Rede von
Hans
Büchler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ließe sich jetzt natürlich über das Zitat von Rosa Luxemburg trefflich streiten. Ich sehe das anders. Wir können das ja in nächster Zeit mal ausdiskutieren.
Ich meine, es ist gut, daß die besonnenen Kräfte in der DDR die Oberhand gewonnen haben und daß sich die Vernunft durchgesetzt hat. Das haben wir heute gemeinsam festgestellt.
Wir müssen den Kirchen in der DDR danken, denn sie haben die Hauptarbeit bei dem geleistet, was sich dort in den letzten Stunden vollzogen hat und was sich noch vollziehen wird.
Wir anerkennen die Leistung des Staatssekretärs Ludwig Rehlinger ausdrücklich
und beziehen Wolfgang Vogel ein. Sie haben zusammen eine Lösung gefunden, mit der wir zufrieden sein können, obwohl wir die Einzelheiten, insbesondere was das Verbleiben in der DDR oder das Übersiedeln betrifft, noch nicht wissen. Das ist einer späteren Beurteilung vorbehalten.
Mich hat in diesen Diskussionen ein bißchen erstaunt, Frau Minister — Ihr Redebeitrag heute war auch unsere Linie — , daß Sie in einem Interview gesagt haben, die Bundesrepublik sei zur Aufnahme der Ausreisenden bereit. Ich glaube, das war ein überflüssiger Hinweis, denn dies haben die Gründungsväter dieser Republik in der Verfassung sehr wohl postuliert.
Etwas schädlich, kläglich, wie ich sagen möchte, der Sache nicht würdig und angemessen, habe ich die Einlassungen des Herrn Staatssekretär Hennig empfunden. Er hat versucht, aus diesen bedauerlichen Vorgängen in Ost-Berlin politisches Kapital zu schlagen. In einem Interview in der „Bonner Rundschau" hat er bemängelt, die Linke in der Bundesrepublik habe sich nicht vernehmlich genug geäußert. Herr Hennig, wir haben sowohl im November bei den ersten Verhaftungen wie auch seit dem 17. Januar deutlich unsere Meinung gesagt und haben davon nichts wegzustreichen.
Wir haben das Vorgehen der DDR gegen die Friedens- und Umweltgruppen verurteilt, und es ist für uns eine Selbstverständlichkeit, daß wir kritisch mit der DDR umgehen, wenn dies geboten erscheint. Wir bringen unsere kritischen Anmerkungen nicht im Hinterzimmer vor, sondern wir sagen sie offen und deutlich und in aller Öffentlichkeit. Dazu fühlen wir uns nicht nur durch unser Dialogpapier zwischen SPD und SED veranlaßt. Das war schon vorher so und wird auch immer so bleiben.
Wie geht es weiter? Es ist zu hoffen, daß die DDR zukünftig mehr offene Diskussionen zuläßt und kritische Beiträge nicht gleich als Angriff auf ihre Existenz versteht. Die SED muß einsehen, daß das konstruktive Gespräch für die Weiterentwicklung einer Gesellschaft unverzichtbar — ich möchte sagen: wie die Luft zum Atmen — ist.
Wir Sozialdemokraten führen den Dialog mit der DDR auf allen Ebenen und über alle Fragen, wo dies möglich ist, weiter. Ich muß deshalb auch sagen, daß der Grund, der uns für die Absage einer FDJ-Delegation übermittelt worden ist, nicht stichhaltig ist. Er wird es nie sein.
Wir fühlen uns auch in Zukunft verpflichtet, wenn es nötig ist, mit der DDR kritisch zu sein — wie auch mit anderen Staaten dieser Welt. Das ist keine unerlaubte Einmischung. Das sehen wir nicht so. Denn wir empfinden es auch nicht als so gravierend, wenn die Medien aus der DDR, Presse, Rundfunk und Fernsehen, über uns kritische Verlautbarungen abgeben. Wir akzeptieren das natürlich auch.
Die Staatsführung der DDR muß endlich begreifen, daß eine längerfristige kooperative und friedliche Zusammenarbeit wesentlich davon abhängt, wie sie sowohl den Dialog innerhalb der DDR wie auch mit anderen Staaten offen und kritisch zu führen in der Lage ist.