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    Plenarprotokoll 12/192 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 192. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 Inhalt: Bestimmung des Abgeordneten Rolf Schwanitz als ordentliches Mitglied im Vermittlungsausschuß 16531 A Tagesordnungspunkt I: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1994 (Haushaltsgesetz 1994) (Drucksachen 12/5500, 12/5870) Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt (Drucksachen 12/6004, 12/6030) in Verbindung mit Einzelplan 05 Auswärtiges Amt (Drucksachen 12/ 6005, 12/6030) in Verbindung mit Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung (Drucksachen 12/6014, 12/6030) in Verbindung mit Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte (Drucksachen 12/6027, 12/ 6030) Hans-Ulrich Klose SPD . . . . 16531D, 16592A Michael Glos CDU/CSU 16537A Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. 16544 C Hans-Ulrich Klose SPD 16544 D Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . . 16551A Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16554 B Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 16557 A Rudolf Scharping, Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz 16566 C Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . 16576B Michael Glos CDU/CSU 16577 B Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. 16578 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 16578D Dr. Jürgen Schmude SPD 16580 C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 16587 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU (zur GO) 16595 B Dietrich Austermann CDU/CSU 16595 C Ortwin Lowack fraktionslos 16598 D Andrea Lederer PDS/Linke Liste . . . 16600 C Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16603B Ernst Waltemathe SPD 16605 D Udo Haschke (Jena) CDU/CSU 16608 A Ingrid Matthäus-Maier SPD 16608 C Dr. Rudolf Krause (Bonese) fraktionslos 16609A Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 16610 D Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16612B Friedrich Bohl, Bundesminister BK . . 16613 D Dr. Hans Stercken CDU/CSU 16614B Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16615A II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD . . . . 16616D, 16630 B Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 16618A Hans-Gerd Strube CDU/CSU 16622 A Dr. Hans Modrow PDS/Linke Liste . . 16623D Carl-Ludwig Thiele F.D.P. . . 16626A, 16630 C Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD . . . 16627 B Ingrid Matthäus-Maier SPD 16628 A Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 16630D Walter Kolbow SPD 16633 C Paul Breuer CDU/CSU 16636 B Dr. Karl-Heinz Klejdzinski SPD . . . 16637 B Präsidentin Dr. Rita Süssmuth 16554 A Namentliche Abstimmung 16638 C Ergebnis 16644 D Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Drucksachen 12/6021, 12/6030) Helmut Esters SPD 16639 B Christian Neuling CDU/CSU 16641D Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . . 16646 D Werner Zywietz F D P 16647 D Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16649 C Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 16650 C Einzelplan 06 Bundesministerium des Innern (Drucksachen 12/6006, 12/6030) in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung (Drucksache 12/6026) in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung (Drucksachen 12/ 6028, 12/6030) Rudolf Purps SPD 16652 D Karl Deres CDU/CSU 16656 C Ina Albowitz F.D.P. 16659 A Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 16661 B Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16662 D Günter Graf SPD 16664 B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 16665 D Erwin Marschewski CDU/CSU 16666 D Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 16668D Freimut Duve SPD 16670A Karl Deres CDU/CSU 16670 C Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . 16671A Klaus Lohmann (Witten) SPD 16672 C Manfred Kanther, Bundesminister BMI 16673 B Nächste Sitzung 16675 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 16677' A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 12: Einzelplan 05 — Auswärtiges Amt Dr. Klaus Rose CDU/CSU 16633' C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 13: Einzelplan 14 — Bundesministerium der Verteidigung Hans-Werner Müller (Wadern) CDU/CSU 16679' A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 16531 192. Sitzung Bonn, den 24. November 1993 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Augustin, Anneliese CDU/CSU 24. 11. 93 Blunck (Uetersen), SPD 24. 11. 93 * Lieselott Böhm (Melsungen), CDU/CSU 24. 11. 93 * Wilfried Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 24. 11. 93 Clemens, Joachim CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 24. 11. 93 Herta Ehrbar, Udo CDU/CSU 24. 11. 93 Ganschow, Jörg F.D.P. 24. 11. 93 Gleicke, Iris SPD 24. 11. 93 Dr. Göhner, Reinhard CDU/CSU 24. 11. 93 Großmann, Achim SPD 24. 11. 93 Dr. Herr, Norbert CDU/CSU 24. 11. 93 Heyenn, Günther SPD 24. 11. 93 Hiller (Lübeck), Reinhold SPD 24. 11. 93 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 24. 11. 93 Jung (Düsseldorf), Volker SPD 24. 11. 93 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 24. 11. 93 Kiechle, Ignaz CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. Kolb, Heinrich L. F.D.P. 24. 11. 93 Kraus, Rudolf CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. Krause (Börgerende), CDU/CSU 24. 11. 93 Günther Kretkowski, Volkmar SPD 24. 11. 93 Kronberg, Heinz-Jürgen CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. Matterne, Dietmar SPD 24. 11. 93 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 24. 11. 93 ** Dr. Ortleb, Rainer F.D.P. 24. 11. 93 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 24. 11. 93 * Rappe (Hildesheim), SPD 24. 11. 93 Hermann Dr. Röhl, Klaus F.D.P. 24. 11. 93 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 24. 11. 93 Ingrid Dr. Ruck, Christian CDU/CSU 24. 11. 93 Schartz (Trier), Günther CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. Scheer, Hermann SPD 24. 11. 93 * Schmidt (Salzgitter), SPD 24. 11. 93 Wilhelm Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 24. 11. 93 Schröter, Karl-Heinz SPD 24. 11. 93 Schwanhold, Ernst SPD 24. 11. 93 Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 24. 11. 93 Christian Dr. Soell, Hartmut SPD 24. 11. 93** Spilker, Karl-Heinz CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. von Teichman, F.D.P. 24. 11. 93 Cornelia Vosen, Josef SPD 24. 11. 93 Wohlleben, Verena SPD 24. 11. 93 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Wollenberger, Vera BÜNDNIS 24. 11. 93 90/DIE GRÜNEN Zierer, Benno CDU/CSU 24. 11. 93* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 12: Einzelplan 05 Auswärtiges Amt Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Mit besonders gemischten Gefühlen stehe ich jetzt am Rednerpult. Denn während wir hier im Warmen und in Sicherheit hehre Außenpolitik formulieren, frieren und sterben weitere Hunderte und Tausende von Menschen in Bosnien. Die Welt schaut zu, Europa schaut zu, Deutschland schaut zu. Eine erfolgversprechende außenpolitische Initiative gibt es nicht. Klaus Bressers Anklage vorgestern abend im deutschen Fernsehen ist zweifellos berechtigt. Seine Schlußfolgerungen einer einzigen Lösung, nämlich eines militärischen Einsatzes, versteht jeder, man schreckt aber davor zurück. In einem neuen Buch von Hans-Peter Schwartz wird der fehlende Mut, der fehlende Wille der Deutschen zur Machtpolitik moniert. Deutschland sei zwar schon lange ein wirtschaftlicher Riese mit automatischer Macht. Aber mit der Rolle des politischen Zwergs müsse es ein Ende haben. Weltmacht wider Willen könne man auf Dauer nicht sein, der politische Gestaltungswille müsse dazukommen. Ich höre jetzt natürlich den Aufschrei, daß die Deutschen wieder von einer großen Rolle in der Weltpolitik träumten. Nein, darum geht es nicht, zumindest nicht um eine Alleinträumerei der Deutschen. In der Weltgemeinschaft, in der Europäischen Gemeinschaft und in manchen internationalen Gremien muß Deutschland seiner Bedeutung gerecht werden. Diese Bedeutung ist nach der Wiedervereinigung naturgemäß anders als früher. Diese Neubewertung deutscher Außenpolitik, diese Umorientierung muß jetzt endlich in der Praxis geschafft werden. Deutschland muß sich sowieso darüber klar werden, daß die Welt sich weiterdreht und daß wir sehr schnell vom Rad geschleudert werden können. Bei der Einbringungsrede des Haushalts im September 1993 habe ich die Bedeutung einer deutschen Asienpolitik herausgestrichen. Ich freue mich deshalb über den Erfolg der Kanzlerreise nach China. Über eines darf der Blick nach Asien nicht hinwegtäuschen: Europa ist in großer Gefahr. Die Gefahr wird beim Blick auf die asiatische Weltkarte deutlich. Dort ist nämlich der Pazifikraum im Mittelpunkt und 16678* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 Europa Randlage, wie wir es von Alaska oder von der Kamtschatka gewöhnt sind. Genau hier setzt das Problem ein. Haben nicht vor wenigen Tagen der amerikanische Präsident und verschiedene asiatische Regierungschefs die Zukunftsrichtung der amerikanisch-pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) gewiesen? Hat nicht mit der NAFTA der nordamerikanische Wirtschaftsverbund den Wettbewerb mit der EG beschworen? Hat nicht der amerikanische Außenminister Warren Christopher gestern im ZDF-Morgenmagazin bei der Formulierung der amerikanischen Prioritäten die Stärkung der NATO erst an dritter Stelle genannt? Wir müssen erkennen, daß Europa aufpassen muß, damit es nicht wirtschaftlich, militärisch und finanziell zu einem unbedeutenden Markt wird. Mit der neuen Versuchung von Kleinstaaterei ist uns allen nicht gedient. Unverzichtbar ist für die EG und besonders für die Deutschen die Gewinnung der osteuropäischen Völker für Demokratie und Marktwirtschaft. Deshalb hatte der Haushaltsausschuß die Idee der Bundesregierung sehr begrüßt, mit der deutschen Beratungshilfe zum Aufschwung beizutragen. Über verschiedene Einzelpläne verteilt werden nächstes Jahr rund 300 Millionen DM eingesetzt. Es gibt am Ziel keinen Zweifel, denn der Aufbau von Forstverwaltungen, von Sparkassen oder von Konversionsprojekten bei früheren Rüstungsbetrieben kann nur unterstützt werden. Es wäre aber falsch, wenn wir am gleichen Weg wie bisher festhalten würden, nämlich alle Mittel an die Zentralregierungen zu geben. Es ist eine Tatsache, daß z. B. die russische Wirtschaft nur dann umgestaltet werden kann, wenn man das Potential der Regionen zur Wirkung bringt. Ich rede nicht einer politischen Dezentralisierung oder Destabilisierung das Wort. Denn ein weiterer Zerfall unter Krach und Donner ist nicht erstrebenswert. Eine einheitliche Rubelzone, eine Art Länderfinanzausgleich wären das Ziel. Doch so viel Demokratie als möglich, so viel föderative Strukturen als machbar sollten von uns herauskristallisiert werden. Mich als überzeugten Europäer, treuen Deutschen und begeisterten Föderalisten freut es jedenfalls, daß jetzt auch in der Republik Südafrika der deutschen Verfassung ähnliche Strukturen eingeführt werden. Die GUS, aber auch die Einzelnachfolger der Sowjetunion sollten auf jeden Fall, so sie es wünschen, beim Aufbau nicht bloß von demokratischen und marktwirtschaftlichen, sondern auch von föderativen Strukturen unterstützt werden. Im Rahmen des auswärtigen Etats muß ein weiteres Thema angesprochen werden. Es geht um die Hilfe in Katastrophenfällen, bei Not und Flüchtlingselend, bei Bürgerkriegen, die wir trotz eigener Haushaltsprobleme nicht vergessen dürfen. Ich erkenne in diesem Zusammenhang gerne die engagierte Leistung des Arbeitsstabs „Humanitäre Hilfe" im Auswärtigen Amt an. Mit der Soforthilfe, d. h. mit medizinischer Betreuung, Übergabe von Nahrungsmitteln und Kleidung, Herstellung von Notunterkünften oder Wiederherstellung von Strom-, Wasser-, Gasleitungen oder von Straßen und Brücken, wird viel Gutes geleistet, mit Sonderhilfen wird viel außenpolitischer Goodwill offenbart. 1993 sind bisher nahezu 500 Millionen DM für die humanitäre Hilfe eingesetzt worden, nicht bloß im Haushalt des Auswärtigen Amts, sondern auch beim BMZ, beim Innenminister oder beim Verteidigungsminister. Dazu kommen die internationalen Beiträge. Beliebig ausweiten läßt sich der vom Steuerzahler finanzierte Anteil an den Hilfsmaßnahmen aber auch nicht. Dankbar registrieren wir daher die Spendenbereitschaft der Deut-. schen insgesamt. Wir registrieren die wie Pilze aus dem Boden geschossenen privaten Unterstützungsorganisationen für die Not in Rußland, in Rumänien oder in Bosnien. Wir registrieren die selbstlose Einsatzfreude vieler Menschen in Deutschland, wenn es um spontane Hilfsmaßnahmen geht. Da wird viel gutgemacht, was durch andere Deutsche, ob glatzköpfige Schläger oder hohlköpfige Schreibtischtäter, an Schande über Deutschland gebracht wird. Wegen der Sperren im Haushaltsgesetz und der Globalkürzung um 5 Milliarden DM, die anteilsmäßig auch den Etat des Auswärtigen Amts betreffen und insgesamt 134 Millionen DM ausmachen könnten, steht die Auswärtige Kulturpolitik noch mehr als früher im Mittelpunkt des Interesses. Im gewünschten Ziel sind wir uns alle einig, nämlich möglichst viel und möglichst effektiv, möglichst überall und möglichst ständig kulturell präsent zu sein. Es sind, das hat der ehemalige Präsident des Goethe-Instituts, Hans Heigert, anerkannt, viele Milliarden DM in die bisherigen Kulturverbindungen mit dem Ausland gesteckt worden. Keinem fällt es leicht, wegen des allgemeinen Sparzwangs bei diesen Kulturbeziehungen Abstriche zu machen. Es war immerhin der Bundeskanzler selbst, der mehrmals betonte, daß die deutsche Sprache im Ausland noch stärker gefördert werden sollte und daß mit einem Sonderprogramm „Deutsche Sprache" besonders in Osteuropa zum Aufbau friedlicher Beziehungen beigetragen würde. Der Haushaltsausschuß jedenfalls hat diese Haltung respektiert und versucht zu helfen, wo zu helfen war — ohne deshalb die Arbeitslosenunterstützung im eigenen Land oder manch unverzichtbare Investition in den neuen Bundesländern zu gefährden. Von einer besonderen „Kultur" zeugt daher nicht, wenn die Verantwortlichen des Goethe-Instituts in München bei einer Pressekonferenz im Oktober dieses Jahres wieder einmal glaubten, von einer „Strafexpedition der Anti-Kultur-Politiker in Bonn" reden zu müssen, weil auch das GoetheInstitut einen Sparbeitrag zur allgemeinen Haushaltslage bringen muß. Am meisten wurde beklagt, daß vier Institute geschlossen werden müßten und daß damit erheblicher außenpolitischer Schaden einträte. Wollen Sie die Namen dieser vier Institute hören? Es handelt sich um Viña del Mar (Chile), Medellin (Kolumbien), San Juan (Argentinien) und Malmö (Schweden). Zumindest bei unseren schwedischen Freunden habe ich bisher keinen Liebesentzug feststellen müssen, dafür freuen sich aber die Städte, die bisher in der sozialistischen Abgeschiedenheit festgenagelt waren, wie St. Petersburg, Kiew, Minsk oder Tiflis, auch Alma Ata und Hanoi, daß ein neues Goethe-Institut dort hinkommt. Sollte etwa ein Sparzwang gar ein Anreiz zu neuem Denken sein? Ich kann nur ermuntern, auch stärker den europäischen Verbund zu sehen. Gemeinsame deutsch-französi- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 16679* sche Botschaften oder auch Kulturinstitute oder zumindest ein gemeinsames Dach dafür könnte so manchen Anstoß zu mehr Effektivität auch in der Kulturpolitik geben. Man ist noch lange kein KulturMuffel, wenn man sich Gedanken über das Aufbrechen verkrusteter Strukturen macht. Heilsam ist letzteres im gesamten staatlichen Haushalt. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 13 Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung Hans-Werner Müller (Wadern) (CDU/CSU): Unsere Soldaten sind aus Kambodscha zurückgekehrt. Unsere Soldaten leisten humanitäre Hilfe in Somalia. Es sind besonders viele aus den Standorten meiner saarländischen Heimat dabei. Unsere Soldaten versorgen Teile der bosnischen Bevölkerung aus der Luft. Unsere Soldaten erfüllen diese Aufträge mit hohem Verantwortungsbewußtsein und vorbildlicher Haltung. Sie dienen dem Ansehen unseres Landes, dafür gebührt ihnen unser Dank. Unsere Soldaten können dies leisten, weil wir eine einsatzbereite, modern ausgestattete und bündnisfähige Bundeswehr haben, und auch weiter haben wollen. Dazu bedarf es erheblicher staatlicher Mittel, die im Einzelplan 14 des hier zu beratenden Haushaltes zur Verfügung gestellt werden. Der 94er Haushalt für die Verteidigung steht im besonderen Maße unter der Notwendigkeit substantieller Einsparungen, weil die Staatsfinanzen insgesamt gesehen zu konsolidieren sind. Konsolidierung der Staatsfinanzen ist erfolgreiche Zukunftssicherung Deutschlands. Dies ist oft genug gesagt worden. Im Wettbewerb um die knappen Ressourcen sind in der Öffentlichkeit gerade die Verteidigungsausgaben besonders zu begründen. Werden doch rund 48 Milliarden ausgegeben, aber immerhin fast 3 Milliarden weniger als 1992. Wir sind, um das gleich vorweg zu sagen, an eine Grenze gestoßen, die wir nicht mehr unterschreiten dürfen, ohne das Ganze zu gefährden. Im vergangenen Jahr wollte die SPD noch 5 Milliarden aus dem Verteidigungshaushalt herausstreichen, heute wird dieser Haushalt anders, wesentlich realistischer beurteilt; man läßt erkennen, durch einige Sprecher zumindestens, daß hier in diesem Einzelplan des Bundesministers der Verteidigung nichts mehr zu holen ist. Ich meine dies ist ein Fortschrittt. Ich will auch sagen, daß in diesem Jahr die Beratungen gerade dieses Haushaltes aus meiner Sicht besonders schwierig waren, im Vergleich zu den früheren Jahren. Ich habe ja die Ehre, schon seit einigen Jahren diesen Haushalt zu bearbeiten. Ich möchte mich an dieser Stelle auch ganz herzlich bei den Beamten des Verteidigungsministeriums für die gute Zusammenarbeit bedanken. Die Beratungen waren aber schwierig, weil es halt immer schwierig ist, die Wünsche, so berechtigt sie auch sind, und die Realität in Einklang zu bringen, wobei wir selbstverständlich den Weg des Ministers unterstützen, der durch energisches Sparen im Bereich der Betriebsausgaben der Bundewehr sich Freiräume zu schaffen sucht für neue Gestaltungsmöglichkeiten und planerische Initiativen. Wir gehen diesen Weg mit, Herr Minister, so wenn wir z. B. ca. 200 Millionen DM Betriebsausgaben sparen und dafür 200 Millionen DM investieren. Es gibt einen militärischen Grundsatz, der da lautet: Entsprechend der Auftragserteilung sind die erforderlichen Mittel bereitzuhalten. Das heißt: Wenn wir über die Auftragserteilung einig sind — und wir sind das in der Union —, dann gilt dreierlei: Erstens. Wir brauchen eine Bestätigung der Verteidigungsausgaben in den nächsten Jahren, zumindest für den Zeitraum des Finanzplanes, also bis 1997. Damit gibt man der Bundeswehr den Planungsrahmen und die erforderliche Planungssicherheit. Zweitens. Der Haushalt für 1994 für den Bundesminister der Verteidigung ist in dieser Größenordnung von etwas über 48 Milliarden DM ein Schritt in diese Richtung. Drittens. Der Haushalt des Bundesministeriums der Verteidigung muß nach entsprechender Umschichtung wiederum etwa 30 Prozent für Investitionen enthalten. Wir werden bald die Stärke von 370 000 Soldaten erreicht haben. Man spricht von Zielstrukturen. Wir hatten einmal in der alten Bundesrepublik 490 000 Soldaten. Trotz der zurückgehenden Zahl sollten wir an der Wehrpflicht festhalten. Die Bundeswehr hat damit einen ständigen Kontakt mit der jungen Generation, einen Kontakt, der prägt. Nahezu die Hälfte der Zeit- und Berufssoldaten rekrutiert sich aus den Teilnehmern am Wehrdienst. Damit bleibt die Bundeswehr ein attraktiver Arbeitgeber mit dem Angebot einer jährlichen Einstellung von rund 20 000 Soldaten auf die Zeit von 4 Jahren und länger. Im nächsten Jahr werden wir die Zielstruktur von 370 000 planmäßig erreichen. Dies gilt sowohl für Umfang als auch für Qualität. Die Laufbahnentwicklung ist damit auch von besonderer Bedeutung. Attraktivität des Soldatenberufes ist nämlich sehr wichtig. So haben wir in diesem Haushalt auch rund 3 000 Hebungen für Oberfeldwebel und 1 000 Hebungen für Stabsunteroffiziere vorgesehen. Die Beförderungswartezeiten für Zeitsoldaten werden radikal reduziert. Wir denken, daß auch dies in der Öffentlichkeit allgemein und bei den betroffenen Jugendlichen zu einer größeren Akzeptanz des Dienstes in den Streitkräften geführt hat. Deswegen gehen die Quoten der Wehrdienstverweigerung auch zurück, obwohl von einer Trendwende noch nicht gesprochen werden kann. Auch beim Zivilpersonal bauen wir im nächsten Jahr mehr als 8 500 Stellen ab. Dies geschieht ausschließlich durch Fluktuation des Personals. Kein Mitarbeiter wird entlassen. Die Sozialverträglichkeit 16680* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 kann durch Anwendung des Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetzes voll gewährleistet werden. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal die Bitte vortragen, daß das Verteidigungsministerium alsbald ein Personalstrukturmodell für die zivilen Bediensteten der Bundeswehr vorlegt, damit die Organisation nach neuen betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen gestaltet werden kann. Mit diesen wenigen Sätzen wollte ich darstellen, was wir u. a. mit diesen 48 Millionen DM im Bereich unserer Verteidigung machen. Ich möchte abschließend darauf hinweisen, daß die Größe, die Struktur und der Auftrag sowie das Selbstverständnis der Bundeswehr hier nicht nur allein etwas mit Geld zu tun haben, sondern daß es auch um eine politische Grundeinstellung geht. Karl Feldmeier hat vor einigen Tagen in der FAZ einen Artikel geschrieben mit der Überschrift „Wozu dient die Bundeswehr?" Er führt dort aus: „Maßgebend wird letzten Endes die Entscheidung darüber sein, ob Politik und Gesellschaft Deutschlands die veränderte Wirklichkeit annehmen und ob sie den Willen zur Selbstbehauptung aufbringen. Es geht darum, ob Deutschland eine gleichberechtigte Macht im Kreise seiner Verbündeten sein oder zum Objekt der Macht anderer werden soll. Ohne den Willen zur Selbstbehauptung wären Streitkräfte überflüssig." Soweit dieses Zitat. Wir, die wir uns mit diesem Haushalt intensiv befaßt haben, sind davon überzeugt, daß wir mit unseren Entscheidungen der Bundeswehr einen wesentlichen Beitrag zur Erfüllung ihrer vielseitigen Aufgaben geliefert haben.
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    Rede von Andrea Lederer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist immer ein bißchen schwierig, wenn zwar heftige Kritik an der Bundesregierung formuliert wird, die Grundlage und vor allem die Stoßrichtung aber, wie es weitergehen soll, eigentlich die Beschreibung eines Kurses ist, die noch das, was die Bundesregierung mit ihrer Politik schon angerichtet hat, noch verschärft.
    Ich will auf verschiedene Beiträge eingehen — und zu Beginn eine Passage des Bundeskanzlers zum Stichwort Chinareise in Erinnerung rufen. Zitat:
    Dieser riesige Kontinent, in dem der größte Teil der Weltbevölkerung lebt, und der angrenzende pazifische Raum werden in den nächsten Jahrzehnten zu einem Gravitationszentrum der Weltpolitik und ganz gewiß der Weltwirtschaft werden. Dieses große Land befindet sich gegenwärtig in einem gewaltigen Aufbruch und Umbruch. Die Volksrepublik China will sich von Grund auf modernisieren und sucht den Anschluß an die internationale wirtschaftliche und technische Entwicklung. Die Modernisierung wird einen riesigen Markt öffnen und der Unternehmenszusammenarbeit auch zwischen den Firmen der Bundesrepublik und der Volksrepublik China ein weites Feld bieten. Die mich begleitenden führenden Repräsentanten der deutschen Industrie konnten Abschlüsse in der Größenordnung mehrerer Milliarden DM tätigen oder die Abschlüsse jedenfalls vorantreiben.
    Soweit der Bundeskanzler.
    Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist. Dies stammt aus der Rede, die vor neun Jahren vom Bundeskanzler nach seiner ersten Chinareise gehalten wurde. Ich finde, vom Wortlaut her ist eine Identität mit dem, was heute erklärt wurde, festzustellen. Dies ist wirklich erstaunlich.
    Herr Bundeskanzler — er ist nicht mehr da —, Ihre Regierung ist reichlich in die Jahre gekommen. Sie haben längst angefangen, sich zu wiederholen, immer dasselbe zu erzählen, bewegen aber tut sich so gut wie nichts — jedenfalls nicht für die 4 Millionen Arbeitslosen, für die 6 bis 8 Millionen Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger und Armen in diesem Land.
    Die Anschaffungstouren beispielsweise nach China nützen sicherlich dem nationalen Exportkapital; das will ich gar nicht bestreiten. Es geht auch nicht darum,



    Andrea Lederer
    grundsätzlich wirtschaftliche Kooperation in Abrede zu stellen. Ich will auch nicht bestreiten, daß Sie ein ganz hervorragender Kanzler sind im Hinblick darauf, den großen deutschen Unternehmen Aufträge zu verschaffen. Ein Kanzler für die Arbeitslosen, für die sozial Schwachen, für die Obdachlosen, für die aus ihrem Beruf gedrängten Frauen, für die Jugendlichen, für Ausländer und Ausländerinnen, die in diesem Land leben, denen Sie mit Ihrer Politik die Zukunft nehmen, das alles sind Sie allerdings nicht.
    Darüber kann auch ein Blendwerk nicht hinwegtäuschen, das regelmäßig nach den Reisen vor den Fernsehkameras veranstaltet wird. Ich finde, die Bundesregierung hätte wirklich wenig Anlaß, weiterhin so selbstgefällig aufzutreten, wie sie das getan hat.
    Wenn die Regierung Ende nächsten Jahres, nach zwölf Jahren, von Ihnen, Herr Bundeskanzler, verlassen werden muß — ich nehme einmal an, daß es so kommen wird, weil nach meinem Eindruck alles auf eine große Koalition zusteuern wird; der SPD-Parteitag ist hier ja mehrfach erwähnt worden —, dann hinterlassen Sie, dann hinterläßt die Bundesregierung der Bundesrepublik über 4 Millionen Arbeitslose, reichlich mehr als doppelt so viele wie bei Ihrem Amtsantritt — eine wirtschaftliche Wüste in den neuen Bundesländern, die sich immer mehr in die alten Bundesländer hinein ausbreitet.
    Wenn der Kollege Schäuble hier heute allen Ernstes erklärt, die Landwirtschaft sei nicht mehr in der Lage, ausreichend Arbeitskräfte zu finden, dann kann ich ihn wirklich nur auffordern, sich einmal nach Mecklenburg-Vorpommern zu begeben, wo nicht etwa Arbeitskräfte gesucht werden, sondern wo ein Betrieb nach dem anderen dichtmachen muß und eine Landflucht größten Ausmaßes eingetreten ist, weil die Menschen in diesem Bereich gar keine Arbeit mehr finden.
    Dabei geniert sich der Bundeskanzler gar nicht, rechnerische Verdrehungen anzustellen, um die Lage schönzureden. Herr Ministerpräsident Scharping hat das Beispiel der Forschungspolitik bereits angesprochen. Es gibt einen sinkenden Anteil und keine Steigerung, wie es darzustellen versucht wurde.
    Der Bundeskanzler redet auch allen Ernstes davon, daß von den Menschen viel Anpassungsbereitschaft im Osten, in den neuen Bundesländern, abverlangt worden ist. Das ist sicher richtig so. Ich glaube, die Menschen sind einigermaßen überstrapaziert, was die Anforderungen an Anpassung etc. anbelangt.
    Was ich vermißt habe, ist ein klares Wort dazu, daß die Menschen in den neuen Bundesländern auch mit einigermaßen Selbstbewußtsein tatsächlich in dieser Gesellschaft leben, mit ihrer Geschichte umgehen können, auftreten und agieren können und Bestandteil dieser Gesellschaft sind. Die Politik der massiven Ausgrenzung sollte endlich ein Ende haben, mit der die Stimmung, die Sie auf der anderen Seite wieder beklagen, produziert und verursacht worden ist.
    Die Folge der Politik der Bundesregierung ist auch, daß sie der Ausbreitung des Rechtsextremismus Vorschub leistet. Da findet der Bundeskanzler in seiner heutigen Rede als einzigen, wirklich einzigen Kommentar einen Satz, nämlich, daß Gewalt in unserem
    Land keine Chance habe. Das ist eine Verhöhnung all derer, die seit drei Jahren — bei ständig steigender Brutalität — Opfer des Rechtsextremismus geworden sind, eine Verhöhnung der inzwischen rund 80 Menschen, die seit der deutschen Wiedervereinigung infolge rassistischer und rechtsextremistischer Gewalttaten ermordet wurden.
    Die Liste des Innenministers nennt lediglich 30 Opfer - die 30 Opfer zuviel sind —, aber es gehört eben auch zur Politik der Bundesregierung, zu verharmlosen, herunterzudrehen und nicht einmal die Fakten genau zu benennen, um darüber hinwegzutäuschen, daß sie mit ihrer Politik genau dafür mit eine Ursache geboten hat. Das Schlimme ist tatsächlich, daß diese Gewalttäter annehmen können, sie hätten hier eben doch eine Chance.
    Der Kommentar des Bundeskanzlers zum Rechtsextremismus ist schon weniger als dürftig. Diese Dürftigkeit kann auch gar nicht mehr als Zufall angesehen werden.
    Was ich aber für noch viel katastrophaler halte, ist das, was Herr Glos heute morgen geboten hat, der ja für die CDU/CSU — nicht nur für die CSU — gesprochen hat. Er hat tatsächlich so getan, als müsse er hier mit einer Partei konkurrieren, die möglicherweise — hoffentlich nicht — im nächsten Bundestag sitzen wird. Er hat so getan, als müsse er die Wähler und Wählerinnen auf der rechten Seite durch möglichst rechte, rechtsradikale Äußerungen gewinnen.
    Es ist wie so häufig: Wo die Politik im eigenen Land in sozialer und kultureller, d. h. auch in demokratischer Hinsicht einen Scherbenhaufen angerichtet hat, sucht die Regierung die Flucht in die Außenpolitik. Wenn man diese aber von ihren Ergebnissen und weniger von Reiseerzählungen her beurteilt, die hier abgeliefert werden, dann bietet auch das wirklich keinen farbenfrohen Anblick.
    Ich will auf die leidige Debatte unter den Stichworten Handlungsfähigkeit, Bündnisfähigkeit, Europafähigkeit eingehen, die ja nun zum ich weiß nicht wievielten Male in mehreren Reden wieder veranstaltet worden ist. Was haben Sie eigentlich für Begriffe? Was verstehen Sie eigentlich unter diesen Begriffen? Wenn hier die Logik aufgemacht wird, daß der, der bereit ist, sich an Kampfeinsätzen zu beteiligen, handlungsfähig ist, was verstehen Sie dann eigentlich unter Handlung? Welche Handlung planen Sie eigentlich? Immerhin geht es hier um Fragen eines militärischen Einsatzes.
    Wenn Sie weiterhin sagen, wer auf diese Weise handlungsfähig ist, ist auch bündnisfähig, was verstehen Sie dann eigentlich unter einer bündnisartigen Partnerschaftskooperation, unter einem gemeinsamen Agieren verschiedener Staaten in Bündnissen? Was ist das für ein verquerer Begriff, wenn damit wiederum gemeint ist, Bündnisfähigkeit erweise sich dadurch, daß man militärisch überall da mitmacht, wo sich in der Welt Fronten bilden, wo gemeint wird, man müsse intervenieren, wo versucht wird — was ohnehin nicht geht —, Konflikte militärisch zu lösen?
    Dann führen Sie weiter aus: Wer auf diese militärische Art und Weise handlungs- und bündnisfähig ist, ist dann auch europafähig. Das heißt, Sie versuchen



    Andrea Lederer
    auch noch zu suggerieren, die europäische Idee solle sich darüber verwirklichen, daß Sie im Grunde genommen auf militärischer Ebene eine Kooperation bis hin zum Aufbau einer Euroarmee etc. vorantreiben.
    Das entlarvt auch die schönen Worte, die in der Europadebatte vor einigen Wochen vorgeführt worden sind, so daß eigentlich alle hellhörig werden müßten, was in dieser Richtung noch geplant ist.
    Der Verteidigungsminister hat — ich glaube, es war in der vorletzten Haushaltsdebatte — hier schon einmal deutlich dargestellt, wie wunderbar die Annäherung zwischen Ost und West im deutsch-deutschen Verhältnis in einem Leopard-Panzer vonstatten gehe; das sei ein Beispiel dafür, wie im Grunde genommen auch Völkerverständigung betrieben werden könne. Er hat weiter gesagt, daß das ein Beispiel sei, wie auch auf europäischer Ebene eine solche Politik verwirklicht werden kann.
    Wenn das der Kern dessen ist, was Sie unter Europapolitik, unter Bündnispolitik und Handlungsfähigkeit verstehen, kann ich nur sagen: Ich wünschte mir, die Bundesregierung wäre weitaus weniger handlungsfähig, als sie es leider ist; denn sie hat mit all den Militäreinsätzen innerhalb der letzten Monate Fakten geschaffen, die in der Öffentlichkeit im Grunde genommen viel weniger Widerspruch geweckt haben, als es nötig gewesen wäre.
    Ich will noch einmal dieser endlosen Legendenbildung entgegentreten, daß die UNO-Charta und der vorbehaltlose Beitritt zu den Vereinten Nationen automatisch die Verpflichtung eines Mitgliedstaates nach sich zögen, an militärischen Einsätzen teilzunehmen. Sie verkaufen die Bevölkerung wirklich für dumm. Ich muß das so sagen. Sie verschweigen sowohl die rechtlichen Grundlagen, die Gesetzestexte, als auch das, was in der UNO Fakt ist, nämlich daß es diese Verpflichtung so nicht gibt. Sämtliche Mitgliedstaaten können sehr wohl souverän entscheiden, ob sie sich militärisch engagieren oder ob sie dies nicht tun, ob sie sich im Rahmen von Blauhelmaktionen mit Kampfeinsätzen beteiligen oder ob sie ihre wirtschaftliche Potenz dafür einsetzen, auf friedliche Art und Weise Konflikte zu lösen. Genau das verschweigen Sie, weil Sie weiterhin die Stimmung, die Bereitschaft in der Bevölkerung erzeugen wollen, daß Kampfeinsätze gebilligt und mitgetragen werden.
    Ich kann nur sagen: Wir werden alles daransetzen, dies zu entlarven. In der Aktuellen Stunde zu Somalia haben Sie Ihr Vorgehen genauso bewiesen. Nun haben Sie diesen Einsatz in Somalia, der überflüssig war und 500 Millionen DM kostet, zu verantworten. Herr Kinkel hat heute nicht auf Fragen zum Einsatz ziviler Organisationen geantwortet. Die Bundesregierung hatte es abgelehnt, zivile Organisationen mit humanitären Aufgaben zu beauftragen — —

    (Staatsminister Helmut Schäfer: Das stimmt doch gar nicht! Dummes Zeug!)

    — Natürlich stimmt das.
    Wir hatten eine gemeinsame Sitzung im Ausschuß. Ich habe danach gefragt, ob die Bundesregierung die
    Bereitschaft ziviler Organisationen, die Wasserversorgung, den Straßenbau, den Bau von Krankenhäusern, Schulen etc. zu organisieren, erkundet hat. Ich wurde darauf verwiesen, daß 150 Männer vom Technischen Hilfswerk dort hingeschickt werden, und das sei ausreichend. Der Rest müsse unbedingt militärisch, durch die Bundeswehr, erledigt werden. Sie erzählen hier jedesmal wieder, daß die zivilen Organisationen nicht dazu in der Lage seien.
    Der eigentliche Auftrag ist flötengegangen — er hat sowieso nie richtig bestanden —, die Inder sind dort nicht eingetroffen. Das, was dort gemacht wurde, hätte billiger und für die somalische Bevölkerung ohnehin besser durch zivile Organisationen erledigt werden können. Und dann stellen sich Herr Kinkel und Herr Möllemann obendrein in der letzten Debatte hier hin und erklären, der Einsatz sei deshalb ein Erfolg, weil man bewiesen habe, daß Rechte und Pflichten aus der UNO-Charta wahrgenommen werden und man jetzt einen Anspruch auf einen ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat anmelden könne.
    Das heißt also, daß die 1 700 Bundeswehrsoldaten offenkundig zu dem einzigen Zweck nach Somalia geschickt worden sind — und einer erheblichen Gefahr ausgesetzt worden sind —, um vor der Weltöffentlichkeit den Anspruch auf einen Sitz im UNO- Sicherheitsrat deutlich zu machen. Ich halte dies nicht nur für einen akuten Mißbrauch der Bundeswehrsoldaten, die davon betroffen sind, sondern auch für eine akute Verletzung des Anspruchs der Öffentlichkeit auf Aufklärung und Information darüber, was die wahren Absichten und die wahren Ziele der Bundesregierung sind. Was da betrieben wird, ist ganz eindeutig Volksverdummung.
    Ich will noch kurz auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen — Stichwort Wertediskussion. Diese ist inzwischen hier sehr beliebt. Es ist, so glaube ich, kein Zufall, daß diese Diskussion seit der deutschen Einheit ganz massiv stattfindet. Es werden Tugenden neu definiert, angebliches Fehlverhalten disqualifiziert und in einer Weise diskreditiert, daß einem fast schlecht werden kann. Die Rede des Kollegen Glos war dafür wieder ein ganz drastisches Beispiel: Pazifismus ist ein Schimpfwort; Gesamtschulen müssen überwunden werden. In der Diskussion um die innere Sicherheit soll das Stichwort der Deeskalation möglichst kein Begriff mehr sein. Die ganze Debatte um die Rolle der Frauen etc. wird neu entfacht. Die Frauen sollen an Heim und Herd zurückgeschickt werden, was sie sich hoffentlich — ich bin überzeugt, daß es so sein wird — nicht bieten lassen werden.
    Neben den katastrophalen sozialen, wirtschaftlichen, demokratischen Auswirkungen der Regierungspolitik sollen die wenigen, von Kräften der Studenten-, der Friedens-, der Frauen-, der Ökologiebewegung erreichten emanzipatorischen Fortschritte im gesellschaftlichen Bewußtsein mit über den Tisch gehen. Sie wollen das zurückdrehen. Sie wollen im Grunde genommen einen Kurs einschlagen, der nichts dazu beiträgt, nicht nur einen Industriestandort, sondern auch — wie dies Herr Scharping heute sagte — einen Lebensstandort zu entwickeln.



    Andrea Lederer
    Es geht hier um ein ganz bestimmtes Klima, das geschaffen werden soll. Dazu gehört auch, überhaupt auf die Idee zu kommen, einen Mann wie Steffen Heitmann mit seinen Auffassungen als Bundespräsidentschaftskandidaten vorzuschlagen. Es hilft überhaupt nichts, wenn Sie hier noch Bärbel Bohley ins Feld führen, die Herrn Heftmann in Schutz genommen hat. Es ändert nichts daran, daß Kernpunkt der Kritik die geäußerten Auffassungen von Herrn Heitmann sind.
    Wenn Herr Schäuble hier vorhin in der Kurzintervention noch anführt, die Menschen aus dem Osten würden hier im Westen manchmal nicht so richtig verstanden, dann kann ich ihm aus meinen Erfahrungen aus den neuen Bundesländern eines mitteilen. Die Menschen dort haben in einer ganz überwältigenden Mehrheit eines klipp und klar geäußert und äußern es noch: Einen Herrn Heitmann auch noch als Beispiel eines Ostdeutschen als Bundespräsidenten können sie sich nicht vorstellen. Im Gegenteil, sie fühlen sich ein Stück weit beleidigt, daß dieser Vorschlag so gekommen ist.
    Wenn Frau Bohley äußert, wie in der Presse nachzulesen war, Herr Heitmann habe schon ein Problembewußtsein, doch es mangele ihm an der Fähigkeit, es gut herüberzubringen, kann ich nur sagen: Gott sei Dank mangelt es ihm auch noch an dieser Fähigkeit. Denn es wäre noch katastrophaler, wenn diese Auffassungen auch noch gut herübergebracht werden würden. Ich finde auch nicht wie Frau Bohley — Bürgerrechtlerin hin oder her —, daß Herr Heitmann viele richtige Fragen aufgeworfen hat: zu den Aufgaben der Mutter, zum Nationalbewußtsein und zum europäischen Einigungsprozeß. Ich finde, Herr Heftmann hat einen großen Beitrag dazu geleistet, daß eine Renationalisierung in der Europapolitik offen diskutiert werden kann, daß Frauen an Heim und Herd zurückgeschickt werden sollen und daß Ausländerinnen und Ausländer auf ein Klima in diesem Land und auf massive Angriffe treffen, die ihnen das Leben absolut schwer und unerträglich machen.
    Infolgedessen muß in diesem Zusammenhang hier offen über einen solchen Kandidaten diskutiert werden.
    Ich danke.

    (Beifall bei der PDS/Linke Liste)



Rede von Helmuth Becker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Nun hat unser Kollege Gerd Poppe das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Gerd Poppe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte über den Haushalt wird einmal mehr durch erhebliche konzeptionelle Mängel der Politik der Bundesregierung, auch ihrer Außenpolitik, geprägt. Um das zu illustrieren, greife ich zwei in jüngster Vergangenheit häufig strapazierte Begriffe heraus: den Begriff der Stabilität, die gesichert werden müsse, und das Wort von der sogenannten Normalisierung, die auf Grund der deutschen Einheit erreichbar wäre.
    Im Zusammenhang mit der Europäischen Union wurde und wird häufig vom sogenannten Stabilitätsanker gesprochen. Was ist damit gemeint? Offenbar ein Kern reicher westeuropäischer Staaten, die wegen
    ihres politischen und ökonomischen Gewichts in der Lage sind, ihre Besitzstände gegen die unberechenbaren und riskanten Einflüsse anderer Staaten innerhalb und erst recht außerhalb der Union zu schützen. Als Argument dafür wird angeführt, ohne Stabilität gäbe es keine Wachstums- und Währungssicherheit.
    Das Wort von der Stabilität suggeriert, in althergebrachter Weise einen Zustand aufrechterhalten und verteidigen zu können, der längst nicht mehr vorhanden ist. Aber das Beispiel des bereits beerdigten Zeitplans für die Einführung der Währungsunion zeigt, wie illusorisch das ist. Da die selbstgewählten Stabilitätskriterien nicht erfüllt werden, ist alles andere als Selbstgefälligkeit angebracht.
    Kennzeichnend für die heutige Situation ist eher die Instabilität, ein wirtschaftliches Strukturproblem, hinter dem eine Wachstumskrise der westeuropäischen Wohlstandsgesellschaften steht. Diese Krise ist durch untaugliche Versuche verstärkt worden, mittels EG- Protektionismus und Expansion auf dem Weltmarkt die eigene Schwäche zu verbergen. Handelsbarrieren, mehr oder minder offenkundige Preisdiktate und die rücksichtslose Verwüstung der Natur durch Rohstoffraubbau in den Entwicklungsländern haben katastrophale politische und wirtschaftliche Folgen. Statt sie wahrzunehmen und ihre Ursachen durch eine andere Wirtschaftspolitik zu bekämpfen, wird diesen Folgen durch Abschottung der Festung Europa begegnet.
    Nicht nur in den bisher unzureichenden Weichenstellungen für die Europäische Union wird dieser Abschottungsreflex seitens der deutschen und der EG-Politik deutlich. Verstärkt wird er noch durch die drastischen Einschnitte im Asylrecht, die Einschränkung bei der Flüchtlingsaufnahme und die Ablehnung einer geregelten Einwanderung und nicht zuletzt durch den diplomatisch kaschierten Widerstand gegen die zügige Einbindung der mittel- und osteuropäischen Nachbarn in die europäische Integration.
    Allen Argumenten in Richtung einer Renationalisierung oder von Ausstiegsoptionen aus der Europäischen Union ist die gegenseitige Bedingtheit von Vertiefung und Erweiterung entgegenzuhalten. Dies gilt für die politische wie für die wirtschaftliche Ebene und bedeutet, über den formalen Abschluß von Assoziationsverträgen hinaus, auch die schnellstmögliche Öffnung der westlichen Märkte für die ost- und mitteleuropäischen Staaten und deren unverzügliche Einbeziehung in eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Dabei spielt das Verhältnis zu Rußland eine wesentliche Rolle. So wichtig die Beziehungen zu Rußland sind, und so richtig es war, Jelzin gegen die rotbraunen Reaktionäre zu unterstützen — eine Rußland-Politik über die Köpfe der Višegradstaaten hinweg darf es nicht geben.
    Das zweite eingangs erwähnte Stichwort „Normalisierung" unterstellt, nach dem Zweiten Weltkrieg — der mitunter samt seiner Folgen wie eine Art Naturkatastrophe behandelt wird — sei im Westen Deutschlands die übliche Politik nationaler Interessenvertretung nicht mehr möglich gewesen; nun aber, nachdem der Sozialismus verschwunden sei, könne



    Gerd Poppe
    sie wieder aufgenommen werden. Die von der veröffentlichten Meinung kolportierte Diskussion beschränkt sich dann häufig darauf, Varianten zwischen erklärtem nationalem Alleingang und deutscher Dominanz in Europa gegenüberzustellen.
    Nun sollte gerade die deutsche Politik einen auf die Zeit bis 1945 bezogenen Kontinuitätsanspruch ausdrücklich ablehnen. Es gibt keinerlei Anlaß und Rechtfertigung, auf einen Bedeutungszuwachs für die deutsche Nation zu bestehen.
    Noch wird die immer lautstärker geäußerte Auffassung, eine rein nationalstaatlich dominierte Politik sei in Europa wieder möglich und auch wünschenswert, von deutlichen Mehrheiten in den demokratischen Parteien zurückgewiesen. Aber selbst die — vergleichsweise aufgeklärtere — Regierungspolitik ist in weiten Teilen nur eine nationale Politik im europäischen Gewand. Auch sie bedient sich jener provinziellen bis nationalistischen Stimmungen, die in Gestalt von Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhaß daherkommen. Die politische Instrumentalisierung solcher Stimmungen, selbst wenn sie oftmals nur Ausdruck der Verunsicherung über den Zusammenbruch der gewohnten Weltordnung sein mögen, darf nicht hingenommen werden. Sie wird auch nicht dadurch entschuldbar, daß nationalistische Tendenzen europaweit zu registrieren sind.
    Den Ostblock gibt es nicht mehr. Aber auch jener Westen, der sich durch Abgrenzung gegenüber einem klaren Feindbild im Osten definierte, ist damit verschwunden. Nationalstaatliche Regelungen sind aber dadurch keineswegs erfolgsversprechender geworden, wie u. a. das Negativbeispiel der deutschen Asylregelungen zeigt. Ein Kordon sogenannter sicherer Drittstaaten mußte eingerichtet werden, um Flüchtlingsströme aus Krisengebieten abzuwehren. Eine solche Politik der nationalen Abgrenzung ist nicht nur diskriminierend, sondern auch völlig aussichtslos und auf groteske Weise anachronistisch. Noch deutlicher wird das im Falle der fast 10 % der Menschen, denen die staatsbürgerlichen Rechte der Bundesrepublik Deutschland weiter verweigert werden, obwohl sie zum Teil seit Jahrzehnten mit uns zusammenleben.
    Gerade wer den weiteren Zerfall oder das Wegwandern der politischen Mitte verhindern will, muß immer wieder deutlich machen, daß Bürgerrechte aus den Menschenrechten und nicht aus der ethnischen Zugehörigkeit abgeleitet werden.
    Angesichts der nationalistischen Tendenzen in Deutschland und vielen anderen europäischen Staaten muß sich deutsche und europäische Politik vor allem daran messen lassen, inwieweit es gelingt, diese Tendenzen zurückzudrängen.

    (V o r s i t z: Präsidentin Dr. Rita Süssmuth)

    Wir haben den Völkermord in Bosnien ständig vor Augen, und wenn Europa weiter versagt, wird der Versuch, gewaltsam ethnisch homogene Nationalstaaten zu erzwingen, Nachahmer finden.
    Die aktuellen deutsch-französischen Vorschläge für die Durchsetzung humanitärer Hilfe heben sich zwar deutlich von Lord Owens Zynismus ab, der meint, die
    Hilfe für die hungernde und frierende Zivilbevölkerung verlängere den Krieg.
    Ein minimaler Verzicht auf erobertes Gebiet reicht aber für eine auch nur partielle Rücknahme des Embargos gegen Serbien keinesfalls aus. Diese muß auch voraussetzen, daß die ethnischen Säuberungen sofort beendet werden.
    Weiter muß endlich auch der Druck auf Kroatien erhöht werden, um dessen Einfluß auf die bosnischen Kroaten zu nutzen, um endlich die Blockade der Hilfslieferungen zu beenden.
    Daß eine europäische politische Initiative die Reste des multiethnischen, -kulturellen und -religiösen Modells Bosnien-Herzegowina erhalten könnte, ist wohl kaum noch zu hoffen, zumal da nach wie vor mit einem einheitlichen Vorgehen der Europäischen Union nicht zu rechnen ist. Wahrscheinlich wird nur ein weiteres Mal das Versagen vor dem gewalttätigen Nationalismus durch verbale Selbstberuhigung verschleiert.
    Zurück zu den grundsätzlichen Erfordernissen deutscher Außenpolitik. Nicht die Durchsetzung vermeintlicher nationaler Interessen, sondern die Übertragung staatlicher Souveränitätsrechte auf Internationale Institutionen und deren Demokratisierung ist die notwendige Antwort auf die Herausforderungen am Ende des 20. Jahrhunderts. Welche sollten denn diese nationalen Interessen sein? Das der deutschen Atomindustrie an Absatzmärkten in Tschechien oder Bulgarien? Das der Rüstungsindustrie an Exporten in internationale Krisengebiete? Das eines deutschen Vetorechts im Sicherheitsrat gegen Frankreich oder die USA?
    Es ließen sich weitere solcher offensichtlichen Paradoxien aufzählen. Heraus käme insgesamt eine Mischung von „Weiter so" und „Wir sind wieder wer", von Besitzstandswahrung, Großmachtträumen und Abgrenzung, alles andere jedenfalls als ein außenpolitisches Konzept, das den Anforderungen an eine politische Perspektive nach dem Ende des Kalten Krieges und der Erkenntnis von der Begrenztheit ungehemmten Wachstums gerecht werden könnte.
    Scheinbar bestätigt die Entwicklung in Ost- und Südosteuropa auch die Forderung einer sicherheitspolitischen Kontinuität. Dies will die trotz Verlustes ihrer ursprünglichen Legitimation strukturell immer noch unveränderte NATO mit ihrer Suche nach neuen Aufgaben glauben machen.
    Im Falle des Aufnahmewunsches ost- und mitteleuropäischer Staaten bleiben die Aussagen des Westens bisher eher unbestimmt. Meist begnügt er sich mit vagen Versprechungen einer WEU-Assoziierung.
    Politiker aus östlichen Nachbarstaaten — wie beispielsweise gestern der tschechische Außenminister — äußern sich denn auch eher skeptisch über Zustandekommen und Zuverlässigkeit westlicher Sicherheitsgarantien. Einerseits sind die Ängste vor imperialen russischen Ansprüchen noch lange nicht beseitigt, haben durch die neue russische Militärdoktrin sogar neue Nahrung erhalten. Andererseits bleibt auch die Erinnerung an die westliche Appeasementpolitik von 1938 noch lebendig, nicht zuletzt aufgrund



    Gerd Poppe
    der aktuellen britischen und französischen Haltung zum Krieg im ehemaligen Jugoslawien.

    (Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktionslos]: Sehr richtig!)

    Da der Westen mit immer mehr Gremien und Institutionen versucht, Osteuropa in Diskussionsprozesse einzubinden, ohne sich in irgendeiner Weise festzulegen, ist der Wunsch der Višegradstaaten nach baldiger NATO-Zugehörigkeit nur allzu verständlich. Das aber genügt nicht, so berechtigt die Sicherheitsinteressen dieser Staaten sind. Eine bloße Osterweiterung der alten NATO hilft lediglich, die historischen Konfrontationsstrukturen in Europa festzuschreiben.
    Europäische Sicherheitspolitik darf keine Politik ohne oder gar gegen Rußland sein. Sie darf aber auch keine Politik ohne die USA werden. Nicht eine Großmacht Westeuropa mit der WEU als militärischem Arm darf das Ziel sein, sondern es muß die Schaffung neuer gesamteuropäischer Strukturen mit zivilen Konfliktlösungsmechanismen in enger Zusammenarbeit mit den USA und mit Rußland sein. Statt um wie auch immer geographisch definierte Militärbündnisse muß es um kollektive Sicherheitssysteme gehen.
    Statt sich hinter der WEU zu verschanzen, sollte Westeuropa die mangels Verbindlichkeit immer noch ohnmächtige KSZE als nach wie vor einzige gesamteuropäische Institution stärken.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    In einem solchen Rahmen könnte möglicherweise die Zukunft einer zum gesamteuropäischen Sicherheitssystem reformierten NATO liegen.
    Jenseits solcher, zugegeben, diskussionsbedürftigen Perspektiven können aber kurzfristig wichtige außenpolitische Akzente gesetzt werden. Zum Beispiel sollte sich die Bundesregierung für ein völkerrechtlich verbindliches weltweites Verbot aller ABC- Waffen und für ihre komplette Vernichtung unter UNO-Aufsicht einsetzen. Es ist wenig überzeugend, wenn die Ukraine kritisiert wird, andere Staaten aber sogar Atomwaffenversuche wiederaufnehmen.
    Ein positives Signal deutscher Außenpolitik wäre auch der Einsatz für eine Demokratisierung und Aufwertung der UNO im Rahmen ihrer Reform. Gleichberechtigung muß sich nicht in dem Anspruch auf Teilnahme an überholten Strukturen wie der des gegenwärtigen Sicherheitsrates ausdrücken.
    Ein Beitrag zur Friedenssicherung und -erhaltung wäre schließlich nicht etwa die Erleichterung von Rüstungsexporten, wie es der Kollege Lamers gefordert hat, sondern ihre Einschränkung mit dem Ziel ihres Verbots sowie die Förderung von Projekten zur Rüstungskonversion in Deutschland, aber auch in Osteuropa.

    (Zuruf von der F.D.P.: Hört sich gut an, ist aber Unsinn!)

    Neben supranationaler Integration und ziviler Konfliktschlichtung ist eine dritte Säule zeitgemäßer Außenpolitik deren Orientierung an den Menschenrechten. Der Schutz von Menschen- und Minderheitenrechten muß endlich ein Schwerpunkt deutscher Außenpolitik werden.
    Das Beispiel des Verhältnisses der Bundesrepublik zu China belegt die anhaltende Notwendigkeit dieser Forderung. Vor wenigen Tagen diktierte der amerikanische Präsident der chinesischen Regierung erfolgreich die an der Beachtung der Menschenrechte orientierten Bedingungen für die Beibehaltung der Meistbegünstigungsklausel für den chinesisch-amerikanischen Handel im Rahmen der asiatisch-pazifischen Wirtschaftskooperation. Fast gleichzeitig aber diktieren die chinesischen Gastgeber dem deutschen Bundeskanzler die Bedingungen für die meistbegünstigte Öffnung des chinesischen Marktes für deutsche Waren.
    Übrig bleiben bedingungslose deutsche Milliardenofferten und die verschämte Überreichung einer Liste mit 20 verurteilten Dissidenten an den Schlächter vom Tienanmen-Platz. Höflich, aber auch resigniert bezeichnete gestern der Außenminister der tibetischen Exilregierung das Einknicken der Bundesregierung als kontraproduktiv für die versprochene Unterstützung bei der Bewahrung der tibetischen Identität.
    Meine Damen und Herren, wirtschaftliche oder Bündnisinteressen dürfen nicht dem Schutz der Menschenrechte übergeordnet werden. Diese sind ebensowenig ein konjunkturabhängiger Luxus wie die Erhaltung der Umwelt. Nationale Beschränktheit bietet auf Dauer weder in Deutschland noch woanders eine Garantie für Stabilität und Frieden.

    (Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktionslos]: Das will doch gar keiner!)

    Ich danke für die Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)