Protokoll:
11057

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 11

  • date_rangeSitzungsnummer: 57

  • date_rangeDatum: 3. Februar 1988

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 13:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:23 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/57 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 57. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 3. Februar 1988 Inhalt: Zur Geschäftsordnung Verheugen SPD 3929 B Seiters CDU/CSU 3930 C Kleinert (Marburg) GRÜNE 3931 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 3933 A Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde betr. Aktuelle Ereignisse in Ost-Berlin und in der DDR Lintner CDU/CSU 3952 B Dr. Ehmke (Bonn) SPD 3952 D Ronneburger FDP 3953 D Frau Kelly GRÜNE 3954 B Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMB 3955 B Böhm (Melsungen) CDU/CSU 3956 B Büchler (Hof) SPD 3957 A Schulze (Berlin) CDU/CSU 3957 D Dr. Knabe GRÜNE 3958 C Frau Würfel FDP 3959 A Hiller (Lübeck) SPD 3959 D Lummer CDU/CSU 3960 C Dr. Schmude SPD 3961 C Reddemann CDU/CSU 3962 B Tagesordnungspunkt 1: Fragestunde — Drucksache 11/1734 vom 29. Januar 1988 — Bericht des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft über die karnevalistischen Aktivitäten von Bundesbildungsminister Möllemann; Entpflichtung von seinem Amt MdlAnfr 4, 5 29.01.88 Drs 11/1734 Frau Hillerich GRÜNE Antw BMin Möllemann BMBW 3934A, 3934 D ZusFr Frau Hillerich GRÜNE 3934B, 3934 D ZusFr Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 3934 C ZusFr Kleinert (Marburg) GRÜNE 3935 B ZusFr Reddemann CDU/CSU 3935 B ZusFr Gansel SPD 3935 C ZusFr Stratmann GRÜNE 3935 C ZusFr Dr. Penner SPD 3935 D ZusFr Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 3936 A ZusFr Frau Steinhauer SPD 3936 A Errichtung eines neuen Grenzübergangs außerhalb von Waidhaus im Zuge des Ausbaus der künftigen Trasse der Autobahnverbindung Prag—Nürnberg MdlAnfr 1 29.01.88 Drs 11/1734 Stiegler SPD Antw PStSekr Dr. Schulte BMV 3936 B ZusFr Stiegler SPD 3936 C ZusFr Dr. Jobst CDU/CSU 3936 D Entwicklung des Verhältnisses von indirekten und direkten Fördermaßnahmen des Bundes für Forschung und Entwicklung in der gewerblichen Wirtschaft seit 1978 und bis 1991 MdlAnfr 2, 3 29.01.88 Drs 11/1734 Frau Bulmahn SPD II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Februar 1988 Antw PStSekr Dr. Probst BMFT 3937A, 3938 B ZusFr Frau Bulmahn SPD 3937B, 3938 B ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 3938A, 3939 B Homosexualität als Sicherheitsrisiko im öffentlichen Dienst MdlAnfr 6, 7 29.01.88 Drs 11/1734 Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE Antw PStSekr Spranger BMI 3939B, 3940 D ZusFr Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 3939C, 3940B, 3941 A ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 3939D, 3941B ZusFr Kleinert (Marburg) GRÜNE 3940 A ZusFr Dr. Penner SPD 3940A, 3941 C ZusFr Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 3940 B ZusFr Sellin GRÜNE 3940C, 3941 D ZusFr Gansel SPD 3940C, 3941 C ZusFr Stiegler SPD 3940D, 3941 C ZusFr Schmidt (Salzgitter) SPD 3941 D Übermittlung des Wortlauts des deutsch-indischen Geheimschutzabkommens an die Staatsanwaltschaft Kiel zur Überprüfung einer möglichen Weitergabe militärischer Geheimnisse durch Indien an Südafrika MdlAnfr 10 29.01.88 Drs 11/1734 Gansel SPD Antw PStSekr Dr. Riedl BMWi 3942 B ZusFr Gansel SPD 3942 B ZusFr Schmidt (Salzgitter) SPD 3942 C ZusFr Dr. Penner SPD 3942 D Dauer der „Pilotphase" des Roiner-Verfahrens zur Dekontamination des radioaktiv verseuchten Molkepulvers und alternative Verfahren MdlAnfr 16, 17 29.01.88 Drs 11/1734 Frau Dr. Hartenstein SPD Antw PStSekr Gröbl BMU 3943A, 3943 B ZusFr Frau Dr. Hartenstein SPD 3943B, 3943 C ZusFr Frau Wollny GRÜNE 3943 D ZusFr Weiss (München) GRÜNE 3943 D Sicherheitsvorkehrungen für Transportstrecken und Standorte defekter Castorbehälter MdlAnfr 18 29.01.88 Drs 11/1734 Frau Wollny GRÜNE Antw PStSekr Gröbl BMU 3944 A ZusFr Frau Wollny GRÜNE 3944 A ZusFr Schmidt (Salzgitter) SPD 3944 B ZusFr Weiss (München) GRÜNE 3944 C ZusFr Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE 3944 C ZusFr Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 3944 D ZusFr Frau Hillerich GRÜNE 3944 D ZusFr Sellin GRÜNE 3945 A ZusFr Kleinert (Marburg) GRÜNE 3945 B Bau einer heißen Zelle in Gorleben MdlAnfr 19 29.01.88 Drs 11/1734 Frau Wollny GRÜNE Antw PStSekr Gröbl BMU 3945 B ZusFr Frau Wollny GRÜNE 3945 C ZusFr Weiss (München) GRÜNE 3945 D ZusFr Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 3946 A ZusFr Schmidt (Salzgitter) SPD 3946 B Erteilung von Genehmigungen zum Transport von Plutonium oder Castorbehältern MdlAnfr 22 29.01.88 Drs 11/1734 Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE Antw PStSekr Gröbl BMU 3946 B ZusFr Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 3946 C ZusFr Weiss (München) GRÜNE 3946 D Unterlagen der DWK für den Bebauungsplan und die erste Teilerrichtungsgenehmigung der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf MdlAnfr 23 29.01.88 Drs 11/1734 Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE Antw PStSekr Gröbl BMU 3947 A ZusFr Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 3947 A ZusFr Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE 3947 B ZusFr Weiss (München) GRÜNE 3947 B ZusFr Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 3947 C ZusFr Frau Unruh GRÜNE 3947 D ZusFr Frau Hensel GRÜNE 3948 A ZusFr Sellin GRÜNE 3948 A ZusFr Dr. Laufs CDU/CSU 3948 B Gewerbesteuervorauszahlungen und Grundstückskäufe der Deutschen Gesellschaft zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen Wackersdorf (DWK) zu „marktunüblichen Preisen" MdlAnfr 24 29.01.88 Drs 11/1734 Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE Antw PStSekr Gröbl BMU 3948 C ZusFr Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE 3948 C ZusFr Weiss (München) GRÜNE 3948 D Entsorgungsnachweis deutscher Atomkraftwerke angesichts der Nichtigkeitserklärung des Bebauungsplanes für die Wiederauf- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Februar 1988 III arbeitungsanlage Wackersdorf durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof MdlAnfr 25 29.01.88 Drs 11/1734 Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE Antw PStSekr Gröbl BMU 3949A ZusFr Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE 3949A ZusFr Weiss (München) GRÜNE 3949 B ZusFr Frau Unruh GRÜNE 3949 C ZusFr Frau Wollny GRÜNE 3949D ZusFr Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 3950A ZusFr Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 3950A ZusFr Frau Hensel GRÜNE 3950 B ZusFr Dr. Knabe GRÜNE 3950 C ZusFr Dr. Laufs CDU/CSU 3950 D ZusFr Frau Hillerich GRÜNE 3950D Vergabe der ersten Fernsehfrequenz für private Anbieter auf Drängen des bayerischen Ministerpräsidenten nach München; Gesellschafter des Privatsenders MdlAnfr 26, 27 29.01.88 Drs 11/1734 Dr. de With SPD Antw PStSekr Rawe BMP 3951 A ZusFr Dr. de With SPD 3951 B Nächste Sitzung 3963 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 3965* A Anlage 2 Vorlage eines Gesetzentwurfs betr. künstliche Befruchtung und Eingriffe in Keimzellen beim Menschen MdlAnfr 9 29.01.88 Drs 11/1734 Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD SchrAntw PStSekr Dr. Jahn BMJ 3965* B Anlage 3 Berechtigte mit geringem Einkommen gem. § 11 a des Bundeskindergeldgesetzes MdlAnfr 11, 12 29.01.88 Drs 11/1734 Pauli SPD SchrAntw PStSekr Pfeifer BMJFFG 3965* C Anlage 4 Weitere Nutzung der geplanten Anlage zur Dekontaminierung des radioaktiv belasteten Molkepulvers MdlAnfr 13 29.01.88 Drs 11/1734 Schütz SPD SchrAntw PStSekr Gröbl BMU 3966* A Anlage 5 Zwischenlagerung des Molkepulvers nach dessen Dekontaminierung; Abfallmenge und verbleibende Cäsiumbelastung MdlAnfr 14, 15 29.01.88 Drs 11/1734 Schäfer (Offenburg) SPD SchrAntw PStSekr Gröbl BMU 3966* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Februar 1988 3929 57. Sitzung Bonn, den 3. Februar 1988 Beginn: 13.00 Uhr
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    Berichtigung 55. Sitzung, Seite 3889 A, Anlage 6: Nach „Zu Frage 32: " ist folgender erster Absatz einzufügen: Die Bundesregierung wird auch künftig ihre Politik des intensiven, thematisch umfassenden Gedankenaustausches mit allen Staaten des Warschauer Paktes fortsetzen. Durch ihre kontinuierlichen bilateralen Gespräche auf hoher und höchster Ebene mit diesen Staaten wird sie wie bisher ihr Bemühen um Verständigung und ihre Bereitschaft zu breit gefächerter Zusammenarbeit signalisieren, so z. B. beim Besuch des sowjetischen Außenministers Schewardnadse hier in Bonn zu Beginn dieser Woche, und beim bevorstehenden Besuchs des Bundeskanzlers in Prag am 26. und 27. Januar 1988. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 3. 2. Amling 5. 2. Frau Beck-Oberdorf 5. 2. Frau Dempwolf 5. 2. Dr. Dollinger 5. 2. Frau Flinner 5. 2. Frau Garbe 5. 2. Dr. von Geldern 5. 2. Gerster (Worms) 5. 2. Hasenfratz 5. 2. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 5. 2. Frau Dr. Hellwig 5. 2. Dr. h. c. Herkenrath 5. 2. Dr. Jahn (Münster) 3. 2. Jung (Düsseldorf) 4. 2. Kißlinger 5. 2. Klein (München) 5. 2. Dr. Köhler (Wolfsburg) 5. 2. Kossendey 5. 2. Mischnick 5. 2. Dr, Müller * 5. 2. Paterna 3. 2. Pfeffermann 5. 2. Repnik 5. 2. Rühe 5. 2. Frau Schilling 5. 2. Frau Schoppe 5. 2. Dr. Stoltenberg 5. 2. Frau Terborg 5. 2. Dr. Waffenschmidt 5. 2. Wischnewski 5. 2. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Jahn auf die Frage der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin (SPD) (Drucksache 11/1734 Frage 9): Trifft die Information zu, daß die Bundesregierung bis Ende Februar einen Gesetzentwurf vorlegen wird, in dem die wichtigsten Grundsatzfragen im Zusammenhang mit den neuen Methoden künstlicher Befruchtung und Eingriffe in Keimzellen beim Menschen (siehe z. B. Antrag der Fraktion der SPD - Drucksache 11/1662) geregelt werden? Der Bundesminister der Justiz beabsichtigt, noch im Frühjahr 1988 den Referentenentwurf eines Embryonenschutzgesetzes vorzulegen. Es handelt sich dabei um den Entwurf eines Strafgesetzes, welches möglichen Mißbräuchen im Zusammenhang mit neuen Methoden der künstlichen Befruchtung entgegenwirken soll. Insbesondere wird er auch das Verbot eines Gentransfers in menschliche Keimbahnzellen vorsehen. Ein vom Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit bereits vorgelegter Referen- Anlagen zum Stenographischen Bericht tenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Adoptionsvermittlungsgesetzes sieht darüber hinaus vor allem das Verbot der Vermittlung sogenannter Leihoder Ersatzmütter vor. Der Bundesminister der Justiz beabsichtigt ferner, noch im Frühjahr 1988 den Referentenentwurf eines Gesetzes über die zivilrechtlichen Folgen künstlicher Befruchtungen vorzulegen. Zweck dieses Gesetzentwurfs ist es, im Einklang mit den öffentlichrechtlichen Vorschriften über die Zulässigkeit der Methoden der Fortpflanzungsmedizin die familienrechtliche Stellung künstlich gezeugter Kinder angemessen zu regeln. Einem umfassenderen, auch gesundheitsrechtlichen Fragen regelnden Gesetz, wie es in dem von Ihnen erwähnten Entschließungsantrag der Fraktion der SPD gefordert wird, steht die fehlende Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf dem Gebiet des Gesundheitswesens entgegen. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Pfeifer auf die Fragen des Abgeordneten Pauli (SPD) (Drucksache 11/1734 Fragen 11 und 12): Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es irreführend ist, wenn es im 11. Änderungsgesetz zum Bundeskindergeldgesetz im eingefügten I 11 a in der Überschrift heißt „Zuschlag zum Kindergeld für Berechtigte mit geringem Einkommen" und gleichzeitig davon auszugehen ist, daß fast 75 v. H. aller Kindergeldzuschlagsberechtigten gleichzeitig Sozialhilfeempfänger sind, die keine Einkommensverbesserung durch dieses Gesetz erfahren, da der Kindergeldzuschlag bei der Sozialhilfe angerechnet wird? Wie beurteilt die Bundesregierung die Bedürftigkeit der Kindergeldzuschlagsbezieher, die keine Sozialhilfe beziehen, und ist die Bundesregierung der Auffassung, daß es sich bei diesem Personenkreis, u. a. Selbständige, tatsächlich um Berechtigte mit geringem Einkommen handelt? Zu Frage 11: Nein. Die Überschrift des § 11 a Bundeskindergeldgesetz gibt den wesentlichen Inhalt der Vorschrift richtig wieder. Im übrigen gibt es keinen Anhaltspunkt für die Annahme, fast 75 v. H. der Zuschlagsberechtigten seien Sozialhilfeempfänger. Nach den im Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit vorliegenden Schätzungen liegt die Zahl allenfalls bei 25-30 %. Zu Frage 12: Den Zuschlag erhalten nur diejenigen, bei denen sich der steuerliche Kinderfreibetrag nicht oder nicht in voller Höhe auswirkt. Da der Zuschlag also ein Ersatz für den nicht oder nicht voll genutzten steuerlichen Kinderfreibetrag ist, ist seine Zahlung daran geknüpft, daß der Berechtigte ein zu versteuerndes Einkommen hat, das niedriger ist als der steuerliche Grundfreibetrag. 3966* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Februar 1988 Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Gröbl auf die Frage des Abgeordneten Schütz (SPD) (Drucksache 11/1734 Frage 13) : Soll die geplante Dekontaminierungsanlage über die Dekontaminierung des Molkepulvers hinaus weiter genutzt werden, und wenn ja, wofür? In den am Standort Lingen geplanten Dekontaminierungsanlagen (Pilotanlage, großtechnische Anlage) sollen nur die in Obhut des Bundes befindlichen 5 000 t Molkepulver dekontaminiert werden. Nach Beendigung dieser Arbeiten werden die Anlagen abgebaut und abtransportiert. Ein entsprechender Vertrag hierüber befindet sich in Vorbereitung. Eine sich an die Dekontaminierung der 5 000 t Molkepulver anschließende weitere Nutzung der Anlage oder einzelner Anlagenteile durch die Bundesregierung ist nicht vorgesehen. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Gröbel auf die Fragen des Abgeordneten Schäfer (Offenburg) (SPD) (Drucksache 11/1734 Fragen 14 und 15): Wo sollen die radioaktiven Abfalle nach der vorgesehenen Dekontaminierung des Molkepulvers bis zur vorgesehenen Endlagerung zwischengelagert werden, und wie groß werden die entsprechenden Abfallmengen sein? Wie hoch wird das Molkepulver nach der Dekontamination noch mit Caesium belastet sein, und welche Verwendung ist dafür vorgesehen? Zu Frage 14: Es ist vorgesehen, den radioaktiven Abfall, der in einigen 200-l-Fässern untergebracht werden kann, in der niedersächsischen Landessammelstelle Steyerberg entsprechend den dortigen Einlagerungsbestimmungen zwischenzulagern. Zu Frage 15: Die dekontaminierte Molke kann entweder nach Trocknung als Tierfutter oder — ggf. ohne Trocknung — durch Trennung der in der Molke enthaltenen Stoffe als Eiweiß und als Lactose verwertet werden. Schließlich käme auch die Möglichkeit der Vermarktung als „Naßfutter" in Betracht. Die Dekontaminierung des Molkepulvers erfolgt dabei in jedem Fall so, daß in dem Endprodukt bzw. in den Endprodukten nur noch geringe Reste des radioaktiven Cäsiums enthalten sind (im Falle der Herstellung von Molkepulver weniger als 100 Becquerel pro Kilogramm).
Gesamtes Protokol
Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105700000
Ich eröffne die Sitzung.
Die Fraktion der SPD hat beantragt, die Tagesordnung um den Antrag „Aktivitäten des Beauftragten des Bundeskanzlers, Franz Josef Strauß, und Südafrikapolitik der Bundesregierung" zu erweitern und hierzu eine Aussprache von zwei Stunden vorzusehen. Wird das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? — Bitte, Herr Abgeordneter Verheugen.

Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1105700100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Antrag der SPD-Fraktion zur Änderung der Tagesordnung begründen.
Die SPD-Fraktion verlangt eine Regierungserklärung des Bundeskanzlers zur Politik im südlichen Afrika. Wann, so fragen wir, ist eine Regierungserklärung überhaupt nötig, wenn nicht jetzt? Die Reise des bayerischen Ministerpräsidenten in das südliche Afrika hat Unklarheit und Verwirrung über den außenpolitischen Kurs der Bundesregierung und über ihren inneren Zustand erzeugt.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Der Eindruck, der sich aufdrängt, ist der eines unordentlichen, chaotischen Regierungshandelns, bei dem keiner mehr durchblickt.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Wir wollen eine Erklärung, warum der Bundeskanzler es für richtig gehalten hat, mit einer schwierigen und sensiblen außenpolitischen Mission einen anderen als den zuständigen Ressortminister zu beauftragen. Gilt in dieser Regierung eigentlich der Art. 65 des Grundgesetzes noch, wonach jeder Bundesminister im Rahmen der Richtlinien seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung leitet?

(Zuruf von der SPD: Abgeschafft! — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Catch-as-catchcan!)

Und wenn er noch gilt: Wie war es dann möglich, daß der Bundesaußenminister sagen lassen kann, er habe den Auftrag an ein Nichtkabinettsmitglied aus der Zeitung erfahren?

(Dr. Vogel [SPD]: Hört! So geht es zu!)

Wir möchten wissen, was eigentlich der Auftrag an Herrn Strauß war und warum das Auswärtige Amt auch an der Vorbereitung der Reise nicht beteiligt gewesen ist.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Hört! Hört!)

Der Vorgang läßt einen Führungsstil erkennen, der vielleicht in einem privaten Verein möglich ist, aber nicht in einem demokratischen Staatswesen.

(Beifall bei der SPD)

Da wird ein Auftrag mal eben so erteilt, da wird nichts vorbereitet und nichts abgestimmt, und vor allen Dingen wird da nicht an die Folgen gedacht. Dem Bundeskanzler mußte klar sein, daß sein Beauftragter im Konflikt im südlichen Afrika nicht nach der Devise verfahren würde: Ich habe hier ein Amt und keine Meinung, sondern daß er in diesem Konflikt Partei zugunsten der Herrschenden in Südafrika ergreifen würde.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Unsinn!)

Die Wandlungsfähigkeit von Herrn Strauß in allen Ehren, aber schon wieder ein Bekehrungserlebnis war ja wohl nicht zu erwarten.
Wir wollen eine Regierungserklärung, um weiteren Schaden für die Interessen und das Ansehen unseres Landes abzuwenden.

(Beifall bei der SPD)

Nicht nur wir wollen wissen, welche deutsche Außenpolitik im südlichen Afrika gilt, die des Außenministers oder die des Beauftragten des Bundeskanzlers. Ein paar eilige Bemerkungen vor der Presse reichen nicht aus. Hier muß sich der Bundeskanzler äußern, damit das Parlament antworten kann und damit es zu Entscheidungen kommen kann.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Die deutsche Außenpolitik braucht Klarheit in folgenden Punkten: Bleibt es bei der Haltung der Bundesregierung, daß die Apartheid eine Menschenrechtsverletzung darstellt, die nicht reformiert werden kann, sondern abgeschafft werden muß?

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)




Verheugen
Bleibt es bei der Haltung, daß die politische Gleichberechtigung aller Menschen in Südafrika auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechts unverzichtbar ist?

(Beifall bei der SPD)

Bleibt es bei der von dieser und der früheren Bundesregierung maßgeblich gestalteten westlichen Namibiapolitik? Ist die sogenannte Übergangsregierung null und nichtig, oder existiert sie plötzlich für uns?

(Dr. Vogel [SPD]: Die besucht er doch immerzu!)

Sollen die südafrikanischen Truppen Namibia verlassen? Soll es staatliche Entwicklungshilfe geben? Bleibt es dabei, daß die Homelands als Teil des Apartheidsystems betrachtet werden und daß eine Anerkennung dieser Gebilde nicht in Betracht kommt?

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Jawohl, Herr Chefredakteur!)

— Herr Kollege Bötsch, weil Sie gerade „Jawohl! " gerufen haben:

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: „Chefredakteur" habe ich gesagt! Lesen Sie das Protokoll nach!)

Passen Sie auf, daß das nicht in München gehört wird; denn Ihr Vorsitzender hat dort etwas ganz anderes verkündet. Sie müssen vielleicht doch etwas mehr den „Bayernkurier" als andere Parteizeitungen lesen.
Bleibt es dabei, daß die Frontstaaten im südlichen Afrika politisch und wirtschaftlich gegen die südafrikanische Destabilisierungspolitik unterstützt werden? Was bedeutet es in diesem Zusammenhang, wenn der Beauftragte des Bundeskanzlers den Chef einer Bürgerkriegsarmee besucht, der gegen ein Land Krieg führt,

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Unerhört!)

mit dem die Bundesrepublik Deutschland freundschaftliche Beziehungen unterhält?
Wenn der Bundeskanzler sagt, Teile der StraußReise seien privater Natur gewesen, so stellt sich die Frage nach der Anwesenheit eines Mitglieds der Bundesregierung, des Staatssekretärs Lengl, bei diesen privaten Anlässen, mit Nationalhymne. Bundesflagge und Luftwaffenmaschine.

(Dr. Vogel [SPD]: Und Staatssekretär!)

Hält der Bundeskanzler es für möglich, daß ein solcher Staatssekretär im Amt bleibt? War die Luftwaffenmaschine vielleicht auch privat in Windhuk?

(Wolfgramm [Göttingen] [FDP]: Zur Sache!)

Die Auswirkungen der Strauß-Reise in Afrika und darüber hinaus sind bekannt. In welche Lage wird eigentlich der Bundespräsident gebracht, der in wenigen Wochen in dieselbe Region reist, wenn der Bundeskanzler eine Erklärung verweigert?

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr! — Wolfgramm [Göttingen] [FDP]: Zur Sache!)

Die Methode der Verweigerung kennen wir ja schon aus der Pershing-Debatte. Sie wird angewandt, weil innerhalb von Regierung und Koalition Uneinigkeit herrscht und weil man die Opposition hindern
möchte, durch einen Entschließungsantrag die Mehrheitsmeinung des Parlaments festzustellen.
Drei Parteien des Bundestags haben öffentlich eine Debatte gefordert, auch die FDP. Sie haben heute die Chance, sich Ihren Wunsch zu erfüllen. Wir rechnen mit Ihrer Zustimmung.

(Beifall bei der FDP und den GRÜNEN)

Die FDP kann nicht immer nur den Mund spitzen, sie muß auch einmal pfeifen. Der lateinkundige Strauß würde sagen: Hic Rhodos, hic salta! — So ist es. Wir bitten um Ihre Zustimmung.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Lateinisch heißt es „Rhodus"! „Rhodos" ist griechisch!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105700200
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Seiters.

Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1105700300
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich den Kollegen Verheugen wieder einmal derart in einer Geschäftsordnungsdebatte reden höre — das ist ja nicht das erste Mal —, muß ich eigentlich doch an den „Vorwärts" denken, an Kreuzworträtsel

(Dr. Vogel [SPD]: Mies! — Weitere Zurufe von der SPD)

und an die Preisfrage nach einem zuerst in der FDP und dann in der SPD sehr vielseitig verwendbaren Politiker mit neun Buchstaben, waagerecht.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Kollege Verheugen, vielleicht haben Sie ja nach den Vorgängen der letzten Wochen mal wieder den Beifall Ihrer Fraktion nötig. Ich möchte Ihnen aber doch empfehlen, sich vielleicht mehr um die Parteizeitung zu kümmern und darum, daß sozialdemokratische Politiker dort nicht beleidigt werden, als hier kuriose Anträge zu stellen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105700400
Sie müssen zur Geschäftsordnung reden, Herr Kollege.

Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1105700500
Ich will auch sagen, warum ich diesen Antrag, Herr Vogel, für merkwürdig und für kurios halte.

(Zurufe von der SPD) — Hören Sie doch mal zu!

Sie beantragen, daß ein Antrag auf die Tagesordnung kommt und daß über ihn zwei Stunden debattiert wird, und am Ende dieser zweistündigen Debatte soll ein Beschluß stehen, den Bundeskanzler zu einer Regierungserklärung aufzufordern. Herr Vogel, das ist schon handwerklich nicht in Ordnung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Warum stellen Sie eigentlich den Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung, wie das nach der Geschäftsordnung üblich gewesen wäre, nicht morgen? Sie wollen die Debatte ja gar nicht heute, sondern morgen oder übermorgen führen, weil Sie heute den Eindruck



Seiters
erwecken wollen, als wollten wir einer Südafrikadebatte ausweichen.

(Zuruf von der SPD: So ist es ja auch!)

Herr Vogel, morgen steht — interfraktionell vereinbart — um 9 Uhr eine Aktuelle Stunde auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages. Sie wissen, daß der Bundeskanzler an dieser Debatte teilnehmen und das Wort ergreifen wird.

(Zuruf von der SPD: Wie schön!)

In dieser Debatte wird ausreichend Gelegenheit sein, sich zur Südafrikapolitik der Bundesregierung und auch zur Reise des bayerischen Ministerpräsidenten zu äußern. Für morgen haben wir nun eine Aktuelle Stunde vorgesehen.
Die Regierung muß nicht immer dann eine Regierungserklärung abgeben, wenn die Opposition dies wünscht; erst recht nicht zwei am gleichen Tage. Im übrigen finde ich es für die Öffentlichkeit doch einmal ganz interessant, sich den Vorgang zu betrachten. Sie von der SPD wollten in Wirklichkeit nicht in erster Linie eine Aussprache über Südafrika in dieser Woche. Sie haben nicht einmal alternativ einen Antrag auf Aktuelle Stunde gestellt, Sie haben sie sogar abgelehnt.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Wozu? Wir haben ja schon eine!)

Nein, Ihnen war eine Geschäftsordnungsdebatte mit einem Fünf-Minuten-Beitrag um des Show-Effektes willen wichtiger als eine Aussprache über die Probleme im südlichen Afrika. Das ist der Punkt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn die GRÜNEN — Herr Kollege Kleinert, ich begrüße das außerordentlich —

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Vielen Dank!)

nicht ihrerseits einen Antrag auf Aktuelle Stunde gestellt hätten, dann hätten wir in dieser Woche nach dem Willen der SPD nur eine Geschäftsordnungsdebatte mit diesem merkwürdigen Beitrag des Kollegen Verheugen, nichts anderes, Schluß, aus, Ende der Vorstellung.

(Dr. Vogel [SPD]: Dummes Zeug! — Weitere Zurufe von der SPD)

Sie glauben doch nicht im Ernst, daß Sie in der deutschen Öffentlichkeit Eindruck erwecken können, wenn Ihnen geschäftsordnungsmäßige Mätzchen wichtiger sind als eine sachgerechte Debatte unter Beteiligung des deutschen Bundeskanzlers.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Dummes Zeug! — Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vor diesem Hintergrund — Herr Verheugen, zuviel der Ehre — denke ich auch gar nicht daran, im einzelnen in die Sachdebatte einzusteigen. Das machen wir morgen.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das können wir uns vorstellen!)

Ich will nur feststellen, auch nach den Erklärungen des Bundeskanzlers und nach dem Bericht von Franz
Josef Strauß vor der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Uns, der Union,

(Jahn [Marburg] [SPD]: Das ersetzt jede Regierungserklärung! — Dr. Vogel [SPD]: Da brauchen wir keinen Bundestag mehr!)

geht es darum, einen friedlichen Weg zur Überwindung der Apartheid und zur Lösung der riesigen Probleme im südlichen Afrika zu finden.

(Dr. Vogel [SPD]: Wo ist Herr Blüm eigentlich?)

Uns geht es um die Durchsetzung der Menschenrechte auch in diesem Teil der Welt und um die Freilassung politischer Häftlinge.
Ich weise Ihre unqualifizierten Angriffe auf die Regierung, auf die Union und auf Franz Josef Strauß im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zurück.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105700600
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Kleinert.

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105700700
Herr Seiters, zu Ihnen komme ich am Schluß.

(Bohl [CDU/CSU]: Erst einmal zur Geschäftsordnung!)

Ich will zunächst einmal — damit da gar keine Unklarheiten aufkommen — sagen: Wir schließen uns ausdrücklich dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion an. In der Tat ist folgendes richtig: Wenn es jemals notwendig gewesen wäre, daß diese Bundesregierung durch eine Regierungserklärung klarstellt, welches ihre Position in der Frage Südafrika ist, dann zu dem Zeitpunkt in dieser Woche. Das ist völlig klar.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Diese Regierung hat immer verkündet: keine Anerkennung der Homelands, keine Unterstützung der völkerrechtswidrigen Homelands-Politik des BothaRegimes. Die Bundesregierung hat in Sachen Namibia die Position vertreten: Unterstützung der UN-Resolution 435, friedliche Lösung des Namibia-Konflikts, Anerkennung der SWAPO, keine Anerkennung der von Südafrika eingesetzten Interimsregierung.
Jetzt ist ein Beauftragter der Bundesregierung nach Südafrika gereist und hat in diesen beiden zentralen Punkten genau das Gegenteil von dem gemacht, was die Bundesregierung hier immer als ihre Politik verkündet hat. Herr Strauß ist nach Südafrika gereist. Er ist als Beauftragter des Bundeskanzlers zur Interimsregierung nach Namibia gereist, und er tritt für die Anerkennung dieser Interimsregierung ein. Herr Strauß hat durch seinen Besuch in Bophuthatswana die menschen- und völkerrechtswidrige HomelandPolitik des Botha-Regimes nicht nur aufgewertet; er hat sie sogar unterstützt. Das heißt, er hat in diesen beiden zentralen Punkten exakt gegen das verstoßen, was die Bundesregierung für sich als ihre Südafrikapolitik in Anspruch nimmt.

(Dr. Vogel [SPD]: So ist es!)

Meine Damen und Herren, wenn das nicht der Punkt ist, an dem man sagen muß: Diese Bundesre-



Kleinert (Marburg)

gierung soll sich darüber erklären, welches nun ihre Südafrikapolitik ist, dann weiß ich wirklich nicht mehr, was ein solcher Punkt sein kann.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das mindeste, was dieser Bundestag von der Bundesregierung verlangen kann, ist, daß jetzt hier unmißverständlich klargestellt wird, welches die Haltung des Bundeskanzlers und welches die Haltung der Bundesregierung insgesamt zu diesem Problem sein wird. Denn wo kann das denn angehen?
Die Bundesregierung hat bisher immer so getan, als steuere sie einen moderaten, gemäßigten Kurs in Sachen Südafrika, als sei sie gegen Rassismus — trotz aller Einschränkungen; wir kennen die Debatten über Wirtschaftssanktionen — und im Endeffekt gegen das Botha-Regime und als sei sie in diesen Fragen auf der Linie der EG und auf der Linie, die in der UN-Resolution zum Ausdruck kommt. Diesen Eindruck hat die Bundesregierung bisher zu erwecken versucht. Und jetzt kommt ihr eigener Beauftragter daher und macht sich zum Handlanger und Unterstützer eines verbrecherischen Rassistenregimes,

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

und Ihr Staatssekretär Lengl wirkt dabei mit, und zwar aktiv mit, ein Staatssekretär, der dieser Bundesregierung angehört. Da muß man doch sagen: Das beißt sich nicht nur; das sind auch nicht nur kleine Meinungsverschiedenheiten; da gibt es diametral unterschiedliche Positionen. Dazu müssen Sie hier deutlich Stellung beziehen.
Man muß in diesem Zusammenhang die Frage stellen, und darauf müssen Sie eine Antwort geben: Wer bestimmt eigentlich die Politik der Bundesregierung?

(Beifall der Abg. Frau Unruh [GRÜNE] sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ist es die Bundesregierung selber? Oder ist es ihr Beauftragter?
Wenn Herr Seiters — jetzt komme ich zu ihm — jetzt mit diesen Sprüchen

(Walther [SPD]: Dummen Sprüchen!) hier kommt und sagt — —


(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Herr Seiters macht keine Sprüche!)

— Also, Herr Bötsch, Sie sollten bei dieser Debatte schweigen!

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Ich werde morgen reden!)

Sie als Vertreter des Apartheid-Regimes hier im Bundestag sollten schweigen in dieser Diskussion!

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wenn jetzt Herr Seiters daherkommt und den Eindruck zu erwecken versucht, als habe hier eine Debatte verhindert werden sollen, dann will ich dazu noch einmal folgendes klarstellen: Sie wissen genau, daß Sie einer Debatte über diesen Punkt in dieser Woche nicht ausweichen können. Aber Sie möchten eine Debatte haben, die so unverbindlich wie möglich ist.

(Dr. Vogel [SPD]: Ohne Entschließung, ohne Abstimmung!)

Deswegen stellen Sie sich hier hin und versuchen den Eindruck zu erwecken, Sie seien für eine Aktuelle Stunde.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Am liebsten würden Sie gar nicht über dieses Thema reden. Sie wissen aber, daß über dieses Thema geredet werden muß, und wenn schon darüber geredet werden muß, dann ist Ihnen die Form der Aktuellen Stunde, wo keine Abstimmungen möglich sind, natürlich sehr viel lieber als die Form der Regierungserklärung, wo zum Schluß abstimmungsfähige Anträge gestellt werden können. Das ist der Hintergrund. Darum geht es, Herr Seiters.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Dr. Vogel [SPD]: Das ist der Punkt! So macht ihr das!)

Darum geht es, Herr Seiters. Deswegen — ich sage das mit aller Nüchternheit — : Das war ein Ablenkungsmanöver. Das war fadenscheinig, Herr Seiters. Das war verlogen, was Sie soeben vorgetragen haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU — Bohl [CDU/ CSU]: Unglaublich! Lümmelei ist das!)

Das war verlogen, Herr Seiters! Sie wollen dieser Debatte ausweichen.
Ein letzter Punkt. Diese Debatte ist notwendig.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105700800
Verehrter Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105700900
Herr Verheugen hat zwei Minuten überziehen dürfen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105701000
Nein.

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105701100
Einen Satz, Frau Präsident!

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105701200
Sagen Sie den!

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105701300
Wenn Herr Kohl sich jetzt auf den Standpunkt zurückzieht und sagt, Herr Strauß habe da mit seinen Reisen nach Namibia und Bophuthatswana als Privatmann gehandelt, muß ich sagen: Das ist ja geradezu lächerlich. Denn entweder hat Herr Kohl nicht gewußt, was Herr Strauß dort vorgehabt hat; dann macht sich Herr Kohl lächerlich, wenn er nicht weiß, was sein eigener Beauftragter dort unten anstellt. Oder aber — und das ist wahrscheinlicher — Herr Kohl hat sehr genau gewußt,

(Bohl [CDU/CSU]: Und das alles zur Geschäftsordnung!)

was Herr Strauß dort vorhatte; und dann gibt es erst recht einen Bedarf, . . .

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105701400
Herr Abgeordneter!




Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105701500
... hier eine Regierungserklärung abzugeben und eine Debatte mit Abstimmung hier zu führen. Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105701600
Herr Abgeordneter Kleinert, ich halte es nicht für ganz kollegial richtig, hier jemanden einfach als einen Vertreter der Apartheid zu bezeichnen.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Des Regimes!)

Damit erübrigt sich eine Wortmeldung des Betroffenen.

(Walther [SPD]: Es ist trotzdem die Wahrheit!)

Zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Wolfgramm das Wort.

(Walther [SPD]: Das fällt ihm schwer!)


Torsten Wolfgramm (FDP):
Rede ID: ID1105701700
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Eine Debatte über Südafrika ist nötig. Wir werden morgen eine Aktuelle Stunde als Teil einer Debatte haben,

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

und wir werden in Kürze eine sorgfältig vorbereitete Debatte über diese Frage haben.

(Dr. Vogel [SPD]: Was müßt ihr denn da vorbereiten?)

Der Sprecher, der diesmal für die SPD gesprochen hat,

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

weiß das natürlich in diesem Fall genau; denn er bereitet ja eine Erklärung, eine Entschließungserklärung, einen Entschließungsantrag der SPD dazu vor. Er tut das unter dem Signum der SPD, damit sorgfältig beraten und dann auch beschlossen werden kann. So halten wir es auch. Übrigens, dieser Antrag liegt ja noch gar nicht vor.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Stimmt ihr ihm zu, dann kriegt ihr ihn gleich!)

Wir wollen Ihnen auch Zeit geben.

(Dr. Vogel [SPD]: Ist schon eingereicht!)

— Dann können Sie ihn vielleicht noch einmal überarbeiten wie auch den vom 1. Untersuchungsausschuß; das werden wir ja morgen hören. Das Thema ist nun tatsächlich nicht geeignet, es in einem Parforceritt zu behandeln. Es bedarf einer sorgfältigen Vorbereitung. Die Regierung hat 1983 eine Große Anfrage der SPD beantwortet. — Sie sollten das noch einmal in Ihre Erinnerung rufen können, Herr Kollege Vogel.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Ihr guckt der Kastration eures Außenministers zu!)

Wir haben 1986 die Brüsseler Erklärung in diesem Haus voll unterstützt. Ebenso haben wir die UN-Resolution 435 behandelt. Das wird in dieser Debatte sehr deutlich werden. Ich erlaube mir, das zu sagen, nachdem die beiden Redner, der Herr Kollege Kleinert

(Marburg) und der Herr Kollege Verheugen, der diesmal für die SPD gesprochen hat,


(Heiterkeit — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Hättet ihr mal nicht alle Liberalen rausgeschmissen!)

ja auch etwas vom Geschäftsordnungsthema abgewichen sind. All das wird in der Debatte deutlich werden, und diese Debatte wird in Kürze in diesem Hause geführt werden, aber nicht überstürzt, sondern sorgfältig. Wir möchten übrigens auch gerne die Reaktionen der besuchten Staaten und der nicht besuchten Staaten einmal hören, und diese werden erst im Laufe der nächsten Tage eintreffen.

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

Wir wollen diese Debatte sorgfältig führen, und weil sie sorgfältig geführt werden muß, werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen können. Wir werden uns hier morgen mit dem Bundeskanzler und dem Bundesaußenminister in der Aktuellen Stunde mit diesem Thema befassen, wie sich das für ein aktuelles Thema gehört. Damit wird nach Rousseau der Kollege Kleinert Lügen gestraft, der gesagt hat: Das wird verschleppt werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105701800
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der SPD auf Erweiterung der Tagesordnung. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Meine Damen und Herren, das Präsidium ist sich nicht einig. Ich darf diejenigen, die für den Antrag der SPD auf Erweiterung der Tagesordnung sind, bitten, sich zu erheben, damit das besser überschaubar ist. — Gegenprobe! — Meine Damen und Herren, das ist wirklich eine schwierige Sache. Wir müssen die Abstimmung durch einen Hammelsprung wiederholen. —
Stehen die Schriftführer an den Türen bereit? —

(Jahn [Marburg] [SPD]: Alle drei sind besetzt!)

Meine Damen und Herren, solange Sie nicht alle hinausgegangen sind, können Sie auch nicht wieder hereinkommen.
Meine Damen und Herren Schriftführer, würden Sie die Türen schließen, damit wir mit der Auszählung beginnen können.
Meine Damen und Herren, ich eröffne jetzt die Abstimmung. Bitte die Türen zur Abstimmung öffnen.
Meine Damen und Herren Schriftführer, können wir die Türen schließen? — Ich schließe die Abstimmung.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, ich bitte um einen Augenblick Gehör, um Ihnen das Abstimmungsergebnis mitzuteilen. Abgegebene Stimmen: 367. Von diesen haben 168 Abgeordnete des Hauses mit Ja gestimmt. Mit Nein haben 199 Abgeordnete des Hauses gestimmt. Damit ist der Antrag der SPD abgelehnt, und wir fahren in der vorgesehenen Tagesordnung fort.



Vizepräsident Frau Renger
Meine Damen und Herren, ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Fragestunde
— Drucksache 11/1734 —
Ich darf zunächst mitteilen: Der Herr Bundesminister Möllemann hat wegen Terminschwierigkeiten gebeten, die Fragen aus seinem Zuständigkeitsbereich zuerst aufzurufen. Ich gehe davon aus, daß Sie damit einverstanden sind, und rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf, zunächst die Frage 4 der Frau Abgeordneten Hillerich:
Was autorisiert das offizielle Informationsorgan des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft dazu, über die schon sehr breite Darstellung der vielfältigen dienstlichen wie privaten Aktivitäten Herrn Möllemanns hinaus, die Öffentlichkeit über die „weiteren wesentlichen Beiträge des jüngsten Mitglieds des Bundeskabinetts zur Karnevalssession" (Presseinformation des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft vom 15. Januar 1988) zu unterrichten?
Bitte schön, Herr Bundesminister.

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1105701900
Danke schön, Frau Präsidentin. — Ich.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105702000
Bitte schön, Sie haben das Wort.
Möllemann, Bundesminister: Ich habe geantwortet. Ich habe gesagt: Ich.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105702100
Ich dachte, Sie haben es so eilig.
Möllemann, Bundesminister: Nein, Entschuldigung. Die Antwort lautete: Ich.

(Heiterkeit)

Ich meine, die Frage hätte vielleicht anders lauten müssen, nämlich: Wer . . .? Dann wäre das klarer. Aber ein „was" gibt's bei uns im Ministerium nicht. Da also „wer" hätte gefragt werden müssen, sage ich: Ich.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105702200
Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort zu einer Zusatzfrage.

Imma Hillerich (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105702300
Kurz zur Erläuterung: Ich habe deswegen „was" gefragt, weil ich davon ausgegangen bin, daß es vielleicht einen offiziellen Auftrag gibt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Frage!)

— Die kommt jetzt. — Würden Sie mir denn zustimmen, Herr Minister, daß Informationen über Ihre närrischen Wochenenden, Karnevalsvergnügungen, Beförderungen, Teilnahme an Pressebällen und dergleichen mehr — all dies erfahren wir aus den Presseinformationen des Ministeriums — mit einem Informationsauftrag über die Bildungspolitik der Bundesregierung nichts zu tun haben,

(Zuruf von der SPD: Bei dieser Bundesregierung schon!)

wohl aber sehr viel mit Hofberichterstattung? Möllemann, Bundesminister: Nein.

Imma Hillerich (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105702400
Gibt es, Herr Minister, irgendwelche Möglichkeiten, vielleicht einmal einen Kodex zu vereinbaren, daß sich das Informationsorgan Ihres Ministeriums wirklich auf Informationen über Bildungspolitik beschränkt und Veröffentlichungen über sonstige politische und private Aktivitäten aus Ihrer eigenen Tasche bezahlt werden? Denn es handelt sich hier offensichtlich doch um einen Mißbrauch öffentlicher Gelder.
Möllemann, Bundesminister: Da schon die letzte Feststellung nicht stimmt, beantworte ich auch diese Frage mit Nein. Ich vereinbare mit Ihnen keinen Kodex.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105702500
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105702600
Herr Minister, sind Sie mit mir darüber einig, daß zumindest die Etatmittel von allen Fraktionen dieses Hauses bewilligt worden sind und insofern auch gewisse Anforderungen an die Nutzung dieses Etatpostens bestehen?
Möllemann, Bundesminister: Ja.

(Bohl [CDU/CSU]: Hervorragend!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105702700
Ich rufe die Frage 5 der Abgeordneten Frau Hillerich auf:
Könnte sich die Bundesregierung im karnevalistischen Überschwang dazu entschließen, die für die Zeit in dieser Presseinformation genannte „Gerichtsverhandlung" gegen Bundeslandwirtschaftsminister Kiechle ausgesprochene „Entpflichtung" Herrn Möllemanns vom Amt des Bundesbildungsministers auf die gesamte Legislaturperiode auszudehnen?
Bitte schön, Herr Bundesminister. Möllemann, Bundesminister: Nein.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105702800
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Hillerich.

(Zuruf von der CDU/CSU: Es fallen ihr keine ein!)


Imma Hillerich (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105702900
Doch, natürlich, es fallen mir schon welche ein. — Auch wenn Sie in Ihren Antworten im wesentlichen bestritten haben, was ich vermutet habe, möchte ich doch noch eine Frage stellen: Könnte es nicht sein, daß Ihre Auszeichnungen als Ritter und Geist eher auf mittelalterliche und feudale Ambitionen hinweisen, daß es außerdem, da in den karnevalistischen Veranstaltungen, denen Sie sich ja so gerne widmen, von eingeschränkter Urteilsfähigkeit als Voraussetzung für die Teilnahme die Rede ist,

(Heiterkeit — Dr. Jobst [CDU/CSU]: Die Dame hat keinen Sinn für Humor!)

sehr viel besser wäre, wenn Sie sich tatsächlich „entpflichten" ließen . . .

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105703000
Frau Kollegin, wir machen hier kein Korreferat.

Imma Hillerich (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105703100
..., daß es sehr viel besser wäre — —




Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105703200
Nein, verzeihen Sie: Frau Kollegin, Sie haben zwei Fragen gestellt, gleich in einer zusammengefaßt.

Imma Hillerich (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105703300
Das stimmt nicht.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105703400
Also, das sollten Sie zu mir nicht sagen. Sie haben es so verbunden, daß es zwei Fragen in einer waren. Da Sie dies noch erläutern wollten, möchte ich erst dem Herrn Bundesminister Gelegenheit geben zu antworten.
Herr Bundesminister, ich bitte um die Antworten.
Möllemann, Bundesminister: Also, die Auszeichnung für und als Geist gilt — entgegen allen Vermutungen — immer noch nicht als mittelalterlich, kann auch heute durchaus ihren Reiz haben.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Helau!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105703500
Jetzt haben Sie eine weitere Frage.

Imma Hillerich (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105703600
Ja, dann muß ich das nachtragen. Ich dachte, das Verständnis für Fragestellungen sei hier etwas weiter entwickelt. — Meine Gesamtfragestellung lautet: Könnte es nicht sein, daß Sie sich vor allen Dingen den karnevalistischen Veranstaltungen weiterhin widmen sollten und für diese Zeit auch „entpflichtet" werden sollten, eben weil Sie diesen feudalen Ambitionen nachjagen? Ich denke, das ist für einen Bundesbildungsminister nicht so die richtige Voraussetzung. Ich wiederhole die Voraussetzung für die Teilnahme an karnevalistischen Veranstaltungen, eine Voraussetzung, die Sie offenbar hervorragend erfüllen: beschränkte Urteilskraft.
Möllemann, Bundesminister: Frau Kollegin, ich jage keinen feudalen Ambitionen nach. Deswegen lautet die Antwort erneut: Nein.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105703700
Herr Kleinert, Sie haben eine Zusatzfrage. Bitte schön.

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105703800
Herr Bundesminister, können wir nach den hier vorliegenden Informationen davon ausgehen, daß Sie unter Umständen auch beabsichtigen, Ihre bundesweit bekannten Aktivitäten zur Rettung des vom Abstieg bedrohten Profi-Fußballvereins Schalke 04 demnächst auch über die Presseinformationen des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen?
Möllemann, Bundesminister: Nein, das haben Sie mit Ihrer Bemerkung jetzt überflüssig gemacht.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das war gut!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105703900
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reddemann.

Dr. Gerhard Reddemann (CDU):
Rede ID: ID1105704000
Herr Kollege Möllemann, würden Sie mir zustimmen, wenn ich der Großen Hagener Karnevalsgesellschaft meinen Respekt dafür ausdrücke, daß sie Ihnen angesichts solcher Fragen schon rechtzeitig vorher die Kette des Goldenen Humors verliehen hat?
Möllemann, Bundesminister: Ich finde, daß Ihr Kompliment für die Große Hagener Karnevalsgesellschaft auch auf die Karnevalsgesellschaft der Bösen Geister in Münster ausgeweitet werden kann und auf weitere, die dafür in Frage kommen. Insbesondere finde ich, daß wir beide, Herr Kollege, uns offenbar darauf verstehen, daß man in diesem Leben gelegentlich auch noch lachen darf.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105704100
Das wollen wir einmal sehen: Herr Kollege Gansel.

(Heiterkeit)


Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1105704200
Herr Kollege Möllemann, sprechen Sie bei Ihrem klaren und keine Interpretationen zulassenden Nein zu der Forderung der karnevalistischen Gerichtsverhandlung, Sie mögen sich von Ihrem Amt als Bundesbildungsminister entpflichten lassen, im Auftrage der Bundesregierung, oder übernehmen Sie für dieses Nein die persönliche Verantwortung?
Möllemann, Bundesminister: Beides.

(Heiterkeit)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105704300
Herr Stratmann hat eine Zusatzfrage.

Eckhard Stratmann (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105704400
Herr Möllemann, in Anknüpfung an, aber auch ein bißchen gegen meinen Kollegen Hubert Kleinert frage ich: Stimmen Sie mit mir darin überein, daß wir meinen ehemaligen traditionsreichen Fanclub FC Gelsenkirchen/Schalke 04 nicht in den Abstiegsstrudel bestimmter Minister hineinziehen sollten?

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Möllemann, Bundesminister: Ich habe Ihre Frage nicht ganz verstanden; sie war etwas kompliziert formuliert.

(Lachen bei den GRÜNEN)

Wären Sie so liebenswürdig, sie zu wiederholen?

Eckhard Stratmann (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105704500
Stimmen Sie in Anknüpfung an und ein bißchen auch gegen meinen Kollegen Hubert Kleinert mit mir darüber überein, daß wir meinen traditionsreichen Fanclub FC Gelsenkirchen/ Schalke 04 nicht in den Abstiegsstrudel bestimmter Minister hineinziehen sollten?
Möllemann, Bundesminister: Ich stimme mit Ihnen darüber überein, daß Schalke 04 nicht so enden sollte wie Joschka Fischer.

(Häfner [GRÜNE]: Er hat noch nicht geendet!)

— Sie sprachen doch vom Abstieg bestimmter Minister.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105704600
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Penner.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1105704700
Herr Möllemann, würde es überhaupt auffallen, wenn der Bundesbildungsminister im Sinne der Frage entpflichtet würde?

(Heiterkeit bei der SPD)




Möllemann, Bundesminister: Herr Kollege Dr. Penner, ich bin sicher, selbst Ihnen würde das auffallen.

(Heiterkeit)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105704800
Herr Bundesminister, Sie können mir, wenn Sie die Fragen, die nicht mehr im Sachzusammenhang stehen, nicht beantworten wollen, natürlich sagen, daß ich sie nicht weiterleite.

(Dr. Penner [SPD]: Was soll das denn?) Frau Oesterle-Schwerin, eine Zusatzfrage.


Jutta Oesterle-Schwerin (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105704900
Herr Bundesminister, handeln Sie bei Ihrer karnevalistischen Tätigkeit im Auftrag des Bundeskanzlers oder als Privatmann?
Möllemann, Bundesminister: Umfassend. (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Frau Renger: Letzte Zusatzfrage.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1105705000
Herr Bundesminister, sind Sie mit mir einig, daß die Probleme des FC Schalke so ernst sind, daß man sie nicht mit karnevalistischen Dingen in Verbindung bringen sollte?
Möllemann, Bundesminister: Diese scharfe Kritik an Herrn Kleinert und Herrn Stratmann kann ich nicht völlig zurückweisen.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das steht Ihnen auch gar nicht zu!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105705100
Danke schön, Herr Bundesminister. Damit ist Ihr Fragenbereich beendet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Zur Beantwortung der Frage steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Stiegler auf:
Hat der Bundeskanzler mit seinen Gesprächspartnern in der CSSR für den Ausbau der Autobahnverbindung zwischen Prag und Nürnberg einen Zeithorizont ins Auge gefaßt, und ist dabei auch über die Absicht gesprochen worden, eine Ortsumgehung des Grenzübergangs Waidhaus dadurch zu erreichen, daß schon vorab ein neuer, im Zuge der künftigen Autobahntrasse liegender Grenzübergang bei Waidhaus geschaffen wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1105705200
Herr Kollege Stiegler, Ministerpräsident Strougal hat im Gespräch mit Bundeskanzler Dr. Kohl die geplante Autobahn Nürnberg—Prag als eine wichtige Verkehrsverbindung bezeichnet, über die sich die Fachleute alsbald unterhalten sollten, um dann zu konkreten Übereinkünften zu kommen. Der Bundeskanzler hat diese Auffassung bekräftigt, ohne einen zeitlichen Rahmen vorzugeben.
Bereits beim Besuch von Bundesverkehrsminister Dr. Warnke in Prag im Herbst 1987 war vereinbart worden, daß sich die deutsche und die tschechoslowakische Seite über alle Entwicklungen im Zuge der vorgesehenen künftigen Autobahnverbindung rechtzeitig informieren. Das deutsche Autobahnteilstück bis zur Grenze der CSSR ist in dem derzeit gültigen Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen in der Stufe „Planung" vorgesehen. Bei der Fortschreibung des Bedarfsplans ist die Einstufung zu überprüfen. Das Ergebnis wird wesentlich auch von Planungsstand und Baufortschritt auf der tschechoslowakischen Seite abhängen.
Vorgesehen ist, daß eine etwa notwendig werdende neue Grenzabfertigungsanlage im Zuge der späteren Autobahntrasse errichtet wird. Bereits durch die Anbindung des südlich von Waidhaus gelegenen Teilstücks der Autobahn 6 an die Bundesstraße 14 würde sich die Funktion einer Ortsumgehung von Waidhaus ergeben.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105705300
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.

Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1105705400
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung jetzt unmittelbar initiativ werden, um insbesondere dieses Teilstück Ortsumgehung von Waidhaus, das dringend notwendig ist, zu forcieren und nicht die Planungszeiträume abzuwarten, mit denen man drüben wie hüben üblicherweise rechnen muß?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, dies wäre erst dann sinnvoll, wenn auf der anderen Seite der Grenze eine Autobahnweiterführung sichergestellt wäre; ich will es bewußt so formulieren.
Eine Übereinkunft über die grundsätzliche Trassierung im Grenzbereich ist allerdings, wie Sie wissen, bereits 1969 getroffen worden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105705500
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.

Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1105705600
Herr Staatssekretär, Sie sind mir jetzt ausgewichen. Mir geht es um folgendes — die Trassenführung steht fest; es wird eine Verbindung geben — : Werden Sie nicht abwarten, bis die andere Seite auf Sie zukommt, sondern als Bundesregierung konkret auf die tschechoslowakische Seite zugehen und sagen: Nun laßt uns die Ortsumgehung von Waidhaus, die dringend notwendig ist, beschleunigt anpacken und nicht weitere Planungszeiträume abwarten?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich verstehe Ihren Wunsch durchaus. Ich gehe davon aus, daß dieses Gespräch in Prag dazu führen wird, daß wir schneller vorankommen, als wir das beide bisher annehmen konnten. Ich kann Ihnen allerdings nicht sagen, wann wir konkret Ihrem Wunsch entsprechen können.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105705700
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jobst.

Dr. Dionys Jobst (CSU):
Rede ID: ID1105705800
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß das Teilstück der A 6 von Amberg zur tschechoslowakischen Grenze bei Waidhaus, das in der ersten Dringlichkeitsstufe



Dr. Jobst
enthalten ist, von Amberg nach Freyung, jetzt vordringlich ausgebaut werden wird?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich will das noch einmal ganz präzise überprüfen und werde Ihnen eine schriftliche Antwort zusenden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105705900
Keine weitere Zusatzfrage. — Dann danke ich Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Zur Beantwortung der Frage steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Probst zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 der Frau Abgeordneten Bulmahn auf:
Wie hat sich das Verhältnis der indirekten zu den direkten Fördermaßnahmen des Bundes zur Förderung ziviler Forschung und Entwicklung in der gewerblichen Wirtschaft seit 1978 entwickelt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Albert Probst (CSU):
Rede ID: ID1105706000
Frau Kollegin, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Das Verhältnis der indirekten zu den direkten Förderungsmaßnahmen des Bundes zur Förderung ziviler Forschung und Entwicklung in der gewerblichen Wirtschaft betrug 1978 etwa 1:10. Es veränderte sich durch die Einführung des Personalkostenzuschusses auf 1:4. Ab 1983 beträgt das Verhältnis — besonders durch die Wiedereinführung der Sonderabschreibungen auf Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen und die gleichzeitige Rückführung der direkten Projektförderung durch den BMFT bedingt — etwa 1:2.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105706100
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Bulmahn.

Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1105706200
Herr Staatssekretär, angesichts der von Ihnen verlesenen Daten werden Sie mir sicher darin zustimmen, daß die Neuorientierung in der Forschungspolitik im Hinblick auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen indirekter und direkter Forschungsförderung bereits 1979 erfolgte, nicht, wie von der Bundesregierung immer wieder behauptet, seit 1982.
Welche Gründe haben die Bundesregierung nun dazu bewogen, zukünftig die direkte Forschungsförderung wieder auszubauen und so zu der Relation, die in der zweiten Hälfte der 70er Jahre bestand, zurückzukehren, obgleich doch der Forschungsminister den Ausbau der indirekten Förderung bisher damit begründet hat, daß auf diese Art und Weise der Mittelstand stärker in die Forschungsförderung einbezogen werden könne?
Dr. Probst, Pari. Staatssekretär: Frau Kollegin, Ihre Unterstellung trifft nicht zu.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105706300
Die zweite Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Bulmahn.

Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1105706400
Das war keine Unterstellung, sondern es geht aus Ihren Daten hervor.

(Dr. Penner [SPD]: Das war eine Selbstunterstellung! — Gansel [SPD]: Wenn man den Daten der Regierung glaubt, ist das immer eine Unterstellung!)

Die Daten der Regierung haben meine Behauptung unterstützt. Ich denke, das wissen auch Sie, Herr Probst.
Ich habe eine weitere Frage. Von seiten des Herrn Staatssekretärs Dr. von Wartenberg wurde das Auslaufen der Programme damit begründet, daß diese Programme ihre Aufgabe erfüllt hätten. Untersuchungen wie die des DIW belegen, daß die Bundesrepublik seit Beginn der 80er Jahre gegenüber den USA und Japan als führenden Technologienationen in den Forschungs- und Technologieaufwendungen zurückgefallen ist. Gravierender noch als der Vergleich — —

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105706500
Verehrte Frau Kollegin, ich muß Sie leider unterbrechen. Es geht nicht, daß Sie eine so lange Frage in dieser Form stellen. Ich bitte Sie, jetzt zu fragen.

(Bohl [CDU/CSU]: Alles vorbereitet!) Frau Bulmahn (SPD): Die Frage kommt jetzt!


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105706600
Bitte, Sie müssen sich an die Regeln halten.

Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1105706700
Das mache ich!

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105706800
Ich kann hier doch nicht für jeden neue Regeln einführen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Bitte!

Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1105706900
Gravierender noch als der Vergleich der Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen sind die Entwicklungsunterschiede beim wissenschaftlichen F- und E-Personal, da ja gerade — —

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105707000
Es tut mir leid! Wenn Sie jetzt nicht zu Ihrer Frage kommen, können Sie sie nicht mehr stellen!

Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1105707100
Ich frage Sie: Wie sind auf diesem Hintergrund, den ich eben umrissen habe, nach Auffassung der Bundesregierung die Entscheidungen der Bundesregierung, a) das Forschungs- und Entwicklungs-Personalkostenzuschußprogramm vorzeitig zu beenden und b) das Forschungs- und Entwicklungs- Personalzuwachsprogramm auslaufen zu lassen,

(Zurufe von der CDU/CSU: Und c?) zu rechtfertigen?

Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich bin gern bereit, Ihnen den ersten Teil Ihrer Frage schriftlich zu beantworten und Ihnen eine Stellungnahme zukommen zu lassen, da Sie ja behaupten, daß die Bundesrepublik im Vergleich zu den Vereinigten Staaten von Amerika und zu Japan zurückgefallen sei, was nicht zutrifft. Ich werde Ihnen die Zahlen gerne liefern.



Parl. Staatssekretär Dr. Probst
Das Auslaufen von Programmen ist beim Bundesminister für Forschung und Technologie, seit er besteht, gerade im Bereich der Förderung der mittelständischen Wirtschaft eine Selbstverständlichkeit; denn nichts wäre verhängnisvoller, als Förderungsprogramme zu perpetuieren, weil man sich an den Mittelzufluß ohne Leistung relativ schnell gewöhnt. Das heißt, die Programme haben das Ziel, Anstöße zu geben, nicht aber das Ziel, eine Dauerfinanzierung zu leisten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105707200
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1105707300
Herr Staatssekretär, Frau Bulmahn hat gefragt, wie sich das Verhältnis der indirekten zu den direkten Fördermaßnahmen des Bundes zur Förderung ziviler Forschung und Entwicklung in der gewerblichen Wirtschaft seit 1978 entwickelt hat. Da Sie ja der Koordinator für die Grundlagenforschung auch im Bereich des Einzelplans 14 des Bundesministeriums der Verteidigung sind, darf ich Sie fragen, wie sich dieses Verhältnis dort entwickelt hat.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ich kann die Zahlen für den Verteidigungsbereich hier natürlich nicht aus dem Ärmel schütteln.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1105707400
Das wird ja auch nicht erwartet!

(Bohl [CDU/CSU]: Was fragen Sie denn dann?)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105707500
Herr Staatssekretär, ich nehme an, daß Sie auch zu schriftlicher Beantwortung bereit sind.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Soweit uns die Zahlen vorliegen und soweit uns das möglich ist, werde ich die Frage gern schriftlich beantworten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105707600
Sehr schön.
Dann rufe ich Frage 3 der Abgeordneten Frau Bulmahn auf:
Wie wird sich dieses Verhältnis im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung bis 1991 entwickeln?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, in den Jahren 1988 bis 1990 wird die Relation voraussichtlich in etwa auf diesem Niveau verbleiben — nämlich 1 : 2 — , weil der im Zuge der Steuerreform beabsichtigte Wegfall der Forschungs- und Entwicklungsinvestitionszulage erst 1991 kassenwirksam wird und die auslaufende personalorientierte Forschungsförderung in diesem Zeitraum noch erhebliche Haushaltsmittel bindet. Erst 1991 dürfte sich die Relation besonders durch den Wegfall der steuerlichen Forschungsförderung, speziell der FuE-Investitionszulage, auf etwa 1 : 4 ändern.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105707700
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Bulmahn.

Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1105707800
Herr Probst, eine ganz kurze Bemerkung zu Ihrer vorigen Aussage, daß sich das
Verhältnis nicht verschlechtert habe. Sie wissen sicherlich genauso gut wie ich, daß die Aufwendungen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt gesetzt werden. Prozentual hat sich das nicht verändert, vom Volumen her hat sich der Abstand zwischen den Ländern jedoch entscheidend vergrößert, da das Bruttoinlandsprodukt in den USA und in Japan sehr stark gestiegen ist und damit auch die Forschungsaufwendungen gestiegen sind.
Meine Frage: Angaben Ihres Hauses zufolge erhielten die mittelständischen Unternehmen in den letzten Jahren je selbst aufgebrachter Forschungsmark etwa doppelt soviel an Fördermitteln des Bundes wie Großunternehmen. Wie wird sich diese Relation in den folgenden Jahren entwickeln?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die Zahl, die Sie nennen, bezieht sich auf die vom Bund geförderten Großunternehmen, was damit zusammenhängt, daß einige Aufträge, an denen der Bund ein Interesse hat, nur durch Großunternehmen abgewickelt werden können. Ich erinnere an das große Projekt des Schnellen Brüters, das ja seinerzeit unter einem SPD-Forschungsminister initiiert worden ist. Es ist selbstverständlich, daß so ein Großprojekt nicht durch Kleinunternehmen allein abgewickelt werden kann.
Aber selbstverständlich ist im Rahmen der Großaufträge, die an große Firmen vergeben werden, eine Vielzahl kleinerer Unternehmen als Subauftragnehmer mit von der Partie. Die hier genannten Zahlen stimmen deshalb nicht, was den gesamtwirtschaftlichen Rahmen anlangt und auch was das Beteiligungsvolumen dieser großen Firmen im Vergleich zu kleineren Firmen betrifft.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105707900
Eine zweite Zusatzfrage, Frau Kollegin.

Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1105708000
Ich hatte keine Zahlen genannt, sondern ich hatte gesagt, daß nach einer Mitteilung Ihres Hauses aus dem Jahr 1984 ein mittelständisches Unternehmen je aufgebrachter Forschungsmark etwa doppelt soviel von den Fördermitteln des Bundes erhielt. Sie können diese Mitteilung ja sicherlich noch einmal selber nachlesen.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Das ist ja unbestritten.

Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1105708100
Meine zweite Zusatzfrage: Wie die mittelfristige Finanzplanung des Bundes zeigt, will die Bundesregierung die Mittelstandsförderung insgesamt von 1 083,2 Millionen DM im Jahre 1987 auf 485 000 000 DM im Jahre 1991 zurückfahren. Die drastischen Kürzungen bleiben dabei keinesfalls auf die Forschungsförderung beschränkt.
Herr Staatssekretär, welche alternativen Konzepte, welche konkreten Vorstellungen hat die Bundesregierung entwickelt, damit es nicht zu einem Kahlschlag gerade bei jenen Unternehmen kommt, die sich in den vergangenen Jahren als besonders arbeitsmarktstabilisierend erwiesen haben und von denen das Innovationspotential und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wesentlich abhängen?



Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, noch einmal zu Ihrer ersten Einlassung: Die Zahl, die Sie genannt haben, ist ja unbestritten. Bloß, sie steht in keinem direkten Zusammenhang zu der anschließend gestellten Frage, wenn ich auf die vorige Frage noch einmal zurückkommen darf. Es ist selbstverständlich — ich habe Ihnen das schon erläutert — , daß Programme bei uns auslaufen, weil sie nur Anstoßcharakter haben.
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland in der Vergangenheit besonders ein Problem zu lösen gehabt, nämlich das hohe Niveau handwerklichen Könnens mit der Elektronik zu verbinden, um auf dem Weltmarkt präsent zu sein. Das ist heute in weitgehendem Maße gelungen, d. h. dieses Ziel wird in der nächsten Zeit erreicht mit der Folge, daß sich die hiermit zusammenhängenden Programme sozusagen von selbst erledigen.
Das bedeutet nicht, daß nicht neue Elemente auftreten. Die Bundesregierung ist derzeit bemüht, diese neuen Elemente zusammenzufassen und hier neue Akzente zu setzen. Zum Beispiel glauben wir — um Ihnen einen Schwerpunkt zu nennen — , daß es künftig für die Betriebe von besonderer Bedeutung ist, einen raschen und guten Zugang zu Informationssystemen und zum Wissen im anwendungsnahen Bereich zu bekommen. Hier wird in der Zukunft mit Sicherheit ein Schwerpunkt gesetzt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105708200
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1105708300
Herr Staatssekretär, kurze Frage, wahrscheinlich eine lange Antwort: Was sind Ihre Alternativkonzepte?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Eine Fülle von Einzelmaßnahmen, Herr Kollege, die wir in den nächsten Jahren Ihnen alle offenlegen werden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105708400
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär, für die ausführliche Beantwortung der Fragen.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Spranger steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Frage 6 der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin:
Teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß Homosexualität dann nicht als Sicherheitsrisiko anzusehen ist, wenn sich der oder die Betroffene zu seiner oder zu ihrer Neigung bekennt, und welche Auswirkungen hat dies auf den Umgang der Bundesregierung mit Homosexuellen, die in sicherheitsrelevanten Bereichen arbeiten, insbesondere im Hinblick auf den Umgang mit personenbezogenen Daten im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungen z. B. des MAD und des Bundesamtes für den Verfassungsschutz und die Förderung bzw. des Umgehens mit dem Bekenntnis von schwulen und lesbischen Mitarbeitern/innen in Bundesbehörden und dem Bekanntmachen dieser Ansicht gegenüber allen Mitarbeitern/innen, die in Bereichen arbeiten, wo dies relevant werden könnte?
Bitte.

Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID1105708500
Frau Präsidentin, wegen des Zusammenhangs beider Fragen wäre ich dankbar, wenn ich beide Fragen gemeinsam beantworten könnte.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105708600
Wenn das möglich ist, haben Sie vier Zusatzfragen.

Jutta Oesterle-Schwerin (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105708700
Nein, ich bin nicht einverstanden. Bitte getrennt beantworten.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Bei der Antwort lege ich die von der Bundesregierung am 11. November 1987 beschlossenen neuen Sicherheitsrichtlinien, die am 1. Mai 1988 in Kraft treten, zugrunde.
Die neuen Sicherheitsrichtlinien bestimmen in § 4, wann ein Sicherheitsrisiko vorliegt. Ein solches ist u. a. dann gegeben, wenn besondere Umstände vorliegen, die eine besondere Gefährdung durch Anbahnungs- oder Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste, insbesondere die Besorgnis der Erpreßbarkeit, begründen. Umstände, die bekannt sind und zu denen sich eine Person offen bekennt, können in aller Regel kein Mittel für eine Erpressung sein; sie stellen daher regelmäßig auch kein Sicherheitsrisiko dar. Dies gilt grundsätzlich auch für die in der Frage angesprochene Homosexualität.
Die neuen Sicherheitsrichtlinien sind nicht mehr als Verschlußsachen eingestuft. Jeder Bedienstete kann sich deshalb darüber informieren, was als Sicherheitsrisiko angesehen wird. Selbstverständlich kann er sich in diesen Fragen auch durch seinen Geheimschutzbeauftragten beraten lassen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105708800
Zusatzfrage, Frau Oesterle-Schwerin.

Jutta Oesterle-Schwerin (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105708900
Wie erklärt sich die Bundesregierung denn dann, daß der Bundesbeauftragte für den Datenschutz mir gegenüber angegeben hat, er habe unlängst im Rahmen seiner datenschutzrechtlichen Prüfungen beim MAD und beim Bundesamt für Verfassungsschutz die Verarbeitung von personenbezogenen Daten im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung im Zusammenhang mit Homosexualität beanstanden müssen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihre Aussage jetzt nicht kommentieren, weil ich die Bewertung oder die Aussage, die der Datenschutzbeauftragte Ihnen gegenüber gemacht hat, nicht bestätigen kann. Das mag so sein. Ich bin gerne bereit, den Fall, den Sie hier zitieren, zu überprüfen und Ihnen eine entsprechende Antwort zugänglich zu machen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105709000
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1105709100
Herr Staatssekretär, als Berichterstatter im damaligen Untersuchungsausschuß Kießling darf ich Sie fragen, welche Erkenntnisse Sie aus diesem Untersuchungsausschuß in bezug auf die Sicherheitsrichtlinien umgesetzt haben.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich darf noch einmal auf das verweisen, was in § 4 der neuen Sicherheitsrichtlinien vorgesehen ist und welchen Inhalt diese Sicherheitsrichtlinien in bezug auf das jetzt angeschnittene Problem haben. Soweit aus dem Sachverhalt, den Sie zitiert haben, überhaupt Konsequenzen gezogen worden sind, sind sie bei der Neufassung der Sicherheitsrichtlinien einbezogen worden.




Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105709200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kleinert.

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105709300
Herr Spranger, bezugnehmend auf Ihre Antwort auf die Frage der Kollegin Frau Oesterle-Schwerin möchte ich Sie fragen, ob Sie meinen Eindruck teilen können, daß Sie über die Beanstandungen, die der Bundesbeauftragte für den Datenschutz bezüglich dieser Personengruppe vorzunehmen hatte, offenbar nicht umfassend unterrichtet sind.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ihren Eindruck kann ich nicht teilen. Im übrigen werfen Sie ein Problem auf, das mit der Frage von Frau Oesterle-Schwerin nicht im Zusammenhang steht. Das ist etwas völlig Neues.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105709400
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Penner.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1105709500
Herr Kollege Spranger, würden Sie denn Homosexuelle, deren Geschlechtsneigung bekannt ist, soweit es Ihre Zuständigkeit betrifft, im sicherheitsrelevanten Bereich tätig sein lassen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe hier keinen Anlaß, auf hypothetische Fragen irgendwelche Antworten zu geben.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105709600
Sie können antworten, wie Sie mögen.
Herr Abgeordneter Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105709700
Herr Staatssekretär, im Anschluß an Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen Klejdzinski, „sofern überhaupt Konsequenzen gezogen worden sind", frage ich: Warum wissen Sie als Staatssekretär bei einem solch aufsehenerregenden Skandal der Bundesregierung nicht, ob Konsequenzen gezogen sind?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich sehe hier keinen Zusammenhang mit den von mir zitierten neuen Sicherheitsrichtlinien, die das Problem eindeutig lösen, das Frau Oesterle-Schwerin angeschnitten hat. Ich brauche hier keine Schlußfolgerungen zu ziehen, aus welchem früheren Sachverhalt irgendwelche Konsequenzen bei der Neu-Fassung der Sicherheitsrichtlinien eingeflossen sind. Wir haben Sicherheitsrichtlinien; deren Grund und deren Ursache brauchen hier nicht diskutiert zu werden; sie sind vernünftig und sinnvoll. Das ist ja wohl unbestritten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105709800
Frau Abgeordnete Oesterle-Schwerin hat noch eine Zusatzfrage.

Jutta Oesterle-Schwerin (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105709900
Herr Staatssekretär, da Sie die Frage meines Kollegen Kleinert gerade als hypothetisch bezeichnet haben, muß ich Sie doch fragen: Gehen Sie davon aus, daß homosexuelle Männer und Frauen sich von Anfang an gar nicht trauen, sich in solchen Bereichen zu bewerben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe nicht die Frage Ihres Kollegen Kleinert als hypothetisch bewertet, sondern die Frage des Herrn Kollegen Dr. Penner.

(Dr. Penner [SPD]: Das ehrt Sie aber! — Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Ist das die einzige Antwort? Das ist ein bißchen wenig!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105710000
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sellin.

Peter Sellin (GRÜNE):
Rede ID: ID1105710100
Herr Staatssekretär, wie können Sie die Angst ausräumen, daß jemand, der sich zu seiner Homosexualität bekennt und sich im sicherheitsrelevanten Bereich bewirbt, Nachteile erleidet?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich verweise auf meine Antwort: Auf Grund des § 4 der Sicherheitsrichtlinien ist davon auszugehen, daß Umstände, zu denen sich eine Person offen bekennt und die nun bekannt gemacht werden können, da ja keine Nachteile zu befürchten sind, in aller Regel kein Mittel der Erpressung sein können. Deswegen wurde die Bestimmung so getroffen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105710200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1105710300
Herr Staatssekretär, da Sie nicht bereit sind, die hypothetische Frage meines Kollegen Penner nach homosexuellen Männern und Frauen zu beantworten, frage ich Sie, ob Sie bereit sind, die hypothetische Frage zu beantworten, ob Sie bereit sind, heterosexuelle Männer und Frauen als Mitarbeiter im sicherheitsrelevanten Bereich zu beschäftigen.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich muß leider sagen, daß ich zwischen dem in der schriftlichen Frage angeschnittenen Thema und Ihrer Frage jetzt keinen unmittelbaren Sachzusammenhang sehe.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105710400
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stiegler.

Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1105710500
Herr Staatssekretär, würden Sie es dem Personenkreis, den der Kollege Dr. Penner angesprochen hat, verbieten, in Ihrem Umkreis tätig zu sein?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, wie Sie den Begriff „Umkreis" definieren.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105710600
Ich rufe die Frage 7 der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin auf:
Teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß die negativen Konsequenzen, die schwule Männer und lesbische Frauen bei einem Bekenntnis zu ihrer Homosexualität drohen (z. B. für den Verlust der Sicherheitsbescheide bei Offizieren, oder wenn ein Bekenntnis zur Homosexualität negative Auswirkungen auf die Karriere hat) dazu führen, daß Menschen ihre Homosexualität verbergen müssen, wodurch Sicherheitsrisiken unnötigerweise erst entstehen, und welche Initiativen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um die Befürchtungen des Betroffenen auszuräumen und durch klare Richtlinien die Betroffenen zur Vermeidung von Erpressungen und unnötigen Risiken zum Bekenntnis zu ihrer Homo- oder auch Bisexualität zu ermutigen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Oesterle-Schwerin, ich verweise zur Antwort auf
Deutscher Bundestag — l 1. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Februar 1988 3941
Parl. Staatssekretär Spranger
meine ausführliche erste Antwort auf Ihre erste Frage.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105710700
Sie haben zwei Zusatzfragen, Frau Kollegin.

Jutta Oesterle-Schwerin (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105710800
Sie machen es sich schon wahnsinnig einfach. Daran merkt man, wie schwer es Ihnen fällt, über dieses Thema zu sprechen.
Meine Frage lautet: Vermag die Bundesregierung nicht einzusehen, daß allein eine klare und verläßliche Regelung, die auf die Gleichbehandlung aller Lebensformen hinausläuft, es Lesben und Schwulen ermöglicht, sich so zu verhalten, daß sie nicht erpreßbar sind?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß die Sicherheitsrichtlinien die Frage der Erpreßbarkeit — das war der Gegenstand Ihrer Fragen — klar geregelt haben und insofern kein Ergänzungsbedarf besteht.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105710900
Zweite Zusatzfrage, Frau Kollegin.

Jutta Oesterle-Schwerin (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105711000
Wie will die Bundesregierung den enormen Druck negativer Auswirkungen eines offenen Auftretens als Homosexuelle auf den Beruf auf der einen Seite und der Angst davor, entdeckt zu werden, auf der anderen Seite, von den Betroffenen nehmen, und was gedenkt sie zu tun, um Schwulen und Lesben diesen Konflikt zu ersparen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe hier nicht Stellung zu nehmen zu diesen Konflikten, die Sie hier feststellen, sondern ich habe die Frage zu klären, inwieweit sich das nachteilig in sicherheitsempfindlichen Bereichen auswirken könnte. Da das nicht der Fall ist, wie ich dargestellt habe, ist auch diese Frage im Grunde schon beantwortet.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105711100
Ich bitte darum, nur solche Fragen zu stellen, die im Zusammenhang mit der Ursprungsfrage stehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1105711200
Herr Staatssekretär, da Sie erklärt haben, daß die zweite Frage der Frau Kollegin bereits mit Ihrer Antwort auf die erste Frage erledigt sei, darf ich Sie fragen, ob Sie es deswegen nicht beantworten können, weil Sie es gemeinsam aufgeschrieben haben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege. Dieser Sachverhalt ist komplex, und er ist komplex zu beantworten. Das ist mit der ersten Antwort geschehen. Ich wäre froh gewesen, wenn man gestattet hätte — was dem Sachzusammenhang entsprochen hätte —, beide Fragen gemeinsam zu beantworten. Aber das war ja leider nicht möglich.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105711300
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stiegler.

Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1105711400
Herr Staatssekretär, ich habe eben untechnisch nach Ihrem „Umkreis" gefragt. Ich möchte die Frage präzisieren im Hinblick auf Ihren Zuständigkeitsbereich im Ministerium.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich könnte auch hier nur abstrakte Antworten geben, die mit Sicherheit nicht im Gegensatz zu den Bestimmungen stehen, die ich Ihnen vorgetragen habe.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105711500
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Penner.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1105711600
Dann will ich noch einmal versuchen, es konkret zu fassen. Herr Staatssekretär, lehnen Sie Einstellungen und Beschäftigungen von Homosexuellen im sicherheitsrelevanten Bereich, soweit es Ihre Zuständigkeit betrifft, ab?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich werde mich, soweit mir Entscheidungskompetenzen in dem Zusammenhang überhaupt alleine zustehen, streng an die entsprechenden Sicherheitsregelungen halten, die ich vorgetragen habe.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105711700
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1105711800
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, Vorgesetzte zu ermutigen, die homosexuelle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen wollen, die sich dazu bekennen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, wie sollten uns darauf einigen, daß wir hier keine personalpolitischen Probleme erörtern, sondern daß es hier um Sicherheitsrichtlinien geht, die ich zitiert habe.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105711900
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sellin.

Peter Sellin (GRÜNE):
Rede ID: ID1105712000
Herr Staatssekretär, lassen Sie sich von der Speicherungspraxis beim BKA, beim MAD, beim Verfassungsschutz und von Rosa Listen beeinflussen, wenn Sie nach den genannten Sicherheitsrichtlinien für Ihren Bereich im Innenministerium Auswahl zu treffen haben?

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Ist das Gegenstand der Frage? — Dr. Penner [SPD]: Aber ja!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105712100
Der Herr Staatssekretär wird das schon machen.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Auswahlkriterien für das Personal im Ministerium stehen eindeutig fest. Es besteht nicht die Absicht, von diesen Auswahlkriterien abzuweichen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105712200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidt.

Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105712300
Herr Staatssekretär, würden Sie uns bitte erläutern, wie die Sicherheitsrichtlinien aussehen, und damit vielleicht doch die Frage des Abgeordneten Dr. Penner beantworten?



Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen die Sicherheitsrichtlinien unmittelbar zusenden. Sie sind allgemein bekannt und auch den Behördenangehörigen jederzeit zugänglich.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105712400
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Hiermit ist auch Ihr Geschäftsbereich beendet.

(Stiegler [SPD]: Nein, ich habe Frage 8 gestellt!)

— Sie wird im Zusammenhang mit dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf.
Die Fragestellerin der Frage 9, Frau Abgeordnete Dr. Däubler-Gmelin, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Riedl steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe Frage 10 des Herrn Abgeordneten Gansel auf:
Wann entspricht die Bundesregierung der schriftlichen Bitte der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Kiel vom 16. Oktober 1987, ihr den Wortlaut des Geheimschutzabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Indien und anderer einschlägiger Texte zuzustellen, damit die mögliche Weitergabe von militärischen Geheimnissen von Firmen in der Bundesrepublik Deutschland an die Republik Südafrika überprüft werden kann?

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID1105712500
Frau Präsidentin, Herr Abgeordneter, der Bundesminister der Verteidigung hat mit Schreiben vom 19. Januar 1988 die an ihn gerichtete schriftliche Bitte vom 16. Oktober 1987 beantwortet und der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Kiel den Wortlaut des in Frage stehenden Geheimschutzabkommens übermittelt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105712600
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1105712700
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung der Staatsanwaltschaft nicht nur den Text des Geheimschutzabkommens übermittelt, sondern auch die Einstufungsliste, die Unterlagen, die an Südafrika übergeben worden sind und mit denen möglicherweise gegen Geheimschutzbestimmungen verstoßen worden sein kann, sowie die Machbarkeitsstudie des Bundesunternehmens für den U-Boot-Bau in Südafrika, aus der sich ergibt, daß die zwischen den Firmen geschlossenen Verträge Pläne von indischen U-Booten betreffen?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich müßte diese Fragen durch Rückfragen beim Bundesminister der Verteidigung klären. Ich kann Ihnen das im Augenblick nicht sagen. Ich weiß nur, daß der Wortlaut des in Frage stehenden Geheimschutzabkommens übermittelt worden ist. Ich werde mich bemühen, dies heute nachmittag zu klären. Ich teile Ihnen das gern mit. Ich bin überfragt. Ich weiß es nicht.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1105712800
Aber warum hat denn dann nicht gleich das Bundesverteidigungsministerium geantwortet, wenn Sie das Bundesverteidigungsministerium fragen müssen, um meine Fragen zu beantworten?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ja, sehen Sie: Hätten Sie das gefragt, was Sie jetzt gefragt haben, dann hätte ich mich darauf vorbereiten können, Herr Abgeordneter.

(Bohl [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Es ist ja immer so, daß die Bundesregierung sich bemüht, diejenigen Fragen zu beantworten, die gestellt worden sind. Und wenn ich Ihnen jetzt die Bereitschaft erkläre, das zu klären, was Sie bislang nicht gefragt haben, so sollten Sie das doch anerkennen. Ich bin ja sehr bemüht, Ihren Wissensdrang zu stillen.

(Gansel [SPD]: Ein Beitrag zur Entbürokratisierung!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105712900
Herr Abgeordneter Schmidt (Salzgitter) zu einer Zusatzfrage.

Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105713000
Herr Staatssekretär, ich würde wenigstens gern wissen, ob Sie die Gründe hier erläutern können, die zu der Verzögerung geführt haben.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Das kann ich Ihnen auch nicht sagen.

(Bohl [CDU/CSU]: Das hat Würzbach schon erklärt!)

Ich kenne zwar die Liedzeile: „Denn bei der Post geht's nicht so schnell!"; aber warum das ausgerechnet hier der Fall ist, weiß ich nicht. Auch das müßte ich klären. Zwischen dem 16. Oktober und dem 19. Januar liegt in der Tat eine beträchtliche Zeit.

(Bohl [CDU/CSU]: Das wurde ausführlich erklärt!)

Ich will's nicht einmal aufs Weihnachtsfest schieben. Ich weiß es nicht. Aber das läßt sich aufklären. Nur, Herr Abgeordneter, daß Ersuchen der Generalstaatsanwaltschaft in einer solchen Angelegenheit sorgfältige Prüfungen erfordern, ist doch selbstverständlich.

(Bohl [CDU/CSU]: So ist es! So schon Würzbach! — Abg. Gansel [SPD] meldet sich zu einer weiteren Zusatzfrage)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105713100
Sie haben schon zwei Fragen gestellt.
Herr Penner hat jetzt eine Zusatzfrage.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1105713200
Herr Staatssekretär, sind Sie sich bewußt, daß die verzögerte Erledigung von Amtshilfeersuchen von Strafverfolgungsbehörden in die Nähe der Strafvereitelung führen kann?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Da ich, wie Sie ja wissen, im Gegensatz zu Ihnen kein gelernter Jurist und auch kein Staatsanwalt bin, müßte ich dies meiner juristischen Abteilung zur Überprüfung überlassen. Wenn Sie damit einverstanden sind, lasse ich das gerne prüfen.




Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105713300
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich danke Ihnen, Herr Dr. Riedl.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf.
Die Fragen 11 und 12 des Abgeordneten Pauli werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Herr Parl. Staatssekretär Gröbl steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Frage 13 des Abgeordneten Schütz und die Fragen 14 und 15 des Abgeordneten Schäfer (Offenburg) werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 16 der Frau Abgeordneten Dr. Hartenstein auf:
Wie lange wird voraussichtlich die „Pilotphase" für das Roiner-Verfahren dauern, und ist nach Abschluß der Pilotphase eine Bewertung der großtechnischen Realisierbarkeit des Verfahrens vorgesehen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Wolfgang Gröbl (CSU):
Rede ID: ID1105713400
Frau Kollegin, während der etwa achtwöchigen Pilotphase soll das Verfahren im Hinblick auf die großtechnische Anlage optimiert werden.

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1105713500
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wann endlich der Arbeitsbeginn der Pilotanlage sein wird?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Zunächst müssen die genehmigungsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen sein. Wenn die Genehmigung vorliegt, werden wir mit dem Aufbau der Pilotanlage beginnen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105713600
Zweite Zusatzfrage.

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1105713700
Können Sie bereits Kosten dieser Pilotanlage nach dem Roiner-Verfahren nennen; und sind diese Kosten, wenn Sie sie nennen können, in den schon geschätzten Kosten enthalten, die für die Dekontamination etwa 13,4 Millionen betragen sollen?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Kosten der Pilotanlage sind in diesen 13,4 Millionen sicher enthalten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105713800
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 17 der Frau Abgeordneten Dr. Hartenstein auf:
Wieviel Molkepulver soll im Rahmen der Pilotphase dekontaminiert werden, und gibt es in der Bundesregierung Überlegungen zu Alternativen für den Fall, daß sich eine großtechnische Anwendung des Roiner-Verfahrens als nicht machbar erweist?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Pilotanlage hat einen geplanten Tagesdurchsatz von etwa 400 kg. Da
die Dekontaminierung auf einer Technologie beruht, die auf in der Milch- und Molkereiwirtschaft eingeführte Komponenten zurückgreift, besteht auch an der großtechnischen Durchführbarkeit des RoinerVerfahrens kein begründeter Zweifel.

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1105713900
Herr Staatssekretär, können Sie mir noch etwas zu der Frage sagen, was denn nachher mit der dekontaminierten Molke geschehen soll und wie sie verwendet werden soll?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die dekontaminierte Molke liegt dann entweder als dekontaminiertes Molkepulver vor, das veräußert werden kann oder das aufgespalten wird in Eiweiß und Laktose, die getrennt oder zusammen veräußert werden, oder sie wird als Naßfutter auf dem Markt angeboten. Das sind die bis jetzt erkennbaren Möglichkeiten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105714000
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1105714100
Die Tatsache, daß eine Veräußerung möglich ist, beantwortet meine Frage nicht befriedigend. Aber ich will eine andere Frage nachschieben, da ich ja nur noch eine Zusatzfrage habe. Was wird denn dann mit den radioaktiven Abfällen geschehen? Auf der einen Seite hat man die dekontaminierte Molke; auf der anderen Seite hat man ja das, was durch dieses Verfahren herausgezogen worden ist.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die vorhandenen Abfälle werden in das Zwischenlager des Landes Niedersachsen, Steyerberg, verbracht.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105714200
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Wollny.

Lieselotte Wollny (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105714300
Soll diese Dekontaminierungsanlage möglicherweise zu dem Zweck gebaut werden, bei zukünftigen Unfällen oder eventuell im Kriegsfall eine Anlage zu haben, um dann anfallende kontaminierte Milch zu dekontaminieren?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Diese Anlage wird zu dem von mir schon genannten Zweck errichtet.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105714400
Eine Zusatzfrage des Kollegen Weiss (München).

Michael Weiss (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105714500
Herr Staatssekretär, wie gedenken Sie denn, die radioaktiven Abfälle entsorgen und konditionieren zu lassen? Soll das auch in Mol geschehen, und können Sie mit Sicherheit ausschließen, daß sich dann ähnliches ereignet wie mit den Blähfässern, die zur Zeit in deutschen Kernkraftwerken stehen und sogar Risse haben?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Konditionierung wird von der Betreiberfirma in Auftrag gegeben, und wir haben allen Grund, davon auszugehen, daß dies innerhalb der Bundesrepublik Deutschland geschieht.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105714600
Ich rufe die Frage 18 der Frau Abgeordneten Wollny auf:



Vizepräsident Frau Renger
Zu welchen spezifischen Standorten sollen gegebenenfalls defekte Castorbehälter gebracht werden, und welche Sicherheitsvorkehrungen gibt es hierfür entlang der spezifischen Transportstrecken und den jeweiligen Standorten?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Anfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt hierzu ausgeführt, daß die Reparatur eines defekten Behälters, der nicht im Transportbehälterlager repariert werden kann, in einer kerntechnischen Anlage im Rahmen einer Genehmigung nach § 7 oder § 9 des Atomgesetzes erfolgt.
Die Reparatur eines defekten Behälters kann somit in dem jeweiligen Kernkraftwerk, aus dem die im Transportbehälter befindlichen Brennelemente stammen, im Rahmen einer Genehmigung nach § 7 des Atomgesetzes oder z. B. in der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe auf Grund einer Genehmigung nach § 9 des Atomgesetzes erfolgen.
Der Transport selbst darf nur durchgeführt werden, wenn Fahrzeuge und Behälter den verkehrsrechtlichen Vorschriften genügen und die atomrechtlichen Bestimmungen erfüllt sind. -

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105714700
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Wollny.

Lieselotte Wollny (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105714800
Welche Kapazitäten im kraftwerkseigenen Lager eines AKW müssen für solche Fälle freigehalten werden?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ausreichende Kapazitäten, damit diese Arbeiten erfüllt werden können.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105714900
Eine zweite Zusatzfrage, Frau Kollegin Wollny.

Lieselotte Wollny (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105715000
Wie wird die Defekthäufigkeit der Castorbehälter in welchem Zeitrahmen eingeschätzt, und auf welcher Grundlage wurden solche Abschätzungen vorgenommen?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Diese Frage, Frau Kollegin, bitte ich Ihnen schriftlich beantworten zu dürfen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105715100
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidt (Salzgitter).

Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105715200
Herr Staatssekretär, würden Sie die gleiche formal-rechtliche Antwort, die Sie zu Beginn auf diese Frage gegeben haben, auch auf die Blähfässer, die ja voraussichtlich ebenfalls beschädigt sind, ausdehnen?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Dies ist ein ganz anderes Thema, Frau Präsidentin.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105715300
Ich habe keine Ahnung.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Blähfässer haben mit den Castorbehältern nichts zu tun.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105715400
Gut. — Herr Abgeordneter Weiss, bitte.

Michael Weiss (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105715500
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, müssen ja eventuell im Zwischenlager auftretende defekte Castorbehälter transportiert werden. Nun gibt es zwar eine Transportzulassung für einen intakten Castorbehälter, aber keine Transportzulassung für einen defekten Castorbehälter. Wie wollen Sie es genehmigungsrechtlich überhaupt in den Griff bekommen, defekte Castorbehälter nach dem deutschen Atomrecht zu transportieren?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ich habe vorhin ausgeführt, daß jeder Transport eine atomrechtliche Genehmigung voraussetzt.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Sie brauchen aber auch eine Typzulassung für den Behälter!)

Dies gilt natürlich auch für defekte Castorbehälter.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105715600
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Daniels.

Dr. Wolfgang Daniels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105715700
Herr Staatssekretär, Stichwort „Castorbehälter" : Ist Ihnen bekannt, daß in diesen Behältern eine Restfeuchte verbleibt? Können Sie erläutern, welche Ursachen dieser Restfeuchte zugrunde liegen? Kann diese Restfeuchte auch zu Undichtigkeiten dieser Behälter, speziell des Castorbehälters, führen?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ob die Restfeuchte in Behältern zu Undichtigkeiten führt, kann ich Ihnen hier nicht sagen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105715800
Zusatzfrage, Abgeordneter Dr. Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105715900
Herr Staatssekretär, da die Castorbehälter, wie Sie ausgeführt haben, in die AKW zurück müssen: Welche AKW verfügen denn derzeit schon über Genehmigungen zur Reparatur defekter Castorbehälter, und für welche AKW sind solche beantragt?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen nicht über die Genehmigungslage der 19 AKW für diese Fälle im einzelnen berichten. Diese Genehmigungen werden im Einzelfall erteilt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105716000
Gibt es schon eine? Danach hatte ich gefragt.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Mir ist derzeit eine solche Genehmigung für das Zwischenlager Gorleben bekannt.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Was?)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105716100
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Hillerich.

Imma Hillerich (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105716200
Herr Staatssekretär, ich möchte noch einmal auf die Transportprobleme bei defekten Castorbehältern zurückkommen. Inwieweit kann beim Abtransport eines defekten Castorbehälters die Gefährdung der Bevölkerung ausgeschlossen werden? Welche Vorsichts- und Katastrophenpläne gibt es für ein Unglück mit einem Castortransport?



Frau Hillerich
Auf welchen staatlichen und kommunalen Ebenen sind sie jeweils vorgesehen? Wie hoch wird die Strahlenbelastung bei einem defekten Castorbehälter für die Bevölkerung und die Arbeiter eingeschätzt?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Sie können grundsätzlich davon ausgehen, daß bei der Genehmigung eines solchen Transports eine Gefährdung der Bevölkerung nicht stattfindet.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105716300
Das war eine umfassende Antwort.
Herr Abgeordneter Sellin.

Peter Sellin (GRÜNE):
Rede ID: ID1105716400
Beabsichtigt die Bundesregierung, die Ergebnisse der Handhabung beladener Castorbehälter in Würgassen, Jülich und Karlsruhe der Offentlichkeit zur Begutachtung vorzulegen und somit eine kritische Überprüfung der Ergebnisse zu ermöglichen?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Über die Genehmigungen der von Ihnen aufgeführten Fälle kann die Bundesregierung die Öffentlichkeit selbstverständlich informieren.

(Sellin [GRÜNE]: Das ist keine Beantwortung meiner Frage, wenn Sie die Frage gehört haben! Ich kann sie gerne noch einmal wiederholen!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105716500
Nein, das können Sie nicht. Der Herr Staatssekretär hat sie ja wohl verstanden. Wenn er sie so beantwortet, dann ist das seine Sache. — Tut mir leid.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Ich habe eine Zusatzfrage zur Frage des Abgeordneten Sellin!)

— Sie stellen eine Zusatzfrage zur Frage 18? — Bitte schön, Herr Kleinert.

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105716600
Herr Staatssekretär, sind Sie der Auffassung, daß das, was Sie soeben als Antwort auf die Frage des Kollegen Sellin gegeben haben, auch nur im Ansatz dem Anspruch gerecht werden kann, der hier als Mindestmaß an eine in der Sache sinnvolle Beantwortung einer hier gestellten Frage zu stellen ist?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Einer Frage gebührt die entsprechende Antwort, Herr Kollege.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Eine Unverschämtheit!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105716700
Ich rufe die Frage 19 der Frau Abgeordneten Wollny auf:
Kann die Bundesregierung ausschließen, daß es zum Bau oder der Installation einer heißen Zelle in Gorleben kommt, und wenn nein, wann ist damit zu rechnen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung geht davon aus, daß die geplante Pilotkonditionierungsanlage über einen Zellentrakt aus Heißen Zellen verfügen wird. Bei Vorliegen der genehmigungsrechtlichen Voraussetzungen soll 1989 mit der Errichtung der PKA begonnen werden. Der Betriebsbeginn ist für 1994 vorgesehen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105716800
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Wollny.

Lieselotte Wollny (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105716900
Ich möchte nach dem, was Sie vorhin gesagt haben, noch einmal nachfragen. Sie haben gesagt, nach Ihrer Kenntnis liege eine Genehmigung für die Reparatur eines Castorbehälters nur für das Zwischenlager in Gorleben vor. Würden Sie das bitte noch einmal bestätigen.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Das war die Frage 18?

Lieselotte Wollny (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105717000
Das paßt zu dieser auch, da wir von einer Heißen Zelle in Gorleben sprechen. Sie können nicht sagen, das passe nicht zu der Frage.
Gröbl, Pari. Staatssekretär: Ich habe meiner Beantwortung der Frage 18 nichts hinzuzufügen.

(Frau Wollny [GRÜNE]: Das ist großartig! Das ist so fantastisch!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105717100
Über den Sachzusammenhang sollten wir doch noch einmal reden. Vielleicht sollten Sie Ihre Frage noch einmal stellen, damit sie mit der Frage 19 einen unmittelbaren Zusammenhang hat, Frau Kollegin Wollny. Ich habe den Eindruck, das ist nicht ganz angekommen.

Lieselotte Wollny (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105717200
Dann frage ich den Herrn Staatssekretär, ob er der Meinung ist, daß in einem Zwischenlager ohne Vorhandensein einer Heißen Zelle die Reparatur eines Castorbehälters vorgenommen werden kann.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Das ist eine technische Frage, die ich Ihnen jetzt nicht beantworten kann. Ich lasse Ihnen die Antwort gerne schriftlich zukommen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105717300
Eine zweite Zusatzfrage, bitte, Frau Kollegin Wollny.

Lieselotte Wollny (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105717400
Ist im Zusammenhang mit der geplanten Konditionierungsanlage, die gleichzeitig offenbar zur Reparatur von Castorbehältern dienen kann, das Transportbehälterlager integraler Bestandteil der Konditionierungsanlage?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Konditionierungsanlage dient der Vorbereitung der Abfälle für ein Endlager. In den sogenannten Heißen Zellen sollen die ausgedienten Brennelemente, Brennstäbe und Brennelementeinbauteile in eine für die Endlagerung geeignete Form gebracht werden. Dabei sollen in den Heißen Zellen das Umladen von Abfallgebinden, die Konditionierung radioaktiver Abfälle sowie Instandhaltungsarbeiten an Behältern und Gebinden für Transport und Lagerung durch Fernbedienung ermöglicht werden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105717500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weiss.

Michael Weiss (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105717600
Herr Staatssekretär, wie können Sie den Widerspruch in Ihren Antworten



Weiss (München)

erklären, wenn Sie einerseits sagen, Ihnen sei bekannt, daß eine Genehmigung für die Errichtung einer Anlage zur Reparatur bzw. zum Umladen defekter Behälter vorliege, und gerade in Ihrer letzten Antwort in den letzten Sätzen erklären, daß das erst in den noch einzubauenden Heißen Zellen gemacht werden soll, wovon Sie vorher gesagt haben, Ihnen sei bekannt, daß eine Genehmigung vorliege? Wie geht das? Wann ist diese Genehmigung erteilt worden, und wieso muß sie noch einmal erteilt werden?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Das eine schließt das andere nicht aus, Herr Kollege.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105717700
Zusatzfrage, Herr Dr. Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105717800
Herr Staatssekretär, würden Sie es als ein großzügiges Entgegenkommen meinerseits betrachten, wenn ich annehme, daß Sie bei Antwort, im Zwischenlager Gorleben gebe es so etwas, beim Schauen in Ihre Papiere verwirrt waren, und wenn ich aus Ihrer Antwort jetzt umgekehrt folgere, daß es in der Tat so etwas bis heute für kein einziges AKW gibt?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ich habe das in meiner Antwort auch nicht auf AKW bezogen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105717900
Herr Abgeordneter Schmidt (Salzgitter).

Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105718000
Herr Staatssekretär, empfinden Sie in Anbetracht des laufenden Untersuchungsverfahrens in der Sache Transnuklear und Nukem nicht als ungeheuer belastend, was Sie hier heute in Ihrer Unkenntnis von sich geben?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ganz und gar nicht, Herr Kollege.

(Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Habe ich mir gedacht!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105718100
Ich rufe die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Müller (Düsseldorf) auf. — Der Fragesteller ist nicht da. Die Frage wird nicht beantwortet. Das gilt auch für die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Müller.
Ich rufe jetzt die Frage 22 des Herrn Abgeordneten Dr. Lippelt (Hannover) auf:
Welche Firmen verfugen zur Zeit über Genehmigungen und haben Anträge auf Genehmigungen gestellt, Plutonium oder Castorbehälter zu transportieren, und wann ist mit der Erteilung der Transportgenehmigungen fur den spezifischen Antragsteller zu rechnen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Folgende Firmen verfügen zur Zeit über Genehmigungen zur Beförderung von mehr als 15 g Plutonium oder plutoniumhaltigem Kernbrennstoffgemisch: 1. Nuclear Cargo und Service GmbH, 2. Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe Betriebsgesellschaft mbH, 3. Amersham-Buchler GmbH, 4. Nukleare Transportleistungen GmbH, 5. Bundesanstalt für Materialprüfung, 6. Gesellschaft für Nuklear Service mbH. Die Firma Transnuklear besitzt ebenfalls eine solche Genehmigung, darf jedoch derzeit
davon keinen Gebrauch machen. Genehmigungen zur Beförderung von Kernbrennstoffen in Castorbehältern sind der Firma Gesellschaft für Nuklear Service mbH erteilt worden.
Der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt liegen zur Zeit Anträge auf Erteilung von Genehmigungen für die Beförderung von Plutonium oder plutoniumhaltigem Kernbrennstoffgemisch von den Firmen Siemens AG, Gesellschaft für Nuklear Service mbH, Reaktor-Brennelement Union GmbH, NYK-Linie NIPPON YUSEN, Schnell-BrütKer-ernkraftwerksgesellschaft mbH, Radium Trans Services, Versuchsatomkraftwerk Karl GmbH und von der Cogema vor.
Die Firma Gesellschaft für Nuklear Service mbH hat Anträge auf Genehmigung für die Beförderung von Kernbrennstoffen in Castorbehältern gestellt. Nach Abschluß der erforderlichen Prüfungen wird über die Erteilung der Beförderungsgenehmigungen entschieden werden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105718200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105718300
Herr Staatssekretär, läßt sich diese Liste insofern noch etwas präzisieren, als Sie mir sagen können, welche dieser Firmen speziell Genehmigungen für Transporte nach Gorleben von der PTB haben?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Das geht aus dieser Liste nicht hervor. Ich bin gerne bereit, das nachzureichen.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105718400
Zweite Frage. Wenn es zu solchen Transporten nach Gorleben kommt: Sollen die per Bahn oder per Lkw erfolgen?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Das geht aus der jeweiligen Einzelgenehmigung hervor.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Sie geben mir Nachricht, welche von diesen Firmen welche Zusagen hat? — Danke sehr!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105718500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weiss.

Michael Weiss (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105718600
Herr Staatssekretär, in der von Ihnen aufgeführten Liste befinden sich eine ganze Reihe von Firmen, an denen entweder die Transnuklear oder die Nukem GmbH aus Hanau direkt beteiligt ist. Halten Sie solche Transporte nach den Vorgängen in der letzten Woche noch für angemessen, oder was werden Sie tun, um den Einfluß dieser Firmen zurückzudrängen bzw. zu verhindern, daß unter Umgehung des Verbots transportiert wird?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Genehmigungen, die von mir verlesen wurden, sind nach Recht und Gesetz erteilt worden. Wir haben keinen Anlaß, davon abzuweichen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105718700
Ich rufe die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Dr. Lippelt auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Unterlagen für den Bebauungsplan und die erste Teilerrichtungsgenehmigung der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf und das Unternehmen Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kern-



Vizepräsident Frau Renger
Brennstoffen, das diese Unterlagen eingereicht hat, wenn beide Unterlagen vor Gerichten keinen Bestand haben, und denkt die Bundesregierung daran, ihren Einfluß geltend zu machen, daß ein anderes Unternehmen mit der Erstellung dieser Unterlagen beauftragt wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in beiden Verfahren Rechtsfragen beurteilt, nicht dagegen kerntechnische Sicherheitsfragen. Die erstellten Unterlagen waren für das Gericht nicht entscheidungsrelevant.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105718800
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105718900
Herr Staatssekretär, da aber nun diese Entscheidung getroffen worden ist: Wird die Bundesregierung auf einem neuen Bebauungsplan bestehen?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Nach der Baurechtslage ist ein Bebauungsplan für die Erstellung einer Wiederaufarbeitungsanlage im Außenbereich nicht erforderlich. Dies ist im Baugesetzbuch expressis verbis aufgeführt.
Außerdem gibt es eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu Wyhl. Dort wurde die gleiche Frage geklärt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105719000
Zweite Zusatzfrage.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105719100
Herr Staatssekretär, teilt denn die Bundesregierung die Meinung des bekannten Verfassungsrechtlers Professor Hasso Hoffmann und des Regensburger Verwaltungsrechtlers Professor Udo Steiner, daß ein Weiterbau in Wakkersdorf nach § 35 Baugesetzbuch in Sofortvollzug einzelner Baugenehmigungen jetzt rechtswidrig ist?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Nein, ganz und gar nicht. Hierzu hat sich auch der Bundeswohnungsbauminister am Freitag eindeutig geäußert.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105719200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Daniels.

Dr. Wolfgang Daniels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105719300
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die Rodungen auf dem Gelände der geplanten WAA lediglich auf der Rechtsgrundlage des Bebauungsplans ausgeführt wurden, und wie beurteilen Sie das Versprechen eines Vertreters der DWK, beim Entfallen dieses Bebauungsplans eine Wiederaufforstung vorzunehmen? Diese Äußerung ist im Prozeß gefallen.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dies ist nicht eine Frage, die der Bundesumweltminister zu beantworten hat. Das ist eine Frage, die die Baugenehmigungsbehörde zu beurteilen und auch zu kontrollieren hat.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105719400
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weiss.

Michael Weiss (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105719500
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, daß nach § 35 Bundesbaugesetz jetzt an und für sich im Außenbereich weitergebaut werden kann: Ist Ihnen bekannt, daß Bauen im Außenbereich nur dann zulässig ist, „wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen", und wie beurteilen Sie die Notwendigkeit eines umfassenden Grundwasserschutzes, die Zweifel an der hinreichenden Auslegung gegen Erdbeben — alles Dinge, die im öffentlichen Interesse geklärt und in einen Bebauungsplan eingestellt werden müssen? Sehen Sie hier die Voraussetzung, daß öffentliche Interessen nicht entgegenstehen, erfüllt, so daß ohne Bebauungsplan gebaut werden kann?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Abwägung der öffentlichen Interessen wird bei jeder Baugenehmigung vorgenommen,

(Weiss [München] [GRÜNE]: Nicht aber bei denen, die jetzt erteilt worden sind!)

insbesondere bei den Baugenehmigungen für die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf.

(Lachen des Abg. Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE] — Zuruf von der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105719600
Frau Schmidt (Nürnberg), bitte.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105719700
Herr Staatssekretär, würden Sie mir recht geben, daß es sich bei dieser Frage nicht nur um eine juristische, sondern vor allen Dingen um eine politische handelt, und wird die Bundesregierung deshalb den ihr möglichen Einfluß nehmen, um darauf hinzuwirken, daß nicht weitergebaut wird, um zu versuchen, Politikverdrossenheit und Verdruß in der Region gering zu halten?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Sie werden dem bayerischen Verwaltungsgerichtshof doch nicht unterstellen, eine politische Gerichtsentscheidung getroffen zu haben?

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Nein, aber die Regierung hat bei der Beurteilung, ob es sich hier nur um eine juristische Frage handelt, eine politische Entscheidung zu fällen!)

— Die Bundesregierung hat eine Beurteilung dahin vorgenommen, daß der Weiterbau der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf Recht und Gesetz eindeutig entspricht.

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Also, es ist keine politische Frage?)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105719800
Zusatzfrage, Abgeordnete Frau Unruh.

Gertrud Unruh (GRÜNE):
Rede ID: ID1105719900
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Chef der obersten bayerischen Baubehörde, Ministerialdirigent Zeitler, den Gemeinderat von Wackersdorf noch zwei Wochen vor Inkrafttreten des neuen § 36 Baugesetzbuch, am 16. Juni 1987, wegen des damals schon bekannten Abweichens der Bautätigkeit an der WAA-Baustelle vom Bebauungsplan aufgefordert hat, eine Änderung des Bebauungsplans einzuleiten, und wie beurteilt sie die darin zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung?



Gröbl, Parl. Staatssekretär: Das ist unerheblich, weil, wie schon ausgeführt, ein Bebauungsplan für die Errichtung der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf nicht erforderlich ist.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105720000
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Hensel.

Karitas Dagmar Hensel (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105720100
: Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung die Haltung der Bayerischen Staatsregierung zum Weiterbau nach § 35 und zur Notwendigkeit eines gültigen Bebauungsplans bekannt, und bemerkt sie Abweichungen zu früheren Äußerungen?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Bayerische Staatsregierung beurteilt den Weiterbau der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf ebenso wie die Bundesregierung, nämlich positiv.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105720200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sellin.

Peter Sellin (GRÜNE):
Rede ID: ID1105720300
Herr Staatssekretär, gesetzt den Fall, Sie hätten die Absicht, ein Haus zu bauen: Würden Sie das Haus mit einer Baugenehmigung ohne einen Bebauungsplan errichten?

(Lachen bei den GRÜNEN)

Gröbl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, hierzu müßte ich Ihnen etwas Nachhilfeunterricht in Baurecht und in der Praxis der Baugenehmigungen geben. Dies ist mir aus Meiner 15jährigen Praxis als Landrat durchaus möglich.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Das sind bayerische Verhältnisse!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105720400
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Laufs.

Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1105720500
Herr Staatssekretär, bestätigen Sie die bisher vorherrschende Auffassung, daß Fragen der Gefahrenabwehr im Hinblick auf Radioaktivität in das atomrechtliche Verfahren gehören, und können Sie, wenn Sie das nicht bestätigen, aus der Logik dieses Gerichtsurteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ableiten — wie eben schon gefragt worden ist — , daß man bei allen Bebauungsplänen immissionsschutzrechtliche, gewässerschutzrechtliche, auch sicherheitstechnische Fragen der Bauten, die dort in diesem Bereich errichtet werden sollen, vorab, vor der Aufstellung eines solchen Bebauungsplans, abschließend klären müßte?

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: So sollte es sein!)

— Das ist doch absolut unrealistisch.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Sie haben vollkommen recht. Diese Fragen, die von Ihnen angesprochen werden, gehören in das atomrechtliche Verfahren und werden dort auch entsprechend behandelt.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Da verstoßen Sie aber eindeutig gegen Gerichtsentscheidungen!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105720600
Ich rufe die Frage 24 des Herrn Abgeordneten Dr. Daniels (Regensburg) auf:
Hält die Bundesregierung die Gewerbesteuervorauszahlungen der Deutschen Gesellschaft zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen Wackersdorf (DWW) an die Gemeinden in der Oberpfalz sowie den Aufkauf von Grundstücken zu dramatisch überhöhten, marktunüblichen Preisen in dieser Region für eine Art von „Schmiergeldzahlung", und sieht sie hierin „geschäftsübliche Praktiken", wie sie durch die Bestechungsaffäre in der Nuklearindustrie öffentlich wurden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, meine Antwort lautet nein. Im übrigen liegt die Überprüfung dieses Sachverhalts nicht in der Zuständigkeit des Bundesumweltministeriums, sondern der kommunalen Rechtsaufsicht, in diesem Fall des Landratsamts Schwandorf mit dem Chef der Behörde, Landrat Schuierer.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105720700
Zusatzfrage? — Bitte, Herr Kollege.

Dr. Wolfgang Daniels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105720800
Beabsichtigt die Bundesregierung eine Überprüfung der Geschäfte der Abschreibungsfirma DWK z. B. durch den Bundesrechnungshof, wenn für ein Grundstück mit einem Wert von 140 000 DM von der DWK 1,6 Millionen DM gezahlt werden und damit natürlich Steuergelder verschleudert werden?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Private Grundstücksgeschäfte sind durch die Bundesregierung in der Regel nicht zu überprüfen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105720900
Zweite Zusatzfrage.

Dr. Wolfgang Daniels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105721000
Dazu eine Bemerkung: Es dürfte Ihnen bekannt sein, daß auch die Bundesregierung über die EVUs an der Firma selber beteiligt ist. Hat die Bundesregierung vor, ihre Beteiligung an der DWK im Lichte der illegalen Steuerverwendung noch einmal zu überprüfen?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Unterstellung der illegalen Steuerverwendung weise ich zurück.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105721100
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weiss.

Michael Weiss (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105721200
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß überhöhte Preise für Grundstücke, die von Klägern aufgekauft worden sind, letztlich zu Lasten des Bundes oder zu Lasten der Steuern gehen, denn auf der einen Seite sind es natürlich Ausgaben der Firma DWK, an denen der Bund mittelbar beteiligt ist, auf der anderen Seite verwendet die DWK sie zu Abschreibungszwecken, so daß die EVUs weniger Geld in Form von Steuern bezahlen, so daß letztendlich die überhöhten Preise auf Kosten des Bundes bezahlt worden sind, und sehen Sie da Handlungsbedarf?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, hierzu müßte als erstes festgestellt werden, ob und in welchem Umfang überhöhte Preise bezahlt worden sind. Zum zweiten wird sich herausstellen, daß die Kosten



Parl. Staatssekretär Gröbl
in diesem Bereich einen minimalen Anteil an den Gesamtkosten ausmachen werden.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Sehr gut!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105721300
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 25 des Abgeordneten Dr. Daniels (Regensburg) auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, den Bebauungsplan für die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf für nichtig zu erklären, und sieht sie dadurch den Entsorgungsnachweis für deutsche Atomkraftwerke als nicht mehr gegeben an?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat über eine bauplanungsrechtliche Frage entschieden, nicht dagegen über einen atomrechtlichen Sachverhalt. Die Entsorgung deutscher Kernkraftwerke ist nicht berührt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105721400
Zusatzfrage, bitte schön, Herr Kollege.

Dr. Wolfgang Daniels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105721500
Herr Staatssekretär, von welchem Zeitpunkt an ist nach Meinung der Bundesregierung das Entsorgungskonzept in Gefahr, wenn es in Wackersdorf zu einem Baustopp kommen sollte?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: In Wackersdorf wird es nicht zu einem Baustopp kommen.

(Büchner [Speyer] [SPD]: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf!)

Auch unabhängig davon ist die Entsorgung nicht in Frage gestellt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105721600
Zweite Zusatzfrage.

Dr. Wolfgang Daniels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105721700
Wenn ich mal von einem Betroffenen in der Umgebung der Baustelle ausgehe: Ein Kläger hat sich gegen die atomrechtliche Genehmigung gestellt. Die atomrechtliche Genehmigung ist gefallen. Jetzt hat jemand gegen den Bebauungsplan geklagt. Dieser Bebauungsplan ist ebenfalls für nichtig erklärt worden. Welche rechtlichen Möglichkeiten oder welcher Rechtsschutz stehen denn jetzt eigentlich noch einem unmittelbar Betroffenen zur Verfügung, um diesen Ängsten, die dort auftreten und berechtigt sind, in irgendeiner Form gerecht werden zu können?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das hat es schon öfters gegeben, daß ein Nachbar als Kläger gegen ein Bauvorhaben aufgetreten ist und nicht recht bekommen hat. Hier ist das auch so.
Dr. Daniels [Regensburg] [GRÜNE]: Er hat
aber jetzt zweimal recht bekommen!)
— Ohne Auswirkung auf das Vorhaben.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105721800
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weiss.

Michael Weiss (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105721900
Herr Staatssekretär, der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat entschieden, daß der Bebauungsplan nichtig ist, weil atomrechtliche Belange nicht berücksichtigt sind. Teilen Sie die Auffassung, daß in einem nicht vorhandenen Bebauungsplan, den Sie auch für überflüssig erklären, atomrechtliche Belange überhaupt nicht berücksichtigt werden können und deshalb dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs von vornherein nicht Rechnung getragen werden kann, und darf ich Ihre Antwort, auch die Antwort auf die Frage des Kollegen Laufs vorhin, so verstehen, daß das quasi die Aufforderung war, sich vorsätzlich über dieses Urteil hinwegzusetzen?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie müssen hier zwischen der rein baurechtlichen Frage und der atomrechtlichen Frage trennen. Die atomrechtliche Frage wird dann geklärt werden, wenn diese Problematik ansteht.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Der Verwaltungsgerichtshof sagt, daß Sie es jetzt klären müssen!)

— Herr Kollege, ich habe Ihnen zu Ihren Fragen zum Bebauungsplan die Antwort der Bundesregierung gegeben. Sie ändert sich auch im Laufe dieser Fragestunde nicht.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105722000
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Unruh.

Gertrud Unruh (GRÜNE):
Rede ID: ID1105722100
Wann müßten die AKW stillgelegt werden, wenn die WAA nicht weiter gebaut würde?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die müssen nicht stillgelegt werden.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Auch wenn Baustopp käme?)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105722200
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Wollny.

Lieselotte Wollny (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105722300
Herr Staatssekretär, wird eigentlich der Bundesregierung nicht langsam angst und bange?

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Nein, der nicht!)

Es ist zur Zeit ein Vertrauensverlust in der Bevölkerung zu verzeichnen, wie es ihn vorher nicht gegeben hat. Jetzt wird zum wiederholten Male ein rechtsgültiges Urteil eines Gerichtes mißachtet, indem man es kurzerhand übergeht und sagt: Ätsch, brauchen wir alles gar nicht, können wir auch ohne. — Meinen Sie nicht, daß die Bevölkerung nach und nach wach wird und merkt, daß da, wo es mit Atomenergie zu tun hat, Recht und Gesetz überhaupt keine Gültigkeit mehr haben?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Frau Wollny, erstens wird der Bundesregierung nicht angst und bange, und zweitens ist die Bundesregierung sehr wohl in der Lage, der Bevölkerung deutlich zu machen, daß ihr Handeln nicht nur nach Recht und Gesetz, sondern auch aus voller Verantwortung für die Sicherheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland vollzogen wird.

(Frau Wollny [GRÜNE]: Es gibt zweierlei Recht!)





Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105722400
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schmidt.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105722500
Herr Staatssekretär, könnten Sie mich einmal darüber aufklären, was es in Bayern bei dieser Entscheidung zu Wackersdorf eigentlich für einen Unterschied macht, ob man in einem Gerichtsverfahren recht bekommt oder nicht?

(Vorsitz : Vizepräsident Westphal)

Gröbl, Parl. Staatssekretär: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat ein Urteil zum Bebauungsplan gefällt. Ich habe Ihnen klargemacht, daß dieses Urteil für den Baufortschritt der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf unerheblich ist, weil die Baugenehmigung auf der Rechtsgrundlage des AußenbereichsParagraphen basiert.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105722600
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105722700
Herr Staatssekretär, haben Sie in Vorbereitung dieser Fragestunde möglicherweise den Dialog zwischen dem Staatssekretär Grüner und dem Kollegen Hirsch zum Thema „Entsorgungsnachweis", der in einer etwas zurückliegenden Fragestunde stattfand, einmal nachgelesen, einen Dialog, in dem eingeräumt wurde, daß dieser Entsorgungsnachweis inzwischen sehr fadenscheinig geworden ist, und was können -- so frage ich Sie vor diesem Hintergrund — die Bürger noch machen — und wie oft müssen Kläger in Sachen Wackersdorf noch recht bekommen, was jetzt schon zweimal geschehen ist, oder was muß seitens der Leute, die an der Korrektheit des Entsorgungsnachweises zweifeln, noch geschehen — , um diese Bundesregierung dazu zu bringen, den Schutzinteressen der Burger, die schließlich recht bekommen haben, zu entsprechen?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Schutzinteressen der Bürger werden von dieser Bundesregierung wahrgenommen.

(Lachen bei den GRÜNEN und der SPD)


Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105722800
Haben Sie den Dialog Grüner/Hirsch nachgelesen?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105722900
Einen Augenblick, Herr Kollege Lippelt, Sie können nur eine Frage stellen. Ist sie jetzt beantwortet?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ja.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105723000
Dann die Frau Abgeordnete Hensel zu einer Zusatzfrage, bitte.

Karitas Dagmar Hensel (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105723100
Herr Staatssekretär, wann gerät nach Auffassung der Bundesregierung das Entsorgungskonzept der Bundesregierung in Gefahr, sollte in Wackersdorf nicht weitergebaut werden können?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Das hat mit der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes überhaupt nichts zu tun. Unabhängig davon steht das Entsorgungskonzept der Bundesregierung auf mehreren Füßen. Sie wissen, die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf ist ein wesentliches Element im Entsorgungskreislauf.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Sie meinen damit: Es gerät in Gefahr?)

— Es ist nicht in Gefahr.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Aber wenn Sie sagen, es sei ein wesentliches Element?)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105723200
Einen Augenblick! Wir können hier keine Dauerdiskussion führen, Frau Kollegin. Jeder hat eine Zusatzfrage. Der nächste ist der Herr Abgeordnete Dr. Knabe.

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105723300
Herr Staatssekretär, in welcher Form wird die Bundesregierung die Urteilsbegründung von München, daß man schon beim Bebauungsplan die Gefahren ionisierender Strahlen berücksichtigen müßte, für zukünftige atomare Bauprojekte berücksichtigen, und wie hängt das mit dem Bundesbaubuch zusammen? Muß man da eventuell etwas ändern, muß man zusätzliche Paragraphen einfügen, um dem gerecht zu werden?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Das Bundesbaugesetz muß auf Grund dieses Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes nicht geändert werden.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Es ist in keiner Weise tangiert!)


Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105723400
Aber die Einleitung — —

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105723500
Lieber Kollege, dies ist leider so nicht möglich. In der Fragestunde hat man eine Zusatzfrage, man bekommt eine Antwort, und dann kommt der nächste dran.
Der Kollege Laufs stellt die nächste Zusatzfrage.

Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1105723600
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß das Problem darin liegt, daß ein Bebauungsplan aufgestellt worden ist, der nach Recht und Gesetz zur Errichtung der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf gar nicht erforderlich ist,

(Zuruf von den GRÜNEN: Eine Luftblase war das!)

und ist es weiterhin richtig, daß das Schutzinteresse der Bevölkerung nach dem Atomgesetz und der Strahlenschutzverordnung im atomrechtlichen Verfahren mit aller Sorgfalt im einzelnen wahrgenommen wird?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Beide Teile Ihrer Frage sind richtig. In meiner Antwort ist diese Auffassung der Bundesregierung in vollem Umfang zum Ausdruck gekommen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105723700
Eine letzte Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Hillerich.

Imma Hillerich (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105723800
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen, ob die Wiederaufarbeitungsanlage zum Entsorgungskonzept der Bundesregierung gehört und was die Bundesregierung zu tun gedenkt, wenn per Gerichtsverfahren doch ein Baustopp gegen die WAA durchgesetzt werden wird.



Gröbl, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung geht davon aus, daß es keinen Baustopp für die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf geben wird.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105723900
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf. Herr Rawe steht uns als Parlamentarischer Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Dr. de With auf:
Trifft es zu, daß der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen im Juli 1987 vorn Leiter der Bayerischen Staatskanzlei im Auftrag des Bayerischen Ministerpräsidenten „bis zur Grenze des Möglichen" bedrängt wurde, die erste Fernsehfrequenz für private Anbieter in Deutschland nach München zu vergeben, und deshalb diesem Drängen sogar Erfolg beschieden war?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Wilhelm Rawe (CDU):
Rede ID: ID1105724000
Herr Präsident, wenn der Kollege Dr. de With einverstanden ist, würde ich gerne seine beiden Fragen wegen des Sachzusammenhangs zusammen beantworten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105724100
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 27 des Abgeordneten Dr. de With auf:
Kannte der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen bei der Übertragung jener Fernsehfrequenz nach München fur ein privates Fernsehen dessen Gesellschafter beziehungsweise Anbieter?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. de With, die Bayerische Landeszentrale für neue Medien hat als eine der ersten Landesmedienanstalten schon Ende 1985 den Aufbau eines lokalen Fernsehsenders in München in Auftrag gegeben. Dementsprechend konnte der Sender München auf Kanal 59 bereits im Oktober 1986 als Provisorium, d. h. zunächst am Standort Blutenburgstraße in Betrieb genommen werden. Diese Zeitspanne entspricht der ganz normalen Abwicklung eines solchen Senderbauvorhabens. Insofern konnte auch die Einflußnahme Dritter den Zeitraum nicht verkürzen.
Dem Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen konnten die Gesellschafter bzw. die Nutzer für den Kanal 59 seinerzeit nicht bekannt sein, da die Vergabe des Kanals durch die Bayerische Landeszentrale für neue Medien erst später erfolgt ist. Bekannt war dem Bundesministerium, daß für die Nutzung der Frequenz eine Vielzahl von Interessenten vorhanden war.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105724200
Eine Zusatzfrage, Herr de With.

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1105724300
Herr Staatssekretär, darf ich Sie daran erinnern, daß ich Sie gefragt habe, ob es zutrifft, was der bayerische Staatsminister in der bayerischen Staatskanzlei an seinen Ministerpräsidenten geschrieben hat, nämlich daß er im Auftrag des bayerischen Ministerpräsidenten — und jetzt kommt es — „bis zur Grenze des Möglichen" gedrängt hat? Trifft das zu?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. de With, Sie dürfen mich selbstverständlich daran erinnern. Aber ich folge einem guten Brauch, den Sie früher auch praktiziert haben, als Sie an dieser Stelle standen: Ich unterziehe einen Schriftverkehr innerhalb der bayerischen Staatsregierung keiner Wertung.
Ich möchte allerdings auch gerne noch eine Zusatzbemerkung machen. Wenn ich diese kritische Wertung jetzt höre, möchte ich einmal daran erinnern, daß viele Kollegen aus dem Hause oder auch aus Landesregierungen an das Bundespostministerium natürlich immer wieder mit Wünschen herantreten, das eine oder andere Bauvorhaben vorzuziehen oder nicht vorzuziehen. Denken Sie nur einmal daran, welche tollen Attacken wir in diesem Hause im Zusammenhang mit der Frage „Verkabelung — ja oder nein?" gehabt haben und wie sich das heute genau umgekehrt hat: Jeder versucht auf uns Einfluß zu nehmen und darauf hinzuwirken, daß seine Gemeinde oder seine Stadt möglichst schnell verkabelt wird.
Ich muß Ihnen sagen: Wenn der zuständige Staatssekretär in der bayerischen Staatskanzlei den Einfluß, den er dort genommen zu haben meint, mit den Worten „bis zur Grenze des Möglichen" umschrieben hat, dann drückt sich darin eine gewisse Höflichkeit aus.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105724400
Eine Zusatzfrage, Herr de With.

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1105724500
Herr Staatssekretär, wenn sich der bayerische Staatsminister in der bayerischen Staatskanzlei in einem solchen Schreiben dessen berühmt — und ich frage, ob das zutrifft — : Sind Sie mit mir der Meinung, daß ich keine Wertung verlange, sondern im Kern eine Aussage zu einer Sache?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Nein, die Meinung teile ich nicht.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105724600
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1105724700
Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß schon in diesem Drängen ein gewisser Hautgout vorhanden war, nachdem hier ganz offenkundig der Sohn des Ministerpräsidenten im Spiel war?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Den Hautgout mag jeder hineinzugeheimnissen versuchen. Herr Kollege de With, ich habe Ihnen ausdrücklich gesagt, daß wir dies gar nicht kennen konnten, weil die Vergabe der Frequenz durch die Landesanstalt für Medien erst später erfolgt ist. Wir haben die Frequenz für München zugeteilt, aber die Vergabe an die Nutzer ist nicht Sache des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105724800
Zusatzfrage, Herr de With.

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1105724900
Wenn Sie es nicht schon im vorhinein wußten, würden Sie dann, nachdem Sie es im nachhinein kennen, sagen, daß dieses Drängen mit einem gewissen Hautgout behaftet war?



Rawe, Parl. Staatssekretär: Entschuldigen Sie, das kann ich daran nicht sehen. Ich habe Ihnen deutlich gesagt: Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hatte keinen Einfluß auf die Vergabe.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105725000
Das war's. So unbefriedigend können Antworten sein. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich wollte Sie darauf aufmerksam machen, daß man ab und zu zwischen Retourkutsche und Antwort unterscheiden muß. Sie sind mit für Antworten da. Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich kann beides, meine ich.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105725100
Sie dürfen als Regierung sogar sagen, was Sie möchten. Wir Abgeordnete haben das Recht zu fragen und drängen darauf, ordentliche Antworten zu bekommen.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Dem komme ich, so gut es geht, nach.

(Dr. Vogel [SPD]: Es geht aber nicht gut!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105725200
Ich bedanke mich, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf: Aktuelle Stunde
Zu den aktuellen Ereignissen in Ost-Berlin und in der DDR
Meine Damen und Herren, die Fraktion der CDU/ CSU hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Lintner.

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1105725300
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht fragt sich der eine oder andere, warum meine Fraktion an der Durchführung dieser Aktuellen Stunde festhält, obwohl doch seit gestern die DDR-Führung offensichtlich um eine Bereinigung konkreter Fälle bemüht ist. Sosehr wir es im Interesse der betroffenen Landsleute natürlich begrüßen, daß sie jetzt freigelassen werden, so wenig dürfen wir dabei verkennen, daß damit das grundsätzliche am Verhalten der DDR-Behörden im Umgang mit Kritikern nicht bereinigt ist. Die SED wird sich vielmehr auch demnächst wieder vor die Frage gestellt sehen, wie sie mit Menschen umgeht, die das System oder eben die konkrete Politik ablehnen oder kritisieren. Das heißt für uns, meine Damen und Herren, daß die öffentliche Erörterung dieses Themas über die Einzelfälle hinaus so lange geführt werden muß, bis sich die SED zur Gewährung von Menschen- und Bürgerrechten durchringt.
Die DDR-Führung hofft offensichtlich, den rüden Umgang mit Kritikern ihres Regimes und ihrer Politik als eine innere Angelegenheit mit sehr begrenzter Wirkung und Bedeutung darstellen zu können. Damit täuscht sie sich natürlich gewaltig. Im Gegenteil, nicht nur die deutsche Öffentlichkeit nimmt an den Vorgängen in Ost-Berlin und in der DDR regen Anteil, sondern auch die internationale Aufmerksamkeit richtet sich darauf. Das hängt sicher damit zusammen, daß es dem sowjetischen Generalsekretär Gorbatschow gelungen ist, mit seinen Reformplänen und den Begriffen Glasnost und Perestroika überall hohe Erwartungen zu wecken. Diese Erwartungen richten sich aber an alle kommunistischen Regierungen und Parteien und nicht nur an die UdSSR. Pars pro toto müßte man also sagen; das ist der Maßstab, der auch an das Verhalten der DDR-Führung angelegt wird.
Deshalb werden die autoritären Verhaltensweisen der DDR-Organe natürlich überall als Hinweise darauf verstanden, daß es auch die kommunistische Führungsmacht Sowjetunion mit mehr Offenheit und zivilisierterem Umgang mit den Menschen im eigenen Lande womöglich nicht ernst meinen könnte; ein Mißverständnis möglicherweise, aber eben ein unvermeidliches.
Daß die DDR-Regierung einige Gegebenheiten nicht unbeachtet lassen darf, möchte ich hier noch hinzufügen. Diese Gegebenheiten lassen sich auch nicht durch Polizei und Staatssicherheit einfach beiseite schieben. Die SED-Führung muß zunächst erkennen, daß mit bloß verbaler Augenwischerei und bloß pro forma eingegangenen internationalen Verträgen zur Gewährung von Menschenrechten einerseits und mit Unterdrückungspraktiken wie zu Ulbrichts Zeiten andererseits sich weder das Vertrauen der eigenen Bevölkerung noch das Vertrauen international gewinnen läßt. Solche eklatanten Widersprüche provozieren vielmehr gerade kritische Nachfragen bei den staatlichen Autoritäten. Die Welt aber muß meinen: Hier geht eine Regierung zynisch und willkürlich mit der eigenen Bevölkerung und überaus wichtigen völkerrechtlichen Prinzipien um.
Die DDR-Führung, meine Damen und Herren, hat in letzter Zeit viele Anstrengungen unternommen, um ihr internationales Ansehen zu verbessern. Sie ist drauf und dran, das dabei Erreichte nachhaltig zu zerstören.
Die Erfahrung außerdem, daß Zugeständnisse von der DDR-Regierung als jederzeit revidierbar angesehen werden, bedeutet zwangsläufig auch eine schwere Belastung der innerdeutschen Beziehungen.
Die DDR-Führung kommt deshalb nicht umhin, den zivilisierten Umgang und eine akzeptable Form der Auseinandersetzung mit Kritik zu lernen. Das muß, meine Damen und Herren, von ihr verlangt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105725400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID1105725500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Tagen der Spannung hat sich die Verkrampfung in Ost-Berlin gelöst. Wir freuen uns mit den Freigelassenen. Wir begrüßen diejenigen, die das Angebot des Grundgesetzes, unsere Bürger zu werden, angenommen haben. Wir behalten uns vor, auf die Praxis der Abschiebung noch einmal im einzelnen zurückzukommen, wenn wir detailliert informiert sind.



Dr. Ehmke (Bonn)

Zu der jetzigen Lösung hat auch die besonnene Haltung der Bundesregierung und der SPD beigetragen. Einzelne Ausrutscher von Unionsabgeordneten, die gemeint haben, ausgerechnet bei dieser Gelegenheit die SPD angreifen zu müssen, übergehe ich daher als irrelevant.
Ich bin mit Ihnen, Herr Lintner, der Meinung, daß es gut ist, daß wir heute diese Aktuelle Stunde durchführen: Wie sind die Vorgänge einzuordnen? Wie soll es weitergehen?
Als wir Sozialdemokraten vor 20 Jahren die Entspannungspolitik, die Ost- und Deutschlandpolitik auf den Weg gebracht haben, haben wir selbst nicht zu hoffen gewagt, daß der Eiserne Vorhang in so kurzer Zeit so durchlässig werden würde und daß wir solche Fortschritte nicht nur auf dem Weg zur gemeinsamen Sicherheit, sondern auch auf dem Weg zur Neugestaltung des europäischen Hauses machen würden.
Zu einer europäischen Friedensordnung gehört auch das Ringen um die Verwirklichung bürgerlicher und sozialer Menschenrechte.

(Sellin [GRÜNE]: Nicht zuletzt!)

Auch die DDR bekennt sich in ihrer Verfassung zu diesen Grundrechten. Herr Honecker hat noch vor kurzem in einem Interview mit einer belgischen Zeitung gerade die Bedeutung der Meinungsfreiheit in der DDR unterstrichen. Die DDR gehört wie wir zu den Unterzeichnern der völkerrechtlichen Menschenrechtspakte wie der Helsinki-Schlußakte, die Sicherheit, Entspannung, Zusammenarbeit und Menschenrechte in einem Prozeß zusammenbindet.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Aber die Praxis!)

Zum weiteren Prozeß der Entspannung gehört diese Dimension unausweichlich als Teil der Entwicklung zwischen den Staaten und als Teil der Entwicklung in den einzelnen Staaten der beiden Blöcke.
Nicht von ungefähr will die Sowjetunion im Rahmen des KSZE-Prozesses eine Menschenrechtskonferenz in Moskau durchführen. Wir sprechen uns für eine solche Konferenz aus,

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Wir auch!)

da sie auch im innerdeutschen Verhältnis nur helfen kann.
Die DDR kann sich dieser Diskussion um so weniger entziehen, als Notwendigkeit und Möglichkeit eines solchen Dialogs zwischen den Staaten und in den beiden Gesellschaften in dem mit uns vereinbarten Dialogpapier ausdrücklich unterstrichen worden sind.
Ich weise daher noch einmal — obwohl ich zur Kenntnis genommen habe, daß dieser Vorwurf von der DDR nicht weiter erhoben wird — den früher erhobenen Vorwurf zurück, unsere Kritik am Vorgehen der DDR-Behörden gegenüber kritischen DDR-Bürgern stelle eine unzulässige Einmischung dar. In unserem Dialogpapier steht das genaue Gegenteil.
Wir Sozialdemokraten haben übrigens wenig Zweifel daran, daß Rosa Luxemburg in ihrer Kritik an einem solchen Vorgehen nicht milder wäre, als wir es selbst sind.

(Beifall bei der SPD — Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Sprechen Sie doch mal über die Praxis!)

Ich wiederhole auch die Worte Willy Brandts: Die Überreaktion von staatlichen Organen gegenüber kritischen jungen Leuten, gegenüber Künstlern zumal, gegenüber anderen und überhaupt könne nicht im eigenen Interesse der DDR liegen. Sie passe nicht in die europäische Landschaft. Sie belaste das deutschdeutsche Verhältnis.
Das gilt übrigens auch für die Zurückweisung von Abgeordneten aller Fraktionen an der Grenze. Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß wir einen besonderen Grund haben, das zu monieren, weil wir seit Jahren — leider immer noch im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren von der Union — für offizielle Beziehungen zwischen dem Deutschen Bundestag und der Volkskammer eintreten.

(Zuruf von den GRÜNEN: Wie die GRÜNEN!)

Der Bau des europäischen Hauses kann nicht unter dem Leitmotiv stehen: „Scharfmacher aller Länder, vereinigt euch", er muß unter dem Leitmotiv stehen: „Reformer aller Länder, lernt voneinander".

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Herr Ehmke, Sie hätten ein bißchen deutlicher etwas zur Praxis sagen sollen!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105725600
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1105725700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geschieht nicht eben oft in diesem Hohen Hause, daß zwischen der Einreichung des Antrages auf Abhaltung einer Aktuellen Stunde und deren tatsächlichem Stattfinden sich die Lage, auf Grund deren der Antrag gestellt worden war, in so entscheidender Weise ändert, wie es diesmal geschehen ist. Ich füge hinzu: Es geschieht vielleicht noch seltener, daß eine solche Änderung eine Änderung zum Positiven hin ist.
Ich teile mit meinem Vorredner die Auffassung, daß uns im Augenblick vor allen Dingen zwei Dinge bewegen sollen: erstens die Mitfreude mit denen, die einer Bedrohung durch Haft und möglichen Gerichtsurteilen im Moment entkommen sind, und zweitens sicherlich auch die Tatsache, daß die Entscheidungen der DDR von gestern einen Hemmstein aus dem Weg geräumt oder jedenfalls etwas beiseite bewegt haben, was auch das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander zwangsläufig entscheidend belastet hätte.
Doch es bleibt nach dem, was wir heute erfahren haben, eine zusätzliche Enttäuschung über das in den letzten Wochen Erlebte hinaus. Es bleibt die Äußerung von Stephan Krawczyk: Wir haben die DDR nicht freiwillig verlassen. Im weiteren Text seiner Aussage in Bielefeld-Bethel sagt er, daß sie — er und seine Frau — entweder Haftstrafen von zwei bis zwölf Jahren unter dem ungeheuerlichen Vorwurf landes-



Ronneburger
verräterischer Beziehungen oder die sofortige Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland in Kauf nehmen mußten.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Das ist der Punkt!)

Meine Damen und Herren, wir begrüßen die Entlassung jedes einzelnen, der von Haft und Freiheitsentzug bedroht war. Aber zur Freiheit gehört nun allerdings auch die Möglichkeit der Entscheidung, in dem Staat zu bleiben, in dem die Betreffenden leben, und sich in diesem Staat um Änderungen zu bemühen, oder auszureisen und in einem anderen Staat seine Heimat zu suchen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Dies ist nicht die Freiheit, die wir meinen. Dies ist offenbar auch nicht die Freiheit, die die Verfassung der DDR meint. Ich zitiere Art. 21:
Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht, das politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben der sozialistischen Gemeinschaft und des sozialistischen Staates umfassend mitzugestalten.
Das ist offenbar genau das, was Stephan Krawczyk wollte.
Es gilt
— so heißt es wörtlich in dieser Verfassung; man muß sich das in der gegenwärtigen Situation einmal vorstellen —
der Grundsatz „Arbeite mit, plane mit, regiere mit! "
Welche Möglichkeiten haben dazu eigentlich diejenigen, die — einer langjährigen Haftstrafe ausweichend — die Grenze der DDR nicht freiwillig überschreiten? Ich glaube, wir haben alle Veranlassung, in der gegenwärtigen Situation das zu tun, was wir in den letzten Wochen der DDR-Führung mehrfach nahegelegt haben, nämlich gelassen zu reagieren. Aber wir haben keine Veranlassung, irgend etwas zu verschweigen und nicht mit Namen zu nennen, was dem Mindestmaß an Gemeinsamkeit zwischen den beiden deutschen Staaten auf dem Weg zu einem gutnachbarlichen Verhältnis — ich zitiere den Grundlagenvertrag — im Wege steht. Das, was dort geschieht, geschehen ist, ist ein solches Hemmnis, selbst wenn vieles heute etwas einfacher aussieht, als es noch bis gestern mittag gewirkt hat.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105725800
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kelly.

Petra Karin Kelly (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105725900
Liebe Freundinnen und Freunde! Dies ist nicht die Stunde der üblichen Bundestagsrituale im Umgang mit Menschenrechtsverletzungen in der DDR. Heute mittag empfinde ich als jemand, der sich mit vielen Menschen in den unabhängigen Initiativen in der DDR eng verbunden fühlt, Hoffnung und Schmerz zugleich.
Auf der einen Seite ist angekündigt worden, daß alle in den letzten Wochen verhafteten und zum Teil
schon verurteilten Mitglieder dieser unabhängigen Friedens- und Ökologiegruppen aus der Haft entlassen werden. Auf der anderen Seite mußten andere, darunter der DDR-Liedermacher Stephan Krawczyk und seine Frau, die Regisseurin Freya Klier, mit der aufgezwungenen Auswanderung den Preis für das plötzliche Einlenken der Staatsmacht bezahlen. Das kann auf keinen Fall die Lösung sein. Wie wir erfahren, haben beide in ihrer heutigen Erklärung mitgeteilt: Sie sind tatsächlich nicht freiwillig in die Bundesrepublik gekommen. Die Partei- und Staatsführung der DDR wird der Herausforderung durch engagierte Bürger, die nicht mehr wollen als ihre elementaren Grundrechte „leben" zu dürfen, auf Dauer nicht mit derartigen Abschiebungen begegnen können.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Viele bei uns erkennen nicht, daß solche Ausgrenzungen auch Gewalt gegen Menschen bedeuten und mit den in Helsinki eingegangenen Verpflichtungen zur Achtung der Menschenrechte unvereinbar sind. Ein Stück Seele zerbricht. Dabei denke ich an meine Freunde Wolf Biermann und Roland Jahn. Viele bei uns sind sich nicht bewußt, daß ein großer Teil der in den letzten Wochen Unterdrückten in der DDR bleiben und sich dort für Demokratie und Glasnost in allen Lebensbereichen einsetzen. Dazu gehört auch meine Freundin und Schwester — so nenne ich sie — , die am 25. Januar 1988 erneut verhaftete Künstlerin Bärbel Bohley, die im Herbst 1987 in einem Brief an Honekker schrieb:
Mein Leben wird durch das Gefühl verbittert, daß ich hier weggetrieben werden soll, denn vielleicht könnte auch ich wieder reisen, wenn ich einen Ausreiseantrag stellen würde. Das aber wäre für mich kein Umzug von Deutschland nach Deutschland, sondern käme einer Niederlage gleich, da ich immer noch an die Möglichkeit von Veränderungen in der DDR unter Beteiligung aller ihrer Bürger glaube.... Dies ist aber nicht nur Ihr Staat, Herr Honecker, und nicht nur meiner, sondern unser aller! . . .
Bärbel Bohley forderte Erich Honecker dann auf, dazu beizutragen, daß sich die Verhältnisse in der DDR so ändern, „daß jeder Mensch seine Meinung öffentlich sagen kann, ohne in seiner Existenz bedroht zu werden".
Als ich Erich Honecker diesen Brief im September 1987 in Bonn mit einer Graphik Bärbel Bohleys übergab, ließ er mich hoffen, daß es in Zukunft mehr Dialogbereitschaft und mehr Verständnis des Staates gegenüber der unabhängigen Friedens- und Ökologiebewegung geben würde und daß die erstmalige Duldung einer spontanen Demonstration in Ost-Berlin anläßlich des Olof-Palme-Marsches keine Eintagsfliege gewesen war.
Um so größer war dann die Enttäuschung beim Wiedereinsetzen neuer Willkürmaßnahmen, von der Schließung der Umweltbibliothek bis hin zu den Verhaftungen und grotesken Anklagen wegen angeblicher landesverräterischer Beziehungen, basierend auf völlig absurden Kommentaren aus dem DKP-Blatt „UZ". Vielleicht würde es der DDR-Führung ganz guttun, endlich Schluß zu machen mit der albernen



Frau Kelly
Vorstellung, daß jeder kritisch denkende Bürger in der DDR ein Opfer westlicher Fernlenkung sei, so wie ja leider auch bei uns die Friedens- und Anti-AtomBewegung nur allzuoft als fünfte Kolonne Moskaus diffamiert wurde und wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das ist eine deutsch-deutsche Gemeinsamkeit, auf die man hüben wie drüben lieber verzichten sollte.
Dagegen müssen sich beide deutsche Staaten an der Verwirklichung der individuellen Menschenrechte messen lassen. Dabei ist Selbstkritik ebenso geboten wie der Mut zur Einmischung, wenn auf der anderen Seite Menschen verfolgt und kriminalisiert werden. Ich stimme Herrn Genschers Feststellung zu, daß das Nichteinmischungsgebot in innere Angelegenheiten anderer Staaten nicht der Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte entgegengehalten werden könne. Aber ich nehme ihn auch beim Wort. Genauso allerdings nehme ich die SPD beim Wort, die zwar im gemeinsamen SPD-SED-Papier solcher Einmischung das Wort redet, doch im Bedarfsfall der sogenannten stillen Diplomatie und äußerster Zurückhaltung — von Ausnahmen abgesehen — den Vorzug gibt. Nicht weniger doppelbödig erscheint mir allerdings auch eine CDU, die sich bei der Verurteilung des DDR-Systems auf eben jene Rosa Luxemburg beruft, der sie vor wenigen Jahren nicht einmal den Platz auf einer Sonderbriefmarke gönnen wollte.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN)

Wir GRÜNEN tun uns da weniger schwer. Wir fordern von allen Regierungen, egal in welchem Block und egal in welchem System, nicht länger unabhängige Friedens-, Bürgerrechts- und Ökologiegruppen im eigenen Lande zu behindern, ihnen vielmehr endlich einen blockübergreifenden Dialog und konkrete grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu ermöglichen. Wir fordern auch, daß der innere und der äußere Friede als untrennbare Einheit zu begreifen sind.
Wir möchten keinen Rückfall in eine deutsch-deutsche Eiszeit. Wir wollen das gemeinsame Bemühen nicht nur um ein atomwaffenfreies, sondern auch um ein repressionsfreies Europa.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105726000
Bevor ich Ihnen das Wort gebe, Frau Minister, ist es vielleicht ganz gut, gegenüber unseren Gästen und denjenigen, die unsere Arbeit beobachten, darauf hinzuweisen, daß sich durch die Geschäftsordnungsdebatte und auch durch die Fragestunde eine zeitliche Verschiebung unserer Aktuellen Stunde ergeben hat und daß deshalb, weil wir erst jetzt diese Aktuelle Stunde haben, die Ausschüsse des Hauses schon wieder tagen.
Nun haben Sie das Wort, Frau Minister.

Dr. Dorothee Wilms (CDU):
Rede ID: ID1105726100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es sehr, daß der Deutsche Bundestag hier vor aller Öffentlichkeit die menschenrechtswidrigen Vorgänge der jüngsten Zeit in Ost-Berlin und in der DDR diskutiert. Auch die sich seit gestern abzeichnende neue Sachlage macht in meinen Augen diese Diskussion nicht überflüssig, da zwar manch humanitäres Problem gelöst sein mag, die politische Situation aber noch Anlaß zur Sorge gibt.
Die Freilassung und die Ausreise der an der Demonstration vom 17. Januar Beteiligten löst noch nicht das Dilemma, in dem sich die Führung der DDR offensichtlich befindet. Denn die grundsätzliche Frage, wie die Staatsmacht mit immer kritischer werdenden Bürgern, insbesondere jungen Menschen, umgeht und künftig umgehen wird, ist damit überhaupt nicht beantwortet.
Was liegt den Vorgängen seit dem und um den 17. Januar zugrunde? Die Unruhe hat ihren Grund in den gesellschaftlichen Verhältnissen der DDR, deren Führung sich immer mehr konkreten Fragen nach der Verwirklichung von Meinungsfreiheit, eben auch von Demokratie stellen muß. Die Menschen dort fordern mehr Öffentlichkeit, mehr Informations- und Meinungsfreiheit. Sie wollen als Menschen und als Bürger ernst genommen werden. Sie wollen nicht täglich mit dem Widerspruch zwischen ideologischem Anspruch und der kraß anders gearteten Lebenswirklichkeit konfrontiert werden. Sie wollen beteiligt und nicht gegängelt werden. Sie wollen, daß die Führung sie wirklich mitgestalten läßt. Sie wollen — ich sage es noch einmal — mit einem Wort: mehr Demokratie. Gerade die jüngere Generation wird ungeduldiger und unduldsamer.
Es wird den Behörden der DDR sicherlich nicht gelingen, mit den jetzt gezeigten Methoden der Einschüchterung und des Drucks dieses Verlangen zurückzudrängen und die Menschen mundtot zu machen, trotz und gerade mit dem Blick auf die Ereignisse der letzten Tage. Verhaftungen und Aburteilungen erst zu rechtfertigen und jetzt gleichsam ungeschehen zu machen — so sind, denke ich, die Dinge und die Probleme in der DDR nicht aus der Welt zu schaffen.
Die DDR-Führung hat sich durch die Ankündigung einer Dialog- und Öffnungspolitik einem selbstgesetzten Anspruch ausgesetzt, und an diesem muß sie sich im Innern und gegenüber der Weltöffentlichkeit messen lassen. Es gilt, dort jetzt auch die innere Uhr auf dieses neue Denken umzustellen. Gerade das wünschen die Menschen in der DDR konkret und ganz aktuell. Sie wollen von alten, überständigen Formen der Bevormundung und Gängelung befreit werden und halten die Zeit dafür auch für gekommen.
Die DDR-Führung kann auch nicht so tun, als ginge das, was bei ihr vorgeht, den Rest der Welt nichts an. Dafür leben wird in Europa zu dicht neben- und miteinander. Hier geht es um Menschenrechte, die überall auf der Welt eingefordert werden müssen.
Wir betrachten die verschiedenen Gruppen, die sich in der DDR kritisch äußern, durchaus differenziert. Von denen, die mit den Lebensbedingungen nicht einverstanden sind, wollen die einen ausreisen. Die anderen aber wollen in ihrer Heimat bleiben, um die Dinge dort zum Besseren zu verändern.
Die Bundesregierung ist nach ihrem Verfassungsauftrag verpflichtet, sich für alle Deutschen einzusetzen, die sich aus politischen Gründen in Bedrängnis befinden und um diese Hilfe bitten. Dies tun wir, nicht mehr und nicht weniger. Es ist nicht unsere Politik, die



Bundesminister Frau Dr. Wilms
Menschen in der DDR zum Verlassen ihrer Heimat bewegen zu wollen. Wir wissen um die Schwere des Entschlusses, die angestammte Heimat aufzugeben. Ich wiederhole: Wenn wir den Eindruck haben, daß bedrängte Menschen unsere Hilfe in Anspruch nehmen möchten, dann helfen wir, so gut wir können. Wir fänden es unerträglich, wenn jemand gegen seinen Willen zum Verlassen seiner vertrauten Umgebung und seines Lebenskreises gedrängt würde.
Wir appellieren deshalb an die Führung der DDR, ihrem Bekenntnis zum äußeren Frieden mit den Staaten durch einen praktizierten inneren Frieden mit der Bevölkerung Glaubwürdigkeit zu verleihen. Zur Friedfertigkeit gehört auch — ich denke, zu allererst — die Respektierung der Menschen- und Bürgerrechte. Dazu gehört auch — lassen Sie mich das hier im Deutschen Bundestag hinzufügen — , daß Abgeordnete des Deutschen Bundestages, gleich welcher Fraktion sie angehören, in die DDR einreisen können.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren, wir wollen das innerdeutsche Verhältnis positiv weiterentwickeln. An dieser grundlegenden Linie halten wir fest. Im Vordergrund stehen für uns aber immer das Wohl und Wehe der Menschen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105726200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Böhm (Melsungen).

Wilfried Böhm (CDU):
Rede ID: ID1105726300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Tief betroffen hat der Deutsche Bundestag zum zweiten Mal innerhalb von nur wenigen Wochen Anlaß, zu Menschenrechtsverletzungen in der DDR und in Ost-Berlin Stellung zu nehmen. Ich denke, das kann und wird in der gleichen Einmütigkeit geschehen wie am 9. Dezember 1987, als wir hier über die Maßnahmen der Staatssicherheit gegen die Ost-Berliner Zionsgemeinde und andere Übergriffe diskutiert haben.
Das schließt nicht aus, Frau Kollegin Kelly, daß wir unterschiedliche Betrachtungsweisen des politischen Wirkens von Rosa Luxemburg haben. Der vielzitierte Satz von der Freiheit des Andersdenkenden, meine Damen und Herren, bezieht sich, wenn man ihn im Kontext liest, allein auf das Andersdenken innerhalb der Partei, innerhalb des Sozialismus, und er gilt keineswegs in pluralistischer Hinsicht, wie wir das verstehen. Er tut damit genau das, was auch die DDR-Verfassung in ihrem Art. 28 schreibt: „Alle Bürger haben das Recht, sich im Rahmen der Grundsätze und Ziele der Verfassung friedlich zu versammeln", wobei man bedenken muß, daß die Allmacht und die Allgemeingültigkeit des Sozialismus, wie die SED sie versteht, Grundlage der Verfassung sind.
Die in Ost-Berlin und der DDR ergriffenen Maßnahmen gegen Ausreisewillige und Oppositionelle im Zusammenhang mit der Liebknecht/LuxemburgKundgebung und im Anschluß daran stehen im Gegensatz zu zahlreichen Verpflichtungen, die die DDR eingegangen ist, wie z. B. zur Charta der Vereinten Nationen, zu den völkerrechtlich verbindlich wirkenden internationalen Menschenrechtspakten aus dem Jahre 1966 und selbstverständlich auch zu der KSZE-Schlußakte, die verbindlich die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten einschließlich der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit fordert. In diesen Dokumenten ist die politische Bedeutung der innerstaatlichen Menschenrechtsverwirklichung für die internationalen Beziehungen hervorgehoben.
Darum handelt es sich auch nicht um Einmischung in rein innere Angelegenheiten der DDR, wie uns das Herr Axen weißmachen will, wenn wir hier über diese Menschenrechtsverletzungen diskutieren. Im Gegenteil, wir haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, auf die Einhaltung der Menschenrechte in der DDR als Unterzeichnerstaat der genannten Verträge zu drängen und Fragen nach den Menschenrechten zu stellen.
Wir alle sind uns einig: Nie wieder darf Krieg von deutschem Boden ausgehen! Hinzu kommen muß aber: Nie wieder sollen Totalitarismus, Diktatur und Polizeistaat eine Chance haben auf deutschem Boden!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Knabe [GRÜNE])

Die spektakulären Aktionen in den letzten Wochen und Monaten, die das Gesicht eines Polizeistaates zeigen, lenken die nationale und internationale Aufmerksamkeit natürlich auch auf die Gesamtsituation der Menschenrechte in der DDR, auch darauf, daß an der innerdeutschen Grenze geschossen wird, daß trotz der Zunahme des Reiseverkehrs von Freizügigkeit noch nicht die Rede sein kann und daß immer raffiniertere Grenzsperren einer „modernen Grenze", wie sie sie nennen, noch immer eine monströse Absurdität darstellen, die dem Lebensgefühl der Menschen im Europa des 20. Jahrhunderts zutiefst widerspricht. Das Aufbegehren gegen diese Verletzungen der Menschenrechte wird auch in der DDR zunehmen.
Die Führung der DDR sollte wohl bedenken, daß manche Hoffnung in diesen Wochen zerbrochen ist. Der rauhe Januarwind in der DDR hat dafür gesorgt, daß die Bilder von den Fahnen der DDR vor dem Kanzleramt in Bonn und auf dem Champs-Elysées in Paris überdeckt werden von der Realität eines Polizeistaates mit Namen DDR, der die Menschenrechte verletzt. Heute liegt die Frage nahe, ob 1987 das Jahr einer gewissen Zurückhaltung war, um in diesem Jahr des Berliner Jubiläums und der Reisen des Staatsratsvorsitzenden nach Bonn und Paris ein freundliches Klima vorzutäuschen.
Meine Damen und Herren, die DDR hat die Chance, gemeinsam mit der Bundesregierung und allen demokratischen Kräften in der Bundesrepublik Deutschland dafür zu sorgen, daß wir in Europa Schritte beim Bau des viel zitierten europäischen Hauses gehen; aber, Herr Kollege Ehmke, in diesem europäischen Haus darf es keine zugemauerten Zimmer geben.
Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105726400
Das Wort hat der Abgeordnete Büchler (Hof).

Hans Büchler (SPD):
Rede ID: ID1105726500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ließe sich jetzt natürlich über das Zitat von Rosa Luxemburg trefflich streiten. Ich sehe das anders. Wir können das ja in nächster Zeit mal ausdiskutieren.
Ich meine, es ist gut, daß die besonnenen Kräfte in der DDR die Oberhand gewonnen haben und daß sich die Vernunft durchgesetzt hat. Das haben wir heute gemeinsam festgestellt.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen den Kirchen in der DDR danken, denn sie haben die Hauptarbeit bei dem geleistet, was sich dort in den letzten Stunden vollzogen hat und was sich noch vollziehen wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Wir anerkennen die Leistung des Staatssekretärs Ludwig Rehlinger ausdrücklich

(Beifall bei allen Fraktionen)

und beziehen Wolfgang Vogel ein. Sie haben zusammen eine Lösung gefunden, mit der wir zufrieden sein können, obwohl wir die Einzelheiten, insbesondere was das Verbleiben in der DDR oder das Übersiedeln betrifft, noch nicht wissen. Das ist einer späteren Beurteilung vorbehalten.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU])

Mich hat in diesen Diskussionen ein bißchen erstaunt, Frau Minister — Ihr Redebeitrag heute war auch unsere Linie — , daß Sie in einem Interview gesagt haben, die Bundesrepublik sei zur Aufnahme der Ausreisenden bereit. Ich glaube, das war ein überflüssiger Hinweis, denn dies haben die Gründungsväter dieser Republik in der Verfassung sehr wohl postuliert.
Etwas schädlich, kläglich, wie ich sagen möchte, der Sache nicht würdig und angemessen, habe ich die Einlassungen des Herrn Staatssekretär Hennig empfunden. Er hat versucht, aus diesen bedauerlichen Vorgängen in Ost-Berlin politisches Kapital zu schlagen. In einem Interview in der „Bonner Rundschau" hat er bemängelt, die Linke in der Bundesrepublik habe sich nicht vernehmlich genug geäußert. Herr Hennig, wir haben sowohl im November bei den ersten Verhaftungen wie auch seit dem 17. Januar deutlich unsere Meinung gesagt und haben davon nichts wegzustreichen.
Wir haben das Vorgehen der DDR gegen die Friedens- und Umweltgruppen verurteilt, und es ist für uns eine Selbstverständlichkeit, daß wir kritisch mit der DDR umgehen, wenn dies geboten erscheint. Wir bringen unsere kritischen Anmerkungen nicht im Hinterzimmer vor, sondern wir sagen sie offen und deutlich und in aller Öffentlichkeit. Dazu fühlen wir uns nicht nur durch unser Dialogpapier zwischen SPD und SED veranlaßt. Das war schon vorher so und wird auch immer so bleiben.
Wie geht es weiter? Es ist zu hoffen, daß die DDR zukünftig mehr offene Diskussionen zuläßt und kritische Beiträge nicht gleich als Angriff auf ihre Existenz versteht. Die SED muß einsehen, daß das konstruktive Gespräch für die Weiterentwicklung einer Gesellschaft unverzichtbar — ich möchte sagen: wie die Luft zum Atmen — ist.
Wir Sozialdemokraten führen den Dialog mit der DDR auf allen Ebenen und über alle Fragen, wo dies möglich ist, weiter. Ich muß deshalb auch sagen, daß der Grund, der uns für die Absage einer FDJ-Delegation übermittelt worden ist, nicht stichhaltig ist. Er wird es nie sein.
Wir fühlen uns auch in Zukunft verpflichtet, wenn es nötig ist, mit der DDR kritisch zu sein — wie auch mit anderen Staaten dieser Welt. Das ist keine unerlaubte Einmischung. Das sehen wir nicht so. Denn wir empfinden es auch nicht als so gravierend, wenn die Medien aus der DDR, Presse, Rundfunk und Fernsehen, über uns kritische Verlautbarungen abgeben. Wir akzeptieren das natürlich auch.
Die Staatsführung der DDR muß endlich begreifen, daß eine längerfristige kooperative und friedliche Zusammenarbeit wesentlich davon abhängt, wie sie sowohl den Dialog innerhalb der DDR wie auch mit anderen Staaten offen und kritisch zu führen in der Lage ist.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Scharrenbroich und Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU])


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105726600
Das Wort hat der Abgeordnete Schulze (Berlin).

Gerhard Schulze (CDU):
Rede ID: ID1105726700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir uns heute zu dieser Aktuellen Stunde im Deutschen Bundestag versammelt haben, um über die Ereignisse in Ost-Berlin zu sprechen und vor der Öffentlichkeit unsere Kritik zu äußern, dann sollte diese Gelegenheit nicht dazu genutzt werden, die Wogen auch von außerhalb Berlins noch höher schlagen zu lassen. Vielmehr muß es uns um die Menschen in der DDR und um die Verbesserung ihrer Situation gehen. Ich möchte von dieser Stelle aus der evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg, ihrem Bischof Dr. Forck und den Pfarrern danken. Sie alle haben in den schwierigen Tagen nach dem 17. Januar dieses Jahres mit Vernunft, einem hohen Maß an Sachlichkeit, maßvoll, aber auch mit Standfestigkeit und Beharrlichkeit Stellung bezogen

(Beifall bei allen Fraktionen)

und viel zur Beschwichtigung der unruhigen Stimmung beigetragen.
Auch als evangelischer Christ halte ich die Stellungnahme der evangelischen Kirche von BerlinBrandenburg vom 30. Januar 1988, in der sie auf dem Boden der Verfassung unter sieben Punkten zum friedlichen Zusammenleben aufruft, für ein herausragendes Dokument christlicher Verantwortung. Die schwierige Gratwanderung der evangelischen Kirche hat vielfach Emotionen besänftigt, dabei aber die Probleme klar und eindeutig formuliert und zu deren Lösung aufgerufen. Gerade auch das verantwortungsbewußte Handeln einzelner Pfarrer, auch in diesen Tagen ihre Kirche offen zu halten und Andachten für



Schulze (Berlin)

die Inhaftierten abzuhalten, hat in der Öffentlichkeit der DDR Spuren hinterlassen, die noch lange nachwirken werden.
Meine Damen und Herren, mit der gestern erfolgten Ausreise des Liedermachers Stefan Krawczyk, seiner Frau Freya Klier, ihrer Tochter und anderer Inhaftierter im Zusammenhang mit den Vorfällen am 17. Januar in Ost-Berlin versucht die DDR, die Unruhen und Proteste zu beenden. Auch wenn wir die Freilassung — das ist hier schon ausgeführt worden — dieser verfolgten Menschen natürlich sehr begrüßen und uns freuen, daß sie wohlbehalten bei uns eingetroffen sind, können wir diese Vorgänge nicht als erledigt betrachten — Frau Wilms hat schon darauf hingewiesen — und zur Tagesordnung übergehen.
Die Abschiebung von mißliebigen Personen, die eine führende Rolle bei Protesten und von der DDR-Regierung nicht gebilligten politischen Veranstaltungen spielen, beseitigt die Auseinandersetzung um die Verwirklichung der auch in der Schlußakte von Helsinki verankerten Menschenrechte nicht. Mit der Abschiebung politisch unliebsamer Menschen kann die DDR-Staats- und Parteiführung das Problem nicht über die innerdeutsche Grenze in den Westen abschieben, wenn sie damit auch versucht, solchen Bewegungen zeitweilig ihre Führungspersonen zu entziehen und sie zu schwächen.
Die DDR als Teilnehmerstaat an der KSZE und Unterzeichner der Schlußakte von Helsinki muß damit rechnen, daß bei derartigen Vorgängen andere Teilnehmer dieser Konferenz Aufklärung und Beseitigung zutage getretener Mißstände von ihr einfordern. Die Beschwerde führender Politbüro-Mitglieder, die Stellungnahme anderer Regierungen sei eine Einmischung in interne Angelegenheiten der DDR, widerspricht nicht nur der KSZE-Schlußakte, sondern auch sogar — das ist hier schon erwähnt worden — dem zwischen SPD und SED ausgehandelten Papier „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit" vom 27. Januar 1987.
Meine Damen und Herren, es ist nach der Schlußakte von Helsinki nicht nur unser Recht, uns nach Vorgängen dieser Art zu erkundigen, sondern auch unsere Pflicht, denjenigen zu helfen, die unserer Hilfe bedürfen. Wir sind davon auch unmittelbar betroffen. Denn wir kümmern und sorgen uns insbesondere auch um die Menschen, die, aus der DDR abgeschoben, bei uns eintreffen. Wir Frauen uns darüber, daß wir einen solchen Beitrag zur Lösung humanitärer Fragen leisten können.
Wir fordern von der DDR-Führung, andersdenkende Menschen als politische Partner anzuerkennen und der Weltöffentlichkeit nicht weiterhin ein Doppelspiel im Bereich der Verwirklichung von Menschenrechten vorzumachen, indem nach außen Dialogbereitschaft und Offenheit zur Schau getragen, während im Innern Andersdenkende mit, so kann man sagen, primitiven Polizeimethoden drangsaliert, schikaniert und strafrechtlich verfolgt werden. Meine Damen und Herren, wenn Menschen dafür, daß sie ein Demonstrationsplakat mit dem Satz „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden" in der Öffentlichkeit zeigen wollen, oder dafür, daß sie sich als junge Bürger im kirchlichen Raum mit ihrem Staat kritisch auseinandersetzen — so bei den Ereignissen um die Zionskirche Ende letzten Jahres — , von Staatsorganen eingesperrt und später strafrechtlich verfolgt werden, dann halte ich es für unsere Pflicht, auf den uns zur Verfügung stehenden Wegen Einfluß auf die Verhinderung solcher Maßnahmen und Entscheidungen zu nehmen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105726800
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Knabe.

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105726900
Empörung reicht nicht. In diesen Tagen ging eine Welle von Empörung durch unser Land. Die heutige Aktuelle Stunde ist nur ein Spritzer auf dieser Welle, aber doch ein Teil der Woge, die das Land überflutet.
Drüben, im anderen deutschen Staat, waren es Betroffenheit, stille Wut und Angst, war es aber gleichzeitig auch ein unerhörter Mut vieler einzelner, die sich nicht schämten, Freunde zu haben, denen die geballte Staatsmacht mit schweren Vorwürfen den Prozeß machte, und die in die Gottesdienste gingen. Vom Staat auf Atheismus getrimmte junge Leute waren dem alten Bibelwort gefolgt: Suchet der Stadt Bestes! Das Beste — das mußte die Erhaltung der Schöpfung sein und nicht ihre weitere Zerstörung. Das Beste — das konnte nicht der Dienst mit Waffen sein, die nur töten können, sondern der Dienst am Nächsten, an der Natur, am Leben.
Wer das einmal begriffen hat — in Ost und West —, den läßt das nicht mehr los. Er möchte mehr wissen über die natürlichen Zusammenhänge, in denen er steht, die Kreisläufe des Wassers und der Luft, um Schaden abzuwenden. Deshalb die „Umweltblätter". Er möchte mehr wissen über die Bedrohung der von Krisen geschüttelten Gesellschaft, um mehr für den Frieden tun zu können. Deshalb der „Grenzfall", der so harmlos ist, daß er hier wohl kaum gelesen würde. Und er kann gar nicht anders, als sich der Vernichtung entgegenzustellen, vielleicht mit dem winzigen Zeichen einer brennenden Kerze oder mit seinem Leib auf der Zufahrtsstraße zum Raketensilo.
Wie kann ein Staat, hier oder dort, solche Menschen als Störenfriede anprangern und kriminalisieren? Das Überleben der Menschheit, das der Natur braucht solche Unruhe. Wir hier im Westen brauchen eine DDR, die stark genug ist, ihre Umweltprobleme zu bewältigen. Aber das geht eben nicht ohne Umweltschutz von unten.

(Böhm [Melsungen] [CDU/CSU]: Auch nicht mit Sozialismus!)

Und die drüben brauchen das Wissen, daß bei uns Menschen da sind, die sich notfalls dem Einsatz eigener Waffen entgegenstellen. Es wird höchste Zeit, daß Politiker und Richter in beiden deutschen Staaten dies einsehen. Gefordert sind wir alle.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105727000
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Würfel.
Deutscher Bundestag — l 1. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Februar 1988 3959

Uta Würfel (FDP):
Rede ID: ID1105727100
Sehr geehrter Herr Präsident! Meme Herren! Meine Damen! Unser Außenminister, Hans-Dietrich Genscher, sagte anläßlich einer Debatte zum Expertentreffen für Menschenrechte der KSZE in Ottawa vor zwei Jahren hier im Deutschen Bundestag, daß die Bundesrepublik Deutschland und wir Deutschen stets Anwalt der Menschenrechte zu sein haben, überall in der Welt, und daß Menschenrechtspolitik zu Hause anzufangen habe. Ich sage nun: Zu Hause ist für uns Deutsche aber nicht nur München, Hamburg, Saarbrücken, sondern auch Berlin, West-Berlin, Ost-Berlin, Cottbus und Weimar.

(Beifall bei der FDP)

Unsere Haltung zu der Frage der Menschenrechte, in anderen Staaten ist moralisch nur dann glaubwürdig, wenn wir die Menschenrechte aller Menschen und überall in der Welt mit dem gleichen Maßstab messen. Menschenrechtspolitik muß für alle gelten.
Aus Anlaß des 39. Jahrestages der Annahme der UN-Menschenrechtsdeklaration im Dezember 1987 veröffentlichte das DDR-Komitee für Menschenrechte eine Erklärung, in der für die DDR in Anspruch genommen wurde, daß für die DDR-Bürger nicht nur einige ausgewählte Menschenrechte gelten würden, sondern daß es ein Wesensmerkmal der Politik des sozialistischen Staates sei, daß die Menschenrechte in ihrer untrennbaren Einheit von politischen, sozialökonomischen und kulturellen Rechten umfassend gewährleistet seien.
Die Betroffenheit im Osten wie im Westen unseres Vaterlandes wird verständlicher, wenn man die Wirklichkeit, also die Vorgänge ab dem 17. Januar, mit dieser Deklaration vergleicht. In Artikel 27 der DDR-Verfassung heißt es, daß jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik das Recht hat, den Grundsätzen dieser Verfassung gemäß seine Meinung frei und öffentlich zu äußern. Es heißt darin weiter: „Niemand darf benachteiligt werden, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht." Wenn dies nun schon so in der Verfassung der DDR niedergelegt ist, muß sie sich auch in ihrem Handeln daran messen lassen dürfen.
Meine Damen und Herren, um glaubwürdig zu sein, um Vertrauen zu bilden und um Spannungen abzubauen, müssen Reden und Handeln übereinstimmen. Reden und Handeln muß bei jedem Bürger von uns übereinstimmen, muß bei jedem Politiker übereinstimmen und muß bei Regierungen übereinstimmen.
Die SED hat zusammen mit der SPD vor wenigen Monaten ein gemeinsames Papier auf den Weg gebracht, in dem es am Schluß heißt, daß Kritik nicht als eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der anderen Seite zurückgewiesen werden darf. Deshalb wird die DDR auch Verständnis dafür aufbringen, wenn wir hier zwar unserer Freude darüber Ausdruck geben, daß jetzt die in der DDR inhaftierten Personen größtenteils freigelassen werden, daß wir dennoch nicht anders können, als uns mit der Art und Weise zu beschäftigen, wie in der DDR mit dem elementaren Recht der Meinungsäußerung und der künstlerischen Betätigung umgegangen wurde.
Menschenrechte sind unteilbar. Sie bedürfen keiner weiteren Interpretation. Schon gar nicht bedürfen sie einer Ideologisierung. Vor allen Dingen möchte ich
unserer Jugend hier in der Bundesrepublik Deutschland zurufen, zu begreifen und dankbar zu erkennen, was es mit unserem Grundgesetz Art. 5 auf sich hat, nach dem jeder das Recht hat, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.
Wenn wir hier diese Rechte für uns in Anspruch nehmen — jeder Schüler, der eine Schülerzeitung gestaltet, weiß dies zu schätzen — , müssen wir erst recht überall in der Welt darauf hinwirken, daß alle Menschen nach denselben Maßstäben leben können, wie wir sie für uns in Anspruch nehmen.
Wenn Europa nach den Worten von Generalsekretär Gorbatschow ein Haus ist, muß es auch möglich sein, daß in diesem einen Haus die Maßstäbe zur Anwendung der Menschenrechte eins sind. Dann erwarte ich auch, daß sich alle in diesem Hause Wohnenden, daß sich also alle europäischen Länder gemeinsam dagegen verwahren, wenn es in einer dieser Wohnungen im gemeinsamen Hause Europa zu Vorgängen kommt, die von den anderen Ländern nicht hingenommen werden können.
Wie schön wäre es doch, wenn in Zukunft im Osten unseres Vaterlands die Menschen, die dort bleiben und auf ihre Weise künstlerisch wirken wollen, nicht ausreisen müßten und wenn diejenigen, die ausreisen wollen, dies auch unbeschadet dürften. Ich bin zuversichtlich, daß wir eines Tages dahin kommen werden. Lassen Sie uns den Dialog weiterführen.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105727200
Das Wort hat der Abgeordnete Hiller.

Reinhold Hiller (SPD):
Rede ID: ID1105727300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe das Gefühl, daß das hier heute viel zitierte Papier ein gutes Papier sein muß, wenn sich so viele darauf berufen. Deshalb wünsche ich diesem Papier in der DDR und hier eine weite Verbreitung;

(Beifall bei der SPD)

denn ich glaube, daß es wirklich ein wichtiger Schritt
zur Entwicklung einer vernünftigen politischen Kultur
zwischen beiden Gesellschaften in Ost und West ist.
Menschenrechte sind unteilbar. Jede Verletzung muß angeprangert werden, ganz gleich, wo sie geschieht. Aber unser Ziel hier muß sein, mehr Freiheitsräume für soziale und individuelle Menschenrechte in ganz Deutschland zu erreichen. Diesem Ziel ist die deutsche Sozialdemokratie in ihrer gesamten über hundertjährigen Geschichte immer in Wort und Tat verpflichtet gewesen. Auch in unserer Deutschlandpolitik läßt sich diese Verpflichtung wie ein roter Faden verfolgen.
Die Politik, die die Konfrontation des Kalten Krieges durch Verträge ablöste, öffnete den Eisernen Vorhang. In großem Umfang sind Besuche und Informationsaustausch über die Grenze hinweg möglich geworden. Und trotzdem: Nicht alle Hoffnungen wurden erfüllt. Hoffnung und Enttäuschung liegen oft sehr eng beieinander. Wir müssen Enttäuschung und Bit-



Hiller (Lübeck)

terkeit zum Ausdruck bringen, wenn Menschen verhaftet werden, die etwas für uns Selbstverständliches tun, die gegen die von oben verordnete Staatsdoktrin aufbegehren, weil sie sich um ihre gefährdete Umwelt Sorgen machen oder weil sie mehr Mitwirkungsmöglichkeiten in ihrem Staat für Andersdenkende fordern.
Enttäuschungen dürfen uns aber nicht in bezug auf das verblenden, was in der Vergangenheit an Positivem bewirkt werden konnte. Wir sollten uns nicht verleiten lassen, alte Feindbilder des Kalten Krieges wieder aufleben zu lassen.

(Beifall bei der SPD)

Statt dessen müssen wir alle Gesprächsfäden über die Grenze hinweg auf allen Ebenen bewahren, so wie es auch im Dialog-Papier zwischen SED und SPD vereinbart wurde. Dadurch werden eben neue Möglichkeiten eröffnet. Es heißt dort:
Unsere Hoffnung kann sich nicht darauf richten, daß ein System das andere abschafft. Sie richtet sich darauf, daß beide Systeme reformfähig sind und der Wettbewerb der Systeme den Willen zur Reform auf beiden Seiten stärkt.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb wollen wir diesen Dialog z. B. in Arbeitsgruppen mit der Volkskammer, über Städtepartnerschaften oder über den Kulturaustausch fortsetzen. Sie sind nicht Selbstzweck, sondern dienen den Begegnungen der Menschen ebenso wie dem Streit der sogenannten Ideologien.
Auch über unterschiedliche Meinungen zu Menschenrechten oder Ausgrenzungen muß gesprochen werden. Beides können wir nach unserem Verständnis nicht akzeptieren. Deshalb bedaure ich auch die Absage der FDJ-Delegation, die hier eine Arbeitsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion besuchen sollte, der ich selber angehöre. Ich hoffe, daß dieser Dialog nachgeholt werden kann — möglichst bald.
Ich hoffe auch, daß Künstler, die aus Solidarität mit den Verhafteten Auftritte in der DDR zunächst absagten, nun wieder die Gelegenheit wahrnehmen können, in der DDR aufzutreten. Durch ihre Auftritte in der DDR können Künstler Solidarität üben, mehr noch als durch Absagen in zugegebenermaßen schwierigen Situationen.

(Beifall bei der SPD)

Diejenigen in der DDR, um die es hier geht, brauchen die Auftritte der Künstler, weil es in der DDR derzeit für viele noch zuwenig Artikulationsmöglichkeiten gibt.
Thomas Meyer, der Mitverfasser des Dialog-Papiers zwischen SPD und SED, sagt:
Die Reform, die wir auf der anderen Seite wünschen, liegt natürlich auf der Linie der Verwirklichung unabhängig gültiger Menschenrechte, pluralistischer Demokratie und einer freiheitlichoffenen Kultur. Wir erheben den Anspruch, die Gesellschaftssysteme des sowjetischen Typs, eben auch das in der DDR, offen und leidenschaftslos zu kritisieren, weil sie unseren Maßstäben nicht gerecht werden. Der Kampf für diese
Ziele kann aber nur das Werk der Menschen, die in dem anderen System leben, selbst sein, wenn sie dies wollen.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105727400
Das Wort hat der Abgeordnete Lummer.

Heinrich Lummer (CDU):
Rede ID: ID1105727500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Büchler, Sie haben den Staatssekretär Hennig kritisiert. Ich will darauf nicht weiter eingehen, sondern darunter gewissermaßen einen Strich ziehen mit der Feststellung, daß ich doch beobachtet habe: Wir sind gemeinsam der Auffassung, daß man diese Dinge offen ansprechen muß, ohne in Maßlosigkeit zu verfallen, und das ist sicherlich in der Ordnung.
Herr Kollege Hiller, ich habe auch nicht den Eindruck, daß bei uns irgendwo Menschen sind, die alte Feindbilder reproduzieren.

(Zuruf von der SPD: Na, na?)

Vielmehr meine ich schon: Wenn von dem Pranger die Rede ist, den Sie selber angesprochen haben, so hat sich die DDR dort selber hinbegeben, und zwar durch ihr eigenes Verhalten, und niemand hat sie dorthin getrieben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Insofern erlaube ich mir, doch zu sagen, daß es zwar sicherlich richtig ist, sich die beiderseitige Reformfähigkeit zu bescheinigen, daß aber meiner Meinung nach die Reformbedürftigkeit bei der DDR offenbar größer ist als irgendwo sonst, jedenfalls größer als bei uns.
Meine Damen und Herren, man kann in einem solchen Beitrag natürlich nicht die Gesamtheit dieses komplexen Vorganges ansprechen, sondern muß sich jeweils auf einen ganz besonderen Sachverhalt beschränken, und das will auch ich tun. Da habe ich zur Kenntnis genommen, daß die DDR eine Erklärung dergestalt sucht, irgend jemand von draußen habe ihr das, was da passiert ist, gewissermaßen ins Haus geschickt. Ich meine, wenn die DDR diesen Eindruck, einige Provokateure seien ihr ins Haus geschickt worden, erwecken will, unterliegt sie einem offenbaren Irrtum. Diese Probleme sind weder importiert noch von außen gesteuert. Sie tragen wirklich das Zeichen „hausgemacht" ; fast schon möchte ich sagen, daß sie so, wie sie entstanden sind, systemimmanent sind.
Ich erinnere mich an einen Hirtenbrief der katholischen Bischöfe aus dem Frühjahr 1982 zur Situation in Polen, wo sie einen Zusammenhang zwischen der Existenz eines Minimums an Freiheit in einem Lande und der Fähigkeit und der Möglichkeit des inneren Friedens herstellten und sagten: Dort, wo einem Volk auf Dauer ein Minimum an Freiheit vorenthalten wird, wachsen Aggressionen und Spannungen,

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Das waren keine Aggressionen!)

dort ist der innere Friede in Gefahr. Ich denke, daß damit auch eine Beschreibung der Situation in der DDR vorgenommen wurde.



Lummer
Deshalb ist das Problem auch nicht dadurch lösbar, daß die DDR immer einmal wieder mißliebige Personen ausreisen läßt oder abschiebt. Im Zweifelsfall werden dann die Ausreisewilligen gewissermaßen als Provokateure auftreten, sie werden in Ungnade fallen wollen, damit sie die Chance des Ausreisens bekommen. Die anderen — wenn ich es richtig sehe, sind das sogar die meisten — wollen gar nicht heraus, sondern wollen dort bleiben, in dem Land, das ja ihre Heimat ist, aber sie wollen dieses Land bewohnbarer machen.
Mir scheint, auch wir sollten begreifen, daß Flucht oder Ausreise zwar individuell gerechtfertigt sein können, daß auch die Hilfe, die die Bundesrepublik Deutschland dafür leistet, gerechtfertigt ist, daß dies aber letztendlich keine Problemlösung ist. Es geht wirklich um Veränderungen, um „Perestroika" , wie man ja immer so schön sagt, und zwar im Sinne von ein wenig mehr Freiheit, ein wenig mehr Offenheit und Meinungsvielf alt.
Wer diese Gruppen — mit denen man ja politisch gar nicht übereinstimmen muß — als, wie es da hieß, „antisozialistische Brückenköpfe" begreift und wer meint, er müßte sie wegschieben, der löst meines Erachtens das Problem wirklich nicht.
Die Annahme der Regierung in Ost-Berlin, sie müsse gewissermaßen den realen Sozialismus in möglichst viel Uniformität aufrechterhalten, um stabil zu bleiben, ist tatsächlich ein Irrtum. Die Wirklichkeit sieht meiner Meinung nach anders aus, nämlich so, daß ein Stück Vielfalt und ein Stück Offenheit mehr innere Stabilität bringen und auch dem inneren Frieden dienlich sind. Es wäre schön, wenn man das drüben begreifen würde.
Es geht also nicht nur darum, daß die DDR vielleicht durch bestimmte Maßnahmen ihre eigene Reputation verbessern will, sondern hier ist auch, so meine ich, ihr eigenes Interesse zu entdecken, das Interesse daran, daß sie nicht gewissermaßen aus Schwäche den strammen Max spielt, sondern daß mehr Toleranz und auch mehr Großzügigkeit Zeichen der Stärke und auch der Souveränität, von der sie immer spricht, wären.
Es ist schon bemerkenswert: Auch die polnische Regierung hat sich darüber beklagt, daß in Polen so viel Fortzugs-, Auswanderungs- und Fluchtbereitschaft vorhanden ist. Warum ist das denn so? Ich meine, es liegt schlicht und einfach daran, daß die Strukturen so, wie sie dort sind, danach drängen. Deswegen, meine ich, besteht auch keine Veranlassung, daß die vielleicht nicht ganz freie Ausreise von Regimekritikern von uns als Zeichen besonderer Humanität des Regimes gesehen wird. Es ist ein Stück Staatsräson, was darin zum Ausdruck kommt.
Wenn das so ist, dann besteht, meine ich, keine besondere Veranlassung zu großem Dank oder gar zu finanziellen Gegenleistungen. Ich denke, wir sollten durch offene und öffentliche Diskussion deutlich machen, daß sich Herr Hager irrt, wenn er glaubt, man brauche keinen Tapetenwechsel oder keine Veränderung. Die Situation ist so, daß eine Veränderung notwendig ist — vielleicht sogar eine grundlegende Renovierung — im Interesse der Menschen, aber, ich glaube, auch im Interesse der Regierung dort.
Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105727600
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmude.

Dr. Jürgen Schmude (SPD):
Rede ID: ID1105727700
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sprecher der SPD-Fraktion haben zutreffend die erfolgreiche Deutschland- und Ostpolitik gewürdigt, die die Bundesregierung Willy Brandt begonnen hat. Als wir mit dieser Politik vor 18 Jahren anfingen, war uns klar: Wir würden viel Geduld, Zielstrebigkeit und Besonnenheit brauchen, weil sich bestimmt Rückschläge einstellen würden.
Nicht, daß solche Rückschläge vorkommen, daß Mißgriffe vorkommen, daß Verstimmung aufkommt, ist das Problem. Entscheidend ist, daß man sie schnell überwindet, auch wenn dann weitere Probleme bleiben. Ich denke, wir können nach diesen sehr aufregenden Tagen sagen, daß es wieder einmal zu gelingen scheint, einen Rückschlag zu überwinden, damit diese Politik zielstrebig und besonnen fortgesetzt werden kann.
Ich schließe mich vollinhaltlich den Dankworten an, die vor allem mein Kollege Hans Büchler hier gesprochen hat, und möchte noch eine zusätzliche Bemerkung zur Rolle und zu den Verdiensten der evangelischen Kirche in der DDR machen. Ich denke, wir sind uns darüber einig: Es ist nicht unsere Sache, der Evangelischen Kirche dort Vorschläge zu machen, Ratschläge zu geben, gar für sie zu sprechen. Die Vorgänge zeigen wieder einmal: Ihre leitenden Personen und Gremien haben Vertrauen verdient.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Sie hatten es schon vorher verdient. Sie haben es erst recht jetzt verdient. Sie haben es drüben verdient, und sie haben es auch bei uns verdient.
Ich sage das in Erinnerung daran, wie oft es Vorwürfe, wie oft es Verdächtigungen gegeben hat, die Kirche drüben übe sich in Leisetreterei, sie zeige Anpassungsbereitschaft und dergleichen mehr; manchmal noch garniert, indem man Stimmen aus der kirchlichen Opposition zitierte, so als sei das die wahre Kirche und die Bischöfe nun schon gar nicht.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Das ist ein Teil der Kirche!)

Die Kirche folgt ihrem eigenen Auftrag auch in der DDR. Sie folgt nicht Erwartungen von anderer Seite, schon gar nicht politischen Erwartungen, weder von dort noch von hier. Sie ist nicht Opposition, sie ist Kirche, die im dortigen Staat lebt und dort ihre Aufgaben wahrnimmt. Sie weiß sich für das Wohl der Menschen mitverantwortlich. Sie weiß sich zum Schutz der Bedrängten verpflichtet, und das nicht destruktiv, sondern zur Förderung eines Weges der Besserung der Verhältnisse.
Aus der schon erwähnten Stellungnahme der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von BerlinBrandenburg vom 30. Januar 1988 zitiere ich dazu zwei Stellen:
Die Kirche bleibt nur dann Kirche, wenn sie bei
ihrem Bekenntnis zu dem dreieinigen Gott bleibt.



Dr. Schmude
Aus diesem Bekenntnis ergibt sich die Verantwortung für Frieden und Gerechtigkeit und für das Wohl der Gesellschaft und die in ihr lebenden Menschen.
Und an anderer Stelle:
Die Kirchenleitung sieht den Veränderungsprozeß, in dem auch die DDR steht. Dieser Prozeß braucht alle Menschen dieses Landes. Meinungsstreit und Toleranz müssen geübt, Beharrungstendenzen und Ungeduld müssen überwunden werden, damit gemeinsam das Beste für das Land und seine Menschen gefunden wird.
Schutz und Fürsprache für die Bedrängten dürfen auch nicht mißverstanden werden. So heißt es in dem Papier an anderer Stelle z. B.:
Die besonders Betroffenen bitten wir, zu bedenken, ob ihr Vorgehen geeignet war, die Situation im Lande zu verbessern.
An uns ist folgende Textstelle gerichtet:
Die politischen und journalistischen Beobachter außerhalb der DDR werden sich bei ihren Stellungnahmen fragen müssen, ob sie Unruhe herbeireden oder menschenfreundliche Veränderungen erleichtern wollen.
Sehr geehrte Damen und Herren, der Anlaß dieser Aktuellen Stunde ist bedauerlich. Jetzt besteht Grund zur Hoffnung. Wenn alle Beteiligten und Betroffenen und auch wir aus den Vorgängen lernen, dann, denke ich, wird sich die Hoffnung erfüllen, daß wir nicht so bald wieder solche bedauerlichen Dinge zu beklagen haben.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105727800
Das Wort hat der Abgeordnete Reddemann.

Dr. Gerhard Reddemann (CDU):
Rede ID: ID1105727900
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der Herr Kollege Schmude hat soeben die Hoffnung ausgesprochen, daß wir nicht bald wieder über ein solches Thema hier sprechen müssen. Als wir am 9. Dezember 1987 über die damaligen Volkspolizeimethoden gegen die Zionskirche sprechen mußten, hatten wir die gleiche Hoffnung, und wir hatten sie hier alle ausgedrückt. Nur müssen wir heute leider feststellen, daß dies wieder einmal eine Hoffnung war, die sich nicht erfüllt hat.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Das sind Wechselbäder!)

Die Entspannung hat — darüber können wir wohl überhaupt nicht hinweggehen — einen Rückschlag erlitten.
Auf den Versuch einer relativ kleinen Gruppe, für das inzwischen bekannteste Rosa-Luxemburg-Zitat von der Freiheit des Andersdenkenden zu demonstrieren, antwortete das SED-Regime mit der Realisierung eines weiteren Wortes von Rosa Luxemburg, nämlich den „Daumen auf die Augen und das Knie auf die Brust" des Andersdenkenden zu drücken. Wenn die Frau Kollegin Kelly noch hier wäre, würde ich ihr an dieser Stelle sagen: Zitate dieser Art waren
es, die uns damals dazu veranlaßt haben, nicht für eine Rosa-Luxemburg-Gedenkmarke zu sein.
Der Präsident des DDR-PEN-Zentrums, Heinz Kamnitzer, der auf seine Weise den eigentlich freiheitlichen Gedanken des PEN-Clubs zu Tode reitet, durfte gestern im SED-Zentralorgan „Neues Deutschland" — ich empfehle, so etwas gelegentlich nachzulesen — die Idee von der Freiheit des Andersdenkenden, als „herrliche Utopie", die sich als „grauenhaft" erwiesen habe, beschimpfen, und er durfte Rosa Luxemburg sagen, sie sei das Opfer ihrer eigenen Maxime geworden.
Ich hatte, als wir von der Freilassung von Freya Klier und Stephan Krawczyk gehört haben, zunächst die Überlegung gehabt, ob wir diese Aktuelle Stunde deswegen absagen sollten, weil — darüber sind wir uns, glaube ich, einig — eine gewisse Einsicht in der SED-Führung offensichtlich deutlich geworden ist. Aber eine sorgfältige Analyse der Veröffentlichungen des SED-Zentralorgans „Neues Deutschland" aus den letzten Tagen machte uns deutlich, daß dies so nicht möglich war. Ich verweise nur auf den heute geäußerten Pauschalvorwurf, daß die westdeutschen Journalisten in Ost-Berlin Agenten westlicher Geheimdienste seien, und die daran geknüpften Behauptungen. Ich weise diese Behauptungen erst einmal mit aller Entschiedenheit zurück

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei den GRÜNEN)

und sage im übrigen, daß es sicher eine Aufgabe der Bundesregierung sein wird, dieses Thema in den nächsten Besprechungen mit Ost-Berlin auf die Tagesordnung zu setzen.
Aber, meine Damen, meine Herren, ein Verzicht auf Öffentlichkeit heute wäre auch deswegen ein Fehler gewesen, weil das, was in den letzten Tagen geschehen ist, nicht einfach nur etwas war, was irgendwelche schlecht angeleiteten untergeordneten Stellen losgelassen hatten. Wir müssen befürchten, daß die oberste Führung der SED diese Aktion, diese Szene, selbst präzise hat stellen lassen.
Frau Kollegin Kelly hat bereits darauf hingewiesen, daß das DKP-Zentralorgan „Unsere Zeit" als bezahltes Sprachrohr der DDR-Staatsmacht aus dem 1983 zwangsweise in die Bundesrepublik abgeschobenen Sprecher des Jenenser Friedenskreises Roland Jahn einen westlichen Einflußagenten machen wollte. Ich darf daran erinnern, daß man seine halböffentlichen Spendensammlungen für die Gruppen um die Zionskirche in eine geheimdienstähnliche Operation umfälschen wollte. Hier ist ein Szenario aufgebaut worden, wie es in den längst überwunden geglaubten Tagen Walter Ulbrichts üblich war. Menschen, die in der DDR weiterleben wollten, aber dem real existierenden Sozialismus ein menschlicheres Gesicht geben möchten, wurden in eine Anklagekonstruktion gepreßt, an deren Ende entweder eine mehrjährige Haft oder die erzwungene „freiwillige" Ausreise standen. Dies müssen wir leider hier konstatieren.
Wer für die Freiheit dieser Andersdenkenden plädierte, bekam von dem bereits zitierten Heinz Kamnitzer im „Neuen Deutschland" den Satz entgegengeschleudert — ich zitiere wörtlich —



Reddemann
... der Aufstieg des Adolf Hitler lieferte den grausamen Beweis, was die allgemeine Freiheit der Andersdenkenden uns bescheren konnte.
Meine Damen und Herren, solche Konstruktionen und hinterhältigen Zitate kommen nicht aus heiterem Himmel. Sie sind Anleitungen zum Handeln.
Zur selben Zeit wirbt der Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, für Glasnost und Perestroika. Was wirklich in den Weiten der Sowjetunion geschieht, können wir als interessierte Mitbewohner des Hauses Europa allenfalls in Bruchstücken erfassen. Was wir allerdings fast überdeutlich sehen, ist die Art, wie in der DDR Glasnost und Perestroika im Augenblick gehandhabt werden. Da der alte Parteispruch „Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen" noch immer in die Köpfe der Menschen in Mitteldeutschland eingehämmert wird, haben wir von der Voraussetzung auszugehen, daß die Entwicklung in der DDR die Perestroika in der Sowjetunion widerspiegelt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105728000
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Gerhard Reddemann (CDU):
Rede ID: ID1105728100
Ich möchte den letzten Satz noch sagen, wenn es erlaubt ist.
Wir werden die Perestroika-Visionen Michail Gorbatschows daher an der Staatssicherheitspraxis Erich Mielkes messen müssen, und das nicht nur im Zusammenhang mit den Ereignissen, die uns heute zu dieser Aktuellen Stunde zwangen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105728200
Die Aktuelle Stunde ist geschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 4. Februar 1988, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.