Rede von
Uta
Würfel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meme Herren! Meine Damen! Unser Außenminister, Hans-Dietrich Genscher, sagte anläßlich einer Debatte zum Expertentreffen für Menschenrechte der KSZE in Ottawa vor zwei Jahren hier im Deutschen Bundestag, daß die Bundesrepublik Deutschland und wir Deutschen stets Anwalt der Menschenrechte zu sein haben, überall in der Welt, und daß Menschenrechtspolitik zu Hause anzufangen habe. Ich sage nun: Zu Hause ist für uns Deutsche aber nicht nur München, Hamburg, Saarbrücken, sondern auch Berlin, West-Berlin, Ost-Berlin, Cottbus und Weimar.
Unsere Haltung zu der Frage der Menschenrechte, in anderen Staaten ist moralisch nur dann glaubwürdig, wenn wir die Menschenrechte aller Menschen und überall in der Welt mit dem gleichen Maßstab messen. Menschenrechtspolitik muß für alle gelten.
Aus Anlaß des 39. Jahrestages der Annahme der UN-Menschenrechtsdeklaration im Dezember 1987 veröffentlichte das DDR-Komitee für Menschenrechte eine Erklärung, in der für die DDR in Anspruch genommen wurde, daß für die DDR-Bürger nicht nur einige ausgewählte Menschenrechte gelten würden, sondern daß es ein Wesensmerkmal der Politik des sozialistischen Staates sei, daß die Menschenrechte in ihrer untrennbaren Einheit von politischen, sozialökonomischen und kulturellen Rechten umfassend gewährleistet seien.
Die Betroffenheit im Osten wie im Westen unseres Vaterlandes wird verständlicher, wenn man die Wirklichkeit, also die Vorgänge ab dem 17. Januar, mit dieser Deklaration vergleicht. In Artikel 27 der DDR-Verfassung heißt es, daß jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik das Recht hat, den Grundsätzen dieser Verfassung gemäß seine Meinung frei und öffentlich zu äußern. Es heißt darin weiter: „Niemand darf benachteiligt werden, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht." Wenn dies nun schon so in der Verfassung der DDR niedergelegt ist, muß sie sich auch in ihrem Handeln daran messen lassen dürfen.
Meine Damen und Herren, um glaubwürdig zu sein, um Vertrauen zu bilden und um Spannungen abzubauen, müssen Reden und Handeln übereinstimmen. Reden und Handeln muß bei jedem Bürger von uns übereinstimmen, muß bei jedem Politiker übereinstimmen und muß bei Regierungen übereinstimmen.
Die SED hat zusammen mit der SPD vor wenigen Monaten ein gemeinsames Papier auf den Weg gebracht, in dem es am Schluß heißt, daß Kritik nicht als eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der anderen Seite zurückgewiesen werden darf. Deshalb wird die DDR auch Verständnis dafür aufbringen, wenn wir hier zwar unserer Freude darüber Ausdruck geben, daß jetzt die in der DDR inhaftierten Personen größtenteils freigelassen werden, daß wir dennoch nicht anders können, als uns mit der Art und Weise zu beschäftigen, wie in der DDR mit dem elementaren Recht der Meinungsäußerung und der künstlerischen Betätigung umgegangen wurde.
Menschenrechte sind unteilbar. Sie bedürfen keiner weiteren Interpretation. Schon gar nicht bedürfen sie einer Ideologisierung. Vor allen Dingen möchte ich
unserer Jugend hier in der Bundesrepublik Deutschland zurufen, zu begreifen und dankbar zu erkennen, was es mit unserem Grundgesetz Art. 5 auf sich hat, nach dem jeder das Recht hat, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.
Wenn wir hier diese Rechte für uns in Anspruch nehmen — jeder Schüler, der eine Schülerzeitung gestaltet, weiß dies zu schätzen — , müssen wir erst recht überall in der Welt darauf hinwirken, daß alle Menschen nach denselben Maßstäben leben können, wie wir sie für uns in Anspruch nehmen.
Wenn Europa nach den Worten von Generalsekretär Gorbatschow ein Haus ist, muß es auch möglich sein, daß in diesem einen Haus die Maßstäbe zur Anwendung der Menschenrechte eins sind. Dann erwarte ich auch, daß sich alle in diesem Hause Wohnenden, daß sich also alle europäischen Länder gemeinsam dagegen verwahren, wenn es in einer dieser Wohnungen im gemeinsamen Hause Europa zu Vorgängen kommt, die von den anderen Ländern nicht hingenommen werden können.
Wie schön wäre es doch, wenn in Zukunft im Osten unseres Vaterlands die Menschen, die dort bleiben und auf ihre Weise künstlerisch wirken wollen, nicht ausreisen müßten und wenn diejenigen, die ausreisen wollen, dies auch unbeschadet dürften. Ich bin zuversichtlich, daß wir eines Tages dahin kommen werden. Lassen Sie uns den Dialog weiterführen.