich schaffen? Ist es gut, ist es im Kern nicht doch richtig, wenn der Bundeskanzler bei seinem letzten Besuch bei Boris Jelzin sagt, wir wollen den Tag des Abzugs des letzten russischen Sodaten aus Deutschland im Jahr 1994 gemeinsam feiern? Ist das im Kern falsch?
Wenn wir bei Soldaten, wenn wir bei Armee sind: Ist es im Kern falsch, daß von 600 000 Soldaten in
Deutschland im Jahr 1989, nämlich mindestens 100 000 auf DDR-Seite, 500 000 auf seiten der Bundesrepublik, nur noch 370 000 übrigbleiben sollen?
Dies ist aus meiner Sicht, die durchaus auch durch die pazifistischen Bewegungen in der ehemaligen DDR bestimmt ist, im Kern richtig. Ich bitte Sie, dies zu akzeptieren. Übermitteln Sie dies bitte Ihrem Vorsitzenden! Werben Sie bitte in Ihrer Fraktion darum, daß diese richtige Politik unterstützt und nicht kleingeredet wird!

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1219207200
Ebenfalls zu einer Kurzintervention Frau Kollegin Matthäus-Maier.

(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Muß das sein? — Klaus Lennartz [SPD]: Die Wahrheit muß man im Parlament formulieren dürfen!)


Ingrid Matthäus-Maier (SPD):
Rede ID: ID1219207300
Zur Frage „Muß das sein?" : Herr Koppelin, ohne diese Intervention hätte es nicht sein müssen.
Herr Haschke, das, was Sie gesagt haben, kann ich praktisch von vorne bis hinten unterschreiben. Es war Herr Scharping, der heute ausdrücklich darauf hingewiesen hat — übrigens an mehreren Stellen —, wo er mit dem Kanzler einig ist. Es war nie das Thema, daß in der Frage der staatlichen, der nationalen Einheit dieser Bundeskanzler nicht gut gehandelt hat. Dies gilt insbesondere, wenn man liest, daß z. B. Frau Thatcher in ihren Memoiren schreibt, sie war gegen die Einheit. Unser Thema war das nicht, und er hat das heute morgen gesagt.
Aber jetzt frage ich Sie. Als jemandem, der die deutsch-deutsche Währungsunion im Januar 1990 zu einem Zeitpunkt verlangt hat, wo nachweisbar der Bundesfinanzminister wegen der Forderung, die westdeutsche Mark solle auch nach Ostdeutschland kommen, öffentlich gesagt hat — fast wörtlich - , ich hätte sie nicht mehr alle, hat mir wegen der Fehler, die zum 1. Juli 1990 gemacht worden sind, das Herz geblutet. Denn es war klar, daß mit der Währungsunion und diesem Umtauschkurs eine ganz große gemeinsame ökonomische Anstrengung verbunden sein mußte, weil es natürlich eine massive Aufwertung der Ost-Mark sein würde. War es nicht ein Fehler, dort — gegen unseren Willen — „Rückgabe vor Entschädigung" zu vereinbaren?

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

— Der Deutsche Industrie- und Handelstag hat vor kurzem gesagt: 200 Milliarden DM private Investitionen in der Pipeline wegen dieser Eigentumsregelung.
— War es nicht ein Fehler, daß nicht bereits zum 1. Juli 1990 die Investitionszulagen für die privaten Investitionen da waren? Sie kamen erst ein halbes Jahr später. War es nicht ein Fehler, daß das große Infrastrukturprogramm noch nicht da war? War es nicht ein Fehler, daß der Kanzler nicht gesagt hat, wir müssen gemeinsam durch ein tiefes Tal der Tränen, aber wir werden es schaffen, wir werden dafür die Steuern anheben müssen?
Alles das hat er nicht getan. Das hat Scharping gemeint, und da hat er recht. So wie er es in der staatlichen Einheit gut gemacht hat, so miserabel hat



Ingrid Matthäus-Maier
dieser Bundeskanzler die ökonomische und soziale Einheit betrieben.

(Beifall bei der SPD — Udo Haschke [Jena] [CDU/CSU]: Kommen Sie bitte einmal zu mir nach Thüringen, und schauen Sie sich die furchtbar vielen Tränen über die deutsche Einheit an!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1219207400
Der nächste Redebeitrag, der Beitrag unseres Kollegen Dr. Klaus Rose, wird zu Protokoll gegeben*). Sind Sie damit einverstanden? — Einverstanden.
Dann komme ich zum nächsten Redner, Dr. Krause.

Dr. Rudolf Karl Krause (CDU):
Rede ID: ID1219207500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Haushaltsdebatten sind politische Grundsatzdebatten. Am Ende der elften Legislaturperiode stand die Vereinigung Westdeutschlands mit dem Gebiet der ehemaligen DDR, obwohl das niemals Ziel einer vorherigen Regierungserklärung gewesen war.
Die Bilanz der Regierung dieser Legislaturperiode besteht in dreierlei: erstens einem sehr starken, bedrohlichen Anwachsen von Arbeitslosigkeit und Betriebszusammenbrüchen, nicht nur in Mitteldeutschland, zweitens in einer galoppierenden Staatsverschuldung, die der Kollege Walther mit 2 150 Milliarden DM bereits angegeben hat — ich möchte diese Zahl nur so im Raum stehenlassen —, und drittens in einer Kriminalitätsexplosion, die, wenn man die 20 % im vorigen Jahr nimmt, in dieser Regierungsperiode wahrscheinlich weit über 50 % betragen wird.
Lassen Sie mich aber bitte nur zum wichtigsten nationalen Problem sprechen: zur Arbeitslosigkeit, die auch die Außenwirtschaftspolitik dominieren muß. Was sind Arbeitslose? In Mitteldeutschland haben 4,5 Millionen Menschen, darunter 3 Millionen Frauen, die Arbeit verloren. Zusätzlich werden über 2 Millionen Arbeitslose in Westdeutschland gezählt. Das sind zusammen bereits 6,5 Millionen. Arbeitslose sind nicht nur die, die Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe bekommen, sondern auch die, die in Kurzarbeit, in Umschulung, in Vorruhestand, in ABM oder in Sozialhilfe sind. Es sind auch die arbeitswilligen Ehepartner von „Nocharbeitsplatzbesitzern" und die Kleineigentümer ohne Arbeit und Einkommen, die in den nächsten Jahren einen großen Teil der Bevölkerung in Mitteldeutschland ausmachen werden.
Im Selbstlauf und bei Fortbestehen des Freihandels gehen Wirtschaft und Arbeitslosigkeit in drei Richtungen, wenn die Politik nicht gegensteuert:
Erstens. Was importabel ist, wird eingeführt oder ins Ausland verlagert. Billigimporte sind nationalökonomisch gesehen legalisierte Schmugglerware und sind verantwortlich für die steigende Arbeitslosigkeit.
Zweitens. Was automatisierbar ist, kann in Marktnähe bleiben, wenn konkurrenzfähige Maschinenlaufzeiten gesichert sind. Aber auch dies führt zu einem Verlust heimischer Arbeitsplätze.
*) Anlage 2
Drittens. Was über Schwarzarbeit geleistet werden kann, wird leider immer mehr außerhalb der gewerblichen Wirtschaft geleistet. Viertagewoche und Langzeitarbeitslosigkeit werden dazu führen, daß wir immer mehr zu einer qualifizierten Schwarzarbeit kommen, die keine Lohnnebenkosten, keine Sozialabgaben und keinen Steuerbeitrag für die gesamte Volkswirtschaft liefert.
Wann soll dieser Selbstlauf gestoppt werden? Bei 10 Millionen Arbeitslosen, bei 20 Millionen oder wann? Jeder, der politische Verantwortung trägt oder tragen will, muß sagen, wie lange diese Rahmenbedingungen bleiben sollen.
Welche konkreten nationalökonomischen Teilfragen müssen für jeden Wirtschaftszweig und für jede Region beantwortet werden, wenn Arbeitslosigkeit beseitigt werden soll? Ich stelle hier nach den vielen Stunden Debatte fest: Bisher sind sie von niemandem beantwortet worden. Erstens: Wo soll produziert werden? Zweitens: Was? Drittens: Für welchen Markt? Viertens: Gegen welche Konkurrenz? Das heißt fünftens: Welche Kosten müssen unterboten werden? Sechstens: Wie sollen diese Kosten unterboten werden? Durch höhere Produktivität? Die deutsche Wirtschaft ist nicht schlechter geworden, aber die anderen sind besser geworden. Höhere Produktivität allein wird also unsere Arbeitsplätze nicht zurückgewinnen. Die anderen können nachziehen.
Niedrige Löhne. Wieviel niedriger? Niedriger als Polen? Niedrige Lohnnebenkosten heißt niedrige Sozialleistungen. Wie niedrig denn? Wie Argentinien oder andere Länder? Schließlich: Durch höhere Subventionen? Zu wessen Lasten denn? Zu Lasten der anderen Wirtschaftszweige? Wie lange soll dieser Selbstlauf gehen? Oder — das sage ich als Alternative, die im Detail für jeden Wirtschaftszweig geprüft werden muß — einen Protektionismus, wie ihn die Landwirtschaft in Europa bisher hat?
Die Landwirtschaft in den neuen Bundesländern ist — einmal von der Bauwirtschaft abgesehen; das ist ein anderes Feld — der einzige produktive Wirtschaftszweig, der einen gesicherten Absatz hat. Warum hat er diesen Absatz? Weil es einen Protektionismus auf europäischer Ebene gibt.
Welche Ziele soll nach meiner Auffassung eine nationalökonomische Politik zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit haben?
Erstens. Schutz unserer Arbeitsplätze ist konkret der Schutz des Binnenmarktes vor Billigkonkurrenz.
Zweitens. Soziale Marktwirtschaft nach innen muß von einem gezielten branchenspezifischen Protektionismus nach außen begleitet sein. Mitterrand wurde hier zitiert: Staat ist eine nationale Sozialgemeinschaft. Deswegen müssen wir darüber nachdenken, ob die Grenzen des Protektionismus nicht identisch sein müssen mit den Grenzen dieser nationalen Sozialgemeinschaft. Wenn die Grenzen um ganz Europa sind, aber die Grenzen der Sozialgemeinschaft nur um Deutschland, dann ist hier eine Diskrepanz, die beseitigt werden muß.
Drittens. Was in Deutschland hergestellt werden kann, darf nicht zu Dumpingpreisen importiert wer-



Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese)

den, wenn wir die deutsche Konkurrenz erhalten wollen.
Viertens. Umweltabgaben und geplante Energiesteuern im Inneren müssen durch Umweltzölle und Energiezölle gegen Billiganbieter kompensiert werden.
Das heißt fünftens Abschaffung jeder Eigendiskriminierung der deutschen Wirtschaft. Das heißt auch Abschaffung jeder grünen Eigendiskriminierung. Aber es wird noch beim Tagesordnungspunkt über den Umwelthaushalt Gelegenheit sein, darüber zu sprechen.
Schließlich sechstens — das ist hier schon gesagt worden — Umbau des sozialen Finanzierungssystems von Sozialabgaben auf die Arbeit in Deutschland — wie zu Bismarcks Zeiten und noch heute — zu Sozialsteuern auf den Verbrauch in Deutschland. Niemand soll sich durch Kauf ausländischer Waren aus der sozialen Verantwortung stehlen können.
Herr Scharping hat heute zum erstenmal hier ähnliches gesagt: daß wir davon abkommen müssen, allein die Arbeitnehmer in Deutschland mit Sozialabgaben zu belasten, sondern wir müssen das gesamte Volk und, meine ich, das gesamte Käuferpotential in Deutschland zu einer Sozialsteuer heranziehen, nicht zusätzlich, sondern an Stelle der Sozialabgaben.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Man kann sich seine Verbündeten leider nicht aussuchen!)

Zum letzten Kapitel: Wirtschaftspolitische Ziele deutscher Europapolitik.
Erstens. Gleiche Pflichten für alle Länder Europas. Das heißt, wenn wir eine gemeinsame EG mit offenen Grenzen haben, müssen wir fordern: gleiche Sozialausgaben, gleiche Einwanderungsquoten, gleiche Umweltauflagen, gleiche Art der Strafverfolgung und einen gegenseitigen Warenaustausch ohne Wettbewerbsverzerrung, d. h. natürlich auch eine Subventionsgleichstellung. Wer das nicht will, betreibt einen Antiprotektionismus zum Schaden der deutschen Wirtschaft.
Zweitens. Solange solche Ungleichgewichte innerhalb Europas bestehen, brauchen wir zum Schutz der deutschen Wirtschaft und der deutschen Arbeit einen sozialen Protektionismus auch innerhalb Europas.
Was verstehe ich unter „Antiprotektionismus"? 1981 — Sie entsinnen sich — kam es zu großen Stahlstreiks in Lothringen. Es gab ein Übereinkommen zwischen Schmidt und seinem Freund Giscard d'Estaing. 200 DM wurden aus einem gemeinsamen Stahlfonds je Tonne gezahlt: nach Belgien, Großbritannien, Italien und Frankreich. Das meiste bezahlte Deutschland. Damals begann es, daß selbst Rheinhausen als modernstes Werk nicht mehr wettbewerbsfähig war. — Sie sehen, daß auch die Fernseh- und Rundfunkhörer in Mitteldeutschland schon damals sehr gut informiert waren.

(Uwe Lühr [F.D.P.]: Ist es denn wahr!)

Zu Waffengeschäften: Ich muß sagen, der Empfänger ist entscheidend. Was Frankreich, den USA und England erlaubt ist, muß in Zukunft auch der deutschen Wirtschaft erlaubt sein. Das ist hier im Detail schon angesprochen worden. Ich kann mir sparen, weiter darauf einzugehen.
Drittens. Importabschöpfungen und Exporterstattungen analog der Landwirtschaft für alle die Wirtschaftszweige, die es zu schützen oder wiederherzustellen gilt. Hier geht es nicht um ein Entweder-Oder, sondern wir müssen der Bevölkerung, wir müssen den arbeitslosen Frauen klar sagen, wann sie wieder Hemden werden nähen können und wann nicht. Ansonsten muß man sagen: Solange ihr lebt und solange es dieses Bündnis zwischen Bundestag und Bundesrat gibt, wird es keine Änderung geben. Man muß das klar sagen.
Viertens. Protektionismus nach außen muß mit sozialer Marktwirtschaft nach innen verbunden sein. Das heißt konkret: Chancengleichheit für den leistungsfähigen Wettbewerb nach innen muß mit Schutz vor Wettbewerbsverzerrung von außen einhergehen.
Fünftens. Ich will keinen neuen Sozialismus — daß das ganz klar ist —, schon gar keinen nationalen. Aber: Arbeit für Deutschland muß das Ziel einer deutschen Regierung sein und Priorität haben vor Gewinnen für das internationale Freihandelskapital.
Sechstens und letztens. Der Abgeordnete Walther — sicher ein Fachmann — will keine nationalen, sondern einen europäischen Beschäftigungspakt. Angesichts von sechs bis acht Millionen real existierenden Arbeitslosen in Deutschland sind das sehr offene Worte. Ich stimme denen aus der Regierungskoalition zu, die sagen: Nach der heutigen Debatte hat die SPD keine konkrete Alternative gegen Arbeitslosigkeit gebracht.
Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Keine deutsche Regierung darf die Interessen des deutschen Volkes auf dem Altar Westeuropas oder gar des Freihandels opfern, heute nicht und auch in Zukunft nicht. Demokratie heißt, daß das deutsche Volk Herr sein muß im eigenen Haus.
Danke schön.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1219207600
Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Briefs.

Dr. Ulrich Briefs (PDS/LL):
Rede ID: ID1219207700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das, was wir gerade gehört haben, hatte für mich Züge eines Manifests des ökonomischen Wahnsinns. Das will ich einmal ganz klar sagen.

(Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Aber da war es sehr konsequent!)

Mehr lohnt es sich darüber, glaube ich, nicht zu sagen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es ist fast eine Legislaturperiode seit der Vollendung der deutschen Einheit — wie es ebenso schön wie falsch heißt — vergangen. Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen.
Die politische Bilanz Deutschlands und die Bilanz dieser Koalition und dieses Bundeskanzlers im Jahre 4 nach der Wiedervereinigung sehen jedoch düster aus: Fast vier Millionen Arbeitslose sind bei den Arbeits-



Dr. Ulrich Briefs
ämtern erfaßt. In Wirklichkeit fehlen ca. sieben Millionen Arbeitsplätze. Jede Hoffnung auf die Wiedererlangung der Vollbeschäftigung ist geschwunden, ich fürchte, für immer.
Der Osten Deutschlands gleitet weiter in die Situation einer völlig perspektivlosen Industriebrache ab. Zwei bis drei Millionen Wohnungen fehlen. Obdachlosigkeit und Armut sind wieder zum Massenschicksal geworden. Besonders betroffen sind inzwischen Millionen Kinder, die unter Sozialhilfebedingungen und unter sonstigen Armutsbedingungen leben, leben müssen.
Die seit Ende der 80er Jahre zu erwartende Wirtschaftskrise — so ganz unerwartet ist die Entwicklung nicht gekommen, und sie ist deshalb wohl so tiefgreifend, weil vorher über lange Jahre ein besonders starker Boom war, der noch dazu durch den Wiedervereinigungsboom verstärkt wurde — wird nunmehr genutzt, um Eckpfeiler insbesondere der gewerkschaftlichen Tarifpolitik zum Einsturz zu bringen.
So positiv die Bereitschaft zur Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich ist, es besteht die Gefahr wie in England, wie in Frankreich, daß das gesamte Gebäude von Schutzvorkehrungen und Rechten, die die Gewerkschaften in den Nachkriegsjahrzehnten erkämpft haben, ins Rutschen kommt und einstürzt.
Angesichts der Radikalität, mit der diese Koalition und die in ihr dominierenden Marktradikalen ihre Politik des Sozialabbaus betreiben, muß man sagen: Dem muß jetzt und ganz intensiv vorgebaut werden.
Es sei daran erinnert, daß die Deregulierungsoffensive am Arbeitsmarkt und in anderen Bereichen noch kommen wird. Den Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben sei gesagt: Sie können selber bei den Wahlentscheidungen des nächsten Jahres darüber mitbestimmen, ob diese Politik weitere vier Jahre so betrieben werden kann.
Resignation und Verdrossenheit, Wahlenthaltung dagegen nutzen in Deutschland allein den Rechten. Italienische Verhältnisse wird es bei den Wahlen hier nicht geben, wird es wohl nie geben. In diesem wieder nationalbewußt werdenden Lande gehen derartige Prozesse allemal nach rechts los. Das muß man mit sehr viel — ich fürchte, begründeter — Furcht sagen.
Die Gewerkschaften, zuerst die traditionell kampfbereite IG Medien, haben ein ganz wichtiges Signal gesetzt, nämlich die Bereitschaft zum Verzicht, um etwas gegen die Massenarbeitslosigkeit und für die vielen arbeitslosen Menschen zu tun. Ob es aber dazu kommt, daß wirklich etwas zu deren Gunsten geschieht, ist insbesondere auch eine Frage des politischen Managements, der politischen Führung.
Ob der Verzicht der abhängig Beschäftigten, deren Monatsnettoeinkommen — das sei einmal erwähnt — bei durchschnittlich 2 600 DM liegt, zu mehr Arbeitsplätzen führt, ist davon abhängig, ob so etwas wie Industriepolitik realisiert werden kann, eine intelligente, sensible, moderne Industriepolitik, die neue Chancen erkennt und nutzt. Nicht staatlicher Dirigismus ist Industriepolitik, Industriepolitik ist Konsenspolitik, sind Absprachen, sind verbindliche, abgestimmte Verhaltensweisen von Staat, Wirtschaft, Gewerkschaften, Verbraucher- und Umweltverbänden zur Lösung von Problemen, die eben einen breiten Konsens in der Gesellschaft voraussetzen, wie dem Abbau der Massenarbeitslosigkeit und wie insbesondere auch der Lösung ökologischer Probleme.
Der Verzicht der einen, der abhängig Beschäftigten, muß aber insbesondere ergänzt werden durch den Verzicht der anderen, der Reichen und der wirtschaftlich Mächtigen. Aber dazu brauchen wir eine auf soziale Gerechtigkeit angelegte Finanz-, Steuer- und Haushaltspolitik und nicht die unsoziale Umverteilungspolitik von unten nach oben dieser Bundesregierung. Weiter von unten nach oben umverteilen, das geht nicht mehr, nachdem Millionen von Beziehern von kleinen, zum Teil sehr kleinen, und mittleren Einkommen bereit sein müssen, Einkommensverzicht zu üben.
Eine wichtige Finanzmasse, die zur Disposition steht und stehen muß, ist der Rüstungs-, der sogenannte Verteidigungshaushalt. Nicht nur daß Rüstung auch schon im Frieden tötet, nach dem ersatzlosen Wegfall des traditionellen Feindes im Osten ist doch einfach der Grund für die weitere Hochrüstung, wie wir sie jetzt auch in diesem Haushalt betreiben, entfallen. Wozu brauchen wir denn in der Zukunft 370 000 Soldaten? Wozu neues, immer raffinierteres Gerät zum Töten von Menschen? Gegen wen soll sich das denn eines Tages einmal richten?
Nein, die riesigen Mittel für die weitere Rüstung müssen in einem geordneten, planmäßigen, mittelfristig organisierten Prozeß der Abrüstung für andere Zwecke freigemacht werden, freigemacht werden für den Arbeitsmarkt, für ökologische Maßnahmen, für den Ausbau der Hochschulen, für wirklich wirksame Hilfe für die sogenannte Dritte Welt.
20 % des Rüstungshaushalts reichen, um die staatliche Entwicklungshilfe auf den seit langem von der UNO geforderten Satz von 0,7 % des Bruttosozialprodukts anzuheben.
Gefährlich ist die weitere Hochrüstung aber auch deshalb — das ist ja mehrfach in der Debatte angesprochen worden —, weil sie deutsche nationale Großmachtbestrebungen unterstützt. Das Leitbild der Politik muß nicht ein technologisch und militärisch hochgerüstetes Großdeutschland sein, sondern ein abgerüstetes friedliches Land, das insbesondere bei allen humanitären Aktionen in der Dritten Welt, in Katastrophenfällen, bei der Lösung ökologischer Probleme auf diesem Planeten einen Spitzenplatz einnehmen will. Da müssen wir bestrebt sein, Spitzenplätze einzunehmen.
Die Politik dieser Bundesregierung, dieses Bundeskanzlers, ist deshalb im Ansatz falsch, und nicht nur falsch, sie ist gefährlich, sie führt dieses Land womöglich in neue Abenteuer, in neue nationale, in neue militärische Abenteuer. Sie führt auch in die Verschärfung der ökologischen Probleme und nicht zu ihrer Lösung. Sie ist insbesondere gefährlich, weil sie die alte/neue deutsche Rechte bestätigt, bestärkt, wieder hochkommen läßt. Hoyerswerda, Rostock, Mölln,



Dr. Ulrich Briefs
Solingen sind viel zu schnell aus dem praktizierten politischen Bewußtsein verschwunden.
Die neue Rechte, inzwischen in der CSU wohl mehrheitsfähig und bis weit in die CDU hineinreichend, schickt sich an, Europa und die europäische Integration Deutschlands in Frage zu stellen. Der Bundeskanzler — das sei an der Stelle anerkennend gesagt — leistet dem Widerstand, nur, wie lange noch hat er in dieser Frage die Mehrheit in der CDU hinter sich?
In jedem Fall hat die Politik dieser Bundesregierung erheblich zum Prozeß der Renationalisierung des Bewußtseins der Bevölkerung in Deutschland beigetragen. Und das ist ein völlig verantwortungsloses Spiel mit einem Feuer, das schnell zu einem Flächenbrand werden kann.
Die Politik ist gefordert, die Voraussetzungen für eine offene, eine im wohlverstandenen Sinne liberale, eine nicht aggressive und solidarische Gesellschaft zu schaffen. Sozialdarwinismus in der Wirtschaft — das an die Adresse der F.D.P. —, Kürzungen, zum Teil Kahlschläge in zukunftsorientierten Etatbereichen wie Forschung und Technologie, Bildung und Wissenschaft, Umverteilung von unten nach oben, die Hochrüstung, das Dulden von Rechtsradikalismus, Nationalismus und Antisemitismus wirken in die entgegengesetzte Richtung.
Insbesondere auch deshalb muß alles getan werden, um 1994 im demokratischen Willensbildungsprozeß, der ja viele Etappen haben wird, die Voraussetzungen für den notwendigen Wandel zu schaffen. Es darf — das ist mein ganz deutliches Gefühl, das ich seit geraumer Zeit habe, insbesondere aus den Erfahrungen aus einigen Berichterstattergesprächen und aus der Tätigkeit im Haushaltsausschuß heraus — einfach nicht so weitergehen wie bisher unter dieser Koalition. Dafür muß im kommenden Jahr alles getan werden.
Frau Präsidentin, ich danke Ihnen.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1219207800
Als nächster spricht unser Kollege Konrad Weiß.

Konrad Weiß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1219207900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bundeskanzler Kohl hat mit seiner Chinareise dem Ansehen des deutschen Volkes schweren Schaden zugefügt. Auf unerträgliche Weise hat sich wieder einmal der altbekannte Ausspruch des Vespasian bewahrheitet, daß Geld nicht stinkt, woher es auch kommen möge. Bundeskanzler Kohl und sein Troß haben in China Geschäfte mit Kommunisten gemacht, für die Menschenrechte nach wie vor ein Dreck sind.
Die Menschenverachtung, die die Bundesregierung und die Vertreter der deutschen Industrie dabei an den Tag gelegt haben, ist erschreckend. Am 15. Juni 1989 hatte der Deutsche Bundestag das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking verurteilt. In der Debatte sagte damals der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Dr. Hans Stercken — ich zitiere —:
Aber ich weiß, daß ich mich mit den für diese
Massaker Verantwortlichen nicht an einen Tisch
setzen werde, um mit ihnen über kulturelle,
politische, wirtschaftliche und technologische Beziehungen zu sprechen.
Und:
Es wäre wirklich verhängnisvoll, wenn diese .. . Debatte ... nur ein Ritual wäre, mit dem wir die Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens sozusagen abhaken würden.
Genau das hat nun aber der Bundeskanzler und Vorsitzende der CDU getan: Er hat das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens abgehakt. Denn der Bundeskanzler ist in China nicht in die Gefängnisse und Arbeitslager gegangen, hat keine Gefangenen befreit, hat nicht die verfolgten Christen und unterdrückten Minderheiten besucht, hat den kommunistischen Ungeist nicht angeprangert. Er ist nicht in Tibet gewesen, wo ein ganzes Volk von den chinesischen Kommunisten versklavt wird. Er hat nicht über Menschenrechte für das chinesische Volk verhandelt, sondern über Geschäfte. Er hat sich mit Mördern an einen Tisch gesetzt und mit ihnen Beziehungen angeknüpft. Auf dem Platz des Himmlischen Friedens, wo 1989 in einem blutigen Massaker tausende chinesische Oppositionelle ermordet wurden, feuerten nun Soldaten Salut für Herrn Kohl.

(Vorsitz: Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg)

Es ist nicht bekanntgeworden, daß der deutsche Bundeskanzler dort einen Kranz für die kommunistischen Gewaltopfer niedergelegt hätte.
In der schon erwähnten Debatte am 15. Juni 1989 hat Petra Kelly über den ungeheuerlichen Zynismus der chinesischen Führung gesprochen. Sie zitierte damals Deng Xiaoping, der gesagt hatte — ich zitiere —:
200 000 Tote sind nicht zuviel für mich, um 20 Jahre Stabilität in der Zukunft zu garantieren.
Und:
Was sind schon 1 Million Tote bei einer Bevölkerungszahl von 1 Milliarde?
Einen der damals Verantwortlichen, den chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng, hat Herr Kohl nun nach Deutschland eingeladen. Des Bundeskanzlers Geschäftspartner soll es jetzt schon wissen: Er wird in Deutschland nicht willkommen sein und keine ruhige Minute haben. Wir haben nicht 1989 Herrn Krenz verjagt, der die Morde auf dem Platz des Himmlischen Friedens bejubelt hatte, um nun zu dulden, daß einer der Mörder der tapferen chinesischen Bürgerrechtler willkommener Gast in Deutschland ist. Das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mißbilligt die Verhandlungen, die die Bundesregierung in China geführt hat, und fordert den Bundeskanzler auf, die Einladung an Herrn Li Peng zurückzunehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Vorstellung der Bundesregierung, man könne durch wirtschaftliche Verbindungen den Menschen in China helfen, ist eine fatale und gravierende Fehleinschätzung. Mit jeder Mark, die aus Deutschland nach China fließt, mit jedem Geschäft, das deutsche Unternehmen mit China abschließen, wird das kommunisti-



Konrad Weiß (Berlin)

sehe Regime gestärkt, werden die Entmündigung, die Unterdrückung und das Leid der Bürgerinnen und Bürger Chinas verlängert. — Die Bundesregierung ist dabei, den Fehler zu wiederholen, den sie vor zehn Jahren mit der Vergabe des Milliardenkredites an die DDR gemacht hat. Auch damals wurde in ein System investiert, das nicht reformfähig ist; das gilt auch für China. — Auch Rezession und Arbeitslosigkeit in Deutschland rechtfertigen diese Geschäfte nicht. Es ist ein Verbrechen, wenn deutscher Wohlstand mit dem Blut des chinesischen Volkes bezahlt wird.
Aber das weiß auch die Bundesregierung. Warum hätte sie sonst veranlaßt, daß die Mittel für China am 30. September in aller Eile und Stille durch den Haushaltsausschuß um 350 Millionen DM aufgestockt worden sind, ohne zuvor den zuständigen Fachausschuß, den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit, zu hören? Ich bedaure, daß auch die SPD dem zugestimmt hat.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist nach wie vor der Auffassung, daß die Zustände in China eine wirtschaftliche oder entwicklungspolitische Zusammenarbeit nicht rechtfertigen. Die Menschenrechtsverletzungen dauern unvermindert an. In China werden auch weiterhin politische Prozesse durchgeführt und vorbereitet, die gegen grundlegende Bürgerrechte verstoßen. So ist kürzlich in der zentralchinesischen Stadt Wuhan der Führer einer von den Kommunisten unabhängigen Republikanischen Partei zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. In Peking ist der Arzt Kan Yuchun am 8. Mai 1992 wegen „konterrevolutionärer Verbrechen" verhaftet worden und seither in Haft, ohne daß gegen ihn Anklage erhoben wurde oder seine Eltern ihn gesehen oder mit ihm hätten Briefe austauschen können. Er sowie der Student Lu Zhigang und drei weitere Persönlichkeiten werden beschuldigt, 1991 die Chinesische Fortschrittsallianz gegründet zu haben, eine von den Kommunisten unabhängige Partei, die zur Beendigung der kommunistischen Diktatur aufgerufen hat.
Sechs weitere Politiker, die die Liberal-Demokratische Partei Chinas begründet und zum Sturz des kommunistischen Regimes aufgefordert haben, sind seit über einem Jahr in Haft; ihnen soll der Prozeß gemacht werden. Andere Dissidenten, auch katholische Priester, sind wegen ihrer Überzeugung und ihres Glaubens verurteilt. Mehr als 1 000 Oppositionelle sitzen ohne Anklage im Gefängnis.
Nach wie vor wird in China gefoltert und exekutiert; jährlich werden mehr als 5 000 Menschen hingerichtet. Den Hingerichteten werden Organe entnommen, ohne daß sie oder ihre Verwandten zuvor ihre Einwilligung hätten geben können. Flüchtlinge, die aus China nach Deutschland kommen, berichten von vielfältigen Diskriminierungen und Mißhandlungen von Minderheiten und Andersdenkenden.
Hält angesichts all dieser Barbarei der Bundeskanzler die Übergabe einer Liste mit den Namen von 20 Oppositionellen wirklich für eine Heldentat?
Ich frage mich auch, wie die Bundesregierung auf die törichte Phrase von einer sozialistischen Marktwirtschaft hereinfallen kann und dieses Phantom u. a. auch noch durch Entwicklungshilfe für die Staatliche
Plankommission unterstützt. Das ist nun wirklich aberwitzig. Wissen CDU und F.D.P. wirklich nicht, was für ein Instrument das ist? Vielleicht fragen Sie einmal Ihre Kollegen aus den Blockparteien. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN jedenfalls wird diese deutsche Beihilfe zur Rettung des Kommunismus nicht mittragen.
Andere Projekte, die in China aus Mitteln der Entwicklungspolitik oder durch Bundesbürgschaften realisiert werden sollen, drohen zur verantwortungslosen Verschleuderung von Steuergeldern zu entarten. So ist das hochgepriesene U-Bahn-Projekt in Kanton, das die deutschen Steuerzahler 700 Millionen DM — nach Schätzung des „Handelsblattes" sogar 1 Milliarde DM — kosten wird, mit hohen Risiken belastet. Der Bundeskanzler hat deutsche Steuergelder für ein Projekt zugesagt, für das es bislang kein überzeugendes Betriebskonzept gibt, dessen weitere Finanzierung unklar ist und dessen technologische Parameter ebenfalls unklar sind.
Während die chinesischen Kommunisten deutsche Steuergelder kassieren, unterstützen Sie gleichzeitig die schlimmsten und menschenverachtendsten Regime in aller Welt mit Millionenbeträgen oder durch Rüstungsexporte.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erwartet von den demokratischen Parteien im Deutschen Bundestag, daß sie die Verhandlungen der Bundesregierung mit den chinesischen Kommunisten mißbilligen und keine Mittel freigeben, die das Leiden des chinesischen Volkes und der von China unterdrückten Völker verlängern würden. Wir beantragen, die freiwerdenden Mittel für solche Entwicklungsprojekte zu verwenden, die die Menschenrechte achten und die sich demokratisch entwickeln. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre Politik zur Rettung des Kommunismus in China umgehend zu beenden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219208000
Das Wort hat Minister Bohl.

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1219208100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sehe mich veranlaßt, nach diesem Redebeitrag von Ihnen, Herr Kollege Weiß, das Wort für die Bundesregierung zu nehmen.
Man mag ja in außenpolitischen Fragen unterschiedlicher Auffassung sein. Man mag auch unterschiedlicher Auffassung in der Frage der Chinapolitik sein. Das ist sicherlich allen Fraktionen und Gruppen, allen Mitgliedern dieses Hohen Hauses unbenommen. Ich muß aber doch mehr als meine Verwunderung darüber zum Ausdruck bringen, mit welcher Wortwahl Sie den Besuch des Bundeskanzlers von diesem Podium aus begleitet haben. Ich muß sagen, das ist völlig inakzeptabel, und auch die Parallelen, die Sie zum Handeln des damaligen Politbüromitglieds Egon Krenz herstellen, sind für mich eine



Bundesminister Friedrich Bohl
unerträgliche Zumutung, die Sie uns angedeihen lassen. Ich weise das mit Entschiedenheit zurück.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zuruf von der CDU/CSU: Nichts dazugelernt! )

Meine Damen und Herren, ich bin der Auffassung, daß gerade der Besuch des Bundeskanzlers sehr deutlich gemacht hat: Die Bundesregierung legt Wert darauf, daß wir die Menschenrechtssituation in China natürlich ansprechen und darauf dringen, daß sich die Situation weiterhin zum Guten und Besseren wendet.
Sicherlich ist es aber auch ein Instrument dieses Bemühens und dieses Weges hin zu mehr Demokratie und Pluralismus, daß eine vernünftige internationale politische, aber auch wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Volksrepublik China stattfindet. Das jedenfalls ist das Bemühen der Bundesregierung und des Bundeskanzlers, und es verdient die Worte des Tadels, die Sie sich hier angemaßt haben, nicht. Im Gegenteil, es verdient die Unterstützung des Hohen Hauses, daß wir auf diesem Wege weitergehen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219208200
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Hans Stercken.

Dr. Hans Stercken (CDU):
Rede ID: ID1219208300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier wurde schon auf die offenbar vorliegende Abstinenz in Sachen Außenpolitik an diesem Tag verwiesen. Man könnte das natürlich als ein Zeichen dafür werten, daß, abgesehen von einem Schlagabtausch, der heute morgen bereits stattgefunden hat, die außenpolitischen Kontroversen nicht so groß sind, als daß sie sich hier noch parlamentarisch vermarkten lassen würden. Wenn dies so wäre, könnte man daraus vielleicht sogar den Rückschluß ziehen, daß wir nicht die Absicht hätten, unsere fundamentalen außenpolitischen Positionen in den bevorstehenden 19 Wahlkämpfen des kommenden Jahres zur Handelsware zu machen.
Ich möchte die letzte Gelegenheit in diesem Jahr nutzen, uns allen nahezulegen, die Sensibilität, die für uns alle in diesem Lande damit automatisch heraufbeschworen wird, die Rückwirkungen, die dies im Ausland haben könnte, sehr wohl zu bedenken, wenn wir die essentiellen Fragen bedenkenlos in den Wahlkampf des kommenden Jahres hineinrücken würden.
Herr Waltemathe, dem ich mich jetzt gern zugewandt hätte, ist nicht mehr erreichbar.

(Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Wir übermitteln es!)

— Das ist gut.
Die Frage des Konsenses, den er eingefordert hat, um etwa auch einmal einem Haushalt des Auswärtigen Amtes zuzustimmen, treibt mich natürlich sehr um.

(Dr. Willfried Penner [SPD]: Man spürt es geradezu!)

Denn ich frage mich: Wozu, lieber Herr Penner, sind wir eigentlich hier? Wir setzen uns über etwas auseinander, und Sie werden es ebenso erleiden wie ich, wenn einer dabei obsiegt. Ich bin nicht versucht, in allen Positionen nun etwa auf einen Konsens zuzusteuern.
Ich möchte, weil ich so die Ausputzerrolle übernommen habe, doch noch einige Gedanken übermitteln, die heute irgendwann einmal angetippt worden sind. Ich konnte daher leider auch kein Manuskript für das Protokoll abgeben, weil ich es vorziehe, frei zu sprechen.

(Manfred Richter [Bremerhaven] [F.D.P.]: Das ehrt Sie!)

— Das ist eine Temperamentsfrage. Es kommt einem so oft mehr in den Kopf, als wenn man die Manuskripte der Ghostwriter abliest.
Ich halte es doch für erforderlich, daß wir in diesem Haus ein Wort zu Italien sagen. Es haben sich schon verschiedene Redner auf den durch die Wahlen entstandenen Zustand in Italien bezogen. Das Versagen der politischen Mitte — einer Mitte, die auch in diesem Parlament erkennbar ist — ist der Grund dafür, daß das italienische Volk das Mittel einer Protestwahl genutzt hat. Ich warne alle davor — ich sage dies, weil das heute morgen schon anklang —, daraus den Rückschluß zu ziehen, daß der überwiegende Teil unserer italienischen Freunde inzwischen Marxisten oder Faschisten geworden wären.

(Beifall des Abg. Dr. Peter Glotz [SPD])

Ich halte es für sehr wichtig, daß aus diesem Hause eine solche Botschaft kommt. Denn wir wollen den europäischen Dialog, so denke ich, auch in dem Sinne verstehen, durch unsere Möglichkeiten, durch unsere Kontakte, durch unsere Bestärkung der Demokraten, die es in Italien gibt, dazu beizutragen, daß es dort bald wieder eine politische Mitte gibt und der Protest nicht weiter auf die Flügel der politischen Landschaft in Italien ausweichen muß. Ich wünsche dies jedenfalls unseren italienischen Freunden.
Meine Damen und Herren, plötzlich steht Asien — schon heute morgen bei der großen Kontroverse und jetzt noch einmal durch den Beitrag des Kollegen Weiß — in der Mitte des außenpolitischen Teils der Debatte. Dazu möchte ich sagen: Ich stehe zu dem, was ich früher gesagt habe. Es ist nicht meine Absicht gewesen, als der Auswärtige Ausschuß im Spektrum der Fraktionen entschied, eine gemeinsame Reise nach China zu unternehmen, dies etwa vor dem Hintergrund zu tun, daß diese Gedanken obsolet seien. Das ist, so denke ich, bei allen Gesprächen in einem hohen Maße zum Ausdruck gekommen.
Übrigens waren unsere Partner die Parlamentarier. Wenn ich es richtig sehe, waren unsere Gesprächspartner jene — von ihnen haben einige sehr offenherzige Bemerkungen auch zu diesen Ereignissen gemacht —, die ich in einer klugen, langfristigen Politik unterstützen möchte. Wir können ja diejenigen, die für Mord und Totschlag Verantwortung tragen, nicht sozusagen zum Alibi dafür nehmen, daß



Dr. Hans Stercken
wir keine weiteren politischen Unternehmungen mehr andenken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Da Sie das Wort Tibet in den Mund genommen haben, möchte ich sagen: Wir sind dort gewesen; wir sind sogar in einem Gefängnis dort gewesen.

(Zuruf des Abg. Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

— Ja, ja. Das muß man einmal zur Kenntnis nehmen. Die Parlamentarier machen ja gelegentlich auch einmal ein bißchen Politik; das soll schon einmal vorgekommen sein. So haben wir das auch dort gehalten. Diejenigen, die dabei waren, wissen, was wir im Hinblick auf die Menschenrechte und auf die Entlassung einiger Inhaftierter erreichen konnten. Es ist für mich Bestandteil von Politik, daß ich etwas bewege und etwas ändere.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219208400
Herr Abgeordneter Stercken, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weiß zu beantworten?

Dr. Hans Stercken (CDU):
Rede ID: ID1219208500
Ja, bitte schön.

Konrad Weiß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1219208600
Herr Kollege Stercken, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich nicht die Parlamentarierreise und die Reise des Auswärtigen Ausschusses kritisiert habe, sondern die Reise des Bundeskanzlers und das Verhalten des Bundeskanzlers in China? Ich denke, es wäre für den Bundeskanzler doch wirklich einfach gewesen, als Ermutigung für die chinesischen Oppositionellen nach außen hin deutlich zu machen, was wir als demokratische Parteien in Deutschland von dem, was dort in China getan worden ist und immer noch getan wird, halten. Meinen Sie das nicht auch?

Dr. Hans Stercken (CDU):
Rede ID: ID1219208700
Diese Bewertung hätten Sie dann auch unserer Reise zuteil werden lassen müssen. Denn in einem solchen Zusammenhang stelle ich zunächst die Frage der politischen Klugheit in den Vordergrund. Was ist klug, wenn wir etwas erreichen wollen? Ich verstehe den Bundeskanzler genauso. Eine Regierung hat es allerdings wesentlich schwerer als ein parlamentarischer Gesprächspartner. Aber ich stelle noch einmal in den Vordergrund: Kommen Sie in den Ausschuß, und wir unterhalten uns darüber. Wir haben das zwischen den Fraktionen sehr lang miteinander bedacht. Sie werden dann sehen, daß es uns vornehmlich auf den Effekt ankommt, den wir erreichen können, und nicht auf Prinzipien, die wir etwa in Kolloquien in Hochschulen anbieten können. Ich erinnere an das Wort Kiesingers, an dieser Stelle gesprochen: Wir lassen über vieles mit uns reden, wenn wir nur menschliche Entwicklungen fördern, wenn wir nur menschliche Probleme damit lösen können. Bei dieser Grundeinstellung bleibt es, glaube ich, bei den meisten.
Soeben ist von Herrn Waltemathe das Thema angesprochen worden: Was tun wir bei unseren östlichen Nachbarn für die Erfüllung der Pariser Verträge? — Der Titel, den wir dafür im Haushalt des Auswärtigen
Amtes haben, ist, gemessen an anderen, etwa an der vertraglich vereinbarten Waffenhilfe, verhältnismäßig gering. Meine Damen und Herren, es gibt gelegentlich schon einmal Geschäftsverteilungen. Sie wissen, wie hoch die amerikanischen Zuwendungen für diesen Zweck sind. Sie wissen, daß wir in unserer Debatte die Zusicherung bekommen haben, daß in diesem Bereich im kommenden Rechnungsjahr damit gerechnet werden kann, daß das Verteidigungsministerium, so es erforderlich ist, überlegt, ob nicht in unserem wohlverstandenen — nicht nur deutschen, sondern auch europäischen und atlantischen — Interesse eine Beschleunigung des Waffenvernichtungsvorgangs möglich gemacht werden kann.
Meine Damen und Herren, das macht für mich die Fußnote erforderlich zu sagen: Das alles wird beraten. Ich wäre dankbar, wenn die Fraktionen das, was beispielsweise bei uns im Ausschuß zu diesem Thema beraten worden ist, gelegentlich überbringen, damit wir uns nicht nachher mit Fehlinformationen auseinandersetzen müssen.
Eine ganz kurze Bemerkung zu einer Frage, die auch am heutigen Nachmittag mehrere Male in den Mittelpunkt gerückt worden ist: Wie sieht es mit der Sicherheit in Osteuropa aus? Wir hatten gerade im Ausschuß den tschechischen Außenminister, der hier sehr besorgte Worte gesprochen hat, weil ihm ebensowenig wie uns die Militärdoktrin behagen kann, die vor zwei Wochen vom russischen Verteidigungsminister vorgetragen worden ist. Mir war jedenfalls bisher nicht klar, daß es eine so ausgesprochene Theorie des nuklearen Erstschlags gab. Die Frage, an wen sich diese Überlegung richte, hat bisher von meinen Gesprächspartnern im Bereich Rußlands noch niemand befriedigend beantwortet. Sie problematisiert vieles, was wir heute auch in der Wahrung der Interessen der Allianz bedenken. Denn wenn es so wäre, wie ein Journalist dort schrieb, daß sich das auch an die Adresse von asiatischen Nuklearstaaten richte, dann müssen wir im Kooperationsrat mit der NATO darüber nachdenken, wo denn durch unsere Zusammenarbeit Sicherheit entstehen soll, mit wem oder möglicherweise auch gegen wen das zu geschehen hätte.
Hier ist die Bundeswehr als Feuerwehr in die Debatte eingeführt worden. Ich glaube, das vergessen wir alle miteinander sehr schnell. Daß der Soldat — das ist auch meine persönliche Überzeugung — auf Dauer in unseren Gesellschaften eine ganz andere Funktion erhalten wird, als das in unserem bisherigen Denken der Fall gewesen ist, davon gehen nicht nur viele bei uns aus, die nachdenken und wissen, daß die politischen Implikationen im Bereich der Sicherheit immer stärker werden. Das kann sicherlich auch im Hinblick auf die Rolle des Soldaten nicht ausgeklammert werden. Wer mit in Belet Uen war, weiß, daß die Soldaten nach dem von den Schweizern in die Debatte geworfenen Begriff des Miles protector auch Schutzfunktionen in unterschiedlichen Bereichen bis hin zur Ökologie — wie in Belet Uen erkennbar —übernehmen müssen. Deshalb sollten wir, meine ich, etwas anspruchsvoller über die Entwicklung dieser Funktionen nachdenken, als dies durch die Bezeichnung „Feuerwehr" möglich ist.



Dr. Hans Stercken
Meine Damen und Herren, es ist von Begriffen die Rede gewesen, die unser politisches Leben dominieren könnten. Ich will die Wertedebatte von heute morgen nicht erneut aufgreifen, aber ich möchte sagen: Ein Begriff fehlt mir, wenn wir schon über Außenpolitik sprechen, ganz und gar, nämlich der der Autorität. Ich kann aus der Ineffizienz verschiedener unserer Handlungen nur schließen, daß die erforderliche Autorität und die sich daraus ergebenden Konsequenzen nicht in wünschenswertem Maße zur Verfügung stehen.
Wir haben hier eine UNO-Debatte geführt, und ich hoffe sehr, daß es nicht die letzte war; denn die Völkergemeinschaft hat schon etwas präziser festzulegen, wie sie denn solche Autorität — falls sie ihr zugewiesen wird — auch im Einzelfall durchzusetzen vermag. Das ist doch unser ganzes Leiden, etwa in der Frage Bosnien.
Vorgestern habe ich mit großer Aufmerksamkeit einen „Zwischenruf" im ZDF von dessen Chefredakteur, der nicht im Verdacht steht, ein Rechtsausleger zu sein, gehört. Ich habe, nachdem ich festgestellt habe, daß kaum jemand das gehört hat, mir vorgenommen, dies heute dem Hohen Hause zur Kenntnis zu bringen.
Allen ist klar,
— sagte Klaus Bresser —
daß Hilfstransporte jetzt wohl nur noch mit Gewalt ans Ziel gebracht werden können. Und was bitte tun Europas Politiker: Redend verschaffen sie sich ein Alibi — die Deutschen voran . . . Die Franzosen sind nicht weniger um Eindruck bemüht, aber konkrete Einsatzpläne gibt es auch bei ihnen nicht. Die Engländer, sie mahnen vornehm zur Zurückhaltung. Allein das kleine Holland ist bereit, für humanitäre Hilfe auch zu kämpfen ... Nein, es geht nicht anders: Der Weg zu den hungernden und frierenden Alten, Kranken, Verwundeten und Kindern muß jetzt mit militärischen Mitteln freigemacht werden gegen Serben, die Hilfskonvois blockieren, und gegen Kroaten, die auf Menschen schießen, die nach den aus der Luft abgeworfenen Lebensmitteln suchen. Wer Nahrung, Medikamente und Brennholz mit der Waffe in der Hand zu den Menschen bringt, der führt ja noch nicht Krieg ... Er versucht nur, Zivilisten vor dem Verrecken zu bewahren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, Sie können sich unschwer denken, warum ich das hier einmal vorgetragen habe. Es treibt mich langsam wirklich um, daß immer wieder angeklagt wird, ein Schuldiger da, dort oder wo immer gesucht wird. Ohne die Autorität für die Errettung der Menschen, auch diese Entschlossenheit zu besitzen, gibt es keine Alternative, um den Bosnien-Konflikt zu beenden.
Meine Damen und Herren, ich sehe, es steht nur noch eine Minute Redezeit zur Verfügung. Ich möchte sie nutzen, um ein Versprechen einzulösen. Wir werden uns in Kürze, möglicherweise sogar in einer Anhörung, mit den neuen Strukturen für den auswärtigen Dienst zu befassen haben. Denn keiner von uns
vermag mehr einzusehen, daß es in Bombay zwölf europäische Konsuln gibt, die alle ein Visum nach Europa ausstellen. Es ist ein Skandal, daß es bei der nationalen Einstellung in vielen unserer europäischen Nachbarländer nicht möglich wird, den auswärtigen und konsularischen Dienst so schnell miteinander zu verschmelzen, wie dies von der Aufgabe der Gemeinschaft her vorgegeben wäre. Ich wollte das nur anreißen, ohne daß ich jetzt noch genauer darauf eingehen kann.
Die letzte Zusage betrifft — da wende ich mich, Frau Staatsministerin, an Sie — die deutschen Bediensteten bei den Vereinten Nationen. Ich kämpfe seit Jahr und Tag darum, daß dieser Nachholbedarf endlich erfüllt wird. Ich habe mir den Vorschlag erlaubt, daß die Bundesregierung nach dem Beispiel der Franzosen und vieler anderer verführe und eine zentrale Stelle — nicht den auswärtigen Dienst, sondern den Regierungschef — mit dieser Aufgabe betraue. Ich habe vorgeschlagen, das an das Bundeskanzleramt zu delegieren. Aber es ist gesagt worden: Nein, wir wollen das weiter im auswärtigen Dienst behalten.
Meine Damen und Herren, Deutsche bei den Vereinten Nationen, und zwar in sämtlichen Organisationen: im Jahre 1985 890, am Jahrsende 1992 815, also ein Minus von 6,7 %. Das ist das Ende unserer Bemühungen zur Wahrung unserer Interessen in den Vereinten Nationen, denen wir so viele Aufgaben zuweisen möchten, meine Damen und Herren.

(Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Da haben Sie völlig recht! Und dann große Sprüche machen!)

Wir werden uns im Auswärtigen Ausschuß damit zu beschäftigen haben, nicht nur in der Wahrung deutscher Interessen, sondern auch in Konsequenz all dessen, was wir da einfordern. Ich fordere ein, daß wir uns an dem beteiligen, zu dem die Vereinten Nationen befähigt sein sollen, und folgere daraus dann unsere Forderung, an der Gestaltung der Sicherheitspolitik der Vereinten Nationen mitzuwirken. Aber dazu sollten wir in den Institutionen der Vereinten Nationen auch hinreichend Personal besitzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219208800
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Beratung des Einzelpans 14.
Ich erteile dem Abgeordneten Horst Jungmann das Wort.

(Zuruf von der F.D.P.: Ist das die Rede aus dem letzten Jahr?)


Horst Jungmann (SPD):
Rede ID: ID1219208900
Wissen Sie, Herr Kollege Koppelin, ich würde an Ihrer Stelle ein bißchen zurückhaltender sein.

(Zuruf von der F.D.P.: Warum eigentlich?)

Auf das, was Sie öffentlich ankündigen und tatsächlich in politische Realität in diesem Plenum umsetzen, komme ich in meiner Rede noch zurück.

(Beifall bei der SPD — Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Ich bedanke mich jetzt schon!)




Horst Jungmann (Wittmoldt)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Haushaltsausschuß in seiner letzten Sitzung die weisen Beschlüsse der Koalitionsfraktionen dem Plenum zur endgültigen Beratung vorgelegt hat, könnte ich mich beruhigt zurücklehnen und feststellen: Durch die globale Minderausgabe von insgesamt 5 Milliarden DM muß der Verteidigungsminister aus seinem Einzelplan 14 ca. 2,4 Milliarden DM einsparen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Vorsicht, Vorsicht!)

Das bedeutet, daß die von Minister Rühe in der ersten Lesung des Haushalts am 18. September festgelegte unterste Marge für den Plafond des Verteidigungsetats zur Aufrechterhaltung der Einsatzfähigkeit der Streitkräfte von 48,6 Milliarden DM auf 46,1 Milliarden DM reduziert wird. Damit, Herr Minister, sind alle Ankündigungen und Versprechungen gegenüber den Angehörigen der Bundeswehr, einen sozialverträglichen Abbau und Strukturwandel für die Streitkräfte und das Zivilpersonal durchzuführen, über den Haufen geworfen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat bei den vergangenen Haushaltsberatungen genauso wie bei diesen — Herr Kollege Weng, wenn Sie bei den Haushaltsberatungen zugehört hätten, hätten Sie gestern meinem Kollegen Wieczorek nicht den falschen Vorwurf machen können, wir hätten keine Kürzungsvorschläge gemacht —

(Ernst Waltemathe [SPD]: Er hört auch jetzt nicht zu!)

Kürzungsanträge gestellt, die von Ihnen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, immer als unrealistisch abgetan worden sind.

(Zuruf von der CDU/CSU: Mit Recht!)

Nachdem Sie in den Berichterstattergesprächen, Herr Kollege Strube, endlich einmal die Kraft aufgebracht haben, mit mir gemeinsam z. B. bei der NATO- Infrastruktur 87 Millionen DM zu streichen, sind Sie, nachdem Sie einen Anruf des Generalsekretärs der NATO, des ehemaligen Verteidigungsministers Manfred Wörner, erhalten haben,

(Zuruf von der CDU/CSU: Der war sehr überzeugend!)

bei den abschließenden Entscheidungen im Haushaltsausschuß wieder umgefallen und waren nur zu einer mageren Kürzung von 37 Millionen DM bereit. Wenn ich richtig informiert bin — und Sie haben ja Gelegenheit, Herr Strube, das nachher gegebenenfalls zu berichtigen —, ist der Ansatz für die NATO- Infrastruktur nicht von der globalen Sperre ausgenommen. Das heißt, daß der ursprüngliche Kürzungsbetrag fast wieder erreicht wird. Haben Sie das Herrn Wörner schon mitgeteilt?

(Ernst Waltemathe [SPD]: Herr Wörner spricht ja nur Englisch!)

Die von Herrn Rühe aufgebaute Meßlatte, einen Personalumfang von 370 000 Soldaten zu erreichen — darunter gehe nichts, wie er sagt — und einen sozialverträglichen Umbau der Streitkräfte sowie eine kontinuierliche Beschaffungspolitik durchzuführen,
kann von Ihnen selbst nach dem, was der Haushaltsausschuß Ihnen auferlegt hat und in der zweiten und dritten Lesung auch der Deutsche Bundestag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen Ihnen auferlegen wird, nicht mehr überwunden werden. Die Zusagen des Bundeskanzlers und der Verteidigungspolitiker Ihrer Fraktion vom Sommer dieses Jahres, den Plafond nicht unter 48,6 Milliarden DM abzusenken, sind nach dem, was Ihnen die Haushälter Ihrer Koalitionsmehrheit ins Nest gelegt haben, nur Makulatur und nicht mehr das Papier wert, auf dem sie geschrieben sind. Die Beschlüsse der Mehrheit des Haushaltsausschusses haben zu einer Auflage geführt, die Sie, Herr Rühe, in eine schwierige Situation bringt.

(Bundesminister Volker Rühe: Das stimmt!)

Meine Damen und Herren, es wird Sie nicht überraschen, daß wir diesem Verteidigungsetat so nicht zustimmen können. Wir haben unsere eigenen realistischen und sachbezogenen Kürzungsvorschläge eingebracht, denen Sie ohne Wenn und Aber folgen sollten, denn die Koalitionsfraktionen haben in den parlamentarischen Beratungen weder die Kraft noch den Mut zu eigenen detaillierten Einsparungsvorschlägen aufgebracht.

(Beifall bei der SPD -Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Lassen Sie mich diesen Gedanken noch zu Ende bringen.
Kommen Sie nicht mit den mageren 117 Millionen DM, die Sie unter schwierigen Bedingungen eingespart haben. Ich will mir dazu Aussagen ersparen.
Im übrigen widerspricht das, was Sie im Haushaltsausschuß gemacht haben, in eklatanter Weise dem Haushaltsrecht, der Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Dem Recht auf keinen Fall!)

Im Haushaltsgesetz werden zur Deckung einer im Einzelplan 60 ausgebrachten globalen Minderausgabe von 5 Milliarden DM global 10 % aller Ausgaben bestimmter Titel gesperrt, die ein Vielfaches des im Haushalt ausgewiesenen Finanzierungsdefizits ausmachen. Dabei sind auch Ausgaben gesperrt, die auf Grund von bestehenden gesetzlichen Verpflichtungen zu leisten sind oder durch bestehende Verträge bereits voll gebunden sind. Dies nenne ich schlicht unseriös.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Der Finanzminister wird ermächtigt, in derartigen Fällen einige Titel von der Sperre auszunehmen und gegebenenfalls die Sperre zu verlagern. Von Klarheit und Wahrheit kann aber keine Rede sein. Vielmehr ist dies eine Bankrotterklärung der derzeitigen Regierungspolitik.

(Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Da klatschen noch welche, ohne sich zu schämen!)

— Wissen Sie, Herr Kollege Weng: Wenn Sie Ihre
Überheblichkeit einmal ein bißchen zurückstellen
und auf den Boden der Realitäten zurückkommen



Horst Jungmann (Wittmoldt)

würden, dann wüßten Sie, daß Sie selbst im Haushaltsausschuß globale Minderausgaben in einer viel niedrigeren Höhe kritisiert und als unparlamentarisch dargestellt haben.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: So ist es!)

Jetzt tun Sie, als sei das alles rechtlich einwandfrei, nämlich 5 Milliarden DM innerhalb von zwei Stunden als globale Minderausgabe einzusetzen. Nun fassen Sie sich einmal an Ihre eigene Nase, überlegen sich, was Sie sagen, und kommen dann wieder und melden sich zu Wort. Dann können Sie reden.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219209000
Herr Abgeordneter Jungmann, diesen Gefallen tut er Ihnen nicht. Er bittet Sie, eine Frage zu beantworten.

Horst Jungmann (SPD):
Rede ID: ID1219209100
Das werde ich tun.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219209200
Herr Abgeordneter Weng, Sie haben das Wort.

Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1219209300
Herr Kollege Jungmann, nachdem ich mich an die Nase gefaßt habe, gestatten Sie mir den Hinweis, daß meine Kritik an globalen Minderausgaben zu Beginn einer Behandlung im Haushaltsausschuß nach meinem Dafürhalten auch immer begründet war, daß sich aber in der Endphase, in der wir auf Grund neuer Fakten zu dieser globalen Minderausgabe genötigt waren, der Sachverhalt anders darstellte.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219209400
Wir müssen uns jetzt das Fragezeichen hinzudenken.

(Zuruf von der CDU/CSU: Es war klar ersichtlich!)


Horst Jungmann (SPD):
Rede ID: ID1219209500
Ich habe das schon verstanden. Ich kenne ihn ja etwas länger.
Herr Kollege Weng, wenn Sie sich einmal überlegen, was in Art. 110 des Grundgesetzes steht, nämlich daß der Deutsche Bundestag in Einnahmen und Ausgaben einen ausgeglichenen Haushalt zu verabschieden hat, dann kann Ihre Kritik, was globale Minderausgaben anbetrifft, nicht am Beginn der Beratungen stehen, sondern muß am Ende stehen. Denn die globale Minderausgabe ist haushaltsrechtlich und im Grundgesetz nicht vorgesehen. Sie hat sich in der Haushaltspraxis als ein Instrument entwickelt, das seine Berechtigung allenfalls nur in einer Größenordnung hat, die erfahrungsgemäß als Bodensatz aller nicht in Anspruch genommenen Ausgabenermächtigungen verbleiben würde. Das stimmt hier nicht.
Wenn Sie mir das nicht glauben, Herr Kollege Weng, dann lesen Sie die haushaltsrechtlichen Kommentare nach. Da steht das alles unisono geschrieben. Das gibt Ihnen die Möglichkeit, endlich auf den Boden der Realitäten zurückzukommen.

(Beifall bei der SPD — Ernst Waltemathe [SPD]: Fünf, setzen!)

Schon die globale Minderausgabe von 1,77 Milliarden DM im Nachtragshaushalt 1993 war bedenklich.
Wenn das Parlament aber bei der Haushaltsfeststellung in einer Größenordnung von 5 Milliarden DM seine Verantwortung zum Haushaltsausgleich an den Finanzminister delegiert, der sich mit dem Haushaltsausschuß — und man höre und staune — noch informatorisch ins Benehmen zu setzen, nicht aber seine Einwilligung einzuholen hat, und wenn Sie immer wieder behaupten, das Parlament sei beteiligt, dann ist das tatsächlich eine Irreführung und politisch unverantwortlich; denn Sie überlassen der Exekutive die Kürzungsmöglichkeiten und verzichten auf das parlamentarische Budgetrecht. Dies ist ebenfalls in allen haushaltsrechtlichen Kommentaren nachzulesen, Herr Kollege Weng; damit Sie die Fundstellen auch finden.
Ich denke, ein Haushalt, der an Stelle gezielter Ausgabenkürzungen ein Übermaß hoher globaler Minderausgaben vorsieht, kann nur formal, nicht aber materiell als ausgeglichen angesehen werden. Das steht auch so in unserem Grundgesetz, nämlich in Art. 110.
Rechnerisch entfallen von den haushaltsgesetzlichen Sperren auf den Verteidigungsetat 2,4 Milliarden DM. Wie hoch der Betrag tatsächlich ist, um den der Verteidigungsetat gekürzt wird, weiß ich nicht. Ich glaube auch nicht, Herr Kollege Strube, daß Sie oder Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen das wissen.

(Hans-Gerd Strube [CDU/CSU]: Wir werden das gemeinsam festlegen!)

Auch der Verteidigungsminister weiß das zur Stunde nicht. Deswegen gibt es erhebliche Unsicherheiten auch gegenüber den Menschen in der Bundeswehr.
Meine Damen und Herren, ich mache keinen Hehl daraus, daß die Kürzungsanträge meiner Fraktion den Verteidigungshaushalt auf etwa 47,2 Milliarden DM reduzieren würden. Weitere realistische Kürzungsmöglichkeiten sehe ich nur, wenn man nicht dogmatisch an den 370 000 Soldaten festhält.
Darüber hinaus gibt es natürlich noch Kürzungsmöglichkeiten, die sich in späteren Haushaltsjahren erst auswirken werden. Denn Versäumnisse und Fehler, die Sie, Herr Rühe, und Ihre Vorgänger gemacht haben, lassen sich in ihren Folgen so schnell nicht korrigieren. Sie haben in der Beschaffungspolitik teilweise an Planungen aus der Zeit des Kalten Krieges festgehalten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie haben den Jager 90 nicht gestoppt.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das will Herr Schröder doch nicht!)

— Auf Sie komme ich gleich noch zurück. Sie kriegen Ihr Fett auch noch ab, Herr Koppelin.

(Heiterkeit bei der SPD)

Die sogenannte Umorientierung auf den Eurofighter 2000 gestaltet sich — und Sie wissen das, Herr Rühe — doch äußerst zäh. Die Kürzung des Jäger-Titels um 300 Millionen DM im letzten Jahr brachte natürlich keine Entlastung für das Programm. Sie müssen das Geld eben später mit Zins und Zinseszins an die Rüstungsindustrie zahlen.



Horst Jungmann (Wittmoldt)

Zusätzlich ist zu befürchten, daß auch im Jahre 1994 die von Ihnen der Industrie präsentierte Rechnung höher ausfallen wird, als Sie kalkuliert haben. Die ganz große Rechnung kommt erst viel später. Der Rechnungshof hat Ihnen ja in seinem Bericht angedeutet, was die Entwicklungskosten nach Auffassung des Rechnungshofes am Ende der Entwicklung betragen werden, nämlich 9,5 bis 10 Milliarden DM und nicht 5,85 Milliarden DM, wie das von Ihnen angekündigt worden ist.

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Richtig, abgerechnet wird am Schluß!)

Leider werden wir auch noch mit den Kosten der Entwicklung — das habe ich gerade schon angedeutet — große Regierungsversäumnisse mit einem hohen Preis bezahlen müssen, weil nicht rechtzeitig aus dem Programm, als noch Geld hätte gespart werden können, ausgestiegen worden ist.

(Beifall bei der SPD)

Ich nehme an, Herr Kollege Weng und Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., daß Sie es, wenn Sie das Desaster bei der Entwicklung und Erprobung des Jäger 90 jetzt sehen, jetzt schon bedauern, so lange, viel zu lange das Jäger-Programm gestützt zu haben.
Nun fordert der Herr Kollege Koppelin auch noch öffentlich einen Untersuchungsausschuß

(Zuruf von der SPD: Wofür?)

für ein Entwicklungs- und Erprobungsprogramm, das mit seiner Stimme vor zwei Jahren im Verteidigungsausschuß hätte zu Fall gebracht werden können.

(Gerlinde Hämmerle [SPD]: Aha! — Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das ist nicht korrekt!)

— Wir können ja im Protokoll nachlesen, ob das korrekt ist.

(Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: So ist das mit der Glaubwürdigkeit!)

Was mit dem Untersuchungsausschuß ist, das müssen Sie einmal mit Ihrer eigenen Fraktion abklären. Ich glaube, Ihre Fraktion hat in diesem Fall so ein großes Interesse an einem Untersuchungsausschuß wie Sie nicht, weil sie nicht vorgeführt werden will, welche Fehler in der Beschaffung beim Jäger 90 gemacht worden sind.

(Beifall bei der SPD — Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Herr Rühe, ich gebe Ihnen den guten Rat — ich rede ja heute genauso wie mein Kollege Waltemathe auch zum letzten Mal —:

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist auch gut so!)

Ehe Sie in die Produktionsreife einsteigen, ist die letzte Möglichkeit, aus der Beschaffungsphase auszusteigen. Dies ist die erste und letzte Möglichkeit. Wenn Sie die Produktionsphase eingeleitet haben, ist der „point of no return" — wie das immer so schön in Neudeutsch heißt — erreicht.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau!)

Steigen Sie aus! Ersparen Sie dem deutschen Steuerzahler viel Geld für ein Jagdflugzeug, das im Jahre 2002 eine Leistungsfähigkeit von Flugzeugen haben wird, die heute schon auf dem Markt zu kaufen sind!

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219209600
Herr Abgeordneter Jungmann, der Abgeordnete Koppelin möchte eine Zwischenfrage stellen.

Horst Jungmann (SPD):
Rede ID: ID1219209700
Darf ich einmal einen Gedanken und einige Dinge im Zusammenhang darstellen? Sie haben ja nachher — wenn ich das richtig gesehen habe — auch noch Gelegenheit, Herr Koppelin, etwas zu sagen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219209800
Es ist Ihr gutes Recht, Zwischenfragen nicht zuzulassen.

Horst Jungmann (SPD):
Rede ID: ID1219209900
Wir werden uns damit auseinandersetzen müssen, daß die derzeitige Bundesregierung der Industrie bei der Beschaffungspolitik die falschen Signale gegeben hat, daß sie nicht durch eine wohlüberlegte Konversionspolitik die Weichen in die richtige Richtung gestellt, sondern bei der Beschaffung Erwartungen geweckt hat, die sich als unerfüllbar erweisen.
Wenn jetzt Rüstungsaufträge ausbleiben, können die von Ihnen fehlgeleiteten Unternehmen kaum anders als mit Entlassungen reagieren, die den Sozialhaushalt über Gebühr belasten werden. Damit dürfte der Sozialhaushalt wohl bei der Deckung der globalen Minderausgabe weitgehend ausscheiden.
Da auch der zweitgrößte Einzelplan, nämlich der Schuldendienst, keinen Beitrag zur Deckung der globalen Minderausgabe leisten kann, wird dem Einzelplan 14 ein auch von Ihnen immer wieder, Herr Kollege Strube, vehement abgelehntes Sonderopfer auferlegt.
Ich wiederhole: Ich weiß nicht, welcher Betrag dem Einzelplan 14 zur Deckung der im Einzelplan 60 veranschlagten globalen Minderausgabe abverlangt wird. Es werden wohl mehr sein als die von mir beantragten 770 Millionen DM. Es können auch 1,5 Milliarden DM sein, Herr Rühe, oder aber auch die rechnerisch möglichen 2,4 Milliarden DM. Niemand in diesem Haus kann das heute eindeutig sagen.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Unmöglich!)

Das hat mit Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit bei der Verabschiedung eines Bundeshaushalts überhaupt nichts zu tun.

(Beifall bei der SPD)

Einem solchen Haushalt, dessen verfügbarer Plafond bei 48 oder bei 47 oder bei 46,1 Milliarden DM oder einer beliebigen Zahl irgendwo dazwischen liegen kann, wollen Sie die Zustimmung geben? Mit den Stimmen meiner Fraktion können Sie selbstverständlich nicht rechnen.

(Dr. Willfried Penner [SPD]: Richtig! Besser kann man es nicht formulieren!)

Bei der ersten Lesung des Einzelplans 14 am 8. September 1993 haben Sie, Herr Kollege Strube, beklagt,



Horst Jungmann (Wittmoldt)

daß die Struktur des Einzelplans 14 nicht mehr gesund sei, daß die Betriebsausgaben im Verhältnis zu den investiven Ausgaben viel zu hoch seien. Insoweit stimme ich Ihnen zu, aber die Lösung haben Sie und Ihre Freunde zwischen der Haushaltsberatung am 8. September und heute nicht gefunden.

(Hans-Gerd Strube [CDU/CSU]: Kleiner Ansatz!)

Sie stecken wie weiland Vogel Strauß Ihre Köpfe in den Sand, lassen das Jahr 1994 mit aller Ungewißheit auf sich zukommen und tun nichts.

(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Der Vogel heißt jetzt Stoiber!)

Sie entscheiden nach dem Motto „Mehrheit ist Mehrheit", ohne die praktischen Auswirkungen auf die Menschen zu berücksichtigen.

(Beifall bei der SPD)

Die Folgen für die Beschäftigten in der Bundeswehr sind Ihnen völlig egal. Damit tragen Sie zur Verunsicherung in den Streitkräften bei. Das haben die Menschen in der Bundeswehr nicht verdient. Sie haben in schwierigen Zeiten die deutsche Einheit in den Streitkräften unter schwierigen Bedingungen vollendet und in anerkennenswerter Weise vollzogen.
Wahrscheinlich ist Ihnen jetzt auch schon gleichgültig, was aus dem Jahre 1995 wird, wenn Sie auf der Oppositionsbank sitzen und wir die von Ihnen eingebrockte Suppe auslöffeln dürfen. So sieht es doch aus.

(Beifall bei der SPD — Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Nie!)

— Man sollte im Leben, Frau Kollegin, nie nie sagen; das kann einen schon morgen einholen.
Durch Ihre, eine völlige Ratlosigkeit offenbarende Reaktion auf die jüngsten Steuerschätzungen, d. h. durch die 10 %-Sperre auf die Ausgaben auch der Obergruppe 55, also der verteidigungsinvestiven Ausgaben, verändern Sie die Struktur des Verteidigungshaushaltes weiterhin in die verkehrte Richtung.
Ich darf Ihnen vorrechnen, was geschieht, wenn der Verteidigungshaushalt, was zu befürchten ist, voll von der Haushaltssperre getroffen wird. Der Anteil der Betriebsausgaben steigt von 78,1 % auf 80,3 %. Der Anteil der verteidigungsinvestiven Ausgaben sinkt von jetzt 21,9 % auf nur noch 19,7 %. Dabei halten Sie — so haben Sie es in der ersten Lesung gesagt — ein Verhältnis von 30 % Investitionen zu 70 % Betriebsausgaben für einen einigermaßen gesunden Ansatz. Ich frage mich, was an dem Haushalt noch gesund ist.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie waren nicht gut beraten, als Sie Ihren Beschlußantrag nach der Rasenmähermethode eingebracht haben, dessen Folgen auf den Verteidigungshaushalt Sie wohl überhaupt nicht bedacht haben. Aber so pflegen Sie es ja zu halten: zuerst einmal handeln, und erst, wenn sich negative Folgen zeigen, fangen Sie an, darüber nachzudenken, was Sie mit Ihrem unüberlegten Aktionismus angerichtet haben. Das nenne ich vorausschauende Politik.
Ein praktisches Beispiel hat der Verteidigungsausschuß am 29. September 1993 geliefert. Ich will darauf nicht im Detail eingehen.
Im Gegensatz zu früher sehe ich nur den stellvertretenden Generalinspekteur hinter der Regierungsbank sitzen; früher saßen da auch noch die Inspekteure. Ich denke, es muß eine große Freude sein, jetzt auf der Hardthöhe einen Bundeswehrplan aufzustellen. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen dabei, unter den Prämissen des Haushalts 1994 die Zukunft der Bundeswehr zu gestalten, für eine kleinere, aber feinere Bundeswehr eine auf neue Aufgaben optimierte, Krisenreaktionskräften angemessene Ausrüstung zu planen, wenn die Eckdaten nicht stimmen, wenn die Zahl von 370 000 Soldaten für den Friedensumfang ein Tabu ist.
Richtig ist, Herr Rühe, daß sich auch die Bundeswehr stetig und systematisch an die veränderten Rahmenbedingungen und neuen Aufgaben anpassen muß und dazu keine sich überholenden Reduzierungsmodelle, keine immer neuen Umgliederungen, kein permanentes Hin und Her bei der Stationierung, keine Spekulationen über die Änderung der Wehrform, sondern Ruhe und Planungssicherheit benötigt. Aber dies hat zur Voraussetzung, daß die Eckdaten realistisch, d. h. finanzierbar sind. Die Bundeswehr braucht also ein wohlüberlegtes, aufgabengerechtes und finanzierungsfähiges Reduzierungsmodell sowie eine optimale Stationierungsplanung.
Auch bestimmte Standorte dürfen nicht — das sage ich hier bewußt; ich habe es in den letzten vier Jahren bei der Standortdebatte immer wieder gesagt — tabuisiert werden. Sie wissen, wo die größten Stationierungen sind: Sie sind im Süden Deutschlands. Dann können Sie mit dem Finanzminister — —

(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Sie sollten nicht hierhin, sondern zur SPD gucken! — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Er kann gukken, wohin er will! — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie sollten ihm ins Auge schauen!)

— Herr Kollege Koppelin, wissen Sie, wenn ich dem Verteidigungsminister etwas sage, dann mache ich es im Gegensatz zu vielen anderen Leuten so, daß ich ihn angucke, egal wer da oder dort sitzt.
Herr Minister, noch einmal: Auch Standorte dürfen nicht tabuisiert werden.
Das Haushaltsgesetz sieht auch eine zusätzliche Sperre von 5 % bei den Reisekosten vor. Ich hoffe, Herr Rühe, daß diese Kürzung dazu dient, Ihre Reisetätigkeit in Zukunft drastisch einzuschränken und daß Sie die Zeit sinnvoll nutzen können, um ein finanzierungsfähiges Reduzierungsmodell für die Bundeswehr zu erarbeiten, es sei denn, Sie haben mit Ihrer politischen Laufbahn als Minister schon abgeschlossen und überlassen die schwierigen Aufgaben den Sozialdemokraten.
Die Ausgaben, die für die Verteidigung bewilligt werden sollen, sind nicht hinreichend fest bestimmt, Herr Minister. Mit Ausnahme der Personalausgaben, die über 52 % des Etats ausmachen, unterliegen alle



Horst Jungmann (Wittmoldt)

Ausgaben einer Sperre von mindestens 10 %, es sei denn, der Finanzminister läßt Ausnahmen zu und erwirtschaftet die globale Minderausgabe an anderer Stelle. Diese Vorgabe gestattet keine ordnungsgemäße Haushaltsführung. Die gesetzlichen und auch die vertraglichen Zahlungsverpflichtungen können Sie vielleicht noch erfüllen. Aber ob die Bundeswehr ihren gesetzlichen Auftrag und ihre Bündnispflichten noch erfüllen kann, erscheint mir recht fraglich.
Den Ausgaben liegt keine realistische Planung zugrunde. Wichtige Vorhaben der Bundeswehrplanung sind Makulatur. Selbst Rüstungskooperationen sind gefährdet. Sie werden tiefe Eingriffe in die Übungsplanung vornehmen müssen. Die Ausbildung wird zurückgeschnitten werden müssen. Die Infrastrukturplanung wird desolat sein. Den Entwurf des Bundeswehrplans 1995, den Sie dem Parlament im Dezember vorlegen sollen, können Sie gleich dem Reißwolf überantworten. Er ist nämlich nicht mehr das Papier wert.

(Beifall bei der SPD)

Zu Somalia ist heute schon viel gesagt worden. Die Entscheidung, die die Bundesregierung damals getroffen hat, sich an der UNO-Mission in Somalia zu beteiligen, war meiner Auffassung weniger von der Überzeugung der Notwendigkeit des Einsatzes bestimmt. Sie diente vielmehr innenpolitisch dazu, Fakten zu schaffen. Dabei ist am Ende ein ungeordneter, zwischen dem Verteidigungs- und dem Außenminister strittiger Rückzug herausgekommen,

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Leider wahr!)

der nicht dazu geeignet ist, das Ansehen der Bundesrepublik zu stärken.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das kann man wohl sagen!)

Herr Minister, ziehen Sie die Soldaten so schnell wie möglich ab!

(Beifall bei der SPD)

Sie haben das vor. Der Außenminister sollte Sie nicht daran hindern. Denn 300 Millionen DM könnten sinnvoller und effektiver für humanitäre Hilfe eingesetzt werden, wie z. B. auf dem Balkan oder in Kambodscha.
Den Soldaten ist wegen der Entscheidung der Bundesregierung überhaupt kein Vorwurf zu machen. Sie haben aus der von der Regierung verfahrenen Situation das Beste gemacht.
Mein besonderer Dank gilt vor allem den Piloten und Besatzungen der Transall-Maschinen,

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)

die fast täglich unter Lebensgefahr Lebensmittel und Medikamente nach Sarajevo einfliegen und gemeinsam mit Franzosen und Amerikanern über Bosnien abwerfen.
Wir müssen endlich eine politische Lösung für den Einsatz der Bundeswehr unter UNO-Befehl finden.
Was meine Partei dazu zu sagen hat, ist hier schon ausgeführt worden.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Aber nicht das letzte Wort!)

Maßstab dessen dürfen nicht Kampfeinsätze sein, sondern Maßstab dessen soll die humanitäre Hilfe und die Hilfe für das Leben der Menschen sein. Meine Partei hat sich bewegt. Um einen verfassungspolitischen Konsens zu finden, muß man aufeinander zugehen und kann nicht nach der Methode „Alles oder nichts" verfahren. Wer alles will, bekommt am Ende nichts.

(Beifall bei der SPD — Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Die SPD sollte sich bewegen!)

Meine Damen und Herren, der Verteidigungshaushalt ist der Ausdruck einer verfehlten, nicht zu Ende gedachten Verteidigungspolitik, die nicht der realen Umwelt gerecht wird.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Richtig! )

Die Bundesregierung läuft Gefahr, in diesem Bereich den Rest ihrer Glaubwürdigkeit, falls sie überhaupt noch eine hat, zu verlieren. Der Verteidigungsminister müßte nach dem, was er in der ersten Lesung gesagt hat, eigentlich seinen Hut nehmen, wenn dieser Haushalt in der zweiten und dritten Lesung so beschlossen wird.

(Beifall bei der SPD)

Ich wiederhole: Meine Fraktion stimmt diesem nach meiner Auffassung gegen das Grundgesetz verstoßenden Verteidigungshaushalt nicht zu.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, Sie haben beim Haushalt 1993 schon einmal eine Beschlußempfehlung der Mehrheit im Haushaltsausschuß in der zweiten Lesung an den Haushaltsausschuß zurücküberwiesen. Da ging es um die Personalstruktur. Damals waren Sie guten Argumenten zugänglich und haben eingesehen, daß dies, auch wenn Sie es im Plenum des Deutschen Bundestages beschließen würden, nicht realisierbar wäre. Deswegen gebe ich Ihnen den guten Rat und die Empfehlung: Verfahren Sie genauso wie damals mit der Beschlußempfehlung heute mit dem Bundeshaushalt 1994 in seiner Gesamtheit und überweisen Sie ihn an den Haushaltsausschuß zurück, damit gegebenenfalls auf der Basis eines neuen Regierungsentwurfs das Parlament, seiner verfassungsmäßigen Aufgabe entsprechend, einen in Einnahmen und Ausgaben ausgeglichenen Bundeshaushalt feststellen kann.
Es würde diesem Hause gut anstehen, wenn politische Entscheidungen, die zum Haushaltsausgleich notwendig sind, vom Parlament getroffen und nicht ohne Not der Exekutive überlassen werden.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben dazu nicht mehr die Kraft. Das Ende Ihrer Koalition beginnt damit.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)





Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219210000
Ich erteile nun dem Abgeordneten Hans-Gerd Strube das Wort.

Hans-Gerd Strube (CDU):
Rede ID: ID1219210100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Horst Jungmann, ich habe mich bei Ihrer Rede gefragt: Was hätten Sie bloß heute gesagt, wenn wir die 5 Milliarden DM nicht global gesperrt hätten? Es muß doch ein ganz besonders hervorragendes Gefühl für Sie gewesen sein, einmal in eine andere Rolle schlüpfen zu dürfen.

(Ernst Waltemathe [SPD]: Ach, Sie haben ihm die Rede ermöglicht? Das war der eigentliche Grund?)

Der Verteidigungshaushalt 1994 sieht nach den Empfehlungen des Haushaltsausschusses Ausgaben in Höhe von rund 48,5 Milliarden DM vor. Das sind etwa 1,4 Milliarden DM weniger, als der Plafond für 1993 ausweist, bzw. rund 1 Milliarde DM weniger, als der Verteidigungsminister nach Abzug der im Nachtragshaushalt ausgebrachten Sperren und Verstärkungen für die Lohnrunde 1993 in diesem Jahr ausgeben kann.
Nach Abschluß der Beratungen im Haushaltsausschuß mußten die Steuereinnahmeschätzungen nach unten korrigiert werden; denn auch die „fünf Weisen" des Sachverständigenrates sehen für 1994 noch keine Konjunkturbelebung. Da wir einen ausgeglichenen Haushalt zu verabschieden haben und uns nicht noch höher verschulden können, müssen die Staatsausgaben in größtmöglichem Umfang eingeschränkt werden. Deshalb haben wir im Bundeshaushalt eine globale Minderausgabe von 5 Milliarden DM vorgesehen, zu der auch der Verteidigungshaushalt seinen Beitrag leisten muß.
Im Haushaltsgesetz haben wir vorgesehen, daß alle Sachausgaben, aber auch alle militärischen Beschaffungen, Entwicklungen und Infrastrukturausgaben in Höhe von 10 % gesperrt werden. Dies — das sei eingeräumt — würde eine überproportionale Beteiligung der Verteidigungsausgaben an der Erbringung der globalen Minderausgaben bedeuten und, wäre dies das letzte Wort, zugleich unvertretbare Einschnitte in Betrieb und Struktur der Bundeswehr notwendig machen.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Sehr mutig!)

Durch das Haushaltsgesetz wollen wir aber den Finanzminister ermächtigen, im Benehmen mit dem Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages Ausnahmen zuzulassen, damit rechtliche Verpflichtungen erfüllt und zukunftsorientierte Politikschwerpunkte beibehalten werden können. Hier ist also zunächst die Regierung gefordert, mit Augenmaß und nicht mit der Rasenmähermethode zu agieren.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Die soll das bringen?)

Nun mag man uns vorwerfen, wir selbst hätten uns des Rasenmähers bedient und unser Budgetrecht aufgegeben. Dies ist nicht der Fall. Ohne parlamentarische Beteiligung läuft nichts. Aber wir erhalten eine
Flexibilität bei der Haushaltsdurchführung, die es der Regierung im Benehmen mit uns gestattet, alle unabweisbar notwendigen Ausgaben zu leisten und dabei der Entwicklung der finanziellen Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen.
Natürlich kann niemand erwarten, der Verteidigungsbereich könne voll entlastet werden. Aber, meine Damen und Herren, ebenso kann niemand erwarten, daß der Verteidigungsminister die Hälfte der globalen Minderausgaben erbringt. Auch ohne Berücksichtigung dieser haushaltsgesetzlichen Sperre haben wir der Bundeswehr mit dem Verteidigungshaushalt einen so engen Anzug geschneidert, daß er nicht nur kneift, sondern eine Schlankheitskur erfordert.
Die Bundeswehr muß schlanker werden. Der Friedensumfang wird bis Ende 1994 auf 370 000 Soldaten reduziert. Nur, ganz verzichten können wir auf eine einsatzfähige, entsprechend den Erfordernissen im Bündnis ausgerüstete Bundeswehr nicht. Denn auch wenn sich die Aufgaben im Bündnis wandeln und eine große Konfrontation mit dem Osten weniger aktuell ist, so müssen wir doch feststellen, daß zahlreiche Konfliktherde mit allen ihren Risiken weiter bestehen, ja, noch neu entstehen. Das Bündnis der NATO ist für unsere nationale Sicherheit unverzichtbar. Es steht nicht zur Disposition.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Aus Anlaß der ersten Lesung des Haushalts 1994 habe ich beklagt, daß der Regierungsentwurf ein weiteres Absinken der Investitionen um rund 1,6 Milliarden DM auf einen Anteil von nur noch knapp 21,5 % am Verteidigungshaushalt vorgesehen hat. Ich habe angekündigt, daß wir bei den Beratungen im Haushaltsausschuß auf eine Verbesserung der Situation achten würden. In Höhe von rund 300 Millionen DM konnten wir eine Strukturverbesserung durch Umschichtung aus dem Betriebsbereich in die Investition erreichen und damit den Anteil der Investitionen am Verteidigungsplafond auf rund 21,9 % verbessern. Ich räume ein: Es ist ein bescheidener Erfolg. Doch auch wir haben bei den Beratungen der Tatsache Rechnung tragen müssen, daß die Betriebskosten nicht beliebig abgesenkt werden können und daß langfristige rechtliche Verpflichtungen in vielfältiger Hinsicht bestehen, die erfüllt werden müssen.
Der Gestaltungsmöglichkeit unter Beibehaltung der bisherigen Eckdaten sind enge Grenzen gesetzt. Ohne eine einschneidende Neustrukturierung der Bundeswehr werden die Probleme wohl nicht zu meistern sein.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Jetzt geben Sie mir doch recht, Herr Kollege Strube!)

Der Verteidigungshaushalt 1994 ist auch ohne Berücksichtigung der haushaltsgesetzlichen Sperre ein Sparhaushalt, der den Verteidigungsminister zwingt, die Umstrukturierung der Bundeswehr voranzutreiben. Der Verteidigungshaushalt 1994 ist als ein



Hans-Gerd Strube
weiterer Übergangshaushalt für die Bundeswehr auf ihrem Weg zu ihrer neuen Gestalt zu werten.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Das ist schon der vierte Übergangshaushalt!)

Meine Damen und Herren, es sollte nicht hingenommen werden, daß sich die Sanierung der Bundeswehrliegenschaften in den neuen Bundesländern verzögert. Bei Planungssicherheit könnte hier sehr wohl privates Kapital eingesetzt werden. Der Bund müßte dann lediglich den vereinbarten Mietzins zahlen.
Bei den militärischen Beschaffungen müssen auch laufende Verträge auf ihre Strukturgerechtigkeit hin überprüft werden. Wenn ohne wirtschaftliche Nachteile möglich, sollten auch Stückzahlen neu überdacht werden.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Das kommt aber sehr spät!)

Denn unabdingbar notwendig scheint mir zu sein, daß die Ausrüstung der Bundeswehr auf ihren künftigen Einsatz als Krisenreaktionskräfte hin optimiert wird.
In diesem Zusammenhang muß auch beklagt werden, daß sich bisweilen die Neuordnung von Verträgen besonders im Bündnis nur schleppend gestalten läßt.
Die vom Verteidigungsminister angestrebte Umorientierung beim neuen europäischen Jagdflugzeug hat immer noch keine befriedigende Gestalt angenommen.

(Zustimmung bei Abgeordneten der F.D.P. und der SPD)

Die Einbindung in die europäische Partnerschaft erfordert eine zeitraubende Rücksichtnahme. Ich bin aber sicher, daß sich die von uns gesetzten Zeichen auszahlen werden und daß am Ende ein der veränderten Sicherheitslage angepaßtes und auch finanzierbares Jagdflugzeug entwickelt sein wird. Es ist hochinteressant, daß auch die SPD durch Herrn Schröder nunmehr signalisiert, daß sie bereit ist, dieses Flugzeug möglicherweise mitzutragen. Man staunt und staunt, was man vor Wahlen nicht alles zum Ausdruck bringen kann.
Wegen der Kosten für die Entwicklung des Jagdflugzeuges wird der Anteil der Forschung und Entwicklung am Verteidigungsplafonds trotz Absinkens des nominalen Ansatzes von 5,0 auf 5,2 % anwachsen. Die Ansätze sind nach meiner Überzeugung an der untersten Grenze der Tragbarkeit angesiedelt. Weitere Kürzungen würden unsere Dialogfähigkeit im Bündnis einschränken

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Das haben Sie auch im letzten Jahr schon gesagt!)

und den Standort Deutschland für die Verteidigungsindustrie in Frage stellen.
Der Verteidigungshaushalt 1994 sieht, wenn die Folgen der haushaltsgesetzlichen Sperre ausgeklammert bleiben, für die Beschaffungen einen Anteil von noch 12,2 % vor. Mit diesem Ansatz — obwohl über 1 Milliarde DM unter dem Ansatz von 1993 — können
Beschaffungen für die Bundeswehr eingeleitet werden, die für ihren Einsatz als Krisenreaktionskräfte von großer Wichtigkeit sind. Ich denke hier besonders an die Führungsmittel, z. B. Heros oder die Funkgeräte SEM 93, Satellitenanlagen, aber auch an die Sanitäts- und Bekleidungsausstattung für humanitäre Einsätze.
Gestatten Sie mir noch ein abschließendes Wort: Wenn auch Verteidigungsaufträge kein Mittel zur Struktur- und Beschäftigungspolitik sein sollen, so darf ihre Wirkung auf Beschäftigung und Konjunktur doch nicht unterschätzt werden. Ein mehr oder weniger totaler Auftragsstopp wirkt kontraproduktiv. Nicht nur beeinflußt er den Arbeitsmarkt und die Konjunkturlage negativ, sondern er kann auch den Rückzug der deutschen Industrie vom Rüstungsmarkt bedeuten. Das, meine Damen und Herren, können wir nicht wollen.
Die Bundesrepublik Deutschland muß an einer deutschen Rüstungsindustrie festhalten und alles tun, um die Dialogfähigkeit im Bündnis zu erhalten. Ich bin davon überzeugt, daß es dem Verteidigungsminister gelingen wird, trotz der knappen Haushaltsmittel die Bundeswehr angemessen für ihren Auftrag auszustatten und ihr eine Struktur zu geben, mit der sie im Bündnis leistungsstark bleibt.
Ich möchte mich herzlich bei den Beamten des Hauses und bei Ihnen, Herr Verteidigungsminister, für die gute und konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Die CDU/CSU-Fraktion wird dem Einzelplan 14 ihre Zustimmung geben.
Meine Damen und Herren, da dies vermutlich meine letzte Etatrede zum Verteidigungshaushalt war,

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Wer bleibt denn bei Ihnen überhaupt?)

möchte ich mich auch ganz herzlich bei den Mitberichterstattern bedanken, bei Hans-Werner Müller, Carl-Ludwig Thiele, Horst Jungmann und Rudi Walther. Wir haben in der Sache sehr oft gestritten, aber ich meine, wir haben an der Sache orientiert gearbeitet, wenn auch aus verschiedenen Aufgabenstellungen heraus. Herzlichen Dank für die gute und kollegiale Zusammenarbeit!

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219210200
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Hans Modrow das Wort.

Dr. Hans Modrow (PDS/LL):
Rede ID: ID1219210300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Haushaltsdebatten sind Stunden der Wahrheit. Geprüft wird nicht nur das Kassenbuch der Bundesregierung, sondern auch deren Politik.
In der Debatte zum Haushalt des Auswärtigen Amtes und zum Verteidigungshaushalt ist vor allem zu fragen: In welchem Verhältnis zueinander stehen Absichtserklärungen der deutschen Außenpolitik und ihre tatsächlichen Schritte? Wird die Außenpolitik der heutigen Bundesregierung den neuen Herausforderungen gerecht oder nicht?



Dr. Hans Modrow
Das Fazit lautet, daß „die deutsche Außenpolitik zu einer Sammlung guter Vorsätze erstarrt, hinter der man verbirgt, daß sie gar nicht stattfindet" — Zitat aus der „Welt", der man gewiß nicht nachsagen kann, daß sie PDS-Nähe demonstriert.
In der Tat vermag man in der deutschen Außenpolitik beträchtliche Aktivitäten auszumachen, dafür um so weniger konstruktive Ergebnisse, aber zugleich viel Ungereimtes und viele Fragezeichen.
Das ist schon deshalb nicht verwunderlich, weil es bisher seit 1990/91 keine wirklich grundsätzliche Diskussion zur Neubewertung der Außen- und Verteidigungspolitik des größeren Deutschland gegeben hat. Es müßten endlich Richtlinien für eine Außenpolitik erlassen werden, damit das größere Deutschland seine wiedergewonnene Souveränität und seine internationale Verantwortung wahrnimmt, indem es sein politisches, ökonomisches, wissenschaftlich-technisches und geistiges Potential ausschließlich auf zivile Weise nutzt und einsetzt. Der Bundesrepublik würde es gut anstehen, nicht im alten und traditionellen Sinne zu einem „normalen" Staat zu werden, der wiederum wachsende militärische Stärke an die Seite seiner wirtschaftlichen Macht stellt und auf diese Weise erneut großmachtpolitische unheilvolle Vergangenheit heraufbeschwört.
Der in London, Paris, Prag und anderswo gehegte Argwohn ist doch nicht aus der Luft gegriffen, und schon gar nicht läßt er sich — wie immer wieder versucht wird — als bloßer Neid auf deutsche Tüchtigkeit abtun.
Ich nehme dabei zu drei Hauptbereichen besonders Stellung:
Erstens. Schaut man nach Westeuropa, so haben trotz der erneuten Bekenntnisse des Bundeskanzlers wie des Außenministers zum europäischen Integrationsprozeß eine große Widersprüchlichkeit und Verunsicherung Platz gegriffen. Sie beruhen darauf, daß es in dieser Bundesrepublik Kräfte gibt, die auch immer prononcierter auftreten, die eine deutsche Vormachtrolle ohne irgendeine vertragliche Einbindung durch eine europäische Außen- und Wirtschaftspolitik gesichert sehen wollen. Die konzeptionellen Mängel von Maastricht haben ihnen noch Vorschub geleistet. Frühere Versäumnisse der Bundesregierung im europapolitischen Bereich tun das Ihre. Wer unter Europapolitik in erster Linie die Schaffung einer westeuropäischen Armee versteht, wer der Wirtschafts- und Währungsunion Vorrang vor einer Sozialunion einräumt, der eigenen Bevölkerung eine Mitsprache in allen Europa betreffenden Fragen im Grunde vorenthält und mehr verbal als ernsthaft für eine Stärkung des europäischen Parlaments eintritt, der muß sich nicht wundern, wenn diese Saat aufgeht, wenn der deutsche Nationalismus wieder sein Haupt erhebt und der Revanchismus befördert wird.
Zweitens. Nimmt man die Osteuropapolitik, gibt es nicht weniger Appelle. Aber man vermißt ein wirkliches Konzept. Urteilt man nach dem Kalender der diplomatischen Aktivitäten, scheint es überhaupt nur den Präsidenten Jelzin zu geben. Die einstige Sowjetunion bestand aber nicht nur aus Rußland und vielleicht noch aus Kaliningrad und den baltischen Staaten. Natürlich sind wir weit davon entfernt, die Bedeutung eines guten deutsch-russischen Verhältnisses oder etwa die Beziehungen zum Baltikum geringzuschätzen. Hier würden wir uns vor allem wünschen, daß die Bundesregierung wirklich dem ganzen Spektrum der Hauptkräfte des riesigen Landes die gebührende Beachtung entgegenbringt.
Hier sind heute vom Herrn Bundeskanzler auch Bemerkungen gemacht worden, daß der Niedergang der Sowjetunion und der anderen ehemaligen sozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas besonders auf den NATO-Doppelbeschluß von 1983 zurückzuführen sei. Das war noch die Zeit der westlichen Hochrüstung und der östlichen Totrüstung. Der Westen braucht keine solche Hochrüstung mehr und klagt nun über Rezession, und der Osten leidet weiter an der Totrüstung, insbesondere die Staaten der ehemaligen Sowjetunion.
Die Probleme Osteuropas und damit Europas liegen somit auch in der Ukraine und in Weißrußland, Polen, Tschechien, der Slowakei, Rumänien, Bulgarien, Ungarn, Albanien; vom ehemaligen Jugoslawien und der unrühmlichen Rolle deutscher Außenpolitik bei der Beschleunigung seines Zerfalls einmal ganz abgesehen. Hier gibt es — ich wiederhole den Vorwurf — kein tragfähiges Konzept, weder für eine solide wirtschaftliche Zusammenarbeit und Einbeziehung noch hinsichtlich eines alle Staaten einbindenden europäischen Sicherheitssystems.
Offensichtlich glaubt man, mit der Aufnahme einiger osteuropäischer Lander in die NATO bzw. die WEU alles in den Griff zu bekommen. Mir scheint, hier wiederholt sich die gleiche Leichtfertigkeit wie bei der deutschen Vereinigung, die man zunächst auch aus der Portokasse zu begleichen hoffte. Aber dann betrieb man doch eine falsche Politik, die alles in die Krise steuerte. Es geht darum, gemeinsam mit diesen Staaten dauerhafte politische und ökonomische Lösungen zu suchen.
Der KSZE, der man einen politischen Dornröschenschlaf verordnet hat, muß dabei eine wichtige Rolle zukommen, und zwar mit all ihren Körben. Nicht einmal die vorhandenen Streitschlichtungsmittel werden heute genutzt. Das Forum für Sicherheitskooperation trägt zwar einen wohlklingenden Namen; für substantielle Verhandlungen über denkbare Anschlußverträge wird es jedoch nicht genutzt. Hier läge aber ein weites Feld für praktische Initiativen der deutschen Außenpolitik, damit dieses Forum aller europäischen Staaten, der USA und Kanadas nicht bei Maßnahmen hauptsächlich deklaratorischen Charakters stehenbleibt.
Was den ökonomischen Bereich betrifft, geht es nicht nur schlechthin um die Ausweitung der Handelsbeziehungen, sondern um eine wirkliche Öffnung des EG-Marktes. Es ist doch geradezu tragisch und beschämend, wenn z. B. für ein so kleines Land wie Bulgarien die Inkraftsetzung des Interimsabkommens immer noch weiter herausgezögert wird. Den interessierten Staaten muß eine klare Perspektive des Beitritts zur Europäischen Union eröffnet werden. Das wäre auch wirtschaftlich, sozial, umweltpolitisch usw. von Vorteil, denn sie würden um so schneller an dieselben Standards, Handelsvorschriften, Steuergesetze, Umweltschutzbedingungen u. ä. herangeführt.



Dr. Hans Modrow
Dies wäre für diese Länder politisch ohnehin nur akzeptabel, wenn es im Zusammenhang mit der Vergrößerung der europäischen Einigung geschieht.
Drittens. Angekündigt wurden ein großes Paket von Reformvorschlägen für die UNO und ein entsprechend aktiver Beitrag zu seiner Umsetzung. In der UNO registriert man tatsächlich aber nur eines: ein aufdringliches Begehren nach einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat, vom Außenminister persönlich überall vorgetragen, und den hektischen Bundeswehreinsatz in Somalia, der offensichtlich das Eintrittsgeld dafür darstellen soll.
Statt nennenswerter Initiativen zur Erleichterung und Lösung der Probleme der Dritten Welt erreicht die deutsche Entwicklungshilfe heute aber nicht einmal das von der UNO beschlossene Minimum. Dafür werden um so mehr Steuergelder zum Fenster hinausgeworfen, wenn es darum geht, verfassungswidrige Auslandseinsätze der Bundeswehr zu finanzieren. Der Somalia-Einsatz ist inzwischen gründlich gescheitert. Die indischen Soldaten, die man angeblich nicht schnell genug unterstützen konnte — drei sollen gesehen worden sein —, treffen im Aktionsraum der Bundeswehr nicht ein.
Es bedarf wohl keines weiteren Kommentars, wenn der Generalinspekteur der Bundeswehr vergangene Woche mahnte — ich zitiere —:
Die Entscheidung über den weiteren Einsatz der Bundeswehr darf und kann nicht bestimmt werden von Fragen wie die der Bewerbung im UNO-Sicherheitsrat.
Zur Entschuldigung sagt der Außenminister: Es ist nicht alles so gelaufen, wie wir es uns gedacht haben. Hingehen war, glaube ich, falsch. Hingeben der 400 Millionen oder 500 Millionen DM für Unterstützung und Entwicklungshilfe wäre dann schon richtiger gewesen.
Eine andere Bemerkung möchte ich hier einfügen: Nicht zum erstenmal wird angemahnt, die neue internationale Rolle Deutschlands müsse im Land selbst beginnen. Noch immer sind Tausende von qualifizierten Mitarbeitern des außenpolitischen Dienstes der DDR politisch und beruflich ausgegrenzt. Das gereicht dem internationalen Ansehen der Bundesrepublik nicht zur Ehre.
Nun hat Herr Genscher als früherer Außenminister kürzlich vor der Enquete-Kommission eingeräumt, daß es an der Zeit sei, diese Haltung zu überdenken und Abhilfe zu schaffen. Es wäre demzufolge an der Zeit, dazu auch hier im Bundestag ein klärendes Wort zu sprechen. Ich fordere die Bundesregierung in diesem Zusammenhang auf, eine Kurskorrektur vorzunehmen und damit ein Zeichen für eine neue Haltung im Zusammenwachsen der alten und der neuen Bundesländer zu setzen, ein Zeichen, wie man der neuen Verantwortung nach innen wie nach außen gerecht werden will.
Die PDS/Linke Liste kann diesem Haushalt, der eine in wesentlichen Aspekten verfehlte Außen- und Verteidigungspolitik finanzieren soll, ihre Zustimmung nicht geben. Dieser Etatentwurf ist in seiner
Anlage und in seinen Eckpunkten ebenso falsch wie der von der Regierung vorgelegte Gesamthaushalt.
Die verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierung hat zu schwerwiegenden Konsequenzen, zu Massenarbeitslosigkeit im ganzen Land, zur Zerstörung der ostdeutschen Industrie, Wissenschaft und Forschung geführt. Um die sozialen und politischen Folgen zu mildern, sieht sich die Regierung jetzt gezwungen, umfangreiche, wenn auch bei weitem nicht ausreichende Mittel einzuplanen. Dabei ist es geradezu ein Hohn, daß diese Mittel — neben der weiteren kollossalen Neuverschuldung — vor allem durch die Opfer dieser Politik erbracht werden sollen.
Einigen in dieser Regierung ist offensichtlich jedes Gefühl und jedes Gespür für die Sorgen und Nöte, aber auch Ängste der Menschen, vor allem der lohnabhängigen Beschäftigten, der Arbeiterfamilien, der Rentner, der Arbeitslosen, der Sozialhilfeempfänger und der Alleinstehenden verlorengegangen. Zur Kasse gebeten werden die Armen und Ärmsten dieser Gesellschaft, während die Reichen, die Vermögenden ein weiteres Mal ungeschoren davonkommen. Hier stellt sich die Frage: Soll dieser Vorgang der soziale Umbau sein, von dem heute der Herr Bundeskanzler gesprochen hat?
Die PDS/Linke Liste bekräftigt deshalb ihre Forderung, für die Reichsten dieses Landes endlich eine Vermögensbesteuerung einzuführen. Immerhin verfügen sie allein über ein Vermögen von etwa 4 Billionen DM.

(Zuruf von der CDU/CSU: Mit oder ohne PDS?)

Interessant ist, daß Georg Kronawitter, der frühere SPD-Oberbürgermeister Münchens, zu den gleichen Ergebnissen und Forderungen kommt, wie in dieser Woche in einem Nachrichtenmag azin nachzulesen ist. Ich habe kein Problem, mich in diesem Zusammenhang auf seine absolut logische Darlegung zu beziehen. Ob das alle in diesem Haus können, ist eine andere Frage.
Nur 10 % der Haushalte vereinen die Hälfte des Gesamtvermögens dieser Bundesrepublik auf sich. 1 % davon verfügt sogar über 23 % des Vermögens. Es ist deshalb höchste Zeit, daß endlich die relativ kleine Gruppe der wirklich Vermögenden zur Bewältigung der Finanzkrise herangezogen wird,

(Zuruf von der CDU/CSU: Besser, es geht allen unterschiedlich gut als allen gleich schlecht!)

statt die Lohn- und Gehaltsempfänger immer unerträglicher zu belasten.
Bei einer Vermögensteuer von etwa 15 % bis 20 % könnten dem Haushalt 600 Milliarden DM zugeführt werden, die — bis zur Jahrtausendwende verteilt — einen jährlichen Beitrag von rund 75 Milliarden bis 80 Milliarden DM in die Kassen des Finanzministers fließen lassen würden. Für die Reichsten wird also das Nötige getan.
Auf alle Fälle ist es notwendig, daß die vergleichbaren Opfer, die hier sozial gefordert werden, einmal genauer in Augenschein genommen werden. Die



Dr. Hans Modrow
Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes wird das mit Recht erwarten. Die Regierung sollte über den eigenen Schatten springen.
Die PDS/Linke Liste wird deshalb diesem Haushaltsentwurf nicht zustimmen. Sie wird beantragen, ihn erneut in die Ausschüsse zurückzuüberweisen und bei der Überarbeitung einen völlig neuen Ansatz zu wählen.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219210400
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Carl-Ludwig Thiele das Wort.

Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1219210500
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Jahr 1994 ist für die Bundeswehr und für Deutschland nach der Wiedervereinigung ein besonderes Jahr. Im Zweiplus-Vier-Vertrag hatten wir uns verpflichtet, bis Ende 1994 die Anzahl der Soldaten der Bundeswehr auf 370 000 zu reduzieren. Diese völkerrechtlich bindende Vereinbarung wird von uns eingehalten. Sie ist mit schmerzlichen, aber notwendigen Veränderungen für die Soldaten, die Zivilmitarbeiter der Bundeswehr und die Angehörigen dieser Personen, aber auch mit erheblichen strukturellen Veränderungen der betroffenen Regionen verbunden.
Ich möchte an dieser Stelle für die F.D.P. den Soldaten und Mitarbeitern für ihr Verständnis für die getroffenen Entscheidungen ausdrücklich danken.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dieses Verständnis ist nicht selbstverständlich, wenn man sich vor Augen führt, daß allein in den Jahren 1993 und 1994 jeweils etwa 28 000 Stellen von Berufs- und Zeitsoldaten abgebaut werden. Um so höher ist diese Akzeptanz zu werten.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Vor allem, wenn man andere Bereiche anguckt!)

— Das stimmt allerdings auch.
Ich bedauere manchmal, daß der Eindruck entstanden ist, es sei die Aufgabe der Bundeswehr, nur noch im Ausland, wie in Kambodscha und Somalia, tätig zu sein. Dies läßt sich auch nicht damit begründen — wie es im Haushaltsausschuß getan wurde —, daß diese Tätigkeit mehr Sex-Appeal für die Öffentlichkeit habe.
Ich möchte an dieser Stelle deshalb neben dem Dank an die dort diensttuenden Soldaten auch den Soldaten und Mitarbeitern, die ihren Dienst und ihre Pflichten in der Bundeswehr in Deutschland tun, um die Verteidigung des Landes und im Bündnis sicherzustellen, für ihren Einsatz danken.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Zu den im Ausland diensttuenden Soldaten möchte ich anmerken, daß diese Soldaten hervorragende Botschafter eines friedlichen und friedliebenden Deutschlands sind und waren. Dies ist gerade in der heutigen Zeit mit ihren schlimmen Übergriffen auf Ausländer, die auch im Ausland wahrgenommen werden, besonders wichtig. Das zeigt aber auch, daß
Deutschland ein normales Mitglied der Völkergemeinschaft mit allen Rechten und Pflichten werden muß und daß es einen deutschen Sonderweg nicht noch einmal geben darf.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Sehr geehrte Damen und Herren, auf Grund unserer Geschichte werden wir auch zukünftig von der Welt kritischer betrachtet werden als andere Lander. Hierin liegt aber auch eine enorme Chance. Wir haben die Möglichkeit, unsere Erfahrungen, die die Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Nationalsozialismus gemacht hat, als Aktivposten in die Vereinten Nationen einzubringen. Dies geht aber nur, wenn wir gleichberechtigt sind; denn — das sage ich ausdrücklich an die Adresse der SPD — wer meint, er müsse die Vereinten Nationen ändern, muß zunächst feststellen, daß dieses allein überhaupt nicht geht, sondern nur gemeinsam mit anderen Staaten. Worin aber andere Staaten ihre Gemeinsamkeit mit Deutschland sehen sollten, wenn Deutschland die von der SPD geforderte Sonderrolle in den Vereinten Nationen einnimmt, vermag ich nicht zu sehen.
Die F.D.P. wünscht sich, daß Deutschland die Möglichkeit erhält, stärker als bisher in der internen Willensbildung in den Vereinten Nationen tätig zu werden. Dies setzt aber gerade gleiche Rechte und gleiche Pflichten wie bei jedem anderen Mitglied der Vereinten Nationen, also bei den skandinavischen Ländern, bei Österreich, bei der Schweiz und auch bei sozialistisch bzw. sozialdemokratisch regierten Ländern Europas, voraus.

(Beifall bei der F.D.P.)

Wenn wir von den Vereinten Nationen gebeten werden, in einem befriedeten Gebiet in Somalia humanitär tätig zu werden,

(Rudolf Bindig [SPD]: Auf Inder zu warten! — Gegenruf von der CDU/CSU: Die Inder sind zuverlässiger als die SPD!)

und wenn der Deutsche Bundestag dies dann beschließt, halte ich es für richtig, daß ein Abzug nur im Einvernehmen mit den Vereinten Nationen geschieht.

(Rudolf Bindig [SPD]: Ihr Inderlein kommet, o kommet doch all!)

Dieses partnerschaftliche Verhältnis schließt ja gerade ein, daß wir gegenüber den Vereinten Nationen unsere Interessen klar und in Freundschaft artikulieren, und dieses ist gerade für die Sicherheit unserer Soldaten ein ganz wichtiger Aspekt; aber doch, bitte schön, gemeinsam mit den Vereinten Nationen und nicht wieder als Sonderweg. Die Methode ,,Nix wie hin und nix wie weg!" schadet unserer Glaubwürdigkeit im Inland und im Ausland.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU — Ernst Waltemathe [SPD]: Wem werfen Sie das jetzt vor? Herrn Rühe?)

Die Beratungen des Verteidigungsetats gestalteten sich in diesem Jahr außerordentlich schwierig. Dies ist auch verständlich; denn der Ausgabenkritik muß die



Carl-Ludwig Thiele
Aufgabenkritik vorangehen. Das Verteidigungsministerium ist aufgefordert, konkret zu sagen, wofür die Bundeswehr gebraucht wird. Darüber muß ein parlamentarischer Konsens hergestellt werden. Wir Liberalen wollen uns gerne an dieser Diskussion über die brennenden konzeptionellen Fragen beteiligen. Aber dann muß auf der Hardthöhe endlich auch das entsprechende Denkverbot fallen.

(Ernst Waltemathe [SPD]: Aha!)

Erst wenn diese Frage beantwortet ist, kann genauer gesagt werden, wieviel Mann und welche Ausrüstung die Bundeswehr benötigt.

(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: So ist es!)

Aber das heißt auch, daß im Verteidigungsministerium die Hausaufgaben gemacht werden müssen.

(Beifall bei der F.D.P.)

Ich wiederhole: Der Aufgabenkritik muß die Aufgabenkritik vorangehen. So ist es absolut unverständlich, daß bei der Umstrukturierung der Bundeswehr z. B. die Mammutbehörde des Bundeswehrbeschaffungsamtes in Koblenz wohl noch nicht der entsprechenden Aufgabenkritik unterzogen wurde.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der SPD)

Zu Beginn der Haushaltsberatungen ist es uns gelungen, in erheblichem Umfange Verschiebungen im Verteidigungsetat in den investiven Bereich vorzunehmen. Gleichwohl war es klar, daß die Bundeswehr, die auch in den vergangenen Jahren schon in erheblichem Umfange zur Sparsamkeit des Haushaltes beigetragen hat, ebenso wie die anderen Einzelpläne in die gesamte Sparlinie mit einbezogen werden mußte.
In den Beratungen des Haushaltsausschusses ist der Verteidigungsetat von 48,6 Milliarden DM auf 48,5 Milliarden DM gekürzt worden. Der Verteidigungsetat ist damit gegenüber dem Soll 1993 um 2,7 % gesunken. Hierbei schlägt der Personalabbau natürlich besonders zu Buche. Der Verteidigungsetat des Jahres 1994 beträgt damit etwa 10 % des Gesamtetats. Der Opposition muß ich sagen, daß 10 % des Gesamtetats nicht die Möglichkeit bieten, durch eine weitere Reduzierung die Gelder freizubekommen, die benötigt werden, um das Anwachsen der Sozialausgaben auf 130 Milliarden DM, auf 27 % des Gesamtetats im Einzelplan des Bundesministers für Soziales zu finanzieren.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219210600
Herr Abgeordneter, der Abgeordnete Jungmann möchte Ihnen gerne eine Frage stellen. Wenn Sie bereit sind, dieselbe zu beantworten, kann er das tun.

Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1219210700
Gerne, wenn mir die Zeit nicht angerechnet wird, wovon ich ausgehe.

Horst Jungmann (SPD):
Rede ID: ID1219210800
Kollege Thiele, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Haushaltsausschuß dem Plenum einen Beschlußvorschlag vorgelegt hat, in dem steht, daß alle Ausgaben der Obergruppen 51 bis 55 und der Hauptgruppe 6 mit einer 10 %igen Sperre und einer Kürzung in Höhe von 5 Milliarden DM belegt werden? Das bedeutet für den
Verteidigungsetat, wenn Sie nur die Obergruppe 55, „Militärische Beschaffung, Forschung und Entwicklung" betrachten, eine Kürzung in Höhe von 1,5 Milliarden DM.

Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1219210900
Kollege Jungmann, ich bin nicht nur bereit, das zur Kenntnis zu nehmen. Wir haben diesen Antrag ja schließlich im Haushaltsausschuß verabschiedet.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Sie sind auch noch stolz darauf!)

— Moment, ich bin mit meiner Rede doch noch nicht fertig. Zu diesen Punkten komme ich doch gleich noch. Aber ich freue mich, daß Sie aufgepaßt haben und dies dem Parlament so sachkundig darlegen konnten, wie ich das auch in meinen Ausführungen gleich noch machen werde.

(Ernst Waltemathe [SPD]: Er ist noch besser als Oppositioneller als Sie!)

Zum Ende der Beratungen im Haushaltsausschuß wurde Bilanz gezogen und von den Koalitionsfraktionen einvernehmlich festgestellt, daß sich die Situation des Haushaltes — bei Steuermindereinnahmen des Bundes von 3 Milliarden DM und Mehrausgaben für die Bundesanstalt für Arbeit von fast 9 Milliarden DM — gegenüber dem Regierungsentwurf um 12 Milliarden DM verschlechtert hatte. Angesichts der schwierigen Situation der Staatsfinanzen wurde deshalb nach Gesprächen mit dem Bundesfinanzminister vom Haushaltsausschuß der Beschluß gefaßt, daß weitere 5 Milliarden DM aus dem Haushalt 1994 einzusparen sind. Unsere Auffassung war und ist, daß nicht nur über Sparen geredet werden darf, sondern daß auch konkret gespart werden muß.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Rasenmäher!)

Deshalb war dies ein richtiger Schritt.
Festzulegen, wie die zusätzliche Minderausgabe von 5 Milliarden DM erbracht wird, ist Aufgabe des Finanzministers, der dieser Aufgabe mit den anderen Ressortkolleginnen und -kollegen nachgehen wird. Es ist deshalb keineswegs ausgemacht, daß der Verteidigungsetat um weitere 2,4 Milliarden DM absinken muß, wie dies in der Öffentlichkeit, auch von Ihnen, Herr Kollege Jungmann, behauptet wurde.
Wir müssen sehen, daß diese Sperre von 10 % 30 Milliarden DM erbringt. Um aus diesen 30 Milliarden DM die 5 Milliarden DM aufzubringen, die benötigt werden, muß der Betrag, der von der Sperre erfaßt ist, separat betrachtet werden und dann dieser Betrag herausgezogen werden. Durch das Wort „insbesondere" — Sie kennen den Antrag, Herr Kollege Jungmann — ist sichergestellt, daß keine Verschiebungen erfolgen können, die gewisse Bereiche, die unsere politische Priorität haben, in totale Schwierigkeiten bringen.
Aber es darf über Sparen nicht nur geredet werden. Es muß gespart werden. Herr Lafontaine hat auf Ihrem hervorragenden Parteitag in Wiesbaden gesagt: Sparen durch Abschaffung von Steuersubventionen. Lassen Sie uns ehrlich sein und das nicht „Sparen" nennen, sondern dann sagen Sie, Sie wollen die Steuer



Carl-Ludwig Thiele
erhöhen. Das ist genau die gleiche Aussage, nur ein bißchen ehrlicher und nicht ganz so nett verbrämt.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU — Ernst Waltemathe [SPD]: Wir wollen Kapitalflucht verhindern!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219211000
Herr Abgeordneter Thiele, das veranlaßt die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier, sich durch eine Frage bemerkbar zu machen. — Bitte schön.

(Hans-Gerd Strube [CDU/CSU]: Du hast den Parteitag angesprochen, jetzt melden sich alle! — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Sie ist extra zur SPD gegangen, um falsche Politik weiterzumachen!)


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1219211100
Es scheint Grund zu bestehen, Herr Kollege Strube!

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219211200
Nun wollen wir die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier fragen lassen.

Ingrid Matthäus-Maier (SPD):
Rede ID: ID1219211300
Herr Kollege, wollen Sie mir vielleicht zustimmen, daß Sie nicht ernsthaft behaupten können, daß Sie je nach der Struktur einer Entlastung, sei es über einen offenen Zuschuß oder über einen Steuerfreibetrag, die Frage abhängig machen können, ob es Sparen ist oder nicht. Ich will es am folgenden Beispiel erläutern. Wir haben im Familienlastenausgleich beim Kindergeld ein duales System, zum Teil Kindergeld, zum Teil Kinderfreibetrag. Wollen Sie ernsthaft behaupten, das Kürzen beim Kindergeld sei erlaubtes Einsparen, aber wenn ich gleichzeitig den Kinderfreibetrag kürze, sei das per se verboten, weil das eine Steueranhebung sei, nur weil das zwei unterschiedliche Instrumente sind?

Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1219211400
Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich habe überhaupt kein Verbot ausgesprochen. Es steht mir auch nicht an, Ihnen irgendeine Denkrichtung zu verbieten. Das habe ich überhaupt nicht gemacht, ich hatte nur darauf hingewiesen, wo Sie sparen wollen. Wenn Sie beim Abbau von Steuervergünstigungen sparen wollen, dann sparen Sie nicht, dann erhöhen Sie die Steuereinnahmen. Damit belasten Sie den Bürger stärker.

(Beifall des Abg. Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU])

Ich würde mich allerdings freuen, wenn die SPD und die SPD-geführten Länder meinem alten Vorschlag zustimmen könnten, die Auszahlung des Kindergeldes über das Finanzamt erfolgen zu lassen. Das würde im Bundeshaushalt Einsparungen von 550 Millionen DM bringen.

(Beifall des Abg. Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU])

Bislang muß es durch die Bundesanstalt für Arbeit geschehen.
Herr Präsident, vorhin ist die Uhr von zehn auf neun Minuten gesprungen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219211500
Die Uhr läuft nicht. Sie können ganz beruhigt sein.
Frau Matthäus-Maier möchte noch einmal fragen.

Ingrid Matthäus-Maier (SPD):
Rede ID: ID1219211600
Herr Kollege, ich will Ihnen nicht zu nahe treten. Aber wären Sie so nett, zur Kenntnis zu nehmen, daß das, was Sie als Ihren alten Vorschlag präsentieren, nämlich die Auszahlung des Kindergeldes über das Finanzamt, eine Anregung ist, die seit Jahrzehnten der Deutsche Bundestag, und zwar mit Stimmen sowohl von F.D.P., der CDU/CSU als auch der SPD gemacht hat?

Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1219211700
Frau Kollegin, dann frage ich mich nur eines. Wie ich der Presse entnehmen kann, hat die SPD-Bundestagsfraktion gute Kontakte zu SPD-geführten Landesregierungen. Wenn diese Anregung vom Bundestag nicht eingebracht wird und Sie diese Forderung nach wie vor für richtig halten— ich ebenso; es freut mich, daß wir da auf einer Linie sind, und zu nahe getreten sind Sie mir in keiner Weise —, dann laßt uns konkret handeln,

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sehr gern! Aber Sie sind doch die Regierung!)

und wir haben eine gute halbe Milliarde DM aus dem Bundesetat gestrichen. Das ist ganz prima. Herzlichen Dank!

(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.] sowie des Abg. Claus Jäger [CDU/CSU])

Von den verteidigungspolitischen Entwicklungsund Beschaffungsvorhaben wird auch in der Bevölkerung insbesondere der Jager 90 heftig diskutiert. Hierbei muß zunächst festgestellt werden, daß eine Entscheidung für den Bau des Jäger 90 noch nicht getroffen worden ist. Wir befinden uns noch im Zeitpunkt der Entwicklung des Jäger 90. Da wir bindende internationale Verträge zur Entwicklung des Jäger 90 abgeschlossen haben, sind wir Liberalen immer dafür eingetreten, als rechtstreuer Staat einer Änderung dieser Entwicklungsverträge nur im Einvernehmen mit unseren Vertragspartnern zuzustimmen.
Das Ziel des Verteidigungsministers, die Entwicklung des Jäger 90 zu ändern, erfolgte vor allem aus finanziellen Zwängen. Nicht alles Wünschenswerte ist realisierbar. Das gilt gerade in der heutigen Zeit. Am Ende der geänderten Entwicklung soll nach Auffassung des Verteidigungsministers ein Jagdflugzeug stehen, welches als Systempreis nicht mehr als 90 Millionen DM kosten darf.

(Manfred Opel [SPD]: Einschließlich Mehrwertsteuer!)

Im Zuge der Entwicklung ist es allerdings schon erstaunlich, daß die Industrie erhebliche Mehrforderungen stellt, obwohl wesentliche Entwicklungsziele noch gar nicht erreicht sind. So sollte der Prototyp zunächst im April 1992 starten. Dieser Start ist auf April 1994 verschoben worden. Auch jetzt kann noch keiner garantieren, ob der Prototyp dann wirklich fliegt. Wer bei einem solchen Überschreiten der Entwicklungszeiten Mehrkosten in Höhe von Hunderten von Millionen DM fordert, setzt sich dem Risiko aus, überhaupt nicht mehr verstanden zu werden, und



Carl-Ludwig Thiele
zwar weder von der Bevölkerung noch vom Bundestag noch von der Bundesregierung. Insofern bin ich gespannt, welcher Bericht uns über die Gespräche demnächst zugeleitet wird.
Noch faszinierender ist allerdings die Situation in der SPD. Ich habe in diesem Haus schon mehrfach Debatten über den Jäger 90 geführt. Die SPD hat immer wieder erklärt, daß sie den Jäger 90 sowie auch die Entwicklung des Jäger 90 kategorisch ablehnt.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die Entwicklung ist jetzt zu spät!)

— Ja, aber Sie lehnen das doch kategorisch ab.
Um so größer war das Erstaunen über die Äußerung des Ministerpräsidenten Schröder in Niedersachsen, der ein Überdenken der Position der SPD zum Jäger 90 angesichts bedrohter Arbeitsplätze in Lemwerder fordert. Ich habe den Eindruck, daß hier von Herrn Schröder billigster Populismus betrieben wird.
Angesichts der klaren Position zum Jäger 90 könnte man davon ausgehen, daß diese Bundestagsfraktion der SPD sich ausdrücklich von diesen Äußerungen des Herrn Schröder, der auch Mitglied des Bundesvorstandes der SPD ist, distanziert.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist doch beschlossen! Auf dem Parteitag!)

Ich habe allerdings den Eindruck, daß diese Hoffnung trügt und die SPD-Bundestagsfraktion bei diesem Thema abtaucht. Von Herrn Jungmann habe ich gerade nichts gehört.

(Zuruf des Abg. Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD])

— Er hat doch Herrn Schröder bezüglich seiner Äußerungen nicht kritisiert, aber vielleicht habe ich gleich die Möglichkeit, das von Herrn Kolbow gleich noch deutlicher zu hören.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Alter U-Boot-Mann!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219211800
Herr Abgeordneter Thiele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jungmann?

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Danke schön! Ich mache nachher eine Kurzintervention!)


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1219211900
Einverstanden. — Ich habe allerdings den Eindruck, daß diese Hoffnung trügt und die SPD-Bundestagsfraktion bei diesem Thema abtaucht.
Apropos abtauchen: Die SPD-Bundestagsfraktion fordert immer wieder eine strikte Begrenzung von Rüstungsexporten. Auch diese Position hindert den Ministerpräsidenten Schröder in keiner Weise daran, sich unter Umgehung sämtlicher Gremien für die Exporte von U-Booten stark zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Was hilft denn auch Grundsatztreue, wenn bei konkreten Entscheidungen das Gewissen gleich an der Garderobe mit abgegeben wird?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Situation im ehemaligen Jugoslawien ist nach wie vor außerordentlich bedrückend. In meiner Heimatstadt Osnabrück sind britische Einheiten stationiert, die gerade nach einem längeren Aufenthalt nach Deutschland zurückgekehrt sind. Von den Briten wurde zu Recht die Aussage getroffen: Kein normaler Mensch dort will den Krieg. Leider gibt es in Westjugoslawien einige Scharfmacher, die dazu noch über die entsprechenden Möglichkeiten verfügen, ihre Auffassung mit Waffengewalt durchzusetzen. Wir alle sind aufgefordert, diese Kriegstreiber international zu ächten.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Deshalb begrüße ich ausdrücklich, daß in Den Haag der internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien eingerichtet wurde. Ferner begrüße ich, daß auf Grund des unermüdlichen und beharrlichen Drängens von Außenminister Klaus Kinkel weitere Schritte unternommen werden, um zu einer Beendigung dieses Bürgerkrieges zu kommen. Wir alle können nur hoffen, daß diese Gespräche zum erwünschten Erfolg führen und nicht auch in diesem Winter wieder Zehntausende von Menschen erschossen werden, erfrieren oder verhungern müssen.
Ich möchte allerdings denjenigen, die ein militärisches Eingreifen in Restjugoslawien fordern, entgegenhalten, daß es relativ leicht ist, einzumarschieren. Aber wie und wann sollten die Truppen wieder abziehen können? Welches politisch konkret tragfähige Ziel sollte verfolgt werden? Hat uns nicht gerade die Entwicklung in Somalia gezeigt, daß eine relativ einfach erscheinende Mission, verglichen mit der Situation in Jugoslawien, unverhofft zu erheblichen Schwierigkeiten führen kann? Es muß aber etwas weiter geschehen, und es geschieht auch etwas. Die internationalen Sanktionen sind richtig und müssen fortgesetzt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Jahr 1994 ist auch deshalb für unser Land so wichtig, weil sich die Sowjetunion verpflichtet hatte, bis Ende 1994 alle Soldaten in Deutschland abzuziehen. Diese Verpflichtung wird schon im August 1994 erfüllt sein.
Dieses hat natürlich Folgen für die Sicherheit Deutschlands. Deutschland ist nicht mehr bedroht, aber die Welt ist auch nicht frei von Risiken. Wir brauchen deshalb weiter die Bundeswehr. Aber was für eine Bundeswehr?
Bislang habe ich mich zur Bundeswehr nach 1994 noch nicht geäußert, denn ich wollte keine zusätzliche Unruhe in die Bundeswehr bringen, sondern zunächst abwarten, wie sich die sicherheitspolitische Lage entwickelt, zumal die Situation in der Bundeswehr durch den drastischen Abbau der Bundeswehr außerordentlich schwierig ist.
Mit der Verabschiedung des Haushaltes 1994 sind wir alle aufgefordert, uns Gedanken über die Bundeswehr ab 1995 zu machen. Der Auftrag, die Bundesrepublik direkt vor Angriffen aus dem Osten zu schützen, stellt sich derzeit nicht, auch wenn wir weiter Risikovorsorge für unser Land betreiben müssen. Diese erfreuliche Entwicklung muß dazu führen, daß über die Aufgaben der Bundeswehr weiter nachge-



Carl-Ludwig Thiele
dacht wird. Dabei müssen wir einfach feststellen, daß es eine Bedrohung Deutschlands nicht gibt. Die Risiken müssen allerdings gesehen und sorgfältig analysiert werden. Hierbei ist festzustellen, daß sich die Risiken, gegen konventionelle Waffen verteidigen zu müssen, glücklicherweise erheblich reduziert haben.
Der Sicherheitsgürtel zum Osten hin umfaßt Polen, die baltischen Staaten, Weißrußland sowie die Ukraine. Im Zuge unserer eigenen Sicherheitspolitik sind wir aufgefordert, diese Länder wie auch Rußland und die anderen GUS-Staaten weiter als befreundete Nationen zu erhalten und entsprechende Anstrengungen zu unternehmen.
Es stimmt allerdings, daß es atomare Risiken gibt. Dazu müssen wir aber feststellen, daß unsere Bundeswehr nicht in der Lage war und ist, uns wirksam und mit Sicherheit gegen solche Risiken zu verteidigen. Bei diesen Waffen ist es vielmehr angezeigt, daß wir unseren Beitrag dazu leisten, daß diese möglichst schnell weiter reduziert und vernichtet werden.

(Beifall bei der F.D.P.)

Entsprechend hat sich ja auch der Außenminister heute hier geäußert.
Sehr verehrte Damen und Herren, aus dieser Risikoanalyse komme ich für mich zu dem Schluß, daß unsere Bundeswehr im Jahr 2000 keine 370 000 Mann mehr benötigt.

(Zuruf von der SPD)

Dabei müssen wir ja auch sehen, daß die Ist-Stärke der Bundeswehr Ende 1994 auch nicht 370 000 Mann beträgt, sondern nach bisheriger Planung 365 000 Mann mit weiterer Schwankungsbreite nach unten. Ich bin deshalb dafür, daß die Bundeswehr sich bis zum Jahr 2000 auf 300 000 Mann behutsam verringert, hierbei aber ihre Aufwuchsfähigkeit erhält.

(Zuruf von der SPD)

Die Zahl 370 000 markiert also die Obergrenze, die aber nicht eingehalten werden muß.
In einer Zeit, in der die Welt im Umbruch ist, wird die Bundeswehr davon besonders betroffen. Deshalb ist die Beratung dieses Etats auch so schwierig, deshalb ist sie aber auch so notwendig. Die F.D.P. stimmt dem Verteidigungshaushalt zu.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219212000
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Horst Jungmann das Wort.

Horst Jungmann (SPD):
Rede ID: ID1219212100
Herr Kollege Thiele, Sie haben gerade behauptet, ich hätte in meiner Rede nichts zum Jäger 90 gesagt. Vielleicht waren Sie gerade durch die lauten Zwischenrufe Ihrer Kollegen abgelenkt. Aber ich habe, zum Verteidigungsminister gewandt, gesagt: „Sie haben den Jager 90 nicht gestoppt. Die sogenannte Umorientierung auf den Euro-Fighter 2000 gestaltet sich, wie Sie wissen, doch äußerst zäh."
Ich könnte das fortführen. Aber ich bitte Sie, das Protokoll nachzulesen. Da steht noch mehr drin.
Und wenn Sie auf den Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen, meinen Parteifreund Schröder, hingewiesen haben, dann gibt es zu dem, was er gesagt hat und was Sie ihm unterstellt haben, einen eindeutigen Parteitagsbeschluß aus der letzten Woche, der eine Nichtbeschaffung des Jägers 90 vorsieht und nicht das, was Sie hier fälschlicherweise behauptet haben: daß die SPD-Fraktion auf Tauchstation geht. Die SPD-Fraktion hat es nicht nötig, in dieser Frage auf Tauchstation zu gehen.

(Zuruf von der F.D.P.: Er hat gar nicht vom Parteitag gesprochen, er hat von Herrn Schröder gesprochen!)

Sie haben nämlich in dieser Frage herumgeeiert und haben den Verteidigungsminister, als er den Jäger 90 stoppen wollte, von Bayern bis zur F.D.P. verlassen und ihm nicht geholfen und haben dem Jäger 90 am Ende zugestimmt, obwohl Sie öffentlich — gerade Sie, Herr Koppelin — immer etwas anderes behauptet haben.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der F.D.P.: Was sagt der Genosse Schröder?)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219212200
Zur Erwiderung erteile ich dem Abgeordneten Carl-Ludwig Thiele das Wort.

Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1219212300
Herr Kollege Jungmann, ich habe hier festgestellt, daß Herr Schröder Aussagen getroffen hat, die im Widerspruch zu den bisherigen Aussagen der SPD-Bundestagsfraktion stehen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Und das ist immer noch so!)

und ich habe darauf verwiesen, daß Sie in Ihrer Rede auf diesen Widerspruch nicht aufmerksam gemacht haben und sich nicht von Herrn Schröder distanziert haben.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Das alles können Sie im Protokoll nachlesen!)

Ich nehme allerdings zur Kenntnis, Herr Jungmann, daß Sie — und da habe ich jetzt auch die Wortmeldungen Ihrer anderen Kollegen, z. B. von Frau Matthäus-Maier — für sich und die SPD-Bundestagsfraktion hier ausdrücklich erklären, daß Sie sich von dieser Position des Ministerpräsidenten Schröder ausdrücklich und mit Nachdruck distanzieren.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1219212400
Nun kann ich dem Bundesminister der Verteidigung, Herrn Rühe, das Wort geben.

Volker Rühe (CDU):
Rede ID: ID1219212500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst bei den beiden Berichterstattern, die ausscheiden werden, für ihre Arbeit und für ihre Reden bedanken. Ich darf mit Hans-Gerd Strube anfangen. Er war immer ein wirklicher Freund der Bundeswehr und hat viel für die Soldaten getan. Ich



Bundesminister Volker Rühe
kann es ein bißchen nachempfinden, wenn er jetzt, gegen Ende seiner Tätigkeiten, manchmal noch in einer sehr schwierigen Situation, in einem Gewissenskonflikt arbeiten muß. Ich glaube, wir hätten ihm alle gewünscht, daß ihn das nicht ereilt hätte. Bei mir ist das nicht so schlimm. Ich bin ja erst am Anfang. Aber wenn man am Ende in eine so schwierige Situation kommt, ist das etwas anderes.

(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Wie geht es dann weiter?)

— Die F.D.P. ist beunruhigt, daß ich erst am Anfang bin. Warten Sie einmal ab.
Ich bin sicher, lieber Hans-Gerd Strube, daß du bis zur letzten Minute dafür kämpfen wirst, daß die Bundeswehr einen vernünftigen Finanzrahmen bekommt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zum Kollegen Horst Jungmann: Bei ihm möchte ich mich ebenfalls für seine Rede bedanken. Es ist heute nicht nur von einer Seite Richtiges über den Haushalt gesagt worden. Es war ja ein bißchen Ball paradox. Sie als Beschützer der Bundeswehr zu sehen, erinnert mich ein wenig an den Ball paradox im Café Keese. Einen Augenblick lang habe ich mich geärgert, dann habe ich aber gesagt: Im Grunde genommen hat er das aber auch verdient. Er war als Seemann immer ein Freund der Bundeswehr und hatte viel unter den Genossen zu leiden,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

die ihm in den vergangenen Jahren diese Rolle nicht zugebilligt haben. Jetzt ernsthaft: Auch Ihnen vielen Dank für die Arbeit, die Sie immer geleistet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

Ich weiß nicht, ob Rudi Walther da ist. Ich habe es ihm auch schon persönlich gesagt. Er hat als Vorsitzender des Haushaltsausschusses und auch als Berichterstatter immer sehr viel für die Bundeswehr getan. Er hat ebenfalls die schwierigsten Kämpfe geführt; das sind nämlich immer die in der eigenen Partei. Das weiß ich besonders zu schätzen.
Es ist richtig, daß der Verteidigungsminister heute keine Klarheit über seinen Haushalt hat und auch am Ende der Woche nicht haben wird. Ich rede immer so, wie es ist. Das ist natürlich eine ungewöhnliche und schwierige Situation. Aber klar ist aus meiner Sicht ebenfalls, daß es nicht zu diesen Einsparungen kommen wird, die hier genannt werden. Wir müssen um eine Schadensbegrenzung kämpfen, denn es gibt keine weiteren Möglichkeiten zu sparen mehr, ohne daß großer Schaden in der Bundeswehr angerichtet würde. Wenn es zu dieser Einsparung käme — aber der Finanzminister hat schon deutlich gemacht, daß das nicht der Fall sein wird —, bestünde die Gefahr eines inneren Kollaps der Bundeswehr.
Ich will noch einmal schildern, wie die Entwicklung ist. Wir haben in den letzten Jahren rund 7 Milliarden DM eingespart. Wir hatten noch vor wenigen Jahren einen Anteil von 18 % am Bundeshaushalt und sind jetzt bei 10,5 % angelangt. Niemals zuvor in der Geschichte der Bundeswehr, mit Ausnahme des
Beginns, standen wir vor solchen Herausforderungen, nämlich daß sich so viel auf einmal ändert. Wir reduzieren um fast die Hälfte. Deswegen habe ich mich immer über diejenigen gewundert, die gesagt haben: Da muß noch etwas draufgesattelt werden. Das muß noch übersteuert werden. Ich sage: Das ist eine gewaltige Leistung. Wer weiß denn schon, daß seit 1990 266 Einheiten der Bundeswehr in Westdeutschland aufgelöst wurden? Im nächsten Jahr werden noch einmal 66 Einheiten aufgelöst.

(Gerlinde Hämmerle [SPD]: Dann brauchen wir gar keinen Verteidigungsminister mehr! — Gegenruf von der F.D.P.: Ein sehr guter Beitrag!)

— Es bleiben schon noch Einheiten übrig, gnädige Frau.
Viele Verbände werden in neue Standorte verlegt. Die Bundeswehr soll gleichzeitig eine neue Struktur bekommen. Sie soll eine wegweisende Rolle im Einheitsprozeß spielen. Ich glaube, daß sie das bisher mit Bravour gemacht hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Schließlich wird die Bundeswehr auf neue Aufgaben ausgerichtet. Sie hat ebenfalls gezeigt, daß sie international solidarisch handeln kann.
Parallel dazu muß sich die wehrtechnische Industrie dem verringerten Bedarf und den finanziellen Bedingungen anpassen. Das habe ich nun wirklich noch nicht gehört, Herr Kollege Jungmann, daß ich zu wenig in die Rüstungspolitik eingegriffen hätte. Das habe ich von der ersten Minute an gemacht, indem ich gesagt habe: Keine Mark mehr gegen die alten Bedrohungen, sondern jede Mark jetzt für die neue Situation.
Bisher wurden schon über 100 000 Arbeitsplätze abgebaut. Es ist ja richtig, daß ein Sozialdemokrat wie Herr Schröder angefangen hat, sich darüber Sorgen zu machen. Es ist wichtig, daß Sie einmal eine einhellige Meinung herstellen, daß ein Betriebsrat von Ihnen genau dasselbe sagt wie ein Ministerpräsident oder auch ein Bundestagsabgeordneter. Klar ist: Wir brauchen Stetigkeit und Verläßlichkeit. Sonst kann man keine Bundeswehrplanung machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sonst gibt es auch keine Grundlage für die Industrie, an der sie sich orientieren könnte. Genau darum habe ich mich bemüht. Ich glaube, wir haben auch für mehr Stetigkeit und Ruhe gesorgt. Aber ein Schlüsselfaktor ist natürlich der Verteidigungshaushalt, der die Mindestbedürfnisse unserer Sicherheit und unserer internationalen Handlungsfähigkeit erfüllen muß und der die Voraussetzung für die mittelfristige Planungssicherheit ist.
Wir haben nach den kurzfristigen Einschnitten vor Monaten, am Anfang des Jahres, Verhandlungen in der Regierung geführt mit genau diesem Ziel, zu einer Verstetigung der Ausgaben zu kommen. Das Ergebnis war ein harter Sparhaushalt: 48,6 Milliarden in diesem Jahr und dann schon in der mittelfristigen Finanzplanung für drei Jahre festgelegt: 47,5 Milliarden DM.



Bundesminister Volker Rühe
Im Haushaltsausschuß waren nach wochenlangen Beratungen ganze 117 Millionen DM strittig. Dann kam der Beschluß, dessen Auswirkungen wir im einzelnen noch nicht kennen. Ich möchte jedoch alle aufrufen, daran mitzuwirken, den Schaden zu begrenzen und das, was der Verteidigungshaushalt zusätzlich erbringen muß, möglichst stark herunterzudrükken.
Nun haben Sie gesagt, Sie hätten die Befürchtung, ich würde das in die Zukunft verschieben und Sie müßten vielleicht darunter leiden. Da kann ich Sie in zweifacher Hinsicht beruhigen. Erstens werden Sie nach dem nächsten Oktober nicht in der Situation sein, daß Sie ein solches Erbe übernehmen müssen,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

und zweitens — und das ist noch viel wichtiger — werde ich in dem Moment, in dem wir die abschließenden Zahlen kennen, sehr schnell die notwendigen kurzfristigen Entscheidungen treffen. Ich werde ohne Rücksicht auf innenpolitische Termine die notwendigen Entscheidungen im nächsten Jahr treffen, und ich werde auch ohne Rücksicht auf innenpolitische Termine die Zukunftssicherung der Bundeswehr auf der Basis, die dann gegeben ist, betreiben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Sie sollten mich eigentlich soweit kennen, daß Sie wissen, daß ich das sehr ernst meine. Ich sage hier noch einmal, weil ich schon im Frühjahr Hunderte von Abgeordnetenbriefen bekommen habe, als wir noch eine bessere finanzielle Grundlage hatten und eine schwierige Stationierungsdebatte führten: Es gibt keinen Spielraum mehr für Rücksichten, die die Strukturpolitik betreffen.
Die Bundeswehr hat nicht die Hauptaufgabe, stationiert zu sein. Mit dem, was jetzt an neuen finanziellen Belastungen auf uns zukommt, muß ich mich ausschließlich an der militärischen Leistungsfähigkeit der Bundeswehr orientieren. Das werde ich auch machen und die Zukunftssicherung der Bundeswehr betreiben. Denn für alles andere gibt es in diesem Haushalt keinen Spielraum mehr.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wichtig ist, daß die Sparbelastungen so abgesenkt werden, daß wir kontinuierlich an dieser Planung arbeiten können und daß es nicht zu sofortigen und heftigen Einbrüchen kommt. Daher ist meine Bitte an alle Beteiligten, sich in diesem Sinne einzusetzen.
Jetzt hat das Jagdflugzeug eine Rolle gespielt. Ich verstehe im Augenblick die Aufregung nicht. Wir sind dabei, die Umstellung international auszuhandeln. Daß das schwer ist, ist klar. Es gibt aber auf dem Weg Erfolge. Im Augenblick hat das Flugzeug technische Schwierigkeiten. Kein Verteidigungsminister der Welt kann es den Technikern abnehmen, daß das Flugzeug fliegt.
Wir werden 1995 sehen: Erfüllt es die technischen Voraussetzungen, erfüllt es die finanziellen Voraussetzungen; wenn das der Fall ist, dann ist es doch das
Natürlichste der Welt, daß wir versuchen, auch dieses europäische Jagdflugzeug auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Im Moment gibt es aber technische Schwierigkeiten; das ist überhaupt keine Frage.
Ich möchte jetzt noch kurz etwas zu Somalia und zu den internationalen Einsätzen sagen. Herr Thiele, ich wollte es eigentlich nicht. Aber ich muß doch ein Wort zu Ihnen sagen, weil ich das zurückweisen muß, was Sie sagen: nichts wie weg aus Somalia.

(Vorsitz : Vizepräsident Helmuth Becker)

Ich kann das nicht erkennen. Sie müssen doch zur Kenntnis nehmen, daß die Bundeswehr all ihre Verpflichtungen gegenüber den Vereinten Nationen erfüllt hat. Wir sind mit der Pünktlichkeit eines Intercity in Somalia gelandet. Nur der Gegenzug ist nicht eingelaufen. Daraus kann man uns keinen Vorwurf machen.
Im übrigen haben andere Länder wie die Vereinigten Staaten, wie Frankreich und Belgien einseitige Entscheidungen getroffen, die uns bestimmte Grundlagen weggenommen haben. Die Vereinten Nationen haben auch die Geschäftsbedingungen geändert. Wenn ich in der Situation nicht nur als Minister, sondern auch als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt nun mit sehr großer Sorgfalt darauf achte, daß unsere Soldaten nicht in eine gefährliche Situation kommen und daß wir alles Material rechtzeitig aus Somalia herausbringen, dann entspricht das — so glaube ich — meiner Verantwortung. Ich weise das zurück, wenn gesagt wird: Es handelt sich um eine „Nichts-wie-weg-Haltung".

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Damit hat das nichts zu tun.
Im übrigen bin ich mit dem Außenminister einig, daß wir noch im Monat Dezember die Entscheidung über die Frage des Rückzugs treffen, und das ist ausreichend für die Soldaten. Aber das muß auch geschehen, damit wir hier nicht in eine schwierige Lage kommen.
Zu den Sozialdemokraten: Es ist eben richtig, daß sie mit ihren Parteitagsbeschlüssen nicht bündnisfähig sind, wobei das eigentliche Problem nicht Einsätze wie in Somalia oder Kambodscha sind — da kann man ja oder nein sagen; man muß nur im Prinzip dazu bereit sein —, sondern das eigentliche Problem sind die NATO-Einsätze. Daraus ergibt sich die Bündnisunfähigkeit.
Ich war Anfang der Woche bei dem AWACS- Verband in Geilenkirchen, wo zwölf Nationen ein Flugzeug betreiben. Wenn die NATO im Auftrag der UNO diese Flugzeuge einsetzt und wir nicht in der Lage sind, uns zu beteiligen, wie elf andere Nationen auch, dann werden wir bündnisunfähig. Dann kommt es zu einer Renationalisierung der Verteidigungspolitik. Das ist ein riesiger Schaden, der dort eintreten würde.

(Beifall bei der CDU/CSU)




Bundesminister Volker Rühe
Wenn der Ministerpräsident Scharping vor einer Renationalisierung allgemein gewarnt hat, dann kann ich nur sagen: Eine solche Art der Integration wie in diesem Flugzeug oder wie in den integrierten NATO-Stäben, an denen wir eben auch mitwirken können und müssen, oder bei anderen NATO-Einsätzen gibt es nirgendwo anders auf der Welt. Das ist der eigentliche qualitative Fortschritt, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa erreicht worden ist.
Wenn wir nicht dieselben Einsatzbedingungen haben wie andere Nationen auch, müßten wir aus diesen integrierten Stäben ausscheiden — im Augenblick haben wir ja auch entsprechende Probleme —, dann müßten wir aus solchen integrierten Verbänden wie bei AWACS ausscheiden. Dann kann es keine deutsch-französische Brigade, kein Eurocorps auf die Dauer geben.
Hier stellt sich die Frage der Bündnisfähigkeit, und hier liegt der eigentliche Grund dafür, warum es eben nicht reicht, daß wir Blauhelm-Soldaten schicken. Wir müssen vielmehr in der Lage sein, genau das zu tun, was die anderen NATO-Staaten auch tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nun hat Herr Klose gesagt, Sie stünden ja zu den jetzigen Bündnisverpflichtungen, aber nicht zu den zukünftigen der NATO. Er übersieht aber, daß die zukünftigen Verpflichtungen sozusagen schon zu den jetzigen geworden sind. Die NATO ist schon mitten drin in der neuen Zeit. Ohne das NATO-Hauptquartier, ohne die NATO-Flugzeuge — AWACS und Jagdflugzeuge — gäbe es überhaupt keine Möglichkeiten der Vereinten Nationen, in Jugoslawien einzugreifen. Das sind die wahrscheinlichsten Einsätze der nächsten Jahre, und daran müssen wir auch teilnehmen.
Es nützt überhaupt gar nichts, wenn Sie sagen: Wir stehen zu den alten Bündnisverpflichtungen. Dabei handelt es sich um die unwahrscheinlichsten Situationen, nämlich die Frage eines Großangriffs auf die NATO. Wer soll das eigentlich durchführen?
Wer also die Existenzsicherung der NATO auch in der Zukunft betreiben will, der muß auch zu diesen neuen Aufgaben stehen. Deswegen ist es richtig: Sie werden bündnisunfähig, wenn Sie nicht bereit sind, über Blauhelm-Missionen hinauszugehen. Darüber sollten Sie noch einmal sehr gründlich nachdenken.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, gestatten Sie mir am Schluß auch ein Wort des Dankes an alle Angehörigen und Mitarbeiter der Streitkräfte, an die Soldaten und die zivilen Mitarbeiter. Ich weiß, daß sie in schwierigen Zeiten ihren Dienst machen, daß wir ihnen auch einiges durch schnell aufeinanderfolgende politische Entscheidungen zumuten.
Aber ich meine, daß wir alle in dem Urteil übereinstimmen, daß sie eine große Leistung erbracht haben, daß es nicht selbstverständlich ist, mitten in diesem schwierigen deutschen Einigungsprozeß eine Führungsrolle zu übernehmen, wie die Bundeswehr das gemacht hat, und gleichzeitig neue internationale Aufgaben zu übernehmen.
Ich denke, es wäre angemessen, wenn das ganze Parlament einen Dank aussprechen würde an die
Bundeswehr und wenn diesem Dank auch das Geld folgen würde bei den Haushaltsberatungen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD])


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1219212600
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe eine Bitte. Der Kollege Müller (Wadern) möchte gerne seine Rede zu Protokoll geben.*)

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr vernünftig! Wer noch?)

Gibt es Bedenken? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich möchte Sie dann noch darauf aufmerksam machen, daß nach dem Debattenverlauf kurz vor 20 Uhr die namentliche Abstimmung über den Haushalt 04 stattfinden wird.
Nun erteile ich das Wort unserem Kollegen Walter Kolbow.

Walter Kolbow (SPD):
Rede ID: ID1219212700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte auch ich dem Kollegen Horst Jungmann, der im Haushaltsausschuß Berichterstatter für den Einzelplan 14 ist, für die freundschaftliche, sachkundige und der Bundeswehr dienliche Zusammenarbeit danken.

(Beifall bei der SPD)

Horst, du wirst uns fehlen.
Ich möchte aber auch sagen — nicht weil ich das vorhin erfahren habe, Herr Kollege Strube, sondern weil die Debatten über den Verteidigungsetat dies immer wieder deutlich gemacht haben —, daß wir Ihnen danken für die Sachlichkeit und auch für die Klarheit der Ausführungen, die Sie zu dem Einzelplan 14 im Rahmen der Berichterstattung, aber auch als engagierter Streiter im besten Sinne des Wortes für unsere Bundeswehr gemacht haben. Gelegentlich werden wir bei uns, wenn Ihr Nachfolger spricht, darauf hinweisen können: Das hätte der Kollege Strube sicherlich etwas anders formuliert.
Ich weiß nicht, ob die Auffassung, die Sie heute geäußert haben, daß die Bundeswehr schlanker werden muß und daß, was auch der Kollege Thiele eingebracht hat, die Streitkräfte nicht auf einer Stärke von 370 000 Mann bestehen können, die Mehrheitsfähigkeit bei der Koalition hat. Ein Denkprozeß hat bei Ihnen aber für eine Position, die wir in Wiesbaden beschlossen haben, ersichtlich begonnen. Ich fordere Sie auf, weiterhin diesen Dialog mit uns zu führen. Denn es muß — auch wenn wir darüber noch nicht einer Meinung sind — ein Ergebnis sein, daß Sicherheit, aber auch Streitkräfte legitime Mittel des Ausdrucks eines souveränen Staates sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kollege Jungmann hat profund den Bundesminister der Verteidigung angesprochen. Bevor ich auf Sie,
*) Anlage 3



Walter Kolbow
Herr Bundesminister, eingehe, will ich mir im Rahmen meiner Redezeit erlauben, einen Punkt anzusprechen, der mir außerordentlich am Herzen liegt, auch nach den Besuchen, die wir in Belet Uen und in Phnom Penh gemacht haben. Ich möchte darauf hinweisen, daß wir auch national bei uns zuwenig tun, keine Vorausschau getroffen haben und auch kein Projekt haben, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, zur Erhöhung der Sicherheit der Bevölkerung in ehemaligen Bürgerkriegsgebieten vor Gefahr durch Minen und andere gefährliche Munition.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin froh, daß am 19. September in Belet Uen ein Prothesenhilfsprogramm begonnen worden ist, mit dem 100 Minenopfern geholfen wird. Wir wissen, daß in dem orthopädischen Zentrum in Battampang in Phnom Penh auch mit der Unterstützung von deutscher Seite 2 000 Minenverletzte von April bis Oktober behandelt worden sind. Dies reicht aber nicht aus. Deswegen, meine ich, müssen wir hier für Angola, Mosambik, Afghanistan, aber auch für Kambodscha und Somalia ein Projekt miteinander entwickeln, das die Minengefahr beseitigen hilft und womit wir für die Menschen vor Ort dann auch konkret Lebensrettung betreiben, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich glaube, daß auch bei den Finanzdiskussionen um Somalia so manch einer oder eine sagen wird: Manche Mark aus Deutschland wäre für ein solches Minenhilfsprogramm, für ein solches Projekt, bei der UNHCR, also bei der UNO angesiedelt, gut angelegt gewesen. Wir wollen — das liegt uns auch nicht; dazu, meine ich, leisten unsere Soldaten in Somalia zu gute Arbeit, auch in Phnom Penh haben sie das getan, solange sie dort waren —, so wie der Außenminister das heute gesagt hat, diesen Einsatz nicht miesmachen. Darum geht es nicht. Wir müssen ihn analysieren, und wir müssen ihn politisch bewerten.
Herr Holtz sagt im ZDF zum deutschen Einsatz:
Er wird als das riesengroße Somalia-Windei in Erinnerung bleiben. Diese indische Brigade, der die deutschen Soldaten angeblich zur Hand gehen sollten, geistert wie der Fliegende Holländer durch die Träume der deutschen Politiker. In der Wirklichkeit taucht sie niemals auf. Aber der deutsche Drang nach Afrika entstand schließlich nur aus politischem Antrieb. Die Bundesregierung strebt nach einem Dauersitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, und dorthin kommt einer nur mit Helm. Ohne Militäreinsatz kein Prestige.
Das ist der Punkt, an dem wir ansetzen und bei dem wir der Meinung sind, daß wir Ihnen das nicht ersparen können. Die „Augsburger Allgemeine Zeitung", Herr Rühe, schreibt unter der Überschrift — die ich mir in der abendlichen Stimmung nicht vollinhaltlich zu eigen machen möchte — „Rühe wird zum Reinfall" das folgende:
Auch wenn es der allzeit bereite Wehrminister
heute eher ungern hört — vor allem er war es, der
vor Jahresfrist gegen anfänglichen Widerstand
des Außenamts auf eine deutsche Beteiligung am Somalia-Abenteuer drängte. Ohne klare rechtliche Grundlage, ohne ein tragfähiges Einsatzkonzept wurde die Bundeswehr ans Horn von Afrika entsandt. Es ging Rühe dabei weder um humanitäre Hilfe noch um eine wirkliche militärische Aufgabe. Der verhinderte Außenpolitiker wollte ein Signal setzen: Wir sind wieder dabei — auf Biegen oder Brechen. Nun ist die Verfassung verbogen, die UN-Mission zerbricht,
— wie wir sehen —
der Minister will seine Soldaten lieber heute als morgen zurückholen:
— da stimmen wir zu —
Vorwärts, Kameraden — wir müssen zurück!
So der Kommentar aus der „Augsburger Allgemeinen Zeitung", Herr Kollege Rossmanith, die nun nicht im Verdacht steht, sozialdemokratischen Umtrieben empfänglich zu sein.

(Beifall bei der SPD — Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Darm hätten Sie auch sagen sollen, wer ihn geschrieben hat!)

Für uns jedenfalls — da komme ich Ihnen wieder näher, Herr Kollege Rühe — steht die Sicherheit unserer Soldaten in Somalia an erster Stelle. Dies heißt, daß wir uns aus Somalia zurückziehen müssen und daß — das sagt, wie nachzulesen ist, heute auch Kollege Hornhues —, wenn die Amerikaner herausgehen, wir wegen der Sicherheit unserer Soldaten vorher herausgehen müssen. Wenn wir dann geordnet abziehen, so muß man jetzt damit anfangen. Die Entscheidung im Kabinett, die Sie gestern abend getroffen haben, stellt den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen Außenminister und Verteidigungsminister dar. Hier rufe ich Sie nachdrücklich auf: Setzen Sie sich im Kabinett einmal durch, und sorgen Sie dafür, daß dieser Beschluß gefaßt wird!
Auch nicht im Kabinett durchgesetzt, jedenfalls bis jetzt und auch in der Vergangenheit nicht, Herr Kollege Rühe, haben Sie sich bei den Mitteln, die die Bundeswehr gerade jetzt in schwierigen Haushaltssituationen braucht. Es ist schon merkwürdig. Wir haben rechtzeitig einen Abrüstungs- und Rüstungskontrollansatz gehabt. Wir haben gesagt, wir können den Umfang der Bundeswehr reduzieren. Wir haben uns, noch in der Jacobsen-Kommission, sogar auf gemeinsame Eckwerte verständigt, weil wir — das ist für die Opposition nicht so einfach wie für die Regierung — die Kassenlage nicht genau kennen konnten. Als wir dies erkannt haben, haben wir aus dem rüstungs- und abrüstungskontrollpolitischen Ansatz heraus und auch wegen der Notwendigkeiten, die jetzt von Ihnen von der Finanzseite her kommen, gesagt: Reduziert den Umfang auf 300 000 Mann! Es sind auch andere Zahlen genannt worden, die ich persönlich für falsch halte. Der Wiesbadener Parteitag hat diese 300 000 beschlossen. Herr Thiele, dies ist der Anfang einer Kooperation in der Sache — über anderes habe ich nicht zu spekulieren; darüber wird der Wähler zu entscheiden haben —, für schlankere Streitkräfte, die Sicherheit garantieren. Diese Streitkräfte müßten dann aber optimiert sein und auch die



Walter Kolbow
Beträge erhalten, die wir insgesamt vor dem Steuerzahler verantworten können.
Herr Bundesminister, es ist nun eine Aufgabe, die Sie zu leisten haben, nicht unter die Kürzungsvorschläge zu gehen, die wir bei einer Gesamtwertung des Haushalts und unter Berücksichtigung anderer Prioritäten gefunden haben. Sie wissen, wir sind etwa bei 800 Millionen DM. Auch ich bin der Meinung, daß es, wenn es tiefer geht, in die von Ihnen und auch vom Kollegen Jungmann angesprochene Substanz geht. Diese Summe ist das Mögliche, was wir noch machen können, mehr nicht. Ich sage Ihnen heute aber auch, daß Sie die Unterstützung der sozialdemokratischen Fraktion für das, was bei der Bundeswehr darüber hinausgeht, bekommen.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Na, na!)

— Wir kommen wieder darauf zurück, Frau Kollegin Albowitz. So wie wir Sie beim Wort nehmen, können Sie auch uns beim Wort nehmen.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Das ist ein Wort!)

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn es in der Bundeswehr eine solche Mißstimmung gibt, dann nicht deshalb, weil die Planungssicherheit durch die Opposition nicht gegeben wäre, sondern weil der Bundesverteidigungsminister Planungsunsicherheit, seitdem er im Amt ist, zu verantworten hat.

(Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

Er hat es nicht geschafft, uns zur Sitzung des Verteidigungsausschusses am 8. Dezember und zur Bundeswehrplanungsklausur des Hauses am 7. Dezember die Bundeswehrplanung vorzulegen, weil sich die Finanzpolitiker und insbesondere der Finanzminister eingeschaltet haben. Sie müssen doch dem Generalinspekteur Abbitte leisten. Der Mann arbeitet sich zusammen mit den Teilstreitkräfteinspekteuren fast zu Tode, dann hat er ein Ergebnis, und dann kommen die Finanzpolitiker wieder an und sagen: Ist nicht, davon kommen 2,4 Milliarden DM herunter! — Dann kann er das alles wieder in den Papierkorb der Hardthöhe schmeißen. Umsonst wird er Ihnen nicht einen persönlichen Vermerk in dieser Richtung geschickt haben, denn er muß ja auch gegenüber seinen Soldaten auf der sicheren Seite sein. Das hat dieser Generalinspekteur, dem auch wir als Sozialdemokraten in konstruktiver Kritik begegnen, nicht verdient, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Gemogelt und nicht Sicherheit in die Gesellschaft und zu unseren jungen Menschen gebracht wird doch auch bei dem vollmundigen Bekenntnis zur Wehrpflicht ohne Wenn und Aber; denn gleichzeitig wird kräftig Hand an deren Legimitation gelegt, indem Grundwehrdienstleistende bei UNO-Missionen eingesetzt und aus Geldmangel kurzfristig 10 000 Wehrpflichtige einfach nicht einberufen werden.
Die Zustimmung zur Wehrpflicht ist mit 29 % auf einem Tiefpunkt angelangt. Ausländische Beispiele wie die Abschaffung der Wehrpflicht in Belgien und die Empfehlung des niederländischen Parlaments,
dies bis zum Jahre 2001 ebenfalls zu tun, tragen erheblich dazu bei.
Dabei, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es uns aber nicht um die Kernfrage, ob der Bürger noch bereit ist, für den Schutz des Landes Pflichten zu übernehmen. Ganz im Gegenteil, der Bürger stellt fest, daß auf die veränderte Lage durch die Politik nicht angemessen reagiert wird. Er sieht nicht mehr den Sinn des zwölfmonatigen Opfers, wenn eine existentielle Bedrohung Deutschlands nicht mehr existiert, wie Sie selbst wiederholt festgestellt haben.
Bei den Jugendlichen liegt die Quote der Ablehnung der Wehrpflicht noch höher. Das ist meines Erachtens — das kommt zum Ausdruck, wenn man mit ihnen spricht — auch kein Wunder, wenn man mit denen, die bereits ein Opfer für die Allgemeinheit bringen, so umgeht wie die Regierung. Wir sind traurig darüber, daß wir das nicht haben verhindern können und sind hier auch schuldhaft verstrickt mit im Boot. Ich sage das ausdrücklich. Die Kürzung des Entlassungsgeldes um 18 % und die Kürzung des Verpflegungsgeldes sind wahrlich kein Ruhmesblatt für uns alle hier im Deutschen Bundestag.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Die SPD sieht die großen Vorteile der Wehrpflicht und will sie deshalb, solange es möglich ist und Sinn macht, erhalten. Die Wehrpflicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf aber einer wünschenswerten und möglichen weiteren Reduzierung — davon ist heute auch gesprochen worden — nicht im Wege stehen; denn die jetzige Zahl von Grundwehrdienstleistenden wird schon in Kürze nicht mehr zu bezahlen sein. Wir werden genau aufpassen, ob Sie die Zahl der Wehrpflichtigen und die Manipulation mit dieser Zahl dazu benutzen, sich haushaltsmäßig in eine bessere Position als die zu bringen, in der Sie sind.
Die jetzt schon nicht mehr sicherzustellende Dienstgerechtigkeit wird bei weiterem Personalabbau deutlich abnehmen und damit zu einem verfassungsrechtlichen Problem. Bei Verringerung des Streitkräfteumfangs um mehr als ein Drittel — darum kommen auch Sie mit Ihren Sonntags- und Werktagsreden nicht herum — stellt sich unausweichlich die Frage der Wehrform. Die Beibehaltung der Wehrpflicht wird auch — das wissen zumindest die Verteidigungspolitikerinnen und -politiker — von der weiteren Modernisierung und Professionalisierung der kleineren Streitkräfte in Frage gestellt, weil diese eine längere und intensivere Ausbildung bedingen.
Sagen Sie also die Wahrheit, gehen Sie zu den Bürgerinnen und Bürgern und sagen Sie ihnen, daß mit dieser Struktur nicht in das Jahr 2000 gegangen werden kann! Wenn Sie die Zukunftssicherung der Bundeswehr unabhängig von Wahlterminen betreiben wollen, was Sie, meine ich, auch tun müssen, dann werden Sie sagen müssen, daß Sie 370 000 bis 1996, 1998 oder spätestens 2000 nicht halten werden. Dann werden Sie sich letztlich dem anschließen, was der Bundeskanzler schon auf der Wehrkundetagung im Februar 1993 gesagt hat, wobei ich mich immer wundere, daß Sie nach wie vor an 370 000 festhalten und diese Eckwertposition nicht verlassen. Denn Sie



Walter Kolbow
sind, wie Sie heute in der Debatte gemerkt haben, Herr Rühe, auf der Verliererseite in bezug auf die Glaubwürdigkeit und auch die Konzeption.

(Beifall bei der SPD)

Das hat die Bundeswehr nicht verdient. Auch wir — dort treffen wir uns — danken den Soldaten für das, was sie für den Frieden tun und was sie humanitär leisten.
Es besteht die Notwendigkeit und auch die politische Pflicht, den Soldaten für ihre Auslandsverwendungen Rechts- und Verfassungssicherheit zu geben, damit sie auch im Ausland besser Sicherheit produzieren können.
Ich danke für die Geduld.

(Beifall bei der SPD — Manfred Richter [Bremerhaven] [F.D.P.]: Ihr seid in der Verantwortung in dieser Frage!)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1219212800
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt noch eine Veränderung. Nach der ausführlichen Debatte dieses Tages verzichtet der Kollege Voigt auf seinen Redebeitrag.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Damit werden wir in etwa einer Viertelstunde zur namentlichen Abstimmung kommen.
Ich erteile jetzt als vorläufig letztem Redner unserem Kollegen Paul Breuer das Wort.

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1219212900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man aus der Debatte über den Verteidigungsetat heute eines festhalten kann, dann ist das die gemeinsame Meinung: Zu erwarten, daß im Verteidigungsetat für die Zukunft noch wesentliche Einsparungen erzielt werden können, ist nicht realistisch. Zum erstenmal seit langer, langer Zeit kann man das gemeinsam feststellen. Das ist eine gemeinsame Feststellung sowohl der großen Oppositionsfraktion SPD wie der Mehrheit des Hauses, d. h. der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P.

(Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das läßt hoffen!)

Unverkennbar hat der Verteidigungsetat in den letzten Jahren in erheblicher Weise zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes beigetragen. Der Kollege Volker Rühe, der Bundesverteidigungsminister, nannte vorhin die Zahlen aus den 80er Jahren und verglich sie mit den heutigen Ansätzen. Er kam dabei auf eine Einsparung von 7 Milliarden DM mittlerweile. Dazu muß gesagt werden, daß in den letzten Jahren der Verteidigungsetat zusätzlich die Folgekosten der Lohn- und Gehaltsrunden aus eigener Kraft zu erbringen hatte und darüber hinaus der Verteidigungsetat im laufenden Haushaltsjahr noch immer mit ressortfremden Aufgaben in der Größenordnung von etwa 3 Milliarden DM belastet ist. Das wird in den kommenden Jahren ebenfalls so sein.
Der Anteil des Verteidigungsetats am Bundeshaushalt lag 1963 bei einer Größenordnung von 33 % und im Jahre 1983 bei einer Größenordnung von über 19 %. Er liegt heute, gemessen am Gesamtetat, gerade noch bei einer Größenordnung von 10,9 %. Das heißt,
jeder, der hier in diesem Hause oder außerhalb auftritt und davon redet, die Verteidigungsausgaben seien nach wie vor zu hoch, kennt sich in diesem deutschen Verteidigungsetat überhaupt nicht aus.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Oder er sagt die Unwahrheit!)

Der Anteil des Verteidigungshaushaltes am Föderalen Konsolidierungsprogramm der Bundesregierung lag mit 863 Millionen DM bei 32 %.
Gleichzeitig befindet sich die Bundeswehr in einem schwierigen Anpassungsprozeß, der zunächst einmal darauf reagieren muß, daß der deutsche Bundeskanzler, daß Helmut Kohl — das war eine außerordentlich erfolgreiche und geschichtlich großartige Leistung — es fertiggebracht hat, mit dem damaligen sowjetischen Präsidenten Gorbatschow die Einigung zu erzielen, daß die Bundeswehr auf 370 000 Mann für die Zukunft im Vorgriff auf andere europäische Abrüstungsverhandlungen reduziert wird und Deutschland gleichzeitig im westlichen Bündnis, in der NATO, bleiben kann.
Das war eine hervorragende Vereinbarung, aber das ist eine schwierige Belastung für die Bundeswehr — die Bundeswehr, die dabei ist, Standorte überall in Deutschland aufzugeben, die dabei ist, Standorte in den neuen Bundesländern aufzubauen, die dabei ist, Umzüge von Zigtausenden von Soldatenfamilien auf sich zu nehmen und zu organisieren, die dabei ist, das ehemalige Material der Nationalen Volksarmee abzugeben, das alles geräuschlos, eine Bundeswehr, die es geschafft hat, die ehemaligen Soldaten der NVA in den eigenen Reihen auf der Basis der freiheitlich demokratischen Grundordnung unseres Grundgesetzes zu integrieren.
Wer in dieser Situation nach wie vor verächtlich über die Bundeswehr redet, der kennt die Bundeswehr in dem, was sie leistet, nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Gleichzeitig ist die Bundeswehr dabei, sich auf neu hinzugewachsene Aufgaben Deutschlands in einer veränderten Welt einzustellen, Aufgaben, die nicht nur militärisch fordern, sondern die zuerst einmal politisch fordern.
Wenn ich die Debatte heute mittag richtig verfolgt habe, dann hat der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz, der SPD-Bundesvorsitzende Scharping, hier folgendes ausgeführt. Er hat gesagt, auch seiner Meinung nach sei Deutschland Mitglied der Vereinten Nationen mit allen Rechten und Pflichten — Mitglied der Vereinten Nationen mit allen Rechten und Pflichten!
Ich bin davon überzeugt, daß der Beschluß des SPD-Parteitages zu allen Pflichten Deutschlands im Zusammenhang mit den militärischen Verpflichtungen innerhalb der Vereinten Nationen nicht ausreicht, um dies wahrzunehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich weiß, daß die Kollegen innerhalb der SPD, die sich mit diesem Bereich besonders beschäftigen, ebenfalls meiner Überzeugung sind.



Paul Breuer
Nach wie vor versucht die SPD in diesem Bereich, mit Formulierungsverkleisterungen darüber hinwegzutäuschen, daß sie nicht dazu bereit ist, daß Deutschland alle Rechte und Pflichten in der UNO auch im militärischen Bereich wahrnimmt.
Der Verteidigungshaushalt für das Jahr 1994 befindet sich mit dem Plafond von 48,6 Milliarden DM — ich führte es eben im Zusammenhang mit den Relationen aus — auf einem historischen Tiefpunkt. Er rechtfertigt sich in dieser geringen Höhe allein in der Verbindung mit dem Beschluß der Bundesregierung, den Verteidigungshaushalt durch einen festgelegten Ausgaberahmen für die kommenden Jahre zu verstetigen.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1219213000
Herr Kollege Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Klejdzinski?

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1219213100
Herr Kollege, wenn Sie mir zugestehen, daß ich diesen Gedanken zu Ende führe, dann will ich Ihnen gerne die Zwischenfrage erlauben. — Rationalisierungserfolge innerhalb des Verteidigungsbereichs können damit für Umschichtungen in den investiven Bereich genutzt werden.
Wenn man sich den Etat, wie er heute zur Verabschiedung steht, genau anschaut, wird man feststellen, daß dies innerhalb des Ansatzes 1994 in der Größenordnung von 300 Millionen DM bereits geschehen ist. Dies ermöglicht spürbare Strukturverbesserungen nach innen und den Erhalt sicherheitspolitisch notwendiger wehrtechnischer Fähigkeiten.
In einer Phase des personellen und konzeptionellen Umbaus der Bundeswehr wird damit die Voraussetzung für eine zukunftsorientierte Bundeswehrkonzeption ermöglicht. Sie schafft Planungssicherheit für einen überschaubaren Zeitraum und Freiräume für die dynamische Weiterentwicklung der konkreten Planungen.
Nun, Herr Kollege Klejdzinski, bitte Ihre Zwischenfrage.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1219213200
Herr Kollege Breuer, stimmen Sie mir zu, daß mein Ministerpräsident aus Rheinland-Pfalz, den Sie zitiert haben, nicht nur inhaltlich etwas zu Somalia gesagt hat, sondern gleichzeitig auch erklärt hat, daß die 500 Millionen DM, die der humanitäre Einsatz in Somalia kostet, durch andere Organisationen erheblich billiger hätte erbracht werden können?

Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1219213300
Herr Kollege Klejdzinski, ich habe zunächst einmal davon gesprochen, daß der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz und SPD-Bundesvorsitzende heute mittag hier erklärt hat, seiner Meinung nach bedeute die Mitgliedschaft Deutschlands in der UNO eine Mitgliedschaft mit allen Rechten, aber auch mit allen Pflichten. Und meine Feststellung ist dann, wenn es urn alle Pflichten geht, so gilt das auch für den militärischen Bereich, und dann kann die SPD nicht — wie sie das in den letzten Monaten und Jahren getan hat und es auch auf diesem Parteitag fortgesetzt tut — ein Versteckspiel in der deutschen Sicherheitspolitik betreiben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Und was Somalia angeht, Herr Kollege Klejdzinski, so möchte ich Ihnen sagen: Die Bundeswehr — das ist auch von Mitgliedern Ihrer Fraktion festgestellt worden — hat in Somalia hervorragende Arbeit geleistet. Das politische Ziel der Vereinten Nationen in Somalia ist nicht erreicht. Das können wir gemeinsam feststellen.
Ich stelle allerdings fest, daß dies nicht auf Grund des deutschen Beitrags in Somalia so ist, sondern dabei andere Gründe eine Rolle gespielt haben. Und wenn Sie ständig versuchen, Ihre schlechte Politik gegenüber den Vereinten Nationen dahinter zu verstecken, daß die politischen Ziele in Somalia seitens der Vereinten Nationen nicht erreicht werden können, dann reicht das für die deutsche Sozialdemokratie nicht aus.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, der loyale Einsatz der Bundeswehrangehörigen im Zusammenhang mit der Aufgabenstellung und der veränderten Aufgabenstellung, aber auch den vielen Veränderungen in Deutschland ist beispielhaft für den gesamten öffentlichen Dienst. Und wenn ich das hier einmal in dieser Art und Weise sage, dann möchte ich erklären: Wir müssen nicht nur den Bundeswehrangehörigen — ob Soldaten oder zivilen Mitarbeitern — für ihren Dienst danken, sondern wir müssen ihnen für ihren loyalen Dienst danken. Denn das, was dort getan wird, ist wirklich beispielhaft und erfolgt zum Teil unter aller-schwierigsten Bedingungen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Angehörigen der Bundeswehr zeigen, was es heißt, treu zu dienen. Die Einforderung dieses treuen Dienens ist aber keine Einbahnstraße. Neben unserem Dank verdienen sie unsere Solidarität in Wort und Tat.
Ich darf mich noch einmal auf das beziehen, was der Bundesverteidigungsminister eben im Hinblick auf die vom Haushaltsausschuß verhängte globale Minderausgabe sagte. Die Bundeswehrangehörigen verdienen die Solidarität auch der Bundesregierung dahin gehend, daß die Bundeswehrplanung im Hinblick auf die vielen Veränderungen, die ich hier angesprochen habe, in der Zukunft nicht unmöglich wird. Es ist auch die Pflicht des deutschen Parlaments, dies klar zu sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Planungssicherheit wird in der Zukunft im Hinblick auf die vielen Veränderungen für die Bundeswehr nur dann erreichbar sein, wenn Planungsdynamik nicht im Widerspruch zu ihr steht. Wenn ich eben davon sprach, daß es notwendig ist, innerhalb der Bundeswehr zu rationalisieren, daß es notwendig ist, den investiven Anteil im Verteidigungshaushalt zu erhöhen, dann deshalb, weil damit die Frage verbunden ist, wie moderne Streitkräfte in den nächsten Jahrzehnten überhaupt bestehen können. Moderne Streitkräfte werden nicht bestehen können, wenn wir bei einem Investitionsanteil in der Größenordnung von 20 % stehenbleiben. Moderne Streitkräfte können nur dann bestehen, wenn wir den Investitionsanteil in



Paul Breuer
diesem Haushalt erhöhen. Die Zielmarke muß 30 % sein.
Das Ganze steht sicher auch im Zusammenhang mit der Fragestellung eines Fortbestehens der wehrtechnischen Industrie in Deutschland. Für den Fortbestand der wehrtechnischen Industrie in Deutschland sprechen nicht nur industriepolitische Argumente; dafür sprechen auch sicherheitspolitische Argumente.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das technische Know-how unseres Landes, eingebunden in die europäische Integration, muß erhalten werden. Die Auseinandersetzung um das europäische Jagdflugzeug, Herr Kollege Kolbow, muß auch vor diesem Hintergrund gesehen werden. Ich bin fest davon überzeugt, daß die Planung oder die Entwicklung des europäischen Jagdflugzeuges ein wesentlicher Meilenstein für die Erhaltung von technischem Know-how für die europäische Luft- und Raumfahrtindustrie ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn ich die obskuren Vorschläge, die aus Ihrer Fraktion zu dieser Fragestellung kommen, beispielsweise die MiG zu erwerben, genau werte, dann muß ich sagen: Es geht nicht um die Erhaltung des technischen Know-how in Rußland oder sonst irgendwo in der ehemaligen Sowjetunion, sondern um die Erhaltung des technischen Know-how in Deutschland und in Europa.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU/CSU)

Es geht darum, den zukünftigen Aufgaben der Bundeswehr in der europäischen Integration und im Nordatlantikpakt gerecht zu werden. Ich möchte, daß deutsche Soldaten mit einer überlegenen Bewaffnung in zukünftige, leider nicht verhinderbare Einsätze hineingehen können. Es wäre unverantwortlich, deutsche Soldaten in einer unterlegenen technischen Position in derartige Konflikte hineingehen zu lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dies hat ohne Zweifel seinen Preis. Ich weiß: Wenn ich von der Überlegenheit technischer Systeme hier vor zwei Jahren gesprochen hätte, wäre ich geprügelt worden, wahrscheinlich sogar noch vor einem Jahr. Es ist nicht verantwortbar, Kosten für den Menschen und Kosten für das Material gegeneinander auszuspielen.
Lassen Sie mich mit einem Gedanken schließen, Herr Kollege Jungmann. Der Kollege Hans-Gerd Strube hat es eben schon gesagt. Was hätten Sie eigentlich heute gesagt, wenn die globale Ausgabensperre von 5 Milliarden vom Haushaltsausschuß nicht verhängt worden wäre? Sie sind in der heutigen Debatte und für den Beschluß, der hier zu fassen ist, mit dem Vorschlag angetreten, den Etat nochmals um 780 Millionen DM zurückzufahren. Wenn ich mir anschaue, auf welchen Positionen Sie das tun,

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Der kann sich nur wundern!)

dann stelle ich nicht fest, daß Sie den besonderen
Gegebenheiten innerhalb der Bundeswehr Rechnung
tragen. Ich kann mich auch nicht daran erinnern,
Kollege Jungmann, daß diese Vorschläge in der Debatte des Verteidigungsausschusses sinngebend eine große Rolle gespielt hätten. Wenn Sie sich dann heute in die Beschützerrolle für die Bundeswehr hineingeredet haben, dann ist das sehr vordergründig und im Prinzip, meine ich, gar nicht glaubwürdig. Denn Sie haben es in der Vergangenheit nicht verhindert, daß auf Ihren Bänken, insbesondere von der Kollegin Matthäus-Maier, ständig von tiefgreifenden Einschnitten im Verteidigungsetat geredet worden ist, ohne daß man die Situation innerhalb der Bundeswehr berücksichtigt hätte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In einer schwierigen Zeit der deutschen Finanzpolitik ist der Bundesminister der Verteidigung dabei, die Bundeswehr in die Zukunft zu führen — eine wahrlich nicht leichte Aufgabe. Er hat dabei die volle Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion. Wir danken ihm für seine schwierige Arbeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1219213400
Meine sehr verehrten Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Einzelplan 04 — Bundeskanzler und Bundeskanzleramt - in der Ausschußfassung. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich eröffne die Abstimmung. —
Meine sehr verehrten Damen und Herren, darf ich fragen, ob alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme abgegeben haben. —
Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, daß alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben haben, und schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. * )
Im Interesse des Fortgangs der Beratungen bitte ich Sie, Platz zu nehmen. Wir kommen zu einer Reihe von Abstimmungen.
Meine Damen und Herren, wir stimmen zuerst über den Einzelplan 05, Auswärtiges Amt, in der Ausschußfassung ab. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe? — Stimmenthaltungen? — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ist der Einzelplan 05 angenommen.
Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 14, Bundesminister der Verteidigung, ab. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/6204 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD? — Gegenprobe? — Stimmenthaltungen? — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ist dieser Änderungsantrag bei zwei Enthaltungen abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 14 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe? — Stimmenthaltungen? — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ist der Einzelplan 14 angenommen.
Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 35, Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt
*) Ergebnis Seite 10644 D



Vizepräsident Helmuth Becker
ausländischer Streitkräfte, in der Ausschußfassung ab. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe? — Stimmenthaltungen? — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ist der Einzelplan 35 angenommen.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04 liegt noch nicht vor. Es wird noch einen Augenblick dauern. Ich frage Sie, ob Sie damit einverstanden sind, daß wir schon den Einzelplan 23 aufrufen. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann rufe ich auf:
Einzelplan 23
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
— Drucksachen 12/6021, 12/6030 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Helmut Esters Dr. Christian Neuling
Werner Zywietz
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem unserem Kollegen Helmut Esters das Wort.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, die notwendige Ruhe herzustellen, damit wir ordnungsgemäß fortfahren können.
Kollege Esters, bitte.

Helmut Esters (SPD):
Rede ID: ID1219213500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir jetzt zur Beratung des Etats des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung kommen, muß uns dabei bewußt sein, daß die öffentlichen Leistungen der Geberländer gegenüber positiven Signalen aus dem Bereich der GATT-Verhandlungen für die Lander der Dritten Welt nur eine periphere Bedeutung haben. Wenn die Länder der Dritten Welt mit ihren Produkten offenen Zugang zu den Märkten der Industriestaaten bekämen, dann würde dies eine dauerhafte Verbesserung der Lebensbedingungen vieler Menschen in diesen Ländern bedeuten.
Ich wundere mich von daher schon seit einiger Zeit über die allzu geringe Lautstärke der Proteste aus den Ländern des Südens gegen die lange Verhandlungsdauer der Uruguay-Runde und der nicht absehbaren Folgen eines Scheiterns dieser Veranstaltung.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Resignation!)

Wir wissen natürlich auch, daß der Marktzugang für Produkte aus den Ländern der Dritten Welt zwangsläufig auch zu Strukturveränderungen in den Industriestaaten selbst führen wird. Wer aber für einen freien Welthandel eintritt, der muß den Strukturwandel bei uns zugunsten der Dritten Welt bejahen; denn auch das versteht man unter internationaler Arbeitsteilung in unserer einen Welt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.)

In unserem eigenen Interesse als Exportnation und ganz besonders im Interesse der Entwicklungsländer müssen wir also auf einen Erfolg bei der GATT-Runde setzen und hoffen, daß die protektionistischen Interessen einzelner Industriestaaten nicht zum Tragen kommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der F.D.P.)

Im Zuge unseres Vereinigungsprozesses haben wir erkennen müssen, eines wie hohen finanziellen Aufwandes es bedarf, um die Lebensbedingungen der Bevölkerung in den neuen Ländern schrittweise auf das Niveau der alten Bundesländer — obwohl es auch da regionale Unterschiede gibt — heranzuführen. Wenn wir für diesen Bereich mittelfristig einen jährlichen Bedarf von mehr als 150 Milliarden DM feststellen, dann kann jeder leicht ermessen, eine welch zu vernachlässigende Größe der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland mit rund 8,3 Milliarden DM für alle Länder des Südens ist. Die große Mehrheit der Bevölkerung auf unserer Erdkugel lebt nun einmal in der südlichen Hemisphäre.
Wenn wir nun bei der Beratung des Einzelplans 23 berücksichtigen müssen, daß uns selbst, dem Bundesministerium und damit auch dem Parlament, ein nur geringer Gestaltungsspielraum offensteht, dann auch deshalb, weil rund 35 % des Etatvolumens Ansätze sind, die durchlaufende Posten im Einzelplan 23 ohne Projektsteuerung durch das Ministerium darstellen. Dies sind die Beiträge, die entweder durch Gesetz oder durch internationale Verabredungen, im Bereich der internationalen Banken, des Internationalen Währungsfonds — dieser wird vom BMF gesteuert —, der Europäischen Gemeinschaft — dieser wird vom Bundesminister für Wirtschaft ausgehandelt —, festgesetzt sind. Damit begrenzt sich schon das Volumen, das für Ausgaben im bilateralen Bereich zur Verfügung steht, ganz erheblich.
Von daher halte ich es für richtig, daß die Koalitionsfraktionen im Haushaltsausschuß deutlich gemacht haben, daß sie den bilateralen Teil der Beiträge — auch aus nationalen Eigeninteressen heraus — auf einem bestimmten Niveau halten wollen und, bevor die Bundesregierung oder einzelne Bundesminister im internationalen Bereich Zusagen geben, zunächst den Haushaltsausschuß über ihre Absichten unterrichten.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)

Denn in diesem Bereich ist es auch ein wichtiger Punkt, daß — folgt man den vielen Berichten, die man hin und wieder bekommt — die internationalen Organisationen, einschließlich der europäischen, an die Effektivität des bilateralen Bereiches bei uns bei weitem nicht herankommen.

(Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Da gibt es keine Kontrolle!)

— Ja, sicherlich. — Dann ist es wichtig, daß wir für den bilateralen Bereich entsprechende Möglichkeiten offenhalten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der F.D.P.)




Helmut Esters
Die Bundesregierung hat im Laufe der letzten Jahre wiederholt dargelegt, daß die Mittel für den Bereich der wirtschaftlichen Kooperation steigen werden, auch nach dem Vereinigungsprozeß, wo anerkanntermaßen die Finanzlage für den Bund insgesamt schwieriger geworden ist. Das ist allerdings an der Regierungsvorlage nicht erkennbar. Nach den Beratungen im Haushaltsausschuß sind nochmals rund 26 Millionen DM heruntergenommen worden, so daß eine Erhöhung des Entwicklungsetats in diesem Jahr leider nicht möglich war. Das ist zu bedauern, zumal wir damit von dem Ziel eines bestimmten Prozentsatzes am Bruttosozialprodukt immer weiter wegkommen.
Dazu kommt noch ein anderes: Wenn der Entwicklungsetat auch noch von der 5-Milliarden-DM-Sperre, von der hier schon verschiedentlich die Rede war, in erheblichem Umfang betroffen wird — das wird ein Betrag von etwa 100 Millionen DM sein —, dann wird das bei den entsprechenden Titelgruppen zu folgenden Konsequenzen führen müssen. Wir unterhalten dann in wichtigen Bereichen unter Umständen den ganzen Personalapparat für den wesentlichen Bereich der Aus- und Fortbildung, haben aber keine operativen Mittel mehr, mit denen wir die entsprechenden Maßnahmen einleiten könnten.

(Beifall bei der SPD)

Das wäre natürlich fatal. Es könnte z. B. sein, daß wir im Bereich der Journalistenausbildung zwar das Personal bei Deutscher Welle und Deutschlandfunk verfügbar hätten, aber mangels Masse niemanden mehr dorthin bringen könnten, der ausgebildet wird, oder wenn die Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung das Personal in Berlin speziell für den Bereich der Schulung der Mitarbeiter für öffentliche Verwaltungen vorhält, aber niemanden mehr einladen kann, weil die operativen Mittel nicht da sind. Das kann so nicht gehen.

(Beifall des Abg. Jochen Feilcke [CDU/ CSU])

Ich wäre dem Finanzminister außerordentlich dankbar, wenn er bei der Erstellung der entsprechenden Liste auf diesen Teil besonderes Augenmerk legen und berücksichtigen würde, daß diese Bereiche auch in die Kategorie der zukunftsorientierten Politik der Bundesrepublik Deutschland fallen. Der Bundeskanzler selbst hat heute morgen nochmals eindrucksvoll dargelegt, daß speziell die berufliche Aus- und Fortbildung für ihn hohe Priorität hat. Dann kann ich mir nicht vorstellen, daß die Administration des Finanzministeriums hingeht, lieber Herr Finanzminister, und für die Durchführung keine operativen Mittel verfügbar hält. Das hat sicherlich auch die Koalition mit den Sparbeschlüssen nicht gewollt.

(Beifall des Abg. Hans Georg Wagner [SPD])

Der Haushaltsausschuß ist weiterhin auf Vorschlag der Koalition — auch dafür bin ich dankbar — davon ausgegangen, daß es in Zukunft zu einer Konzentration kommt. Ich verstehe darunter auch, daß man mittel- oder längerfristige Schwerpunkte in ausgewählten Sektoren bildet, weil man dann vor allem der mittelständischen Wirtschaft Rahmenbedingungen in
Ländern in bestimmten Sektoren schafft, damit sie dann auch entsprechende Investitionen tätigen, wenn von den Rahmenbedingungen die Sicherheit gegeben ist, daß man in bestimmten Branchenbereichen bleibt.
Ich will hier auch sagen: Ich bin den Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit außerordentlich dankbar, die sich schon frühzeitig um die Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Kooperation mit Vietnam bemüht haben. Das ist jetzt endlich in Gang gekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der F.D.P.)

Wenn wir in einem Land wie Vietnam — ich will im Moment dabei verweilen, weil ich dies in der augenblicklichen Situation für wichtig halte — ungeheuer viele Menschen haben, die in der früheren DDR ausgebildet worden sind, dann ist es eine wichtige Funktion, daß wir diesen Goodwill auch für die gesamte Bundesrepublik Deutschland erhalten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Viele von ihnen sind an der damaligen Technischen Hochschule für Verkehrswesen in Dresden ausgebildet worden.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Die hatten das mit der Teilung gar nicht gewußt!)

Sie befinden sich jetzt in wichtigen Funktionen im ganzen Bereich des Eisenbahnwesens.
Ich könnte mir vorstellen, daß man einmal hier im Parlament darüber nachdenkt, ob es nicht sinnvoll ist, daß man das, Herr Kollege Pinger, was wir im Bereich der Lokomotiven begonnen haben, fortsetzt und sagt, über einen längeren Zeitraum von beispielsweise zehn Jahren werden wir uns in der Hauptsache auf diesem Gebiet mit den Vietnamesen verständigen, damit dies für uns im entwicklungspolitischen Bereich eine Schwerpunktaktivität wird. Dann wird man auch die entsprechenden Zuliefererbetriebe aus der mittelständischen Wirtschaft zu Investitionen in Vietnam bekommen, weil sie dann eine mittelfristige Sicherheit haben, daß es ihnen etwas bringt. Damit verbunden ist der ganze Teil, der mit der Aus- und Fortbildung zusammenhängt.
Ich könnte mir vorstellen, daß man sich auf so etwas — auch aus Gründen unseres nationalen Eigeninteresses; das darf man ruhig sagen — verständigen kann. Ich sehe allerdings kommen — dies ist eine Befürchtung, die ich habe —, daß die Institutionen, in denen andere überwiegend das Sagen haben — ich meine die Weltbank und die Asiatische Entwicklungsbank —, den Vietnamesen als erstes vorschlagen, sie sollten einen großen Highway von Saigon nach Hanoi bauen, damit Japan dann die Autos entsprechend verkaufen kann und die Autos die jetzt vorhandenen Mopeds in dem Land ablösen.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Lieber im Intercity!)

Nur, das werden dann auch wiederum die ersten sein,
die dieses Land auf die Anklagebank des Pariser



Helmut Esters
Clubs bringen, wenn dann eine entsprechende Schuldentilgung ansteht, wo Inlandsdinge in dieser Form nicht devisenbringend ausgegeben werden.
Da müssen wir, Herr Minister, aufpassen, daß wir dabei nicht in diese Richtung mitgehen. Wir wissen doch aus der eigenen Erfahrung — ich bleibe bewußt bei dem Thema —, wie schwierig es ist, wenn man dem Individualverkehr lange Jahre Vorfahrt gegeben hat, auf den Schienenverkehr zurückzukommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Dies sehen wir bei der Bahnreform, die wir jetzt haben. Daher halte ich es für wichtig, daß wir in diese Richtung gehen.
Wichtig ist hierbei auch das Rückkehrerprogramm, durch das viele, die früher in der DDR im beruflichen Bereich ausgebildet wurden, jetzt mit unserer Hilfe zu entsprechenden klein- und mittelständischen Unternehmen wachsen. Dieses Programm ist in Vietnam, in Eritrea und anderswo eines der erfolgreichsten, das wir überhaupt in Gang gesetzt haben. Deswegen muß dies intensiv fortgesetzt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir müssen allerdings auch sehen, daß die Entwicklungsländer selbst die entsprechenden Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Investitionen und, damit verbunden, den Ausbildungsbereich im dualen System schaffen müssen. Wir können dies nur unterstützen.
Dazu gehört, daß es Rechtssicherheit geben muß, daß man funktionierende öffentliche Verwaltungen und ähnliches mehr braucht.
Diese Aufgaben können wir lösen, wenn wir für diese Bereiche auch die entsprechenden operativen Mittel verfügbar haben. Es darf in diesem Bereich auch ruhig Aufträge von anderen Ministerien im Bereich der früheren GUS-Staaten geben. Da die Durchführungsorganisationen — ob dies die Kreditanstalt, die GTZ, die Deutsche Stiftung oder die Carl-Duisberg-Gesellschaft ist — in anderen Bereichen über hervorragende Auslandserfahrungen verfügen, brauche ich bei uns nicht zusätzliche Organisationen zu etablieren. Dann darf auch ruhig eines der acht Ministerien, die jetzt noch dafür zuständig sind, diese Institutionen beauftragen, auch wenn sie beim BMZ angesiedelt sind. Dann würde auch mit Sicherheit erreicht, daß das große Durcheinander, das wir in dem ganzen Bereich der Beratungshilfe haben und das im Haushaltsausschuß mehrfach diskutiert wurde, künftig vermieden wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Bei der Enge dieses Etats und den im Zuge der globalen Minderausgabe von fünf Milliarden DM noch anstehenden Kürzungen müssen wir aber auch sehen, daß die Bemühungen, Wanderungsbewegungen durch aktive Entwicklungspolitik einzudämmen und den Menschen Chancen zu geben, in ihrer Heimat ein menschenwürdiges Leben zu führen, aus diesem Einzelplan nicht mehr finanziert werden können.

(Beifall bei der SPD)

Da dies alle Fraktionen des Bundestages bewußt betreiben, müssen die Mittel hierfür zusätzlich kommen, weil dieser Einzelplan das vom Volumen her nicht hergibt

(Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Das ist richtig!)

und alles, was als Baransatz vorhanden ist, bereits gebunden ist.
Hinzu kommt: Wenn es im Laufe des nächsten Jahres zu von uns allen zu Recht verlangten Sofortmaßnahmen für Struktur- und Wiederaufbauhilfen in Konfliktregionen, vor allein in Ländern im Nahen Osten, in Nordostafrika und im südlichen Afrika, kommt, dann sind hierfür in diesem Einzelplan keine Reserven vorhanden. Wenn die Bundesregierung oder der Bundestag etwas derartiges beschließen, müssen diese Mittel aus anderen Einzelplänen oder aus dem Gesamthaushalt — sprich: aus dem Einzelplan 60 — aufgebracht werden. Denn diese Maßnahmen werden von uns allen gewollt. Wir halten sie für ungeheuer wichtig. Dann muß das entsprechend anders finanziert werden.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1219213600
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der nächste Redner ist unser Kollege Dr. Christian Neuling.

Dr. Christian Neuling (CDU):
Rede ID: ID1219213700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Helmut Esters, ich möchte kurz ein Stichwort von dir aufnehmen, nämlich das der GATT-Verhandlungen. Mit Sicherheit steht der Erfolg der GATT- Verhandlungen gleichzeitig für die Glaubwürdigkeit all dessen, was wir als westliche Industrieländer den Entwicklungsländern predigen, nämlich Marktwirtschaft, freier Handel und internationaler Wettbewerb. Wenn die GATT-Verhandlungen nicht zum Erfolg kommen, ist gleichzeitig unsere Glaubwürdigkeit auch in der Entwicklugspolitik nicht nur gefährdet, sondern im Prinzip gescheitert. Insoweit, glaube ich, ist es hier im Haus einvernehmlich, daß wir alle nachhaltig für einen Erfolg der GATT-Verhandlungen eintreten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir beraten und verabschieden ja heute vermutlich zum letzten Mal in dieser Legislaturperiode den Einzelplan des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

(Rudolf Bindig [SPD]: Dieser Regierung!)

— Nicht so voreilig, lieber Kollege. So manch einer hat zu früh „Hurra" geschrien und ist dann auf die Schnauze gefallen, wie wir in Berlin sagen; es ist etwas burschikos, ich gebe das zu.
Ich möchte meine Rede so anlegen, daß ich sage, daß wir in den letzten drei Jahren im großen und ganzen eigentlich einvernehmlich über den Einzelplan 23 gesprochen und wichtige Weichenstellungen



Dr. Christian Neuling
vorgenommen haben und ich eigentlich gerade am Schluß dieser Legislaturperiode bei der letzten Beratung ein bißchen Bilanz ziehen und Ausblick über die zweite Hälfte der neunziger Jahre geben möchte. Das hat sicherlich damit zu tun — der eine oder andere weiß das —, daß ich zum letzten Mal zu diesem Etat Stellung nehmen werde.
Ich möchte als ersten Punkt den Umfang der Entwicklungshilfe ansprechen, wie er sich anhand der ODA-Quote, d. h. an der offiziellen Entwicklungshilfe, am Bruttoinlandsprodukt gemessen, darstellt. Hier klaffen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Anspruch und Wirklichkeit auseinander. Das ist so, und das muß man zugestehen, ganz egal, ob man in der Opposition oder in der Regierung ist.
Wir setzen das Ziel von 0,7 % des Bruttoinlandsproduktes. Würde man das auf den Etat 1994 umlegen, müßte der Etat des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bei 17,2 Milliarden DM liegen. Wir sind weit davon entfernt. Der Finanzplanungsrahmen sieht vor, daß die ODA-Quote nicht etwa steigt, sondern unter 0,3 % sinken wird.

(Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: So ist es!)

Ich meine, daß es mit der Aufstellung des Etats 1995 Zeit wäre, hier einen realistischen Ansatz zu finden. Ich möchte sagen, daß die Forderung der SPD in ihrem Gesetzentwurf zur Entwicklungspolitik, dieses Ziel schrittweise bis zum Jahr 2000 zu realisieren, schlicht unsinnig ist. Das wissen Sie ja auch. Denn er müßte dann im Jahre 2000 bei 23 Milliarden DM liegen. Das ist nicht zu erreichen.

(Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Das hat der Kanzler doch gesagt!)

— Wir führen ja hier eine sachliche Auseinandersetzung, Herr Kollege, wie wir es im Haushaltsausschuß eigentlich tun.

(Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Der Kanzler hat das doch erzählt!)

Ich bitte, zu bedenken, daß wir einmal überlegen müßten, ob wir uns nicht mit dem Etat 1995 als Richtlinie vornehmen müßten, eine ODA-Quote von 0,35 %, das ist der Durchschnitt der westlichen Geberländer, zu erreichen. Dies würde natürlich eine gewisse Prioritätenveränderung innerhalb der einzelnen Etats und innerhalb dieses Bundesetats zur Folge haben. Dies würde schlichtweg bedeuten, daß ca. 3 Milliarden DM in den Jahren 1995 bis 1997 auf diesen Etat zukommen würden. Das ist nicht die Fraktionsmeinung.
Meine persönliche Meinung ist, daß auf Grund der gewachsenen Aufgaben, die wir international haben, insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer internationalen Vernetzung mit außenwirtschaftlichen Gesichtspunkten, gerade im Bereich der Entwicklungspolitik eine derartige Neustrukturierung sinnvoll wäre.
Ich sage noch einmal in die Richtung des Kollegen aus dem AWZ der SPD: Dies ist der Versuch eines sachlichen Beitrages, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen, und es ist überhaupt nicht geeignet für irgendwelche polemischen Äußerungen.
Ich komme zweitens zu der Frage auch des multilateralen Anteils der Entwicklungshilfe. Der Kollege Esters hat schon die Entwicklung aufgezeigt, und ich kann mich deswegen auf die Beschlußempfehlung beschränken, die wir als Koalitionsfraktionen eingebracht haben, und durch die wir die Bundesregierung auffordern, den Anteil der multilateralen Zusammenarbeit im Einzelplan 23 innerhalb der nächsten Jahre wieder auf höchstens 30 % zurückzuführen.

(Helmut Esters [SPD]: Richtig!)

Dies würde in etwa ein Umschichtungsvolumen von 1,5 Milliarden DM an der obersten Kante bedeuten. Es kann aber gar kein Zweifel sein, daß gerade im Interesse einer mittelfristigen Planungssicherheit bei den privaten Trägern und einer wirksamen Umsetzung eigener entwicklungspolitischer Ziele diesem Trend in die Richtung endgültig entgegengewirkt werden muß, wohin wir die bilaterale Entwicklungshilfe bekommen wollen. Wir müssen auch in dieser Hinsicht wieder zu klaren Eckpunkten kommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

Drittens. Auch hier haben wir seitens der Koalitionsfraktion einen Vorstoß gemacht, wir haben nämlich die Beteiligung des Parlaments bei finanziellen Zusagen bzw. vertraglichen Verpflichtungen seitens der Bundesregierung schlichtweg neu geregelt. Ich kann das wie folgt in einem Satz sagen: Vor jeder entsprechenden finanziellen Zusage ist zukünftig die Einwilligung des Haushaltsausschusses einzuholen.

(Zuruf des Abg. Dr. Winfried Pinger [CDU/ CSU])

— Selbstverständlich haben wir auch die Kollegen aus
dem Fachausschuß logischerweise eingebunden.
Herr Kollege Pinger, das ist doch selbstverständlich.
In diesem Zusammenhang, und das war der Ausgangspunkt der Diskussion, spielte die Entwicklung des Europäischen Entwicklungsfonds eine besondere Rolle. Hier gab es durchschnittliche Steigerungsraten von ca. 12 % in den letzten acht Jahren als Beitrag zum EEF, das ist der europäische Entwicklungsfonds, während der Etat selbst nur um ca. 3 % in diesem Zeitraum gestiegen ist. Dies ist schlichtweg eine Fehlentwicklung.
Wir müssen uns politisch entscheiden, was wir wollen. Legen wir, wie z. B. die Japaner, den Schwerpunkt unverändert auf den bilateralen Bereich, dann müssen wir uns dazu aufschwingen, endlich auch bestimmte Grenzen zu akzeptieren, auch dann, wenn es schwierig wird, sie durchzuhalten. Das ist übrigens grundsätzlich auch eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit.

(Beifall der Abg. Jochen Feilcke [CDU/CSU] und Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.])

Viertens. Wir haben gefordert, daß im Interesse einer Steigerung der Effektivität schlichtweg die Mittel konzentriert werden müssen. Derzeit haben wir an Entwicklungshilfe in über 100 Ländern fast 9 000 Projekte in 18 Sektoren. Der Bewilligungsrahmen je Projekt bewegt sich dabei von 1 000 DM bis zu dreistelligen Millionenzahlen.



Dr. Christian Neuling
Wir müssen uns auch hier, wie üblich, entscheiden, ob das nun im beruflichen Leben, in der Familie oder auch in der Politik ist. Deutsche Entwicklungshilfe muß sich wieder auf ihre eigenen Stärken besinnen und konzentrieren. Das ist in erster Linie — so habe ich immer gesagt — die duale berufliche Ausbildung, die Förderung von Existenzgründungen, die Schaffung von mittelständischen Strukturen und die Durchführung von Infrastrukturvorhaben.
Wir müssen weg von der breitgestreuten Vielzahl an Projekten, wie ich immer sage: vom Angorakaninchen bis hin zum Zitrusanbau. Wir müssen die Mittel im Interesse des Erfolgs dieser Projekte konzentrieren. Ich sage noch einmal: Letztendlich verwalten wir die Steuergelder auch des einzelnen Steuerzahlers. Der hat ein Recht darauf, daß wir mit den Mitteln vernünftig umgehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir haben der Bundesregierung deswegen auferlegt, die Anzahl der Partnerländer weiter zu reduzieren und die Anzahl der Projekte um 30 bis 40 % abzubauen, gleichzeitig die Zusammenarbeit in den großen Regionen auf ca. vier bis fünf Sektoren zurückzuführen und eine verbesserte Erfolgskontrolle bei den Projekten durchzuführen.
Im fünften Punkt spreche ich die konsequente Abstimmung der bilateralen Zusammenarbeit mit den internationalen Organisationen an. Um eine Größenordnung zu nennen: Die weltweit geleistete Entwicklungshilfe liegt derzeit bei über 100 Milliarden DM. Die multilateralen Organisationen, und hier insbesondere die Weltbankgruppe und die Europäische Union, sind die größten Geberorganisationen.
Wir müssen unabhängig von der Größenordnung, des Betrags, den wir selbst z. B. über den Einzelplan 23 über 2 Milliarden DM in diese internationalen Organisationen zahlen, ganz offensichtlich bei der Kreditvergabe und bei der Projektdurchführung Reformen einleiten.
An dieser Stelle möchte ich nur für die Insider an den Wapenhans-Bericht und an den Prüfungsbericht des Europäischen Rechnungshofs erinnern. Das, was wir im bilateralen Bereich, im nationalen Bereich feststellen, gilt für die internationalen Organisationen genauso.
Effektivität ist da nicht immer angesagt, und wir haben die Pflicht und Schuldigkeit, gerade im Bereich der internationalen Organisationen mehr Effektivität sicherzustellen und uns dafür einzusetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir müssen zu ressortübergreifenden Ansätzen auch in der Entwicklungspolitik kommen. Ich meine, liebe Kollegen Helmut Esters und Werner Zywietz, hier haben wir eine wichtige Weichenstellung bei der Haushaltsberatung erreicht.
Es ist bekannt, daß die Schwellenländer, aber auch die bevölkerungsreichen Länder wie China und Indien, einen hohen Nachholbedarf an Infrastrukturvorhaben haben. Bekannt sind die vier Felder. Generell werden genannt: Energie, Telekommunikation und Verkehr. Ich füge hinzu: Abfallwirtschaft ist genauso wichtig. Bei der Akquisition derartiger Projekte herrscht ein globaler, brutaler, harter Wettbewerb, bei dem oftmals staatlich geförderte Finanzierungsinstrumente über die Auftragsvergabe mitentscheidend sind.
Wir haben deshalb eine Erweiterung im Haushaltsgesetz vorgenommen, um im Rahmen einer sogenannten Mischfinanzierung staatlich abgesicherte Darlehen mit günstigen Zinskonditionen zu ermöglichen. Der Gewährleistungsrahmen ist zunächst mit 500 Millionen DM eingesetzt worden. Nach meiner persönlichen Meinung muß er in den kommenden Jahren erheblich aufgestockt werden.
Mit dieser Maßnahme wollen wir entwicklungs- und außenwirtschaftspolitische Aspekte koppeln. Wir unterstützen unsere exportorientierte Wirtschaft z. B. in einem so dynamischen Wachstumsmarkt wie Asien, in dem mit ca. 3 Milliarden Menschen knapp 60 % der Weltbevölkerung leben. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir sichern mit einer derartigen Maßnahme zudem Arbeitsplätze bei uns in Deutschland.

(Beifall des Abg. Jochen Feilcke [CDU/ CSU])

Deswegen finde ich es auch richtig, daß man einmal weg von dem Schubladendenken und hin zu ressortübergreifenden Ansätzen in der Politik kommt. Dies wird in den nächsten Jahren noch öfters nötig sein.
Siebentens. Auf die besondere Rolle der europäischen Entwicklungspolitik ist schon eingegangen worden. Es stört hier schlichtweg die traditionelle Ausrichtung gerade bestimmter Mitglieder der Europäischen Union auf ihre ehemaligen Kolonien, was bedeutet, daß bestimmte Entwicklungsländer zu kurz kommen, z. B. in Asien und Lateinamerika. Hier müssen wir in Zukunft auf eine wesentlich stärkere Ausgewogenheit achten. Das wird unsere Aufgabe sein.
Wir haben deswegen auch im Haushaltsausschuß beschlossen, daß die Bundesregierung bis zum 30. April einen Bericht vorzulegen hat, wie diese Abstimmung in Europa effektiver gestaltet werden kann und wie insbesondere der deutsche Anteil an Lieferungen und Leistungen von derzeit ca. 11 % auf 20 % angehoben werden kann. Dies ist unverändert eine hohe Diskrepanz, wie sie bei Italien, Großbritannien und Frankreich nicht auftritt.
Ich finde, nur eine selbstbewußte Vertretung deutscher Interessen innerhalb der Europäischen Union kann der wachsenden Skepsis gegenüber der für den einzelnen kaum noch durchschaubaren EG-Bürokratie nützlich sein, um ihr wirksamer zu begegnen.

(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.])

Das hat nichts mit einer übertriebenen nationalen Einstellung zu tun.
Achtens. Wir haben eine besondere Verantwortung für die neuen unabhängigen Staaten und für die Staaten in Mittel- und Osteuropa. Hierüber, Helmut



Dr. Christian Neuling
Esters, hast du schon kurz gesprochen. Dies ist einvernehmlich unstrittig.
Ich möchte nur hinzufügen, weil diese Zahl oftmals auch bei uns gar nicht mehr in Erinnerung ist: Seit 1990 haben wir als Deutschland ca. 90 Milliarden DM für die neuen unabhängigen Staaten an Hilfe bereitgestellt. Wir sind weitaus der größte Geber. Ich würde mir eigentlich wünschen, daß die Industrie langsam aufwacht und im Einvernehmen mit der Politik auch entsprechende Konsequenzen in diesen Staaten sucht und sich nicht immer heimlich versteckt. Es ist ein Trauerspiel, wenn man erkennt, wie wenig diese Chancen begriffen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Beratungshilfe darf nicht zu einem Förderungsprogramm für deutsche Beratungsunternehmen degenerieren, wie ich sage, sondern sie muß vielmehr die Grundlagen für eine möglichst schnelle wirtschaftliche und politische Umgestaltung in diesen Ländern schaffen.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Sehr wichtige Anmerkungen!)

Neuntens. Ich trete unverändert für einen progressiven Kurs bei Umschuldungswünschen und für einen restriktiven Kurs bei dem Erlaß von Schulden ein. Angesichts unserer eigenen finanziellen Situation haben wir keinen Grund, großzügig mit Schuldenerlassen zu sein. Wir haben allen Grund, großzügig bei Umschuldungswünschen zu sein, aber nicht bei dem Erlaß. Dies ist auch meine Meinung zu diesem Thema.
Zehntens. Es gilt, die neuen Gestaltungsräume in der Entwicklungspolitik nach Beendigung des Ost-West-Konflikts zu nutzen.
Im Verlauf dieser Debatte ist schon des öfteren auf die weitreichenden Auswirkungen in vielen Feldern der Politik nach Beendigung des Ost-West-Konflikts hingewiesen worden. Dies gilt in besonderem Maße auch für die Entwicklungspolitik.
Eine Vielzahl von neuen Entwicklungsländern ist hinzugekommen. Wir müssen unsere Mittel konsequent konzentrieren und Prioritäten setzen. Abstimmungsprozesse auf nationaler wie auf internationaler Ebene sind mehr denn je erforderlich.
Das aus den 60er und 70er Jahren bekannte Ausspielen der beiden Blöcke Ost gegen West hat ausgespielt. Wir müssen verstärkt Kooperationsmodelle auf internationaler Ebene entwickeln, um die in vielen Ländern anstehenden gewaltigen Transformationsprozesse wirksamer unterstützen zu können.
Weltweit ist ein gnadenloser Kampf um die neu entstandenen Märkte entbrannt — z. B. in China und in Indien, aber auch in Lateinamerika. Wir werden in diesem harten Wettbewerb nur bestehen können, wenn Wirtschaft und Politik gemeinsam ihre Kräfte bündeln. Wir müssen auch Abschied nehmen vom Schubladendenken und nach neuen ressortübergreifenden Ansätzen suchen — z. B. in der Vernetzung von Entwicklungspolitik mit der Außen-, Wirtschafts- und Forschungspolitik.
Last but not least muß unserer Entwicklungspolitik in der zweiten Hälfte der 90er Jahre nach meiner persönlichen Meinung im Gesamtetat eine deutlich höhere Priorität eingeräumt und die wesentlichen finanziellen Eckwerte im Einzelplan neu festgelegt werden.
Soweit die zehn Punkte.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch sagen: Ich bedanke mich recht herzlich auch bei den Berichterstattern Werner Zywietz und Helmut Esters — bei dir persönlich, Werner, habe ich immer ausgesprochen die Kunst bewundert, wie du rhetorische Oppositionsübungen verbunden hast mit deinen, wie wir alle wissen, sehr realitätsnahen Überlegungen; es ist schon eine Meisterleistung gewesen — und bei den Kollegen vom AWZ sowie auch bei den Kollegen respektive Mitarbeitern des BMZ. Sehr geehrter Herr Bundesminister Spranger, stellvertretend habe ich immer den hohen Einsatz respektiert. Ich habe auch viel gelernt, habe zwar nicht immer die Meinung vertreten, sondern habe mir durchaus die Freiheit genommen, eigene Schlußfolgerungen zu ziehen. Aber es war immer ein besonderes Vergnügen, mit Ihren Mitarbeitern zu diskutieren.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Deine Entscheidung wird bedauert!)

Insoweit möchte ich sagen: Halten wir uns an eines: Mit Humor geht vieles leichter im Leben. In diesem Sinne: Tschüs und alles Gute!

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1219213800
Meine Damen und Herren, bevor ich weiter das Wort erteile, will ich das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04, Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes, auf den Drucksachen 12/5500, 12/5870, 12/6004 und 12/6030 bekanntgeben. Abgegebene Stimmen: 517. Mit Ja haben gestimmt: 320. Mit Nein haben gestimmt: 197. Stimmenthaltungen: keine.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 535; davon:
ja: 339
nein: 196
Ja
CDU/CSU
Dr. Ackermann, Else
Adam, Ulrich
Dr. Altherr, Walter Franz Augustinowitz, Jürgen Austermann, Dietrich Bargfrede, Heinz-Günter Dr. Bauer, Wolf Baumeister, Brigitte
Belle, Meinrad
Bierling, Hans-Dirk
Blank, Renate
Dr. Blens, Heribert Bleser, Peter
Dr. Blüm, Norbert
Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Dr. Bötsch, Wolfgang
Bohl, Friedrich
Bohlsen, Wilfried Borchert, Jochen Brähmig, Klaus Breuer, Paul
Brudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Büttner (Schönebeck),
Hartmut
Buwitt, Dankward
Carstens (Emstek), Manfred
Carstensen (Nordstrand),
Peter Harry
Dehnel, Wolfgang Dempwolf, Gertrud Deres, Karl
Deß, Albert
Diemers, Renate



Vizepräsident Helmuth Becker Dörflinger, Werner
Doss, Hansjürgen Dr. Dregger, Alfred Echternach, Jürgen Ehlers, Wolfgang Eichhorn, Maria
Engelmann, Wolfgang Eppelmann, Rainer
Erler (Waldbrunn), Wolfgang Eylmann, Horst
Eymer, Anke
Falk, Ilse
Dr. Faltlhauser, Kurt Feilcke, Jochen
Dr. Fell, Karl H.
Fischer (Hamburg), Dirk Fischer (Unna), Leni Fockenberg, Winfried Francke (Hamburg), Klaus Frankenhauser, Herbert
Dr. Friedrich, Gerhard Fritz, Erich G.
Fuchtel, Hans-Joachim Ganz (St. Wendel), Johannes
Dr. Geiger (Darmstadt), Sissy Geiger, Michaela
Geis, Norbert
Dr. Geißler, Heiner
Dr. von Geldern, Wolfgang Gibtner, Horst
Glos, Michael
Göttsching, Martin Götz, Peter
Dr. Götzer, Wolfgang Gres, Joachim
Grochtmann, Elisabeth Gröbl, Wolfgang Grotz, Claus-Peter
Dr. Grünewald, Joachim Günther (Duisburg), Horst Frhr. von Hammerstein,
Carl-Detlev
Harries, Klaus
Haschke (Großhennersdorf), Gottfried
Haschke (Jena), Udo Hasselfeldt, Gerda Haungs, Rainer
Hauser (Esslingen), Otto Hauser (Rednitzhembach), Hansgeorg
Hedrich, Klaus-Jürgen Heise, Manfred
Dr. Hellwig, Renate
Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Hinsken, Ernst
Hörster, Joachim Dr. Hoffacker, Paul Hollerith, Josef
Dr. Hornhues, Karl-Heinz Hornung, Siegfried Hüppe, Hubert
Jäger, Claus
Jaffke, Susanne
Dr. Jahn (Münster), Friedrich-Adolf Janovsky, Georg Jeltsch, Karin
Dr. Jobst, Dionys Dr.-Ing. Jork, Rainer Dr. Jüttner, Egon Dr. Kahl, Harald Kalb, Bartholomäus Kampeter, Steffen
Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Karwatzki, Irmgard Kauder, Volker
Keller, Peter
Kittelmann, Peter
Klein (Bremen), Günter Klinkert, Ulrich
Köhler (Hainspitz),
Hans-Ulrich
Dr. Köhler (Wolfsburg), Volkmar
Dr. Kohl, Helmut Kolbe, Manfred Kors, Eva-Maria Koschyk, Hartmut Kossendey, Thomas
Krause (Dessau), Wolfgang Krey, Franz Heinrich Kriedner, Arnulf
Dr.-Ing. Krüger, Paul Krziskewitz, Reiner Lamers, Karl
Dr. Lammert, Norbert
Lamp, Helmut Lattmann, Herbert Dr. Laufs, Paul Laumann, Karl-Josef
Lehne, Klaus-Heiner
Dr. Lehr, Ursula
Dr. Lieberoth, Immo Limbach, Editha
Link (Diepholz), Walter Lintner, Eduard
Dr. Lippold (Offenbach),
Klaus W.
Dr. Lischewski, Manfred Löwisch, Sigrun Lohmann (Lüdenscheid),
Wolfgang
Louven, Julius
Dr. Luther, Michael
Maaß (Wilhelmshaven), Erich Männle, Ursula
Magin, Theo
Dr. Mahlo, Dietrich Marienfeld, Claire Marschewski, Erwin
Marten, Günter
Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Martin
Meckelburg, Wolfgang Meinl, Rudolf
Dr. Merkel, Angela Dr. Meseke, Hedda Dr. Meyer zu Bentrup,
Reinhard
Michalk, Maria Michels, Meinolf Dr. Mildner, Klaus Dr. Möller, Franz Molnar, Thomas
Müller (Kirchheim), Elmar Müller (Wadern),
Hans-Werner
Müller (Wesseling), Alfons Nelle, Engelbert
Dr. Neuling, Christian Neumann (Bremen), Bernd Niedenthal, Erhard
Nitsch, Johannes Nolte, Claudia Dr. Olderog, Rolf Oswald, Eduard
Otto (Erfurt), Norbert
Dr. Päselt, Gerhard Dr. Paziorek, Peter Pesch, Hans-Wilhelm
Petzold, Ulrich Pfeifer, Anton
Pfeiffer, Angelika Dr. Pfennig, Gero Dr. Pflüger, Friedbert
Dr. Pinger, Winfried Dr. Pohler, Hermann Dr. Probst, Albert Dr. Protzner, Bernd
Rahardt-Vahldieck, Susanne Raidel, Hans
Dr. Ramsauer, Peter Rau, Rolf
Rauen, Peter Harald Rawe, Wilhelm
Reddemann, Gerhard Regenspurger, Otto Reichenbach, Klaus Reinhardt, Erika Repnik, Hans-Peter Dr. Rieder, Norbert
Dr. Riedl (München), Erich Riegert, Klaus
Dr. Riesenhuber, Heinz Ringkamp, Werner Rode (Wietzen), Helmut Rönsch (Wiesbaden),
Hannelore
Romer, Franz
Dr. Rose, Klaus
Rossmanith, Kurt J. Roth (Gießen), Adolf Rother, Heinz
Dr. Ruck, Christian Rühe, Volker
Dr. Rüttgers, Jürgen Sauer (Salzgitter), Helmut Sauer (Stuttgart), Roland Schätzle, Ortrun
Dr. Schäuble, Wolfgang Schell, Manfred
Scheu, Gerhard
Schmalz, Ulrich
Schmidbauer, Bernd Schmidt (Fürth), Christian
Dr.-Ing. Schmidt (Halsbrücke),
Joachim
Schmidt (Mülheim), Andreas Schmidt (Spiesen), Trudi Schmitz (Baesweiler),
Hans Peter
von Schmude, Michael
Dr. Schockenhoff, Andreas Graf von Schönburg-
Glauchau, Joachim Frhr. von Schorlemer,
Reinhard

(Schwäbisch Gmünd)

Schulz (Leipzig), Gerhard Schwalbe, Clemens
Dr. Schwörer, Hermann Seehofer, Horst
Seesing, Heinrich Seibel, Wilfried
Seiters, Rudolf
Sikora, Jürgen
Skowron, Werner H. Sothmann, Bärbel Spilker, Karl-Heinz Spranger, Carl-Dieter Dr. Sprung, Rudolf
Steinbach-Hermann, Erika
Dr. Stercken, Hans Dr. Frhr. von Stetten, Wolfgang
Stockhausen, Karl
Dr. Stoltenberg, Gerhard Strube, Hans-Gerd Stübgen, Michael
Dr. Süssmuth, Rita Tillmann, Ferdi
Dr. Töpfer, Klaus
Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Uldall, Gunnar
Verhülsdonk, Roswitha Vogel (Ennepetal), Friedrich Vogt (Düren), Wolfgang
Dr. Voigt (Northeim), Hans-Peter
Dr. Waffenschmidt, Horst
Dr. Waigel, Theodor
Graf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Warnke, Jürgen
Dr. Warrikoff, Alexander Werner (Ulm), Herbert Wiechatzek, Gabriele
Dr. Wieczorek (Auerbach), Bertram
Dr. Wilms, Dorothee Wilz, Bernd
Wimmer (Neuss), Willy Dr. Wisniewski, Roswitha Wissmann, Matthias
Dr. Wittmann, Fritz
Wittmann (Tännesberg), Simon
Wohlrabe, Jürgen Wonneberger, Michael Wülfing, Elke
Würzbach, Peter Kurt Yzer, Cornelia
Zeitlmann, Wolfgang Zöller, Wolfgang
F.D.P.
Albowitz, Ina
Dr. Babel, Gisela Baum, Gerhart Rudolf Beckmann, Klaus
Dr. Blunk (Lübeck), Michaela Bredehorn, Günther Cronenberg (Arnsberg),
Dieter-Julius
Eimer (Fürth), Norbert Engelhard, Hans A. van Essen, Jörg
Dr. Feldmann, Olaf Friedrich, Horst Gallus, Georg
Gries, Ekkehard Grünbeck, Josef Grüner, Martin
Günther (Plauen), Joachim
Dr. Guttmacher, Karlheinz Hackel, Heinz-Dieter Hansen, Dirk
Dr. Haussmann, Helmut Heinrich, Ulrich
Dr. Hirsch, Burkhard Dr. Hitschler, Walter Homburger, Birgit Dr. Hoth, Sigrid
Dr. Hoyer, Werner Irmer, Ulrich
Kohn, Roland
Koppelin, Jürgen
Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Lüder, Wolfgang
Lühr, Uwe
Dr. Menzel, Bruno Mischnick, Wolfgang Nolting, Günther Friedrich Otto (Frankfurt),
Hans-Joachim Paintner, Johann Peters, Lisa
Dr. Pohl, Eva
Richter (Bremerhaven), Manfred
Rind, Hermann
Schäfer (Mainz), Helmut Schmalz-Jacobsen, Cornelia Schmidt (Dresden), Arno
Dr. Schinieder, Jürgen Dr. Schnittler, Christoph Schüßler, Gerhard Schuster, Hans
Sehn, Marita
Seiler-Albring, Ursula Dr. Semper, Sigrid



Vizepräsident Helmuth Becker Dr. Solms, Hermann Otto
Dr. Starnick, Jürgen Thiele, Carl-Ludwig Timm, Jürgen
Türk, Jürgen
Walz, Ingrid
Dr. Weng (Gerlingen), Wolfgang
Wolfgramm (Göttingen), Torsten
Würfel, Uta
Zurheide, Burkhard Zywietz, Werner
Nein
SPD
Adler, Brigitte
Bachmaier, Hermann Barbe, Angelika
Bartsch, Holger
Becker (Nienberge), Helmuth Becker-Inglau, Ingrid Bernrath, Hans Gottfried Beucher, Friedhelm Julius Bindig, Rudolf
Bock, Thea
Dr. Böhme (Unna), Ulrich Börnsen (Ritterhude), Arne Brandt-Elsweier, Anni
Dr. Brecht, Eberhard Büchler (Hof), Hans Büchner (Speyer), Peter Bulmahn, Edelgard Caspers-Merk, Marion Conradi, Peter
Daubertshäuser, Klaus
Dr. Diederich (Berlin), Nils Diller, Karl
Dr. Dobberthien, Marliese Duve, Freimut
Dr. Eckardt, Peter
Dr. Ehmke (Bonn), Horst Eich, Ludwig
Dr. Elmer, Konrad
Erler, Gernot
Esters, Helmut
Ewen, Carl
Ferner, Elke
Fischer (Gräfenhainichen), Evelin
Fischer (Homburg), Lothar Fuchs (Köln), Anke
Fuchs (Verl), Katrin Fuhrmann, Arne
Ganseforth, Monika Gansel, Norbert
Gilges, Konrad
Graf, Günter
Haack (Extertal),
Karl Hermann
Habermann, Michael Hacker, Hans-Joachim Hämmerle, Gerlinde Hampel, Manfred Hanewinckel, Christel Dr. Hartenstein, Liesel Hasenfratz, Klaus
Heistermann, Dieter Huonker, Gunter
Ibrügger, Lothar
Jäger, Renate
Dr. Janzen, Ulrich
Jungmann (Wittmoldt), Horst Kastner, Susanne
Kastning, Ernst
Kemper, Hans-Peter Kirschner, Klaus
Klappert, Marianne
Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Klemmer, Siegrun
Klose, Hans-Ulrich
Dr. Knaape, Hans-Hinrich Kolbe, Regina
Kolbow, Walter Koltzsch, Rolf Kubatschka, Horst Kuessner, Hinrich Dr. Küster, Uwe Kuhlwein, Eckart Lange, Brigitte
von Larcher, Detlev Leidinger, Robert
Dr. Leonhard-Schmid, Elke Lörcher, Christa
Lohmann (Witten), Klaus
Dr. Lucyga, Christine
Maaß (Herne), Dieter
Marx, Dorle
Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide
Meckel, Markus Mehl, Ulrike
Dr. Mertens (Bottrop),
Franz-Josef
Dr. Meyer (Ulm), Jürgen Mosdorf, Siegmar
Müller (Pleisweiler), Albrecht Müller (Völklingen), Jutta Müller (Zittau), Christian Neumann (Bramsche), Volker Neumann (Gotha), Gerhard Dr. Niehuis, Edith
Dr. Niese, Rolf Odendahl, Doris Oesinghaus, Günter Oostergetelo, Jan Opel, Manfred Ostertag, Adolf
Dr. Otto, Helga Palis, Kurt
Paterna, Peter
Dr. Penner, Willfried
Peter (Kassel), Horst
Dr. Pfaff, Martin Pfuhl, Albert
Dr. Pick, Eckhart Poß, Joachim Purps, Rudolf Reimann, Manfred Rennebach, Renate
Reuter, Bernd Rixe, Günter
Schaich-Walch, Gudrun Schanz, Dieter Scheffler, Siegfried
Schily, Otto
Schloten, Dieter Schluckebier, Günter Schmidbauer (Nürnberg),
Horst
Schmidt (Aachen), Ursula Schmidt-Zadel, Regina
Dr. Schmude, Jürgen
Dr. Schnell, Emil Schöler, Walter Schreiner, Ottmar Schröter, Gisela Schütz, Dietmar Schwanitz, Rolf Seidenthal, Bodo Seuster, Lisa Sielaff, Horst Simm, Erika
Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Dr. Sonntag-Wolgast, Corneli Sorge, Wieland
Dr. Sperling, Dietrich
Steen, Antje-Marie
Dr. Struck, Peter
Tappe, Joachim Terborg, Margitta
Dr. Thalheim, Gerald Thierse, Wolfgang Titze-Stecher, Uta Toetemeyer, Hans-Günther Vergin, Siegfried
Dr. Vogel, Hans-Jochen
Voigt (Frankfurt), Karsten D. Wagner, Hans Georg Wallow, Hans
Waltemathe, Ernst Walter (Cochem), Ralf
Walther (Zierenberg), Rudi Wartenberg (Berlin), Gerd
Dr. Wegner, Konstanze Weiermann, Wolfgang Weiler, Barbara
Weis (Stendal), Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Weisskirchen (Wiesloch), Gert Dr. Wernitz, Axel
Wester, Hildegard Westrich, Lydia Wettig-Danielmeier, Inge
Dr. Wetzel, Margrit Weyel, Gudrun
Dr. Wieczorek, Norbert Wieczorek (Duisburg), Helmut Wiefelspütz, Dieter
Dr. de With, Hans Wittich, Berthold Wolf, Hanna
PDS/Linke Liste
Bläss, Petra
Dr. Enkelmann, Dagmar
Dr. Fischer, Ursula Dr. Fuchs, Ruth Dr. Gysi, Gregor Henn, Bernd
Dr. Höll, Barbara Jelpke, Ulla
Dr. Keller, Dietmar Lederer, Andrea Dr. Modrow, Hans Philipp, Ingeborg Dr. Schumann (Kroppenstedt),
Fritz
Dr. Seifert, Ilja
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Dr. Feige, Klaus-Dieter Köppe, Ingrid
Poppe, Gerd
Schulz (Berlin), Werner Dr. Ullmann, Wolfgang Weiß (Berlin), Konrad
Fraktionslos
Dr. Briefs, Ulrich
Dr. Krause (Bonese), Rudolf Karl
Lowack, Ortwin
Damit ist der Haushalt des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes angenommen.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt als nächster Rednerin unserer Frau Kollegin Dr. Ursula Fischer das Wort.

Dr. Ursula Fischer (PDS/LL):
Rede ID: ID1219213900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 30. Januar 1991 hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung verkündet:
Wir werden als vereinigtes Deutschland unsere Entwicklungshilfe auch in Zukunft steigern.
Die Realität sieht bekanntlich ganz anders aus. Auch in der zweiten und dritten Lesung des Haushaltsgesetzes 1994 bietet der Einzelplan 23 ein besorgniserregendes Bild. Schon der erste Entwurf dieses Einzelplanes war völlig unzureichend. Daran haben auch die anschließenden Beratungen in den Ausschüssen recht wenig ändern können.
Unsere Kritik gilt unverändert der Tatsache, daß die Entwicklungspolitik ihren hohen Ansprüchen von Armutsbekämpfung nicht genügt, weil sie die Ursachen für Massenarmut und Massenflucht nur einseitig benennt und demzufolge auch nicht bekämpfen kann.
Entwicklungspolitik in ihrem bisherigen konzeptionellen Verständnis kann bestenfalls nur einen Bruchteil dessen abfangen, was die Weltwirtschaft in der Mehrzahl der Entwicklungsländer anrichtet. Solange die diskriminierenden weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen weiter bestehen, werden sich die bereits gravierenden globalen Probleme und Gegensätze immer weiter zuspitzen. Diese Probleme gefährden



Dr. Ursula Fischer
die Existenz der gesamten Menschheit. Das ist bekannt.
Nur entschlossenes Handeln in Nord und Süd könnte noch eine Wende bringen. Diese Einsicht schien in Rio selbst Politikern der Industrieländer gekommen zu sein. Bei der Erarbeitung des vorliegenden Haushaltsentwurfs für 1994 haben die Erkenntnisse von Rio jedoch offensichtlich keine Rolle gespielt.
Die auf dieser Weltkonferenz vom Bundeskanzler erneut bekräftigten 0,7 % des Bruttosozialprodukts, die für Entwicklungshilfe aufgewendet werden sollen, rücken weiter in die Ferne. Ich nehme an, das gilt für andere Haushalte ebenfalls. Noch gerade 0,36 % sind es, die die Bundesrepublik 1994 für Armutsbekämpfung aufzubringen bereit ist. Es ist nicht immer Armutsbekämpfung, was hier gemacht wird. Die Bundesrepublik wird mit diesem Entwicklungshaushalt weder ihren internationalen Verpflichtungen noch den objektiven Notwendigkeiten der Weltentwicklung gerecht.
Meine Damen und Herren, völlig unverständlich ist mir, daß ausgerechnet im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit alle Vorschläge der Oppositionsparteien abgelehnt werden, die dazu beitragen könnten, die magischen 0,7 % des Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe zu verwenden. Wer, wenn nicht die Entwicklungspolitiker, soll denn dafür sorgen, daß Regierungserklärungen nicht nur Makulatur sind?
Es ist erschreckend, feststellen zu müssen, daß die Behandlung des Haushaltes auch diesmal in den gewohnten Bahnen abläuft. Wie bereits in den Vorjahren begann nach Bekanntwerden der Haushaltsplanung für Bundesminister Spranger das Fettreden der mageren Ergebnisse. Selbst sein Begriff der Nullrunde muß kritisch hinterfragt werden. Erstens sinken die Ausgaben im Einzelplan um 30 Millionen DM; das ist also ein absoluter Rückgang. Zweitens sinkt der Anteil des Entwicklungsetats am Gesamthaushalt, denn dieser steigt um 4,8 %. Es ist also auch ein relativer Rückgang zu konstatieren. Von einer Nullrunde kann folglich keine Rede sein.

(Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Eine Minusrunde!)

Das Regierungskonzept für 1994 auf diesem Gebiet ist eine eindeutige Minusrunde. So sehe ich das auch.
Zwar weist der Bundesminister darauf hin, daß die wenigen Mittel nun konzentriert und kontrolliert eingesetzt werden müssen. 1993 bestand das Problem, wenige Mittel auf eine größere Zahl von Empfängern aufteilen zu müssen. Heute entfallen auf nur zehn von über 100 Ländern, unter ihnen die Türkei, Israel, China, Indonesien und Indien, allein 53,3 % der geplanten Zusagen der finanziellen Zusammenarbeit. Auf die Tatsache, daß ein und derselbe Kriterienkatalog des Hauses Spranger für einige Länder die Streichung der Entwicklungshilfe motiviert, während er eine intensive Zusammenarbeit mit Ländern wie der Türkei und Indonesien ermöglicht, möchte ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen; leider habe ich nicht soviel Zeit.
Meine Damen und Herren, wenn die kritische Beurteilung der Effizienz von multilateraler Entwicklungszusammenarbeit durch Koalition und SPD berechtigt ist, wovon ich ausgehe: Wie kann dann eine Umverteilung von 300 Millionen DM für multilaterale Zwecke vorgenommen werden? Natürlich muß die Bundesregierung internationale Verpflichtungen erfüllen, die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit darf darunter jedoch nicht leiden. Ich habe sehr aufmerksam zugehört und auch die Forderungen hinsichtlich der Koalitionsparteien gehört. Man wird sehen, wie sich das weiterentwickelt. Ich bin da keinesfalls so optimistisch wie mein Kollege.
Bezeichnend ist auf jeden Fall, auf wessen Kosten die unter Sparzwang stehende Bundesregierung die katastrophale Haushaltslage entspannen will. Im Inland trifft es die ohnehin sozial Schwachen und Benachteiligten, deren Zahl mit einer solchen Politik, wie sie im Moment betrieben wird, überdies nur steigen kann; nach außen geht militärisches und wirtschaftliches Imponiergehabe vor solidarische Unterstützung.
Mit 48,6 Milliarden DM bleibt der Einzelplan 14, der Verteidigungshaushalt, der fünftgrößte Einzelhaushalt. Wenn die Bundesregierung im Sinne von Frieden, Entwicklung, sozialer Gerechtigkeit und Armutsbekämpfung aktiv werden wollte, wäre genau an dieser Stelle Gelegenheit gewesen, deutliche Zeichen zu setzen. Das ist bestimmt auch in diesem Jahr nicht zufällig ausgeblieben.
Meine Damen und Herren, auch der vorliegende Haushalt 1994 des BMZ wird den Erfordernissen der Zeit nicht gerecht. Daher kann die PDS/Linke Liste nicht zustimmen.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten der SPD)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1219214000
Meine Damen und Herren, nun hat unser Kollege Werner Zywietz das Wort.

Werner Zywietz (FDP):
Rede ID: ID1219214100
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich meine, die letzten Worte, die wir zum Thema der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gehört haben, waren sehr realitätsfern.

(Beifall bei der CDU/CSU — Rudolf Bindig [SPD]: Die waren sachkundig!)

Die Worte allerdings, die wir eingangs vom Kollegen Helmut Esters gehört haben, waren sehr realistisch und machten eigentlich das gute Klima der Beratungen im Haushaltsausschuß zwischen den Fraktionen der Opposition und der CDU/CSU- und der F.D.P.-Fraktion mit einem sehr guten Dialog mit dem Hause deutlich. Das, was der Kollege Helmut Esters gesagt hat, war zu meinem eigenen Erstaunen kein Klagelied über den stagnierenden Haushalt, sondern eine sehr realistische Darstellung, was wir aus der Leistungskraft der Bundesrepublik Deutschland heraus zur Unterstützung anderer Länder auf diesem Globus im Moment anbieten können.
Beim zugrundeliegenden Haushalt für das Jahr 1994 geht es um einen Haushalt, der sich auf dem Niveau des Jahres 1993 bewegt. Das ist eine Tatsache. Aber man muß sich im klaren sein, wie der Hinter-



Werner Zywietz
grund der Leistungsmöglichkeiten aus dem Einzelplan 23 aussieht. Dies war eigentlich der Leitfaden der Debatte seit gestern mittag. Der immense Aufwand, der sich durch den Zusammenbruch der kommunistischen Staaten in Osteuropa ergeben hat, und die Kosten der deutschen Einheit liegen in der Tat sehr viel höher, als wir noch vor drei Jahren angenommen haben. Dies müssen wir bei der Bemessung der Leistungen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit berücksichtigen.
Wenn man auf Reisen ist und mit Entwicklungspolitikern anderer Länder spricht, stellt man fest, daß einige erstaunt sind, daß wir trotz des immensen Aufwands, den wir im wiedervereinigten Deutschland zu leisten haben, ein entwicklungspolitisches Niveau halten können, wie wir es auch zuvor gehabt haben. Denn der Transfer innerhalb Deutschlands, die Kosten für den Aufbau in den fünf neuen Bundesländern und auch die Ausgleichsleistungen sind doch viel höher, als wir angenommen haben. Das ist doch seit gestern mittag erneut deutlich geworden. Dennoch leisten wir unseren Beitrag gegenüber der Dritten Welt. Ich finde, das ist äußerst positiv, und für mich verbietet es sich herumzumäkeln, ob da noch 100 oder 200 Millionen DM an Steigerungsraten fehlen. Ich persönlich und die F.D.P. finden, daß dies ein ganz besonders erfreulicher Tatbestand ist.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir alle müssen davon abrücken, in Ressortkategorien zu denken. Entscheidend für die Hilfe gegenüber Dritten ist doch, daß man zur Hilfe auch materiell imstande ist. Alle, die hier sitzen, und andere haben doch eine hohe Verantwortung, die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland auf hohem Niveau zu halten. Denn nur wenn wir das tun, wenn das eigene Haus zumindest ökonomisch in Ordnung ist, können wir etwas für andere tun. Ansonsten bleiben es doch nur freundliche Worte, aber keine konstruktiven, unterstützenden Taten mehr. Deswegen sind auch alle, die ein besonderes Interesse an der Hilfe für die Dritte Welt haben, aufgerufen, auch ihren Teil für eine funktionierende Wirtschaft und für erhaltbare soziale Netze im eigenen Land zu leisten.

(Zurufe von der PDS/Linke Liste)

— Ja, weil Sie früher viel zuviel verwirtschaftet haben. Diese Mehrkosten, die in den letzten drei, vier Jahren aufzuwenden waren, sind genau das, was zu einem gewissen Teil der Dritten Welt entzogen wurde. Wäre dieser Aufwand nicht so groß, hätten wir hier möglicherweise ein Stück mehr leisten können. Das ist auch ein Stück der Wahrheit, so wie sie sich entwickelt hat.
Aus dieser Ausgangsposition heraus sind wir also gehalten, die Steigerung der Effizienz im Bereich der Entwicklungshilfe noch stärker in den Mittelpunkt unserer Anstrengungen zu stellen als zuvor. Den Geldappetit von außen können wir gewiß nicht ausreichend stillen. Was wir allerdings können, ist, gesellschaftliche Infrastrukturen, die selbsttragend wirken, aufbauen zu helfen und zu unterstützen. Wir können auch Einsichten in demokratische, in pluralistische Entwicklungen und marktwirtschaftliche
Orientierungen unterstützen. Ebenso können wir Motivationen für die Möglichkeiten zur Selbsthilfe unterstützen. Ein Bedienen von Erwartungshorizonten schlichtweg mit geldlichen Mitteln kann nicht der Sinn von Entwicklungshilfe sein.

(Beifall des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktionslos])

Vor diesem Hintergrund bin ich sehr sicher, daß die hier erwähnte Akzentverschiebung, bei der multilateralen Hilfe vorsichtiger zu sein, ausgesprochen richtig ist. Ich will nicht unbedingt unbesehen dem japanischen Beispiel folgen, aber ich habe gelesen, daß die Japaner 80 % für die bilaterale Hilfe und nur 20 % für die multilaterale Hilfe ausgeben. Wenn wir uns mit unserem Beschluß auf eine Relation 70:30 zubewegen, ist das, glaube ich, eine sehr vernünftige Grundentscheidung.

(Beifall bei der F.D.P., bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktionslos])

Das wird zur Folge haben, daß wir unsere Leistungen an einzelne UNO-Organisationen stärker daraufhin zu überprüfen haben, was versprochene Beiträge, was verankerte Pflichtbeiträge und was freiwillige Beiträge sind; denn ohne eine solche Analyse werden wir auch keine Umsteuerung erreichen. Wir müssen uns erst einmal Klarheit über den Gestaltungsspielraum schaffen.
Bei dem Stichwort UNO-Organisationen sage ich auch ganz deutlich: Keiner ist durch seine Bezeichnung, durch die Titulierung unantastbar oder heiliggesprochen. Auch eine Organisation wie die UNICEF, die zweifelsohne viel Gutes auf der Welt leistet, muß sich genauer befragen lassen — und wir werden das tun —, ob sie in der Zwischenzeit nicht reichlich viele Rücklagen bilden konnte, während sie immer noch höhere Beiträge verlangt und keine Rechenschaft darüber gibt, was sie mit dem gehorteten Geld anfängt.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das soll ja keine Sparkasse sein!)

— So ist es. Es sollte eine Hilfsorganisation sein und keine Sparkasse, die — wie der Rechnungshofbericht festgestellt hat — in der Größenordnung von mehreren hundert Millionen DM Gelder mit Zinsen parkt. Hilfe sollte sie leisten mit den Beiträgen, die ihr von anderen gegeben werden.
Die Beiträge an die UNO-Organisationen belaufen sich auf über 1 Milliarde DM. Aus einem Haushalt von 8,4 Milliarden DM ist das schon ein gutes Stück. Auf eine knappe Milliarde, auf etwas unterhalb dieses Niveaus, belaufen sich die Beiträge, die wir an die europäischen Organisationen geben. Sowohl unsere eigenen Recherchen als auch Prüfungsberichte haben offenbart, daß eher die Bürokratie wächst, daß tendenziell der administrative Aufwand wächst, und immer weniger für die Projekte übrigbleibt. Auch das kann nicht im Sinne des Erfinders sein. Wir werden stärker unser Augenmerk darauf zu richten haben,



Werner Zywietz
daß wirklich Hilfe geleistet und nicht nur Geld gezahlt wird.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ebenfalls darauf zu achten ist — auch das benenne ich ganz deutlich —, daß unter einem wohlklingenden europäischen Namen für einen Fonds, d. h. unter einem multilateralen Etikett, nicht doch sehr viel getarnte nationale Hilfe und nationale Absichten abgewickelt werden. Auch das gehört zu einem Gutteil der Wahrheit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Der sehr universell klingende Fondsname ist noch kein Beweis dafür, daß sich dahinter nicht allerlei nationale Egoismen verbergen.
Was unsere eigene bilaterale Hilfe anbelangt — die technische Hilfe beläuft sich auf über 1 Milliarde DM und die finanziellen Zuweisungen an andere Staaten auf 2,7 Milliarden DM —: Auch hier ist eine Konzentration, wie es die Kollegen Christian Neuling und auch Helmut Esters angesprochen haben, vonnöten. Wir geben bilateral, von Staat zu Staat, Budgethilfe an 66 Staaten. Das sind gewiß einige zuviel. Da auch andere Länder, insbesondere im Osten, der Hilfe bedürfen, werden wir diese Zahl zu reduzieren haben. Nach meiner Meinung führt daran kein Weg vorbei.
Wir werden auch stärker darauf zu achten haben, daß die finanzielle Hilfe eher in Aufträge und Projekte mit einer sinnvollen Begleitung der technischen Zusammenarbeit fließt. Wenn wir das duale System, d. h. Berufsausbildung, exportieren — das ist mit das Beste, was wir zur Entwicklungshilfe in der Welt anbieten können —, dann sollten wir darauf achten, daß dies angemessen geschieht.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Das hat schon der Kollege Neuling gesagt!)

— Sehr berechtigt. Ich habe schon einleitend gesagt, daß wir in der Grundanalyse und in dem, was erforderlich ist, inhaltlich sehr dicht beieinander sind.
Herr Präsident, habe ich noch eine Minute?
Vizepräsident Helmuth Becker Nein, Ihre Redezeit ist längst überschritten.

Werner Zywietz (FDP):
Rede ID: ID1219214200
Dann möchte ich sagen, daß wir diesem Haushalt zustimmen und davon ausgehen, daß in dem angedeuteten Sinne die Mittel so verwendet werden — wir sind sicher, daß das Haus dies tut —, daß es in die Länder und in die Projekte geht, die eine große Eigenanstrengung zeigen. Aber wir brauchen dabei nicht schamhaft zu verschweigen, daß wir mit dem, was über diesen Haushaltsplan abgewickelt wird, auch einen gewissen Eigennutz verbinden.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1219214300
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Konrad Weiß.

Konrad Weiß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1219214400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Rudi Walther, der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, hat unlängst vorgeschlagen, mehrere Ministerien zusammenzulegen und ihren Arbeitsbereich anderen Ressorts zuzuordnen. Manchmal habe ich den Eindruck, daß dies ohnehin praktiziert wird. Vor der Chinareise des Bundeskanzlers haben das Wirtschaftsministerium und das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in selten schöner Eintracht kooperiert; jedenfalls muß ich das annehmen.

(Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: So selten ist die gar nicht!)

Denn trotz der allgemein angespannten Haushaltslage und der Stagnation der Entwicklungshilfe wurden dafür eben mal 350 Millionen DM aus dem Hut gezaubert. Der Beschluß dazu wurde am 30. September im Haushaltsausschuß gefaßt. Nach meiner Kenntnis ist der zuständige Fachausschuß, der AWZ, zuvor weder informiert noch um Beratung oder Votum gebeten worden.

(Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Richtig!)

Als Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung frage ich mich, warum wir uns überhaupt mit dem Haushaltsentwurf für den Einzelplan 23 auseinandersetzen. Der Haushaltsausschuß hat keine einzige Empfehlung des AWZ übernommen, dafür aber selbstherrlich dem Bundeskanzler ein Gastgeschenk für die chinesischen Kommunisten genehmigt. Auf diese Weise werden doch die Beschlußempfehlungen des zuständigen Fachausschusses und das Bemühen um eine konditionierte Entwicklungspolitik zur Farce.
Der Haushalt des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für 1994 beläuft sich jetzt auf insgesamt 8,365 Milliarden DM.

(Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Das stimmt schon nicht mehr, Herr Kollege! Das ist die alte Zahl!)

— Okay, dann hat sich das verändert. —Er ist dank der Korrekturen des Haushaltsausschusses jedenfalls nach meinen Informationen noch einmal um 26 Millionen DM gesunken. Allmählich muß man sich doch fragen, warum sich die Bundesrepublik Deutschland noch den Luxus eines Entwicklungshilfeministeriums und den dazugehörigen Apparat leistet, wenn dessen politische Konzeptionen und Entscheidungen in der Regierungsrealität unberücksichtigt bleiben.
Angesichts der weltweiten Wirtschaftsprobleme, der Verschuldungs- und Umweltkrise, der internationalen Probleme mit Kinderarbeit, Armut und Hunger, mit Wirtschaftskriminalität, Prostitution und Drogenkonsum — darüber sind wir uns doch eigentlich alle einig — muß die Entwicklungspolitik auch innerhalb der Bundesregierung aufgewertet werden. Die Kompetenz und die Erfahrung der Entwicklungspolitiker müssen in den anderen Ministerien berücksichtigt und Entwicklungspolitik muß endlich als Querschnittsaufgabe begriffen werden. Das wird ja längst von allen gefordert, aber niemand realisiert es.



Konrad Weiß (Berlin)

Der Haushaltsausschuß hat in seiner Sitzung am 30. September 1993 eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, die, würden sie umgesetzt, System und Strukturen der bisherigen bilateralen Hilfe tiefgreifend verändern würden. Der Kollege Dr. Neuling hat soeben die wichtigsten Vorgaben vorgetragen. Ich kann mir die Wiederholung sparen.
Diese Beschlüsse wurden von der Regierungsfraktion eingebracht und im Haushaltsausschuß von der SPD unterstützt. Der zuständige Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit wird auch hier selbstverständlich, möchte ich fast sagen, gar nicht erst befragt.
Ich weiß nicht, ob das in den Fraktionen zwischen Entwicklungspolitikern und Haushältern abgestimmt wurde; das mag ja sein. Zuständig für so weitreichende konzeptionelle Veränderungen der deutschen Entwicklungspolitik sind jedenfalls nach meinem Verständnis die Fraktionen nicht, sondern, wenn schon, die zuständigen Fachausschüsse.
Keine Frage: Die Entwicklungszusammenarbeit muß verbessert und bestehende Mängel müssen behoben werden. Wir alle kennen die Probleme im multilateralen Bereich. Die mangelnde nationale Kontrolle hat z. B. bei der Weltbank oft zu Fehlentscheidungen geführt.
Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sieht gerade in der wachsenden Vernetzung der verschiedenen Geber eine Chance für eine effizientere Entwicklungszusammenarbeit. Sich konterkarierende Einzelprojekte müssen durch eine konstruktive und ausgewogene Zusammenarbeit ersetzt werden.
Aber was sollen dabei die nach der Vorstellung des Haushaltsausschusses starr vorgegebenen Prozentsätze? Die Bundesregierung hätte mit dieser Zwangsjacke in Zukunft Schwierigkeiten, ihren internationalen Aufgaben gerecht zu werden.
Die prozentuale Fixierung von sektoralen und projektbezogenen Quoten ist nach meiner Überzeugung kein geeignetes Mittel. Die Entwicklungszusammenarbeit muß sich neben der langfristigen Planung und Kontinuität auch an aktuellen Ereignissen und Bedürfnissen orientieren und auf veränderte Situationen flexibel reagieren können.
Das Einfrieren des BMZ-Haushaltes und die rigiden Vorgaben des Haushaltsausschusses sind nach meiner Einschätzung nicht nur durch die angespannte Haushaltslage verursacht. Sie signalisieren, so scheint mir, vielmehr den Beginn einer massiven Einschränkung der deutschen Entwicklungshilfe.
Wir Entwicklungspolitiker, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind dringend aufgefordert, uns dagegen zu wehren.
Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS/Linke Liste)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1219214500
Meine Damen und Herren, als letzter Redner in dieser Debatte hat jetzt der Herr Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, unser Kollege Carl-Dieter Spranger, das Wort.

Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID1219214600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Konsequentes sparsames Wirtschaften und die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen sind die tragenden Prinzipien des Bundeshaushaltes 1994.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Ausgabendisziplin als Gebot der Stunde ist nicht allein eine Folge der enormen Lasten, die uns die Bewältigung von vier Jahrzehnten kommunistischer Mißwirtschaft im Osten auferlegt, sie ist auch der Preis, den wir heute zu entrichten haben, um den Standort Deutschland, d. h. mit anderen Worten: das Funktionieren der Wirtschaft und damit das Wohl unseres Landes für morgen und übermorgen sicherzustellen.
Frau Fischer, Ihre Kritik an zu geringen finanziellen Mitteln beim Einzelplan 23 ist schon eine Dreistigkeit angesichts der Tatsache, daß wir sehr viel mehr Millionen zur Verfügung hätten, wenn nicht Ihre Mutterpartei, die SED, so fürchterliche Verwüstungen in der früheren DDR angerichtet hätte. Das haben Sie sich anrechnen zu lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit! Das muß man immer wieder sagen!)

Kollege Weiß, ich freue mich sehr, daß Sie die Zusammenarbeit innerhalb der Bundesregierung, auch im Bereich der Entwicklungspolitik in bezug auf unsere Kooperation mit dem Wirtschaftsministerium, ausdrücklich betont haben. Das ist nicht zu kritisieren. Das hat auch in bezug auf China funktioniert, und zwar voll auf der Basis der Beschlüsse des Deutschen Bundestages, zuletzt des Beschlusses vom 10. Dezember 1992.
Ich stimme im übrigen den weiteren Ausführungen über die Bedeutung der Entwicklungspolitik, die Sie gemacht haben, durchaus zu.
Meine Damen und Herren, die Entwicklungspolitik als Politik der globalen Zukunftssicherung kann sich den Erfordernissen zum Sparen nicht entziehen. Sie trägt ihren Anteil an der Gesamtverantwortung der Politik der Bundesregierung für unser Land, und zwar nach außen wie im Inneren.
Wir müssen daher akzeptieren, daß der Einzelplan 23 im kommenden Jahr auf Grund der gegenwärtigen Haushaltslage keinen Zuwachs verzeichnet. Um so wichtiger ist es, daß die Entwicklungszusammenarbeit als zukunftsorientierte Politik der Bundesregierung in Übereinstimmung mit dem Haushaltsausschuß von der haushaltsgesetzlichen Sperre ausgenommen werden kann. Ich möchte dafür sehr um Ihre parlamentarische Unterstützung bitten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Helmut Esters [SPD] — HansGünther Toetemeyer [SPD]: Ein verzweifelter Hilferuf war das!)

— Gar kein verzweifelter Hilferuf; der Beifall hilft uns sicherlich in den Beratungen.



Bundesminister Carl-Dieter Spranger
Eine Nullrunde des Entwicklungsetats ist kein Grund zur Freude, aber angesichts der tiefgreifenden finanziellen Einschnitte bei den Ausgaben anderer Politikbereiche und der Tatsache, daß andere OECD- Staaten ihre Leistungen sogar reduzieren, ist dies immer noch ein akzeptables Ergebnis, wie es auch Kollege Zywietz dargelegt hat.
Mein ganz herzlicher Dank gilt deshalb den Kolleginnen und Kollegen des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Kollegen Pinger und den anderen Kollegen, den Kollegen des Haushaltsausschusses und vor allem den Berichterstattern zum Einzelplan 23. Sie haben sich in den vergangenen Jahren stets in vorzüglicher Weise für die Belange der Entwicklungsländer eingesetzt und haben sich damit große Verdienste um die Menschen in den Entwicklungsländern erworben.
Meine Damen und Herren, die Notwendigkeiten der Haushaltskonsolidierung treffen die Entwicklungszusammenarbeit in einer Zeit, in der sie mit wachsenden Problemen und Aufgaben konfrontiert wird: In Asien, Lateinamerika und Afrika bleiben Armut und Umweltzerstörung die größten Herausforderungen. In Afrika, Nahost und Europa sind nicht zuletzt auf Grund der weltpolitischen Umwälzungen neue Krisenherde entstanden. Neue Risiken gehen einher mit neuen Chancen friedlichen Wandels und wirtschaftlichen Fortschritts, die es zu unterstützen gilt. Insbesondere in den 27 Ländern Osteuropas und der GUS steht die Entwicklungszusammenarbeit vor zusätzlichen Anforderungen.
Bei der Umformung der gesellschaftlichen und politischen Systeme kann die Entwicklungszusammenarbeit ihre bewährten Instrumente zum Einsatz bringen. Über die Beratungs- und Projekthilfe hinaus sind deshalb für den Osten im Einzelplan 23 für das kommende Haushaltsjahr erstmals auch 105 Millionen DM an finanzieller Zusammenarbeit vorgesehen.
Die globale Dimension von Umweltzerstörung, Wanderungsbewegungen und Bevölkerungswachstum und das Verständnis von Sicherheit im weitesten Sinne drängen die Entwicklungspolitik in eine Rolle, der sie sich im Interesse unseres eigenen Landes und angesichts der gewachsenen Verantwortung Deutschlands in der Welt nicht entziehen kann. Wenn wir diese Aufgaben aufgreifen wollen, ohne gleichzeitig über mehr Mittel zu verfügen, so müssen wir Qualität und Effizienz der Entwicklungszusammenarbeit noch weiter steigern. Die Weichen dafür sind in der entwicklungspolitischen Konzeption der Bundesregierung gestellt. Ich möchte dazu drei Ansätze auf greif en.
Erstens. Seit Beginn der Legislaturperiode verfolgen wir die Linie, die Leistungen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in regionaler und sektoraler Hinsicht zu konzentrieren und dadurch mehr Wirkung zu erzielen. Art und Umfang unserer Zusammenarbeit werden nicht in erster Linie von den materiellen Möglichkeiten bestimmt, sondern richten sich nach den entwicklungspolitischen Rahmenbedingungen in unseren Partnerländern. Dies erlaubt es uns, uns schwerpunktmäßig auf Länder zu konzentrieren, in denen die Beachtung der Menschenrechte,
der Grad an Rechtssicherheit, die politischen Beteiligungsmöglichkeiten der Bevölkerung,

(Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Man sieht es an China!)

eine marktfreundliche und soziale Wirtschaftsordnung und eine entwicklungsorientierte Regierungsführung die Gewähr für den erfolgreichen Einsatz unserer Mittel und Beratungsleistungen bieten.

(Beifall bei der CDU/CSU — Rudolf Bindig [SPD]: Was ist mit China?)

— Es sind fünf Kriterien, und Sie wissen genau, welche wirtschaftliche Entwicklung in China in den letzten Jahren stattgefunden hat. Ich nehme erneut Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 10. Dezember 1992.
Partnerländern, die diese positiven politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen wollen, bieten wir dazu unsere Unterstützung an. Diese neue Art von Hilfe ist zu unserer traditionellen wirtschaftlichen und sozialen Zusammenarbeit hinzugetreten.
Gegenüber den Planungen zum Haushalt 1993 hat die Anwendung unserer Vergabekriterien im Etatentwurf 1994 zu einer Reduzierung der Zahl der Partnerländer in Afrika, Asien und Lateinamerika bei den Neuzusagen geführt. Mehr als 60 % unserer Leistungen kommen ärmeren Ländern mit einem Pro-Kopf-Einkommen unter 635 US-Dollar zugute, und allein 27 % gehen an die am wenigsten entwikkelten Länder, deren Einwohneranteil nur knapp 13 % der Weltbevölkerung beträgt.
Zweitens tragen wir der immer stärker differenzierten wirtschaftlichen Leistungskraft der Entwicklungsländer und dem Bedarf an neuen entwicklungspolitischen Instrumenten durch den Ausbau unseres Instrumentariums Rechnung. Ich darf hierzu auf das verweisen, was Kollege Neuling ausgeführt hat: Das BMZ kann mit diesem Instrumentarium in Zukunft zusätzliche Marktmittel für die Entwicklungszusammenarbeit mobilisieren, und zwar, was ganz wichtig ist, im Einklang mit den OECD-Richtlinien.
Drittens wirken wir auf mehr Effizienz und qualitative Verbesserungen bei der Durchführung der einzelnen Projekte und Programme der Entwicklungszusammenarbeit hin. Im Bereich der bilateralen Zusammenarbeit geschieht dies durch ein verfeinertes Planungs-, Kontroll- und Evaluierungssystem. Eine verbesserte Feinabstimmung zwischen technischer und finanzieller Zusammenarbeit, wie sie jetzt durch das Kooperationsabkommen zwischen GTZ und KfW erreicht wurde, ist das erste praktische Ergebnis unserer Bemühungen um die sogenannte Vorfeldoptimierung, mit der wir die Leistungskraft der Durchführungsorganisationen erhöhen.
Nach dem Haushaltsentwurf 1994 werden unsere multilateralen Leistungen auf rund 35 % der Mittel des Einzelplans 23 ansteigen. Diese 35 % liegen deutlich über dem Orientierungsrahmen von 30 %. Die Steigerung beruht im wesentlichen darauf, daß wir heute Zahlungsverpflichtungen zu bedienen haben, die unter anderen haushaltspolitischen Bedingungen ein-



Bundesminister Carl-Dieter Spranger
gegangen wurden. Ich sage auch hier ganz offen: Diese Entwicklung ist alles andere als erfreulich.

(Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Da muß man einmal nein sagen!)

Deshalb muß unmißverständlich klargestellt werden: Neue multilaterale Verpflichtungen haben sich an den veränderten haushaltspolitischen Eckdaten zu orientieren. Deshalb sieht der Finanzplan des Bundes für die im kommenden Jahr anstehenden Verhandlungen über den 8. Europäischen Entwicklungsfonds keine Steigerung vor. Ich begrüße es ausdrücklich, daß sich der Haushaltsausschuß und der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit künftig intensiver an der Meinungsbildung und auch an der Entscheidung über neue multilaterale Verpflichtungen beteiligen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Helmut Esters [SPD])


(Vorsitz : Vizepräsident Hans Klein)

Auch für den multilateralen Bereich gilt es, in Zukunft stärker auf Qualität als auf Quantität zu setzen. Die weitgehende Übernahme der deutschen entwicklungspolitischen Kriterien und die verstärkte Ausrichtung auf unsere Sektorschwerpunkte Armutsbekämpfung, Bildungsförderung und Umweltschutz durch die multilateralen Institutionen war ein wichtiger Schritt für eine Steigerung der Wirksamkeit. Zusätzlich ist aber erforderlich, die Koordination und Aufgabenverteilung zwischen multilateraler und bilateraler Entwicklungszusammenarbeit zu verbessern.
Die deutsche Präsidentschaft in der Europäischen Union wird uns im kommenden Jahr die Möglichkeit geben, unsere Vorstellungen deutlich zu machen. Ich bin auch hier besonders dankbar für jede Anregung und Unterstützung aus dem Deutschen Bundestag, die uns hilft, die Abstimmungen zwischen multilateraler und bilateraler Entwicklungszusammenarbeit zu verbessern und die Effizienz der multilateralen Institutionen zu erhöhen.
Meine Damen und Herren, der Entwurf des Einzelplans 23 ist Ausdruck unseres Willens, auch in Zeiten äußerst begrenzter finanzieller Spielräume Deutschlands Verantwortung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung und den Frieden in der Welt wahrzunehmen. Unsere Partner in den Entwicklungsländern verstehen, wie ich aus vielen Gesprächen weiß, daß höhere Haushaltsmittel im Moment nicht zur Verfügung gestellt werden können und die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen jetzt — auch zur Sicherung deutscher Leistungen in der Zukunft — Vorrang genießen muß. Sie wissen ebenfalls, daß die Bewältigung der Entwicklungsaufgaben vor allem von ihren Eigenanstrengungen abhängt und Deutschland ihnen dabei auch unter schwierigen Bedingungen weiterhin zur Seite steht.
Am Ende der parlamentarischen Beratungen des Einzelplans 23 für das Jahr 1994 danke ich dem Deutschen Bundestag und vor allem — nochmals — den Berichterstattern und den zuständigen Ausschüssen für die Unterstützung des Kurses der deutschen Entwicklungspolitik. Wir wollen dieses Vertrauen rechtfertigen und die vom deutschen Steuerzahler
bereitgestellten Mittel wirksam zur Bewältigung der globalen Herausforderungen der Entwicklungspolitik einsetzen.
Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung zu dem vorliegenden Entwurf.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219214700
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 23 ist angenommen.
Ich rufe den Punkt I 16 bis 18 auf:
Einzelplan 06 Bundesministerium des Innern
- Drucksachen 12/6006, 12/6030 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Deres
Ina Albowitz
Rudolf Purps
Einzelplan 33
Versorgung
— Drucksache 12/6026 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Arnulf Kriedner
Ina Albowitz
Rudolf Purps
Einzelplan 36
Zivile Verteidigung
— Drucksachen 12/6028, 12/6030 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Uelhoff
Ina Albowitz
Rudolf Purps
Zu den Einzelplänen 06 und 36 liegen drei Änderungsanträge der Abgeordneten Ingrid Köppe vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgesehen. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Rudolf Purps das Wort.

Rudolf Purps (SPD):
Rede ID: ID1219214800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Der Haushalt des Innenministers für das Jahr 1994 ist das in Zahlen gegossene Eingeständnis von Hilflosigkeiten, von Pleiten und Pannen,

(Beifall bei der SPD)

Unfähigkeiten, mangelnder Sensibilität und — in
einigen Punkten — schlichter politischer Dummheit.
Ich sage Ihnen: Auch wenn Sie, Herr Minister Kanther, diesen Haushalt in der Aufstellung nicht zu verantworten haben, so sind Sie doch die berühmten 100 Tage im Geschäft — Sie waren auch in den entscheidenden Beratungen des Haushaltsausschusses anwesend —, um für diesen ganzen Bereich die volle Verantwortung zu tragen.



Rudolf Purps
Ich sage Ihnen: Was in den letzten Wochen aus Ihrem Hause an „Vergoldungsrichtlinien" für den Umzug der Beamten von Bonn nach Berlin gekommen ist, ist schlichtweg nicht mehr zu ertragen. Man muß schon die ausgesprochene Sensibilität eines Fleischerhundes haben, wenn man der Bevölkerung derartige Vergünstigungsregeln in einer Zeit zumutet, in der 6 Millionen Menschen arbeitslos sind, davon 4 Millionen real und die anderen in Umschulungen, in der 1 Million Menschen auf Grund Ihrer hervorragenden Politik von Arbeitslosigkeit bedroht sind und in der Industrie darüber verhandelt wird, ob die Leute möglicherweise mit einer Vier-Tage-Woche mit Gehaltseinbußen zwischen 10 % und 20 % zurechtkommen müssen. Da kommt Ihr Haus hier her und legt so etwas auf den Tisch. Ich will Ihnen sagen: Es genügt nicht, dies zurückzuziehen. Da muß man sich auch fragen, wie so ein Entwurf überhaupt entstehen kann; denn ganz ohne Billigung und Verständnis des Ministers kommt so etwas ja nicht zustande, Herr Kanther.
Ich würde Ihnen lieber einen anderen Auftrag geben. Schauen Sie, Sie sind ja nicht nur Beamten-, sondern auch Organisationsminister. Nehmen Sie sich einmal diese vielen kleinen Minireferate, diese Unterabteilungen vor, alle hochbestückt mit B 3, B 6, B 9 aufwärts, d. h. immer — das muß man deutlich sagen — Gehälter um 120 000 DM, ansteigend. Führen Sie eine Strukturveränderung durch, indem Sie einen Großteil dieser Minireferate und Unterabteilungen einfach abschaffen! Das wäre eine Aufgabe, die des Schweißes der Edlen wert wäre. Wahrscheinlich müßten Sie aber einen Außenstehenden einschalten, McKinsey oder so; denn in Ihrem Haus wird nicht allzuviel dabei herauskommen, wenn Sie es machen.
Ich sage Ihnen in allem Ernst: Es wird die einzige Chance sein, Herr Minister Kanther, im Zusammenhang mit dem Umzug nach Berlin eine Strukturreform der Ministerialbürokratie durchzuführen. Denn wenn das nicht geschieht und Sie diese Systeme so, wie sie sind, über das Jahr 2000 hinaus auf die neuen Strukturen in Berlin übertragen wollen, dann wird der Staat — das meine ich ganz ernst, meine lieben Kollegen — an den Gehältern und den späteren Pensionszahlungen im öffentlichen Dienst zugrunde gehen.

(Beifall bei der SPD)

Also: Nicht immer nur von der Wirtschaft „lean management" verlangen; ich sage: „lean administration" und „lean government" . Das wäre etwas, worum Sie sich kümmern sollten.
Zur inneren Sicherheit: Die Aufklärung der Vorgänge von Bad Kleinen, Herr Minister, wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Man kann bis heute mit Sicherheit nur eines sagen: Sie war zum Teil dilettantisch vorbereitet und durchgeführt, und es bedarf nicht nur einer Versetzungsorgie im BKA und in Ihrem Hause, sondern auch einer erheblichen Verbesserung in Schulung und Ausrüstung beim BKA und bei der GSG 9. Wenn Sie hier den richtigen Weg beschreiten, werden Sie uns an Ihrer Seite haben; denn daß Terrorismus in jeglicher Form und aus jeglicher Richtung bekämpft werden muß, steht außer
Zweifel. Entscheidend ist, daß das hierfür notwendige Instrumentarium geschärft und effektiv und effizient arbeitsfähig eingesetzt wird.
Als Innenminister, der Sie für die innere Sicherheit zuständig sind, haben Sie auch die Aufgabe, die ausufernde Kriminalität in der Bundesrepublik zu bekämpfen. Aber seien Sie versichert — und auch Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU —: Sie werden es nicht erleben, daß wir dies auf das Problem des Abhörens von Schwerstkriminellen und kriminellen Vereinigungen begrenzen lassen. Auf dieses Ablenkungsmanöver werden wir nicht hereinfallen, in diese Falle werden wir Ihnen nicht gehen.
Ganz im Gegenteil, wir werden Ihnen, die Sie 1983 die geistig-moralische Wende gefordert haben, einige Fragen stellen: Wieso wundert es Sie eigentlich, daß die Kriminalität zunimmt, wenn Sie bewußt die Zweidrittelgesellschaft in Kauf nehmen und durch Ihre Maßnahmen auch noch stabilisieren? Was glauben Sie denn wohl, was für Auswirkungen die Pervertierung des Leistungsgedankens auf das Denken und Fühlen von Menschen hat, die Sie in Null-Arbeit schicken?
Das dumme Wort „Leistung muß sich wieder lohnen" hat den Leistungsbegriff von der Verantwortungsethik getrennt und ihn ausschließlich auf die individualistische, materialistische Denkweise verkürzt. Dies ist eigentlich nicht das, was man von einer christdemokratischen Union erwarten sollte.

(Freimut Duve [SPD]: Wenn man noch etwas erwartet!)

Oder schauen Sie sich bitte die Vielfalt der Medienlandschaft an, die Sie als kulturelles Ereignis gefeiert haben. Ich frage mich: Welcher kulturelle Gewinn liegt eigentlich darin, wenn ich mich Abend für Abend mit der Fernbedienung durch 20 Möglichkeiten, Menschen vom Leben zum Tode zu bringen, durchzappen kann?

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Mußt du ja nicht!)

Was ist denn dies für ein mediales Ereignis, für eine kulturelle Vielfalt?

(Zuruf von der SPD: Das hat die CDU eingeführt!)

Haben Sie vielleicht einmal überlegt, wohin es bei den Betrachtern führt, wenn die Medienvielfalt sich zwischen Sex und Crime und flachster B-Film-Unterhaltung abspielt? Und noch wichtiger: Welche Auswirkungen haben derartige Dinge insbesondere auf junge Menschen?
Ich frage Sie, ob das alles nicht etwas mit der Senkung der Hemmschwelle bei Gewalt, mit Verrohung und mit einer immer weiter voranschreitenden Akzeptanz von Gewalttätigkeit in unserer Gesellschaft zu tun hat.

(Beifall bei der SPD — Wolfgang Lüder [F.D.P.]: Wieviel Programme dürfen es denn sein?)

Hier stehen Sie in der medialen Verantwortung. Wir auch, wir stehen auch in der medialen Verantwortung, aber nicht wir sind es gewesen, die die hemmungslose

Rudolf Purps
Ausbreitung der privaten Medien vielfach gefordert haben,

(Widerspruch bei der F.D.P.)

was zu dem Ergebnis geführt hat, das sich heutzutage auf dem Medienmarkt darstellt.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Dann rede mit Herrn Rau!)

Wir werden es nicht zulassen, daß die Regierung ihre Verantwortung wegschiebt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das kann doch nicht wahr sein!)

Sie können jederzeit mit uns eine Regelung finden, wie wir die Schwerstkriminellen und die organisierte Kriminalität abhören, und zwar legal, unter bestimmten Beschränkungen. Wir werden etwas vorlegen, Sie sollten etwas vorlegen. Dann können wir das gemeinsam aushandeln. Nur, eines tun wir nicht: Wir entlassen Sie nicht aus der Verantwortung für den gesellschaftspolitischen Rahmen, in dem diese Sumpfblüten wachsen. Das werden wir nicht zulassen.

(Beifall bei der SPD)

Folgerichtig haben wir in den Bereichen der inneren Sicherheit — Bundeskriminalamt, BGS, Bereitschaftspolizei der Lander — als SPD nicht einen Kürzungsantrag eingebracht, weil wir zu dieser Verantwortung stehen. Sie, die Koalition, haben gekürzt. Dann erklären Sie bitte in Zukunft auch den Bereitschaftspolizeien der Länder, ob Sie die jahrzehntelang gewachsenen guten Beziehungen zwischen Bund und Bereitschaftspolizeien aufkündigen wollen. Wir jedenfalls stehen für eine solche Politik nicht zur Verfügung.
Was die Besoldung beim BGS betrifft, möchte ich sagen: Die lahmen Versuche, in der Beförderungspraxis und in der Frage der zweigeteilten Laufbahn die Verhältnisse beim BGS an die der Länderpolizeien heranzuführen, sind mittlerweile langsam peinlich. Die von Ihnen hier vorgenommenen Maßnahmen in Form der berühmten „Echternacher Springprozession" können beim BGS nicht zur Zufriedenheit führen. Sie wissen genausogut wie ich, daß die Menschen an erster Stelle stehen und erst dann die Ausstattung mit Material wichtig ist. Sie können ein Optimum an Leistung nur erhalten, wenn die Menschen auch ihrer Leistung entsprechend entlohnt werden und befördert werden können. Das ist zur Zeit beim BGS nicht der Fall. Ich fordere Sie auf, einen vernünftigen Plan vorzulegen, in dem Sie feststellen, wie die Besoldung beim BGS bis zum Jahre 1998 an die Struktur der Länderpolizeien herangeführt werden kann, damit es beim BGS wieder eine positivere Perspektive gibt.
Nun zu einem Kuriosum, dem Einsatz der sogenannten Wärmebildgeräte bei der Überwachung der Grenzen. Es ist völlig klar, daß wir Grenzen überwachen müssen. Wir können es nicht erlauben, daß zwischen der Bundesrepublik und den Nachbarländern ein ständiger illegaler Grenzverkehr stattfindet.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktionslos])

Das werden wir nicht zulassen; denn Illegalität und
Kriminalität stehen schon in einem gewissen Zusammenhang. Das wissen auch Sie. Ich halte es daher für vertretbar, die Grenzen mit modernster Technik und Elektronik zu überwachen, um ein reibungsloses Aufgreifen der illegal die Grenze überschreitenden Personen zu ermöglichen.
Aber was tun Sie? — Sie leihen sich von der Bundeswehr Wärmebildgeräte aus, von denen Fachleute selber sagen, daß sie für diesen Zweck eigentlich überhaupt nicht geeignet sind. Sie leihen sich also etwas aus, was für diesen Zweck nur sehr bedingt geeignet ist. Diese Geräte reagieren auf Hitzequellen wie Panzermotoren, aber nicht auf die leichte Wärme menschlicher Körper.

(Karl Deres [CDU/CSU]: Das heißt aber nicht: überhaupt nicht!)

Wenn es mit dem Einsatz soweit ist, sagen Sie: Wir brauchen auch die Soldaten dazu. Sie haben sich eine Rechtskonstruktion erstellt — ein Gutachten für oder gegen etwas bekomme ich überall —, nach der dies zulässig ist. Wir Sozialdemokraten wollen das nicht. Wir wollen nicht, daß die Grenze zwischen Bundeswehr und Bundesgrenzschutz verwischt wird.

(Beifall bei der SPD — Freimut Duve [SPD]: Auch nicht an der Grenze!)

Wir wollen auch nicht, daß Bundeswehrsoldaten in anderer Uniform Dienst tun.
Es wäre für Sie viel einfacher gewesen, Herr Minister, wenn Sie die hierfür zuständigen BGS-Leute zur Bundeswehr geschickt hätten , sie die Bedienung der Geräte hätten lernen und sie als originäre Grenzschützer an der Grenze mit diesen Geräten hätten arbeiten lassen, bis die neuen, besseren Geräte zum Einsatz kommen. Die Rechtskonstruktion, die Sie gewählt haben — Überlassung von Personal der Bundeswehr an den BGS für eine bestimmte Zeit —, halte ich für verfassungsmäßig äußerst bedenklich und für prinzipiell nicht gewollt, jedenfalls nicht von der SPD.

(Beifall bei der SPD)

Zu den Belangen des Sports wird einer meiner Kollegen noch etwas sagen. Mir sei es gestattet, noch einmal darauf hinzuweisen, daß die Förderung und der Aufbau des Sports in den neuen Bundesländern vom Bund nicht in dem Maße in Angriff genommen werden, wie dies notwendig ist. Wir haben Ihnen bei den Sportstätten wiederum den Einstieg in den „Goldenen Plan Ost" vorgelegt. Die Koalition will dies nicht; das ist Ihre Entscheidung. Die größte deutsche Bürgerinitiative, die in den Sportvereinen und Sportverbänden zusammengeschlossenen Bürger dieses Landes, werden das im nächsten Jahr wohl zu belohnen wissen.
Ein weiteres trauriges Kapitel dieser Bundesregierung betrifft die Frage der Förderung von Kultur, insbesondere die Erhaltung der Substanz der Kultur in den neuen Bundesländern. Wenn Sie pommersche und schlesische Landesmuseen und anderes fördern — das können Sie tun; Sie haben es so beschlossen —, dann ist nicht zu verstehen, warum Sie die Kulturförderung in den neuen Ländern, laut Einigungsvertrag für eine Übergangszeit zugestanden, zerschlagen und eine neue Konstruktion wählen, auf die ich gleich noch zu sprechen komme.



Rudolf Purps
Wir, die SPD, befürchten, daß Sie damit die Kultur in den neuen Bundesländern dem Kahlschlag preisgegeben haben. Wir haben Sie seit Jahren immer wieder auffordern müssen, die schon zweimal gestrichenen Mittel wieder einzusetzen. Ihr seid mir lieb, Ina und Karl. Aber in dieser Beziehung seid ihr ganz hartnäckige Burschen.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Ich bin kein Bursche!)

Ihr habt es immer wieder herausgestrichen. Wir haben es immer wieder hineinsetzen müssen, z. B. mit Hilfe des Bundeskanzlers. Auch er hat nicht verstanden, was ihr eigentlich gemacht habt. Gegen die Unvernunft der meisten Haushälter mußten wir auf die Vernunft der Regierung setzen. Das muß einmal gesagt werden. Wir kommen sonst ja gut zurecht. Aber in dieser Frage ist es ganz schrecklich mit euch.
In diesem Jahr machen Sie noch etwas viel Schlimmeres. Sie benutzen eine den neuen Ländern eh zustehende Geldquelle, widmen sie um und sagen: Nun bekommt ihr das Geld. Aber wie kann ich jemandem etwas geben, was ihm sowieso gehört, und auch noch für die armseligen 250 Millionen DM gelobt werden wollen, die Sie aus dem noch nicht erhaltenen Massenvermögen der Altparteien der DDR, aus den Teilen, die zu Unrecht erworben sind, bekommen wollen?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Sie haben sie noch gar nicht. Sie kriegen sie wahrscheinlich auch gar nicht. Denn Sie müssen dazu das Einvernehmen der Unabhängigen Kommission des Herrn Professors Papier haben. Ich habe hier ein Papier von Herrn Professor Papier. Das habt ihr sicher auch. Unter anderem steht da:
Nach dem derzeitigen Meinungsstand in der Unabhängigen Kommission und auf der Grundlage der bestehenden Rechtslage kann ich ein derartiges Einvernehmen nicht ohne weiteres in Aussicht stellen.
Was haben Sie eigentlich in der Hand? — Nichts haben Sie in der Hand! Sie wollen den Leuten das schenken, was ihnen laut Einigungsvertrag, Art. 35, zusteht, und wollen dafür auch noch gelobt werden. Wissen Sie, was die Kultur- und Kunstschaffenden in den neuen Ländern tun werden? Sie werden Ihnen im nächsten Jahr die Quittung für dieses Verfahren geben. Davon bin ich überzeugt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN — Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Nicht nur dafür!)

Herr Innenminister, Sie sollten sich auch noch um einige andere Fehlleistungen in Ihrem Hause kümmern, etwa um die Abrechnung der Mittel, die bezüglich der Errichtung der Wolgarepublik und der Hilfe in den MOE-Staaten und den Nachfolgestaaten der alten GUS über den Verein für das Deutschtum im Ausland geflossen sind. Presseberichten zufolge liegen Beanstandungen des Rechungshofs in gravierendster Form vor. Nur hört man aus Ihrem Flause nichts dazu.
Klären Sie bitte folgende Merkwürdigkeit auf: Zwischen Weihnachten und Neujahr 1991 haben Beamte eine Kassenanweisung über mehr als 30 Millionen DM unterschrieben — man muß sich das einmal vorstellen: zwischen Weihnachten und Neujahr haben Beamte gehandelt — und ohne eine bestimmte Zweckbindung und ohne das Vorhandensein eines fähigen Bewerbers, dem VDA überwiesen. Diese Leute waren mit dem Geldgeschenk völlig überfordert. Was haben sie gemacht? Sie haben es zum Teil zu Festgeldzinsen angelegt; das ist auch ganz nett. Der Bund hat es nachher wiedergekriegt, sogar mit Zinsen. Aber das ist Dilettantismus. Oder es ist Absicht, daß man einen bestimmten Verband mit einer Aufgabe betrauen wollte, der, wie sich herausstellte, das einfach nicht konnte. Das ist nicht sein Versagen, sondern ist es das Versagen einer Minsterialbürokratie, die glaubt, einen solchen Träger nehmen zu müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dann sind wir Haushälter einmal mitgefahren. Uns ist manches, insbesondere in der Ukraine, aufgefallen. Wir haben der Regierung, dem Kollegen Waffenschmidt, gesagt: Nehmt die dafür zuständigen, bewährten Verbände in die Arbeit hinein, z. B. die KfW oder die GTZ! Erst danach sind diese bewährten Verbände eingeschaltet worden. Seitdem koordinieren sie das, und es läuft besser.
Aber bitte, Herr Minister, wir würden sehr gerne wissen, wer damals veranlaßt hat, daß es zu diesem Träger und diesen Schwierigkeiten kam. Wenn der Verantwortliche in Ihrem Hause auch ziemlich hochrangig sein mag: Feuern Sie ihn! So kann es jedenfalls nicht weitergehen. Bringen Sie diesen Bereich in Ordnung.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister, auch der Bereich der Zivilverteidigung obliegt Ihrer Fürsorge. Ich möchte dazu nur folgendes bemerken. Sie haben die Verantwortung dafür erst seit kurzem. Was bisher aus Ihrem Hause an Neukonzeption gekommen ist, kann nur Kopfschütteln ernten. Sie haben einen ersten Entwurf vorgelegt, aber — jetzt zitiere ich —:
Der Entwurf enthält nur vereinzelt konzeptionelle Ausführungen. Der Haushaltsausschuß fordert jedoch die Vorlage einer neuen Gesamtkonzeption. Ausführungen zu den finanziellen Auswirkungen in kurz- oder mittelfristiger Sicht sind ebenfalls nicht enthalten. Ohne eine Übersicht über die finanziellen Auswirkungen kann ein solcher Bericht für den Haushaltsausschuß aber keine Entscheidungshilfe sein.
Der Bundesrechnungshof hat in verschiedenen Berichten u. a. die Auflösung des Bundesverbandes für den Selbstschutz sowie des Technischen Hilfswerks und die Übertragung der Aufgaben auf die Feuerwehr gefordert. Diese Forderungen sind in Ihrem Bericht ebenfalls nicht enthalten. Sie sind jedoch unverzichtbar.
Sie haben das Fehlen der Neukonzeption damit erklärt, daß es bisher keine ausreichenden Vorgaben für die Rückführung in den militärischen Bereich gebe. Die Forderungen des Bundesrechnungshofs



Rudolf Purps
datieren aber aus einer Zeit, in der die für die Sicherheit Deutschlands wichtigen Entwicklungen — beispielsweise der Zerfall des Warschauer Paktes — noch gar nicht absehbar waren. Ich bitte deshalb, den Bericht neu zu fassen, unter Berücksichtigung nachfolgender Aspekte — Herr Kollege Uelhoff, das muß Ihnen eigentlich runtergehen wie Öl —:
Beim Einzelplan 36 müssen alle nicht verteidigungsrelevanten Kosten eliminiert werden.
Die zu hohen Vorhaltungskosten im Zivilschutz sind kräftig zu senken. Das Schwergewicht der Verteidigung muß künftig bei den planerischen Maßnahmen liegen. Die Behördenstruktur muß überprüft werden. Dienststellen und Einrichtungen einschließlich des nachgeordneten Bereichs sind auf wenige wirtschaftliche Organisationseinheiten zu konzentrieren.
Das, was ich gerade vorgetragen habe, stammt nicht von mir. Dies stammt wortwörtlich aus einem Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 17. Juni dieses Jahres. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Sorgen Sie dafür, daß diesen Dingen nachgegangen wird, Herr Minister, insbesondere im Interesse der Arbeitnehmer in diesem Bereich; denn die hängen seit vier Jahren zwischen Baum und Borke und wissen letztlich nicht, wo es hingehen soll. Dies ist kein Zustand. So kann man mit Mitarbeitern nicht umgehen!

(Beifall bei der SPD)

Und sorgen Sie, Herr Minister Kanther, dafür, daß wir nicht noch einmal eine solch unsägliche Diskussion wie in diesem Sommer über die völlig überflüssigen — wie sich herausgestellt hat — und nutzlosen Tierversuche in der Katastrophenmedizin führen müssen. Das Verletzen, Verbrennen, Verätzen von Tieren zum Zwecke der Erforschung von Gasvergiftungen oder Schocktherapien bei Mehrfachverletzungen gehören nun meiner Erachtens wirklich der Vergangenheit an und sollten selbst durch noch so ausgeklügelte Begründungen der an solchen Untersuchungen interessierten Professoren nicht in Angriff genommen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Hirsch, im Haushaltsausschuß wurden diese Mittel gegen die Stimmen der SPD entsperrt. Erst als wir, die Sozialdemokraten — und besonders ich; das nehme ich einmal für mich in Anspruch —, darauf hingewiesen haben, was da passieren sollte, hat Herr Minister Kanther reagiert. Ich verlange aber von ihm, daß er agiert und nicht erst dann reagiert, wenn das Kind im Brunnen liegt.

(Beifall bei der SPD)

Ich denke, Herr Minister, man sollte dann aber auch in Ihrem Hause aufhören, uns Haushälter an der Nase herumführen zu wollen, denn die drei Versuche sollten 600 000 DM kosten. Jetzt gibt es nur noch einen Versuch — sieh an, es geht ohne Tierversuche —, aber der kostet dann 600 000 DM. Achten Sie einmal in den entsprechenden Abteilungen darauf, daß man nicht glaubt, man könne mit uns irgendwelche kleinen
Spielchen spielen! Wir werden schon dafür sorgen, daß dies in Zukunft nicht mehr passieren kann. Sie sorgen bitte dafür, daß Tierversuche in Ihrem Ressort nicht mehr stattfinden. Ich wäre Ihnen sehr dankbar — und Millionen Deutsche auch.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219214900
Herr Kollege Purps, bitte noch einen Satz, denn Ihre Redezeit ist zu Ende.

Rudolf Purps (SPD):
Rede ID: ID1219215000
Ja, so ist es. — Bemühen Sie sich also, die schlimmsten Dinge so schnell wie möglich abzustellen — wenn es nicht anders geht, Herr Minister, auch einmal mit einem kräftigen Donnerwetter in Ihrem Haus —, damit 1994 wenigstens eines läuft, nämlich eine geordnete Übergabe Ihres Hauses an die neue Regierung Scharping.
Wir lehnen den Haushalt des Innenministers und den Einzelplan für die zivile Verteidigung ab.

(Beifall bei der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219215100
Das Wort hat der Kollege Karl Deres.

Karl Deres (CDU):
Rede ID: ID1219215200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dieser oppositionellen Symphonie mit dem Paukenschlag — und Pauken haben den Nachteil, daß sie auf Grund der geringen Schwingungszahl ganz schnell wieder leise werden—möchte ich mich ernsthaft und gelassen den schwerwiegendsten Problemen dieses Haushaltes zuwenden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Jetzt kommt die Abschiedssymphonie!)

Meine Damen und Herren, wenn der Präsident gestattet, beginne ich mit einem Zitat:
Schwätzend, Kaugummi kauend, lärmen, rennen auf dem Flur,

(Freimut Duve [SPD]: Das ist ja ungeheuerlich!)

vordrängeln, unangemessene Kleidung und Abfall nicht in den Papierkorb werfen .. .
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht ein Teil der Tagesordnung der Haushaltsausschußsitzungen der vergangenen Wochen gewesen, sondern das ist die Aufzeilung einer „Hitliste" der Unartigkeiten amerikanischer Schüler im Jahre 1940.
Heute liegen die Probleme — auch bei uns — völlig anders.

(Freimut Duve [SPD]: Ja, wir sind jetzt mit den Amerikanern verbündet! — Gegenruf des Abg. Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Jetzt hören Sie doch mal mit Ihrem ständigen Gequatsche auf! Das ist ja schlimm!)

Von Unartigkeiten kann man da kaum noch sprechen. Drogen- und Alkoholmißbrauch, Vergewaltigung, Raub und Körperverletzung sind auch jetzt schon in unseren Schulen anzutreffen. Ich rede hier als Vater von vier Kindern, als Elternbeiratsmitglied, als Elternbeiratsvorsitzender und inzwischen auch als Großvater — damit Sie wissen, warum ich diese Veränderung



Karl Deres
einer „Hitliste" von 1940 zur jetzigen Situation aufführe.
Drogen fallen ja nicht vom Himmel. Sie werden von skrupellosen Geschäftemachern unters Volk gebracht. Ohne diese kleinen Dealer, die Handlanger des Todes, könnten die großen Dealer ihre Millionengeschäfte nicht machen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219215300
Herr Kollge Deres, der Kollege Duve würde gern eine Zwischenfrage stellen.

Karl Deres (CDU):
Rede ID: ID1219215400
Nein, er hat schon so viel dazwischengeredet. Von ihm möchte ich keine Zwischenfrage haben. Es war nämlich sehr unhöflich, was er soeben gemacht hat.

(Freimut Duve [SPD]: Aber ich hätte jetzt eine ganz höfliche Frage!)

Um an diese großen Dealer heranzukommen, müssen wir uns in diesem Hause jetzt schnell darauf einigen, wie wir die verfolgungsfreien Räume für die organisierten Verbrecher dichtmachen können. Dazu gehört auch das Abhören von Gangsterwohnungen als ein wichtiges Mittel der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung. Gerade in solchen Gangsterwohnungen werden doch die millionenschweren Verbrechen mit ihrem Opfer als tödlichem Ausgang geplant. Und hier soll man nicht einschreiten dürfen? — Das kann doch wohl nicht wahr sein! Verbrechen schon im Vorfeld zu verhindern, ist wichtiger, als nachher die Opfer zu beklagen, die es ja sonst vielleicht gar nicht gegeben hätte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dieses Beispiel zeigt, daß wirksame Verbrechensbekämpfung nicht ausschließlich davon abhängig ist, ob Jahr für Jahr mehr Geld dafür ausgegeben wird. Wichtig ist vor allem auch die Anpassung von Recht und Praxis an die gesellschaftliche und technische Realität in unserem Land.

(Beifall des Abg. Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD])

Meine Damen und Herren, hier schalte ich noch einmal einige Sätze zum BAFI und der heutigen Situation zwischen. Durch die Asylgesetzgebung konnten wir endlich den Kreislauf durchbrechen, während wir mit den Bewilligungen für das BAF1 Jahr für Jahr den ständig steigenden Asylbewerberzahlen immer nur hinterherhecheln konnten.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wahr, sehr wahr!)

Die Asylrechtsänderung schafft nicht nur vergleichbare Maßstäbe in Europa, sie hat uns auch einen beachtlichen Rückgang der Zuwandererzahlen gebracht. Eine Ausweitung der Mittel für das BAFl ist daher nicht mehr nötig. Der Personalaufbau ist gestoppt, der Sachmittelaufwand gebremst. Ich finde, ein solcher Erfolg darf ruhig einmal in unserem Lande erwähnt werden, das fast nur noch von Chaosmeldungen und Mißerfolgsberichten überzogen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Noch einmal zurück zum Thema innere Sicherheit als eine der zentralen Aufgaben in unserem Lande. Gerade in dieser schwierigen finanziellen Lage beweisen wir politische und gesellschaftliche Gestaltungskraft und setzen Schwerpunkte. Daher kommt für uns eine Mittelkürzung nach dem Rasenmäherprinzip hier nicht in Frage. An innerer Sicherheit haben wir jedenfalls nicht gespart.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das, was wir gestrichen haben, haben wir nämlich der inneren Sicherheit zur Verfügung gestellt.
Nehmen wir den Bundesgrenzschutz: Die Ausgaben für den BGS werden um beinahe 81/4% steigen—und das nicht ohne Grund. Denn wir müssen im nationalen Interesse, aber auch im Interesse unserer Nachbarn im Rahmen einer harmonisierten europäischen Politik für eine wirksame Eindämmung der illegalen Zuwanderung sorgen, die vor allem über unsere Ostgrenze erfolgt. Hierzu hat der BGS u. a. neue Grenzschutzstellen an der Grenze zur Tschechischen Republik und zu Polen errichtet.
Und was die Wärmebildgeräte angeht, lieber Herr Kollege Purps: Da wissen wir, daß sie technisch nicht das leisten können, was sie leisten sollen. Aber sie sind ein guter Einstieg, und deshalb haben wir diesen Einstieg auch mitbeschlossen. Wir hoffen, daß mit unseren Mitteln dann bald die besseren Geräte zur Verfügung stehen.
Wir können aber auf eine verbesserte Personalausstattung beim BGS nicht verzichten. Die Aufgaben sind sonst nicht zu bewältigen. Wir erhöhen deswegen — es klang eben alles so nach „absenken" und „zu wenig" — immerhin in dieser Situation die Einstellungsquote für Dienstanfänger von 1 250 auf 2 900. Außerdem können jetzt 800 statt 550 sogenannte Seiteneinsteiger eingestellt werden. 800 zusätzliche Planstellen stehen dem BGS mittelfristig für die Erfüllung seiner Aufgaben zur Verfügung.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Ein besonderes Anliegen ist es mir aber auch, die Besoldungsstruktur beim BGS den Regelungen bei den Länderpolizeien anzunähern. Wir führen daher unser 93er Programm — Herr Kollege Purps, es gibt also eines — fort und setzen weitere 500 Polizeivollzugsbeamtenstellen des mittleren Dienstes in solche des gehobenen Dienstes um. Es kann also selbst in dieser Zeit beim BGS noch befördert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Eine weitere Strukturverbesserung erreichen wir durch die Anhebung von 480 A-7-Stellen nach A 8. Auch dies ist Anreiz und Motivation für junge Leute, die sich in den wichtigen und verantwortungsvollen Aufgaben des BGS zu unser aller Wohl engagieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein weiterer Schwerpunkt unserer diesjährigen Haushaltsberatung war die Frage der Kulturförderung durch den Bund. Bitte hören Sie jetzt einmal genau zu. Die Ansätze dafür sind von 570 Millionen im Jahre 1993 auf ca. 700 Millionen DM im kommenden Jahr angestiegen, ohne das Substanzerhaltungsprogramm zu berücksichtigen oder mit einzurechnen. In den



Karl Deres
zehn Jahren von 1985 bis 1994 wurde hier — wieder ohne die Übergangsfinanzierung — eine Steigerung von 490 Millionen DM erreicht, das sind 235 %. Ich kann gar nicht verstehen, was wir uns in den letzten Jahren von seiten der Opposition an Vorwürfen haben bieten lassen müssen, wenn man sich einmal die Mühe macht, solche Zahlen zusammenzustellen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Jeder weiß: Die Kulturhoheit steht inklusive der Finanzierungsverantwortung natürlich den Ländern zu. Ich bekenne mich auch dazu, daß der Bund die Lander dort gezielt unterstützen soll, wo deren Kräfte überfordert sind, wo es also um länderübergreifende, um national bedeutsame Dinge geht. Wir kommen allerdings nicht umhin, die finanziellen Realitäten anzuerkennen. Es gibt Institutionen, die im Laufe der Zeit mehr oder weniger in die Bundesförderung hineingerutscht sind oder hineingerutscht worden sind, weil es die Kassenlage des Bundes gerade erlaubte. Ab 1. Januar 1995 aber gibt der Bund z. B. 10 % seiner Mehrwertsteuereinnahmen an die Länder ab. Kann er da dauerhaft weiter originäre Länderaufgaben finanzieren? Ich halte das für unmöglich.
Kultur sollte nicht länger von der aktuellen Finanzkraft der öffentlichen Haushalte abhängig sein. Das ist wenigstens meine Meinung. Sonst wird sie nach dem Motto „Wer das Geld gibt, bestimmt die Musik" nolens volens zur Staatskultur. Das will ich überhaupt nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Daher werbe ich für ein Modell, das die Zuwendungsempfänger auf Dauer unabhängig vom Bund macht. Statt auf unabsehbare Zeit jährlich steigende Zuschüsse bewilligen zu müssen, sollten wir Kapital zum Aufbau von Stiftungsvermögen zur Verfügung stellen. Ist dies angesammelt, können die einzelnen Empfänger, unabhängig von der Finanzkraft der öffentlichen Hände und befreit von einer bundeszentralen Kulturbürokratie, ihre Arbeit tun.

(Freimut Duve [SPD]: Das dauert bei Ihnen dann 35 Jahre!)

Ich nenne Ihnen ein Beispiel. In vier Kulturfonds verfügen wir über eine Gesamtsumme von 4 Millionen DM für ein Jahr. Dabei entstehen 850 000 DM an Verwaltungskosten. Das kann nicht der Sinn von Kulturförderung sein.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Auf Dauer ist das falsch.
Meine Damen und Herren, mit einem solchen Modell entfällt das jährliche Bangen und Feilschen um die Fortführung der Bundeszuschüsse. Mit der „Stiftung Lesen" haben wir das Modell bereits erfolgreich praktiziert. Die vier Fonds der Kulturstiftung der Länder sollen folgen.
Das BMI hat nach unserer Meinung gründlich und völlig unvoreingenommen zu prüfen, welche der beinahe unzähligen Institutionen und Projekte der Bund auch weiterhin fördern kann und soll. Ich rege dabei an zu berücksichtigen, inwieweit sich die verbleibenden Zuwendungsempfänger für das Stiftungsmodell eignen.
Die im Einigungsvertrag vorgesehene sogenannte Übergangsfinanzierung der ostdeutschen Kultur hat sich faktisch zu einer mittelfristigen Daueraufgabe entwickelt. Obwohl der Deutsche Bundestag letztes Jahr bereits ein Auslaufen dieser Bundeshilfen zum Ende des Jahres beschlossen hat, sollen für 1994 noch einmal bis zu 250 Millionen DM bereitstehen.
Dieser Betrag soll nach Abstimmung mit den Ländern — und Herr Papier, Herr Kollege Purps, hat vom derzeitigen Zustand gesprochen — und der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung der Parteivermögen aus dem Treuhandtopf bereitgestellt werden. Eventuell auftretende rechtliche Risiken werden bei dieser Lösung vom Bund abgedeckt.

(Freimut Duve [SPD]: Abgelehnt oder abgelinkt?)

— Abgedeckt. Wenn Sie höflich fragen, bin ich immer gern bereit, Ihnen auch höflich zu antworten.
Das Innenministerium war schon im Regierungsentwurf mit spürbaren Einsparungen konfrontiert. Wir Berichterstatter haben wegen der uns allen bekannten Mittelknappheit weitere Millionen von dem Ansatz herunternehmen müssen. In der abschließenden Sitzung des Haushaltsausschusses wurde dann noch die globale Sperre, eine Notbremse, in den 5er- und 6er-Titeln beschlossen, wobei die investiven Ansätze geschont werden sollen.
Im BMI-Etat von insgesamt 8,5 Milliarden DM wird so immerhin knapp eine halbe Milliarde DM gesperrt; einzusparen sind ca. 90 Millionen DM. Das mag schwerfallen. Doch was ist die Alternative? Steuern erhöhen? Noch mehr Schulden machen? Heute ist das schon eindeutig abgelehnt worden. Dann lieber sparen und die vorhandenen Mittel effektiv einsetzen.
Das gilt übrigens für alle Häuser, nicht für das BMI allein. Dies sage ich explizit auch aus der Erfahrung als Vorsitzender des Rechnungsprüfungsausschusses. Ich lade Sie, meine Damen und Herren, alle ein, einmal so einen markanten Tag in diesem Ausschuß zu erleben. Dann würden Sie sich manche Begeisterung für das eine oder andere Projekt, was Sie begrüßen und fördern, vielleicht nehmen lassen.

(Zuruf des Abg. Ernst Kastning [SPD])

— Ja, man kann dort auch arbeiten — das ist natürlich möglich —, nicht nur an anderer Stelle.
Ich möchte mich am Schluß für die gute Zusammenarbeit bei der Kollegin Ina Albowitz, genauso herzlich bei Rudi Purps, bei der Arbeitsgruppe, bei den Helfern des Sekretariats, Herr Minister, nicht zuletzt bei Ihnen und Ihren Mitstreitern, besonders beim Haushaltsreferat, bedanken.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219215500
Herr Kollege Deres, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Karl Deres (CDU):
Rede ID: ID1219215600
Wir haben uns ja, obwohl es ganz kurz vor der Berichterstatterrunde zu ersten Gesprächen kam, intensiv insbesondere auch in der Frage der inneren Sicherheit abgestimmt.



Karl Deres
Herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit und für Ihre Aufmerksamkeit. Guten Abend.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219215700
Wenn ich dem Kollegen Purps gleich ins Wort falle, wenn seine Redezeit abgelaufen ist, muß ich es beim Kollegen Deres auch tun. Das ist ganz klar. Ich habe damit nur auf eine Kopfbewegung reagiert.
Ich erteile der Kollegin Ina Albowitz das Wort.

Ina Albowitz (FDP):
Rede ID: ID1219215800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich mache jetzt eine Vorbemerkung zu dem Kollegen Rudolf Purps, den ich außerordentlich schätze. Daraus mache ich überhaupt keinen Hehl; das weiß er auch.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Du weißt, wie eifersüchtig ich bin!)

— Ja, ich weiß das. Deshalb bin ich ja auch schon vorsichtig.
Was er heute hier abgeliefert hat,

(Freimut Duve [SPD]: War eine sehr gute Rede! — Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Das war hervorragend!)

fand ich nicht so besonders gut. Vor allen Dingen fand ich den Anfang nicht so gut. Denn hinsichtlich der Liste aus dem Innenministerium, was den Umzug Bonn-Berlin betrifft, muß ich sagen: Wir haben uns als Haushälter — wir nehmen uns an sich immer sehr ernst — noch nicht mit dieser Liste beschäftigt. Wir haben sie auch nicht gesehen. Sie ist möglicherweise aus der Vorbereitung für ein Konzept für die Personal-und Sozialkommission „durchgestoßen" worden — die Insider wissen, was das heißt —, um so etwas möglicherweise zu verhindern.
Aber ich freue mich schon, wenn ausgerechnet die Sozialdemokratie mit den Personalräten und mit den Vertretungen über all die Dinge diskutiert, die wir im Zusammenhang mit dem Umzug zusammen zu bewältigen haben. Gute Reise kann ich da nur wünschen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die Politik frei nach Max Weber das Bohren harter, dicker Bretter bedeutet, wissen Haushälter am besten.

(Freimut Duve [SPD]: Das mußte einmal gesagt werden!)

— Eben. So ist es.

(Zuruf von der SPD: Das kann man immer wieder sagen!)

Wir streiten uns mit der Regierung um jede Position des Haushalts und müssen uns aber auch gerade bei den Beratungen der zur Debatte stehenden Einzelpläne mit unglaublich vielen Interessenvertretern auseinandersetzen. Das ist nicht immer einfach. Manchmal fühlt man sich als Berichterstatter wie der Akrobat auf dem Drahtseil.

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Ohne Drahtseil!)

Auch der Etat des Bundesministers des Innern muß in Anbetracht der zusätzlich erforderlichen globalen Minderausgabe und der erheblichen Stellenkürzung noch sparsamer gehandhabt werden, als es der Regierungsentwurf nach Beratung durch den Ausschuß vorsah.
Vor diesem Hintergrund begrüße ich die Entscheidung von Herrn Kanther, der als Reaktion auf die erweiterten Sparbeschlüsse für sein Haus einen sofortigen Einstellungsstopp mit Ausnahme des Bereichs innere Sicherheit angeordnet hat. Sie stellen sich damit einer schwierigen Aufgabe, Herr Minister. Ich wünsche Ihnen dafür für meine Fraktion viel Erfolg.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Den wünsche ich Ihnen aber auch speziell bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst und sage Ihnen die Unterstützung der Liberalen zu. Ich denke, wir haben Einzelbewertungen vorzunehmen, um das Ganze auch nicht zu gefährden.
Meine Damen und Herren, daß die Beamten in einer besonderen Treuepflicht zum Staat stehen, kann nicht oft genug gesagt werden.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Ich finde, es ist aber heute auch an der Zeit, einmal Dank zu sagen; denn wir haben den Beamten beim Aufbau des demokratischen Rechtsstaats in den neuen Bundesländern außerordentlich viel zu verdanken.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Deshalb bin ich mehr als verwundert, daß der Kollege Struck — offensichtlich in Unkenntnis des Verhaltens seiner Kollegen im Haushaltsausschuß — die Sonderzulage für Osteinsätze in Frage stellt. Wir haben für die rund 17 000 in den neuen Bundesländern tätigen Mitarbeiter, und zwar einvernehmlich, die Aufwandsentschädigung für 1994 fast halbiert und bis zum Jahresende 1994 befristet. Daß wir bis jetzt jedes Jahr neu über diese Zulage entschieden haben, ist offensichtlich dem Kollegen Struck entgangen. Wenn man die Protokolle der letzten Beratungen des Ausschusses nachliest, wird man feststellen, daß gerade die Abgeordneten der Sozialdemokraten die Auffassung vertreten haben, daß den betreffenden Beamten längerfristige Perspektiven eröffnet werden müßten. Wer es nicht glaubt: Ich habe sie mit. Sie können sie lesen.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Die SPD zerfleddert!)

Daß in den finanzpolitisch schwierigen Zeiten alles auf den Prüfstand gehört, ist eine Selbstverständlichkeit. Aber wenn Beschlüsse von großen Fraktionen noch nicht einmal eine Woche halten, finde ich das außerordentlich bedenklich.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Zerfleddert!)

Aus den Reihen der Opposition ist uns vorgeworfen worden, dies sei in diesem Jahr kein ordentliches Haushaltsverfahren.

(Ernst Kastning [SPD]: Allerdings!)




Ina Albowitz
Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der SPD: Wie begründen Sie auf der einen Seite die Zusage Ihres Obmanns, an der Etatisierung der globalen Minderausgabe mitzuarbeiten, wenn Sie auf der anderen Seite noch am letzten Tag der Bereinigungssitzung Erhöhungsanträge in Höhe von rund 2 Milliarden DM stellen?

(Widerspruch bei der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

— Wir können das alles auflisten. Fangen Sie mit mir nicht an zu spielen! Sie wissen, daß ich das möglicherweise besser weiß als Sie.

(Zuruf von der CDU/CSU: Kollegin Albowitz hat recht!)

Ich glaube, eine solche Finanzpolitik wird Ihnen auch der Bürger auf der Straße nicht mehr abnehmen.
Im Bereich der inneren Sicherheit setzt der Regierungsentwurf zum Einzelplan 06 in der durch die Beratungen des Ausschusses konkretisierten Fassung die richtigen Schwerpunkte. Die wesentliche Marschrichtung ist im übrigen überfraktionell einheitlich.
Es ist kein hinnehmbarer Zustand, daß die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land heute zunehmend verängstigt mit einer immer weiter ansteigenden Kriminalität leben müssen. Auf gutem Wege befindet sich die Erarbeitung eines Sicherheitspakets, das die Innenpolitiker der Koalitionsfraktionen auf ihren Klausurtagungen in den letzten Tagen angegangen sind.
Die Haushälter haben ebenfalls dazu einen Beitrag geleistet und trotz der rigiden Sparmaßnahmen die personellen Kapazitäten des Bundeskriminalamts zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität und der organisierten Kriminalität weiter ausgebaut. Für besonders wichtig — wir können den Innenminister nur auffordern, zügig die Verhandlungen weiterzuführen — halten wir die Einrichtung von Europol.
Einen weiteren Schwerpunkt setzt der Etat im Bereich des Bundesgrenzschutzes. Der Kollege Deres ist eben schon darauf eingegangen. Wir haben in einem erheblichen Kraftakt den neuen Anforderungen Rechnung getragen und ein BGS-Paket von rund 27 Millionen DM zusätzlich eingestellt.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Wir sind damit weitestgehend den Vorstellungen von Herrn Kanther gefolgt.
Daß sich die Personalsituation beim BGS langsam entspannt, ist ein erfreuliches Zeichen. 480 Stellen im Polizeivollzugsdienst sind angehoben, 500 Stellen befördert worden. Herr Kollege Purps, wie können Sie sich dann hier hinstellen und sagen, wir hätten nichts getan? Es mag ja sein, daß es dem einen oder anderen nicht ausreicht, aber in Anbetracht dessen, daß wir in anderen Etats Stellenkürzungen vorgenommen haben, haben wir hier bei fast 1 000 Stellen zugelegt.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das Kapitel BGS schließt mit einem Volumen von rund 2,4 Milliarden DM ab. Ich wünsche mir, daß die
Länder in ihren Haushalten ebenfalls eine solch eindeutige Prioritätensetzung vornehmen.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wahr, vor allen Dingen in Rheinland-Pfalz!)

— Ja, genau.
Wer meinen Redebeitrag zur Einbringung des Haushaltes verfolgt hat, weiß, daß ich mir die Kulturförderung in den neuen Bundesländern besonders auf die Fahnen geschrieben habe. Ich hatte für eine moderate Fortführung der Übergangsfinanzierung Kultur — allerdings ohne zusätzliche Mehrausgaben — plädiert, obwohl sich das Engagement des Bundes im Bereich der Kulturförderung in Ostdeutschland insgesamt bereits bis heute in einer Höhe von rund 2,5 Milliarden DM manifestiert hat. Die Beratungen haben jedoch klargestellt, daß durch Mittelumschichtung weder aus dem Einzeletat noch aus dem Gesamthaushalt eine Möglichkeit gefunden werden konnte.
Der Bundesminister der Finanzen hat dann nach langen Beratungen einen Vorschlag präsentiert, wonach zum Erhalt letztmalig 1994 Einnahmen aus der Unabhängigen Kommission Parteivermögen in Höhe von 250 Millionen DM zur Verfügung gestellt werden könnten. Offensichtlich sind die neuen Bundesländer und die Treuhand mit dieser Regelung einverstanden.
Ich hatte gestern Gelegenheit, diesbezüglich mit dem Vorsitzenden der Kommission zu sprechen — bezogen auf den Brief, aus dem der Kollege Purps eben zitiert hat —, habe allerdings — das geht nun an den Finanzminister, Herr Staatssekretär — mit leichter Verwunderung erfahren, daß dieser bisher lediglich aus der Presse von diesem Vorhaben Kenntnis erhalten hat. Hier sind sicherlich — ich bitte, das jetzt im Sinne der Sache ganz ernst und ohne Polemik zu behandeln — noch weitere Gespräche erforderlich, und sie sollten auch bald geführt werden. Im übrigen braucht die Kommission bis zu ihrer Sitzung Mitte Dezember eine Vorlage, damit der Vorsitzende unseren Vorschlag auf die Tagesordnung nehmen kann.
Unabhängig von den Bemühungen des Bundes, hier nochmals Hilfeleistung zu geben, gilt nach wie vor die Forderung an die neuen Länder und Berlin, ihre eigenen Kulturkonzeptionen zu erarbeiten, um Wege und Lösungen zu finden, hier auf eigenen und selbständigen Beinen stehen zu können.
Aus der Presse habe ich gestern erfahren, daß der Kultursenator von Berlin offensichtlich ein gestörtes Verhältnis zum Geld hat. Obwohl er wußte, daß das Substanzerhaltungsprogramm aus Sicht des Bundes 1994 eigentlich keine Fortsetzung mehr finden sollte, hat er in den Etatentwurf seines Hauses 138 Millionen DM Bundesmittel eingestellt. Ich halte diesen Vorgang für unverantwortlich und kann nur dringend an die Kultusminister der neuen Lander appellieren, auch in Anbetracht der Aufstockung des Fonds Deutsche Einheit für 1994 auf 10,5 Milliarden DM solch unseriöses Vorhaben zu unterlassen.
Meine Damen und Herren, die Finanzsituation gibt uns ja nicht nur Anlaß zu jammern, sondern bietet uns auch die Chance, die vielfältigen Aufgaben neu zu



Ina Albowitz
strukturieren. Wir werden 1994, was den gesamten Kulturbereich angeht, im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Lage und den 1995 beginnenden neuen Länderfinanzausgleich außerordentlich schwierige Diskussionen zu führen haben. Allein im Einzelplan 06 gibt es 93 institutionell geförderte Zuwendungsempfänger. Die Frage, die sich stellt, ist, ob alles, was dort gefördert wird, noch sinnvoll ist bzw. ob wir nicht auf Projektförderung umstellen müssen, damit die institutionelle Förderung eine seltene Ausnahme wird. Dabei schließen die Liberalen nichts und niemanden aus dieser Prüfung aus.
Im Bereich des Zivilschutzes haben die Etatberatungen der Tatsache Rechnung getragen, daß die veränderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen eine Reduzierung der Vorkehrungen im Bereich der zivilen Verteidigung erlauben. Das Bedrohungsbild hat sich durch den Wegfall des Kalten Krieges völlig verändert. Nicht ein flächendeckender Landkrieg, sondern globale Risiken, punktuelle terroristische Bedrohungen und grenzüberschreitende Katastrophen sind heute die Gefährdung.
Die im Bereich des Zivil- und Katastrophenschutzes getroffenen Einsparungen sind daher sachgerecht. Es bringt uns auch nicht weiter, wenn wir zukünftig nur durch prozentuale Kürzungen ohne grundsätzliche Neuregelungen haushalten. Der Zivilschutz des Bundes und der Katastrophenschutz der Länder müssen die neuen, veränderten Bedrohungsfelder berücksichtigen und sich auf diese Veränderungen einstellen. Ein neues Konzept ist daher dringend erforderlich. Meine Fraktion hat hierzu bereits konstruktive Vorschläge gemacht.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Sehr richtig!)

Mit Spannung erwarten wir den von Bundesinnenminister Kanther angekündigten Bericht zum 31. Dezember 1994.
Meine Damen und Herren, zu den Einzelplänen 06 und 36 gäbe es noch viele Anmerkungen zu machen. Der Einzelplan 06 ist der vielfältigste Einzeletat und außerordentlich problematisch. Deshalb können wir den Innenminister nur ermuntern, auf seinem bisher eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Wir unterstützen Sie dabei, Herr Kanther.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219215900
Ich erteile der Kollegin Ulla Jelpke das Wort.

Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1219216000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist in diesem Haus nicht besonders beliebt, Sachverständigenanhörungen auch wirklich zur Kenntnis zu nehmen. Das war beim Asylverfahrensgesetz genauso der Fall wie beim Gesetz zur organisierten Kriminalität. Ich will es dennoch noch einmal versuchen.
Am 19. April 1993 fand im Innenausschuß eine Anhörung zum Thema „Politisch motivierte Gewalt in Deutschland" statt. Bisher, so der Sachverständige Heitmeier, der nicht im Verdacht allzu großer Nähe zur PDS steht, wurden größere soziale und politische Gewaltpotentiale durch Umverteilung finanzieller
Ressourcen entschärft. Jetzt aber fragt er — ich zitiere —:
Was passiert eigentlich und wie geht man demnächst mit sozialen Konflikten um, wenn das scheinbar effektivste Steuerungsmittel — das Geld nämlich — demnächst nicht mehr zur Verfügung steht?
Oder — füge ich hinzu — wenn man es nicht mehr zur Verfügung stellen will.
Dann müssen Sie sich
— beantwortet Heitmeier seine Frage selbst —
einmal damit auseinandersetzen, daß das Grundmuster dieser Gesellschaft zur Debatte steht . . .
Dieser Haushalt setzt Schwerpunkte, die die gesellschaftlichen Desintegrationsprozesse weiter beschleunigen werden.

(Beifall des Abg. Freimut Duve [SPD])

Unausgesprochen folgt die Regierung dem zitierten Sachverständigen und klopft die neuen Grundmuster der Gesellschaft im Haushalt fest: Finanzierung der neuen Mauern im Osten, Aufrüstung zur Abschottung auf High-Tech-Niveau, Einsatz von Hilfspolizei und Armee gegen sogenannte Illegale. Das hat natürlich Folgen für die Bundesländer. Sachsen z. B. richtet eine deutsch-tschechisch-polnische Polizeisondereinheit ein. Der BGS patroulliert schon jetzt illegalerweise auf tschechischem Gebiet.
Die Ausgaben für Soziales und Bildung werden gnadenlos gestrichen. Das ganze Elend dieser Politik zeigt sich in Bildern wie diesem: An der deutschtschechischen Grenze heben Frauen mit ABM-Stellen Wassergräben aus, um sogenannte Grenzkriminelle an der Flucht zu hindern.
Es gibt einen neuen Titel: Förderung der Tätigkeit deutscher Volksgruppen im Ausland. Zur Begründung werden die deutschnationalen Töne zur inneren Sicherheit aus dem Regierungslager immer lauter.
Auf höchstem Niveau wird die in der Asyldebatte geübte Hetze gegen Ausländerinnen und Ausländer fortgesetzt. Innenminister Kanther scheut sich nicht, die Herausnahme der Sparte Ausländerkriminalität aus der Kriminalstatistik als Beschönigung, sprich: Fälschung der Statistik hinzustellen.
Derselbe Minister Kanther spricht davon, daß „Pseudointellektuelle" und „Konfliktpädagogen" den Verlust an Rechtstreue, sprich: die Ursachen für wachsende Kriminalität herbeigeführt hätten. Er fordert das offene Bekenntnis dazu, daß die Zahl unberechtigter Asylbewerber Ursache für die Fremdenfeindlichkeit sei. Alles andere, so Herr Kanther, sei liberales Tabu. Schönhuber muß schon ziemlich nachdenken, urn mit dieser Position noch als Original vor seine rechtsextremistische Klientel treten zu können.
Wir haben in der Asyldebatte nachgewiesen, daß die Regierung Wort für Wort die Forderungen rechter und rechtsextremistischer Strömungen erfüllt, ja übererfüllt hat. Heute steht dieser Schulterschluß konservativer und rechtsextremistischer Politik am Anfang der Kampagne zur inneren Sicherheit. Unter



Ulla Jelpke
dem Vorwand der Kriminalitätsbekämpfung werden Bürgerrechte abgebaut und im Gleichklang mit Rechtsextremisten autoritäre Staatsmodelle als innere Erneuerung der Demokratie verkauft. Ja sagen sollen die Republikaner zu dieser Politik. Das, meine Damen und Herren, ist ein eindeutiges Nein zu Bürgerrechten, sozialer Sicherheit und Demokratie.
Herr Hintze soll ja Spezialist für die Programmatik der Republikaner sein. Ich fordere ihn hier auf — auch wenn er nicht da ist —, der Öffentlichkeit am Wortlaut des Republikanerprogramms zur inneren Sicherheit und des Sicherheitspaketes '94, vorgestellt von Herrn Kanther, Trennendes und Gemeinsames zu erläutern. Sie werden feststellen, daß es nichts Trennendes gibt.
Meine Damen und Herren, in einem Atemzug wird Liebe gefordert zu diesem Staat, der gerade dabei ist, seinen Bürgerinnen und Bürgern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Das nationale Element als Bindemittel, wie Herr Schäuble das nennt, Diskriminierung von Minderheiten und Hatz auf Ausländerinnen und Ausländer sind zwei Seiten einer Medaille.
3 Millionen DM will diese Regierung ausgeben für die Fortsetzung der Aufklärungkampagne „Extremismus/Fremdenfeindlichkeit". Rechnen wir gutmütigerweise und wahrheitswidrig noch die 800 000 DM hinzu, die der „geistig-politischen Auseinandersetzung mit terroristischen und extremistischen Bestrebungen" dienen — naiverweise könnte man ja denken, darunter würden Nazis verstanden —, dann macht die ganze Summe noch nicht einmal ein Drittel der Kosten aus, die der BGS allein für Wärmebildkameras ausgeben darf. Selbstverständlich wird die politische Bildung zusammengestrichen.
Der Haushalt weist zudem nach, daß die Regierung selbst nicht an ihre Märchen von der umfassenden Wirksamkeit ihrer Abschottungspolitik glaubt. So z. B. werden im Kap. 06 25 80prozentige Steigerungen der Rückführungsflüge für die nächsten Jahre vorhergesagt, weil die Zahl der sogenannten illegalen Einreisen weiter ansteigen wird.
Zwei Drittel der Waffen- und Gerätebeschaffung des BGS in diesem Kapitel gehen in die „Verdichtung der Grenzüberwachung". Die Verpflichtungsermächtigungen, d. h. die Festlegung von Millionensummen für die Beschaffung von Waffen und Gerät des BGS in den folgenden Jahren, wurden in der Beschlußvorlage auf fast 30 Millionen DM nur in einem einzigen Haushaltstitel noch einmal mehr als verdoppelt.
Das alles ist nur ein winziger Teil dessen, was die Bundesregierung unter dem Mantel der verlogenen Kampagne zur inneren Sicherheit in die innere Aufrüstung steckt. Die einfachsten Erkenntnisse über den Zusammenhang der Brotpreise mit der Kriminalität — um es bildlich auszudrücken — werden nicht nur geleugnet, sondern bekämpft. Nicht Aufklärung, gezielt geschürte Angst ist die Ursache dafür, daß die Kriminalitätsfurcht in diesem Lande steigt, seit Regierung und Unionsfraktion mit ihrer Kampagne zur inneren Sicherheit begonnen haben.
Unerbittlich wird am völlig unrealistischen Ziel der drogenfreien Gesellschaft festgehalten, Hauptsache, es eignet sich zur Forderung nach härteren Gesetzen.
Als habe es nie Untersuchungen über den Zusammenhang von Sucht, Beschaffungskriminalität und sozialem Elend gegeben, sollen — im Unterschied zu Alkohol — Polizei und Strafjustiz das Problem wegschließen.
Meine Damen und Herren, auch im Innern gibt es die verschärfte Grenzziehung. Die Herausnahme der Asylbewerberinnen und Asylbewerber aus dem Sozialhilfesystem steigert nicht nur die Diskriminierung, sondern bürdet auch den Kommunen zusätzliche Kosten auf. Es sind politische Kosten, die in Kauf genommen werden, um die Abschreckungspolitik zu demonstrieren.
Aber es ist ja noch viel schlimmer. Wir alle wissen, daß dieses neue Grundmuster im Lande entstanden ist im Gefolge von Angriffen auf Bürgerinnen und Bürger, als Folge von Pogromen und Anschlägen auf Leben und Gesundheit hier lebender Menschen. Nicht genug damit, daß diese Regierung neurechte Denkschulen und Kaderschmieden mit Hunderttausenden von Mark finanziert, nicht genug damit, daß es offensichtlich genügt, mit nebulösen Projekten für Rußlanddeutsche zu winken, um Millionen an Bundestag und Gesetz vorbei lockerzumachen, wie im Falle des Vereins für das Deutschtum im Ausland, darüber hinaus führt die Bundesregierung einen zähen Kampf um die Verharmlosung des Neofaschismus. 79 Tote seit der Vereinigung sind der Regierung ein Anlaß, über den angeblich fehlenden rechtsextremistischen Hintergrund bei dem größten Teil der Todesfälle zu räsonieren.
Noch immer weigert sich die Bundesregierung, spürbare Erleichterungen bei der Einbürgerung und die doppelte Staatsbürgerschaft zuzulassen. Die „weitestgehende rechtliche Gleichstellung von deutscher und nichtdeutscher Bevölkerung" muß hergestellt werden. Das mag die Ausländerbeauftragte immer wieder — wie nach Solingen — feststellen, die Regierung hält unbeirrt an ihrer unseligen Abstammungslehre als Grundlage der Staatsbürgerschaft fest.
Das vor drei Jahren begonnene Schlachtfest am Grundgesetz geht weiter. Unsere schlimmsten Befürchtungen haben sich fast alle bestätigt. Die Bundeswehr überwacht elektronisch gesicherte Grenzen. Der große Lauschangriff schließt die letzten verfassungsmäßig vorgeschriebenen fahndungsfreien Zonen. Nachrichtendienste und Polizei verschmelzen ihre Arbeitsweise und Organisationen. Ersatz für Bürgerrechte und Existenzsicherung sollen Fleiß, Pflichtbewußtsein und Heimatliebe sein. Ohne uns!
Danke.

(Joachim Clemens [CDU/CSU]: Keiner da, der klatschen kann!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219216100
Das Wort hat die Kollegin Ingrid Köppe.

Ingrid Köppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1219216200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gruppe



Ingrid Köppe
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lehnt die Haushaltsansätze in den Einzelplänen 06, 33 und 36 ab.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das überrascht uns aber!)

Denn in all diesen Bereichen fehlt es sowohl an deutlichen Signalen zur Haushaltskonsolidierung wie auch an perspektivisch notwendigen und nachvollziehbaren Schwerpunktsetzungen. Es entsteht der Eindruck, daß die Bundesregierung und die Koalitionsmehrheit statt dessen die Mittelansätze oftmals ganz isoliert von den politischen Rahmenbedingungen je nach Opportunität und nach dem Beharrungsvermögen überkommener Strukturen festgesetzt haben. Ich will dies im folgenden an Hand einiger Beispiele verdeutlichen.
Für den Bereich der zivilen Verteidigung weise ich auf folgendes hin: Die Konsequenzen aus der veränderten sicherheitspolitischen Lage sowie der angespannten Haushaltssituation sind hier noch immer nicht gezogen worden. Bei dem im September 1991 vom BMI vorgelegten sogenannten Konzept zur Neustrukturierung des Bereichs handelt es sich in Wirklichkeit um eine gedankenlose Fortschreibung alter Ideen. Auf die damalige heftige Kritik von in diesem Bereich engagierten Organisationen hin hat sich das BMI nun endlich im vergangenen Monat in der Lage gesehen, eine abteilungsübergreifende Projektgruppe zum Teilbereich Zivilschutz einzurichten.
In den vergangenen Jahren hat die Koalitionsmehrheit im Haushaltsausschuß davon abgesehen, Mittel zunächst grundsätzlich zu sperren und Bewilligungen von der Vorlage eines tragfähigen und zukunftsorientierten Reformkonzepts abhängig zu machen. Entsprechend zahm formulierte Berichtsbitten gerieten beim BMI bis zum folgenden Etatentwurf prompt immer wieder in Vergessenheit. Wenn man die Versäumnisse bei den seit Jahren überfälligen Reformen der Zivilverteidigung sowie diese Mahnungen der vergangenen Haushaltsjahre berücksichtigt, dann sind die Kürzungen des Etatentwurfs durch den Haushaltsausschuß um 15 Millionen DM noch sehr zurückhaltend ausgefallen.
Daß dabei z. B. die Sachkostenansätze für den Regierungsbunker im Ahrtal um nur 140 000 DM zurückgekürzt wurden und somit noch immer über dem Vorjahresansatz liegen, bedauern wir.

(Freimut Duve [SPD]: Brauchen wir diesen Bunker überhaupt?)

Ich denke: Es ist doch der Öffentlichkeit heute kaum noch zu vermitteln, daß die Bundesregierung weiterhin darauf beharrt, sich in einem immer unwahrscheinlicheren Krieg auf deutschem Boden in diesem Objekt verkriechen zu wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Landesregierungen wie die aus Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen haben ihre Bunker schon als Aktenlager umgewidmet oder über Immobilienmakler Champignonzüchtern angeboten. Die Bundesregierung aber will nicht nur jährlich rund 30 Millionen DM geschätzte Unterhaltskosten weiterhin
aufwenden, sondern ihr Refugium dem Vernehmen nach sogar zu hohen Kosten noch weiter ausbauen.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Sonst gäbe es einen Preisverfall bei Champignons!)

Solche Maßnahmen erscheinen angesichts allgemeiner Sparappelle absurd. Die Aufwendungen wären zur Förderung des zivilen Wohnungsbaus jedenfalls sinnvoller angelegt. Daher bitten wir um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag, durch Streichung des Bunkertitels mit diesem Unfug ein für allemal Schluß zu machen.
Zweiter Bereich: Einzelplan 06. Erstes Beispiel: Ich bedaure die Kürzungen in der politischen Bildungsarbeit, vor allem bei der Bundeszentrale.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Die entstehenden Defizite können nicht durch die vom Haushaltsausschuß noch vorgenommenen Aufstockungen der Zuwendungen an die Parteistiftungen aufgefangen werden. Auch bei Sondermaßnahmen, vor allem der Förderung von Aufklärungsmaßnahmen gegen Rechtsextremismus im Jugendbereich, muß mehr als bisher auf Zielgerichtetheit und Kontinuität der erforderlichen Förderungen geachtet werden.

(Beifall des Abg. Freimut Duve [SPD])

In diesem Zusammenhang sollte in nächster Zukunft ein vielversprechendes Aufklärungsprojekt gegen Fremdenfeindlichkeit in die Förderung einbezogen werden, nämlich das Anti-Rassismus-InformationsCentrum NRW.

(Beifall des Abg. Freimut Duve [SPD])

Zweites Beispiel: Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen muß in die Lage versetzt werden, die Akten sicher zu lagern und zu verwalten.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Das können wir in dem Bunker machen!)

Das vom BMI bereits gebilligte mittelfristige Konzept für notwendige Baumaßnahmen ist leider unerträglich zusammengestrichen worden. Ich bitte daher um Zustimmung zu unserem Antrag, der Gauck-Behörde die erforderlichen Mittel hierfür zu gewähren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer — wie der Bundeskanzler — die Aufarbeitung der Stasi-Tätigkeit jetzt beenden oder die Akten zuklappen lassen möchte, stellt sich objektiv auf die Seite der großen und kleinen Täter der Stasi.

(Zurufe von der CDU/CSU: Na, na!)

Gleiches gilt für laufende Überlegungen der Fraktionen, den Medien ihren Beitrag zu dieser notwendigen Aufklärung durch verschärfte Strafandrohungen zu erschweren. Dies jedenfalls ist mit uns nicht zu machen.
Drittes Beispiel: Der höchst überflüssige Einsatz von Bundeswehrsoldaten an der grünen Grenze in Ostdeutschland; das ist schon erwähnt worden. Ich finde es sehr erstaunlich, daß die Union dieses mit dem Grundgesetz unvereinbare Vorhaben so fördert. Dies ist nur erklärlich mit dem Bemühen, der Bundeswehr



Ingrid Köppe
neue Einsatzfelder erschließen zu wollen, und seien die Soldaten dort auch so fehl am Platze wie in Somalia.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: So ein Schwachsinn!)

Denn der eigentlich zuständige Bundesgrenzschutz an der Ostgrenze ist in letzter Zeit so verstärkt worden, daß er seinerseits schon wieder Personal zur Verstärkung in Westdeutschland abgeben kann. Auch für weitere Auslandseinsätze des BGS scheint immer genug Personal dazusein, nach dem Willen der Bundesregierung demnächst auch in Somalia.
Schließlich hat der BGS die Wärmebildgeräte, welche nun durch Soldaten bedient werden sollen, in der Testphase ohne weiteres durch eigene Kräfte handhaben können. Warum soll dies nun auf einmal nicht mehr gehen? Aus all diesen Gründen beantragen wir, die Mittel für den Soldateneinsatz zu streichen.
Viertes Beispiel im BMI-Bereich: Die nochmalige Kürzung der Kulturförderung um fast die Hälfte gefährdet nicht nur den Erhalt des ostdeutschen Kulturreichtums, was immerhin eine gesamtstaatliche Aufgabe wäre, sondern läßt auch eine Auseinandersetzung mit den dortigen Besonderheiten vermissen. Konkret: Es ist zu befürchten, daß es zu Entlassungen z. B. am Bauhaus Dessau, zu Schließungen von Theatern z. B. in Wittenberg und Halberstadt kommen wird, daß Musikschulen und auch Bibliotheken besonders auf dem Lande gefährdet sind.
Daß der Finanzminister nun 250 Millionen DM aus dem Parteivermögen der DDR als Abfederungssumme nachschießen will, ist ein Holm. Denn diese Mittel stehen den ostdeutschen Ländern ohnehin zu, und zwar für wirtschaftliche und soziale Zwecke. Diese Umwidmung kann den Bund nicht aus seiner Verantwortung entlassen.
Alles in allem sind die Haushaltsansätze dieser Einzelpläne daher für uns nicht akzeptabel.
Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Freimut Duve [SPD])


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219216300
Herr Kollege Günter Graf, Sie haben das Wort.

Günter Graf (SPD):
Rede ID: ID1219216400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es bedurfte nicht erst der traurigen und teilweise auch beschämenden Begleitumstände von Bad Kleinen, um festzustellen, daß die Bundesregierung bei der inneren Sicherheit in ganz wesentlichen Bereichen versagt hat.
Der Anstieg der Zahl der Straftaten in unserem Land hat sich dramatisch zugespitzt. Waren es im Jahre 1981 insgesamt 4,97 Millionen Straftaten, so waren es 1992 in den alten Bundesländern einschließlich Gesamt-Berlins bereits 5,21 Millionen Straftaten. Bezieht man die neuen Länder ein, so waren es insgesamt 6,29 Millionen. Im gleichen Zeitraum ist die
Aufklärungsquote von 1981 mit 45,3 % auf 1992 mit 42,3 % zurückgegangen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das sagen Sie einmal den Ländern!)

— Wir kommen noch dazu, Herr Kollege.
Diese Entwicklung hat dazu geführt, daß die Sorge um ihre Sicherheit und die Furcht vor Kriminalität in der Bevölkerung ganz erheblich angestiegen ist. Einer „ipos"-Umfrage zufolge wurde im Jahr 1991 eine Bedrohung von 93 % der Befragten in den neuen Ländern und von 71 % der Befragten in der alten Bundesrepublik angegeben.
Diese Zahlen sind ein Beleg dafür, daß sich die Menschen in unserem Lande von Kriminalität bedroht fühlen und sich Sorgen um ihre Sicherheit machen. Das ist ein Anliegen, das wir, die Politik, aufnehmen müssen. Ich denke, die Bundesregierung ist gefordert, sich verstärkt mit dieser Thematik zu beschäftigen und entsprechend zu handeln.

(Beifall bei der SPD — Ina Albowitz [F.D.P.]: Tut sie ja!)

Zehn Jahre nach der Ankündigung der geistigmoralischen Wende durch den Bundeskanzler ist die positive Wertorientierung in weiten Bereichen unserer Gesellschaft verlorengegangen.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: Das ist auch wahr!)

Es reicht heute nicht aus, wenn die Bundesregierung diese Entwicklung mit Sorge sieht, andererseits aber offenbar ihre bisherige gescheiterte Politik nahezu unverändert fortsetzt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Man sollte kein Geld in die Schublade tun!)

Die Bundesregierung versucht, mit dem Hinweis auf den gesamtgesellschaftlichen Werte- und Strukturwandel von der eigenen Verantwortung abzulenken. Die Vordergründigkeit und die Ungeeignetheit dieses Entlastungsversuchs liegen auf der Hand.

(Beifall bei der SPD)

Es ist in erster Linie die Politik der sozialen Kälte, die maßgeblich zu den Ursachen für viele gesellschaftliche Verfallserscheinungen beigetragen hat. Die bedrückende zunehmende Verarmung, die völlig unzureichende Wohnungsbaupolitik und die erfolglose Arbeitsmarktpolitik fordern einen hohen Preis, der sich u. a. auch in der aufgezeigten Kriminalitätsbelastung in diesem Lande ausdrückt. Deshalb braucht die Bundesrepublik Deutschland eine neue Politik für die innere Sicherheit.

(Beifall bei der SPD)

Diese Politik muß mit einer vernünftigen sozialen Prävention beginnen, also mit einer Gesellschaftspolitik, die u. a. den Weg in die Ellenbogengesellschaft stoppt und die vor allem Gestaltungsmöglichkeiten und Stellenwert von Sozial-, Gesundheits-, Familien- und Jugendarbeit deutlich erhöht, die sozialen Rahmenbedingungen entscheidend verbessert und Betreuungsarbeit in ausreichendem Umfang ermöglicht.

(Beifall bei der SPD)




Günter Graf
Des weiteren, Kolleginnen und Kollegen, ist es notwendig, daß Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit, neue Armut, Orientierungs- und Perspektivlosigkeit gerade bei den jungen Menschen wirksam bekämpft werden,

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Dann brauchen wir auch keine Polizei mehr!)

Und was sagt diese Bundesregierung dazu? Ich darf an Ihre Antwort auf Drucksache 12/5452 vom 20. Juli dieses Jahres auf die Große Anfrage der SPD zur Thematik „Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung und Massenkriminalität" erinnern. In der Vorbemerkung führt die Bundesregierung aus — ich zitiere —:
Die Bundesregierung kann zu den notwendigen Korrekturen nur aufrufen und begleitend wirken, eingeleitet und vollzogen werden muß diese Entwicklung durch die Gesellschaft insgesamt.
Ich denke, Kolleginnen und Kollegen, dieser Satz spricht für sich und dokumentiert ein großes Stück Hilflosigkeit.
Kolleginnen und Kollegen, innere Sicherheit ist heute in Teilbereichen schon zu einem Privileg der Reichen geworden.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: Leider!)

Das private Sicherheitsgewerbe boomt.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Leider!)

Für die SPD-Bundestagsfraktion darf ich hier sagen, daß wir diese Entwicklung stoppen werden. Es muß Schluß damit sein, daß nach der Devise gehandelt wird: Wer reich ist, schützt sich erster Klasse durch private Sicherheitsunternehmen, wer arm ist, bleibt weitgehend schutzlos, weil er auf die teilweise unzureichend ausgestatteten und überlasteten öffentlichen Sicherheitsorgane angewiesen ist.

(Beifall bei der SPD — Ina Albowitz [F.D.P.]: Sagen Sie das mal in Nordrhein-Westfalen und in Schleswig-Holstein!)

— Wir sagen das in allen Ländern, wir sind auch mit den Ländern im Gespräch. Aber der Bund trägt ein großes Stück Verantwortung. Darauf komme ich gleich noch zu sprechen.
Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir stimmen zumindest in einer Frage überein, und zwar in der Bewertung, daß mit dem Anstieg und der Entwicklung der Kriminalität weder die materielle noch die personelle Ausstattung der Polizei Schritt gehalten hat. Dies trifft sowohl den Bund als auch die Länder.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Einverstanden!)

Vielfach ersticken die Beamten an der Aktenflut und können die Aktenberge selbst bei durchrationalisierten Verfahren nicht mehr bewältigen. Moderne Kommunikationstechniken fehlen weitestgehend für die polizeilichen Dienststellen. Dies gilt natürlich auch für den Bundesgrenzschutz. Zum Teil muß man dort heute noch auf Schreibmaschinen, die 20 Jahre alt sind, die Berichte schreiben.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Leider ja!)

Für Verwaltung und Schreibarbeiten werden lange
und teuer ausgebildete Polizisten eingesetzt, obwohl
diese Arbeiten genausogut von Angestellten erfüllt werden könnten.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Völlig richtig!)

Wichtig ist — und darin stimmen wir sicherlich auch überein —, daß die Polizei von polizeifremden Aufgaben freigestellt werden muß. Dies gilt nicht nur für die Länderpolizeien, sondern gleichermaßen auch für die Bundespolizei, den Bundesgrenzschutz.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Unbestritten!)

Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über neue Formen der Kriminalitätsverhütung sprechen, dann möchte ich nur stichwortartig auf einige Aspekte hinweisen, die wir Sozialdemokraten für notwendig erachten. Einerseits geht es darum, auch auf kommunaler Ebene kriminalpräventive Arbeitskreise/Räte einzurichten,

(Zuruf von der CDU/CSU: Räte?)

die sich mit den Besonderheiten des Kriminalitätsgeschehens vor Ort befassen.
Auch technische Prävention, z. B. Sicherungseinrichtungen in Neu- und Altbauten, Einbau von effizienteren Sicherungsmaßnahmen im Bereich des Autos sowie das Versehen von Fahrrädern und sonstigen hochwertigen Gütern mit Registriernummern, um eine bessere Zuordnung durchführen zu können, sind sicherlich in diesem Bereich zweckmäßige Maßnahmen. Vor dem Hintergrund leicht möglicher Fälschungen von Geldscheinen mittels moderner Farbkopierer ist es notwendig, Kopierschutzmöglichkeiten zu schaffen, die dies verhindern. Es ist auch daran zu denken, der Kreditkartenkriminalität durch die Anbringung von Lichtbildern auf den Kreditkarten wirksamer als bisher zu begegnen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219216500
Herr Kollege Graf, der Kollege Hirsch würde gern eine Zwischenfrage stellen.

Günter Graf (SPD):
Rede ID: ID1219216600
Ja, bitte sehr.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1219216700
Herr Kollege, die meisten Maßnahmen, die Sie aufzählen, liegen in der Verantwortung der Länder, die dafür nicht einmal Gesetze brauchen. Sagen Sie uns doch bitte einmal, warum die Innenminister der Länder, die zu Ihrer Partei gehören, diese Maßnahmen nicht schon längst verwirklicht haben.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Oder wenigstens jetzt verwirklichen!)


Günter Graf (SPD):
Rede ID: ID1219216800
Herr Kollege Hirsch, wir haben uns in der letzten Sitzung schon einmal über das Thema unterhalten, und ich habe gesagt, wir sind mit den Ländern im Gespräch und stimmen im wesentlichen überein. Ich gehe einmal davon aus, daß es uns gelingen wird, künftig gemeinsam das Programm innere Sicherheit, das ja auch der Kollege Solms heute morgen hier schon angesprochen hat, wieder in eine Richtung zu transportieren, wie es sie lange nicht gegeben hat. Da übe ich auch ein Stück Kritik; das will ich zumindest persönlich nicht verhehlen.



Günter Graf
Aber ich sage deutlich: Wir sprechen hier für die Bundesrepublik Deutschland, für den Bund, und von der Verantwortung des Bundeskanzlers und des Bundesinnenministers, der daran einen großen Anteil hat: 30 000 Polizeibeamte im Bundesgrenzschutz und über 4 000 Beamte beim Bundeskriminalamt sind ein Stück Verantwortung, bei der ebenfalls Maßnahmen notwendig sind, die bisher in der Form nicht durchgeführt wurden. Insofern gibt es da eine Verzahnung. Wenn wir darüber reden, reden wir über Land und Bund; aber ich beschränke mich hier im wesentlichen auf die Bundesseite.

(Joachim Clemens [CDU/CSU]: Das macht es auf jeden Fall einfacher!)

Kolleginnen und Kollegen, ich habe eben einige Dinge angemerkt, bei denen wir meinen, daß Maßnahmen notwendig sind, die so gut wie kein Geld kosten. Aber ich denke, es ist ferner notwendig, daß wir auch darüber nachdenken, wie wir den Opferschutz verbessern können. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten. Stichworte wie Opferberatungsstellen sowie Wiedergutmachung von Schäden und Verbrechensfolgen zugunsten von Opfern vor Strafverfolgung sollen hier nur kurz angedeutet werden.
Ich denke, auch darin, daß wir eine gute, modern ausgebildete und bürgernahe Polizei brauchen, stimmen wir überein. Das ist von allen Seiten des Hauses immer wieder betont worden.
Dies trifft natürlich in gleichem Maße - damit bin ich wieder beim Thema — für den Bundesgrenzschutz zu. Ich sage einfach einmal: Wir wissen es alle und sprechen seit Monaten von dem erheblichen Fehlbedarf beim Bundesgrenzschutz; die Zahl 5 000 geistert immer durch die Lande. Nun habe ich jüngst erfahren, daß beim Bundesgrenzschutz erheblich mehr Personal beschäftigt ist, als diese Zahl 5 000 aussagt. Beim Bundesgrenzschutz fehlen — das hat etwas mit dem Haushalt zu tun — die Planstellen für die Beschäftigten. Das heißt, wir müßten im Grunde genommen die Planstellen im Bundeshaushalt aufstocken, um das zu erreichen, was tatsächlich an Personal da ist. Das sind ja nicht alles Beamte; ein Großteil ist im Angestelltenbereich tätig. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf Beförderungen und dergleichen mehr. Da besteht erheblicher Nachholbedarf.
Ich will an dieser Stelle nur noch einmal ein Thema aufgreifen, über das wir auch schon gesprochen haben: Die Bundesregierung beabsichtigt, etwa 465 Soldaten der Bundeswehr beim Bundesgrenzschutz einzusetzen. Wenn man über Kosten nachdenkt, muß man wissen, daß dieser geplante, möglicherweise stattfindende Einsatz etwa 5 Millionen DM kosten wird, ganz abgesehen davon, daß in diesem Betrag die Reisekosten für die Beamten nicht enthalten sind. Wenn man auf der einen Seite weiß — wenn wir von einer gut ausgebildeten Bundespolizei sprechen —, daß durch diesen Haushalt Kürzungen von 400 000 DM vorgenommen wurden mit der Folge, daß die Anpassungslehrgänge im Osten, 14 an der Zahl, gestrichen werden mußten, und wenn wir auf der anderen Seite über den Einsatz der Bundeswehr mit über 5 Millionen DM Kosten nachdenken, dann ist die Welt an dieser Stelle ganz sicher nicht in Ordnung, und das wird auch nicht der Verantwortung des
Bundesinnenministers gerecht. Vielmehr wäre es notwendig gewesen, viel mehr in die Ausbildung insbesondere im Osten hineinzustecken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219216900
Herr Kollege Graf, Ihre Redezeit ist schon ein Stück überschritten.

Günter Graf (SPD):
Rede ID: ID1219217000
Ja, eine ganz kurze Bemerkung noch.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219217100
Aber nur noch einen Satz!

Günter Graf (SPD):
Rede ID: ID1219217200
Einen weiteren Punkt zum Bundesgrenzschutz wollte ich noch ansprechen, weil er hier schon genannt worden ist. Wir haben einfach festzustellen, daß das Personalstrukturgesetz von 1975, welches vorgesehen hat, den Bundesgrenzschutz bezüglich der stellenplanmäßigen Obergrenzen an die Länderpolizeien heranzuführen, sein Ziel nicht erreicht hat. Wenn wir den Bundesgrenzschutz heute betrachten, so beträgt der Anteil des gehobenen und des höheren Dienstes 9 % bis 10 %, wobei sich die Länder mittlerweile im Bereich — —

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219217300
Herr Kollege Graf, diese Zeit geht dem Kollegen Duve von seiner Redezeit ab.

Günter Graf (SPD):
Rede ID: ID1219217400
Schönen Dank, ich muß das beenden. Es gäbe eine Menge mehr zu sagen, aber dafür reicht die Zeit leider nicht.

(Beifall bei der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219217500
Ich erteile dem Kollegen Erwin Marschewski das Wort.

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1219217600
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst zwei Bemerkungen, erstens, zu Bad Kleinen. Herr Kollege Graf, es ist richtig, daß da insbesondere im Bereich der Beweissicherung Dinge geschehen sind, die nicht in Ordnung waren. Ich kann Ihnen sagen: Der Herr Bundesinnenminister wird daraus die Konsequenzen ziehen. Falsch aber ist es, an der Tätigkeit des Bundeskriminalamtes ausschließlich Kritik zu üben. Die Damen und Herren des Bundeskriminalamtes haben, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ihre Pflicht getan. Sie haben mitgeholfen, die Freiheit zu bewahren und die Demokratie zu sichern. Dafür sage ich ihnen ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Wissen Sie, wir sollten in einem Punkt einer Meinung sein: Der „Spiegel" hat sich auf einen Zeugen berufen. Er hat sich zumindest bei der Bewertung der Aussage geirrt, wenn er nicht fahrlässig die Unwahrheit in Kauf genommen hat. Ich fordere den „Spiegel" auf, den Zeugen zu benennen, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zweitens: Verbrechensaufklärung. Herr Kollege Günter Graf, auch mich berührt es, daß die Aufklä-



Erwin Marschewski
rungsquote nur 42,3 % betragen hat. Ich wiederhole das, was Kollege Dr. Hirsch vorhin erfragt hat: Für diesen Bereich sind die Länder zuständig. In Rheinland-Pfalz hat sich die Aufklärungsquote verschlechtert. Für Rheinland-Pfalz haben Sie recht: Wer arm ist, bleibt schutzlos. Das ist unser Problem, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zum Haushalt: Der Haushalt bietet in schwierigen Zeiten immer Anlaß zur Kritik, was alles man hätte anders machen können, hätte man ausreichend Mittel zur Verfügung gehabt. Ich glaube aber, daß wir im Bereich des Bundesministers des Innern alles ordentlich auf den Weg gebracht haben. Dem Bundesinnenministerium wurde mit diesem Haushalt die Voraussetzung für die Fortsetzung seiner erfolgreichen Politik gegeben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn ich von erfolgreicher Politik spreche,


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Haben Sie dem Kanzler schon gedankt, Herr Marschewski?)

darf ich zwei Dinge erwähnen, erstens die Änderung des Asylgrundrechts. Nach jahrelangem Einsatz hatten wir im Sommer Erfolg. Wir haben auch jetzt Erfolg; denn — ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen — im Oktober des letzten Jahres hatten wir fast 50 000 Asylbewerber, in diesem Jahr im Oktober waren es noch 16 600. Ich denke, daß wir da gemeinsam Erfolg gehabt haben. Es war ein Erfolg unseres gemeinsamen beharrlichen Einsatzes; dies lassen Sie mich hier einmal feststellen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Damit meine ich auch Sie, meine Damen und Herren von der SPD.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die SPD war aber verspätet!)

Zweitens. Im Bereich der inneren Sicherheit haben wir zwei Gesetze gemacht, die gut waren, und zwar das Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und das Geldwäschegesetz. Sie wissen aber, daß wir damit nicht zufrieden sind; denn gerade die Entwicklung der Kriminalität in den neuen, aber auch in den alten Ländern — in Rheinland-Pfalz, in Niedersachsen, in Hamburg und in Bremen, in Nordrhein-Westfalen — sagt uns, daß wir mehr brauchen. Eben deswegen wollen wir ein Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 auf den Weg bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Gerd Wartenberg [Berlin] [SPD]: Das wollen wir hier erst einmal sehen!)

Ich sage Ihnen, daß die neuen Fahndungsmittel mithelfen werden, der erheblichen Kriminalitätssteigerung Herr zu werden.

(Zurufe von der SPD)

Sie rufen so oft dazwischen, deswegen zu Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD. Solange Sie das Abhören in Gangsterwohnungen nur unter sehr verzögernden Umständen mit knapper Mehrheit bejahen, solange Sie gar nicht über eine Erweiterung der Befugnisse des Nachrichtendienstes oder des
Verfassungsschutzes oder über eine Kronzeugenregelung bei organisiertem Verbrechen — was wir gestern besprochen haben, Herr Kollege Dr. Hirsch — nachdenken, solange haben Sie kein Recht, irgendwelche Vorwürfe zu erheben.

(Gerd Wartenberg [Berlin] [SPD]: Das sind doch Ablenkungsmanöver!)

Der werte Kollege Purps hat von der Abschaffung des Rechtsbewußtseins gesprochen. Wissen Sie, es ist auch mein Problem, daß, vielleicht seit den siebziger Jahren, das Rechtsbewußtsein gewissermaßen von oben nach unten abgeschafft worden ist. Wenn ich den Leuten gestatte, im Kaufhaus zu stehlen,

(Zurufe von der SPD)

wenn ich den Leuten sage, das Schwarzfahren sei eine Bagatelle, wenn ich sage, der Diebstahl von Fahrrädern bei jungen Leuten spiele keine Rolle,

(Widerspruch bei der SPD)

wenn ich sage, das Beschmieren von Hauswänden sei völlig gleichgültig, dann trage ich dazu bei, das Rechtsbewußtsein von oben nach unten abzuschaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zuruf des Abg. Freimut Duve [SPD])

— Ja, ja, Herr Duve, Sie können sich gleich melden. Schnattern Sie nicht soviel dazwischen!
Ich sage Ihnen: Sie müssen diese Forderung auch an Ihre Ministerpräsidenten richten, meine Damen und Herren.

(Zuruf von der SPD: Ja, Sie haben ja nicht mehr so viele!)

Ich wiederhole: Für die Polizei sind die Länder zuständig. Das wissen Sie. Und wir sind dafür zuständig, den strafrechtlichen und strafprozessualen Rahmen zu schaffen. Das werden wir im Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 auch tun.
Nun soll es etwas ruhiger vonstatten gehen. Wir sollten auch über andere Bereiche reden, denn der Bereich der Innenpolitik ist weitreichender. Wir sollten über den Bereich des öffentlichen Dienstes, den Bereich Sport und den Bereich Kultur reden.
Die Kulturübergangsfinanzierung, meine Damen und Herren, findet sich zwar nicht im Haushalt, aber ich denke, daß wir trotzdem in den letzten Jahren unserer Verantwortung gerecht geworden sind. Frau Kollegin Albowitz hat zu Recht gesagt: Wir haben rund 2,5 Milliarden DM an Zuschüssen für die neuen Bundesländer im Kulturbereich geleistet. Ich sage noch einmal: Wir werden dies natürlich mit den 180 Millionen DM in diesem Jahr erneut tun.
Das Problem ist einfach folgendes: Wir müssen uns auf das Grundgesetz besinnen, und darin steht, daß für die Kultur grundsätzlich die Länder zuständig sind. Ich denke dennoch, wir sind sicherlich einer Meinung — und Sie wissen, Herr Duve, daß wir uns da bemüht haben —, daß die kulturell fortbestehende Einheit unseres Vaterlandes die formalstaatliche Trennung überwunden hat. Gerade die Kultur war ein wichtiger Impetus für die Einheit Deutschlands.



Erwin Marschewski
Ich wiederhole: Wir müssen uns darüber einig sein, daß für die Kultur die Hoheit bei den Ländern liegt. So steht es im Grundgesetz. Und ich fahre fort: So gilt es auch für den Sportbereich. Als immer noch aktiver Sportler, Günter Graf, freue ich mich, daß wir im Bereich des Sports die bisherige Förderung haben halten können. Das bedeutet für die Sportler, daß wir ihnen die Möglichkeit einräumen, international mitzuhalten.
Ich möchte gleichwohl an die Spitzenverbände des Sports appellieren, ein tragfähiges Konzept für die Organisation der Sportleistungszentren zu schaffen. Der deutsche Sport muß seine Sportleistungszentren straffen. Er muß die Zusammenarbeit zwischen sportwissenschaftlichen Einrichtungen, anwendungsorientierten Zentren des Sports und Olympiastützpunkten effektiver und effizienter organisieren.
Zum Schluß zum öffentlichen Dienst: In Zeiten knapper Haushalte wird immer wieder der Vorschlag gemacht, an den Beamten im öffentlichen Dienst zu sparen. Sparen ist sinnvoll, Herr Kollege Purps; aber ich denke, Sparen darf nicht zu Lasten nur einiger gehen. Deswegen darf ich Sie an folgendes erinnern.
In der Besoldungsrunde des vergangenen Jahres haben die Beamten durch eine Verschiebung der Besoldungsanpassung um vier Monate zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte mit einem Volumen von fast 1,6 Milliarden DM beigetragen. Damit erbringt dieser Personenkreis vergleichsweise mehr als die Tarifarbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, deren Sozialversicherungsbeiträge einheitsbedingt erhöht wurden. Dies war auch 1992 so. Zu Ihnen von der SPD gewandt, sage ich: Die Beamtenschaft leistet damit auch einen größeren Beitrag, als das bei der Belastung mit einer von uns abgelehnten Arbeitsmarktabgabe in Höhe von 1 % der Fall wäre.
Es ist selbstverständlich — dies wird auch von der Beamtenschaft akzeptiert —, daß der öffentliche Dienst auch im Jahre 1994 seinen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten muß. Allerdings, so meine ich, können weitere Sonderopfer der Beamten nicht in Frage kommen.

(Wolfgang Lüder [F.D.P.]: Richtig!)

Die Koalitionsfraktionen sind sich deswegen darüber einig, daß erstens eine Kumulation von Arbeitszeitverlängerung und Nullrunde problematisch ist,

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Ja!)

daß zweitens eine dauerhafte Benachteiligung der Beamten gegenüber dem Tarifbereich vermieden werden muß

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

und daß drittens ein sozialer Ausgleich für besonders belastete Gruppierungen ernsthaft zu prüfen ist.
Meine Damen und Herren, wer einen leistungsstarken öffentlichen Dienst wünscht, der darf nicht populistische, ungerechtfertigte Neidkampagnen führen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zuruf des Abg. Freimut Duve [SPD])

— Ja, das ist ganz wichtig zu sagen, nach dem, was ich
von Ihnen gelesen habe. — Er muß sich vielmehr mit
den neuen Aufgaben des öffentlichen Dienstes befassen — das haben wir als Koalition getan —: Flexibilisierung und Stärkung von Leistungsgesichtspunkten. Wir haben dies in der Koalition getan, und wir werden dies weiter konkretisieren. Wir warten auf Ihre Unterstützung.

(Beifall bei der F.D.P. — Ina Albowitz [F.D.P.]: Da warten wir lange!)

Zum Schluß, meine Damen und Herren: Herzlichen Dank den Beamten, die an der Formulierung des Haushaltes mitgewirkt haben. Aber ich darf an dieser Stelle auch einmal sagen: Mein besonderer Dank gilt unserem Kollegen, unserem Freund Karl Deres,

(Beifall bei der CDU/CSU)

der durch sein jahrelanges Wirken im Haushaltsausschuß mitgeholfen hat, Innenpolitik zu gestalten. Auch wenn es nun, wie hier und heute, lieber Karl Deres, wirklich nicht besonders einfach war: Dir noch einmal von dieser Stelle aus im Namen aller Innenpolitiker ganz, ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Rudolf Purps [SPD])

Meine Damen und Herren, die Unionsfraktion stimmt den Einzelplänen 06 und 36 zu.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219217700
Herr Kollege Dr. Burkhard Hirsch, Sie haben das Wort.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1219217800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte meine Stimmlage heute zu entschuldigen. Ich möchte zwei kurze Vorbemerkungen machen. Die erste gilt dem Beamtentum: Beamte sind weder Goldhamster noch die Sparschweine der Nation. Wir haben, Herr Marschewski, die Besoldungsanpassung nicht nur einmal, 1993, sondern zweimal, auch 1991, abgekoppelt, jeweils mit dem Volumen von etwa 1,5 Milliarden DM. Wir müssen natürlich darauf achten, daß die Beamten der allgemeinen Einkommensentwicklung folgen und nicht übermäßig benachteiligt werden.
Aber man muß den Beamten auf der anderen Seite auch ganz deutlich sagen: Zum Grundsatz der lebenslangen Verwendung gehört in unserer Zeit ein weit größeres Maß an Mobilität, als wir sie bisher gehabt haben.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktionslos])

Das umfaßt die Bereitschaft zur Versetzung, auch zu einem anderen Dienstherrn, und die Bereitschaft, eine andersartige Tätigkeit anzunehmen. Wenn das nicht durchgesetzt wird, dann sind die Tage des Berufsbeamtentums gezählt. Das muß man ganz deutlich sagen.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktionslos] —Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das ist auch ein Hinweis auf die politische Führung!)




Dr. Burkhard Hirsch
— Ja, selbstverständlich.
Die zweite Bemerkung zum Bundeskriminalamt. Was wir, Herr Minister Kanther, in diesen Tagen zu den Ermittlungen in Solingen hören, beunruhigt uns zutiefst. Das Bundeskriminalamt muß in der Lage sein — wir bedenken es ja finanziell und personell großzügig —, normale polizeiliche Arbeit einwandfrei zu leisten. Das beziehe ich nicht nur auf Bad Kleinen, sondern auch auf Solingen. Ich muß Sie dringend bitten, dafür zu sorgen, daß wir unser Land nicht ein zweites Mal durch mögliche Fehler in der polizeilichen Arbeit in große Probleme bringen. Das darf nicht vorkommen. Das muß man deutlich sagen.
Zum inneren Frieden unserer Gesellschaft gehört die Freiheitlichkeit unserer Rechtsordnung und die Sicherheit ihrer Bürger. Darum ist es für uns eine selbstverständliche staatliche Verpflichtung, Kriminalität so wirksam wie möglich und mit rechtsstaatlichen Mitteln zu bekämpfen. Es ist aber ein kardinaler Fehler und eine Verschleierung der Wirklichkeit, zu glauben, das sei vorrangig das Problem immer neuer Gesetze.
In den vergangenen Jahren sind wir durch wirklich unermüdliche Betonköpfe von einem Reizthema zum anderen gebracht worden, immer mit dem Argument: Wenn nur das und das geregelt sei, dann würden die Straftaten wie Schnee in der Sonne verschwinden. Wer irgendeinem Problem gegenüber nicht aufgeschlossen war, der hat sich die Behauptung anhören müssen, er schütze bewußt Verbrecher.
Zu diesen Reizthemen gehört — das muß ich leider sagen — auch die Wanze. Wir wollen sie nicht, weil sie den entscheidenden Einbruch in die Privatheit vieler Menschen besiegeln würde. Der Zweck heiligt nicht jedes Mittel.

(Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Horst Kubatschka [SPD])

Dem Bürger wird eingeredet, die Polizei stünde ohne Wanze nackt da. Das ist purer Unsinn. In Wirklichkeit hat die Gesetzgebung der letzten Jahre ohne exakte Erfolgskontrolle ein kaum noch überschaubares Arsenal geschaffen. Das muß man einmal aufzählen: fälschungssicherer Personalausweis — wer spricht darüber noch? —, Vermummung und passive Bewaffnung als Straftat, Verschärfung des Tatbestands Landfriedensbruch, Anhebung zahlreicher Strafdrohungen und besonderer Verfahrensregeln gegen kriminelle Vereinigungen, gesetzliche Regelungen für polizeiliche Kontrolle, Rasterfahndung, verdeckte Ermittler, Zeugenschutz, gesetzliche Regeln für das heimliche Abhören des nicht öffentlich geführten Gesprächs außerhalb von Wohnungen, für heimliches Fotografieren, für die sogenannte polizeiliche Beobachtung auch von Kontaktpersonen, der erleichterte Verfall vermuteter krimineller Gewinne, die Einziehung des gesamten Eigentums eines Täters als Vermögensstrafe, die Geldwäsche — merkwürdigerweise nicht für die Wirtschaftskriminalität —, das Gewinnaufspürungsgesetz, Online-Anschlüsse, harte Regelungen auch für die Ausweisung minderjähriger Ausländer, Polizeihaft unterschiedlicher Dauer, von 4 bis 14 Tagen — man nennt das Unterbindungsgewahrsam —, Telefonkontrollen ohne zwingende nachträgliche Benachrichtigung der Betroffenen, besonders erleichterte Telefonkontrollen durch den Zoll bei der Vermutung illegaler Waffenlieferungen.
Es soll noch eine ganze Reihe hinzukommen: Strafbekämpfungsgesetz 1994 — wir arbeiten daran —, mehr Verhaftungen, weitere Strafanhebungen, ein beschleunigtes Verfahren — was richtig ist und was ich sehr begrüße. Dabei habe ich noch nicht einmal die Polizeigesetze der Länder, die vielfältigen Verabredungen über Dateien und über Wanzen zur Gefahrenabwehr dargestellt.
Trotzdem haben wir eine steigende Kriminalität, und zwar insbesondere der Diebstähle und der Einbrüche — das ist das, was die Bürger in erster Linie belastet —, weil hinter dem Schleier einer immer hektischer werdenden Gesetzgebungslawine die eigentlichen polizeilichen Probleme vernachlässigt worden sind, die wir mit der Fortschreibung des gemeinsamen Sicherheitsprogramms des Bundes und der Länder immer wieder und leider bisher erfolglos eingefordert haben

(Beifall bei der F.D.P. und der SPD)

und die wir in unseren Thesen zur inneren Sicherheit schonungslos genannt haben: mehr Polizeibeamte — es muß mehr Streife gegangen werden —, bessere Sachausstattung auf den Wachen, Befreiung der Polizei von fachfremden Aufgaben und von der Überbürokratie bei Bagatelldelikten, bessere Ermittlungsmöglichkeiten in der ausländischen Wohnbevölkerung, indem aus diesem Bereich Beamte eingestellt werden, bessere internationale Zusammenarbeit wegen der Öffnung der Grenzen insbesondere zu unseren östlichen Nachbarn, endlich die Verwirklichung von Europol, internationale Zusammenarbeit im Bereich der Rauschgiftverbindungsbeamten.

(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Das ist genau unser Konzept!)

Die Besoldungs- und Laufbahnstrukturen sind völlig überholt, was dazu führt, daß mehr Polizeibeamte freiwillig den Dienst verlassen, als aus Altersgründen pensioniert werden, und daß nicht einmal die vorgesehenen Planstellen besetzt werden können. Es fehlt die Zusammenarbeit der Polizei mit den Behörden im kommunalen Bereich. Herr Graf hat das dargestellt. Die Beratung der Bevölkerung ist unzureichend. Wir betreiben im wesentlichen eine Kriminalitätsbekämpfung am Symptom und nicht an der Ursache.

(Beifall des Abg. Günter Graf [SPD])

Schließlich haben wir viel zu lange gerichtliche Verfahren. Wenn das nicht geändert wird, meine verehrten Kollegen, dann können Sie gesetzgeberisch beschließen, was Sie wollen: Sie können sich das alles in die Haare schmieren.

(Beifall bei der F.D.P. und der SPD)

Wenn man die Wanzendiskussion dieser Tage hört, dann kann man sich nur noch an den Kopf fassen. Wie lange soll es die Bevölkerung eigentlich noch hinnehmen, daß die eigentlichen Probleme der Kriminalitätsbekämpfung nicht erkannt und nicht behandelt werden? Wir begrüßen es deshalb, daß die SPD wie zuvor die CDU unsere Thesen wie einen Steinbruch ausgeschlachtet haben. Sie haben zahlreiche Forderungen endlich in Ihre Beschlüsse aufgenommen. Der



Dr. Burkhard Hirsch
Unterschied, meine sehr verehrten Kollegen, liegt im wesentlichen in dem Punkt, daß Sie beide in fast allen Ländern den Innenminister stellen und diese Probleme längst hätten lösen können, weil sie außerhalb der Gesetzgebung und zu einem erheblichen Teil im finanziellen Bereich liegen. Die Innenminister können nicht andauernd neue Gesetze fordern, solange sie sich von ihren Finanzministern daran hindern lassen, die Mindestvoraussetzungen für eine wirksame praktische Polizeiarbeit wieder herzustellen.
Innere Sicherheit kostet Geld. Das müssen Sie, das müssen wir den Bürgern sagen. Das gemeinsame Ziel der inneren Sicherheit darf uns nicht entzweien, sollte uns einigen. Darum appellieren wir an Sie, allmählich mit dem ständigen Herumfummeln an der Gesetzgebungsschraube aufzuhören und sich den praktischen Aufgaben der Polizei zu widmen.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219217900
Das Wort hat der Kollege Freimut Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1219218000
In kaum einer Haushaltsdebatte, Herr Präsident, meine Damen und Herren, ist so häufig von der Frage des Wertes in unserer Gesellschaft und der Überzeugung der Menschen gegenüber den tradierten Werten gesprochen worden wie heute. Es ist von fast jedem Redner angesprochen worden. Es ist zugleich der Tag — jedenfalls für mich —, an dem sich der Bund aus einem ganz wesentlichen Gebiet im Grundsatz verabschiedet. Das ist die genuine Bundesverantwortung für kulturpolitische Impulse.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Das ist doch nicht wahr, Herr Kollege!)

Das ist der Abschied.
Herr Waigel hat in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" programmatisch den Innenminister desavouiert, den Bundeskanzler desavouiert, mit keinem seiner Kollegen vorher gesprochen und sich auf eine angebliche verfassungsrechtliche Unmöglichkeit des Bundes bezogen, solche Aufgaben wahrzunehmen, die in den letzten 20 Jahren entwickelt worden sind.
Herr Deres hat heute noch einmal gesagt, diese Fondsgeschichte muß im Grunde genommen anders gemacht werden. Herr Deres, Ihr Programm mit den Fonds — so wie Sie es machen: dem Fonds jedes Jahr 25 % wegzunehmen und überhaupt nichts dazuzugeben und zu sagen, diese 25 % sind die Stockbildung —, bedeutet doch bei einem Fonds, daß er in 36 Jahren Kapital haben wird. Das heißt, eine permanente Reduzierung einer Verantwortung für genau jene Impulse — ich komme gleich auf den Osten zu sprechen —, die aus der Frage der inneren Sicherheit die Aufgabe des inneren Friedens in der politischen Kultur unseres Landes machen können. Das gehört dazu. Ich fand es manchmal nicht angemessen, daß im Innenministerium Kultur und innere Sicherheit in einem Haus sind, aber man kann auch mit guten Argumenten — wir haben das hier manchmal gemacht — dafür sprechen und sagen, das ist sinnvoll.
Nur die Art, wie jetzt der Abschied organisiert wird — in Wahrheit, wenn wir es uns genau ansehen — und nur in einem einzigen Bereich eben nicht, nämlich bei den Mitteln für die Vertriebenen, die zum Teil zur Zeit ungeheuerliche Sachen in ihren Publikationen gegen den inneren Frieden schreiben, dann — —

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219218100
Herr Kollege Duve, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Deres?

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1219218200
Aber selbstverständlich, Herr Deres. Nachdem Sie vorhin so interessiert an meiner Frage waren, bin ich natürlich jetzt auch sehr an Ihrer Frage interessiert.

Karl Deres (CDU):
Rede ID: ID1219218300
Herr Kollege Duve, können Sie sich daran erinnern, daß bei den vier Fonds, von denen Sie eben gesprochen haben, der Fondsbildung im ersten Jahr eine massive Erhöhung der Ansätze für diese Fonds vorausgegangen war? Das war nämlich der Grund, weiter über diese Fondsbildung, wie sie der Stiftung „Lesen" gemacht wurde, nachzudenken.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1219218400
Herr Deres, ich bin ein Freund Ihrer Idee. Ich halte das für eine richtige Idee, aber die kann man nicht damit organisieren, indem man den Leuten Jahr um Jahr aus ihrer Arbeit Geld wegnimmt und sagt, in 20 Jahren seid ihr selbständig.
Jetzt noch eine Bemerkung zu dem eigentlichen Abschied, den wir heute nicht feiern, sondern betrauern, nämlich dem Abschied aus der Verantwortung aus dem Einigungsvertrag. Das ist zu Ende. Wir haben hier eine Art von öffentlicher — ich habe mich persönlich sehr dafür eingesetzt seit September 1989 — gemeinsamer Koalition aller Parteien im Deutschen Bundestag für diese Aufgabe organisiert. Sie hat enorm positiv gewirkt. Niemand von uns war damals, im Januar 1990, sicher, was aus den Kultureinrichtungen jener alten, gar nicht neuen, Kulturzentren der Deutschen in Mitteleuropa werden könnte, welchen Bedrohungen sie ausgesetzt sein könnten. Wir haben uns zusammengesetzt — alle Fraktionen — und haben etwas zustande bekommen, zunächst einmal im Programm, und haben dann auch Druck auf das Innenministerium ausgeübt. Große Leistungen — ich will Herrn von Köckwitz und Herrn Hieronymus hier ausdrücklich erwähnen — sind von einer ganz kleinen Schar von Beamten in einer Art von Aufgabe erbracht worden, die es in dieser Form für die Deutschen noch nie gegeben hatte.
Nun kennen wir die Vorlage des Innenministeriums aus dem Sommer, wo man sagte: Wir müssen weitermachen, es geht sonst kaputt, es gehen dann sogar Teile dessen kaputt, was wir bisher finanziert haben. Und der Herr Finanzminister macht sich zum Bundeskultur- oder Bundesunkulturminister und gibt eine Erklärung ab, indem er sagt: Schluß! kw — Kultur weg. Und jetzt hat man diese Sache gefunden, aus diesem Topf das Geld zu nehmen, das man noch nicht einmal sicher hat und von dem man nicht weiß, ob man es bekommen wird.


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219218500
Herr Kollege Duve — —

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1219218600
Meine Redezeit ist zu Ende.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Macht nichts! Weiterreden lassen! Das ist so schwach!)

— Ja, ja, wenn Sie noch einmal „schnattern" zu mir sagen, was meinen Sie, wie ich mit Ihrer Redeform und Ihrer wunderbaren Rhetorik dann counterrhetorisch umgehe, mein lieber Marschewski.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219218700
Aber von jetzt an wieder vom Platz aus!

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1219218800
Ich komme zum Schluß.
Es ist ein trauriger Abschied. Es ist anscheinend ein endgültiger, wenn wir nicht nächstes Jahr die Regierung übernehmen, was wir dann ja wahrscheinlich tun werden. Aber ich finde, daß die Bundesregierung hier ein außerordentlich schlechtes Bild abgegeben hat. Die Folgen werden in den neuen Ländern dramatisch zu spüren sein.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219218900
Kollege Dr. Klaus-Dieter Uelhoff, Sie haben das Wort.

Dr. Klaus Dieter Uelhoff (CDU):
Rede ID: ID1219219000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von den vermeintlichen Höhen der Kultur darf ich Sie für einen Moment in die auch vermeintlichen Niederungen des erweiterten Katastrophenschutzes und des Einzelplans 36 zurückholen.
Herr Minister, wir sind froh über Ihre Zusage, die Sie den Berichterstattern im Haushaltsausschuß gegeben haben, daß das Zivilschutzkonzept nun bald vorgelegt wird. Wir erwarten es bis zum Jahresende, damit wir manches, was wir zum Einzelplan 36 beraten, beschlossen und dann zum Teil auch gesperrt haben, freigeben können. Denn der erweiterte Katastrophenschutz ist auch in einer Zeit der Reduzierung der konkreten Gefährdung, einer vermeintlichen Nichtgefahr, immer von Bedeutung, wenn eben eine solche Situation eintritt.
Es ist wirklich an der Zeit, daß nicht der Rotstift des Finanzministers — bei minus 13 % ist der Einzelplan 36 der am meisten gebeutelte und reduzierte in diesem Haushalt — das Zivilschutzkonzept vorgibt, sondern daß der Sachverstand des Innenministeriums die Richtschnur für ein Zivilschutzkonzept, das sich den veränderten Gefährdungssituationen anpaßt, gibt.
Ich bin dennoch sehr froh, daß wir sagen können: Wir haben in zwei wichtigen Punkten deutlich gemacht, wo wir auch in der Zukunft wesentliche Aufgaben des erweiterten Katastrophenschutzes sehen, nämlich einmal für den Bereich der ehrenamtlich Tätigen. Wir glauben in der Tat, daß diese — ob das das Technische Hilfswerk, der BVS, die Warnämter oder, nicht zu vergessen, die Sanitätsorganisationen sind — auch künftig wesentliche Aufgaben im erweiterten Katastrophenschutz leisten können. Deshalb haben wir in diesen Punkten nicht nur das
gehalten, was in der Regierungsvorlage steht, sondern einiges sogar aufstocken können.
Ein weiterer Punkt, der von uns deutlich gemacht worden ist, ist, daß wichtige Strukturen des erweiterten Katastrophenschutzes auch für Ostdeutschland konsequent aufgebaut werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Auf diesem Hintergrund begrüße ich es natürlich, daß es sogar gelungen ist, im Personalbereich das Minimum des Notwendigen — etwa für das Technische Hilfswerk — für Ostdeutschland möglich zu machen, auch mit der Mithilfe des Ministeriums und des nachgeordneten Bereichs des Bundesamtes für Zivilschutz, indem wir dort viele überflüssig gewordene Stellen zusammengefaßt oder auch gestrichen haben, aber — ich glaube — 34 neue Stellen zum weiteren Aufbau des THW in Ostdeutschland bereitgestellt haben. Die gesperrten Stellen für das THW werden wir natürlich sofort entsperren, wenn das Katastrophenschutzkonzept vorliegt. Deswegen auch in diesem Zusammenhang meine herzliche Bitte, dieser Ihrer Zusage mit der erwarteten und zugesagten Pünktlichkeit nachzukommen.
Ich will noch abschließend zwei oder drei weitere Gedanken äußern.
Jede vernünftige Konzeption des Zivilschutzes muß die Elemente Warnen, Schützen und Retten als Kern der Aufgaben ansehen. Leider gibt es auch heute noch so gut wie keine zuverlässigen Grunddaten, mit deren Hilfe sich der notwendige Umfang von Zivilschutzmaßnahmen exakt berechnen läßt.
Beim System des Warndienstes wird eine Organisation vorgehalten, die besonders starken Veränderungen unterworfen ist. Die Aufgaben der Warnämter müssen vor dem Hintergrund der nachgelassenen militärischen Bedrohung neu definiert und, wie ich meine, auf eine verringerte Zahl von Mitarbeitern zugeschnitten werden. Da sich auch in Zukunft Gefahrenlagen in ihren Auswirkungen nicht auf enge Räume beschränken lassen, ist ein System der Datensammlung und -auswertung über Landesgrenzen hinaus auch künftig unverzichtbar. Die Erfassung radioaktiver Strahlung für den Bundesumweltminister durch die Warnämter stellt, wie ich meine, eine sinnvolle friedensmäßige Nutzung der für den Verteidigungsfall ausgelegten Organisation dar. Aber sowohl die technische als auch die personelle Ausstattung ist hier zu überprüfen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219219100
Darf ich Sie einen Moment unterbrechen?

Dr. Klaus Dieter Uelhoff (CDU):
Rede ID: ID1219219200
Bitte schön.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219219300
Daß in einem Plenum leise Gespräche geführt werden, das ist alles normal. Ich finde es aber auch zu später Stunde nicht gut, wenn die Kollegen Gespräche so führen, daß sie viele Minuten lang dem Redner den Rücken zukehren. — Fahren Sie bitte fort.

(Zurufe von der SPD: Aber wer macht denn so etwas? — Sie haben in die falsche Richtung gezeigt, Herr Vizepräsident!)





Dr. Klaus Dieter Uelhoff (CDU):
Rede ID: ID1219219400
Danke schön, Herr Präsident.
Ich bitte den Bundesminister des Inneren zu prüfen — ich komme jetzt zu einem anderen Problem —, in welchen Bereichen der Katastrophenschutz-Zentralwerkstätten Einsparungen vorgenommen werden können und welche Bereiche möglicherweise unverzichtbar sind. Eine derartige Umstrukturierung muß natürlich sozialverträglich sein. Kündigungen sollten vermieden werden. Aus diesem Grunde begrüße ich allerdings die Stellenbesetzungssperre, die das Ministerium aus eigener Initiative in diesem Zusammenhang verfügt hat. In jedem Fall müssen die Mittel für die Wartung und Instandsetzung der Fahrzeuge und ihrer Ausstattung an anderer Stelle bereitgestellt werden, damit auch künftig eine ordnungsgemäße Wartung möglich ist. Ich erwarte allerdings vom Ministerium, daß es in dem geforderten Bericht darlegt, wie die angestrebte Umstrukturierung durchgeführt werden soll.
Die Katastrophenschutzschulen, die ja Gegenstand eines z. T. erregten Briefverkehrs mit einigen Länderministerien gewesen sind, halte ich in der bisherigen Form für nicht mehr notwendig. Auch hier sind strukturelle Überlegungen geboten, und der Bund sollte prüfen, ob er die Ausbildung gegebenenfalls in eigener Regie übernehmen will. Er sollte prüfen, inwieweit der Kreis der Auszubildenden auch an der hervorragend funktionierenden und in ihrem Bestand sicherlich unstrittigen Katastrophenschutzschule des Bundes in Ahrweiler übernommen werden kann. Er sollte ferner ebenfalls prüfen, ob nicht z. B. die Landesfeuerwehrschulen in der Lage sind, die erforderlichen Ausbildungskapazitäten zur Verfügung zu stellen. Auch hier erwarten wir im Haushaltsausschuß, daß uns in dem angekündigten Bericht eindeutige Aussagen, die mit den Ländern abgestimmt sind, vorgelegt werden.
Schließlich und endlich bei der Luftrettung halte ich es für ausgeschlossen, daß sich der Bund von heute auf morgen aus dieser Aufgabe zurückzieht. Der Bund kann allerdings —ich ermuntere ihn geradezu dazu — mit den Ländern oder auch mit privaten Betreibern Vereinbarungen schließen, damit die notwendige Aufgabe der Luftrettung von anderen, aber in derselben qualifizierten Weise übernommen wird. Bis dahin sind jedoch in der mittelfristigen Finanzplanung ausreichende Mittel vorzusehen, um das bewährte System der Luftrettung zu sichern.
Ich gehe davon aus, meine Damen und Herren, daß die notwendige Umstellung des Zivilschutzes in den nächsten Jahren große Anstrengungen von allen Beteiligten erfordert. Sowohl die Planung als auch die Durchführung werden dabei Zeit in Anspruch nehmen. Dabei darf aber das Ziel, nämlich der Schutz der Bevölkerung in Krisen- und Katastrophensituationen, trotz aller finanziellen Erwägungen nicht aus den Augen verloren werden.
Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit zu dieser späten Stunde.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219219500
Herr Kollege Klaus Lohmann, Sie haben das Wort.

Klaus Lohmann (SPD):
Rede ID: ID1219219600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ähnlich dramatisch wie im Kulturbereich stellt sich die Situation im Sportbereich dar. Vor genau einem Jahr hat der Deutsche Sportbund in Berlin den „Goldenen Plan Ost" des Sportstättenbaus der Öffentlichkeit vorgestellt und die Bundesregierung und den Bund aufgefordert, sich an diesem großen Aufbauwerk des Sports zur Beseitigung der Kriegsfolgeschäden und zur Angleichung der Lebensverhältnisse im vereinigten Deutschland, ähnlich wie im Bereich der Kultur, zu beteiligen.
Was ist in diesem Jahr geschehen? Der Bund weigert sich nach wie vor, an dieser zukunftsorientierten und damit arbeitsplatzschaffenden Aufgabe mitzuwirken. Die SPD-Bundestagsfraktion hat daher in der vergangenen Woche eine Große Anfrage zum „Goldenen Plan Ost" eingebracht. Wir machen noch einmal auf die eigentlichen Ideen und Ziele dieses Sportstättenprojekts aufmerksam: Sportstätten als Standortfaktor, Sportstättenbau als arbeitsmarktpolitische Maßnahme, Sportstätten als Voraussetzung für den Aufbau von Vereinen und als wichtiger Beitrag für den sozialen Frieden in den fünf neuen Bundesländern.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sechs!)

Die Bestandszahlen des Deutschen Sportbundes für die desolate Lage in den neuen Ländern werden von keiner Seite angezweifelt. Die Notwendigkeit der Maßnahme ist unzweifelhaft. Auch der Bundespräsident hat sich in den letzten Tagen erneut für den „Goldenen Plan Ost" ausgesprochen, nur die Bundesregierung bleibt bei ihrer sturen Absage.
Es war ein Fortschritt, den Sport in die Verwaltungsvereinbarung des FKP aufzunehmen. Für das Jahr 1994 stellt der Bund nach dem gegenwärtigen Haushaltsansatz aber keinerlei zusätzliche Investitionsfördermittel für den Sport in den neuen Ländern zur Verfügung.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Wo sollen wir das hernehmen?)

— Herr Purps hat Ihnen vorgerechnet, wo wir es hernehmen können, selbstverständlich, ganz klar.
Gegenteilige Aussagen des Bundesinnenministers haben sich als Vorspiegelung falscher Tatsachen erwiesen.
Die SPD hat seit der Vereinigung Deutschlands in allen Haushalten Mittel für den Sportstättenbau, insbesondere für die überfällige Sanierung und Sicherung von Sportstätten in den neuen Ländern, gefordert. So geschieht das auch für den Haushalt 1994, wenn auch nicht in der Größenordnung, wie es vom deutschen Sportbund für notwendig erachtet wird.
Wir sehen aber den Bund in der Pflicht, auf dem Feld des Sportstättenbaus aktiv zu werden, und stellen daher für diesen Haushalt den Antrag, 100 Millionen DM für den Sportstättenbau in den neuen Ländern einzurücken, und bleiben damit in einer Größenordnung, die die sozialdemokratisch geführte Regierung ab Ende 1994 umsetzen wird.



Klaus Lohmann (Witten)

Diese Bundesregierung trudelt auch im Sportbereich einfallslos vor sich hin, gelähmt und einfach unsportlich.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Die Bundesregierung ist weder in der Lage, Konzepte zu entwerfen, neue Strukturierungen vorzuschlagen oder vorhandene Einrichtungen einer vernünftigen Bewertung mit dem Ziel von Einsparmaßnahmen zu unterziehen. Verfangen in dem Trott des „Weiter so" greift niemand die Möglichkeiten der EG-Strukturfonds auf, was um so mehr verwundert, als die Indikatoren in den fünf neuen Ländern zum Teil katastrophaler aussehen als z. B. die bestimmter Regionen südeuropäischer EG-Staaten.
Hier ist niemand innovativ und schöpft z. B. die EG-Möglichkeiten im Bereich der Fremdenverkehrsförderung für den Sport aus. Mehr noch: Durch die Untätigkeit und den Lähmungszustand dieser Regierung wird vermutlich sogar die einstimmig von allen 16 Bundesländern eingebrachte Initiative zur Bestandsicherung von innerstädtischen Sportplätzen der Diskontinuität anheimfallen.
Seit zwei Jahren bewegt sich wenig auf diesem wichtigen Feld des Sports, werden sich Innen- und Umweltminister nicht einig. Ich erwähne das, um zu zeigen, daß selbst dort, wo es nichts kostet, die Regierung nicht handelt.
Im Vorfeld des Haushalts 1993 gab es ein unwürdiges Spiel von angekündigten Kürzungen, Rücknahmen der Kürzungen, Versprechungen und erneuten Sperren. Dieses Spiel scheint sich 1994 zu wiederholen.
Der Finanzminister hat allen Ressorts eine 10 %ige Minderausgabe auferlegt. Wenn diese 10 %ige Kürzung im Sport voll durchgezogen wird, wären das insgesamt 16 Millionen DM. Minister Kanther hat den Sportführern Hansen und Tröger dagegen nur ein Einsparvolumen von 12 Millionen DM genannt. Wie er auf diese Zahl kommt, weiß nicht einmal seine Fachabteilung im Innenministerium.
Wieder klafft eine Lücke zwischen den Vorgaben des Finanzministers und den Aussagen des Innenministers.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219219700
Herr Kollege Lohmann, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Klaus Lohmann (SPD):
Rede ID: ID1219219800
Im Ruhrrevier ist man fußballverrückt, Fußballkenner und notgedrungen manchmal auch Abstiegsexperte. Der Zustand dieser Regierung ist so desolat, daß ein Trainerwechsel nicht mehr ausreicht. Die ganze Mannschaft muß ausgewechselt werden.

(Beifall bei der SPD — Ina Albowitz [F.D.P.]: Das war Abseits, Herr Kollege! Vom Fußball verstehe ich auch etwas!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219219900
Ich erteile das Wort dem Bundesminister des Innern, Manfred Kanther.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1219220000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist spät. Ich lasse das Manuskript und auch allzu grundsätzliche Erörterungen beiseite. Ich beschäftige mich auch
nicht allzusehr mit den wiederkehrenden Behauptungen zukünftiger Regierungsbildungen, Herr Kollege Purps. Das ist die weiße Salbe, die man sich als Oppositioneller aufträgt, damit es nicht allzusehr sengt. Davon habe ich 20 Jahre auf dem Buckel. Insofern können Sie noch ein Stück zulegen. Das alles trägt zur Sache wenig bei.
Einzelne Punkte dessen, was Sie angesprochen haben, und die eine Antwort verdienen, will ich gern noch aufnehmen. Für die Regierung ist im Bereich der Innenpolitik der Sektor „Innere Sicherheit" in dieser Zeit der herausragend wichtige. Wir werden wesentliche Initiativen vorlegen. Das in der Koalition beratene Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 wird dazu die wichtigste sein und in vielen Jahren das bedeutendste Gesetzgebungswerk auf diesem Sektor, mit schnelleren Strafverfahren, verbessertem Haftrecht, mit Vorschriften zur Bekämpfung von Rechtsradikalen, von Schleppern, mit einer im Bereich der organisierten Kriminalität wichtigen Kronzeugenregelung und mit an mehreren Punkten modernem Einsatz technischer Mittel im Bereich der Verbrechensbekämpfung.
Es ist kein Zweifel, daß in der Koalition die Frage des Abhörens von Gangsterwohnungen als Mittel der Polizei streitig ist. Wir werden uns darüber weiter unterhalten.

(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Unterhalten?)

Ich teile nicht die Meinung, daß dem mit dem Begriff „Wanze", lieber Herr Hirsch, hinreichend Rechnung getragen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es geht nicht um „Wanze gegen Bürger". Es geht um elektronische Überwachung von Gangstern. Das ist ein Unterschied.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD] — Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Sie sprechen von Menschen!)

— Ja, natürlich sind Gangster auch Menschen, und deshalb werden die Gespräche von Menschen überwacht. Kein Zweifel. Aber es sind eben schlechte Menschen, gegen die sich die Rechtsordnung wehren muß,

(Beifall bei der CDU/CSU)

und das tut sie mit den angemessenen Mitteln, und ich überhöhe dies nicht, sondern ich sage: Ich kann meinen Mitbürgern schlecht erklären, warum eine mögliche Maßnahme mit einem nützlichen Effekt unterbleiben soll, wenn dies nicht anders als doktrinär erklärt wird. Das kann ich schlecht erklären.
Aber ich kann umgekehrt sagen: Wenn ich z. B. nur dieses hätte, nur die Möglichkeit zum polizeilichen Abhören von Gangsterwohnungen, dann wäre damit ja wohl nicht die innere Sicherheit gewährleistet; also bitte eine — relativ gesehen — wichtige Maßnahme,

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Aber nicht die wichtigste!)




Bundesminister Manfred Kanther
aber doch bitte nicht der Königsweg in der Verbrechensbekämpfung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Ina Albowitz [F.D.P.])

Deshalb ein bißchen „down" mit den großen Sprüchen.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Sehr gut!)

Zur Sicherheit gehört Grenzsicherheit. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Das ist ein wesentlicher Aspekt der Durchführung des Asylkompromisses, der ja zwei Seiten hat: die erfreuliche, die Herr Marschewski soeben nannte, mit etwa der Halbierung der Zahl der Zuzüge von unberechtigten Asylbewerbern. Wir haben aber eben auch immer noch die Tatsache zu verzeichnen, daß etwa 16 000 pro Monat ins Land kommen, von denen ganz, ganz wenige berechtigt unsere Grenzen übertreten. Deshalb ist Grenzsicherheit, zumal sich manches in der Problematik auch in die Kriminalität hinein verlängert, eine ganz wichtige Sache.
Deshalb ist jede Polemik, die sich dagegen wendet, Grenzsicherheit in Zeiten, in denen die Stellen beim BGS noch nicht besetzt sind — durch Amtshilfe von Bundeswehrsoldaten in Uniform des BGS, in der Verantwortung des BGS; ohne Zugriffskompetenz, die nur BGS-Leute haben —, zu verbessern, fehl am Platze.
Ich habe auch keinen einzigen Grund von Ihnen gehört, warum das in der Sache schlecht sein soll. Ich weiß nicht, welche Reminiszenzen Sie damit verbinden, wenn die demokratischen Söhne der demokratischen Armee, zeitlich begrenzt, weil eine wichtige Aufgabe sich stellt, diese wahrnehmen. Wo sind da die Bedenken?

(Freimut Duve [SPD]: Ein bißchen Geschichtskenntnis wäre vielleicht ganz gut!)

Polemik hilft nicht weiter, wenn Grenzsicherheit gewährleistet sein muß. Die notwendige Zahl von Polizisten ist jetzt noch nicht da.
Zur Sicherheit gehört das Zusammenwirken von Bund und Ländern — hier richtig angesprochen —; mit nahezu allen Punkten, die Sie, Herr Hirsch, genannt haben, bin ich völlig einverstanden. Wir werden ab morgen auf der Innenministerkonferenz das Sicherheitsprogramm von 1974 in fortgeschriebener Fassung weiter beraten. Auch die Länder geben sich große Mühe in allen Fragen der inneren Sicherheit. Die Ausbildungsstellen bei der Polizei können jetzt wieder besetzt werden. Das ist ein erfreulicher Zustand gegenüber manchen früheren Jahren. Aber natürlich müssen die jungen Polizeibeamten erst durch die Laufbahn wachsen, ehe sie wirklich voll einsatzfähig sein werden.
Wir haben in diesem Haushalt sehr viel für das getan, was dem Bund obliegt, sowohl beim BKA wie beim Bundesgrenzschutz. Wir haben gerade das, Herr Purps, was Sie gerügt haben — im Bundesgrenzschutz nicht genügend Anreiz zu geben —, sehr ausdrücklich getan: Wir haben 500 Stellen vorn mittleren in den gehobenen Dienst gebracht. Es gibt 480 Beförderungen von A 7 nach A 8. Das sind alles Schritte auf dem Weg zur Strukturverbesserung beim BGS.
Etwas anderes ist es, wie Sie es pauschal tun, die Dienstverhältnisse beim BGS ohne weiteres mit denen bei der Länderpolizei kurzzuschalten und zu sagen: Da muß die gleiche Quote im gehobenen Dienst her. Das entspricht nicht den unterschiedlichen Aufgabenstellungen im unterschiedlichen Polizeieinsatz.

(Günter Graf [SPD]: Das ist ein Bundesgesetz!)

— Natürlich. Annäherung sollte es hingegen sehr wohl geben, weil wir vermeiden müssen, daß gute BGS-Beamte, mühsam ausgebildet, zur Länderpolizei mit besseren Karriereaussichten abwandern; da sind wir dran.
Sie haben von Vergoldungsrichtlinien für Beamte gesprochen. Hier wurde schon gesagt, wie fehlerhaft es ist, hinter Beamten zur Hatz zu blasen. Das spüre ich aus solchen Bemerkungen. Das empfinde ich, lieber Herr Purps, als unangemessen. Vor allem ist es unangemessen, daraus dem amtierenden Minister einen Vorwurf machen zu wollen. Denn ich habe das, was für mich schräg in der Landschaft lag, als Arbeitsentwurf kassiert. Ich habe doch gar keine Schwierigkeiten zuzugeben, daß, wenn so etwas geschieht, klar gehandelt werden muß. In riesigen Verwaltungen kommt gelegentlich auch etwas ans Licht des Tages, was besser nicht dorthin gekommen wäre. Dann ist es die Aufgabe des Chefs der Verwaltung, es aus dem Verkehr zu ziehen und klarzumachen, daß anders gedacht werden soll. Genau das, was Sie fordern, ist geschehen.
Sie sagen, an Gehältern wird der Staat zugrunde gehen. Ich kann mit dieser Bemerkung allgemein zunächst nichts anfangen. Ich frage daher zurück: Wo sind denn die Bedenken der Sozialdemokraten gewesen, als sie den öffentlichen Dienst aus Gründen der Arbeitsmarktpolitik wie Sauerbier als Arbeitskräftereservoir angeboten haben? Wo sind sie gewesen, als es um die Frage der Arbeitszeitverkürzung ging, die im öffentlichen Dienst in vielen Bereichen, vor allem in den Ländern, massenhaft Personal geschluckt hat? Da waren Sie doch an der Spitze der Fordernden. Machen Sie es sich bitte nicht so einfach.
Mit Versetzungsorgien beim Bundeskriminalamt — wenn ich Sie recht verstanden habe — können Sie bei mir nicht landen, auch wenn es im Falle Bad Kleinen durchaus Mängel in der Arbeit gegeben hat. Versetzungsorgien sind etwas Unsachliches, kommen aus dem Bauch. Die Dienstvorgesetzten von großen Verwaltungen haben nicht aus dem Bauch, sondern aus dem Kopf zu reagieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir haben nicht vor, die Bereitschaftspolizei aufzukündigen, ich nicht, ich halte sie für ein notwendiges Instrument von Bund und Ländern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Aber in Zeiten, in denen gespart werden muß, muß es auch einmal möglich sein, an der Ausrüstung der Bereitschaftspolizei zu sparen. Solange dies mit Maß und Ziel geschieht, ist dies mitzutragen.
Ich sagte schon, daß wir in der glücklichen Situation sind, beim Bundesgrenzschutz etwa 1995 wahrscheinlich alle Stellen besetzt zu haben, weil sich die



Bundesminister Manfred Kanther
nachwachsende Generation jetzt wieder für den Polizeidienst zur Verfügung stellt.
Ich komme zu einem Aspekt, über den wir uns im Ausschuß doch sehr sachlich unterhalten haben, Herr Purps. Es geht um die Frage, ob die Auftragsvergabe in Rußland durch VDA in jeder Weise in Ordnung oder kritikbedürftig ist. Aber Sie werden mir doch zugeben, daß ich nicht auf Grund von Indiskretionen aus Berichten, zu denen die Regierung noch nicht Stellung genommen hat, bereits Schlüsse ziehe. Aber ich habe ein übriges getan. Ich habe dafür gesorgt, daß die Verwendungsnachweise im Bundesverwaltungsamt und nicht im Ministerium geprüft werden. Sie werden selbstverständlich einen ordentlichen Bericht im Haushaltsausschuß bekommen. Mich jedenfalls verkennen Sie völlig, wenn Sie glauben, daß ich nicht als erster daran interessiert wäre, zu erfahren, wenn in der Verwaltung etwas nicht funktioniert. Ich bin nicht dazu da, falls sich irgendwo in einer Verwaltung schlechte Verhältnisse zeigen, es zuzudecken, sondern ich bin dazu da, es aufzugreifen und zu ändern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Rudolf Purps [SPD])

Aber ich bin nicht dazu da, mit Verdächten auf der Basis von Indiskretionen umzugehen. Das werde ich nicht tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Freimut Duve [SPD]: Es geht manchmal nur mit Indiskretionen! Die Diskretion führt meistens zum Verdecken!)

— Bei mir geht es schlecht mit Indiskretionen. Ich lerne in diesen ersten Bonner Tagen, daß das ein ganz erbärmliches Mittel der Politik ist. Das ist meine Meinung zu Indiskretionen aus den Verwaltungen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich komme zu einem Bereich, in dem Sie mit Recht Handlungsbedarf geltend machen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219220100
Herr Bundesminister, ich bin wieder in dieser komplizierten Situation. Sie haben als Regierungsmitglied natürlich jederzeit Rederecht. Aber es gibt eine Verabredung unter den Fraktionen. Nach der wäre Ihre Redezeit jetzt abgelaufen. Wenn Sie darüber hinausgehen, kann die Opposition dann eine Verlängerung der Debatte beantragen.

(Freimut Duve [SPD]: Une minute!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1219220200
Deshalb werde ich mich begrenzen. Ich kann dem Kollegen Purps und den Sprechern der Opposition und der Regierungskoalition nur recht geben: Im Bereich Zivilschutz, Katastrophenschutz besteht Handlungsbedarf. Darum sind wir sehr bemüht.
In der Kulturpolitik für die östlichen Bundesländer werden wir 250 Millionen DM zur Verfügung stellen.
Den Einrichtungen, den Orchestern und den Heimatmuseen, die dieses Geld bekommen, ist es ganz egal, ob es aus diesem Haushalt oder aus dem SED- Parteivermögen kommt. Sie werden es für 1994 haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich schließe mit dem Dank an Haushaltsausschuß und Innenausschuß, auch was Verständnis dafür angeht, daß es ein paar Fragen gibt, die von einem neuen Minister nicht gleich beantwortet werden können. Ich schließe mit besonderem Dank an die Berichterstatter und Herrn Kollegen Deres, dessen wohltuende Sachlichkeit und völlige Beschlagenheit in allen Fragen dieses Haushalts ich dankbar kennengelernt habe.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1219220300
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über Einzelplan 06, Bundesministerium des Innern. Dazu liegen zwei Änderungsanträge der Abgeordneten Ingrid Köppe vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für Drucksache 12/6215? — Gegenprobe? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für Drucksache 12/6216? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist ebenfalls abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 06 in der Ausschußfassung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Einzelplan 06 ist angenommen.
Wir stimmen über Einzelplan 33, Versorgung, in der Ausschußfassung ab. Wer stimmt dafür? —Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Einzelplan 33 ist angenommen.
Wir kommen zum Einzelplan 36, Zivile Verteidigung. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Ingrid Köppe auf Drucksache 12/6214 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich seiner Stimme? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 36 in der Ausschußfassung? — Die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einzelplan 36 ist angenommen.
Weitere Wortmeldungen für die heutige Sitzung liegen nicht vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 25. November 1993, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.