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    Plenarprotokoll 9/76 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 76. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 Inhalt: Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde 4349 A Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Dritte Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung — Drucksache 9/983 - Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 4361D, 4403C Dr. Riesenhuber CDU/CSU 4366 C Wolfram (Recklinghausen) SPD . . . 4372 A Beckmann FDP 4376 C Dr. Probst CDU/CSU 4379 D Reuschenbach SPD 4382 D Dr.-Ing. Laermann FDP 4386 B Dr. Freiherr Spies von Büllesheim CDU/ CSU 4389 A Dr. von Bülow, Bundesminister BMFT 4392 A Dr.-Ing. Kansy CDU/CSU 4394 B Schäfer (Offenburg) SPD 4396 C Dr. Laufs CDU/CSU 4398 D Dr. Hirsch FDP 4401 D Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung über die Gespräche des Bundeskanzlers am 5. und 6. Januar 1982 in Washington sowie über aktuelle Fragen der Ost-West-Beziehungen Schmidt, Bundeskanzler 4404 B Dr. Kohl CDU/CSU 4413 B Dr. Ehmke SPD 4422 B Genscher, Bundesminister AA 4428 D Klein (München) CDU/CSU 4433 D Mischnick FDP 4438 B Wischnewski SPD 4442 C Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU Zweites Folgetreffen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Madrid — bisherige Verwirklichung der Schlußakte in Helsinki — weiterführende Vorschläge zur Schlußakte von Helsinki — Drucksachen 9/803, 9/1251 — . . . . 4445C Beratung des Antrags der Abgeordneten Lorenz, Baron von Wrangel, Jäger (Wangen), Schulze (Berlin), Graf Huyn, Dr. Kunz (Weiden), Dr. Hennig, Lintner, Lowack, Frau Berger (Berlin), Böhm (Melsungen), Sauer (Salzgitter), Dr. Schwarz-Schilling, Kittelmann, Dr. Mertes (Gerolstein), Höffkes, Werner, Dr. Wörner, Clemens, Straßmeir, Schwarz, Schröder (Lüneburg) und der Fraktion der CDU/CSU Presse- und Informationsfreiheit in der DDR — Drucksache 9/1047 — Jäger (Wangen) CDU/CSU 4445 D Dr. Geßner SPD 4448 B Frau Fromm FDP 4450 B II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abkommen vom 28. April 1980 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Arabischen Republik Ägypten über die Regelung gewisser Fragen betreffend deutsches Vermögen und zur Verteilung von Entschädigungen für deutsches Vermögen in Ägypten und Honduras — Drucksache 9/990 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 9/1223 — 4452 A Fragestunde — Drucksache 9/1252 vom 8. Januar 1982 — Beteiligung der Bundesregierung an Entscheidungen der USA über Entwicklung, Produktion und Lagerung neuer chemischer Waffen MdlAnfr 41, 42 08.01.82 Drs 09/1252 Hansen fraktionslos Antw StMin Dr. Corterier AA 4349 B, D, 4350 A, B, C, D ZusFr Hansen fraktionslos . . 4349D, 4350 A, B, C ZusFr Dr. Ehmke SPD 4350 A ZusFr Thüsing SPD 4350 D • Gespräche des Bundesaußenministers mit Regierungsmitgliedern von Militärdiktaturen in den letzten drei Jahren MdlAnfr 44 08.01.82 Drs 09/1252 Jäger (Wangen) CDU/CSU Antw StMin Dr. Corterier AA . . . 4351 A, B, C ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 4351 B, C ZusFr Thüsing SPD 4351 C Zusage der polnischen Militärregierung bezüglich der Weitergeltung der Offenhalteklausel des Ausreiseprotokolls von 1975 MdlAnfr 45 08.01.82 Drs 09/1252 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Dr. Corterier AA . 4351D, 4352 A, B ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU . . . 4351D, 4352A ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 4352 A ZusFr Voigt (Frankfurt) SPD 4352 B Verhandlungen mit der niederländischen Regierung über den Bau des Dollarthafens MdlAnfr 49, 50 08.01.82 Drs 09/1252 Schröder (Wilhelminenhof) CDU/CSU Antw StMin Dr. Corterier AA 4352 B, C, D, 4353A, B ZusFr Schröder (Wilhelminenhof) CDU/ CSU 4352 C, D, 4353 A ZusFr Ewen SPD 4353 A Beurteilung der amerikanisch-europäischen Wirtschaftsbeziehungen MdlAnfr 51 08.01.82 Drs 09/1252 Dr. Czaja CDU/CSU Antw StMin Dr. Corterier AA . . . 4353 B, C, D ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 4353 C, D Förderung der Mutterkuhhaltung MdlAnfr 88, 89 08.01.82 Drs 09/1252 Eigen CDU/CSU Antw PStSekr Gallus BML . . 4354 A, C, D, 4355A ZusFr Eigen CDU/CSU . . . 4354 B, C ,D, 4355A ZusFr Kirschner SPD 4355A Erforschung des Zusammenhangs zwischen saurem Regen und Tannen- und Fichtensterben MdlAnfr 67 08.01.82 Drs 09/1252 Dr. Laufs CDU/CSU Antw PStSekr Gallus BML . . . 4355 B, D, 4356 A ZusFr Dr. Laufs CDU/CSU . . . . 4355D, 4356A Einberufung Schwerbehinderter zur Musterung wegen Auskunftsverweigerung der Versorgungsämter MdlAnfr 90, 91 08.01.82 Drs 09/1252 Pauli SPD Antw PStSekr Frau Fuchs BMA . . 4356 B, C, D ZusFr Pauli SPD 4356 C, D Kündigung der Belegung von Kurheimen durch die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte auf Grund der Reduzierung von Kuren MdlAnfr 94, 95 08.01.82 Drs 09/1252 Dr. Enders SPD Antw PStSekr Frau Fuchs BMA . . 4357 A, C, D ZusFr Dr. Enders SPD 4357C, D Verbesserung der Arbeitnehmereinkommen der unteren Lohn- und Gehaltsgruppen angesichts höherer Sozialhilfesätze MdlAnfr 96, 97 08.01.82 Drs 09/1252 Kirschner SPD Antw PStSekr Zander BMJFG 4358 A, B, C, D, 4359 A, B ZusFr Kirschner SPD 4358 B, C, 4359 B ZusFr Heyenn SPD 4358C, D ZusFr Peter (Kassel) SPD 4358 D Struktur und Entwicklung unterschiedlicher Gruppen von Sozialhilfeempfängern MdlAnfr 98, 99 08.01.82 Drs 09/1252 Peter (Kassel) SPD Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 III Antw PStSekr Zander BMJFG . 4359 C, D, 4360 A ZusFr Peter (Kassel) SPD . . . . 4359C, 4360A Anpassung der Regelsätze nach dem Bundessozialhilfegesetz an die allgemeine Preisentwicklung MdlAnfr 100, 101 08.01.82 Drs 09/1252 Heyenn SPD Antw PStSekr Zander BMJFG 4360 B, D, 4361A ZusFr Heyenn SPD 4360 C, D, 4361 A Durchführung der gegenseitigen Unterrichtung des Bundes und der Länder über Gerichtsentscheidungen gemäß § 72 des Weingesetzes MdlAnfr 103 08.01.82 Drs 09/1252 Herberholz SPD Antw PStSekr Zander BMJFG . . . 4361 A, C ZusFr Herberholz SPD 4361 B, C Nächste Sitzung 4452 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 4453* A Anlage 2 Vorübergehender Erlaß der Gebühren für Pakete nach Polen MdlAnfr 30 08.01.82 Drs 09/1252 Milz CDU/CSU SchrAntw PStSekr Becker BMP . . . . 4453* B Anlage 3 Aussagen des Bundeskanzlers und des Regierungssprechers Becker über die Verantwortung der Sowjetunion für die Ereignisse in Polen; Erklärungen des Bundeskanzlers und des Regierungssprechers über die Verantwortung der Sowjetunion für die Ereignisse in Polen MdlAnfr 38 08.01.82 Drs 09/1252 Reddemann CDU/CSU MdlAnfr 39, 40 08.01.82 Drs 09/1252 Niegel CDU/CSU SchrAntw StSekr Becker BPA 4453* C Anlage 4 Zustimmung des Zentralbankrats und der Bundesbank zur Verlängerung des zinslosen Überziehungskredits an die DDR MdlAnfr 76, 77 08.01.82 Drs 09/1252 Dr. Voss CDU/CSU SchrAntw PStSekr Grüner BMWi . . . 4454* B Anlage 5 Neuordnung des Kriegsdienstverweigerungsrechts und des Zivildienstes MdlAnfr 102 08.01.82 Drs 09/1252 Dr. Hennig CDU/CSU SchrAntw PStSekr Zander BMJFG . . 4454* C Anlage 6 Vorführung der sowjetisch-amerkanischen Fernsehserie „Der unvergessene Krieg" an Schulen MdlAnfr 104, 105 08.01.82 Drs 09/1252 Frau Benedix-Engler CDU/CSU SchrAntw PStSekr Kuhlwein BMBW . . 4454* D Anlage 7 BAföG-Zahlungen an Strafgefangene in Nordrhein-Westfalen MdLAnfr 106, 107 08.01.82 Drs 09/1252 Daweke CDU/CSU SchrAntw PStSekr Kuhlwein BMBW . . 4455* B Anlage 8 Finanzielle Unterstützung der Fernuniversität Hagen MdlAnfr 108 08.01.82 Drs 09/1252 Reddemann CDU/CSU SchrAntw PStSekr Kuhlwein BMBW . . 4455* C Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4349 76. Sitzung Bonn, den 14. Januar 1982 Beginn: 8.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen * 15. 1. Dr. Ahrens * 15. 1. Dr. Bardens * 15. 1. Bergerowski 14. 1. Dr. Böhme (Freiburg) 14. 1. Büchner (Speyer) * 14. 1. Echternach 15. 1. Egert 15. 1. Dr. Ehrenberg 15. 1. Erhard (Bad Schwalbach) 15. 1. Feinendegen 15. 1. Frau Geier 15. 1. Dr. Geßner * 15. 1. Haar 15. 1. Dr. Hackel 15. 1. Hauser (Krefeld) 14. 1. Jung (Kandel) * 15. 1. Dr. Kreile 15. 1. Möllemann 15. 1. Müller (Bayreuth) 15. 1. Rawe 14. 1. Reddemann * 15. 1. Rohde 15. 1. Frau Roitzsch 15. 1. Schmidt (Wattenscheid) 15. 1. Schmöle 15. 1. Schulte (Unna) * 15. 1. Dr. Solms 15. 1. Stöckl 15. 1. Dr. Vohrer * 15. 1. Dr. Wendig 15. 1. Dr. Wittmann 14. 1. Baron von Wrangel 15. 1. für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Becker auf die Frage des Abgeordneten Milz (CDU/CSU) (Drucksache 9/1252 Frage 30): Ist die Bundesregierung bereit, für eine befristete Zeit angesichts der wirtschaftlichen Notlage der Bevölkerung in Polen und aus humanitären Gründen private Spendenpakete portofrei zu befördern? Der Bundesregierung sind in letzter Zeit vielfältige Anregungen zugegangen, im Postpaketverkehr mit Polen die Beförderungsgebühren zu senken bzw. zu erlassen. Die Klärung dieser Frage erfordert die Lösung schwieriger rechtlicher und postbetrieblicher Probleme. Anlagen zum Stenographischen Bericht In Anbetracht der Versorgungssituation in Polen und der bisher gezeigten Spendenbereitschaft der Bevölkerung unseres Landes prüft die Bundesregierung zur Zeit, ob und inwieweit der Postpaketverkehr nach diesem Land vorübergehend gebührenmäßig erleichtert werden kann. Sie sieht sich damit in Übereinstimmung mit den Beschlüssen der Außenminister der NATO, humanitäre Maßnahmen für die polnische Bevölkerung auch in Zukunft zu fördern. Anlage 3 Antwort des Staatssekretärs Becker auf die Fragen des Abgeordneten Reddemann (CDU/CSU) und Niegel (CDU/CSU) (Drucksache 9/1252 Fragen 38, 39 und 40): Wie kann die Bundesregierung erklären, daß der Bundeskanzler gemeinsam mit dem Präsidenten der USA seine „Sorge über den Druck, den die Sowjetunion auf die polnischen Bemühungen um eine Erneuerung ausübt", ausdrückt und expressis verbis „auf die Verantwortung der Sowjetunion für die Ereignisse in Polen" hinweist, während der Sprecher der Bundesregierung, Staatssekretär Becker, bislang unwiderrufen als Auffassung des Bundeskanzlers und seiner Bundesminister wörtlich versicherte, „Wir teilen die Auffassung nicht, daß die Sowjetunion als Anstifter für die Verhängung des Kriegsrechts (in Polen) zu betrachten ist"? Warum hat Bundeskanzler Schmidt seinen Regierungssprecher angewiesen, Ende Dezember zu erklären, „Wir teilen die Auffassung nicht, daß die Sowjetunion als Anstifter für die Verhängung des Kriegsrechts (in Polen) zu betrachten ist.", und warum hat nunmehr Bundeskanzler Schmidt in etwa eine Woche später, am 5. Januar, gemeinsam mit Präsident Reagan in dem gemeinsamen Kommuniqué folgendes erklärt, „Beide wiesen auf die Verantwortung der Sowjetunion für die Ereignisse in Polen hin und brachten ihre Sorgen über den schwerwiegenden Druck, den die Sowjetunion auf die polnischen Bemühungen uni eine Erneuerung ausübt, zum Ausdruck. ? Welche Meinung ist nunmehr gültig? Zu Fragen 38 und 39: In der Bundespressekonferenz am 30. Dezember 1981 habe ich zur Lage in Polen und zur Reaktion des Westens auf diese Lage Stellung genommen. Ich habe diese Stellungnahme in 12 Punkten zusammengefaßt, die die abgestimmte Meinung der Bundesregierung darstellten. In Punkt 9 dieser Stellungnahme hieß es: „Wir stehen mit der amerikanischen Regierung wie auch mit den anderen Verbündeten und Partnern der Europäischen Gemeinschaft in engem Kontakt. In den Konsultationen sind natürlich auch unterschiedliche Bewertungen der Vorgänge zur Sprache gekommen. Wir sind uns aber alle darin einig, daß ein endgültig gesichertes Urteil über diese Fragen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht möglich ist." In Beantwortung der Frage eines Journalisten zu diesem Punkt habe ich selbst die von mir als theoretisch qualifizierte Frage gestellt, ob die Sowjetunion gewissermaßen als Anstifter der Verhängung des Kriegszustandes in Polen zu betrachten ist, und ge- 4454* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 sagt, daß wir diese Auffassung nicht teilen. Ich habe diese Fragestellung als theoretisch bezeichnet, weil die Verantwortung der Sowjetunion für die Vorgänge in Polen sich nicht danach bestimmt, wer den letzten Anstoß für die Anordnung des Kriegszustandes in Polen gegeben hat. Es war jedenfalls nicht meine Absicht, mit diesen Ausführungen die Sowjetunion von der Verantwortung für die Verhängung des Kriegszustandes in Polen freizusprechen. Im Gegenteil, ich habe in der Pressekonferenz am 30. Dezember 1981 mehrfach den Brief des Bundeskanzlers an Generalsekretär Breschnew vom 26. Dezember 1981 erwähnt, in dem die Gesamtverantwortung der Sowjetunion für die Ereignisse in Polen angesprochen war. Ich bedauere es, daß meine Antwort von einigen Medien, vor allem im Ausland, fehlinterpretiert wurde. Zu Frage 40: Die Haltung der Bundesregierung zur Frage der sowjetischen Verantwortung für die Ereignisse in Polen ergibt sich aus dem Schlußkommuniqué der Sitzung der Außenminister der 10 EG-Staaten vom 4. Januar 1982, der gemeinsamen Erklärung über die Gespräche des Bundeskanzlers mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika vom 5. Januar 1982 und der von der Sondertagung des Nordatlantikrats auf Ministerebene am 11. Januar 1982 verabschiedeten Erklärung zu den Ereignissen in Polen. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Voss (CDU/CSU) (Drucksache 9/1252 Fragen 76 und 77): Ist für die weitere Gewährung des zinslosen Überziehungskredits an die „DDR" in Höhe von 850 Millionen DM bis zum 30. Juni 1982, die anläßlich des Besuchs von Bundeskanzler Schmidt in der „DDR" erfolgte, die Zustimmung des Zentralbankrats sowie der Deutschen Bundesbank eingeholt worden, und welche Einlassung ist von dort gegeben worden? Welche ökonomischen, kommerziellen und politischen Gründe sprechen für die jetzige und eventuelle weitere Verlängerungen des zinslosen Überziehungskredits? Zu Frage 76: Die Verlängerung der Swing-Regelung um 6 Monate bis zum 30. Juni 1982 erfolgte in Absprache mit dem Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank. Wegen der Vertraulichkeit der Sitzungen des Zentralbankrates bitte ich um Verständnis, daß ich auf weitere Einzelheiten nicht eingehen kann. Zu Frage 77: Für den Swing gibt es bedeutsame ökonomische, kommerzielle und politische Gründe. Die mit der DDR zu vereinbarende künftige Swing-Regelung gehört insbesondere in den politischen Gesamtzusammenhang der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland mit der Deutschen Demokratischen Republik. An diesem Gesamtzusammenhang hat und wird sich die Verhandlungsposition der Bundesregierung orientieren. Ich bitte um Verständnis dafür, daß es mit Rücksicht auf die Verhandlungsposition vor Verhandlungen mit der DDR nicht hilfreich wäre, hier die Gründe für den Swing und seine künftige Ausgestaltung im einzelnen zu erörtern. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Zander auf die Frage des Abgeordneten Dr. Hennig (CDU/CSU) (Drucksache 9/1252 Frage 102): Warum hat die Bundesregierung ihre mir in der Fragestunde vom 24. Juni 1981 gegebene Zusage, den parlamentarischen Gremien noch im Jahr 1981 einen Regierungsentwurf zur Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes zuzuleiten, nicht eingehalten, und warum braucht die Bundesregierung vier Jahre, um endlich die Konsequenzen aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu ziehen und damit ihrer Ankündigung in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers zu entsprechen? Die Antwort in der Fragestunde vom 24. Juni 1981, auf die Sie sich berufen, entsprach dem damaligen Sach- und Meinungsstand. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 13. April 1978 gibt es Bemühungen um eine interfraktionelle Lösung. Zunächst haben alle drei Fraktionen in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe einen Gesetzentwurf erarbeitet, zu dem die Bundesregierung Formulierungshilfe geleistet hat. Zu einer gemeinsamen Einbringung kam es leider nicht, weil die CDU/CSU-Fraktion sich dazu entschloß, den gemeinsam erarbeiteten Entwurf mit Abweichungen in einigen wichtigen Punkten einzubringen. Beide Entwürfe scheiterten kurz vor Ende der 8. Legislaturperiode. Inzwischen ist die interfraktionelle Diskussion fortgeführt worden. In einem interfraktionellen Gespräch am 1. Dezember 1981 im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit haben Vertreter aller drei Bundestagsfraktionen darin übereingestimmt, daß eine gemeinsame Regelung angestrebt werden soll. Dabei wurde in Aussicht genommen, bis zur Sommerpause 1982 die interne Meinungsbildung abzuschließen und noch im Laufe des Jahres einen Gesetzentwurf einzubringen. Angesichts des Standes der Diskussion im Parlament konnte die Bundesregierung davon absehen, einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Kuhlwein auf die Fragen der Abgeordneten Frau Benedix-Engler (CDU/CSU) (Drucksache 9/1252 Fragen 104 und 105): Trifft es zu, daß der Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft empfohlen hat, die 15teilige sowjetisch-amerikanische Fernsehserie „Der unvergessene Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1982 4455" Krieg" an Schulen vorzuführen, und heißt das, daß er sie für geeignet hält, die Enkel der Kriegsgeneration ein so schwerwiegendes Stück Zeitgeschichte nacherleben zu lassen? Billigt die Bundesregierung gegebenenfalls die Empfehlung des Staatssekretärs im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, und wenn ja, bedeutet dies, daß sie den Film, der erwiesenermaßen keinen Anspruch auf Objektivität erheben kann, für geeignet hält, der jungen Generation wieder ein ungebrochenes Verhältnis zur deutschen Geschichte zu vermitteln und die bedrohlichen Verständigungsschwierigkeiten zwischen den Generationen beheben zu helfen? Zu Frage 104: In seinem Kommentar im Funkreport vom 15. September 1981 hat Staatssekretär Dr. Granzow zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dieser Fernsehserie und zu einer breiten Diskussion über die dort dargestellten Schrecken des Krieges, die Leiden und Opfer, vor allem auch der sowjetischen Bevölkerung aufgefordert. Insofern stimmt Dr. Granzow mit dem Niedersächsischen Kultusminister Dr. Remmers überein, der eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesem Filmmaterial in den Schulen angeregt hat. Es kann gar keinen Zweifel daran geben, daß die Fernsehserie einen Beitrag zum Nacherleben eines schwerwiegenden Stückes Zeitgeschichte darstellt. Zu Frage 105: Die Bundesregierung hält es für richtig, daß Jugendliche und Erwachsene sich mit dieser Serie auseinandersetzen. Zweifellos hat die Fernsehreihe dokumentarische Schwächen; Fehleinschätzungen geschichtlicher Fakten sind nicht zu übersehen. Dennoch leistet diese Dokumentation einen Beitrag dazu, der Jugend ein tieferes Verständnis der Schrecken des Krieges zu übermitteln. Notwendige Voraussetzung ist, daß diese Filmdokumente durch sachkundige Erläuterungen begleitet und mit den Jugendlichen diskutiert werden. Eben dazu hat Staatssekretär Granzow aufgefordert. Diesem Zweck dienen auch die mediendidaktischen Handreichungen zu dieser Sendereihe, die für Kursleiter in der Erwachsenenbildung entwickelt wurden. Im übrigen kann es nicht alleiniges Ziel des Geschichtsunterrichts sein, ein „ungebrochenes" Verhältnis zur deutschen Geschichte zu vermitteln; gerade im Hinblick auf die jüngste Zeitgeschichte kommt es eher auf eine möglichst differenzierte Betrachtung des Geschehens und der handelnden Personen an. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Kuhlwein auf die Fragen des Abgeordneten Daweke (CDU/CSU) (Drucksache 9/1252 Fragen 106 und 107): Sind der Bundesregierung Presseberichte bekannt, wonach Strafgefangene in Nordrhein-Westfalen BAföG-Zahlungen erhalten, und wenn ja, wie beurteilt die Bundesregierung diesen Vorgang? Sieht die Bundesregierung bei der Zahlung von BAföG-Geldern n Strafgefangene den Gleichheitsgrundsatz verletzt, wenn Gefangene bis zu 161 DM BAföG beziehen, was dem monatlichen Arbeitsentgeld eines acht Stunden täglich arbeitenden Gefangenen entspricht? Zu Frage 106: Ja, entsprechende Presseberichte sind der Bundesregierung bekannt: Viele Strafgefangene durchlaufen während der Haftzeit Schul- oder Berufsausbildungen. Soweit es sich dabei um Ausbildungen handelt, die nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz förderungsfähig sind, werden Leistungen nach diesem Gesetz grundsätzlich auch an Strafgefangene gewährt. Die Höhe der Ausbildungsförderung richtet sich nach den in §§ 12, 13 BAföG genannten Bedarfssätzen, von denen allerdings die Kosten für Unterbringung und Verpflegung abgezogen werden. Auch unter dem Gesichtspunkt der Resozialisierung erscheint eine finanzielle Förderung für Strafgefangene in der Ausbildung sinnvoll. Zu Frage 107: Nein, die Bundesregierung sieht den Gleichheitsgrundsatz nicht als verletzt an. Mit dem Arbeitsentgelt wird für die Arbeitsleistung eines Strafgefangenen nach den im Strafvollzug geltenden Grundsätzen bezahlt. Wenn Gefangene eine im Sinne der §§ 2, 3 BAföG förderungsfähige Ausbildung absolvieren, haben sie (sofern die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt werden) Anspruch auf Ausbildungsförderung, die auch etwaige Ausbildungskosten mit abdeckt. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Kuhlwein auf die Frage des Abgeordneten Reddemann (CDU/CSU) (Drucksache 9/1252 Frage 108): Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, der mittlerweile auf 36 639 Studenten angewachsenen Fern-Universität Hagen finanzielle Unterstützung zur Erfüllung ihrer bundesweiten Aufgaben zu geben? Die Möglichkeiten der Bundesregierung, eine Hochschule eines Landes in ihrer Arbeit zu fördern, sind durch die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern eng begrenzt. Die Bundesregierung hat unter weitgehender Ausschöpfung der vorhandenen Möglichkeiten der Fernuniversität bis einschließlich 1981 über die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau Investitionsmittel in Höhe von etwa 27 Millionen DM, für Modellversuche etwa 9,9 Millionen DM und für Vorhaben der Bildungsforschung etwa 530 000 DM zur Verfügung gestellt. Auch für die kommenden Jahre sind für Modellversuche und Forschungsvorhaben Mittel für laufende und neue Vorhaben geplant. Ihre Höhe ist noch nicht absehbar, solange konkrete Anträge des Landes nicht vorliegen. Welche Investitionsvorhaben nach dem Hochschulförderungsgesetz in den kommenden Jahren mitfinanziert werden können, läßt sich erst nach Abschluß der Beratungen im Wissenschaftsrat und im Planungsausschuß für den Hochschulbau über die weitere Ausbauplanung absehen. Die entsprechenden Beschlüsse sollen bis Ende März gefaßt werden.
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    Rede von Dr. Horst Ehmke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte gehofft, daß wenigstens unser gemeinsamer Respekt vor dem Leiden des polnischen Volkes Herrn Kohl davon abhalten würde, sich mit der Scharfmacherei gemein zu machen, die der Bundeskanzler zu Recht beanstandet hat. Leider hat Herr Kohl das doch getan.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Kohl, daß Sie den von Helmut Schmidt zitierten Satz des bayerischen Ministerpräsidenten mit einer Karikatur vergleichen, heißt ja noch nicht, ihn zurückzunehmen. Sie haben stattdessen noch eine Polemik gegen den Bundeskanzler angefügt, die ebenso persönlich wie peinlich war. Herr Kohl, es spricht für mich Bände, daß Sie in bezug auf den 20. Juli dabei auf eine Verleumdung angespielt haben, die Sie selbst gegenüber dem israelischen Ministerpräsidenten zurückgewiesen haben. Herr Kohl, ich kann Ihnen Ihre Komplexe gegenüber dem Bundeskanzler nicht nehmen, aber ich will Ihnen in der Polemik ganz sicher nicht folgen.

    (Beifall bei der SPD)

    Mein Eindruck ist, Herr Kohl, daß die große Mehrheit unseres Volkes diese taktische Behandlung von Lebensfragen der Nation herzlich satt hat.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Marx [CDU/ CSU]: Taktisch?)

    Ich glaube, ein Gebrauch der polnischen Tragödie für Zwecke innenpolitischer Auseinandersetzung

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Wie bei Herrn Wischnewski!)

    trifft draußen um so mehr auf Unverständnis, als wir ja — da stimme ich Ihnen ganz zu — eine erstaunliche Welle der Sympathie mit dem polnischen Volk in unserem Land haben. Was da über die katholische Kirche, die evangelische Kirche, die Gewerkschaften und andere Organisationen durch Hunderttausende und Millionen von Familien und einzelne geschieht — Herr Kohl, da stimme ich Ihnen zu —, diese Nachbarschaftshilfe ist eine Friedensbewegung eigener Art und eigener Größe.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Nun kann man vielleicht den Begriff „Nachbarschaftshilfe" beanstanden, weil die Bundesrepublik heute ja territorial nicht Nachbar Polens ist.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Es gibt auch geistige Nachbarschaft!)

    Aber geistig sind wir vielleicht mehr als je in unserer Geschichte Nachbarn. Andere Völker haben längere historische positive Bindungen mit dem polnischen Volk, die Franzosen etwa aus der Zeit des polnischen Freiheitskampfes, die Vereinigten Staaten von Amerika als auch polnisches Einwanderungsland. Aber, Herr Kohl, es ist doch nicht gut, wenn Sie antideutsche Stimmen von draußen unterstützen

    (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU]: Die sind doch nicht antideutsch, sondern gegen Ihre Politik gerichtet!)

    — Herr Lenz, Sie lesen leider nicht; lassen Sie mich doch einmal zu Ende reden! —,

    (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU]: Man darf Ihnen doch wohl noch widersprechen!)

    die der Meinung sind, daß unsere anti-polnische Tradition aus der zum Teil furchtbaren Geschichte zwischen den beiden Völkern für uns noch maßgebend sei. Denn jedenfalls in diesem Teil Deutschlands ist das nicht der Fall. Dazu haben, Herr Kollege Lenz, die Entspannungspolitik und der Polenvertrag Willy Brandts von 1970 wesentlich beigetragen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Marx [CDU/CSU]: Fragen Sie mal die Polen, was die dazu sagen!)

    Herr Kollege Kohl, lassen Sie mich eines in aller Ruhe sagen: Daß Sie als Vorsitzender einer Partei, die gegen die Entspannungspolitik gekämpft hat,

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Gegen welche Art der Entspannungspolitik?)

    jetzt anti-deutsche Argumente gegen die eigene Bundesregierung anführen, das halte ich für das Gegenteil von Patriotismus.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU]: Das ist unerträglich — die Gleichsetzung dieses Volkes mit dieser Regierung! Das ist geradezu totalitäres Denken!)




    Dr. Ehmke
    Ich möchte namens der Bundestagsfraktion der SPD der Bundesregierung — voran dem Bundeskanzler und dem Bundesaußenminister — unseren respektvollen Dank dafür sagen, daß sie auch angesichts der Zuspitzung der polnischen Krise an dem Grundgedanken unserer Politik unbeirrt festgehalten und unseren Standpunkt mit Augenmaß und Umsicht vertreten hat:

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist doch lächerlich! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    im Bündnis mit der Offenheit eines verantwortungsbewußten Partners und nach draußen mit der Bestimmtheit, aber auch mit der Ruhe eines im Ringen um den Frieden nicht mehr ganz unerfahrenen Mitglieds der Völkergemeinschaft. In der neuen und schweren Krise der Entspannungspolitik hat sich das sozialliberale Bündnis, hat sich sozialliberale Gemeinsamkeit einmal mehr bewährt.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Kolleginnen und Kollegen, niemand kann es wundernehmen, daß in einer solchen Situation erneut um den besten Weg, mit der Krise fertigzuwerden, gestritten wird: in unserer Innenpolitik und im Bündnis. Diese Diskussion ist notwendig. Unnötig, Herr Kollege Kohl, j a schädlich dagegen ist es, eine Scheindiskussion über das zu führen, was nicht im Streit ist.
    Dieses Hohe Haus hat vor den Weihnachtsferien, am 18. Dezember, einen Tag nach dem Europäischen Parlament, eine gemeinsame Auffassung zu den Vorgängen in Polen beschlossen und hier zum Ausdruck gebracht. Der Kollege Barzel hat das als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses für uns alle hier verlesen. Wir haben das Militärregime in Polen und das mit der KSZE-Schlußakte unvereinbare Vorgehen gegen die polnische Reformbewegung scharf verurteilt und dem polnischen Volk unsere Solidarität bekundet. Wir haben die Wiederherstellung der erreichten Freiheiten, die Freilassung aller Inhaftierten und die Wiederaufnahme des Dialogs mit Kirche und Gewerkschaften gefordert. Wir haben das, meine Kolleginnen und Kollegen, aus zwei Überzeugungen getan: zum einen aus der Überzeugung, daß man Menschenrechtsverletzungen anprangern muß, wo immer sie geschehen,

    (Beifall bei der SPD)

    zum anderen aus der Überzeugung — da spreche ich jetzt für die Fraktion der Sozialdemokraten, die in der Tradition der deutschen Arbeiterbewegung steht —, daß unsere menschliche und politische Sympathie doch nur denen gehören kann, die in Polen und in Osteuropa um Rechte kämpfen, um die die europäische Arbeiterbewegung seit 120 Jahren kämpft — gegen Unterdrückung, in welch geschichtlicher Form sie sich auch gezeigt hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Kollege Kohl, es würde sich für Sie lohnen, einmal darüber nachzudenken, daß dies für uns so selbstverständlich ist, daß wir der Meinung sind, wir würden diese Selbstverständlichkeit durch unangemessene Lautstärke eher in Zweifel ziehen als stärken.

    (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU]: Wie erklären Sie sich denn, daß Ihre französischen und italienischen Freunde es für notwendig halten, diese Auffassung nachdrücklich zum Ausdruck zu bringen?)

    Allerdings muß auch das Selbstverständliche in dieser Welt immer wieder gesagt werden. Darum bekräftigen wir in unserem Entschließungsantrag von SPD und FDP noch einmal unser Eintreten für die polnischen Reformkräfte.
    Manche ausländischen Kritiker haben uns vorgeworfen — Herr Kohl hat gar nicht gemerkt, daß auch dies an die deutsche Adresse im allgemeinen ging —, wir hätten die Verantwortung der Sowjetunion nicht genügend angeprangert. In der Tat, wir haben die Verantwortung der Sowjetunion in der gemeinsamen Resolution des Bundestages vom 18. Dezember in Ziffer 5 nur indirekt angesprochen. Aber ich bin der Meinung: deutlich genug, jedenfalls nicht weniger deutlich als das Europäische Parlament vor uns. Was soll denn der Streit? An der sowjetischen Mitverantwortung für das, was in Polen geschieht, kann doch kein vernünftiger Mensch zweifeln.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Ist der Regierungssprecher kein vernünftiger Mensch?)

    Ohne die Sowjetunion gäbe es diese Polenkrise überhaupt nicht.
    Aber, Herr Marx, jetzt kommen wir zu dem Punkt, der Ihnen schwerer fällt: zur Differenzierung. Gerade dieser Punkt zeigt, wie notwendig die Differenzierung ist. Auf die Frage, ob General Jaruzelski im Auftrag der Sowjets oder aus eigenem Antrieb, um einer sowjetischen 'Intervention zuvorzukommen, gehandelt hat, können wir doch heute überhaupt keine Antwort geben, weder Sie noch wir. Einmal, weil die Frage viel zu simpel gestellt ist. Jeder, der politische Erfahrung hat, weiß, daß die Motivations-zusammenhänge bei denen, die in solchen Situationen handeln müssen, nicht gerade so sind, daß sie sich in simple Fragen fassen lassen. Zweitens, Herr Kollege Marx: weder Sie noch wir haben heute die Möglichkeit, uns zu vergewissern, wie die Motivationslage war.

    (Zuruf des Abg. Dr. Marx [CDU/CSU])

    — Ich komme j a dazu. — Ich möchte vor vorschnellen Urteilen warnen, Herr Kollege Marx, weil sie die Gefahr vergrößern, daß wir durch Voreiligkeit eventuell vorhandene Chancen verschütten, und zwar auf dem Rücken des polnischen Volkes. Das wollen Sie nicht, und das wollen wir nicht.
    Wichtig ist doch für uns nur zweierlei: Wir wollen, daß der Kriegszustand in Polen aufgehoben wird, und zwar schnell. Auf der anderen Seite ist zweitens wichtig, Herr Kollege Marx, daß wir die Verhängung des Kriegszustandes durch das polnische Militär nicht mit einer militärischen Intervention der Sowjetunion gleichsetzen. Aus zwei Gründen: Einmal ist das für die Polen selbst ein erheblicher Unterschied, auch für die, die unter dem Kriegszustand leiden. Und zweitens wären wir doch töricht, meine



    Dr. Ehmke
    Kollegen von der CDU/CSU, wenn wir durch eine solche Gleichsetzung selber die Barrieren abbauen würden, die der Westen in vielen Monaten gegen eine direkte sowjetische Intervention aufgebaut hat.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Marx [CDU/ CSU]: Das hat niemand von uns getan! Was wollen Sie denn?)

    — Herr Kollege Marx, wenn Sie mit dem allem einverstanden sind, dann müssen Sie Ihrem Oppositionsführer sagen, er soll zu diesem Thema hier eine andere Rede halten.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Marx [CDU/ CSU]: Ich bin nicht einverstanden! Sie unterstellen Dinge, die nicht stimmen!)

    Da die Lage in Polen sich entgegen der Zusage der polnischen Militärs weiter verschlechterte, hat der amerikanische Präsident — leider ohne vorherige Konsultation mit den Verbündeten — in einer Rede vom 23. Dezember zunächst amerikanische Sanktionen gegen Polen und dann in einer Erklärung vom 29. Dezember amerikanische Sanktionen gegen die Sowjetunion bekanntgegeben. Zugleich hat der Bundeskanzler in Briefen an den polnischen und an den sowjetischen Staatschef unsere Auffassung über die Vorgänge in Polen noch einmal bekräftigt. Die EG-Außenminister haben dann auf ihrer Sitzung vom 4. Januar die amerikanischen Maßnahmen zur Kenntnis genommen und die Aufnahme von Konsultationen angekündigt. Diese ersten Konsultationen haben — nach dem Treffen zwischen dem amerikanischen Präsidenten und dem Bundeskanzler am 5. Januar — in dieser Woche in Brüssel im Rahmen der NATO-Außenminister stattgefunden.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Ich denke, es gibt auch noch Botschafter?)

    Das Ergebnis ist uns allen bekannt. Unser Entschließungsantrag unterstützt die getroffenen Entscheidungen.
    In diesem Prozeß hat es unter den Verbündeten keine Meinungsverschiedenheiten über die Kritik an den polnischen Vorgängen und keine Meinungsverschiedenheiten über die Ziele des Westens und seine Forderung an die polnische und die sowjetische Regierung gegeben. Dagegen hat es wie bei früheren Gelegenheiten Meinungsverschiedenheiten über die besten Wege und Mittel gegeben, diese Ziele zu erreichen und die Forderung des Westens durchzusetzen. Eine solche Diskussion, Herr Kollege Kohl, sollte doch auch für Sie eine Selbstverständlichkeit sein. Im westlichen Bündnis gibt es keine Satelliten, und das soll auch so bleiben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Unsere Partner in der Allianz wissen, daß wir unsere Analysen und unsere Standpunkte klar und entschieden vertreten. Sie können sicher sein, daß wir eine gemeinsam erarbeitete Politik ebenso klar und entschieden vertreten werden.
    Der konservative britische Außenminister Lord Carrington hat — fast bin ich versucht zu sagen: wieder einmal — recht gehabt, als er sagte, es wäre absurd, wenn der Westen sich auseinanderdividieren
    ließe anläßlich eines Vorganges, der einmal mehr zeigt, daß der Sowjetkommunismus in Osteuropa keine Zukunft hat —

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Da hat er sicher recht!)

    — darum stimme ich ihm ja zu, Herr Marx —, oder wie wir in Ziffer 6 unseres Entschließungsantrages sagen:
    Die Entwicklung in Polen zeigt erneut die Starrheit und Unbeweglichkeit des kommunistischen Systems, notwendige und zur Erfüllung der legitimen Erwartungen seiner Völker unverzichtbare Veränderungen zur Entfaltung zu bringen.
    Lassen Sie mich damit, weil das der Hintergrund der Diskussion, auch mancher Kampagne drinnen und draußen ist, noch einmal auf die Gründe zurückkommen, die unsere Entspannungspolitik tragen und unsere Politik auch in dieser Krise bestimmen. Die Polenkrise ist Teil eines Prozesses, der die europäische Situation, so wie sie sich aus den Ergebnissen des Zweiten Weltkrieges, aus der Bildung der Blöcke und der Erfindung der Atomwaffen entwikkelt hat, verändert.
    Es ist in diesen Tagen viel über Jalta und seine Bedeutung für die Teilung Europas gesprochen worden. Ich bin der Meinung, wir Deutschen sollten nicht vergessen, daß vor Jalta Hitler war.

    (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU]: Wir haben das nicht in die Debatte geworfen!)

    Das Unglück unseres Landes und das von ihm ausgehende Unglück Polens und ganz Europas hat mit Hitler angefangen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und Stalin!)

    Wichtiger als Jalta in seiner einzelnen Bedeutung war das Ergebnis, mit dem der Hitler-Krieg geendet hat. Die Sowjetunion hat ihre militärische Macht bis nach Mitteleuropa ausdehnen können. Sie hat in diesem militärischen Machtbereich ihr hörige sowjetkommunistische Regime eingerichtet.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Gegen die Abmachungen in Jalta!)

    — Ja, aber als Ergebnis der Machtverschiebungen des Zweiten Weltkrieges.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Und des Zurückweichens des Westens!)

    Der Arbeiteraufstand in Ost-Berlin, der ungarische Aufstand, der Prager Frühling und immer wieder Protest- und Reformbewegungen in Polen haben gezeigt und zeigen, wie stark die Kräfte in Osteuropa sind, die diesen Zustand nicht hinnehmen wollen. Seitdem ist in West- und Osteuropa viel darüber nachgedacht und geredet worden, ob und wie diese Situation zu ändern ist. Auf diese Fragen ist eine Reihe von Antworten gegeben worden. Zwei von ihnen halte ich für grundsätzlich falsch. Nämlich erstens die Antwort, daß diese sich als Ergebnis des Zweiten Weltkrieges darstellende Situation mit Gewalt zu ändern sei, und zweitens die Antwort, daß sie



    Dr. Ehmke
    überhaupt nicht zu ändern sei. Beide Antworten sind falsch.

    (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU]: Da können wir Ihnen weitgehend zustimmen!)

    Die These, daß die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges mit Gewalt zu ändern seien, hat kein politisch Verantwortlicher im Westen je vertreten, auch dann nicht — zu Ihrer Ehre sei es gesagt —, als die Amerikaner noch über das Monopol an Atomwaffen verfügten.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Richtig! Im Gegenteil, sie haben den offenen Himmel angeboten!)

    Jeder wußte, jeder weiß: die Sowjetunion hat in dem in ihr Land hineingetragenen Hitler-Krieg 20 Millionen Menschen verloren; ihre durch diese Erfahrung bestimmten Sicherheitsinteressen werden sie an ihrem osteuropäischen Glacis festhalten lassen.
    Veteranen des Kalten Krieges haben mich in den letzten Wochen wegen dieser Feststellung vehement angegriffen. Aber, Kollegen, bohrt man ein bißchen nach, dann sagen selbst diese Menschen, daß sie natürlich nicht der Meinung sind, daß man einen Krieg führen dürfte, um die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges in Europa zu ändern. Sie wären ja auch wahnwitzig, wenn sie das sagen oder denken würden. Übrigens denken auch die Reformkräfte in Osteuropa nicht an eine europäische Wiedervereinigung in einem nuklearen Massengrab.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Warum diskutieren Sie dann die Frage? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich will Ihnen das sagen. Ich komme gerade dazu.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Herr Ehmke, warum machen Sie diesen Exkurs?)

    Was aber passiert ist, und daran waren Sie maßgeblich beteiligt und erinnern sich vielleicht auch noch daran, das war die Politik des Kalten Krieges. Sie war eine Politik des Als-ob, eine Politik des Drucks bis an den Rand des Krieges, für die die Amerikaner das schöne Wort „brinkmanship" erfunden haben.
    Kollege Bangemann hat neulich die Vermutung geäußert, daß Teile der CSU zum Kalten Krieg zurückkehren wollen.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Das war auch ein ziemlicher Unsinn!)

    — Da ich heute die CSU-Zitate vom Bundeskanzler gehört habe, kann ich nicht ausschließen, Herr Kollege Marx, daß sich manches simple Gemüt in die Zeit zurücksehnt, wo man in diesem Land mit simplem Antikommunismus noch Wahlen gewinnen konnte.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Marx [CDU/ CSU]: Das ist eine dumme Formel!)

    Aber ich will Ihnen gerne sagen, daß ich der Überzeugung bin, daß die große Mehrheit der Unionsparteien wie wir und die große Mehrheit unseres Volkes diese Meinung nicht teilt. So schön war die Zeit des
    Kalten Krieges ja auch nicht — mit Eisernem Vorhang, mit Berlin-Blockade usf.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie die Ursachen des Kalten Krieges genannt! Sehr gut!)

    Machtpolitisch war übrigens diese Politik — als ob man mit militärischem Druck etwas ändern könnte — ein reines Fiasko. Es war die Zeit des „roll back" und der „brinkmanship", in der die Sowjetunion erst zur Atommacht, dann zur Weltmacht und schließlich zur gleichberechtigten Weltmacht geworden ist.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Heinrich Windelen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wörner?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Horst Ehmke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Nein, ich möchte in meinen Gedanken fortfahren.
    Deutschland- und europapolitisch hat der Kalte Krieg doch nur zwei Dinge bewerkstelligt — und das gilt auch für Ihre Politik, die ja ein Teil dessen war —: Er hat die Teilung Europas und Deutschlands vertieft und hat die DDR zum Staat werden lassen.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Aber Sie geben zu, daß das der sowjetische Wille war?)

    Ich kann darum nur sagen: Wer sich etwa nach dem Kalten Krieg zurücksehnen sollte, muß stark masochistische Züge besitzen. Unser Volk will keine Rückkehr in den Kalten Krieg!

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Marx [CDU/CSU]: Sie sollten die Ursachen des Kalten Krieges beseitigen!)

    Die Erfahrungen des Kalten Krieges,

    (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU]: Wollten wir nicht eigentlich von Polen reden?)

    einschließlich des Mauerbaus in Berlin von 1961, haben zur Entspannungspolitik geführt.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Der Mauerbau hat zur Entspannungspolitik geführt?)

    Dieser Entspannungspolitik liegt die Einsicht zugrunde, daß, was immer wir in Europa ändern wollen, der Grundsatz des Gewaltverzichts gelten muß.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Haben Sie gesagt, der Mauerbau habe zur Entspannungspolitik geführt? Ist das einer der Väter? O weh! Habt ihr das gehört? — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Ehmke als Geschichtsklitterer!)

    Wir haben in den für uns so schmerzlichen Grenzfragen den Gewaltverzicht in Europa gegen Ihren erbitterten Widerstand unterschrieben, um unseren Beitrag zum Frieden in Europa zu leisten.

    (Beifall bei der SPD)

    Gilt aber der Grundsatz des Gewaltverzichts,

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Wir merken j a in Polen, wie er eingehalten wird!)




    Dr. Ehmke
    darf man auch in der Polen-Krise und gegenüber den osteuropäischen Reformbewegungen nicht eine Politik des „als ob" betreiben. Das wäre gegenüber der Sowjetunion eine verantwortungslose Wiederholung von „brinkmanship" und gegenüber den Osteuropäern ein schlichter Betrug.

    (Beifall bei der SPD)

    Das heißt nun aber keineswegs — auch wenn manche bei Ihnen und manche im Ausland das offenbar immer noch nicht verstanden haben —, daß die sozialliberale Koalition und daß die Sozialdemokraten der Meinung wären, in Europa könne man überhaupt nichts ändern. Europa ist j a kein Museum geworden, in dem die Geschichte stillsteht. Das Bekenntnis zum Gewaltverzicht bedeutet aber — und das sollten Sie, Herr Kohl, doch auch einmal laut sagen — eines: daß man nämlich vom militärischen Status quo ausgehen muß, wenn man in Europa etwas ändern will.
    Zu diesem militärischen Status quo gehört die Erhaltung — im Bereich der eurostrategischen Waffen die Wiederherstellung — eines ungefähren Gleichgewichts zwischen dem westlichen Bündnis und dem Warschauer Pakt. Da aber mehr Waffen mehr Spannungen und Gefahren erzeugen, müssen wir das Wettrüsten stoppen, d. h. wir müssen versuchen, in Verhandlungen von Block zu Block zu einem Gleichgewicht auf einem weit niedrigeren Niveau von Truppenstärken und Rüstungen zu kommen.
    Im Namen meiner Fraktion möchte ich dem amerikanischen Präsidenten sehr herzlich dafür danken, daß er die Fortsetzung der Genfer Verhandlungen trotz der Zuspitzung der Polen-Krise angeordnet und damit die grundsätzliche Bedeutung von Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen für die Erhaltung des Friedens unterstrichen hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Diese Handlungsweise des amerikanischen Präsidenten unterscheidet sich wohltuend von mancher törichten Äußerung aus Ihren Reihen!

    (Beifall bei der SPD)

    Auch in diesen Verhandlungen gehen wir von der Existenz der Militärblöcke aus. Wir verhandeln von Block zu Block. Ein Europa, das meinte — darin sind wir uns in diesem Hause nun sicher einig —, gewissermaßen als neutralistischer Naturschutzpark zwischen den Großmächten im Schatten der Weltpolitik still dahinleben zu können, wäre unfähig, seine Interessen, auch seine Sicherheitsinteressen, wahrzunehmen, und zwar schon deswegen, weil es jeden Einfluß auf die Politik der Großmächte verlieren würde.
    Diese Sicherheitspolitik ist aber nur ein Teil unserer Friedenspolitik. Der andere Teil ist die Entspannungspolitik, die, wie gesagt, nicht nur vom Gewaltverzicht ausgeht, sondern auch mit ihm ernst macht. Die Entspannungspolitik will mit diesem Aspekt, den ich einmal als den Aspekt der gesamteuropäischen Innenpolitik bezeichnen möchte, zugleich helfen, die Teilung Europas und mit ihr die Teilung Deutschlands zu überwinden, so wie umgekehrt die europäische Funktion der Deutschlandpolitik darin liegt, daß sie zur Entspannung beiträgt. Ich bin der Meinung, statt Scheindebatten über das Wort „Wiedervereinigung" zu führen,

    (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Dr. Wörner [CDU/CSU])

    sollten wir alle miteinander dazu beitragen, Herr Kollege Wörner, daß draußen diese europäische Funktion der Deutschlandpolitik besser verstanden wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Entspannungspolitik hat eine Unzahl von Kontakten im menschlichen Bereich ermöglicht und hat den Vorhang, den man vor noch nicht allzu langer Zeit den „Eisernen" genannt hat, durchlässig ge- macht. Sie hat den wirtschaftlichen, kulturellen, sportlichen und politischen Austausch von Ost und West aus der Erstarrung des Kalten Krieges gelöst, und sie hat damit, Herr Kollege Kohl, die Völker Europas wieder einander näher gebracht. Für uns Deutsche dient diese Politik auch dem Zusammenhalt der Nation. Für alle Europäer ist sie eine wichtige Anstrengung zur Bewahrung unserer gemeinsamen europäischen Tradition und damit eine Anstrengung zur Verwirklichung der Menschenrechte, wie sie in Helsinki auch von der Sowjetunion unterschrieben worden sind — übrigens in einem Dokument, das Sie als eine der ganz wenigen Parteien in Europa abgelehnt haben, auch wenn Sie sich jetzt dauernd darauf berufen.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Kollege Kohl, ich möchte mich wegen Ihrer schönen Zitate noch einmal an Sie wenden. Im wesentlichen haben wir von Ihnen j a nur Pressezitate gehört. Sehen Sie, es gibt im Ausland z. B. das folgende Argument. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß man das ernst nehmen soll. Ich tue das nicht einfach als Innenpolitik ab. Es ist immer gut zuzuhören, und es ist auch immer gut, nicht vorschnell beleidigt zu sein. Wir äußern uns j a manchmal auch ganz kräftig.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Das war ganz bezeichnend, was Sie gesagt haben!)

    — Ich sage, man soll nicht beleidigt sein. Man soll unter europäischen Freunden diskutieren, auch wenn man etwas Kritisches hört. Ich sage denen, die jetzt z. B. schreiben, daß diese Entspannungspolitik überhaupt nur ein Ausdruck von kommerziellen Interessen sei, dreierlei:
    Erstmal ist es für mich ganz neu, daß die Wahrnehmung kommerzieller Interessen als Sünde angesehen wird.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Haben Sie denn keinen Begriff für diese Peinlichkeit in der Polen-Debatte?)

    Es gibt viele Bereiche, etwa den Waffenexport, in denen andere ihre kommerziellen Interessen sehr viel stärker vertreten als wir.
    Zweitens muß ich sagen: Wer meint, daß die Entspannungspolitik, der Versuch, Ost- und Westeuropa durch eine Vielzahl von Austausch und Kontakten einander näherzubringen, mit dem Stichwort der



    Dr. Ehmke
    kommerziellen Interessen abgetan werden kann, der hat nicht verstanden, worum es in Europa und worum es in der Entspannungspolitik geht.
    Schließlich zum dritten: Vielleicht sollten sich die Skeptiker einmal ansehen, was wir uns diese Politik kosten lassen, d. h. welche Opfer wir zu bringen bereit waren und sind. Ich kann jedenfalls gegenüber dieser Kritik nur sagen: Wir haben auch nach dem August 1980 niemanden daran gehindert, uns in der Hilfe für Polen zu übertreffen.
    Wir wollen mit diesem Austausch und mit dieser Kooperation — über alle Rückschläge hinaus, d. h. mit langem Atem, nicht hektisch, mal so mal so, wie die Schlagzeilen gerade sind — bessere Lebensbedingungen in ganz Europa und damit auch bessere Voraussetzungen für die Erhaltung des Friedens schaffen.
    Wer meint, die Polenkrise zeige, daß die Entspannungspolitik gescheitert sei, der übersieht, daß das, was in Polen seit August 1980 geschieht, ohne die Entspannungspolitik überhaupt nicht zu denken wäre.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das ist nun sicher, meine Kollegen, mit vielen Problemen verbunden, für den Westen, für die Osteuropäer wie für die Sowjetunion.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Aber was bedeutet denn das?)

    Fragt man sich, welche Interessen und Motive die Sowjetunion gehabt hat, sich der Entspannungspolitik und den Ostblock dem westlichen Einfluß zu öffnen, so ist zunächst ihr Interesse zu nennen, für die eigene Entwicklung Kapital und technisches Knowhow aus dem Westen nutzbar zu machen. Die sowjetischen Militärs haben diese Politik aus Sorge vor der Machtentfaltung Chinas mitgetragen.
    Der Sowjetunion ging es dabei aber auch darum, sich in Osteuropa wirtschaftlich und psychologisch zu entlasten, d. h. sie wollte mit der Entspannungspolitik auch die Lage in Osteuropa stabilisieren.
    Verehrte Kollegen, die Sowjetunion hat j a die schmerzliche Erfahrung machen müssen, daß der Satz von Talleyrand, man könne mit Bajonetten allerhand anfangen, nur könne man sich nicht auf sie setzen, auch für Panzer gilt. Die polnischen Generäle sind gerade dabei, die gleiche Erfahrung zu machen.
    Diese Öffnung des Ostblocks in der Entspannungspolitik fordert von der Sowjetunion einen Preis. Denn dieser Versuch, das geteilte Europa wieder mit einem Netz von Kontakten, Handel, Austausch und Kooperation zu überziehen, stärkt in Osteuropa die Reformkräfte. Nicht daß die Entspannungspolitik die Ursache der Reformbewegung in Osteuropa wäre! Diese Reformbewegung in Osteuropa und ansatzweise auch in der Sowjetunion selbst entspringt den Widerspüchen des sowjetischen Gesellschaftssystems.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Der Freiheitsliebe der Menschen!)

    — Das gehört dazu, Herr Marx.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Das ist das Wichtigste!)

    Aber die Entspannungspolitik mit ihrem Austausch und ihren Kontakten hat natürlich den Bewegungsspielraum für diese Reformbewegung unendlich vergrößert.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Denken Sie den Gedanken mal weiter bis zum heutigen Tage!)

    — Ich denke j a gleich weiter. Hören Sie einmal bis zum Ende zu, Herr Marx.
    Die Entspannungspolitik hat diesen Spielraum nicht etwa in Form einer Destabilisierungspolitik à la fünfte Kolonne erweitert. Das wäre ganz falsch und töricht, u. a. darum, weil es weder dem Frieden noch der Überwindung der Teilung Europas dienen würde. Da sind wir uns einig. Wir haben j a den Grundsatz der Nichteinmischung nicht nur proklamiert, wir haben uns auch strikt an ihn gehalten. Aber die Entspannungspolitik trägt natürlich indirekt dazu bei, daß in Osteuropa Ideen, Kräfte, auch Produktivkräfte freiwerden, die einen neuen politischen Ausdruck suchen.
    Nun ist es wahr — das soll auch laut gesagt werden —, daß wir es weiß Gott nicht als unsere Aufgabe ansehen, diesen Prozeß zurückzudrehen. Im Gegenteil, ich sagte es schon,, nach unserer ganzen Geschichte, Tradition und Wertvorstellung kann unsere politische und menschliche Sympathie nur den Reformkräften gehören. Im übrigen müssen wir sowohl die polnische als auch die sowjetische Regierung immer daran erinnern, daß die Akte von Helsinki von beiden Seiten unterschrieben worden ist.
    Es ist schwer, zu beurteilen, ob die Sowjetunion diese Wirkung der Entspannungspolitik unterschätzt hat. Sollte das der Fall sein, Herr Kollege Kohl, dann befände sich die Sowjetunion in der Gesellschaft der Konservativen des Westens, die Unionsparteien in der Bundesrepublik eingeschlossen. Herr Kollege Kohl, was haben wir sogar in diesem Hause nicht alles an Anklagen, Vorwürfen und Sorgen gehört, wir würden uns mit unserer Ostpolitik am Sowjetkommunismus anstecken. Wir haben Ihnen immer gesagt: Welche demokratische Kleingläubigkeit steckt in solchen Berührungsängsten!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Herr Kollege Kohl, ich habe mich natürlich gefreut, daß Sie das Dokument der italienischen Kommunisten zitiert haben. Was mich gewundert hat, ist, daß Sie sich dabei nicht komisch vorgekommen sind. Denn ich erinnere mich noch, was Sie hier mit mir veranstaltet haben, als ich den SPD-Kontakt mit den italienischen Kommunisten aufgenommen hatte. Da hieß es: Um Gottes willen! Mit Eurokommunisten! Das wird alles den Bach runtergehen! Und heute stellt der Herr Kohl sich hin und zitiert Herrn Berlinguer. Ich gratuliere Ihnen! Eine richtige Einsicht, aber wie bei der KSZE leider fünf Jahre zu spät. Trotzdem: Ich gratuliere Ihnen!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)