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    Plenarprotokoll 12/192 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 192. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 Inhalt: Bestimmung des Abgeordneten Rolf Schwanitz als ordentliches Mitglied im Vermittlungsausschuß 16531 A Tagesordnungspunkt I: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1994 (Haushaltsgesetz 1994) (Drucksachen 12/5500, 12/5870) Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt (Drucksachen 12/6004, 12/6030) in Verbindung mit Einzelplan 05 Auswärtiges Amt (Drucksachen 12/ 6005, 12/6030) in Verbindung mit Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung (Drucksachen 12/6014, 12/6030) in Verbindung mit Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte (Drucksachen 12/6027, 12/ 6030) Hans-Ulrich Klose SPD . . . . 16531D, 16592A Michael Glos CDU/CSU 16537A Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. 16544 C Hans-Ulrich Klose SPD 16544 D Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . . 16551A Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16554 B Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 16557 A Rudolf Scharping, Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz 16566 C Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . 16576B Michael Glos CDU/CSU 16577 B Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. 16578 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 16578D Dr. Jürgen Schmude SPD 16580 C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 16587 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU (zur GO) 16595 B Dietrich Austermann CDU/CSU 16595 C Ortwin Lowack fraktionslos 16598 D Andrea Lederer PDS/Linke Liste . . . 16600 C Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16603B Ernst Waltemathe SPD 16605 D Udo Haschke (Jena) CDU/CSU 16608 A Ingrid Matthäus-Maier SPD 16608 C Dr. Rudolf Krause (Bonese) fraktionslos 16609A Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 16610 D Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16612B Friedrich Bohl, Bundesminister BK . . 16613 D Dr. Hans Stercken CDU/CSU 16614B Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16615A II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD . . . . 16616D, 16630 B Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 16618A Hans-Gerd Strube CDU/CSU 16622 A Dr. Hans Modrow PDS/Linke Liste . . 16623D Carl-Ludwig Thiele F.D.P. . . 16626A, 16630 C Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD . . . 16627 B Ingrid Matthäus-Maier SPD 16628 A Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 16630D Walter Kolbow SPD 16633 C Paul Breuer CDU/CSU 16636 B Dr. Karl-Heinz Klejdzinski SPD . . . 16637 B Präsidentin Dr. Rita Süssmuth 16554 A Namentliche Abstimmung 16638 C Ergebnis 16644 D Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Drucksachen 12/6021, 12/6030) Helmut Esters SPD 16639 B Christian Neuling CDU/CSU 16641D Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . . 16646 D Werner Zywietz F D P 16647 D Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16649 C Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 16650 C Einzelplan 06 Bundesministerium des Innern (Drucksachen 12/6006, 12/6030) in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung (Drucksache 12/6026) in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung (Drucksachen 12/ 6028, 12/6030) Rudolf Purps SPD 16652 D Karl Deres CDU/CSU 16656 C Ina Albowitz F.D.P. 16659 A Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 16661 B Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16662 D Günter Graf SPD 16664 B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 16665 D Erwin Marschewski CDU/CSU 16666 D Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 16668D Freimut Duve SPD 16670A Karl Deres CDU/CSU 16670 C Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . 16671A Klaus Lohmann (Witten) SPD 16672 C Manfred Kanther, Bundesminister BMI 16673 B Nächste Sitzung 16675 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 16677' A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 12: Einzelplan 05 — Auswärtiges Amt Dr. Klaus Rose CDU/CSU 16633' C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 13: Einzelplan 14 — Bundesministerium der Verteidigung Hans-Werner Müller (Wadern) CDU/CSU 16679' A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 16531 192. Sitzung Bonn, den 24. November 1993 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Augustin, Anneliese CDU/CSU 24. 11. 93 Blunck (Uetersen), SPD 24. 11. 93 * Lieselott Böhm (Melsungen), CDU/CSU 24. 11. 93 * Wilfried Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 24. 11. 93 Clemens, Joachim CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 24. 11. 93 Herta Ehrbar, Udo CDU/CSU 24. 11. 93 Ganschow, Jörg F.D.P. 24. 11. 93 Gleicke, Iris SPD 24. 11. 93 Dr. Göhner, Reinhard CDU/CSU 24. 11. 93 Großmann, Achim SPD 24. 11. 93 Dr. Herr, Norbert CDU/CSU 24. 11. 93 Heyenn, Günther SPD 24. 11. 93 Hiller (Lübeck), Reinhold SPD 24. 11. 93 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 24. 11. 93 Jung (Düsseldorf), Volker SPD 24. 11. 93 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 24. 11. 93 Kiechle, Ignaz CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. Kolb, Heinrich L. F.D.P. 24. 11. 93 Kraus, Rudolf CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. Krause (Börgerende), CDU/CSU 24. 11. 93 Günther Kretkowski, Volkmar SPD 24. 11. 93 Kronberg, Heinz-Jürgen CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. Matterne, Dietmar SPD 24. 11. 93 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 24. 11. 93 ** Dr. Ortleb, Rainer F.D.P. 24. 11. 93 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 24. 11. 93 * Rappe (Hildesheim), SPD 24. 11. 93 Hermann Dr. Röhl, Klaus F.D.P. 24. 11. 93 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 24. 11. 93 Ingrid Dr. Ruck, Christian CDU/CSU 24. 11. 93 Schartz (Trier), Günther CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. Scheer, Hermann SPD 24. 11. 93 * Schmidt (Salzgitter), SPD 24. 11. 93 Wilhelm Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 24. 11. 93 Schröter, Karl-Heinz SPD 24. 11. 93 Schwanhold, Ernst SPD 24. 11. 93 Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 24. 11. 93 Christian Dr. Soell, Hartmut SPD 24. 11. 93** Spilker, Karl-Heinz CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. von Teichman, F.D.P. 24. 11. 93 Cornelia Vosen, Josef SPD 24. 11. 93 Wohlleben, Verena SPD 24. 11. 93 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Wollenberger, Vera BÜNDNIS 24. 11. 93 90/DIE GRÜNEN Zierer, Benno CDU/CSU 24. 11. 93* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 12: Einzelplan 05 Auswärtiges Amt Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Mit besonders gemischten Gefühlen stehe ich jetzt am Rednerpult. Denn während wir hier im Warmen und in Sicherheit hehre Außenpolitik formulieren, frieren und sterben weitere Hunderte und Tausende von Menschen in Bosnien. Die Welt schaut zu, Europa schaut zu, Deutschland schaut zu. Eine erfolgversprechende außenpolitische Initiative gibt es nicht. Klaus Bressers Anklage vorgestern abend im deutschen Fernsehen ist zweifellos berechtigt. Seine Schlußfolgerungen einer einzigen Lösung, nämlich eines militärischen Einsatzes, versteht jeder, man schreckt aber davor zurück. In einem neuen Buch von Hans-Peter Schwartz wird der fehlende Mut, der fehlende Wille der Deutschen zur Machtpolitik moniert. Deutschland sei zwar schon lange ein wirtschaftlicher Riese mit automatischer Macht. Aber mit der Rolle des politischen Zwergs müsse es ein Ende haben. Weltmacht wider Willen könne man auf Dauer nicht sein, der politische Gestaltungswille müsse dazukommen. Ich höre jetzt natürlich den Aufschrei, daß die Deutschen wieder von einer großen Rolle in der Weltpolitik träumten. Nein, darum geht es nicht, zumindest nicht um eine Alleinträumerei der Deutschen. In der Weltgemeinschaft, in der Europäischen Gemeinschaft und in manchen internationalen Gremien muß Deutschland seiner Bedeutung gerecht werden. Diese Bedeutung ist nach der Wiedervereinigung naturgemäß anders als früher. Diese Neubewertung deutscher Außenpolitik, diese Umorientierung muß jetzt endlich in der Praxis geschafft werden. Deutschland muß sich sowieso darüber klar werden, daß die Welt sich weiterdreht und daß wir sehr schnell vom Rad geschleudert werden können. Bei der Einbringungsrede des Haushalts im September 1993 habe ich die Bedeutung einer deutschen Asienpolitik herausgestrichen. Ich freue mich deshalb über den Erfolg der Kanzlerreise nach China. Über eines darf der Blick nach Asien nicht hinwegtäuschen: Europa ist in großer Gefahr. Die Gefahr wird beim Blick auf die asiatische Weltkarte deutlich. Dort ist nämlich der Pazifikraum im Mittelpunkt und 16678* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 Europa Randlage, wie wir es von Alaska oder von der Kamtschatka gewöhnt sind. Genau hier setzt das Problem ein. Haben nicht vor wenigen Tagen der amerikanische Präsident und verschiedene asiatische Regierungschefs die Zukunftsrichtung der amerikanisch-pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) gewiesen? Hat nicht mit der NAFTA der nordamerikanische Wirtschaftsverbund den Wettbewerb mit der EG beschworen? Hat nicht der amerikanische Außenminister Warren Christopher gestern im ZDF-Morgenmagazin bei der Formulierung der amerikanischen Prioritäten die Stärkung der NATO erst an dritter Stelle genannt? Wir müssen erkennen, daß Europa aufpassen muß, damit es nicht wirtschaftlich, militärisch und finanziell zu einem unbedeutenden Markt wird. Mit der neuen Versuchung von Kleinstaaterei ist uns allen nicht gedient. Unverzichtbar ist für die EG und besonders für die Deutschen die Gewinnung der osteuropäischen Völker für Demokratie und Marktwirtschaft. Deshalb hatte der Haushaltsausschuß die Idee der Bundesregierung sehr begrüßt, mit der deutschen Beratungshilfe zum Aufschwung beizutragen. Über verschiedene Einzelpläne verteilt werden nächstes Jahr rund 300 Millionen DM eingesetzt. Es gibt am Ziel keinen Zweifel, denn der Aufbau von Forstverwaltungen, von Sparkassen oder von Konversionsprojekten bei früheren Rüstungsbetrieben kann nur unterstützt werden. Es wäre aber falsch, wenn wir am gleichen Weg wie bisher festhalten würden, nämlich alle Mittel an die Zentralregierungen zu geben. Es ist eine Tatsache, daß z. B. die russische Wirtschaft nur dann umgestaltet werden kann, wenn man das Potential der Regionen zur Wirkung bringt. Ich rede nicht einer politischen Dezentralisierung oder Destabilisierung das Wort. Denn ein weiterer Zerfall unter Krach und Donner ist nicht erstrebenswert. Eine einheitliche Rubelzone, eine Art Länderfinanzausgleich wären das Ziel. Doch so viel Demokratie als möglich, so viel föderative Strukturen als machbar sollten von uns herauskristallisiert werden. Mich als überzeugten Europäer, treuen Deutschen und begeisterten Föderalisten freut es jedenfalls, daß jetzt auch in der Republik Südafrika der deutschen Verfassung ähnliche Strukturen eingeführt werden. Die GUS, aber auch die Einzelnachfolger der Sowjetunion sollten auf jeden Fall, so sie es wünschen, beim Aufbau nicht bloß von demokratischen und marktwirtschaftlichen, sondern auch von föderativen Strukturen unterstützt werden. Im Rahmen des auswärtigen Etats muß ein weiteres Thema angesprochen werden. Es geht um die Hilfe in Katastrophenfällen, bei Not und Flüchtlingselend, bei Bürgerkriegen, die wir trotz eigener Haushaltsprobleme nicht vergessen dürfen. Ich erkenne in diesem Zusammenhang gerne die engagierte Leistung des Arbeitsstabs „Humanitäre Hilfe" im Auswärtigen Amt an. Mit der Soforthilfe, d. h. mit medizinischer Betreuung, Übergabe von Nahrungsmitteln und Kleidung, Herstellung von Notunterkünften oder Wiederherstellung von Strom-, Wasser-, Gasleitungen oder von Straßen und Brücken, wird viel Gutes geleistet, mit Sonderhilfen wird viel außenpolitischer Goodwill offenbart. 1993 sind bisher nahezu 500 Millionen DM für die humanitäre Hilfe eingesetzt worden, nicht bloß im Haushalt des Auswärtigen Amts, sondern auch beim BMZ, beim Innenminister oder beim Verteidigungsminister. Dazu kommen die internationalen Beiträge. Beliebig ausweiten läßt sich der vom Steuerzahler finanzierte Anteil an den Hilfsmaßnahmen aber auch nicht. Dankbar registrieren wir daher die Spendenbereitschaft der Deut-. schen insgesamt. Wir registrieren die wie Pilze aus dem Boden geschossenen privaten Unterstützungsorganisationen für die Not in Rußland, in Rumänien oder in Bosnien. Wir registrieren die selbstlose Einsatzfreude vieler Menschen in Deutschland, wenn es um spontane Hilfsmaßnahmen geht. Da wird viel gutgemacht, was durch andere Deutsche, ob glatzköpfige Schläger oder hohlköpfige Schreibtischtäter, an Schande über Deutschland gebracht wird. Wegen der Sperren im Haushaltsgesetz und der Globalkürzung um 5 Milliarden DM, die anteilsmäßig auch den Etat des Auswärtigen Amts betreffen und insgesamt 134 Millionen DM ausmachen könnten, steht die Auswärtige Kulturpolitik noch mehr als früher im Mittelpunkt des Interesses. Im gewünschten Ziel sind wir uns alle einig, nämlich möglichst viel und möglichst effektiv, möglichst überall und möglichst ständig kulturell präsent zu sein. Es sind, das hat der ehemalige Präsident des Goethe-Instituts, Hans Heigert, anerkannt, viele Milliarden DM in die bisherigen Kulturverbindungen mit dem Ausland gesteckt worden. Keinem fällt es leicht, wegen des allgemeinen Sparzwangs bei diesen Kulturbeziehungen Abstriche zu machen. Es war immerhin der Bundeskanzler selbst, der mehrmals betonte, daß die deutsche Sprache im Ausland noch stärker gefördert werden sollte und daß mit einem Sonderprogramm „Deutsche Sprache" besonders in Osteuropa zum Aufbau friedlicher Beziehungen beigetragen würde. Der Haushaltsausschuß jedenfalls hat diese Haltung respektiert und versucht zu helfen, wo zu helfen war — ohne deshalb die Arbeitslosenunterstützung im eigenen Land oder manch unverzichtbare Investition in den neuen Bundesländern zu gefährden. Von einer besonderen „Kultur" zeugt daher nicht, wenn die Verantwortlichen des Goethe-Instituts in München bei einer Pressekonferenz im Oktober dieses Jahres wieder einmal glaubten, von einer „Strafexpedition der Anti-Kultur-Politiker in Bonn" reden zu müssen, weil auch das GoetheInstitut einen Sparbeitrag zur allgemeinen Haushaltslage bringen muß. Am meisten wurde beklagt, daß vier Institute geschlossen werden müßten und daß damit erheblicher außenpolitischer Schaden einträte. Wollen Sie die Namen dieser vier Institute hören? Es handelt sich um Viña del Mar (Chile), Medellin (Kolumbien), San Juan (Argentinien) und Malmö (Schweden). Zumindest bei unseren schwedischen Freunden habe ich bisher keinen Liebesentzug feststellen müssen, dafür freuen sich aber die Städte, die bisher in der sozialistischen Abgeschiedenheit festgenagelt waren, wie St. Petersburg, Kiew, Minsk oder Tiflis, auch Alma Ata und Hanoi, daß ein neues Goethe-Institut dort hinkommt. Sollte etwa ein Sparzwang gar ein Anreiz zu neuem Denken sein? Ich kann nur ermuntern, auch stärker den europäischen Verbund zu sehen. Gemeinsame deutsch-französi- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 16679* sche Botschaften oder auch Kulturinstitute oder zumindest ein gemeinsames Dach dafür könnte so manchen Anstoß zu mehr Effektivität auch in der Kulturpolitik geben. Man ist noch lange kein KulturMuffel, wenn man sich Gedanken über das Aufbrechen verkrusteter Strukturen macht. Heilsam ist letzteres im gesamten staatlichen Haushalt. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 13 Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung Hans-Werner Müller (Wadern) (CDU/CSU): Unsere Soldaten sind aus Kambodscha zurückgekehrt. Unsere Soldaten leisten humanitäre Hilfe in Somalia. Es sind besonders viele aus den Standorten meiner saarländischen Heimat dabei. Unsere Soldaten versorgen Teile der bosnischen Bevölkerung aus der Luft. Unsere Soldaten erfüllen diese Aufträge mit hohem Verantwortungsbewußtsein und vorbildlicher Haltung. Sie dienen dem Ansehen unseres Landes, dafür gebührt ihnen unser Dank. Unsere Soldaten können dies leisten, weil wir eine einsatzbereite, modern ausgestattete und bündnisfähige Bundeswehr haben, und auch weiter haben wollen. Dazu bedarf es erheblicher staatlicher Mittel, die im Einzelplan 14 des hier zu beratenden Haushaltes zur Verfügung gestellt werden. Der 94er Haushalt für die Verteidigung steht im besonderen Maße unter der Notwendigkeit substantieller Einsparungen, weil die Staatsfinanzen insgesamt gesehen zu konsolidieren sind. Konsolidierung der Staatsfinanzen ist erfolgreiche Zukunftssicherung Deutschlands. Dies ist oft genug gesagt worden. Im Wettbewerb um die knappen Ressourcen sind in der Öffentlichkeit gerade die Verteidigungsausgaben besonders zu begründen. Werden doch rund 48 Milliarden ausgegeben, aber immerhin fast 3 Milliarden weniger als 1992. Wir sind, um das gleich vorweg zu sagen, an eine Grenze gestoßen, die wir nicht mehr unterschreiten dürfen, ohne das Ganze zu gefährden. Im vergangenen Jahr wollte die SPD noch 5 Milliarden aus dem Verteidigungshaushalt herausstreichen, heute wird dieser Haushalt anders, wesentlich realistischer beurteilt; man läßt erkennen, durch einige Sprecher zumindestens, daß hier in diesem Einzelplan des Bundesministers der Verteidigung nichts mehr zu holen ist. Ich meine dies ist ein Fortschrittt. Ich will auch sagen, daß in diesem Jahr die Beratungen gerade dieses Haushaltes aus meiner Sicht besonders schwierig waren, im Vergleich zu den früheren Jahren. Ich habe ja die Ehre, schon seit einigen Jahren diesen Haushalt zu bearbeiten. Ich möchte mich an dieser Stelle auch ganz herzlich bei den Beamten des Verteidigungsministeriums für die gute Zusammenarbeit bedanken. Die Beratungen waren aber schwierig, weil es halt immer schwierig ist, die Wünsche, so berechtigt sie auch sind, und die Realität in Einklang zu bringen, wobei wir selbstverständlich den Weg des Ministers unterstützen, der durch energisches Sparen im Bereich der Betriebsausgaben der Bundewehr sich Freiräume zu schaffen sucht für neue Gestaltungsmöglichkeiten und planerische Initiativen. Wir gehen diesen Weg mit, Herr Minister, so wenn wir z. B. ca. 200 Millionen DM Betriebsausgaben sparen und dafür 200 Millionen DM investieren. Es gibt einen militärischen Grundsatz, der da lautet: Entsprechend der Auftragserteilung sind die erforderlichen Mittel bereitzuhalten. Das heißt: Wenn wir über die Auftragserteilung einig sind — und wir sind das in der Union —, dann gilt dreierlei: Erstens. Wir brauchen eine Bestätigung der Verteidigungsausgaben in den nächsten Jahren, zumindest für den Zeitraum des Finanzplanes, also bis 1997. Damit gibt man der Bundeswehr den Planungsrahmen und die erforderliche Planungssicherheit. Zweitens. Der Haushalt für 1994 für den Bundesminister der Verteidigung ist in dieser Größenordnung von etwas über 48 Milliarden DM ein Schritt in diese Richtung. Drittens. Der Haushalt des Bundesministeriums der Verteidigung muß nach entsprechender Umschichtung wiederum etwa 30 Prozent für Investitionen enthalten. Wir werden bald die Stärke von 370 000 Soldaten erreicht haben. Man spricht von Zielstrukturen. Wir hatten einmal in der alten Bundesrepublik 490 000 Soldaten. Trotz der zurückgehenden Zahl sollten wir an der Wehrpflicht festhalten. Die Bundeswehr hat damit einen ständigen Kontakt mit der jungen Generation, einen Kontakt, der prägt. Nahezu die Hälfte der Zeit- und Berufssoldaten rekrutiert sich aus den Teilnehmern am Wehrdienst. Damit bleibt die Bundeswehr ein attraktiver Arbeitgeber mit dem Angebot einer jährlichen Einstellung von rund 20 000 Soldaten auf die Zeit von 4 Jahren und länger. Im nächsten Jahr werden wir die Zielstruktur von 370 000 planmäßig erreichen. Dies gilt sowohl für Umfang als auch für Qualität. Die Laufbahnentwicklung ist damit auch von besonderer Bedeutung. Attraktivität des Soldatenberufes ist nämlich sehr wichtig. So haben wir in diesem Haushalt auch rund 3 000 Hebungen für Oberfeldwebel und 1 000 Hebungen für Stabsunteroffiziere vorgesehen. Die Beförderungswartezeiten für Zeitsoldaten werden radikal reduziert. Wir denken, daß auch dies in der Öffentlichkeit allgemein und bei den betroffenen Jugendlichen zu einer größeren Akzeptanz des Dienstes in den Streitkräften geführt hat. Deswegen gehen die Quoten der Wehrdienstverweigerung auch zurück, obwohl von einer Trendwende noch nicht gesprochen werden kann. Auch beim Zivilpersonal bauen wir im nächsten Jahr mehr als 8 500 Stellen ab. Dies geschieht ausschließlich durch Fluktuation des Personals. Kein Mitarbeiter wird entlassen. Die Sozialverträglichkeit 16680* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 kann durch Anwendung des Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetzes voll gewährleistet werden. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal die Bitte vortragen, daß das Verteidigungsministerium alsbald ein Personalstrukturmodell für die zivilen Bediensteten der Bundeswehr vorlegt, damit die Organisation nach neuen betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen gestaltet werden kann. Mit diesen wenigen Sätzen wollte ich darstellen, was wir u. a. mit diesen 48 Millionen DM im Bereich unserer Verteidigung machen. Ich möchte abschließend darauf hinweisen, daß die Größe, die Struktur und der Auftrag sowie das Selbstverständnis der Bundeswehr hier nicht nur allein etwas mit Geld zu tun haben, sondern daß es auch um eine politische Grundeinstellung geht. Karl Feldmeier hat vor einigen Tagen in der FAZ einen Artikel geschrieben mit der Überschrift „Wozu dient die Bundeswehr?" Er führt dort aus: „Maßgebend wird letzten Endes die Entscheidung darüber sein, ob Politik und Gesellschaft Deutschlands die veränderte Wirklichkeit annehmen und ob sie den Willen zur Selbstbehauptung aufbringen. Es geht darum, ob Deutschland eine gleichberechtigte Macht im Kreise seiner Verbündeten sein oder zum Objekt der Macht anderer werden soll. Ohne den Willen zur Selbstbehauptung wären Streitkräfte überflüssig." Soweit dieses Zitat. Wir, die wir uns mit diesem Haushalt intensiv befaßt haben, sind davon überzeugt, daß wir mit unseren Entscheidungen der Bundeswehr einen wesentlichen Beitrag zur Erfüllung ihrer vielseitigen Aufgaben geliefert haben.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dieter-Julius Cronenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Bitte sehr, Herr Abgeordneter Schmude.


Rede von Dr. Jürgen Schmude
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Schäuble, mit welchem Recht halten Sie die Schwierigkeiten, die Sie hier schildern, für ein Problem der Herkunft von Herrn Heitmann aus dem Osten, statt zu erkennen, daß es ein Problem seiner Person und seines eigenen Verhaltens ist?

(Widerspruch bei der CDU/CSU)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Schäuble


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Kollege Schmude, Sie machen jetzt einen ziemlich untauglichen Versuch, von der Entgleisung Ihres Parteivorsitzenden auf Ihrem Parteitag abzulenken.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das war keine Entgleisung!)

    — Ich habe Ihnen erklärt, warum ich es als eine Entgleisung werte. Ich hätte mir gewünscht, daß wir diese Debatte nicht fortsetzen müssen, sondern daß Herr Scharping hier ans Pult geht und sich dafür entschuldigt.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist doch ein Ablenkungsmanöver von Ihnen!)

    — Sie wollen ja gar nicht, daß man argumentiert. Dafür, daß von Ihrer Fraktion nur noch zehn Abgeordnete hier sind, nachdem Ihr Parteivorsitzender gerade fünf Viertelstunden geredet hat, machen Sie zuviel Lärm, gnädige Frau. Sie sollten ein bißchen ruhiger sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich will Ihnen gleich noch etwas sagen. Es gehört zu den wirklichen Sorgen, — die wir uns doch gemeinsam machen müssen —, daß diese Verunsicherung und die großen Veränderungen, die stattfinden, die Stabilität unseres demokratischen Rechtsstaats nicht notwendigerweise gefördert haben. Ich unterstreiche, was der Kollege Klose und der Bundeskanzler gesagt haben: Gerade in diesen Tagen müssen wir uns in besonderer Weise unserer Verantwortung für die Stabilität unseres freiheitlichen Rechtsstaats und dessen bewußt sein, daß die Voraussetzungen durch das richtige Tun und die richtigen verantwortlichen Entscheidungen bewahrt werden, damit in unserem Lande Toleranz und Gewaltfreiheit erhalten bleiben und damit die demokratischen Institutionen und das
    Ansehen der politischen Parteien, ohne die eine freiheitliche Demokratie nicht wirklich zu organisieren und lebensfähig zu halten ist, nicht immer weiter Schaden nehmen.
    Ich finde wirklich, daß Sie das Schachern um Posten und Positionen — Michael Glos hat Ihnen das vorgehalten — endlich aufgeben müssen. Sie fügen dem Rechtsstaat Schaden zu.

    (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wer sind Sie denn eigentlich? — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Haben Sie nichts anderes zu erzählen?)

    — Ich rede von der Stabilität unseres freiheitlichen Rechtsstaats.
    Ich will in diesem Zusammenhang gleich hinzufügen: Die Antwort, die Sie auf die unglaublichen Vorgänge in Schleswig-Holstein gegeben haben, ist völlig ungenügend.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Wir alle wissen, daß die für jedermann bedrückenden — —

    (Zuruf der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD])

    — Jetzt habe ich es Ihnen doch gerade gesagt. Sie haben hier im Saal inzwischen wirklich nicht mehr Fraktionsstärke, was die Anwesenheit betrifft. Dann sollten Sie auch die Lautstärke entsprechend reduzieren. Das gilt auch für Sie, Frau Fuchs.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Es nervt Sie möglicherweise: Die Vorgänge des Jahres 1987 in Schleswig-Holstein sind für die Stabilität unseres demokratischen Rechtsstaats und seiner Institutionen ein fortwirkender Schaden. Es sind ungeheure Beschädigungen entstanden. Nun erfahren wir Woche für Woche, daß in Schleswig-Holstein durch die führenden Repräsentanten der Sozialdemokratischen Partei bis auf den heutigen Tag gelogen wird, daß sich die Balken biegen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Da sind Sie — da hilft kein Ablenken und Ausweichen auf irgend etwas anderes — als Parteivorsitzender gefordert, weil es um den Zustand der Republik geht. Es geht doch nicht an, daß nach diesen entsetzlichen Erfahrungen, von denen alle Parteien betroffen sind, mit der Wahrheit immer noch nicht herausgerückt wird. Ich erinnere mich noch daran, wie die heutige Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, Frau Simonis, geradezu flehentlich beschworen hat, daß nun alle die Wahrheit sagen mögen. Bis heute ist das nicht der Fall, sondern es wird nach wie vor vertuscht und nur zugegeben, was schon bewiesen worden ist.
    Inzwischen erfahren wir — es ist nicht mehr zu bestreiten —, daß dieser unselige Mensch Pfeiffer all dies mindestens seit Juni 1987 mit Wissen und wohl im Auftrag führender Sozialdemokraten gemacht hat. Schon damals ist gesagt worden, man brauche sich um den Ausgang des Wahlkampfs keine Sorge mehr zu machen, man habe einen entsprechenden Agenten in der Staatskanzlei plaziert. Das alles läßt Sie unbeteiligt, wenn es um den Zustand unserer Demokratie



    Dr. Wolfgang Schäuble
    geht? Das kann so nicht sein. Da müssen Sie noch etwas machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Die Machenschaften stammen wohl von Herrn Barschel!)

    Sie haben von der inneren Sicherheit und von der Notwendigkeit, mehr zu tun, gesprochen. Ich begrüße für meine Fraktion sehr, daß die Sozialdemokratische Partei auf ihrem Parteitag im Grundsatz die Notwendigkeit anerkannt hat, den Polizeibehörden von Bund und Ländern die erforderlichen gesetzlichen Instrumentarien bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität besser als bisher an die Hand zu geben.
    Es wird Ihnen — ich habe das schon bei früherer Gelegenheit gesagt — nicht gelingen, daraus ein Spiel mit der Koalition zu machen. Wir sind in einer Frage innerhalb der Koalition noch unterschiedlicher Meinung. Die F.D.P. hat einen Parteitagsbeschluß getroffen, von dem man weiß, daß Kollege Solms anderer Ansicht ist. Es muß doch nicht jeder mit jedem Parteitagsbeschluß einverstanden sein. Es ist doch in Ordnung, daß er dies vertritt, solange nicht ein Parteitag der F.D.P. etwas anderes beschließt. Das muß man ihm auch an seinem Geburtstag so bescheinigen. Von dieser Stelle aus auch herzlichen Glückwunsch, lieber Herr Sohns.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    All dies ändert aber überhaupt nichts daran, daß wir in der Frage des Rechtsbewußtseins auf Ihrem Parteitag nach wie vor erhebliche Defizite erkennen. Es geht nicht nur um die Freigabe von Drogen. Natürlich kann man darüber streiten, ob die Freigabe ein Instrument ist, um die Beschaffungskriminalität stärker zurückzudrängen.

    (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Entkriminalisierung!)

    Aber wenn man weiß, daß weltweit die Warnung und Aufklärung vor dem Gebrauch von Drogen das erfolgreichste Instrument in der Bekämpfung der Drogen ist und daß man eben gegen Warnung und Aufklärung — —

    (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wer bestreitet denn das?)

    — Dann dürfen Sie den Drogenkonsum nicht freigeben. Genau das ist der Punkt.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Tut doch keiner!)

    Da genau handeln Sie gegenläufig. Deswegen bestreiten Sie es.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Im übrigen: Indem Sie Massendelikte entkriminalisieren wollen, leisten Sie dem Rechtsbewußtsein auch keinen guten Dienst.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Wenn der Staat vor dem Verbrechen kapituliert, wenn
    er sagt, wir können es strafrechtlich nicht mehr
    verfolgen und nehmen es daher aus der Strafbarkeit heraus, indem wir es entkriminalisieren, so ist das der falsche Weg.
    Wir müssen mit größerer Entschiedenheit für die Verbrechensbekämpfung eintreten und den Polizeien die notwendigen gesetzlichen, sachlichen und personellen Mittel an die Hand geben. Wir sind dabei, die gesetzlichen Mittel zu schaffen. Für die sachlichen und personellen sind die Bundesländer zuständig. Da werden Sie in Ihrer Verantwortung als Ministerpräsident noch eine Menge zu tun haben.
    Ich kann Sie nur herzlich bitten, das Menschenmögliche dessen, was in Ihrer Verantwortung liegt, zu tun, weil die Gefahr, daß ein größerer Teil unserer Bevölkerung an der Schutzfähigkeit unseres Rechtsstaats zweifelt und dadurch der Rechtsstaat Schaden nimmt, groß ist. Deswegen ist es übrigens auch falsch, gegen ein Mitglied der Bundesregierung, das für die innere Sicherheit zuständig ist, den Begriff von „Law and order" quasi als Kampfbegriff zu verwenden. Wenn jemand für Recht und Ordnung ist, dann ist das doch in Ordnung. Es wäre schlimm, wenn das Gegenteil der Fall wäre. Ich hoffe, daß auch Sie dieser Meinung sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Die wichtigste Frage, auf die wir uns im Augenblick konzentrieren müssen, ist, die wirtschaftliche Entwicklung zu verbessern, den Anstieg der Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und möglichst rasch zu einem Absinken der Arbeitslosigkeit zu kommen. Aber das, was Sie dazu an Vorschlägen auf Ihrem Parteitag wie heute in Ihrer Rede eingebracht haben, hat mich wirklich überrascht. Das war nun wirklich — —

    (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Null!)

    — Nein, das war unter Null. Verzeihen Sie, Herr Kollege Rüttgers, das war wirklich unter Null; denn die Vorschläge der SPD werden nicht nur nichts verbessern, nein, sie werden schaden.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Sie haben recht!)

    Sie haben eine neue Arbeitsorganisation vorgeschlagen. Die kann die Politik der Wirtschaft nicht vorgeben. Sie haben davon gesprochen, die Versicherungsbeiträge zu senken, was natürlich heißt, Steuern entsprechend zu erhöhen. Das ist kein geeignetes Mittel, um die wirtschaftliche Lage zu verbessern. Im übrigen haben Sie am Schluß gesagt, das Tempo der Zunahme der Staatsverschuldung sei besorgniserregend, was eine nicht sehr gute Begründung dafür ist, warum Sie unsere Sparvorschläge ablehnen. Das eine geht nicht mit dem anderen zusammen.
    Ich finde, Sie haben in Ihrer Oppositionstrategie ein merkwürdiges Dreieck. Sie sagen: Die Steuern sind zu hoch, die Verschuldung ist zu hoch, und die Ausgabenkürzungen lehnen wir ab. Das geht auch mit 13 Jahren in sozialdemokratischer Gesamtschule nicht zusammen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das reicht nicht einmal zum Gelddrucken!)




    Dr. Wolfgang Schäuble
    Es hilft doch gar nichts: Wir haben einen ungewöhnlich engen Spielraum für unsere Finanz- und Haushaltspolitik. Der Kollege Roth und der Bundesfinanzminister haben es ja gestern beschrieben. Es hat doch gar keinen Sinn, darüber hinwegzureden. Es hat keinen Sinn, die Lage schönzureden. Die Lage ist ungewöhnlich ernst, und die Anforderungen und Anspannungen sind ungewöhnlich groß. Niemand kann Freude daran haben, daß wir mit so schmerzhaften Spareingriffen die Neuverschuldung im Haushalt 1994 dennoch nur auf 70 Milliarden DM — man wagt es ja kaum auszusprechen — begrenzen konnten, was zu hoch ist und was einen doch hindern muß, Sparvorschläge abzulehnen und gleichzeitig noch zusätzliche Ausgabenforderungen zu stellen.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Und zwar jede Menge!)

    Wir haben eine zu hohe Steuer- und Abgabenbelastung. Weil diese Steuer- und Abgabenbelastung insgesamt zu hoch ist, ist es Gift für wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung, wenn jetzt weitere Steuererhöhungen gefordert werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das kann man nicht unter dem Stichwort einer sozialen Verteilung kaschieren.

    (Hans-Ulrich Klose [SPD]: Sie erhöhen doch selber Steuern und Beiträge! Gegen wen fechten Sie denn?)

    — Herr Kollege Klose, das ist wahr. Aber wir beide sinken in unserem Dialog normalerweise nicht auf das Niveau einer solchen Argumentation ab.
    Ich bestreite ja gar nicht — ich sage das noch einmal —: Die Neuverschuldung ist eher zu hoch. Die Steuer- und Abgabenbelastung ist zu hoch.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die höchste in dieser Republik! Durch Sie!)

    — Ja, Frau Matthäus-Maier. Aber Sie fordern weitere Steuern. Wir sagen: Wir haben bis an die Grenze dessen, was überhaupt noch verantwortbar und erträglich ist, Steuern und Abgaben erhöhen müssen. Das Schlimme ist nur: Sie fordern weitere Steuererhöhungen. Das ist das Schlimme, und dagegen wehre ich mich.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Herr Lafontaine hat auf dem Parteitag gesagt — ich kann das genau vorlesen; ich habe es dabei —: Wir müssen ganz massiv in konsumtive Ausgaben einschneiden, aber erst, wenn die Konjunktur wieder besser ist. — Er hat natürlich in Wahrheit gemeint: Wir sagen erst nach den Wahlen, wo. Das hat er wohl gemeint.
    Aber ich sage Ihnen: Wir müssen, wenn die Konjunktur, wenn die Wirtschaftslage besser werden soll, den Kurs der Konsolidierung, den wir mit dem Haushalt 1994 beschreiten, durchsetzen und durchhalten. Deswegen werbe ich so sehr dafür, daß Sie im Bundestag nicht dagegenstimmen und daß Sie uns vor allen Dingen im Bundesrat, Herr Ministerpräsident Scharping, nicht blockieren, daß Sie nicht bei jeder
    Gelegenheit Ihre Mehrheit im Bundesrat dazu ausnutzen, weitere Forderungen zugunsten der Länder durchzusetzen, die nun wirklich besser dastehen als der Bund insgesamt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich gebe zu: Manchmal ziehen die Landespolitiker da an einem Strang, egal welches Parteibuch der jeweilige Repräsentant in seiner Jackentasche trägt. Insoweit spreche ich Sie jetzt auch als Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz an.
    Sachverständigenrat, Bundesbank und alle wirtschafts- und finanzwissenschaftlichen Institute haben klar erklärt, daß die Konsolidierungsanstrengungen beim Bund weitergetrieben sind als bei Ländern und Gemeinden, daß die Länder bei der Verteilung des gesamtstaatlichen Steueraufkommens sehr viel besser behandelt werden als der Bund. Deswegen sollte der Versuch aufgegeben werden, zu Lasten des Bundes weitere Vorteile für die Länder durch die Bundesratsmehrheit herauszupressen. Ich will das mit allem Ernst sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Wir machen das auch nicht mehr mit!)

    Ich glaube, der entscheidende Unterschied zwischen den Sozialdemokraten und uns ist: Sie glauben noch immer an die Planbarkeit wirtschaftlicher Prozesse durch den Staat und die Politik.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Sie vertrauen nicht auf den Markt.


    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Alte Klamotten holen Sie hier heraus! — Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist doch unter Ihrem Niveau!)

    — Lassen Sie mich doch einmal zwei Sätze in einem Stück sagen.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Allein auf den Markt kann man auch nicht vertrauen!)

    — Sehen Sie! Sie fordern, wenn eine Stahlkrise herrscht, eine nationale Stahlkonferenz. Wenn wir Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben, fordern Sie einen Beschäftigungspakt.
    Im übrigen: Die ganze Rede von Herrn Scharping, soweit sie überhaupt sachlich einschlägig war, bestand aus Forderungen an die Politik.

    (Zuruf von der CDU/CSU: An den Staat, ja!)

    In Wahrheit müssen wir die Wachstumskräfte der Wirtschaft stärken, das heißt, die Freiräume für den privaten Bereich von Angebot und Nachfrage verbreitern, die bei der zu hohen Steuer- und Abgabenquote zu eng geworden sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das ist unser fundamental anderer Ansatz. Wenn Sie diesen Fehler weiterbegehen, dann werden Sie keinen Zugang zu einer rational begründeten Wirtschafts- und Finanzpolitik finden.



    Dr. Wolfgang Schäuble
    Der Standort Deutschland ist im europäischen wie im weltweiten Wettbewerb schwächer geworden. Das ist doch keine Frage. Es hat doch keinen Sinn, wenn man sich gegenseitig die Schuld zuweist oder wenn man sagt, wann und wie das entstanden ist. Die Ursachen haben sich in Jahrzehnten langsam angesammelt. Durch die besonderen Belastungen nach der deutschen Einheit und in einer aktuellen Konjunkturkrise der Weltwirtschaft insgesamt werden die strukturellen Probleme, die in Jahrzehnten entstanden sind, wie in einem Brennglas deutlicher sichtbar.
    Sie bestehen darin, daß wir im Vergleich zu anderen nicht nur höhere Lohn- und Lohnnebenkosten haben. Wir wollen nicht auf das Niveau der Tschechischen oder der Slowakischen Republik zurück. Wir wollen, daß sie möglichst rasch in die Nähe unseres wirtschaftlichen und sozialen Wohlstands kommen können.

    (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

    Wir haben also nicht nur höhere Lohn- und Lohnnebenkosten. Auch unser Management ist nicht mehr so toll, wie uns die Größen der Wirtschaft, die über die Politik herziehen, immer gesagt haben. Ich sage deswegen nicht, daß wir besser sind; aber die sind leider auch nicht besser.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Peter Conradi [SPD]: Dem ist lebhaft zuzustimmen!)

    Wir sind aber z. B. bei den Energiepreisen teurer als viele andere europäische Länder. Unsere Genehmigungsverfahren sind länger, schwerfälliger, komplizierter, weniger kalkulierbar und damit im Ergebnis teurer als die in anderen Ländern. Warum werden denn zunehmend nicht nur Produktionsstätten, sondern auch Forschungsstandorte aus Deutschland heraus verlagert? Warum finden Absolventen eines Chemiestudiums in Deutschland kaum noch einen qualifizierten Arbeitsplatz?
    Wenn wir jetzt selbstkritisch fragen, was Politik zu diesen Entwicklungen beigetragen hat, dann, Herr Ministerpräsident Scharping, wird doch nicht zu bestreiten sein, daß das Nachgeben oder das Schüren oder das Ausbeuten von existentiellen Ängsten, das im Zeichen von Rot-grün mit vielen Entwicklungen moderner Wissenschaft und Technik in den letzten Jahren und Jahrzehnten betrieben worden ist, natürlich einer der Gründe ist, warum der Standort Deutschland im wirtschaftlichen Wettbewerb schwächer geworden ist und warum die Genehmigungsverfahren bei uns länger dauern und teurer sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn wir das ändern wollen, dann müssen wir uns zur Modernisierung, zum Fortschritt von Wissenschaft und Technik, zu ihrer Anwendung und Umsetzung und auch zu moderner Forschung bekennen.
    Zum Glück ist es gestern im Vermittlungsausschuß, wenn ich richtig unterrichtet bin, im Zusammenhang mit dem Einspruch des Bundesrats zur Novellierung des Gentechnikgesetzes zu einer Einigung gekommen, die die Sache nicht wesentlich verschlechtert hat.
    Ihre Haltung in der Energiepolitik ist allerdings angesichts der Probleme des Standorts Bundesrepublik Deutschland nach wie vor völlig unverantwortlich.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn Sie in den Formulierungen Ihres Parteitags zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, für die auch Sie inzwischen endlich eintreten, sagen, was dabei alles nicht berührt werden darf, dann sage ich Ihnen voraus: Da geben Sie Steine statt Brot; da werden die Genehmigungsverfahren weiterhin so lange dauern.
    Wenn wir Freiräume für privates Wachstum schaffen wollen, dann ist der Weg der Privatisierung richtig. Deswegen sollten Sie die Bahnreform nicht länger blockieren und uns eine Postreform ermöglichen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Wir brauchen Sie ja zur Grundgesetzänderung.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Der Bahnreform haben wir zugestimmt!)

    — Nein, Sie haben da noch nicht zugestimmt, Frau Fuchs.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Stoiber hat nicht zugestimmt! Bei der Bahn haben wir gestern zugestimmt!)

    — Na gut, wunderbar. Dann hoffe ich, daß wir da zügig vorankommen.
    Wir müssen dann noch bei der Postreform erreichen, daß wir auf dem Wachstumsmarkt der Kommunikationsindustrie im Zusammenwirken von Telekom und großen, mittleren und kleinen Unternehmen der elektronischen und Elektroindustrie eine bessere Chance haben, Wachstumspotentiale für die deutsche Wirtschaft zu erschließen. Das wird aber ohne eine wirkliche Privatisierung im Bereich der Post nicht möglich sein. Mit dem Postmonopol ist in dem sich schnell verändernden größten Wachstumsmarkt nichts zu holen.
    Deswegen brauchen wir eben viel mehr Privatisierungen. Ich würde mir wünschen, daß Lander und Gemeinden ihre Privatisierungspotentiale in der Entsorgungswirtschaft, in der Energiewirtschaft und in vielen anderen Bereichen erschließen. Ich bin davon überzeugt, daß wir auch beim Bundesfernstraßenbau nicht ohne Privatisierungselemente werden auskommen können,

    (Zustimmung des Abg. Jochen Feilcke [CDU/CSU])

    weil wir eben wissen, daß die Regelungsmechanismen von Angebot und Nachfrage sehr viel effizienter, sehr viel kostengünstiger, sehr viel markt- und kundennäher reagieren können als öffentliche Daseinsvorsorge durch öffentliche Verwaltung, die eher ineffizient, schwerfällig und zu teuer ist.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

    Das wissen wir aus vielen Bereichen. Das ist die entscheidende Frage!
    Die andere Frage, die mit dem Standort Deutschland zu tun hat, betrifft die Motivation der Menschen,



    Dr. Wolfgang Schäuble
    der einkommensstärkeren wie der einkommensschwächeren. Aber daß Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft die entscheidende Voraussetzung für wirtschaftlichen Wohlstand und soziale Sicherheit sind, das kann man durch keine Sozialverteilungsdiskussion beiseite schieben.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Gegen wen reden Sie eigentlich! — Weiterer Zuruf von der SPD: Sie führen mit sich selber Dialoge!)

    — Verzeihen Sie, wir reden darüber, daß Sie uns mit demagogischen Argumenten angreifen, weil wir in einer Zeit, in der die Realeinkommen der Arbeitnehmer nicht mehr steigen können, natürlich auch die Transferleistungen nicht real steigen lassen können. Das haben Sie in diesen Tagen mit demagogischen Argumenten angegriffen. Ich fürchte — die Woche ist noch nicht zu Ende —, Sie werden das noch fortsetzen. Und das ist falsch!
    Wenn Menschen in dem Fall, daß sie arbeiten — und sei es Teilzeitarbeit oder saisonale Arbeit —, nicht ein höheres Einkommen haben, als wenn sie nicht arbeiten, dann wird die Motivation für Arbeit weiter mit Füßen getreten, und der wirtschaftliche Wohlstand leidet Not.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Darauf müssen wir unsere Transfersysteme einrichten. Wir haben erste Schritte eingeleitet, die in diese Richtung gehen, und die kann man nicht in der Art, wie Sie, Herr Scharping, es hier zu tun versucht haben, wegwischen und beiseite wischen, wenn man den Standort Deutschland nicht weiter schlechterreden will.
    Wir haben ja auch nicht eine bestimmte Menge Arbeit. Wenn ich Herrn Scharping und andere Sozialdemokraten von der „intelligenteren Verteilung von Arbeit" reden höre, dann denke ich immer: Aha, die haben die Vorstellung, daß das definiert ist — er hat ja sogar gesagt, wieviel Millionen Arbeitsstunden das sind — und daß es unveränderlich ist.
    In Wahrheit entsteht aber die Nachfrage nach bezahlter Arbeit und damit die Beschäftigung für Menschen

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Durch Angebot und Nachfrage!)

    durch den Austauschprozeß von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. Das hat auch mit dem Preis zu tun, und es ist ein dynamischer Prozeß.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ja!)

    Wenn Arbeit immer teurer wird, weil man sie anders verteilt, dann entstehen daraus nicht mehr Arbeitsplätze, sondern weniger, weil insgesamt die Nachfrage nach immer teurer werdender Arbeit zurückgeht.
    Herr Scharping, dann haben Sie davon gesprochen — das war auch so eine gefährliche Formulierung —, wie intelligent und verantwortungsbewußt die Überlegungen beim Volkswagenwerk seien. Meine Damen und Herren, niemand wird sich dagegen wenden, wenn Arbeitgeber und Belegschaft in einem Unternehmen sagen: Statt eine größere Zahl von
    Beschäftigten zu entlassen, kürzen wir für alle die Arbeitszeit entsprechend anteilig.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie sind doch für Teilzeitarbeit?)

    —Ja, natürlich, das sage ich ja. Es wird niemand etwas dagegen haben, nur müssen dann die Löhne entsprechend gekürzt werden. Herr Scharping hat aber mit Betonung gesagt, es könne natürlich nicht mit vollem Lohnausgleich gehen. Meine Damen und Herren, es kann auch nicht mit teilweisem Lohnausgleich zu Lasten der öffentlichen Kassen gehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn wir und solange wir — und das ist der Punkt, warum es für den Standort Deutschland und damit für die Chancen für wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung so gefährlich ist — weiterhin so reden, als sei nicht der einzelne in erster Linie selbst dafür verantwortlich, daß er einen Arbeitsplatz findet, und als seien nicht in erster Linie die Tarifpartner verantwortlich, werden wir weiterhin dem Zustand Vorschub leisten, daß insbesondere die Tarifpartner in ihrer Verantwortung nicht hinreichend die beschäftigungspolitischen Notwendigkeiten bedenken. Und das ist genau der falsche Weg. Wer immer alles beim Staat und bei der Politik festmacht, der leistet einem Denken Vorschub, das eben nicht hinreichend die Eigenverantwortung in Anspruch nimmt, und kommt zu einer Beschreibung der sozialen und wirtschaftlichen Lage in Deutschland, wie sie Herrn Scharping etwas einseitig geraten ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

    Niemand kann bestreiten, daß es soziale Not in Deutschland gibt. Niemand kann leicht über das Schicksal der Arbeitslosen und ihrer Familien hinweggehen. Aber zu einer wahrhaftigen Beschreibung der Lage in Deutschland insgesamt gehört eben schon auch, daß eine große Zeitung in diesen Tagen geschrieben hat, der Notstand sei ausgebrochen, weil über Weihnachten alle Flugreisen ausgebucht seien. Und zur Beschreibung der Lage in Deutschland gehört eben auch, daß Sie in Westdeutschland und in Ostdeutschland für Bauhaupt- und Baunebengewerbe keine Arbeitskräfte finden,

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    in Baden-Württemberg nicht und in Mecklenburg-Vorpommern nicht. Bei einer Arbeitslosenzahl von vier Millionen ist das nicht erklärbar. Und wenn wir weder in der Landwirtschaft noch im gastronomischen Gewerbe Arbeitskräfte finden,

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    wenn Unternehmen im Bauhandwerk Beschäftigte aus Ungarn nicht mehr beschäftigen können und sagen, dann gehen wir nach Irland, das liegt innerhalb der EG, und holen dort Beschäftigte, weil wir deutsche Arbeitskräfte nicht finden, dann ist doch in Deutschland etwas nicht in Ordnung, und das ist mit der Diskussion von Herrn Scharping nicht erledigt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)




    Dr. Wolfgang Schäuble
    Und deswegen sage ich, daß der entscheidende Punkt — —

    (Peter Conradi [SPD]: Wer regiert denn seit elf Jahren?)

    — Ja, Herr Conradi, wer regiert? Es regiert der Bundeskanzler Helmut Kohl mit seiner Regierung, die von der Koalition von CDU/CSU und F.D.P. getragen wird.

    (Peter Conradi [SPD]: Das war mir bekannt! )

    — Ja, dann fragen Sie doch nicht, wenn Ihnen das bekannt ist; dann stellen Sie doch keine solchen Fragen!

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Wir tun alles dafür, daß es dabei auch bleibt.


    (Zurufe von der SPD)

    — Jetzt lassen wir sie mal wieder schreien, zwischendurch brauchen sie eine Pause, und mir tut es auch gut. Die Mikrofonanlage ist so, daß man, wenn man gestört wird, ziemlich laut reden muß. Das wissen Sie ja alle, und deswegen machen Sie es ja auch. Deswegen muß ich mich zwischendurch mal erholen; das macht aber nichts.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ich habe nachgelesen, wie oft Sie mich bei meiner Rede gestört haben, Herr Kollege! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Wann haben Sie denn geredet?

    (Weitere Zurufe von der SPD — Glocke des Präsidenten)

    — Lassen Sie uns mit so billigen Mätzchen doch nicht vom Ernst des Themas ablenken.
    Die Tatsache, daß unser Land in Schwierigkeiten ist, was die Bewahrung von Frieden und Freiheit für die Zukunft betrifft — was uns mehr fordert als in der Vergangenheit —, was die innere Sicherheit, die Kriminalitätsbekämpfung, die Stabilität unseres demokratischen Rechtsstaats, die wirtschaftliche Entwicklung, die soziale Lage und die Perspektiven des Arbeitsmarktes betrifft, kann man doch gar nicht bestreiten. Das sollte man auch nicht tun. Diese Schwierigkeiten sind nicht allein durch die Politik zu beseitigen, selbst dann nicht, wenn — was wir nicht gern möchten und wofür wir alles tun, um es zu verhindern — Sie regieren sollten. Auch Sie könnten es nicht ändern, weil es in der freiheitlichen Demokratie und der Sozialen Marktwirtschaft nicht allein Aufgabe der Politik ist. Wir sind weder für alle guten Dinge noch für alle Fehlentwicklungen allein verantwortlich.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Ich sage noch einmal: Es hat sich in unserem Lande — vielleicht zum größten Teil als Folge einer langen Wohlstandsperiode — manches eingeschliffen, was wir jetzt in Zeiten größerer Herausforderungen korrigieren müssen. Deswegen ist die vom Bundeskanzler und der Bundesregierung eingeleitete Debatte über den Standort Deutschland richtig und notwendig. Es muß einen Prozeß des Umdenkens bei allen geben, so auch bei den Eliten in Wirtschaft und Gesellschaft. Ich stimme Herrn Scharping zu, daß deren Beitrag größer sein könnte und sein müßte, als er bisher gewesen ist.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Ich habe von dieser Stelle aus und im anderen Plenarsaal oft gesagt, daß die Eliten in unserem Lande eine herausgehobene Verantwortung wahrnehmen und einen entsprechenden Einsatz leisten müssen. Sie müssen auch versuchen, Vorbild zu sein.
    Aber nicht nur die Eliten sind gefordert, sondern jeder einzelne ist für sich und unsere Gemeinschaft ein ganzes Stück weit mitverantwortlich. Ich sage noch einmal: Das Beispiel, daß wir in der ganzen Bauwirtschaft bei einer Arbeitslosigkeit von über 4 Millionen keine deutschen Arbeitskräfte finden, zeigt, daß jeder für sich ein Stück weit umdenken muß. Wir machen in unseren politischen Diskussionen einen großen Fehler mit verhängnisvollen Folgen, wenn wir die Diskussion so führen, wie Herr Scharping es hier getan hat, nämlich als sei nicht jeder einzelne ein Stück weit verantwortlich, sondern nur die Regierung. Damit schaffen wir nämlich nicht nur ein Alibi für eigene Verantwortungslosigkeit, sondern wir leisten Widerstand gegen die Notwendigkeit des Umdenkens. Es muß aber in unserem Lande mehr umgedacht werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich bleibe dabei: Wir werden in unserem Lande eine gute Zukunft nur haben, wenn wir uns der Grundlagen unserer Gemeinschaft sicherer werden, wenn wir die nationale Gemeinschaft stärken auf dem unumkehrbaren Weg zur europäischen Einigung, wenn wir die grundlegenden Normen, die unsere Freiheitsordnung prägen, bewahren und erhalten, wenn wir wissen, daß ohne Leistungsbereitschaft, Fleiß und Eigenverantwortung wirtschaftlicher Wohlstand nicht zu erzielen ist, ob das nun Sekundärtugenden sind oder nicht. Herr Lafontaine redet jetzt immerhin schon wieder davon, daß man die Treppe kehren muß. Das ist wenigstens ein Beweis dafür, daß er offenbar zu gewissen Sekundärtugenden zurückkehrt, seit er 50 geworden ist.

    (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ja, jedes Alter hat seine Weisheit!)

    Aber das ist nicht so entscheidend.
    Wir müssen uns, wenn wir uns mit wenigen und teuren Vorkommen an Rohstoffen und Energie an der Spitze der Wohlstandspyramide in der Welt und im europäischen Vergleich halten wollen, zur Modernisierung unserer Wirtschaft und unserer Produktion bekennen. Wir brauchen eine andere Einstellung zur Technik und eine Bekämpfung der Ängste, die mit den Innovationen moderner Technik durchaus verbunden sind, eine Stärkung privater Freiräume, mehr Privatisierung und eine Zurückdrängung des zu hypertroph gewordenen Anteils kollektiver Systeme, die unsere wirtschaftliche Dynamik zunehmend lähmen.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist wieder so ein Satz! — Weiterer Zuruf von der SPD: Eine Wolke!)




    Dr. Wolfgang Schäuble
    — Dann unterscheidet uns dies, Frau Fuchs. Dann wollen wir festhalten, daß Sie weiterhin darauf vertrauen, daß uns die großen Kollektive wirtschaftlichen Wohlstand und wirtschaftliches Wachstum bringen werden.

    (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wer behauptet das denn?)

    — Sie mit Ihrem Zwischenruf. (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Quatsch!)

    Ich sage Ihnen: Mit den Dinosauriern der großen Kollektive werden Sie wirtschaftliches Wachstum nicht erzielen, Wohlstand nicht erhalten und die soziale Sicherheit verspielen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deswegen sage ich Ihnen, daß eine Politik, die auf Wachstum und Dynamik, auf Eigenverantwortung und Solidarität setzt, eine Politik auch für soziale Gerechtigkeit ist. Dafür wird diese Koalition weiterhin arbeiten.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU — Beifall bei der F.D.P.)