Rede von
Eduard
Lintner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht fragt sich der eine oder andere, warum meine Fraktion an der Durchführung dieser Aktuellen Stunde festhält, obwohl doch seit gestern die DDR-Führung offensichtlich um eine Bereinigung konkreter Fälle bemüht ist. Sosehr wir es im Interesse der betroffenen Landsleute natürlich begrüßen, daß sie jetzt freigelassen werden, so wenig dürfen wir dabei verkennen, daß damit das grundsätzliche am Verhalten der DDR-Behörden im Umgang mit Kritikern nicht bereinigt ist. Die SED wird sich vielmehr auch demnächst wieder vor die Frage gestellt sehen, wie sie mit Menschen umgeht, die das System oder eben die konkrete Politik ablehnen oder kritisieren. Das heißt für uns, meine Damen und Herren, daß die öffentliche Erörterung dieses Themas über die Einzelfälle hinaus so lange geführt werden muß, bis sich die SED zur Gewährung von Menschen- und Bürgerrechten durchringt.
Die DDR-Führung hofft offensichtlich, den rüden Umgang mit Kritikern ihres Regimes und ihrer Politik als eine innere Angelegenheit mit sehr begrenzter Wirkung und Bedeutung darstellen zu können. Damit täuscht sie sich natürlich gewaltig. Im Gegenteil, nicht nur die deutsche Öffentlichkeit nimmt an den Vorgängen in Ost-Berlin und in der DDR regen Anteil, sondern auch die internationale Aufmerksamkeit richtet sich darauf. Das hängt sicher damit zusammen, daß es dem sowjetischen Generalsekretär Gorbatschow gelungen ist, mit seinen Reformplänen und den Begriffen Glasnost und Perestroika überall hohe Erwartungen zu wecken. Diese Erwartungen richten sich aber an alle kommunistischen Regierungen und Parteien und nicht nur an die UdSSR. Pars pro toto müßte man also sagen; das ist der Maßstab, der auch an das Verhalten der DDR-Führung angelegt wird.
Deshalb werden die autoritären Verhaltensweisen der DDR-Organe natürlich überall als Hinweise darauf verstanden, daß es auch die kommunistische Führungsmacht Sowjetunion mit mehr Offenheit und zivilisierterem Umgang mit den Menschen im eigenen Lande womöglich nicht ernst meinen könnte; ein Mißverständnis möglicherweise, aber eben ein unvermeidliches.
Daß die DDR-Regierung einige Gegebenheiten nicht unbeachtet lassen darf, möchte ich hier noch hinzufügen. Diese Gegebenheiten lassen sich auch nicht durch Polizei und Staatssicherheit einfach beiseite schieben. Die SED-Führung muß zunächst erkennen, daß mit bloß verbaler Augenwischerei und bloß pro forma eingegangenen internationalen Verträgen zur Gewährung von Menschenrechten einerseits und mit Unterdrückungspraktiken wie zu Ulbrichts Zeiten andererseits sich weder das Vertrauen der eigenen Bevölkerung noch das Vertrauen international gewinnen läßt. Solche eklatanten Widersprüche provozieren vielmehr gerade kritische Nachfragen bei den staatlichen Autoritäten. Die Welt aber muß meinen: Hier geht eine Regierung zynisch und willkürlich mit der eigenen Bevölkerung und überaus wichtigen völkerrechtlichen Prinzipien um.
Die DDR-Führung, meine Damen und Herren, hat in letzter Zeit viele Anstrengungen unternommen, um ihr internationales Ansehen zu verbessern. Sie ist drauf und dran, das dabei Erreichte nachhaltig zu zerstören.
Die Erfahrung außerdem, daß Zugeständnisse von der DDR-Regierung als jederzeit revidierbar angesehen werden, bedeutet zwangsläufig auch eine schwere Belastung der innerdeutschen Beziehungen.
Die DDR-Führung kommt deshalb nicht umhin, den zivilisierten Umgang und eine akzeptable Form der Auseinandersetzung mit Kritik zu lernen. Das muß, meine Damen und Herren, von ihr verlangt werden.