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    Plenarprotokoll 12/192 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 192. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 Inhalt: Bestimmung des Abgeordneten Rolf Schwanitz als ordentliches Mitglied im Vermittlungsausschuß 16531 A Tagesordnungspunkt I: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1994 (Haushaltsgesetz 1994) (Drucksachen 12/5500, 12/5870) Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt (Drucksachen 12/6004, 12/6030) in Verbindung mit Einzelplan 05 Auswärtiges Amt (Drucksachen 12/ 6005, 12/6030) in Verbindung mit Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung (Drucksachen 12/6014, 12/6030) in Verbindung mit Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte (Drucksachen 12/6027, 12/ 6030) Hans-Ulrich Klose SPD . . . . 16531D, 16592A Michael Glos CDU/CSU 16537A Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. 16544 C Hans-Ulrich Klose SPD 16544 D Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . . 16551A Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16554 B Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 16557 A Rudolf Scharping, Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz 16566 C Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . 16576B Michael Glos CDU/CSU 16577 B Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. 16578 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 16578D Dr. Jürgen Schmude SPD 16580 C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 16587 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU (zur GO) 16595 B Dietrich Austermann CDU/CSU 16595 C Ortwin Lowack fraktionslos 16598 D Andrea Lederer PDS/Linke Liste . . . 16600 C Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16603B Ernst Waltemathe SPD 16605 D Udo Haschke (Jena) CDU/CSU 16608 A Ingrid Matthäus-Maier SPD 16608 C Dr. Rudolf Krause (Bonese) fraktionslos 16609A Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 16610 D Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16612B Friedrich Bohl, Bundesminister BK . . 16613 D Dr. Hans Stercken CDU/CSU 16614B Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16615A II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD . . . . 16616D, 16630 B Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 16618A Hans-Gerd Strube CDU/CSU 16622 A Dr. Hans Modrow PDS/Linke Liste . . 16623D Carl-Ludwig Thiele F.D.P. . . 16626A, 16630 C Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD . . . 16627 B Ingrid Matthäus-Maier SPD 16628 A Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 16630D Walter Kolbow SPD 16633 C Paul Breuer CDU/CSU 16636 B Dr. Karl-Heinz Klejdzinski SPD . . . 16637 B Präsidentin Dr. Rita Süssmuth 16554 A Namentliche Abstimmung 16638 C Ergebnis 16644 D Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Drucksachen 12/6021, 12/6030) Helmut Esters SPD 16639 B Christian Neuling CDU/CSU 16641D Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . . 16646 D Werner Zywietz F D P 16647 D Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16649 C Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 16650 C Einzelplan 06 Bundesministerium des Innern (Drucksachen 12/6006, 12/6030) in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung (Drucksache 12/6026) in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung (Drucksachen 12/ 6028, 12/6030) Rudolf Purps SPD 16652 D Karl Deres CDU/CSU 16656 C Ina Albowitz F.D.P. 16659 A Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 16661 B Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16662 D Günter Graf SPD 16664 B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 16665 D Erwin Marschewski CDU/CSU 16666 D Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 16668D Freimut Duve SPD 16670A Karl Deres CDU/CSU 16670 C Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . 16671A Klaus Lohmann (Witten) SPD 16672 C Manfred Kanther, Bundesminister BMI 16673 B Nächste Sitzung 16675 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 16677' A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 12: Einzelplan 05 — Auswärtiges Amt Dr. Klaus Rose CDU/CSU 16633' C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 13: Einzelplan 14 — Bundesministerium der Verteidigung Hans-Werner Müller (Wadern) CDU/CSU 16679' A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 16531 192. Sitzung Bonn, den 24. November 1993 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Augustin, Anneliese CDU/CSU 24. 11. 93 Blunck (Uetersen), SPD 24. 11. 93 * Lieselott Böhm (Melsungen), CDU/CSU 24. 11. 93 * Wilfried Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 24. 11. 93 Clemens, Joachim CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 24. 11. 93 Herta Ehrbar, Udo CDU/CSU 24. 11. 93 Ganschow, Jörg F.D.P. 24. 11. 93 Gleicke, Iris SPD 24. 11. 93 Dr. Göhner, Reinhard CDU/CSU 24. 11. 93 Großmann, Achim SPD 24. 11. 93 Dr. Herr, Norbert CDU/CSU 24. 11. 93 Heyenn, Günther SPD 24. 11. 93 Hiller (Lübeck), Reinhold SPD 24. 11. 93 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 24. 11. 93 Jung (Düsseldorf), Volker SPD 24. 11. 93 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 24. 11. 93 Kiechle, Ignaz CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. Kolb, Heinrich L. F.D.P. 24. 11. 93 Kraus, Rudolf CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. Krause (Börgerende), CDU/CSU 24. 11. 93 Günther Kretkowski, Volkmar SPD 24. 11. 93 Kronberg, Heinz-Jürgen CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. Matterne, Dietmar SPD 24. 11. 93 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 24. 11. 93 ** Dr. Ortleb, Rainer F.D.P. 24. 11. 93 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 24. 11. 93 * Rappe (Hildesheim), SPD 24. 11. 93 Hermann Dr. Röhl, Klaus F.D.P. 24. 11. 93 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 24. 11. 93 Ingrid Dr. Ruck, Christian CDU/CSU 24. 11. 93 Schartz (Trier), Günther CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. Scheer, Hermann SPD 24. 11. 93 * Schmidt (Salzgitter), SPD 24. 11. 93 Wilhelm Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 24. 11. 93 Schröter, Karl-Heinz SPD 24. 11. 93 Schwanhold, Ernst SPD 24. 11. 93 Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 24. 11. 93 Christian Dr. Soell, Hartmut SPD 24. 11. 93** Spilker, Karl-Heinz CDU/CSU 24. 11. 93 Dr. von Teichman, F.D.P. 24. 11. 93 Cornelia Vosen, Josef SPD 24. 11. 93 Wohlleben, Verena SPD 24. 11. 93 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Wollenberger, Vera BÜNDNIS 24. 11. 93 90/DIE GRÜNEN Zierer, Benno CDU/CSU 24. 11. 93* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 12: Einzelplan 05 Auswärtiges Amt Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Mit besonders gemischten Gefühlen stehe ich jetzt am Rednerpult. Denn während wir hier im Warmen und in Sicherheit hehre Außenpolitik formulieren, frieren und sterben weitere Hunderte und Tausende von Menschen in Bosnien. Die Welt schaut zu, Europa schaut zu, Deutschland schaut zu. Eine erfolgversprechende außenpolitische Initiative gibt es nicht. Klaus Bressers Anklage vorgestern abend im deutschen Fernsehen ist zweifellos berechtigt. Seine Schlußfolgerungen einer einzigen Lösung, nämlich eines militärischen Einsatzes, versteht jeder, man schreckt aber davor zurück. In einem neuen Buch von Hans-Peter Schwartz wird der fehlende Mut, der fehlende Wille der Deutschen zur Machtpolitik moniert. Deutschland sei zwar schon lange ein wirtschaftlicher Riese mit automatischer Macht. Aber mit der Rolle des politischen Zwergs müsse es ein Ende haben. Weltmacht wider Willen könne man auf Dauer nicht sein, der politische Gestaltungswille müsse dazukommen. Ich höre jetzt natürlich den Aufschrei, daß die Deutschen wieder von einer großen Rolle in der Weltpolitik träumten. Nein, darum geht es nicht, zumindest nicht um eine Alleinträumerei der Deutschen. In der Weltgemeinschaft, in der Europäischen Gemeinschaft und in manchen internationalen Gremien muß Deutschland seiner Bedeutung gerecht werden. Diese Bedeutung ist nach der Wiedervereinigung naturgemäß anders als früher. Diese Neubewertung deutscher Außenpolitik, diese Umorientierung muß jetzt endlich in der Praxis geschafft werden. Deutschland muß sich sowieso darüber klar werden, daß die Welt sich weiterdreht und daß wir sehr schnell vom Rad geschleudert werden können. Bei der Einbringungsrede des Haushalts im September 1993 habe ich die Bedeutung einer deutschen Asienpolitik herausgestrichen. Ich freue mich deshalb über den Erfolg der Kanzlerreise nach China. Über eines darf der Blick nach Asien nicht hinwegtäuschen: Europa ist in großer Gefahr. Die Gefahr wird beim Blick auf die asiatische Weltkarte deutlich. Dort ist nämlich der Pazifikraum im Mittelpunkt und 16678* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 Europa Randlage, wie wir es von Alaska oder von der Kamtschatka gewöhnt sind. Genau hier setzt das Problem ein. Haben nicht vor wenigen Tagen der amerikanische Präsident und verschiedene asiatische Regierungschefs die Zukunftsrichtung der amerikanisch-pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) gewiesen? Hat nicht mit der NAFTA der nordamerikanische Wirtschaftsverbund den Wettbewerb mit der EG beschworen? Hat nicht der amerikanische Außenminister Warren Christopher gestern im ZDF-Morgenmagazin bei der Formulierung der amerikanischen Prioritäten die Stärkung der NATO erst an dritter Stelle genannt? Wir müssen erkennen, daß Europa aufpassen muß, damit es nicht wirtschaftlich, militärisch und finanziell zu einem unbedeutenden Markt wird. Mit der neuen Versuchung von Kleinstaaterei ist uns allen nicht gedient. Unverzichtbar ist für die EG und besonders für die Deutschen die Gewinnung der osteuropäischen Völker für Demokratie und Marktwirtschaft. Deshalb hatte der Haushaltsausschuß die Idee der Bundesregierung sehr begrüßt, mit der deutschen Beratungshilfe zum Aufschwung beizutragen. Über verschiedene Einzelpläne verteilt werden nächstes Jahr rund 300 Millionen DM eingesetzt. Es gibt am Ziel keinen Zweifel, denn der Aufbau von Forstverwaltungen, von Sparkassen oder von Konversionsprojekten bei früheren Rüstungsbetrieben kann nur unterstützt werden. Es wäre aber falsch, wenn wir am gleichen Weg wie bisher festhalten würden, nämlich alle Mittel an die Zentralregierungen zu geben. Es ist eine Tatsache, daß z. B. die russische Wirtschaft nur dann umgestaltet werden kann, wenn man das Potential der Regionen zur Wirkung bringt. Ich rede nicht einer politischen Dezentralisierung oder Destabilisierung das Wort. Denn ein weiterer Zerfall unter Krach und Donner ist nicht erstrebenswert. Eine einheitliche Rubelzone, eine Art Länderfinanzausgleich wären das Ziel. Doch so viel Demokratie als möglich, so viel föderative Strukturen als machbar sollten von uns herauskristallisiert werden. Mich als überzeugten Europäer, treuen Deutschen und begeisterten Föderalisten freut es jedenfalls, daß jetzt auch in der Republik Südafrika der deutschen Verfassung ähnliche Strukturen eingeführt werden. Die GUS, aber auch die Einzelnachfolger der Sowjetunion sollten auf jeden Fall, so sie es wünschen, beim Aufbau nicht bloß von demokratischen und marktwirtschaftlichen, sondern auch von föderativen Strukturen unterstützt werden. Im Rahmen des auswärtigen Etats muß ein weiteres Thema angesprochen werden. Es geht um die Hilfe in Katastrophenfällen, bei Not und Flüchtlingselend, bei Bürgerkriegen, die wir trotz eigener Haushaltsprobleme nicht vergessen dürfen. Ich erkenne in diesem Zusammenhang gerne die engagierte Leistung des Arbeitsstabs „Humanitäre Hilfe" im Auswärtigen Amt an. Mit der Soforthilfe, d. h. mit medizinischer Betreuung, Übergabe von Nahrungsmitteln und Kleidung, Herstellung von Notunterkünften oder Wiederherstellung von Strom-, Wasser-, Gasleitungen oder von Straßen und Brücken, wird viel Gutes geleistet, mit Sonderhilfen wird viel außenpolitischer Goodwill offenbart. 1993 sind bisher nahezu 500 Millionen DM für die humanitäre Hilfe eingesetzt worden, nicht bloß im Haushalt des Auswärtigen Amts, sondern auch beim BMZ, beim Innenminister oder beim Verteidigungsminister. Dazu kommen die internationalen Beiträge. Beliebig ausweiten läßt sich der vom Steuerzahler finanzierte Anteil an den Hilfsmaßnahmen aber auch nicht. Dankbar registrieren wir daher die Spendenbereitschaft der Deut-. schen insgesamt. Wir registrieren die wie Pilze aus dem Boden geschossenen privaten Unterstützungsorganisationen für die Not in Rußland, in Rumänien oder in Bosnien. Wir registrieren die selbstlose Einsatzfreude vieler Menschen in Deutschland, wenn es um spontane Hilfsmaßnahmen geht. Da wird viel gutgemacht, was durch andere Deutsche, ob glatzköpfige Schläger oder hohlköpfige Schreibtischtäter, an Schande über Deutschland gebracht wird. Wegen der Sperren im Haushaltsgesetz und der Globalkürzung um 5 Milliarden DM, die anteilsmäßig auch den Etat des Auswärtigen Amts betreffen und insgesamt 134 Millionen DM ausmachen könnten, steht die Auswärtige Kulturpolitik noch mehr als früher im Mittelpunkt des Interesses. Im gewünschten Ziel sind wir uns alle einig, nämlich möglichst viel und möglichst effektiv, möglichst überall und möglichst ständig kulturell präsent zu sein. Es sind, das hat der ehemalige Präsident des Goethe-Instituts, Hans Heigert, anerkannt, viele Milliarden DM in die bisherigen Kulturverbindungen mit dem Ausland gesteckt worden. Keinem fällt es leicht, wegen des allgemeinen Sparzwangs bei diesen Kulturbeziehungen Abstriche zu machen. Es war immerhin der Bundeskanzler selbst, der mehrmals betonte, daß die deutsche Sprache im Ausland noch stärker gefördert werden sollte und daß mit einem Sonderprogramm „Deutsche Sprache" besonders in Osteuropa zum Aufbau friedlicher Beziehungen beigetragen würde. Der Haushaltsausschuß jedenfalls hat diese Haltung respektiert und versucht zu helfen, wo zu helfen war — ohne deshalb die Arbeitslosenunterstützung im eigenen Land oder manch unverzichtbare Investition in den neuen Bundesländern zu gefährden. Von einer besonderen „Kultur" zeugt daher nicht, wenn die Verantwortlichen des Goethe-Instituts in München bei einer Pressekonferenz im Oktober dieses Jahres wieder einmal glaubten, von einer „Strafexpedition der Anti-Kultur-Politiker in Bonn" reden zu müssen, weil auch das GoetheInstitut einen Sparbeitrag zur allgemeinen Haushaltslage bringen muß. Am meisten wurde beklagt, daß vier Institute geschlossen werden müßten und daß damit erheblicher außenpolitischer Schaden einträte. Wollen Sie die Namen dieser vier Institute hören? Es handelt sich um Viña del Mar (Chile), Medellin (Kolumbien), San Juan (Argentinien) und Malmö (Schweden). Zumindest bei unseren schwedischen Freunden habe ich bisher keinen Liebesentzug feststellen müssen, dafür freuen sich aber die Städte, die bisher in der sozialistischen Abgeschiedenheit festgenagelt waren, wie St. Petersburg, Kiew, Minsk oder Tiflis, auch Alma Ata und Hanoi, daß ein neues Goethe-Institut dort hinkommt. Sollte etwa ein Sparzwang gar ein Anreiz zu neuem Denken sein? Ich kann nur ermuntern, auch stärker den europäischen Verbund zu sehen. Gemeinsame deutsch-französi- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 16679* sche Botschaften oder auch Kulturinstitute oder zumindest ein gemeinsames Dach dafür könnte so manchen Anstoß zu mehr Effektivität auch in der Kulturpolitik geben. Man ist noch lange kein KulturMuffel, wenn man sich Gedanken über das Aufbrechen verkrusteter Strukturen macht. Heilsam ist letzteres im gesamten staatlichen Haushalt. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 13 Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung Hans-Werner Müller (Wadern) (CDU/CSU): Unsere Soldaten sind aus Kambodscha zurückgekehrt. Unsere Soldaten leisten humanitäre Hilfe in Somalia. Es sind besonders viele aus den Standorten meiner saarländischen Heimat dabei. Unsere Soldaten versorgen Teile der bosnischen Bevölkerung aus der Luft. Unsere Soldaten erfüllen diese Aufträge mit hohem Verantwortungsbewußtsein und vorbildlicher Haltung. Sie dienen dem Ansehen unseres Landes, dafür gebührt ihnen unser Dank. Unsere Soldaten können dies leisten, weil wir eine einsatzbereite, modern ausgestattete und bündnisfähige Bundeswehr haben, und auch weiter haben wollen. Dazu bedarf es erheblicher staatlicher Mittel, die im Einzelplan 14 des hier zu beratenden Haushaltes zur Verfügung gestellt werden. Der 94er Haushalt für die Verteidigung steht im besonderen Maße unter der Notwendigkeit substantieller Einsparungen, weil die Staatsfinanzen insgesamt gesehen zu konsolidieren sind. Konsolidierung der Staatsfinanzen ist erfolgreiche Zukunftssicherung Deutschlands. Dies ist oft genug gesagt worden. Im Wettbewerb um die knappen Ressourcen sind in der Öffentlichkeit gerade die Verteidigungsausgaben besonders zu begründen. Werden doch rund 48 Milliarden ausgegeben, aber immerhin fast 3 Milliarden weniger als 1992. Wir sind, um das gleich vorweg zu sagen, an eine Grenze gestoßen, die wir nicht mehr unterschreiten dürfen, ohne das Ganze zu gefährden. Im vergangenen Jahr wollte die SPD noch 5 Milliarden aus dem Verteidigungshaushalt herausstreichen, heute wird dieser Haushalt anders, wesentlich realistischer beurteilt; man läßt erkennen, durch einige Sprecher zumindestens, daß hier in diesem Einzelplan des Bundesministers der Verteidigung nichts mehr zu holen ist. Ich meine dies ist ein Fortschrittt. Ich will auch sagen, daß in diesem Jahr die Beratungen gerade dieses Haushaltes aus meiner Sicht besonders schwierig waren, im Vergleich zu den früheren Jahren. Ich habe ja die Ehre, schon seit einigen Jahren diesen Haushalt zu bearbeiten. Ich möchte mich an dieser Stelle auch ganz herzlich bei den Beamten des Verteidigungsministeriums für die gute Zusammenarbeit bedanken. Die Beratungen waren aber schwierig, weil es halt immer schwierig ist, die Wünsche, so berechtigt sie auch sind, und die Realität in Einklang zu bringen, wobei wir selbstverständlich den Weg des Ministers unterstützen, der durch energisches Sparen im Bereich der Betriebsausgaben der Bundewehr sich Freiräume zu schaffen sucht für neue Gestaltungsmöglichkeiten und planerische Initiativen. Wir gehen diesen Weg mit, Herr Minister, so wenn wir z. B. ca. 200 Millionen DM Betriebsausgaben sparen und dafür 200 Millionen DM investieren. Es gibt einen militärischen Grundsatz, der da lautet: Entsprechend der Auftragserteilung sind die erforderlichen Mittel bereitzuhalten. Das heißt: Wenn wir über die Auftragserteilung einig sind — und wir sind das in der Union —, dann gilt dreierlei: Erstens. Wir brauchen eine Bestätigung der Verteidigungsausgaben in den nächsten Jahren, zumindest für den Zeitraum des Finanzplanes, also bis 1997. Damit gibt man der Bundeswehr den Planungsrahmen und die erforderliche Planungssicherheit. Zweitens. Der Haushalt für 1994 für den Bundesminister der Verteidigung ist in dieser Größenordnung von etwas über 48 Milliarden DM ein Schritt in diese Richtung. Drittens. Der Haushalt des Bundesministeriums der Verteidigung muß nach entsprechender Umschichtung wiederum etwa 30 Prozent für Investitionen enthalten. Wir werden bald die Stärke von 370 000 Soldaten erreicht haben. Man spricht von Zielstrukturen. Wir hatten einmal in der alten Bundesrepublik 490 000 Soldaten. Trotz der zurückgehenden Zahl sollten wir an der Wehrpflicht festhalten. Die Bundeswehr hat damit einen ständigen Kontakt mit der jungen Generation, einen Kontakt, der prägt. Nahezu die Hälfte der Zeit- und Berufssoldaten rekrutiert sich aus den Teilnehmern am Wehrdienst. Damit bleibt die Bundeswehr ein attraktiver Arbeitgeber mit dem Angebot einer jährlichen Einstellung von rund 20 000 Soldaten auf die Zeit von 4 Jahren und länger. Im nächsten Jahr werden wir die Zielstruktur von 370 000 planmäßig erreichen. Dies gilt sowohl für Umfang als auch für Qualität. Die Laufbahnentwicklung ist damit auch von besonderer Bedeutung. Attraktivität des Soldatenberufes ist nämlich sehr wichtig. So haben wir in diesem Haushalt auch rund 3 000 Hebungen für Oberfeldwebel und 1 000 Hebungen für Stabsunteroffiziere vorgesehen. Die Beförderungswartezeiten für Zeitsoldaten werden radikal reduziert. Wir denken, daß auch dies in der Öffentlichkeit allgemein und bei den betroffenen Jugendlichen zu einer größeren Akzeptanz des Dienstes in den Streitkräften geführt hat. Deswegen gehen die Quoten der Wehrdienstverweigerung auch zurück, obwohl von einer Trendwende noch nicht gesprochen werden kann. Auch beim Zivilpersonal bauen wir im nächsten Jahr mehr als 8 500 Stellen ab. Dies geschieht ausschließlich durch Fluktuation des Personals. Kein Mitarbeiter wird entlassen. Die Sozialverträglichkeit 16680* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1993 kann durch Anwendung des Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetzes voll gewährleistet werden. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal die Bitte vortragen, daß das Verteidigungsministerium alsbald ein Personalstrukturmodell für die zivilen Bediensteten der Bundeswehr vorlegt, damit die Organisation nach neuen betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen gestaltet werden kann. Mit diesen wenigen Sätzen wollte ich darstellen, was wir u. a. mit diesen 48 Millionen DM im Bereich unserer Verteidigung machen. Ich möchte abschließend darauf hinweisen, daß die Größe, die Struktur und der Auftrag sowie das Selbstverständnis der Bundeswehr hier nicht nur allein etwas mit Geld zu tun haben, sondern daß es auch um eine politische Grundeinstellung geht. Karl Feldmeier hat vor einigen Tagen in der FAZ einen Artikel geschrieben mit der Überschrift „Wozu dient die Bundeswehr?" Er führt dort aus: „Maßgebend wird letzten Endes die Entscheidung darüber sein, ob Politik und Gesellschaft Deutschlands die veränderte Wirklichkeit annehmen und ob sie den Willen zur Selbstbehauptung aufbringen. Es geht darum, ob Deutschland eine gleichberechtigte Macht im Kreise seiner Verbündeten sein oder zum Objekt der Macht anderer werden soll. Ohne den Willen zur Selbstbehauptung wären Streitkräfte überflüssig." Soweit dieses Zitat. Wir, die wir uns mit diesem Haushalt intensiv befaßt haben, sind davon überzeugt, daß wir mit unseren Entscheidungen der Bundeswehr einen wesentlichen Beitrag zur Erfüllung ihrer vielseitigen Aufgaben geliefert haben.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Klaus-Dieter Feige


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung dokumentiert mit dem Bundeshaushalt 1994 und den Spargesetzen mehr denn je das Scheitern ihrer Wirtschafts-, Sozial-und Finanzpolitik. Am Ende der Ära Kohl sind in Deutschland knapp vier Millionen Menschen ohne Arbeit, und fast zwei Millionen Menschen befinden sich in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen.
    Drei Jahre nach der deutschen Vereinigung rächt es sich bitter, daß diese Regierung wider besseres Wissen optimistische Durchhalteparolen ausgegeben hat. Die Politik der Bundesregierung ist so im Ergebnis der permanenten Selbsttäuschung ein einziger Scherbenhaufen.
    Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich heute in einer dreifaltigen Krise:
    Erstens. Die ostdeutsche Wirtschaft durchläuft in nahezu allen Bereichen des Lebens eine umfassende Transformationskrise. Die Wirtschaft Ostdeutschlands wurde vom brutalen Anpassungsschock der Währungsreform im Kern getroffen. Die Industrie ist nahezu vollständig zusammengebrochen.
    Zweitens. Es gibt auch im vierten Jahr nach der Vereinigung nicht den einen Wirtschaftsstandort Deutschland, sondern deren zwei; einen westlichen, dessen strukturelle Defizite jetzt ans Tageslicht kommen, und einen östlichen, der sich trotz mancher
    positiver Entwicklung weiterhin im industriellen Niedergang befindet.

    ( V o r sitz: Vizepräsidentin Renate Schmidt)

    Drittens. Von vielen noch nicht wahrgenommen, weil eben von den beiden zuerst genannten überlagert, entfaltet sich die ökologische Strukturkrise. Diese wird langfristig gesehen noch weit dramatischer und bedrohlicher für die Wirtschaft und Gesellschaft werden, als es die beiden anderen gegenwärtig schon sind. Hier ist das Versagen der Bundesregierung am eklatantesten. Nach wie vor ist die Wirtschaft in Deutschland ökologisch falsch gepolt. Noch immer beruht sie auf Ressourcenverschwendung und Energievergeudung. Nach wie vor wird Raubbau an der Zukunft betrieben.
    Die Probleme dieses Landes bündeln sich in der Tatsache, daß die Wirtschaft und die Bundesregierung den wichtigsten Produktionsfaktor, den wir haben, nämlich die Schaffenskraft und den Ideenreichtum von Millionen Menschen, brachliegen lassen. Die Massenarbeitslosigkeit ist daher nicht nur eine soziale Tragödie, sie ist zugleich eine ungeheure Verschwendung einer für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres Landes entscheidenden Ressource.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was haben Sie schon geleistet?)

    Was aber hat die Bundesregierung anzubieten, um den wirklichen Problemen des Standortes Deutschland zu begegnen? Damit fangen wir an. Nichts außer vergebenen Chancen, dazu frisierte Prognosen und untaugliche Rezepte. Würde man den Vorschlägen der Bundesregierung folgen, dann hieße deren sogenannte Lösung der Probleme: Sozial- und Umweltschutzabbau, Deregulierung, Privatisierung um jeden Preis und Abbau der demokratischen Rechte. Damit hilft die Bundesregierung den Millionen Arbeitslosen nicht weiter. Sie hilft auf Dauer aber auch nicht der Wirtschaft in diesem Lande. Denn diese profitiert auf längere Sicht doch gerade von den vergleichsweise hohen Sozial- und Umweltstandards in Deutschland.
    Ohne verbindliche Rahmensetzung, ohne Unterstützung des Staates werden die Unternehmen weder den ökologischen Umbau bewältigen noch die Erhaltung bestehender und die Schaffung neuer Arbeitsplätze erreichen.
    Die Sozialpolitik ist zu einem defizitären Krisenmanagement verkommen. Die elf Jahre Kohl-Regierung entsprechen elf Jahren forcierten Sozialabbaus. Die Bundesregierung gefährdet die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme in unverantwortlicher Weise.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was tun Sie denn?)

    Der Wirtschaftsminister z. B. verunsichert durch seine inkompetenten Äußerungen zur Krise der gesetzlichen Rentenversicherung die Wirtschaft und die Bevölkerung. Gleichzeitig bedient sich die Bundesregierung in schamloser Manier hinter dem Rükken der Öffentlichkeit aus den Sozialkassen. Seit der deutschen Vereinigung benutzt diese Regierung die



    Dr. Klaus-Dieter Feige
    Sozialkassen für die versicherungsfremde Finanzierung der deutschen Einheit. Für die Rentenversicherung bedeutet dies einen Verlust von über 10 Milliarden DM, während in der Arbeitslosenversicherung bis Ende dieses Jahres gar 55 Milliarden DM zweckentfremdet sein werden.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wohin kommt denn das Geld?)

    Das ist die Realität.
    Hier offenbart sich die ganze Hinterhältigkeit und Verantwortungslosigkeit dieser Regierung. Denn ausgerechnet die Wortführer dieser unsäglichen, völlig auf die Lohnnebenkosten verengten Standortdebatte haben durch ihre dreiste Selbstbedienung diese Lohnnebenkosten erst in die Höhe getrieben. Anderenfalls wäre der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung in diesem Jahr niedriger ausgefallen. Ohne die Plünderung der Sozialkassen wäre auch die Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge um 1,7 % zum 1. Januar 1994 vermeidbar gewesen.
    Die drastischen Einschnitte in das soziale Netz führen andererseits auch nicht zu einer höheren Verteilungsgerechtigkeit. Mit seinen Äußerungen zum „kollektiven Freizeitpark" schürt der Bundeskanzler dagegen sogar gezielt Ressentiments gegen Erwerbslose und Sozialleistungsempfänger. Diese Gesellschaft ist aber alles andere als ein „kollektiver Freizeitpark". Herr Solms, Sie haben vorhin nur die Adresse verwechselt. Die Führungsriege der konservativ-liberalen Koalition hat sich ihrerseits dagegen eher in einer Art „Jurassic Park" eingerichtet: viel Panzer, wenig Gehirn und mangels Reproduktionsfähigkeit zum Abtreten verurteilt.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

    Diese fossile Bundesregierung hat nun angekündigt, Mißbräuche im Steuer- und Sozialsystem entschieden bekämpfen zu wollen. Wo wird da angesetzt? Wieder bei den Arbeitslosen und den Empfängem von Sozialleistungen, anstatt gegen die Steuerkriminalität Zeichen zu setzen. Die so zu erwartenden Mehreinnahmen stehen in keinem Verhältnis zu den tatsächlich durch kriminellen Mißbrauch ausfallenden Steuern. Was sind die prognostizierten Einnahmen in Höhe von 1,4 Milliarden DM 1994 im Verhältnis zu geschätzten dreistelligen Milliardenbeträgen, die dem Staat durch kriminelle Steuerhinterziehung verlorengehen? Da muß man ansetzen.
    Bezeichnend für diese Regierung ist so auch, daß sie bei der Zinsbesteuerung das Steuergeheimnis und den Datenschutz hochhält, während sie bei der Bekämpfung des Leistungsmißbrauchs bei der Sozialhilfe keine Bedenken gegen die Weitergabe personenbezogener Daten hat — ganz im Gegenteil.
    Damit wären wir schon beim Thema Menschenrechtspolitik. Auch hier klafft in vielen Bereichen ein Widerspruch zwischen den Koalitionssonntagsreden und dem praktischen Handeln. Dies gilt insbesondere für die Verteidigung der Menschenrechte an sich. Für diese Bundesregierung ist die Verletzung von Menschenrechten, sei es im früheren Jugoslawien oder in China, nichts anderes als eine taktische Verschiebemasse. Da wird der weltweite Einsatz deutscher Soldaten unter UNO-Flagge vorangetrieben — zum Schutz der Menschenrechte, versteht sich —, und während die Bundeswehr in Somalia den Nachschub für drei indische Soldaten sicherstellt — auf Kosten der Steuerzahler natürlich —, reist der Bundeskanzler nach China, um Geschäfte zu machen. Milliardenaufträge aus der Volksrepublik, und schon wird das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens verdrängt und vergessen. Einer der Hauptverantwortlichen wird statt dessen auf einen Gegenbesuch eingeladen. Makaberer geht es fast nicht. Die Übergabe einer Liste mit den Namen von 20 politischen Gefangenen an die chinesische Führung bekommt den faden Beigeschmack einer öffentlichkeitswirksamen Pflichtübung.
    China ist sicher einer der großen Zukunftsmärkte, auch für die deutsche Wirtschaft. Gute Beziehungen der deutschen Wirtschaft zu China können zur Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland beitragen. Ist es da aber wirklich zuviel verlangt, trotzdem laut und deutlich den Schutz der Menschenrechte in China einzufordern?

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Ob Außen- oder Innenpolitik, was vorherrscht, ist Beliebigkeit und Herumdoktern an Symptomen. Nehmen wir die Kriminalitätsbekämpfung. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land haben Angst vor einer Zunahme von Gewaltdelikten. Die Bundesregierung lassen diese Ängste aber weitgehend kalt. Anstatt nämlich die Ursachen wie z. B. die steigende Arbeitslosigkeit, eine verfehlte Jugend- und Familienpolitik und eine falsche Ausländer- und Drogenpolitik zu bekämpfen, werden ganz einfach demokratische Rechte abgebaut. Jüngster Tiefpunkt: der sogenannte große Lauschangriff. In dieser Debatte schimmert kaum noch durch, daß die Argumente der Befürworter von elektronischen Wanzen mehr als schwach sind. Die rechtlichen und politischen Folgen für unser Gemeinwesen werden noch nicht einmal im Ansatz, nicht einmal heute in der Debatte, problematisiert. Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung soll für viele Menschen nicht mehr gelten. Die Unschuldsvermutung wird abgeschafft. Die Befürworter des großen Lauschangriffs ignorieren schlicht und ergreifend, welche Erfahrungen wir mit zwei Schnüffelsystemen in diesem Jahrhundert in Deutschland sammeln mußten.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Wir halten diese Mittel weder zur Bekämpfung neuer Kriminalitätsformen für effektiv, noch sind sie geeignet, den Schutzinteressen der Bevölkerung und der Bekämpfung der Alltagskriminalität gerecht zu werden.
    Aber wohin geht nun die Sozialdemokratie unseres Landes? Es ist doch kein Zufall, daß die Sozialdemokraten auf ihrem Parteitag dem großen Lauschangriff zugestimmt haben. Dies war nach den Koalitionsverhandlungen von Hamburg ein weiterer Hinweis auf den künftigen Weg der SPD. Oder, wie vergangene Woche in der „taz" zu lesen war: „Mit Scharping kehrt Schmidt an die Spitze der SPD zurück. " Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands läuft den Konserva-



    Dr. Klaus-Dieter Feige
    tiven hinterher und entwickelt sich zusehends zum Schoßhündchen der CDU.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das lassen Sie einmal unsere Sorge sein!)

    Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, das Ziel haben, eine Große Koalition zu bilden, dann sagen Sie das bitte laut und deutlich. Ihr Vorsitzender hat die Chance dazu. Ihre möglichen Wählerinnen und Wähler haben schon vor der Wahl ein Recht darauf, zu erfahren, ob die SPD und, wenn ja, wie die SPD Kohl ablösen möchte.

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Der Wähler löst ihn ab! Wir wollen wählen und nicht manipulieren!)

    Die Bürgerinnen und Bürger wollen wissen, ob die SPD überhaupt noch über innovative Kräfte verfügt und zu einem tatsächlichen Machtwechsel bereit ist. Die Wählerinnen und Wähler wollen wissen, ob die SPD ihre Antworten an einer verantwortlichen sozialökologischen Perspektive orientiert. Das Wort Ökologie ist auf Ihrem Parteitag sehr, sehr knapp gewesen.
    Wenn die SPD nicht den Mut aufbringt, eine Wende zu vollziehen, dann sage ich den Wählerinnen und Wählern: Im Superwahljahr 1994 sind BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN dann die einzige Alternative zu dem noch Schwarz-Kohl und dem neuen Rot-Kohl. Nur wir stehen für einen wirklichen ökologischen Strukturwandel. Die Bundesrepublik braucht eine Wirtschaftspolitik, die in Ostdeutschland die Überlebenschancen der noch vorhandenen industriellen Substanz soweit wie möglich wahrt. Wir brauchen in ganz Deutschland eine soziale und ökologische Gestaltung des wirtschaftlichen Umbruchs.
    Auf dem Programm verantwortlicher Wirtschaftspolitik stehen heute zwei zentrale Aufgaben: zum einen der ökologische Umbau, das Umsteuern auf ein umweltverträgliches Wirtschaften, und zum zweiten die Erhaltung bestehender und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Beide Aufgaben müssen und können miteinander verzahnt werden. Dazu brauchen wir eine ökologische Steuerreform.
    In einem ersten Schritt fordern wir die Einführung einer allgemeinen Energiesteuer, eine drastische Erhöhung der Mineralölsteuer und eine Abfallabgabe. Aber — und da unterscheiden wir uns — als Kompensation für diese Belastungen werden wir die Lohnnebenkosten senken, und zwar insbesondere im Bereich der Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Gleichzeitig sind diese Bereiche von versicherungsfremden Leistungen zu entbinden. Leistungen wie die Rentenanpassung oder die Zahlung von Arbeitslosengeld in Ostdeutschland können nicht in erster Linie den Beitragszahlern der Sozialversicherung angelastet werden. Sie sind eine Aufgabe der gesamten Solidargemeinschaft.
    Wenn umweltschädliches Verhalten, wenn Ressourcenverbrauch und Energieeinsatz teuer sind, dann kann Arbeitskraft billiger werden. Das fordern Sie doch immer. So leistet der ökologische Wandel einen maßgeblichen Beitrag zur Schaffung sinnvoller Dauerarbeitsplätze.
    Der ökologische Umbau unserer hochentwickelten Industriegesellschaft soll zur Leitidee unseres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Handelns werden. Das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN will einen neuen ökologischen Gesellschaftsvertrag, der allen Identifikation und Mithandeln ermöglicht. Wer — wie die Koalition und Teile der SPD — die Umweltpolitik in der Wirtschaftskrise auf Eis legt, gefährdet nicht nur unsere Umwelt, sondern verschlechtert auch die Perspektiven für die wirtschaftliche Entwicklung. Das sollte Ihnen das Beispiel Japan deutlich zeigen.
    Die ökologische Ausrichtung der Wirtschaft muß folglich mit einer aktiven Arbeitsmarktpolitik einhergehen. Massenerwerbslosigkeit auf sehr hohem Niveau ist weder ein kurzfristiges Übergangsproblem noch eine schicksalhafte Konsequenz der modernen Industriegesellschaft. Sie ist nur mit einer langfristigen Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik zu überwinden. Dabei geht es um das Drehen an vielen verschiedenen Schräubchen und nicht etwa um die Holzhammermethode.
    Arbeitszeitverkürzung muß endlich als Ziel der Politik anerkannt werden, und zwar nicht nur, weil dies ein Beitrag zur Bekämpfung der Massenerwerbslosigkeit ist. Arbeitszeitverkürzung ist auch ein gesellschaftspolitisch relevantes Instrument zur gerechteren Verteilung der Erwerbschancen zwischen Erwerbstätigen und Arbeitslosen, aber auch zwischen Frauen und Männern.
    Ein weiterer Schwerpunkt unseres Konzepts liegt dabei in der Verknüpfung von Beschäftigung und Qualifikation. Auf diese Weise kann eine tragfähige Brücke zwischen den öffentlich geförderten Arbeitsplätzen und dem privatwirtschaftlichen Sektor des Arbeitsmarktes gebildet werden.
    Arbeitszeitverkürzung, die Schaffung zukunftsgerichteter Arbeitsplätze durch einen klugen und innovativen ökologischen Strukturwandel und eine aktive Arbeitsmarkt- und Qualifikationspolitik, das sind unsere Antworten auf Massenerwerbslosigkeit, Beharrungsvermögen und das Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des Marktes.
    Der Staat darf sich nicht der Verantwortung für die Gestaltung unserer Zukunft entziehen. Die wirtschafts- und umweltpolitische Inkompetenz und Richtungslosigkeit der Koalition schafft Zukunftsängste und Vertrauensverluste bei den Menschen in unserem Land.
    Wir, das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sind die einzige Alternative zu Schwarz-Kohl und Rot-Kohl. Wir stehen für eine klare und überzeugende Politik der ökologischen Verantwortung. Wir stehen für eine tatsächliche Gesundung des Wirtschaftsstandortes Deutschland — im Interesse der Menschen und neuerdings im Interesse gerade auch der Wirtschaft in unserem Lande.
    Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)






Rede von Renate Schmidt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat nun der Herr Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Generalaussprache beim Etat des Bundeskanzlers ist aus guten Gründen eine Gelegenheit, über alle wichtigen Fragen unseres Landes zu sprechen. Ich habe guten Grund, mich zu Beginn dieser Diskussion in einem persönlichen Wort an Sie, Herr Ministerpräsident Scharping, als Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zu wenden. Ich tue dies hier und heute, weil dies die erste Gelegenheit für mich ist, auf eine Äußerung von Ihnen einzugehen; denn ich war, wie jeder weiß, während Ihres Parteitages letzte Woche im Ausland.
    Es ist selbstverständlich das gute Recht einer jeglichen Opposition, die Regierung, die Regierungsparteien oder die Regierungsmitglieder und auch den Bundeskanzler anzugreifen. Das ist eine ganz natürliche Sache. Wer dies nicht aushält, darf halt kein Bundeskanzler werden.

    (Heiterkeit — Beifall bei der SPD)

    Aber, meine Damen und Herren, Sie sehen ja: Ich bin dabei in diesen jetzt beinahe elf Jahren ganz gut gediehen.

    (Heiterkeit — Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich finde jedoch, wir sollten, wenn wir dauernd über politische Kultur reden — nicht zuletzt auch Sie, Herr Ministerpräsident Scharping —, bei aller Gegnerschaft und bei aller Auseinandersetzung wenigstens den Stil im Umgang miteinander wahren. Es ist Ihre Entscheidung, die ich zu respektieren habe, ob Sie einen Kandidaten für ein Amt mögen oder nicht, ob Sie für oder gegen ihn sind. Wer sich um ein wichtiges Amt bemüht und kandidiert, steht natürlich in der öffentlichen Kritik. Aber Sie haben auf Ihrem Parteitag über unseren Freund Steffen Heitmann gesagt, er sei intellektuell bescheiden, politisch ausgelaugt und rechtskonservativ. Das ist jenseits des Erträglichen und Akzeptablen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Herr Ministerpräsident Scharping, wenn das irgend jemand tut, dann ist das eine andere Sache. Aber wenn Sie das tun als Vorsitzender einer großen und traditionsreichen Partei, der zudem Kandidat für das Amt des Regierungschefs der Bundesrepublik Deutschland ist, dann ist das, wie ich denke, etwas ganz anderes. Ich richte ganz einfach die Frage an Sie: Haben Sie das nötig?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich glaube, Sie sollten sich ein Beispiel an dem nehmen — ich fordere Sie nicht dazu auf, ich bitte Sie darum —, was zwei bekannte Persönlichkeiten unseres Landes in diesen Tagen gesagt haben. Bärbel Bohley schreibt:

    (Unruhe bei der SPD)

    Ich bin keine Freundin von Steffen Heitmann. Aber jeder der vier Bewerber hat seine Vor- und Nachteile. Darüber muß man reden. Was aber gegen Heitmann läuft, ist eine Kampagne.
    Weil Sie eben unruhig geworden sind, nehmen Sie bitte auch diese Äußerung zur Kenntnis — ich zitiere wörtlich aus einem Leserbrief —:
    Ohne die Umstände der Entstehung und Verbreitung eines Satzes, der Steffen Heitmann öffentlich diffamiert, hier zu erläutern, bedaure ich sehr, daß mein Name mit solch einer Entgleisung verbunden ist. Die heftigen Reaktionen sind mehr als berechtigt. Ich bin in eine journalistische Falle gelaufen und bin daran nicht schuldlos. Die Klärung des Vorgangs ist nicht abgeschlossen. Ein schlimmer Satz schlägt seither wie ein Bumerang auf mich zurück. Soweit das überhaupt möglich ist, distanziere ich mich davon. Bei all meinen grundsätzlichen Einwänden gegen Steffen Heitmanns Ansichten darf persönliche Herabwürdigung nicht zum Stil unserer politischen Kultur gehören. Friedrich Schorlemmer.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

    Herr Ministerpräsident, ich hoffe, daß Sie auch heute hier das notwendige Wort finden.
    Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, heute vor fast genau vier Jahren, am 28. November 1989, haben wir — das sage ich nicht zuletzt zu dem letzten Sprecher hier, dem Sprecher der Fraktion der GRÜNEN — im Deutschen Bundestag darüber gesprochen, wie wir die deutsche Teilung überwinden könnten. Der Fall der Berliner Mauer lag keine drei Wochen zurück. Ich habe damals die Etappen auf dem Weg zur deutschen Einheit in einem Zehn-Punkte-Programm zusammengefaßt.
    Die Entwicklungen in den darauffolgenden Monaten haben unsere kühnsten Hoffnungen und Erwartungen übertroffen. Zehn Monate später, am 3. Oktober 1990, war die staatliche Einheit Deutschlands in Frieden und Freiheit verwirklicht, mit Zustimmung unserer Freunde, Partner und Nachbarn. Darüber freuen wir uns heute genauso wie vor vier Jahren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Heute geht es nun darum, daß wir die innere Einheit unseres Landes vollenden und das europäische Einigungswerk in einer Welt fortsetzen, die sich täglich und tiefgreifend verändert. Genau in dieser Welt von heute müssen wir, die Deutschen, unser Können bewahren, unsere Fähigkeiten erneut unter Beweis stellen. Wir erleben das nicht zuletzt im ökonomischen Bereich: In den meisten Bereichen ist unsere Wirtschaft nicht schlechter geworden, aber andere sind in diesen Jahren sehr viel besser geworden.
    So haben sich im Fernen Osten schon seit längerem moderne und leistungsfähige Volkswirtschaften entwickelt. Die Tagung der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft in der vergangenen Woche im amerikanischen Seattle hat die Bedeutung dieser riesigen Region für jedermann deutlich gemacht.
    Die Länder dieser Wirtschaftsgemeinschaft — man muß sich das immer wieder vor Augen führen — erwirtschaften rund die Hälfte des Bruttosozialprodukts der Welt. Ich finde es ziemlich nachdenkenswert, daß hier erstmals ein Gremium von solcher



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Bedeutung und mit solcher Zukunftsperspektive zusammentrat — das wird in Europa kaum zur Kenntnis genommen —, an dem Europa überhaupt nicht teilnahm. Ich denke, es ist höchste Zeit, daß wir in Europa erwachen und diese Tatsachen zur Kenntnis nehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Die Wachstumsregion Asien ist für Deutschland als zweitgrößte Handelsnation der Welt von zentraler Bedeutung. Das gilt für die Gegenwart und erst recht für die kommenden Jahre, die ins nächste Jahrhundert führen.
    Auch aus diesem Grunde habe ich in diesem Frühjahr eine Asien-Reise durch fünf Länder unternommen. Ziel der Reise war die Intensivierung unserer wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen in dieser wichtigen Region.
    Herr Kollege Klose, als ein Mann, den ich schätze, frage ich Sie: Wie können sie sich hier hinstellen und sagen, wir hätten uns nicht um den Auftrag für den deutschen Schnellzug in Korea gekümmert? Sie haben François Mitterrand erwähnt, aber der Bundesaußenminister, ich selbst und eine ganze Reihe unserer Kollegen waren ebenfalls dort und haben das Mögliche getan.
    Wenn die Geschichte der Vergabe dieses Zug-Auftrages einmal geschrieben wird, dann wird sicherlich festgestellt, daß es nicht am deutschen Angebot lag, daß Deutschland nicht den Zuschlag erhielt, sondern daß andere Faktoren hinzugekommen sind, die mit Sicherheit Ihre Unterstützung nicht gefunden hätten. Bevor Sie also einen solchen Vorwurf erheben, sollten Sie Ihre Worte noch einmal genau überprüfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir haben unmittelbar nach meiner Rückkehr damals aus Asien die Ergebnisse analysiert und in einer engen Kooperation mit der Wirtschaft ausgewertet. Das Resultat dieser Arbeit war eine umfassende Asien-Konzeption, die wir in der Bundesregierung verabschiedet haben und die, wie ich hoffe, in ein paar Tagen hier im Hohen Hause im Zusammenhang mit der Asienpolitik als Ganzes diskutiert wird.
    In diesem Zusammenhang — das will ich hier ausdrücklich positiv hervorheben — hat die deutsche Wirtschaft ihrerseits einen Asien-Pazifik-Ausschuß gegründet, der vor allem die vielfältigen Aktivitäten von Unternehmen und Verbänden bündelt und vor Ort zur Wirkung bringen soll.
    Wegen der großen politischen und wirtschaftlichen Bedeutung Asiens bin ich in der vergangenen Woche ein weiteres Mal in das größte Land dieser Region, in die Volksrepublik China, gereist. Ich konnte mich dort — wie auch viele von Ihnen in diesen Jahren— von der Entschlossenheit und dem Leistungswillen überzeugen, mit dem die Volksrepublik China Kurs auf die Weltmärkte nimmt.
    Es ist beeindruckend, vor allem für einen Deutschen und Europäer, in welchem Tempo dort modernste Produktionsanlagen im Weltstandard errichtet werden. Wir alle müssen doch wissen und zur Kenntnis
    nehmen, daß sich dieses Land mit weit über 1 Milliarde Menschen in den kommenden Jahren zu einer großen Wirtschaftsmacht entwickeln wird. Deswegen ist es wichtig, daß unsere eigene Wirtschaft mit Unterstützung der Politik intensive Beziehungen mit China im Handel, bei Investitionen und Joint-ventures pflegt, und zwar mehr noch, als dies bislang der Fall war.
    Wir haben versucht — ich denke, das ist uns gelungen —, mit diesem Besuch ein neues Kapitel in den politischen und wirtschaftlichen Beziehungen unserer Länder aufzuschlagen. Die mich begleitenden deutschen Unternehmer konnten Aufträge und Absichtserklärungen im Wert von rund 7 Milliarden DM mit nach Hause bringen, und es besteht eine gute Chance, daß wir diese Zahl noch in sehr naher Zukunft erhöhen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Meine Damen und Herren, natürlich hat dann auch das Ergebnis dieser Reise bereits unmittelbar hier zu Hause etwas mit Sicherung von Arbeitsplätzen und Schaffung neuer Arbeitsplätze zu tun. Es ist ein wichtiges Signal in einer rezessiven Phase, das wir hier mit setzen konnten.
    Wir wollen auch im politischen Bereich die Konsultationen enger gestalten. Wir wollen vor allem unser Augenmerk auf die Verstärkung der Zusammenarbeit in den Bereichen Kultur und Ausbildung richten. Deutschland genießt in diesem Teil der Welt — nicht zuletzt durch die Arbeit von deutschen Sinologen — höchstes Ansehen.
    Ich möchte einmal mehr, wie ich es oft von dieser Stelle aus schon getan habe, warnend sagen: Wir dürfen unsere internationalen Beziehungen nicht auf rein ökonomisch-politische verkümmern lassen.

    (Beifall des Abg. Hans-Ulrich Klose [SPD])

    Die kulturelle Dimension ist von allergrößter Bedeutung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Vor allem setze ich darauf, daß wir im Blick auf Ausbildungsprogramme angesichts unseres in China besonders geschätzten dualen Systems bei der Ausbildung von Lehrlingen und Facharbeitern Unterstützung leisten können. Ich möchte auch — ich will das hier gleich mit anführen — bei meinem nächsten Gespräch mit den Ministerpräsidenten unserer Bundesländer noch einmal einen Versuch unternehmen herauszufinden, was wir tun können, um trotz der schwierigen Haushaltslage einen neuen Anlauf für wesentlich mehr Stellen im Lehrerbereich für die deutsche Sprache machen zu können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich habe, meine Damen und Herren, bei diesem Besuch natürlich auch die Menschenrechte angesprochen.

    (Zuruf von der SPD)

    — Ich habe da keinen Nachholbedarf, Herr Abgeordneter. Ich habe zu einem Zeitpunkt, als andere die



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Solidarnosc bei Tag nicht grüßten, direkten Kontakt zur Solidarnosc gehabt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich habe alle meine Gesprächspartner auf die große Bedeutung dieser Frage für uns in Deutschland und unsere Partner für viele in der Welt, aber natürlich auch für die politische Führung der Volksrepublik China hingewiesen. Ich habe der chinesischen Regierung in Abstimmung mit Amnesty International und dem Kommissariat der deutschen Bischöfe eine Liste von über 20 Namen übergeben. Wenn Sie das hier kritisieren, verstehe ich das nicht, denn der Versuch muß doch gemacht werden, Menschen konkret zu helfen und sich nicht in allgemeinen Floskeln über Menschenrechte zu ergehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Daraus kann dann auch konkret etwas erwachsen.
    Vor allem habe ich damit die Chance, in der Nacharbeit zu diesem Gespräch immer wieder auf diese Namen zurückzukommen und es nicht bei allgemeinen und unverbindlichen Reden zu belassen.
    Aus meinen Gesprächen bringe ich die Zuversicht mit, daß in diesem Jahr auch in anderen Fällen bei den politisch Verantwortlichen die Bereitschaft wächst, vielleicht auch die Erkenntnis, daß Menschen- und Bürgerrechte stärker respektiert werden müssen und daß dies auch im Sinne des internationalen Ansehens der Volksrepublik China ist.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, bei meinem Rückflug aus China habe ich vorgestern Präsident Jelzin in Moskau getroffen.

    (Zuruf von der SPD)

    — Ich habe auch nichts dagegen, wenn Sie das erwähnen. Es zeigt ja, daß wir ganz normale Beziehungen haben, wenn wir zusammen in die Sauna gehen. Wenn Sie daran Anstoß nehmen, habe ich keinen Einwand dagegen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Aber nicht jeden mitnehmen!)

    — Das ist in der Tat wahr, was der Finanzminister sagt: Nicht mit jedem würde ich dort hingehen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    In meinen Gesprächen mit Boris Jelzin habe ich bekräftigt, daß die demokratischen und reformorientierten Kräfte in Rußland weiterhin unsere volle Unterstützung haben. Ich denke, das ist die Meinung des ganzen Hauses.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Präsident Jelzin hat mich ausführlich über die innere Entwicklung seines Landes unterrichtet, und ich kann nur immer wiederholen, was ich hier schon früher gesagt habe. Seine Darlegungen haben meinen Eindruck verstärkt, daß er und die Reformkräfte in seinem Land aufrichtig und mit aller Kraft danach streben, eine lebensfähige Demokratie aufzubauen.
    Angesichts so mancher Kommentare in Deutschland und anderswo im Westen möchte ich doch sagen: Wir sollten uns davor hüten, bei diesem so ungeheuer schwierigen Demokratisierungsprozeß automatisch rein westliche Maßstäbe anzulegen.
    Ich habe Boris Jelzin zugesagt, mich nach Kräften für den baldigen Abschluß des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Union und Rußland einzusetzen. Wir haben dabei auch über die künftige Rolle, die dieses wichtige Nachbarland Deutschlands in Europa spielen muß, gesprochen. Wir waren uns auch einig, daß wir eine Sicherheitsordnung für ganz Europa anstreben müssen, in die Rußland einbezogen ist, aber in der auch die Ängste der unmittelbaren Nachbarn in Mittel-, Ost- und Südosteuropa berücksichtigt werden.
    Ich habe Präsident Boris Jelzin eingeladen, im Mai des kommenden Jahres zu einem offiziellen Besuch nach Deutschland zu kommen. Er hat diese Einladung angenommen.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, bei allen meinen Gesprächen mit Partnern aus vielen Ländern der Welt höre ich: Ihr Deutschen habt doch jetzt die Einheit in Frieden und Freiheit erreicht; ihr seid eines der wichtigsten und reichsten Länder dieser Erde; seid ihr nun auch bereit, eure Verantwortung bei der Erhaltung von Frieden und Stabilität in der Welt wahrzunehmen? — Die Erwartung der Weltgemeinschaft ist klar: Deutschland soll uneingeschränkt an Aufgaben und Einsätzen der Vereinten Nationen zur Erhaltung und Wiederherstellung des Friedens mitwirken können. Wer den Frieden will, der muß auch helfen, ihn zu erhalten. Wer gegen Blutvergießen ist, der muß auch helfen, es zu beenden. Die Erfahrung der Geschichte zeigt: Mit Blauhelmeinsätzen allein läßt sich der Frieden eben nicht bewahren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, wer diesen Satz ablehnt, ist dann in der internationalen Politik auch nicht handlungsfähig. Wer nicht handlungsfähig ist, ist nicht bündnisfähig. Wer nicht bündnisfähig ist, ist auf die Dauer auch nicht regierungsfähig. Auch dies gehört dazu.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren von der SPD, wer Ihre Beschlüsse dazu liest, kann nur mit Bestürzung feststellen: Sie haben nichts dazugelernt und sind auch offensichtlich nicht bereit, etwas dazuzulernen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    1983 waren Sie gegen den Doppelbeschluß der NATO, an dem mein Amtsvorgänger als wesentlicher Autor mitgewirkt hat. Es ist dieser Amtsvorgänger, Herr Ministerpräsident Scharping, der Sie jetzt berät. Sie sollten ihn einmal fragen, was er von dem hält, was Ihre Partei 1983 in dieser Sache veranstaltet hat.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Die haben ihn deswegen ja gestürzt!)

    Die Durchsetzung des NATO-Doppelbeschlusses war
    doch — dies ist inzwischen ganz unstreitig — eine der
    wesentlichen Voraussetzungen für den Zusammen-



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    bruch des Kommunismus und damit für die Überwindung des Ost-West-Gegensatzes.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ohne diese Veränderung hätte es die deutsche Einheit nicht gegeben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ginge es nach den Parteitagsbeschlüssen der SPD, würde Deutschland auf einen Sonderweg und damit, was für unsere geographische Lage das Schlimmste ist, ins Abseits geraten. Sie wissen dies ganz genau und fassen trotzdem derartige Beschlüsse, weil Sie glauben, damit bei der Wahl politische Geschäfte machen zu können, oder weil Sie damit innerparteiliche Gegensätze zudecken wollen.
    Meine Damen und Herren, Willy Brandt hat Ihnen in einer wichtigen Stunde Ihrer Parteigeschichte zugerufen, daß die Sozialdemokraten keine Weltmacht seien und daß sich die Welt nicht nach der Beschlußlage von SPD-Parteitagen richtet. Genau das ist der Fall. Auf diesem Weg werden Sie international eben nicht regierungsfähig.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zurufe von der SPD)

    Ich kann nur sagen: Herr Ministerpräsident Klose — — Entschuldigung! Herr Klose, aber Sie waren dies ja auch einmal; es ist also verständlich, wenn ich Ihren Namen nenne. — Herr Ministerpräsident Scharping, Sie sollten hier nicht nach Tagesmehrheiten schielen, sondern sich an dem orientieren, was der frühere Hamburger Bürgermeister und jetzige Kollege Klose dazu gesagt hat.
    Meine Damen und Herren, auf Ihrem Parteitag gab es wieder das ebenso bösartige wie absurde Gerede von der Bundeswehr als Interventionsarmee.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Pfui!)

    Der humanitäre Einsatz unserer Soldaten in Somalia hat dazu beigetragen, hungernden Menschen zu helfen. Wenn diese Hilfe nun von einer Sprecherin der SPD als „Abenteuer" und „Farce" bezeichnet wird, ist das nicht nur, wie bei dieser Dame nicht anders zu erwarten, ein Ausdruck unerhörter Arroganz und menschlicher Kälte, sondern auch eine Beleidigung des Dienstes unserer Soldaten.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, in allen Reden — das ist auch gut so — wurde zu Recht die Frage der inneren Sicherheit angesprochen. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Herr Klose, hat am heutigen Tag die Mordtat von Mölln und all das, was geschehen ist, in Erinnerung gerufen. Ich stimme ihm ausdrücklich zu, gerade bei einer solchen Gelegenheit nicht nur darüber zu reden, sondern das Menschenmögliche zu tun, damit Gewalt in Deutschland keine Chance hat.
    Meine Damen und Herren, die Bürger erwarten zu Recht, daß wir alle — hier sind vor allem Bund und Lander gemeinsam gemeint — die innere Sicherheit als ein zentrales Thema begreifen. Der Bundesinnenminister, Manfred Kanther, hat in dem von ihm
    vorgelegten „Sicherheitspaket '94" klar aufgezeichnet, vor welchen Bedrohungen wir stehen und was getan werden muß.
    Ich möchte an dieser Stelle vor allem die Forderung wiederholen, die Polizeipräsenz vor Ort zu verstärken und die Beschleunigung der Strafverfahren endlich möglich zu machen. Wir müssen jetzt alles tun, um der bedrohlichen Entwicklung der Kriminalität entschlossen entgegenzutreten; denn auch das hat sehr viel damit zu tun, ob unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger diesen Staat als handlungsfähig, als ihren Staat erkennen. Wir alle tragen dabei gemeinsam Verantwortung. Der Rechtsstaat darf vor Verbrechen nicht zurückweichen.
    Ich finde, es bringt uns auch nichts, wenn wir wie auch in anderen Feldern Verantwortung sozusagen hin- und herschieben. Die Verfassungsordnung ist klar: Die Länder sind weitgehend für Polizei und Justiz zuständig. Sie müssen sicherlich mehr als bisher dazu beitragen, die innere Sicherheit zu gewährleisten. Wenn wir ja sagen — wir tun dies aus Überzeugung zur föderalen Ordnung —, muß sich die föderale Ordnung auch in einer solch schwierigen Frage bewähren. Ich kann für die Bundesregierung nur noch einmal betonen, daß wir jede nur denkbare und mögliche Zusammenarbeit wünschen.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, unser Land braucht klare Zukunftsperspektiven gerade in einer Zeit von Rezession und Strukturwandel. Deshalb haben wir in der Bundesregierung Anfang September den Bericht zur Zukunftssicherung des Standorts Deutschland vorgelegt. Wir haben hierüber vor gut einem Monat debattiert und berichtet. Die Diskussion ist erfreulicherweise weiter in Gang gekommen ungeachtet der Einwände, die ich heute auch hier gehört habe.
    Herr Kollege Klose, diese Frage aber ist schon berechtigt: Was hat Ihre Partei auf Ihrem Parteitag zu dieser Debatte beigetragen?

    (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sehr wahr! — Zuruf von der SPD)

    — Wir müssen nicht da gewesen sein. Man kann Sie in dem, was Sie tun, auch begreifen, wenn man nicht dabei ist, meine Damen und Herren.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die Zusammenfassung ist relativ einfach: Notwendige Einsparungen, die die Bundesregierung vorsieht und die in Wahrheit jeder von Ihnen für sich allein
    — ob in jedem Detail, will ich jetzt gar nicht untersuchen, aber im Prinzip — für richtig hält, werden pauschal als Sozialabbau abqualifiziert. Damit wir als Bundesregierung nicht ganz allein auf der Anklagebank sitzen, wird der Bundesbank bescheinigt, daß sie die Wirtschaft zurückgeworfen habe. Übrigens fühle ich mich auf der Bank gemeinsam mit der Bundesbank sehr wohl. Auch das sage ich gern einmal bei dieser Gelegenheit.
    Unsere Antwort an Sie ist ziemlich klar: Mit Umverteilungsdiskussion und Sozialneid läßt sich der Standort Deutschland nicht sichern. Das war in den ganzen 80er Jahren so, und das gilt auch heute. Daß das Ihr



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Wahlkampfthema ist, kann jeder voraussehen; aber Sie werden damit keine großen Erfolge haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zuruf von der SPD: Abwarten!)

    — Aber, meine Damen und Herren, ich warte es ja ab. Sie warten ja auch ab, und jetzt warten Sie beinahe zwölf Jahre! So ist das im Leben.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    In Wahrheit weiß jeder: Die Sicherung vorhandener und die Schaffung neuer Arbeitsplätze sind eine gemeinsame Pflicht des Landes. Es geht hierbei nicht nur um Ökonomie. Es geht um die Betroffenen, die arbeitslos sind, die aus dem Ablauf ihres normalen Lebens herausgeworfen werden. Es geht nicht nur um den einzelnen, es geht natürlich immer auch um die betroffenen Familien.
    Zur Sicherung der Zukunft unseres Landes müssen wir uns die Aufgaben jetzt nicht nur stellen und definieren, sondern sie lösen. Ich sehe vor allem zehn Aufgaben.
    Erstens. Wir müssen die Rezession überwinden. Die Wirtschaftsexperten beurteilen die Konjunkturaussichten unterschiedlich. Die Forschungsinstitute sagen in ihrem Herbstgutachten für das nächste Jahr in den alten Bundesländern ein Wachstum von 1 % voraus. Der Sachverständigenrat rechnet mit einem Nullwachstum. Auf jeden Fall bleibt der Aufstieg aus dem Konjunkturtal beschwerlich. Der wichtigste Grund liegt darin, daß unsere konjunkturelle Situation deutlich von den strukturellen Problemen überlagert wird.
    Der Kollege Klose als jemand, der lange in einem Bundesland Verantwortung getragen hat, weiß, wie die Etatlage aussieht. Als jemand, der sich in der Wirtschaft auskennt, wissen Sie, daß an diesen strukturellen Problemen — ich wiederhole, was ich kürzlich hier in der Debatte gesagt habe — alle beteiligt sind. Diese Probleme sind nicht gestern und vorgestern gewachsen, sondern in einer langen Zeit. Natürlich ist die jetzige Bundesregierung genauso daran beteiligt wie frühere Bundesregierungen, wie Landesregierungen,

    (Unruhe bei der SPD)

    wie Kommunalpolitiker, wie Wirtschaft und Gewerkschaften. Dies ist doch eigentlich in einer seriösen Diskussion heute überhaupt nicht mehr zu bestreiten. Deswegen sollten wir uns die Zeit sparen, darüber zu reden.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Es gilt auch die zweite These, daß diese Strukturprobleme Probleme der alten Bundesrepublik sind und nicht mit der deutschen Einheit zu tun haben. Wir sollten damit aufhören, in der Bevölkerung in Westdeutschland den Eindruck zu erwecken, das sei alles eine Folge der deutschen Einheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wahr ist, daß die Boomjahre mit hohen Wachstumsraten im vergangenen Jahrzehnt in vielen Bereichen
    dazu verleitet haben, notwendige Anpassungen an veränderte Wettbewerbsverhältnisse zu unterlassen.

    (Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

    Heute müssen wir diese Veränderungen, ob es uns paßt oder nicht, unter schwierigeren Bedingungen in einem schmerzhaften Prozeß vornehmen. Das bedeutet: Auf einen konjunkturellen Aufschwung zu warten reicht allein nicht aus. Wir müssen jetzt und heute erstarrte Strukturen aufbrechen. Dazu ist zunächst die Fähigkeit zum Umdenken notwendig, und zwar nicht nur beim anderen, sondern auf jeder Seite.

    (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Energiekonsens!)

    Zweitens. Wir müssen in Deutschland vorrangig Arbeitsplätze sichern und neue Beschäftigung schaff en. Zu dieser Frage hat auch der Sachverständigenrat klare Aussagen gemacht. Es heißt dort:
    Die Tarifpolitik darf die Einkommenswirkung des Lohns für alle, die sichere Arbeit haben, nicht in den Vordergrund stellen. Im Interesse all derer, die keine Arbeit haben oder deren Arbeitsplätze gefährdet sind, gebührt jetzt der Beschäftigungswirkung der Vorrang.
    Ich finde, diesen Sätzen ist nichts hinzuzufügen. Es ist so: Die Nachfrage nach Arbeitsplätzen — Herr Klose, da sind wir, glaube ich, nicht weit voneinander entfernt — hängt sicher nicht allein, aber doch ganz wesentlich von Arbeitskosten ab. Löhne, Arbeitszeiten, Maschinenlaufzeiten — all diese Kostenfaktoren werden in Tarifverträgen geregelt. Die Tarifverträge tragen bekanntlich zwei Unterschriften. In erster Linie wird in solchen Verträgen über Chancen von Arbeitsplätzen und Beschäftigung in Deutschland bestimmt. Ich sage das nicht in billiger Weise, indem ich auf Gewerkschaften zeige oder auf die Wirtschaft.
    Meine Damen und Herren, wir haben damals darüber diskutiert: Wenn man noch einmal die Lohnrunde im öffentlichen Dienst, die damals zu Streiks führte, rekapituliert, muß doch jeder von uns, der heute nüchtern die Lage betrachtet, erkennen, daß die damalige Höhe des Abschlusses ein Fehler war. Ob man das mag oder nicht, das war so.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Hans-Ulrich Klose [SPD]: Dazu hat Möllemann beigetragen!)

    — Ich sage das, Herr Kollege Klose, obwohl ich meine Zustimmung gegeben habe und die Bundesregierung mit unterschrieben hat. Ich drücke mich ja nicht vor der Verantwortung. Aber wir müssen doch fähig sein, im nachhinein zu erkennen, daß wir einen Fehler begangen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Hans-Ulrich Klose [SPD]: Der Wirtschaftsminister hat dazu beigetragen! — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die Zahlen hat Herr Möllemann genannt!)

    — Sie können Herrn Möllemann vieles vorwerfen.
    Aber er hat doch nicht für den öffentlichen Dienst
    Verantwortung getragen. Sie brauchen Ihre alten



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Vorurteile doch jetzt nicht an diesem Punkt abzureagieren, verehrte Kollegen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die 80er Jahre haben gezeigt, wie eine maßvolle Tarifpolitik und eine solide Wirtschafts- und Finanzpolitik Millionen Arbeitsplätze neu schaffen können. Herr Abgeordneter Klose, es geht doch darum: Es war nicht nur die Bundesregierung, es war die Wirtschaft, es waren die Gewerkschaften, die uns in den 80er Jahren durch gemeinsame Arbeit die erstaunlich gute Zahl von drei Millionen neuer Arbeitsplätze gebracht haben. Deshalb ist es, so glaube ich, jetzt wichtig, daß wir uns orientieren, damit wir erkennen, was wir damals richtig gemacht haben, und aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen versuchen.
    Es nützt uns auch nicht, nach utopischen Patentrezepten zu suchen. Aber es nützt uns wohl, ausgetretene Pfade zu verlassen und neue, vielleicht auch unkonventionelle Lösungen zu suchen. Einer meiner Vorredner hat gerade über Arbeitszeitmodelle gesprochen. Meine Damen und Herren, es hat lange gedauert, bis wir uns in dieser Frage in Bewegung gesetzt haben.
    Ich begrüße es, daß jetzt auch in den Gewerkschaften die Erkenntnis gewachsen ist, daß das, was bisher als unverrückbar und als ein sozialer Abstieg galt, neu überprüft werden muß, auch um dem Willen der Betroffenen zu entsprechen. Denn die Umfragen belegen doch, daß eine große Mehrheit die Sicherung von Arbeitsplätzen und Beschäftigung ganz hoch einordnet.
    Stellen Sie sich einmal vor, was in diesem Haus passiert wäre, wenn ich dies vor zwei Jahren an diesem Pult gefordert hätte. Wenn vernünftigerweise jetzt ganz offen, auch in Gewerkschaftskreisen, vom Verzicht auf Einkommenszuwächse gesprochen wird

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Bei Arbeitszeitverkürzung!)

    — das können Sie doch drehen und wenden, wie Sie wollen; es geht um einen Verzicht auf Einkommenszuwächse —, dann sind wir doch endlich auf einem vernünftigen Weg. Denn es geht doch darum, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Durch flexiblere Arbeitszeitregelungen ist es auch möglich, die Teilzeitarbeit erheblich auszuweiten. Wieso tun wir hier nicht mehr? Wieso ;st es möglich, daß wir als eines der wichtigsten Länder in Europa unter den Zwölf der Gemeinschaft in der Frage der Teilzeitarbeit immer noch auf dem letzten Platz rangieren? Das zeigt doch, daß auf den verschiedensten Seiten Notwendiges versäumt wurde, zumal wir wiederum wissen, daß nicht wenige, die auf dem Arbeitsmarkt sind, und auch die, die einen Arbeitsplatz suchen, durchaus bereit wären, Halbtagsarbeit anzunehmen. Die alten Ausreden, daß diese Sache für die Bürokratie des jeweiligen Unternehmens nicht mehr zumutbar sei, können doch im Computerzeitalter nicht mehr gelten.
    Das neue Arbeitszeitgesetz, mit dem wir flexiblere Arbeitszeiten und längere Maschinenlaufzeiten ermöglichen, liegt jetzt dem Hohen Hause vor. Wenn es intelligent und konsequent genutzt wird, ist natürlich zusätzliche Beschäftigung bei geringeren Produktionskosten möglich. Das muß jetzt geschehen. Ich kann nur hoffen, daß der Appell an die Tarifparteien Frucht trägt, erfolgreich ist und diese neuen Modelle schon 1994 in die Praxis umgesetzt werden können.
    Drittens. Wir müssen den Aufbau Ost und damit den Aufholprozeß der neuen Lander weiter vorantreiben. Wir alle wissen, daß dieser Prozeß teurer und langwieriger wird, daß er von den Menschen in den neuen Ländern ein hohes Maß an Anpassungsbereitschaft, an Mut und Zuversicht und eine Eingewöhnung in völlig veränderte Verhältnisse abverlangt. Wir wissen, daß daraus auch verständliche Sorgen, verständliche Ängste und Nöte entstehen.
    Aber zu einem wirklichen und realistischen Bild Deutschlands in den neuen Ländern gehört die objektive Wahrnehmung dessen, was bisher an Fortschritten erreicht wurde. Es ist an der Zeit, daß wir all denen entgegentreten, die ihre billigen politischen Geschäfte in diesem Bereich mit Miesmacherei betreiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    So kommt der Sachverständigenrat in seinem jüngsten Gutachten zu dem Ergebnis — ich zitiere —:
    Die Wirtschaftslage in den neuen Bundesländern hat sich auch unter den erschwerten Bedingungen einer Rezession in Westdeutschland weiter verbessert.
    Der Sachverständigenrat erwartet für dieses Jahr in den neuen Ländern ein Wirtschaftswachstum in der Größenordnung von 6,5 %. Für das nächste Jahr nennt er die Zahl 7,5 %.
    Ich glaube, es ist wichtig, in diesem Zusammenhang einmal darauf hinzuweisen, welche enormen öffentlichen und privaten Aufwendungen hinter diesen Zahlen stehen. Das wird erst dann deutlich, wenn man in Rechnung stellt, daß die notwendigen Mittel in Höhe von dreistelligen Milliardenbeträgen weiter aufgebraucht werden, und das, obwohl wir in Westdeutschland konjunkturelle Schwierigkeiten ersten Ranges haben und obwohl Erträge, Wachstum und Reallöhne rückläufig sind.
    Wenn wir diese unterschiedliche Situation in Ost- und Westdeutschland insgesamt betrachten, dann wird auch klar — das sollte dankbar hervorgehoben werden —, in welch großem Ausmaß Bürgerinnen und Bürger und nicht zuletzt auch die Wirtschaft in Deutschland wirkliche Solidarität praktizieren.
    Dies geschieht in einem Umfang, der bis an die Grenze des wirtschaftlich und finanzpolitisch Machbaren geht. Deswegen — das will ich ganz klar sagen — ist es für uns in der Koalition und in der Bundesregierung nicht möglich, weitere Wohltaten in Aussicht zu stellen, von denen kein Mensch weiß, wie sie erwirtschaftet und bezahlt werden können. Was jetzt absoluten Vorrang haben muß, sind die Siche-



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    rung von Arbeitsplätzen und die Beschaffung neuer Arbeitsplätze und Beschäftigungsmöglichkeiten.
    Herr Klose, Sie haben mich in diesem Zusammenhang angesprochen — was mich bei Ihrem Informationsstand wiederum erstaunt hat —, was den Absatz ostdeutscher Produkte betrifft. Die von mir zu Anfang dieses Jahres initiierte Einkaufsoffensive neue Bundesländer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und der Treuhandanstalt ist doch in Schwung gekommen. Das Einkaufsvolumen der beteiligten Unternehmen wird noch in diesem Jahr auf mehr als 13 Milliarden DM steigen. Die Unternehmen halten an dem vorgegebenen Ziel fest, bis 1995 eine Verdoppelung auf 26 Milliarden DM zu erreichen. Natürlich gab es enorme Anfangsschwierigkeiten, denen sich nicht zuletzt die Lieferanten aus den neuen Ländern ausgesetzt sahen. Natürlich gab es in einzelnen Bereichen auch einen brutalen Verdrängungswettbewerb. Nicht jeder hat dabei jene Solidarität praktiziert, die in einer solchen Situation unseres Volkes eigentlich zu erwarten war und ist.
    Wir in der Bundesregierung helfen den Unternehmen bei Marketing und Qualitätssicherung ihrer Produkte, bei Messebeteiligung im In- und Ausland und bei Vermarktungskampagnen auf den Auslandsmärkten. Zum Thema Listung ostdeutscher Produkte beim Handel will ich nur sagen, daß der Bundeswirtschaftsminister dazu eine ganze Reihe von Handelsgesprächen geführt hat. Die Handelsunternehmen werden verstärkt Ostbeauftragte einsetzen. Vor allem bei einigermaßen vergleichbaren Preisen und Qualitäten wollen sie verstärkt Produkte aus den neuen Ländern einführen.
    Dies gilt selbstverständlich auch für den Einkauf ostdeutscher Produkte durch die Bundesbehörden, also bei öffentlichen Aufträgen. Wir haben hierzu folgende Maßnahmen ergriffen: Die ostdeutschen Unternehmen erhalten besondere Startvorteile. Durch die sogenannte Präferenzregelung, die jetzt noch einmal bis Ende 1995 verlängert wurde, können beispielsweise ostdeutsche Anbieter in das Angebot einer westdeutschen Firma eintreten, wenn ihr Angebot nicht mehr als 20 % darüber liegt. Kleinere und mittlere Unternehmen sollen dabei besonders gefördert werden. Gegenüber dem Vorjahr sind die öffentlichen Aufträge der Bundesministerien an ostdeutsche Firmen um gut ein Drittel auf jetzt 20 % des öffentlichen Auftragsvolumens des Bundes gestiegen. Im ersten Halbjahr sind dadurch gut 6 Milliarden DM an öffentlichen Aufträgen in die neuen Länder geflossen. Ich lade alle Kollegen aus den westlichen Bundesländern herzlich ein, in ihren Parteigremien — das gilt für alle — gelegentlich auch mit den Landespolitikern darüber zu sprechen, daß es richtig ist, bei solchen Entscheidungen eine neue Prioritätenliste aufzustellen.
    Im Bundeswirtschaftsministerium kümmert sich der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Göhner als Vergabebeauftragter Ost, ebenso wie die Beauftragten in den anderen Ressorts, darum, daß wir diese Zahlen noch verbessern, ganz im Sinne von Herrn Dohnanyi, den Sie hier erwähnt haben, der sich für die Treuhandanstalt um die Absatzförderung kümmert.
    Ich freue mich und erwähne dies lobend, daß jetzt, soweit ich es erkennen kann, alle alten Länder endlich bereit sind, die Präferenzregelungen bei öffentlichen Aufträgen zugunsten der ostdeutschen Betriebe zu übernehmen. Ich hoffe, daß damit, verehrter Herr Kollege Klose, Ihr Einwand beantwortet werden konnte.
    Meine Damen und Herren, was jetzt — ich sage es noch einmal — Vorrang haben muß, ist die Sicherung der Arbeitsplätze und die Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten. Mit anderen Worten: Die Fortsetzung dynamischer Investitionstätigkeit ist daher der Dreh- und Angelpunkt schlechthin. Wenn die Investitionen — auch das wird oft verschwiegen und muß hier gesagt werden — pro Kopf der Bevölkerung heute in Ostdeutschland höher liegen — und das muß so sein — als in Westdeutschland, so zeigt dies, daß trotz des ganz schwierigen Aufholprozesses eine positive Entwicklung in Gang gekommen ist. Wir müssen alles daransetzen, national wie international, daß weitere Investoren mit ihrem Kapital und ihren Absatzmärkten den Weg in die neuen Bundesländer finden. Ich bin nach den Erfahrungen weniger Wochen im übrigen der Auffassung, daß die Entscheidung der Europäischen Gemeinschaft für den Sitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt eine durchaus positive Wirkung auch für Investitionen in den neuen Ländern haben wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Viertens. Meine Damen und Herren, die mittelfristige Haushaltskonsolidierung muß fortgesetzt werden. Der Bundesfinanzminister hat dazu gestern das Notwendige gesagt. Mit einem Sparprogramm von über 20 Milliarden DM ist ein wichtiges Zeichen gesetzt worden. Hinzu kommen noch die Einsparungen von 5 Milliarden DM nach dem Beschluß des Haushaltsausschusses. Dies ist ein Einsparvolumen von rund 5 % des Bundeshaushalts. Alle, die das in Stadt und Land kritisieren, sollen das jeweils in ihrem eigenen Bereich nachmachen, meine Damen und Herren, und dann diskutieren wir weiter.
    Aber die Frage an die Sozialdemokratie ist doch schon berechtigt. Wenn Einsparungen von 25 Milliarden DM natürlich unpopulär sind und Sie diese ablehnen, was wollen Sie an Stelle dessen, was notwendig ist, tun?

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wenn Sie die Haushaltskonsolidierung auf eine mittelfristige Perspektive verschieben, dann wird das nichts bringen. Wenn jetzt „hohe Privateinkommen" und „große Vermögen" stärker besteuert werden sollen — alles ganz alte Ladenhüter —, dann werden genau diejenigen besteuert, von denen wir jetzt Investitionen für Arbeitsplätze erwarten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, ich wäre Ihnen sehr dankbar, Herr Ministerpräsident, wenn Sie uns, da die geheime Kommandosache bis zu uns nicht vorgedrungen ist, sagen würden: Was ist das eigentlich für eine Einkommensgröße, die Sie meinen? Liegt sie bei 5 000 DM, gilt sie für gehobene Facharbeiter, oder wo beginnen die „hohen Einkommen"?



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Dann haben Sie auch noch die Chance, eine andere Frage zu beantworten. Wie wollen Sie in dem jetzt immer intensiver werdenden gemeinsamen Markt Europa mit offenen Grenzen, wo wir in einem offenen Wettbewerb leben — und unser Ziel ist, die weltwirtschaftliche Dimension in diesem Sinne zu entwikkeln —, Kapitalinvestitionen und Arbeitsplätze sichern, wenn Sie beispielsweise die, die dieses Kapital besitzen, veranlassen, in andere Länder zu gehen? Der Vergleich, meine Damen und Herren, mit sozialdemokratisch geführten Regierungen im übrigen Europa muß Ihnen doch zeigen, daß Sie hier wiederum auf dem Holzweg sind. Andere sind längst einen ganz anderen Weg gegangen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Im übrigen, meine Damen und Herren: Mit der Verdoppelung der privaten Vermögensteuer ab 1995 sind wir doch schon bis an die Grenze des Vertretbaren gegangen.
    Ich kann knapp zusammenfassend sagen: Wer jetzt, statt das Problem der Arbeitslosigkeit und der Konjunkturschwäche mit praktischen und greifbaren Maßnahmen anzugehen, auf Sozialneid setzt, gewinnt vielleicht kurzfristig Wählerstimmen. Aber das Land wird Arbeitsplätze, Investitionen und Zukunft verlieren. Und das ist doch das Entscheidende.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Es gibt keinen einfachen Ausweg aus der Rezession, vor allem nicht angesichts der aufgestauten Notwendigkeiten des Strukturwandels.
    Trotz der unbestreitbaren Konjunkturschwäche, trotz der notwendigen Investitionen in die deutsche Einheit, die wir gern leisten, und trotz der notwendigen finanziellen Unterstützung der Reformstaaten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa ist es gelungen, im Vergleich mit anderen Ländern — das ist kein Trost und vor allem keine Nachricht, die es rechtfertigt, in den Anstrengungen nachzulassen — bei der Kreditaufnahme im Mittelfeld der Industrienationen zu sein. Stabilität der D-Mark, aufwärtsgerichtete Aktienkurse und ungewöhnlich niedrige Zinsen am Kapitalmarkt signalisieren doch bei der Unbestechlichkeit internationaler Kapitalanleger, daß die Bundesrepublik offensichtlich günstig abschneidet. Dies sind Tatsachen, die auch zum Standort Deutschland gehören und auf die wir stolz sein können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Bei der Vorbereitung dieser Rede dachte ich gestern auch darüber nach, was wohl heute in der Debatte angesichts der Rezession, die wir jetzt haben, geschehen würde, wenn wir Ihren Ratschlägen gefolgt wären und eine schnelle Wiedereinführung des Solidaritätszuschlags vorgenommen hätten. Dann hätten Sie uns heute gesagt: Weil Sie diesen Fehler gemacht haben, sind wir in diese Rezession geraten. So wäre Ihre Aussage gewesen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, fünftens: Wir müssen unsere Privatisierungsvorhaben fortsetzen. Ich nenne hier vor allem Bundesbahn und Bundespost. Wir haben vor zwei Wochen eine, wie ich glaube, gute und
    wichtige Vereinbarung zur Bahnreform erreicht. Wir haben große Anstrengungen unternommen — das will ich dankbar erwähnen, auch an die Adresse der Bundesländer, auch an Sie, Herr Ministerpräsident Scharping als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz —, daß die Bahnreform zum 1. Januar 1994 in Kraft gesetzt wird.
    Jetzt höre ich Stimmen — übrigens aus den verschiedensten politischen Lagern — —

    (Zuruf von der SPD)

    — Das ist nicht auf eine Seite beschränkt; Sie müssen nicht aus Ihrer Hamburger Sicht immer nur das eine Bundesland nennen. Sie können in diesem Fall auch das Land Hamburg nehmen. — Jetzt höre ich Stimmen, die den Kompromiß so nicht mehr wollen. Ich sage aber ganz einfach: Wir haben verhandelt, wir haben abgeschlossen, und dabei bleibt es. Wir können nicht dauernd neu verhandeln. Das würde die Glaubwürdigkeit unserer Politik zunichte machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Bei der Postreform geht es wahrlich nicht um eine technisch-administrative Veränderung. Wenn die Telekom international leistungsfähig und konkurrenzfähig werden will, müssen wir jetzt diese Entscheidung treffen. Jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt, weiß, daß es hier um Zehntausende und Aberzehntausende neuer Arbeitsplätze der Zukunft geht, hochqualifizierte Arbeitsplätze, und daß wir, wenn wir jetzt nicht handeln, aus dem weltweiten Wettbewerb ausscheiden werden.
    Deswegen bitte ich alle Beteiligten, auch die Kollegen innerhalb der SPD, die dafür besondere Verantwortung tragen — da gibt es nicht wenige, denen ich in diesem Zusammenhang auch Dank schulde, was ich gern einmal sage —, daß sie sich jetzt einen Ruck geben, damit diese Entscheidung möglich wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    In den neuen Bundesländern ist die Privatisierung der Kombinate und der volkseigenen Betriebe ein großes Stück vorangekommen. Weltweit, Herr Kollege Klose, wird diese enorme Privatisierungsleistung von mehr als zehntausend Unternehmen anerkannt. Auch wenn wir wissen, daß bei einer solchen gewaltigen Aufgabe Fehler und Unterlassungen vorgekommen sind, will ich dennoch sagen: Es ist eine große Leistung, und diejenigen, die dort arbeiten, haben unseren Dank verdient.
    Zu dieser Privatisierung gehören Zusagen von 180 Milliarden DM an Investitionen und die Sicherung von 1,5 Millionen Arbeitsplätzen. Wir müssen uns schon die Frage stellen: Wo stünden wir heute, wo stünden die neuen Bundesländer, wenn man damals prinzipiell gesagt hätte: Sanierung grundsätzlich vor Privatisierung? Wie würden wir zehntausend Betriebe dieser Art in der jetzigen Rezessionsphase überhaupt als Staatsbetriebe halten können?
    Deswegen ist es wichtig, daß wir das Menschenmögliche tun, auch jetzt mitten in dem Konjunkturtief, um die Chancen, Investoren und Absatzmärkte für diese Unternehmen zu gewinnen, zu unterstützen. Daß jetzt nach meiner Reise in die Volksrepublik China auch Betriebe aus den neuen Ländern zum Zug



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    kommen, freut mich dabei ganz besonders. Im übrigen möchte ich bei allem Parteienstreit doch sagen, daß alle Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer in dieser zentralen Frage der Privatisierung auch in schwierigsten Zeiten Kurs gehalten und ihre Zustimmung gegeben haben.
    Sechstens. Wir müssen die staatliche Bürokratie weiter zurückdrängen und zu einer wirksamen Deregulierung kommen. Wir haben im Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz demonstriert, was zu tun ist. Wir wollen im Bereich von Planungs- und Genehmigungszeiten noch vieles verkürzen und verändern. Aber, meine Damen und Herren, wir haben nicht viel Zeit. Für das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern ist es eben ganz entscheidend, daß die Ostseeautobahn nicht in 15 Jahren, sondern jetzt kommt, und zwar ohne weiteres Abwarten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Siebtens. Wir müssen den Sozialstaat durch Umbau sichern. Sozialstaat und sozialer Ausgleich sind Wesenselemente unserer Verfassung. Sie sind die Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft. Wahr ist aber, daß das bei uns erreichte hohe Niveau sozialer Sicherung und des sozialen Ausgleichs nur möglich ist auf der Grundlage hoher wirtschaftlicher Leistungskraft.
    Meine Damen und Herren, die Gesamtheit aller Sozialleistungen hat im vergangenen Jahr erstmals die Grenze von einer Billion DM überschritten. Das ist ein Drittel unseres Sozialprodukts. Angesichts dieser Größenordnung muß doch klar sein, daß der Anteil jetzt nicht mehr gesteigert werden kann.
    Eine weitere Aufgabe, die zusätzlich bewältigt werden muß, ist die Pflegeversicherung, deren Finanzierung nicht zu einer Mehrbelastung der Wirtschaft führen darf. Ich hoffe sehr, daß es in den nächsten Tagen möglich sein wird, hier abschließend zu vernünftigen Lösungen zu kommen.
    Achtens. Wir müssen Bildung und Ausbildung zukunftsorientiert gestalten. Wir wissen, daß beides, Bildung und Ausbildung, Standortfaktoren allerersten Ranges sind. Alle müssen dabei zusammenwirken, Bund, Länder, Wirtschaft, Gewerkschaften, Hochschulen, Verbände.
    Das Grundsatzgespräch, das am 11. November im Bundeskanzleramt stattgefunden hat, hat mich sehr ermutigt, auf diesem Weg voranzugehen. Wir sind dabei, im Bereich des bewährten, international hochangesehenen beruflichen Bildungssystems an Attraktivität zu verlieren. Die Zahl der Studenten — es ist oft genug gesagt worden — ist stark gestiegen; die Zahl der Lehrlinge deutlich gesunken. Das ganze Qualifikationssystem ist aus dem Lot geraten.
    Wir brauchen jetzt neue Konzeptionen, und zwar schnell, um vor allem die berufliche Ausbildung attraktiver zu machen, attraktiver auch für Abiturienten, und zwar als Vollausbildung und nicht nur als Durchgangsstation zum Studium. Was seit Jahren in Baden-Württemberg mit großem Erfolg praktiziert
    wird, ist eigentlich ein Beispiel, das längst alle Bundesländer hätten übernehmen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Neuntens. Wir müssen den Forschungsstandort Deutschland weiter stärken. Ich habe mir inzwischen, Herr Kollege Klose, die Zahlen kommen lassen. Ich kann nicht verstehen, wie Sie zu diesem Vorwurf kommen. Wir haben an Bundesausgaben insgesamt für Forschung und Technologie und für Wissenschaft außerhalb der Universitäten 1990 7,98 Milliarden DM, 1991 11,29 Milliarden DM, 1992 12,13 Milliarden DM, 1993 12,26 Milliarden DM und 1994 12,33 Milliarden DM aufgewandt bzw. sehen das vor.
    Ich bin mit Ihnen einverstanden, daß wir versuchen müssen, diese Ausgaben noch zu erhöhen. Aber dann müssen wir in vielen anderen Bereichen bei der Kürzung zu ganz anderen Dimensionen kommen. Sie werden ja beispielsweise nicht bestreiten — um ein Beispiel zu nennen, das in allen Teilen des Hauses unterschiedlich gesehen wird und wo ich mir über die Realitäten vor allem außerhalb der kohlefördernden Länder ziemlich im klaren bin —, daß der riesige Brocken Steinkohleförderung eben gewaltige Subventionssummen notwendig macht. Dennoch bekenne ich mich aus einer Reihe von Gründen dazu.
    In einer Güterabwägung jedoch, Herr Kollege Klose, muß man einfach zugeben, daß wir, da wir das Geld nur einmal ausgeben können, bei der Umschichtung immer nur Schritt für Schritt vorgehen können. Ich finde, die Steigerung von 1990 bis jetzt von 7,98 auf 12,33 Milliarden DM ist immerhin eine Steigerung, die sich sehen lassen kann, obwohl ich zugebe: Noch mehr, vernünftig angewandt, wäre noch besser.
    Aber, meine Damen und Herren, daß diese Spitzenleistungen in Forschung und Technik eine wesentliche Voraussetzung für zukunftssichere Arbeitsplätze sind, steht außerhalb jeder Diskussion. Daß in den Forschungslabors und wissenschaftlichen Einrichtungen über die Arbeitsplätze von morgen entschieden wird, ist auch unstreitig.

    (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.))

    Wir brauchen neue Produkte und Dienstleistungen, mit denen wir im Wettbewerb bestehen können. Nur so können wir als Hochlohnland konkurrenzfähig bleiben. Aber auch das ist ein Bereich, der längst hätte verbessert werden können, d. h. wir hätten auf diesem Feld gar nicht so weit herunterkommen dürfen. Wir brauchen vor allem wieder ein forschungs- und technikfreundliches Klima.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Dieses technikfeindliche Klima ist nicht über Nacht entstanden. Es ist ein Klima, das in einem Teil der Medien und in nicht wenigen Schulstuben gefördert worden ist, wo eine ganze Generation in Technikfeindlichkeit oder Technikangst großgezogen wurde. Wenn ich das sage, ist das keine blinde Fortschrittsgläubigkeit. Ich weiß, daß das sofort wieder unterstellt wird.
    Am Ende dieses Jahrhunderts wissen wir, daß nicht alles, was wissenschaftlich gemacht, geforscht und



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    erprobt werden kann, auch ethisch vertretbar ist. Aber dennoch kann man nicht das Forschungsland Nummer eins, zwei oder drei in der Welt sein wollen und gleichzeitig zulassen, daß in Teilen der jungen Generation ein Klima erzeugt wird, das forschungsfeindlich ist. Das kann man relativ rasch ändern, wenn man sich in allen entscheidenden Führungsbereichen unserer Gesellschaft zu dieser Notwendigkeit bekennt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir müssen vor allem — ich denke, da sind wir nicht auseinander — versuchen, die Forschungspolitik besser zu bündeln. Es ist wahr, Herr Kollege Klose, es gibt zu viele Programme bei Bund und Ländern, in den Gesellschaften, die von Staatsgeldern unterstützt werden, die aber natürlich kaum miteinander koordiniert sind.
    Wir haben jetzt in der Europäischen Gemeinschaft mit diesem Thema zu tun. Wir werden in ein paar Wochen darüber in Brüssel zu reden haben. Ich finde, es ist hohe Zeit, vielleicht zunächst einmal auf dem Weg eines Experiments, begrenzt auf ein paar Jahre, die notwendigen Kräfte zusammenzubringen. Wenn das dann ein Technologierat ist und er wirklich vernünftig ist und etwas bringt, bin ich der allererste, der sich dafür ausspricht.
    Zehntens. Ohne die Offenheit der weltweiten Handelsbeziehungen wird ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland im Nerv getroffen. Der erfolgreiche Abschluß der GATT-Verhandlungen ist deshalb von größter Bedeutung. Der Abschluß der Beratungen im amerikanischen Kongreß über die nordamerikanische Freihandelszone, NAFTA, ist, wie ich denke, ein gutes Signal.
    Ich habe Präsident Clinton dazu gratuliert, und zwar in der Hoffnung, die ich auch als Erwartung zum Ausdruck brachte, daß damit aus amerikanischer Sicht der Weg zum Abschluß der Uruguay-Runde geebnet wird.
    Ich sage hier noch einmal: Beim GATT geht es nicht nur um uns, um die großen Industrieländer, es geht nicht zuletzt um die Länder der Dritten Welt und ihre Zukunftschancen. Der Welthandel ist in einem viel größeren Maße, als viele dies begreifen, eine Quelle für Wachstum und Beschäftigung.
    Die OECD — man muß sich die Zahlen einmal vor Augen halten — hat die Auswirkungen eines erfolgreichen Abschlusses der Uruguay-Runde so bewertet, daß der Wohlstand für die gesamte Welt im Jahre 2002 um rund 270 Milliarden DM größer sein wird als gegenwärtig. Das heißt, hier geht es um Arbeitsplätze für die Zukunft.
    Meine Damen und Herren, aus meiner Sicht sind diese zehn Aufgaben wesentlich für die Zukunftssicherung des Standorts Deutschland. Es geht um ein wirtschaftlich starkes und wettbewerbsfähiges Deutschland. Es geht dabei immer um zukunftssichere Arbeitsplätze, um soziale Sicherheit. Und es geht insgesamt um eine gute Zukunft für unser Land.
    Wenn wir dies wollen und entsprechend handeln, auch gemeinsam handeln, habe ich keinen Zweifel,
    daß wir es schaffen können. Es ist heute hier in einer anderen Rede schon der Vergleich zur Aufbaugeneration in den 50er Jahren gezogen worden. Wenn wir die Maßstäbe von damals in einer ganz anderen Welt mit anderen psychologischen Gegebenheiten rekapitulieren und auf unsere Zeit übertragen, bin ich sicher: Wenn wir die Armel hochkrempeln, werden wir das Ziel erreichen.
    Ich bitte Sie darum, daß wir möglichst gemeinsam mit Zuversicht und Wagemut diese Aufgabe angehen, daß wir etwas jetzt auf den Weg bringen, was viele in der Welt von uns erwarten, von den Deutschen der 90er Jahre, daß sie wie die Deutschen der 50er Jahre einen zweiten großen Aufbruch im heute glücklicherweise wiedervereinigten Deutschland ermöglichen.
    Die Koalition von CDU, CSU und F.D.P. und die Bundesregierung stellen sich dieser Aufgabe. Ich möchte Sie alle dazu einladen, mitzutun.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)