Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Ehe wir in die Fragestunde eintreten, habe ich Ihnen folgendes mitzuteilen. Im interfraktionellen Einvernehmen wird vorgeschlagen, in der nächsten Sitzungswoche mit Rücksicht auf die für diese Woche vorgesehene Haushaltsberatung keine Fragestunde durchzuführen. Diese Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde muß nach § 126 unserer Geschäftsordnung mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder beschlossen werden. Ist das Haus mit der Abweichung einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 9/1252 —
Wir kommen zunächst zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zu diesem Geschäftsbereich liegen die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Reddemann sowie die Fragen 39 und 40 des Herrn Abgeordneten Niegel vor. Diese Fragen werden auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet, weil das Thema der Fragen in dieser Sitzung ohnehin auf der Tagesordnung steht und erörtert wird. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe dann den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Wir kommen zunächst zur Frage 41 des Abgeordneten Hansen:
Trifft es zu, daß Kongreß und Senat der Vereinigten Staaten von Amerika die Ausgabe von 20 Millionen Dollar für eine neue Binärgasfabrik in Pine Bluff, Arkansas, als erste Tranche für ein Vier- bis Sechs-Milliarden-Dollar-Projekt zur Herstellung neuer chemischer Waffen genehmigt haben, die ausschließlich auf dem „potentiellen europäischen Schlachtfeld" gelagert werden sollen?
Das Haus ist durch seinen Staatsminister Dr. Corterier vertreten. Herr Staatsminister, bitte.
Der amerikanische Kongreß hat im Mai 1981 auf Antrag der US-Regierung den Betrag von 20 Millionen Dollar für die Ausrüstung einer Produktionsanlage für binäre chemische Munition in Pine Bluff im Staate Arkansas bewilligt. Regierungsantrag und
Bewilligung bezogen sich ausschließlich auf das genannte Projekt und den genannten Betrag. Ein angebliches CW-Programm in Milliardenhöhe wurde nur von Kritikern des Regierungsantrages in der Debatte erwähnt. Außenminister Haig begründete den Antrag seiner Regierung mit der Notwendigkeit, angesichts der bedeutenden sowjetischen chemischen Rüstung eine begrenzte Kapazität an amerikanischen chemischen Waffen zur Aufrechterhaltung glaubwürdiger Abschreckung zu bewahren. Eine eventuelle Entscheidung über die Lagerung außerhalb der Vereinigten Staaten, die ohnehin erst in einigen Jahren anstehe, werde mit den betroffenen Bündnispartnern eng konsultiert werden.
Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Staatsminister, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß der Bundesregierung nicht bekannt ist, daß in diesen Tagen wahrscheinlich eine Entscheidung über die Produktion von rund einer Million Artilleriegranaten 203 mm und 155 mm mit Nervengas, die ausschließlich dazu bestimmt sind, auf deutschem Boden gelagert zu werden, in den nächsten Jahren in Amerika fallen wird und daß diese Entscheidung von Senator Hatfield, der immerhin der Vorsitzende des Finanzausschusses des Senats ist, als wahnsinnig bezeichnet worden ist und von ihm des weiteren zum Ausdruck gebracht wurde, er halte es für einen tragischen Irrtum, wenn die europäischen Verbündeten sich über eine solche weitreichende Entscheidung erst post festum unterrichten lassen würden?
Dr. Corterier, Staatsminister: Diese Information liegt mir nicht vor, Herr Abgeordneter.
• Hansen : Würden Sie dann so gütig sein, sich diese Information zu beschaffen — —
Wollen Sie eine weitere Zusatzfrage stellen?
Ja. Vizepräsident Windelen: Bitte schön.
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4350 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Wären Sie denn bereit, sich diese Information zu verschaffen, da es hier doch um wirkliche Interessen der Bevölkerung, die hier auf diesem Boden lebt, geht, wenn es zu einer solchen Nachrüstung mit chemischen Waffen kommen sollte?
Dr. Corterier, Staatsminister: Ich finde es zunächst einmal interessant, daß Sie von Nachrüstung sprechen. Insofern stellen Sie ganz offensichtlich den Zusammenhang mit der sowjetischen Vorrüstung her.
— Nein, ich will als Feststellung von Ihrer Seite gern zunächst einmal festhalten, daß es hier offensichtlich um eine Nachrüstung gegenüber einer bedenkenerregenden sowjetischen Vorrüstung geht. Herr Abgeordneter, es kann aber nicht Sache der Bundesregierung sein, sich in souveräne Rüstungsentscheidungen anderer Staaten einzumischen. Uns kann es nur darum gehen, dann, wenn irgend jemand die Absicht haben sollte — und darüber ist uns bisher nichts bekannt —, derartige Waffen auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland zu lagern, unser Mitspracherecht in Anspruch zu nehmen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ehmke.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß die Fraktion der Sozialdemokratie auf Grund von Gesprächen mit Senator Hatfield darum bemüht ist, auch die chemischen Waffen in die Rüstungskontrolle in Europa einzubeziehen?
Dr. Corterier, Staatsminister: Das ist mir bekannt. Es ist selbstverständlich, Herr Abgeordneter, die wichtigste Aufgabe, die sich auch in diesem Bereich stellt, daß wir an Stelle einer möglicherweise notwendig werdenden Nachrüstung zu Rüstungskontrollvereinbarungen kommen.
Ich rufe die Frage 42 des Abgeordneten Hansen auf:
Wird die Bundesregierung vcn den USA verlangen, an den Entscheidungen über Entwicklung, Produktion und Lagerung neuer chemischer Waffen beteiligt zu werden?
Dr. Corterier, Staatsminister: Wie es ihrer ständigen bewährten Praxis entspricht, strebt die Bundesregierung auch künftig kein Mitspracherecht an souveränen Rüstungsentscheidungen ihrer Bündnispartner an.
Sie weiß sich jedoch mit der amerikanischen Regierung darin einig, daß eine eventuelle Lagerung neuartiger chemischer Kampfstoffe im Bundesgebiet gegenseitige Konsultationen voraussetzen würde.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Staatsminister, finden Sie es nicht einigermaßen beunruhigend, daß sich die Bundesregierung offensichtlich weniger Sorgen
um die Produktion der chemischen Waffen macht, die — ich sage noch einmal — ausdrücklich für Europa bestimmt sind, als ein amerikanischer Senator, der sich seit Monaten darüber sehr verwundert zeigt, daß die europäischen Verbündeten nicht ihr Konsultationsrecht in dieser Frage in Anspruch nehmen, und das vor dem Hintergrund, daß es doch bei uns, auch in Ihren Reihen, nicht wenige gibt, die vom Konsultationsrecht schon zu einer Konsultationspflicht im Rahmen des Bündnisses hininterpretiert haben?
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, Sie gehen von Informationen aus, die mir in dieser Form nicht vorliegen. Es kann nicht Sache der Bundesregierung sein, auf Grund von Debatten im amerikanischen Kongreß oder auch auf Grund von Äußerungen, die es dort in der Presse gibt, derartige Konsultationen einzuleiten, sondern sie kann dies erst dann tun, wenn die amerikanische Regierung offiziell in dieser Frage an sie herantritt. Ich glaube, das sollte selbstverständlich sein.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Da Sie sich ja sonst nicht unbeeindruckt von amerikanischen Wünschen zeigen, möchte ich Sie fragen, ob Sie es für verantwortliches Regierungshandeln und für mit den Verpflichtungen gegenüber der Bevölkerung in der Bundesrepublik vereinbar halten, daß Sie es zulassen — ohne nach Informationen zu forschen —, daß hier eine klammheimliche sogenannte Nachrüstung mit chemischen Waffen stattfindet, ohne — und da möchte ich Sie gerne korrigieren — daß es eine entsprechende verifizierbare Vorrüstung der Sowjetunion gegeben hat, denn dazu wären Vor-Ort-Inspektionen notwendig, die es nicht gibt? Ich weiß nicht, wie man das sonst feststellen könnte.
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, der Bundesaußenminister hat gestern im Kabinett festgestellt, daß es oft sehr wichtig sei, sich nicht so sehr darauf zu konzentrieren, den Splitter im Auge des Freundes zu beleuchten und dabei den Balken im Auge von anderen zu vergessen.
Ich glaube, dieser Grundsatz sollte auch hier beachtet werden. Ich kann nur noch einmal wiederholen: Wenn es ein Ersuchen der amerikanischen Regierung, solche Waffen hier zu lagern, geben sollte, werden wir uns damit befassen. Diese Waffen können hier nicht ohne unsere Zustimmung gelagert werden. Wir werden zu gegebener Zeit diese Frage prüfen, aber nicht in diesem Stadium auf Grund von Informationen, die uns in dieser Form nicht zugegangen sind.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.
Herr Staatsminister, da Sie in Ihren Antworten mehrmals betont haben, daß vor der Lagerung neuer chemischer Waffen die Bundesre-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4351
Thüsinggierung gefragt werden würde: Geschah das auch in der Vergangenheit, und ist ihr bekannt, wie viele chemische Waffen augenblicklich in der Bundesrepublik gelagert sind?
Herr Abgeordneter, diese Frage steht in keinem mittelbaren oder unmittelbaren Zusammenhang mit der Ausgangsfrage. In der Ausgangsfrage wurde lediglich gefragt, ob die Bundesregierung verlangen werde, an den Entscheidungen beteiligt zu werden.
Ich rufe die Frage 43 des Abgeordneten Weirich auf. Er hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Jäger auf:
Aus welchen Staaten, die von einer Militärdiktatur beherrscht sind, hat der Bundesaußenminister in den letzten drei Jahren Regierungsmitglieder empfangen und mit ihnen politische Gespräche geführt, und bei welchen Staaten dieser Art hat der Bundesaußenminister es in diesem Zeitraum abgelehnt, Regierungsmitglieder in Bonn zu empfangen oder mit ihnen Gespräche zu führen?
Dr. Corterier, Staatsminister: Der Bundesminister des Auswärtigen hat in den vergangenen drei Jahren Regierungsmitglieder aus zahlreichen Ländern zu Gesprächen empfangen. In den Jahren 1979 bis 1981 haben allein 118 Außenministerbesuche stattgefunden. Darüber hinaus hat der Bundesminister Gespräche mit zahlreichen anderen Regierungsmitgliedern aus einer Vielzahl von Ländern geführt. Die Länder, aus denen die Besucher kamen, weisen ein breites Spektrum von Regierungsformen auf. Eine Kategorisierung dieser Staaten wäre allerdings angesichts der Vielgestaltigkeit ihrer Regierungs- und Verfassungsformen problematisch. Darüber hinaus liegen der Bundesregierung Besuchswünsche aus einer Vielzahl von Staaten vor. Manchmal konnten Besuche aus Gründen, die in der Person des Gastes oder des betreffenden Landes lagen, nicht durchgeführt werden. In zahlreichen anderen Fällen konnten wir unsererseits Besuchswünsche noch nicht erfüllen, vor allem natürlich aus Termin- und Zeitgründen.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatsminister, können Sie angeben, aus welchen Staaten der Bundesaußenminister den Empfang und das Gespräch mit Regierungsmitgliedern in dem genannten Zeitraum abgelehnt hat, ohne sie jetzt kategorisieren zu wollen?
Dr. Corterier, Staatsminister: Ich habe keine solche Information, Herr Abgeordneter. Im übrigen möchte ich Sie darauf hinweisen, daß es kaum je zu Ablehnungen von Besuchswünschen kommen kann, weil in der Regel ein offizieller Besuchswunsch erst dann ausgesprochen wird, wenn Einverständnis darüber besteht, daß er auch akzeptiert wird.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatsminister, darf ich aus der Weigerung der Bundesregierung, meine Frage in der Substanz zu beantworten, schließen, daß sich die Bundesregierung im Hinblick darauf, daß der Bundesaußenminister erst vor wenigen Tagen den prominenten Vertreter einer Militärdiktatur, nämlich den Entsandten der polnischen Militärdiktatur, empfangen hat, scheut, hier Vergleiche zu ziehen, um nicht offenkundig werden zu lassen, daß hier mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen wird?
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, über die Lage in Polen wird heute nachmittag in diesem Hause zu sprechen sein. Ich glaube, es liegt aber auf der Hand, daß es nicht unseren außenpolitischen Interessen entsprechen kann, hier derartige Kategorisierungen und Vergleiche vorzunehmen, wie Sie sie sich offenbar wünschen.
Zu einer. weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.
Herr Staatsminister, stimmen Sie mir zu, daß die hier angesprochene neue Weltinformationsordnung in der Tat höchst unbefriedigend ist, was die Informationsmöglichkeiten der Staaten der Dritten Welt betrifft, angesichts der Tatsache, daß der Nachrichtenmarkt wesentlich von fünf westlichen Presseagenturen beherrscht wird?
Herr Abgeordneter, auch diese Frage steht in keinem Zusammenhang mit der Ausgangsfrage.
— Entschuldigung, wir sind bei der Frage 44. Ich bitte, das nochmals nachzulesen und dann zu prüfen, ob Ihre Frage in irgendeinem Zusammenhang mit der Frage 44 steht.
Ich rufe die Frage 45 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Hat die Bundesregierung von der gegenwärtigen polnischen Militärregierung eine Zusage über die Weitergeltung der Offenhalteklausel des Ausreiseprotokolls von 1975 in seiner Fassung von 1976 erhalten, oder wird sie deswegen bei der polnischen Militärregierung vorstellig werden, damit weiterhin für alle ausreisewilligen Deutschen die Ausreisevisa erteilt werden?
Dr. Corterier, Staatsminister: Bundesminister Genscher hat am 30. Dezember 1981 dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Rakowski gegenüber die für die bilateralen Beziehungen bedeutsamen Ausreisefragen angesprochen. Eine Stellungnahme der polnischen Regierung steht noch aus.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Wird die Bundesregierung auf die Offenhalteklausel des Ausreiseprotokolls insistieren, nachdem sie zur Kenntnis hat nehmen müssen, daß seit dem 13. Dezember 1981 nur noch die Deutschen als Aussiedler herausgelassen werden, die vor dem 13. Dezember bereits ein Ausreisevisum in der Hand hatten?
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Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, sie hat das bereits getan; ich habe darauf hingewiesen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, ist es richtig, daß Herr Rakowski zwar diese Einlassung des Herrn Außenministers zur Kenntnis genommen hat, aber auch nicht den Anschein erweckt hat, daß sich in dem Verhalten der gegenwärtigen Militärregierung in Polen gegenüber den aussiedlungswilligen Deutschen etwas ändern wird?
Dr. Corterier, Staatsminister: Von einem solchen Verhalten des stellvertretenden Ministerpräsidenten ist mir nichts bekannt. Allerdings — ich habe bereits darauf hingewiesen — gibt es noch keine Antwort der polnischen Regierung auf unsere Vorstellungen, die wir gegenüber dem stellvertretenden Ministerpräsidenten in dieser Frage erhoben haben.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Wird die Bundesregierung bei der weiteren Behandlung der Frage berücksichtigen, daß das Ausreiseprotokoll - in Fortsetzung der einseitigen Erklärung der polnischen Regierung vom 7. Dezember 1970 — zu den Geschäftsgrundlagen des Warschauer Vertrages gehört?
Dr. Corterier, Staatsminister: Ja.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Voigt.
Stimmt die Bundesregierung mir zu, daß dem Anliegen von Herrn Hupka in Frage 45 betreffend Zusagen der gegenwärtigen polnischen Regierung nur Rechnung getragen werden kann, wenn dem Anliegen von Herrn Jäger in Frage 44, keine Kontakte zu solchen Regierungen aufrechtzuerhalten und Gespräche abzubrechen, nicht Rechnung getragen wird?
Dr. Corterier, Staatsminister: Ja.
Ich rufe die Frage 46 des Abgeordneten Graf Stauffenberg auf. — Er ist nicht im Saal. Die Frage wird entsprechend der Geschäftsordnung behandelt. Das gleiche gilt für die Frage 47 des Abgeordneten Graf Stauffenberg.
Die Frage 48 wird auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Dr. Hennig, schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Schröder auf:
Wie erklärt die Bundesregierung die Tatsache, daß die jahrelangen Verhandlungen des Auswärtigen Amts mit der niederländischen Regierung über den Bau des Dollarthafens immer noch nicht erfolgreich abgeschlossen werden konnte?
Dr. Corterier, Staatsminister: Die jahrelange Dauer der Verhandlungen mit der niederländischen Regierung ist in erster Linie mit dem heftigen Widerstand der niederländischen Umweltorganisationen gegen den Bau des Dollarthafens zu erklären, in letzter Zeit aber auch damit, daß die Regierungsbildung in den Niederlanden Monate in Anspruch genommen hat, die niederländische Seite aber vor Festlegung eines niederländischen Standpunkts durch die neue Regierung nicht verhandlungsbereit war.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schröder.
Herr Staatsminister, Sie sagen, daß die Umweltschutzorganisationen für die Haltung der niederländischen Regierung maßgebend waren. Wie muß man sich dann erklären, daß Wirtschaftsunternehmen, die bereit waren, sich im Raum Emden anzusiedeln, wegen unserer hohen Umweltschutzauflagen die Konsequenz gezogen haben, lieber in die Niederlande zu gehen? Dort hat es offenbar keine Proteste gegeben.
Dr. Corterier, Staatsminister: Das entspricht nicht meinen Informationen, Herr Abgeordneter.
Ich rufe die Frage 50 des Abgeordneten Schröder auf:
Ist der Bundesminister des Auswärtigen gegebenenfalls bereit, selbst Gespräche mit der niederländischen Regierung über den Dollarthafen zu führen, und damit den Verhandlungen den erforderlichen Nachdruck zu verleihen, damit endlich die für die wirtschaftliche Entwicklung Ostfrieslands notwendige Entscheidung getroffen werden kann?
Dr. CorterIer, Staatsminister: Wenn es zu einem bestimmten Zeitpunkt erforderlich wäre, daß der Bundesminister des Auswärtigen selbst Gespräche mit seinem niederländischen Kollegen führt, so würde er das tun. Im Augenblick bedarf es jedoch zunächst der Klärung schwieriger Fachfragen, die durch die beteiligten Fachbeamten vorgenommen werden müssen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schröder.
Herr Staatsminister, widerspricht das nicht allen Erklärungen, die bisher von Ihrem Hause abgegeben worden sind, daß nämlich die Verhandlungen so gut wie abgeschlossen seien und daß es eigentlich nur noch an dem Widerstand der niederländischen Regierung liege, weil man sich über die genannten Umweltfragen nicht verständigen, nicht einigen könne, wobei, glaube ich, der Verdacht berechtigt ist, ob nicht in Wirklichkeit handfeste wirtschaftliche Interessen dahinterstecken?
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, gerade die von Ihnen genannten Umweltfragen machen deutlich, daß ich, glaube ich, mit Recht darauf hingewiesen habe, daß es hier auch um die Klärung schwieriger Fragen geht.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schröder.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4353
Darf ich fragen, wann die nächsten — konkreten — Verhandlungen stattfinden werden?
Dr. Corterier, Staatsminister: Ich habe die Frage akustisch nicht verstanden.
Wann werden die nächsten Verhandlungen stattfinden?
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, dazu kann ich Ihnen sagen, daß es eine erneute Demarche der Bundesregierung gegenüber der niederländischen Regierung gegeben hat, und zwar am 28. Dezember. Diese Demarche ist auf Grund eigener Überlegungen im Auswärtigen Amt, aber auch auf Grund einer Intervention des Kollegen Ewen zustandegekommen, der mit den zuständigen Abteilungsleitern und mir Gespräche über diese Frage geführt hat.
Die niederländische Regierung hat uns mitgeteilt, daß eine neue Verhandlungsrunde nicht vor Februar 1982 stattfinden könne, da sich die neue Regierung mit der Angelegenheit voraussichtlich erst Mitte Januar befassen werde. Wir werden aber alles versuchen, damit diese neue Verhandlungsrunde dann im Februar auch tatsächlich zustande kommt.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Ewen.
Herr Staatsminister, kann ich davon ausgehen, daß die Position der Bundesregierung und der niedersächsischen Landesregierung in diesen Fragen einheitlich ist und gemeinsam vertreten wird?
Dr. Corterier, Staatsminister: Davon gehe ich aus.
Ich rufe die Frage 51 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Unterstaatssekretärs für Wirtschafts- und Handelsangelegenheiten im amerikanischen Außenministerium, Robert D. Hormats, in seinem Vortrag vom 16. Dezember 1981, daß die amerikanisch-europäischen Wirtschaftsbeziehungen heute in einer ernsteren Spannung seien als in den vergangenen dreißig Jahren ?
Dr. Corterier, Staatsminister: Vor dem Hintergrund einer schwierigen Weltwirtschaftslage haben sich auch einige Handelsprobleme zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Gemeinschaft verstärkt, z. B. in der Frage der europäischen Stahlexporte und des Agrarhandels. Das sollte jedoch nicht dramatisiert werden. Auch in jüngster Zeit ist es gelungen, Konflikte abzubauen, z. B. im Textilbereich im Zusammenhang mit dem Welttextilabkommen.
Entscheidend ist der Wille beider Seiten, die Zusammenarbeit zu verstärken und sich um konstruktive Lösungen aller anstehenden Fragen zu bemühen. In den hochrangigen Konsultationen zwischen den USA und der EG-Kommission am 11. und 12. Dezember vergangenen Jahres in Brüssel wurde in diesem Sinne Übereinstimmung erzielt. Außenminister Haig betonte dabei ausdrücklich die überragende
Bedeutung der politischen Partnerschaft, die nicht durch handelspolitische Auseinandersetzungen beeinträchtigt werden dürfte.
Die Haltung der Bundesregierung ist klar. Sie bemüht sich im Kreis ihrer EG-Partner um möglichst marktwirtschaftliche Lösungen und lehnt Protektionismus eindeutig ab. Dies wurde bei den kürzlichen Gesprächen des Bundeskanzlers in Washington erneut bekräftigt.
Zu einer Zusatzfrage, Abgeordneter Dr. Czaja.
Wird sich die Bundesregierung angesichts der am 16. Dezember erfolgten Erklärungen von Unterstaatssekretär Hormats verstärkt um einen konstruktiven Ausgleich dieser auch in ihren politischen Folgen gefährlichen wirtschaftlichen Spannungen auf Grund der Preisstützung, wie Sie sie anführten — im Agrarbereich, Stahlexport, in bezug auf Exportkredite, Ost-West-Handel, Exportkontrollen im deutsch-amerikanischen Verhältnis und in den EG-Beziehungen zu den USA — bemühen?
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, wir sind ständig um eine Lösung dieser Fragen bemüht. Ich möchte darauf hinweisen — als ein Beispiel —, daß es heute wieder eine Zusammenkunft der Industrieminister der Europäischen Gemeinschaft gibt, wo über die aktuellen Stahlprobleme gesprochen wird. Die Bundesregierung ist immer auf der Seite derjenigen, die für möglichst viel Offenheit in diesen Fragen eintreten, für möglichst viel Zusammenarbeit über den Atlantik hinweg.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Abgeordneter Dr. Czaja.
Werden in diesem Zusammenhang die amerikanisch-französischen Wünsche nach Erweiterung und Verbesserung der Exportkontrollen bei strategischen Gütern auf dem bevorstehenden COCOM-Treffen die Unterstützung der Bundesregierung finden?
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Präsident, ich kann keinen Zusammenhang mit der Frage erkennen.
Ich rufe die Fragen 52 bis 55 — der Abgeordneten Dr. Czaja, Milz und Engelsberger — auf. Diese Fragen werden, weil sie Gegenstand der Tagesordnung dieser Sitzungswoche sind, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Damit schließen wir den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen ab.Wir gehen zum Geschäftsbereich des Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über. Das Haus ist durch seinen Parlamentarischen Staatssekretär Gallus vertreten.
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4354 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Vizepräsident WindelenIch rufe Frage 85 des Abgeordneten Dr. Jobst auf. — Er ist nicht im Saal. Wir verfahren entsprechend der Geschäftsordnung.Ich rufe Frage 86 des Abgeordneten Bamberg auf. Auch er ist nicht im Saal. Wir verfahren entsprechend. Das gleiche gilt für die Frage 87.Ich rufe Frage 88 — des Abgeordneten Eigen — auf :Welche Gründe haben die Bundesregierung bewogen, im Ministerrat der EG einer differenzierten Förderung der Mutterkuhhalter zuzustimmen?Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, gestatten Sie, daß ich die Fragen wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantworte?
Dann rufe ich auch Frage 89 auf:
Wird die Bundesregierung die deutschen Landwirte mit Mutterkuhhaltung genauso fördern wie z. B. die französische Regierung dies für ihre Landwirte seit langem durchführt, damit endlich die Wettbewerbsverzerrungen in diesem Bereich beendet werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Der Ratsbeschluß über die Förderung von Mutterkuhhaltern im Wirtschaftsjahr 1981/82 war Bestandteil eines Kompromisses über EG-Marktstützungsmaßnahmen auf dem Rindfleisch- und Milchsektor.
Die Bundesregierung konnte dabei nicht verhindern, daß in die Verordnung Nr. 1417/81 vom 19. Mai 1981 eine Kann-Bestimmung aufgenommen wurde, die zusätzlich zu der einheitlichen EG-Prämie von 20 ECU pro Mutterkuh — das sind 53,15 DM — die Zahlung einer nationalen Prämie bis zu diesem Prämienbetrag zuläßt. Von dieser Möglichkeit machen nach vorliegenden Informationen Frankreich und Irland Gebrauch.
Die Bundesregierung bedauert die auf Grund dieses Sachverhaltes nicht einheitlichen Prämienbeträge in einzelnen EG-Ländern. Angesichts der angespannten Situation des Bundeshaushalts sieht sie allerdings keine Möglichkeit, einen nationalen Prämienbetrag für die deutschen Mutterkuhhalter zu gewähren. Die Bundesregierung wird sich jedoch bei den kommenden Preisverhandlungen dafür einsetzen, daß künftig nach Möglichkeit die Gewährung unterschiedlicher Prämiensätze in der Gemeinschaft vermieden wird.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Dies ist sehr löblich, Herr Staatssekretär, empfinden Sie aber nicht mit mir die große Sorge um die gerade beginnende Mutterkuhhaltung in der Bundesrepublik Deutschland, die es auf Grund der Wettbewerbsverhältnisse gegenüber der Milchkuhhaltung sehr schwer hat, die aber andererseits für die Entlastung des Milchmarktes sehr wichtig ist, wenn gerade diese relativ kleine Pflanze
Mutterkuhhaltung von der Bundesregierung so schlecht ernährt wird?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe für die Mutterkuhhaltung in der Bundesrepublik Deutschland sehr viel Verständnis. Tatsache ist aber auch, daß wir in der EG eine Überproduktion an Rindfleich haben. Deshalb muß hier sehr vorsichtig operiert werden.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Darf ich die Frage stellen, Herr Staatssekretär, ob Ihre Kenntnisse auf dem neuesten Stand sind. Im Moment scheint es eher so, als ob wir in der EG einen Mangel an Rindfleisch hätten und daß für das wertvolle Rindfleisch aus der Mutterkuhhaltung ein echter Markt vorhanden sei, selbst dann, wenn wir wieder Überschüsse an Rindfleisch haben.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie können nicht davon ausgehen, daß, wenn im Augenblick keine Überschüsse bei Rindfleisch oder Butter vorhanden sind, das ganze Jahr über in der EG keine Überschüsse produziert worden sind. Es ist sofort exportiert worden. Dadurch ist die Lagerhaltung entfallen, und das Ganze ist billiger geworden. Insgesamt mußten aber auch im Jahre 1981 erhebliche Ausgleichsbeträge für den Export gezahlt werden.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kirschner.
— Entschuldigung, die beiden Fragen waren zusammengefaßt. Sie haben noch zwei weitere Zusatzfragen. Da Sie Fragesteller sind, gehen Ihre Fragen vor. Sie haben das Wort.
Danke schön, Herr Präsident.Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß die Wettbewerbsverzerrungen, die sich in den letzten Jahren nach und nach eingeschlichen haben, wobei dies nur eine von vielen zwischen der deutschen und der französischen Landwirtschaft ist, bei der Bundesregierung in ihren Verhandlungen in Brüssel stärker Beachtung finden müßten?Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe bei der Beanwortung Ihrer beiden Fragen klargemacht, daß wir es sehr bedauern, daß Wettbewerbsverzerrungen insoweit möglich sind, als die einzelnen Mitgliedstaaten nationale Hilfen gewähren können. Nun können wir aber, weil wir aus Haushaltsgründen keine Mittel haben, nicht den umgekehrten Weg gehen, indem wir mit der doppelten Prämie gleichziehen, sondern wir versuchen, dahin zu wirken, daß es auch in den anderen Mitgliedstaaten nicht mehr möglich ist, zusätzliche Prämien zu gewähren. Auch damit wäre der Gleichstand erreicht.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4355
Ihre letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte schön.
Auf welche andere Weise, wenn nicht mit Geld, wäre die Bundesregierung möglicherweise in der Lage, Hilfen für die Mutterkuhhaltung zu gewähren?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie haben vorher selbst in Ihrer Zusatzfrage erklärt, daß durch die Mutterkuhhaltung qualitativ hochwertiges Rindfleisch produziert wird. Ich bin der Auffassung, daß Maßnahmen in bezug auf den Markt ergriffen werden sollten, um dieses Fleisch besser zu vermarkten und damit auch einen höheren Preis zu erzielen. Das ist in einer freien Marktwirtschaft nicht in erster Linie Aufgabe des Staates. Hier sehe ich eher eine Aufgabe des Marketing, z. B. über CMA und derartige Einrichtungen.
Herr Abgeordneter Kirschner zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie oder ist die Bundesregierung nicht der Auffassung, daß man, statt den Weg einer weiteren nationalen Förderungsmaßnahme zu beschreiten, besser dafür sorgen sollte, daß EG-einheitlich politische Maßnahmen ergriffen werden, damit es nicht wieder in einzelnen Ländern zu Überschußproduktionen kommt?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, genau das ist die Auffassung der Bundesregierung, die ich hier dargelegt habe.
Ich rufe Frage 67 des Abgeordneten Laufs auf:
Ist das Tannen- und Fichtensterben in Deutschland eine neue Erscheinung, die mit der Übersäuerung der kalkarmen Waldböden in einen ursächlichen Zusammenhang gebracht werden muß, und welche Forschungsvorhaben verfolgt die Bundesregierung zur wissenschaftlichen Klärung von etwa noch offenen Fragen des Wirkungszusammenhangs zwischen saurem Regen und Vegetationsschäden?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Absterbeerscheinungen an Tannen sind zwar schon vor längerer Zeit in ähnlicher Form beobachtet worden, allerdings bis zur Mitte der 70er Jahre nur am Rande des natürlichen Verbreitungsgebietes der Tanne. So wird seit ca. 200 Jahren aus dem nördlichen Teil des Verbreitungsgebietes der Tanne eine periodisch wiederkehrende Erkrankung gemeldet, die nur regional aufgetreten ist. Seit Mitte der 70er Jahre sind auch die Kernbereiche der Tannenverbreitung erheblich betroffen. Die Ursachen dieser Krankheit konnten bisher nicht eindeutig geklärt werden.
Eine als „Fichtensterben" bezeichnete Krankheit wurde bereits Anfang der 30er Jahre vor allem in Ostpreußen beobachtet. Als Ursache wurde eine Störung des Wasserhaushalts angegeben. Seit Herbst 1980 treten vor allem in Bayern Absterbeerscheinungen an Fichten, die älter als 50 Jahre sind, mit abgewandelten Symptomen auf. Die Ursachen dieser neuartigen Absterbeerscheinungen sind ebenfalls nicht eindeutig geklärt.
Eine wissenschaftlich abgesicherte Beurteilung der Primärursache des Tannen- und Fichtensterbens ist bundesweit derzeit nicht möglich. Zumindest beim Tannensterben handelt es sich um eine Komplexkrankheit. Neben zahlreichen anderen möglichen Ursachen — Dürrejahre, langfristige Klimaveränderungen, tierische und pilzliche Schaderreger, Wassermangel durch Grundwasserabsenkung, unzureichende waldbauliche Verfahren — spielen unbestritten Schwefeldioxidimmissionen eine maßgebliche Rolle, weil sie durch direkte Einwirkung auf die oberirdischen Organe und indirekt durch sauren Regen über den verstärkten Säuredruck auf den Boden empfindliche Pflanzen schädigen. Kalkarme Böden mit geringer Pufferkapazität sind besonders gefährdet.
Um die Zusammenhänge weiter zu klären, ist im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten am 7. Juli 1981 eine Anhörung von Sachverständigen durchgeführt worden. Als Ergebnis wurde u. a. der Entwurf eines bundesweit abgestimmten Forschungsprogramms erstellt, das die zur Schließung der bestehenden Kenntnislücken erforderlichen Forschungsmaßnahmen aufzeigt.
Die Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft beteiligt sich mit sieben Vorhaben an der Erforschung des Wirkungszusammenhangs zwischen saurem Regen und Vegetationsschäden. Darüber hinaus wird ein Vorhaben des Instituts für Forstgenetik und Immissionsforschung der Universität München gefördert.
Die Rauchgasentschwefelung gehört jetzt zum Stand der Technik. Mit finanzieller Unterstützung der Bundesregierung sind spezielle deutsche Rauchgasentschwefelungsverfahren bis zur industriellen Anwendungsreife entwickelt worden. Erst kürzlich ist ein Forschungs- und Entwicklungsvorhaben der Bergbau-Forschung GmbH zur simultanen Abscheidung von Schwefeldioxid und Stickoxid erfolgreich abgeschlossen worden.
Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Dr. Laufs.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie dahin gehend richtig verstanden, daß gegenwärtig nur Hypothesen und keine wissenschaftlich abgesicherten Nachweise für einen Wirkungszusammenhang zwischen Schwefeldioxidbelastungen und dem Tannen- und Fichtensterben vorliegen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie haben mich insoweit richtig verstanden, als es höchstwahrscheinlich verschiedene zusammenwirkende Ursachen für das Tannen- und Fichtensterben gibt, die alle zusammen zu dieser Krankheit beitragen. Aber ich habe Ihnen ja auch gesagt, daß wir nach unserem heutigen Erkenntnisstand — ohne daß die letzten wissenschaftlichen Untersuchungen abgeschlossen wären — davon ausgehen müssen, daß die Schwefeldioxidimmissionen eine wesentliche Schuld an den neuerlichen Erscheinungen des Tannensterbens haben.
Zu einer weiteren Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Dr. Laufs.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß im Bereich der Landwirtschaft keine Vegetationsschäden durch sauren Regen entstehen, weil eine geringfügige Übersäuerung durch Düngung und Bodenbearbeitung ausgeglichen wird?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann Ihnen nur bestätigen, daß im Bereich der Landwirtschaft der Versauerung des Bodens, soweit sie vorliegt, durch Anwendung von Kalk viel leichter als z. B. bei Waldbeständen entgegengewirkt werden kann. Ich kann Ihnen keine Auskunft darüber geben, wie sich die einzelnen pH-Zahlen in den verschiedenen Gebieten der Bundesrepublik Deutschland auf Grund von saurem Regen usw. in den letzten Jahren verändert haben. Höchstwahrscheinlich müßte das auch noch untersucht werden.
Wir gehen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung über. Das Ressort wird durch seine Parlamentarische Staatssekretärin Frau Fuchs vertreten.
Ich rufe die Frage 90 des Abgeordneten Pauli auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Versorgungsämter unter Hinweis auf die Datenschutzbestimmungen den Wehrbereichsverwaltungen und den Kreiswehrersatzämtern keine Angaben über die registrierten Schwerbehinderten liefern, und ist der Bundesregierung bekannt, daß dieser Personenkreis in Unkenntnis der Schwerbehinderung zur Musterung eingeladen wird, obwohl das Wehrpflichtgesetz eine generelle Befreiung vorschreibt?
Herr Kollege, ich möchte gern die Fragen 90 und 91 gemeinsam beantworten.
Herr Abgeordneter Pauli, sind Sie damit einverstanden?
— Dann rufe ich zusätzlich Frage 91 des Abgeordneten Pauli auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß schwerbehinderte und contergangeschädigte Kinder sehr oft von ihren Eltern unter erschwerten Bedingungen zu den Musterungsbehörden gebracht werden müssen, und ist die Bundesregierung bereit, durch Schaffung entsprechender Regelungen die Auskunftspflicht der Versorgungsämter zu erweitern, damit nicht nur ein ungeheurer Verwaltungsaufwand vermieden wird, sondern auch dem betroffenen Personenkreis und dessen Angehörigen Erleichterungen zuteil werden?
Frau Fuchs, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Kreiswehrersatzämter sind nur in Ausnahmefällen auf die Angaben der Versorgungsämter über schwerbehinderte Wehrpflichtige angewiesen. Sie erhalten die erforderlichen Auskünfte vielmehr von den Wehrpflichtigen selbst, die bereits bei der Erfassung oder nochmals bei der Ladung zur Musterung gebeten werden, eine etwaige Schwerbehinderung mitzuteilen und die einschlägigen Unterlagen zur Einsichtnahme zu übersenden. Kommt ein Wehrpflichtiger diesem Hinweis nach und teilt er die Schwerbehinderteneigenschaft mit, wird er von der Vorstellung zur Musterung befreit. Das Erscheinen eines anerkannten Schwerbehinderten zur Musterung setzt mithin voraus, daß er sowohl den Hinweis bei der Erfassung als auch die eingehende Unterrichtung bei der Ladung zur Musterung nicht beachtet hat. In der letzten Zeit ist der Bundesregierung nur ein Fall dieser Art bekanntgeworden. Im übrigen erteilen die Versorgungsämter den Kreiswehrersatzämtern in Einzelfällen Auskunft, wenn ein Wehrpflichtiger beispielsweise den Verlust seines Schwerbehindertenausweises anzeigt und noch keinen neuen Ausweis erhalten hat.
Bitte, eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pauli.
Frau Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Betroffenen in vielen Fällen — dies wird z. B. beim Kreiswehrersatzamt in Koblenz immer wieder vorgetragen — den Inhalt des Merkblattes nicht verstehen oder bei der Erfassung durch die Gemeinden auf die Befreiungsvorschriften nicht hingewiesen wurden? Ich frage daher, welche tatsächlichen Gründe einem Datenabruf bei den Versorgungsämtern entgegenstehen.
Frau Fuchs, Parl. Staatssekretär: Ich möchte meine Antwort noch einmal erläutern. Zunächst wird bei der Musterung und noch einmal bei der Vorladung dazu die Frage gestellt, ob die Schwerbehinderteneigenschaft besteht. Ich will gern der Frage nachgehen, ob die Fragebogen zu kompliziert sind. Ich würde dann den Kreiswehrsatzämtern empfehlen, eine leichter verständliche Formulierung zu wählen. Hinter Ihrer Frage steckt die Sorge, daß sich schwerbehinderte Bürger unnützerweise der Prozedur der Ladung und der Musterung unterziehen müssen. Dies kann nach den einschlägigen Bestimmungen an sich nicht geschehen. Ich greife aber gern Ihre Frage auf, ob die Fragebogen vielleicht zu kompliziert sind.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pauli.
Frau Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Versorgungsämter in der Lage wären, jahrgangsweise, so wie die Einberufungen erfolgen, auch die jeweiligen Kreiswehrersatzämter bzw. die Wehrbereichsverwaltungen global darüber zu unterrichten, welche Behinderten der Wehrpflicht nicht unterliegen? Das hätte zur Folge, daß etwa 20 Vordrucke nicht auszufüllen sind bzw. daß bei den Betroffenen erhebliche Reisekosten nicht anfallen.Frau Fuchs, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich will es noch einmal klarstellen. Die Wehrpflichtigen werden angeschrieben. Dabei ist zweimal in den Unterlagen die Aufforderung enthalten, sie möchten sich äußern, wenn sie schwerbehindert sind. Ich glaube nicht, daß es im Interesse der Wehrpflichtigen liegt, wenn alle Versorgungsämter automatisch mitteilen, ob eine Schwerbehinderteneigenschaft vorliegt, und zwar im Hinblick auf den Datenschutz. Ich meine, wir sollten die von Ihnen aufgeworfene Frage in der Weise lösen, daß wir noch einmal der Frage nachgehen, ob vielleicht die Fragebogen zu kompliziert sind. Die allgemeine Weitergabe von Daten vom Versorgungsamt an die Kreiswehrersatz-
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Parl. Staatssekretär Frau Fuchsämter liegt dagegen nicht im Interesse der Wehrpflichtigen.
Ich rufe die Frage 92 des Abgeordneten Hinsken auf. — Er ist nicht im Saal. Die Frage wird entsprechend der Geschäftsordnung behandelt. Das gleiche gilt für seine Frage 93.
Ich rufe die Frage 94 des Abgeordneten Dr. Enders auf:
Hält es die Bundesregierung für gerechtfertigt, daß die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte auf Grund der nach den neuen Spargesetzen reduzierten Badekuren bereits vorsorglich die Belegung von Kurheimen in Badestädten zum 31. März 1982 gekündigt hat?
Frau Fuchs, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich möchte die Fragen 94 und 95 gern gemeinsam beantworten.
Der Fragesteller ist damit einverstanden. Daher rufe ich auch die Frage 95 des Herrn Abgeordneten Dr. Enders auf:
Auf welche Weise gedenkt die Bundesregierung, dieser Vernichtung von qualifizierten Arbeitsplätzen zu begegnen und den Inhabern von Kurheimen zu helfen, die sich erst vor kurzer Zeit mit erheblichen Investitionen, für die Modernisierung ihrer Häuser und die Einrichtung von Diätküchen, finanziell belasten mußten?
Frau Fuchs, Parl. Staatssekretär: Nachdem durch das Zweite Haushaltsstrukturgesetz die Teilnahmevoraussetzungen für Kuren erschwert wurden, obliegt allein den Rentenversicherungsträgern die Entscheidung darüber, ob die Kündigung von Belegungsverträgen mit Kurheimen erforderlich ist. Die Bundesregierung vermag nicht zu beurteilen, ob eine vorsorgliche Kündigung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte für einen bestimmten Zeitpunkt und gegebenenfalls für wie viele Betten erforderlich ist. Sicher ist allerdings, Herr Kollege, daß der Wegfall der Möglichkeit, Kuren zur Erhaltung der Erwerbsfähigkeit durchzuführen, den Rentenversicherungsträgern Anlaß gibt, ihre Belegungsverträge mit Kureinrichtungen zu reduzieren, und daß diese Kündigungen insbesondere Kurheime treffen können, in denen derartige Kuren bisher vor allem durchgeführt worden sind.
Es sollte nicht generell davon gesprochen werden, die Erschwerung der Teilnahmevoraussetzungen von Kuren vernichte Arbeitsplätze. Ob es hierzu kommt, hängt weitgehend von den Umständen des Einzelfalls ab. Im allgemeinen werden Kurheime von den Rentenversicherungsträgern nur zu einem Teil belegt, so daß die Kündigung eines Belegungsvertrages nicht zwangsläufig die Schließung der Kureinrichtung zur Folge hat. Je nach dem Umfang der Belegungsquote wird eine Kündigung daher sehr unterschiedliche Wirkungen haben. Ob die hiervon stärker betroffenen Einrichtungen in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten werden, dürfte letztlich davon abhängen, inwieweit es ihnen gelingt, die von der Gesetzesänderung betroffenen Versicherten als Selbstzahler einer Kur zu erhalten bzw. andere Personengruppen, z. B. gesundheitsbewußte Urlauber, neu für sich zu gewinnen.
Im übrigen darf ich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß bereits mit den im Jahr 1977 durch das 20. Rentenanpassungsgesetz beschlossenen Regelungen deutlich geworden ist, daß Heilbäder und Kurorte nicht davon ausgehen können, einen bestimmten Anteil von Sozialversicherten als Kurgäste zu erwarten.
Herr Abgeordneter Enders, Sie haben das Wort zu einer Zusatzfrage.
Frau Staatssekretär, nehmen Sie an, daß gegenwärtig schon exakte Zahlen vorliegen, die es rechtfertigen, daß die Leistungsträger den Kurhäusern die Belegung kündigen?
Frau Fuchs, Parl. Staatssekretär: Sicherlich liegen exakte Zahlen nicht bundesweit vor. Aber ich muß Ihnen offen gestehen: Ich kann die Rentenversicherungsträger verstehen, wenn sie zu Beginn dieses Jahres, in dem sie aufpassen müssen, daß sie mit ihren Finanzen in diesem Bereich zu Rande kommen, überlegen, wo und mit welchen Schwerpunkten sie zu Konsequenzen kommen müssen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Enders.
Frau Staatssekretär, hat sich die Bundesregierung auch Gedanken über die Weiterbeschäftigung oder die Sicherheit der Arbeitsplätze der im Kurbereich Beschäftigten gemacht, z. B. der Masseure, der Heilgymnasten bis hin zur Kurkapelle?
Frau Fuchs, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat sich sehr große Gedanken darüber gemacht. Denn im Zuge unserer Beschlüsse der letzten Jahre sind die Kurverwaltungen und Kurorte wiederholt darauf hingewiesen worden — ich habe es vorhin angedeutet —, daß sie nicht mit einem bestimmten Anteil von Sozialversicherten rechnen können. Ich habe in meiner Antwort auch darauf hingewiesen, daß wir davon ausgehen müssen, daß es gesundheitsbewußte Urlauber gibt, die in die Kurheime gehen. Die Kurheime müssen sich darauf einstellen, daß sie derartige Personenkreise zu ihren Gästen machen können.
Noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Enders.
Frau Staatssekretär, können die Inhaber der Kurheime die Leistungsträger nach Ihrer Ansicht eventuell regreßpflichtig machen, weil diese noch vor kurzer Zeit Forderungen nach Modernisierung der Häuser — Einbau von Naßzellen oder Einrichtung von Diätküchen — gestellt haben? Nun haben die Kurheime vor der Kündigung investiert, ohne daß sie ihrer Aufgabe weiterhin nachgehen können.Frau Fuchs, Parl. Staatssekretär: Ich sehe keine Möglichkeit, daraus eine Regreßpflicht herzuleiten.
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Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung behandelt.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Das Haus ist durch seinen Parlamentarischen Staatssekretär Zander vertreten.
Ich rufe die Frage 96 des Abgeordneten Kirschner auf:
Kann die Bundesregierung konkrete Beispiele aufzeigen, unter welchen Voraussetzungen die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz höher ausfällt als das Einkommen vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer?
Herr Abgeordneter, Durchschnittsberechnungen für verschiedene Haushaltstypen haben ergeben, daß die verfügbaren Einkommen unterer Lohn- und Gehaltsgruppen in der Regel höher sind als der Sozialhilfebedarf. Das gilt insbesondere dann, wenn neben dem monatlichen Erwerbseinkommen noch Sonderzuwendungen — Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und ähnliches — zu berücksichtigen sind. Sozialhilfe wird jedoch im Gegensatz zu Lohn und Gehalt nach dem individuellen Bedarf gewährt. So kann im Einzelfall wegen des Zusammenfallens mehrerer bedarfssteigernder Umstände — z. B. hohe Miete, Anerkennung von Mehrbedarf und Vorhandensein mehrerer älterer Kinder mit entsprechend hohen Regelsätzen — der anzuerkennende Bedarf so hoch sein, daß er das Arbeitseinkommen übersteigt und deshalb ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt zu zahlen ist.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kirschner.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, die beispielsweise Herr Ministerpräsident Stoltenberg in einem Rundfunkinterview im Deutschlandfunk am 8. Dezember 1981 geäußert hat? Er hat dort u. a. gesagt — wenn ich zitieren darf, Herr Präsident —, daß vor allem junge Menschen, die Sozialhilfe erhalten, ein höheres Nettoeinkommen erzielen als vergleichbare junge Arbeitnehmer. Beamte im einfachen Dienst mit Kindern oder Arbeitnehmerinnen, Arbeiterinnen und Verkäuferinnen bekommen nach diesen Untersuchungen — hier wird auf eine Untersuchung Bezug genommen —, die auch von den Gewerkschaften vorgelegt werden, heute ein geringeres Nettoeinkommen, als wenn sie ohne Arbeit zum Sozialamt gingen.
Zander, Parl. Staatssekretär: Das kann ich so nicht bestätigen. Ich muß allerdings nochmals darauf hinweisen, daß es in Einzelfällen, wenn bestimmte Bedarfsmotive zusammenkommen, vorkommen kann, daß Sozialhilfeempfänger in ganz bestimmten Situationen einen höheren Bedarf und damit eine höhere Sozialhilfeunterstützung als untere Einkommensgruppen haben.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kirschner.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung gerade auf Grund der von Ihnen gegebenen Antworten der Auffassung, daß die Sozialhilfe zu hoch ist, so daß vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer der unteren Lohn- und Einkommensgruppen Anspruch auf Sozialhilfe haben, oder sind die Einkommen dieser Arbeitnehmer — immer vorausgesetzt, sie sind vollzeitbeschäftigt — dann nicht zu niedrig?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, zu einem solchen pauschalen Vergleich kann ich hier nicht beitragen. Ich kann nur noch einmal sagen, daß nach Überzeugung der Bundesregierung die Sozialhilfe in der Lage ist, den individuellen Bedarf an einem angemessenen Lebensunterhalt zu decken.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Heyenn.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß es in den vergangenen Jahren eine sich stetig steigernde Vergrößerung des Abstands zwischen durchschnittlichen Sozialhilfeleistungen und durchschnittlichen Arbeitseinkommen gegeben hat?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich weiß nicht, nach welcher Seite Sie eine Auseinanderentwicklung unterstellen. Deshalb kann ich die Frage kaum beantworten. Ich weiß nicht, ob Sie damit unterstellen, daß die Sozialhilfeleistungen den Einkommen oder daß die Einkommen den Sozialhilfeleistungen davongelaufen sind.
Ich meine, daß — das stand hinter meiner Frage — die Durchschnittseinkommen den Einkommen der Sozialhilfeempfänger eindeutig davongelaufen sind.
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, diese Vergleiche sind nach meiner Überzeugung schon deshalb unzweckmäßig, weil hier immer wieder versucht wird, ganz bestimmte typische Einkommensgruppen von Beziehern unterer Einkommen mit ganz spezifischen individuellen Situationen von Sozialhilfeempfängern zu vergleichen. Ein genereller Vergleich ist angesichts der statistischen Daten leider nicht möglich.
Herr Abgeordneter Peter zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie meiner Auffassung zu, daß die Hauptursache zusätzlicher Leistungen der Sozialhilfe in der Tendenz darin besteht, daß der Familienlastenausgleich für bestimmte Empfängergruppen oder bestimmte Arbeitnehmergruppen unzureichend ist?Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich werde bei der Beantwortung der weiteren Fragen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, auch dazu kommen. Entscheidend ist für die Steigerung der Zahl der Fälle in der Sozialhilfe ganz sicher, daß durch die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre eine Reihe ehemals Arbeitsloser oder andere
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Parl. Staatssekretär ZanderBevölkerungsgruppen in den Leistungsbereich der Sozialhilfe gefallen sind.
Ich rufe die Frage 97 des Herrn Abgeordneten Kirschner auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Lebenssituation solcher Arbeitnehmer der unteren Lohn- und Gehaltsgruppen, und welche Möglichkeiten zur Verbesserung sieht sie?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, es gibt keine hinreichenden statistischen Aussagen über die Lebenssituation der Arbeitnehmer der unteren Lohn- und Gehaltsgruppen. In diese Gruppe gehören vor allem Frauen und junge — vermutlich überwiegend unverheiratete — Arbeitnehmer, die am Anfang des Erwerbslebens stehen.
Verbesserungen der Lebenssituation von Arbeitnehmern der unteren Lohn- und Gehaltsgruppen können neben den Möglichkeiten der Tarifvertragsgestaltung auch durch die individuellen beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten, gegebenenfalls mit Hilfe von Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen nach dem Arbeitsförderungsgesetz, erreicht werden. Im übrigen ist es, wie Sie wissen, den Gewerkschaften bereits in den Tarifrunden der vergangenen Jahre gelungen, verstärkte Anhebungen bei einem Teil der unteren Lohngruppen durchzusetzen. Ähnliche Überlegungen werden j a zur Zeit wieder angestellt.
Herr Abgeordneter Kirschner zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung Untersuchungen über die Hauptgründe dafür vor, daß in Einzelfällen vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer hilfebedürftig nach dem Bundessozialhilfegesetz werden und damit Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, es gibt nur eine einzige Ursache, um Sozialhilfeleistungen, Hilfe zum Lebensunterhalt, in Anspruch nehmen zu könnnen. Das ist, wenn das eigene Einkommen unter dem von der Sozialhilfe definierten Bedarf liegt. Die Ursache im Einzelfall zu ermitteln ist mir leider nicht möglich.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kirschner.
Herr Staatssekretär, können Sie Zahlen nennen, wieviel Prozent aller vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer dauernd Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten?
Zander, Parl. Staatssekretär: Ich habe in den folgenden Antworten, insbesondere auf die Fragen des Herrn Abgeordneten Peter, solche Zahlen noch vorzutragen. Vielleicht darf ich Sie darauf verweisen.
Ich rufe die Frage 98 des Abgeordneten Peter auf:
Wie ist die Struktur und Entwicklung des Kreises der Empfänger von laufenden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt, insbesondere der Mehrbedarfszuschläge?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Entwicklung der Strukturen bei den Empfängern von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen stellt sich nach der Sozialhilfestatistik für 1979 — neuere Zahlen liegen noch nicht vor — im Vergleich zu 1970 wie folgt dar: Alleinstehende 1970 291000, 1979 459 000. Davon über 60 Jahre: 1970 148 000, 1979 169 000. Ehepaare ohne Kinder: 1970 41000, 1979 43 000. Ehepaare mit Kindern: 17 000 bzw. 47 000. Alleinerziehende mit Kindern: 60 000 bzw. 137 000. Arbeitslose 1 269 bzw. 32 147; hier ist eine besonders starke Steigerung aus den Gründen zu verzeichnen, die ich eben schon nannte.
Die beiden letzten Zahlen über die Haushalte, bei denen Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe als Einkommen angerechnet wurde, sind nur mit Einschränkungen vergleichbar, da die Zahl für 1970 das Bundesgebiet ohne Bremen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen betrifft, die Zahl für 1979 das Bundesgebiet ohne Nordrhein-Westfalen. Die übrigen Zahlen beziehen sich auf das gesamte Bundesgebiet.
Die Jahresstatistik der Sozialhilfe enthält keine Angaben über Mehrbedarfszuschläge. Hierüber wird jedoch die neue Zusatzstatistik über die Hilfe zum Lebensunterhalt Angaben liefern. Die Ergebnisse sind voraussichtlich Ende 1982 verfügbar.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peter.
Herr Staatssekretär, welche dieser Gruppen wären nach Ihrer Einschätzung von den durch den Vermittlungsausschuß festgelegten und hier beschlossenen Kürzungen der Mehrbedarfszuschläge am gravierendsten betroffen?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, bei den Mehrbedarfszuschlägen handelt es sich ja um eine Annahme, die Annahme etwa, daß ein über 65jähriger älterer Mensch automatisch einen um 40 % höheren Bedarf hat als ein Sozialhilfeempfänger, der unterhalb dieser Altersgruppe liegt. Die Überlegungen bei den nun einmal unvermeidlich gewordenen Einschränkungen waren, daß man ja nicht sagen kann, jemand, der über 65 Jahre alt ist, hat automatisch einen um 40 % höheren Bedarf als jemand, der 63 oder 60 Jahre alt ist. Aus diesem Grunde glaubte man berechtigt zu sein, diese Mehrbedarfszuschläge zu reduzieren — nicht zu beseitigen. Das waren die Überlegungen, die dazu geführt haben.
Ich rufe die Frage 99 des Abgeordneten Peter auf:Wie ist Struktur und Entwicklung der Erwerbstätigen, die neben ihrem Erwerbseinkommen Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch nehmen oder in Anspruch nehmen können?Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Entwicklung der Strukturen bei den Empfängern von Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen mit Einkünften aus Erwerbstätigkeit stellt sich nach der Sozialhilfestatistik für 1979 im Vergleich zu 1970 wie folgt dar: Alleinstehende 4 300 in 1970, 10 200 in 1979. Ehepaare ohne Kinder 1 200
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4360 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Parl. Staatssekretär Zanderbzw. 1 800. Ehepaare mit Kindern 1 800 bzw. 6 400. Alleinerziehende mit Kindern 3 700 bzw. 15 000 Personen. Hier gelten die gleichen Einschränkungen hinsichtlich der Vergleichbarkeit, die ich eben gemacht habe.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peter.
Herr Staatssekretär, erwarten Sie auf Grund der verschiedenen Sparmaßnahmen in Bund, Ländern und Gemeinden eine weitere Vergrößerung des betroffenen Kreises?
Zander, Parl. Staatssekretär: Ich bin nicht in der Lage, Prognosen dieser Art abzugeben, weil die natürlich von der wirtschaftlichen Entwicklung — Beschäftigungslage und ähnliche Dinge — abhängen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peter.
Sehen Sie sich in der Lage, zu gegebener Zeit die Veränderungen in der Struktur der Erwerbstätigen, die anspruchsberechtigt sind, festzustellen und der Öffentlichkeit mitzuteilen?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das geschieht laufend. Ich darf Sie auf die Veröffentlichungen „Sozialhilfe in Zahlen" und auf die Nachrichten des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge verweisen, in denen laufend über
3) Struktur und Entwicklung der Sozialhilfeempfänger und die Veränderungen dort berichtet wird.
Ich rufe die Frage 100 des Abgeordneten Heyenn auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß der den Regelsätzen nach dem Bundessozialhilfegesetz zugrundeliegende Warenkorb, der zuletzt 1971 angepaßt wurde, um mindestens 20 v. H. hinter der tatsächlichen Entwicklung zurückgeblieben ist, und welche Konsequenzen will sie gegebenenfalls daraus ziehen?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, wenn der Abgeordnete einverstanden ist, würde ich die beiden Fragen gerne zusammen beantworten.
Herr Kollege, Sie sind damit einverstanden? — Dann wird so verfahren, d. h. ich rufe auch die Frage 101 des Abgeordneten Heyenn auf:
Welche Veränderungen im bisherigen Verfahren zur Überprüfung des Warenkorbs strebt die Bundesregierung an, um in Zukunft zu garantieren, daß eine Anpassung an sich verändernde wirtschaftliche Grundlagen in regelmäßigen Abständen erfolgt?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Regelsätze wurden bisher jährlich den gestiegenen Lebenshaltungskosten angepaßt. Ziel der Überprüfung des Warenkorbes ist dagegen vor allem die zusätzliche Anpassung an veränderte Verbrauchergewohnheiten. Es trifft zu, daß dies zuletzt im Jahre 1971 geschehen ist. Auch die Bundesregierung hält es für wünschenswert, den Warenkorb in Abständen zu überprüfen, um eine zeitnähere Anpassung an geänderte Verbrauchergewohnheiten sicherzustellen.
Da für die Feststellung der Regelsätze und damit auch für das Verfahren zur Überprüfung des Warenkorbes jedoch allein die Bundesländer zuständig sind, sieht die Bundesregierung keine Möglichkeit, einen bestimmten Einfluß auf das Verfahren zu nehmen. Die von den Bundesländern in der Zwischenzeit unter gutachtlicher Beteiligung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge eingeleitete erneute Überprüfung des Warenkorbes konnte noch nicht abgeschlossen werden, so daß eine abschließende Beurteilung darüber, in welchem Umfang eine Änderung des Warenkorbes erforderlich ist, im gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht möglich ist.
Über etwaige Konsequenzen für die Regelsätze hätten im übrigen die zuständigen Bundesländer zu entscheiden. Mit einer Auswirkung der Warenkorbüberprüfung auf die Regelsätze kann ohnehin vorerst nicht gerechnet werden, da nach der neuen Regelung in § 22 Abs. 4 des Bundessozialhilfegesetzes für 1982 und 1983 eine Regelsatzerhöhung von jeweils 3 v. H. der geltenden Regelsätze gesetzlich festgeschrieben wurde.
Herr Abgeordneter Heyenn zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in welchen Bereichen wird der zuletzt 1971 überprüfte Warenkorb der tatsächlichen Situation nicht mehr gerecht, und teilen Sie meine in der Frage 100 ausgedrückte Auffassung, daß der Warenkorb um mindestens 20% hinter der tatsächlichen Entwicklung herhinkt?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kann das im Moment auf Grund der Angaben, die ich habe, nicht quantifizieren. Die Tatsache, daß sich sehr qualifiziert besetzte Sachverständigengremien beim Deutschen Verein damit beschäftigen, deutet darauf hin, daß das eine schwierige Frage ist. Ich will nur die Energiekosten nennen. Hier hat sich in den letzten zehn Jahren eine Entwicklung vollzogen, die zu neuen Überlegungen hinsichtlich der Unterstützung der Sozialhilfeempfänger durchaus Anlaß gibt.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Heyenn.
Darf ich Ihrem letzten Satz entnehmen, daß Sie der Auffassung sind, Herr Staatssekretär, daß der Warenkorb den tatsächlichen Verbrauchergewohnheiten und dem Lebensstandard nicht mehr gerecht wird?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, der Warenkorb ist auch von der anderen Seite her umstritten. Denn es wird die Frage aufgeworfen, ob im Warenkorb jeweils die Qualitätsgruppe I der einzelnen Waren enthalten sein muß, weil nur über die Entwicklung dieser Preise statistische Angaben erhoben werden. Hier gibt es durchaus auch andere Entwicklungen, die zu sehen sind.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Heyenn.
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Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die Tatsache, daß der Warenkorb letztmalig vor zehn Jahren überprüft worden ist, und halten Sie einen so langen Zeitraum für angemessen, wenn es gilt, die Interessen der Sozialhilfeempfänger angemessen zu vertreten?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, man muß sehen, daß in diesem Zeitraum die Bedarfssätze und die Regelsätze für die Sozialhilfeempfänger regelmäßig angepaßt worden sind und daß sie insofern an der Entwicklung des Lebensstandards durchaus teilgenommen haben. Ich möchte davon absehen, die Frage zu bewerten, inwieweit und in welchen Abständen eine Anpassung erfolgen sollte. Ich darf Sie noch einmal darauf verweisen, daß dafür ausschließlich die Bundesländer zuständig sind.
Die Frage 102 des Abgeordneten Dr. Hennig wird entsprechend dem Ersuchen des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 103 des Abgeordneten Herberholz auf:
Kann die Bundesregierung Angaben darüber machen, wie oft Bundes- und Landesbehörden der in § 72 des Weingesetzes ausgesprochenen Verpflichtung, sich gegenseitig über gerichtliche Entscheidungen grundsätzlicher Natur und über Regelungen allgemeiner Bedeutung zu informieren, nachgekommen sind?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, zahlenmäßige Angaben kann die Bundesregierung hierüber nicht machen. Von der gegenseitigen Unterrichtung der Länderbehörden untereinander erhält die Bundesregierung in der Regel keine Kenntnis. Über die ihr auf Grund § 72 des Weingesetzes zugegangenen Mitteilungen der Länder ist eine Statistik nicht geführt worden.
Gerichtliche Entscheidungen grundsätzlicher Natur sind der Bundesregierung nur vereinzelt mitgeteilt worden. In einigen Fällen hat sie von solchen Entscheidungen erst durch die Fachpresse Kenntnis erlangt. Die von den Bundesländern zur Durchführung des Weingesetzes erlassenen Rechtsvorschriften liegen vollständig vor, nachdem die Bundesregierung unter Hinweis auf § 72 des Weingesetzes um Unterrichtung gebeten hatte.
Die Bundesregierung ihrerseits beteiligt die Länder regelmäßig an den Rechtsetzungsmaßnahmen im Rahmen der EWG-Weinmarktorganisation durch Übersendung der Dokumente und gibt ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme. In gleicher Weise hat sie die Länder über alle Verfahren zu weinrechtlichen Fragen beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften und die ergangenen Entscheidungen unterrichtet.
Herr Abgeordneter Herberholz zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung unter Umständen bereit, beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit eine Dokumentationszentrale einzurichten, in der — über die in § 72 des Weingesetzes genannten
Dinge hinausgehend — eine Sammlung ausländischer Weingesetze erfolgt und unter Umständen eine Weinsünderkartei geführt wird?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist daran interessiert, Maßnahmen zu fördern, die zu einer Verbesserung der Weinkontrolle und damit zu einem redlichen Wettbewerb und zu einem Verbraucherschutz beitragen könnten. Ob eine solche Dokumentation diesen Zweck erfüllt oder ob man das angestrebte Ziel auf eine andere Weise erreichen kann, müßte geprüft werden. Ich weiß, daß es solche Überlegungen auch im EG-Rahmen gibt. Wir werden diese aufgeschlossen prüfen, um die zweckmäßigste Form zu finden, die diesen Zielen dient.
Herr Abgeordneter Herberholz zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung darüber hinaus unter Umständen bereit, den 43 in Deutschland tätigen Weinkontrolleuren einen zentralen juristischen Beratungsdienst in Ihrem Hause zur Verfügung zu stellen?
Zander, Parl. Staatssekretär: Ich glaube nicht, daß es Aufgabe eines Bundesministeriums ist, einen derartigen Dienst bereitzustellen. Man müßte, wenn es in dieser Hinsicht ein Defizit gibt, prüfen, ob man es anders decken kann.
Keine weiteren Zusatzfragen. Damit ist die Fragestunde abgeschlossen.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Dritte Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung
— Drucksache 9/983 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wirtschaft
Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung und Technologie
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß
Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Redezeit von vier Stunden vereinbart worden. — Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden.
Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Dritte Fortschreibung des Energieprogramms bezieht ihre Spannung und Aktualität nicht aus energiewirtschaftlichen Gründen
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4362 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffallein, so lebenswichtig diese Fragen für die Bundesrepublik Deutschland auch sind. Wir müssen auch sehen, daß die Ausführung und Ausfüllung der in der Fortschreibung enthaltenen Maßnahmen in erheblichem Ausmaß zur Lösung der wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Probleme beitragen. Über die dringend erforderliche weitere Verbesserung unserer Leistungsbilanz wird wesentlich auf dem Felde der Energiepolitik mit entschieden werden. Wir dürfen deshalb unsere energiepolitischen Aufgaben nicht geringer einschätzen als vor einem oder vor zwei Jahren. Sorglosigkeit und Nachlässigkeit wären die falscheste Antwort, mit der wir auf eine für die Verbraucher positive Energiemarktentwicklung reagieren könnten.In den Grundfragen der in der Bundesrepublik Deutschland zu führenden Energiepolitik gibt es offensichtlich einen breiten Konsens in diesem Hause. Ich danke den Koalitionsfraktionen, die sehr konstruktive Beiträge zur Dritten Fortschreibung geleistet haben. Ich danke aber auch der Opposition dafür, daß sie bei aller Kritik an Einzelheiten und bei deutlicher Skepsis gegenüber der künftigen Umsetzung des Programms doch deutlich gemacht hat, daß sie die wesentlichen Orientierungen für richtig hält. Diese grundsätzliche Übereinstimmung, in die ich auch die Länder einbeziehe, bestärkt die Bundesregierung in ihrer Auffassung, daß wir auf einem richtigen und erfolgversprechenden Weg sind.Die Dritte Fortschreibung des Energieprogramms beinhaltet vor allem Aussagen zur langfristigen energiepolitischen Konzeption. Sie setzt einen ge- wissen Schlußstein bei der Formulierung der Grundlinien der Energiepolitik, die wir seit dem ersten Ölembargo 1973 entwickelt haben. Damals begann mit dem dramatischen und radikalen Wandel in den Rahmenbedingungen der Energierversorgung ein Umbruch in der Weltwirtschaft. Unser Land war dabei angesichts der Tatsache, daß rund zwei Drittel unseres Energieverbrauchs durch Importe gedeckt werden müssen, in der Gefahr, einer der großen Verlierer zu werden. Heute können wir trotz der fünfzehnmal höheren Ölpreise auf dem Weltmarkt insgesamt zuversichtlich sein. Der Schock hat positive Kräfte ausgelöst. Der Prozeß der Anpassung der Wirtschaft an die höheren Energiepreise ist im Gan- ge. Die Verbraucher haben ihr Verhalten angepaßt. Energiesparen ist zu einer Bürgertugend geworden, wenn dieses gute, altmodische Wort an dieser Stelle erlaubt ist.Meine Damen und Herren, das Energieprogramm datiert vom September 1973, also noch aus der Zeit vor Ausbruch der ersten Ölkrise. Bereits damals wurde dem Thema Risiken der Versorgung ein eigenes Kapitel gewidmet. Die damalige Zielsetzung gilt auch heute noch für die deutsche Energiepolitik, nämlich Absicherung der Ölversorgung, Bereitstellung alternativer Energien zum 01, fester Platz für die deutsche Kohle und rationelle Energieverwendung — und dies alles bei voller Berücksichtigung der Belange des Umweltschutzes.Unmittelbar nach dem ersten Ölschock hat die Bundesregierung im November 1974 die Erste Fortschreibung ihres Energieprogramms vorgelegt undsich dabei auf die Krisenvorsorge konzentriert. Mit der Gründung der Internationalen Energieagentur Ende 1974 wurde die Grundlage für ein internationales Krisenvorsorgesystem geschaffen.1977, bei der Zweiten Fortschreibung, waren die unmittelbaren konjunkturellen Erschütterungen der Ölpreiserhöhungen von 1973/74 schon zu einem großen Teil überwunden. Der Anpassungsprozeß an die neuen Bedingungen war aber gerade erst eingeleitet, und die Versorgungsrisiken waren noch keineswegs kleiner. Die Bundesregierung forcierte deshalb in der Zweiten Fortschreibung die Politik der Risikostreuung und der Anstrengungen „Weg vom 01". Die Ereignisse im Nahen Osten 1979/80 und der zweite Ölpreissprung haben die Risikoeinschätzung der Bundesregierung in drastischer Weise bestätigt.Seitdem ist viel geschehen. Heute sind wir so weit, daß selbst beim Ö120 % aus westlichen Ländern, aus der Nordsee nämlich, kommen und der Ölanteil am Energieverbrauch von einmal 55 % im Jahre 1973 auf 45 % im Jahre 1981 gesunken ist.Bei der Kohle wurde mit der Zweiten Fortschreibung die endgültige Stabilisierung eingeleitet. Heute ist die Absicherung von rund 80 % des Absatzes der deutschen Kohle Realität. Was dies bedeutet, kann man erst richtig einschätzen, wenn man sich erinnert, daß in diesem Hause 15 Jahre lang Energiedebatten in erster Linie Kohle-Debatten waren.Vor allem aber haben wir 1977 die nachfrageorientierte Energiepolitik nachdrücklich verstärkt. Es wurde ein flächendeckendes Einsparprogramm eingeleitet. Die Energieverbrauchsrückgänge 1980 und 1981 sprechen, auch wenn man die Konjunktureffekte abzieht, für sich.Wenn man manchmal hört, dies habe doch vor allem der Markt bewirkt, so kann ich nur sagen: Ja, selbstverständlich, das hat er. Unsere ganze Einsparpolitik ist darauf gerichtet, den Markt zu nutzen, ihn aber dort zu ergänzen, wo es notwendig ist, nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil dies die wirksamste Methode ist. Diese Politik läßt der Eigenverantwortung des einzelnen den nötigen Raum, und sie entwickelt eine Dynamik, die mehr schafft als alle Ämter und Bürokraten dieses Landes.Die nunmehr vorliegende Dritte Fortschreibung des Energieprogramms ergänzt und vervollständigt die energiepolitische Konzeption, setzt weitere Incentives für die Ölsubstitution, führt die Einsparpolitik sowie die Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung fort. Sie zieht für die Kernenergie die Schlußfolgerungen aus der unbefriedigenden Entwicklung der letzten Jahre; denn diese hat dazu geführt, daß der gegenwärtige Beitrag der Kernenergie sowie ihre Planungs- und Bauzeiten nicht den energie- und industriepolitischen Erfordernissen entsprechen.Einer der Schwerpunkte der Dritten Fortschreibung ist Energieeinsparung. Wir können mit Befriedigung registrieren, daß die rationellere Energieverwendung überall in Gang gekommen ist. Die Einsparerfolge, die wir in den letzten Jahren zu verzeichnen hatten, haben auch kühne Optimisten in diesem Umfang nicht erwartet. Das wird besonders
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffdeutlich beim Öl. Der inländische Absatz von Öl betrug 1979 noch 133 Millionen t, 1981 nur noch 106 Millionen t. Dies ist ein Rückgang von 20 % in einer Zweijahresfrist.Die Zahlen zeigen, daß der Umstrukturierungsprozeß mit dem Ziel der Anpassung an die veränderten Bedingungen deutliche Fortschritte gemacht hat. Dieser Prozeß hat schon 1973/74 — nach der ersten Ölkrise — eingesetzt. Die Energiepolitik der Bundesregierung hat hierfür die entscheidenden Voraussetzungen geschaffen. Dies möchte ich insbesondere an die Adresse derjenigen sagen, die, wie z. B. Herr Christians von der Deutschen Bank in einem Zeitungsinterview dieser Tage, behaupten, die frühzeitige richtige Weichenstellung sei damals verpaßt worden. Die Ölkrise von 1973 hat für die Energiepolitik der Bundesregierung eben nicht die Bedeutung eines Ausrutschers gehabt, sondern sie war der Beginn einer konsequenten Anpassungspolitik.Zu den Erfolgen der Energiepolitik, hat die breite Informations- und Aufklärungspolitik der Bundesregierung ihren Beitrag geleistet. Sie wissen, daß unser Informationsmaterial nicht einfach auf den Markt geworfen wird, sondern daß es nur auf einzelne Anfragen interessierter Bürger verschickt wird. Die hohe Zahl der täglichen Anfragen im Bundeswirtschaftsministerium beweist nach wie vor das große Interesse der Bevölkerung an Energiespar-ideen und -möglichkeiten. Wir werden in diesen Bemühungen trotz der Haushaltskürzungen, die uns auch in diesem Sektor getroffen haben, fortfahren.Zu unserem umfassenden, marktwirtschaftlich orientierten Einsparprogramm sind uns realistische Alternativen nicht aufgezeigt worden. Allerdings wird der Prozeß der Strukturanpassung der deutschen Volkswirtschaft an die Notwendigkeiten der Energiemärkte von Bürgern, Unternehmen und Gewerkschaften auch weiterhin Mut und auch Opfer verlangen.Natürlich wird man nicht in allen Bereichen jedes Jahr neue spektakuläre Einsparerfolge erwarten dürfen. Aber es gibt gleichwohl noch beachtliche Einsparpotentiale. Ich denke dabei nicht nur an die Haushalte oder die Industrie, sondern auch an Dinge wie den Benzinverbrauch, und zwar hier gerade an diejenigen, die, wie das bei den großen öffentlichen und privaten Verwaltungen der Fall ist, nicht selbst dafür bezahlen müssen, wenn sie das Gaspedal durchdrücken.
Die Linie der Bundesregierung, meine Damen und Herren, ist sehr weitgehend im Einklang mit den Einsparempfehlungen der Enquete-Kommission des 8. Deutschen Bundestages. Von den 62 zur Prüfung vorgeschlagenen Empfehlungen deckt unsere Einsparpolitik den allergrößten Teil ab. Es bleiben einige wenige Punkte, die wegen der Länderzuständigkeit derzeit nicht verwirklicht werden können oder bei denen wir überzeugt sind, daß eine marktgerechte Lösung wirksamer ist. Durch den Beschluß des Bundestages zum Zwischenbericht der Enquete-Kommission vor einigen Wochen fühle ich mich in dieser Bewertung bestätigt.Die Bundesregierung ist bei ihrer Energiepolitik allerdings auch auf die Hilfe der Gemeinden und der Länder angewiesen. Ich appelliere in diesem Zusammenhang an den Bundesrat, die Wärmeschutzverordnung, mit der vor allem die Wärmedämmvorschrift bei Neubauten verschärft wird, nicht zu verzögern, sondern sie rasch zu verabschieden.Ein wichtiger Punkt unserer Einsparpolitik ist das Anschlußprogramm zum gegenwärtigen 4,35-Milliarden-DM-Programm. Die Bundesregierung hat trotz der Haushaltsknappheit 150 Millionen DM jährlich bereitgestellt. Wir haben den Bundesländern dieses Angebot für ein gemeinsames Programm gemacht, weil bei den privaten Haushalten das größte Potential zur Energieeinsparung besteht. Ich verstehe durchaus die Finanznot der Länder, und ich bin mir ihrer Vorbehalte zur Weiterführung eines Mischfinanzierungstatbestandes voll bewußt. Aber ich verstehe nicht, meine Damen und Herren, daß einige Länder diesen Vorbehalten mehr Gewicht geben als der Energieeinsparung.
Dieses Programm ist ein bewährter Mischfinanzierungstatbestand. Es besteht aus steuerlichen Hilfen wie Finanzzuschüssen und kann schon deshalb nur gemeinsam von Bund und Ländern festgelegt werden. Ich werde mit meinen Kollegen aus den Ländern am 1. Februar über diese Frage reden.Wir sollten alles tun, damit sich im Interesse der Sache keine Risse im Konsens über die Energieeinsparung auftun. Vorbild sollte das neue Kohleheizkraftwerks- und Fernwärmeausbauprogramm sein, mit dem Bund und Länder 1,2 Milliarden DM an Investitionszuschüssen geben. Den Ausbau der Fernwärme betrachtet die Bundesregierung als einen ebenfalls wichtigen Beitrag zur rationellen Energienutzung.
Mit der finanziellen Förderung der Fernwärme in massiver Form haben Bund und Länder bereits 1975 begonnen — zu einer Zeit, als Fernwärme vielen noch sehr nebensächlich erschien. Für die Zukunft ist vordringlich, daß die Voraussetzungen für den Zubau vor allem von Kohleheizkraftwerken verbessert werden. Dies erfordert nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch eine ausreichende Standortvorsorge durch Länder und Gemeinden.Eine wichtige Hilfe für den Fernwärmeausbau ist die Erarbeitung und praktische Umsetzung örtlicher und regionaler Versorgungskonzepte. Versorgungsunternehmen und Gemeinden sind hier zur Zusammenarbeit aufgerufen, eine Aufgabe, die ihnen niemand abnehmen kann.
Dies ist ein klassischer Fall des Subsidiaritätsprinzips in der Energiepolitik. Lösungen, die auf örtlicher Ebene gefunden werden, sind realitäts- und vor allem bürgernäher als von oben verordnete Rezepte.
Bei allen Erfolgen in der Energieeinsparung, meine Damen und Herren, bin ich der Meinung, daß
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4364 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffdiese nicht als Alibi für Nichtstun auf der Angebotsseite benutzt werden dürfen.Zur Kohle kann ich mich heute kurz fassen. Die Tatsache, daß zur Zeit keine neuen Entscheidungen notwendig sind, zeigt deutlicher als alles andere, daß die Stabilisierung der heimischen Kohle — wenn auch nach wie vor mit erheblichen öffentlichen Mitteln — erreicht werden konnte. Die Feststellung, daß die Position der deutschen Steinkohle heute und auf absehbare Zeit gesichert ist, darf uns alle mit Genugtuung erfüllen.
Diese Politik ist von allen Parteien, von den Gewerkschaften und den Unternehmen mitgetragen worden.Auch bei der Krisenvorsorge sind wir gut vorangekommen. Das System gegen Versorgungsstörungen mit seinen Vorräten und staatlichen Einflußmöglichkeiten ist bis auf Abrundungen entwickelt. In diesem Zusammenhang bitte ich die Länder, die im Bundesrat anstehenden Verordnungen für Kraftstoffe, leichtes Heizöl, Strom und Gas möglichst bald zu verabschieden.Wenn damit das Thema „Öl für den Krisenfall" seine Regelung gefunden hat, so kann dies von der langfristigen Bereitstellung leider noch nicht gesagt werden. Die deutsche Ölwirtschaft durchläuft gegenwärtig einen schwierigen strukturellen Anpassungsprozeß, der sich vor allem aus dem Rückgang und einer veränderten Zusammensetzung der Nach-) frage ergibt. Die Bundesregierung erwartet — die betroffene Wirtschaft weiß und akzeptiert dies —, daß die Unternehmen diesen Anpassungsprozeß aus eigener Kraft bewältigen. Dies erfordert aber auch die Wirtschaftlichkeit der Mineralölverarbeitung.
Unsere Erdgaspolitik, meine Damen und Herren, verwirklicht sich auf der seit 1973 eingeschlagenen Linie. Mit dem Bezugsvertrag aus der Sowjetunion eröffnet sich eine zusätzliche Option. Die Risiken dieser Bezüge sind nach Meinung der Bundesregierung und der beteiligten Wirtschaft beherrschbar. Ich möchte noch einmal unterstreichen, daß dieser Vertrag nicht zu einseitigen, unvertretbaren Abhängigkeiten führen wird. Vor unserer Entscheidung haben wir das Für und Wider aufs sorgfältigste geprüft und abgewogen.Meine Damen und Herren, das Thema Kernenergie steht in der politischen Diskussion im Vordergrund. Auch hier haben sich die unterschiedlichen Meinungen in den letzten Jahren durch eine versachlichte Diskussion und unter dem Druck der Tatsachen angenähert. Der breite Konsens in den Grundfragen unserer Energiepolitik ist die Basis dafür, daß in den zentralen Fragen der Kernenergiepolitik mehr Übereinstimmung erreicht werden konnte. Ich möchte hier vier Punkte ansprechen.Erstens: Die Entscheidung, ob ein weiterer Zubau von Kernkraftwerken notwendig ist, ist eine Frage nach den sonst einsetzbaren Alternativen. Wir sind uns alle einig, daß 01 und Gas in Zukunft möglichstweniger und nicht etwa mehr zur Stromerzeugung beitragen sollen.
Bei Braunkohle und Wasserkraft — beides sehr kostengünstig — ist das Potential in unserem Lande begrenzt; der Beitrag kann nicht mehr wesentlich gesteigert werden. Im übrigen wird die Verfügbarkeit der Braunkohle mittelfristig mit dem Einsatz zur Kohlevergasung eher abnehmen.Der Einsatz der deutschen Steinkohle ist durch den sogenannten Jahrhundertvertrag zwischen Elektrizitätswirtschaft und Steinkohlenbergbau bis 1995 festgelegt. Der Platz der Steinkohle ist — vor allem aus Kostengründen — in der sogenannten Mittellast und nicht in der Grundlast, in der die Kraftwerke rund um die Uhr Strom produzieren. Ein noch stärkerer Ausbau von Kohlekraftwerken als geplant stößt in unserem dichtbesiedelten Land auf Umweltgrenzen. Niemand sollte die Warnung des Sachverständigenrates für Umweltfragen auf die leichte Schulter nehmen, der einen zu starken Ausbau von Kohlekraftwerken aus Umweltgesichtspunkten nicht für vertretbar hält.Es bleibt deshalb dabei: für die Anpassung der Stromerzeugungskapazität an den Bedarf im Grundlastbereich ist stärkerer Kernenergieeinsatz notwendig. Genau dies und nichts anderes bedeutet es, wenn in der Dritten Fortschreibung vom „Zubau neuer Kernkraftwerke im Rahmen des Bedarfs" gesprochen wird. Konkret heißt dies, daß die Kernenergie „einen weiter steigenden Beitrag zur Stromerzeugung in der Grundlast leisten muß", während Kohlekraftwerke die Stromerzeugung im Mittellastbereich tragen sollen. Dies ist die Politik der Bundesregierung, mit der auch — —
— Herr Kollege, Sie haben es nicht gelesen. Ich habe das, was ich eben vorgetragen habe, wörtlich aus der Dritten Fortschreibung zitiert.Dies ist die Politik der Bundesregierung, mit der auch die entsprechenden Aussagen der Enquete-Kommission des 8. Deutschen Bundestages übereinstimmen, daß nämlich aus versorgungs- und industriepolitischen Gründen neue Kernkraftwerke im Rahmen des Bedarfs zugebaut werden. Ich begrüße es, daß die Entschließung des Deutschen Bundestages vom 10. Dezember 1981 dies bestätigt.Diese Politik bedeutet keinen massiven oder forcierten Ausbau der Kernenergie, wie von mancher Seite unterstellt worden ist. Es geht auch nicht um einen Gegensatz von „harten Energien" zu „sanften Energien", womit wohl die Gegenüberstellung von Technologien wie Wärmepumpen, Solarkollektoren, Fernwärme usw. mit großtechnischer Energiebereitstellung, insbesondere durch Kraftwerke, gemeint ist. Die Dritte Fortschreibung sagt klar, daß es um die Erhöhung des Angebots aller verfügbaren Energien alternativ zum Ö1 geht. Wir sind nicht in der Lage, uns den Luxus des Entweder-Oder leisten zu können. Wir brauchen Kernenergie und Kohle zum Beispiel.
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Bundesminister Dr. Graf LambsdorffZweitens: Voraussetzung für den weiteren Zubauvon Kernkraftwerken ist ohne jeden Zweifel sowohl die Gewährleistung des hohen Sicherheitsstandards als auch die Sicherung der Entsorgung. Auch hierzu enthält die Dritte Fortschreibung klare Aussagen, die diese Verknüpfung sehr deutlich machen. In Anwesenheit des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesinnenminister kann ich mich hier sehr kurz fassen. Die vereinbarte Beschleunigung der Genehmigungsverfahren ohne Schmälerung der Rechtssicherheit ist ein großer Schritt vorwärts. Ich hoffe sehr, daß die Änderung der Atomrechtlichen Verfahrensordnung die Zustimmung im Bundesrat findet. Auch die gemeinsamen Beschlüsse von Bund und Ländern zur Entsorgung unterstreichen diese Gemeinsamkeit.Daß ein solches Entsorgungskonzept in seinen Einzelschritten nicht ohne Reibungen verwirklicht werden kann, ist sicherlich keine Überraschung. Aber wir haben doch Fortschritte zu verzeichnen. Bei der Erkundung des geplanten Endlagers in Gorleben ist man im vergangenen Jahr vorangekommen. Inzwischen wurde die erste Baugenehmigung für das Zwischenlager Gorleben erteilt. Ein kürzlich ergangener Beschluß des OVG Lüneburg hat diese Genehmigung bestätigt. Diese Entscheidung ist in doppelter Hinsicht bedeutsam. Zum einen kann der Bau des Zwischenlagers in Kürze beginnen. Zum anderen läßt sich schon aus dem Beschluß ableiten, daß dieses Obergericht von der grundsätzlichen Genehmigungsfähigkeit eines Zwischenlagers ausgeht. Wir werden auch im gerade begonnenen Jahr deutliche Fortschritte erzielen. Noch am 31. Dezember ist die erste Teilerrichtungsgenehmigung für die Urananreicherunganlage in Gronau durch das Land Nordrhein-Westfalen erteilt worden.Drittens: In diesem Bundestag besteht Übereinstimmung darüber, daß die Kernenergie auch industriepolitisch von großer Bedeutung ist. Es geht dabei nicht nur um den Einfluß von Kernenergieinvestitionen auf Konjunktur und Beschäftigung. Es geht auch um wettbewerbsfähige Strompreise im Vergleich zu unseren Konkurrenten am Weltmarkt. Wer das außer acht läßt, wird seine Nachlässigkeit sehr schnell in erhöhten Leistungsbilanzdefiziten wiederfinden. Sage doch niemand, die Strompreise hätten nur geringe Kostenwirkung, und energieintensive Rohstoffindustrien müßten eben zur Not abwandern!
Viele Beispiele beweisen, daß ein hochindustrialisiertes Land auch Grundstoffindustrien braucht, um die notwendige technologische Verflechtung zwischen den Industrien aufrechtzuerhalten. Kernenergie, das zeigen wissenschaftliche Untersuchungen ebenso wie die Praxis, ist in der Grundlast auch bei Einrechnung aller Kosten des Brennstoffkreislaufs neben Braunkohle und Wasserkraft die kostengünstigste Stromerzeugung. Sie wird es in absehbarer Zeit auch bleiben.Es geht weiter um die Wettbewerbsposition deutscher Kraftwerkshersteller auf dem Weltmarkt. Diese Position kann, wenn zu Hause keine Kernkraftwerke gebaut werden, nicht gehalten werden.Es geht schließlich um die Unabhängigkeit von Lieferungen dieser Technologien aus anderen Industrieländern auch in den nächsten 20 Jahren.Viertens: Entscheidungen über den Zubau von Kernkraftwerken, die heute getroffen werden, bestimmen die Kernkraftwerkskapazität bis 1990 und darüber hinaus. In der Öffentlichkeit ist immer wieder behauptet worden, die Bundesregierung strebe bis 1995 einen Anteil der Kernenergie am gesamten Primärenergieverbrauch von 17 % an. Dies ist nicht richtig. Diese Zahl ist lediglich eine Prognose der wirtschaftswissenschaftlichen Institute, die unter gewissen gesamtwirtschaftlichen und energiewirtschaftlichen Prämissen eine Vorausschätzung der Energieentwicklung bis 1995 erstellt haben.In der Dritten Fortschreibung hat die Bundesregierung gesagt, daß sie die Aussagen der Institute im Trend für plausibel hält, konkret: die weitere Entkopplung zwischen gesamtwirtschaftlichem Wachstum und Energieverbrauch sowie die weitere Zurückdrängung des Ölanteils. Die Zahlen macht sie sich aber wie schon in der Zweiten Fortschreibung nicht zu eigen. Ich persönlich habe noch nie in solchen Zahlen einen Sinn gesehen, weil sie erfahrungsgemäß in der Öffentlichkeit als staatliche Planvorgaben mißverstanden werden.Energiepolitisch ist vordringlich, daß die im Bau befindlichen Kernkraftwerke zügig weitergebaut und die geplanten Kernkraftwerke in Angriff genommen werden. Entscheidend ist, daß die Elektrizitätswirtschaft bedarfsgerecht zubauen kann. Welche Megawattzahl wir 1995 präzise haben werden, ergibt sich durch die Investitionsentscheidungen. Entscheidungen über konkrete Kraftwerksprojekte müssen von den Versorgungsunternehmen entsprechend ihrem Kapazitätsbedarf im Zusammenwirken mit den jeweiligen Landesregierungen als Genehmigungsbehörden getroffen werden.Sie alle wissen, daß beim Bundesminister des Innern die Projekte Biblis C, Isar II und Lingen, die ersten drei der sogenannten Konvoi-Projekte, nach den positiven Voten der Reaktorsicherheitskommission zur Freigabe anstehen. Nach der Freigabe durch die Bundesregierung ist es dann Sache der Länder, die erste Teilerrichtungsgenehmigung zu erarbeiten.In der Dritten Fortschreibung hat die Bundesregierung bekräftigt, daß sie auch künftig Kernkraftwerksprojekte, die von den Bundesländern vom Bedarf her für erforderlich gehalten werden, unterstützen wird. Die baden-württembergische Landesregierung hat kürzlich auch um Unterstützung für die geplanten Kernkraftwerke Wyhl und Neckarwestheim II gebeten. Der Bundeskanzler und ich selbst haben Baden-Württemberg gegenüber bekräftigt, daß es Sache des Landes ist, über Standortwahl und den Bedarf zu entscheiden, daß die in Baden-Württemberg geplanten Kernkraftwerke aber in Einklang mit der Energiepolitik der Bundesregierung stehen und von ihr auch unterstützt werden.Meine Damen und Herren, zum Thema Schneller Brüter in Kalkar unterstütze ich die Bemühungen des Kollegen von Bülow, die Elektrizitätswirtschaft zu einer freiwilligen Lösung dieses Finanzproblems
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4366 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffzu bringen. Eine entscheidende Voraussetzung ist der Beschluß der Länderwirtschaftsminister vom September 1981, den wir in München gemeinsam gefaßt haben. Sie haben erklärt, daß die Aufbringung der erforderlichen Mittel nicht an ihnen scheitern werde. Ich bin nach wie vor optimistisch, daß auch die Verantwortlichen in den Unternehmen akzeptieren, daß Kalkar nur bei einem höheren finanziellen Engagement der Wirtschaft, gebunden an die Aufhebung des Vorbehaltes des Deutschen Bundestages, fertiggestellt werden kann. Bisher haben schon nord- und westdeutsche Energieversorgungsunternehmen einen anerkennenswerten Finanzierungsbeitrag angeboten. Ich begrüße es sehr, daß nunmehr auch bei Regierungen und EVUs im Süden unseres Landes die Bereitschaft hierzu gewachsen ist, und ich danke den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft für ihre Unterstützung in dieser Frage.Mit ihrer Energiepolitik leistet die Bundesregierung auch den von ihr erwarteten Beitrag zur Lösung der internationalen Energieprobleme. Die gesamte Welt befindet sich heute im größten Strukturanpassungsprozeß seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Für jedermann ist inzwischen die Untrennbarkeit, die gegenseitige Abhängigkeit von Energie und Wirtschaftsentwicklung deutlich geworden. Das gilt für unser Land, und es gilt auch weltweit. Ost und West, Nord und Süd stehen — mit Ausnahme der Produzentenländer — unter gleichem oder ähnlichem energiepolitischen Anpassungsdruck.Wir in der Bundesrepublik können heute sagen, daß wir unser Bestes, wenn auch längst noch nicht alles getan haben, um eine Strategie zu entwickeln, damit diese energiepolitische Anpassung so rasch und so dauerhaft wie möglich vorgenommen wird. Wir sind zu weiteren Anstrengungen bereit, nicht zuletzt zu internationaler Kooperation, ohne die das Weltenergieproblem bei noch so großen nationalen Bemühungen niemals gelöst werden kann. Wir sind davon überzeugt, daß wir auf diese Weise einen wirksamen Beitrag zur Festigung der weltwirtschaftlichen Beziehungen und — ich sage das ohne jedes Gefühl der Übertreibung — zur Wahrung des Friedens in der Welt leisten.Meine Damen und Herren, ich möchte diesen Beitrag nicht schließen, ohne all denen zu danken, die an der Dritten Fortschreibung mitgearbeitet haben. Das gilt für viele Abgeordnete aus allen drei Fraktionen dieses Hauses ebenso wie für die Mitarbeiter der Energieabteilung des Bundeswirtschaftsministeriums, für die energiewirtschaftlichen Verbände, die Industriegewerkschaft Bergbau und Energie, die Wissenschaft und die Energiewirtschaft selbst. Die Bundesregierung ist jederzeit gern bereit, Anregungen, Ergänzungen und Verbesserungsvorschläge zu ihrem Energieprogramm zu diskutieren und zu berücksichtigen. Wir rechnen mit einer lebhaften und fruchtbaren Diskussion hier in diesem Hause und in seinen Ausschüssen. — Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Riesenhuber das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff hat in einer sehr abgewogenen Rede die Punkte herausgestellt, in denen ein weitgehender Konsens herrscht. Dies ist taktisch richtig, und dies ist in der Sache richtig. Wenn wir langfristig eine vernünftige und verläßliche Energiepolitik anlegen wollen, brauchen wir ein hohes Maß an Gemeinsamkeit in der Sache.
Der Kollege Wolfram hat dazwischengerufen, dies sei ein Ausfluß mangelnder Alternativen der Opposition.
Ich glaube, dies ist eine Bemerkung, die an der Sache vorbeigeht. Wenn wir hier in irgendeinem Bereich rechtzeitig Position bezogen haben, wenn wir dies klar im Parlament eingebracht haben, wenn wir dies rechtzeitig — früher als die Regierungsparteien — in der Debatte festgestellt haben, dann war es im Energiebereich mit unserem Programm von 1977.
Im Gegensatz zu anderen haben wir seither nicht vor der Notwendigkeit gestanden, unser Programm zu ändern. Wir können dieses Programm so, wie es steht, durchhalten, und auf der Grundlage dieses Programms ist der Konsens mit der Bundesregierung möglich.Der Dissens, der die Schwierigkeiten bei der Verwirklichung der Programme bringt, ist anderswo. Graf Lambsdorff hat darauf hingewiesen — und wir stimmen ihm darin zu —, gerade die kommunalen Energieversorgungskonzepte seien ein wichtiger Bereich der Subsidiarität, der unmittelbaren, autonomen und nicht ablösbaren Zuständigkeit der Gemeinden. Dies ist richtig. Aber, Graf Lambsdorff, lesen Sie bitte in den Überlegungen Ihres Koalitionspartners nach! Da schreibt die Energiekommission der SPD, daß dies unter Auflagen des Bundes geschehen soll. — Dies ist eine Aushöhlung der Zuständigkeit der Gemeinden.
— Lesen Sie die Vorschläge der Ehmke-Kommission von 1980 nach! Da können Sie alles nachlesen; da können Sie etwas über die Energieverbrauchsordnung lesen, Sie können etwas über die Abwärmeabgabe lesen, Sie können da all diese wunderbaren bürokratischen Vorschläge nachlesen, die mit guten Gründen nicht in die Dritte Fortschreibung des Regierungsprogramms aufgenommen worden sind.Der Dissens liegt also bei Ihnen, meine Herren,
und das ist das eigentliche Problem der Energiepolitik.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4367
Dr. RiesenhuberMeine Herren, wir könnten uns j a damit, daß hier ein Dissens bei Ihnen besteht, abfinden, wenn dies nicht staatspolitisch von so außerordentlichem Gewicht wäre. Wenn wir in den vergangenen Jahren den Energieprogrammen in ihrem wesentlichen Sachgehalt überwiegend zugestimmt haben, konnten wir dies, wo sie sachlich richtig und ideologiefrei waren. Daß sie in wesentlichen und entscheidenden Bereichen, für die eigentlich Energieprogramme gemacht werden, nicht verwirktlicht worden sind, ist der Kern der Problematik, und dies kommt nicht von irgendwoher. Dies kommt daher, daß in ganz entscheidenden Fragen ein grundsätzlicher ordnungspolitischer, ein grundsätzlicher Dissens innerhalb der Koalitionsparteien besteht, der auch die Verwirklichung richtiger Programme verhindert. Hier liegt das eigentliche Problem unserer Energiepolitik in den vergangenen Jahren.Wir sprechen heute vor dem Hintergrund einer sehr kritischen Wirtschaftssituation; Graf Lambsdorff hat das angesprochen. Wir sprechen vor dem Hintergrund einer wachsenden Ölrechnung, einer wachsenden Arbeitslosigkeit, vor dem Hintergrund von Energieverbrauchsstrukturen und Energieumsetzungsstrukturen, die noch nicht das sind, was wir brauchen. Wir sprechen vor dem Hintergrund unerfüllter Programme. Die Kohle sollte hier einen zunehmenden Beitrag leisten. Von 1973 bis 1980 war der Kohleverbrauch in Deutschland rückläufig. Kohle und Kernenergie sollten die Säulen der Energiepolitik sein. Die Kernenergie trägt noch keine 5 % dazu bei. Diese mangelnde Verwirklichung der Programme ist das eigentliche Problem der deutschen Energiepolitik, und das geht auf diesen grundsätzlichen Dissens innerhalb der Regierungskoalition zurück, der über grundsätzliche ordnungspolitische Fragen, über Fragen der Marktwirtschaft, über die Fragen der Technologiepolitik, über Fragen der Umweltpolitik und über die Fragen der Kernenergie besteht.Die Dritte Fortschreibung — dies erkennen wir an — liegt überwiegend auf einer Linie marktwirtschaftlicher Vernunft. Wir stellen mit Freude fest, daß im Wirtschaftsministerium nach wie vor ordnungspolitisch gedacht wird. Wir stellen ebenfalls mit Freude fest, daß selbst der Bundeskanzler insofern lernfähig ist. In seiner ersten Regierungserklärung dieser Periode hat er angekündigt, daß durch Gebote der ohnehin schon sehr geringe Ölanteil in den Kraftwerken auf Null gestellt werden soll. Diese Ankündigung des Bundeskanzlers ist unter den Tisch gefallen. Das heißt, dieses Programm ist so, daß viele der an sich zu erwartenden ordnungspolitisch nicht sauberen, problematischen Ankündigungen aus dem Kabinett selbst, aus den Fraktionen der Koalition selbst, nicht verwirklicht worden sind. Sie sind vom Tisch.Auf dem Tisch liegen allerdings schon die ersten Proteste. Wir haben nach Pressemeldungen — ich würde diese hier gern widersprochen oder dementiert sehen — einen Beschluß der Fraktionsvorsitzendenkonferenz der SPD, daß hier massive Korrekturen angebracht werden sollen. Wir haben einen mit den Stimmen der Bundestagsabgeordneten vonSchleswig-Holstein gefaßten Beschluß des Landesvorstands Schleswig-Holstein, daß hier — —
— Herr Steger, ich weiß schon, was Sie fragen wollen. Bringen Sie es nachher in der Debatte!
— Sie haben es im Ausschuß erzählt. Ich habe gesagt: Bringen Sie es öffentlich! Ich möchte endlich öffentlich festgeschrieben haben, daß die Fraktionsvorsitzenden der SPD nicht der Ansicht sind, diese Dritte Fortschreibung müsse massiv korrigiert werden.
Wenn Sie das unterstützen, haben wir eine angenehme, gute und vernünftige Situation, und die brauchen wir.Auf dem Tisch liegen die Proteste, und es wird sich zeigen, wie sich dieses Programm zwischen den Protesten hinterher über die Runden retten kann. Wir haben in der Vergangenheit schon verschiedentlich erlebt, daß ordnungspolitisch vernünftige Ansätze der Regierung unter dem Druck der Parteien arg verwässert worden sind.Wir werden in dieser Debatte und in den Beratungen in den Ausschüssen zu den verschiedensten Bereichen im einzelnen Stellung nehmen müssen und fachlich diskutieren. Ich will dies hier nur ganz kurz auch an Punkten ansprechen, die Graf Lambsdorff aufgegriffen hat. Wir werden natürlich und vor allem darüber sprechen, was die Instrumente sind, um Energieeinsparung durchzusetzen, um Energievergeudung zu vermindern, um Umwandlungsverluste zurückzuschneiden. Dies ist wichtig. Wir sind der festen Überzeugung, daß es der richtige Weg hierzu ist, marktwirtschaftliche Instrumente einzusetzen. Der Bereich, in dem eine staatliche Flankierung hilfreich ist, ist außerordentlich begrenzt.Sie sollten folgendes vergleichen, Graf Lambsdorff, Sie sind ein sehr höflicher Minister, und wir respektieren dies. Sie haben die Enquete-Kommission und damit die 62 Mehrheitsbeschlüsse zur Energieeinsparung gelobt. Wenn man das, was herausgekommen ist, was nachher beschlossen worden ist, mit dem vergleicht, was in Ihrer eigenen Dritten Fortschreibung steht, so stellt man fest, daß darin nicht der Mehrheitsbeschluß und nicht die 62 Beschlüsse stehen, sondern darin stehen präzise die Minderheitenbeschlüsse, die marktwirtschaftlichen Thesen der Union zur Energieeinsparung. Das ist der grundsätzliche Unterschied.
Was wir hier an Öl gespart haben, war dramatisch. Wir stimmen Ihnen zu: Niemand hätte dies durch staatliche Reglementierung erwarten können. Dies wurde durch eine vernünftige Reaktion der Verbraucher erreicht. Wenn man darüber diskutiert, sollte man nie vergessen, daß hierbei auch massive Schleifspuren von Wachstumsverlusten, von durch-
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4368 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Dr. Riesenhuberhängender Konjunktur sind, und dies bedeutet nichts anderes als massive Arbeitsplatzverluste. Es kann nicht richtig sein — das muß man immer im Hintergrund dieser Diskussion über Energieeinsparung sehen —, daß man so redet, als ob Energieeinsparung auf Kosten des Verlustes von Arbeitsplätzen erlaubt sein könnte. Das kann selbstverständlich keine Politik dieses Hauses sein; niemand würde dies annehmen.
Meine Freunde, wir haben hier über die Rolle der eigenen Energieträger zu diskutieren. Graf Lambsdorff hat dargestellt — im Grundsatz ist viel daran —: Wir haben die Steinkohle in der Tat zu einer Stabilisierung der Förderung geführt. Das ist ein durchaus vernünftiges Ergebnis. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, daß es von allen Fraktionen dieses Hauses getragen wird.Trotzdem werden wir bei der Steinkohle im einzelnen noch sehr detaillierte Diskussionen zu führen haben. Wir haben nach wie vor die Importkohlekontingente. Wenn es so ist, wie die Bundesregierung sagt, daß diese Kontingente den Import der Kohle nicht behindern, warum sind sie dann noch da? Wenn sie aber eine Behinderung darstellen, dann muß das einen bestimmten Zweck haben. Dies ist auszudiskutieren, und es ist zu fragen, ob das vernünftig ist.
Wir haben über die Kürzung der Investitionsbeihilfe bei der Steinkohle zu sprechen. Diese Kürzung ist bei diesem Programm und in diesem Haushalt massiv gewesen. Wird sie nachhaltig so bleiben, dann bedeutet das letzten Endes, daß bei der Steinkohle notwendige Investitionen unterbleiben, oder hinausgeschoben werden oder Substanz verzehrt wird.Wie sollen die Mengenziele beim Steinkohleeinsatz erreicht werden? Da hat der Jahrhundertvertrag einiges gebracht. Aber wenn Sie einmal saldieren, was als Steinkohleproduktion aus deutschen Quellen und was als Importkohleverbrauch vorgesehen ist, dann kommen Sie in Größenordnungen, die durch die absehbaren Mengenverbräuche nicht abgedeckt sind. Ich erinnere an das Minimalprogramm zur Kohleveredelung, an das Stagnieren beim Stahl, an die kleinen Schritte bei der Verwirklichung der Fernwärme. Wo soll da der große Einsatz kommen?!Meine Damen und Herren, wir haben auch darüber zu diskutieren, ob und wie wir es erreichen können, daß deutsche Unternehmen in wesentlich stärkerem Maß den Zugang zu ausländischen Kohlelagerstätten bekommt, der für eine langfristige, international integrierte Energiepolitik ganz wesentlich sein wird.
— Lieber Herr Wolfram, Sie wissen selber, was vorgeht, Sie wissen selber, was in Australien passiert,Sie wissen, was die Ruhrkohle tut, Sie wissen was die VEBA tut, Sie wissen, was Rheinbraun tut. Wenn wir dies alles saldieren, dann können wir — in aller Freundschaft — nicht feststellen, daß dies eine hinreichende Absicherung der langfristigen Importkohlemengen ist. Das ist, realistisch gesehen, einfach nicht ausreichend.
Meine Damen und Herren, wir haben über die Kohleveredelung zu diskutieren. Wir stellen mit Freude fest, daß die Bundesregierung ihr Herz auch für die Braunkohleveredelung entdeckt hat. Das ist etwas, was technisch möglich ist, was wirtschaftlich schon weit über die Grenzen dessen hinausgeht, was jetzt nur noch spekulativ wäre. Wir können Synthesegas machen, wir können Methanol machen. Das sind Produkte, die wir brauchen. Die einzige Frage ist, warum das nicht gemacht wird. Es ist eine beglückende Erfahrung, daß die Bundesregierung nach Jahren jetzt endlich festgestellt hat, daß dies daran liegen könnte, daß Braunkohle einfach nicht durch Kernenergie freigeschaltet worden ist.
Das ist doch wirklich der Kern der Angelegenheit: daß wir nicht in beliebigen Mengen die Braunkohleförderung in den großen Abbaustätten steigern können. Vielmehr müssen wir hier in realistischen Grenzen bleiben. Das heißt, wir müssen die Braunkohle freischalten. Aber das ist nicht hinreichend geschehen.
— Glauben Sie denn, daß bei einer Technik wie der Kernenergie, wo die wesentlichen Daten der Investitionen durch staatliche Eingriffe gesetzt werden, eine Marktwirtschaft so existieren könnte, daß die Sache läuft?! Anfang der 70er Jahre wurde ein Kraftwerk in viereinhalb Jahren gebaut. Jetzt dauert es dreimal so lange. Das ist doch nicht allein Ausfluß marktwirtschaftlicher Prozesse. Hier handelt es sich doch um staatliche Eingriffe massiver Art, über die wir gleich noch einmal reden können; das ist doch offenkundig.
— Wir haben hier auch über die Gerichtsbarkeit zu sprechen, und zwar insofern, als der Gerichtsbarkeit von der Politik keine hinreichend klaren Ziele und Kriterien vorgegeben worden sind. Hier liegt doch das Problem.
— Dies war wohl ein Scherz; ich möchte es auch so aufnehmen.
— Herr Roth, bei Ihnen kann man sich manchmal zur Fröhlichkeit geneigt fühlen, und das macht die
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4369
Dr. Riesenhuber1 Verhandlungen im Wirtschaftsausschuß auch so erquickend.Meine Damen und Herren, wir haben über die neuen Energien zu diskutieren, über die schönen neuen Energien, die wir alle gern haben möchten, die aber so viele Schwierigkeiten bereiten: über Sonne, Wind, Erdwärme, Technik der Wärmepumpe. Auch wenn der Beitrag dieser Energiequellen begrenzt sein muß — wir müssen sie kriegen und im Markt durchsetzen. Der wesentliche Mangel der Politik der vergangenen Jahre in diesem Bereich ist doch gewesen, daß die Überführung in den Markt nicht stattgefunden hat. Wir haben in den vergangenen Perioden immer wieder im Bundestag und über den Bundesrat Anträge auf eine massive Förderung während der Einführungsphase gestellt. Dies alles ist von Ihnen mit Ihrer majestätischen Mehrheit abgelehnt worden. Was hernach herausgekommen ist, ist eine Stagnation dieser Techniken. Wir stellen mit Freude fest, daß unser Antrag, den wir im Mai 1981 eingebracht hatten, von Ihnen in die Dritte Fortschreibung übernommen worden ist.Wir halten es für richtig, daß das Erdgas weiter in die Fläche vordringt. Graf Lambsdorff hat darauf hingewiesen. Das bedeutet natürlich einiges an Änderungen der Strukturen. Wenn es aus der Grundlast in den Kraftwerken herausgeht, wird die Zahl der unterbrechbaren Verträge rückläufig sein. Wir möchten sehr gern sehen, wie die von Ihnen angesprochene Sicherung gegen Unterbrechung von Lieferungen aus der Sowjetunion dann noch verwirklicht werden kann. Darüber werden wir hier zu reden haben. Das waren hier Bedingungen für unsere Zustimmung und unsere Nichtintervention bei der Diskussion über diese Verträge.
Wir sind hier in einer sehr umfassenden Diskussion über die Frage der Krisenvorsorge beim 01. Graf Lambsdorff, ich stimme Ihnen darin zu, daß hier einiges erreicht worden ist. Aber es ist doch eine desolate Situation, wenn ausgerechnet in einer Zeit, wo 01 auf dem Weltmarkt zu nachgebenden Preisen reichlich angeboten wird, im 82er Haushalt der Aufbau unserer nationalen Ölreserve zurückgeschnitten wird. Natürlich bedeutet das Geld. Aber, Graf Lambsdorff, wenn das als Vorsorge für wirklich kritische Situationen irgendeinen Sinn haben soll, dann bitte ich, zu überlegen, wo Prioritäten sitzen. Hier können falsche Prioritäten sein, die wir ganz teuer werden bezahlen müssen, wenn es hernach wieder kritisch wird. Und niemand bezweifelt, daß 01 kritisch wird.
Wir werden hier auch über die Energieforschungsprogramme der Bundesregierung zu diskutieren haben. Sie zeichnen sich dadurch aus, daß sie derzeit nicht vorhanden sind. 1980 ist das letzte Programm ausgelaufen. Ein neues ist mehrmals angekündigt worden. Es liegt bis heute nicht vor.Meine Freunde, wir sind hier in einer Situation, wo die Programme mit Milliardenaufwendungen durchgeführt worden sind, aber nie Bilanz gezogen worden ist und wo kein Mensch weiß, ob die Aufwendungen in einem vernünftigen Verhältnis zu den tatsächlichen Erfolgen stehen. Und die Erfolge sind ja nicht fettleibige Berichte. Die Erfolge sind doch die neue Technik für unsere Volkswirtschaft, die tatsächliche Erleichterungen in unseren Energieverbrauchsstrukturen schafft.Wir möchten hier mal eine ordentliche Bilanz sehen. Wir wollen mal sehen, was rausgekommen ist. Wir sehen bis jetzt nur Mißerfolge. Die 14-Milliarden-Projekte zur Kohleveredelung sind innerhalb von zwei Jahren auf drei oder vier Demonstrationsprojekte mittlerer Art runtergeschnitten worden. SRC II, dieses große Projekt der Zusammenarbeit mit den USA und Japan, ist ersatzlos geschlachtet worden. Der Hochtemperaturreaktor ist an einen Punkt geführt worden, wo das Forschungsministerium nicht mehr erkennt, wie aus den seitherigen Entwicklungen irgend etwas in die Praxis umgesetzt werden kann. Der Brüter weist gleichzeitig eine massive Zeitüberschreitung und massive Kostenüberschreitungen auf. Ein Parlamentsvorbehalt hat das Auffangen dieser Kosten bis jetzt verhindert.Dies alles ist eine Energieforschungspolitik, die sich nicht durch ihr Ergebnis ausweist — und dies in einer Zeit, wo der Staat mehr als jemals zuvor nicht nur Geld, sondern auch unmittelbaren Einfluß eingesetzt hat, um den Inhalt und die Ziele der Energieforschungspolitik zu bestimmen. Nie war das Zusammenwirken zwischen Energiepolitik, Energieforschung und Umsetzung in die Praxis, zwischen Genehmigungsverfahren und der Verwirklichung so schlecht.
Wir werden auch über die Frage der Kosten zu sprechen haben. Das ist eines der Querschnittsprobleme, die hier anstehen. Die Frage der Kosten ist eine der entscheidenden Fragen. Die Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" hat ihre Szenarien unter souveräner Mißachtung der Kosten aufgestellt. Was dies hernach bedeutet, sehen wir heute schon. Die Arbeitseinkommen liegen international in der Spitze. Das soziale System liegt international in der Spitze — auch in den Kosten. Die Energiekosten liegen international in der Spitze.
— Das sagt der Sachverständigenrat. Das sind doch Aussagen, die belegt sind. All das zusammen können wir uns auf die Dauer nicht mehr leisten. Die 01-preise sind gestiegen. Die Gaspreise sind gestiegen. Die Strompreise sind massiv gestiegen, und sie werden weiter steigen, und wir werden damit die unterbliebenen Investitionen zu bezahlen haben, die uns hier in solche Schwierigkeiten bringen.
Alles, was an Kernkraftwerken nicht gebaut oder verzögert worden ist, müssen wir bar bezahlen. Jeder, der seine Stromrechnung sieht, sollte daran denken.Die Kosten sind das eine Querschnittsthema, das wir zu diskutieren haben. Das andere Querschnittsthema, das wir zu diskutieren haben, ist der Umwelt-
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Dr. Riesenhuberschutz. Der Wert einer Energiepolitik, einer Technologiepolitik zeigt sich darin, daß einerseits bei vernünftigen volkswirtschaftlichen Kosten gearbeitet wird, andererseits vernünftige Sicherungen gegen Schädigungen der Umwelt vorgesehen werden.In der jetzigen Situation haben wir auch hier einen grundsätzlichen Dissens innerhalb der Koalitionsfraktionen festzustellen. Dieser Dissens hat dazu geführt, daß man in wesentlichen Punkten — denken Sie an das Verkehrslärmschutzgesetz, an das Bundesimmissionsschutzgesetz — heillos zerstritten ist. Der Konflikt ist weder im Kabinett noch in den beiden Parteien ausgetragen. Herr Löwenthal, Mitglied der SPD, schreibt — ich möchte das zitieren —, daß die ökologischen Forderungen im Interesse des Rechts auf Arbeit begrenzt werden müßten. Herr Hauff meint, daß die Menschen, die sich um die Erhaltung unserer Umwelt sorgten, die Industriegesellschaft im ganzen ändern müßten. Im ganzen! So etwas geht doch nur unter Herrn Brandts markigem Sowohl-Als-auch. In der Sache sind beide Positionen unvereinbar.Solange aber beide Positionen unvereinbar und die Diskussionen dazu nicht ausgetragen sind, werden sie keine vernünftige Energiepolitik, keine vernünftige Industriepolitik betreiben können. Sie müssen das innerhalb Ihrer Reihen austragen und dann zu einer Entscheidung kommen, die für die weiteren Arbeiten grundlegend ist.Tatsache ist doch: Es ist immer der gemeinsame Standpunkt aller Parteien im Bundestag gewesen, daß der Umweltschutz einen hohen Rang einnimmt. Wir haben j a die wesentlichen Gesetze auch gemeinsam verabschiedet. Das bedeutet, Technik muß unter Berücksichtigung des Umweltschutzes beherrscht werden. Das bedeutet aber auch gleichzeitig, daß Umweltschutz Technik nicht verhindern darf. Wenn Technik durch den Umweltschutz jedoch verhindert wird, hat eine Nation als Industrienation ihren Platz in der Welt verloren.Ein wichtiges Instrument im Rahmen des Umweltschutzes sind die Genehmigungsverfahren. Es ist vorgesehen, an einigen wichtigen Stellen Straf-fungen vorzunehmen. Was die Genehmigungsverfahren angeht, so muß jedoch grundsätzlich festgestellt werden, daß sich die Verantwortung für Technik nicht in einem Wust von unüberschaubarer Bürokratie bewährt. Hier wird Verantwortung nämlich immer nur weiter delegiert, bis sie nicht mehr festzumachen ist.Der verantwortliche Umgang mit Technik macht eine Technikbewertung erforderlich, die weder die Regierung selber vorgenommen hat noch von der Koalition dem Bundestag, was die notwendigen Mittel dazu betrifft, zugestanden worden ist. Das ist eine miserable Situation. Daraus entsteht ein großer Teil unserer derzeitigen Probleme im gesamten Bereich einer integrierten und vernünftigen Technologiepolitik.Die Regierung hat angekündigt, daß sie die Genehmigungsverfahren für Kernkraftwerke straffen wolle. Das ist offenkundig richtig, wenn man wieder zu realistischen Bau- und Planungszeiten und zurealistischen Kosten kommen will. Aber es wird sich zeigen, ob das, was vorgesehen ist, ausreicht. Vor allem wird sich zeigen, was am Schluß auf Grund dieser Straffung tatsächlich an Zeitverkürzung herauskommt.Die Regierung begründet die Straffung mit den Kosten in der Grundlast mit der Industriestruktur. Der Beitrag der Kernenergie entspreche nicht dem industriepolitisch Erforderlichen, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft sei nicht ausreichend. Das alles ist richtig, und das alles sagen wir seit Jahren. Das alles sind goldene Worte. In der Sache jedoch übernimmt die Regierung auch hier den Standpunkt unserer Minderheit in der Enquete-Kommission. Dann sollte sie aber auch sagen, was das tatsächlich bedeutet.Wenn in der Fortschreibung kein Wort mehr von der Restbedarfs-Philosophie mit Blick auf die Kernenergie steht, dann ist das eine durchaus erfreuliche Sache. Wir wollen einmal sehen, ob das durchgehalten wird. Wenn es einen Restbedarf an Energie gibt, dann doch nicht an Kernkraft, sondern nur an 01.
Wenn Sie sich einmal die Zahlen der Institute ansehen, die Graf Lambsdorff in der ihm eigenen eleganten Weise wieder heruntergespielt hat, kann man doch nur feststellen: Wenn Zahlen irgend etwas bedeuten, dann steht und fällt Ihre Energiepolitik, Graf Lambsdorff, bis 1995 mit dem Durchsetzen der Kernkraft; denn tatsächlich ist es so, daß Sie zwar von einem Rückgang des Ölanteils ausgehen, gleichzeitig aber einen nahezu gleich großen Zuwachs des Anteils der Kernenergie unterstellen. Das bedeutet, in der Primärenergieträgerverteilung ändert sich im übrigen fast überhaupt nichts. Wenn das aber so ist, müssen Sie auch mit der notwendigen Entschiedenheit sagen, daß Kernkraft durchgesetzt werden muß. Sie dürfen dann nicht sagen, es könne so werden, es könne aber auch anders werden.Wenn die Regierung hier nicht die Ziele setzt und den Rahmen entsprechend steckt, weren die Möglichkeiten auf dem Energiesektor nicht wahrgenommen werden können. Dann wird auch der grundsätzliche Streit und das Getöse auf den SPD-Parteitagen nicht aufhören. Dann wird die ständige Verunsicherung der Industrie nicht aufhören. Dann werden all die widersprüchlichen Beschlüsse kein Ende haben. Dann werden wir weiterhin die Situation haben, die dazu geführt hat, daß in Deutschland jetzt seit sechs Jahren kein neues Kernkraftwerk bestellt worden ist. Dann werden die Ziele, Graf Lambsdorff, die Sie mit Ihrer Fortschreibung selbst ansprechen, nicht erreichbar sein. Dann haben wir ein weiteres wunderbares Papier, dem in der Realität nichts entspricht. Dann stehen wir wiederum vor der Situation, daß wir hier erbauliche Debatten geführt haben, das Wesentliche für unsere Volkswirtschaft und für unsere Arbeitsplätze aber geschehen ist. Das kann nicht sein.
Deshalb, Graf Lambsdorff, fordern wir Sie und Ihren Koalitionspartner mit aller Entschiedenheit auf, diese Doppelstrategien, die bis vor Ort verfolgt wer-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4371
Dr. Riesenhuberden, endlich einmal aufzugeben. Wir haben dies auch bei den Diskussionen über Standorte erlebt. In Niedersachsen wurde die Wiederaufarbeitungsanlage, die wir alle für richtig halten und die die Regierung beschlossen hat, von der SPD massiv bekämpft.
Daraus entsteht nicht der Konsens, den wir brauchen. In Hessen haben wir die gleichen Schwierigkeiten. Man kann sagen, taktisch wäre es durchaus naheliegend, hier zu widersprechen: wir bekommen dann vielleicht ein paar Stimmen mehr. Aber das kann nicht unsere Politik sein. Unsere Politik kann nur sein, das Notwendige rechtzeitig, offen und entschieden zu sagen.
Der Politiker wird nicht gewählt, wir alle sind nicht gewählt wegen unserer überragenden Weisheit, sondern wir sind gewählt wegen unserer Bereitschaft, zu entscheiden und den Kopf für die Entscheidung hinzuhalten.
Wenn wir dies nicht tun, verweigern wir die Entscheidung und versündigen uns an dem, was wir als demokratische Ordnung zu verantworten haben.
Deshalb kann ich nur eines sagen: Wer hier vor der Verantwortung wegtaucht, der hat im Grunde seine politische Aufgabe längst vergessen und aufgegeben.Wir haben hier über Kernkraft überhaupt nicht mit Hurra-Patriotismus zu diskutieren. Davon sind wir wirklich weit entfernt.
— Herr Steger, hier hat die Union eine einzige Linie. Das, was die CDU 1977 beschlossen hat, entspricht dem, was die CSU 1977 beschlossen hat. In all unseren Beschlüssen und in unserer gesamten Politik haben wir Kernenergie immer unter die Rahmenbedingungen erstens der Notwendigkeit, aber zweitens einer vollen Gewährleistung der Sicherheit, der Entsorgung und des Umweltschutzes gestellt.
Dies gilt für die CDU, und dies gilt für die CSU. Das war eine gemeinsame Linie. Bitte, reden Sie nicht so, als ob der Streit, den Sie im Grundsätzlichen haben, auch nur eine Spur von Ähnlichkeit mit der Diskussion hätte, die wir führen.
Wir führen Diskussionen und kommen dann zu Entscheidungen, auf die wir uns verlassen können. Wir können uns, was für Sie noch überraschender ist, auch aufeinander verlassen. Schauen Sie sich ein-mal in Ihrer Partei und in Ihrer Fraktion um, wieweit dies dort der Fall ist.
— Das werden wir sehen, ob er redet, wann er redet, was er redet, und dann werden wir wieder über den Konsens sprechen.Meine Damen und Herren, wir haben hier über Kernkraft nicht unter den Aspekten von beliebigen Wahlfreiheiten zu reden, sondern wir sind in der Situation, daß wir uns in Deutschland höchste Ansprüche an Sicherheit, Entsorgung und Umweltschutz auferlegt haben. Wenn wir uns dies auferlegt haben, dann ist Kernkraft unter diesen Bedingungen vertretbar. Wenn Kernkraft unter diesen Bedingungen in Deutschland nicht vertretbar ist, dann ist sie an keiner Stelle der Welt vertretbar.
Wenn sie an keiner Stelle der Welt vertretbar ist, dann müssen wir ernsthaft darüber reden, wie in Zukunft die Energieversorgung dieser Erde sichergestellt werden kann.
Bei der Explosion der Weltbevölkerung, bei dem rapiden Bevölkerungswachstum gerade in den Entwicklungsländern bedeutet knappe Energieversorgung nicht den Unterschied zwischen 19 und 23 Grad in den Zimmern, sondern bedeutet den Unterschied zwischen Hungern und Essen, zwischen der Chance zur Zukunft und der Katastrophe.Wenn wir unsere eigene Politik, unsere eigene Energiepolitik, unsere eigene Kernenergiepolitik nicht unter diesen Voraussetzungen betrachten, dann haben wir unsere Verantwortung wirklich nicht redlich wahrgenommen. Wenn wir Kernenergie nicht dort einsetzen, wo wir sie brauchen und wo wir sie verantworten können, dann werden wir in eine Situation kommen, die weltweit zu einer Hungerkatastrophe führt, die wir hier einfach nicht mehr auffangen können.
Energie ist eben nicht ein Luxus, sondern die Frage von Bewässerung, von Ernährung, von Düngemitteln, vom Überleben.
Auf dieser Grundlage muß die Diskussion redlich, umfassend und offen geführt werden. Wir dürfen nicht unter den Argumenten wegtauchen, sondern wir müssen sie in ihrer ganzen Breite darstellen. Wir dürfen nicht so diskutieren, als ob Energiepolitik nur aus technokratischen Details bestehe, sondern wir müssen sie in grundsätzlicher Klarheit und umfassend darstellen.Meine Damen und Herren, Energiepolitik in der begrenzten Welt heißt nicht nur die eigene Haut retten. Energiepolitik heißt, alle verfügbaren Techniken verantwortlich zu nutzen. Energiepolitik heißt, Rohstoffe weltweit zu erschließen, auch solche, die heute noch nicht genutzt werden. Energiepolitik heißt auch, die Kräfte der Völker Europas zu einer
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4372 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Dr. Riesenhubergemeinsamen und geschlossenen Anstrengung zusammenzufügen, zu einer Anstrengung in der Energieforschung, zu einem Aufbau integrierter Energieversorgungsstrukturen, zu einer gemeinsamen Energiepolitik nach außen. Energiepolitik heißt aber auch, Rücksicht auf die Länder der Dritten Welt zu nehmen, die sich allein nicht ausreichend helfen können.Meine Kolleginnen und Kollegen, wir werden die Dritte Fortschreibung auf dieser Grundlage in den Ausschüssen zu diskutieren haben. Am Ende muß ein Konzept stehen, das marktwirtschaftlich solide ist, das vernünftige und verläßliche Rahmenbedingungen für Technik setzt und das frei von ideologischer Verspannung ist. Aber auch dieses Konzept wird nur dann gut sein, wenn eine Regierung dahintersteht, die schwierige Entscheidungen durchsteht, eindeutig vertritt, die in Kontroversen hart bleibt und von Parteien getragen wird, die eine geschlossene Linie vertreten. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfram.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt die Vorlage der Dritten Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung unter Federführung des Bundeswirtschaftsministers.
Wir danken Ihnen, Herr Minister, und Ihren Mitarbeitern für die geleistete Arbeit.
Wir danken der Bundesregierung für die Darlegung ihrer Energiepolitik, die seit Regierungsübernahme durch die sozialliberale Koalition konsequent und erfolgreich ist und zu der es, lieber Herr Kollege Riesenhuber, Ihrerseits keine Alternative gibt.
— Ich kann mir gut vorstellen, daß Sie auf Ihr Energieprogramm aus dem Jahr 1977 verweisen.
Dazu muß ich sagen: Dieses Programm kam gegenüber dem 1. Programm der Bundesregierung von 1973 vier Jahre zu spät. Wer Ihr Programm ansieht, stellt fest: Es ist eine schlecht gelungene Abschrift der Energieprogramme der Bundesregierung. Das ist aber gar nicht das Entscheidende. Ich will jetzt nicht lange nachtarocken, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU. Ihr Programm von 1977 hätten Sie 1957 vorlegen müssen. Dann wäre uns vieles erspart geblieben, womit wir uns heute auseinandersetzen müssen.
Die Fehler, Versäumnisse und Unterlassungen einer nicht stattgefundenen Energiepolitik
zu Ihren Zeiten haben zu den Problemen von heute geführt, mit denen wir uns jetzt befassen müssen. Unsere Volkswirtschaft bezahlt das mit Milliarden und Abermilliarden DM jährlich. Das muß man Ihnen und der Öffentlichkeit immer wieder in Erinnerung rufen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundestagsfraktion der SPD wird auch in Zukunft — wie schon bisher — die Grundlinien und die Eckpfeiler der Energiepolitik der Bundesregierung unterstützen. Ich weise schon jetzt unberechtigte Kritik der Opposition zurück. Wenn wir nicht in jedem Punkt voll und uneingeschränkt der Meinung des zuständigen Ressortministers sind, dann hat das seine Gründe, die erklärbar und vertretbar sind.Wenn aus Kreisen sozialdemokratischer Landtagsfraktionen am Programm der Regierung zum Teil Kritik geübt wird oder abweichende Positionen bezogen werden, wenn die Energiekommission beim SPD-Parteivorstand andere Akzente setzt, dann ist das nicht nur deren Recht, sondern es hat auch gute Gründe. Das ist in einem demokratischen Staatswesen ganz natürlich. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das ist Ausdruck und Beweis einer funktionierenden parlamentarischen und innerparteilichen Diskussion und Demokratie. Das ist ein Zeichen dafür, daß die Sozialdemokratische Partei dialogfähig und dialogwillig ist, daß sie die sich in unserer Gesellschaft widerspiegelnden Interessen und Konflikte aufgreift und verarbeitet und dann mehrheitliche Entscheidungen trifft, zu denen wir stehen.Das vorliegende Programm beinhaltet das Konzept der Bundesregierung. Es ist kein SPD-Programm und kein FDP-Programm. In ihm finden sich unsere wesentlichsten energiepolitischen Zielvorstellungen wieder, und diese unterstützen wir. Dort, wo wir abweichende Meinungen haben, werden wir mit dem Grafen und anderen Kollegen sowie Vertretern anderer Auffassungen sachlich und fair diskutieren und um Mehrheiten ringen. Die CDU/CSU-Opposition sollte deshalb nicht kritisieren und frohlocken, sondern sie sollte sich vielmehr selbstkritisch fragen, warum sie im Vergleich zu den anderen beiden demokratischen Parteien unfähig ist, innerparteilich und im Dialog mit der engagierten Bürgerschaft nach dem richtigen energiepolitischen Weg zu suchen.
Die CDU/CSU, die in ihrer Regierungszeit überhaupt kein Energiekonzept hatte, erweckt den Eindruck, als wäre sie in energiepolitischen Fragen einig.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4373
Wolfram
— Sie können noch soviel schreien. Damit täuschen Sie über die Unterschiede in Ihren Reihen nicht hinweg.
Wenn Sie sich in einem Punkte einig sind, meine Damen und Herren von der CDU/CSU,
dann bestenfalls bei der Kernenergie. Die Kernenergie ist für Sie ein Dogma, eine heilige Kuh. Wehe dem, der dazu kritische Anmerkungen macht. In allen anderen energiepolitischen Fragen sind Sie doch uneins und haben kein Konzept. Das ist aus den Stellungnahmen Ihrer energiepolitischen Sprecher zur Dritten Fortschreibung
— das will ich Ihnen gleich sagen, wenn Sie eine Minute Geduld haben — zu erkennen.Kollege Riesenhuber hat in den ersten Stellungnahmen — für den CDU-Teil, wenn ich das richtig sehe — erklärt, die Dritte Fortschreibung enthalte eine Reihe guter Ansätze. Er bewertet positiv, daß in der Dritten Fortschreibung dieses und jenes mit seinen Vorstellungen übereinstimme.Ministerpräsident Stoltenberg registriert eine ganze Reihe von Übereinstimmungen. Er begrüßt wichtige Aussagen des Programms.Demgegenüber erklärt der jetzt still vor sich hinbetende Kollege Dr. Probst für die CSU-Landesgruppe, die Dritte Fortschreibung sei „ein weiterer Meilenstein der energiepolitischen Handlungsunfähigkeit der Bundesregierung"; sie sei in dieser Form „nicht nur überflüssig, sondern schädlich".Was ist denn nun die Position der CDU/CSU?
Ist es die des Kollegen Riesenhuber oder die des Kollegen Probst?Herr Kollege Riesenhuber, ich will Ihnen Beispiele nennen, die zeigen, daß Sie doch ein gebrochenes Verhältnis zu vielen Teilen der Energiepolitik haben. Zur heimischen Steinkohle und deren Versorgungsbeitrag haben Sie nach wie vor ein gebrochenes Verhältnis. Nirgendwo findet sich bei Ihnen ein Wort vom „Vorrang der heimischen Kohle" oder von der „optimalen Nutzung der Lagerstätten". Herr Albrecht warnt sogar vor der verstärkten Nutzung der Steinkohle.Mit anderen aktuellen energiepolitischen Fragen setzen Sie sich überhaupt nicht auseinander. Ich nenne als Beispiel die Rolle der Multis und der großen Gesellschaften auf dem Markt, den Verdrängungswettbewerb gegen Kleinere und Mittlere, Freie und Selbständige. Ich nenne die „windfall Profits", die für Sie offensichtlich überhaupt nicht existieren. Zu diesem Thema ist aus Ihrem Munde kaum etwas zu hören.Meine Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion teilt mit der Bundesregierung die Auffassung über die Schwerpunkte und Eckpfeiler unserer Energiepolitik. Auf dem Gebiet des Einsparens, das bei uns den höchsten Stellenwert einnimmt, sind bemerkenswerte Erfolge erzielt worden. Aber noch lange nicht sind alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Hier stecken noch beachtliche Reserven. Deshalb plädieren wir für weitere energiesparende Maßnahmen. Was über den Markt geschehen kann, soll mit oder ohne Anreize durch die Kräfte des Marktes geschehen. Was staatlicher oder anderer öffentlicher Beeinflussung bedarf, muß so geschehen. Ich hoffe, daß wir uns über diese Formel einig sind.Wir sprechen uns für die modifizierte Fortsetzung und Verstärkung aller Energiesparprogramme, insbesondere des 4,35-Milliarden-DM-Bund-LänderProgramms, aus. Wir halten weitere Investitionen in Energieeinsparprojekte für dringend erforderlich, nicht nur weil sie kostbare Energie sparen, sondern weil sie beachtliche beschäftigungspolitische Auswirkungen haben können. Die Wärmeschutzanforderungen an neu zu errichtende Gebäude und bei wesentlichen Änderungen an bestehenden Gebäuden sind anzuheben. Die Modernisierung von Wohnungen unter energiewirtschaftlichen Aspekten muß ausgebaut und verstärkt finanziert werden. Die Anreize sind zu schaffen. Die wärmetechnische Sanierung aller öffentlichen Gebäude und Anlagen ist zu beschleunigen.Die Energieeinsparungen im Verkehrsbereich sind weiter zu forcieren. Wir begrüßen, daß es durch die Einflußnahme der Bundesregierung auf die Kraftfahrzeugindustrie bereits zu einer deutlichen Senkung des durchschnittlichen Kraftstoffverbrauchs gekommen ist. Diese Bemühungen sind verstärkt fortzusetzen. Wir plädieren für einen weiteren Ausbau des öffentlichen Personennah- und -fernverkehrs. Wir wünschen, daß für private Mitfahrergemeinschaften steuerliche Anreize geschaffen werden.Auf Grund von Maßnahmen, die zum größten Teil auf Initiativen von uns zurückzuführen sind, und als Folge von Energiepreissteigerungen hat der Energieverbrauch in der Bundesrepublik relativ abgenommen.Allerdings ist der Prozeß der strukturellen Änderung der Energieerzeugung und des Energieverbrauchs mit aller Kraft weiter zu fördern.Energieeinsparungen werden von uns nicht einseitig unter energiewirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet. Für uns ist Energieeinsparung das wichtigste Instrument, um den Zubaubedarf von Energieerzeugungsanlagen, auch von Kohle- und Kernkraftwerken, auf das unbedingt erforderliche Maß zu begrenzen. Wir werden die Diskussionen über die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit des Erlasses einer Energieanlagenverordnung und der gesetzlichen Absicherung örtlicher und regionaler Versorgungskonzepte fortsetzen. Aber niemand von uns, Herr Kollege Riesenhuber, denkt daran, den Kommunen vorzuschreiben, wie im Detail das
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) regionale oder lokale Energieversorgungskonzept auszuschauen hat.
Sie haben hier eine unwahre Behauptung aufgestellt.
Für Umwelt und Gesundheit gehen die größten Belastungen von Einzelheizungen der Haushalte und vom Verkehr aus. Daher ist die Senkung der Emissionen vor allem in diesem Bereich von größter Bedeutung. Wir appellieren an alle Energieerzeuger und -verbraucher, ideenreich und konsequent alle Energieeinsparmöglichkeiten zu verwirklichen.Meine Damen und Herren, die Politik „Weg vom Öl" wird konsequent fortgesetzt. Die Bundesrepublik hat auf diesem Gebiete beachtliche Erfolge erzielt, die aber noch nicht ausreichen; der Trend muß verstärkt fortgesetzt werden. Die Versorgung mit Erdöl bleibt auch in Zukunft unsicher. Für die Weltwirtschaft, für unsere Volkswirtschaft und für viele Einzelhaushalte sind die finanziellen Belastungen kaum noch tragbar. Die Ölpreisexplosion ist der Hauptgrund für den weltweiten Rückgang wirtschaftlicher Aktivitäten, für die Erhöhung der Produktions- und Lebenshaltungskosten, für Leistungs- und Zahlungsbilanzdefizite. Deshalb werden wir alles Mögliche tun, um den Ölverbrauch weiter zu verringern.Wir wollen vor allem, daß das 01 auch aus dem Wärmemarkt weiter zurückgedrängt wird. Der jetzt schon geringe Anteil des Öls an der Stromerzeugung ist weiter zu verringern. Wir verzichten nach Einsicht der Stromerzeuger auf gesetzliche Schritte. Wenn Sie, Herr Kollege Riesenhuber, das als einen Lernprozeß des Bundeskanzlers bezeichnen, dann sei Ihnen das gestattet.
Ich glaube, der Knüppel hinter der Tür hat seine Wirkung gezeigt. Die Androhung, daß wir den Öleinsatz gegebenenfalls gesetzlich verbieten würden, hat gewirkt; und damit geben wir uns zufrieden.
Erdöl ist auch bei der Erzeugung industrieller Prozeßwärme soweit wie möglich zu ersetzen. Die Bezugsquellen für Erdöl sind weiter zu diversifizieren, und das Deminex-Programm ist konsequent fortzusetzen.Herr Kollege Riesenhuber, wir teilen Ihre Auffassung, daß es wünschenswert wäre, gerade in Zeiten eines Überangebots die Bevorratung aufzustocken. Wir würden auch viel stärker noch als gewünscht das Deminex-Programm und andere Programme dieser Art fördern und finanzieren. Sie wissen aberwie wir, daß das an Haushaltsgrenzen stößt, die Sie und wir nicht aufheben und beseitigen können.
Wir begrüßen vor allem daß die Ölzufuhren aus OPEC-Ländern zurückgegangen sind. Wir befürworten die Politik der weiteren Risikostreuung.Meine Damen und Herren, die deutsche Inlandförderung an Mineralöl liegt knapp unter 5 Millionen Tonnen. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Sicherung unserer Ölversorgung. Die Fördergesellschaften und das Hauptförderland Niedersachsen ziehen daraus beachtliche finanzielle Vorteile. Das kann niemand bestreiten. Die Abschöpfung dieser „windfall profits" ist unbefriedigend geregelt. Auf sozialdemokratische Initiative ist im neuen Bundesberggesetz eine Förderabgabe von bis zu 40 % festgelegt worden.
— Das war der, der zu Ihnen spricht, im Auftrage, in Abstimmung und mit Zustimmung seiner Fraktion. Vielen Dank, verehrter Kollege.
Für uns Sozialdemokraten ist es unverständlich, daß die Landesregierung von Niedersachsen bisher nur auf Druck bereit war, ab 1. Januar 1982 die Förderabgabe auf 32 % festzusetzen,
und daß sie sich mit allen Mitteln dagegen wehrt, daß diese außerordentliche Landeseinnahme — in diesem Jahr auf rund 2 Milliarden DM geschätzt — in die Bemessungsgrundlage des Länderfinanzausgleichs eingeht. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion erwartet, daß die Förderabgabe sehr bald auf 40 % festgesetzt wird und daß das Land Niedersachsen bereit ist, diese Sondereinnahme im Länderfinanzausgleich zu berücksichtigen.
Es ist nicht einzusehen, daß, wie es die „Zeit" in einem Artikel am 8. Januar 1982 schreibt, „das Land Niedersachsen sich reich pumpt und sich trotzdem von anderen Bundesländern unterstützen läßt". Dieses Geld könnte energiepolitisch sinnvoll verwandt werden. Ich würde mich freuen, wenn einer Ihrer weiteren Sprecher ein Wort zu diesem Thema sagen würde.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich ein Wort zur Struktur des Mineralölmarktes und zur Wettbewerbssituation sagen. Ich erkenne an, daß unsere Mineralölwirtschaft die Versorgung jederzeit sichergestellt hat. Allerdings erfüllt uns ihre Preispolitik mit Sorge, vor allem das Spiel hinsichtlich der Preise für Vergaserkraftstoffe einerseits und für leichtes Heizöl andererseits. Wir verfolgen mit großer Aufmerksamkeit das Ringen um Marktanteile. Zu unserer sozialdemokratischen
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Energiepolitik gehört, meine Damen und Herren, die Erhaltung der kleinen und mittleren selbständigen, freien und unabhängigen Mineralölgesellschaften und Tankstellen. Einen Verdrängungswettbewerb in dieser Zeit, wie immer er auch motiviert und verpackt wird, werden wir nicht hinnehmen. Wir bitten Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, gerade auch diesem Bereich Ihr besonderes Augenmerk zu widmen. Wir erwarten vom Bundeskartellamt, daß es seine entsprechenden Möglichkeiten voll ausschöpft.
In diesem Zusammenhang ein kurzes Wort zur Rolle des Erdgases. Wir halten den gestiegenen Anteil des Erdgases an der Energieversorgung und die Diversifizierung der Bezugsquellen für gut und richtig. Es ist logisch, daß der Gaseinsatz bei der Stromerzeugung zurückgeht. Herr Kollege Riesenhuber, die Frage, ob Kernenergie als Ersatz für Gas im Grundlastbereich eingesetzt werden soll, stellte sich doch für die EVUs erst, als die Gaspreise so explodiert waren, daß sich der Gaspreis nicht mehr rechnete.
Wir haben das doch nicht verhindert! Die EVUs hätten viel früher die Möglichkeit gehabt, das Gas aus den Kraftwerken herauszunehmen.
Sie haben es nicht getan, solange Gas eine billige Primärenergie war. Sie sollten aufhören, die Verantwortung immer anderen zuzuschieben. — Herr Kollege Gerstein, ich selbst bin — wie auch Sie — im Versorgungsgebiet der VEW zu Hause. Ich habe auf mancher Hauptversammlung der VEW gesagt, sie sollten ihren Erdgasanteil an der Stromerzeugung verringern. Sie tun das jetzt erfreulicherweise
— Gott sei Dank zugunsten der heimischen Kohle.Meine Damen und Herren, wir gehen davon aus, daß der Anteil des Erdgases an der Primärenergieversorgung mittel- und langfristig unter 20 % bleibt. Wir stehen zu dem europäisch-sowjetischen Röhren- Gas - Liefervertrag. Die zusätzlichen Erdgaslieferungen aus der UdSSR sind Teil einer weiteren Diversifizierung der Bezugsquellen. Der Vertrag ist für beide Seiten von Bedeutung und von Vorteil. Es ist besonders anerkennenswert, daß West-Berlin in die Belieferung einbezogen wird.Der dritte Schwerpunkt der Energiepolitik, neue Energiequellen zu erschließen, wird von uns nachdrücklichst unterstützt. Die bisher erreichten Fortschritte sind uns zu gering. Wir wünschen vor allem in diesem Bereich eine verstärkte, eine rechtzeitige Förderung. Mit der Enquete-Kommission und mit dem Sachverständigenrat Energie und Umwelt sind wir uns einig, daß noch so geringe Möglichkeiten der regenerativen Energiequellen genutzt werden müssen, weil die Addition auch von kleinen Potentialen beträchtliche Entlastungen in anderen Bereichen bringt.Wir Sozialdemokraten begrüßen es besonders, daß die vorrangige Nutzung der heimischen Steinkohle heute unumstritten ist. Dafür haben wir jahrzehntelang kämpfen müssen. Heute profitieren wir alle davon, daß wir in den 50er und 60er Jahren für unsere Kohle gekämpft, dem heimischen Bergbau in den 70er Jahren über eine schwierige Situation hinweggeholfen und eine bestimmte Förderkapazität erhalten haben. Wer auch immer über die damit verbundenen Subventionen lästert, sollte bedenken, daß wir uns damit ein wesentliches Stück Unabhängigkeit und Sicherheit der Energieversorgung, Hunderttausende von Arbeitsplätzen, Investitionen vor allem in der Bergbauzuliefer- und Maschinenindustrie sowie wirtschaftlich und sozial geordnete Verhältnisse an Ruhr und Saar erhalten haben. Wer über die teure Steinkohle klagt, sollte bedenken, daß wir für das 01 heute fünfzehnmal mehr bezahlen müssen als noch vor wenigen Jahren.Was das Verhältnis zwischen heimischer Kohle und Importkohle betrifft: Herr Kollege Riesenhuber, wir sehen überhaupt keinen aktuellen Anlaß, über das ab 1. Januar 1980 geltende Kohle-Importprogramm hinaus neue Regelungen zu treffen. Es wird noch vieler Anstrengungen bedürfen, damit diese Mengen ausgeschöpft und im Markt untergebracht werden können. Dabei ist für uns Sozialdemokraten klar: diese zusätzlichen Importmengen dürfen heimische Kohle nicht verdrängen. Ich hoffe, das unterstützt auch die Opposition.
Wir befürworten, daß die deutsche Wirtschaft und vor allem der deutsche Steinkohlenbergbau sich in ausländischen Lagerstätten engagiert.Zu dem Thema Steinkohle sage ich abschließend, daß es nach unserer Auffassung nicht nur nötig ist, die gegenwärtige Förderkapazität aufrechtzuerhalten, sondern daß ihre Ausweitung vorbereitet wird, um eine nach unserer Auffassung zukünftig notwendig werdende Fördersteigerung dann zügig durchführen zu können. Allerdings kann daraus — auch das sage ich klipp und klar — kein zusätzlicher Subventionsbedarf und -anspruch hergeleitet werden.Ich habe in einer der letzten Energiedebatten für unsere Fraktion bereits festgestellt, daß mit dem 15Jahre-Kohleverstromungsvertrag für uns das Prinzip des Kohlevorrangs bei der Verstromung verwirklicht ist. Ich unterstreiche noch einmal diese Aussage. Wir sind der Meinung, daß die Steinkohle bei der Verstromung am besten im Mittellastbereich eingesetzt wird. Ich lasse mich hier nicht auf Debatten über die kostengünstigere und preisgünstigere Energie ein. Ich glaube, hier gibt es eine weitgehende Übereinstimmung, vor allem wenn man sich für eine Arbeitsteilung Kohle/Kernenergie ausspricht, wie ich es tue.Daß wir den Umweltbelastungen unsere größte Aufmerksamkeit widmen, versteht sich von selbst. Wir nehmen für uns in Anspruch, daß die Bundesregierung der sozialliberalen Koalition die erste war,
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4376 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Wolfram
die das erste Umweltschutzprogramm vorgelegt und eine aktive Umweltschutzpolitik betrieben hat.
Wir werden selbstverständlich auch in Zukunft darauf achten, daß ein hohes Maß an Umweltschutz-Anforderungen gestellt wird. Wir werden die Anregungen aus dem Sondergutachten „Energie und Umwelt" in unseren Entscheidungs- und Planungsprozeß einbeziehen.Zu den Bereichen „Kohleveredlung", „Rolle der Kernenergie" und „Probleme der Entsorgung" werden meine Kollegen Reuschenbach, Schäfer und Steger noch Stellung nehmen.Ich fasse zusammen: Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt und bejaht die Dritte Fortschreibung.Die Energieeinsparung hat für uns einen hohen Stellenwert. Die noch vorhandenen Möglichkeiten sind auszuschöpfen.Wir werden dem Umweltschutz und der Erhaltung der Gesundheit wie bisher größte Beachtung schenken.Wir halten an dem Vorrang der heimischen Kohle, an der optimalen Nutzung der heimischen Lagerstätte fest. Ich bitte heute schon darum, daß Vorsorge für einen wahrscheinlich notwendigen und stärkeren Versorgungsbeitrag der Kohle getroffen wird.Wir wissen, daß die heimische Braunkohle in einer vorbildlichen Weise ihre Rolle kostengünstig wahrnimmt.Wir werden die Kohleveredlung im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten weiterentwickeln und fördern.Alternative Energiequellen werden ausgeschöpft. Das sind wir vor allem auch der Dritten Welt schuldig. Der energiepolitische Handlunsspielraum ist größer als ursprünglich vermutet. Allerdings müssen Bund, Länder und Gemeinden, Energieerzeuger und -verbraucher ihre Handlungsspielräume ausnutzen und ausschöpfen. Die Dritte Fortschreibung des Energieprogramms bietet dafür den Rahmen.Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen haben mit ihrer seit 1973 erstmals konzipierten, in sich geschlossenen Energiepolitik bewiesen, daß unser Land energiewirtschaftlich und energiepolitisch gut bedient ist. Wir werden auch in Zukunft für ein hohes Maß an Versorgungssicherheit sorgen.Für uns ist Energiepolitik nicht nur ein technisch-ökonomisches Problem. Wir sehen die begrenzten Ressourcen der Erde, und wir beachten die Umweltfolgen. Wir wissen aber auch, wie wichtig die Energiepolitik für Vollbeschäftigung und Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen ist. Uns geht es um den gesellschaftlich verantwortlichen Umgang mit Energie. Wir sind überzeugt, daß es zu unserer Energiepolitik keine Alternative gibt. Wir werden die Dritte Fortschreibung offen und sachlich beraten. Die Bundesregierung kann sich auch in Zukunft auf die sozialdemokratische Bundestagsfraktion verlassen. — Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Nachdem dieses Hohe Haus vor vier Wochen den Bericht der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergiepolitik" beraten hat, bietet sich heute wieder die Möglichkeit und die Aufgabe, Probleme und Lösungsmöglichkeiten im energiepolitischen Bereich im Bundestag zu diskutieren. Grundlage hierfür ist die Dritte Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung. Der zeitlich kurze Abstand zwischen diesen beiden Debatten zeigt mit aller Deutlichkeit, welchen hohen Stellenwert die Energiepolitik für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung unseres Landes hat und in welchem Ausmaß sie in alle gesellschaftlichen Bereiche ausstrahlt.Das vergangene Jahr war durch eine weltweite negative gesamtwirtschaftliche Entwicklung gekennzeichnet, die nicht zuletzt auf die Auswirkungen des zweiten Ölpreisschocks der Jahre 1979/80 zurückzuführen ist. Unsere hochentwickelte, aber auch sehr sensible Volkswirtschaft ist von dieser Entwicklung nicht verschont geblieben. Ihre Belastung durch die hohen Kosten für Importenergien hat uns in den letzten Jahren drastisch vor Augen geführt, in welch großem Ausmaß die Bundesrepublik Deutschland letztlich auch von der Versorgung aus dem Ausland abhängig ist. Außer Zweifel steht für uns deswegen der enge Zusammenhang zwischen einer sicheren, ausreichenden und preisgünstigen Energieversorgung mit dem Wachstum der Wirtschaft und der Sicherung eines angemessenen Wohlstandes. Begrenztheit der Energievorräte, Umweltbelastung, die Situation der Länder in der Dritten und der Vierten Welt sind hier die besonderen Stichworte in der Diskussion, die wir zu führen haben.Seit Vorlage der Zweiten Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung sind mittlerweile vier Jahre vergangen. Mit Befriedigung können wir feststellen, daß die Bundesregierung in diesem Zeitraum die Hände keineswegs in den Schoß gelegt, sondern ihre Zielvorstellungen weitgehend umgesetzt hat.
Deswegen ist die jetzt vorgelegte Dritte Fortschreibung nicht nur Ausdruck einer kontinuierlichen Energiepolitik, sondern zugleich Bilanz erfolgreicher konkreter Maßnahmen in verschiedenen Bereichen. Hierfür gebühren der Bundesregierung und insbesondere dem Bundeswirtschaftsminister unser besonderer Dank und unsere ausdrückliche Anerkennung.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4377
BeckmannBesonders erfolgreich waren die Bemühungen der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen im Bereich der Energieeinsparung. Hier hat insbesondere die Nachfrageseite, also die privaten Verbraucher und die Wirtschaft, auf die Appelle der Politik und die gestiegenen Energiepreise vernünftig und marktkonform reagiert. Gerade im internationalen Bereich können sich unsere Einsparerfolge im Primärenenergieverbrauch sehen lassen. Insbesondere gilt dies für das Mineralöl. Während dessen Anteil am Primärenergieverbrauch in unserem Lande 1979 noch bei 50,7 % lag und sich im Jahre 1980 um 3 % verringert hat, ist er im vergangenen Jahr nochmals um 3 % auf dann 44,5 % zurückgegangen. „Weg vom 01" ist für uns kein Schlagwort, meine Damen und Herren, sondern Wirklichkeit in unserem täglichen Verbraucherverhalten geworden. Hervorzuheben ist dabei, daß diese Erfolge erreicht worden sind, ohne daß es zu mancherseits verlangten massiven dirigistischen Eingriffen des Staates gekommen ist.
Die Bundesregierung hat sich allerdings dort flexibel gezeigt, wo es darum ging, die Politik des „Weg vom 01" durch flankierende Maßnahmen zu unterstützen.
Hierzu zählen insbesondere die maßgeblichen Investitionsanreize, die die Bürger in großem Umfange veranlaßt haben, ihrerseits energiesparend zu investieren. Hier sei nur der große Erfolg des 4,35-Milliarden-Programms zur Heizenergieeinsparung genannt.Mit Genugtuung können wir auch feststellen, daß sowohl Bilanz als auch Perspektiven der Dritten Fortschreibung der besonderen Bedeutung der einzigen nationalen Energiereserve, nämlich der heimischen Steinkohle, gerecht werden und den Willen zu ihrer optimalen Nutzung unterstreichen. Der bis Ende der 70er Jahre noch rückläufige Anteil der deutschen Steinkohle am Primärenergieverbrauch ist in den letzten Jahren wieder angestiegen und beträgt im Jahre 1980/81 mehr als 21 %. Dies bedeutet nicht nur Versorgungssicherheit im Energiebereich, sondern auch Sicherheit von Arbeitsplätzen für Hunderttausende von Menschen in den Steinkohlerevieren unseres Landes.
Dies rechtfertigt auch die hierfür jährlich in den Bundeshaushalt eingestellten hohen Finanzmittel. Auch der sogenannte Jahrhundertvertrag zwischen der stromerzeugenden Industrie und den Unternehmen des deutschen Steinkohlebergbaus, der mit nachhaltiger Unterstützung der Bundesregierung zustandegekommen ist, gehört in die positive Bilanz der Dritten Fortschreibung.Die Bilanz auf dem Kernenergiesektor
ist gekennzeichnet durch die Auswirkungen einerbreiten gesellschaftlichen Diskussion über die Akzeptanz von Großtechnologien, Energiebedarfsprognosen, Entsorgungsfragen und gesamtwirtschaftlichem Nutzen des Einsatzes dieser Energieart. Sicherlich ist in der Vergangenheit die Sensibilität von Teilen unserer Bevölkerung hinsichtlich der Beantwortung so mancher Fragen aus den genannten Bereichen unterschätzt worden. Wer hier aber der Bundesregierung irgendwie geartete Versäumnisse anlastet, vereinfacht das komplexe Problem in unzulässiger Weise.
Mit Recht hat daher der Vorstandsvorsitzende des größten deutschen Energieunternehmens, der VEBA, Herr von Bennigsen-Foerder, im Frühjahr vergangenen Jahres in seinem grundlegenden Referat vor dem Deutschen Atomforum eine Schuldzuweisung in der Art des Schwarzer-Peter-Spiels abgelehnt und gefordert, die Energiediskussion dürfe nicht zum Nebenkriegsschauplatz parteiinterner und parteipolitischer Auseinandersetzungen werden.
Dies kann ich angesichts der großen Herausforderung, vor der wir in diesem Bereich stehen, nur unterstreichen.
Angesichts der Kontinuität der Energiepolitik dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen konnte nun vernünftigerweise auch niemand erwarten, daß die Dritte Fortschreibung etwa revolutionäre Perspektiven für die Energiepolitik der 80er Jahre bieten würde.
In dieser Hinsicht verdeutlicht sie eher Konsequenz und Solidität.
Meine Damen und Herren, die Politik, die wir auch auf der Grundlage der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom November 1980 betreiben, ist richtig. Dies wird uns auch im internationalen Rahmen bestätigt, so etwa durch die Bewertung der deutschen Energiepolitik durch die OECD. Sicherlich bedarf der eingeschlagene Kurs dann und wann der Feinsteuerung; dies ist angesichts der sich ständig wandelnden energiepolitischen Rahmenbedingungen in der Welt selbstverständlich. So werden sicherlich verschiedene von der Bundesregierung eingeleitete Programme in Einzelheiten modifiziert werden müssen.Im Rahmen des 4,35-Milliarden-Programms zur sparsamen und rationellen Verwendung von Heizenergie hat die Forderung der Freien Demokraten nach Priorität für energieeinsparende Maßnahmen ihren Niederschlag gefunden. Dieses Programm
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4378 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Beckmannmuß nach Auffassung meiner Fraktion unter neuen Kriterien fortgeschrieben werden. Auch von der Opposition sind hierzu teilweise diskussionswürdige Vorschläge gemacht worden, bei denen sich allerdings die Frage stellt, ob sie hinsichtlich der Mischfinanzierungstatbestände auch die Unterstützung der unionsregierten Länder finden werden.Wir Freien Demokraten begrüßen auf jeden Fall, daß zukünftig eine Konzentration der Fördermittel auf wenige heute noch nicht wirtschaftliche, aber unter Energieeinsparungsgesichtspunkten besonders wichtige Maßnahmen erfolgen soll. Hierzu zählen insbesondere der Anschluß von Häusern an die Fernwärmeversorgung aus Kraft-Wärme-Kopplung oder Abwärme und Investitionen für neue Technologien wie z. B. Wärmepumpen, Solaranlagen und Wärmerückgewinnungsanlagen. Volkswirtschaftlich gesehen sind dies alles Anstöße, die weitere Investitionen von privater Seite nach sich ziehen sollen. Diese Erwartungen gründen auch auf den Erfahrungen mit den laufenden Programmen.Nach unserer Auffassung — ich wiederhole dies — kann die Bundesregierung nur flankierend tätig werden. Grundlage der Energiesparpolitik soll nach Meinung der Freien Demokraten nach wie vor die Steuerung über den Markt und über den Preis bleiben. So erwarten wir beim Energieeinsparen einen neuen Investitionsstoß aus dem Bereich des Klein-und mittelständischen Gewerbes, das in den nächsten Jahren nach Einschätzung von Fachleuten jährlich Investitionen zum Energieeinsparen in Höhe von 2 bis 3 Milliarden DM tätigen wird. In diesem Bereich stehen wir nach einer Phase einfachen Sparens an der Schwelle zu großen Investitionen; denn gerade die mittlere und kleine Industrie hat gegenüber der Großindustrie hier noch einen erheblichen Nachholbedarf. In diese Richtung wirkt auch das von der Bundesregierung am 8. April vergangenen Jahres angelegte zinsgünstige Kreditprogramm mit einem Volumen von 6,3 Milliarden DM, das wettbewerbssteigernde Investitionen kleinerer und mittlerer Unternehmen, insbesondere im Bereich der Energie- und Rohstoffeinsparung und der Ölsubstitution, bevorzugt fördern soll.Alle Anstrengungen und auch die Erfolge beim Zurückdrängen des Mineralöls aus dem Energiemarkt können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß 01 auch in den kommenden Jahrzehnten in unserem Lande ein maßgeblicher Energieträger bleiben wird. Die entscheidenden Anstrengungen und Auswirkungen der Rohölpreiserhöhungen auf unsere Leistungsbilanz zwingen uns jedoch dazu, zukünftig in noch stärkerem Maße als bisher den Einsatz von Ö1 auf die Bereiche zu beschränken, in denen seine Verwendung unabdingbar notwendig ist. Dies sind in erster Linie der Verkehrsbereich und die chemische Industrie. Wenn wir es heute auf dem Weltölmarkt auch mit einer Überflußsituation zu tun haben, so muß das angesichts der teilweise instabilen Situation, insbesondere in den Ölförderungsregionen des Nahen Ostens, nicht so bleiben. Im Gegenteil lehrt alle Erfahrung, daß sich auch die Ölpreise auf mittlere Sicht nach oben bewegen werden.Wir erkennen die Bemühungen der deutschen Automobilhersteller an, die in zunehmendem Maße kraftstoffsparende Motoren zur Verfügung stellen und diese Entwicklung, wie abzusehen ist, auch weiterhin erfolgreich betreiben werden. Damit wird auch ein entscheidender Beitrag dazu geleistet, daß das Auto als ein Mittel des Individualverkehrs weiterhin seine bedeutende Rolle bei der Ausfüllung einer freiheitlichen Lebensgestaltung unserer Bürger spielen kann.Geändertes Verbraucherverhalten und die Einsparungen der letzten Jahre bewirken allerdings in der Mineralölwirtschaft einen Umstrukturierungsprozeß, der nicht immer frei von schmerzhaften Konsequenzen ist. Wie auch andere Wirtschaftszweige wird die Mineralölindustrie nicht umhin können, sich in ihren unternehmerischen Entscheidungen den geänderten Rahmenbedingungen anzupassen.Im übrigen unterstützt die FDP-Fraktion alle Bemühungen der Bundesregierung, die inländische Ölversorgung durch Streuung der Bezugsquellen und durch Bevorratung sicherzustellen. Es bleibt festzuhalten, daß es als Ergebnis dieser Politik in unserem Lande in der Vergangenheit keine Versorgungsschwierigkeiten gegeben hat.Nach wie vor muß es aber unser vorrangiges Ziel bleiben, das 01 im Wärmemarkt durch andere Energien zu ersetzen. Hierbei kommt der Steinkohle besondere Bedeutung zu. Herr Kollege Wolfram hat das im einzelnen ausgeführt. So bietet die KraftWärme-Kopplung und die Errichtung verbrauchernaher Kohleheizkraftwerke hervorragende Chancen für die Errichtung und den Ausbau von Fernwärmenetzen in Ballungszentren. Ausdruck dieser Politik ist das neue Fünfjahresprogramm für den Ausbau der Fernwärme mit einem Volumen von 1,2 Milliarden DM. Hierbei ist hervorzuheben, daß dieses Programm Investitionen von mehr als 5 Milliarden DM mobilisieren soll. Es stellt sich allerdings die Frage, ob angesichts der Arbeitsmarktsituation hier nicht noch kräftigere Impulse gegeben werden können.Weitere Chancen für die deutsche Kohle und für Importkohle ergeben sich aus der großtechnischen Anwendung der in Deutschland hochentwickelten Kohleveredelungstechniken. Wenn wir es in diesem Bereich nicht bei Demonstrationsobjekten belassen wollen, sondern auch gerade die vorhandenen hervorragenden Exportchancen nutzen wollen, werden wir auch in diesem Lande funktionstüchtige Anlagen errichten müssen, die das hohe Niveau und die Effektivität dieser Technik unter Beweis stellen. Es ist allerdings davor zu warnen, hiervon schon in allernächster Zeit einen entscheidenden Beitrag für die Versorgung im Energiebereich zu erwarten.Gestatten Sie mir noch einige Worte zur Rolle des Erdgases in der Energieversorgung unseres Landes. Sein Anteil beträgt zur Zeit 16 % an der Versorgung. Hiervon wird ein Drittel aus heimischer Förderung bestritten. Wenn der Gaseinsatz bei der Stromerzeugung auch zurückgeht, was wir begrüßen, so wird die Nachfrage insgesamt in den nächsten Jahren noch steigen. Die Sicherheit der Versorgung mit dieser
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4379
BeckmannPrimärenergie macht nach unserer Einschätzung eine Diversifizierung der Bezugsquellen erforderlich. Die Ausweitung der Importmengen, insbesondere aus Norwegen, stützt die Bemühungen, einseitige Abhängigkeit bei Erdgaseinfuhren zu vermeiden.Was nun das Erdgas-Röhren-Geschäft mit der Sowjetunion betrifft, sind wir der Auffassung, daß hierdurch eine Abhängigkeit unserer Energieversorgung nicht bewirkt wird. Bei Lieferung der vereinbarten Höchstmengen würde der Anteil des aus diesen Verträgen bezogenen Gases am Primärenergieverbrauch der Bundesrepublik Deutschland lediglich 5 % betragen. Selbst für den Fall hypothetischer Lieferausfälle würde das für solche Umstände installierte Sicherheitsnetz unsere Erdgasversorgung aufrechterhalten. Deswegen hält die FDP-Fraktion zur Zeit — auch angesichts der aktuellen außenpolitischen Situation — eine Aussetzung dieses Vertragswerks nicht für geboten.Meine Damen und Herren, niemand in diesem Hause wird um die Feststellung herumkommen, daß die Bundesrepublik Deutschland auch zukünftig einen wesentlichen Teil ihres Primärenergiebedarfs aus sicherheitspolitisch gefährdeten Regionen unserer Welt decken muß. Die Ansprüche der Völker der Dritten und der Vierten Welt und hieraus resultierende mögliche Verteilungskämpfe im Energiebereich machen nach unserem Dafürhalten eine energiepolitische Konzeption notwendig, die einen hohen Anteil nationaler Energieversorgung gewährleistet. Die Dritte Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung stellt hierbei einen wesentlichen Schritt in die richtige Richtung dar. Das gilt auch dort, wo es sich um die weitere Nutzung und den Ausbau der Kernenergie handelt.Ich begrüße es, daß sich — nicht zuletzt unter dem Eindruck des Berichts der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernernergiepolitik" — die Überzeugung durchsetzt, daß in diesem Jahrzehnt der maßvolle Ausbau der Kernenergie zur Stromerzeugung im Grundlastbereich ein unabdingbares Erfordernis für eine gedeihliche gesamtwirtschaftliche Entwicklung, hierbei insbesondere der internationalen Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft, und damit für den Erhalt von Arbeitsplätzen darstellt.Angesichts der Schwierigkeit, sichere Energiebedarfsprognosen aufzustellen — die Bundesregierung hat dies in der Dritten Fortschreibung mit Recht vermieden —,
erscheint es wenig sinnvoll, sich heute darauf festlegen zu wollen, ob für die zukünftige Energieversorgung der Bau von einem oder von zwei Kernkraftwerken im Jahr notwendig sein wird. Der Zubau von Kernkraftwerken hat im Rahmen des Bedarfs zu erfolgen. Über den Strombedarf hat aber nicht die Bundesregierung zu entscheiden. In unserem Wirtschaftssystem werden der Zeitpunkt des Baus von den Versorgungsunternehmen und der Standort eines Kraftwerks von diesen Unternehmen imEinvernehmen mit der jeweiligen Landeregierung festgelegt.
Die diesbezüglichen Feststellungen der Dritten Fortschreibung werden von der FDP-Fraktion unterstrichen.Aus den vorliegenden Stellungnahmen der betroffenen Wirtschaftszweige, der Verbände, der Gewerkschaften und anderer ist ein hohes Maß an Zustimmung zur Dritten Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung festzustellen. Auch bei den im Bundestag vertretenen Parteien sind die Grundlinien des Programms unumstritten, wie wir eben gehört haben. Selbstverständlich werden wir uns über Einzelheiten in den Ausschüssen in der nächsten Zeit noch vertiefend auseinandersetzen.Entgegen den Feststellungen, die Sie, Herr Kollege Riesenhuber, getroffen haben, hat die Bundesregierung nach unserer Auffassung die Chance genutzt, mit der Vorlage der Dritten Fortschreibung ihre Entschlossenheit zu dokumentieren, verantwortungsbewußt auch zukünftig die vorhandenen Chancen für die Energiepolitik sowohl im nationalen als auch im internationalen Rahmen zu nutzen,
hierbei die Interessen unserer Volkswirtschaft zu wahren und zu fördern und gleichzeitig die Möglichkeit flexibler Reaktionen auf sich ändernde weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen offenzuhalten. Die FDP-Fraktion wird die Bundesregierung bei der Verwirklichung dieser Energiepolitik auch zukünftig unterstützen. — Ich bedanke mich.
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Probst.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wolfram hat uns vorgeworfen, für uns sei Kernenergie ein Dogma.
Warum soll Kernenergie für uns denn ein Dogma sein?
Wir haben in der Kernenergie eine kontinuierliche Haltung seit den 60er Jahren, seit der Zeit, als es noch keine Energieprogramme der Bundesregierung brauchte, weil hier Übereinstimmung über alle Parteien hinweg war. Sie haben vergessen, daß das, was Sie uns heute als Dogma vorwerfen, Ihre eigene Meinung noch vor 1975 war.
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4380 Deutscher Bundestag - 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Wenn die Energiepolitik der einzelnen Nationen nach den Papiermengen, die die Regierungen und Parteien dazu produzieren, prämiert würden, könnte die Bundesrepublik sicher zum Weltmeister erkoren werden. So meint Herr Broichhausen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zum Energieprogramm. Hier werde mit Formulierungskünsten verdeckt und hier werde mit Kompromißsprache die Möglichkeit gegeben, das herauszulesen, was jeder einzelne eben gerade herauslesen möchte.Wie man hört, hat das Urteil von Broichhausen vor allem im Bundeswirtschaftsministerium weh getan. Denn dort, wo in dieser Regierung noch am ehesten energiepolitischer Sachverstand erkennbar ist, weiß man natürlich genau, daß sich Minister Lambsdorff mit seinen Vorstellungen weder bei seinem Parteifreund Baum — und an den muß man an dieser Stelle ja wohl erinnern — noch bei der SPD durchsetzen konnte.An keiner Stelle des fortgeschriebenen Energieprogramms findet sich ein Hinweis darauf, wie die Bundesregierung ihre festgefahrene Kernenergiepolitik ändern will. Sie weist zwar darauf hin, daß über die vorhandenen und die im Bau befindlichen Anlagen hinaus ein Zubau von neuen Kernkraftwerken im Rahmen des Bedarfs erfolgen muß. Sie vermeidet aber peinlich jeden Hinweis darauf, wie hoch der Zusatzbedarf an Kernenergie von der Bundesregierung eingeschätzt wird.
Der Herr Kollege Riesenhuber war zum Herrn Bundeswirtschaftsminister nur deshalb etwas freundlicher als ich, weil der Bundeswirtschaftsminister sich j a redlich bemüht und er ihn dafür belohnen wollte. Ich habe den anderen Part übernommen.Ich habe nämlich herausgestellt, wo er sich nicht durchgesetzt hat. Es ist unfreundlich, festzustellen, wo sich jemand nicht durchsetzen kann. Insofern klafft zwischen unseren Meinungen nur scheinbar eine Lücke.
Auch wenn in der Dritten Fortschreibung die verräterische Formel vom Restbedarf an Kernenergie vermieden wurde, hat sich doch faktisch an ihrer Lückenbüßerrolle nichts geändert. Warum sonst konnte sich Minister Lambsdorff mit seinem Formulierungsvorschlag — der j a aus dem Sachverständigenrat kam — daß die Kernenergie einen deutlich steigenden Beitrag zur Energieversorgung leisten muß, innerhalb der Bundesregierung nicht durchsetzen?Die Dritte Fortschreibung ist deshalb erneut das Gegenteil eines durch politischen Gestaltungswillen gekennzeichneten Programms. Sie ist eine erneute Flucht in die Unverbindlichkeit. Hier wird nicht entschieden, und nicht entscheiden ist eben auch eine Entscheidung — das müssen die Verantwortlichen wissen —, und zwar eine Entscheidung gegen sichere und preiswerte Energie und damit gegen sichere Arbeitsplätze, gegen stabile Preise und gegen unsere soziale Sicherheit. Herr Wolfram, da stimme ich mit Ihnen vollkommen überein.Minister von Bülow hat kürzlich in bezug auf die Medien- und Energiepolitik Zweifel geäußert, ob wir es noch schaffen würden, die politischen und wirtschaftlichen Fronten aufzubrechen. Nach der Dritten Fortschreibung des Energieprogramms bin ich fast sicher, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien diese Fronten nicht aufbrechen werden. Im Gegenteil: Je länger sie noch im Amt ist und je mehr Programme dieser Art sie noch produziert, desto mehr werden sich diese künstlich aufgebauten Fronten verhärten.Die von der Regierung Schmidt/Genscher in den letzten Jahren praktizierte Politik muß sich den schweren Vorwurf gefallen lassen, daß sie die Zweifel an der Akzeptanz der Kernenergie durch Opportunismus und Feigheit gegenüber den Linken in der SPD und FDP regierungsamtlich noch gefördert hat.
Erst durch diese vordergründige, auf Stimmenfang ausgerichtete Politik konnte sich das Klima der Dämonisierung der friedlichen Nutzung der Kernenergie derart ausbreiten, daß sachlich zwingend gebotene Investitionsentscheidungen politisch immer weniger durchsetzbar geworden sind.Gerade der amtierende Bundesinnenminister sollte deshalb nicht immer wieder so tun, als wäre diese Entwicklung wegen angeblicher Sicherheitsprobleme unabwendbar gewesen. In Wirklichkeit hat er wie kein anderer zu den bestehenden Investitionshemmnissen und Akzeptanzproblemen der Kernenergie in unserem Land beigetragen.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4381
Dr. ProbstEs ist schon ein beispielloser Vorgang, wenn der Atomforscher Professor Albert Ziegler zum Jahresende seinen Rücktritt aus der Reaktorsicherheitskommission erklärt,
weil er die Arbeit durch das Bundesinnenministerium behindert sieht.
In seinem Rücktrittsschreiben betont der Wissenschaftler, er könne die Flut der Unterlagen, die nach Umfang immer dicker und nach Inhalt immer magerer würden, zeitlich nicht mehr bewältigen. Zudem habe sich bei ihm der Eindruck verdichtet, daß der Bundesinnenminister den Empfehlungen der Reaktorsicherheitskommission jeweils nur insoweit folge, als sie für seine Politik opportun erschienen.
Sachliche Gesichtspunkte würden häufig von anderen Überlegungen in den Hintergrund gedrängt.
Wer die Arbeitsweise des Bundesinnenministers auf diesem Gebiete kennt und wer um den die Kernenergie verneinenden Geist dieses Hauses weiß, wird an der Berechtigung dieser Vorwürfe nicht zweifeln. Zu beklagen ist vielmehr, daß sich ähnlich destruktive Arbeitsweisen längst auch in Teilen desBMFT und im Bundeskanzleramt selbst eingenistet haben.
Aber auch die auf Betreiben linker SPD/FDPKreise vom Deutschen Bundestag erneut einberufene Enquete-Kommission Kernenergie
— Herr Kollege Schäfer, jetzt sollten Sie zuhören — ist letztlich diesem destruktiven Geist entsprungen. Oder warum sonst war es für die Regierungskoalition unverzichtbar, daß als Vorsitzender der alten wie der neuen Enquete-Kommission offenbar nur ein ausgewiesener Kernkraftgegner der SPD in Betracht kam? Hier eröffnen Sie in sehr verhängnisvoller Weise Spielwiesen, die unsere Wirtschaft im Kern treffen.
Der Bundesregierung sind die unbestreitbaren Vorteile der friedlichen Nutzung der Kernenergie sehr wohl bekannt. Die Dritte Fortschreibung enthält in verklausulierter Form einen ganzen Katalog von Argumenten, die sich für einen drastischen Ausbau der Kernenergie ins Feld führen ließen. Da aber — politisch gemeint — nicht sein kann, was nicht sein darf, wird die fällige Nutzanwendung hieraus nicht gezogen.Die Versäumnisse beim Ausbau der friedlichen Nutzung der Kernenergie müssen vom Stromverbraucher schon heute mit 3 Milliarden DM pro Jahr bezahlt werden.
Das sind ja nicht die Versorgungsunternehmen, sondern das ist derjenige, der den Strom verbraucht. Die Kraftwerksunion beziffert die Bauverzögerungen bei allen deutschen Kernkraftwerken derzeit auf nahezu 100 Jahre, die Folgelasten in Form von Mehrkosten für die Zeitspanne von 1980 bis 2000 — Mehrkosten! — auf 240 Milliarden DM.
Minister von Bülow hat zu Recht beklagt, daß in der Bundesrepublik bei der Erzeugung von elektrischer Energie nur etwa 30 % in der Grundlast durch Gas erzeugt werden. Aber wem sagt er das? Wer, wenn nicht die Politik, ist denn dafür verantwortlich, daß in der Bundesrepublik seit mehr als einem halben Jahrzehnt kein Kernkraftwerk mehr genehmigt worden ist? Nach Aussagen des Vorstandsvorsitzenden der Kraftwerksunion brauchen wir unter den heutigen Genehmigungs- und Akzeptanzverhältnissen für den Bau von Kohlekraftwerken sechs Jahre und für den Bau von Kernkraftwerken 10 Jahre, wobei in beiden Fällen fast die Hälfte der Zeit für Planung und Genehmigung draufgeht.In welchem Maße Genehmigungsverfahren inzwischen pervertiert worden sind, läßt sich besonders anschaulich am fortgeschrittenen Reaktortyp Schneller Brüter in Kalkar verdeutlichen. Dort müssen jährlich 50 t Papier bearbeitet werden, um den Genehmigungsanforderungen gerecht zu werden. Mit dem Technischen Überwachungsverein sind in den letzten acht Jahren 2 000 protokollierte Besprechungen geführt worden. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß das Gesamtbudget für das Projekt Kalkar von ursprünglich 1,5 Milliarden DM auf weit über 5 Milliarden DM angewachsen ist.
Die Regierung sollte nicht so tun, als wäre diese exorbitant hohe Kostensteigerung der Preis für die vorrangig zu gewährleistende Vorsorge für die Sicherheit der Bevölkerung. Diese Vorsorge ist zweifelsfrei und von Anfang an unbestritten. Wir haben alle Kinder. Niemand ist so vermessen, zu glauben, daß Sicherheit nicht notwendig ist. Die Bundesregierung hat bereits in den 50er Jahren eine Bundeseinrichtung dafür gegründet, nämlich die Bundesanstalt für Strahlenschutz, seinerzeit in Neuherberg. Sie errichten hier einen völlig überflüssigen und falschen Kriegsschauplatz. Natürlich ist Sicherheit unverzichtbar. Die in Kalkar verlangten erdbebensicheren Büroräume und Toilettenanlagen sind j eden-falls nicht geeignet, die Sicherheit des Schnellen Brutreaktors zu erhöhen.
Diese und andere kostenaufwendige Auflagen sind vielmehr das Ergebnis einer politischen Verunsicherungskampagne, die das Exkulpationsbedürfnis bei den beteiligten Firmen, Behörden und Gerichten ins
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4382 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Dr. ProbstUferlose hat anwachsen lassen. Die Verantwortungsscheu der Politiker in Düsseldorf und Bonn hat sich in geradezu epidemischer Weise auf die mit dem Projekt Kalkar befaßten Personen und Organe übertragen. Der Schnelle Brüter hätte schon längst in Betrieb sein können, wenn nicht gerade hier eine politische Diskussion angezettelt worden wäre, deren Obstruktion, Opportunismus und Hysterie kaum noch zu überbieten ist. Es ist deshalb allein politisch zu verantworten, wenn sich die Baukosten mehr als verdreifacht haben, weil die Genehmigungsverfahren ebenso irrational wie unkalkulierbar geworden sind.Ich könnte jetzt noch ein paar Freundlichkeiten zu den Exministern Hirsch und Riemer von Nordrhein-Westfalen sagen. Ich erspare mir das aber.
Der Directeur des Applications Industrielles Nucléaires hat im Oktober letzten Jahres auf dem Status-Seminar in Kalkar einen eindrucksvollen Bericht über den aktuellen Stand der französischen Bemühungen um die friedliche Nutzung der Kernenergie gegeben. Die französische Nationalversammlung hat mit großer Mehrheit beschlossen, daß die bisherige Kernenergiepolitik unverändert fortgesetzt wird, mit der einzigen Einschränkung, daß Ende der 80er Jahre nicht 56 — Sie hören richtig—, sondern nur 53 — Sie haben es wieder richtig gehört — Kernkraftwerke am Netz sein werden.
Der Super Phénix wurde 1976 in Angriff genommen und sollte 1983 fertiggestellt sein. Dieser Termin verzögert sich nur um ein Jahr bis 1984 — und das bei einem Welt-Prototyp. Der Super Phénix wird 8 Milliarden Franc kosten; dieser Betrag liegt 25 % über dem Kostenvoranschlag. Das heißt mit anderen Worten: Der Super Phénix ist am Ende weit billiger als der Schnelle Brüter in Kalkar, obwohl er technisch wesentlich weiter fortgeschritten ist und obwohl er die vierfache Kapazität aufweist.
Ich nehme an, daß diese nüchternen Angaben des Franzosen den in Kalkar anwesenden Regierungspolitikern aus Düsseldorf und Bonn schrill in den Ohren geklungen haben, denn hier ist doch maßstabsgerecht unser einzig und allein politisch zu verantwortendes Dilemma aufgezeigt worden. In Frankreich gibt es den Rapport définitif, d. h. Ingenieure und Techniker können an die Arbeit gehen. Demgegenüber gibt es bei uns nicht endenwollende Anhörungsverfahren, Gerichtsverfahren, Revisionsverfahren, Gutachten, Gegengutachten, Kommissionen, Optionen
und am Ende bei den Beteiligten immer mehr Frustration und Flucht aus der Verantwortung. Das istnicht mehr Reaktorsicherheit, sondern regierungsamtliche Hilfslosigkeit, die sich in Bürokratie entlädt.
Die Bundesregierung räumt in ihrer Dritten Fortschreibung selber ein, daß die Planungs- und Bauzeiten für Kernkraftwerke beträchtlich zugenommen haben. Sie begründet diese Verlängerungen zum Teil mit vorgeblichen Sicherheitserwägungen, sagt aber auch — ich zitiere —:Gerichtsverfahren, Probleme der Akzeptanz und Unsicherheit bei Politik, Gesellschaft und beteiligter Wirtschaft haben hier zusammengewirkt. Diese Unabwägbarkeiten haben die Investitionsentscheidungen erheblich beeinflußt.Was die Bundesregierung hier lapidar als Unabwägbarkeiten einzustufen versucht, ist in Wirklichkeit eine politische Selbstanklage, denn die Franzosen sind in ihrer Kernenergiepolitik doch keine unberechenbaren Abenteurer oder technologischen Hasardeure. In Frankreich wird auch nicht, wie es Graf Lambsdorff neuerdings darzustellen versucht, in der Kernenergiepolitik Rechtsbeugung betrieben. In Frankreich wird lediglich — und zwar quer durch alle Parteien — im Bereich der Kernenergiepolitik verantwortungsbewußt gehandelt. Eben daran mangelt es bei uns seit Jahren. Die Franzosen werden in Kürze einen 50%igen Strompreisvorteil haben. Was das für Arbeitsplätze bedeutet, mag sich jeder, der heute bereits arbeitslos ist, selbst überlegen.Die Atomdiskussion — damit möchte ich schließen —, so sagt Professor Maier-Leibnitz, sei bei uns so unbeschreiblich polarisiert, weil es dabei oft weniger um Kernenergie als um Macht, um Kampf gegen Autoritäten und um gesellschaftliche Veränderungen gehe.
Leider wird auch die Dritte Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung dieser politisch niederschmetternden Erkenntnis wieder einmal in geradezu spiegelbildlicher Weise gerecht. — Vielen herzlichen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Reuschenbach.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dieser Rundumschlag unseres Kollegen Probst paßt allenfalls in die beginnende Karnevalszeit,
aber wenig in eine ernst zu nehmende Erörterung der politischen Landschaft und der energiepolitischen Zielsetzungen. Es war ein bißchen viel an Ignoranz.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4383
ReuschenbachOb man über das Tempo des Weiterbaus z. B. des Schnellen Brüters bis zu seiner Fertigstellung froh sein kann oder nicht, ist eine Frage für sich. Mein Kollege Steger wird darauf noch ein bißchen detaillierter eingehen. Wer sich heute hier aber mokiert, daß dieser Weiterbau reichlich schleppend vor sich gehe, muß sich daran erinnern lassen, daß er mit seiner Fraktion im Dezember 1978 gegen den Weiterbau des Schnellen Brüters votiert hat.
Sie haben damals hier eine Entschließung abgelehnt, in der die Koalitionsfraktionen für den Weiterbau des Schnellen Brüters bis zur Fertigstellung eingetreten sind.
Sie haben zu dieser Entschließung nein gesagt. Ich habe damals Ihre miesen taktischen Erwägungen dabei durchaus verstanden. Aber in der Sache haben Sie zum Zuendebauen des Schnellen Brüters nein gesagt.
Herrn Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Riesenhuber?
Nein. Herr Kollege Riesenhuber, Sie brauchen doch Ihren Kollegen Probst nicht zu verteidigen, dessen Meinung Sie doch weithin gar nicht teilen.
Der Hinweis des Kollegen Probst auf Frankreich ist so vordergründig wie nur irgend etwas.
Wenn die Bundesrepublik Deutschland bei ihrer Stromerzeugung noch zu 40 oder 45 % vom Öleinsatz abhängig wäre, wäre der Druck auf die Veränderung dieser Stromerzeugungsstruktur natürlich ein ganz anderer als jetzt, wo man es inzwischen geschafft hat, auf einen Einsatz von 6 oder 7 % herunterzukommen.
Das ist das Thema für die Bundesrepublik Deutschland, daß wir auf diesen niedrigen Prozentsatz heruntergekommen sind. Das ist ein Erfolg, den Sie nicht zerreden sollten.
— Wissen Sie, Herr Probst, Sie meinen das vermutlich nicht so. Aber so, wie Sie aufgetreten sind und bei Ihrer Rede mit Ihrem lautstarken Lamento darüber, daß es überhaupt noch Gerichte gebe und Bürger, die zu den Gerichten gingen, gewirkt haben, hat man den Eindruck, am liebsten wäre Ihnen am Ende eine Energiepolitik, die wie die Verwirklichung von Truppenübungsplätzen gestaltet wird — eine Militarisierung der gesamten energiewirtschaftlichen Planung. Die Konsequenz wäre, daß der Bundesgrenzschutz bei jeder Energieanlage aufzumarschieren hätte. Ich muß Ihnen sagen: Sie passen nicht einmal in die energiepolitische Landschaft der Union, weil
es da eine Reihe vernünftiger Leute gibt, die sachlich arbeiten.
Sie und Ihre Kollegen haben offensichtlich immer noch nicht begriffen, daß sie mit der Gretchenfrage an die Koalition oder an die SPD, ja oder nein zur Kernenergie, schon lange ins Leere laufen.
— Ja, auch bei Herrn Schäfer, weil auch Herr Schäfer den Satz, die Zielsetzung der Beratungen der Enquete-Kommission, „im Rahmen des Bedarfs Zubau von weiteren Kernkraftwerken" bejaht. Insofern gilt das auch für Herrn Schäfer.
— Wissen Sie, dieses platte Schwarz-Weiß-Schema, ja oder nein, gilt nicht mehr. Jetzt geht es doch ganz schlicht und einfach um die Frage, unter welchen Bedingungen der Zubau, der von allen entsprechend dem Bedarf befürwortet wird, stattzufinden hat. Und wer sich hier über den Begriff Bedarf mokiert, den kann ich doch nur fragen, ob er denn erkennbar und bewußt über den Bedarf hinaus Kapazitäten aufbauen will.
Wer sich über Kosten aufregt, der muß sich in dem Punkt vorhalten lassen, daß es allerdings die teuerste Energiepolitik wäre, wenn man bewußt über den notwendigen Bedarf hinaus Kapazitäten zubaute.
Es geht auch nicht, so, wie gelegentlich von Ihnen gesprochen wird, um die eine große Entscheidung in der Kernenergiepolitik, die jetzt in einer Stunde, hier und heute zu treffen sei und mit der die Welt heil und in Ordnung für denjenigen wäre, der wie ich den Zubau von Kernkraftwerken für nötig hält, sondern es sind viele Entscheidungen an vielen Stellen und auf mehreren Ebenen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Probst?
Herr Probst, welche Ebene meinen Sie: die bayerische Landesregierung?
Herr Kollege Reuschenbach, Sie sprachen davon, daß es um Überkapazitäten im Kernkraftwerksbau gehe,
daß man doch wohl keine Überkapazitäten schaffen möchte
— bewußt herbeiführen wolle —: Ist Ihnen bekannt,daß das Bundeswirtschaftsministerium damit rech-
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Dr. Probstnet, daß eine Kapazität im Grundlastbereich von 8 000 bis 9 000 MW derzeit schon fehlt?
Ja, diese Einschätzung halte ich auch gar nicht für abwegig. Ich habe aber nicht über diese Einschätzung gesprochen, sondern ich habe mich gegen die Kritik an dem Begriff „bedarfsgerechter Zubau" gewandt. Wer dieses Beiwort „bedarfsgerecht" weghaben und Zubau um jeden Preis will, der versündigt sich, der treibt eine Politik, die ohne Berücksichtigung des Bedarfs Kapazitäten errichten will.
— Das ist nach dem Energiewirtschaftsgesetz von den dafür zuständigen Einrichtungen, Elektrizitätsversorgungsunternehmen, Landesregierungen, festzustellen. Die bayerische Landesregierung stellt z. B. den Bedarf für Bayern fest, und weder Sie noch ich haben dieses zu tun.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Probst, Herr Abgeordneter?
Nein, der Kollege Probst stellt immer Fragen, die nicht die Sache betreffen.
Deswegen möchte ich mich damit nicht länger aufhalten.
Daß es auf so vielen Ebenen an vielen Stellen so vieler Entscheidungen bedarf, hat die Bundesregierung Ihnen auf Ihre Große Anfrage zur Sicherstellung und Endlagerung von radioaktiven Abfällen in 20 oder 30 Punkten im einzelnen dargestellt. Wenn Sie diese Debatte wollen, dann werden wir sie führen, aber wirklich detailliert: Wo ist es nötig, diese und jene Entscheidung zur Sicherung der Entsorgung zu treffen? Denn das ist in der Tat die Voraussetzung und die Hauptfrage für die Zukunft der Kernenergie.Ob nämlich zügig genug die erforderlichen Schritte zur Entsorgung getan werden, das ist die Hauptfrage.
Da genügt es nicht — so nötig das auch ist — diese Prämisse und jene Vorbedingungen verbal festzustellen, sondern da ist es nötig, daß realisiert wird. Ich muß Ihnen klipp und klar sagen, daß es entgegen Ihrer Kritik kein Regelungsdefizit durch Bundesorgane, Bundesregierung oder Bundestag gibt, sondern daß es um die Verwirklichung der nötigen Maßnahmen — weitgehend in der Zuständigkeit der Länder und der zuständigen Wirtschaft — geht.Dieses Vollzugsdefizit, diese Vollzugsrückstände sind zu beklagen. Nur, wer das über die Klage hinaus in Kritik ummünzen will, der muß sich andere Adressaten suchen. Dennoch bedeutet die Feststellung dieses Zustandes, daß sich alle miteinander darum kümmern müssen, dafür votieren und dafür eintreten müssen, daß Zwischenlager gebaut wer-den, daß die Demonstrationsanlage für die Wiederaufarbeitung kommt, daß das rückholbare Endlager geprüft wird, daß endgültige Endlager vorangetrieben werden. Wir von der SPD-Fraktion sagen in dem Zusammenhang —
— auch Herr Schäfer sagt das;
er wird das danach, wie ich annehme, bestätigen — mit dem endgültigen Endlager: Es wäre hilfreich, wenn sich die niedersächsische Landesregierung dazu bequemen könnte, vorsorglich auch eine zweite und dritte Untersuchung anzustellen.
Es gibt natürlich bei der Verwirklichung der Entsorgungsmaßnahmen und -regelungen immer wieder Proteste und Klagen. Darüber kann sich nur wundern, wer auf einem anderen Stern lebt. Da ist im Prinzip auch nichts abzuschneiden, da ist auch nichts einzuengen. Wer die Möglichkeit des Bürgers, zum Gericht zu gehen, abschneiden will, der hat ein gebrochenes Verhältnis zu Bürgerrecht und zu demokratischem Leben.
Aber seine Meinung muß man dazu sagen:Eine prinzipielle Ablehnung von Entsorgungseinrichtungen durch Gegner der friedlichen Nutzung der Kernenergie ist politisch und sicherheitstechnisch unverantwortlich.
Denn die zwei Parolen — einerseits „keine neuen Kernkraftwerke" und andererseits „keine Zwischenlager und keine Endlager" — auf dem gleichen Plakat sind ein Widerspruch in sich und moralisch und politisch nicht in Ordnung.
— Herr Riesenhuber, lassen Sie doch diese Kinkerlitzchen! Dieses Händezeigen auf die SPD-Bundestagsfraktion! Die SPD-Bundestagsfraktion ist der Meinung, daß Entsorgung mit den Schritten, von denen ich sprach, herbeigeführt werden muß
und daß wir uns dafür einsetzen müssen und alle Landesregierungen, die auf dem Weg vorangehen — leider nicht Ihre, mehr die sozialdemokratischen in Nordrhein-Westfalen und in Hessen — unterstützen müssen.Ich wollte sagen, daß diese beiden Parolen zusammen auf einem Plakat nicht in Ordnung sind. Denn auch, wenn kein einziges Kernkraftwerk zugebaut wird, muß Entsorgung in diesen Schritten und mit
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Reuschenbachdiesem Ziel realisiert werden. Und darum wollen wir uns kümmern.
Unterm Strich steht, wenn ich noch mal die Union angehen darf, leider sehr oft — Herr Riesenhuber, bei Ihnen weniger als bei dem einen oder anderen Kollegen —, daß die Kameraden in den verbalen Bekenntnissen groß sind. Nur da, wo es darum geht, nicht nur den Mund zu spitzen, sondern auch zu pfeifen, in den Ländern konkret zu handeln, da ist dann oft Funkstille. Das ist bedauerlich. Auch das paßt nicht zueinander.Wenn man die Beschreibung der energiepolitischen Landschaft von manchem Unionsredner — Herr Probst ist da natürlich führend, wie er oft führend ist — wie leider auch die einleitenden Bemerkungen von Herrn Riesenhuber einmal so für sich nimmt, ohne zu wissen, von welchem Land sie gesprochen haben, dann könnte man den Eindruck gewinnen, sie redeten von einem Land, in dem jeden Tag mindestens drei Stunden der Strom abgeschaltet wird, in dem lange Schlangen an den Tankstellen darauf warten, endlich zehn Liter Benzin für die nächsten drei Tage zu bekommen, von einem Land, in dem die Menschen jetzt, in dieser Jahreszeit in den Wohnungen mit dicken Mänteln und mit Pelzmützen auf den Sofas und Stühlen sitzen, weil sie sonst frieren würden, in dem die Straßenbahnwagen wieder von Pferden gezogen werden, weil der Strom für die Zugmaschine nicht mehr vorhanden ist. Diese Beschreibung trifft auf was weiß ich für ein Land zu, jedenfalls nicht auf die Bundesrepublik Deutschland.
Da alles ganz anders ist, nämlich genau gegensätzlich zu dieser Katastrophen- und Chaosbeschreibung, kann ich feststellen — ich lade Sie ein, das mindestens so zu denken, wenn Sie es nicht gleichzeitig auch sagen wollen —, daß die Energiepolitik hierzulande in den zurückliegenden Jahren alles in allem doch ganz erfolgreich war, seitdem es in der Welt auf diesem Felde drunter und drüber geht. Es ist j a doch keine Schande, das zuzugeben, mindestens freundlich nickend, wenn auch nicht mit Worten.Dennoch besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß die Gesundung unserer Volkswirtschaft vor allem von der Lösung der strukturellen und finanziellen Energieprobleme abhängig ist. Diese Probleme sind j a nicht von Pappe.Da gibt es zunächst einmal die Nettoenergiezahlungsbilanz mit 60 bis 70 Milliarden pro Jahr. Das sind immerhin 4 % bis 5 % des Bruttosozialprodukts. Dieser Export von Volkseinkommen für Energieimporte mindert das verfügbare Volkseinkommen natürlich erheblich.Da sind die gestiegenen und steigenden Energiepreise, die natürlich Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit haben, auch wenn sie über die ganze Wirtschaft hinweg nicht schematisch gleichmäßig sind. In einzelnen Branchen sind sie größer, in anderen geringer, aber sie sind doch von gravierender Bedeutung.Schließlich bedeutet eine gleichbleibend hohe Importabhängigkeit in internationaler Beziehung, daß man früher und härter als andere ins Gedränge des weltweiten Wettlaufs um knapper und teurer werdende Quellen und Lieferungen gerät. Gott möge mithelfen, daß dieser Wettlauf auf Dauer ein friedlicher Wettlauf bleibt. Darüber, daß rationeller und sparsamer Umgang mit Energie, Änderung der Versorgungsstrukturen, Verringerung der spezifischen Verbräuche ganz obenan stehen, kann es gar keine Meinungsverschiedenheiten geben. Matthöfer und Lambsdorff haben recht, wenn sie im Zusammenhang mit der Wiedererlangung ökonomischer Stabilität das Bemühen um die Lösung unserer Energieprobleme an die erste Stelle setzen.Wenn man einmal vom sparsamen Verbrauch des einzelnen Energieverbrauchers als Autofahrer, als Mieter, als Betriebsleiter absieht, was ja wertvoll genug ist, dann ist rationeller Einsatz von Energie Substitution, nämlich Substitution von Energie durch Kapitaleinsatz. Daraus ergibt sich, daß die Energiewirtschaft, die energieverbrauchenden Unternehmen, die Hausbesitzer und der Staat künftig gewaltige Summen in die Hand nehmen müssen, um den Substitutionsprozeß rasch genug voranzubringen. Die derzeit noch hohe Energieabhängigkeit und die Notwendigkeit ihrer Verringerung bedeuten dann in finanzieller Hinsicht eine doppelte Last, nämlich einerseits, wie gesagt, 60 bis 70 Milliarden pro Jahr an Nettozahlungen nach draußen zu transportieren und andererseits gleichzeitig große und steigende Investitionssummen für die Änderung der Versorgungsstruktur in die Hand zu nehmen. Beide Größen stehen dem öffentlichen und dem privaten Verbrauch nicht zur Verfügung. Das muß natürlich Konsequenzen für den Lebensstandard und für öffentliche Leistungen haben.Dennoch finde ich, daß diese Perspektive nicht in erster Linie Anlaß zu Angst und Sorge, sondern eher eine Chance und Grund für Hoffnungen ist. Denn wenn Investitionen zur Bewältigung der Zukunftsaufgaben in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt kriegsentscheidend sind, dann ist der mehrere 100 Milliarden DM umfassende Investitionsschub des nächsten Jahrzehnts für Energieinvestitionen ein unverzichtbarer Beitrag zur Bewältigung der Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung. Das muß man wollen. Da darf man nicht gegenkalten, da darf man nicht hemmen.Es gibt Sünder auf vielen Seiten des Hauses und unseres Landes. Herr Riesenhuber hat an einer Stelle gesagt — in einer langen Aufzählung —, es gehe mit der Fernwärme nicht schnell genug voran. Herr Riesenhuber, da haben Sie objektiv recht. Aber nachdem Sie auch Bewertungen angefügt haben, wer da nun wieder schuld ist, müssen Sie sich doch fragen lassen, ob es nicht auch eine Sünde wider den Heiligen Geist der richtigen Energiepolitik war, daß über zwei Jahre hinweg unionsregierte Länder, insbesondere der Herr aus dem hohen Norden, die Vereinbarung über ein Fernwärmeprogramm blockiert hat. Wollen wir uns doch nicht gegenseitig total ma-
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Reuschenbachdig machen! Sünder gibt es auf vielen Seiten. Manche sind da tiefer verstrickt als andere. Was Sündhaftigkeit angeht, ist ja zu vermuten, daß die Union eher zu Sündhaftigkeit neigt, weil das Wort „schwarz" — „schwarze Seele" — eher für Sündhaftigkeit steht als „rot".
Herr Abgeordneter, ich bitte zum Schluß zu kommen.
Das will ich gern tun.
Ich will darauf aufmerksam machen, daß auch in den eigenen Reihen Versuchungen denkbar sind. So muß ich dringend die Bundesregierung bitten, sich gründlich zu überlegen, ob sie bei den schwerwiegenden und ernstzunehmenden Einwendungen — jetzt meine ich nicht diejenigen der betroffenen Wirtschaft, sondern z. B. die des Deutschen Anwaltvereins gegen die Neufassung der Technischen Anweisung „Luft" mit der Besorgnis darüber, daß neue Rechtsunsicherheit und neue Unwägbarkeiten in die Genehmigungsverfahren hineinkommen — den Referentenentwurf, der im Herbst vorigen Jahres publik geworden ist, so über die Bühne gehen lassen will oder ob sie nicht noch einmal in sich gehen will, um ihn zu überprüfen.
— Ja, ich habe nicht gesagt, daß die Weisheit nur auf einer Seite des Hauses sitzt, sondern die ist mehr oder weniger gleichmäßig über die Landschaft verteilt. Da muß man sich Mühe geben, die Kapazitäten zusammenzufassen, und sich weniger Mühe geben, sie auseinanderzudividieren. Das wollen wir in den Ausschußberatungen tun. Da wollen wir uns Mühe geben, die Abwägungen zu treffen, die nötig sind, und zu prüfen, ob nicht die eine oder andere zusätzliche Anhörung in den Ausschüssen nötig ist, z. B. zu den Fragen der Genehmigungsverfahren, zu der Technischen Anweisung „Luft" und manches andere. Dann sollten wir nach ein paar Monaten, aber nicht erst nach vielen Monaten — weil dann die Aktualität längst wieder verschwunden ist — eine neue Debatte führen, in der natürlich auch der Herr Probst wieder herzlich willkommen ist. Es war eh heute morgen ein bißchen langweilig. Da hat er aufgelockert. Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laermann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Probst hat hier sehr schweres Geschütz aufgefahren. Das waren Kanonenschläge. Wobei es mir in der Fülle der Kanonenschläge gar nicht mehr möglich gewesen ist, die Fülle seiner Unsachlichkeiten und unrichtigen Darstellungen zu verfolgen.
Offenbar wollten Sie, Herr Kollege Probst, ein gestörtes Verhältnis zur Demokratie und zu Bürgerrechten demonstrieren. Andernfalls kann ich mir gar nicht vorstellen, wieso Sie eigentlich immer so sehrauf die französischen Verhältnisse abgehoben haben. Wir sind hier in der Bundesrepublik, und wir haben mit unserem System fertig zu werden. Wir sind mit unserem System und unserem Demokratieverständnis an die Lösung der Energieprobleme herangegangen.
Sie haben auch wieder deutlich gemacht, wie der schon eingangs von einem Kollegen erwähnte Gegensatz und Widerspruch in den energiepolitischen Vorstellungen innerhalb der Oppostionsfraktion — nämlich ein Gegensatz zwischen Ihnen und Herrn Riesenhuber — hier aufgebrochen ist. Herr Riesenhuber hat sich ja mindestens streckenweise noch mit der Sache Energie selbst befaßt. Bei Ihnen hatte ich nicht den Eindruck. Aber, wie gesagt, es wurde deutlich, daß auch in der Opposition offenbar sehr große Uneinigkeit über die Energiepolitik besteht.
Oder ist Ihr Auftritt der Ausfluß einer Arbeitsteilung zwischen CDU und CSU? Dann, Herr Kollege Probst, haben Sie hier leider demonstriert, daß offenbar die CSU für das Nichtdurchgesetzte zuständig ist.Herr Kollege Riesenhuber, Sie haben hier von der Doppelstrategie gesprochen. Ich frage Sie: Wollen Sie nicht einmal in den eigenen Reihen nachforschen, welche Art von Doppelstrategie zwischen Ihrer Fraktion und beispielsweise einigen Landesregierungen besteht, die von der CDU gestellt werden? Ich glaube, da haben Sie auch genügend Stoff, um einmal über Auswirkungen einer gewissen Doppelstrategie nachzudenken, und brauchen das uns, den Koalitionsfraktionen, hier nicht vorzuwerfen.
— Man kann ihn Ihnen gegenüber aber nicht oft genug wiederholen, denn Sie scheinen ihn sonst nicht begreifen zu wollen.
Die Dritte Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung trägt der wirtschaftlichen und insbesondere der energiewirtschaftlichen Entwicklung Rechnung. Das Ergebnis, das uns hier vorliegt und das in die Ausschüsse gehen soll, zeigt deutlich, daß wesentliche Argumente aus der öffentlichen Diskussion, aus der Industrie wie auch wesentliche Empfehlungen der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergiepolitik" Eingang gefunden haben. Ich möchte das ausdrücklich begrüßen. Ich verstehe überhaupt nicht, warum der Kollege Riesenhuber immer darauf abheben will, daß es eigentlich immer nur die Minderheitenvoten gewesen sind, die übernommen worden sind.
Hier ist ein Katalog von Vorschlägen vorgelegt worden, aus denen nach Prüfung im Gesamtzusammenhang die richtigen Ansätze übernommen worden sind. Sie sollten es unterlassen, Herr Kollege Riesenhuber, immer darauf abzuheben. Im übrigen gehörten auch die von Ihnen benannten Sachverstän-
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Dr.-Ing. Laermanndigen im Ausschuß zu der Mehrheit. Das wollen wir einmal deutlich machen. In der Kommission ging es darum, zu einem Kompromiß zu finden, zu einem Konsens zu finden, der von allen getragen wurde. Denn es war unsere politische Aufgabe, nicht auseinanderzudividieren, sondern zu einem Konsens zu kommen, und ich möchte Sie bitten, das auch zu bedenken.
— Herr Kollege Gerstein, dann gilt das Wort faul, wenn Sie das so nennen, auch für die Bereiche, die Sie mitgetragen haben. Ich würde das allerdings sehr bedauern.Der Schwerpunkt der Dritten Fortschreibung liegt insbesondere auf der rationellen Energieverwendung, also bei den Einsparungen: mehr vernünftiger Umgang mit Nutzenergie auf der Verbraucherseite. Hier sind, wie schon erwähnt, beachtliche Erfolge erzielt worden. Wir müssen uns weiter anstrengen, und wir dürfen in unseren Bemühungen nicht nachlassen.Es ist aber auch davon auszugehen, daß wir die rationellere Nutzung der Primärenergie stärker zu forcieren haben. Hier sind insbesondere noch Anstrengungen in Forschung und Entwicklung zu machen. Ich denke z. B. an neue Kohletechnologien, umweltfreundliche Kohletechnologien, die es dann erlauben, mit solchen Technologien und Produktionskapazitäten in die Nähe der Verbraucher zu kommen, weil das der vernünftige und notwendige Weg ist, um zu mehr Nutzung und zum weiteren Ausbau der Fernwärme, zur sogenannten KraftWärme-Kopplung zu kommen. Ich denke, daß wir hier auf einem guten Wege sind und daß die Dritte Fortschreibung dieses deutlich macht.Ein bedeutender Aspekt ist in die Dritte Fortschreibung aufgenommen worden, das ist der Aspekt des Verhältnisses von Energie und Energieerzeugung sowie Energieverbrauch zu Umwelt und Umweltbelastung. Die Verflechtungen, die Abhängigkeiten und gegenseitigen Beeinflussungen sind deutlich gemacht worden. Sie werden auch zur Grundlage staatlichen und administrativen Handelns und Verhaltens gemacht. Ich finde, daß das ein bemerkenswerter Tatbestand ist, der hier deutlich herausgehoben werden soll.Es ist auch wichtig — auch dies macht die Dritte Fortschreibung deutlich —, daß sich eine nationale Energiepolitik auch in internationale Bezüge einordnen muß. Hier ist insbesondere die Verpflichtung der Industriestaaten zu erwähnen, nicht länger zwei Drittel der Primärenergie der Welt durch nur ein Drittel der Weltbevölkerung zu verbrauchen. Wir müssen uns darauf einstellen, daß der Weltenergiebedarf rasant wachsen wird, auch bei prozentual nur geringen Zuwachsraten. Da spielt letzten Endes in 20 oder 30 Jahren unser Einsparbemühen überhaupt keine Rolle mehr, wenn der gesamte Weltenergiebedarf, von heute aus gesehen, sich verzweifacht, verdreifacht oder sogar vervierfacht hat.Dennoch müssen wir nach wie vor alle Anstrengungen machen, unseren Energiebedarf in Grenzen zu halten, vor allen Dingen unseren Primärenergiebedarf. Das hat auch etwas mit verstärktem Umweltbewußtsein zu tun, denn die Umweltbelastungen — darauf hat der Rat der Sachverständigen für Umweltfragen deutlich hingewiesen — sind im Hinblick auf die verstärkte Nutzung und den verstärkten Einsatz von fossilen Energieträgern beachtlich und sehr bedenklich und schon heute bedrohlich. Wir sollten diesbezügliche Mahnungen nicht in den Wind schlagen; sie müssen Eingang finden in unsere energiepolitischen Ansätze.Die Bedeutung der Fernwärme habe ich schon besonders herausgestellt, weil sie heute eine der wesentlichen Möglichkeiten ist, den Ölanteil an unserem gesamten Energiebedarf weiter zu reduzieren. Damit ist eben in erster Linie die Möglichkeit gegeben, im Wärmemarkt Öl zu substituieren, nicht aber, worauf Herr Kollege Beckmann schon hingewiesen hat, vorrangig beim Flüssigkraftstoffbedarf. Auf dem Wärmemarkt kann die Kohle durch neue umweltfreundliche Technologien und über neue verbraucherstandortnahe dezentrale Anlagen eine wichtige Rolle spielen.Hier geht es aber nicht darum, nun entweder nur Großanlagen oder nur kleine Anlagen zur KraftWärme-Kopplung zu haben. Ich stimme dem Bundeswirtschaftsminister ausdrücklich zu, wenn er sagt: nicht entweder oder, sondern beides in sinnvoller Ergänzung, und diese sinnvolle Ergänzung muß sich aus ökologischen und ökonomischen Zusammenhängen und Bedingungen ergeben.Das gleiche gilt für harte und weiche Technologien. Es gibt nicht die Alternative „entweder oder". Den Verzicht auf irgendeine der gegebenen Möglichkeiten können wir uns nicht leisten. Deswegen müssen wir nach wie vor auch erneuerbare Energiequellen stärker nutzen und ihre Nutzungsmöglichkeiten entwickeln. Auch diese Quellen leisten einen zwar kleinen, aber doch wichtigen und damit unverzichtbaren Beitrag zur Deckung des Energiebedarfs. Ihre Entwicklung und Nutzung verstärkt zu fördern, die administrativen Hemmnisse abzubauen, das ist eine wichtige und politische Aufgabe.Ihr Einsatz ist von besonderer Bedeutung für die Entwicklungsländer, ohne daß dies allerdings — das möchte ich ausdrücklich betonen — bedeuten darf, daß diesen Ländern dann fortgeschrittene Technologien und dazu zählt auch die Kerntechnik — vorenthalten werden könnten. Das darf darin nicht eingeschlossen sein.Auch unter den langfristigen Aspekten, die ich andeutete, kann auf die Nutzung der Kernenergie nicht verzichtet werden. Derzeit geht es ja vorwiegend um die Stromerzeugung im Grundlastbereich. Hier geht es darum, welcher Bedarf entsteht. Selbst wenn wir keinen steigenden Strombedarf haben, müssen wir davon ausgehen, daß wir derzeit eine ungünstige Kraftwerkstruktur im Grundlastbereich haben,
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Dr.-Ing. Laermannwas sich auf die Industrie und die industrielle Produktion sehr kostenungünstig auswirkt.
— Irgendwo bemühe ich mich, auf den sachlichen Weg zurückzufinden; Sie haben mich davon leider etwas abgebracht.
Die Bundesregierung hat sich den Prognosen der wissenschaftlichen Institute, den Kernenergieanteil auf einen sehr hohen Prozentsatz an der Gesamtenergieversorgung hochzufahren, erfreulicherweise nicht angeschlossen, sondern betont ausdrücklich, daß sich der Zubau am Bedarf zu orientieren hat. Dabei spielen — ich wiederhole es — die Kosten — die Kosten der Energieerzeugung und damit die Kosten der industriellen Produktion — eine Rolle; dies wiederum hat Auswirkungen auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit aller Industriebranchen.Wir brauchen den Zubau auch, um die Beschäftigungslage zu verbessern, nämlich um eine positive Beeinflussung des notwendigen Strukturwandels herbeizuführen. Wir brauchen den Zubau auch zur Erhaltung und Erschließung neuer Märkte für neue Produkte und neue Technologien, zu denen auch Kerntechnologien gehören. Nicht Blaupausen können wir exportieren; wir können nur Anlagen, Produkte und Erfahrungen exportieren.
Deswegen ist der Ausbau der Kernenergie in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der Enquete-Kommission zu realisieren, und zwar in dem notwendigen Zeitrahmen, in dem die Entsorgung gesichert wird, in dem wir weitere Fortschritte in der Entsorgung machen. Zwischenlager werden demnächst angegangen werden. Die Erkundung des Endlagers — im Blick auf dessen Entwicklung und Erschließung — macht Fortschritte.Zur Entsorgung gehören auch Fortschritte in der Fortentwicklung der Wiederaufarbeitungstechnik. Wir können uns auf Dauer nicht von Wiederaufarbeitungstechnologie im Ausland abhängig machen. Deswegen ist eine eigene Wiederaufarbeitungsanlage im technischen Maßstab unverzichtbar. Auch meine ich, im wohlverstandenen Interesse, um Sicherheit sowohl technischer Art als auch im Hinblick auf Proliferationsträchtigkeit zu erreichen, kann in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der INFCE-Konferenz auf Wiederaufarbeitungstechnologie nicht verzichtet werden.Der hohe Standard der Sicherheit ist sicherlich darauf zurückzuführen, daß die Verantwortlichen in unserem Lande in diesem Punkte sehr sensibel sind. Leider Gottes ist manchmal der Versuch unternommen worden, aus dieser Sensibilität zu schließen, daß also die ganze Technik doch so gefährlich sei, was durch die überaus hohe Sensibilität und Verantwortlichkeit, die in den Vorschriften zum Ausdruckkommt, belegt sei. Ich halte dies für eine sehr schlechte und nicht zu vertretende Argumentation. Wir müssen hier dafür sorgen, daß solche verqueren Interpretationen des verantwortlichen Sicherheitsbedürfnisses nicht mehr weiter um sich greifen.
Hier ist von Herrn Riesenhuber auf das fehlende Energieforschungsprogramm abgehoben worden. Herr Kollege Riesenhuber, ich glaube, wir hatten eines, wir haben eines, und wir werden auch da eine Fortschreibung bekommen. Gedulden Sie sich! Insbesondere haben Sie wohl die Situation bei den fortgeschrittenen Reaktorlinien angesprochen. Aus besonderem aktuellen Anlaß möchte ich dazu einige Worte sagen.Sicherlich können die fortgeschrittenen Reaktorlinien keinen konkreten Beitrag zu einem Energieversorgungskonzept für die nächsten 10 bis 20 Jahre leisten; darin können sie nicht aufgenommen werden, denn sie werden sicherlich erst nach 20 Jahren in eine kommerzielle Nutzung einbezogen werden können. Aber wegen der Langfristigkeit der Entwicklungen müssen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten heute gefördert und fortgesetzt werden. Kalkar und Schmehausen sind gewaltige Forschungsprojekte.Sie beweisen aber auch die Leistungsfähigkeit unserer Wissenschaftler, unserer Ingenieure und Facharbeiter. Ihre Kenntnisse, ihre Fähigkeiten und Erfahrungen sind ein unschätzbares volkswirtschaftliches Kapital, das wir nicht auf Datenträger speichern können. Die Arbeiten müssen fortgesetzt, die Experten motiviert werden. Ein Ausstieg aus der einen oder anderen Entwicklungslinie hätte meines Erachtens unweigerlich unvertretbare Folgen, und ein Abbruch wäre insgesamt nicht zu vertreten; denn er würde auch einen unvertretbaren Verlust an Ansehen und Vertrauen in die Leistungsfähigkeit unseres technischen Entwicklungspotentials insgesamt, also auch in anderen Technologiebereichen, zur Folge haben.
Was die Finanzierung betrifft, hoffen wir, daß die Bemühungen und Verhandlungen mit den EVU zu positiven Ergebnissen führen. Ich möchte hier für die FDP-Fraktion sagen, daß wir einer gesetzlichen Verpflichtung zur Forschung nicht zustimmen können, daß wir auch einen Energiepfennig oder Brüterpfennig ablehnen. Wir sind der Meinung, daß Forschungs- und Entwicklungskosten insgesamt ein Kostenfaktor in der industriellen Produktion, also auch bei der Produktion von Strom, sind und damit zum Betriebsergebnis gehören und sich damit natürlich in Kosten und Preisen niederschlagen müssen. Wir gehen davon aus, daß eine freiwillige Lösung der Finanzierung gefunden wird. — Ich möchte mich für Ihre Aufmerksamkeit dabei bedanken.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Spies von Büllesheim.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Laermann und Herr Kollege Reuschenbach, Sie haben gerade meinem Kollegen Probst in Ihren Reden mehrfach sachliche Unrichtigkeit und starke Worte vorgeworfen. Aber Sie haben den Vorwurf der sachlichen Unrichtigkeit nicht begründet. Ich glaube, deswegen müssen Sie die starken Worte auf sich sitzen lassen.
Unsere Position ist völlig einheitlich, und es wird Ihnen gar nicht gelingen, uns in der Energiepolitik auseinanderzudividieren oder uns etwa Uneinigkeit in dieser Frage nachzuweisen, wie wir das bei Ihnen so leicht können, wie sich das von Woche zu Woche immer wieder bestätigt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Laermann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, sehr, Herr Kollege Laermann.
Herr Kollege Spies von Büllesheim, ich bin gern bereit, im einzelnen konkret auf die Ausführungen und auf die von mir erwähnten Unrichtigkeiten einzugehen, wenn Sie mir dabei helfen, daß ich von Ihrer Fraktion weitere Redezeit zur Verfügung gestellt bekomme.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann darf man den Vorwurf nicht erheben, Herr Kollege Laermann. Wenn ich hier einen Vorwurf erhebe, dann muß ich mir auch die Zeit nehmen, ihn zu begründen. Ich glaube, wir sollten das abschließen.
Ich hätte gern ein paar Worte zum Kollegen Wolfram gesagt.
— Ich habe das jetzt nicht verstanden, Herr Steger, und ich möchte meine Redezeit gern ausnutzen.
Herr Kollege Wolfram — er ist leider im Moment nicht da — hat in seiner Rede gesagt, man höre bei der CDU so wenig vom Vorrang für die Kohle. Ich muß das zurückgeben: Davon hört man bei der SPD tatsächlich immer weniger.
Um diesen Begriff ist es da ganz still geworden. Das liegt natürlich daran — da stimme ich mit dem Kollegen Wolfram überein —, daß der Vorrang der Kohle auf dem Gebiet der Verstromung durch den Verstromungsvertrag als erfüllt zu betrachten ist. Das haben wir alle gemeinsam vor diesem Hohen Hause gesagt.
Aber abseits von der Verstromung kann man von einem Vorrang der deutschen Steinkohle bei Ihnen gar nichts mehr vernehmen, es sei denn — das meine ich etwas ironisch — von einem Vorrang bei den Streichungen. Wenn wir nämlich den Etat des
Bundeswirtschaftsministers ansehen, dann stellen wir fest, daß dort besonders bei der Kohle gestrichen worden ist. Da hat die Kohle bei Ihnen einen Vorrang gehabt; das müssen Sie sich sagen lassen.
Wenn Sie schon von dem Begriff des „Vorrangs der Kohle" sprechen, dann müssen Sie sich auch einmal vorwerfen lassen, daß in den zehn Jahren, in denen Sie diesen Begriff immer so lautstark benutzt haben, in der Bundesrepublik Deutschland der Absatz an Kohle — ich denke an die Zeit von 1973 bis 1980 — erheblich zurückgegangen ist. Sie haben vom Vorrang der deutschen Steinkohle geredet, es aber seit der Energiekrise im Jahr 1973 geschehen lassen, daß nicht mehr wie 1973 in Deutschland 84 Millionen t Steinkohle abgesetzt werden, sondern nur noch 78 Millionen t. Das haben Sie offenbar unter dem „Vorrang der Kohle" verstanden.
In der Dritten Fortschreibung ist das Selbstlob enthalten, die konsequente Kohlepolitik der Bundesregierung habe die Förderung und den Absatz auf 90 Millionen t stabilisiert. Dieses Selbstlob wird dann nur noch etwas abgeschwächt dadurch, daß im Nachsatz gesagt wird, „auch" das weltweit gestiegene Energiepreisniveau habe dazu beigetragen.
Meine Damen und Herren, Sie haben vielleicht den vorläufigen Geschäftsbericht 1981 der Saarbergwerke gelesen, der von drei Stichworten bestimmt ist: stagnierender Absatz, steigender Kostendruck, verringerte Beihilfen der öffentlichen Hand. Deswegen weitere Stichworte: sofortiger Einstellungsstopp, Verzicht auf die Ausschöpfung gegebener Fördermöglichkeiten und Drosselung der Investitionen. Das ist nicht nur bei den Saarbergwerken so, sondern das ist die Lage des deutschen Steinkohlebergbaus zu Ende des Jahres 1981. Ein weiteres Indiz für diese Situation ist die Tatsache, daß sich die Lagerbestände im Jahr 1981 um 3 Millionen t erhöht haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfram?
Verehrter Herr Kollege Spies von Büllesheim, wollen Sie mir bestätigen, daß die aktuellen Schwierigkeiten beim Kohleabsatz nicht die Folgen einer fehlerhaften Energiepolitik, sondern z. B. und vor allem aus der Stahlkrise herrühren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Wolfram, das kann ich Ihnen bestätigen; Sie werden es gleich auch im weiteren Verlauf meiner Rede so hören. Aber gerade Ihre Zwischenfrage, Herr Kollege Wolfram, gibt die Gelegenheit dazu — Sie reden von augenblicklichen Schwierigkeiten —, diese regierungsamtliche Sicherheit des Absatzes für 90 Millionen t deutscher Steinkohle im Jahr einmal kritisch unter die Lupe zu nehmen. Das werden wir in den Beratungen des Wirtschaftsausschusses sicher tun.
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4390 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Dr. Freiherr Spies von BüllesheimRichtig und erfreulich und von allen Parteien getragen war das Verstromungsgesetz, ist dieser sichere Absatzblock, der auf diese Weise entstanden ist. Die nervenaufreibende Mühe aller Beteiligten, auch der Beamten des Bundeswirtschaftsministeriums, des Bundeswirtschaftsministers, der Parteien, der Elektrizitätswirtschaft und der Kohle hat wirklich zu einem Jahrhundertvertrag geführt. Wenn dies Wort auch für die Dauer nicht zutrifft, so doch zumindest für die Menge und für die Bedeutung, die dieser Vertrag für die deutsche Kohle hat.Aber wir müssen auch feststellen, daß dieser Jahrhundertvertrag noch nicht voll erfüllt ist. Er ist noch nicht durch Einzelverträge voll ausgefüllt. Es bestehen immer noch Schwierigkeiten im Bereich der Industriekraftwerke und Schwierigkeiten mit der einzelvertraglichen Absicherung im Bereich der niedrigflüchtigen Kohle. Darum muß sich die Bundesregierung bemühen.Man muß weiter sagen, daß die Elektrizitätswirtschaft im Rahmen ihrer Abnahmeverpflichtung erhebliche Lagerbestände aufgebaut hat. Das bedeutet, daß diese Kohle, die abgenommen wird, nicht voll unter die Kessel kommt. Daß sie nicht unter die Kessel kommt, liegt daran, daß zu wenige Steinkohlenkraftwerke gebaut werden. Wir haben darüber bereits mehrmals gesprochen.Und warum werden sie nicht gebaut? Da kann man nicht, wie es manche tun, sagen: Da gibt es j a sogar Genehmigungshalden. Das trifft nicht zu. Wer von Genehmigungshalden spricht, muß gleichzeitig in Betracht ziehen, daß die Rechtssicherheit j a auch innerhalb des jeweils fortgeschrittenen Standes der Genehmigungsverfahren nicht da ist. Ich denke nur an die TA-Luft. Ich erinnere auch — das haben manche von uns gerade in den letzten Tagen auf den Tisch bekommen — an die Studie der VEBA, die darauf hinweist, welche Rechtsunsicherheit der neue Entwurf der TA-Luft allein jetzt wieder in den letzten Monaten gebracht hat.
Unter diesen Bedingungen wird eben kein neues Steinkohlekraftwerk angefangen.
— Die VEBA kommt zu dem Schluß, Herr Schäfer, daß dann, wenn das in dem Entwurf enthaltene, neu eingeführte Verschlechterungsverbot wirksam würde, 95 % der Fläche der Bundesrepublik Deutschland für irgendein Steinkohlekraftwerkbauvorhaben ausscheiden würden.
Hier müssen wir uns gemeinsam bemühen, um den Vorrang der deutschen Kohle wirksam zu machen.
Man sollte auch darauf verweisen, daß die Vorteile des Verstromungsvertrags in den Absatzanteilender sechs Steinkohleunternehmen natürlich sehr unterschiedlich verteilt sind.
— Ich komme gleich darauf zurück. Ich sehe auf meine Uhr.Der zweite Punkt beim Absatz sind die fast 40 % der deutschen Steinkohle, die in den Stahlbereich gehen. Auch hier ist leider die Frage zu stellen, ob dieser Ansatz in dieser Höhe sicher ist. Herr Kollege Wolfram, auch das haben Sie in Ihrer Zwischenfrage schon angesprochen. Der Hüttenvertrag läuft 1988 aus. Die Beteiligten verhandeln noch nicht. Es ist dem Stahl j a wohl auch kaum zuzumuten, in der gegenwärtigen Situation langfristige Bindungen einzugehen. Dennoch: Wer regierungsamtlich behauptet, der Absatz der deutschen Steinkohle habe sich — wie es in der Dritten Fortschreibung behauptet wird — auf 90 Millionen Tonnen stabilisiert, muß auch sagen, wie er diesen Kokskohleeinsatz sieht und ob er in dieser Höhe langfristig zu halten ist.Das muß man auch vor dem Hintergrund der Kokskohlebeihilfe sehen. Wir haben bei den Beratungen über den Wirtschaftshaushalt doch dieses Wechselspiel erlebt: erst 350 Millionen, dann 850 Millionen, schließlich in der letzten Sitzung des Haushaltsausschusses innerhalb von fünf Minuten plötzlich 280 Millionen weniger, so daß nur 570 Millionen blieben. Dadurch ist j a — und das ist für diesen Bundeshaushalt bezeichnend — überhaupt nicht gespart worden, sondern der Bundeshaushalt ist nur auch in diesem Punkt unehrlicher geworden. Denn es bedarf eines ganz besonders günstigen Dollar/ DM-Kurses, um mit 570 Millionen auszukommen. Man kommt mit den 570 Millionen nach aller Voraussicht nicht aus. Darüber sind sich alle klar; sonst hätte das Bundeswirtschaftsministerium j a nicht 850 Millionen vorgeschlagen. Das Ergebnis wird für den deutschen Steinkohlebergbau sein, daß der Selbstbehalt des Bergbaus, der 1981 schon 500 Millionen betrug, wahrscheinlich weiter erhöht werden muß. Ich komme hier wieder auf den Geschäftsbericht der Saarbergwerke zurück, der auch aus diesem Grund so sehr auf Moll gestimmt ist.Die nächste mengenmäßig unsichere Position sind die Lieferungen in die Gemeinschaftsländer. Ende 1981 ist der Vertrag ausgelaufen.Auch die Absatzentwicklung auf dem allgemeinen Wärmemarkt ist nicht befriedigend. Die Umstellung von 01 auf Gas und Kohle reicht j a nicht einmal dazu aus, den allgemeinen Rückgang auf dem Wärmemarkt auszugleichen. Zwar haben wir jetzt einen starken Winter, und das mag die Zahlen für 1982 verbessern. Aber das sollte nicht den Blick dafür verstellen, daß der Absatz von Kohle auf dem allgemeinen Wärmemarkt immer weiter zurückgegangen ist.Auch das groß angekündigte Kohleveredelungsprogramm bringt keinen Absatz. In der Regierungserklärung vorn 4. Juli 1979 hat der Bundeskanzler dieses große Programm angekündigt. Die Zeitungen waren voll davon. Im Januar 1980, verkündete For-
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Dr. Freiherr Spies von Büllesheimschungsminister Hauff mit großem Pressewirbel das eigentliche Programm. Man erweckte den Eindruck und man glaubte vielleicht sogar, daß hier auch für die heimische Kohle mittelfristig ein großer Absatzmarkt gegeben sei: 14 Projekte, 13 Milliarden DM, 12 Millionen Tonnen Steinkohleeinsatz im Jahr 1993! Das waren doch die Zahlen. Und was ist heute? Man wird an die Kindergeschichte von den zehn kleinen Negerlein erinnert: Da waren es nur noch drei, nämlich die drei Anlagen, die übriggeblieben sind, die auch kleiner geworden sind; und sie beruhen immer weniger auf heimischer Steinkohle. Das ist die Bilanz der konsequenten Kohlepolitik.Ich werfe Ihnen das nicht vor.
Ich werfe Ihnen allenfalls vor, mit Luftschlössern Politik gemacht zu haben, die im Ruhrgebiet ankommen sollte, tatsächlich aber nicht realistisch war.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reuschenbach?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke sehr für die Zwischenfrage, aber ich habe nur noch ein paar Minuten Redezeit zur Verfügung. Ich bitte, mir zu verzeihen, wenn ich sie nicht mehr zulasse.Es ist begrüßenswert, daß die Bundesregierung den Erwerb ausländischer Lagerstätten so positiv sieht. Wir teilen diese Sicht.Wir haben bei den Beratungen von der Importkohle zu sprechen. Die Importkohle ist auch eine Konkurrenz für die heimische Steinkohle. Aber sie hat auch eine Art Marktausweitungsfunktion, von der eines Tages — darüber sind wir einig, Herr Kollege Wolfram — auch der Absatz deutscher Kohle profitieren wird.
— Ich habe Sie nicht verstanden. Ich höre ja ein bißchen schwer, vor allem auf dem linken Ohr; das ist hier besonders schlimm. Aber wir sind mit Ihnen völlig einig, daß Importkohle die deutsche Steinkohle natürlich nicht verdrängen darf.
Deswegen ist auch das Prinzip nicht richtig, das da heißt: 40 % Stromabsatz, 40 % Kokskohle, und mit den restlichen 20 % soll die Steinkohle dann selber fertig werden. Das ist schon deswegen nicht richtig, weil eben die 40 % der beiden großen Absatzblöcke sehr unterschiedlich auf die deutschen Bergwerksgesellschaften verteilt sind. Es wird ganz großer Wachsamkeit der Bundesregierung bedürfen, um zu verhindern, daß innerhalb der einzelnen Unternehmen Wettbewerbsverzerrungen entstehen und durch die Importe einzelnen Unternehmen einfach die Lebensfähigkeit genommen wird.Ich möchte noch einmal hervorheben, wie wichtig es ist, dem deutschen Bergmann eine sichere Zukunft zu garantieren, diesen Beruf zu fördern.
Nahe meiner Heimat liegen die niederländischen Kohlevorkommen. Die Niederländer haben vor zwei, drei Jahren eine Studie angefertigt, um einmal festzustellen, ob sie den Steinkohlebergbau wieder aufnehmen könnten. Abseits aller Wirtschaftlichkeit kamen sie in dieser Studie zu dem Ergebnis, daß das schon aus einem einzigen Grunde unmöglich sei: weil keine Bergleute mehr zur Verfügung stünden. Wir haben noch Bergleute, und wir müssen die Stellung der Bergleute deswegen stärken.
Ich sage das auch im Hinblick auf das Bergarbeiter-Wohnungsbauprogramm, über das schon lange geredet, das sehnsüchtig erwartet wird, aber nicht auf die Füße kommt.
Ich müßte die fast vollständige Streichung der Investitionshilfe ansprechen. Aber dazu bleibt keine Zeit mehr.Ich möchte nur noch ein Wort zur Braunkohle sagen. Über die Braunkohle wird nicht geredet, weil sie so problemlos ist; problemlos für die öffentlichen Haushalte und auch problemlos hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit. Es wird auch angenommen, daß sie umweltmäßig problemlos sei. Ich muß schon sagen: Es ist immer wieder erstaunlich, wenn Kernkraftgegner sich gegen den Bau von Kernkraftwerken wenden und sagen, wir sollten mehr Strom aus Braunkohle erzeugen. Wegen 50 oder 100 ha Wald wird demonstriert, deswegen könne dieses Kernkraftwerk oder jene Wiederaufarbeitungsanlage nicht gebaut werden. Diese Kernkraftgegner sollten einmal in meinen heimatlichen rheinischen Raum kommen, um zu sehen, daß Heimat und Umfeld, daß Landschaft nicht nur beeinträchtigt, sondern total beseitigt werden. Dort werden Eigenheime gebaut, obgleich sicher ist, daß sie 20 Jahre später wieder abgerissen werden müssen, weil dann dort wieder die Braunkohle ist. Dort werden Tag für Tag in zehn, zwölf Ortschaften Menschen zur letzten Ruhe gebettet, und gleichwohl weiß jeder bei der Beerdigung, daß diese letzte Ruhe nur fünf, zehn oder 20 Jahre dauern wird. Dann kommt nämlich die Braunkohle. Das sollten sich die vielen Gegner der Kernkraft einmal vor Augen führen.Jede Energieerzeugung ist mit einem Eingriff in die Landschaft verbunden. Das gilt auch und sogar insbesondere im Hinblick auf die rheinische Braunkohle.
Es zeugt für das Verständnis und für den Realitätssinn der betroffenen Bevölkerung, daß dies alles praktisch ohne Bürgerinitiativen abläuft, sondern daß das eben als nationales Opfer hingenommen wird.
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4392 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Dr. Freiherr Spies von BüllesheimDaran sollten sich viele andere Bürger in diesem Staat ein Beispiel nehmen.
Frau Präsidentin, meine Redezeit ist abgelaufen. — Wir werden die Dritte Fortschreibung, für die man, weil sie ein Orientierungsrahmen ist, dem Herrn Bundeswirtschaftsminister und seinen Mitarbeitern natürlich sehr danken sollte, beraten, und wir werden in der inhaltlichen Diskussion hoffentlich erreichen, daß dies eine einvernehmliche Orientierungslinie wird, an der sich der deutsche Steinkohlenbergbau verläßlich ausrichten kann.
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. von Bülow.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen zur Dritten Fortschreibung aus meiner Sicht machen.In den Schwerpunkten der Dritten Fortschreibung finden sich die Kernziele sozialdemokratischer Energiepolitik wieder. Sparsame und rationelle Energieverwendung ist die vorrangige Daueraufgabe. Der Ölanteil muß gesenkt, das Angebot aller anderen verfügbaren Energien erhöht werden. Die deutsche Kohle wird vor dem Hintergund des Vertrages zwischen dem Steinkohlenbergbau und der Elektrizitätswirtschaft stabilisiert. Die Fernwärme aus Kraft-Wärme-Koppelung und Abwärme soll einen größeren Versorgungsbeitrag leisten. Die Energieversorgungskonzepte werden für die lokale Energiesituation von großer Bedeutung werden. Mit ihnen sollen die Bedarfsabschätzung der verschiedenen Energiearten verbessert und regionale und lokale Gesamtstrategien möglich werden. Die Kernenergie wird im Rahmen des notwendigen Grundlastbedarfs ausgebaut.Dieser energiepolitische Kurs entspricht weitgehend auch den Empfehlungen der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergiepolitik" der letzten Legislaturperiode.Ich weiß, daß die Dritte Fortschreibung von manchen kritisiert wird: die Datenbasis sei veraltet, weil die Prognosen der Institute mit 1978 abschlössen; damit blieben wichtige Einsparergebnisse der letzten zweieinhalb Jahre unberücksichtigt und dies würde zwangsläufig zu falschen Einschätzungen der Einsparmöglichkeiten und damit zu unausgewogenen Akzenten der Dritten Fortschreibung führen. — Ich habe mich nicht gewundert, daß die PrognoseErgebnisse der Institute bezüglich der Kernenergie auf Kritik gestoßen sind. Aber über Prognosen sollten wir uns nicht wieder zu einer politischen Phantomjagd tragen lassen. Die Prognosen haben eben keinen entscheidenden politischen Stellenwert. Sie wurden lediglich als Informationshilfen herangezogen; mehr können sie nicht leisten. Entscheidend ist, daß wir auf die tatsächliche weitere Entwicklung flexibel reagieren. Überzogene Prognosen sollen und dürfen nicht als Entscheidungsgrundlage verwendet werden.Die Dritte Fortschreibung ist nicht auf eine bestimmte energiepolitische Entwicklung mit bestimmten Anteilen von Energieträgern zugeschnitten, sondern sie ist flexibel genug, um ein breites Band energiepolitischer Entwicklungen im Rahmen einer grundsätzlichen Orientierung zu ermöglichen und zu fördern. Es wird kein energiepolitischer Weg ausgeschlossen, der einen Versorgungsbeitrag leisten oder einen Einsparerfolg bringen könnte. Wir brauchen alle verfügbaren Energiearten.Nach meiner Überzeugung wird dieser breite Ansatz der Energiepolitik von einer großen Mehrheit der Bürger verstanden und getragen. Trotz vieler Unkenrufe stehen wir seit 1973 ja nicht schlecht da. Weder ist die Sicherheit der Energieversorgung preisgegeben, noch haben wir den vielbeschworenen Atomstaat. Vielmehr haben wir erhebliche Einsparerfolge.Ich weiß, daß auch die Einschätzung des zukünftigen Energie-Einsparpotentials mit methodischen und statistischen Schwierigkeiten belastet ist und von vielen schwer voraussehbaren Faktoren abhängt. Frühere Prognosen haben den Energiebedarf bei weitem überschätzt und die Einsparpotentiale unterschätzt. Ebenso wäre heute der Erkenntniswert für die Energiepolitik gering, wenn einem Maximum bei der Einschätzung des Einsparpotentials ein Minimum bei der Einschätzung der Bedarfsentwicklung gegenübergestellt würde.Daraus die einfache energiepolitische Schlußfolgerung zu ziehen, jetzt auf den Zubau von Kraftwerken zu verzichten, ist bei den sehr langen Vorlaufzeiten, die Investitionen im Energiebereich fast generell aufweisen, unsinnig. Energiepolitik muß langfristig und kontinuierlich betrieben werden.Andererseits bin ich der Überzeugung, daß das Einsparpotential auch heute noch höher ist, als viele in früheren Phasen der energiepolitischen Diskussion geglaubt haben. Fortschreibungen des Status quo greifen hier zu kurz. Wir sind noch keineswegs am Ende der Möglichkeiten von modernen Technologien. Die beträchtlichen Chancen der Mikroelektronik in diesem Bereich — insbesondere dort, wo 01 verbraucht wird — nenne ich als Beispiel.Zum Ausbau der Kernenergie führt die Dritte Fortschreibung aus, daß der gegenwärtige Beitrag der Kernenergie sowie die Planungs- und Bauzeiten nicht den energie- und industriepolitischen Erfordernissen entsprechen. Wenn Sicherheit und Entsorgung gewährleistet werden, halte ich daher einen Ausbau der Kernenergie im Grundlastbereich — ich betone: im Grundlastbereich — nach Bedarf für erforderlich.Damit liegen wir auf der Linie der Koalitionsparteien; dies ist auch mit den Empfehlungen der Enquete-Kommission vereinbar, die doch jeweils einen weiteren Zubau von Kernkraftwerken zulassen. Tatsächlich ist aber der Ausbau der Kernenergie hinter dieser Linie in den letzten Jahren zurückgeblieben;
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Bundesminister Dr. von Bülowdenn seit Juli 1977 hat es keine neue erste Teilerrichtungsgenehmigung für ein Kernkraftwerk mehr gegeben.
Die nüchterne Betrachtung dieser Situation, die gegenwärtige Struktur unseres Kraftwerksparks in den verschiedenen Lastbereichen, die Kostenvor- und -nachteile verschiedener Kraftwerkstypen sowie die wettbewerbspolitischen Konsequenzen eines - ungünstigen Strompreisniveaus im internationalen Vergleich sind Tatsachen, an denen eine verantwortliche Energiepolitik nicht vorbeigehen kann.Der erforderliche Ausbau der Kernenergie hängt von der tatsächlichen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, den weiteren Einsparerfolgen und den entsprechenden Investitionsentscheidungen der Wirtschaft ab. Wie viele Kernkraftwerke das im einzelnen in den nächsten 15 Jahren werden, kann deshalb heute niemand genau sagen. An dieser Frage sollte man sich auch nicht verkämpfen. Das gibt nur Schaukämpfe. Was wir brauchen, ist eine sachliche Diskussion, die die ökonomischen Rahmenbedingungen berücksichtigt. Es gehört deshalb zu den Maßnahmen zur Überwindung der gegenwärtigen Wirtschaftslage, daß wir der deutschen Industrie den Zugang zu einer besonders günstigen Energiequelle, die andere Länder konsequent nutzen, nicht versperren.
Wir müssen auch den Strombedarf und seine Entwicklung — auch die Kostenentwicklung — im Auge behalten, um von dieser Seite in eine Debatte einzusteigen, welches Niveau und welche Struktur die Kraftwerksleistung in der Bundesrepublik Deutschland zukünftig haben soll. Wir werden in den nächsten Jahren festzustellen haben, ob die Institute mit ihrer Meinung recht haben, daß der Stromverbrauch überproportional — nämlich um rund 3 % jährlich — wachsen wird, oder ob es auch beim Strom eher zu einer Art Plafondierung des Bedarfs kommen wird. Von diesen ökonomischen Bedingungen wird der Ausbau der Kernenergie bestimmt und nicht von Grundsatzerklärungen oder Fensterreden.Mit Blick auf die längerfristige Energiesicherung fördert die Bundesregierung die fortgeschrittenen Reaktorlinien, also die Prototypkraftwerke eines Schnellen Brüters in Kalkar und eines Hochtemperaturreaktors in Schmehausen. Die finanziellen Probleme bei beiden Projekten sind bekannt. Die Bundesregierung strebt an, beide Projekte trotz dieser Schwierigkeiten zum Erfolg zu führen. Diese Anstrengungen sind gerechtfertigt, da fortgeschrittene Reaktorlinien gerade einem rohstoffarmen Land wie der Bundesrepublik angesichts der weltweiten Versorgungslage im Energiebereich, die zukünftig eher noch schwieriger wird, die große Chance eröffnen, von Energieimporten zumindest für die Stromversorgung unabhängiger zu werden und eigene Energierohstoffe wie die Kohle besser auszunutzen.Die Bundesregierung hält in der gegenwärtigen Situation allerdings eine stärkere Beteiligung der Elektrizitätswirtschaft an den Kosten des Schnellen Brüters in Kalkar für unausweichlich und absolut erforderlich. Ich möchte betonen, daß diese Forderung ihren Grund nicht allein in den aktuellen Finanzierungsproblemen hat. Hier geht es auch darum, die künftigen Nutzer einer Technologie rechtzeitig und verantwortlich an der Entwicklung zu beteiligen, weil nur so die Gefahr von teuren Fehlentscheidungen vermindert werden kann. Das ist eine Grundsatzfrage.Die stärkere Beteiligung der Elektrizitätswirtschaft am SNR 300 ist aber auch eine Frage der Glaubwürdigkeit ihrer Energiepolitik.
Man kann nicht einerseits die Entwicklung der Schnell-Brüter-Technologie für notwendig halten und vom Staat erwarten, für eine Nutzung dieser Technologie alle Voraussetzungen zu schaffen — auch alle Konflikte zu bereinigen —, andererseits aber substantielle finanzielle Eigenleistungen ablehnen.Über die bisher von RWE, NWK und PREAG bedingt zugesagten Mittel über zusätzlich insgesamt 547 Millionen DM hinaus konnten in den letzten Wochen zwar noch keine weiteren Zusagen für Beiträge von Elektrizitätsversorgungsunternehmen eingeholt werden, es gibt aber positive Anzeichen, daß sich, nicht zuletzt durch die Mitwirkung der Landesregierungen von Bayern und Baden-Württemberg, auch süddeutsche Unternehmen an der Finanzierung des SNR beteiligen werden. Insbesondere die großen bayerischen Elektrizitätsversorgungsunternehmen haben ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Mitfinanzierung erklärt. Bund und Länder müssen gemeinsam ihrer politischen Verantwortung auch bei längerfristiger Orientierung von wichtigen Fachpolitiken gerecht werden.Trotz dieser positiven Tendenz ist die Situation um den SNR 300 durchaus nicht entspannt oder gar gelöst. Weil die dem Bund verfügbaren Mittel zur Finanzierung des Projekts im Vorgriff auf die Leistungen der Elektrizitätsversorgungsunternehmen nur noch bis Mitte Februar reichen, sind zur planmäßigen Fortführung des Projekts anschließend weitere Mittelzusagen unbedingt erforderlich. Es muß allen Beteiligten klar sein, daß sonst das Projekt Schneller Brüter akut gefährdet wäre.Bis Mitte Februar dieses Jahres erwarte ich, daß die Elektrizitätswirtschaft ihre Beteiligung in Aussicht stellt.Bei den vorliegenden bedingten Zusagen für eine stärkere Mitfinanzierung will ich hier erwähnen, daß die Elektrizitätsversorgungsunternehmen erklärt haben, daß sie die Entscheidung des Deutschen Bundestages über seinen Vorbehalt zur Inbetriebnahme des SNR 300 abwarten wollen. Ich begrüße, daß der Deutsche Bundestag die Enquete-Kommission aufgefordert hat, ihre Empfehlung zur Inbetriebnahme des SNR 300 dem Bundestag noch vor der Sommerpause zuzuleiten, und ich würde es für sehr hilfreich halten, wenn wir alsbald danach die
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4394 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Bundesminister Dr. von Bülowentsprechende Diskussion hier im Plenum durchführen könnten.Meine Damen und Herren, ich halte es mit der Enquete-Kommission für richtig, die Handlungsspielräume der Energiepolitik zu erweitern. Dazu kann die Technologiepolitik sicher einen wichtigen Beitrag leisten. Ich halte es für falsch, dieses Ziel mit dem Verzicht auf einzelne leistungsfähige Energiequellen oder der Unterbewertung von Energieeinsparpotentialen zu verbinden. Damit würde die Handlungsfähigkeit gefährlich eingeengt.Energiepolitik kann in einem demokratischen Staat nicht verordnet werden. Dies gilt für den Ausbau der Kernenergie ebenso wie für eine Ausschöpfung eines rein rechnerisch ermittelten Einsparpotentials auf administrativem Weg. Die Qualität der energiepolitischen Diskussion ist mit davon abhängig, wie sich der Bürger durch Politiker, Wissenschaftler, Ingenieure und Energiewirtschaftler informiert und aufgeklärt fühlt. Je mehr die kritische Begleitung des Bürgers durch Sachkunde, durch Verständnis für wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge und durch Kenntnis langfristiger Zielsetzungen gekennzeichnet ist, desto wirkungsvoller und fruchtbarer ist sie.Partikulare Einzelinteressen, etwa nach dem Sankt-Florians-Prinzip, oder ideologische Rechtgläubigkeit mit intoleranten Ausschließlichkeitsansprüchen der einen oder der anderen Art sind weder im energiepolitischen Alltag noch in der kritischen Diskussion hilfreich. — Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kansy.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach den hier schon mehrmals zu Recht dargestellten Erfolgen beim Energieeinsparen, die wir als CDU/CSU begrüßen und weiter fördern werden, sind doch noch einige Anmerkungen nötig.Sparsame und rationelle Energieverwendung, Herr Kollege Rauschenbach, Herr Minister Bülow,
— Pardon: Reuschenbach — ist zwischenzeitlich nicht nur politisch unumstritten, sondern auch von den Verbrauchern unter dem Eindruck des Marktes anerkannt worden.
Herr Bülow, zumindest wir als CDU/CSU werden— und ich hoffe, daß Ihre Ankündigungen tatsächlich Wirklichkeit werden — auch solche Möglichkeiten im Auge behalten, die vielleicht schon wieder in Gefahr sind, aus ideologischen Gründen links liegen gelassen zu werden — wie z. B. den von Ihnen hier genannten Einsatz der Mikroelektronik beim Energiesparen. Aus einer Studie der Fraunhofer-Gesellschaft, die Sie selber in Auftrag gegeben haben, geht hervor, daß 8 bis 9 % des Endenergieverbrauchs durch Einsatz der Mikroelektronik eingespart werden könnten; ein weiteres wesentliches Argument, diese Technologie ideologiefreier zu diskutieren, als das teilweise in diesem Lande passiert.
Die erzielten Erfolge wurden vom Wirtschaftsminister dargestellt. Es ist außerordentlich begrüßenswert, daß der Anteil des Öls am Primärenergieverbrauch von 1973 bis 1981 von 55% auf 45% zurückgegangen ist. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, es wäre außerordentlich leichtfertig, diese Sparerfolge so zu deuten, als ob sich diese Entwicklung unbegrenzt fortsetzen ließe. Der Primärenergieverbrauch insgesamt stieg von 1973 bis 1980, wie die Bundesregierung zu Recht bei der Fortschreibung dargelegt hat, trotz einer Zunahme des Bruttosozialprodukts von 17,5% zwar nur um 3,1 % — erfreulich! Der wesentliche Rückgang von Primärenergie- und Ölverbrauch lag aber 1980 und 1981 — das kann man nicht oft genug sagen —, nämlich mit etwa 14 % beim Primärenergieverbrauch und etwa 22 % beim Ölverbrauch. Diese Jahre waren Jahre wirtschaftlicher Rezession und zunehmender Arbeitslosigkeit. Zudem waren auch beim Energiesparen — wie überall — die ersten Erfolge am leichtesten zu erzielen. Der Verbraucher war bereit mitzuziehen, weil es wirtschaftlich vernünftig war und die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht aus dem Gleichgewicht gebracht wurden.Die CDU/CSU hält deswegen die Auffassung der Bundesregierung in der Fortschreibung für richtig — ich wiederhole das hier an dieser Stelle —, daß die Grundlage der Energiesparpolitik ihre Steuerung über Markt und Preis ist. Ich möchte vielleicht noch einmal anfügen, daß die Bundesregierung hier eher dem Minderheitsvotum der Enquete-Kommission gefolgt ist als dem Mehrheitsvotum.
Wir möchten in diesem Zusammenhang — ich sage das mit aller Härte — Versuche zurückweisen, Energiesparen als Ersatz für eine ausreichende Energievorsorgepolitik zu betrachten,
es sozusagen auch zum ideologischen Vehikel zu machen. Was heißt: Das macht keiner? Ich darf mit Zustimmung der Frau Präsidentin einen Satz unseres Kollegen Schäfer zitieren, der heute leider fast schon zu oft genannt wird. Es gibt ja auch noch andere. Ich zitiere aus der Debatte am 10. Dezember.Die Frage, ob auf Kernenergie verzichtet werden kann, entscheidet sich mit der Frage, ob es möglich ist, entsprechende Energieeinsparpotentiale gesellschaftliche Wirklichkeit werden zu lassen.Meine Damen und Herren, es ist doch genau der falsche Weg, zu suggerieren, als ob Sparpolitik allein die Probleme lösèn kann.
Wer in einer Zeit mit 1,7 Millionen Arbeitslosen, mit Hunderttausenden gefährdeter Arbeitsplätze,
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Dr.-Ing. Kansymit geburtenstarken Jahrgängen, die fast 1 Million zusätzlicher Arbeitsplätze bis zum Ende dieses Jahrzehnts erfordern,
sein Credo auf diese Option beschränkt und verkündet, Energiesparen sei unsere beste Energiequelle, der gleicht jemandem, der zu Hungernden sagt, die beste Nahrungsmittelquelle sei ausreichendes Fasten.
Hüten wir uns vor solchen irreführenden Schlagworten, die im Geiste der Zeit Probleme nur vernebeln, statt sie zu lösen! Sparen ist ein sehr wichtiger Aspekt der Energiepolitik, aber kein Ersatz für Energiepolitik.Dasselbe, meine Damen und Herren, gilt für den Einsatz erneuerbarer Energien. Wir haben die Vorstellung der CDU/CSU dazu schon bei der Diskussion unseres Antrags zum 4,35-Milliarden-Mark-Programm im Juni letzten Jahres vorgetragen. Wir haben begründet, warum wir künftig die knapper werdenden öffentlichen Mittel in einem Nachfolgeprogramm auf die Markteinführung neuer Technologien — z. B. Wärmepumpen —, die Verbesserung von Heizungsanlagen und den Anschluß an Fernheizsysteme — konzentrieren wollen. Nur, auch hier müssen wir uns natürlich fragen: Was können wir real von den neuen Energietechniken erwarten? Die Bundesregierung erwartet, damit 1 bis 5 % des Primärenergiebedarfs im Jahre 2000 abdecken zu können. Ohne die Möglichkeiten von Sonne, Wind, Biomasse, Geowärme und anderen Energiequellen zu unterschätzen, sind wir da sogar noch etwas optimistischer und sehen die 5 % eher als untere Grenze an.Dennoch: Auch im Bereich der Solarenergie z. B. wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Eine Bestandsaufnahme ist notwendig — das ist hier schon gesagt worden —, um zu sehen, ob die bisher aufgewendeten öffentlichen Mittel richtig eingesetzt werden. Da gibt es Zweifel. Die CDU/CSU hat im Dezember letzten Jahres dazu eine Kleine Anfrage eingebracht; wir warten noch auf die Antwort.Dasselbe gilt für den Wind. Ob sich Großwindanlagen wie GROWIAN mit Gesamthöhen von 150 Meter bei 100 Meter Rotordurchmesser hinsichtlich Stand- zeit, hinsichtlich Kapitalaufwand und auch hinsichtlich Akzeptanz durch die Bevölkerung, die in dieser Gegend zu leben hat, bei einer Leistung von nur 2 Promille eines Großkraftwerkblocks wirklich durchsetzen werden, bleibt abzuwarten, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Dasselbe gilt — ich möchte hier auf die Details nicht eingehen — für die Möglichkeiten im Bereich der Äthanolgewinnung aus Biomasse, für die Energiegewinnung aus Müll, Klärschlamm usw.Alle diese begrüßenswerten neuen Technologien, alternativen Energiequellen erfordern aber ausreichende Weiterbildung des Handwerks und Beratungder Verbraucher, um Fehlentscheidungen zu vermeiden. Schnelle Laienentscheidungen sind meist teurer als fachliche Beratung. Energiepolitisch gilt es aber auch hier, alternative Energiequellen zu nutzen, wo wir können. Aber sie sind kein Ersatz für eine Energiepolitik.Einen beträchtlichen Beitrag zur zukünftigen Energieversorgung in diesem Lande kann und wird die Fernwärme leisten. Meine Damen und Herren, vorhin sind einige Bundesländer im Norden — sprich: Schleswig-Holstein und Niedersachsen — gerügt worden, weil es angeblich so lange gedauert hat, zu dem neuen Programm zu kommen. Die Bundesländer haben sich an dem neuen Bund-Länder-Programm zu Recht erst dann beteiligt, als durch einen vernünftigen Kompromiß sichergestellt worden war, daß sie durch größere Entscheidungsfreiräume den eigenen Bedürfnissen und den landesspezifischen Besonderheiten Rechnung tragen können.
Das war die Diskussion; sie ist jetzt zu einem vernünftigen Abschluß geführt worden.Wenn wir über Fernwärme reden, meine Damen und Herren, dann kriegen manche Politiker und Publizisten in diesem Lande so glänzende Augen, als hätten sie irgendeine Erscheinung gehabt.
Hier ist allergrößte Sachlichkeit erforderlich.
Fernwärme ist kein Allheilmittel, um alle Energie-, Umwelt-, Arbeitsplatz-, Zahlungsbilanz- und was weiß ich für Probleme in diesem Lande zu lösen.
Zunächst einmal ist Fernwärme kein Abfallprodukt; das muß man immer wieder sagen. Die vielgenannte Abwärme aus Kondensationskraftwerken mit 25, 30 oder 35 Grad Temperatur kann wirtschaftlich nicht in höherwertige Energie umgewandelt werden. Für Fernheizzwecke werden 90 bis 130 Grad Wärme gebraucht. Wärme dieser Temperatur — das muß gesagt werden — hat ihren Preis, weil sie z. B. bei der Kraft-Wärme-Koppelung nur ausgekoppelt werden kann, wenn dabei die Stromerzeugung vermindert wird. Wer, meine Damen und Herren, wie Minister Farthmann vor einigen Tagen, am 12. Januar in der „Bild-Zeitung" schreibt — ich zitiere —: „Gewaltige Mengen von Abwärme werden nutzlos in die Luft geblasen"
— ich habe ihn wörtlich zitiert —, suggeriert hier Möglichkeiten, die in Wirklichkeit gar nicht bestehen. Abgesehen davon ist eine nachträgliche Umrüstung der bestehenden Kraftwerke nur teilweise möglich.Diese Aussagen, meine Damen und Herren, sind keine Absage an Fernwärme, keine Absage an kommunale Energieversorgungskonzepte, keine Absage an Inselstrategien und alles mögliche, was hier zu Recht diskutiert wird. Aber sie sind eine Erklärung
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4396 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Dr.-Ing. Kansydafür, daß — bis auf besonders gelagerte Fälle wie Flensburg oder Mannheim — viele Großstädte, die seit Jahren Fernwärme haben, sehr realistisch geworden sind und sich 15 bis 20 % 1990 oder später als Ziel gesetzt haben. Die Aussagen der Fernwärmestudie des BMFT, von 8 % Anteil Niedertemperaturwärmebedarf auf 25 % durch Fernwärme zu kommen, läßt vor diesem Hintergrund die Zeiträume ahnen, in denen diese Zielsetzungen Wirklichkeit werden können.
Da liegen natürlich die hohen Investitionskosten den Städten und Gemeinden und den Versorgungsunternehmen wie ein Stein im Magen. Ich nenne nur Köln mit einem Defizit 1980 von 16 Millionen DM allein im Fernwärmebereich. Bei hoher Verschuldung und leeren öffentlichen Kassen — das gilt vom Stadtkämmerer sicherlich bis zum Bundesminister, so hoffe ich — ist nicht nur Energie, sondern auch Kapital ein knappes Gut, das wirtschaftlich eingesetzt werden muß. Sollte also, was wir gemeinsam hoffen, das neue Bund-Länder-Programm 5 bis 6 Milliarden DM Investitionen auslösen, dann sind— das ist ein leichtes Rechenexempel —10 % der geschätzten Investitionssumme von 60 Milliarden damit aufgebracht, die langfristig den Fernwärmeanteil auf 25 % bringen. Das sind 1,7 % Erhöhung im Niedertemperaturwärmebereich. Das ist die Realität. Deswegen gilt auch hier: Fernwärme ist ein Aspekt der Energiepolitik, aber kein Wundermittel.Wer über Fernwärme redet, der muß natürlich — wenn auch nur noch kurz, aus Zeitgründen — einige Bemerkungen über Energieversorgungskonzepte im örtlichen und regionalen Bereich machen. Es gibt— Herr Beckmann, „mancherseits" hatten Sie gesagt — die Mancherseits/FDP-Koalition, Kollegen von Ihnen, die die Wahlfreiheit von Verbrauchern aufheben, die Belastungsfähigkeit der Energieverbraucher testen wollen, die auf starre staatliche Regelung hoffen, die Wärmeabgabe und Anschlußzwang ventilieren — in Klammern: Ehmke-Kommission.
— Ich sage ja: die Irgendwer/FDP-Koalition. — Wir gehen von örtlichen gewachsenen Versorgungsstrukturen aus, setzen auf marktkonforme, flexible Lösungen, die für neue Technologien offen sind. Wir halten nichts von Planspielen an Schreibtischen, Strafabgaben und Zwangsregelungen und schon gar nichts von neuen Belastbarkeitsproben, die bei den Bürgern die Heizkosten in die Höhe treiben.Wir sagen ja zu den örtlichen und regionalen Energieversorgungskonzepten, die in Partnerschaft von Gemeinden und Versorgungsunternehmen erarbeitet werden. Dem Bund bleibt die Aufgabe — damit möchte ich schließen —, die Entwicklung und Markteinführung der erforderlichen Techniken zu unterstützen, das komplizierte Sachwissen für die Gemeinden aufzuarbeiten und möglichst breit aufzuklären — bis in Teile der eigenen Regierungsparteien hinein —, daß Energiesparen, erneuerbare Energiequellen, Fernwärme und Versorgungskonzepte alles nur Aspekte der Energiepolitik sind, aber kein Ersatz.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer .
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich erfahre soeben, daß ich statt 15 Minuten nur zehn Minuten habe. Ich bitte um Verständnis, daß ich deswegen nicht auf alles, was bislang gesagt worden ist und eine Antwort verdient, eingehen kann.Zunächst einmal hat auch der letzte Beitrag, der des Kollegen Kansy, der eben vor mir gesprochen hat, deutlich gemacht, daß der Konsens, den ich zumindest hinsichtlich der Notwendigkeit des Energiesparens in diesem Hause vermutet habe, so nicht mehr besteht. Sie haben natürlich recht, daß nicht eine Maßnahme, für sich allein genommen, Energiepolitik bedeutet. Dazu ist das Thema viel zu komplex. Wer aber sagt „Sparen ist notwendig, aber kein Ersatz für Energiepolitik", der verkennt, daß die tatsächliche energiepolitische Herausforderung, wenn wir Energiesicherheit gewährleisten wollen, wenn wir die Umweltbelastung reduzieren wollen, wenn wir die Abhängigkeit vom Ausland geringer machen wollen, darin liegt, mit der vorhandenen Energie möglichst rationell und haushälterisch umzugehen.
Deswegen ist das Kernstück der Energiepolitik Energiesparen und kein Ersatz.Die Diskussion leidet in der Energiepolitik — auch heute bei Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition — oft darunter, daß Sie fast ausschließlich auf Strom, auf Elektrizität starren. Strom ist ein wichtiger Teil der Energiepolitik, aber nicht das wichtigste Problem. Unser energiepolitisches Hauptproblem, wenn es darum geht, weg vom Ö1 zu kommen, liegt im Bereich des Wärmemarktes. Ich will das mit zwei, drei Beispielen belegen. Etwa 43 % des Endenergieverbrauchs gehen in die Raumheizung, dort zu über 50 % ölbefeuert, 35 % Industrie, 20 % Verkehr. dort wieder weitgehend 01. Wer eine Politik des „Weg vom Ö1" will, muß logischerweise dort ansetzen, wo am meisten Ö1 verbraucht wird und 01 am wirksamsten substituiert werden kann, durch Energieeinsparung zum Beispiel.Ich will es an einem Beispiel deutlich machen. Wenn Sie ein Haus mit 100 qm Wohnfläche beheizen wollen und nehmen den Wärmedämmstandard der 60er Jahre, dann brauchen Sie, um den Wärmebedarf des Verbrauchers zu befriedigen, 37001 01 — über den Daumen — pro Jahr. Wenn Sie ein Haus mit 100 qm Wohnfläche und Wärmedämmwerten, die jetzt in Kraft sind, beheizen, brauchen Sie keine 3 700 1, sondern 2 1001 Öl. Wenn Sie schwedische Wärmedämmstandards nehmen und gleiche 100 qm Wohnfläche bei gleichem Wärmekomfort beheizen wollen, kommen Sie mit 900 1 Ö1 aus. Meine Damen und Herren, der Bürger hat in der Raumheizung einen Bedarf an Wärme, und unsere Aufgabe ist es, ihm den Wärmebedarf mit möglichst wenig Energieaufwand zu garantieren.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4397
Schäfer
Meine Damen und Herren, jetzt sagen Sie alle, auch der Kollege Probst, Wärmedämmung sei notwendig. Nur, Sie spitzen den Mund, aber Sie pfeifen nicht. Die Bundesregierung hat die Wärmeschutzverordnung vorgelegt. Sie ist am 27. November in den Bundesrat gekommen: Verschärfung um 25 % — in Übereinstimmung mit der Bauwirtschaft, in Übereinstimmung mit der Baustoffindustrie, in Übereinstimmung mit allen beteiligten Kreisen. Eine weitere wirksame Reduzierung des Ölverbrauchs wäre möglich gewesen. Die bayerische Landesregierung hat beantragt, weil sich dadurch die Kosten für öffentliche Bauten um 2 bis 3 % verteuert hätten, diese Wärmeschutzverordnung nicht in Kraft treten zu lassen. Zwischenzeitlich hat sich der Bundesrat auf eine Verschiebung der Beratung geeinigt. Sie sitzen nicht nur im Glashaus, Herr Kollege Probst, Sie haben Ihre energiepolitischen Hosen voll und werfen uns vor, wir würden stinken.Meine Damen und Herren, ich will, weil das angesprochen worden ist, noch etwas zum Konzept der örtlichen und regionalen Energieversorgung sagen. Sie haben — wie wir auch — dazu die Stellungnahme des Vorsitzenden des Sachverständigenrates für Umweltfragen, Professor Salzwedel, bekommen. Wie das Beispiel der Rechtsverordnung über die Wärmedämmung eben schon deutlich gemacht hat, hat der Bund — ich bitte die Bürger um Verständnis — nur bedingt Möglichkeiten, die notwendigen Energieeinsparmaßnahmen auch durchzusetzen. Ob wir tatsächlich noch weiterreichende Energieeinsparerfolge werden erzielen können, entscheidet sich in erster Linie auf kommunaler, auf regionaler und auf Länderebene. Deswegen begrüßen wir auch, daß es nach langem Drängen der Bundesregierung möglich gewesen ist, das Fernwärmeprogramm auf den Weg zu bringen. Es entspricht energiepolitisch unseren Zielsetzungen, es schafft Arbeitsplätze, wie fast alle Energieeinsparungsmaßnahmen arbeitsmarktintensive Maßnahmen sind,
was uns auch in der Beschäftigungspolitik hilft, was uns mehr hilft, als wenn Sie jedes Jahr zwei oder drei Kernkraftwerke zubauen.
Ich will hier schlicht und ergreifend Professor Salzwedel zitieren, weil Sie von der Union dauernd auf die Selbstheilungskräfte des Marktes setzen. Wo der Markt das Notwendige leisten kann, muß er seine Anwendung finden. Professor Salzwedel vom Sachverständigenrat für Umweltschutz schreibt:Allein, Fernwärme ist kein Selbstläufer, weil ihr eine Reihe von rechtlichen und wirtschaftlichen Hindernissen entgegenstehen, die im Sondergutachten „Energie und Umwelt" im einzelnen dargestellt worden sind. Allein mit dem Vertrauen auf die marktwirtschaftlichen Kräfte ist es auf diesem Felde nicht getan.Er fährt dann fort mit dem, was notwendig ist.Meine Damen und Herren, dies ist unsere energiepolitische Position.
Wo der Markt unübertroffen ist, muß er auch im Energieeinsparbereich eingesetzt werden. Wenn Sie staatliche, gesellschaftliche Energiepolitik machen wollen, können Sie dies nicht ausschließlich dem Markt überlassen, der im übrigen im Energiebereich so sehr monopolisiert ist, daß viele Marktgesichtspunkte — vielleicht zu viele — heute schon außer Kraft gesetzt sind.Meine Damen und Herren, ich muß noch etwas zur Kernenergie sagen dürfen,
und zwar ganz kurz zwei Punkte.Herr von Benningsen-Foerder hat am 18. Dezember zu Recht darauf hingewiesen, daß alles, was Sie, meine Damen und Herren von der Union, hier verlangen — jedes Jahr ein oder zwei Kernkraftwerke —,
durch das Nadelöhr der Entsorgung muß.
Die „Zeit" schrieb am 25. September unter der Überschrift „Die Schlinge zieht sich zu": Droht die Nuklearindustrie an der Entsorgung zu scheitern? — Ich sage Ihnen: Gleichgültig, ob Sie einen großen Kernenergiezubau oder einen — was meine Position ist— Zubau im Rahmen des Bedarfs und bei gesicherter Entsorgung wünschen, Sie werden die Zahlen, die die Institute uns vorgeben — ob 37 000 oder 38 000 oder 39 000 MW im Jahre 1995 —, nicht erreichen, wenn es bei der gegenwärtigen entsorgungspolitischen Situation bleibt. Oder, meine Damen und Herren von der Opposition, Sie nehmen den Satz „Die Entsorgung muß gesichert sein" nur als Alibi, während Sie — gleichgültig, was sich entsorgungspolitisch tut — auf jeden Fall Kernenergie zubauen wollen.
— Meine Damen und Herren, ich verstehe ja, daß Sie sich aufregen. Der Kollege Riesenhuber sagte: Wenn sich der Ausbau der Kernenergie nicht so, wie es in den Gutachten steht, realisieren läßt, scheitert die Energiepolitik. Damit kalkuliert er nicht einmal die Möglichkeit ein, daß entsorgungspolitische Notwendigkeiten den Zubau oder gar den Betrieb von Kernkraftwerken hemmen. Dann sind Sie — auch unter Gesichtspunkten der Versorgungssicherheit— alternativlos.
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4398 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Schäfer
Ein Wort zur Sicherheit. Herr Kollege Probst, daß die deutschen Kernkraftwerke einen hohen Sicherheitsstandard haben, verdanken wir auch und nicht zuletzt der obersten atomrechtlichen Genehmigungsbehörde, dem Bundesminister des Innern.
Für die SPD/FDP-Koalition weise ich mit aller Entschiedenheit Ihre Anwürfe gegenüber dem Bundesminister des Innern zurück!
Ich will einmal auf das eingehen, was Sie sich unter dem Beifall Ihrer Kollegen zu eigen gemacht haben. Sie haben dem Bundesinnenminister Vorwürfe gemacht,
indem Sie sich den Vorwurf von Herrn Ziegler aus der Reaktorsicherheitskommission zu eigen gemacht haben, daß er, der Minister, nicht automatisch alle Empfehlungen der Reaktorsicherheitskommission übernimmt, sondern entsprechend seiner politischen Verantwortung
sich nur das zu eigen macht, was er mit seinem Amtseid vereinbaren kann.
Es wäre geradezu fatal und verheerend, wenn der Bundesminister des Innern alle Empfehlungen der Reaktorsicherheitskommission — die ein Beratungsgremium ist — übernehmen würde.
Es ist die Aufgabe der Politik, zu entscheiden, und dazu gehört es auch, gegebenenfalls Empfehlungen von wissenschaftlichen Gremien zurückzuweisen.
— Dann müssen Sie bitte hergehen und müssen sagen, wodurch der Vorwurf des Opportunismus gerechtfertigt ist!
— Verzeihung, Herr Kollege Gerstein, sind das vielleicht Belege? Was hat denn Herr Ziegler im einzelnen vorgeworfen? Maßnahmen gegen die Folgen des Kernschmelzens seien Pseudoprobleme! Haben wir nicht in Kalkar einen corecatcher wegen der verheerenden Folgen einer Kernschmelze? Es steht in dem Brief, den Sie sich vorhin unter dem Beifall Ihrer Kollegen zu eigen gemacht haben, Befassung mit Maßnahmen gegen die Folgen des Kernschmelzens seien Pseudoprobleme!
Waren wir nicht alle nach Harrisburg einmütig der Auffassung, die Folgen einer Kernschmelze müßten untersucht werden?Zweitens. Herr Probst hat Herrn Ziegler wörtlich zitiert; er hat alles übernommen.
Endlagerung ohne Wiederaufarbeitung sei ein Pseudoproblem. — Darauf haben sich, weil es notwendig sei, u. a. die Ministerpräsidenten der Länder und der Bundeskanzler geeinigt!Drittens, meine Damen und Herren, um nur noch eines zu nennen: Befassung mit unterirdischer Bauweise von kerntechnischen Anlagen sei ein Pseudoproblem. Weltweit wird über diese Frage diskutiert, weil eine solche Bauweise gegen besondere Gefährdungsmöglichkeiten kerntechnischer Anlagen mehr Schutz bieten kann!Meine Damen und Herren, bei mir leuchtet das Licht auf.
Deswegen noch zwei Bemerkungen zum Schluß.
Herr Minister Lambsdorff, wir nehmen selbstredend das Angebot an, im Verlaufe der parlamentarischen Beratungen in die Fortschreibung des Energieprogramms Veränderungen und Akzentuierungen einzubringen. Wir unterstreichen ausdrücklich, daß nach dem Energiewirtschaftsgesetz und nach den anderen gesetzlichen Bestimmungen die Frage der Standortauswahl und der Bedarfsschätzung Sache der jeweiligen Länder ist. Soweit ich jetzt als Sozialdemokrat aus Baden-Württemberg spreche, sage ich: Wir werden aus unserer Verantwortung heraus die anstehenden Probleme — Neckarwestheim und Wyhl — so entscheiden, wie die rechtliche Situation es erlaubt, und wie es politisch geboten ist.Ich will ganz offen sagen, daß wir jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt einem Kernkraftwerk Neckarwestheim und Wyhl kein grünes Licht erteilen können. — Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laufs.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt niemanden in der Union, der die schreckliche Zahl von 1,7 Millionen Arbeitslosen zum Anlaß nähme, jetzt einer Ökonomie um jeden Preis das Wort zu reden. Es gibt aber auch keinen, der unserer Industrienation mit ihrem hohen Bedarf an Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen gerade im Energiebereich eine Politik der Ökologie um jeden Preis zumuten möchte. Die Bundesregierung fordert aber zumindest verbal Vorrang für Kohle und artikuliert gleichzeitig Vorrang für Ökologie. Sie bleibt der Volkswirtschaft
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4399
Dr. Laufsdie Antwort schuldig, wie dieser Zielkonflikt praktisch aufzulösen ist.
Klare umweltrechtliche Maßstäbe zu setzen gehört zur ureigensten Verantwortlichkeit der Regierung. Genau hier versagt sie, hier handelt sie ins Ungenaue und Ungewisse und geht den bequemen Weg, die Gerichte entscheiden zu lassen, was richtig und nicht nur was Rechtens ist. Ihr Unvermögen drängt die Justiz in die Rolle einer politischen Instanz, und dies muß sich auch für die Zukunft unserer Demokratie ungut auswirken.
Die Realisierbarkeit des Energieprogramms ist die kritische Größe, über die hier und heute mit unbegreiflichem Desinteresse von der Koalition hinweggegangen wird.Ich möchte die Lage bei der Umsetzung des Energieprogramms an Beispielen erörtern.Aus den Schwerpunkten des fortgeschriebenen Energieprogramms folgt zwingend, daß eine Vielzahl neuer Großfeuerungsanlagen auf Steinkohlebasis errichtet werden muß. Es besteht, wenn wir Größenordnungen abschätzen wollen, allein ein Neu-und Ersatzbedarf für Kraftwerke mit einer Leistung von insgesamt etwa 20 000 Megawatt. Die Fernwärme soll ausgebaut, und Techniken zur Kohlevergasung und -verflüssigung sollen weiterentwickelt werden. Alle diese Anlagen bedürfen der umweltrechtlichen Genehmigung.Die Bundesregierung kündigt im Hinblick auf eine sachgerechte Abwägung von Umweltschutz und Energieversorgung in ihrem Energieprogramm an, zu Beginn dieses Jahres einen neuen Entwurf der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft vorzulegen. Schon diese Aussage erweist sich heute als unpräzise, denn die TA-Luft-Novelle wird noch viele Monate auf sich warten lassen. Ihr Vorentwurf ist seit September vergangenen Jahres in der Diskussion. Die darin erkennbare Absicht stellt einen Bruch mit der bisherigen Regelung dar, in dieser Verwaltungsvorschrift im wesentlichen Immissions- und Emissionswerte sowie Verfahren zu deren Ermittlung festzulegen, um auf diese Weise den zentralen unbestimmten Rechtsbegriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen" des Bundesimmissionsschutzgesetzes zu konkretisieren. Die Bundesregierung beabsichtigt vielmehr, die geänderte TA-Luft mit einer Fülle von Abwägungsgrundsätzen zu befrachten und dabei viele unbestimmte Rechtsbegriffe neu einzuführen. So findet man nun in dem Entwurf, um nur einige Kostproben zu geben, Formulierungen wie diese:Der Schutz vor Gesundheitsgefahren setzt voraus, daß bei Stoffen, für die weder Immissionswerte noch Emissionswerte festgelegt sind, kein begründeter Verdacht für Gesundheitsgefahren besteht.Oder es heißt:Belästigungen sind in der Regel unzumutbar,wenn geruchsintensive Luftverunreinigungennicht nur wenige Stunden im Jahr oder nur kurzfristig einwirken.An anderer Stelle heißt es:Im Interesse der Nachbarschaft werden Tiere und Pflanzen geschützt, wenn deren Beeinträchtigung unter Beachtung des Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme im Nachbarschaftsverhältnis unzumutbar ist.Mit solchen qualligen Formeln will die Bundesregierung nach ihren eigenen Aussagen in der Fortschreibung die Rechtssicherheit der Genehmigungsverfahren erhöhen. Da kann man nur den Kopf schütteln.
In Wahrheit entzieht sie sich der Aufgabe, klare Abgrenzungen vorzunehmen, auf die man sich verlassen kann. Sie ist im Begriff, es den Genehmigungsbeamten und Richtern unmöglich zu machen, sich weiter an Immissionswerten im Sinne von „antizipierten Sachverständigengutachten", wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Voerde-Urteil befand, zu orientieren. Gerichte und Behörden werden statt dessen in jedem Einzelfall über medizinisch-naturwissenschaftlich ungeklärte Streitfragen entscheiden müssen, welche die Bundesregierung in ihren Verwaltungsvorschriften aufwirft und problematisiert, ohne sie zu beantworten.Meine Damen und Herren, an dieser Stelle wird von der Bundesregierung, wie wir das in der Öffentlichkeit und auch in diesem Hause schon wiederholt erfahren mußten, die Diskussion mit dem Argument erschlagen, ob denn die Union den Vorrang des Schutzes von Leben und körperlicher Unversehrtheit zugunsten der Verfahrenssicherheit in Frage stellen wolle. Der Bundesinnenminister sagte vor einigen Wochen in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau", Sicherheit habe absoluten Vorrang.
Was heißt denn das? Soll damit die Vermeidung auch des kleinsten Risikos gemeint sein? Soll das den Ausstieg aus weiterer industrieller Entwicklung bedeuten? Oder verbirgt sich hinter diesem starken Wort nur Verantwortungsscheu? Wer sich als unübertrefflicher Ökologe empfiehlt und gleichzeitig eine TA-Luft-Novelle vorlegt, die für jedermann weite Interpretationsspielräume eröffnet, der entzieht bei der emotionalen Behandlung dieser Fragen in der politischen Öffentlichkeit der Kalkulierbarkeit und der Vorhersehbarkeit von Genehmigungsverfahren jede Grundlage.
Diese Situation wird auch dadurch nicht besser, daß die Herren Kollegen Hirsch und Wolfram unermüdlich versuchen, Berichte aus der Wirtschaft über
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Dr. Laufsden Investitionsstau im Energiesektor als unzutreffend zu entlarven.
— Können Sie nicht sehen, Herr Kollege Wolfram, daß vorsorgliche Standortvorbescheide nicht das entscheidende Problem sind? Die Standorte Voerde, Bergkamen oder Bexbach waren selbst nie umstritten. Der Streit entzündet sich vielmehr an den umweltrechtlichen Auflagen in den Genehmigungsverfahren. Hier sind die Rechtsgrundlagen und Investitionsrisiken in Milliardenhöhe für die Wirtschaft unkalkulierbar geworden.
Das ist das eigentliche Nadelöhr, und das will die Regierung jetzt noch enger machen.
Man muß daran erinnern, daß schon das Rechtsmittelverfahren über Voerde mehr als sechs Jahre gedauert hat und 400 Millionen DM zusätzliche Kosten verursacht haben soll, wobei die Nichtzulassung der Revision immer noch angefochten werden kann.Sie müssen auch sehen, daß von den erforderlichen 20 000 MW Kraftwerksleistung erst für rund 4 300 MW rechtskräftige Betriebsgenehmigungen vorliegen. Diese genehmigten Blöcke werden übrigens entweder schon gebaut, oder die Bauvorbereitungen sind im Gange.Zugegeben, das Schlagwort vom Investitionsstau kann mißverstanden werden. Nachdem die Kollegen Beckmann und Schäfer heute Herrn von BennigsenFoerder zitiert haben, überwiegend um den Schuldzuweisungen an die Bundesregierung zuvorzukommen, möchte ich vortragen, was Herr von Bennigsen-Foerder Ende vergangenen Jahres im „Wirtschaftsdienst" sagte:Vielmehr sollten alle, die hinter dem Text des Energieprogramms stehen, ganz nüchtern deutlich machen, daß wegen mangelnder Durchsetzung des neuen Energieprogramms nicht gleich die Energieversorgung zusammenbricht, wohl aber die bundesdeutsche Volkswirtschaft national und international langsam, aber stetig an Stabilität verliert. Und einsichtig werden muß ferner, daß jeder Bürger veraltete Energiestrukturen zweifach zu bezahlen hat: zunächst natürlich direkt über zu hohe Energiekosten und dann auch indirekt durch Verlust von gesamtwirtschaftlichen Wachstumschancen.Meine Damen und Herren, genau dies trifft unsere Vorstellungen, wenn wir von den administrativen Investitionshemmnissen sprechen, für die die Bundesregierung verantwortlich ist.
Die farbige Schilderung des Kollegen Reuschenbach von Kerzenschein und Pferdedroschken trifft natürlich für unser Land nicht zu; das wollen wir Ihnen einräumen. Aber wenn die Koalition noch langeregiert, kommen wir solchen Zuständen gewiß näher.
Was verlangen wir von der Bundesregierung?Erstens. Da Umweltvorsorge in der Bundesrepublik bereits heute schon in einem Bereich so niedriger Belastungswerte geschieht, daß die Medizin und Umweltwissenschaften keine eindeutigen DosisWirkungs-Beziehungen mehr zwischen Schadstoffen und Krankheiten belegen können, muß die Wirkungsforschung verstärkt werden. Die Wissenschaften müssen die offenen Umweltprobleme lösen, nicht aber die Gerichte in den Verfahren zur Genehmigung der Anlagen.Zweitens. Um auch nur denkbare, noch keineswegs eindeutig nachgewiesene Risiken für die menschliche Gesundheit möglichst gering zu halten, sind unter Abwägung auch der volkswirtschaftlichen Kosten Emissions- und Immissionsgrenzwerte für Luftverunreinigungen deutlich auf der sicheren Seite festzulegen. Wir begrüßen die Absicht der Bundesregierung, Emissionsgrenzwerte z. B. für potentiell karzinogene Substanzen einzuführen und viele alte Grenzwerte zu aktualisieren. Wir sehen aber keinen Anlaß, vom Prinzip der TA-Luft des Jahres 1974 abzugehen.
Es ist leider so.
— Ja, siehe DDR, wo der Ausstoß an Schwefeloxidverbindungen pro Einwohner viermal so hoch wie in der Bundesrepublik Deutschland ist. In Großbritannien ist er um die Hälfte höher als bei uns.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4401
Dr. LaufsAuch in Frankreich ist er deutlich höher als bei uns.Es ist leider so, daß die Ausrüstung aller deutschen Steinkohlenkraftwerke mit mehr als 300 MW Leistung mit Rauchgasentschwefelungsanlagen neben enormen volkswirtschaftlichen Kosten nur wenige Prozentpunkte Entlastung bei den gefürchteten SO 2-Emissionen in unserem Land bringen würde.Wir fordern deshalb die Bundesregierung zu neuen internationalen Initiativen auf, um bindende Abmachungn mit unseren Nachbarstaaten über konkrete emissionsmindernde Maßnahmen abzuschließen.Ein anderes, geradezu klassisches Beispiel für den Mangel an Durchsetzungskraft von SPD-FDP-Regierungen ist das Genehmigungsverfahren für das Kernkraftwerk Biblis C, das „Flaggschiff des Konvois" sozusagen. Der hessische Minister für Wirtschaft und Technik stellte im Landtag in Wiesbaden fest, daß als Ergebnis des mehr als sechsjährigen atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens für Biblis C alle Genehmigungsvoraussetzungen des Atom-und Strahlenschutzrechts, insbesondere die nach den Grundsätzen des Bundes und der Länder erforderliche Entsorgungsvorsorge, erfüllt sind. Die Bundesregierung hält den Beschluß der Regierungschefs zur Entsorgung der Kernkraftwerke für eine ausreichende Grundlage für die Genehmigung neuer Kernkraftwerke.Der hessische Ministerpräsident, der an diesem Beschluß mitwirkte, hat sich in Bonn noch einmal ausdrücklich beraten lassen und nun im hessischen Landtag die Entsorgungsfrage erneut problematisiert. Er forderte, ganz im Gleichklang mit den Beschlüssen seiner Landespartei, zusätzliche praktische Schritte, z. B. die erste Teilerrichtungsgenehmigung für das Bundesendlager oder eine gerichtsfeste Baugenehmigung für das Zwischenlager in Gorleben. Und die Entscheidung über Biblis C ist wieder einmal mit den Stimmen der SPD-FDPKoalition vertagt worden.Hier sind wir doch an dem Punkt, wo es wirklich um die Sache geht. Wir fragen die Bundesregierung: Wann werden Sie endlich die ersten drei Kernkraftwerke des Konvois genehmigen?
Handeln Sie erst! Dann unterhalten wir uns wieder über Ihre Energieprogramme.Was die Arbeiten zur Vorbereitung des Endlagers in Gorleben betrifft, die hier wiederholt angesprochen wurden, müssen wir jetzt Salzspiegelbohrungen, hydrogeologische Bohrungen sowie seismische Untersuchungen zur Erforschung der Salzstock-hülle durchführen.In diesem Zusammenhang gibt es ein neues Problem. Der Bund hat die Haushaltsmittel für diese Arbeiten drastisch gekürzt. Die niedersächsische Landesregierung befürchtet, daß nun diese anstehenden Arbeiten deshalb verschoben werden müssen. Wenn mit dem Abteufen des ersten Schachts zur untertägigen Erkundung des Salzstocks, wie vor-gesehen, Ende 1984/Anfang 1985 begonnen werden soll, werden auf Grund der Kürzung der Bundesmittel vor Beginn des Schachtabteufens keine ausreichenden Daten über die Salzstockhülle vorliegen. Nach Auffassung der Fachleute ist ein Abteufen der Schächte ohne vorherige Klärung der Eignung der Salzstockhülle jedoch nicht vertretbar.Es muß damit gerechnet werden, daß die Kürzung der Mittel und die damit notwendige Verschiebung der geplanten Bohrungen eine Verzögerung des gesamten Endlagerprojekts zur Folge haben werden. Das hat dann allein der Bund zu verantworten. So ist die Situation in Gorleben tatsächlich.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD und der FDP, immer mit langem Finger auf Ernst Albrecht zeigen, so wirkt das allmählich stupide.
Tun Sie in Bonn doch endlich das, was Sie zur Entsorgung beitragen können. Sprechen Sie doch endlich einmal mit Ihrem Herrn Ravens in Hannover. Ministerpräsident Albrecht leistet für die Entsorgung radioaktiver Abfälle mehr als alle anderen Bundesländer und die Bundesregierung zusammen.
Meine Damen und Herren, ich möchte zusammenfassen. Das Fehlen einer klaren Konzeption, die Umweltschutz und Energieversorgung miteinander vereinbar macht, wird ein erhebliches Hindernis für die Verwirklichung des fortgeschriebenen Energieprogramms sein. Es wird nicht möglich sein, die Zielsetzungen der Bundesregierung zu erreichen, wenn nicht eindeutige und praktikable Maßstäbe für Umweltschutz und Sicherheit, insbesondere auch für die Luftreinhaltung, gesetzt werden. — Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die wenigen Minuten Redezeit, die ich habe, erlauben es mir leider nicht, im einzelnen darzustellen, warum wir die mir unverständlichen Angriffe, die gegen die Neufassung der TA Luft erhoben wurden, zurückweisen, warum wir den Bundesinnenminister in dieser Sache mit aller Entschiedenheit unterstützen. Es ist ganz erstaunlich, welche Argumente immer dann aus der Mottenkiste hervorgeholt werden, wenn es ernst wird und darauf ankommt, die Lebensumwelt der Menschen, die ihren Wohnsitz nicht nach Belieben verändern können, entscheidend zu verbessern.
Was Ihre Bemerkung angeht, Herr Kollege Laufs: Sie müßten doch eigentlich wissen, daß die Bundes-
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4402 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Dr. Hirschregierung selber überhaupt kein Kernkraftwerk genehmigt, sondern daß das Angelegenheit der Länder ist. Aus der Aufstellung des Bundesinnenministeriums wissen Sie genau, daß es kein einziges Kernkraftwerk gibt, dessen Inbetriebnahme etwa von der Entscheidung der Bundesregierung abhängig ist, daß es aber eine ganze Reihe von Kraftwerken gibt, für die die Betreiber selber die notwendigen Genehmigungsunterlagen bisher nicht vorgelegt haben.
Diese Unterlagen sind dem Innenausschuß vorgelegt worden. Sie könnten sie kennen, wenn Sie sich einmal die Mühe machten, das alles zu lesen.
Ich habe, wie gesagt, nur wenig Zeit, die Position der Kollegen deutlich zu machen, die der Auffassung sind, daß auch im Rahmen der Energiepolitik der Umweltschutz eine größere Bedeutung haben müßte. Ich möchte mich darum bemühen, mich ohne Schuldzuweisungen auf ganz wenige Kernpunkte zu beschränken.Erstens. In dem Bericht wird als erster Schwerpunkt die Einsparung von Energie genannt. Trotzdem wird von einer Verdopplung der Weltenergienachfrage bis zum Jahr 2000 ausgegangen. In dem Bericht wird nicht genügend erkennbar, wie die spezifischen Energieeinsparprognosen der Industrie selbst eingeordnet werden. So geht immerhin die eisenschaffende Industrie davon aus, daß bei einem Index von 1980 gleich 100 der Energieverbrauch, im Jahr 2000 auf 82 gesenkt wird, während die chemische Industrie davon ausgeht, daß in ihrem Bereich ein Index von 65 und von der Industrie im Querschnitt insgesamt ein Index von 74 erreicht wird.Man muß feststellen, daß die Bundesregierung in ihrem Bericht davon ausgeht, daß der Verbrauch an Primärenergie mehr steigen wird als der Verbrauch an Endenergie. Das sich aus dieser Annahme ergebende überproportionale Wachstum des Verbrauchs elektrischer Energie ist die denkbar teuerste Form des Energieverbrauchs, wenn man alle ökologischen Folgeprobleme einbezieht. Die bei über 60 % der eingesetzten Primärenergie liegenden Verluste — auf Grund der Umwandlung und des Transports — erfordern verstärkte Initiativen, die enormen Mengen an Abwärme sinnvoll zu verwenden und die Primärenergie jedenfalls dort bis zum Endverbraucher zu bringen, wo elektrische Energie nur dazu genutzt werden soll, um ihrerseits in Wärme umgewandelt zu werden.Das Dogma vom freien Wettbewerb der leitungsgebundenen Energieträger ist aus zwei Gründen eine Unterlassung: weil man ernsthaft kaum von einem wirklichen Wettbewerb auf dem Energiemarkt sprechen kann und weil es außerdem keinen wirklichen Wettbewerb geben kann, wenn er zu Lasten der Umwelt geführt wird, d. h. also diejenigen Kosten nicht einbezogen werden, die der Gesellschaft nicht nur durch die Immission von Schadstoffen, sondern auch durch die ungelösten Probleme der enormenAbwärmemengen und der Entsorgung von radioaktivem Müll entstehen müssen.
Zweite Bemerkung. Wir hören häufig das Argument, daß die Politik „weg vom 01" im Interesse der Entwicklungsländer notwendig sei. Diese Behauptung hält einer ernsthaften Nachprüfung nur in geringem Umfang stand. In der Bundesrepublik werden nur noch 5 % des gesamten Ölverbrauchs zur Erzeugung elektrischer Energie verwendet. Daraus folgt, daß die verstärkte Produktion elektrischer Energie durch Kernkraft den Ölverbrauch nur noch gering beeinflussen kann.
Entscheidend ist, daß die Industrieländer einen überproportionalen Verbrauch an Energie haben und daß die Bundesrepublik und die Vereinigten Staaten geradezu an der Spitze der Energieverschwender auf der Erde stehen. Wenn die Völker der Dritten Welt unseren Lebensstandard mit derselben energieverschwendenden Technik erreichen wollen, wie wir sie heute benutzen, dann müßte das katastrophale Folgen sowohl für den Energiemarkt als auch für die Umwelt haben. Darum setzt der Ausgleich des Lebensstandards auf unserer Erde die Entwicklung einer energiesparenden Technik voraus und nicht in erster Linie die Vermehrung der Energieproduktion.
Dritte Bemerkung, zur Bundesrepublik: Man muß ehrlicherweise sagen, daß das Problem der Entsorgung von radioaktivem Abfall ungelöst ist. Es gibt Grundsätze der Entsorgung, aber man muß ehrlich sagen, daß mit den Grundsätzen auf dem Papier die technische Realisierung nicht greifbarer geworden ist.
Das gilt sowohl für die Wiederaufarbeitungsanlage als auch für die Endlagerung in Gorleben, für die der bekannte bergmännische Grundsatz gilt, daß es vor der Hacke dunkel ist.
Niemand kann heute sagen, daß Gorleben für die Endlagerung ungeeignet ist. Aber es ist viel wichtiger, daß heute niemand sagen kann, daß Gorleben für die Endlagerung tatsächlich geeignet ist.Daraus folgt, daß wir uns bei einem weiteren Zubau von Kernkraft immer mehr der Hoffnung hingeben, daß es sich schon irgendwie lösen wird. Das heißt, wir manövrieren uns selber in eine Erpressungssituation hinein, in der wir die Sklaven technischer Entwicklungen und früher getroffener Entscheidungen werden, die wir nicht mehr beeinflussen können.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4403
Dr. HirschViertens. Der Brutreaktor in Kalkar ist ein hervorragendes Beispiel für eine solche Nötigungssituation.
Wir reden immer über die Baukosten des Brüters, aber ich habe noch nichts darüber gehört, wer die zu erwartenden Betriebskostendefizite finanzieren soll, die in zehn Jahren ebenfalls 3 Milliarden DM ausmachen könnten. Über die Katastrophenschutzprobleme im Umkreis um den Reaktor — es handelt sich immerhin um eine halbe Million Menschen, die dort leben — will ich nichts sagen. Es mag richtig sein, daß die Eintrittswahrscheinlichkeit gering ist. Wenn aber ein Unfall eintritt, dann wird er schreckliche Folgen haben.
Das Entscheidende ist aber die Tatsache, daß die Brütertechnologie uns immer weiter in irreversible technische Zwänge hineinziehen wird. Das ist in dem Beschluß des OVG Münster vom 18. August 1977 mit großer Sorgfalt ausgeführt worden. Die Brütertechnik erzwingt die Wiederaufarbeitung der Brennelemente. Sie ist eine endgültige Absage an die Endlagerung ohne Wiederaufarbeitung. Sie erzwingt den Umgang mit wachsenden, gezielt produzierten Mengen von Plutonium 239 mit einer Halbwertzeit von 25 000 Jahren, einem Material also, das zum Bau weiterer Kernkraftwerke zwingen wird und das waffenfähig ist, ohne daß es darüber eine überzeugende internationale Kontrolle gibt. Die Politik wird auf eine solche Entwicklung nur noch reagieren können. Die Zwänge entgleiten unserer Entscheidung, und wir werden um unseres eigenen Wohlstands willen vielen nachfolgenden Generationen ein Erbe hinterlassen, um das sie uns wahrhaftig nicht gebeten haben.
Ich bedaure, daß die Bundesregierung sich in dieser Frage nur zu der farblosen Bemerkung herbei-läßt, daß sie zur Kenntnis nimmt, daß der Bundestag sich mit dieser Frage noch einmal beschäftigen möchte.
Angesichts der irreversiblen Folgen muß man darauf bestehen, daß der Deutsche Bundestag, d. h. jeder einzelne Abgeordnete, in seiner Entscheidung über die Inbetriebnahme von Kalkar frei bleibt und daß diese Entscheidung erst dann getroffen werden kann und darf, wenn der Abschlußbericht der Enquete-Kommission zu den offenen risiko-orientierten Fragen vorliegt.
Letzte Bemerkung. Der Bericht der baden-württembergischen Datenschutzbeauftragten, daß in diesem Land jahrelang die Besucher von Kernkraftwerken vom Verfassungsschutz dieses Landes überprüft wurden, ohne daß diese Besucher das wußten, scheint allen denen recht zu geben, die im Zusammenhang mit der Kernenergie jedenfalls von der Gefahr des Atomstaats reden.
Es sollte die politische Verpflichtung sowohl der Bundesregierung als auch aller Bundesländer sein, zu diesem bemerkenswerten Vorgang eine klare und eindeutige Stellungnahme abzugeben, damit wir wissen, ob Baden-Württemberg auch in dieser Frage ein „Musterländle" ist.
Herr Bundesminister Graf Lambsdorff hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich für diese Debatte bedanken, die in den Ausschüssen fortgesetzt werden soll. Ich glaube, es sind viele Beiträge geleistet worden, die auch für die Meinungsbildung der Bundesregierung von Bedeutung sind.
Ich möchte auf folgendes aufmerksam machen. Der Kollege Hirsch hatte mir vorhin, als wir uns an der Regierungsbank unterhielten, gesagt: „Wenn wir hier noch lange miteinander reden, wird jemand auf den Gedanken kommen, meine Rede wird mit Ihnen abgestimmt." — Sie haben feststellen können: Wir können uns noch lange an der Regierungsbank miteinander unterhalten, ohne daß jemand auf diesen Gedanken käme.
Dies war meine zweite Bemerkung.
Drittens. Herr Kollege Riesenhuber, an Ihre Adresse möchte ich zwei Bemerkungen machen. Erstens: Zum Thema „Erdgasvertrag" haben Sie — das ist die Haltung Ihrer Partei — in einem und demselben Satz die Worte „Zustimmung" und „nicht Intervention" gebraucht. Sie hätten „Ablehnung" auch noch hinzufügen müssen. Das hat es alles aus Ihren Reihen gegeben. Heute nachmittag wird es sich fortsetzen.
Schließlich haben Sie mich als einen höflichen Minister bezeichnet. Vielen Dank! Sie werden, was dies angeht, auf Widerspruch bei der FDP-Fraktion stoßen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Die Vorlage soll auf Vorschlag des Ältestenrates dem Ausschuß für Wirtschaft — federführend — sowie dem Innenausschuß, dem Finanzausschuß, dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, dem Ausschuß für Forschung und Technologie, dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung über-
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4404 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Vizepräsident Frau Rengerwiesen werden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen.Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Dies ist die erste Sitzung im Jahre 1982. Ich darf mir erlauben, allen Mitgliedern des Deutschen Bundestages für das Jahr 1982 alles Gute, vor allen Dingen Gesundheit und Zufriedenheit, zu wünschen.
Mir scheint, die Schneeverhältnisse, die etwas Außergewöhnliches für Bonn sind, haben auch Wirkung bis ins Bundeskanzleramt.
Ich glaube aber, aus Sparsamkeitsgründen müßte man darauf verzichten, ein Raupenfahrzeug anzuschaffen.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung über die Gespräche des Bundeskanzlers am 5. und 6. Januar 1982 in Washington sowie über aktuelle Fragen der Ost-West-Beziehungen
Nun müßte ich dem Herrn Bundeskanzler das Wort erteilen, der aber noch nicht da ist.
Da er aber noch nicht eingetroffen ist, bitte ich um Ihr Einverständnis, daß ich diese Sitzung für einige Minuten unterbreche.
Meine Damen und Herren, ich darf die unterbrochene Sitzung wieder eröffnen. — Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Nachsicht, daß ich mich wegen eines Mißgeschicks im Straßenverkehr ein paar Minuten verspätet habe. Aber ich bin dankbar für den Beifall der Opposition aus diesem Anlaß.
Ich möchte Sie heute von meinen Gesprächen mit Präsident Reagan und mit Präsident Mitterrand in Kenntnis setzen. Herr Kollege Genscher, der unser Land in den letzten zehn Tagen auf zwei wichtigen Außenministerkonferenzen vertreten hat, wird gleichfalls heute in der Debatte das Wort ergreifen.Auch diesmal — wie schon vor fünf Wochen — steht meine Erklärung im Zeichen des polnischen Schicksals. Wir wollen den Interessen unseres polnischen Nachbarvolks nicht nur in unserem Fühlen und Hoffen, sondern ebenso in unserem politischen Handeln entsprechen.
Mit Recht hat die polnische Krise bei den Menschen und den Regierungen in Europa und in Amerika tiefe Bewegung ausgelöst. Die Ereignisse in Polen zeigen abermals die Starrheit der kommunistischen Regime des Warschauer Pakts gegenüber der Herausforderung, friedlichen Wandel zuzulassen. Sie bürden damit ihren Völkern großes Leid auf, und sie gefährden das Vertrauen in die Zusammenarbeit zwischen West und Ost.Bundesregierung und Bundestag haben wegen ihrer nationalen und ebenso wegen ihrer friedenspolitischen Verantwortung ihre Sorgen über die polnische Krise sehr nachdrücklich öffentlich ausgesprochen. Der Bundestag hat als erstes Parlament der Welt am 18. Dezember seine Solidarität mit dem polnischen Volk bekundet, die Wiederaufnahme des Dialogs mit dem Gewerkschaftsbund „Solidarität", mit der katholischen Kirche gefordert und die Freilassung aller Inhaftierten verlangt. Es hieß in der Entschließung des Deutschen Bundestages mit Berufung auf die Schlußakte von Helsinki:Der Bundestag ... verfolgt ... mit . .. großer Besorgnis das anwachsende propagandistische Kesseltreiben gegen den polnischen Reformkurs und die offenen oder versteckten Gewaltandrohungen gegen die polnische Unabhängigkeit von außen.Herr Barzel hat damals diesen Text vorgelesen, und Sie werden im Bundestagsprotokoll finden, daß auch an dieser Stelle alle Fraktionen des Bundestages applaudierten. Jedem war klar, daß mit der Sorge wegen der offenen oder versteckten Gewaltandrohung gegen die polnische Unabhängigkeit nicht irgend jemand gemeint war, sondern die Sowjetunion.Auf der Grundlage dieser Bundestagsentschließung habe ich am ersten Weihnachtstag im gleichen Sinne an Generalsekretär Jaruzelski, aber eben auch an den Generalsekretär Breschnew geschrieben.
Soweit ich sehe, war ich bisher neben Präsident Reagan der einzige westliche Regierungschef, der die Verantwortung der Sowjetunion für die polnischen Entwicklungen durch einen solchen Brief an den sowjetischen Generalsekretär öffentlich herausgestellt hat.
Vier Wochen später stelle ich heute fest: Es war wichtig und notwendig, daß gerade zur Polenkrise die deutsche Politik vom ganzen Bundestag getragen wurde. Nach der leidvollen, schuldbeladenen Geschichte des deutsch-polnischen Verhältnisses geht jeder Anschlag gegen Menschenwürde und nationale Unabhängigkeit der Polen uns Deutsche beson-
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Bundeskanzler Schmidtders an. Das neue gegenseitige, nachbarliche Verständnis zwischen Millionen von Polen und Millionen von Deutschen, das auf der Grundlage des Warschauer Vertrages gewachsen ist, darf nicht zerbrechen.
Schon Willy Brandts Warschauer Vertrag selbst ist damals, vor einem Jahrzehnt, nur auf geringe Kritik in der Bundesrepublik Deutschland gestoßen — anders als der Moskauer Vertrag und der Grundlagenvertrag. Denn auch damals entsprach der Wunsch nach Versöhnung mit der polnischen Nachbarnation einem tiefen Gefühl überall bei uns Deutschen.Der gleiche Wille kommt heute in der spontanen Hilfsbereitschaft der Deutschen zum Ausdruck. Ende 1981 hatten unsere Mitbürger rund zwei Millionen Pakete nach Polen geschickt. In der kurzen Zeit seit Jahresbeginn sind es erneut 94 800 Pakete, gegenwärtig über 10 000 Pakete jeden Tag. Dieser Hilfsbereitschaft gilt mein besonderer Dank.
Ich füge hinzu: Sie muß fortgesetzt werden. Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch einmal auf die großen Hilfsaktionen für Polen hinweisen: 1. des Deutschen Roten Kreuzes unter dem Stichwort „Polenhilfe", ähnlich der Arbeiterwohlfahrt, 2. des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland unter dem Stichwort „Hilfe für Polen", 3. des Deutschen Caritasverbandes unter dem Stichwort „Polenhilfe", 4. des Deutschen Gewerkschaftsbundes unter dem Stichwort „Solidarität für Polen". Jeder kann sich über Telefon sicherlich ganz leicht die Konten dieser Organisationen geben lassen, sofern er nicht selbst Pakete packen will.Noch gestern haben der französische Präsident und ich festgehalten: Die humanitäre Hilfe und die Nahrungsmittelhilfe an Polen sollen weitergehen.
François Mitterrand und ich waren uns auch einig in dem, was ich bereits am 18. Dezember hier im Bundestag gesagt habe: Wir stehen mit ganzem Herzen auf der Seite der Arbeiter und wünschen von ganzem Herzen, daß der Kriegszustand in Polen alsbald beendet werde.
Die Vorgänge in Polen gehen nicht nur die Polen selbst, sondern auch alle anderen Völker an, weil die anhaltende Unterdrückung elementarer Rechte polnischer Bürger schwerwiegende Konsequenzen für die internationalen Beziehungen, für die Stabilität in Europa und für die Zusammenarbeit zwischen West und Ost hat. Deshalb hat die Bundesregierung — gemeinsam mit unseren Verbündeten — an die polnische Regierung appelliert, das Kriegsrecht aufzuheben, die Inhaftierten zu entlassen, den Dialog mit der Kirche und den gewählten Vertretern der Solidarität wieder aufzunehmen. Wir appellieren gleichermaßen an die Sowjetunion, den Willen der Polen zur nationalen Unabhängigkeit und zur inneren Erneuerung und Reform zu respektieren. Dieser Wille entspringt den Menschenrechten der Polen; erist legitim, er ist gerechtfertigt und er ist moralisch geboten.
Ich muß heute feststellen, daß sich die Entwicklung in Polen bislang nicht zum Besseren gewendet hat. Wir haben bisher keine ausreichenden politischen Signale erhalten,
daß der Militärrat in Polen, gemäß seinen eigenen Zusagen, auf den Weg der Erneuerung und der Reform zurückkehrt.Die katholische Kirche in Polen und der Papst haben wegen ihrer besonderen Rolle in jenem Lande und wegen ihrer dortigen Verantwortung ein besseres Bild von Vorgängen und Entwicklungen in Polen als manch anderer. Ihre Besorgnis ist seit Dezember offenkundig größer geworden. Wir in der Bundesregierung werden daraus — wie schon seit Wochen, so auch in Zukunft — Orientierung gewinnen.Ich teile und verstehe die leidenschaftliche Empörung vieler Menschen in Deutschland und draußen in der Welt: in Frankreich, in Italien, in Amerika, überall. Ich füge hinzu: Unser Ziel ist nicht auf empörte Konfrontation an sich begrenzt. Es geht uns auch nicht bloß um öffentlichen Ausdruck unserer moralischen Empörung. Das, worum es uns im Kern geht, ist positiver Einfluß auf die tatsächliche Lage der Menschen in Polen, auf die Besserung der Lage, ist tatsächlicher Einfluß auf die Herstellung der Menschenrechte.
Wir suchen mit unseren Verbündeten gemeinsam nach einer wirksamen Politik, die dazu beiträgt, daß Polen auf den Weg zurückfindet, der mit der Danziger Vereinbarung vom August 1980 begonnen worden war. Nur dies entspräche offenkundig den Wünschen des polnischen Volkes. Dies entspräche auch den Zusicherungen, welche die Militärregierung sowohl ihrem eigenen Volk, als auch uns und den Regierungen anderer westlicher Staaten auf diplomatischem Wege gegeben hat. Unsere Forderungen an General Jaruzelski sind durch seine eigenen Zusagen begründet, die uns notifiziert worden sind. Wir sehen seine realen Rahmenbedingungen — Warschauer Pakt und COMECON — sehr deutlich. Aber unsere Forderungen an die Verantwortung der Hauptmacht dieser beiden Systeme beruhen auf der Helsinki-Schlußakte, die alle unterschrieben haben. Sie beruhen auf dem Völkerrecht. Die Sowjetunion darf den notwendigen gesellschaftlichen Anpassungen und Evolutionen in den Staaten ihres Bündnissystems nicht im Wege stehen, und sie darf sie nicht verhindern.Die öffentliche Empörung über die Vorgänge in Polen hat in den Medien einiger befreundeter Länder zu Mißdeutungen unserer Haltung geführt.
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4406 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Bundeskanzler Schmidt— Einige, die da lachen, haben dazu Stichworte gegeben, um es ganz unmißverständlich auszudrükken.
Man hat vielfach nicht zur Kenntnis genommen, was wir, was die Regierung, was der Bundestag gesagt und getan haben. Man hat die Zurückhaltung teilweise mißverstanden, die vor dem Hintergrund der deutsch-polnischen Geschichte jedem Deutschen gut ansteht, wenn es um Polen geht.
Aber es soll sich da keiner vertun: Wir Deutschen sind keine Wanderer zwischen den Welten. Ich konnte mich auf die überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes stützen, als ich zu Neujahr sagte:Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft und des Atlantischen Bündnisses stehen in Lagen der Gefährdung fest und entschlossen zueinander. Darin liegt ja die Sicherheit unseres Friedens und auch die Sicherheit Berlins begründet.
Mit Präsident Mitterrand und mit Präsident Reagan war ich einig, daß jetzt in einer Stunde der Gefahr die Einheit der Allianz nicht gefährdet werden darf. Die Verbündeten können sich auf uns und wir können uns auf sie verlassen. Wir lassen uns nicht eine Krise der Allianz einreden, wo es in Wahrheit um eine Krise des kommunistischen Systems geht.
Übrigens verlassen sich nicht nur unsere Verbündeten auf den festen Zusammenhalt der Allianz, sondern auch die ebenso auf das Gleichgewicht in Europa angewiesenen neutralen Staaten Europas, und sogar kommunistische Regierungen und viele Millionen Menschen im östlichen Teil Europas verlassen sich darauf.Die Sowjetunion und ihre Verbündeten wissen, daß wir an einer stetigen Politik des Dialogs und der Zusammenarbeit auf der Grundlage des Gleichgewichts festhalten wollen. Aber sie müssen auch wissen, daß solche Ereignisse wie der Kriegszustand in Polen nicht ohne Rückwirkung bleiben können. Dies ist die einheitliche Auffassung im Westen.Gestern abend hat Präsident Mitterrand mich auf einen Absatz in der Rede hingewiesen, die der französische Premierminister Pierre Mauroy am 23. Dezember vor der französischen Kammer gehalten hat. Ich zitiere daraus:Auf Grund der geopolitischen Lage, in der sich Polen seit dem Ende des zweiten Weltkrieges befindet, weiß jeder, daß die Sowjetunion an allem beteiligt ist, was Osteuropa betrifft. Angesichts dieser Lage ist es die Verantwortlichkeit der französischen Regierung, so genau wie möglich darzulegen, wie sie die Probleme sieht. Das polnische Volk ist heute Opfer der Zwangsmaßnahmen seiner eigenen Armee. Wir verurteilendiese Situation und werden nicht aufhören, darauf hinzuwirken, daß ihr ein Ende bereitet wird.
— Ich bin noch bei dem Zitat! —
Selbst wenn die Einmischung der Sowjetunion eine Tatsache ist, so besteht aber doch ein deutlicher Unterschied zwischen der derzeitigen, nationalen Unterdrückung und einem massiveren, direkteren Eingreifen von außen. Diesen Unterschied muß die französische Regierung berücksichtigen .. .So die Regierungserklärung des französischen Ministerpräsidenten am Tage vor Weihnachten in der französischen Kammer.Präsident Mitterrand hat mir gestern im Beisein Mauroys gesagt, daß ihm diese Klarstellung sehr wichtig sei. Wir haben in der Substanz unseres Urteils und unserer Politik keine Divergenzen entdeckt. Zwar gab es unterschiedliche Präsentationen — darauf komme ich noch —, nicht jedoch unterschiedliche Urteile, Zielsetzungen und Wege. Beide Regierungen haben j a auch an den Ministerratsbeschlüssen der Europäischen Gemeinschaft und des Nordatlantischen Paktes mitgearbeitet und haben beiden Entschließungen zugestimmt.Mein Besuch in Washington war ursprünglich als ein informeller Gedankenaustausch im Anschluß an einen Urlaub geplant. Ursprünglich sollte er — jedenfalls von mir aus — vor allem die weltweite Wirtschaftskrise und die weltweite Arbeitslosigkeit betreffen. Die Polenkrise hat dann diesem schon länger geplanten Besuch eine besondere Bedeutung gegeben. Unsere Gespräche in Washington haben ergeben, daß es erfreuliche Übereinstimmungen gibt zwischen dem amerikanischen Präsidenten und seinem Außenminister auf der einen Seite, dem deutschen Bundeskanzler und Außenminister Genscher auf der anderen.Entgegen der Kritik in einigen Medien kann ich mit Befriedigung feststellen, daß die unverzichtbare deutsch-amerikanische Zusammenarbeit sich auch gegenwärtig bewährt. Wir haben gemeinsam einen wichtigen Schritt in Richtung auf das Notwendige getan: auf ein mit den europäischen Verbündeten abgestimmtes Handeln der Weltmacht Amerika. Die gemeinsame Erklärung von Präsident Reagan und mir, die entgegen allen diplomatischen Gepflogenheiten beim Mittagessen zustande kam, zeigt beides. Sie zeigt die deutsch-amerikanische Gemeinsamkeit, und sie zeigt die große Bedeutung der Abstimmung, der Konsultationen unter Verbündeten.Am Vorabend meiner Gespräche mit Präsident Reagan hatten die Außenminister der EG-Partner in Brüssel einen gemeinsamen Beschluß zur Entwicklung in Polen erarbeitet. Herr Kollege Genscher konnte die amerikanischen Gesprächspartner unmittelbar und direkt darüber informieren. Der Brüsseler Beschluß der Europäer war für den Außenminister und für mich eine gute Grundlage für unsere Gespräche in Washington. Präsident Reagan hat in unserer gemeinsamen Verlautbarung weite Teile
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Bundeskanzler Schmidtdes Brüsseler Beschlusses übernommen, und er hat ihm ausdrücklich zugestimmt.Wir waren uns in den Gesprächen einig im Urteil über die Vorgänge in Polen. Wir waren uns auch darin einig, daß es ohne starke sowjetische Pression zu diesen Ereignissen nicht gekommen wäre. Dies bedeutet nicht, daß wir die gegenwärtigen Machthaber in Polen aus ihrer Verantwortung entlassen, gemäß ihren eigenen Zusagen auf den Weg der Erneuerung zurückzukehren.Meine amerikanischen Gesprächspartner haben erläutert, daß sie ihre Maßnahmen vom 29. Dezember als nachdrückliches politisches Signal an die Sowjetunion verstehen und daß nach ihrer Ansicht die anhaltende Unterdrückung der Grund- und Freiheitsrechte in Polen schwerwiegende Konsequenzen für die internationalen Beziehungen hat. Ich habe dieser Interpretation zugestimmt.Unsere Gespräche mit dem Präsidenten, Vizepräsidenten, dem Außenminister, dem Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten, mit Senatoren, mit dem Gewerkschaftsvorsitzenden Lane Kirkland, mit vielen alten Freunden haben mir Gelegenheit zu einem vertieften und eindrucksvollen Meinungsaustausch gegeben. Er hat sich erstreckt über die gesamten Beziehungen zwischen den Großmächten, zwischen den USA und Westeuropa, zwischen West-und Osteuropa. Wir haben die politischen Grundströmungen unserer Länder und die langfristigen Perspektiven einer internationalen Friedenspolitik erörtert.Wir haben auch über die politischen Realitäten in Europa gesprochen, über die in den letzten Wochen vielfältig unter dem vereinfachenden Stichwort „Jalta" diskutiert wird, das zunächst in der vorhin zitierten Rede von Pierre Mauroy und später dann in der Neujahrsrede von Präsident Mitterrand vorkam.
— Ich komme gleich darauf, Herr Barzel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Alles, was ermöglicht, Jalta zu überwinden, wird gut sein, vorausgesetzt, daß nie der Wunsch, den wir haben, mit der heutigen Wirklichkeit verwechselt wird." Diesem Satz hatte ich zugestimmt, und ich habe — ebenso damit übereinstimmend — gesagt, eine Aufteilung der Welt in Interessensphären sei moralisch nicht zu akzeptieren.
Wer meine Äußerung zu diesem Thema anders interpretiert, hat mich mißverstanden oder die Dinge verdreht; und das sind noch die freundlicheren Deutungen, die ich solcher Interpretation gebe.
Wir Deutschen haben die tagtägliche Erfahrung der Trennungslinie mitten in Europa. Wir teilen das Interesse ungezählter Menschen in Europa daran, daß diese Trennungslinie durchlässiger werde, ja, daß sie überwunden werden kann. Aber aus Einsicht und aus Überzeugung beharren wir darauf, daß Gewalt kein Mittel der Politik sein kann. Was wir suchen, ist eine Politik des friedlichen Wandels in Europa.
Die Antwort auf die Herausforderung durch die polnische Krise liegt für den Westen daher nicht einfach in der Rückkehr zum Kalten Krieg oder gar in militärischer Konfrontation; vielmehr wollen wir, gestützt auf eine sorgfältige Bewahrung und Festigung des militärischen Gleichgewichts, durch eine sorgfältig ausgewogene Politik die Sowjetunion und die gegenwärtigen Machthaber in Polen dazu bewegen, auch in ihrem eigenen Interesse der polnischen Unterschrift und der sowjetischen Unterschrift unter die Schlußakte von Helsinki auch die Tat folgen zu lassen.Zum Thema „Gleichgewicht und Dialog" haben unsere Gespräche in Washington zu drei wichtigen Klärungen geführt:Erstens. Präsident Reagan hat uns erneut versichert, daß er die Genfer Verhandlungen über die Verminderung von nuklearen Mittelstreckenwaffen in Europa weiterführen will Rüstungskontrolle wird in der gemeinsamen Verlautbarung als unverzichtbares Element der gemeinsamen Sicherheitspolitik bezeichnet.Das Verhandlungsprogramm des Präsidenten vom 18. November zur Rüstungskontrolle, das wir damals lebhaft begrüßt und mit dem die Bündnispartner sich identifiziert haben, behält unverändert seine Gültigkeit. Seit zwei Tagen sind die Genfer Verhandlungen über nukleare Mittelstreckenwaffen tatsächlich wieder im Gange, und auch die Opposition sollte dies begrüßen.
Zweitens. Wir waren uns darin einig, daß der KSZE-Prozeß weitergehen soll. Gerade die KSZE-Schlußakte von Helsinki liefert ja eine wichtige Grundlage für unsere Forderung, daß das gegenwärtige polnische Regime zu dem Reformkurs zurückkehren solle. Es geht dabei nicht um Einmischung in die inneren Angelegenheiten Polens; vielmehr haben doch alle Unterzeichner der KSZE-Schlußakte von Helsinki, auch die Sowjetunion, ausdrücklich akzeptiert, daß die Folgekonferenz in Madrid eine Bewertung dessen vornehmen solle,
was die Helsinki-Schlußakte von 1975 inzwischen tatsächlich bewirkt hat.Die Krise in und um Polen — so Präsident Reagans und meine übereinstimmende Meinung — muß Gegenstand gründlicher Beratungen auf einer Sitzung der Außenminister auf der Folgekonferenz in Madrid sein.Drittens. Ebenso wie wir sehen Präsident Reagan und seine Regierung, daß es gerade in Krisenzeiten wichtig ist, miteinander in Kontakt zu bleiben. Ich habe auf dem Hintergrund meiner Erfahrungen aus
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4408 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Bundeskanzler Schmidtdem Gespräch mit Generalsekretär Breschnew hier in Bonn für ein Treffen des amerikanischen Präsidenten mit dem sowjetischen Generalsekretär zum rechten Zeitpunkt plädiert. Weit wichtiger als die deutsch-sowjetischen Gespräche ist ja doch, daß sich die beiden Weltmächte in ihrem künftigen Verhalten gegenseitig richtig einzuschätzen wissen.
Natürlich hat auch in Washington die schwierige wirtschaftliche Lage Polens eine wichtige Rolle gespielt. Wir wollen gemeinsam die humanitäre Hilfe fortsetzen, die der polnischen Bevölkerung unmittelbar zugute kommt, aber staatliche Wirtschaftshilfe an Polen so lange offenlassen, wie die Unterdrükkungsmaßnahmen andauern. Wir haben auch über die Möglichkeit gesprochen, einem Polen, das auf den Weg der Erneuerung und der Reform zurückkehrt, sodann mit Finanzhilfen zu den international gebräuchlichen Bedingungen zur Seite zu stehen.Präsident Reagan und ich waren uns einig, daß weitere Maßnahmen gegenüber Polen oder der Sowjetunion gründlich im Bündnis erörtert und gemeinsam beraten werden müssen.Die Tagung der Außenminister des Bündnisses hat dann eine Woche später am letzten Montag in Brüssel deutliche politische Signale gesetzt. Die Verbündeten haben mit Festigkeit, aber auch mit Augenmaß reagiert.Zum einen ist das Bündnis zu einer einheitlichen und gemeinsamen Beurteilung gelangt: Was in Polen geschieht — so die gemeinsame Einschätzung — ist für die Entwicklung von Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa von großer Bedeutung. Die anhaltende Repression in Polen untergräbt die politische Basis für Fortschritte in den Ost-West-Beziehungen.Zweitens ist es das gemeinsame Ziel aller Bündnismitglieder, dazu beizutragen, daß der Kurs der Erneuerung und Reform in Polen wieder aufgenommen und fortgesetzt werden kann. Wir können und wir dürfen die Verstöße gegen die Charta der Vereinten Nationen, gegen die allgemeine Menschenrechtserklärung, gegen die Schlußakte von Helsinki nicht widerspruchslos hinnehmen. Wir können die Politik der Zusammenarbeit mit denen, die für die Lage in Polen Verantwortung tragen, nicht so fortsetzen, als ob nichts geschehen wäre.Drittens hat das Bündnis einen Katalog von politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen erarbeitet, um den Militärrat in Warschau und um die sowjetische Führung vom Ernst der westlichen Besorgnisse zu überzeugen. Die Mitglieder des Bündnisses werden in Abstimmung miteinander und je nach Entwicklung der Lage in Polen solche Maßnahmen ergreifen. Die jeweiligen nationalen Maßnahmen müssen dabei keineswegs identisch sein — das macht der gemeinsame Beschluß klar —, aber sie sollen sich gegenseitig nicht unterlaufen. Das wird jeder verstehen.Auf dem Hintergrund dieser Übereinstimmung der Partner des Nordatlantischen Bündnisses hat mein gestriger Besuch bei François Mitterrandstattgefunden. In den sehr ausführlichen, sehr offenen und sehr freundschaftlichen Gesprächen, die wir miteinander geführt haben, haben wir unser vollständiges Einvernehmen in der Substanz festgestellt. Es gibt daran nichts zu deuteln. Sie sehen das auch aus den öffentlichen Äußerungen des französischen Ministerpräsidenten heute morgen.Allerdings — ich deutete es schon an — hat es in unseren beiden Ländern Unterschiede in der Präsentation der politischen Reaktion auf die Ereignisse in Polen gegeben. Gerade zu Polen sind unsere historischen Erfahrungen und Traditionen und daher auch die Tonlagen, in denen die Gefühle zum Ausdruck gebracht werden, in Frankreich und in Deutschland nicht identisch. Aber unsere französischen Freunde, der Präsident und der Premierminister, wirken wie wir selbst auch dem falschen Eindruck entgegen, als könne es sich um einen Dissens in der Sache handeln.Der französische Außenminister Cheysson ist in einem Fernsehinterview dazu am letzten Sonntag dankenswert deutlich gewesen. Auf die ihm gestellte Frage eines französischen Journalisten, ob der Bundeskanzler ein Neutralist sei, antwortete Cheysson:Es scheint von einer bemerkenswerten Absurdität, so etwas zu behaupten.— Ich sehe Herrn Zimmermann nicht. Für den ist das vielleicht besonders gut geeignet.
Sehen Sie sich doch an, fuhr Cheysson fort,was er getan hat, wofür er eingetreten ist. Zum Beispiel in der Frage der Reaktion auf die sowjetische Überbewaffnung, die Westeuropa bedroht, steht der Bundeskanzler an der Spitze derjenigen, die Stellung beziehen.Das ist wohl wahr.
— Man wird ja noch bekräftigen dürfen, was der Außenminister einer befreundeten Macht öffentlich sagt.
Es gab in dem Interview auch einen anderen Punkt, zu dem einige Medien künstlich einen Dissens zwischen Paris und Bonn erfinden wollten.
— Ja, sicherlich, der „Bayernkurier" ist mit „einigen" mit gemeint. — Cheysson sagte zum Gasgeschäft mit der Sowjetunion — ich zitiere —:Ich glaube, da wäre es völlig absurd, wenn Frankreich allein eine Stellungnahme abgeben würde, während wir doch drei Käufer des sowjetischen Gases sind. Und zweitens: Wir sollten uns nicht selbst mit Sanktionen bestrafen, weil es in Osteuropa Entwicklungen gibt, die man
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Bundeskanzler Schmidtnicht hinnehmen kann. Wir brauchen dieses Gas.Ich sage dies, damit man auch einmal hört, was in einigen deutschen Zeitungen überhaupt nicht berichtet wird.In der Haltung zu den praktischen Maßnahmen mit der Adresse Polen oder Sowjetunion sind die französische Regierung und wir uns einig: Es geht ihr wie uns um Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit.Ich möchte dem Bericht des Kollegen Genscher über die Tagung des Ministerrats des Nordatlantischen Bündnisses nicht vorgreifen. Aber an dieser Stelle möchte ich unterstreichen: Wir Deutschen — die Bundesregierung, die Bundesrepublik — haben Verpflichtungen zu solchen Maßnahmen niemals leichtfertig übernommen. Ich erinnere an Sanktionen, die nach der Geiselnahme in Teheran international gefordert und zugesagt worden waren. Ich erinnere an die Sanktionen nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan.Ich erinnere an den Aufruf der Vereinigten Staaten von Amerika zum Boykott der Olympischen Sommerspiele in Moskau. Da haben wir in der Bundesregierung und auch im Bundestag lange gebraucht, um unsere nationalen Sportverbände vom Sinn solcher Solidarität mit den USA und von der moralischen Rechtfertigung des Fernbleibens von der Olympiade zu überzeugen. Dann allerdings haben wir Deutschen diese Verpflichtung auch erfüllt und nicht etwa nur Lippendienste geleistet wie manche anderen.
Am Schluß waren es in Europa nur Norwegen, die Türkei und die Bundesrepublik Deutschland — wenn ich von Monaco einmal absehen darf —, die sich an dieser Sanktion gegen die Olympiade in Moskau beteiligten. Es ist kein Zufall, daß alle diese drei Länder, die das, was vorher lautstark verkündet worden war, dann auch tatsächlich getan haben, unmittelbar an den militärischen Machtbereich der Sowjetunion angrenzen.Wir haben solche Pflichten nie leichtfertig auf uns genommen. Aber wenn wir uns zu etwas verpflichtet haben, dann stehen wir auch dazu, dann wird das auch gemacht.Wir haben in Washington wie in Paris natürlich auch das Problem der Weltwirtschaftskrise behandelt. Besonders gilt das für einen großen Teil des Gesprächs mit Präsident Reagan, das dieser Frage viel Aufmerksamkeit zugewandt hat.Ich habe eindringlich auf die, wie ich es genannt habe, strategische Bedeutung hingewiesen, die die Zurückdrängung der Arbeitslosigkeit für die politische und die soziale Stabilität der Industrieländer des Westens hat. Ich habe ausgeführt, daß seit Kriegsende noch nie ein derart hohes Zinsniveau weltweit bis tief in die Rezession hinein durchgehalten worden ist und daß es deshalb vor allem darauf ankommt, weltweit zu einer deutlichen, vor allem aber dauerhaften Zinssenkung zu gelangen.
Ein erneuter Zinsanstieg im Verlauf des Jahres 1982 — so habe ich ausgeführt — könnte für die Investitionstätigkeit und damit für die Arbeitsmärkte in Industriestaaten wie Entwicklungsländern gleichermaßen ein Desaster bedeuten. Eine Zinssenkung — so habe ich gegenüber dem amerikanischen Präsidenten vertreten — könne wegen der überragenden Rolle des Dollars auf dem gemeinsamen Kreditmarkt — es gibt j a nur noch einen einzigen Geld-und Kapitalmarkt auf der Welt — nur dann gelingen, wenn die Vereinigten Staaten dabei eine Führungsrolle übernehmen.Ich habe im Gespräch mit Präsident Mitterrand erlebt, daß die französische Position in dieser Sache mit der unsrigen übereinstimmt.Übrigens haben dann Präsident Reagan und ich gemeinsam nicht nur unsere Übereinstimmung in der Bekämpfung von Handelsprotektionismus und in der Aufrechterhaltung eines freien Welthandels festgestellt, sondern wir haben vor allem über das Ziel unserer Wirtschaftspolitiken gemeinsam gesagt: Das Ziel heißt Senkung des Zinsniveaus durch Eindämmung der öffentlichen Defizite; es geht um die Bekämpfung der Inflation und die Überwindung der Rezession.Solche internationalen Zusammenhänge sind dem einen oder anderen offenbar fremd. Herr Dr. Kohl sieht immer noch allein einen Zusammenhang zwischen — so haben Sie es genannt, Herr Kohl - der „Ära Schmidt" und der Arbeitslosigkeit in Deutschland
— Sie stellen Ihrer Intelligenz kein großes Zeugnis aus, meine Damen und Herren! —,
als ob es, Herr Dr. Kohl, in der gegenwärtigen Welt Arbeitslosigkeit nur in Deutschland gebe, als ob nicht gerade die Bundesrepublik Deutschland in diesem Punkte besser fährt als alle anderen Mitglieder des westlichen Bündnisses.
Wer das bestreitet, soll außer dem „Bayernkurier" auch noch eine anständige Zeitung lesen.
Ich möchte die Opposition und das Haus insgesamt darauf aufmerksam machen,
daß allein durch die investiven und die steuerpolitischen Maßnahmen, die wir im Zusammenhang mit dem Haushalt 1982 auf den Weg gebracht haben — durch gezielte Investitionen, durch Kapitalaufstokkung bei der Kreditanstalt, durch steuerliche Verbesserung der Abschreibungsmöglichkeiten —, für den Zeitraum bis 1985 insgesamt über 26 Milliarden
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4410 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Bundeskanzler SchmidtDM der wirtschaftlichen Kräftigung zugute kommen.Darüber hinaus stehen wir vor dem Abschluß des Jahreswirtschaftsberichts, der Anfang Februar vorliegen wird. Dann, also nach der Verabschiedung des Haushalts 1982, werden wir — und ich zitiere hier zustimmend den Kollegen Mischnick — unter Zugrundelegung der neuesten Wirtschaftsdaten auch eingehende Gespräche über weitere Beschäftigungsinitiativen führen.
Ich hatte schon gesagt, daß es der deutschen Position in den bilateralen Gesprächen, aber auch in den multilateralen Verhandlungen zugute gekommen ist, daß sie sich auf die Erklärung des Bundestages vom 18. Dezember stützen konnte.Es ist nach der Erklärung des Ministerrats unseres Bündnisses vom vorigen Montag klar, daß die polnische Krise sich eben nicht zu einer Krise der westlichen Allianz ausweiten läßt.Wenn man nun die Presse der Sowjetunion liest und auch die Parteipresse anderer kommunistischer Staaten heranzieht, so findet man dort den Versuch einer Drachensaat zwischen Bonn und Washington oder zwischen Bonn und anderen Hauptstädten. Ich muß Ihnen sagen: Mich hat sowjetische oder kommunistische Propaganda noch nie beeindruckt; das wird auch in Zukunft so bleiben.Aber — und damit wende ich mich nun an die Opposition —
die Fraktionen und Parteien des Bundestages sollten sehr wohl darauf achten, daß sie mit ihrer Sprache keine Drachenzähne säen und keinen Unfrieden im Bündnis stiften.
Als ich vorhin auf einen Zwischenruf etwas scharf reagierte, ist mir das durch weitere Zwischenrufe aus der CDU/CSU-Fraktion angekreidet worden. Wenn aber Mitglieder des Deutschen Bundestags mit Bezug auf die Bundesregierung von einer „Brüskierung der Allianz" reden,
wenn sie davon reden, der Bundeskanzler mache sich zum „Anwalt von Jalta",
wenn sie unser ganzes Land zum „Unsicherheitsfaktor" deklarieren
— das ganze Land, die Bundesrepublik hat es geheißen; die Beleidigung ist in beiden Fällen gleich schlimm, damit Sie sich nicht täuschen, ob Sie nun „Bundesrepublik" oder „Bundesregierung" sagen —,
wenn der bayerische Ministerpräsident davon redet — ich verstehe die Erregung, aber ich muß Ihnen noch ein weiteres Zitat bringen -, die Bundesregierung „krieche vor den politischen Erpressungen der kommunistischen Machthaber feige am Boden",
dann muß ich abermals in Übereinstimmung mit Wolfgang Mischnick vor diesem Wettlauf der „Scharfmacherei" dringend warnen.
Solche Sprache — nunmehr schon seit 14 Tagen — muß im Auslande zu Fehlinterpretationen unserer Lage führen.
Oder, Herr Dr. Kohl und Herr Dr. Zimmermann, soll sie vielleicht zu solchen Fehlinterpretationen führen?
Sie haben Stimmen geweckt, von denen ich gewünscht hätte, sie würden nie wieder hörbar,
nicht nur in ausländischen Medien, auch hier in Deutschland. —
In der Konsequenz bekommt man Briefe von alten Nazis, die unter uns leben, in denen viel Böses über die Polen, über die Russen, über die Bundesregierung in einem einzigen Atemzug gesagt wird. Das ist die Saat, die mit solcher Sprache gesät wird.
— Ich habe bis zum heutigen Tage gewartet — —
Herr Bundeskanzler, ich darf Sie unterbrechen.
Meine Damen und Herren, ich bitte, die Regierungserklärung mit Ruhe bis zum Schluß entgegenzunehmen.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4411
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich denke, daß der Bundestag mir zustimmen wird: Der Deutsche Bundeskanzler hat das Recht, im Bundestag zu sagen, was er für richtig hält.
Ich habe im Ausland wie hier in Deutschland — —(Fortgesetzte Zurufe und Pfui-Rufe von der
CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, ich bitte, diese Regierungserklärung in Ruhe zu Ende führen zu lassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe im Ausland wie im Inland viele Wochen lang darauf verzichtet, die mir angetanen Beleidigungen zurückzuweisen. Einmal, an diesem Ort, wird das wohl mein Recht sein.
Von mir hatte bis zum heutigen Tage niemand ein scharfes Wort gehört,
weil ich mit dem übereinstimme, was der Regierende Bürgermeister von Berlin gesagt hat, als er zum vorsichtigen Umgang mit politischen Äußerungen zur Polen-Krise gemahnt hat.
Herr von Weizsäcker hat sicherlich nicht nur vorsichtiges Wägen der Worte im Verhältnis zum innenpolitischen Gegner oder zur Bundesregierung gemeint, er hat sicherlich auch den vorsichtigen Umgang mit der Sprache in Richtung auf Nachbarn im Osten und auf Freunde im Westen gemeint.
Herr von Weizsäcker weiß jedenfalls, was keiner von uns vergessen darf: Keine Härte in der Sprache,
keine Beleidigung kann die Tatsache ändern, daß die Sowjetunion eine Weltmacht ist und bleibt,
daß sie der von uns nicht sehr weit entfernte, mächtige Nachbar bleibt und daß sie mächtige Truppen im anderen deutschen Staat unterhält, in dem viele Millionen Deutsche leben.Deshalb bleibt es nötig, gegenüber der Sowjetführung in klarem, unmißverständlichem Deutsch unsere deutschen Interessen zu vertreten, aber dochbitte auch in der Bereitschaft, unsererseits zuzuhören, und gegenüber einem anderen Staat verbindlich im Ton.Ob es um Menschenrechte geht oder um menschliche Erleichterungen, ob es um Afghanistan geht oder um Polen, um die uns bedrohenden sowjetischen Mittelstreckenraketen oder um Abrüstungsoder Rüstungsbegrenzungsverhandlungen: kein Führer der Opposition hat bisher je
im Kreml zu Moskau oder in der Redoute zu Godesberg weltöffentlich hörbar, zugleich so eindeutig und bestimmt, aber zugleich auch so verbindlich und dialogbereit unsere Interessen gegenüber der Spitze der Weltmacht Sowjetunion vertreten wie der Kollege Genscher und wie ich selbst.
Wir werden das auch in Zukunft so halten. — Denken Sie an den Eindruck, den Sie heute bei Ihren Wählern machen! —
Wir werden das auch künftig so halten; die Bundesrepublik Deutschland, die Bundesregierung werden sich in dem Kurs ihrer Politik nicht beirren lassen. Dieser Kurs hat eine feste Orientierung.
Wer immer in Europa, ob im Osten oder im Westen, Entspannung haben, Entspannungspolitik festigen, fortsetzen will, der braucht dazu das Gleichgewicht, das politische ebenso wie das militärische Gleichgewicht. Er braucht deshalb das Bündnis der westlichen Verteidigungsgemeinschaft. Er braucht den Brüsseler Doppelbeschluß, der erst dazu geführt hat, die Europa bedrohenden Raketenwaffen mittlerer Reichweite für beide Seiten überhaupt verhandlungsfähig zu machen.
— Nicht einmal von Ihnen, Herr Marx.
Die Zustimmung zu beidem kann nie bloßer Lippendienst sein, sondern sie kommt aus den Einsichten und der Überzeugung, die sich aus der Lage unseres Landes ergeben. Die Sowjetführung ihrerseits hat jedenfalls die innere Logik des NATO-Doppelbeschlusses akzeptiert, sosehr sie ihn in ihrer Propaganda bekämpft.
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4412 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Bundeskanzler SchmidtNur ein festes Bündnis gibt den westeueropäischen Staaten Gewicht zum außenpolitischen Handeln.
Auch in dieser Überzeugung haben Präsident Mitterrand und ich ohne jede Einschränkung übereingestimmt. Ebenso stimmen wir darin überein, daß die Substanz unserer Politik des Dialogs, der Mäßigung und des vernünftigen Ausgleichs bewahrt werden muß. Auch sie dient uns allen. Sie ist ein Teil der gemeinsamen Politik, von entscheidender Bedeutung für unsere Sicherheit, für die Sicherheit Berlins.Meine Damen und Herren, niemand, der ehrlich ist, kann daran vorbeigehen, daß die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung eine breite Zustimmung in unserem Volke findet. Sie findet sie nicht nur hier in der Bundesrepublik; auch aus der DDR erreichen mich viele Briefe, die diese Zustimmung zum Ausdruck bringen. Ebenso bestärken viele Polen, die gegenwärtig aus ihrer Heimat kommen, die Bundesregierung in ihrem Kurs. Vor allem aber stützt sich dieser Kurs auf eine überwältigende Mehrheit unter den Bürgern der Bundesrepublik.
Drei Viertel unserer Mitbürger treten für eine feste Einbindung der Bundesrepublik in das Atlantische Bündnis, für eine enge Anlehnung an die Politik der USA ein.
20 % denken in dieser Hinsicht anders.
Daran ändert nichts die Tatsache, daß gut die Hälfte unserer Mitbürger die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der USA nicht als Vorbild ansehen; das letztere tut nur eine sehr kleine Minderheit.Es besteht doch aber auch gar kein Zweifel: Die Amerikaner und die Europäer sind keine eineiigen Zwillinge, die sich stets und überall identisch verhalten müßten. Sie sind Partner mit gemeinsamen Idealen, mit zentralen gemeinsamen Interessen, aber auch mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen und Interessen im einzelnen, Partner, die sich immer wieder neu abstimmen müssen und die das auch können, weil sie eben nicht nur historisch und politisch, nicht nur wirtschaftlich und militärisch eng verbunden sind, sondern weil sie auch durch die gemeinsamen Wertvorstellungen von Demokratie, von der Freiheit der Person und vom Frieden verbunden sind.Wir Deutschen haben den Amerikanern vieles zu verdanken: daß wir nach dem Krieg politisch und wirtschaftlich wieder auf die Füße kamen, daß Berlin nicht vor kommunistischen Drohungen kapitulieren mußte, daß wir ohne Furcht vor einem Überfall leben können, wie ihn ein Staat in Westasien vor zwei Jahren erlebt hat.
Wir schulden auch Dank. Dankbarkeit ist keineleichte Tugend. Vor allem jungen Menschen fällt esmanchmal schwer, dankbar zu sein, vielleicht weil sie sich beschämt oder beengt fühlen. Manche sehen dann den Splitter im Auge des Freundes oft größer als Balken in den Augen von anderen. Aber das darf so nicht sein.Und es gilt ja für die ganz große Mehrheit unseres Volkes auch nicht. Es gibt etwa ein Fünftel unserer Mitbürger, die für deutsche Neutralität eintreten. Es gibt andere Staaten im Westen mit höheren Prozentsätzen. Aber eine weit überwiegende Mehrheit — ich sagte es schon — ist für dieses Bündnis. Aber zugleich ist eine weit überwiegende Mehrheit auch für eine Politik der Rüstungskontrolle.Und natürlich kann keiner begeistert sein, wenn wir möglicherweise gezwungen sein könnten, neue Raketen auf deutschem Boden zu installieren. Es gibt welche, die wollen das auf jeden Fall. Das ist eine recht kleine Minderheit: 20 %. Die große Mehrheit der Deutschen dagegen ist für eine Politik, die sich am Doppelbeschluß orientiert.Die große Mehrheit ist eben für das Bündnis und für unseren Beitrag, ist auch für die Bundeswehr, die trotz mancher öffentlicher Schelte unter Dr. Apels politischer Leitung zu einer der populärsten Institutionen in unserem Lande geworden ist.
Es gibt im Ausland Stimmen, die der Bundesrepublik vorwerfen und die es für vorwerfbar halten, daß sich in Deutschland Pazifismus ausbreite. Im Ausland habe ich demgegenüber daran erinnert, daß in früheren Jahren die jungen Deutschen gerade im Ausland des Gegenteils wegen, nämlich wegen militaristischer Tendenzen, gescholten worden waren. Das sollte man nicht vergessen.Hier im eigenen Lande will ich allerdings an die Adresse einige Redner der Friedensbewegung festhalten: Man sollte nicht so tun, als ob vorhandene sowjetische SS-20-Raketen, die auf Ziele auch in Deutschland gerichtet sind, weniger gefährlich seien als amerikanische Raketen, die es hier noch gar nicht gibt.
Ich habe Generalsekretär Breschnew und Präsident Reagan gleicherweise gebeten, derartige Entgleisungen nicht versehentlich als symptomatisch für die Grundhaltung des deutschen Volkes zu verstehen. Solches Mißverständnis könnte sowohl in der einen wie in der anderen Hauptstadt zu folgenschweren Fehlentscheidungen führen.Vielleicht darf ich noch eines hinzufügen: Leute, die sich mit lautstarken Protesten an westliche Adressen wenden, aber kein Wort und keine Demonstration übrig haben für die Menschen in Polen, die machen mir weder moralisch noch politisch tiefen Eindruck.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4413
Bundeskanzler SchmidtIch bedaure, daß es heute offenbar zu zwei getrennten Entschließungen kommen soll.
Es tut mir leid, daß die Opposition daran Anstoß nimmt, daß man auf wochenlang ertragene böse Schelte auch einmal antwortet. Aber die Opposition wird wissen, wie jedermann weiß, der in diesen Tagen mit anderen spricht, auf der Straße oder im Geschäft, beim Einkauf oder am Arbeitsplatz, was ich die letzten Ferientage über gerade getan habe
— von einem Geschäft ins andere, und ich habe gespürt, was Sie doch nur nicht zugeben wollen, was Sie aber auch spüren —, daß die Deutschen in ihrer überwältigenden Mehrheit, haben sie nun die FDP gewählt oder die SPD oder die CDU, sich nachdrücklich für unsere Politik des Gleichgewichtes und der Mäßigung und des Augenmaßes aussprechen — nachdrücklich.
Es ist in diesem Geiste, daß ich mich, was unsere Außen- und Sicherheitspolitik angeht, des Friedens wegen mit tiefer Leidenschaft zur Vernunft bekenne. Ein polnischer Dichter, der Nobelpreisträger Czeslaw Milosz, hat die Leidenschaft zur Vernunft so gekennzeichnet:Schön ist die Menschenvernunft und unbesiegbar. Nicht Gitter, nicht Draht, ... noch die Verbannung richten ihr etwas an.Und weiter:Sie hebt das Gebotene über das, was ist, ein Freund der Hoffnung, aber ein Feind der Verzweiflung.In der Tat: die Vernunft, ein Freund der Hoffnung!
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich mich dem eigentlichen Thema, der Aussprache über die Regierungserklärung, zuwende, darf ich, auch im Namen der CDU/CSU-Fraktion, ein herzliches Wort des Dankes und der Anerkennung unseren vielen Mitbürgern in der Bundesrepublik zurufen, die in den letzten Wochen in einer überzeugenden Weise von Mitmenschlichkeit in vielen Solidaritätsaktionen unseren polnischen Nachbarn geholfen haben.
Wer die deutsch-polnischen Beziehungen im Laufe der Geschichte durchmißt; wer weiß, wieviel Blut und Tränen, auch wieviel Elend und Leid zwischen unseren Völkern steht; wer aber auch weiß, wieviel großartige Kapitel deutscher und polnischer Geschichte im Ablauf des letzten Jahrtausends zu verzeichnen sind, der darf in einer solchen Stunde als Deutscher doch darauf hinweisen — und ich sage das in Stolz für unsere Landsleute —, daß allein inden letzten Monaten über den Caritasverband und das Diakonische Werk über 30 Millionen DM an Liebesgaben und Spenden gesammelt wurden — ein Betrag, der höher ist als alle Sendungen aus den übrigen Teilen des westlichen Europas.
Ich möchte an unsere Mitbürger appellieren, in diesen schlimmen Zeiten für unsere polnischen Nachbarn in ihrer Bereitschaft zum Spenden und zum Helfen nicht nachzulassen, nicht nachzulassen auf dem Wege privater Aktionen von Familie zu Familie. Deswegen bitte ich das Hohe Haus um seine Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag, der sicherstellen soll, daß für die Zeit der nächsten sechs Monate Hilfspakete nach Polen — ebenso wie dies jetzt in Schweden und in Österreich möglich war — portofrei gesendet werden können.
Wir alle wissen, daß weitere Sammelaktionen bevorstehen. Ich hoffe, wir sind uns wenigstens darin einig, daß es nicht zuletzt angesichts der Kapitel deutsch-polnischer Geschichte, von denen ich sprach, nun für uns, die Deutschen im freien Teil unseres Vaterlandes, eine einmalige Chance gibt, Solidarität, europäische Solidarität, deutsch-polnische Solidarität zu beweisen.
Lassen Sie mich jetzt zur Regierungserklärung kommen. Herr Bundeskanzler, Schwäche und Opportunismus Ihrer Politik in den letzten Wochen und Monaten haben dazu geführt, daß Sie sich, wenn Sie hier Rechenschaft vor dem deutschen Volk geben müssen, nur noch durch blanke Aggressivität und Beleidigungen in Ihrer Rede über die Runden retten.
Aus Ihrer Rede sprachen Hybris und Schwäche zugleich.
Hybris ist es, wenn Sie so schlankweg erklären: Wer die Bundesregierung angreift und beleidigt, beleidigt die Bundesrepublik Deutschland. Meine Freunde und ich sind einige unter vielen in der Bundesrepublik Deutschland. Ich werde Ihnen nachher einiges dazu zu sagen haben, was ausländische Freunde über Sie sagen. Wir fühlen uns nicht beleidigt, wir fühlen uns auch nicht solidarisiert.
Aber so war das immer mit Ihnen; das ist das Signum Ihres politischen Weges. Es gab eine Phase, da glaubten manche, es sei anders geworden; Sie kehren jetzt zu Ihren Anfängen zurück. Wenn Sie nicht mehr weiterkönnen, schlagen Sie wild um sich — und es ist Ihnen gleichgültig, was Sie dabei zerstören.
Damit bin ich bei einem Abschnitt Ihrer Rede, der so nicht stehenbleiben kann. Sie haben im Zusammenhang mit der Kritik im In- und Ausland an Ihrer Politik wiederum die Schuldigen vorgeführt. Das
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4414 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Dr. Kohlwaren zunächst einmal die Journalisten jeglicher Provenienz im In- und Ausland. Das war dann die Opposition. Wie sagten Sie: Die Saat, die gesät wurde, geht jetzt auf.
Dann machten Sie eine Gedankenpause und sprachen von den Briefen alter Nazis. Melodie und Text dieser Aufführung, Herr Bundeskanzler, sind uns seit Jahren vertraut. Mit blanker Verleumdung versuchen Sie, über die Runden zu kommen.
Es fällt einem schwer, um des Landes willen, um der Reputation unserer Republik im Ausland willen
alles das nicht zu sagen, was man gerade dem Abgeordneten Helmut Schmidt dazu sagen könnte.
Ich habe für meine politischen Freunde und für mich zum Jahresende ein Buch über die Geschichte der Union herausgebracht. Die ersten Bildseiten dieses Buches zeigen die Hinrichtungsstätte in Plötzensee. Sie zeigen diese Hinrichtungsstätte, weil auch die CDU/CSU — ähnlich wie die Sozialdemokratische Partei — nicht zuletzt aus den bitteren Erfahrungen des Widerstandes gegen die Nazibarbarei erwachsen ist. Als ich als Sechzehnjähriger nach dem Krieg zur Union kam, waren meine Leitbilder jene Männer, die vor Roland Freisler und seinem Blutgericht gestanden hatten. Andreas Hermes und Jakob Kaiser, Konrad Adenauer und Eugen Gerstenmaier — ich könnte für die Union noch viele andere nennen; Josef Müller ist hier für die CSU zu nennen —, sie standen für das andere Deutschland. Wir sind weder bereit noch geneigt, hinzunehmen, daß Sie nun, nach mehr als drei Jahrzehnten, in bewährter Weise Geschichtsfälschung vornehmen.
Herr Bundeskanzler, der Vorsitzende der CSU, Franz Josef Strauß, muß sich nicht fragen, wie seine Position am 20. Juli 1944 war.
Und der Vorsitzende der CDU muß sich nicht fragen, der damals ein Kind von 14 Jahren war. Aber er steht in der Kontinuität der Vorsitzenden der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands, die sich alle nicht fragen müssen, wo sie in jenen Tagen gestanden haben.
Herr Bundeskanzler, ich habe Sie vor einigen Monaten von diesem Pult aus gegen die ebenso unerhörten wie ungerechten Vorwürfe des israelischen Ministerpräsidenten Begin verteidigt. Herr Bundeskanzler, Sie machen es uns mit Ihren Reden und mit Ihrem Tun unmöglich, die normalsten menschlichen Beziehungen in diesem Hause aufrechtzuerhalten.
In der Reihe der demokratisch gewählten Kanzlerdes Deutschen Reiches und der BundesrepublikDeutschland gab es noch nie einen, der so wenig Wert darauf legte, seinen Beitrag zum inneren Frieden unseres Landes zu leisten.
Über Ihren Umgang mit der Wahrheit will ich nicht viel hinzufügen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Warum erregen Sie sich eigentlich über die Äußerungen von Franz Josef Strauß so, wenn Franz Josef Strauß doch nur — auf deutsch übersetzt — die Karikatur des französischen „Express" wiedergibt, einer Zeitung, die Ihrem früheren Freund Giscard d'Estaing nahesteht? Herr Bundeskanzler, das ist doch Ihre Politik.
Das war doch die Wiedergabe Schmidtscher Politik, die wir hier erlebt haben.
Aber jetzt zum Thema!
— Ja, meine Damen und Herren, zu dem Thema, das bedrückend genug ist, weil die Politik, die Sie in diesen Wochen und Monaten führen, am Ende dazu führt, daß wir schließlich zwischen allen Stühlen sitzen werden.
Das ist doch das, was Sie erreichen.
Mit der Überschrift „Polen — auch eine westliche Tragödie?" fragte die „Neue Zürcher Zeitung" einige Wochen nach dem Militärcoup von General Jaruzelski in Polen nach der Lage der westlichen Länder. Die Antwort auf diese Frage ist heute eindeutig. Was sich in den letzten vier Wochen innerhalb des Bündnisses abgespielt hat, ist in der Tat eine Tragödie, und die Verantwortung dafür tragen nicht zuletzt die deutschen Sozialdemokraten und Sie, Herr Bundeskanzler.
In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in über 30 Jahren gab es noch nie zuvor eine so eindeutige, eine so harte Kritik an Politik und Person eines deutschen Bundeskanzlers und einer Regierung, wie wir dies in den letzten Wochen in Europa und in Amerika erfahren mußten.
Herr Bundeskanzler, Sie sprachen von „Kritik in einigen Medien". Sie werden es schwer haben, überhaupt noch eine positive Stimme über das Kommuniquédeutsch hinaus irgendwo zu finden.
Unser Land hat durch Ihre opportunistische Politik viel von jenem Vertrauenskapital verloren, das wir in 30 Jahren mühsam gewonnen haben.
Das ist eine schlimme Entwicklung für die Bundesrepublik Deutschland, denn es gibt kein Land in Eu-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4415
Dr. Kohlropa, das so sehr auf das Vertrauen in die Solidarität seiner Freunde angewiesen ist. Niemand, wir ganz gewiß nicht, empfindet über diese Entwicklung Schadenfreude; denn die Folgen tragen wir gemeinsam in Deutschland.Herr Bundeskanzler, was jetzt in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung Frankreichs und in den USA laut wurde, ist nicht ein Ergebnis von Mißverständnissen. Das hat auch überhaupt nichts mit augenblicklicher Verärgerung zu tun. Die Welle dieser Erregung hat antideutschen Bodensatz hochgeschwemmt, der uns alle zutiefst betroffen machen muß, der unserem Lande Schaden zufügt, weil Ressentiments wiedergeweckt werden, die nur sehr langsam abgebaut werden können.
Die Vorwürfe gegen Ihre Regierung — und daraus kommen dann allgemeine Vorwürfe gegen die Deutschen — sind von einer bestürzenden Heftigkeit. Die französische Zeitung „Le Quotidien de Paris" sagte dazu:Vielleicht ist es schwierig für einen Deutschen, das Schicksal des Polen zu bemitleiden, von dem er gewohnt ist, daß es von den Ketten deutscher Panzer umgepflügt wird.Bei der Wahl zwischen der Ostpolitik und der atlantischen Solidarität hat Bonn sich für die Ostpolitik entschieden. Zwischen seinen nationalen Interessen und seinen Bindungen an die freie Welt wählte die Bundesrepublik ihre nationalen Interessen.Der den Sozialisten nahestehende „Nouvel Observateur" warf Ihnen, Herr Kollege Brandt, und der Sozialistischen Internationale vor, daß Sie zuerst sprachlos gewesen seien, und danach hätten Sie den anderen demokratischen Sozialisten die These von einer „innerpolnischen Krise" aufoktroyiert. Wörtlich heißt es:Man kann es nicht fassen: Der Mann, der mutig gegen die Nazis gekämpft hat, der sich für die spanischen Republikaner eingesetzt hat, der in Warschau auf die Knie gefallen ist, um Verzeihung für die Verbrechen der Herren des Dritten Reiches zu suchen, findet kein Wort der Verdammung für die gegenwärtigen Henker des polnischen Volkes.
Und „Le Matin", ebenfalls eine sozialistische Zeitung, sprach davon, daß Westeuropa soeben die ersten perversen Konsequenzen der berühmten Ostpolitik erlebte — und fragt, ob das Europa der Zehn „unter den drei Zeichen von Ostpolitik, Pazifismus und Antiamerikanismus leben" wolle.Wenn das so verläuft,— so fährt die Zeitung fort —dann wird man hinnehmen müssen, daß die Finnlandisierung nicht mehr länger ein Mythos ist. Das sind doch nicht Stimmen aus der deutschen Opposition; das sind Stimmen aus dem Lager Ihrerpolitischen Freunde in Frankreich. Der Vorsitzende der Sozialistischen Partei Frankreichs, Jospin, erklärte in diesen Tagen:Die französische Kommunistische Partei — der Sozialistenführer sagt das —steht nicht allein mit ihrer Haltung zu Polen. Sie vertritt Standpunkte, wie sie auch Bundeskanzler Schmidt vertritt.Herr Bundeskanzler, in welcher Nachbarschaft bewegen Sie sich eigentlich in Europa, wenn so etwas möglich ist?
Herr Kollege Brandt, gestern hat das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Frankreichs die Verhängung des Kriegsrechts in Polen verteidigt und gleichzeitig die sehr realistische und maßvolle Position des SPD-Vorsitzenden Brandt gewürdigt.
Heute, Herr Kollege Brandt — damit das Bild vollständig wird —, haben die Führungsgremien der kommunistischen Partei Italiens festgestellt, daß die Partei geschlossen hinter der Verurteilung der Sowjetunion durch ihren Generalsekretär Enrico Berlinguer stehe, und die 219 Mitglieder des Zentralkomitees und der zentralen Kontrollkommission der KPI verabschiedeten in der Nacht zum Donnerstag eine Resolution, die das Entsprechende enthält. In der Resolution wird die Verhängung des Kriegsrechts über Polen scharf verurteilt und der Sowjetunion offene und direkte Einmischung vorgeworfen.Herr Kollege Brandt, offensichtlich sind die italienischen Kommunisten eher bereit, klar zu sagen, was in Polen vonstatten geht, als Sie und viele Ihrer Freunde in der Sozialdemokratischen Partei.
Herr Bundeskanzler, um das Bild abzurunden: Die Pariser Zeitung „Le Monde", die Sie gerne und oft zitieren, geht in diesen Tagen so weit, in der deutschen Politik gegenüber Warschau eine Fortsetzung der Unterdrückung der Freiheit Polens zu sehen, zu der sich im September 1939 Stalin und Hitler zusammengefunden haben.Herr Bundeskanzler, Sie waren gestern in Paris. Es ist doch ausgeschlossen, daß Sie von dieser Stimmung nichts bemerkt haben! Es ist doch undenkbar, daß Sie nicht wissen, was sich in unserer Nachbarschaft vollzieht!
Die italienische Zeitung „Corriere della Sera" stellt die Frage, ob Europa vor einem „neuen Rapallo" stehe, vor einem — diesmal stillschweigenden —hereinkommen zwischen Rußland und Deutschland.
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4416 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Dr. KohlHerr Bundeskanzler, eines Ihrer Lieblingsblätter, das Sie regelmäßig hier zitieren, das New Yorker „Wall Street Journal", stellt fest:Schmidts Haltung gegenüber Moskau deutet auf eine demoralisierte Führung hin, die die Zukunft Westdeutschlands am ehesten noch als die eines finnlandisierten, industrialisierten Vasallen eines totalitären Imperiums sieht.Es heißt in dieser Zeitung wörtlich:Deutschland hat sich effektiv auf die Seite der kommunistischen Generäle gestellt.
— Meine Damen und Herren, wir müssen uns immer Ihre Zitate anhören. Sie müssen heute in diesem Hause die Wahrheit anhören!
Die „New York Times", ebenfalls ein Blatt, das Sie gerne und häufig zitieren, wirft Ihrer Regierung vor, daß die zögerliche Haltung der Deutschen zum Thema „Sanktionen gegen die Warschauer Militärregierung" — jetzt wörtlich — „Ausdruck eines deutschen Hirngespinstes namens Entspannung" sei. Die zahme westdeutsche Reaktion mache deutlich: „Unser westdeutscher Verbündeter verrät eine alarmierende Toleranz für sowjetische Unterdrükkung".Als letztes sei ein amerikanisches Blatt genannt, aus dem Sie hier auch regelmäßig zitieren. Die „Washington Post" schrieb:Wenn Deutschland, das Herzstück der NATO, sich in die Position des Vermittlers zwischen der Allianz und ihren Gegnern manövriert, was bleibt dann noch von dieser Allianz übrig?Herr Bundeskanzler, ist es wirklich so, daß Sie, der „crisis manager" des Erdballs, allein wissen, was richtig ist — und all jene Konservativen, Liberalen und Sozialisten, die Ihren Weg beobachten und kommentierend begleiten, sich täuschen sollten? Glauben Sie nicht, daß zur Demut vor der Geschichte auch die Erkenntnis gehört, daß andere recht haben könnten? Wenn Sie sich jetzt in der für Sie typischen Haltung zur Opposition von uns abwenden, ist das tiefenpsychologisch nur ein Hinweis darauf, daß Sie dies nicht begreifen können.
Der Verfall des Ansehens der deutschen Politik draußen in der Welt und der Verfall des Ansehens dieser Regierung sind unübersehbar. Die Summe der Kritik hat Raymond Aron eindrucksvoll zusammengefaßt, als er sagte:Die Bundesrepublik weiß nicht mehr, zu welcher der zwei Welten sie gehören will, von welcher mehr zu fürchten, und von welcher mehr zu erwarten sei.Aus dem Munde dieses klugen Mannes am Ende der Ära Schmidt eine vernichtende Kritik!
Für uns heißt das Problem nicht „Bundeskanzler Schmidt"; die Frage, die uns bewegt, heißt: Wie gehtes weiter mit der Bundesrepublik Deutschland? Deshalb müssen wir uns fragen: Worauf ist es zurückzuführen, daß im verbündeten und befreundeten Ausland das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit, die Standfestigkeit und die Berechenbarkeit der deutschen Außenpolitik so erschreckend abgenommen hat?Herr Bundeskanzler, es wäre nicht zu diesem Schwund an Vertrauen gekommen, wenn Sie nicht selber seit dem Militärputsch in Polen Äußerungen getan hätten, die in den Hauptstädten unserer Verbündeten — und nicht nur dort — Fragen nach dem eigentlichen Ziel deutscher Außenpolitik geradezu heraufbeschwören mußten. Ich will drei dieser Äußerungen aus den letzten Wochen noch einmal nennen.Erstens. Bei Ihrem Besuch im anderen Teil Deutschlands sagten Sie am 13. Dezember — das liegt jetzt gerade vier Wochen zurück —, auf die Vorgänge in Polen angesprochen: „Herr Honecker ist genau so bestürzt gewesen wie ich, daß dies nun notwendig war."
Herr Bundeskanzler, wie mußte eigentlich auf die Welt, wie mußte auf polnische Arbeiter, von denen Sie gesprochen haben, das Wort wirken, „daß dies nun notwendig sei"? Wie mußte es wirken, wenn der frei gewählte Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gemeinsam mit dem Herrn Honecker, dem Chef einer kommunistischen Diktatur sagt, das sei „notwendig" gewesen?
Zweitens. Am 30. Dezember — Sie bestreiten dies jetzt zwar, aber ihre eigenen Texte liegen im Originalton vor — ließen Sie den Regierungssprecher, in klarer Frontstellung zur Führungsmacht des Westens, den Vereinigten Staaten erklären: „Wir teilen die Auffassung nicht, daß die Sowjetunion als Anstifter für die Verhängung des Kriegsrechts zu betrachten ist."
Herr Bundeskanzler, Sie können diese Äußerung nicht bestreiten, und Sie werden doch nicht behaupten können, daß Ihr Sprecher, der doch versucht, Ihre Politik draußen darzustellen und zu verkaufen, dies gesagt habe, ohne zu wissen, wie Sie in dieser Sache denken.Sie haben dieses Urteil nicht aufrechterhalten können. Von Erklärung zu Erklärung innerhalb der letzten Tage bis hin zur heutigen Regierungserklärung mußten Sie modifizieren, mußten Sie sich in Ihrer Position verändern. Inzwischen sind Sie zu einer Verurteilung der sowjetischen Verantwortung gekommen. Glauben Sie im Ernst, Herr Bundeskanzler, daß für das freie Deutschland damit die verheerenden politischen und moralischen Wirkungen Ihres Versuchs zu Ende sind, die Sowjetunion von ihrer Verantwortung für die Vorgänge in Polen öffentlich freizusprechen? Sie haben dem Ansehen des Landes mit diesen Äußerungen geschadet.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4417
Dr. KohlZu Beginn dieses Jahres — Sie haben auch das heute bestritten und haben alle, die darüber reden, als Fälscher bezeichnet — haben Sie in einem Interview in der „New York Times" die Vorgänge in Polen in einen Zusammenhang mit der Konferenz von Jalta im Frühjahr 1945 gebracht. Ich streite jetzt gar nicht darüber, wie Sie das Wort von den „Einflußsphären" in Europa verstanden wissen wollten. Ich gebe zu, das ist vieldeutig. Nur, Herr Bundeskanzler: Wie kommt es Ihnen in den Sinn, in dieser Lage in Polen und in Deutschland überhaupt an die JaltaKonferenz zu erinnern?
Ich kann doch erwarten, daß der deutsche Regierungschef wenigstens eine Mindestausstattung an historischen Kenntnissen hat, bevor er sich an eine solche Behauptung wagt.
Wer das Wort Jalta in diesem Zusammenhang in den Mund nimmt, muß doch wissen, daß dies zu Mißdeutungen führt. Der Beifall, den Sie für diese Hinweise sofort aus Moskau bekommen haben, ist ein verräterischer Beifall, Herr Bundeskanzler.
Man muß sich doch fragen: Haben Sie sich gerade auch im Blick auf Osteuropa gefragt, welchen Eindruck Sie mit Ihrem Wort von den „Einflußsphären" bei den Völkern in Mittel- und Osteuropa, bei den 17 Millionen unserer Landsleute im anderen Teil Deutschlands hinterlassen, denen Menschenrecht und Menschenwürde verwehrt sind?Am 1. August 1975 ist in Helsinki die Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit auch von Polen, auch von der Sowjetunion, unterzeichnet worden.
In diesem Dokument heißt es ausdrücklich: „Die Teilnehmerstaaten werden die Menschenrechte und die Grundfreiheiten ... achten." Herr Bundeskanzler, warum sprachen Sie in Ihrem Interview von Jalta und nicht von Helsinki? Das wäre doch naheliegend gewesen.
Faßt man die Äußerungen, die ich gerade zitiert habe, zusammen, ergibt sich ein klarer Befund: Sie haben Spannungen im Verhältnis zu unserer Schutzmacht Amerika und Risse im Bündnis in Kauf genommen, um das Verhältnis zur Sowjetunion von Spannungen möglichst freizuhalten. Sie müssen sich schon die Frage gefallen lassen, als was Sie und Ihre eigene Partei, die SPD, die Bundesrepublik Deutschland letztlich betrachten: immer noch als einen unstreitig integralen Bestandteil des Atlantischen Bündnisses
— Herr Kollege, Ihnen nehme ich das ab; aber Sie sind nicht mehr typisch für die deutsche Sozialdemokratie —
oder schon als einen Staat, dem wegen seiner besonderen Lage eine „Sonder-" und „Vermittlerrolle" zwischen Ost und West zukommt — jene Sonder- und Vermittlerrolle, Herr Bundeskanzler, die nach unserer Überzeugung das Ende unserer Freiheit herbeiführen muß.Der französische „Le Matin", ebenfalls eine Zeitung Ihrer Parteifreunde in Paris, warnt im Zusammenhang mit Ihren Reaktionen, Herr Bundeskanzler, auf die polnischen Ereignisse vor der Gefahr eines neuen München. Und Herr Brzezinski, Ihnen aus früheren Zeiten besonders verbunden, sagte unlängst über Ihre Politik:Er gibt sich als wichtigstes Mitglied der Allianz, aber tatsächlich benimmt er sich wie ein perfekter Neutralist.
Ich kann Sie, Herr Bundeskanzler, nur auffordern, solche Kritik im Ausland aus berufenem Mund mit großer Wirkung innerhalb der Bevölkerung dieser demokratischen Staaten nicht einfach abzutun, sondern durch Taten zu widerlegen. Sie sind es dem deutschen Volk schuldig, Herr Bundeskanzler.
Wie groß inzwischen der Unterschied zwischen Ihren Worten und Taten geworden ist, will ich Ihnen einmal an Hand Ihrer gemeinsam mit dem französischen Präsidenten herausgegebenen Erklärungen vor Augen führen. Ich werde es hier sicherlich zitieren dürfen, weil auch Sie es früher immer wieder zitiert haben.
— Meine Damen und Herren, es ist ziemlich traurig, daß Sie hier Ihr Pflichtsoll an Beifall für diese Koalition wegen des schlechten Gewissens der FDP in dieser Sache auf diese Weise deutlich machen.
In der Erklärung vom 5. Februar 1980 nach der sowjetischen Intervention in Afghanistan stellten Sie zusammen mit dem französischen Präsidenten fest, „daß durch die Ereignisse in Afghanistan die Entspannung schwieriger und unsicherer geworden ist und daß deshalb der Rückzug der ausländischen Truppen aus Afghanistan erforderlich ist". Sie erklärten,
„daß die Entspannung einem neuen Schlag gleicher Art nicht standhalten würde. In diesem Fall würden Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit ihren Bündnispartnern die Maßnahmen ergreifen, die unter diesen Umständen erforderlich sind, um ihre Sicherheit zu gewähr-
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4418 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Dr. Kohlleisten und die internationale Stabilität zu verteidigen".Herr Kollege, Sie sagten: „Noch ein Zitat!" Das ist ein amtliches Dokument deutscher Politik. Sind wir inzwischen schon so weit heruntergekommen, daß Sie ein Zitat aus einem amtlichen Dokument der von Ihnen getragenen Regierung nach einem Jahr nicht mehr ertragen können?!
Genau ein Jahr später, am 6. Februar 1981, stellten Sie wiederum mit dem französischen Präsidenten die Forderung auf, „daß Polen in der Lage sein muß, seine ernsten Probleme selbst friedlich und ohne Einmischung von außen zu lösen".
Sie sahen in dieser Forderung eine der Voraussetzungen, „von denen die Stabilisierung des Ost-West-Verhältnisses und die Erhaltung des Friedens abhängen". Wörtlich sagten Sie in dieser Erklärung:Mäßigung ist überall — außerhalb wie innerhalb Europas — mit dem Rückgriff auf Gewalt, mit der Politik der vollendeten Tatsachen und mit Versuchen unvereinbar, sich einseitige Vorteile zu verschaffen.Im Januar 1982, Herr Bundeskanzler, stehen noch immer die sowjetischen Truppen in Afghanistan, trotz der Zusicherung, sie zurückzuziehen. Am 13. Dezember letzten Jahres hat das polnische Militär die neue Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung mit fast 10 Millionen Mitgliedern zerschlagen. Tausende polnischer Patrioten wurden verhaftet; sie sind zum Teil bereits zu Gefängnisstrafen verurteilt. Viele Arbeiter wurden entlassen, die nicht bereit waren, aus der neuen polnischen Arbeiterbewegung auszutreten. Dies alles ist unleugbar auf direkten Druck und unter direkter Mithilfe der Sowjetunion geschehen.
— Meine Damen und Herren, ich muß schon sagen: Es ist sehr bemerkenswert, daß Sie überhaupt nicht mehr spüren, daß das, was der Bundeskanzler im Ausland sagt, und das, was er hier am Pult sagt, überhaupt nicht mehr übereinstimmt.
Und ein Liberaler sollte doch Verständnis dafür haben, daß hier im Parlament über deutsche Politik gerungen und entschieden wird.Herr Bundeskanzler, Sie sagten wörtlich: „Ich glaube, daß Jaruzelski in erster Linie so gehandelt hat, wie es seiner Ansicht nach den besten Interessen der polnischen Nation entspricht, also in erster Linie als Pole. In zweiter Linie erscheint er als einMilitär. Und erst in dritter Linie, glaube ich, handelt er als Kommunist."
Die Neue Züricher Zeitung sagt dazu: „Die Polen nennen Jaruzelski nicht, wie deutsche Politiker, einen Patrioten, sondern einen Verräter." — Welche deutschen Politiker sind da wohl gemeint?
Das Bild ist bedrückend. Es ist bedrückend, weil zwischen Ihren Worten und Ihren Taten keine Übereinstimmung besteht. Das gilt nicht nur für die Bundesregierung; das gilt besonders für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Ihre Freunde in Paris, Herr Brandt, haben von einer „Abdankung der deutschen Arbeiterbewegung angesichts der Niederdrückung des polnischen Volkes" gesprochen.Ich hätte es begrüßt, wenn in diesen letzten Wochen bei vielen Gelegenheiten, auch bei Gelegenheiten, bei denen meine Freunde in einigen deutschen Städten zu Kundgebungen aufgerufen haben, die örtlichen Parteiorganisationen der SPD und der FDP bereit gewesen wären, in Schweigemärschen für die Solidarität mit Polen zu demonstrieren.
Ich hätte es begrüßt, wenn auch im Deutschen Gewerkschaftsbund die Bereitschaft zu einer öffentlichen Demonstration deutlich geworden wäre.
Wenn ich mich an all jene kritischen Stimmen erinnere, die sich da gegen die Diktatur in Portugal, in Spanien, in Chile, in der Türkei erhoben haben, dann frage ich mich: Sind Sie nur dann wirklich empört, wenn der Ort oder der Gegenstand Ihrer Empörung weit entfernt ist und keinen großen Patron in der internationalen Politik hat?Wir sind weder auf dem linken noch auf dem rechten Auge blind.
Wer Menschenrechte mit Füßen tritt, findet unsere entschiedene Gegnerschaft. Das ist die Ausgangsposition unserer Politik.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie sich — übrigens auch Herr Genscher — in den letzten Wochen so häufig auf die Haltung der polnischen Kirche und des aus Polen kommenden Papstes berufen haben,
dann frage ich Sie: Warum haben Sie dann nicht wenigstens die Aufrufe der Kirchen zu Schweigemärschen und Demonstrationen unterstützt? Und Herr Genscher, ich frage Sie: Wie kommt der Generalsekretär der FDP dazu, all jene, die zur Solidarität aufgerufen haben, als „kalte Krieger" zu beschimpfen?
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4419
Dr. KohlEs ist weit gekommen mit den liberalen Prinzipien in der deutschen Politik.
Wo waren denn in diesen Wochen und Tagen Ihre Reaktionen, als der polnische Erzbischof Klempp die sittenwidrige Pression gegen die polnische Arbeiterschaft offen anprangerte? In der deutschen Presse wurde diese Predigt als „entlarvend" für das polnische Militärregime beurteilt. Auch der Papst hat eine klare Sprache gesprochen.Herr Bundeskanzler, Sie haben ja bei anderer Gelegenheit den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz angesprochen. Das war vor über einem Jahr. Ich hätte es begrüßt, wenn Sie auch die heutige Erklärung des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz in Ihren Text aufgenommen hätten. Kardinal Höffner sagt ganz klar:Wer jetzt noch von einem rein innerpolnischen Vorgang spricht, der opfert den Freiheitswillen eines ganzen Volkes einer vermeintlichen Entspannungspolitik. Zudem spricht dieses Geschehen in Polen der Schlußakte der KSZE-Konferenz in Helsinki Hohn. Wer frei sprechen kann,— so Kardinal Höffner —darf sich der Verantwortung nicht entziehen, auch nicht durch Schweigen.
Das brutale Vorgehen von Polizei und Streitkräften gegen Gewerkschaftler und kritische Intellektuelle in Polen verbietet „jede beschönigende Interpretation des Militärregimes als Notbremse, als kleineres Übel angesichts eines möglichen sowjetischen Einmarsches. Die bisher weithin geübte Zurückhaltung gegenüber der polnischen Militärdiktatur ist durch nichts mehr zu rechtfertigen. Wer meint, daß das Regime Jaruzelskis toleriert werden sollte, weil dadurch Schlimmes verhütet werden könnte, der täuscht sich über die Eigendynamik diktatorischer Herrschaftsformen." Das ist kein Zitat von mir, Herr Bundeskanzler; das ist ein Zitat
— jetzt hören Sie gut zu — von Mitgliedern Ihrer eigenen Partei, von der „Gruppe demokratischer Sozialisten in der Bundesrepublik". Unter dieser Erklärung stehen Namen wie Peter von Oertzen, Ossip Flechtheim und Iring Fetscher, um nur einige wenige zu nennen. Daß Intellektuelle aus der deutschen Sozialdemokratie so reden müssen, zeigt doch den Bankrott Ihrer Politik innerhalb der Sozialdemokratischen Partei.
Die angeblich drohende Anarchie und die Gefahr, daß Polen von der Landkarte verschwindet, wenn die polnische Armee das Kriegsrecht nicht verhängt hätte, sind doch nicht die Ergebnisse der demokratischen Reformbewegung. Wer das sagt, verbreitet doch Moskauer Theorien. Diese Mißwirtschaft ist ausschließlich die Folge einer kommunistischen Ein-Parteien-Diktatur, reaktionärer planwirtschaftlicher Methoden und der fortdauernden militäri-schen Drohung und Einmischung der Sowjetunion.Es ist doch eine verhängnisvolle Illusion, zu glauben, daß eine solche fundamentale Strukturkrise des kommunistischen Systems genau durch die Methoden wieder behoben werden könnte, die den polnischen Staat in diese Existenzkrise geführt haben. Die Sowjetunion mag mit Hilfe von Panzern, mit Hilfe von polnischen Militärs und mit ihren sonstigen Einmischungen von außen eine sogenannte Normalisierung in Polen erreichen. Aber die sowjetischen Führer begehen damit den geschichtlichen Irrtum, zu glauben, damit die politische, wirtschaftliche und geistig-ideologische Krise beheben zu können, die nicht nur Polen, sondern auch längst die Sowjetunion und ihre Bündnispartner in der DDR und in der CSSR — dort ist es besonders erkennbar — erfaßt hat.Die Sicherheitsinteressen der Sowjetunion sind mit Panzern und Bajonetten auf die Dauer nicht zu garantieren. Die sowjetische Führung muß endlich auch begreifen, daß Friede und Sicherheit in Europa nur auf dem Wege der Reformen, auch demokratischer Reformen, innerhalb der Länder des Warschauer Paktes dauerhaft gesichert werden können.
Der Friede in Europa bleibt gefährdet, solange die Sowjetunion in ihrer militärischen Üerrüstung das einzige Mittel sieht, mit dessen Hilfe sie die Reformbewegungen innerhalb der kommunistischen Paktstaaten unterdrücken kann, und solange ihre Bereitschaft fortbesteht, diese Überrüstung zur angeblichen Aufrechterhaltung ihrer Sicherheit nach außen auch gegen die freie Welt einzusetzen.Wir alle müssen der Sowjetunion immer wieder deutlich machen, daß aus unserer Sicht der andere Weg der richtige ist. Dazu gibt es Möglichkeiten.Erstens. Es bleibt bei unserer Bereitschaft zu einer dem Frieden dienenden Entspannung in Zusammenarbeit auch mit den Ländern in Mittel- und Osteuropa, mit den kommunistischen Staaten. Es bleibt bei unserer Bereitschaft zu einer kontrollierten und ausgewogenen Rüstungskontrolle und Abrüstung. Es bleibt unser Interesse, daß die Genfer Verhandlungen vorankommen.Zweitens. Wir müssen gegen alle Verletzungen des Selbstbestimmungsrechts der Völker und der Menschenrechte durch die Sowjetunion und ihre kommunistischen Bruderparteien die öffentliche Meinung in der freien Welt mobilisieren. Alle Bürgerrechtler bestätigen uns immer wieder, daß dies auch für die Sowjetunion von Bedeutsamkeit ist. In seinen Erinnerungen schreibt der frühere General der Roten Armee Grigorenko: „Die sowjetische Führung reagiert sehr empfindlich auf die internationale öffentliche Meinung. Schon eine einfache Publikation in der Auslandspresse zeitigt ihre Früchte." — Wenn wir schweigen, nehmen wir diese Chance zur Mobilisierung der öffentlichen Meinung in der Welt nicht wahr.
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4420 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Dr. KohlDrittens. Wenn die Sowjetunion in ihrer Aggressionspolitik fortfährt, Menschenrechte verletzt oder — wie jetzt in Polen — versucht, den Reformprozeß zu ersticken, dann muß sie wissen, daß sie dafür international einen hohen politischen, einen wirtschaftlichen und einen moralischen Preis zu zahlen hat.Aber wie sieht denn die Realität im westlichen Bündnis nach dem Militärcoup in Warschau aus? Der freie Westen weiß auf die Strukturkrise in den kommunistischen Staaten keine — und schon gar keine gemeinsame — Antwort. Das Bündnis treibt einer Entwicklung zu, die sowohl international als auch national destabilisierend wirkt. Es fehlt dem Bündnis vor allem — und das ist ja der Ausgangspunkt der heutigen Debatte — an einer übereinstimmenden Analyse der sowjetischen Politik. Aber diese Analyse ist die Voraussetzung für gemeinsames Handeln.Seit eineinhalb Jahren mußte der Westen damit rechnen, daß sich die Krise in Polen zuspitzte und eine sowjetische Intervention möglich war. Auch heute kann niemand diese Intervention ausschließen. Dennoch vermittelt die westliche Welt heute ein Bild der Zerstrittenheit und der Hilflosigkeit. Immer weniger stehen die Ereignisse in Afghanistan und in Polen, die Verfolgung von Bürgerrechtlern in allen Staaten des Warschauer Paktes im Mittelpunkt öffentlicher Diskussion, sondern immer mehr das kleinliche Gezeter unter den Bündnispartnern.Die Vertrauenskrise so wichtiger Bündnispartner wie der USA und Frankreichs gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, wie sie gegenwärtig zum Ausdruck kommt, gefährdet die deutschen Interessen existenziell. Wir drohen nicht nur in eine internationale Isolierung zu geraten, sondern wir verspielen auch Vertrauenskapital — was in nationalen Krisen, wie etwa einer Berlin-Krise, bedrohlich werden kann.Herr Bundeskanzler, was würden wir eigentlich denken, wenn bei einer äußeren Existenzbedrohung unseres eigenen Landes die internationale Umwelt nur kühl von „Nichteinmischung", von einem „internen Problem der Deutschen", von „behutsamer Zurückhaltung" sprechen würde? Wir wären zu Recht empört, wir würden uns im Stich gelassen fühlen. Doppelte Moral: Das ist wohl die zutreffendste Bezeichnung für eine solche Haltung.
Die Entwicklung in Polen verdeutlicht aber ebenso, daß es auch um einen zunehmenden Dissens zwischen den USA und Europa und vor allem zwischen Washington und Bonn geht. Wie groß die Entfremdung mit unserem wichtigsten Bündnispartner geworden ist, zeigt doch die jüngste Auseinandersetzung über mögliche gemeinsame Sanktionen gegenüber Polen und der Sowjetunion.Am gleichen Tag, an dem die NATO-Außenminister ihre gemeinsame Bereitschaft zu Sanktionen beschließen, wenn auch nur entsprechend der nationalen Möglichkeiten, der jeweiligen Lage und Rechtsvorschriften, lehnt der SPD-Vorsitzende Willy Brandt diese Sanktionen schlicht ab. Herr Kol-lege Genscher, ich frage Sie als Vorsitzenden der FDP: Was sagen Sie eigentlich, wenn Sie in Brüssel eine solche Verhandlung abschließen und Ihr Partner in Bonn zur gleichen Stunde genau das Gegenteil sagt? Herr Kollege Brandt, ich sage das mit aller Härte: Uns wundert es nicht, daß Herr Jaruzelski sich ausgerechnet an Sie mit einem Schreiben gewandt hat.
Welche Glaubwürdigkeit soll eigentlich der heutige Entschließungsantrag von SPD und FDP noch besitzen, wenn darin ausdrücklich auf Erklärungen des amerikanischen Präsidenten und der NATO Bezug genommen wird, auf Erklärungen also, die doch Sie, Herr Kollege Brandt, und führende Mitglieder Ihrer Partei fortdauernd öffentlich kritisieren? Wie können Sie eigentlich dieser Entschließung von heute zustimmen, wenn Sie draußen andauernd das Gegenteil sagen?Wir brauchen doch die Amerikaner wahrlich nicht darüber zu belehren, daß Sanktionen die Sowjetunion nicht in die Knie zwingen. Herr Bundeskanzler, aber darum geht es doch auch gar nicht. Die Androhung von Sanktionen soll die Sowjetunion warnen, in ihrer Politik der Aggression und der Unterdrückung von Menschenrechten fortzufahren. Sie soll der sowjetischen Führung deutlich machen, daß die freie Welt gewillt ist, auch zu handeln, d. h. von Moskau einen Preis einzufordern. Wenn Moskau die polnische Reformbewegung erstickt, kann für die freie Welt nicht der Satz gelten: Business as usual. Wenn das die Philosophie unserer Demokratie ist, ist diese Republik am Ende.
Für uns ist Entspannung auch nicht in der Form teilbar, daß Wirtschaftsbeziehungen, Milliardenkredite und technisch-wissenschaftliche Zusammenarbeit losgelöst von der politischen Entwicklung betrieben werden können. Das muß die Sowjetunion und das müssen die Warschauer Paktstaaten wissen und auch konkret erfahren.Wenn es in den nächsten Monaten nicht gelingt, die Instrumente der Abstimmung und Zusammenarbeit im Bündnis neu zu überprüfen, wenn es nicht gelingt, eine gemeinsame Konzeption der Zusammenarbeit innerhalb des Bündnisses zu entwickeln, wenn es nicht gelingt, zu einer gemeinsamen Beurteilung sowjetischer Politik zu kommen — politisch, wirtschaftlich und militärisch —, und wenn es nicht gelingt, dieses gemeinsame Handlungskonzept auch nach außen sichtbar zu machen —, dann wird das Atlantische Bündnis in eine existentielle Krise geraten, dann wird die Entfremdung zwischen den USA und Europa und vor allem der Bundesrepublik zunehmen —, und zwar in einem Maße, daß es lebensgefährlich für die Sicherheitsinteressen unseres Landes wird.Herr Bundeskanzler und Herr Bundesaußenminister, das ist nicht nur unsere Auffassung und nicht nur die Auffassung des amerikanischen Präsidenten und seiner Administration. Das ist — wie wir wohl wissen, etwa im Kongreß und im Senat die Auffassung der beiden großen amerikanischen Parteien
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4421
Dr. Kohlund damit weiter Teile der amerikanischen Bevölkerung.Lassen wir einmal die Einzelheiten beiseite, die eine klare Sprache sprechen, so bleibt, wenn ich Ihre Politik über die Jahre hindurch analysiere, Herr Bundeskanzler, ein Fazit, das mehr als jedes andere Detail beunruhigt. Es bleibt nämlich die Feststellung, daß Sie, selbst wenn Sie es wollen, zu keiner wirklichen Übereinstimmung mit Präsident Reagan und seiner Administration kommen können. Das politische Konzept, das Ihrem Denken zugrunde liegt, und das Denken unserer amerikanischen Freunde sind offensichtlich grundverschieden; sie sind zu verschieden, um Harmonie zuzulassen. Ihre Außenpolitik und die des amerikanischen Präsidenten sind aus sehr prinzipiellen Gründen nicht in Einklang zu bringen. Ich will Ihnen die Gründe nennen.Erstens. Sie sind im Kanzleramt Nachfolger von Willy Brandt und haben dessen ideologisch-missionarische Außenpolitik vorgefunden. Einer der tragenden Begriffe in Ihrer ersten Regierungserklärung lautete „Kontinuität". In diesem Fall hatten Sie allerdings weit mehr Konsolidierung im Auge. Wir wissen ja, daß Sie den Visionen — wie Sie sagten — Ihres Vorgängers nicht bis in alle Milchstraßen folgen wollten. Aber die Kontinuität war schließlich stärker als Ihre Vorsätze. Das liegt vor allem daran, daß in der Kette Ihrer Begabungen vor allem eines fehlt — auch das haben wir heute gemerkt —, nämlich schöpferisches Denken.
Herr Bundeskanzler, in den acht Jahren, in denen Sie regieren, haben Sie jedenfalls die deutsche Außenpolitik um kein kreatives Moment bereichert. Ich werde es sagen, obwohl es Herr Brandt vielleicht zu gerne hört: Sie haben das, was Herr Brandt geschaffen hat, auf verwaltbare Größenordnungen reduziert. Herausgekommen ist dabei eine Art Brandt im DIN-A 4-Format.
Was Herr Brandt gemacht hat, war von einer Idee inspiriert, die wir für lebensgefährlich halten und die niemals unsere Zustimmung findet. Aber es war eine politische Konfession. Es war eine bedenkliche Außenpolitik, und an ihren Folgen werden wir noch lange laborieren. Die Idee dieser Politik war nicht gut; aber nun ist auch die Realisierung dieser Politik nur noch durchschnittlich geworden.Herr Bundeskanzler, ist es Ihnen noch nicht selber aufgefallen, daß Sie, wenn Sie Brandts Emphase wegstreichen, für Ihre Außenpolitik keine perspektivische Begründung haben? Das ist genau der Vorwurf Ihrer eigenen Parteifreunde an Ihre Politik.
Ihre peinlichen Reden an der Seite Erich Honekkers von der „guten Nachbarschaft",
zur gleichen Zeit, als der SED-Chef dabei war, die Polen zu zwingen, sich selbst zu vergewaltigen; die Bemerkung vom Frieden, den Honecker angeblich in gleicher Weise wolle wie Sie —
fragen Sie doch einmal in Warschau nach, in welcher Weise Honecker den Frieden will —; Ihr Dank für eine Gastfreundschaft, die eigens für Sie die Vorführung inszenierte, wie deutsche Uniformträger in einem totalitären Regime eine Stadt besetzen: Das alles, Herr Bundeskanzler, rührt doch nur daher, daß Sie sich zur Überhöhung Ihrer Politik einer Sprache bedienen müssen, deren Weltbild in Wahrheit Ihnen innerlich doch zutiefst fremd ist.Sie stoßen jetzt auf einen Präsidenten in den Vereinigten Staaten, der von seiner Mission erfüllt ist; der von seinen Ideen erfüllt ist — und der in diesem Sinne seine Außenpolitik entwickelt.Und es gibt noch einen zweiten triftigen Grund, warum Ihre Politik mit Washington nicht mehr harmonisiert werden kann. Er hängt zusammen mit einem Teil des Erbes, das Sie übernommen haben. Wenn mich nicht alles täuscht, ist gerade Ihre Aggressivität, auch heute wieder, ein Hinweis darauf, daß Sie ratlos geworden sind, daß es Ihnen nicht mehr gelingen will, mit Washington auf eine Linie zu kommen. Ihr außenpolitisches Kategorien-System ist eben ein völlig anderes als das der jetzigen amerikanischen Regierung. Für Ihr Denken — und Sie brauchen nur einmal Ihre Tätigkeit in den Programmkommissionen Ihrer Partei zu überdenken — ist Außenpolitik eine Art internationale Form von Gesellschafts- und Sozialpolitik. Mehr als vor zehn oder vor zwanzig Jahren ist aber die Außenpolitik heute wieder eine Politik der Völker und Staaten geworden. Die Vaterländer, die manche in unserer Generation schon für Zeit und Ewigkeit für überlebt hielten, sind wieder Faktoren der Weltpolitik geworden. Damit ist eine andere Form der Außenpolitik gefordert. Präsident Reagan versucht seine Antwort. Er kommt damit zu einem Konzept, das dem Ihren, Herr Bundeskanzler, nicht nur überlegen ist, sondern das ihm vor allem konträr gegenübersteht. Während Reagan von klarer Verantwortlichkeit der die Staaten lenkenden Politiker ausgeht, sehen Sie die Komplexität fataler gesellschaftlicher Abläufe. Die Art, wie Sie Außenpolitik angehen, mag, für sich gesehen, verständlich und ehrenwert sein; vom Ziel her gesehen, muß sie falsch sein — und von den Mitteln her verhängnisvoll. Vor allem aber führt Ihre Außenpolitik in einer veränderten Welt zur internationalen Isolierung.Herr Bundeskanzler, Sie werden dann wieder von Kommuniqués sprechen. Sie sprachen ja auch von dem gestrigen Besuch, bei dem eigentlich das Schweigen in der französischen Öffentlichkeit viel interessanter war als das, was Sie hier zu sagen hatten. Eine Weile werden Sie die Tünche von Kommuniqué-Formeln über die Meinungsverschiedenheiten legen können, die sich zwischen Ihnen und Ihrer Politik und der Allianz auftun; aber die Orientierung des Landes nimmt dabei Schaden.
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4422 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Dr. KohlHeinrich Böll sprach auf seiner Pressekonferenz vom „moralischen Selbstmord" eines Europa, das sich allzu gerne als Quelle menschlicher Zivilisation, als Hort von Moral und demokratischer Tugenden und als Bollwerk des Friedens und der Entspannung preist. In der Tat: Unsere politische Solidarisierung mit der Not unserer östlichen Nachbarn, vor allem mit Polen, ist ein sichtbarer Gradmesser für den geistig-moralischen Zustand unseres Volkes und für die Glaubwürdigkeit der politisch Handelnden. Warum aber schweigen so viele angesichts der brutalen Unterdrückung der Sehnsucht des polnischen Volkes nach mehr Rechten, nach mehr Freiheit?
Wo bleibt die geistige, wo bleibt die politische Unruhe gegen den Geist der Unfreiheit, der Unterdrükkung und des Unfriedens?
Was uns fehlt, ist doch nicht die Erkenntnis über die Ereignisse in Polen — die Wirklichkeit in Polen ist längst nicht mehr interpretierbar, weil sie so eindeutig geworden ist —; was not tut, sind jetzt Mut und Besonnenheit: Mut, um feigem Opportunismus zu widerstehen, und Besonnenheit, um Kraft zum Handeln zu gewinnen — aus europäischer Solidarität für unsere polnischen Nachbarn.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Professor Ehmke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte gehofft, daß wenigstens unser gemeinsamer Respekt vor dem Leiden des polnischen Volkes Herrn Kohl davon abhalten würde, sich mit der Scharfmacherei gemein zu machen, die der Bundeskanzler zu Recht beanstandet hat. Leider hat Herr Kohl das doch getan.
Herr Kohl, daß Sie den von Helmut Schmidt zitierten Satz des bayerischen Ministerpräsidenten mit einer Karikatur vergleichen, heißt ja noch nicht, ihn zurückzunehmen. Sie haben stattdessen noch eine Polemik gegen den Bundeskanzler angefügt, die ebenso persönlich wie peinlich war. Herr Kohl, es spricht für mich Bände, daß Sie in bezug auf den 20. Juli dabei auf eine Verleumdung angespielt haben, die Sie selbst gegenüber dem israelischen Ministerpräsidenten zurückgewiesen haben. Herr Kohl, ich kann Ihnen Ihre Komplexe gegenüber dem Bundeskanzler nicht nehmen, aber ich will Ihnen in der Polemik ganz sicher nicht folgen.
Mein Eindruck ist, Herr Kohl, daß die große Mehrheit unseres Volkes diese taktische Behandlung von Lebensfragen der Nation herzlich satt hat.
Ich glaube, ein Gebrauch der polnischen Tragödie für Zwecke innenpolitischer Auseinandersetzung
trifft draußen um so mehr auf Unverständnis, als wir ja — da stimme ich Ihnen ganz zu — eine erstaunliche Welle der Sympathie mit dem polnischen Volk in unserem Land haben. Was da über die katholische Kirche, die evangelische Kirche, die Gewerkschaften und andere Organisationen durch Hunderttausende und Millionen von Familien und einzelne geschieht — Herr Kohl, da stimme ich Ihnen zu —, diese Nachbarschaftshilfe ist eine Friedensbewegung eigener Art und eigener Größe.
Nun kann man vielleicht den Begriff „Nachbarschaftshilfe" beanstanden, weil die Bundesrepublik heute ja territorial nicht Nachbar Polens ist.
Aber geistig sind wir vielleicht mehr als je in unserer Geschichte Nachbarn. Andere Völker haben längere historische positive Bindungen mit dem polnischen Volk, die Franzosen etwa aus der Zeit des polnischen Freiheitskampfes, die Vereinigten Staaten von Amerika als auch polnisches Einwanderungsland. Aber, Herr Kohl, es ist doch nicht gut, wenn Sie antideutsche Stimmen von draußen unterstützen
— Herr Lenz, Sie lesen leider nicht; lassen Sie mich doch einmal zu Ende reden! —,
die der Meinung sind, daß unsere anti-polnische Tradition aus der zum Teil furchtbaren Geschichte zwischen den beiden Völkern für uns noch maßgebend sei. Denn jedenfalls in diesem Teil Deutschlands ist das nicht der Fall. Dazu haben, Herr Kollege Lenz, die Entspannungspolitik und der Polenvertrag Willy Brandts von 1970 wesentlich beigetragen.
Herr Kollege Kohl, lassen Sie mich eines in aller Ruhe sagen: Daß Sie als Vorsitzender einer Partei, die gegen die Entspannungspolitik gekämpft hat,
jetzt anti-deutsche Argumente gegen die eigene Bundesregierung anführen, das halte ich für das Gegenteil von Patriotismus.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4423
Dr. EhmkeIch möchte namens der Bundestagsfraktion der SPD der Bundesregierung — voran dem Bundeskanzler und dem Bundesaußenminister — unseren respektvollen Dank dafür sagen, daß sie auch angesichts der Zuspitzung der polnischen Krise an dem Grundgedanken unserer Politik unbeirrt festgehalten und unseren Standpunkt mit Augenmaß und Umsicht vertreten hat:
im Bündnis mit der Offenheit eines verantwortungsbewußten Partners und nach draußen mit der Bestimmtheit, aber auch mit der Ruhe eines im Ringen um den Frieden nicht mehr ganz unerfahrenen Mitglieds der Völkergemeinschaft. In der neuen und schweren Krise der Entspannungspolitik hat sich das sozialliberale Bündnis, hat sich sozialliberale Gemeinsamkeit einmal mehr bewährt.
Meine Kolleginnen und Kollegen, niemand kann es wundernehmen, daß in einer solchen Situation erneut um den besten Weg, mit der Krise fertigzuwerden, gestritten wird: in unserer Innenpolitik und im Bündnis. Diese Diskussion ist notwendig. Unnötig, Herr Kollege Kohl, j a schädlich dagegen ist es, eine Scheindiskussion über das zu führen, was nicht im Streit ist.Dieses Hohe Haus hat vor den Weihnachtsferien, am 18. Dezember, einen Tag nach dem Europäischen Parlament, eine gemeinsame Auffassung zu den Vorgängen in Polen beschlossen und hier zum Ausdruck gebracht. Der Kollege Barzel hat das als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses für uns alle hier verlesen. Wir haben das Militärregime in Polen und das mit der KSZE-Schlußakte unvereinbare Vorgehen gegen die polnische Reformbewegung scharf verurteilt und dem polnischen Volk unsere Solidarität bekundet. Wir haben die Wiederherstellung der erreichten Freiheiten, die Freilassung aller Inhaftierten und die Wiederaufnahme des Dialogs mit Kirche und Gewerkschaften gefordert. Wir haben das, meine Kolleginnen und Kollegen, aus zwei Überzeugungen getan: zum einen aus der Überzeugung, daß man Menschenrechtsverletzungen anprangern muß, wo immer sie geschehen,
zum anderen aus der Überzeugung — da spreche ich jetzt für die Fraktion der Sozialdemokraten, die in der Tradition der deutschen Arbeiterbewegung steht —, daß unsere menschliche und politische Sympathie doch nur denen gehören kann, die in Polen und in Osteuropa um Rechte kämpfen, um die die europäische Arbeiterbewegung seit 120 Jahren kämpft — gegen Unterdrückung, in welch geschichtlicher Form sie sich auch gezeigt hat.
Herr Kollege Kohl, es würde sich für Sie lohnen, einmal darüber nachzudenken, daß dies für uns so selbstverständlich ist, daß wir der Meinung sind, wir würden diese Selbstverständlichkeit durch unangemessene Lautstärke eher in Zweifel ziehen als stärken.
Allerdings muß auch das Selbstverständliche in dieser Welt immer wieder gesagt werden. Darum bekräftigen wir in unserem Entschließungsantrag von SPD und FDP noch einmal unser Eintreten für die polnischen Reformkräfte.Manche ausländischen Kritiker haben uns vorgeworfen — Herr Kohl hat gar nicht gemerkt, daß auch dies an die deutsche Adresse im allgemeinen ging —, wir hätten die Verantwortung der Sowjetunion nicht genügend angeprangert. In der Tat, wir haben die Verantwortung der Sowjetunion in der gemeinsamen Resolution des Bundestages vom 18. Dezember in Ziffer 5 nur indirekt angesprochen. Aber ich bin der Meinung: deutlich genug, jedenfalls nicht weniger deutlich als das Europäische Parlament vor uns. Was soll denn der Streit? An der sowjetischen Mitverantwortung für das, was in Polen geschieht, kann doch kein vernünftiger Mensch zweifeln.
Ohne die Sowjetunion gäbe es diese Polenkrise überhaupt nicht.Aber, Herr Marx, jetzt kommen wir zu dem Punkt, der Ihnen schwerer fällt: zur Differenzierung. Gerade dieser Punkt zeigt, wie notwendig die Differenzierung ist. Auf die Frage, ob General Jaruzelski im Auftrag der Sowjets oder aus eigenem Antrieb, um einer sowjetischen 'Intervention zuvorzukommen, gehandelt hat, können wir doch heute überhaupt keine Antwort geben, weder Sie noch wir. Einmal, weil die Frage viel zu simpel gestellt ist. Jeder, der politische Erfahrung hat, weiß, daß die Motivations-zusammenhänge bei denen, die in solchen Situationen handeln müssen, nicht gerade so sind, daß sie sich in simple Fragen fassen lassen. Zweitens, Herr Kollege Marx: weder Sie noch wir haben heute die Möglichkeit, uns zu vergewissern, wie die Motivationslage war.
— Ich komme j a dazu. — Ich möchte vor vorschnellen Urteilen warnen, Herr Kollege Marx, weil sie die Gefahr vergrößern, daß wir durch Voreiligkeit eventuell vorhandene Chancen verschütten, und zwar auf dem Rücken des polnischen Volkes. Das wollen Sie nicht, und das wollen wir nicht.Wichtig ist doch für uns nur zweierlei: Wir wollen, daß der Kriegszustand in Polen aufgehoben wird, und zwar schnell. Auf der anderen Seite ist zweitens wichtig, Herr Kollege Marx, daß wir die Verhängung des Kriegszustandes durch das polnische Militär nicht mit einer militärischen Intervention der Sowjetunion gleichsetzen. Aus zwei Gründen: Einmal ist das für die Polen selbst ein erheblicher Unterschied, auch für die, die unter dem Kriegszustand leiden. Und zweitens wären wir doch töricht, meine
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4424 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Dr. EhmkeKollegen von der CDU/CSU, wenn wir durch eine solche Gleichsetzung selber die Barrieren abbauen würden, die der Westen in vielen Monaten gegen eine direkte sowjetische Intervention aufgebaut hat.
— Herr Kollege Marx, wenn Sie mit dem allem einverstanden sind, dann müssen Sie Ihrem Oppositionsführer sagen, er soll zu diesem Thema hier eine andere Rede halten.
Da die Lage in Polen sich entgegen der Zusage der polnischen Militärs weiter verschlechterte, hat der amerikanische Präsident — leider ohne vorherige Konsultation mit den Verbündeten — in einer Rede vom 23. Dezember zunächst amerikanische Sanktionen gegen Polen und dann in einer Erklärung vom 29. Dezember amerikanische Sanktionen gegen die Sowjetunion bekanntgegeben. Zugleich hat der Bundeskanzler in Briefen an den polnischen und an den sowjetischen Staatschef unsere Auffassung über die Vorgänge in Polen noch einmal bekräftigt. Die EG-Außenminister haben dann auf ihrer Sitzung vom 4. Januar die amerikanischen Maßnahmen zur Kenntnis genommen und die Aufnahme von Konsultationen angekündigt. Diese ersten Konsultationen haben — nach dem Treffen zwischen dem amerikanischen Präsidenten und dem Bundeskanzler am 5. Januar — in dieser Woche in Brüssel im Rahmen der NATO-Außenminister stattgefunden.
Das Ergebnis ist uns allen bekannt. Unser Entschließungsantrag unterstützt die getroffenen Entscheidungen.In diesem Prozeß hat es unter den Verbündeten keine Meinungsverschiedenheiten über die Kritik an den polnischen Vorgängen und keine Meinungsverschiedenheiten über die Ziele des Westens und seine Forderung an die polnische und die sowjetische Regierung gegeben. Dagegen hat es wie bei früheren Gelegenheiten Meinungsverschiedenheiten über die besten Wege und Mittel gegeben, diese Ziele zu erreichen und die Forderung des Westens durchzusetzen. Eine solche Diskussion, Herr Kollege Kohl, sollte doch auch für Sie eine Selbstverständlichkeit sein. Im westlichen Bündnis gibt es keine Satelliten, und das soll auch so bleiben.
Unsere Partner in der Allianz wissen, daß wir unsere Analysen und unsere Standpunkte klar und entschieden vertreten. Sie können sicher sein, daß wir eine gemeinsam erarbeitete Politik ebenso klar und entschieden vertreten werden.Der konservative britische Außenminister Lord Carrington hat — fast bin ich versucht zu sagen: wieder einmal — recht gehabt, als er sagte, es wäre absurd, wenn der Westen sich auseinanderdividierenließe anläßlich eines Vorganges, der einmal mehr zeigt, daß der Sowjetkommunismus in Osteuropa keine Zukunft hat —
— darum stimme ich ihm ja zu, Herr Marx —, oder wie wir in Ziffer 6 unseres Entschließungsantrages sagen:Die Entwicklung in Polen zeigt erneut die Starrheit und Unbeweglichkeit des kommunistischen Systems, notwendige und zur Erfüllung der legitimen Erwartungen seiner Völker unverzichtbare Veränderungen zur Entfaltung zu bringen.Lassen Sie mich damit, weil das der Hintergrund der Diskussion, auch mancher Kampagne drinnen und draußen ist, noch einmal auf die Gründe zurückkommen, die unsere Entspannungspolitik tragen und unsere Politik auch in dieser Krise bestimmen. Die Polenkrise ist Teil eines Prozesses, der die europäische Situation, so wie sie sich aus den Ergebnissen des Zweiten Weltkrieges, aus der Bildung der Blöcke und der Erfindung der Atomwaffen entwikkelt hat, verändert.Es ist in diesen Tagen viel über Jalta und seine Bedeutung für die Teilung Europas gesprochen worden. Ich bin der Meinung, wir Deutschen sollten nicht vergessen, daß vor Jalta Hitler war.
Das Unglück unseres Landes und das von ihm ausgehende Unglück Polens und ganz Europas hat mit Hitler angefangen.
Wichtiger als Jalta in seiner einzelnen Bedeutung war das Ergebnis, mit dem der Hitler-Krieg geendet hat. Die Sowjetunion hat ihre militärische Macht bis nach Mitteleuropa ausdehnen können. Sie hat in diesem militärischen Machtbereich ihr hörige sowjetkommunistische Regime eingerichtet.
— Ja, aber als Ergebnis der Machtverschiebungen des Zweiten Weltkrieges.
Der Arbeiteraufstand in Ost-Berlin, der ungarische Aufstand, der Prager Frühling und immer wieder Protest- und Reformbewegungen in Polen haben gezeigt und zeigen, wie stark die Kräfte in Osteuropa sind, die diesen Zustand nicht hinnehmen wollen. Seitdem ist in West- und Osteuropa viel darüber nachgedacht und geredet worden, ob und wie diese Situation zu ändern ist. Auf diese Fragen ist eine Reihe von Antworten gegeben worden. Zwei von ihnen halte ich für grundsätzlich falsch. Nämlich erstens die Antwort, daß diese sich als Ergebnis des Zweiten Weltkrieges darstellende Situation mit Gewalt zu ändern sei, und zweitens die Antwort, daß sie
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4425
Dr. Ehmkeüberhaupt nicht zu ändern sei. Beide Antworten sind falsch.
Die These, daß die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges mit Gewalt zu ändern seien, hat kein politisch Verantwortlicher im Westen je vertreten, auch dann nicht — zu Ihrer Ehre sei es gesagt —, als die Amerikaner noch über das Monopol an Atomwaffen verfügten.
Jeder wußte, jeder weiß: die Sowjetunion hat in dem in ihr Land hineingetragenen Hitler-Krieg 20 Millionen Menschen verloren; ihre durch diese Erfahrung bestimmten Sicherheitsinteressen werden sie an ihrem osteuropäischen Glacis festhalten lassen.Veteranen des Kalten Krieges haben mich in den letzten Wochen wegen dieser Feststellung vehement angegriffen. Aber, Kollegen, bohrt man ein bißchen nach, dann sagen selbst diese Menschen, daß sie natürlich nicht der Meinung sind, daß man einen Krieg führen dürfte, um die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges in Europa zu ändern. Sie wären ja auch wahnwitzig, wenn sie das sagen oder denken würden. Übrigens denken auch die Reformkräfte in Osteuropa nicht an eine europäische Wiedervereinigung in einem nuklearen Massengrab.
— Ich will Ihnen das sagen. Ich komme gerade dazu.
Was aber passiert ist, und daran waren Sie maßgeblich beteiligt und erinnern sich vielleicht auch noch daran, das war die Politik des Kalten Krieges. Sie war eine Politik des Als-ob, eine Politik des Drucks bis an den Rand des Krieges, für die die Amerikaner das schöne Wort „brinkmanship" erfunden haben.Kollege Bangemann hat neulich die Vermutung geäußert, daß Teile der CSU zum Kalten Krieg zurückkehren wollen.
— Da ich heute die CSU-Zitate vom Bundeskanzler gehört habe, kann ich nicht ausschließen, Herr Kollege Marx, daß sich manches simple Gemüt in die Zeit zurücksehnt, wo man in diesem Land mit simplem Antikommunismus noch Wahlen gewinnen konnte.
Aber ich will Ihnen gerne sagen, daß ich der Überzeugung bin, daß die große Mehrheit der Unionsparteien wie wir und die große Mehrheit unseres Volkes diese Meinung nicht teilt. So schön war die Zeit desKalten Krieges ja auch nicht — mit Eisernem Vorhang, mit Berlin-Blockade usf.
Machtpolitisch war übrigens diese Politik — als ob man mit militärischem Druck etwas ändern könnte — ein reines Fiasko. Es war die Zeit des „roll back" und der „brinkmanship", in der die Sowjetunion erst zur Atommacht, dann zur Weltmacht und schließlich zur gleichberechtigten Weltmacht geworden ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wörner?
Nein, ich möchte in meinen Gedanken fortfahren.Deutschland- und europapolitisch hat der Kalte Krieg doch nur zwei Dinge bewerkstelligt — und das gilt auch für Ihre Politik, die ja ein Teil dessen war —: Er hat die Teilung Europas und Deutschlands vertieft und hat die DDR zum Staat werden lassen.
Ich kann darum nur sagen: Wer sich etwa nach dem Kalten Krieg zurücksehnen sollte, muß stark masochistische Züge besitzen. Unser Volk will keine Rückkehr in den Kalten Krieg!
Die Erfahrungen des Kalten Krieges,
einschließlich des Mauerbaus in Berlin von 1961, haben zur Entspannungspolitik geführt.
Dieser Entspannungspolitik liegt die Einsicht zugrunde, daß, was immer wir in Europa ändern wollen, der Grundsatz des Gewaltverzichts gelten muß.
Wir haben in den für uns so schmerzlichen Grenzfragen den Gewaltverzicht in Europa gegen Ihren erbitterten Widerstand unterschrieben, um unseren Beitrag zum Frieden in Europa zu leisten.
Gilt aber der Grundsatz des Gewaltverzichts,
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4426 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Dr. Ehmkedarf man auch in der Polen-Krise und gegenüber den osteuropäischen Reformbewegungen nicht eine Politik des „als ob" betreiben. Das wäre gegenüber der Sowjetunion eine verantwortungslose Wiederholung von „brinkmanship" und gegenüber den Osteuropäern ein schlichter Betrug.
Das heißt nun aber keineswegs — auch wenn manche bei Ihnen und manche im Ausland das offenbar immer noch nicht verstanden haben —, daß die sozialliberale Koalition und daß die Sozialdemokraten der Meinung wären, in Europa könne man überhaupt nichts ändern. Europa ist j a kein Museum geworden, in dem die Geschichte stillsteht. Das Bekenntnis zum Gewaltverzicht bedeutet aber — und das sollten Sie, Herr Kohl, doch auch einmal laut sagen — eines: daß man nämlich vom militärischen Status quo ausgehen muß, wenn man in Europa etwas ändern will.Zu diesem militärischen Status quo gehört die Erhaltung — im Bereich der eurostrategischen Waffen die Wiederherstellung — eines ungefähren Gleichgewichts zwischen dem westlichen Bündnis und dem Warschauer Pakt. Da aber mehr Waffen mehr Spannungen und Gefahren erzeugen, müssen wir das Wettrüsten stoppen, d. h. wir müssen versuchen, in Verhandlungen von Block zu Block zu einem Gleichgewicht auf einem weit niedrigeren Niveau von Truppenstärken und Rüstungen zu kommen.Im Namen meiner Fraktion möchte ich dem amerikanischen Präsidenten sehr herzlich dafür danken, daß er die Fortsetzung der Genfer Verhandlungen trotz der Zuspitzung der Polen-Krise angeordnet und damit die grundsätzliche Bedeutung von Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen für die Erhaltung des Friedens unterstrichen hat.
Diese Handlungsweise des amerikanischen Präsidenten unterscheidet sich wohltuend von mancher törichten Äußerung aus Ihren Reihen!
Auch in diesen Verhandlungen gehen wir von der Existenz der Militärblöcke aus. Wir verhandeln von Block zu Block. Ein Europa, das meinte — darin sind wir uns in diesem Hause nun sicher einig —, gewissermaßen als neutralistischer Naturschutzpark zwischen den Großmächten im Schatten der Weltpolitik still dahinleben zu können, wäre unfähig, seine Interessen, auch seine Sicherheitsinteressen, wahrzunehmen, und zwar schon deswegen, weil es jeden Einfluß auf die Politik der Großmächte verlieren würde.Diese Sicherheitspolitik ist aber nur ein Teil unserer Friedenspolitik. Der andere Teil ist die Entspannungspolitik, die, wie gesagt, nicht nur vom Gewaltverzicht ausgeht, sondern auch mit ihm ernst macht. Die Entspannungspolitik will mit diesem Aspekt, den ich einmal als den Aspekt der gesamteuropäischen Innenpolitik bezeichnen möchte, zugleich helfen, die Teilung Europas und mit ihr die Teilung Deutschlands zu überwinden, so wie umgekehrt die europäische Funktion der Deutschlandpolitik darin liegt, daß sie zur Entspannung beiträgt. Ich bin der Meinung, statt Scheindebatten über das Wort „Wiedervereinigung" zu führen,
sollten wir alle miteinander dazu beitragen, Herr Kollege Wörner, daß draußen diese europäische Funktion der Deutschlandpolitik besser verstanden wird.
Die Entspannungspolitik hat eine Unzahl von Kontakten im menschlichen Bereich ermöglicht und hat den Vorhang, den man vor noch nicht allzu langer Zeit den „Eisernen" genannt hat, durchlässig ge- macht. Sie hat den wirtschaftlichen, kulturellen, sportlichen und politischen Austausch von Ost und West aus der Erstarrung des Kalten Krieges gelöst, und sie hat damit, Herr Kollege Kohl, die Völker Europas wieder einander näher gebracht. Für uns Deutsche dient diese Politik auch dem Zusammenhalt der Nation. Für alle Europäer ist sie eine wichtige Anstrengung zur Bewahrung unserer gemeinsamen europäischen Tradition und damit eine Anstrengung zur Verwirklichung der Menschenrechte, wie sie in Helsinki auch von der Sowjetunion unterschrieben worden sind — übrigens in einem Dokument, das Sie als eine der ganz wenigen Parteien in Europa abgelehnt haben, auch wenn Sie sich jetzt dauernd darauf berufen.
Herr Kollege Kohl, ich möchte mich wegen Ihrer schönen Zitate noch einmal an Sie wenden. Im wesentlichen haben wir von Ihnen j a nur Pressezitate gehört. Sehen Sie, es gibt im Ausland z. B. das folgende Argument. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß man das ernst nehmen soll. Ich tue das nicht einfach als Innenpolitik ab. Es ist immer gut zuzuhören, und es ist auch immer gut, nicht vorschnell beleidigt zu sein. Wir äußern uns j a manchmal auch ganz kräftig.
— Ich sage, man soll nicht beleidigt sein. Man soll unter europäischen Freunden diskutieren, auch wenn man etwas Kritisches hört. Ich sage denen, die jetzt z. B. schreiben, daß diese Entspannungspolitik überhaupt nur ein Ausdruck von kommerziellen Interessen sei, dreierlei:Erstmal ist es für mich ganz neu, daß die Wahrnehmung kommerzieller Interessen als Sünde angesehen wird.
Es gibt viele Bereiche, etwa den Waffenexport, in denen andere ihre kommerziellen Interessen sehr viel stärker vertreten als wir.Zweitens muß ich sagen: Wer meint, daß die Entspannungspolitik, der Versuch, Ost- und Westeuropa durch eine Vielzahl von Austausch und Kontakten einander näherzubringen, mit dem Stichwort der
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Dr. Ehmkekommerziellen Interessen abgetan werden kann, der hat nicht verstanden, worum es in Europa und worum es in der Entspannungspolitik geht.Schließlich zum dritten: Vielleicht sollten sich die Skeptiker einmal ansehen, was wir uns diese Politik kosten lassen, d. h. welche Opfer wir zu bringen bereit waren und sind. Ich kann jedenfalls gegenüber dieser Kritik nur sagen: Wir haben auch nach dem August 1980 niemanden daran gehindert, uns in der Hilfe für Polen zu übertreffen.Wir wollen mit diesem Austausch und mit dieser Kooperation — über alle Rückschläge hinaus, d. h. mit langem Atem, nicht hektisch, mal so mal so, wie die Schlagzeilen gerade sind — bessere Lebensbedingungen in ganz Europa und damit auch bessere Voraussetzungen für die Erhaltung des Friedens schaffen.Wer meint, die Polenkrise zeige, daß die Entspannungspolitik gescheitert sei, der übersieht, daß das, was in Polen seit August 1980 geschieht, ohne die Entspannungspolitik überhaupt nicht zu denken wäre.
Das ist nun sicher, meine Kollegen, mit vielen Problemen verbunden, für den Westen, für die Osteuropäer wie für die Sowjetunion.
Fragt man sich, welche Interessen und Motive die Sowjetunion gehabt hat, sich der Entspannungspolitik und den Ostblock dem westlichen Einfluß zu öffnen, so ist zunächst ihr Interesse zu nennen, für die eigene Entwicklung Kapital und technisches Knowhow aus dem Westen nutzbar zu machen. Die sowjetischen Militärs haben diese Politik aus Sorge vor der Machtentfaltung Chinas mitgetragen.Der Sowjetunion ging es dabei aber auch darum, sich in Osteuropa wirtschaftlich und psychologisch zu entlasten, d. h. sie wollte mit der Entspannungspolitik auch die Lage in Osteuropa stabilisieren.Verehrte Kollegen, die Sowjetunion hat j a die schmerzliche Erfahrung machen müssen, daß der Satz von Talleyrand, man könne mit Bajonetten allerhand anfangen, nur könne man sich nicht auf sie setzen, auch für Panzer gilt. Die polnischen Generäle sind gerade dabei, die gleiche Erfahrung zu machen.Diese Öffnung des Ostblocks in der Entspannungspolitik fordert von der Sowjetunion einen Preis. Denn dieser Versuch, das geteilte Europa wieder mit einem Netz von Kontakten, Handel, Austausch und Kooperation zu überziehen, stärkt in Osteuropa die Reformkräfte. Nicht daß die Entspannungspolitik die Ursache der Reformbewegung in Osteuropa wäre! Diese Reformbewegung in Osteuropa und ansatzweise auch in der Sowjetunion selbst entspringt den Widerspüchen des sowjetischen Gesellschaftssystems.
— Das gehört dazu, Herr Marx.
Aber die Entspannungspolitik mit ihrem Austausch und ihren Kontakten hat natürlich den Bewegungsspielraum für diese Reformbewegung unendlich vergrößert.
— Ich denke j a gleich weiter. Hören Sie einmal bis zum Ende zu, Herr Marx.Die Entspannungspolitik hat diesen Spielraum nicht etwa in Form einer Destabilisierungspolitik à la fünfte Kolonne erweitert. Das wäre ganz falsch und töricht, u. a. darum, weil es weder dem Frieden noch der Überwindung der Teilung Europas dienen würde. Da sind wir uns einig. Wir haben j a den Grundsatz der Nichteinmischung nicht nur proklamiert, wir haben uns auch strikt an ihn gehalten. Aber die Entspannungspolitik trägt natürlich indirekt dazu bei, daß in Osteuropa Ideen, Kräfte, auch Produktivkräfte freiwerden, die einen neuen politischen Ausdruck suchen.Nun ist es wahr — das soll auch laut gesagt werden —, daß wir es weiß Gott nicht als unsere Aufgabe ansehen, diesen Prozeß zurückzudrehen. Im Gegenteil, ich sagte es schon,, nach unserer ganzen Geschichte, Tradition und Wertvorstellung kann unsere politische und menschliche Sympathie nur den Reformkräften gehören. Im übrigen müssen wir sowohl die polnische als auch die sowjetische Regierung immer daran erinnern, daß die Akte von Helsinki von beiden Seiten unterschrieben worden ist.Es ist schwer, zu beurteilen, ob die Sowjetunion diese Wirkung der Entspannungspolitik unterschätzt hat. Sollte das der Fall sein, Herr Kollege Kohl, dann befände sich die Sowjetunion in der Gesellschaft der Konservativen des Westens, die Unionsparteien in der Bundesrepublik eingeschlossen. Herr Kollege Kohl, was haben wir sogar in diesem Hause nicht alles an Anklagen, Vorwürfen und Sorgen gehört, wir würden uns mit unserer Ostpolitik am Sowjetkommunismus anstecken. Wir haben Ihnen immer gesagt: Welche demokratische Kleingläubigkeit steckt in solchen Berührungsängsten!
Herr Kollege Kohl, ich habe mich natürlich gefreut, daß Sie das Dokument der italienischen Kommunisten zitiert haben. Was mich gewundert hat, ist, daß Sie sich dabei nicht komisch vorgekommen sind. Denn ich erinnere mich noch, was Sie hier mit mir veranstaltet haben, als ich den SPD-Kontakt mit den italienischen Kommunisten aufgenommen hatte. Da hieß es: Um Gottes willen! Mit Eurokommunisten! Das wird alles den Bach runtergehen! Und heute stellt der Herr Kohl sich hin und zitiert Herrn Berlinguer. Ich gratuliere Ihnen! Eine richtige Einsicht, aber wie bei der KSZE leider fünf Jahre zu spät. Trotzdem: Ich gratuliere Ihnen!
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4428 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz?
Nein. Ich gestatte keine Zwischenfrage, weil ich gerade dem Kollegen Lenz auf Grund seiner Zwischenrufe sagen will: Was für eine politische Schwäche liegt doch in Ihrem ängstlichen Konservativismus!
Die Sowjetunion steht jedenfalls vor einer schwierigen Alternative. Sie muß sich entscheiden, ob sie in Zukunft versucht, die von ihr angestrebte Stabilisierung in Osteuropa mit Reformen oder immer wieder doch noch einmal mit Panzern zu erreichen. Ich halte den Versuch mit Reformen für aussichtsreicher, vom Großmachtinteresse der Sowjetunion aus.
Ich gebe zu, das steht in Widerspruch zum Moskauer Mythos der Weltrevolution. Aber, verehrte Kollegen, von dem ist ja sowieso nicht mehr viel übriggeblieben nach dem mehrfachen kommunistischen Schism, nach dem kommunistischen Krieg in Indochina, nach der militärischen Besetzung Afghanistans und nach den ständigen Mißerfolgen in Osteuropa. Es gibt Anzeichen dafür — und wir sollten sie durch Polemik nicht verdecken —, daß auch in der Sowjetunion darüber nachgedacht wird, ob sie nicht Änderungen des gesellschaftspolitischen Status quo hinnehmen muß,
wenn sie Osteuropa stabilisieren will.
Und was die sicherheitspolitischen Grenzen betrifft: Herr Walesa hat weder die Zugehörigkeit Polens zum Warschauer Pakt in Frage gestellt noch die Verbindungslinien der Sowjets in die DDR bedroht.
Für uns selbst stellt sich hier zunächst eine Frage gegenüber den Osteuropäern. Es ist eine schwierige Frage. Wir sollten uns nicht vor ihr drücken. Wir sollten sie offen aussprechen. Menschen, die aus der gleichen europäischen Tradition heraus, in der wir stehen, in Osteuropa unter großem persönlichem Risiko für Reformen eintreten, lassen sich nicht von uns im Westen vorschreiben, wieviel Freiheit sie jeweils in Anspruch nehmen dürfen.
Und ich muß sagen: Uns steht in der Tat weder moralisch noch politisch ein solches Zuteilungsrecht zu.
Ich glaube allerdings, mit den Reformkräften in Osteuropa auch darin übereinstimmen zu können — und da komme ich auf den Gewaltverzicht zurück —, daß auch die Reformkräfte die Bedingungen des nuklearen Zeitalters respektieren müssen. Hier müssen Sie sich jetzt entscheiden, meine Damen und Herren von den Unionsparteien: Ist das „feiges
Kriechen vor den Sowjets", wie Herr Strauß gesagt hat, oder aber ist es Ernstmachen mit dem Grundsatz des Gewaltverzichts, zu dem theoretisch auch Sie sich immer bekannt haben.
Der Sowjetunion muß klar sein — wir haben darüber keinen Zweifel gelassen —, daß eine Politik, die die geschichtliche Entwicklung in Osteuropa mit Gewalt aufhalten will, statt sie in eine friedliche Zukunft hinein zu gestalten, nicht zur Stabilisierung in Osteuropa führen wird, zumal sie die Entspannungspolitik gefährdet. Die Lasten einer solchen Politik, des Versuchs, die Geschichte mit Gewalt anzuhalten, würden sehr hoch sein, und sie würden im wesentlichen von der Sowjetunion zu tragen sein. Aber machen wir uns nichts vor: Auch die übrige Welt würde durch eine solche Rückkehr zum Kalten Krieg in Mitleidenschaft gezogen. Denn Frieden und Wohlstand setzen Zusammenarbeit voraus. Das gilt für das Ost-West-Verhältnis wie für das Nord-Süd-Verhältnis.
Gemäß dieser Einsicht hat der Westen — bis hin zu selektiven Sanktionen — der polnischen und der sowjetischen Staatsführung Signale gesetzt. Sie sind um so deutlicher geworden, je länger der Kriegszustand in Polen andauert. Aber ich sage Ihnen hier noch einmal: Uns geht es dabei nicht um Muskelspiele der Stärke. Uns geht es dabei um politische Wirkung. Der Osten kann einen europäischen Weg mit uns oder einen antieuropäischen Weg ohne und gegen uns gehen. An der Alternative, vor der er steht, darf es keinen Zweifel geben.
Aber ich sage auch: Die Fraktion der deutschen Sozialdemokraten stärkt der Bundesregierung nachdrücklich den Rücken für eine Politik, die innerhalb dieses Rahmens von uns aus keine Chance verschüttet und alle Möglichkeiten der Kooperation offenhält.
Unser Entschließungsantrag bringt diese Hoffnungen und diese Befürchtungen gleichermaßen zum Ausdruck. Der Wunsch, den Polen zu helfen und mit allen unseren osteuropäischen Nachbarn in Frieden und Wohlstand zu leben, bestimmt unsere Politik
Ich erteile das Wort Herrn Bundesaußenminister Genscher.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem bemerkenswerten analytischen Beitrag, den der Kollege Ehmke eben geliefert hat und der für viele Anlaß sein sollte, über Alternativen nachzudenken, die sich jetzt für alle in Europa ergeben, möchte ich dem gleichen sachlichen Fluß folgen und der Versuchung widerstehen, auf manches ein-
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Bundesminister Genscherzugehen, was hier vorgetragen wurde, Herr Dr. Kohl.Aber ich möchte doch sagen: Ich glaube, daß Sie in der Beurteilung des Verhaltens des Bundeskanzlers seit dem 13. Dezember 1981 dem Handeln, der Verantwortung und der politischen Linie, die der Bundeskanzler verfolgt hat, nicht gerecht geworden sind.
Vielleicht lesen Sie auch noch einmal seine heutige Rede nach. Dann werden Sie unter Umständen entdecken, daß er am Schluß seiner Rede wieder auf Sie zugegangen ist.
— Doch, lesen Sie es nach. Ich versuche ja nur, Ihnen einen Rat zu geben, Herr Kollege Dr. Kohl.Ich hatte jedenfalls gehofft, daß nach dem 18. Dezember 1981 und dem, was damals vom Kollegen Dr. Barzel für alle Fraktionen gesagt werden konnte, auch diese Bundestagsdebatte die Fraktionen des Hohen Hauses am Ende zusammenführen würde. Deshalb bitte ich Sie — wenn Sie sich die Entschließungsanträge anschauen —, doch noch einmal darüber nachzudenken, ob Sie dem Vorschlag der Koalitionsfraktionen nicht zustimmen können,
nämlich das zu begrüßen, was die Staaten der Europäischen Gemeinschaft, die Staaten des westlichen Bündnisses sowie der Bundeskanzler und der Präsident der Vereinigten Staaten als gemeinsame Auffassung zum Ausdruck gebracht haben.
Herr Bundesaußenminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lenz?
Später gern, Herr Kollege.Herr Kollege Dr. Kohl, Sie haben ein Wort zum Generalsekretär der FDP gesagt. Er hat sich entgegen Ihrer Darstellung mit dem Hinweis auf die Gefahr des Rückgriffs auf den Kalten Krieg nicht an die gewandt, die dazu aufgerufen haben, ihren Protest gegenüber dem zum Ausdruck zu bringen, was in Polen geschieht, sondern er hat im Zusammenhang mit der Forderung aus den Reihen der CDU/ CSU, man möge überlegen, ob nicht die Abrüstungsverhandlungen in Genf unterbrochen werden müßten, davor gewarnt, zurückzukehren in die Gräben des Kalten Krieges. Diese Warnung halte ich angesichts der Notwendigkeit, Abrüstung als Beitrag zum Frieden auch in schwerer Zeit aufzufassen, in der Tat für erforderlich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der durch die Danziger Vereinbarung vom August 1980 eingeleitete Prozeß der inneren Erneuerung und derReformen ist durch die Obernahme der Macht durch den Militärrat jäh unterbrochen worden. Bis heute haben die Erwartungen keine Rechtfertigung gefunden, die sich für das polnische Volk an das knüpfen dürften und mußten, was die militärische Führung versprochen hat: die Rückkehr zum Prozeß der Reform und Erneuerung. Die ganze Welt hat bisher vergeblich auf Signale des Warschauer Militärrats géwartet, daß der Reformkurs wieder aufgenommen wird. Wir können nicht daran vorbeigehen, die Entwicklung hat sich nicht zum Besseren gewendet, im Gegenteil, vieles spricht heute dafür, daß eine langfristige Entwicklung eingeleitet werden soll, die vom Kurs der Reform und Erneuerung wegführt.Die Bundesregierung hat bei ihrer Einschätzung der Entwicklung in Polen von Anfang an auf die Beurteilung durch die katholische Kirche Wert gelegt; Sie haben das eben erwähnt, Herr Dr. Kohl. Die Bundesregierung teilt die tiefe Besorgnis über die jetzt eingetretene Entwicklung, wie sie Erzbischof Glemp in erschütternder Weise in seiner Predigt am 6. Januar formuliert hat und wie sie auch in der Erklärung des Papstes vom vergangenen Sonntag zum Ausdruck kommt. Die Bundesregierung hat sich zu gleicher Zeit mit der gleichen Besorgnis geäußert wie Bischof Glemp, wenn auch nicht am selben Tag. Aber ich bin mir dabei immer bewußt, daß es für uns mit Abstand einfacher ist, sich von hier aus zu den polnischen Ereignissen zu äußern, als für diejenigen, die dort in der Verantwortung stehen und zu den wenigen gehören, die aus ihrer Stellung heraus — wie er als Primas — ein solches offenes Wort sagen können.
Vereinzelte Lockerungen des Kriegsrechts können unsere Sorge nicht zur Seite schieben. Die Bereitschaft der Militärregierung zu echtem Dialog wird aber durch Gespräche mit nicht genannten und ganz offensichtlich auch nicht legitimierten Vertretern der Gewerkschaft Solidarität zusätzlich in Frage gestellt.
— Nicht legimitierte Vertreter.Unser Volk hat bis zum 13. Dezember 1981 die Geschehnisse in Polen mit besonderer Anteilnahme und Hoffnung verfolgt, und es hat seitdem die Entwicklung mit großer Betroffenheit und innerer Bewegung aufgenommen. Es gibt gar keinen Zweifel darüber, wo wir stehen, wenn wir nach Polen blikken; der Bundeskanzler hat das wiederholt zum Ausdruck gebracht. Wir stehen auf der Seite der polnischen Bürger, für die eine freie Gewerkschaft Ausdruck ihres Willens zu Reform und Erneuerung ist.Wir Deutschen sind uns der Tragik des polnischen Schicksals zutiefst bewußt. Polen und Deutsche sind durch eine wechselvolle Geschichte miteinander verbunden. Polen und Deutsche haben nach der leidvollen Vergangenheit zu einem gegenseitigen Verständnis gefunden, das vom Bemühen um Ausgleich und Versöhnung geprägt ist.
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4430 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Bundesminister GenscherIch möchte dazu für diejenigen, die uns in Polen, aber auch anderswo hören können, gern sagen: Es hat im Deutschen Bundestag im Zusammenhang mit den Ostverträgen leidenschaftliche Auseinandersetzungen gegeben. Aber man wolle über diesen leidenschaftlichen Auseinandersetzungen nicht übersehen, daß für die ganz, ganz große Mehrheit des deutschen Volkes und auch für die Mitglieder des Deutschen Bundestages auf allen Seiten die Frage der Aussöhnung mit Polen nie ein Problem gewesen ist.
Meine Damen und Herren, der Vertrag von Warschau ist Ausdruck unserer Entschlossenheit, den Teufelskreis zu durchbrechen, der durch Unrecht und neues Unrecht, durch Gewalt und neue Gewalt Europa von einem Krieg in den anderen gestürzt hat. Der Vertrag von Warschau ist das Dokument eines neuen Anfangs, und zwar nicht nur in den Beziehungen zwischen Deutschen und Polen, sondern in dem Willen der Völker Europas, ihre Zukunft in Frieden zu gestalten. Dabei wissen wir als Deutsche, welche besondere Verantwortung uns die gemeinsame Geschichte auferlegt. Diejenigen im Ausland, die glaubten, die Reaktion der deutschen Öffentlichkeit — ich spreche jetzt gar nicht von der Regierung — kritisieren zu müssen, sollten bedenken, daß vielleicht diese Geschichte der Grund dafür ist, daß die Deutschen das, was in Polen vor sich geht, tief empfinden, daß sich ihre Bitterkeit und ihre Empörung darüber vielleicht in anderer Weise äußern, als das woanders angemessen sein mag. Empörung, Bitterkeit und Betroffenheit sind deshalb ganz gewiß nicht geringer als an anderen Plätzen in Europa und in der Welt.
— Nein, Herr Kollege, ich werde auch zur Regierung etwas sagen. Es ist ganz bemerkenswert, wie schwer es Ihnen fällt, selbst einem sachlichen Beitrag zuzuhören.
Vielleicht ist Ihnen, Herr Kollege, bei Ihren Zwischenrufen entgangen, daß ich Sie, als ich vom unbestreitbaren Versöhnungswillen des deutschen Volkes und aller Mitglieder des Bundestages gesprochen habe, gegen Angriffe aus dem Ausland in Schutz genommen habe, was ich in bezug auf die Bundesregierung bei Ihnen ja nicht immer feststellen kann, wie wir heute erlebt haben.
Die spontane Hilfsbereitschaft unserer Bürger ist schon beeindruckend. Mehr als zwei Millionen Pakete, mehr als zwei Millionen Entscheidungen einzelner Menschen, spontan zu helfen — das ist eine eindeutige Demonstration,
die mehr über die Anteilnahme an den Ereignissen in Polen und über Sympathie für das polnische Volk aussagt als manches starke Wort.Der Wille, dem polnischen Volk zu helfen, Festigkeit und Besonnenheit haben auch die Politik der Bundesregierung nach dem 13. Dezember geprägt. Unsere Forderungen sind ganz eindeutig. Sie lauten: Aufhebung des Kriegsrechts, Freilassung der Verhafteten und Aufnahme eines wirklichen Dialogs der polnischen Führung mit der katholischen Kirche und der Gewerkschaft „Solidarität". Diese Forderungen sind keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Polens. Sie gründen sich auf die Schlußakte von Helsinki.
Die Beachtung der darin enthaltenen Verpflichtungen anzumahnen, ist das Recht jedes Unterzeichnerstaates gegenüber jedem anderen Unterzeichnerstaat. Für uns wäre die Erfüllung dieser drei Forderungen der Beweis für den ernsthaften Willen der polnischen Führung, auf den Weg der Reform und der Erneuerung zurückzukehren. Diesen Willen hat die polnische Führung nicht nur gegenüber dem eigenen Volk öffentlich zum Ausdruck gebracht; sie hat ihn auch bei verschiedenen Gelegenheiten gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und unseren Verbündeten und Partnern bekundet. Nicht wir, die wir uns auf diese Erklärungen berufen, mischen uns in die Angelegenheiten Polens ein. Eine Einmischung in die Angelegenheiten Polens findet seitens derjenigen statt, die den Weg der Erneuerung und der Reform in Polen von außen behindern wollen.
Die Bundesregierung hat sich in ihrer Politik nicht auf Erklärungen beschränkt. Sie hat auch durch das unmittelbare Gespräch, den unmittelbaren Kontakt einzuwirken versucht. Wir haben den Dialog mit der polnischen Führung nicht abgebrochen. Wir haben die Möglichkeit gesucht, den Militärrat mit seinem Versprechen, zum Reformkurs zurückzukehren, beim Wort zu nehmen. Das war der Zweck meiner Gespräche mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Rakowski und auch der Zweck des Briefes, den der Bundeskanzler an General Jaruzelski gerichtet hat.Der Beschluß der Außenminister der Europäischen Gemeinschaft vom 4. Januar 1982, die Gemeinsame Erklärung des Bundeskanzlers und des amerikanischen Präsidenten vom 5. Januar und das Ergebnis der Außenministertagung der NATO vom 11. Januar haben die Fähigkeit des Westens zu Gemeinsamkeit und zu Geschlossenheit bewiesen. Die Forderungen nach Aufhebung des Kriegsrechts, Freilassung der Verhafteten, Aufnahme des Dialogs sind auf unsere Initiative in die Erklärungen von EG und NATO eingegangen und vom Bundeskanzler und dem amerikanischen Präsidenten bekräftigt worden.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4431
Bundesminister GenscherMeine Damen und Herren, auf der Außenministertagung der NATO ist die gemeinsame westliche Politik zu einer klaren politischen Strategie fortentwickelt worden. Und ich wünschte mir, daß die Kollegen von der Opposition, die jetzt noch das Wort ergreifen, sich auch dazu äußerten, ob sie diese gemeinsame politische Strategie des westlichen Bündnisses, die einer gemeinsamen Analyse folgt, mit der Bundesregierung gemeinsam unterstützen und verfolgen wollen.Wir müssen lernen, das Aussprachen des Deutschen Bundestages nicht nur das Ziel haben sollen, den eigenen Standpunkt, der ohnehin bekannt ist, zu bekräftigen, sondern — wenn sie den Charakter und das Prädikat „Aussprache" verdienen sollen — sich doch auch dorthin zu entwickeln, wo man dann, wie ich hoffe, gemeinsam sagen kann: Alle Fraktionen des Deutschen Bundestages unterstützen das, was die Bundesregierung mit allen Partnern des westlichen Bündnisses als gemeinsames Ziel angegeben hat.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lenz?
Bitte schön.
Herr Bundesaußenminister, wenn wir diese Entschließung lesen: Würden Sie mir zustimmen, daß da für den Geschmack der Opposition sicher nicht berechtigtes Lob vorhanden ist, aber berechtigter Tadel leider völlig fehlt und es deshalb für uns unzumutbar ist, dieser Entschließung zuzustimmen?
Ich weiß nicht, ob Sie von der Entschließung der NATO sprachen. Ich hatte eben von der Entschließung der NATO gesprochen.
Mir würde schon genügen, Herr Kollege, wenn Sie der Entschließung der NATO zustimmen könnten.
— Dann stimmen Sie doch dem Teil zu. Wenn Sie etwas dagegen haben, daß die Bundesregierung bescheinigt bekommt, daß sie besonnen sei, werden wir das zu tragen wissen, Herr Kollege.Meine Kollegen, diese gemeinsame Strategie, über die wir hier zu sprechen haben, soll das in unserer Möglichkeit Stehende tun, um den Weg für Erneuerung und Reform wieder zu öffnen. Dieser Erklärung könnte erhebliche Bedeutung zukommen, weil eine Bekräftigung der Erklärung des Bündnisses durch alle Fraktionen des Bundestages erneut zeigt, daß wir in diesen Zielsetzungen übereinstimmen. Das meine ich auch für die Beschlüsse und Vorschläge des Bündnisses im wirtschaftlichen Bereich. Hier muß ganz deutlich sein, daß es nicht nur darum geht, die humanitäre Hilfe, wie Sie, Herr KollegeLenz, in Ihrem Entschließungsantrag mit Recht gesagt haben, fortzusetzen — sie muß auch erhöht werden; die Bundesregierung hat gestern eine positive Stellung eingenommen, auch zum Wegfall der Postgebühren, um hier einen zusätzlichen Impuls zu geben —, sondern auch darum, daß wir deutlich machen, daß zusätzlich zur humanitären Hilfe auch die öffentliche Nahrungsmittelhilfe, die in Ihrem Antrag nicht enthalten ist, fortgesetzt werden soll, weil wir nicht wollen, daß das polnische Volk unter einer Politik zu leiden hat, die seine Regierung gegen seinen Willen durchführt, meine Damen und Herren.
Das Bündnis erwähnt nämlich ganz ausdrücklich in seinem Beschluß nicht nur die humanitäre Hilfe, sondern als besonderen Punkt auch die öffentliche Nahrungsmittelhilfe. Da ist ganz wichtig, daß alle Hilfeleistungen wirklich in die Hände derjenigen gelangen, für die sie bestimmt sind — für die Bevölkerung in der Volksrepublik Polen.Was die Entscheidungen der amerikanischen Regierung angeht, so hat der Bundeskanzler schon zum Ausdruck gebracht: Wir sehen darin ein klares politisches Signal gegenüber der Sowjetunion.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich halte es für wichtig, daß wir, wenn wir über wirtschaftliche und finanzielle Maßnahmen sprechen — hier hat das Bündnis sehr deutlich gemacht, was wir in Polen und von der Sowjetunion erwarten —, dann auch ganz klar sagen, daß wir bereit sind, einem Polen, das sich auf den Reformweg, auf den Weg der Erneuerung zurückbegibt, mit aller Kraft finanziell zu helfen. Nicht nur nein zu sagen, sondern auch positive Perspektiven zu zeigen, muß Teil einer operativen und politischen Strategie sein.
Wir können nur hoffen, daß die militärische Führung in Polen bald erkennt, daß es im Interesse des eigenen Volkes liegt, wenn sie auf dieses Angebot des Westens eingeht. Meine Damen und Herren, alle müssen sich bewußt sein, daß in dem Andauern der Lage in Polen eine Gefahr liegen kann, die sich aus der zunehmenden Rückwirkung auf das Gesamtgeflecht unserer Beziehungen zur Sowjetunion und zu allen anderen Staaten des Ostens ergeben müßte. Gerade auch deshalb beobachten wir den anhaltenden schweren Druck der Sowjetunion auf die innere Entwicklung in Polen mit besonderer Sorge.Die Bundesregierung wird gemeinsam mit ihren Verbündeten ihre auf eine günstige Beeinflussung der Lage in Polen gerichtete Politik fortsetzen. Bei der Wiederaufnahme der Madrider KSZE-Verhandlungen wird das Thema „Polen" vorrangig auf der Tagesordnung stehen. Alle stehen in der Pflicht der Schlußakte von Helsinki. Das sollte man in Warschau und in Moskau nicht gering einschätzen. Die Fortdauer der Unterdrückung des polnischen Volkes bedeutet einen schweren Rückschlag bei der Vertrauensbildung zwischen Ost und West. Deshalb trägt die Sowjetunion für das, was in Polen geschieht, eine schwere Verantwortung. Sie steht den Entwicklungsanstrengungen, den Reformbemühungen im Wege, die dort den legitimen Erwartungen
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4432 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Bundesminister Genscherder Menschen entsprechen. Der Kollege Ehmke hat völlig zu Recht auf diese Unfähigkeit zur Erneuerung hingewiesen, weil das über die Interessen eines davon betroffenen Volkes weit hinausgeht, weil diese Unfähigkeit, auf Bestrebungen zur Erneuerung einzugehen, zunehmend zu einem destabilisierenden Faktor in den internationalen Beziehungen wird.In der Politik der Bundesregierung hat das Bewußtsein von der Verantwortung der Sowjetunion auch Ausdruck gefunden in dem Brief des Bundeskanzlers an Generalsekretär Breschnew. Es wird häufig darüber geredet — auch hier —, der Bundeskanzler habe diese Verantwortung der Sowjetunion nicht sehen wollen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei allem Respekt vor dem, was von anderen gesagt wurde: ich hätte mir gewünscht, der Bundeskanzler wäre in der Europäischen Gemeinschaft nicht der einzige geblieben, der sich im Dezember 1981 nicht nur an Herrn Jaruzelski, sondern auch an Herrn Breschnew wegen Polen gewandt hat.
Das hat er ja nicht getan, weil Herr Breschnew nichts damit zu tun hat, sondern weil er seine Verantwortung zum Gegenstand seines Briefes gemacht hat.
Es gibt keinen Zweifel: Die Vorgänge in Polen offenbaren das Versagen des kommunistischen Systems. Sie haben deshalb grundsätzliche Bedeutung. Die Unfähigkeit dieses Systems, sich auf neue Entwicklungen, die unübersehbar sind, einzustellen, wird überdeutlich. Diese neuen Entwicklungen drücken sich in einem starken Willen der Völker zur Bewahrung und zur Stärkung der eigenen Identität aus. In Europa wird doch das Bewußtsein europäischer Identität immer stärker, übrigens unabhängig von den politischen Ordnungen.Die Schlußakte von Helsinki weist für ganz unterschiedliche Strukturen den Weg, sich darauf einzustellen. Diese Schlußakte von Helsinki ist ja nicht ein Votum für eine bestimmte Staats- und Gesellschaftsordnung. Darüber zu entscheiden muß auch in Zukunft Sache der betroffenen Völker sein. Wir haben den Helsinki-Prozeß nie als ein Momentprogramm verstanden. Wir haben ihn vielmehr immer als einen langfristig angelegten Prozeß, aber eben als einen dynamischen Prozeß verstanden, der die Perspektiven nationaler Identitätsbildung, europäischen Friedenswillens, individueller Rechte und gesellschaftlichen Fortschritts aufzeigt. Genau in dieser Perspektive liegt der polnische Prozeß der Reform und der Erneuerung. Wenn ich sage, er liegt in dieser Perspektive, so gibt ihm das nämlich seine historische Dimension. Wenn ich sage, er liegt, so heißt das, er ist nicht Vergangenheit. Was immer die Militärs in Polen jetzt tun werden, die Welt wird hinterher immer anders sein als vor dem August 1980.
Wenn wir die Entwicklung in Polen in dieser historischen Perspektive sehen, dann müssen wir uns auch ihrer Auswirkungen auf das Ost-West-Verhältnis bewußt sein. Hier findet auch der Appell an Warschau und Moskau seine Grundlage in der Schlußakte von Helsinki. Diese Schlußakte von Helsinki, die Erfüllung dieser Schlußakte von Helsinki mutet niemandem mehr zu, als er sich 1975 zu tun verpflichtet hat.
Die Erfüllung der Schlußakte von Helsinki beeinträchtigt niemandes Sicherheitsinteressen, im Gegenteil! Die Erfüllung der Schlußakte von Helsinki könnte Europa mehr Stabilität und damit allen auch mehr Sicherheit geben. Auch hier hat Herr Ehmke recht: Wer dem individuellen Freiheitswillen mit Repressionen begegnet, wird mehr Instabilität schaffen als derjenige, der sich innerlich reformbereit zeigt, so schwer ihm das auch fallen mag.Die Zusammenarbeit in Europa wird durch Maßnahmen gefährdet, wie sie am 13. Dezember in Polen ergriffen worden sind, und wahrlich nicht durch diejenigen, die die Aufhebung dieser Maßnahmen fordern. Meine Damen und Herren, ebenso sicher ist aber auch — das sage ich an die Adresse derjenigen, die kritisieren wollten, die kritisiert haben, daß wir Herrn Rakowski hier empfangen haben —: Außenpolitische Untätigkeit, Beschränkung auf Protest und Unterbrechung der Gesprächskanäle würden gar nichts bewirken; das wäre Immobilismus.
Nur wer ganz konsequent und ganz offensiv für Entspannung, für Zusammenarbeit, für Dialog eintritt, hat auch Möglichkeiten und Instrumente, dem polnischen Volk zu helfen, so schwer das ist, so problemreich das ist.
Meine Damen und Herren, es ist — das muß man in Warschau und Moskau sehr ernst nehmen — auch unsere Sorge um die Ost-West-Beziehungen, um Entspannung und Zusammenarbeit, die uns zu dem Appell veranlaßt, die von der Unterbrechung des Prozesses der Reform und der Erneuerung ausgehenden Gefahren zu sehen und diesem Prozeß wieder freien Lauf zu geben. So sind unsere drei Forderungen und Erwartungen zu verstehen, die wir für das polnische Volk erheben. Sie werden erhoben für dieses leidgeprüfte Volk, und sie werden erhoben für Stabilität, Zusammenarbeit und Entspannung in Europa. Alles, was wir tun, alles, was wir auch in Zukunft tun werden, muß allein danach bewertet werden, ob es diesem Ziel dient oder nicht. Da kann ich nur noch einmal wiederholen: wer den Dialog fürchtet, der beraubt sich selbst wichtiger Instrumente und großer Möglichkeiten.Deshalb begrüßt es die Bundesregierung ganz ausdrücklich, daß der amerikanische Außenminister an seiner Absicht festhält, Ende Januar mit dem sowjetischen Außenminister zusammenzutreffen. Die
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Bundesminister GenscherDurchsetzung unserer Ziele erfordert ein hohes Maß an Gemeinsamkeit im eigenen Lande, in der Europäischen Gemeinschaft und im westlichen Bündnis. Wir fordern die Verantwortlichen in Warschau und Moskau auf, zur Grundlage der Schlußakte von Helsinki zurückzukehren und dafür zu sorgen, daß der Prozeß der Zusammenarbeit zwischen Ost und West nicht beeinträchtigt wird.Die Genfer Verhandlungen über Mittelstreckenraketen sind planmäßig aufgenommen worden. Wir sind angesichts der großen Bedeutung, die der Rüstungskontrolle und der Abrüstung auf unserem hochgerüsteten Kontinent zukommt, gemeinsam mit unseren Bündnispartnern entschlossen, unsere auf konkrete und wirksame Rüstungskontrollvereinbarungen gerichtete Politik fortzusetzen. Hier könnte die Vertrauensgrundlage durch eine Rückkehr zum Reformkurs in Polen verbessert werden.In den vergangenen Wochen ist aber auch noch etwas anderes deutlich geworden. Europa kann seine Friedensaufgabe nur erfüllen, wenn es mit den Demokratien Nordamerikas fest verbunden bleibt. Nur im Bündnis mit den Vereinigten Staaten und Kanada kann das für den Frieden notwendige Gleichgewicht in Europa und in der Welt gesichert werden.
— Trotz des Bravo-Rufs von Herrn Kollegen Jäger fällt mir doch auf, wie schwer es Ihnen fällt, einer unpolemischen Rede zuzuhören.
— Ja, es lohnt sich auch. Sie hören das selten dort, wo Sie mal zuhören.
Das Ergebnis des Außenministertreffens der NATO hat unseren Zusammenhalt eindrucksvoll unterstrichen. Ich würde von seiten der Opposition das nicht gering einschätzen und vielleicht selbst noch einen Strich darunter setzen. Wir wissen, das Bündnis ist noch vor allen gemeinsamen vitalen Interessen zuerst eine Gemeinschaft der Werte, eine Schicksalsgemeinschaft der Freiheit. Die Bundesrepublik Deutschland wird sich dabei immer ihrer Verantwortung bewußt sein müssen. Sie wird in diesem Bündnis politisch, abrüstungspolitisch und verteidigungspolitisch immer eine aktive Rolle zu spielen haben.Wir wissen dabei auch, was das Ost-West-Verhältnis angeht — das hat Herr Ehmke hier sehr deutlich gesagt —: ein Rückfall in den kalten Krieg würde niemanden mehr treffen als uns Deutsche hier im Westen, aber auch drüben in der DDR. Wir würden aber auch unsere Interessen erheblich verletzen, wenn wir nur einen einzigen Augenblick übersähen, daß wir unsere nationalen Interessen immer nur mit unseren Partnern und Verbündeten gemeinsam vertreten können.
Oder um es anders auszudrücken: unser Gewicht inder westlichen Gemeinschaft entscheidet auch überunser Gewicht als Gesprächspartner im West-OstVerhältnis.Von diesem Fundament aus wird die Bundesregierung auf der Grundlage der Erklärung der europäischen Außenminister, der gemeinsamen Erklärung' des Bundeskanzlers und des amerikanischen Präsidenten und auf der Grundlage der von den NATO-Außenministern gemeinsam erarbeiteten politischen Strategie ihre Politik konsequent weiterführen. Sie wird versuchen, dazu beizutragen, dem polnischen Volk in seinem Bestreben zur Erneuerung und Reform zu helfen, um die Beziehungen zwischen Ost und West wieder in konstruktive Bahnen zu leiten. Ich sage noch einmal: der Bundeskanzler hat am Ende seiner Rede wirklich den Versuch gemacht, wieder auf Sie zuzugehen.
Lassen Sie uns jetzt auf das Thema zugehen, um das es eigentlich heute hier gehen muß, um die Frage nämlich, wie eine westliche Politik aussehen muß, die geeignet ist, dem polnischen Volk in seinem Willen nach ein bißchen mehr Freiheit, Reformen und gesellschaftlichem Fortschritt zu helfen, wie eine Politik des Westens aussehen muß, die geeignet ist, die Belastungen der gegenwärtigen Entwicklung zu überwinden, damit in Polen Fortschritt möglich wird und damit im West-Ost-Verhältnis Zusammenarbeit und Entspannung weitergehen können. Das ist unsere Sorge, die wir als Deutsche haben müssen. Das ist unsere Sorge, die wir als Europäer haben müssen. Darum müssen wir hier ringen. Darüber wollen wir offen diskutieren.Wir müssen es da als einen hohen Wert einschätzen, daß sich entgegen allen Unkenrufen zuvor das westliche Bündnis am 11. Januar für eine gemeinsame Erklärung gefunden hat; die mehr ist als nur eine Bekundung von Protest, die eine gemeinsame Erklärung ist, die eine politische Strategie ausdrückt, nach der wir handeln wollen. Das ist der Grund, warum ich an die Opposition appelliere, sie möge sich entschließen, über ihren Antrag hinaus auch dem Antrag der Koalitionsfraktionen zuzustimmen, die sich eben hinter diese gemeinsame Politik des westlichen Bündnisses stellen wollen. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Klein .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube zu wissen, daß dem Bundesaußenminister besonders viel daran gelegen ist, heute ein hohes Maß an Gemeinsamkeit in dieser Debatte zu erreichen. Abgesehen davon, daß die Regierung immer in Augenblicken der eigenen Bedrängnis Gemeinsamkeiten beschwört, ist es für den Außenminister natürlich legitim, in einer so schwerwiegenden Frage eine möglichst breite Basis zu erhalten.Herr Bundesaußenminister, was die Sache anbetrifft, für die Sie Gemeinsamkeit erstreben, versichere ich Ihnen: Die CDU/CSU-Fraktion ist in bezug
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4434 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Klein
auf Beschlüsse unseres Bündnisses mit Sicherheit von niemandem übertreffbar, was ihre Zuverlässigkeit angeht.
Freilich, der Bundeskanzler hat dem Bundesaußenminister einen polemischen Strich durch die Debattenrechnung gemacht. Nun machen wir unsere politische Haltung in einer solchen Frage nicht vom Auftreten des Herrn Bundeskanzlers hier abhängig. Lassen Sie mich gleichwohl noch ein paar Bemerkungen zum Thema Gemeinsamkeit anfügen. Ein Kollege dieses Hohen Hauses hat mir vorhin erzählt, daß die CDU in Mainz versucht habe, mit der SPD und mit der FDP am 22. Dezember 1981 einen gemeinsamen Schweigemarsch „Solidarität mit dem polnischen Volk" zu veranstalten. Die Vorsitzenden der beiden Koalitonsparteien haben zugesagt und am nächsten Tag abgesagt, weil ihre Basis das nicht mitmachte.
Der wackere Kollege Ehmke ist leider
im Moment nicht da; ich vermute, er hat dringende
anderweitige Verpflichtungen.
Aber ein paar Sätze zu seinem Auftritt werden Sie mir schon erlauben. Ich hätte ihm das gerne in seiner Gegenwart gesagt.Was seinen polemischen Pflichtteil betrifft, war er schon besser. Bei seiner sicheren Witterung für öffentliche Wirkung hat er immer die Namen verwechselt; er hat immer „Kohl" gesagt, wo er eigentlich „Schmidt" hätte sagen müssen.Trotzdem verdanken wir ihm in dem Teil, den der Herr Bundesaußenminister als einen bemerkenswerten analytischen Beitrag bezeichnet hat — man sollte hier dem Wort „analytisch" das Wörtchen „selbst" voranstellen: in einem bemerkenswerten selbstanalytischen Beitrag —, doch einige Enthüllungen, beispielsweise den Hinweis darauf, die Entspannungspolitik sei ein Kind des Mauerbaus.
Die Väter heißen infolgedessen Ulbricht und Chruschtschow.Er hat auch vom Frieden und vom Wohlstand im Ostblock gesprochen. Das Wort „Freiheit" kam in der „bemerkenswerten Analyse" nicht vor.
Der Herr Bundeskanzler hat uns vor der Gefahr gewarnt, aus der Krise des kommunistischen Systems eine Krise der Allianz herbeizureden.
Doch die Bundesregierung selbst und prominente Vertreter der sie tragenden Parteien
haben die Krise des Bündnisses durch allzuviel Bedachtnahme auf die Sowjetunion
und das polnische Militärregime herbeigesäuselt.
Noch nie in der Geschichte dieses Staates hat eine Bundesregierung weltweit, insbesondere aber bei den eigenen Verbündeten so viel Mißtrauen geweckt und antideutsche Emotionen mobilisiert wie die Ihre, Herr Bundeskanzler, in den Wochen seit der von Moskau erzwungenen kommunistischen Selbstbesetzung Polens.
Dieser Tatbestand kann beschönigt, aber nicht geleugnet werden. Er läßt sich nicht mit verkürzt wiedergegebenen Tonbandinterviews oder mit journalistischer Voreingenommenheit erklären.Herr Bundeskanzler, Sie haben versucht, dieses international ziemlich einheitliche Meinungsbild zur „Kritik in einigen Medien" herunterzuspielen.
Aber die Wechselbeziehung zwischen öffentlicher Meinung und politischer Willensbildung gerade in einem demokratischen Staat wie den USA ist Ihnen doch nicht unbekannt. Schließlich gar die Verantwortung dafür der Opposition, die die Dinge bei ihren wahren Namen nennt, zuschieben zu wollen Herr Bundeskanzler, ich glaube nicht, daß Sie das ernsthaft meinen können.Lassen Sie mich deshalb von vornherein klarstellen: Wenn die Opposition erklärt, daß der deutsche Bundeskanzler keine wie auch immer umschriebene schiedsrichternde Mittlerfunktion zwischen Moskau und Washington einzunehmen hat, so beeinträchtigt dies nicht die deutsche Position im westlichen Bündnis.Wenn die Opposition feststellt, daß die zuvorderst in deutschem Interesse liegende Solidarität mit den USA durch konkrete Politik und unbezweifelbare Bündnistreue bewiesen werden muß, beeinträchtigt dies nicht die deutsche Position im westlichen Bündnis.Wenn die Opposition feststellt, daß Mitglieder der Regierungsmehrheit gegenüber den eigenen Verbündeten mit weit härterer Kritik als gegenüber Moskau auftreten, dann gefährdet auch dies nicht die deutsche Position im westlichen Bündnis. Im Gegenteil!
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4435
Klein
Die Union, stärkste Fraktion in diesem Haus, Regierungspartei in der Mehrheit der deutschen Bundesländer und geschlossenste politische Kraft dieser Republik, signalisiert damit vielmehr den Vereinigten Staaten und unseren europäischen Bündnispartnern, was die Mehrheit der Menschen hierzulande wirklich empfindet.
Da werden in unserem Nachbarland Polen, dessen historisches Schicksal seit einem Jahrtausend mit unserem verbunden ist, bei Nacht und Nebel die kleinen, in den letzten eineinhalb Jahren mühsam erkämpften Menschen- und Bürgerrechte abgeschafft, politische Widersacher der Kommunisten erschossen, Zehntausende in Gulags gesperrt, Kriegsrecht verhängt — und der Herr Bundeskanzler schreibt zwei Briefe. Niemand auf der Welt und erst recht kein erfahrener Politiker, Herr Bundeskanzler, kann ernsthaft annehmen, daß zu diesem Zeitpunkt die Herren Breschnew und Jaruzelski davon irgendwie beeindruckt gewesen wären.
Die Entschließung des Deutschen Bundestages zu den polnischen Vorgängen, die der Bundeskanzler in Washington wie eine Standarte vor sich hergetragen hat, ist zwar bei einer Enthaltung, wenn ich mich recht entsinne, einstimmig von allen Fraktionen angenommen worden. Sie kam aber — das muß hier einmal festgehalten werden — auf Initiative und auf der Gundlage eines Papiers der CDU/CSU-Fraktion zustande.
Sie enthält die drei Kardinalforderungen, die sich inzwischen in allen wichtigeren Erklärungen des Westens wiederfinden: Freilassung aller Inhaftierten, Wiederherstellung des Reformkurses und Wiederaufnahme des Dialogs mit den reformwilligen und patriotischen Kräften des polnischen Volkes.Meine Damen und Herren, diese Debatte soll keine künstlichen Frontstellungen schaffen. Sie soll der Wahrheit und der Klarheit dienen. Um ihretwillen lassen Sie micht nüchtern konstatieren, wo der Unterschied zwischen Regierung und Opposition in der politischen Antwort auf die Vorgänge in Polen liegt. In dem Entschließungsantrag von SPD und FDP wird — über das parlamentarische Rollenverständnis der Mehrheit dieses Hauses habe ich nicht zu urteilen — die Bundesregierung für alles, was sie in den letzten Wochen getan und damit implizit auch unterlassen hat, gelobt. Sehr pauschal werden die diversen Erklärungen der EG-Außenminister, von Bundeskanzler und US-Präsident und der NATO begrüßt. Ausdrücklich bekräftigt wird die Fortsetzung der humanitären Hilfe an das polnische Volk, und hervorgehoben wird die Ankündigung verstärkter Wirtschafts- und Finanzhilfen, sobald die Voraussetzungen dafür gegeben sind.
Ich weiß, meine Damen und Herren, Herr KollegeVoigt, daß das Thema wirtschaftlicher Gegenmaß-nahmen, insbesondere auch gegenüber der Sowjet-union als Urheber der Vorgänge in Polen, vielen Kollegen in der SPD und manchen in der FDP so unangenehm ist, daß es in dem Antrag nicht erwähnt wird.
Wer liest draußen schon den Text der NATO-Erklärung genau nach, von dem man sich, Herr Kollege Voigt, im richtigen Zeitpunkt dann auch noch distanzieren kann?Ich halte es für mißverstandene Außenpolitik, in Kategorien von Belohnung und Bestrafung zu denken. Es geht in der Außenpolitik ausschließlich um die Geltendmachung von Interessen. Auch in diesem Fall müssen wir uns schlicht fragen: Was dient — vor allem auch längerfristig — deutschen Interessen, westlichen Interessen und den Interessen des um seine Freiheit ringenden polnischen Volkes?
Gewährung und Zusage von Krediten ebenso wie der Abschluß von Außenhandelsgeschäften mit der Volksrepublik Polen sind uns in den letzten anderthalb Jahren doch stets mit dem Hinweis schmackhaft gemacht worden, daß dadurch der Reformkurs abgesichert werden soll.
Das war die offizielle Geschäftsgrundlage. Ist diese Grundlage entfallen, Herr Kollege Voigt, dann ist der Grundsatz „Pacta sunt servanda" von der Gegenseite verletzt worden. Wer seine Einhaltung gleichwohl jetzt von uns erzwingen will und deshalb wirtschaftlichen Sanktionen, wie Sie, Herr Kollege, das mit dem Einwurf getan haben, das sei Dummheit, widerrät, der ermutigt das kommunistische System geradezu, seinen menschenverachtenden Kurs fortzusetzen.
Doch genau das, meine Damen und Herren, widerspricht deutschen, westlichen und polnischen Interessen.
Aber hier gerät die Regierungsmehrheit mit sich selbst in Konflikt. Denn sie will doch unter allen Umständen beweisen, daß ihre Art von Entspannungspolitik erfolgreich gewesen sei,
trotz Afghanistan, was ja für den Herrn Bundeskanzler heute offenbar nur noch ein anonymer Staat in Westasien ist
— dann haben sie nicht zugehört, Herr Kollege —,
trotz Erhöhung der Zwangsumtauschrate, trotz brutaler Drosselung der Zahl der deutschen Aussiedler aus Osteuropa, trotz Polen.4436 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag. den 14. Januar 1982Klein
Herr Kollege Ehmke hat eben in einer Weise dasWort „Entspannungspolitik" in diese Debatte einzuführen versucht — ich glaube, er hat es einige hundert Male gebraucht —, von der ich nicht weiß, meine Damen und Herren, ob ich sie grotesk oder gespenstisch finden soll. Denken wir doch einmal daran, wie es in den Ohren von Polen klingen muß, wenn jemand hier auf diesem Rostrum einen Verteidigungsritt für jene Form der Entspannungspolitik unternimmt, die genau zu solchen Ergebnissen geführt hat, wie wir sie vor uns haben!
Aber damit das klar ist: Nur sehr einschichtige Polemiker haben den — inzwischen freilich auf der ganzen Breite mißglückten — Versuch unternommen, die Interpretation der Entspannungspolitik durch die Unionsparteien in Feindseligkeit gegenüber der Sowjetunion, in Kalten Krieg oder, Herr Bundeskanzler, in Friedensunfähigkeit umzufälschen.CDU und CSU haben sich lediglich erlaubt, die sowjetische Politik realistischer einzuschätzen. Heißt Entspannung für den Westen Menschenrechte und Gleichgewicht, so hieß sie für Moskau zu jedem Zeitpunkt Unterdrückung und Übergewicht.
Wir haben uns — der tragische Ablauf der jüngstenGeschichte hat uns leider immer wieder bestätigt —von Anfang an in der Einschätzung der Sowjetunion) einfach einer größeren Nüchternheit befleißigt als beispielsweise Willy Brandt oder seinerzeit Franklin Delano Roosevelt.Dieser nüchternen Einschätzung entspringt auch die Feststellung, daß für die Bundesrepublik Deutschland wie für den gesamten freien Westen kein Anlaß besteht, sich so zu verhalten, als säße Moskau grundsätzlich am längeren Hebelarm. Die Wirtschaftslage in sämtlichen kommunistischen Staaten jenseits des Eisernen Vorhangs ist verheerend. Der Drang nach wenigstens bescheidenen bürgerlichen Freiheiten wächst. Der Ruf nach nationaler Unabhängigkeit in den Ländern Osteuropas und nach autonomen Nationalitätenrechten in der UdSSR kann, wie das Beispiel Polen zeigt, nur mit brutaler Gewalt unterdrückt werden. Und selbst nach Jahrzehnten staatlicher Atheismuspropaganda sind die christliche Religiosität der Slawen in Osteuropa und die islamische Religiosität der orientalischen Völkerschaften in der UdSSR ungebrochen. Das weltweite Versagen des Kommunismus, der den Menschen Freiheit raubt und Brot vorenthält, gibt seine Anhänger und Fürsprecher in der westlichen Welt der Lächerlichkeit preis.
Die gigantischen inneren Schwierigkeiten der sowjetischen Gerontokratie spiegeln auch die länger werdenden Eingreiffristen. Den Volksaufstand 1953 in Mitteldeutschland haben die Sowjets in wenigen Tagen niedergewalzt. Die Erhebung in Ungarn schlugen sie erst nach einigen Wochen nieder. Der Prager Frühling 1968, dieser treuherzig-sympathische Versuch, einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz zu errichten, währte Monate.
— Ich fürchte: nein, Herr Kollege Gansel. Die Art und Weise, wie die Sowjetunion darauf reagiert hat, hat die Treuherzigkeit ja geradezu unterstrichen. Den Einmarsch damals unternahmen die Sowjets bereits gemeinsam mit anderen Warschauer-Pakt-Staaten, darunter schändlicherweise die DDR. Und in Polen lebte die wohl kühnste Freiheitsbewegung unserer Zeit ohne Eingriff über ein Jahr. Für ihre Vernichtung hat sich der Kreml jetzt eine besonders heimtückische Methode ausgedacht. Wie in den schlimmsten Tagen stalinistischer Säuberungswellen läßt er mit Massenverhaftungen, Terror, Mord, Mord auch an den Seelen der Menschen, gegen die vorgehen, die nur das wollen, was Moskau so oft in völkerrechtlich verbindlichen Dokumenten unterschrieben hat, wofür seine Waffenlieferungen nach Afrika, Asien und Lateinamerika angeblich bestimmt sind
und was dem Wortlaut nach sogar in den meisten kommunistischen Verfassungen steht.
Nach neuesten, sehr zuverlässigen Informationen liegt gegenwärtig die Zahl der sowjetischen Soldaten in polnischen Uniformen, die wohlgemerkt nicht den sowjetischen Stationierungstruppen angehören, bei 80 000.
Die Kontrolle der Sowjets über Armee und Miliz gilt bereits als nahezu perfekt. Stehen irgendwo mehr als vier Uniformierte beisammen, rechnet die polnische Bevölkerung realistischerweise damit, daß einer von ihnen ein Sowjetsoldat ist.
Unmittelbar nach dem 13. Dezember wurden die meisten militärischen Führungspositionen, oft hinunter bis zum Zugführer, neu besetzt. Zwischen den regulären polnischen Streitkräften und der kommunistisch beherrschten Miliz findet ein ständiger Personalaustausch statt. Aber die polnische Zivilbevölkerung — das ist eine bittere Ironie marxistischer Wirtschaftswirklichkeit — hat das Merkmal für die Unterscheidung zwischen echten und vorgeblichen Soldaten rasch herausgefunden. Die als Armeeangehörige verkleideten Milizionäre tragen mangels neuen Schuhwerks meist immer noch ihre schwarzen Milizstiefel, die Armee dagegen trägt braune.Bei ihren Einsätzen zur Disziplinierung der Bevölkerung schlagen die Milizionäre mit langen, eisenbewehrten Stöcken den Menschen auf Beine und Füße. Nach Aussage eines Arztes standen sie in Kattowitz offenkundig unter Drogeneinfluß und schlugen besonders erbarmungslos zu. Wie dialektisch
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Beweggründe und Verhalten des polnischen Militärregimes von Herrn Rakowski in Bonn auch interpretiert wurden und zu welch abenteuerlich naivem Urteil das den Herrn Bundeskanzler verführt haben mag: In den Augen der polnischen Bevölkerung gilt General Jaruzelski im doppelten Wortsinn als Kommissar der Sowjetunion.
Polen — betroffene, hungernde — haben uns wissen lassen, ja angefleht, westliche Hilfe um Gottes willen nicht an die gegenwärtige polnische Regierung zu leisten oder auch nur über sie zu leiten.
Nach ihrer Darstellung fahren täglich Eisenbahnzüge voll Kohle und Getreide in Richtung UdSSR.
Anderen — ich erkläre ausdrücklich: weniger zuverlässigen — Informationen zufolge sollen auch Lebensmittelgeschenksendungen aus dem Westen in sowjetische Kanäle verschwunden sein.Die Bundesregierung muß, gegebenenfalls gemeinsam mit den EG-Partnern, einen wirksamen Kontrollmechanismus für die Verteilung humanitärer Hilfe, einschließlich Lebensmittel, einrichten. Wir wollen den Menschen helfen und nicht das System stabilisieren, das die Menschen unterdrückt.
Hätte die Bundesregierung diesen Grundsatz in der Vergangenheit strenger beachtet, dafür gesorgt, daß pauschal geleistete Rentennachzahlungen auch in die Hände der Betroffenen gelangen,
daß die in der KSZE-Schlußakte vereinbarten Menschenrechte auch den Deutschen in Polen gewährt werden,
daß Wirtschaftskredite nicht — auch nicht teilweise — zur Etatstützung verschwinden, wäre manche Entwicklung vielleicht anders verlaufen,
auch was unsere Glaubwürdigkeit im westlichen Bündnis betrifft.Der Herr Bundeskanzler fühlt sich von einer Welle der Ablehnung beschwert. Wer die internationale Presse verfolgt hat, weiß, daß es teilweise eine Welle des Hasses ist, der die Haltung der Bundesregierung in der öffentlichen Meinung vieler unserer Verbündeter begegnet. Aber die latenten Neutralismustendenzen innerhalb der SPD, die vom Bundeskanzler selbst immer wieder eingenommene Pose des Ost-West-Dolmetschers,
auch die überwiegend gegen den Westen gerichteteund von manchem namhaften Sozialdemokraten unterstützte sogenannte Friedensbewegung — von der übrigens seit dem 13. Dezember vorigen Jahres so gut wie nichts mehr zu hören ist —,
haben die Nerven unserer westlichen Partner strapaziert.Da aber nicht nur West-Berlins Freiheit von Amerika, Frankreich und Großbritannien gewährleistet wird, sondern die Existenz unseres Staates, unserer Freiheit von einem intakten Bündnis abhängt, muß diese Entwicklung uns alle beschweren. Deshalb ist es an der Bundesregierung, ihre Ursachen auszuräumen.Niemand hätte Sie daran gehindert, Herr Bundeskanzler, heute diesem Hohen Hause und damit der internationalen Öffentlichkeit ein Konzept — und wäre es nur in Form eines Katalogs von Zielvorstellungen gewesen — dafür vorzulegen, wie die Bundesregierung den Punkt 16 der gemeinsamen Erklärung der NATO-Außenminister zu verwirklichen gedenkt. Darin heißt es, daß die Bündnispartner auch die längerfristigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ost und West überdenken werden, insbesodere im Energiebereich, bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen und anderen Gütern und beim Technologie-Export, und zwar im Licht der veränderten Situation und der Notwendigkeit, ihre Wettbewerbsposition auf dem Gebiet der militärischen und technologischen Fähigkeiten zu schützen.
Diese Chance, unseren Partnern Solidarität zu signalisieren, hat der Bundeskanzler heute nicht genutzt. Es wird erlaubt sein, zu fragen: Mit Rücksicht auf wen? Sicher nicht auf die USA, denen er ja Presseberichten zufolge — im kleinen Plauderkreis, versteht sich — vorgerechnet hat, daß sie mit Einstellung ihrer Getreidelieferungen mehr bewirken könnten als wir mit dem Verzicht auf das Gas-Röhren-Geschäft. Wieviel staatsmännische Klugheit eine solche Rechnung, aufgemacht als Gast in den Vereinigten Staaten, verrät, will ich nicht beurteilen. Fest steht nur, daß die Sowjets für das Getreide nicht mit vorfinanzierten Naturalien bezahlen und daß man mit Mais- oder Weizenkörnern nicht schießen kann. Langfristige Milliardenkredite dagegen, die später mit Gas abgestottert werden sollen, machen automatisch Mittel für Moskaus Rüstungsetat frei.
— Ich bedaure, Herr Kollege Voigt, wenn das Ihr Begriffsvermögen übersteigt.Vor dem Hintergrund der NATO-Erklärung noch eine Bemerkung zu den sieben Tage vorher gefaßten Beschlüssen der EG-Außenminister. Die gesamte NATO-Erklärung hebt sich wohltuend davon ab. Denn die Außenminister haben lediglich mißbilligt, zur Kenntnis genommen, appelliert, festgestellt, gewarnt, sich solidarisch erklärt, Konsultationen angeregt, die Wiederaufnahme des Madrider Treffens
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4438 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
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vorgeschlagen, Tätigwerden zugunsten einer UN-Rüge gegen Menschenrechtsverletzungen angekündigt, Maßnahmen ins Auge gefaßt und Prüfungen zugesagt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Kreml-Gewaltigen werden gezittert haben — vor Lachen.
Die Bundesregierung bescheinigte sich flugs „entschiedene, aber maßvolle" Haltung. Das Lob aus Moskau ließ nicht auf sich warten. „Die Europäer", so stellte der sowjetisches Staatsrundfunk mit satter Genugtuung fest, „haben dem Druck der USA widerstanden". Denn die Konferenz hatte sich wie die Bundesregierung bis nach dem Kanzlerbesuch in Washington um eine eindeutige Anprangerung der sowjetischen Verantwortung für die Entwicklung in Polen herumgedrückt.Auf den schon am 30. Dezember von Regierungssprecher Kurt Becker gefällten Freispruch für Moskau will ich hier nicht eingehen, aus Respekt vor einem alten Berufskollegen, dessen Seriosität jetzt mißbraucht und als Propagandamünze ausgegeben wird.In der Beurteilung der EG-Außenminister-Erklärung mache ich mir den lakonischen Kommentar des Kollegen Dr. Manfred Wörner zu eigen: „Der schädliche Bonner Kurs der Beschwichtigung beginnt in Europa die Oberhand zu gewinnen."
Unser polnisches Nachbarvolk — lassen Sie mich das zum Schluß noch einmal sagen — ist in schwerer Not. Die wechselseitigen Beziehungen des Leids sind von Herrn Dr. Kohl beschrieben worden. Meine Damen und Herren, helfen wir jetzt den tapferen Polen als gute Nachbarn, die wir aus der Geschichte gelernt haben! Helfen wir ihnen, Hunger und Kälte zu überstehen! Helfen wir ihnen auch, durch solidarische westliche Haltung ihre Freiheitsbewegung in eine bessere Zukunft hinüberzuretten! Zeigen wir ihnen, daß ihr Patriotismus nicht nur zu Beginn des vorigen Jahrhunderts deutsche Bewunderer hatte, sondern daß er uns angesichts unserer eigenen Teilung ein Beispiel gibt! In dieser welthistorisch dramatischen Situation ist Ihre Politik, Herr Bundeskanzler, wie Ihr heutiger Auftritt vor dem Deutschen Bundestag aber eher nur peinlich.
Ich erteile dem Abgeordneten Mischnick das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Klein, was hier peinlich ist, werden alle die merken, die genau zugehört haben oder, wenn sie es nicht gehört haben, die nachlesen, was Sie gesagt haben. Ich werde auf einzelnes noch zurückkommen.
Zunächst möchte ich im Namen der FDP-Bundestagsfraktion dem Herrn Bundeskanzler und demHerrn Bundesaußenminister unseren Dank dafür aussprechen,
daß sie in verantwortungsbewußter Weise konsequent die Politik fortgesetzt haben, die wir von der Koalition gemeinsam für notwendig hielten, nämlich in jeder kritischen Situation sorgfältig zu prüfen, was nicht nur für den Augenblick, sondern auch mittel- und langfristig für unser Volk, für unser Land das Beste ist. Dieser Weg ist beschritten worden.
Wir stimmen dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zu, weil er konsequent das fortsetzt, was wir am 18. Dezember begonnen haben. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Poltern ist leicht; die daraus entstandenen Scherben wieder zusammenzukitten ist aber schwer, manchmal unmöglich.
Wir wollen hier gar nicht erst Scherben machen. Was heute an Urteil und Verurteilung sehr klug klingt, muß, mittel- und langfristig gesehen, noch lange nicht klug sein. Das, was hier in den Reden der Opposition anklang, war doch auch ein Abgehen von dem, was wir gemeinsam am 18. Dezember beschlossen haben.Der Herr Kollege Kohl hat hier davon gesprochen, daß der Herr Bundeskanzler blanke Aggressivität und Beleidigung als Ausweg aus einer mißlichen Situation benutzt hat.
— Lieber Herr Kollege, wenn Sie sagen, ich würde hier blanke Aggressivität und Beleidigung bringen,
weiß ich nicht, was Sie meinen. Das, was ich gesagt habe, kann mit Sicherheit weder Aggressivität noch Beleidigung gewesen sein.
— Er hat es ja gesagt, nicht Sie. — Herr Kollege Kohl, wenn Sie der Meinung waren, dies sei blanke Aggressivität und Beleidigung gewesen:
Man könnte zu ähnlichen Ergebnissen kommen, wenn man sich einmal manche Passagen Ihrer Rede ansieht. Ich halte nichts davon, daß man diese Art Bewertungen vornimmt, wie ich überhaupt bedaure, daß manchmal herumstehende Schuhe angezogen werden, ohne daß das notwendig ist. Das scheint hier aber manchmal zu passieren. Herr Kollege Kohl, Sie haben auch gefragt, ob denn der Bundeskanzler nicht begreife, daß auch andere recht haben könn-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4439
Mischnickten. Ich kann nur hoffen, daß das auch für jeden Redebeitrag aus Ihren Reihen hier gilt.
Wenn ich mich dann aber an manches erinnere, was der Herr Kollege Klein hier gesagt hat, habe ich nicht das Gefühl, daß die Bereitschaft, sich wirklich in Argumente hineinzudenken, so vorhanden ist, wie Sie es verlangen, wie ich es — das gebe ich allerdings zu — von jedem erwarte und verlange und wie ich Skepsis und Gegenposition auch gegenüber meinen eigenen Ausführungen jederzeit für berechtigt halte. Aber meine herzliche Bitte, das nicht nur als Maßstab bei anderen anzulegen, sondern das auch für sich selbst gelten zu lassen! Ich denke da z. B. an die Frage — ich werde noch darauf zurückkommen —: Sind Sanktionen eine sinnvolle Maßnahme oder nicht? Es kann doch wohl nicht so sein, daß, wenn man gegen Sanktionen ist, man natürlich im Unrecht ist, man aber, wenn man für Sanktionen ist, im Recht ist. Hier muß man dieses Abwägen genauso gelten lassen.Es ist hier mehrfach von Jalta und der falschen Zitierung gesprochen worden. Ich gestehe ganz offen: Als ich „Jalta" gehört habe, ist mir natürlich auch Teheran in Erinnerung gekommen, ist mir auch in Erinnerung gekommen, was in den 50er Jahren sonst an bedenklichen Entscheidungen gefallen ist, ist mir der Februar 1961 in Wien in Erinnerung gekommen, als zwischen Kennedy und Chruschtschow gewisse Festlegungen getroffen worden sind. Warum sage ich das? Ich habe oft den Eindruck, daß man immer nur versucht, aus Entscheidungen, Verträgen, Verhandlungen, Vereinbarungen genau das, was gerade in die Diskussion hineinpaßt, herauszunehmen, statt wirklich die Gesamtentwicklung zu sehen, die zu heutigen, schwierigen Situationen geführt hat.
Es ist geklagt worden, die Koalitionsfraktionen, besonders die FDP, seien in den letzten Wochen sprachlos gewesen. Ich kann Ihnen sämtliche Erklärungen, die allein ich in den letzten vier Wochen zu diesem Punkt abgegeben habe, vortragen. Von Sprachlosigkeit kann keine Rede sein. Aber wir sind immer bemüht gewesen, abgewogen zu dem Stellung zu nehmen, was sich in Polen entwickelt, und nicht durch lautstarkes Vorpreschen Negatives zu erreichen.
Herr Kollege Klein, Sie haben kritisiert,
daß der Herr Bundeskanzler zwei Briefe geschrieben habe. Sie haben gefragt, was das solle. Jetzt bin ich mir nicht ganz klar, ob Sie damit auch den Brief des Präsidenten Reagan an Herrn Breschnew kritisieren wollten. Sie haben deutlich gemacht, daß das Ihrer Meinung nach nichts bewirken würde.
Ich bin sicher, daß, wenn das nicht geschehen wäre, hier kritisiert worden wäre, warum der Bundeskanzler nicht die Gelegenheit wahrgenommen hätte, den Beschluß des Deutschen Bundestages vom 18. Dezember auch Breschnew, auch Jaruzelski deutlich zu machen, ihn umzusetzen, ihn ihnen nahezubringen.
— Lieber Herr Kollege, wenn die Kritik gewesen wäre, das allein sei zuwenig, hätte man gern darüber reden können. Aber hier wird doch immer wieder versucht, das, was geschieht, herabzusetzen, wenn das jedoch nicht geschehen wäre, den Vorwurf des Nichtstuns zu erheben.
Herr Kollege Klein, Sie sprachen davon, daß die Krise „herbeigesäuselt" worden sei. Ich habe mit verschiedenen Kollegen meiner Fraktion gesprochen, aber sie alle konnten mir nicht sagen, was damit gemeint sein könnte. Da war doch sehr dunkel Ihrer Rede Sinn.Meine Damen und Herren, Herr Kollege Klein hat aber auch einen sehr interessanten und, wie ich meine, sehr wichtigen Satz gesagt: Keine Belohnung! Keine Bestrafung! Ich wäre sehr froh, wenn das auch in Ihren eigenen Entschließungen so zum Ausdruck käme. Das ist aber nicht der Fall. Hier ist wieder ein Widerspruch zwischen dem, was Sie sagen und dem, wie Sie handeln. Räumen Sie den doch bitte selber aus!
Meine Damen und Herren, wir haben am 18. Dezember, wie ich schon erwähnte, hier eine gemeinsame Entschließung verabschiedet. Ich meine, sie war erfreulicherweise sehr differenziert in der Betrachtungsweise der polnischen Entwicklung. Derzeit müssen wir leider im wachsendem Maße lautstarke Stellungnahmen aus den Reihen der Union hören, die sich auch in der heute vorgelegten Entschließung niederschlagen und die diese differenzierte Betrachtungsweise vermissen lassen. Man gewinnt dabei den Eindruck, daß sich wieder einmal der Gedanke durchgesetzt hat, Politik in Krisenzeiten könne nur durch den Gegenschlag beantwortet werden. Aber genau das ist doch falsch.
Wohin der Verzicht auf mäßigenden Einfluß führen muß, haben doch viele Nationen in den Nachkriegsjahren bitter erfahren müssen. Der Kalte Krieg hatte doch die Verbindung zwischen Ost und West völlig einfrieren lassen. Es ist noch gar nicht lange her, daß gerade Millionen Menschen dadurch unmittelbar Nachteile zu tragen und zu ertragen hatten. Man kann doch beim besten Willen nicht behaupten, daß die damalige Politik des gegenseitigen Übertrumpfens den Frieden etwa sicherer gemacht oder den Menschen mehr Freiheitsspielraum geschaffen hätte. Das Gegenteil war der Fall.Mich erfüllt mit großer Sorge, daß immer mehr glauben, daß diese schwierige internationale Lage
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4440 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Mischnickdurch Scharfmacherei — wie ich meine, für durchsichtige innenpolitische Zwecke — gebraucht oder mißbraucht werden soll. Ich möchte hier von Hans Jakob Stehle, einem Journalisten das zitieren — - jetzt können Sie zurufen „Zitat" —, was er am vergangenen Sonntag in der Höfer-Runde unter anderem sagte. Er war jahrelang in Warschau und ist heute in Rom. Jeder, der ihn kennt, weiß, daß er ein sehr seriöser und überlegter Journalist ist. Er hat wörtlich gesagt:Die Chancen zu einer Veränderung sind aber auch deshalb schlecht — wenn Sie mich das noch sagen lassen —, weil wir im Westen generell dazu neigen, aus der polnischen Tragödie innenpolitische und außenpolitische Munition für unsere eigenen Auseinandersetzungen zu machen.
Wir führen — das gilt nicht nur für die Bundesrepublik, ich erlebe das auch in Italien — mit der polnischen Tragödie innenpolitische Auseinandersetzungen. Wir, d. h. der Westen als Ganzer und der Osten genauso, haben begonnen, den Kalten Krieg zu reaktivieren mit Hilfe dieser polnischen Munition — dies alles auf Kosten der armen Menschen in Polen. Wenn ich das einmal so banal sagen darf: Auf ihrem Bukkel werden jetzt innenpolitische und außenpolitische Auseinandersetzungen der ganzen Welt ausgetragen. Und das ist die zweite polnische Tragödie.
Ich stimme weitgehend — ich sage nicht, Wort für Wort — dem zu. Wer ehrlich ist und sich nicht von Propagandathesen gefangen nehmen läßt, muß zugeben, daß der Wahrheitsgehalt dieser Worte viel größer ist, als uns allen im Interesse unserer eigenen Politik und im Interesse des polnischen Volkes lieb sein kann.Meine Damen und Herren, nur wenn wir Krisen zu überwinden suchen und nicht durch Anstacheln von Emotionen, durch Schüren von Emotionen und durch impulsive verbale Kraftakte, sondern mit rationalem Handeln nach gründlicher Analyse vorgehen, nur so kann das kalkulierbare politische Handeln möglich gemacht werden, das wir brauchen, um solche krisenhaften Situationen zu überwinden.Niemand bestreitet doch, meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, daß der Jahresbeginn 1982 durch die Verhängung des Ausnahmezustandes in Polen mit einer schweren Hypothek belastet ist. Niemand bestreitet doch, daß es dort Tote gegeben hat, daß Hunderte, Tausende verhaftet worden sind; das beklagen wir doch alle gemeinsam. Natürlich haben diese Vorgänge in Polen Auswirkungen auf die Ost-West-Beziehungen. Bei weiterer Eskalation kann das natürlich den Frieden gefährden.
— Natürlich kann das den Frieden gefährden, wenn das eskaliert.
— Aber Entschuldigung! Wenn Sie fragen: Was kann noch eskalieren?, dann kann ich nur darüber verwundert sein, daß Sie damit offensichtlich sagen wollen, jede weitere Entwicklung sei ausgeschlossen. Ich schließe sie nicht aus. Ich muß doch die Gefahren sehen und meine Politik darauf einrichten, daß solche Gefahren möglichst nicht Wirklichkeit werden. Das ist doch der Sinn unserer politischen Arbeit.
— Keine Sorge, dazu werde ich noch einiges sagen. Es gibt vielleicht sehr viele, die so viel direkte Kontakte nach Polen haben, wie ich sie habe.
— Ich denke überhaupt nicht an die Russen. Diese primitive Art, zu sagen: Denken Sie nicht so viel an die Russen!, macht doch deutlich, daß Sie gar nicht bereit sind, über diese Dinge sachlich nachzudenken, sondern nur polemisch an sie herangehen wollen.
Gerade die Notwendigkeit, hier herauszufühlen und zu spüren, welcher richtige Weg gegangen werden kann, machte es so wichtig, daß der stellvertretende Ministerpräsident Rakowski hier in Bonn war, um den Dialog zu suchen, wohlwissend, daß er hier vom Bundesaußenminister und von uns keine Schmeicheleien zu hören bekam. Im Gegenteil, unsere Forderungen — um es hier noch einmal klar zu sagen — sind ihm vom Außenminister und von Vertretern aller drei Fraktionen in gleicher Form in aller Deutlichkeit gesagt worden: Freilassung der Internierten, Aufhebung des Ausnahmezustandes, Weiterführung des Dialogs mit der Kirche und den Gewerkschaften.
Spielen wir doch nicht herunter, wie gut und wie wichtig es ist, daß diesem polnischen Vertreter hier gemeinsam von Regierung und Fraktionen das deutlich gemacht worden ist, was wir beschlossen haben.Natürlich gilt, um auch das hier in aller Offenheit zu sagen, für uns der Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, wie er auch in der KSZE-Schlußakte niedergelegt ist. Aber dies kann, darf und wird uns nicht daran hindern, unsere andere Meinung zur politischen Entwicklung deutlich zu sagen, wenn es erfor-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4441
Mischnickderlich ist. Die haben wir in diesem Fall in aller Deutlichkeit gesagt.Wer aber in diesem Zusammenhang immer wieder an der Bündnistreue der Bundesrepublik Deutschland zweifelt, muß doch ein sehr schlechtes Gedächtnis haben. Man erinnere sich doch: Nicht alle EG-Staaten und NATO-Verbündeten haben im Frühjahr 1980 den Beschluß gefaßt, auf die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Moskau zu verzichten. Im übrigen wissen wir doch heute sehr genau, wie wenig Wirkung der Boykott der Olympischen Spiele durch die Bundesrepublik Deutschland hatte. Ich verhehle nicht: So alleingelassen wie danach habe ich mich selten gefühlt. Nachdem wir diesen Beschluß gefaßt hatten, mußten wir feststellen, daß die Solidarität sehr gering war. Das heißt für mich aber nicht, daß nun Solidarität umgekehrt nicht in Betracht kommt. Das zeigt aber, daß wir immer bereit waren, Zugesagtes, wie es der Herr Bundeskanzler zum Ausdruck gebracht hat, einzuhalten und durchzuführen, und daß zwischen verbaler Darstellung und praktischem Handeln bei uns keine Kluft bestanden hat. Dies ist leider bei anderen des öfteren feststellbar gewesen. Deshalb kann doch unser Bemühen nur sein, alles zu tun, um zu erreichen: wenn man sich im Bündnis auf eine gemeinsame Entschließung, auf ein gemeinsames Konzept geeinigt hat, muß man auch sicher sein, daß das, was gemeinsam vorgesehen ist, auch durchgeführt wird. Deshalb muß man darum ringen, daß, wenn man sich bestimmte Dinge gemeinsam vornimmt, dann wirklich eine Gemeinsamkeit im Handeln vorhanden ist.Jetzt geht die Diskussion wieder einmal darum, welche die geeigneten Mittel sind, um möglichst bald zu einer Beendigung des Ausnahmezustandes in Polen zu kommen und damit weitere Menschenrechtsverletzungen auszuschließen. Es gibt auch keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß wir natürlich aus unserem Demokratieverständnis dem polnischen Volk jede Möglichkeit zur eigenen Gestaltung seines Lebens, seiner Gesellschaftsordnung geben wollen. Wir wollen, daß die Polen ihre Freiheit so nutzen, wie es für mich, wie es für uns selbstverständlich ist.Natürlich ist es schlimm, daß in Polen, aber nicht nur in Polen, möchte ich hier hinzufügen, sondern in vielen Teilen der Welt, dieses alles eben nicht selbstverständlich ist. Aber es nützt doch den betreffenden Menschen gar nichts, wenn meine eigene Bereitschaft, wenn unsere Bereitschaft, uns für die Freiheit einzusetzen, wirkungslos bleibt, wirkungslos bleiben muß, wenn ich über die emotionalen Reaktionen hinaus nicht sehe, welche praktischen Umsetzungsmöglichkeiten vorhanden sind oder auch nicht vorhanden sind. Dies muß ich doch bei all diesen Überlegungen mit einbeziehen. Wir haben ja in unserem eigenen Volk — wenn ich an den 17. Juni, wenn ich an den 13. August erinnern darf — nur allzu deutlich bei mehreren Gelegenheiten das gleiche spüren müssen. Ich weiß, mancher ist geneigt, dies als Resignation auszulegen. Das ist es mitnichten. Aber wer wie ich mehrfach erlebt hat, daß aller gute Wille, aller persönlicher Einsatz nicht ausreicht, die Gesellschaftsform zu schaffen, in der man leben will, der ist eher bereit, über Willensbekundungen hinaus zu prüfen, welche Möglichkeiten zur Durchsetzung es überhaupt gibt.Wir wissen doch alle, daß die Entwicklungen der Nachkriegsjahre Abhängigkeiten mit sich gebracht haben, die durch noch so viele Entschließungen, lautstarke Forderungen und Bekenntnisse nicht einfach aus der Welt geschafft werden können. Ich frage mich oft — und ich bin sicher, das werden viele tun —: habe ich selbst genug getan, um anderen die Freiheit zu ermöglichen, die ich für mich in Anspruch nehmen kann? Aber das Bemühen darum scheitert oft an Fakten, die gar nicht oder schwer zu ändern sind. Dann bleibt doch nur übrig, Schritt für Schritt, auch wenn das nur über einen längeren Zeitraum möglich ist, die Fakten, die Bedingungen so zu ändern, daß allmählich die Chance für mehr Freiheit auch Wirklichkeit werden kann. Das ist eine mühselige Aufgabe. Aber an diese mühselige Aufgabe heranzugehen, ist langfristig gesehen für die Menschen in Polen mehr wert als jede lautstarke Demonstration.
Wenn man heute so tut, als habe sich seit den Beschlüssen von Helsinki nichts geändert, so ist das doch schlicht falsch. Für meine Begriffe ist noch nicht genug geschehen. Für meine Begriffe ist noch nicht genug umgesetzt.
Aber für viele Betroffene — auch das müssen Sie zugeben — ist doch schon erheblich mehr erreicht, als es 1975 der Fall war.Deshalb muß sich jeder, der es ernst mit mehr Selbstgestaltung für das polnische Volk meint, fragen, ob noch so gut gemeinte Reaktionen oder beabsichtigte Aktionen am Ende wirklich zu dem gewünschten Erfolg führen. Ich finde es deshalb wenig hilfreich, daß manche schon das Nachdenken darüber, ob der eine oder der andere Weg richtig ist, als einen Verrat an der Freiheit betrachten. Wer selbst, wie ich, von der anderen Seite, von der Unfreiheit aus, gute Ratschläge ohne praktische Konsequenzen gehört hat, ist hellhöriger für das, was realistischer, und für das, was Utopie ist.Diesen Maßstab lege ich natürlich auch an — das bekenne ich ganz offen — an das, was in dem Gespräch mit Herrn Rakowski und anderen Vertretern der Warschauer-Pakt-Staaten in den letzten Tagen möglich war und was andere polnische Bekannte von mir nur mündlich oder schriftlich mitgeteilt haben. Ich sage hier in aller Offenheit: Ich bin überzeugt, daß Herr Rakowski es mit dem Bemühen ernst meint, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu meistern, die in seinem Land vorhanden sind.
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4442 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
MischnickIch bin überzeugt, daß er es ernst meint mit dem Bemühen, diesen Ausnahmezustand möglichst rasch zu beseitigen
und weitere reformerische Entwicklungen möglich zu machen.
— Sie sagen, das darf doch wohl nicht wahr sein. Ich sage, ich bin überzeugt, daß er es ernst meint. Ich füge hinzu: das, was ich seit diesem Gespräch an Beweisen gehört habe, reicht mir nicht aus. Das ist für mich nicht das Signal, daß die Entwicklung schon voll in die richtige Richtung geht. Ich verstehe auch, daß viele diesen Erklärungen skeptisch gegenüberstehen. Aber wenn man nicht der Meinung ist, daß man nur selbst recht hat, dann muß ich auch bereit sein, hier weitere Entwicklungen in die eigenen Entscheidungen einzubeziehen. Deshalb billige ich das doch nicht. Deswegen heiße ich doch nicht gut, was dort geschieht. Aber ich bin bereit, Möglichkeiten der Entwicklung aufzunehmen und, wenn sie nicht eintreten, die Verhältnisse natürlich mit der gleichen Schärfe zu kritisieren, wie wir das bisher getan haben.
Wir haben doch in unseren Gesprächen keinerlei Zweifel darüber gelassen, wie wir hier stehen. Je schneller der Kriegszustand aufgehoben wird, je schneller der Dialog mit Kirche und Gesellschaft vorangetrieben wird, um so leichter wird es für uns sein, die auch in unserer Entschließung vorgeschlagenen wirtschaftlichen und finanziellen Hilfen in die Tat umzusetzen.Ganz nebenbei: Die Äußerung des Kollegen Graf Huyn, der das Gespräch mit Herrn Rakowski — ich zitiere wörtlich — „eine Brüskierung der westlichen Alliierten" nannte, ist deplaziert und wird der tatsächlichen Situation überhaupt nicht gerecht.
Eine Hinnahme der Gewaltanwendung, der Gewaltandrohung und der vielfältigen Menschenrechtsverletzungen gibt es für uns nicht. Aber diese Haltung und der Ausdruck unserer Empörung reichen nicht aus, eine Besserung der bedrückten Verhältnisse für die Menschen in Polen zu erreichen. In ihrem Interesse müssen wir die Bereitschaft zum Gespräch mit allen Regierungen der osteuropäischen Staaten ungeschmälert aufrechterhalten. Nichts wäre falscher, als durch eine Unterbrechung der Kontakte und durch Drohgebärden ein stärkeres Zusammenrücken und dichteres Abschotten des Warschauer Paktes zu provozieren und damit den Reformkräften in Polen die letzte Hoffnung zu nehmen. Wer heute mit markigen Worten jedwede wirtschaftliche Stabilisierung Polens gefährdet oder gar verhindert, schmiedet doch das erschöpfte Land noch viel stärker an die Sowjetunion, als es bisher schon geschehen ist.Natürlich, jeder Gedanke an einen Alleingang von uns Deutschen in dieser Lage wäre falsch, wäre sogar vermessen. Wir brauchen die Abstimmung und den Konsens im westlichen Bündnis. Natürlich brauchen wir auch die Aufgeschlossenheit der Gegenseite, nämlich des Warschauer Paktes und da vor allem der Sowjetunion. Deshalb begrüße ich für meine Fraktion ausdrücklich, daß die Genfer Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion über die Mittelstreckenraketen fortgesetzt werden.
Aber es lag j a ganz auf der Linie Ihrer kurzsichtigen Ratschläge von Kreuth, Herr Kollege Zimmermann, von einem Abbruch dieser Verhandlungen zu schwärmen. Von unseren Zielen rücken wir nicht ab, so mühselig es sein wird, ihnen nahezukommen.
Mir erscheint es wichtig, gerade jetzt in der emotionalisierten Diskussion die Grundlagen unserer praktischen Politik nicht zudecken zu lassen; denn wir wissen nur allzu genau: Das, was einmal als „Politik der Stärke" bezeichnet wurde, führt zu einer Schwäche der Bundesrepublik Deutschland.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wischneswki.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei so viel Übereinstimmung mit dem Vorredner kann ich im Interesse der Abstimmung, die wir vor uns haben, auf eine ganze Reihe von Minuten verzichten.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Reden, die hier heute von Herrn Dr. Kohl und von Herrn Klein gehalten worden sind,
waren eine Absage an die Gemeinsamkeit vom 18. Dezember, um die wir uns bemüht haben.
Sie haben diesen Weg verlassen.Ich habe in diesen Tagen ein Parteitagsprotokoll der CDU mit einem Zitat einer gewichtigen Rede von Konrad Adenauer, auf den sich insbesondere Herr Dr. Kohl immer wieder beruft, gelesen. Konrad Adenauer hat auf dem Parteitag der CDU in Karlsruhe gesagt:Wer sich irgendwie einmal in Außenpolitik vertieft, der muß wissen, daß Außenpolitik und Propaganda etwas ganz Verschiedenes sind.
Mir scheint, daß die beiden Kollegen an diesem Parteitag der CDU nicht teilgenommen haben.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4443
WischnewskiMeine sehr verehrten Damen und Herren, für uns stehen drei Grundsatzpositionen im Vordergrund, und zu diesen drei Grundsatzpositionen möchte ich einige Bemerkungen machen.Erstens. Wir werden alles tun, was den Menschen in Polen helfen kann. Wir werden alles unterlassen, was die Lage in Polen weiter erschweren kann. Die Rückkehr zum Kalten Krieg hilft keinem Menschen in Polen.
In diesen Tagen hat in Paris ein Mitglied des polnischen Parlaments, das viele von uns kennen, weil es in journalistischer Eigenschaft viele Jahre hier in Bonn tätig war, einige Aussagen aus der Sicht eines polnischen Abgeordneten in dieser Stunde gemacht. Ich möchte das hier gern zitieren, weil ich das für sehr wichtig halte. Der Abgeordnete Wojna hat vor zwei Tagen in Paris folgendes gesagt:Wenn die Regierungsgewalt in den Händen der Militärs liegt, führt das zu keiner Lösung, sondern blockiert nur den Lauf der Ereignisse, was tragische Folgen haben könnte. Für diese politische Normalisierung und für diese politische Lösung brauchen wir — auch das ist klar — eine gewisse Unterstützung durch den Westen. Wenn der Westen Polen gegenüber eine harte Position bezieht, Sanktionen verhängt usw., dann begünstigt der Westen automatisch auch die Falken bei uns.
So sagte Wojna vor zwei Tagen in Paris.
Es lohnt sich, über diese Sache nachzudenken.Zweitens. Wir haben unseren Beitrag geleistet, und wir werden unseren Beitrag leisten, daß das Bündnis und die Europäische Gemeinschaft eine gemeinsame Haltung einnehmen können. Die Dokumente und dementsprechend auch der gemeinsame Resolutionsentwurf von SPD und FDP sind eindeutig: die gemeinsame Entscheidung der Außenminister der Europäischen Gemeinschaft, die gemeinsame Erklärung des Präsidenten der Vereinigten Staaten und des Bundeskanzlers, die Entscheidung des Bündnisses und die Gespräche, die der Bundeskanzler gestern mit dem französischen Staatspräsidenten geführt hat. Wir sind dabei der Bundesregierung sehr dankbar, daß sie unsere besonderen Probleme in die internationale Debatte auf jeder Ebene eingeführt hat. Das hat nichts mit Geschäftemacherei zu tun. Es geht uns darum, nicht ein bißchen mehr Außenhandel zu haben, sondern es geht darum, daß unsere besonderen Probleme berücksichtigt werden, wenn die Europäische Gemeinschaft und wenn das Bündnis die Entscheidungen fällen.Drittens. Wir wollen alles tun, was uns möglich ist, damit die Bundesrepublik Deutschland ihren Beitrag leisten kann, um den Frieden in Europa zu erhalten. Wir sind deshalb dankbar, daß der Präsident der Vereinigten Staaten ausdrücklich — entgegen anderen Stimmen aus der Opposition — festgestellt hat, daß die Verhandlungen in Genf durch diese Entwicklung nicht betroffen werden. Wir sind dafür dankbar, daß der Außenminister der Vereinigten Staaten dabei bleibt, im nächsten Monat den Außenminister der Sowjetunion zu treffen, und wir begrüßen es ebenfalls, daß der Präsident der Vereinigten Staaten weiterhin bereit ist und es für notwendig hält, mit dem Generalsekretär Breschnew zusammenzutreffen.Der amerikanische Außenminister hat im vergangenen Monat einen wichtigen Beitrag für den NATO-Brief geschrieben. Ich möchte den Außenminister der Vereinigten Staaten hier zitieren und insbesondere die Opposition bitten, über diese Sätze aus dem vergangenen Monat nachzudenken:Vor über 100 Jahren hat Alexis de Tocqueville vorausgesagt, daß die Vereinigten Staaten und Rußland dazu bestimmt seien, die mächtigsten Staaten der Welt zu werden. Diese Prophezeiung hat sich im Nuklearzeitalter erfüllt.Das schreibt Staatssekretär Haig. Weiter schreibt er:Wir dürfen nicht zulassen, daß unsere ungelösten Differenzen über Menschenrechte zu einer globalen Katastrophe führen. Wir müssen mit der Sowjetunion einen Wettstreit führen, um die Freiheit zu schützen, aber wir müssen auch nach Zusammenarbeit suchen, um die Menschheit zu schützen.Ich kann jedes einzelne Wort in dieser Aussage des Außenministers der Vereinigten Staaten ausdrücklich nur unterschreiben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, alle drei Fraktionen haben erfreulicherweise die Gelegenheit wahrgenommen, mit dem stellvertretenden polnischen Ministerpräsidenten zu sprechen. Ich sage: Wir werden auch zukünftige Möglichkeiten wahrnehmen, um unsere Vorstellungen und Überlegungen dorthin zu bringen, wo sie hingehören. Wir haben dem stellvertretenden Ministerpräsidenten unsere Meinung über die Lage in Polen eindeutig und unmißverständlich gesagt: Forderung nach Beendigung des Kriegszustandes in Polen, Forderung nach Freilassung der Inhaftierten und der Internierten, Wiederaufnahme des Dialogs zwischen der Staatsmacht, der katholischen Kirche und der Gewerkschaft „Solidarität" sowie Fortsetzung des Reformkurses. Wir haben ihm — ich glaube, übereinstimmend — klar gemacht, daß Polen die Antworten auf diese Fragen geben muß.Hier ist gerade in dem Beitrag des Kollegen Klein noch einmal in aller Deutlichkeit die Frage der Sanktionen angesprochen worden. Wer sich mit der Geschichte von Sanktionen beschäftigt, — es ist eine sehr lange Geschichte —, wird feststellen, daß es hier sehr unterschiedliche Erfolge, in den weitaus meisten Fällen aber keine Erfolge gibt.
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4444 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
WischnewskiIch sehe, was unsere besonderen Erfahrungen betrifft, drei Beispiele. Diese möchte ich in Erinnerung bringen und bitte, darüber nachzudenken.Erstens. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie in diesem Hause damals — übrigens gegen uns — über das Röhrenembargo gegenüber der Sowjetunion entschieden wurde. Die Bundesrepublik Deutschland hatte sich damals dem Embargo angeschlossen. Schweden, Japan, Italien und Großbritannien haben das Embargo unterlaufen. Es wurde 1965 offiziell aufgehoben.Zweitens. Auf Grund der Geiselnahme der amerikanischen Botschaftsangehörigen durch den Iran durch iranische Terroristen verhängten die Vereinigten Staaten 1979/80 verschiedene Sanktionsmaßnahmen: Importstopp, Verbot für Reisen, Einstellung des Finanztransfers usw. Diesen Maßnahmen haben sich andere westliche Staaten, selbstverständlich auch die Bundesrepublik, in Solidarität mit den Vereinigten Staaten angeschlossen. Nach Beendigung der Geiselaffäre wurden die Maßnahmen weitgehend wieder aufgehoben. Die Beendigung der Angelegenheit ist nach allgemeiner internationaler Beurteilung auf die Verhandlungen zurückzuführen, die von Drittstaaten geführt worden sind und nicht auf die Sanktionsmaßnahmen, die Verhandlungen von Drittstaaten, bei denen insbesondere, wie die Vereinigten Staaten erklärt haben, die Bundesregierung eine besonders aktive Rolle gespielt hat, um selbstverständlich ihre Möglichkeiten zu nutzen, den Vereinigten Staaten dabei behilflich zu sein.Drittens. Ich möchte die Frage der Olympiade nur noch erwähnen. An das, was wir gemeinsam erlebt haben, nachdem wir unseren Mann klar und eindeutig auch in diesem Hause gestanden haben, sei nur noch einmal erinnert.Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages hat zu den Sanktionen folgendes gesagt:
Der sogenannte deutsche Osthandel — und der würde ja dadurch betroffen — wird in Amerika weit überschätzt. Es wird in Amerika — und daher kommt auch die Einstellung — gesagt: Wir sind die großen Profiteure der Entspannungspolitik. Die Zahlen sprechen im Augenblick klar und eindeutig dagegen. 1975 betrug der deutsche Osthandel 7,2 % des gesamten deutschen Außenhandels. Heute sind es nur noch 4,9 %. Das heißt, diejenigen, die darüber reden und uns kritisieren, gehen auch in dieser Frage von völlig falschen Vorstellungen aus.Der Kollege Dr. Kohl beruft sich immer gern auf Konrad Adenauer. Und das ist sein gutes Recht.
Aber das bedeutet, Herr Kollege Dr. Kohl, daß Sie nicht das ausklammern dürfen, was Konrad Adenauer in schwierigen und gefährlichen Situationen gesagt hat, die es selbstverständlich während seiner Amtszeit gegeben hat. Der Kollege Mischnick hatbereits an den 13. August 1961, an den Bau der Berliner Mauer, erinnert.
Am 14. August, am Tag nach dem Mauerbau, hat Konrad Adenauer zu unserem damaligen Verhältnis zur Sowjetunion Stellung genommen. In Anspielung an Jalta hat sich Konrad Adenauer zu den Fragen geäußert, die in der Debatte heute eine Rolle spielen. Er hat wörtlich gesagt — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:Bitte denken Sie einmal zurück, welche Beweggründe Stalin dazu gebracht haben, sich diese ganzen Satellitenstaaten vor Sowjetrußland hinzulegen, Jugoslawien,— das hat er damals noch einbezogen —Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Polen, Tschechoslowakei bis zur DDR. Weil er fürchtete, daß eines Tages Rußland vom Westen her angegriffen werden würde, wollte er dafür sorgen, daß in diesen Ländern und nicht in Sowjetrußland die entscheidenden Schlachten eines solchen Krieges sich abspielen.Er hat hinzugefügt:Nun, meine Freunde, unser oberstes Ziel ist und bleibt die kontrollierte Abrüstung.
Es wird auf der Welt keinen Frieden geben, wenn man nicht mit der kontrollierten Abrüstung sowohl der nuklearen Waffen wie der konventionellen Waffen einen wirklichen und ernsthaften Anfang macht.Dies ist das, was Konrad Adenauer am 14. August 1961, einen Tag nach dem Mauerbau, gesagt hat.Und nun haben Sie offensichtlich besondere Sorgen hinsichtlich unseres Verhältnisses zu unseren Schwesterparteien. Deshalb mache ich dazu einige klarstellende Bemerkungen. Wir waren Ende des Jahres in Paris beisammen, und es haben selbstverständlich alle Parteien — bis auf eine, für die ich besonderes Verständnis habe — in unserer Sozialistischen Internationale einen gemeinsamen Weg gefunden.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, daß ich Sie unterbreche.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie doch bitten, Platz zu nehmen.
Wir haben einen gemeinsamen Weg gefunden. Dieses Bemühen ist in unserer Internationale eine Selbstverständlichkeit. Aber unsere politischen Freunde haben in einer Diskussion dort Verständnis für die Haltung aufgebracht, die die Bundesregierung und die Sozialdemokratische Partei eingenommen haben, so daß es möglich war, mit allen anderen eine gemeinsame Haltung einzunehmen.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4445
WischnewskiWenn Sie z. B. über die französischen Sozialisten reden, möchte ich doch insbesondere folgenden Satz deutlich herausstellen:Die Sozialistische Internationale fordert alle betreffenden Seiten auf, die polnische Krise nicht als Vorwand für eine Abschwächung der Bemühungen um Entspannung und Rüstungskontrolle noch als Alibi für Interventionen in anderen Teilen der Welt zu benutzen.In diesen Fragen hat es eine völlige Übereinstimmung gegeben.Dem Hause liegen drei Entschließungsanträge vor. Lassen Sie mich zu diesen drei Entschließungsanträgen eine Bemerkung machen. Zuerst zur Drucksache 9/1265 , einem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU in bezug auf die Paketsendungen nach Polen. Die SPD-Bundestagsfraktion ist damit einverstanden, daß dieser Entschließungsantrag dem zuständigen Ausschuß überwiesen wird und daß man sich darum bemüht, in diesem Sinne in kürzester Zeit eine vernünftige Lösung zu finden.Zweitens. Dem Parlament liegen zwei Entschließungsanträge zur Regierungserklärung vor. Am 18. Dezember 1981 waren wir noch in der Lage, eine gemeinsame Stellungnahme zur Situation in Polen abzugeben. Nach den Entscheidungen der Europäischen Gemeinschaft, nach den Entscheidungen im Bündnis, zu denen wir uns ausdrücklich bekennen, ist diese gemeinsame Stellungnahme jetzt offensichtlich nicht mehr möglich. Darüber haben Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, nachzudenken.
SPD und FDP werden deshalb Ihren Entschließungsantrag ablehnen und dem Entschließungsantrag zustimmen, der sich auf die gemeinsame Haltung der Europäischen Gemeinschaft, auf die gemeinsame Haltung unseres Bündnisses und auf die Fortsetzung der Politik unserer Bundesregierung beruft. — Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Zu der Erklärung der Bundesregierung liegen drei Entschließungsanträge auf den Drucksachen 9/1262, 9/1263 und 9/1265 vor.Ich rufe zuerst den Entschließungsantrag der CDU/CSU auf Drucksache 9/1262 auf. Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke. Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 9/1263 auf. Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke. Gegenstimmen! — Danke. Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist angenommen.Wir kommen nun zum Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 9/1265 . Es ist beantragt, den Entschließungsantrag an den Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen zur federführenden Beratung und zur Beratung gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus hiermit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSUZweites Folgetreffen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Madrid— bisherige Verwirklichung der Schlußakte in Helsinki— weiterführende Vorschläge zur Schlußakte von Helsinki— Drucksachen 9/803, 9/1251 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. HupkaWird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Der Ausschuß empfiehlt in Drucksache 9/1251 die Annahme einer Entschließung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke. Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Entschließung ist angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Lorenz, Baron von Wrangel, Jäger , Schulze (Berlin), Graf Huyn, Dr. Kunz (Weiden), Dr. Hennig, Lintner, Lowack, Frau Berger (Berlin), Böhm (Melsungen), Sauer (Salzgitter), Dr. Schwarz-Schilling, Kittelmann, Dr. Mertes (Gerolstein), Höffkes, Werner, Dr. Wörner, Clemens, Straßmeir, Schwarz, Schröder (Lüneburg) und der Fraktion der CDU/CSUPresse- und Informationsfreiheit in der DDR— Drucksache 9/1047 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Auswärtiger AusschußIm Ältestenrat ist Aussprache in einer Debattenrunde vereinbart worden. — Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden.Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
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4446 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Vizepräsident WurbsIch eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Jäger .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines der grundlegenden Menschenrechte für alle Menschen ist die Informationsfreiheit einschließlich der ihr dienenden Informations-, Bewegungs- und Berichterstattungsfreiheit der Journalisten. Im Internationalen Pakt der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte und in der KSZE-Schlußakte ist dieses Menschenrecht bekräftigt worden.In Art. 2 des Grundlagenvertrags mit seiner Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte und in dem Briefwechsel betreffend die Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten vom 8. November 1972 hat das Menschenrecht auf Informationsfreiheit seine spezifische innerdeutsche Regelung gefunden. Danach gewährt die DDR — ich zitiere wörtlich — „Journalisten aus der Bundesrepublik Deutschland und deren Hilfspersonen das Recht zur Ausübung der beruflichen Tätigkeit und der freien Information und der Berichterstattung", allerdings — ich zitiere nochmals wörtlich — „im Rahmen ihrer geltenden Rechtsordnung", wohlgemerkt nicht etwa im Rahmen der jeweils geltenden Rechtsordnung.Daß der Briefwechsel so und nicht anders zu interpretieren ist, ergibt sich aus dem letzten Absatz, in dem es heißt — ich darf erneut zitieren —:Für die Tätigkeit als ständiger Korrespondent der Bundesrepublik Deutschland in der Deutschen Demokratischen Republik ist Voraussetzung:— Die Akkreditierung .. — die folgende Passage kann ich mir sparen —— die Einhaltung von gesetzlichen Bestimmungen und Verordnungen, die im Interesse der Sicherheit, Verbrechensbekämpfung, zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer erlassen wurden.Das heißt also: zum Zeitpunkt des Briefwechsels erlassen wurden, nicht etwa in Zukunft noch erlassen werden. Daraus ergibt sich, daß es mit dieser Vereinbarung im Briefwechsel nicht vereinbar ist, durch spätere einseitige Rechtsetzung der DDR eine Minderung des vereinbarten Standards dieses Menschenrechts herbeizuführen.
Aber bereits durch die Verordnung über die Tätigkeit von Publikationsorganen anderer Staaten und deren Korrespondenten in der DDR vom 21. Februar 1973, insbesondere durch § 5 dieser Verordnung, ist die Vertragsgrundlage des Grundlagenvertrages verlassen worden. Die danach folgende Praxis gegenüber einzelnen, bei den Machthabern unliebsam aufgefallenen Journalisten hat dies verdeutlicht. Ich erwähne etwa den Fall Mettke 1975, den Fall Loewe 1976, den Fall Schwarz 1977, den Fall Wiesner 1978, die Schließung des „Spiegel"-Büros ebenfalls 1978, den Fall van Loyen 1979.Massiv verschärft aber wurde die Einschränkung der Informationsfreiheit mit der Durchführungsbestimmung vom 11. April 1979, dem sogenannten Maulkorberlaß, und kurze Zeit später mit dem 3. Strafrechtsänderungsgesetz der DDR vom 28. Juni 1979.
— Meine Damen und Herren, ich will den Kollegen, die nicht zuhören wollen, keinen Maulkorb umhängen. Wir haben in diesem Parlament das Recht, uns auch so zu benehmen, wie es denen entspricht, die uninteressiert sind.
Mit dem Maulkorberlaß wurden Interviews und Befragungen jeder Art genehmigungspflichtig. Reisen außerhalb Ost-Berlins dürfen nur noch erfolgen, wenn sie dem Außenministerium spätestens 24 Stunden vorher mitgeteilt werden.
Damit wurde eine rasche Information durch das Fernsehen über aktuelle Geschehnisse in der DDR faktisch unmöglich gemacht. Von Journalisten, die drüben arbeiten, wissen wir, daß ihre Tätigkeit durch diesen Maulkorberlaß bis auf den heutigen Tag massiv beeinträchtigt ist.Das 3. Strafrechtsänderungsgesetz kriminalisiert nunmehr in einem Umfang, von dem die deutsche Öffentlichkeit noch immer nicht ausreichend Kenntnis genommen hat, jede journalistische Tätigkeit in der DDR, die von der Staatsführung als „zum Nachteil der Interessen der Deutschen Demokratischen Republik" gebrandmarkt wird. Ich verweise insbesondere auf die §§ 99,106, 219 und 220 des DDR-Strafgesetzbuches in der derzeit geltenden Fassung.Lassen Sie mich als Beispiele zwei dieser Paragraphen zitieren. § 99 lautet:Wer der Geheimhaltung nicht unterliegende Nachrichten zum Nachteil der Interessen der Deutschen Demokratischen Republik an die in § 97 genannten Stellen oder Personen übergibt, für sie sammelt oder ihnen zugänglich macht, wird mit Freiheitsstrafe von zwei bis zwölf Jahren bestraft. Vorbereitung und Versuch sind strafbar.Meine Damen und Herren, es gehört nur geringe Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie leicht einem Journalisten ein solcher Tatbestand angehängt werden kann, wenn er auch nur einfachste Nachrichten gesammelt hat.
Ich zitiere nun aus § 219 — Ungesetzliche Verbindungsaufnahme —; Abs. 1 lautet:Wer zu Organisationen, Einrichtungen oder Personen, die sich eine gegen die staatliche Ordnung der Deutschen Demokratischen Republik gerichtete Tätigkeit zum Ziel setzen,— das ist möglicherweise j a schon bei Herrn Have-mann der Fall —
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4447
Jäger
in Kenntnis dieser Ziele oder Tätigkeit in Verbindung tritt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren auf Bewährung verurteilt oder mit Geldstrafe bestraft.Absatz 2 — den ersten Punkt lasse ich weg, der zweite interessiert mehr —:... wer Schriften, Manuskripte oder andere Materialien, die geeignet sind, den Interessen der Deutschen Demokratischen Republik zu schaden, unter Umgehung von Rechtsvorschriften an Organisationen, Einrichtungen oder Personen im Ausland übergibt oder übergeben läßt.
Der Versuch ist in diesem Fall strafbar.Meine Damen und Herren, solche Strafbestimmungen sprechen allen von der DDR feierlich unterschriebenen Verträgen und Abmachungen auf dem Gebiet der Menschenrechte Hohn.
Auch wenn es bislang noch keinen Journalisten-Prozeß auf der Grundlage dieser Strafbestimmungen gegeben hat, so hängt das neue Strafrecht doch wie ein Damoklesschwert über jedem Journalisten, der drüben seinen Beruf als Dienst an der Information der Bürger ernstnimmt.An dieser Stelle möchte ich diesen drüben arbeitenden Journalisten aus der Bundesrepublik Deutschland, die mit einem Fuß immer in den DDR-Gefängnissen stehen, namens der CDU/CSU für ihre nicht leichte Arbeit danken und ihnen auch künftig ein zumindest von jeder Strafverfolgung, aber auch von ungerechtfertigten Eingriffen und Schikanen freies Wirken wünschen.
Der Verbesserung der Informationsfreiheit im geteilten Deutschland sollte auch die Vereinbarung in Ziffer 10 des Zusatzprotokolls zu Artikel 7 des Grundlagenvertrages über den Bücher- und Zeitungsaustausch dienen. Daß sich die DDR-Regierung bis heute, neun Jahre später, weigert, über die dort vorgesehenen Vereinbarungen auch nur zu verhandeln, ist eine weitere schwere Verletzung des Vertrages, die in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben darf.Zusammenfassend ist festzuhalten: Mit allen diesen Vertragsverletzungen, mit der Weigerung der DDR, eingegangene Verpflichtungen, wohlgemerkt: freiwillig zum beiderseitigen Vorteil eingegangene Verpflichtungen, zu erfüllen, ist ein bedeutender Teil dessen ausgeblieben oder wieder zerstört worden, was zur Verbesserung der Informationsfreiheit in der DDR und der Arbeitsmöglichkeiten unserer Journalisten drüben vertraglich abgesichert schien.Mit dem vorliegenden Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, auf der Grundlage der darin bezeichneten Abmachungen zur Informations- und Pressefreiheit ein Konzept zur Verwirklichung dieser Abmachungen einschließlich der Rückgängigmachung geschehener Verletzungen zu erarbeiten und diesem Parlament vorzulegen.
Daß der Bundeskanzler diese Frage bei seinem Besuch in der DDR angesprochen hat, ist zu begrüßen, genügt aber nicht.Des weiteren fordern wir die Unterrichtung der Weltöffentlichkeit, vor allem der UNO und der UNESCO, durch ein Weißbuch, in welchem die Verstöße der DDR gegen das Menschenrecht auf Informationsfreiheit dargestellt werden.Wir wollen bekräftigt wissen — und das sage ich ausdrücklich —, daß es auch künftig wie bisher keine grundgesetzwidrigen oder vertragswidrigen Eingriffe in Rechte oder Freiheiten von Journalisten aus der DDR geben darf, auch nicht als Repressalie gegen rechtswidrige Maßnahmen in der DDR gegen die Vertreter unserer Medien.Dies hatte ja — ich möchte heute daran erinnern— im ersten Zorn über den sogenannten MaulkorbErlaß der Kollege Bahr gefordert. Er ist davon abgerückt, aber noch heute bleibt seine damalige Feststellung richtig, daß durch die Maßnahmen der DDR die • innerdeutschen Abmachungen schrecklich durchlöchert worden sind, wie er sich ausdrückte, und daß sich die DDR um feierlich abgeschlossene Vereinbarungen — auch jetzt wieder original Bahr— „einen feuchten Kehricht schert".Der Bundesregierung wünsche ich, meine Damen und Herren, daß sie sich endlich dazu durchringt, Unrecht und Vertragsbruch ebenso deutlich beim Namen zu nennen.
Die Bedeutung der Informationsfreiheit und der verbesserten Arbeitsbedingungen für Journalisten für das Geflecht der innerdeutschen Abmachungen ist von der Bundesregierung immer wieder hervorgehoben worden. In der Tat ist das für den Zusammenhalt des deutschen Volkes, für die gegenseitige Information, für eine Teilhabe der Menschen am beiderseitigen Geschehen entscheidend wichtig. Für die SED-Führung hinwiederum ist es klar, daß aus der Sicht ihrer Abgrenzungspolitik diese Grundlage zu schwächen ist, wo immer das möglich ist. Solches Vorgehen entspricht auch ihrer Ideologie und dem daraus abgeleiteten Informationsmonopol für Partei- und Staatsführung. Immerhin haben sogar die Vertreter der DDR — das möchte ich hier doch einmal erwähnen, nachdem ich den Kollegen Hennig hier sitzen sehe — bei der Interparlamentarischen Konferenz der KSZE in Brüssel einer Erklärung zugestimmt, in der die verbesserte Informationsfreiheit und verbesserte Arbeitsbedingungen für Journalisten gefordert werden. Aber praktisches Handeln ist daraus nicht erfolgt, und ich bedaure, feststellen zu müssen, daß es auch nicht angemahnt worden ist.
Meine Damen und Herren, beim Madrider Folgetreffen hat sich die DDR hartnäckig geweigert, entsprechenden Verbesserungsvorschlägen zuzustimmen, hat diese vielmehr aktiv bekämpft. Um so mehr
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4448 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Jäger
erwarten die Menschen jenseits des innerdeutschen Vorhangs, um so mehr erwarten auch unsere Journalisten in Ostberlin und in der DDR von der Bundesregierung, daß sie nicht länger hinnimmt, daß die von der DDR-Führung vertraglich eingegangenen Zugeständnisse durch einseitige Maßnahmen Stück für Stück wieder zurückgenommen werden.
Dazu bedarf es aber eines Handelns, das auf einem klaren Konzept beruht; dabei bedarf es der nachhaltigen Unterstützung durch die Weltöffentlichkeit. Auf beides zielt unser Antrag ab.Ein Einwand, meine Damen und Herren, sollte nicht gegen unseren Antrag erhoben werden, was man auch dazu sagen mag, nämlich: in der DDR herrsche nun einmal eine andere, eine kommunistische Gesellschaftsordnung, die man auch durch abgeschlossene Verträge nicht ändern könne.Wer so argumentieren wollte, würde den Machthabern drüben einen Freibrief für jede Art von Vertragsbruch oder Nichteinhaltung getroffener Vereinbarungen unter Berufung auf die kommunistische Ideologie ausstellen.
Meine Damen und Herren, die Grenzen der Presse- und Informationsfreiheit sind zugleich die Grenzen zwischen Demokratie und Diktatur, zwischen Rechtsstaat und totalitärer Gewaltherrschaft, auch auf deutschem Boden. Deshalb muß jede Bundesregierung, die innerdeutsche Grenzen durchlässiger machen will, alles daransetzen, um wenigstens jenes Stück Informationsfreiheit zu retten, das die SED-Führer im Grundlagenvertrag zugesagt haben, und mit aller Kraft durchzusetzen versuchen, daß die Bestimmungen des Menschenrechtspakts und der KSZE-Schlußakte allmählich Wirklichkeit werden.Was nottut, ist eine Offensive für die Informations- und Pressefreiheit im geteilten Deutschland. Die CDU/CSU will mit ihrem Antrag dazu beitragen, diese politische Offensive in Gang zu setzen. Wenn die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen dazu bereit sind, werden sie unsere Unterstützung finden. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Geßner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Erörterung steht heute ein Thema, von dem man weiß, daß es zu den sensibelsten im Verhältnis Bundesrepublik/DDR gehört: die Tätigkeit von Journalisten aus der Bundesrepublik einschließlich Westberlins in der DDR.Bei realistischer Einschätzung des politischen und ideologischen Systems des anderen deutschen Staates war von vornherein nicht hundertprozentig auszuschließen, daß ihre Arbeit auch Behinderungen und starken Beeinträchtigungen ausgesetzt werden könnte. Diese Befürchtung hat sich leider mehrfach bestätigt. In der Vergangenheit wurden mehrere Korrespondenten ausgewiesen, Arbeitsmöglichkeiten eingeschränkt. Es gab Selektionen von Journalisten, etwa bei der Berichterstattung über kirchliche Synoden.
Und schließlich darf man auch nicht die restriktiven gesetzlichen Bestimmungen vergessen, durch die westdeutsche Journalisten bei der Erfüllung ihrer beruflichen Aufgaben bedenklich beeinträchtigt werden können. Soeben ist darüber gesprochen worden.Ich stelle fest, daß die Koalitionsfraktionen ebenso wie die Bundesregierung in der Vergangenheit stets energisch gegen jede Art der Beeinträchtigung journalistischer Tätigkeit Protest eingelegt und mit Nachdruck Abhilfe gefordert haben. Unsere Haltung in diesem Punkt ist unverrückbar. Für die Beeinträchtigung von Mitarbeitern von Presse, Funk und Fernsehen bei der vereinbarten Ausübung ihres Berufes in der DDR gibt es für uns weder Rechtfertigungen noch Entschuldigungen.Wie Sie wissen, haben wir uns sofort nach Beginn unserer Bemühungen, die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR auf eine vernünftigere, bessere Grundlage zu stellen, konsequent für Regelungen zur Aufnahme und Gewährleistung journalistischer Tätigkeit in dem jeweils anderen deutschen Staat eingesetzt. Wenn wir dies taten, dann deshalb, weil dies erstens zur Schaffung von mehr Normalität gehört und weil zweitens die Unerträglichkeit der damaligen Situationen, die wir 1969 bei Regierungsübernahme vorfanden, nicht mehr übertroffen werden konnte. Es konnte nur noch besser werden. Jede Sendung, die inzwischen von Journalisten aus der Bundesrepublik gemacht wurde und die zu uns herüberstrahlt, ist ein Stück Erfolg unserer Politik. Jeder Zeitungsbericht, der in der DDR von bundesrepublikanischen Korrespondenten verfaßt wird, ist das Ergebnis einer Politik, die von der Opposition bisher hartnäckig bekämpft wurde.
Wenn nun die Unionsfraktion meint — davon kann man getrost ausgehen —, unter ihrer politischen Führung wäre es zu den beklagenswerten Einschränkungen gar nicht erst gekommen, so hat sie, wenn auch auf makabere Weise, durchaus recht. Wenn es nämlich ab 1969 nach ihrem Willen gegangen wäre, so würde sich das anstehende Problem deshalb nicht stellen, weil es dann Vertreter unserer Medien in der DDR überhaupt nicht gäbe.
CDU und CSU hatten viele Jahre Zeit, zu beweisen, wie man konfliktvermeidende Regelungen zustande bringt.
Nichts ist geschehen.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4449
Dr. GeßnerTrotz der zeitweiligen Rückschläge darf man mit Fug und Recht feststellen: Obwohl sich zwei grundverschiedene Gesellschaftssysteme gegenüberstehen, wurde auch im Bereich unmittelbarer journalistischer Berichterstattung und Kommentierung die bis dahin fast total vorhandene Abgrenzung der DDR beendet.Im übrigen: Daß wir heute rechtsgültige Dokumente haben
— doch, es stimmt —, auf die wir uns bei unserem Anspruch auf ungehinderte Arbeit der Journalisten berufen können, unterstreicht die Verbesserung unserer Position gegenüber früher.
Das wird von Ihnen, wenn Sie ein bißchen objektiv nachdenken, auch nicht bestritten.In diesem Zusammenhang ist einigermaßen pikant, daß sich die Opposition in ihrem Antrag auf Abmachungen mit der DDR beruft, deren Zustandekommen sie erstens massiv bekämpft hat und die sie zweitens immer noch als das „schlechte Ergebnis einer falsch angelegten Politik" herabsetzt.
— Entschuldigen Sie, ich sage das, was ich hier für notwendig halte. Sie haben nur zwei Möglichkeiten, wenn Sie sich hier parlamentarisch verhalten wollen: Zuhören oder gehen. — Man muß sich fragen: Wo bleibt die politische und moralische Rechtfertigung dieser Ihrer Bezugnahme?
Im übrigen ist es schon höchst merkwürdig, wenn CDU und CSU auf der einen Seite behaupten, die Abmachungen mit der DDR seien schlecht ausgehandelt worden,
auf der anderen Seite aber in Verwunderung und Protest ausbrechen, wenn sich die DDR daran nicht hält.
Die Einleitung des Abschnittes A erhellt allerdings das Motiv Ihres Antrags. Sie verlangen dort unter Berufung auf die KSZE-Schlußakte zu Recht sowohl die volle Informationsfreiheit der Bürger als auch die Informations-, Bewegungs- und Berichterstattungsfreiheit der Medien als Voraussetzung u. a. für bessere Beziehungen zwischen den Staaten. Wir teilen diese Auffassung ohne jede Einschränkung.
— Hören Sie doch einmal zu; Geduld, Geduld! — Man muß sich aber darüber im klaren sein, daß der Freiheitsbegriff der Kommunisten in diametralemGegensatz zum Freiheitsbegriff der westlichen Demokratien steht. Dagegen werden Sie doch wohl hoffentlich nicht opponieren wollen. Von der DDR-Führung die Übernahme unseres Freiheitsbegriffes zu verlangen, ist irreale Wunschvorstellung.
So prinzipiell richtig die zitierte Feststellung der Opposition ist, so stellt sie doch ein Verlangen dar, das an den ideologischen und machtpolitischen Realitäten in der DDR meilenweit vorbeigeht.Volle Informationsfreiheit auch der Bürger in der DDR und die Arbeit der Medien drüben nach unseren demokratischen Maßstäben würden das System der DDR von innen her sprengen.
Wer etwa glauben sollte, die Führung der DDR sei zu einer Auslegung von Vereinbarungen bereit, die zwangsläufig zur Überwindung ihres Gesellschaftssystems führen müßte, der ist ein hoffnungsloser Phantast.
Verbesserungen der Beziehungen können daher im wesentlichen immer nur im Rahmen der dort gültigen gesellschaftspolitischen Normen erwartet werden — wenn wir uns auch vorstellen könnten, daß es viel bessere Lösungen geben könnte.Falls nun die Opposition bestreiten sollte, daß dieser Irrealismus Bestandteil ihrer Position sei, so bleibt als Erklärung nur übrig, daß es ihr mit ihrem Antrag weniger um den Protest gegen die Behinderung von Journalisten in der DDR geht, sondern vielmehr um den Wunsch, unsere Entspannungspolitik prinzipiell anzugreifen und zu bekämpfen.
— Ich komme noch darauf.Auch Ziffer 1 in Abschnitt C scheint mir mehr auf Schaueffekte denn auf konstruktive Vorschläge abgestellt zu sein. Sie fordern darin die Bundesregierung auf, ein Konzept zur Verwirklichung der vertraglichen Abmachungen, zur Rückgängigmachung geschehener und zur Verminderung künftiger Verletzungen dem Parlament vorzulegen.
In Klammern möchte ich zunächst einmal sagen: Im Gegensatz zu sonstigen Gepflogenheiten räumen Sie diesmal ein, daß die getroffenen Abmachungen gar nicht so schlecht sein können. Oder wollen Sie etwa Regelungen verwirklicht sehen, die nach Ihrer Auffassung nichts taugen?Der Punkt aber, der mich ganz besonders berührt, ist, daß Sie kein Wort darüber verlieren, wie Sie sich ein derartiges Konzept vorstellen. Was würden Sie an Stelle der jetzigen Regierung tun, um sicherzu-
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4450 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Dr. Geßnerstellen, daß Verletzungen seitens der DDR nicht mehr vorkommen können? Das wollen wir wissen.
Was schlagen Sie vor, damit geschehene Verletzungen rückgängig gemacht werden könnten? Ihre Antwort ist bisher Schweigen.
— Ich habe das deutlich gesagt, wofür ich bin.Ich fordere Sie auf, konkrete Vorschläge zu unterbreiten. Wir würden sachlich und fair — dessen dürfen Sie sicher sein — mit Ihnen darüber diskutieren. Ich vermute allerdings auf Grund von Erfahrungen in der Vergangenheit, daß von Ihrer Seite nichts Brauchbares zu hören sein dürfte. Wollen Sie Sanktionen, dann sagen Sie es offen und erklären Sie konkret, welche Art von Sanktionen Sie wünschen.
— Dann hat ja Ihr ganzer Antrag keinen Sinn. Sie müssen sich mal über das klar werden, was Ihr Antrag eigentlich will. Den haben Sie offensichtlich gar nicht gelesen.Die Koalition hat jedenfalls keinen Grund, von ihrer bisherigen Haltung abzugehen. Sie ist stets unzweideutig für die Einhaltung des Vertragswerks mit der DDR eingetreten. Sie hat in der Vergangenheit stets das Mögliche getan, um Behinderungen und Beeinträchtigungen rückgängig zu machen.
— Sie können ja sagen, wie man das machen muß.Es gibt daher keine Veranlassung, den im Abschnitt C des Antrags erhobenen Forderungen zu folgen. Ich empfehle Überweisung des Antrags an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen sowie an den Auswärtigen Ausschuß.Ich bedanke mich.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Fromm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über die Presse- und Informationsfreiheit besteht ein grundsätzlicher Dissens zwischen sozialistischen und freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnungen.Herr Kollege Jäger, jetzt spreche ich Sie an, weil Sie sagten, wir sollten das nicht immer wiederholen. Ich finde, wir müssen doch endlich einmal den Realitäten ins Gesicht sehen und Politik nicht immer nur als Wunschdenken auffassen.
Herr Kollege Jäger, was ist denn eigentlich geschehen mit der Pressearbeit von westdeutschen undwestlichen Journalisten? Sicherlich ist ihre Arbeitdoch erst möglich geworden durch die Politik der sozialliberalen Koalition.
— Sie müssen auch einmal zugeben, was wirklich wahr ist. Wir können uns im Ausschuß noch sehr intensiv darüber unterhalten.Nach den Kriterien eines freiheitlich orientierten Bewußtseins westlicher Demokratien, die auf der Idee der klassischen Grundrechte wie Meinungs- und Informationsfreiheit basieren, sind die Rechte in der DDR nicht gegeben. Unterschiedliche Demokratievorstellungen, unterschiedliches demokratisches Selbstverständnis charakterisieren die Positionen: die Gewähr vielfältiger Meinungen und Möglichkeiten der Meinungsäußerung in unserem System, die einseitige Information zur Unterstützung der Einheitspartei in der DDR. Dazu hat Erich Honecker auf dem 9. Parteitag der SED 1976 in Ost-Berlin erklärt:Presse, Rundfunk und Fernsehen der DDR leisten als ideologische Waffen der Partei mit ihren Mitteln einen wichtigen Beitrag zur politisch-ideologischen Orientierung .. Die Presse der DDR ist somit ein medienpolitisches Instrument der SED.
— Wir sprechen heute von Presse- und Informationsarbeit in der DDR.
Das war Ihr Wunsch, Ihr Antrag.
Da die Partei allein bestimmt, wie der sozialistische Aufbau in der DDR voranzuschreiten hat, wird von ihr deshalb unter Pressefreiheit und freier Meinungsäußerung allein die Vertretung ihrer Meinung, ihrer Erkenntnisse und Beschlüsse verstanden.Rundfunk und Fernsehen der DDR unterstehen formalrechtlich der staatlichen Leitung, d. h. der unmittelbaren Leitung der SED.
In den Berichten des Zentralkomitees der SED an die Parteitage werden Funk und Fernsehen sogar unverblümt als Einrichtungen der Partei eingestuft. Diese Unvereinbarkeit hat sich in der Vergangenheit immer wieder, angefangen bei den Verhandlungen im Zusammenhang mit dem Grundlagenvertrag von 1972, in der praktischen Anwendung der mit der DDR getroffenen Vereinbarungen bemerkbar gemacht.Meine Damen und Herren, wir sind uns mit Ihnen in diesem Hause alle einig, daß die DDR seit 1975 mehrfach die durch den in Ihrem Antrag angesprochenen Briefwechsel vom 8. November 1972 geschaf-
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Frau Frommfenen Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten aus der Bundesrepublik Deutschland eingeschränkt hat.
In diesem Zusammenhang erinnere ich auch an die Ausweisung von Korrespondenten des „Spiegel", der ARD und des ZDF sowie die Behinderung westlicher Journalisten in der Berichterstattung von Synodaltagungen der Evangelischen Kirche in der DDR. Meine Kollegen von der CDU/CSU, dies ist besonders — das dürfte Ihnen bekannt sein — unter anderem von meinem Kollegen, dem Vorsitzenden des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen, Uwe Ronneburger, kritisiert worden.Es ist richtig, daß sich die DDR in dem bereits erwähnten Briefwechsel verpflichtet hat, das Recht der freien Information und Berichterstattung zu gewähren. Diese Verpflichtung ist sie aber nur im Rahmen ihrer geltenden Rechtsordnung eingegangen.
Ich verweise hier z. B. auf das, was in der KSZE-Schlußakte in dem zitierten Korb III Abschnitt 2 dazu steht:... setzen sich zum Ziel, die freiere und umfassendere Verbreitung von Informationen aller Art zu erleichtern, die Zusammenarbeit im Bereich der Information und den Informationsaustausch mit anderen Ländern zu fördern sowie die Bedingungen zu verbessern, unter denen Journalisten aus einem Teilnehmerstaat ihren Beruf in einem anderen Teilnehmerstaat ausüben, ..
Meine Damen und Herren, mit der Unterzeichnung der KSZE-SchluBakte ist die DDR nach ihrem Verständnis nicht die Verpflichtung eingegangen, die Presse- und Informationsfreiheit in unserem freiheitlich-demokratischen Verständnis zu gewähren.
Die Unterzeichnung der KSZE-Schlußakte ist eine „politische Selbstbindung", keine völkerrechtliche Verpflichtung.Damit Sie mich nicht mißverstehen, meine Damen und Herren:
Ich teile die Auffassung der DDR nicht, ich verteidige sie auch nicht, aber ich meine, ich bin realistisch, wenn ich sie nach dem, was möglich ist, beurteile.
Die Bundesregierung war sich beim Abschluß einer Reihe vertraglicher Abmachungen und bei der Formulierung gemeinschaftlicher Absichtserklärungen hinsichtlich der Informationsmöglichkeiten der Bürger und der ihnen dienenden Informations-, Bewegungs- und Berichterstattungsfreiheit der Medien durchaus der außerordentlich unterschiedlichen Rahmenbedingungen bewußt, die durch die jeweiligen Rechtsordnungen in den beiden Staaten gegeben sind.Trotz der durch die jeweiligen Gesellschaftsordnungen bedingten unterschiedlichen Auffassungen von Presse- und Informationsfreiheit gelang es der Bundesregierung in zahlreichen Gesprächen mit der DDR, den 1972 erfolgten Briefwechsel dahin gehend zu realisieren, daß erstmals für Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunk- und Fernsehanstalten aus der Bundesrepublik Deutschland eine aktuelle Berichterstattung aus der DDR möglich wurde.Meine Damen und Herren, Sie können sich noch an die Tage vor Weihnachten erinnern. Ich verweise auf die Fernsehdirektsendung des Senders Freies Berlin im Rahmen der „Berliner Abendschau", in der vom Ost-Berliner Weihnachtsmarkt berichtet wurde. Können Sie sich vorstellen, daß das vor 10 Jahren möglich gewesen wäre?
— Das sind die kleinen Schritte, die auch beachtet werden müssen, wenn wir weitere, größere Schritte erreichen wollen!
Auch wenn sich seit 1975 die Arbeitsbedingungen für westliche Journalisten in der DDR vereinzelt erschwert haben, wird es weiter unser Ziel bleiben, die in den Jahren 1974 und 1975. zufriedenstellende Praxis der Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten wiederherzustellen und sie im Geiste der KSZE-Schlußakte von Helsinki zu verbessern.Meine Damen und Herren, ebenso wird die FDP — wie auch in der Vergangenheit — heftig gegen jegliche Einschränkung der Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten protestieren.
Wir werden die DDR-Führung immer wieder darauf hinweisen, daß die Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten nicht beschränkt werden dürfen, und werden die DDR an die Abmachungen und gemeinsamen Erklärungen erinnern.
Die FDP-Bundestagsfraktion schlägt Ihnen vor, den Antrag zur weiteren Beratung in die jeweiligen Ausschüsse zu überweisen.
Ich danke Ihnen.
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4452 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 9/1047 an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen zur federführenden Beratung und an den Auswärtigen Ausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Ist das Haus mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abkommen vom 28. April 1980 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Arabischen Republik Ägypten über die Regelung gewisser Fragen betreffend deutsches Vermögen und zur Verteilung von Entschädigungen für deutsches Vermögen in Ägypten und Honduras
— Drucksache 9/990 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 9/1223 —
Berichterstatter: Abgeordneter Baack
Wird vom Berichterstatter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wird anderweitig das Wort gewünscht? — Auch das ist nicht der Fall.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist damit angenommen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 15. Januar 1982, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.