Rede von
Dr.
Wilhelm
Knabe
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)
Empörung reicht nicht. In diesen Tagen ging eine Welle von Empörung durch unser Land. Die heutige Aktuelle Stunde ist nur ein Spritzer auf dieser Welle, aber doch ein Teil der Woge, die das Land überflutet.
Drüben, im anderen deutschen Staat, waren es Betroffenheit, stille Wut und Angst, war es aber gleichzeitig auch ein unerhörter Mut vieler einzelner, die sich nicht schämten, Freunde zu haben, denen die geballte Staatsmacht mit schweren Vorwürfen den Prozeß machte, und die in die Gottesdienste gingen. Vom Staat auf Atheismus getrimmte junge Leute waren dem alten Bibelwort gefolgt: Suchet der Stadt Bestes! Das Beste — das mußte die Erhaltung der Schöpfung sein und nicht ihre weitere Zerstörung. Das Beste — das konnte nicht der Dienst mit Waffen sein, die nur töten können, sondern der Dienst am Nächsten, an der Natur, am Leben.
Wer das einmal begriffen hat — in Ost und West —, den läßt das nicht mehr los. Er möchte mehr wissen über die natürlichen Zusammenhänge, in denen er steht, die Kreisläufe des Wassers und der Luft, um Schaden abzuwenden. Deshalb die „Umweltblätter". Er möchte mehr wissen über die Bedrohung der von Krisen geschüttelten Gesellschaft, um mehr für den Frieden tun zu können. Deshalb der „Grenzfall", der so harmlos ist, daß er hier wohl kaum gelesen würde. Und er kann gar nicht anders, als sich der Vernichtung entgegenzustellen, vielleicht mit dem winzigen Zeichen einer brennenden Kerze oder mit seinem Leib auf der Zufahrtsstraße zum Raketensilo.
Wie kann ein Staat, hier oder dort, solche Menschen als Störenfriede anprangern und kriminalisieren? Das Überleben der Menschheit, das der Natur braucht solche Unruhe. Wir hier im Westen brauchen eine DDR, die stark genug ist, ihre Umweltprobleme zu bewältigen. Aber das geht eben nicht ohne Umweltschutz von unten.
Und die drüben brauchen das Wissen, daß bei uns Menschen da sind, die sich notfalls dem Einsatz eigener Waffen entgegenstellen. Es wird höchste Zeit, daß Politiker und Richter in beiden deutschen Staaten dies einsehen. Gefordert sind wir alle.