Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung eine amtliche Mitteilung. In der 21. Sitzung des Deutschen Bundestages am 12. Februar 1981 ist der Dritte Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz, Drucksache 9/93, an eine Reihe von Ausschüssen überwiesen worden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll der Bericht zur Mitberatung auch an den Rechtsausschuß und den Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Mineralöl- und Branntweinsteuer-Änderungsgesetzes 1981 — MinöBranntwStÄndG 1981
— Drucksachen 9/91, 9/144 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 9/173 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Löffler, Hoppe, Carstens
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksachen 9/164, 9/167 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Schäuble, Dr. Diederich
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu 15 Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe, daß das Haus damit einverstanden ist.
Wird das Wort von einem der Berichterstatter gewünscht? — Dies ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Gemeldet hat sich der Herr Abgeordnete Dr. Schäuble. Bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf eines Mineralöl- und Branntweinsteuer-Änderungsgesetzes 1981 nennt als Zielsetzung Verbesserung der Einnahmestruktur des Bundeshaushaltes, Begrenzung der Nettokreditaufnahme des Bundes und Verringerung der Öleinfuhren und des Leistungsbilanzdefizits durch Energieeinsparung.Meine Damen und Herren, es wird niemand in diesem Hause geben, der dieser Zielsetzung nicht zustimmt. Die Frage, über die wir streiten, ist, ob die Lösungen, die der Gesetzentwurf vorschlägt, für die Erreichung dieser Ziele geeignet sind oder ob sie nicht im Gegenteil, wie die Opposition befürchtet, mehr Schaden als Nutzen stiften.
Zwischen den beiden Zielen Verringerung der Nettokreditaufnahme im Bundeshaushalt und Verringerung der Öleinfuhren ist ja wohl ein gewisser Widerspruch; denn je mehr die Öleinfuhren verringert würden, um so geringer wären die Einnahmen für den Bundeshaushalt aus der geplanten Mineralölsteuererhöhung. Das heißt, je mehr das eine Ziel — bei Annahme dieses Gesetzentwurfs — erreicht wird, um so weniger wird das andere erreicht.
Nun hat die Bundesregierung bei ihrer Schätzung, wie hoch denn die erwarteten Mehreinnahmen seien, einen Einspareffekt beim Mineralöl überhaupt nicht zugrunde gelegt. Obwohl der Benzinverbrauch seit Jahren rückläufig ist, geht die Schätzung der Bundesregierung für die Mehreinnahmen davon aus, daß der Benzinverbrauch auch in den Jahren 1981/82 in der Größenordnung des Jahres 1980 sein wird. Dies heißt, meine Damen und Herren, die Bundesregierung selbst geht davon aus, daß das Gesetz lediglich der Verbesserung der Einnahmen des Bundes, nicht aber der Einsparung von Öl dient, daß das erste Ziel zu 100% und das zweite Ziel zu 0% erreicht wird.
Damit stellt sich dieses Gesetz als eine rein fiskalische Maßnahme zur Verringerung der Schulden im Bundeshaushalt dar. Die Parole „Weg vom Öl!", unter die dieses Gesetz gestellt wird, ist nichts anderes
Metadaten/Kopzeile:
988 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Dr. Schäubleals der propagandistische Überbau für dieses Steuererhöhungsgesetz.
Dies entspricht der wirklichen Lage der Bundesregierung und des Bundesfinanzministers. Die Bundesregierung wird ihrer Haushaltsprobleme nicht mehr Herr; die Haushaltsdebatte vor wenigen Wochen in diesem Haus hat dies deutlich gezeigt. Über die Konsequenzen aus dieser Lage werden wir im Anschluß bei der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung in diesem Hause zu sprechen haben. Die Bundesregierung ist wirtschafts- und finanzpolitisch handlungsunfähig. Sie findet nicht mehr die Kraft, aus dem Teufelskreis von Staatsverschuldung, von wirtschaftlichem Rückgang, von steigender Arbeitslosigkeit, von Preissteigerungen und Leistungsbilanzdefizit herauszukommen.
— Herr Kollege Wehner, Sie werden noch sehr froh sein, daß die Opposition in diesem Hause in der Lage ist, den richtigen Weg zu zeigen.
Der einzige Weg, der Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, einfällt, oder, Herr Böhme, um es präziser zu sagen, der einzige Weg, auf den Sie sich in dieser Koalition einigen können, ist immer der der Steuererhöhungen.
Ich werde das gleich noch ein bißchen näher darlegen. Sie sind nur noch handlungsfähig, um Steuern zu erhöhen.
— Richtig, ganz genau, Herr Böhme, ich wollte das später sagen, aber da haben wir es gleich. Das haben Sie groß angekündigt. Sie haben viel Geld ausgegeben, um den Arbeitnehmern einzureden, sie würden jetzt erheblich entlastet.
— Ja, das ist richtig. Aber die Entlastungen, die zum 1. Januar in Kraft getreten sind, nehmen Sie mit der Mineralölsteuererhöhung zum 1. April und anderen Abgabeerhöhungen den Arbeitnehmern wieder weg.
Wir kommen aus diesen Problemen nicht heraus,
wenn wir nur die Steuern erhöhen, Herr Wehner. Wir müssen die Staatsausgaben einschränken und die private Investitionstätigkeit stärken.
— Ich sehe, obwohl es so früh am Morgen ist, tut es Ihnen schon weh, wie Ihre Reaktion zeigt.
Sie wissen ganz genau, daß wir unsere Probleme nur über mehr Investitionen lösen können. Das gilt für die Arbeitslosigkeit, das gilt für das Leistungsbilanzdefizit. Wer unsere Abhängigkeit vom Öl verringern will, der darf nicht Steuern erhöhen, sondern der muß in diesem Lande mehr Kraftwerke bauen. Anders geht es nicht. Weil Sie dazu nicht in der Lage sind, erhöhen Sie die Steuern.
Ich möchte einen anderen Punkt ansprechen. Herr Böhme, Sie haben Ihre Unsicherheit über die Schätzungen, wie hoch das Mineralölsteueraufkommen werden wird, auch damit begründet, daß man keine Aussage darüber machen könne, wie sich das Nachfrageverhalten bei weiteren Preissteigerungen entwickeln werde. Sie haben dann angesichts unserer Besorgnisse, daß das in einer Zeit der Massenarbeitslosigkeit störend wirkt, argumentiert, bisher hätten die stetigen Benzinpreissteigerungen nicht zu schwerwiegenden wirtschaftlichen Störungen geführt. Wir haben dann die Vertreter der Bundesregierung im Ausschuß gefragt, wo es nach Auffassung der Bundesregierung störend werden könne. Der Vertreter der Bundesregierung hat einen Benzinpreis von 1,50 DM genannt. Gehen Sie einmal an eine Tankstelle und rechnen Sie zum heutigen Benzinpreis 8 Pfennig — das müssen Sie: 7 Pfennig Mineralölsteuer plus 1 Pfennig zusätzliche Mehrwertsteuer — hinzu! Dann sind Sie ganz nahe an dem von Ihnen selbst als kritisch erkannten Punkt angelangt.Die Bundesregierung und die Koalition wissen, daß sie bei dieser Mineralölsteuererhöhung nicht ausschließen können, daß es durch einen Schock zu einer nachhaltigen negativen Beeinflussung des Nachfrageverhaltens breiter Käuferschichten und damit zu zusätzlicher Arbeitslosigkeit kommen kann. Die Vertreter aller Wirtschaftsverbände, die Vertreter der Gewerkschaften — Herr Diederich, Sie können daran nicht vorbei — haben in der Anhörung vor dem Finanzausschuß eindringlich auf die Gefahr aufmerksam gemacht, daß wir mit diesem Gesetz zusätzliche Arbeitslosigkeit schaffen, und dies kann in diesem Hause keiner wollen. Wenn Sie schon nicht auf die Wirtschaftsverbände hören wollen, dann hören Sie doch in dem Punkt auch einmal auf die Gewerkschaften, auf die Sie sonst so gern hören!
Wenn die Mineralölsteuererhöhung in dieser Situation nicht nur kein taugliches Mittel zur Verbes-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 989
Dr. Schäubleserung der Einnahmen im Bundeshaushalt, sondern ein gefahrvolles, ein schädliches Mittel zur Öleinsparung ist, dann bleibt der Punkt übrig, daß Sie eine bessere Energiepolitik treiben müssen.
Alles, was wir an Öleinsparungen über eine Verteuerung des Ölpreises leisten können, findet doch in den letzten Jahren schon statt.
— Sie haben wohl schon lange nicht mehr getankt, Herr Kollege. Vielleicht fahren Sie zuviel mit Dienstwagen.
Kein vernünftiger Mensch kann doch behaupten, daß bei einer stärkeren Erhöhung des Ölpreises in den letzten Jahren die Drosselung des Ölverbrauchs größer gewesen wäre. Darin liegt doch wohl das Problem. Zusätzliche Einsparungen sind nicht von der Erhöhung des Preises abhängig, sondern vom Ausbau alternativer Energiearten. Deswegen müssen Sie, wenn Sie mittel- und langfristig mehr Öl einsparen wollen, mehr Kraftwerke bauen. Mit Steuererhöhungen allein schaffen Sie das nicht. Aber ich habe ja schon gesagt: Das ist das einzige, worauf Sie sich einigen können.
Das nächste: Wenn es richtig ist — und ich denke, ich habe das überzeugend dargelegt —, daß das Energiesparargument diesen Gesetzentwurf nicht trägt, dann ist, Herr Kollege Böhme, die Mineralölsteuererhöhung auch sozial und verteilungspolitisch falsch. Sie nimmt — ich habe es schon gesagt — der Masse der Arbeitnehmer die Vorteile der zum 1. Januar 1981 in Kraft getretenen Steuerentlastung, und sie benachteiligt die Arbeitnehmer in den ländlichen Räumen, außerhalb der Ballungszentren.
Herr Kollege Wehner, ich habe mit Interesse und auch mit Respekt von der Entschließung der SPD-Fraktion Kenntnis genommen, in der Sie j a sinngemäß sagen: Wir sollten eigentlich etwas tun. Wir wissen zwar nicht, was wir tun können. Wir können eigentlich nichts tun. Wir unterstützen das Umsteigen auf den öffentlichen Personennahverkehr. Wir werden gucken, ob wir nicht die steuerlichen Nachteile für Pendler irgendwie beseitigen können.
— Das ist natürlich Augenwischerei. Das zeigt, wie schwer auch Ihnen die Zustimmung zu diesem Gesetz fällt. Deswegen habe ich dafür Respekt. Ich weiß ja, daß dieses Gesetz auch für viele Kollegen der Koalition eine ausgesprochene Kröte ist.Aber mit diesem Wischiwaschi kommen Sie an dem Problem nicht vorbei. In den ländlichen Räumen kann der Arbeitnehmer, der einen langen Anfahrtsweg zu seinem Arbeitsplatz hat, nicht auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen. Dann kommt er nämlich erst, wenn er morgens abfährt, nach Feierabend im Betrieb an. Er braucht sein privates Kraftfahrzeug.
Sie reden zwar dauernd davon, aber Sie können und werden — Herr Kollege Böhme, ich sehe es Ihrem Gesicht schon an — die Kilometerpauschale nicht erhöhen. In der Entschließung tun Sie so, als ob.
Aber Sie gehen darüber hinweg. Sie werden es nicht tun, obwohl die 36 Pfennig natürlich schon heute völlig unzureichend sind.Gleich das nächste — das wird ja Frau Matthäus besonders interessieren —: Mit dieser Mineralölsteuererhöhung können wir die Reform der Kraftfahrzeugsteuer für diese Legislaturperiode ja wohl endgültig ad acta legen. Frau Matthäus, schütteln Sie doch nicht den Kopf. Sie wissen ganz genau, Sie können die Kraftfahrzeugsteuer grundlegend nur reformieren, wenn Sie die dadurch entstehenden Ausfälle über eine Erhöhung der Mineralölsteuer auffangen können. Wir haben das in dem Hause schon einmal erlebt. In den frühen 70er Jahren wollten Sie die Kraftfahrzeugsteuer grundlegend reformieren. Damals hätten wir mitgemacht. Dann haben Sie die Mineralölsteuer aus Haushaltsgründen in zwei Schüben um 9 Pfennig erhöht. Damit war die Diskussion um die Reform der Kraftfahrzeugsteuer beendet.Wenn Sie die Mineralölsteuer jetzt um 7 Pfennig erhöhen, ohne irgend etwas für die Kraftfahrzeugsteuer zu tun, können wir das Thema für die laufende Legislaturperiode wirklich vergessen. Es ist kein Raum mehr da für eine weitere Erhöhung der Mineralölsteuer und damit auch nicht für eine Reform der Kraftfahrzeugsteuer. Diejenigen, die soviel davon reden, daß man die Kraftfahrzeugsteuer aus Vereinfachungsgründen reformieren müsse, verhindern mit ihrer eigenen Politik, daß das möglich ist. Das muß auch einmal gesagt werden.
Nicht nur die Erhöhung der Mineralölsteuer, auch die Erhöhung der Branntweinsteuer ist falsch. Auch bei der Branntweinsteuererhöhung ist ganz unklar, ob dadurch für den Bundeshaushalt überhaupt Mehreinnahmen entstehen. Wir haben auch aus der Vergangenheit sehr eindrucksvolle Beispiele, daß gerade beim Branntwein die Nachfrage auf Preissteigerungen sehr elastisch reagiert, so daß wir möglicherweise überhaupt kein Mehraufkommen erzielen.Wie unsicher Sie bei Ihren Schätzungen sind — die Geschichte will ich Ihnen doch nicht vorenthalten —, hat Herr Staatssekretär Böhme ja in eindrucksvoller Weise im Finanzausschuß gezeigt, als er auf die Frage, was denn die Verringerung der Besteuerung der Isopropylalkohole von ursprünglich 1 000 DM je Hektoliter auf 600 DM — wie wir das im Finanzausschuß beschlossen haben — weniger an Steuereinnahmen bringe, gesagt hat: Das macht ab
Metadaten/Kopzeile:
990 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Dr. Schäuble1982 200 Millionen DM aus. Das ist j a ziemlich gewaltig. Die gesamten Mehreinnahmen der Steuererhöhung bei den Äthylalkoholen und den Isopropylalkoholen auf der Basis von 1 000 DM wurden ab 1982 auf 440 Millionen DM geschätzt. Auf unsere bedenklichen Gesichter hin hat er dann erwidert, es sei aber deswegen nicht so schlimm, weil diese 200 Millionen DM, die jetzt noch verblieben, wenigstens ehrlich seien; die 400 Millionen DM seien von der Bundesregierung sowieso zu hoch geschätzt gewesen.
Man muß sich einmal die Seriosität vorstellen, die in der Begründung dieses Gesetzentwurfs steckt!
Herr Abgeordneter Schäuble, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Böhme?
Herr Abgeordneter Schäuble, können Sie mir zustimmen, daß sich meine Aussage darauf bezog, daß jede Verbrauchsteuererhöhung mit einem Unsicherheitsfaktor in der Schätzung bezüglich der Steuereinnahmen wegen der Elastizität der Nachfrage verbunden ist?
Richtig; genau davon habe ich ja gesprochen, wie unsicher Sie bei Ihren Schätzungen sind. Herr Böhme, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie es noch einmal bestätigen.
— Nein, gedreht haben Sie. Ich habe Ihnen j a schon im Ausschuß gesagt: Bei Ihren Steuerschätzungen drehen Sie Pirouetten, mit denen Sie fast bei den Eislauf-Europameisterschaften hätten antreten können.Meine Damen und Herren, man muß bei der Erhöhung der Branntweinsteuer auch das Problem sehen, daß die Branntwein- und Spirituosenindustrie ohnedies in einer schwierigen Wettbewerbslage steckt, die durch diese Erhöhung wesentlich verschärft wird.Schließlich: Auch die Landwirtschaft wird durch die Beschlüsse, die Sie im Zusammenhang mit der Branntweinsteuer fassen wollen, erheblich belastet. Man muß, wenn man die Auswirkungen für die Landwirtschaft insgesamt würdigen will, auch die Belastungen sehen, die Sie der Landwirtschaft zusätzlich mit dem sogenannten Subventionsabbaugesetz auferlegen wollen. Ferner muß man die Belastungen für die Landwirtschaft aus der Erhöhung der Mineralölsteuer berücksichtigen. Meine Damen und Herren, im Agrarbericht legt die Bundesregierung eindringlich dar, daß die schweren Einkommenseinbußen der Landwirtschaft wesentlich gerade durch die Verteuerung der Mineralölrohstoffe für die Landwirtschaft begründet sind. Im Agrarbericht ist aber nicht die Auswirkung berechnet, welche zusätzlichen Belastungen dadurch auf die Landwirtschaft zukommen, daß das Mineralöl durch Maßnahmen der Bundesregierung auch für die Landwirtschaft zusätzlich verteuert wird.Im Zusammenhang mit der steuerlichen Behandlung der Abfindungsbrenner reden Sie davon, daß man dort „Subventionen" abbauen müsse. Ich will Ihnen folgendes sagen: Ich würde Sie gern einmal nach Mittelbaden einladen. Ich übernehme zwar nicht die Kosten; dafür bin ich zu sparsam. Herr Böhme, Sie kennen sich dort ja ein bißchen aus. Es ist doch ein völliges Unding, wenn man die Besteuerung der Abfindungsbrenner als „Subvention" bezeichnet, als seien es überflüssige Privilegien. Meine Damen und Herren, in Wahrheit geht es doch darum, daß in schwierigen topographischen Gebieten Landwirtschaft betrieben werden muß, um die Landschaft offenzuhalten. Das geht nur über den Obstbau. Das Obst kann aber nur dann marktgerecht verwertet werden, wenn man es über den eigenen Kessel brennen kann. Wenn Sie dies beseitigen, zerstören Sie die landwirtschaftlichen Strukturen in diesen Teilen der Bundesrepublik Deutschland. Wenn Sie dies wollen, dann sagen Sie es offen, aber reden Sie nicht so töricht von „Subventionen".
In der Begründung des Regierungsentwurfs tun Sie so, als solle der Abstand in der Besteuerung der Abfindungsbrenner und der Verschlußbrenner nicht größer werden. Das ist schon schwer genug, aber darüber hätte man ja noch reden können. Sie wollen den Abstand aber verringern, Sie wollen die Besteuerung der Kleinbrenner verstärken. Als ich im Ausschuß beantragte, wenigstens den jetzigen Abstand festzuschreiben, haben Sie diesem Antrag nicht zugestimmt. Auch da sind Sie in Ihrer Begründung nicht redlich gewesen.Ich muß schließlich darauf hinweisen, daß im Finanzausschuß unsere Bedenken im Hinblick auf verfassungsrechtliche Probleme bei der Neueinführung einer Besteuerung der Isopropylalkohole in der chemischen und kosmetischen Industrie nicht vollends ausgeräumt werden konnten. Zum erstenmal treten Sie in die Besteuerung eines Rohstoffs ein, der ausschließlich der industriellen Verwendung zugeführt wird. Abgesehen davon, daß dies unter dem Gesichtspunkt von Art. 106 des Grundgesetzes ein verfassungsrechtliches Problem ist, muß ich sagen: Wehret den Anfängen! Sie haben da offenbar ganz neue Möglichkeiten für weitere Steuererhöhungen. Der Beschluß der SPD-Fraktion zeigt sowieso, daß Sie den Weg der Steuererhöhungen fortsetzen wollen.Bei der Anhörung vor dem Finanzausschuß ist von allen Beteiligten eindringlich dargelegt worden, daß durch diese neue Steuer auf Isopropylalkohole zahlreiche Arbeitsplätze in der chemischen und der kosmetischen Industrie, im Friseurhandwerk und im Einzelhandel gefährdet sind. Ich finde, wir haben Arbeitslosigkeit genug; wir sollten dies in allem Ernst nicht tun.
Schließlich muß man auch darauf hinweisen, daß der Zahlungsaufschub für Branntweinabgaben im Ergebnis verkürzt wird. Wir machen es jetzt technisch ein bißchen anders, aber im Ergebnis ist es eine einmalige Verkürzung. Dadurch kommen im Haushaltsjahr 1981, wie ich glaube, 220 Millionen DM
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 991
Dr. Schäublezusätzlich in die Bundeskasse. Nur ein einziges Mal! Denn es ist ja eine einmalige Verschiebung; in allen Folgejahren bleibt es gleich. Wir schaffen damit aber dauerhafte Liquiditätsprobleme für die Hersteller von Branntwein- und Branntweinerzeugnissen. Das heißt, der Bundesfinanzminister ist inzwischen in einer so jämmerlichen Situation, daß er mit solchen Tricks in einem einzigen Jahre ein bißchen Haushaltskosmetik betreibt, indem er das, was er im Januar 1982 kriegen würde, schon schnell noch am 27. Dezember holt. So mies ist Ihre Lage.
Sie versuchen sich vor den notwendigen Sparbeschlüssen mit solchen Tricks davonzustehlen. Das ist eine Politik, die wir nicht mitmachen können.
Herr Abgeordneter Schäuble, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Professor Diederich?
Bitte sehr, Herr Diederich.
Herr Kollege Schäuble, wollen Sie bestreiten, daß der Kompromiß, der in dieser Frage des Zahlungsaufschubs gefunden wurde, ein Vorschlag aus der Wirtschaft selber war mit der Begründung, daß um die Weihnachtszeit eine erhöhte Liquidität diese vorzeitige Zahlung möglich macht?
Herr Diederich, wir waren doch beide dabei. Was soll es denn? Die Industrie hat gesagt: die Verkürzung des Zahlungsaufschubs ist falsch. Wenn Sie es aber trotzdem machen — da man j a weiß, wie stur Sie inzwischen sind; auf Argumente hören Sie ja nicht —, dann machen Sie es wenigstens so, wir wir es vorschlagen. Dann tut's zwar auch weh, aber nicht ganz so.Was soll denn die arme Industrie, wo sie sieht, daß die Koalition auf kein Sachargument eingeht?
— Ich helfe Ihnen gern mit einem Taschentuch aus. — Das war so gewesen: Wir beide waren bestimmt dabei, der Herr Böhme war auch dabei und einige Kollegen weiter. Wir wissen es alle. Es ist ja auch so. Was macht denn ein solcher Verband, wenn er von einer solchen Maßnahme betroffen wird? Er sagt zunächst: Es ist falsch, und er argumentiert dagegen. Und dann sagt er: wenn ihr es schon macht, dann macht es zumindest ein bißchen weniger schlimm. — Das ist aber doch kein Argument für die Richtigkeit Ihrer Maßnahme.Wenn man alle diese Gesichtspunkte würdigt, dann ist dieser Gesetzentwurf auch bei Würdigung der Zielsetzung — ich habe das eingangs gesagt — in nahezu jeder Beziehung falsch. Ich weiß — ich habe es erwähnt —, er ist für viele in der Koalition eine Kröte, an der sie schwer schlucken.
Metadaten/Kopzeile:
992 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Dr. Diederich
welcher Stelle und wie Sie das soziale Netz zerreißen wollen.
— Herr Kiep, Gott sei Dank, kann ich sagen: Unser Kanzler heißt weder Reagan noch Thatcher, sondern unser Kanzler heißt Helmut Schmidt und gehört der sozialliberalen Koalition an.
Meine Damen und Herren, als Quellen stehen uns vor allem die Verbrauchsteuern zur Verfügung, weil diese gemäß Art. 106 Abs. 1 GG dem Bund zustehen. Wir haben das geprüft. Die Mineralölsteuer auf Treib- und Schmierstoffe, die Branntweinsteuer bieten sich an, denn diese Mittel sind schnell realisierbar, im Gegensatz übrigens zur Tabaksteuer, die hier diskutiert worden ist. Hier gibt es erhebliche technische Probleme bis zur Einführung. Deshalb konnten wir auf die Tabaksteuer nicht zugreifen. Das hängt auch mit Verhaltensweisen zusammen, die Sie bzw. Ihre Parteifreunde in gewissen Gremien des Bundes an den Tag legen. Lassen Sie in der Frage der Umsatzsteuerverteilung mit sich reden, dann können wir in Fragen der Steuererhöhung miteinander reden.Meine Damen und Herren, wir haben sehr genau geprüft, wie die Belastungsfähigkeit bei diesen Steuern ist — man muß das ja sehen —, gerade im Sinne der Frage: Werden hier soziale Probleme erzeugt? Herr Schäuble, ich darf Sie beruhigen: Das ist nicht der Fall. Die Mineralölsteuer dient sich geradezu an. Ich will Ihnen hier ganz kurz vier Argumente vorführen, da die Zeit knapp ist.Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" schreibt vor einigen Tagen: „Nur die Luxemburger fahren billiger". Das Mineralöl in Deutschland ist immer noch das billigste in der Europäischen Gemeinschaft.Das zweite Argument: Früher betrug die Belastung 75% des Mineralölpreises, inzwischen ist sie auf unter 50 % gesunken. Sie wissen genau, woher das kommt. Die Mineralölsteuer ist eine Mengensteuer. Mit steigenden Preisen verkleinert sich der Anteil des Bundes.Drittens. Der absolute Steuerbetrag ist der niedrigste in Europa.Viertens. Ich darf Ihnen in Erinnerung rufen: der durchschnittliche Arbeitszeitaufwand eines Industriearbeiters für 10 Liter Normalbenzin betrug 1970 ungefähr 54 Minuten, er betrug 1980 etwa 52 Minuten — und dies trotz der erheblichen Benzinpreissteigerung, die wir in den letzten Jahren gehabt haben.Es kann also gar nicht die Rede davon sein, daß wir in irgendeiner Form das Lebensniveau verschlechtern, wenn wir hier eine relativ geringfügige, wenige Prozente umfassende Steuererhöhung vorsehen.
— Ich komme sofort darauf zu sprechen.Ich wende mich noch einmal dem Kosmetikalkohol zu. Hier standen wir vor der Frage, ob wir ebenfalls eine Steuererhöhung vornehmen sollten und ob und inwieweit der Isopropylalkohol, der zunehmend als Ersatzstoff für natürlichen Alkohol Verwendung gefunden hat, in die Besteuerung einzubeziehen wäre. Wir haben uns in den Beratungen dafür entschieden, den Isopropylalkohol in die Besteuerung einzubeziehen, aber auf eine Erhöhung der Besteuerung von Kosmetikalkohol zu verzichten, um den Sprung, der dann für den Isopropylalkohol entstanden wäre, nicht zu groß werden zu lassen. Auf diese Weise sind wir auf Argumente eingegangen, die aus dem Bereich der Kosmetikindustrie, von den Betriebsräten, kamen. Es besteht jetzt für beide Alkohole, für Naturalkohol und für Isopropylalkohol, Wettbewerbsneutralität. Wir glauben, daß wir damit Einwänden Rechnung getragen haben, die befürchteten, es würden Arbeitsplätze gefährdet. Wir sehen diese Gefährdung nicht mehr. Jeder kann die Kalkulationen nachrechnen und wird sehen, daß das unproblematisch sein wird.Lassen Sie mich eine Anmerkung anfügen: Unsere Fraktion hat beschlossen, daß die Sektsteuer erhöht werden soll. Das wird in die nächste Runde der Beratungen einbezogen werden. Wir werden prüfen, ob wir auch hier die Einnahmesituation des Bundes verbessern können.Herr Schäuble, Sie sind darauf eingegangen, daß uns in den vergangenen Wochen viele Interessenten mit den verschiedensten Argumenten versorgt haben. Ich glaube, wir sind uns einig, daß man nicht jedes Argument, das eine Interessengruppe vorträgt, als bare Münze nehmen sollte, sondern sehr sorgfältig prüfen muß. Das tun Sie, und das haben auch wir getan.Es ist gesagt worden, die Mineralölsteuererhöhung fördere die Inflation. Es wurde der Zusammenbruch ganzer Wirtschaftszweige angekündigt. Wie gesagt: Das sind Argumente, die man immer hört, wenn man solche unangenehmen Maßnahmen vornehmen will. Wir nehmen sie trotzdem nicht auf die leichte Schulter.
Ich darf Ihnen nur sagen: Die Problematik, die wir heute in der Automobilindustrie haben, ist nicht durch die Mineralölpreisentwicklung verursacht, und sie wird nicht durch die Mineralölsteuerentwicklung verschärft. Man muß in aller Klarheit und Eindeutigkeit feststellen, daß die Strukturprobleme der Automobilwirtschaft nichts mit der Frage des Mineralölpreises zu tun haben. Das wissen auch Sie sehr genau.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 993
Dr. Diederich
Man konnte gestern übrigens einen Bericht des Ifo-Instituts lesen, in dem vorhergesagt wird, daß trotz dieser Entwicklung der Trend zum privaten Kraftfahrzeug ungebrochen bleiben werde.Die gewaltigen Mineralölpreissteigerungen, die ein Vielfaches der jetzigen Mineralölsteuererhöhung ausmachen, hat die Autowirtschaft verkraftet.Ich las gestern, daß der Vorstandsvorsitzende der Aral vorausgesagt hat, daß der Benzinpreis auch im kommenden Jahr kräftig weiter steigen werde. Meine Herren, die Mineralölwirtschaft wird die Preise weiter erhöhen, ob wir die Steuer heraufsetzen oder nicht. Sie wird das machen, was in einer Marktwirtschaft immer getan wird, sie wird den Markt so weit ausschöpfen, wie sie es kann. Ich darf Ihnen nur sagen, daß die Mineralölsteuererhöhung dabei überhaupt keine Rolle spielt.
— Ich komme sofort darauf zu sprechen.Die Entwicklung der letzten Monate zeigt, daß das Publikum trotzdem auf die Preiserhöhung reagiert hat. Herr Schäuble, Sie haben das angeführt: Die Nachfrage nach Mineralöl ist im letzten Jahr langsam, aber stetig zurückgegangen. Das beweist aber doch, Herr Schäuble, daß die Marktwirtschaft funktioniert, daß das Publikum auf Preise reagiert.
Wir wissen, daß das ein langsamer Prozeß ist; denn die Umschichtung kann nur durch schrittweises Umsteigen auf sparsamere Fahrzeuge, vielleicht auch durch das Umsteigen auf den öffentlichen Personennahverkehr oder durch energiebewußtes Autofahren geschehen. Das ist eben ein langsamer, schrittweiser Prozeß. Wir wissen, daß nichts an dem Ziel „Weg vom Mineralöl!" vorbeiführt. Die Erhöhung der Mineralölsteuer trägt zweifellos dazu bei, diesen Weg zu beschreiten. Die Verteuerung des Mineralöls durch die Steuererhöhung ist ein weiteres Signal für das Verhalten. Ich glaube, daß sich die Verbraucher auch darauf einstellen werden.
Herr Schäuble, Sie haben den Beschluß unserer Fraktion angeführt. Ich will Ihnen sagen, warum wir diesen Beschluß gefaßt haben. Appelle an das Verhalten oder Erwartungen an die Reaktionen des Marktes sind nur da sinnvoll, wo sich die Betroffenen auch entsprechend verhalten können, wo sie z. B. auf den öffentlichen Personennahverkehr umsteigen können. Wir sehen das größte Problem — Sie haben es auch angesprochen — bei den Bundesbürgern, bei den Arbeitnehmern, die in ländlichen Gebieten wohnend weite Wege zum Arbeitsplatz und keine alternativen Nahverkehrsangebote in der Nähe haben. Diese Gruppe, die keine Alternative zur Verfügung hat, ist zweifellos diejenige, die am schwersten an dem Beschluß zu tragen haben wird. Aber sie trägt schon seit Jahren an den ständigen Mineralölpreiserhöhungen der Mineralölwirtschaft.Ich möchte einmal hören, wo da Ihre Proteste sind.
Wir haben einen sehr konkreten Beschluß gefaßt, in dem wir die Erwartung an die Bundesregierung ausgesprochen haben,
daß bei der weiteren Beratung unserer Verkehrspolitik und der den Verkehrsbereich betreffenden Steuern auch solche Maßnahmen einbezogen werden, die dem Ziel dienen, die steuerliche Benachteiligung der Pendler zu beseitigen und die Bildung von Fahrgemeinschaften bzw. das Umsteigen auf den öffentlich Personennahverkehr zu fördern. Sie wissen sehr genau um diese Diskussion.
— Ja, ich komme sofort darauf zu sprechen.Die Kilometerpauschale kommt nach unserer Auffassung nicht in Frage; denn sie ist wie ein Streufeuer, mit dem man diese Ziele nicht gezielt ansprechen kann. Aber es ist die Frage einer Fern-Pendlerpauschale, es ist die Frage einer Entfernungspauschale in der Diskussion. Ferner ist zu prüfen, was im Nahverkehr gemacht werden kann. Sie wissen ganz genau, daß das schrittweise durchgeführt werden muß.
Ich lade Sie ein, sich an dieser Diskussion zu beteiligen und die konkreten Vorschläge und Modelle die notwendig sind, mitzuentwickeln,
anstatt bloß immer Ihr „nein, nein, nein" in den Raum zu stellen.Ich möchte als Mitglied des Finanzauschusses übrigens hinzufügen — und ich hoffe, daß wir da auch einer Meinung sind —: Die Überlegungen, die in dieser Richtung angestellt werden, müssen auf dem Papier bleiben, wenn nicht eindeutig und klar für Dekkung gesorgt wird.
Keiner sollte sich irgendwelchen Illusionen hingeben. Ich denke, daß dieses Maßnahmenpaket, das wir von der Fraktion gefordert haben, im Sinne eines ganz konsequenten energiepolitischen Konzepts im Personenverkehr denkbar und notwendig ist. Aber wir müssen uns auch darüber einig sein, daß die Mittel dafür aufgebracht, daß die Maßnahmen bezahlt werden müssen.Wir werden also sicherlich — Herr Schäuble, Sie haben das auch erwähnt — noch einmal überlegen
Metadaten/Kopzeile:
994 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Dr. Diederich
müssen, ob wir möglicherweise noch einmal an die Mineralölsteuer heranmüssen. Aber das ist j a gerade im Interesse der Umlagerung, die wir vornehmen wollen und die notwendig ist, damit wir vom Öl wegkommen. Denn zweifellos ist das Mineralöl der Faktor, der unsere Zahlungsbilanz am meisten belastet.Herr Schäuble, wir kriegen den Doppelsalto, den Ihre Fraktion im Wirtschaftsausschuß gemacht hat. nicht fertig. Erst sagen: „Wir lehnen dieses Gesetz ab!", aber dann beschließen: „Von der Summe, die wir eben abgelehnt haben, soll ein Pfennig pro Liter an die Kommunen gegeben werden", das kriegen wir nicht fertig!
Unsere Aufgabe ist es, bei der Konsolidierung des Haushalts mitzuwirken. Wir haben hier diesen Entwurf vorliegen; wir haben das Subventionsabbaupaket vorliegen; wir verabschieden jetzt diese steuerlichen Maßnahmen. Herr Schäuble, wir werden beim Subventionsabbaupaket noch einmal sehr genau sehen und prüfen können, ob und wie Sie bereit sind mitzuarbeiten. Auch da habe ich j a bisher von Ihrer Seite überwiegend nur ein „Nein" gehört. Wann endlich werden Sie denn einmal konstruktiv? Wir jedenfalls tragen Verantwortung. Unsere Zustimmung zu dem Gesetz ist eine Zustimmung zur Politik der Verantwortung. Sie können es sich leisten, nein zu sagen; denn Sie sind ja die Verantwortung los und können daher verantwortungslos handeln.
Meine Damen und Herren, ich bin der Auffassung, daß dieses Gesetz ein Beitrag zur Stabilisierung unserer Finanzen ist, daß dieses Gesetz angemessen ist. Daher werden wir diesem Gesetz zustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der öffentlichen Anhörung über diesen Gesetzentwurf, die der Finanzausschuß in der vorigen Woche durchgeführt hat, gab es Zeitungsberichte, die fragten: Warum ist denn das Hearing von der Koalition gemacht worden, wenn es doch so viele ablehnende Stimmen gibt? Es wurde sogar gefragt: Zeigt sich nicht hier ein — wie es eine Zeitung schrieb — masochistisches Verhalten, also ein Wunsch, eine Liebe zur Selbstzerstörung,
wenn man ein solches Hearing macht und die meisten Verbände nein sagen? Meine Damen und Herren, dazu ist dreierlei zu sagen.Erstens: Die Koalition hat nicht den Wunsch nach einer solchen Anhörung geäußert. Ein Viertel der Mitglieder des Ausschusses kann ein solches Hearing beantragen. Das hat die Opposition getan.Zweitens: Es waren auch nicht alle Verbände dagegen. Ich finde es schon bemerkenswert — das sollte man hier einmal sagen —, daß z. B. alle vertretenen Umweltschutzverbände unsere — —
— Meine Damen und Herren, lachen Sie mal nicht; ich glaube, daß die öffentliche Diskussion, aber auch die Zahlen bei den jeweiligen Wahlen doch gezeigt haben, daß die Argumente der Umweltschützer gerade bei den jüngeren Leuten ein ganz erhebliches Gewicht haben. Alle Umweltschutzverbände haben unsere Erhöhung bejaht.
Drittens — dies ist das entscheidende Argument —: Als wir vor der Bundestagswahl ankündigten, wir würden die Mineralölsteuer und die Branntweinsteuer erhöhen, als wir vor der Bundestagswahl ankündigten, wir würden nach der Wahl Subventionen abbauen, da wußten wir selbstverständlich, daß es Widerstand geben würde. Ja, meinen Sie, uns wäre nicht klar gewesen, daß, wie Kollege Lambsdorff es einmal ausgedrückt hat, ein solches Vorhaben nur mit Heulen und Zähneklappern verwirklicht werden würde? Selbstverständlich wußten wir, daß es Widerstand geben würde. Selbstverständlich kann man mit Steuererhöhungen und mit dem Abbau von Subventionen keine Begeisterungsstürme hervorrufen. Wer aber auf solchen Widerstand hin, wie er sich in einem Hearing zeigt, gleich die Flinte ins Korn wirft, meine Damen und Herren, der versteht nach unserer Auffassung seine Aufgabe als Abgeordneter falsch.
Ein Parlament ist nicht nur dazu da, Vergünstigungen, Verbesserungen zu beschließen;
nein, wenn es die finanzielle Lage erfordert, Herr Kollege, dann muß ein Parlament erst recht dazu bereit und in der Lage sein, dem Bürger klar und deutlich zu sagen, wo wir in Zukunft kürzertreten müssen, wo wir den Gürtel enger schnallen müssen und wo es nicht mehr so weitergeht wie bisher.
Das erste ist relativ einfach, das zweite viel schwieriger. Herr Schäuble, wenn Sie sagen, einige in der Koalition schluckten die Kröte dieser Steuererhöhung ungern, dann kann ich Ihnen hier für alle Kollegen sagen: Alle schlucken diese Kröte ungern. Meinen Sie, wir erhöhen gerne Steuern?
Aber wir wissen, daß es nötig ist. Wenn es nicht möglich sein sollte, daß gewählte Parlamentarier, die sich ja übrigens mit diesem Verhalten auch wieder zur Wahl stellen, gegen den Widerstand von starken Interessenverbänden entscheiden, daß gekürzt wird und wo gekürzt wird, daß Steuern erhöht werden, dann wäre es um unser parlamentarisches System schlecht bestellt.
Wir haben mehrfach gesagt, warum wir die Mineralölsteuer erhöhen — ich brauche das nicht zu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 995
Frau Matthäus-Maiervertiefen —, einmal um die finanzielle Situation des Bundes zu verbessern und zweitens um mehr Anreiz zur Einsparung von Energie zu geben. Herr Schäuble, wenn Sie sagen, die Bundesregierung und diese Koalition erwarteten selber nicht, daß diese Anreize zur Einsparung von Energie tatsächlich eintreten, dann ist das einfach falsch; denn die Zahlen, von denen die Bundesregierung ausgeht, sehen so aus: Wenn wir im Jahre 1981 von den Verbrauchszahlen des Jahres 1980 ausgehen, obwohl wir wissen, daß die Zahl der Zulassung von Kraftfahrzeugen zunimmt, dann gehen wir selbstverständlich davon aus, daß der Bürger weniger verbraucht. Wir gehen also davon aus, daß er auf unseren Anreiz reagiert.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schäuble?
Ja. Präsident Stücklen: Bitte sehr.
Frau Matthäus-Maier, können Sie mir bestätigen, daß auch im Jahre 1980 die Zahl der Kraftfahrzeugzulassungen gestiegen ist und sich der Benzinverbrauch trotzdem nicht erhöht hat, und können Sie mir weiter bestätigen, daß die Bundesregierung auf meine Frage im Finanzausschuß ausdrücklich eingeräumt hat, daß man bei dieser Schätzung nicht von einem zusätzlichen Einspareffekt bei Mineralöl ausgegangen ist?
Aus der Tatsache, die Sie gerade schildern, nämlich, daß die Zulassungszahlen im Jahre 1980 gestiegen sind, während der Verbrauch von Mineralöl gleichgeblieben ist, können Sie genau schließen, daß wir, wenn die Bundesregierung für 1981 denselben Mechanismus nachvollzieht, nämlich ihrer Annahme steigende Zulassungszahlen, aber einen gleichbleibenden Mineralölverbrauch zugrunde zu legen, auch für 1981 von einem vergleichsweise absinkenden Verbrauch ausgehen. Wir gehen davon aus, daß der Bürger auf die gestiegenen Mineralölpreise reagieren wird.
Übrigens, Herr Schäuble, er tut es doch auch! Wenn Sie es schon nicht selber tun, gucken Sie sich doch um! Ich überlege mir schon manchmal, ob diese Fahrt unbedingt nötig ist, ob ich nicht zu Fuß gehen oder mit dem Fahrrad fahren soll. Gucken Sie sich in Ihrer Umgebung um: Die meisten Bürger handeln so; sie wissen sehr genau, was heute der Kilometer kostet und steigen dann auf ein anderes Verkehrsmittel um oder lassen die eine oder andere Fahrt bleiben.
Gestatten Sie noch eine Zusatzfrage?
Bitte sehr, Herr Schäuble.
Bitte.
Frau Matthäus-Maier, sind Sie wirklich nicht in der Lage, zu erkennen, daß unser Argument dahin geht, daß der Einsparprozeß beim Benzinverbrauch ohnedies stattfindet und daß er durch diese Mineralölsteuererhöhung nicht verstärkt wird?
Erstens sind wir der festen Überzeugng, daß er verstärkt wird.
Fragen Sie mal den Bürger draußen! Der wird sich sehr wohl überlegen, ob er bei einem um 8 Pf teurerem Benzin so viel wie vorher tankt. Zweitens haben wir ausdrücklich gesagt — damit halten wir gar nicht hinter dem Berge —: Der Gesetzentwurf dient zugleich dazu, die Einnahmesituation des Bundes zu verbessern.Ein Weiteres. In den vielen Anfragen der Bürger spürt man die große Besorgnis, daß nun die OPEC, also die Organisation der Erdöl exportierenden Länder, nachvollzieht, was hier der Staat tut, nämlich die Preise anheben. Ich glaube nicht, daß die OPEC ihre Preise anheben wird, weil wir die Steuern erhöhen — sie wird es mit Sicherheit ohnehin tun —, im Gegenteil: Die Erdöl exportierenden Länder fordern uns seit Jahren insbesondere durch Herrn Jamani auf, dieses knappe Gut Öl, das ja auch die Erdöl exportierenden Länder nicht auf Dauer zur Verfügung haben, in unserm Land teurer zu verkaufen, damit dem Bürger die Knappheit dieses Guts bewußt wird. Wir reagieren also im Grunde auf eine Forderung, die die OPEC-Länder seit Jahren an uns richten.Und noch etwas: Nach meiner festen Überzeugung gibt es nur drei Möglichkeiten, den ja noch vorhandenen finanziellen Spielraum zwischen dem heutigen Preisniveau bei Benzin und dem, was der Autofahrer verkraften kann, auszuschöpfen: erstens durch die OPEC-Länder, zweitens durch die Öl-Multis und drittens durch den Staat. Da frage ich: Wenn es so ist, daß wir seit 1973 nicht mehr in der gleichen energiepolitischen Landschaft stehen und daß Preissteigerungen unvermeidbar sind, ist es dann nicht besser und nicht auch für den deutschen Autofahrer einsehbarer, daß ein Teil dieses finanziellen Spielraums nicht von den Öl-Multis und von OPEC, sondern vom deutschen Fiskus abgeschöpft wird? Der Autofahrer weiß doch, daß dieses Geld auch ihm zugute kommt.Wir stehen damit nicht allein. Das Jahresgutachten 1980/81 des Sachverständigenrats sagt dazu in Ziffer 408:Der energiepolitische Zweck— einer Mineralölsteuererhöhung —wird erreicht, wenn es dem Staat gelingt, die Ölrente, die bei späteren Preiserhöhungen den Ölförderländern zufließen würde, zuzusagen im Vorgriff selbst abzuschöpfen.Das tun wir mit dieser Erhöhung.Aus energiepolitischen Gründen — das will ich noch einmal betonen — ist dieser Gesetzentwurf nach Vergaserkraftstoff und Diesel differenziert. Das entspricht z. B. einer Überlegung, die die Ener-
Metadaten/Kopzeile:
996 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Frau Matthäus-Maiergie-Enquetekommission vorgeschlagen hat. Mit der Differenzierung zwischen Vergaserkraftstoff und Diesel soll ein gewisser Anreiz gegeben werden, verstärkt Dieselmotoren zu fahren, weil sie sich etwas energiesparender als Vergaserkraftstoffmotoren verhalten. Es ist auch darauf hinzuweisen, daß wir von der Steuererhöhung die Verwendung von Flüssiggas ausdrücklich ausnehmen.Im übrigen muß man darauf hinweisen, daß sich der deutsche Ölpreis im europäischen Vergleich auch nach der Erhöhung am Ende der Preisskala befinden wird.Ein Wort zur Anhebung der Kilometerpauschale. Das ist ein Wunsch, den uns viele Bürger im Zusammenhang mit dieser Ölverteuerung in Zuschriften nahelegen.Erstens wäre eine solche Anhebung zum jetzigen Zeitpunkt einfach zu teuer. Eine Anhebung auf 50 Pf würde den Staat 1,5 Milliarden DM kosten. Die haben wir nicht zur Verfügung.Zweitens. Dies ist energiepolitisch nicht sinnvoll. Die Energie-Enquetekommission tritt daher sogar für die Streichung der Kilometerpauschale ein, damit der Umgang mit Benzin dem Bürger optisch und materiell teuer gemacht wird. Eine Streichung werden wir zwar nicht in Betracht ziehen. Aber daß wir angesichts eines solchen Vorschlags nicht an eine Erhöhung zum jetzigen Zeitpunkt herangehen, halte ich für klar.Drittens. Wenn es zu einer Anhebung oder Änderung der Kilometerpauschale kommt, dann darf dies nur im Zusammenhang mit einer Umwandlung in eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale geschehen.Viertens. Wir meinen, daß wir uns das Instrument einer Änderung der Kilometerpauschale für die von dieser Koalition nach wie vor beabsichtigte Umlegung der Kraftfahrzeugsteuer auf die Mineralölsteuer aufheben müssen, damit dann in diesem Zusammenhang die Verteuerung des Mineralöls, insbesondere für Fernpendler, abgemildert werden kann.
Von daher kann eine Erhöhung der Kilometerpauschale zum jetzigen Zeitpunkt nicht in Frage kommen.Ein letztes Wort zu dem Vorschlag, von der Erhöhung der Mineralölsteuer einen Pfennig pro Liter an die Gemeinden weiterzugeben. Meine Damen und Herren, dies ist sicher eine sinnvolle und für die betroffenen Gemeinden erfreuliche Forderung. Ich kann Ihnen hier offen sagen, daß die FDP die Forderung, von den auf Grund der Mineralölsteuererhöhung erzielten Einnahmen 450 Millionen DM für Lärmschutz und Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs an die Gemeinden weiterzugeben, aus materiellen Gründen sehr unterstützt. Aber: Dies würde bedeuten, daß uns von den durch die Erhöhung erzielten Einnahmen von 1,7 Milliarden DM im Jahre 1981 und 2,7 Milliarden DM im Jahre 1982 jeweils bereits rund eine halbe Milliarde DM jeweils für den Bundeshaushalt fehlen würde. Aus diesem Grunde kann die Abzweigung eines solchen Pfennigs ohne Ausgleich nicht in Betracht kommen. Wir haben die Diskussion darüber verschoben; wenn beim Subventionsabbaugesetz Vorschläge gemacht werden, in der gleichen Höhe. also in Höhe von 450 Millionen DM, zu einer zusätzlichen Einnahme des Bundes über den Abbau von Subventionen zu kommen, dann kann man über die Abzweigung eines solchen Pfennigs diskutieren, aber, wie gesagt, nur bei gleichbleibendem Volumen.Lassen Sie mich einige letzte Worte zur Branntweinsteuer sagen. Die Befürchtungen der betroffenen Industrie, daß der Branntwein nicht in gleicher Weise wie in der Vergangenheit verbraucht werden wird, vermögen uns nicht zu überzeugen und können uns daher von dieser Branntweinsteuererhöhung nicht abhalten, meine Damen und Herren. Die gleichen Klagen — Sie können es praktisch wörtlich nachlesen — gab es auch bei den Branntweinsteuererhöhungen in der Vergangenheit. Und was ist geschehen? Für einige wenige Monate ist der Verbrauch von Branntwein, von Alkohol abgesunken, aber nach einigen wenigen Monaten hatte er das alte Niveau wieder erreicht. Das Klagen also, hier sei mit großen Einbrüchen, mit dem Verlust von Arbeitsplätzen zu rechnen, vermag uns nach den Erfahrungen in der Vergangenheit nicht zu überzeugen.Ich begrüße es übrigens ausdrücklich, daß die Spirituosenindustrie in bezug auf die Verkürzung des Zahlungsaufschubs von sich aus einen Vorschlag gemacht hat, der bedeutet, daß auf der einen Seite das bisherige Volumen, das wir anstreben, beibehalten wird, daß aber auf der anderen Seite Erleichterung für die Industrie geschaffen wird, nämlich die Ersetzung der Verkürzung des Zahlungsaufschubs von drei Monaten auf zwei Monate durch das Vorziehen der Januar-Rate in den Dezember. Hier hat ein Verband ein verantwortliches Verhalten an den Tag gelegt, das dazu beiträgt, uns einerseits das angestrebte finanzielle Volumen zu erhalten, andererseits aber Erleichterung für die betroffene Industrie zu schaffen.Ein letztes Wort zum Isopropylalkohol. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß die Einbeziehung des Isopropylalkohols, also des technischen Alkohols, in die Besteuerung, um Wettbewerbsnachteile für den Naturalkohol abzubauen, materiell richtig ist. Daß wir hier nicht bei dem vorher vorgesehenen Steuersatz geblieben sind, mag in der Sache gerechtfertigt sein. Bedauern muß ich allerdings, daß dadurch das vorgesehene Volumen um 100 oder 200 Millionen DM — Sie können es sich selber ausrechnen — absinkt. Mir wäre es lieber gewesen, wenn wir auch in diesem Fall eine Lösung hätten finden können, die uns unser Ziel hätte erreichen lassen, nämlich eine Einnahmeverbesserung um 400 Millionen DM im nächsten Jahr. Leider ist das nicht so. Ich hoffe nicht, daß das Anlaß sein wird, auch beim Subventionsabbaugesetz zu Vorschlägen zu kommen, die das ganze Volumen absenken.Meine Damen und Herren, Herr Schäuble hat auch heute wieder gesagt, daß durch diese Steuererhöhung das große Steuerpaket, nämlich Lohnsteuer-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 997
Frau Matthäus-MaierSenkung und Einkommensteuersenkung zum Jahre 1981, aufgefressen werde. Herr Schäuble, ich muß das hier zurückweisen. Gerade Sie als Steuerpolitiker wissen, daß es nicht stimmt.
Allein 1981 verbleibt auf Grund der Einkommensteuerentlastung trotz Mineralölsteueranhebung ein Betrag von mehr als 9 Milliarden DM; 1982 sind es mehr als 12 Milliarden DM, 1983 mehr als 16 Milliarden DM, 1984 mehr als 17 Milliarden DM.
Daran sehen Sie: Es stimmt nicht, wenn Sie sagen, wir seien eine Koalition, die die Steuern nur erhöhe. Wir haben die Steuern in der Vergangenheit immer wieder massiv gesenkt; das werden wir auch bei späteren Steuerpaketen tun. Doch diese Steuererhöhung ist sinnvoll. Deswegen werden wir ihr im Deutschen Bundestag zustimmen. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann Frau Matthäus nur zustimmen:
Die Bundesregierung hat nicht erwartet, Herr Abgeordneter Schäuble, daß der Entwurf des Gesetzes zur Erhöhung der Mineralölsteuer und der Branntweinsteuer von den Interessentenverbänden widerspruchslos hingenommen würde oder daß die Zustimmung irgendeinem Abgeordneten dieses Hauses leichtfallen könnte. Die Konsequenzen, die sich aus dieser Steuererhöhung ergeben, sind für Verbraucher und Unternehmen spürbar, zum Teil sogar schmerzhaft spürbar. Es ist die legitime Aufgabe von Gruppen und Verbänden, Interessen zu vertreten und die Folgen beabsichtigter Gesetzesänderungen der Öffentlichkeit und dem Gesetzgeber klarzumachen. Der Gesetzgeber aber hat diese Konsequenzen gegen Notwendigkeiten abzuwägen, die dem Gesamtinteresse dienen.
Dies ist heute ein solcher Fall.
Bei der Beurteilung der durch die Steueranhebung verursachten Belastungen — insbesondere der Ölverbraucher — dürfen zunächst die in diesem und im nächsten Jahr in Kraft tretenden Steuererleichterungen wohl nicht außer acht gelassen werden. Dem Bürger bleibt 1981, Herr Abgeordneter Schäuble, per saldo eine Steuererleichterung von mindestens 10 Milliarden DM, die sich nachfragewirksam im Laufe des Jahres entfalten wird. Wenn wir über belastende Steuermaßnahmen sprechen, dürfen wir gleichzeitig einsetzende Erleichterungen weder vergessen noch verschweigen. Der auf 600 DM angehobene Weihnachtsfreibetrag gilt natürlich auch 1981: Minderbelastung des Bürgers 1,4 Milliarden DM; der Haushaltsfreibetrag für Alleinstehende wird angehoben: Mindereinnahmen für den Staat 300 Millionen DM; Anhebung der Sonderausgabenhöchstbeträge: 2 Milliarden DM; Anhebung des Vorwegabzugbetrages für Versorgungsaufwendungen: 1,6 Milliarden DM; Erhöhung des Wohngeldes: 600 Millionen DM; Erhöhung des Kindergeldes: 2 Milliarden DM; Absetzung für Kinderbetreuungskosten: 2,1 Milliarden DM; Tarifkorrektur zugunsten der von der Steuerprogression besonders Betroffenen: 6,1 Milliarden DM.
Es geht bei der Mineralölsteuer auch um eine Änderung der Steuerstruktur, aus deren Notwendigkeit die Bundesregierung niemals ein Hehl gemacht hat und die in abstrakter Form j a auch von der Opposition gefordert wird. Hier haben wir das allgemeine Leiden zu beklagen, daß Sie abstrakt vernünftige Dinge sagen und jeweils im konkreten Falle Widerstand gegen die Durchsetzung der Vernunft leisten.
Hier besteht Korrekturbedarf. Nach dem Kriege war das Verhältnis von direkten zu indirekten Steuern lange ausgeglichen. Dieses ausgeglichene Verhältnis hat sich inzwischen auf einen Steueranteil von etwa 60 % bei den direkten Steuern und ungefähr 40 % bei den indirekten Steuern verändert. Das hängt natürlich damit zusammen, daß wir es hier mit Mengensteuern zu tun haben. Die Steueranhebung, die wir heute beschließen, ist strukturpolitisch richtig und führt zu einer beträchtlichen Entlastung auf der Einnahmeseite, die es uns erleichtert, den Kreditbedarf des Bundes in Grenzen zu halten und die Belastung der Bürger mit direkten Steuern zu vermindern.
Herr Bundesminister, gestatten Sie bitte eine Unterbrechung. Darf ich bitten, daß die Damen und Herren Abgeordneten ihre Plätze einnehmen.
Der Vorteil einer namentlichen Abstimmung — —
Einen Augenblick, Herr Bundesminister. Ich habe darum gebeten, daß die Abgeordneten ihre Plätze einnehmen.
Herr Präsident, der Vorteil einer namentlichen Abstimmung ist, daß man ein volles Haus hat; der Anteil der wirklich interessierten Kollegen nimmt dann aber natürlich ab.
Die Steueranhebung ist steuerstrukturpolitisch richtig. Ein zusätzliches Einkommen von 425 Millionen DM beim Bund erlaubt uns, einer Steuersenkung bei der Lohn- und Einkommensteuer in Höhe von 1 Milliarde DM zuzustimmen. Vor allem aber ist
Metadaten/Kopzeile:
998 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Bundesminister Matthöferdie Mineralölsteueranhebung ein unverzichtbarer Teil unserer bisher recht erfolgreichen Strategie zur Verminderung des Ölverbrauchs.Das Leistungsbilanzdefizit, mit dem wir es seit kurzer Zeit zu tun haben, ist ein Signal für die Dringlichkeit des Handlungszwangs, dem wir uns weder entziehen können noch entziehen wollen.Die zweite Ölkrise hat seit Ende 1978 zu einer Verdoppelung der Ölrechnung der Bundesrepublik von 30 auf über 60 Milliarden DM geführt. Wir müssen 1981 mit einem Anstieg der Ölrechnung um weitere 10 Milliarden DM rechnen. Wir führen heute weniger Öl ein als 1973, müssen aber für diese geringere Menge das Vierfache des Betrages zahlen, der damals dafür aufzuwenden war.Unser Leistungsbilanzdefizit betrug 1980 28 Milliarden DM. Es wird in diesem Jahr wahrscheinlich ein bißchen geringer ausfallen. Doch sicher können wir da noch nicht sein. Daraus folgt, daß sich Produktions- und Verbrauchsstrukturen bei uns trotz aller Einsparerfolge insgesamt noch nicht in dem erforderlichen Umfang den veränderten Bedingungen angepaßt haben. Hier bedarf es eines tiefgreifenden Strukturwandels. Wer glaubt, daß dieser ohne Konflikte vor sich geht, irrt sich.Wir haben es hier mit einer Kette von Ursachen und Wirkungen zu tun, die von dem durch die Ölpreisexplosion verursachten Umkippen der Leistungsbilanz hinführt zum Anstieg der Arbeitslosenzahl.Ich betone dies zum wiederholten Mal — weil hier wirklich ein Schlüssel zur Erkenntnis liegt —, daß eine Erhöhung der Mineralölsteuer eine Voraussetzung zur Wiedererreichung und zur Sicherung eines hohen Beschäftigungsstands ist. Solange wir versuchen müssen, das Leistungsbilanzdefizit durch Kapitalimporte zu finanzieren, solange deutsches Kapital wegen hoher ausländischer Zinsen ins Ausland strömt, sieht sich die Bundesbank gehindert, die Zinsen auf ein binnenwirtschaftlich vertretbares Maß zu senken, welches wieder ein gutes Investitionsklima und damit neue Arbeitsplätze schafft. Alle Anstrengungen zur Beschäftigungssicherung könnten vergebens sein, solange die Öleinfuhr der alles beherrschende Bestimmungsfaktor in unserer Leistungsbilanz bleibt.Die weitere Verminderung des realen Verbrauchs ist das einzige Mittel, dieser Gefahr entgegenzuwirken. Dazu ist der Preis das angemessenste und noch am wenigsten einschneidende Druckmittel.Ich kann mich, Herr Kollege Schäuble, über Ihr Mißtrauen in die Kräfte des Marktes nur wundern, wenn Sie unterstellen, daß eine Erhöhung um 7 Pf kein verändertes Verbraucherverhalten herbeiführt. Wir müssen den Mut haben, dem Bürger zu sagen: Wer Vollbeschäftigung will, muß mehr private Investitionen wollen, muß deshalb die Zinsen senken, muß deshalb der Notwendigkeit, durch hohe Zinsen Kapitalimporte anzureizen, entgegenwirken, muß deshalb den Ölverbrauch mindern.Was wir brauchen, ist eine Verminderung unserer strukturellen Ölabhängigkeit. Sie kann nicht allein durch eine Preiserhöhung erreicht werden, allerdings auch nicht ohne sie.Die Mineralölsteuererhöhung fügt sich deshalb in ein Konzept mit vielen Komponenten ein: Maßnahmen zum Abbau der Gas-Öl-Betriebsbeihilfen für den ÖPNV und für die Landwirtschaft, die vielfältigen Initiativen zum Energiesparen im Wohnungsbau, die Förderung der Fernwärme — hier wäre es gut, wenn der schleswig-holsteinische Ministerpräsident ein Investitionshemmnis auf dem Energiesektor beseitigen würde,
indem er seine Zustimmung zu dem gemeinsamen Programm von Bund und Ländern gäbe —, Nutzung industrieller Abwärme, Einsparmaßnahmen bei Bundesbauten, Einstellung oder Verminderung des Ölverbrauchs in Kraftwerken.Aber nach wie vor werden immerhin 28% des Öls im Verkehrsbereich verbraucht. Auch hier müssen wir mit dem Abbau von Ölverbrauchssubventionen, mit der Einführung einer benzinverbrauchsabhängigen Kfz-Besteuerung und mit der Anhebung der Mineralölsteuer ansetzen.
Herr Bundesminister, ich bedaure, Sie noch einmal unterbrechen zu müssen. — Ich darf bitten, daß alle Damen und Herren, die sich im Plenarsaal aufhalten, ihre Plätze einnehmen. — Darf ich bitten! — Bitte sehr.
Wir wollen dem Autofahrer das Autofahren nicht verleiden. Unsere Bürger werden weiterhin mit dem Auto zur Arbeitsstelle, zum Einkaufen, ins Wochenende oder in den Urlaub fahren. Wir wollen gewiß auch erreichen, daß manche überflüssige Fahrt unterbleibt und daß die vier oder fünf Sitze eines PKWS besser als bisher belegt werden. Wir wollen die Marktchancen benzinsparender Kraftfahrzeugtypen verbessern, wir wollen energiesparende Technologien und auf mittlere Sicht auch den Einsatz von Alternativenergien im Individualverkehr fördern.Auf längere Sicht müssen sich viele gesellschaftliche und wirtschaftliche Gegebenheiten auf die Verteuerung der Energie einstellen, auch unsere Wohn- und Verkehrsverhältnisse. Wir haben nach dem Kriege drei Jahrzehnte erlebt, in denen das Benzin, in realer Kaufkraft ausgedrückt, immer billiger wurde. Von diesen Preisen gingen falsche Signale für das Verhalten der Verbraucher aus. Wir haben uns in diesen Jahren daran gewöhnt, große Entfernungen, z. B. von der Wohnung zur Arbeitsstätte, nur unter dem Aspekt des Zeit- und Müheaufwandes und weniger unter Kostengesichtspunkten zu sehen. In Zukunft wird der Faktor Fahrtkosten nicht nur bei der Entscheidung über Wohn- und Arbeitsort wieder eine weit größere Rolle spielen müssen, es wird vielleicht auch bei den Verhandlungen der Tarifpartner darüber gesprochen werden, wie die Belastungen durch Fahrtkosten des Arbeitnehmers verteilt sein sollten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 999
Bundesminister MatthöferNiemand wird gewachsene Wohnstrukturen über Nacht verändern wollen. Dies wäre weder von der Verkehrsbedienung noch vom Wohnungsangebot in den Zentren her zu verkraften. Niemand sollte aber Anpassungsprozesse, die der Energiepreis auf lange Sicht auslöst, künstlich zurückdrängen. Dies schließt nicht aus — im Gegenteil, es ist dringend erforderlich —, daß wir uns darüber Gedanken machen, wie den Fernpendlern die Anpassung an die veränderten Verhältnisse erleichtert und ganz allgemein ein Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel gefördert werden kann.Herr Schäuble hat den Einwurf erhoben, die haushalts- und energiepolitischen Ziele des Entwurfs seien nicht miteinander vereinbar. Wer mit Hilfe der Mineralölsteuer Energie einsparen wolle, könne nicht zugleich auf Mehreinnahmen setzen. Das ist nur scheinbar logisch. Wir können und wollen die Mineralölsteuer nicht zu einer Erdrosselungssteuer machen. Der Mineralölverbrauch wird von heute auf morgen nicht aufhören. Wir sind bei unseren Aufkommensvorausschätzungen von einem stagnierenden Verbrauch ausgegangen. Dies wäre bei zunächst noch weiter steigender Kraftfahrzeugdichte bereits ein beträchtlicher energiepolitischer Erfolg. Wir wissen sehr wohl, daß die von uns zu beschließende Erhöhung dazu beiträgt, die Aufkommensdynamik der größten, ausschließlich dem Bund zustehenden Steuer zu bremsen. Wir werden uns damit im Gespräch mit den Ländern noch zu befassen haben. Der nächste Anlaß wird mit der geplanten Umlegung der Kraftfahrzeugsteuer auf die Mineralölsteuer entstehen. Dieses Projekt werden wir energisch weiterverfolgen. Lieber Herr Schäuble, wenn Sie uns empfehlen, das zu vergessen, dann sage ich Ihnen: Hier wird überhaupt nichts vergessen; dafür werden wir sorgen.
Ich bitte das Haus, dem Gesetzentwurf in der vom Finanzausschuß vorgeschlagenen Fassung zuzustimmen, und verbinde damit meinen Dank an alle, die sich an den Beratungen beteiligt und die rechtzeitige Verabschiedung ermöglicht haben. Ich freue mich, daß in namentlicher Abstimmung festgestellt wird, wer Vorwürfe und Konflikte nicht scheut, um einen Beitrag zur Herstellung der Vollbeschäftigung in unserem Lande zu leisten.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache in der zweiten Lesung.
Wir kommen zur Abstimmung in der zweiten Lesung. — Ich bitte, die Plätze noch einzubehalten, da wir erst in der zweiten Lesung abstimmen müssen. — Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Danke. Enthaltungen? — Das Gesetz ist in zweiter Beratung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Die Fraktion der CDU/CSU hat namentliche Abstimmung beantragt. Damit wird der Antrag ausreichend unterstützt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, darf ich bitten, daß alle Mitglieder, die sich an der Abstimmung beteiligen wollen, sich beeilen. Ich sehe, es wird noch eine kurze Zeit zur Stimmabgabe gewünscht.
Darf ich bitten, daß der Obmann der Schriftführer die Karten auch beim Präsidium einsammelt. Wir wollen uns gern an der Abstimmung beteiligen.
Meine Damen und Herren, der letzte Aufruf an die Mitglieder des Hauses: wer sich an der Abstimmung beteiligen will, den bitte ich, dies unverzüglich zu vollziehen.
Meine Damen und Herren, ich schließe die namentliche Abstimmung und bitte, die Stimmen auszuzählen.
Bis das Ergebnis vorliegt, unterbreche ich die Sitzung für ungefähr 15 Minuten.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.Ich bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen.Ich gebe das vorläufige Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über den Entwurf eines Mineralöl- und Branntweinsteuer-Änderungsgesetzes 1981 auf der Drucksache 9/164 bekannt. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 476 ihre Stimme abgegeben. Davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 259 Abgeordnete gestimmt; mit Nein haben 217 Abgeordnete gestimmt. 17 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben acht Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben neun Abgeordnete gestimmt.
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 475 und 18 Berliner Abgeordnete; davonja: 259 und 8 Berliner Abgeordnete,nein: 216 und 10 Berliner AbgeordneteJaSPDAmlingAntretter Dr. Apel AuchBaackBahrBambergDr. BardensBecker BernrathBiermann BindigFrau BlunckDr. Böhme BörnsenBrandtBrandt
BrückBüchler Büchner (Speyer) Dr. von Bülow BuschfortCatenhusenColletConradiCoppikDr. Corterier CurdtFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDr. von DohnanyiDreßlerDuveDr. EhmkeDr. Ehrenberg EickmeyerDr. Emmerlich
Metadaten/Kopzeile:
1000 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Präsident StücklenDr. Enders Engholm EstersEwenFeileFiebigFischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover)Frau Fuchs GanselGerstl
Dr. Geßner GilgesGinnuttis Glombig Gnädinger Gobrecht Grobecker Grunenberg Dr. Haack HaarHaase
Haehser HansenFrau Dr. Hartenstein HauckDr. Hauff HeistermannHerberholz Herterich HeyennHoffmann Hofmann (Kronach)Dr. Holtz HornFrau Huber Huonker IbrüggerImmer Jahn (Marburg)Jaunich Dr. Jens Junghans Jungmann KiehmKirschnerKlein
KolbowKretkowskiDr. KreutzmannDr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus LeberLennartz LeonhartFrau Dr. Lepsius Leuschner LiedtkeDr. Linde LutzMahneMarschall MatthöferMeinike MeininghausMenzelDr. Mertens MöhringMüller Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNehmNeumann Neumann (Stelle)Dr. Nöbel Offergeld OostergeteloDr. OsswaldPaterna PauliDr. PennerPenskyPeter
Polkehn PoßPurpsRapp
Rappe RayerFrau RengerReschke ReuschenbachReuter RohdeRosenthalRothSanderDr. Schachtschabel Schäfer SchätzSchirmer Schlaga Schlatter SchluckebierFrau Schmedt Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (Hamburg) Schmidt (München)Frau Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmidt (Würgendorf) Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchreiber SchreinerSchröder Schröer (Mülheim) Schulte (Unna)Dr. Schwenk SielaffSielerFrau SimonisFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SperlingDr. SpöriStahl
Dr. StegerSteinerFrau SteinhauerStiegler StocklebenStöcklDr. StruckFrau TerborgThüsing Tietjen Frau Dr. TimmTopmann Frau TraupeDr. UeberschärUrbaniak VogelsangVoigt
VosenWaltematheWalther Wehner WeinhoferWeisskirchen Dr. WernitzWestphal Frau WeyelWieczorek Wiefelvon der WiescheWimmer Wimmer (Neuötting) WischnewskiWitekDr. de WithWolfram WredeWürtz Wuttke Zeitler Frau ZuttBerliner AbgeordneteDr. Diederich Dr. DübberEgertLöfflerFrau LuukDr. Mitzscherling Wartenberg
FDPFrau Dr. Adam-Schwaetzer BaumBeckmann BergerowskiFrau von Braun-Stützer BredehornCronenberg Eimer
Engelhard ErtlDr. FeldmannFrau Fromm FunkeGärtnerGallusGattermann GrünerFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannDr. Hirsch Hölscher HoffieHolstegJung
Dr.-Ing. LaermannDr. Graf LambsdorffFrau Matthäus-Maier MerkerMischnick Möllemann Neuhausen Frau Noth PaintnerPoppRentropDr. Riemer RonneburgerDr. Rumpf Schäfer
Schmidt
von SchoelerFrau SchuchardtDr. Solms TimmDr. Vohrer Dr. WendigWolfgramm WurbsDr. ZumpfortZywietzBerliner Abgeordneter HoppeNeinCDU/CSUDr. AbeleinDr. van Aerssen Dr. AlthammerDr. ArnoldBayhaFrau Benedix-EnglerBiehleDr. BlümBöhm
Dr. BötschBohlBorchert BraunBreuerBrollBrunnerBühler
Dr. Bugl BurgerCarstens
ClemensConrad
Dr. Czaja Dallmeyer Daweke DeresDörflinger Dr. DollingerDr. DreggerEchternachEigenEngelsbergerErhard Dr. Faltlhauser FeinendegenFellnerFrau FischerFischer
Francke
FrankeDr. FriedmannGanz
Frau GeierFrau GeigerDr. von GeldernDr. GeorgeGerlach
Gerstein Gerster
GlosDr. Götz Günther Haase
Dr. Häfele Hanz
HartmannHauser
Hauser
Frau Dr. HellwigHelmrich Dr. HennigHerkenrathvon der HeydtFreiherr von Massenbach HinskenHöffkes HöpfingerFrau Hoffmann
Dr. HornhuesHorstmeierFrau HürlandDr. Hüsch Dr. HupkaGraf HuynJäger
JagodaDr. Jahn
Dr. JenningerDr. Jentsch Dr. JobstJung
Dr. KansyFrau KarwatzkiKeller
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1001
Präsident StücklenKiechleKiepDr. Klein
Klein
Dr. Köhler
Dr. Köhler KösterDr. KohlKolb KrausDr. KreileKrey Kroll-SchlüterFrau Krone-AppuhnDr. Kunz
LamersDr. LammertLampersbachLandréDr. LangnerDr. LaufsLemmrichDr. Lenz LenzerLink LinsmeierLintnerLöher LouvenLowackMaaß MaginDr. MarxDr. Mertes
MetzDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. MikatDr. MiltnerMilzDr. MöllerMüller
Müller
Müller
Nelle NeuhausFrau Dr. NeumeisterNiegelDr. OlderogFrau PackPetersenPfeffermannPfeiferPicardPierothDr. PingerDr. PohlmeierRainerRawe ReddemannRegenspurgerRepnikDr. Riedl
Dr. RiesenhuberRöhnerFrau RoitzschDr. RoseRossmanithRühe RufSauer
Sauer
Sauter
Sauter
Dr. SchäubleSchartz
Schmitz SchmöleDr. SchneiderFreiherr von SchorlemerDr. Schroeder Schröder (Lüneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Dr. Schulte (SchwäbischGmünd)SchwarzDr. Schwarz-SchillingDr. SchwörerSeehoferSeiters SickDr. Freiherr Spiesvon BüllesheimSpilker Spranger Dr. SprungDr. Stark
Graf StauffenbergDr. StavenhagenDr. SterckenStücklen Stutzer Susset Tillmann Dr. TodenhöferDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Volmer Dr. Voss Dr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-ZeilDr. WarnkeDr. von WartenbergWeirich Weiskirch
WeißWernerFrau Dr. WexFrau Will-FeldFrau Dr. WilmsWimmer
WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. WittmannDr. WörnerBaron von Wrangel WürzbachDr. WulffZiererDr. ZimmermannZinkBerliner AbgeordneteAmrehn Bahner Frau Berger
Dr. HackelKalischKunz
LorenzSchulze
StraßmeirDr. von WeizsäckerDamit ist das Gesetz in namentlicher Abstimmung mit Mehrheit angenommen.Es ist noch eine Beschlußempfehlung des Ausschusses zur Abstimmung zu stellen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/164 unter Ziffer 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe den Punkt 3 der Tagesordnung auf:a) Beratung des Jahresgutachtens 1980/81 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung— Drucksache 9/17 —b) Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1981 der Bundesregierung— Drucksache 9/125 —Interfraktionell ist vereinbart worden, daß die Debatte über diesen Tagesordnungspunkt heute bis ungefähr 18.00 Uhr dauern kann und dann beendet sein soll. Wenn die Debatte über diese Materie noch nicht beendet ist, wird sie morgen, Freitag, fortgesetzt.Ich eröffne die Aussprache. Zur Einbringung erteile ich dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung hat im Januar den Jahreswirtschaftsbericht 1981 gemäß § 2 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vorgelegt. Er enthält eine Darlegung der für das laufende Jahr von der Bundesregierung für wahrscheinlich gehaltenen wirtschafts- und finanzpolitischen Entwicklung.Die Bundesregierung nimmt darin außerdem zum Jahresgutachten des Sachverständigenrats vom November 1980 Stellung. Dieses Gutachten hat wie in den Jahren vorher wertvolle Anregungen gegeben. Ich danke dem Sachverständigenrat für seine umfassende und intensive Arbeit. Dieser Dank ist im Laufe der Jahre zur Routine geworden. Das soll ihn aber nicht mindern. Der Sachverständigenrat trägt in der Bundesrepublik maßgeblich zur wirtschaftspolitischen Meinungsbildung bei.Tiefgreifende Veränderungen haben sich in der Weltwirtschaft im Verlaufe der 70er Jahre und zu Beginn der 80er Jahre ergeben. Die wichtigsten wohl sind die abrupte Steigerung der Preise für Energie, insbesondere die Ölpreisexplosion, und die neue internationale Arbeitsteilung mit der zunehmend aufkommenden Konkurrenz der Schwellenländer und der erstarkenden Wettbewerbsfähigkeit Japans und anderen Konkurrenten.Sie finden ihren Ausdruck in unerträglich hohen Inflationsraten in fast allen Ländern, in exorbitanten Leistungsbilanzungleichgewichten, in den in vielen Ländern ausufernden Haushaltsdefiziten und nicht zuletzt in viel zu hoher Arbeitslosigkeit. Hinzu kommen Unsicherheiten in der weltpolitischen Lage. Sie beeinträchtigen die wirtschaftspolitische Aktivität in der Welt zusätzlich.
Metadaten/Kopzeile:
1002 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffDie Bundesrepublik ist mit den Belastungen bisher besser als andere zurechtgekommen. Sie steht im Weltmaßstab noch ganz gut da. Der Bundesminister der Finanzen hat in der Haushaltsdebatte die Vergleichszahlen genannt. Aber dies gibt uns ganz gewiß nicht das Recht zur Selbstzufriedenheit. Auch wir in der Bundesrepublik stehen unter starkem Anpassungszwang. Dieser Anpassungszwang ist so stark, daß wir mit einem Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität rechnen müssen.Der Ölpreisschub von 1979 und 1980 hat unsere Ölrechnung um 30 Milliarden DM gegenüber 1978 verteuert und ein entsprechendes Leistungsbilanzdefizit ausgelöst. Was wir an das Ausland mehr haben zahlen müssen, läßt sich kurzfristig nicht ersetzen. Die Entzugswirkungen der erhöhten Ölrechnung sind es vor allem, die die wirtschaftliche Aktivität jetzt lähmen. Dagegen helfen keine zusätzlichen Staatsausgaben, keine geldpolitischen Konjunkturspritzen und erst recht nicht starke Lohnerhöhungen. Im Gegenteil. Damit würden die notwendigen Anpassungsprozeße nur weiter hinausgeschoben und die Schwierigkeiten verlängert.
Die Bundesregierung hat dies alles im Jahreswirtschaftsbericht eingehend dargelegt und auch versucht, in Zahlen zu fassen. Ich will das hier nicht wiederholen, sondern ich will versuchen, über die Jahresfrist hinauszuschauen. Entscheidend ist, daß wir die Phase des Rückgangs möglichst rasch, aber auch richtig und dauerhaft überwinden; uns nützen keine konjunkturellen Strohfeuer.
Für die 80er Jahre ist entscheidend, daß sich die Umkehr aus der Anstrengung zur Anpassung an die weltwirtschaftlichen Veränderungen ergibt; darauf kommt es an. Ich weiß, daß das schwierig ist. Der Strukturwandel, meine Damen und Herren, der dafür notwendig geworden ist, erfordert unsere ganze Kraft. Unser Leistungswille und unsere Leistungsfähigkeit sowie unsere Umstellungsbereitschaft entscheiden maßgeblich darüber mit, wann wir aus der Talfahrt herauskommen und mit welchem Schwung wir das vor uns liegende Jahrzehnt meistern. Es wird Zeit brauchen, bis wir die Probleme überwunden haben; darüber sollte sich niemand hinwegtäuschen. So lange müssen wir uns wohl oder übel darauf einstellen, daß wir uns anstrengen und hart arbeiten und gleichzeitig den Gürtel auch ein wenig enger schnallen müssen.Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Die mit dem Anpassungsprozeß verbundene Dämpfung der realen Inlandsnachfrage heißt keineswegs, daß unser Wirtschaftswachstum anhaltend schwach bleiben muß, im Gegenteil! Es erwachsen daraus auch neue Wachstumsimpulse.Meine Damen und Herren, die Opposition hat uns — zuletzt noch in der Haushaltsdebatte — vorgeworfen, wir hätten die Wahrheit vor der Wahl nicht auf den Tisch gelegt.
Wer Ohren hatte, zu hören, konnte es im Wahlkampf aus meinem Munde beinahe täglich hören, landauf, landab:
daß es ein Erfolg wäre, wenn es uns am Ende der neuen Legislaturperiode noch so gut geht wie jetzt. — Herr Waigel, ich habe gesagt: wer Ohren hat zu hören; ich füge hinzu: wer auch bereit ist zu hören.Noch, meine Damen und Herren, ist nicht ausgemacht, wie lange sich die strukturelle Anpassung hinzieht. Es liegt an uns, an jedem einzelnen von uns, ob die Wirtschaft über lange Zeit dahinlahmt oder ob wir nur zeitweilig kürzertreten müssen, um langfristig wieder besser dazustehen.Ich verhehle nicht, daß es Risiken gibt, die — aller Anstrengung zum Trotz — zu Rückschlägen führen können. Sie liegen in der Hauptsache in den Geschehnissen an den Ölmärkten, aber auch in einer erneuten Beschleunigung der weltweiten Inflation, was nicht zuletzt auch vom Verhalten der Sozialpartner in den jeweiligen Ländern abhängt.Die Gefahr, daß wirtschaftliches und politisches Fehlverhalten die derzeitige rezessive Wachstumsschwäche in eine länger anhaltende weltweite Rezession abrutschen lassen könnten, ist angesichts der weltweiten Dimension der Schwierigkeiten keineswegs auszuschließen. Aber die Chance, daß es trotz aller Risiken und Unsicherheiten nicht zu einer solch nachhaltigen Wirtschaftsflaute wie 1974/75 kommt, sondern zu einer baldigen Umkehr, ist ohne Zweifel vorhanden. Insbesondere vom Zwang zur Anpassung an die veränderte Energiesituation gehen heute nachhaltige Investitionsimpulse aus.Auch die Notwendigkeit, im internationalen Wettbewerb mitzuhalten, zwingt in den westlichen Industriestaaten vielerorts zu vermehrter Anstrengung. Hinzu kommt. daß im vergangenen weltweiten Aufschwung keine unmäßigen Überkapazitäten und Lagerpositionen aufgebaut wurden; damit ist der Korrekturbedarf reduziert. Außerdem scheint nach den negativen Erfahrungen der Vergangenheit weltweit die Einsicht gewachsen zu sein, daß ölpreisbedingte Einkommenverluste letztlich nicht durch zusätzliche Einkommensforderungen vermieden werden können, sondern daß die Wachstums- und Beschäftigungsprobleme dadurch nur vergrößert werden. Auch haben die Wirtschaftspolitiker gelernt, daß ein Inflationsabbau für dauerhafte Erfolge bei Wachstum und Beschäftigung unabdingbar ist.Für die Bundesrepublik kommt hinzu — ich zitiere den Sachverständigenrat —....daß jetzt, wo neue Anpassungsaufgaben ins Haus stehen, nicht erst die Hypothek einer gescheiterten Wirtschaftspolitik abzutragen ist. Für eine Stabilisierungskrise ... gibt es keinen Anlaß.Mit Sorge, meine Damen und Herren, sehe ich, daß eine zunehmende Zahl von Ländern versucht, die eigenen Schwierigkeiten mit Hilfe protektionistischer Maßnahmen zu Lasten anderer Länder zu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1003
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffbewältigen. Darin liegt eine große Gefahr, die auch mittelfristig geeignet ist, sich lähmend auf die Weltwirtschaft zu legen. Spätestens seit den Erfahrungen mit dem weltweiten Protektionismus in den 30er Jahren wissen wir von der selbstzerstörerischen Wirkung solcher Praktiken. Natürlich würde ein so exportorientiertes Land wie die Bundesrepublik besonders betroffen sein.Die Bundesregierung mißbilligt deshalb auch die Bemühungen verschiedener Branchen in der Europäischen Gemeinschaft um Abschottung ihrer Märkte. Wir verkennen nicht, daß manche Veränderungen im internationalen Handel sich so rasch vollzogen haben, daß einige Bereiche hart erschüttert werden. Hier muß man abfedernd einwirken. Auf Dauer bringen solche Hilfen jedoch keine Lösung.Wie schädlich die Beschränkungen des Handels sein können, zeigt sich jetzt am Beispiel des europäischen Stahlmarktes. Alle staatlichen Interventionen und gemeinschaftlichen EG-Aktivitäten haben nicht verhindert, daß die europäische Stahlindustrie in ihre schwerste Krise in der Nachkriegszeit gestürzt ist.
Entscheidend ist jetzt, daß die strukturelle Anpassung vorankommt und nicht durch immer neue Subventionen gehemmt oder durch gemeinschaftliche Produktionsquoten verhindert wird.
Die anstehende Sitzung des Ministerrats in Brüssel muß hier Fortschritte bringen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Anwendung des Art. 58 des EGKS-Vertrages mit dem 30. Juni enden muß. Die Kommission hat dies bei Inkrafttreten zugesagt, und sie hält erfreulicherweise an ihrem Standpunkt fest.Meine Damen und Herren, auch wenn es sich mit unseren ordnungspolitischen Vorstellungen grundsätzlich nicht verträgt, sage ich hier deutlich: Die Bundesregierung hält für eine Übergangszeit einen auf freiwilligen Absprachen beruhenden geordneten Stahlmarkt in Europa für notwendig. Ich habe die deutsche Stahlindustrie aufgefordert, hierzu beizutragen und — wo notwendig und möglich — die Hilfestellung der Bundesregierung in Aussicht gestellt. Die Bundesregierung hat kein Verständnis für eine Haltung Beteiligter, die eine gemeinsame Lösung verhindert.Damit ich hier nicht mißverstanden werde — denn dies ist ja eine ungewöhnliche Position, die wir einnehmen —, sage ich dies: Hinter dieser Haltung der Bundesregierung steht die Sorge um massive Beschäftigungseinbrüche in der deutschen Stahlindustrie. Diese gilt es jetzt zu verhindern. Dazu bedarf es der Kompromißbereitschaft aller Beteiligten.
Mit Besorgnis erfüllen mich auch die Töne aus der europäischen Automobilbranche oder aus der europäischen Unterhaltungselektronik. Man sollte sich das Beispiel der Stahlindustrie vor Augen halten.
Soll denn dieses Beispiel europäischer Politik für immer weitere Branchen Schule machen?Zum Glück hört man nunmehr aus dem Lager der deutschen Industrie — gerade jüngst aus dem Automobilbereich — mehr und mehr eine offensivere Sprache. Erfreulich ist auch, daß von den deutschen Gewerkschaften kaum protektionistische Töne zu hören sind. Ich möchte beides hier ausdrücklich begrüßen.
Auffällig ist in diesem Spiel vor allem, daß es immer die Großen sind, die sich nach Subventionen und Außenschutz anstellen und uns die Türen einrennen. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung macht aber eine Politik nicht mit, wonach marktwirtschaftliche Prinzipien und Wettbewerb immer nur für die kleinen und mittleren Unternehmen gelten, während sich die Großen dem Wettbewerb mehr oder weniger entziehen.
Der wiederaufkommende Protektionismus ist eine politische Herausforderung von erheblichem Gewicht. Wir stehen vor einer Nagelprobe über das Wohl und Wehe der weltwirtschaftlichen Beziehungen: weltwirtschaftliche Zusammenarbeit oder Konfrontation? Für die Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit hat heute die Devise „Wir sitzen alle in einem Boot" mehr denn je Gültigkeit.
Nichts wäre jetzt schlimmer, als in Defätismus zu verfallen oder nach Nothelfern zu rufen. Dies würde die Gefahr hervorrufen, daß wir in einen kumulativen Abschwung hineingleiten, dessen Bewältigung uns wahrscheinlich Jahre kosten würde.Es kann nur die Schlußfolgerung gezogen werden, daß wir uns noch mehr anstrengen müssen. Ich habe den Eindruck, daß sich diese Ansicht dank der intensiven und verbreiteten Diskussion über die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf den internationalen Märkten in unserem Lande weit durchgesetzt hat. Insofern hat die von mir begonnene sogenannte Japan-Diskussion jedenfalls Problembewußtsein geschaffen.Meine Damen und Herren, ich bedaure allerdings, daß es immer noch Diskussionsteilnehmer gibt, die wider besseres Wissen behaupten, ich hätte in diesem Zusammenhang die deutschen Arbeitnehmer der Faulheit bezichtigt.
Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister, Professor Jochimsen, sollte ebenso wie der Oppositionsvorsitzende, Dr. Kohl, aufhören, diese wahrheitswidrige Behauptung zu verbreiten.
Metadaten/Kopzeile:
1004 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffMeine Damen und Herren, für die Lösung der anstehenden Aufgaben gibt es sicher keine Patentrezepte.
Wir können uns aber nicht mit zeitraubenden Debatten oder Optionen auf Papier und Denkpausen über den Berg bringen.
Im übrigen sollten diejenigen, die sich für Denkpausen aussprechen, für sich selber auch Lohnpausen akzeptieren.Es muß gehandelt werden, von jedem einzelnen und den Politikern. Ich sage: von jedem einzelnen und den Politikern. Das gilt selbstverständlich in erster Linie für Regierung und Koalitionsparteien. Denn uns hat der Wähler am 5. Oktober 1980 den Auftrag dazu gegeben.
Einen Teil der Bedingungen, die sich jetzt als hinderlich erweisen — in einer völlig neuen Situation; ich diskutiere gar nicht darüber, ob die Bedingungen damals richtig oder falsch waren; jedenfalls erweisen sie sich jetzt als hinderlich —, haben wir selber gesetzt.
wir müssen auch die Kraft aufbringen, sie den jetzigen Erfordernissen anzupassen. Aber, meine Damen und Herren, auch die Opposition ist gefragt. In vielen Fällen hat sie in Bund und Ländern dazu beigetragen, die jetzigen Schwierigkeiten herbeizuführen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Wunsch für diese Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht äußern. Halten wir uns bitte nicht zu lange mit der Bewältigung der Vergangenheit auf!
Die Zukunft verlangt Problemlösungen völlig anderer Art. Jeder Rat, auch und vielleicht gerade der der Opposition,
für die Bewältigung der Zukunft ist von Wert. Er wird sorgfältig geprüft werden. Aber Nachkarten hilft nicht.
Vor allem die unbefriedigende Beschäftigungslage erzwingt Antworten. Die hohen Arbeitslosenzahlen dürfen uns nicht durch die 80er Jahre begleiten.
Wir dürfen nicht zulassen, daß durch Arbeitslosigkeit so viele unserer Mitmenschen an einem erfüllten Leben gehindert werden. Wir können nicht hinnehmen, daß so viele Menschen von der Zusammenarbeit ausgeschlossen, mit finanzieller Unterstützung abgefunden und mattgesetzt werden. Wir können es uns auch nicht leisten, den Arbeitswillen so vieler Menschen zu ignorieren. Wir müssen also danach trachten, diese Menschen so bald wie möglich wieder an unserer Arbeit zu ihrem und unser aller Wohl mitwirken zu lassen.
Das ist die erste Priorität in Sachen Lebensqualität.
Ich bitte, mich nicht mißzuverstehen. Es kann keine selbstverständliche Vollbeschäftigungsgarantie geben. Das hat der Kollege Matthöfer kürzlich hier unterstrichen. Niemand kann sie geben und einlösen.
Ich wiederhole deshalb, was der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung gesagt hat:Die Unternehmen, beide Tarifpartner, Regierungen und Gesetzgeber in Bund und Ländern und die Bundesbank tragen auch künftig gemeinsame Verantwortung für einen hohen Beschäftigungsstand.Je früher wir alle, meine Damen und Herren, damit anfangen, uns auf die neuen weltwirtschaftlichen Bedingungen einzustellen, desto eher werden wir auch die Durststrecke überwinden. Wer damit als erster beginnt, wird auch schon bald die Nase vorn haben.In einer Zeit, in der die Anforderungen an den Leistungswillen und die Umstellungsbereitschaft wohl größer waren als heute — nämlich damals, vor 35 Jahren, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs —, haben wir auf die dynamischen Kräfte der Marktwirtschaft gesetzt. Die Wirtschaftspolitik hat damals und seither Sorge dafür getragen, daß die Voraussetzungen für das Funktionieren dieser Ordnung erhalten blieben. Unsere Wettbewerbspolitik und unsere Stabilitätspolitik stehen dafür. Wir sind mit diesem Konzept hervorragend gefahren, und das Konzept hat uns bis heute weitergetragen. Deshalb steht die Bundesrepublik Deutschland heute im Weltmaßstab besser da als andere Länder.Und nicht nur das; sie ist auch gut gerüstet, mit den anstehenden Schwierigkeiten fertig zu werden. Wir haben nicht nur eine Infrastruktur, die uns im Weltmaßstab als Industriestandort besonders qualifiziert, der deutsche Produktionsapparat ist modern, er arbeitet mit Spitzentechnologien, wobei wir allerdings erkennen müssen, daß vor allem die Vereinigten Staaten und Japan in bestimmten Bereichen, wohl auch dem der Mikroelektronik, an uns vorbeiziehen. Die Ausbildung der deutschen Arbeitskräfte
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1005
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffund ihre Arbeitsmoral sind gut und in der Welt angesehen.
Wir haben eine gesunde Unternehmensstruktur. Vor allem die breite Basis der kleinen und mittleren Unternehmen verleiht unserer Volkswirtschaft Flexibilität und schöpferische Kraft, und wir haben eine breite Produktpalette auf technisch hohem Standard, mit der wir auf den Weltmärkten antreten können.
Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang auch ein Wort zur Wirkung der Entwicklung des D-Mark-Wechselkurses. Die D-Mark hat sich seit 1979 nominal und real beträchtlich abgewertet. Dieser Prozeß hat sich zuletzt, zum Teil sicherlich spekulativ bedingt, beschleunigt. Im Januar lag der reale, gewogene Außenwert der Deutschen Mark gegenüber dem Stand von Ende 1979 um knapp 10 % niedriger. Allein gegenüber dem US-Dollar ergab sich ein Minus von knapp 20 %. Eine solche Entwicklung bleibt kurzfristig natürlich nicht ohne negative Rückwirkungen auf unsere interne Preisentwicklung und auf unsere Zahlungsbilanz. Immerhin bedeutet bei einer Ölrechnung von rund 60 Milliarden DM eine nominale Abwertung um 1 % gegenüber dem US-Dollar eine Mehrbelastung unserer Leistungsbilanz von rund 0,6 Milliarden DM, soweit es nicht zu Einsparungen kommt. Das erhöht sicherlich unsere Schwierigkeiten.Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die Rückführung des realen D-Mark-Wechselkurses bedeutet gleichzeitig eine Verbesserung der Wettbewerbschancen unserer Wirtschaft gegenüber dem Ausland und trägt auf längere Sicht dazu bei, die notwendige Verbesserung unserer Leistungsbilanz zu erleichtern. Auch diesen Aspekt sollte man nicht außer acht lassen.Aus alledem ergibt sich: Unsere gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind vergleichsweise gut. Die marktwirtschaftliche Ordnung hat sich als außerordentlich wirksam erwiesen. Sie ist keine Schönwetterveranstaltung, und wir setzen deshalb auch weiterhin auf die Dynamik unserer Marktwirtschaft, auf die Leistungsfähigkeit unserer Industrie und unserer Arbeitnehmer und auf die Kraft des einzelnen, mit den Schwierigkeiten fertig zu werden.
Für uns schlägt zudem der Stabilitätsvorsprung gegenüber anderen Ländern zu Buche, und nicht zuletzt haben wir einen konstruktiven Konsens der Sozialpartner, der in der Vergangenheit und auch heute zu unserer wirtschaftlichen Stärke entscheidend beigetragen hat.
Ein amerikanischer Journalist, der die Bundesrepublik sechs Wochen lang bereist hatte, hat kürzlich ein Interview mit mir mit folgender Frage eingeleitet: „Ihr Land lebt in ungewöhnlichem Wohlstand, seine Infrastruktur ist vorzüglich, die Verkehrsverhältnisse sind in Ordnung, die großen Städte funktionieren und sind sogar sauber. Haben Sie jetzt den Punkt erreicht, an dem das zu Ende geht?" Ich fand und finde auch heute noch, daß wir über diese Frage ernsthaft nachdenken müssen. Wer die Länder der industrialisierten Welt kennt, wird in der Tat sagen müssen, daß die Bundesrepublik alles in allem ihren Bürgern vergleichbar hohe Lebensqualität bietet, auch in unseren großen Städten. Aber jetzt wird sichtbar, daß uns Fehlentwicklungen im Wohnungsmarkt und Ölpreisauswirkungen auf den öffentlichen Personennahverkehr vor ähnliche Probleme stellen. Werden wir in der Lage sein, durch mehr Leistung einerseits und etwas mehr Bescheidenheit andererseits die Balance zwischen Wünschbarem und Möglichem zu halten?Für uns, für die Bundesregierung — ich bin sicher, für alle in diesem Haus —, stellt sich nun die Frage, wie eine adäquate Wirtschaftspolitik in dieser Situation auszusehen hat.Eine Sackgasse betreten wir mit Sicherheit, wenn wir uns nach außen abschotten, weniger arbeiten oder vor den Schwierigkeiten resignieren wollten. Für ein so stark außenhandelsorientiertes Land wie die Bundesrepublik wäre das der Anfang vom Ende.Eine Sackgasse wäre es aber auch, das Heil im Ruf nach staatlichen Nachfrageprogrammen und Dirigismen zu suchen. Der Staat kann das, was jetzt zu leisten ist, so nicht leisten. Darauf hat auch der Kollege Matthöfer gerade vor 14 Tagen in der Haushaltsdebatte mit Nachdruck hingewiesen. Ich zitiere ihn:Wir haben es eben nicht mehr nur mit zyklischen Schwankungen zu tun, die durch globale antizyklische Geld-, Kredit- und Finanzpolitik ausgeglichen werden könnten.Und an anderer Stelle fuhr er fort:Aus heutiger Sicht halte ich es nicht für angebracht, neue zusätzliche Ausgabenprogramme zu beschließen. Sie können nicht die wirtschaftlichen Probleme lösen, vor denen wir stehen.
Neuartige Infektionen heilt man nicht nach alten Rezepturen. Ich war dankbar dafür, daß Karl Schiller, einer der Väter des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes, in dieselbe Kerbe gehauen und gesagt hat, daß die Instrumente dieses Gesetzes derzeit nicht anwendbar seien. Für eine Lage, bei der vor allem die Angebotsseite einen Bedarf an Strukturanpassung hat, ist nicht Keynesianische Nachfragepolitik, sondern eben vor allem Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Angebots- und Anpassungsbedingungen gefragt.
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik — so klang es kürzlich fast triumphierend von dieser Stelle aus dem Munde von Franz Josef Strauß —
Metadaten/Kopzeile:
1006 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffsind alle vier Ziele des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes gleichzeitig verfehlt. Ja, er hat recht.
Aber wie hätte sich angesichts der großen Belastung eine solche Konstellation wohl vermeiden lassen sollen? Der bayerische Ministerpräsident hat dafür keine Patentrezepte geliefert. Das konnte er auch gar nicht; denn ihm ist genauso klar wie uns, daß die weltwirtschaftlichen Störungen nicht von heute auf morgen abgefangen werden.Die Ziele des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes sind in dieser Situation objektiv nicht erreichbar. Sie werden in keinem industrialisierten Land der westlichen Welt erreicht und in fast allen Ländern erheblich deutlicher verletzt als bei uns.
Jetzt kommt es darauf an — ich wiederhole das —, daß wir international unsere Wettbewerbsposition verbessern oder — um den IG Metall-Vorsitzenden Loderer bei seiner Rückkehr aus Japan zu zitieren — daß wir etwas mehr spurten. Dazu müssen wir die Kosten senken und die Produktivität erhöhen. Nicht zuletzt gilt es, neue Märkte zu erschließen. Dafür sind mehr Investitionen, mehr technische Neuerungen, mehr Export und entsprechende unternehmerische Entscheidungen nötig.
Gerade den jüngeren Arbeitnehmern, aber natürlich auch den anderen, möchte ich zu bedenken geben, daß es im Strukturwandel nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner gibt. Auch der Strukturwandel eröffnet Chancen für neue Aktivitäten. Wer diese ergreifen will, muß sich darauf durch möglichst gute Ausbildung vorbereiten.Wir wissen, daß es fast unmöglich ist, Erfahrungen von einer Generation auf die andere erfolgreich weiterzugeben. Es ist für die Älteren schwer, ihren Kindern begreiflich zu machen, welche Leistungen beim Wiederaufbau der Bundesrepublik Deutschland vollbracht worden sind. Es ist schwer, ihnen zu schildern, welche Kräfte bei uns vorhanden waren, die uns aus der Hoffnungslosigkeit der Nachkriegsjahre auf den heutigen Stand von Wirtschaft und Gesellschaft gebracht haben. Vielleicht bedarf es jetzt einer ähnlich großen Anstrengung aller wie damals. Ihre Notwendigkeit ist aber schwer zu erklären, weil Leistungsbilanzdefizite und Einbußen an Wettbewerbsfähigkeit für den einzelnen viel weniger greifbar sind als Trümmer und Ruinen, die man wieder aufbauen muß.Tragen wir alle mit dazu bei, daß jeder unserer Mitbürger, vor allem die jüngere Generation, erkennen kann, was jetzt Notwendigkeit, Aufgabe, aber auch Chance ist!Der Staat hat die Aufgabe, die Grundvoraussetzungen für das Funktionieren unserer marktwirtschaftlichen Ordnung zu erhalten und zu verbessern, also Stabilität der Preise zu sichern und den Wettbewerb zu garantieren, d. h. aber auch die Wirtschaft mit Bürokratismen nicht mehr als nötig zu belasten, von direkten Interventionen freizuhalten und Investitionshemmnisse abzubauen. Angesprochen sind vor allem die Bereiche Wohnungsbau, Kraftwerksbau und Telekommunikation, aber auch Fernwärme- und Umweltschutzinvestitionen. Hier, meine Damen und Herren, liegt wahrscheinlich ein Investitionsvolumen brach, das jedes öffentliche Ausgabenprogramm, auch wenn es über mehrere Jahre verteilt würde, weit in den Schatten stellt.
Ich möchte mich nicht auf Zahlenspiele über die Höhe des Investitionsstaus einlassen. Jeder, der sich mit der Materie näher befaßt hat, weiß, wie schwierig oder gar unmöglich es ist, klare Ziffern aufzustellen. Über den Sachverhalt — so ist mein Eindruck auch aus vergangenen Debatten — besteht unter uns kein Dissens.In meinem Gespräch mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund umriß ein Gewerkschaftsvorsitzender den Tatbestand im Wohnungsbau zutreffend wie folgt: Wir haben Wohnungsmangel, anlagesuchendes Kapital, nicht ausgelastete Kapazitäten und zurückgehende Beschäftigung in der Bauindustrie. Wir müssen dafür sorgen, daß dies wieder zueinander kommt.Das ist völlig richtig gesehen. Es stellt sich die Frage: Wie kann man das erreichen? Sicherlich nicht so wie König Friedrich Wilhelm I. von Preußen, der seinen wohlhabenden Bürgern in Potsdam und Berlin Grundstücke schenkte und das mit dem Kommentar versah: Der Kerl hat Geld, der muß bauen! — Das war eine etwas frühe Form des Baugebots.Meine Damen und Herren, um der Wohnungsnachfrage, insbesondere in den Großstädten, besser Rechnung zu tragen und um die Beschäftigungsmöglichkeiten in der Bauwirtschaft besser zu nutzen, wird die Bundesregierung daher ein wohnungspolitisches Gesetzgebungsprogramm vorlegen. Vor allem soll dadurch die Investitionsbereitschaft privater Anleger im frei finanzierten Wohnungsbau gestärkt werden. Im sozialen Wohnungsbau sollen schrittweise mehr marktwirtschaftliche Elemente eingeführt und die Fehlbelegung vermindert werden. Die Instrumente des Bundesbaugesetzes sollen verbessert werden, um das Angebot an Bauland zu vergrößern.Wichtig ist, daß vor allem die private Wirtschaft die Anstöße der Regierung schnell aufgreifen kann und wieder mehr privates Kapital im Geschoßwohnungsbau investiert wird. Wer jedoch einerseits beim Bund 10 % mit freundlicher Bedienung durch die Bundesschuldenverwaltung und andererseits im Mietwohnungsbau 0 % mit Ärger und Verdruß bei Mietern, Behörden und Gerichten erhält, für den ist die Wahl wohl leicht.
Die Idee eines Sozialpfandbriefs löst dieses Problem auch nicht; ich halte sie übrigens nicht nur deshalb für verfehlt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1007
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffIch weiß, meine Damen und Herren, daß es in der privaten Versicherungswirtschaft, deren Investitionen im Geschoßwohnungsbau in den letzten Jahren alarmierend zusammengeschmolzen sind, eine Diskussion darüber gibt, ob die jetzt vorgeschlagenen Maßnahmen, vor allem die Begrenzung auf Neubauten, ausreichend sind. Aber ich bitte meine früheren Kollegen aus der Versicherungswirtschaft — ich darf das vielleicht einmal so formulieren — dringend darum, mit uns gemeinsam einen Weg zu gehen, an dessen Ende meines Erachtens sicher weitere Auflockerungen stehen müssen. Wenn wir jetzt Ergebnisse erzielen, die beide Seiten für akzeptabel halten, dann wird die Bereitschaft, diesen Weg auch weiter zu gehen, wachsen. Nach 60 Jahren Zwangswirtschaft in der Wohnungswirtschaft kann beim ersten Schritt die Welt nicht in Ordnung gebracht werden.
Meine Damen und Herren, der Sektor mit den zur Zeit größten Investitionsschwierigkeiten, aber auch großen Chancen, einen positiven Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu leisten, ist der Energiebereich. So, wie die dramatischen Veränderungen im internationalen Ölangebot seit 1973 den entscheidenden Anstoß für den strukturellen Anpassungsprozeß gegeben haben, so kann dieser Sektor nunmehr entscheidenden Anlaß bieten für Investitionen und Innovationen, die das Gesamtklima positiv beeinflussen. Fehlentwicklungen in diesem Bereich und weitere Zeitverluste können wir uns nicht leisten. Wenn wir unseren Lebensstandard halten wollen und mehr exportieren müssen, so geht das nur mit einer modernen Industrie und sicher nicht in einer postindustriellen Gesellschaft, die in schöner, natürlicher Landschaft Blaupausen produziert und nur diese exportiert.
Wir müssen diese Technik bei uns selber bauen und anwenden. Die Bundesrepublik ist nicht vorstellbar ohne Industrielandschaft. Dazu gehören auch Kraftwerke, und zwar Kohlekraftwerke und Kernkraftwerke. Dazu gehören weiter Kohleveredelung und optimale Nutzung der Fernwärme.Bund und Länder werden auch bald entscheiden, in welcher Form das 1982 auslaufende Energiesparprogramm mit stärkerer Konzentration auf die Energietechniken fortgesetzt wird. Ich brauche nicht zu wiederholen, daß wir den hohen Ölanteil an der deutschen Energieversorgung mit allen Anstrengungen verringern müssen. Wir sind mit dieser Politik erfolgreich, wie die Zahlen zeigen, vor allem im internationalen Vergleich. Aber wir können nicht stehen bleiben. Angesichts der Konzentration der Weltölförderung in politisch sensiblen Regionen ist auch ein Ölanteil von 49 % nicht tolerabel. Er muß weiter abgebaut werden. Die Auswirkung auf die Leistungsbilanz ist offensichtlich.Diese Politik verlangt, daß wir alle, aber auch alle uns zur Verfügung stehenden Energiereserven nutzen. Wegen der deutschen Steinkohle haben wir diese Politik mit der bis 1995 reichenden Vereinbarung zwischen dem deutschen Steinkohlenbergbau und der deutschen Elektrizitätswirtschaft abgesichert. Seit dem 1. Juni 1981 sind die deutschen Grenzen für Importkohle in entsprechend großen Kontingenten offen. Wer immer noch klagt, die Kontingente seien nicht groß genug,
der lese bitte den Leitartikel im Wirtschaftsteil der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von gestern. Die deutsche ölverbrauchende Industrie muß, wo sie dies technisch kann, von diesem Angebot schnellstens Gebrauch machen und für Kohleeinsatz investieren. Ihre internationalen Konkurrenten in Japan, Frankreich, Italien und natürlich den Vereinigten Staaten sind in starkem Wettbewerb um preisgünstige Angebote auf dem Weltkohlemarkt.Die Bundesregierung sieht mit Sorge, daß die deutsche Industrie zögert, die bequemen Energieträger Öl und Gas zu verlassen und wieder zur Kohle zurückzukehren. Sie sollte sich aber klar darüber sein, daß dies unvermeidlich ist, wenn sie in den Energiekosten mit ihren Wettbewerbern in den anderen Industrieländern dieser Welt Gleichstellung anstrebt. Ich mache darauf aufmerksam — das muß man auch tun —, daß auch Kohleimporte die Leistungsbilanz belasten. Da das Ausweichen auf deutsche Steinkohle seine Grenze in den Haushaltsbelastungen findet, kann Kohle allein unsere Probleme nicht lösen.
Risikoverminderung in unserer Energieversorgung geht nicht ohne friedliche Nutzung der Kernenergie.
Der Herr Bundeskanzler und ich haben anläßlich der Debatte über den Haushalt 1981 hierzu klar und unmißverständlich die Position der Bundesregierung zum begrenzten Ausbau der Kernenergie festgehalten. Die Bundesregierung hat die Voraussetzungen für die zweite Teilerrichtungsgenehmigung für Brokdorf geschaffen, und, wie ich höre, wird die Landesregierung Schleswig-Holstein darüber heute entscheiden.Die Bundesregierung ist gewillt, auch ihren Beitrag zur Verbesserung der Genehmigungsverfahren für Kernkraftwerke zu leisten. Dies geht aber nur im Einvernehmen mit den Ländern. Dabei ist keine Frage, daß Sicherheit und Rechtsschutz nicht zur Debatte stehen. Worum es primär geht, ist, administrativ und organisatorisch die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß Genehmigungsablauf und Genehmigungszeitraum wieder kalkulierbarer für die Investoren und für die Hersteller der Kraftwerke und ihrer Ausrüstungen werden. Die Mehrkosten, die aus Verzögerungen einzelner Projekte entstehen, treffen alle Stromverbraucher, vor allem aber unsere Industrie, jedoch nicht nur diese.Damit ist der Zusammenhang zwischen rechtzeitiger Bereitstellung der notwendigen Kernenergie, der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie, der Beschäftigung in unseren Unternehmen und der
Metadaten/Kopzeile:
1008 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorfflängerfristigen Sicherung der Arbeitsplätze offensichtlich. Wir müssen natürlich auch die Kernenergie im Gesamtkonzept unserer Energiepolitik und im Zusammenspiel aller Energieträger sehen. Daran besteht kein Zweifel. Auch mit Hilfe anderer Energieträger, vor allem mit Gas und Kohle, bemühen wir uns zu diversifizieren und von einzelnen Ländern möglichst unabhängig zu sein. Aber die Kernenergie ist ein wichtiger Teil dieser Politik der Risikominderung.Die Bundesregierung wird die gesamte Übersicht auf die nationale und internationale energiepolitische Situation, die Erfolge und weiteren Notwendigkeiten in der Dritten Fortschreibung des Energieprogramms darlegen und diese Fortschreibung im Spätsommer vorlegen.Im Bereich der Telekommunikation ist die technologische Entwicklung in letzter Zeit stärker vorangekommen, als noch vor ein bis zwei Jahren vermutet wurde. Der Aspekt einer Vermehrung des bloßen Fernsehkonsums ist in den Hintergrund getreten. Die neuen Kommunikationstechnologien sollten nicht gleichgesetzt werden mit der Möglichkeit zu übermäßiger und nur passiver Fernsehunterhaltung. Nur in dieser Hinsicht, aber sehr wohl in dieser Hinsicht mit vollem Recht — ich möchte das unterstreichen —, sollte und kann gefragt werden, ob wir uns auf diesem Gebiet alles leisten sollten, was technisch möglich wäre.Aber die neuen Technologien für die Telekommunikation eröffnen in den kommenden Jahren bemerkenswerte Möglichkeiten aktiver Kommunikation zwischen den einzelnen Menschen in Bild und Ton über beliebige Entfernungen. Sie können in der Zukunft die Informations- und Dispositionsmöglichkeiten jedes einzelnen Bürgers, unserer Unternehmen, Forschungs- und Bildungsstätten eindrucksvoll erweitern. Vor allem die gewerbliche Nutzung im Bereich produzierender und dienstleistender Unternehmen eröffnet neue Chancen. Gespräche mit Blickkontakt und der Austausch von Informationen zwischen Unternehmen mit hoher Geschwindigkeit und damit mit großer Zeitersparnis werden auch verkehrs- und energiewirtschaftliche Probleme verändern und erleichtern können.Wir stehen heute vor dem Anfang dieser Entwicklung in das „Informationszeitalter". Deutsche Unternehmen haben auf diesem Gebiet heute noch gute, ja sogar führende Startpositionen. Aber schon in zwei oder drei Jahren wird auf dem Weltmarkt ein heftiger Wettbewerb um die Marktanteile auf dem Gebiet der Telekommunikation einsetzen.
Unsere Wirtschaft hat jetzt die Möglichkeit, in diesem Wettbewerb zu bestehen, große Marktchancen zu nutzen sowie Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern. Voraussetzung dafür ist jedoch, daß wir unverzüglich unser Telekommunikationsnetz auf die Erfordernisse und Möglichkeiten der Zukunft umrüsten, um den Unternehmen die Anwendung für die aktive Kommunikation zwischen Individuen und zu vorderst für die geschäftliche Kommunikation zu ermöglichen. Nur so können wir unseren Platz in den ersten Rängen der technologisch fortgeschrittenen Industrienationen behalten. Diese Chance durch Zögern und vor allem langsames Denken und Unentschlossenheit verstreichen zu lassen, bedeutet in meinen Augen, auf das Niveau einer zweit- oder drittrangigen Industriewirtschaft abzusinken — mit allen dramatischen Konsequenzen für Beschäftigung und Lebensstandard unserer Bevölkerung auf lange Zeit.
In diesem Bereich liegen heute greifbare Investitions-, Innovations- und Beschäftigungsmöglichkeiten in beachtlichem Maßstab, die wir jetzt brauchen und die wir uns nutzbar machen müssen.Meine Damen und Herren, zum Thema Investitionshemmnisse gehört auch das Thema „Bürokratismus". Allerdings sind die Schwachstellen hier nur schwer oder gar nicht auszumachen. Dennoch liegt das Problem auf der Hand. Welcher Unternehmer kennt nicht die Schwierigkeiten beim Erhalt von Genehmigungen für Investitionsvorhaben? Was rede ich von Unternehmern! Welcher Bauherr kennt nicht die Schwierigkeiten beim Bau seines Einfamilienhauses? Die Zahl der Formulare und Genehmigungsinstanzen wird immer größer und komplizierter. Ich will hier keineswegs einer lascheren Handhabung von Umweltauflagen, Arbeitsschutzbestimmungen und anderen Dingen das Wort reden, aber diese Bestimmungen dürfen nicht dazu führen, daß die notwendigen Entscheidungen aus Mutlosigkeit und Verantwortungsscheu von einem Schreibtisch auf den anderen verschoben werden.
So blockiert man privatwirtschaftliche Initiative auf sehr subtile, allerdings sehr wirksame Art. Es muß auch einmal der Mut aufgebracht werden, Entscheidungen zu fällen.
Eine solche Politik zur Ermutigung von Investitionen, technologischen Neuerungen und Strukturanpassungen ist per se nötig, sie ist aber um so dringender, weil der Handlungsspielraum der Finanz-und Geldpolitik zur Zeit vor allem durch außenwirtschaftliche Zwänge äußerst begrenzt ist.Einen wichtigen Beitrag zur Besserung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen leistet der Staat dadurch, daß er seine Finanzen mittelfristig auf eine solide Basis stellt. Von diesem Ziel dürfen wir nicht abkommen, und zwar sicherlich für mehrere Jahre, trotz schwieriger wirtschaftlicher Lage. Es gilt, wieder mehr Freiraum an den Kapitalmärkten auch für private Investitionen zu schaffen, und es gilt, das Vertrauen in die Solidität der öffentlichen Finanzen zu erhalten. Das beides scheinen mir wichtige Argumente zu sein.Meine Damen und Herren, wenn ich hier von Konsolidierung rede, so kommt es sicherlich auch auf das richtige Maß und das kurzfristige Timing an.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1009
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffVor allem Steuerausfälle auf Grund der schwächeren wirtschaftlichen Aktivität müssen wir jetzt hinnehmen. Dasselbe gilt für die Finanzierung erhöhter Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit wegen der gestiegenen Zahl der Arbeitslosen. Würden wir anders handeln, wäre das Politik à la Brüning. Das wäre sicherlich falsch.
Konsolidierung, meine Damen und Herren, heißt vor allem Begrenzung des Ausgabenanstiegs, und zwar eine Begrenzung des Ausgabenanstiegs auf mittlere Frist unterhalb des nominalen Anstiegs des Bruttosozialprodukts.
Solide Finanzpolitik muß damit verbunden sein, die Struktur unserer öffentlichen Haushalte dahin gehend weiter so zu verbessern, daß den wachstumsfördernden Maßnahmen mehr Gewicht zukommt. Diese Aufgabe der Umschichtung ist nicht in einem Kraftakt zu leisten. Sie wird deshalb auch in den kommenden Jahren viel von uns fordern. Wir sollten uns darüber keine Illusionen machen.Aus meinen Worten, meine Damen und Herren, ersehen Sie, daß ich — wie ich schon im Wirtschaftsausschuß sagte —, ganz gewiß kein Gegner von staatlichen Anreizen für öffentliche und private Investitionen bin. Nur gilt es zu beachten: Aus den vorhin genannten Gründen werden die hohen Defizite vorerst noch größer. Deshalb darf es ein einfaches Draufsatteln nicht geben. Das wäre — wie es so schön heißt — kontraproduktiv.Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang möchte ich auch ein Wort zu den Leistungsgesetzen sagen. Damit ich aber hier nicht mißverstanden werde, dies vorweg: Das soziale Netz steht nicht zur Disposition.
Niemand beabsichtigt, daran zu rühren. Nur sollte man darüber nachdenken, ob alles das, was früher einmal entschieden wurde, heute noch von solcher Dringlichkeit ist. Zum Teil haben sich auch Mißbräuche zum Schaden der Solidargemeinschaft herausgebildet, denen entgegengewirkt werden muß.
Hier müssen wir die Dinge ernsthaft prüfen. In diesem Sinne, aber auch nur in diesem Sinne, dürfen auch die Leistungsgesetze nicht tabu sein.
Meine Damen und Herren, zur Konsolidierung auf der Ausgabenseite gehört schließlich auch, daß wir auf einen effizienteren Einsatz der vorhandenen Mittel im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik hinwirken. Ich denke hier insbesondere an die Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung und an Eingliederungsbeihilfen für besonders schwer vermittelbare Personen; denn gerade hier hat sich in der Vergangenheit gezeigt, daß sie nur zu einer relativ geringen Anzahl wirklich dauerhafter Arbeitsplätze führten bzw. durch hohe Mitnehmereffekte ausgenutzt worden sind.Ein weiterer und wichtiger Teil finanzpolitischer Aktivität wird schließlich im Abbau von Subventionen liegen. Die Schädlichkeit von Dauersubventionen brauche ich Ihnen nicht darzulegen. Sie lähmen Eigeninitiative und Kreativität genauso wie protektionistische Maßnahmen oder andere staatliche Interventionen. Trotz der mehrjährigen Aufgaben in der Finanzpolitik gilt im Prinzip auch hier dasselbe, was ich vorhin schon gesagt habe: Je früher und beherzter wir unsere Sache anpacken, desto früher sind wir über den Berg, desto mehr leisten wir für eine solide gesamtwirtschaftliche Basis in der Mitte der 80er Jahre. Auch deshalb sollten wir schon bei den anstehenden Haushaltsberatungen die hier vorgetragene Linie noch besser berücksichtigen.In einem Dilemma, meine Damen und Herren, steckt unsere Geldpolitik. Aus binnenwirtschaftlichen Gründen wäre zwar eine expansivere Linie mit dem Ergebnis von Zinssenkungen angezeigt; die Stärke der außenwirtschaftlichen Einbindung der Bundesrepublik aber engt ihren Handlungsspielraum erheblich ein. Vor allem die inflationsbedingten hohen Zinsen des Auslands erschweren die Finanzierung unseres Leistungsbilanzdefizits und üben so einen Druck auf den Wechselkurs aus, der seinerseits die Bereitschaft zur Anlage in D-Mark dämpft. Die Zinsdifferenz zum Ausland erklärt aber nicht alles.
Die jüngste Schwäche der D-Mark hat sich nämlich nicht bei steigenden Zinsdifferenzen eingestellt, sondern bei eher sinkenden. Eigentlich hätte sich also der Druck auf die D-Mark in letzter Zeit verringern müssen, zumal auch noch die Inflationsraten im Ausland zugunsten der deutschen Mark wirken. Tatsächlich aber hat er sich erhöht. Es muß also noch andere Gründe geben, die die Entwicklung der D-Mark und des Dollars erklären.
Einmal herrscht an den Devisenbörsen bislang der Eindruck vor, daß noch keine deutliche Tendenz zur Verbesserung unserer Leistungsbilanz erkennbar ist.
Zum anderen sind wohl Irritationen über unseren energiepolitischen Kurs nicht ohne Einfluß auf das internationale Vertrauen in die D-Mark geblieben.
Ich gehe davon aus, daß sich das wieder legt. Aber Devisenmärkte reagieren nun einmal überempfindlich.
Neben solchen hausgemachten Gründen gibt es auch Faktoren, die für eine besondere Dollar-Stärke und gegen eine ausgeprägte D-Mark-Schwäche sprechen. Ich denke hier vor allem an den Vertrauensvorschuß der neuen Regierung der Vereinigten Staaten und an die Erwartung, daß sie mit einer soliden Mehrheit im Senat ihre Probleme meistern
Metadaten/Kopzeile:
1010 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffkann. Damit verbunden sind auch pointierte Spätreaktionen auf die früher überzogene Dollar-Abwertung und D-Mark-Aufwertung. Für diese Ursachenanalyse spricht auch, daß der Schweizer Franken gegenüber dem Dollar ebenfalls verloren hat.Wir, meine Damen und Herren, können es doch nur begrüßen, wenn die USA zu mehr Stabilität und Stärke zurückfinden. Das haben wir doch jahrelang gefordert. Nebenbei: Auch in der amerikanischen Politik wird sicher wieder der Alltag einkehren.Schließlich scheinen mir auch die Unsicherheiten der weltpolitischen Lage, insbesondere der Lage in Mittelost und in Mitteleuropa, ihren Teil zur Stärke des US-Dollars gegenüber europäischen Währungen beigetragen zu haben. An der Ost-West-Nahtstelle reagieren die Geldmärkte sensibler.Meine Damen und Herren, das Fazit aus allen unseren Überlegungen ist: Komplexe ökonomische und politische Faktoren bestimmen die derzeitigen Wechselkursrelationen. Deshalb vergrößert sich der Handlungsspielraum der Notenbank nicht allein schon dann, wenn die Zinsdifferenzen vom Ausland her verringert werden. Dies ist eine notwendige, aber nicht unbedingt hinreichende Voraussetzung.Ich bin sicher, daß bei einer entsprechenden Orientierung in den ökonomischen und politischen Grundbedingungen das Vertrauen in die D-Mark bald wieder gestützt wird. Ich komme deshalb auch bei den geld- und währungspolitischen Betrachtungen wieder auf den Ausgangspunkt und mein Ceterum censeo zurück. Es ist gerade auch aus dieser Sicht wichtig, daß wir im Strukturwandel Fortschritte machen, in der Energiepolitik klaren Kurs halten
und unsere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Ausland verbessern.Da unsere Möglichkeiten zur Importreduzierung — auch und insbesondere wegen unserer Abhängigkeit vom Öl— auf kurze Frist beschränkt sind, müssen wir Sorge dafür tragen, daß das Ausland wieder mehr bei uns kauft, und das geht nur über eine Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit und über die Erschließung neuer Märkte. Sobald hier und bei den ausländischen Zinsen Land in Sicht ist, sollte der sich daraus ergebende Spielraum für die Geldpolitik allerdings durch die Deutsche Bundesbank auch zügig genutzt werden. Wir alle müssen dafür Sorge tragen, daß es bald dazu kommt.Meine Damen und Herren, ich habe versucht, Ihnen das Konzept darzulegen, mit dem die Bundesregierung ihre Antwort auf die unbestreitbar schwierigen wirtschaftspolitischen Probleme geben wird. Ich habe Ihnen damit keine Patentrezepte angeboten. Solche Rezepte gibt es in unserer weltwirtschaftlichen Lage nicht. Aber ich sehe keinen besseren als den geschilderten Weg, um wirtschaftliches Wachstum und Abbau der Arbeitslosigkeit zu erreichen. Wenn wir unseren Wohlstand sichern wollen, müssen wir uns mehr noch als bisher auf uns selbst besinnen, auf unseren Leistungswillen und unsere Leistungskraft.Dies ist nicht die Stunde der Verzagtheit und nicht die Stunde der Resignation. Wir haben dazu nicht die geringste Veranlassung. Das Jahr 1981 bringt uns neben allen nicht zu bestreitenden Schwierigkeiten auch große Chancen. Dann, wenn wir bereit sind, die Herausforderung anzunehmen, wenn wir ihr in überlegter Offensive begegnen, können wir mit Zuversicht auf die vor uns liegenden Aufgaben blicken. Wenn wir uns anstrengen — jeder an seinem Platz —, wird der Erfolg nicht ausbleiben. Wir können es schaffen, wenn wir nur wollen. — Ich bedanke mich für Ihr Zuhören.
Meine Damen und Herren, wir haben die Rede des Herrn Bundesministers für Wirtschaft zur Einbringung von Jahresgutachten und Jahreswirtschaftsbericht gehört. Ich eröffne die Aussprache über beide Berichte. Als erster Redner hat der Herr Abgeordnete Dr. Waigel das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß die beschämend ironisierende Devise des Parteivorsitzenden der SPD, die SPD sei für ein kräftiges „Sowohl-Als-auch", in so kurzer Zeit zur durchgehenden Maxime der ganzen Regierung werden würde.
Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, haben noch zigfach ein „Wenn" hinzugesetzt. Ihre Rede war über weite Strecken eine Aneinanderreihung allgemeiner Binsenwahrheiten und volkswirtschaftlicher Leerformeln, wohingegen die Lektüre des Wirtschaftsteils der großen Tageszeitungen nachgerade zu einem intellektuellen Genuß wird.
Sie haben am Schluß gesagt: Wir können es schaffen, wenn wir nur wollen. Das klingt so kleinmütig, daß dieser Regierung niemand mehr diese Aufforderung und diesen Wunsch zutraut. Auch aus Ihnen selbst, Herr Bundeswirtschaftsminister, spricht mehr Verzagtheit und Ohnmacht als Zuversicht und Kraft.
Die Aufforderung zu mehr Leistung, Anstrengung, Bescheidenheit und Umkehr müssen Sie nicht in erster Linie an das deutsche Volk richten, sondern an diese ideenarme und kraftlose Regierung und die sie begleitende Koalition.
Der einzelne kann nämlich relativ wenig tun, wenn die politische Richtung nicht stimmt. Bisher hören wir nur Verbales, aber von konkretem Tun ist nicht die Rede.Es stimmt auch nicht, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß die Bundesrepublik in allen Bereichen bisher mit den Belastungen besser zurechtgekommen wäre als andere, denn wir hatten im letzten
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1011
Dr. WaigelJahr das höchste Leistungsbilanzdefizit in der westlichen Welt, obwohl dies in der Beantwortung unserer Kleinen Anfrage im letzten Jahr noch nicht bestätigt worden ist. Sie sind, Herr Bundeswirtschaftsminister — wir haben das registriert —, mit der Opposition recht milde umgegangen — Sie haben hier ja früher auch schon einen etwas ironischeren, sarkastischeren Stil angelegt — und haben darauf hingewiesen, daß die Opposition gefragt sei. Wir registrieren das und stellen fest, daß damit die Devise von Herrn Wehner aus dem vorigen Jahrzehnt offenbar nicht mehr ihre Gültigkeit besitzt. Sie brauchen nämlich auch die Opposition, weil Sie nämlich in Ihrer Koalition gar keine Mehrheit für marktwirtschaftliche Lösungen dieser Fragen besitzen.
Ich betrachte es auch als ein ehrliches Eingeständnis, Graf Lambsdorff, wenn Sie sagen: Einen Teil der Bedingungen, die sich jetzt als hinderlich erweisen, haben wir selber gesetzt. Sehr wahr! Nur, fangen Sie mit der Korrektur an! Fangen Sie mit der Entbürokratisierung an, und reden Sie nicht nur davon!Sie haben vom notwendigen konstruktiven Konsens der Sozialpartner gesprochen. Wir stimmen Ihnen zu. Liegt es aber — neben anderen — nicht vielleicht auch etwas an Ihnen, daß es bisher nicht zu der dringend erforderlichen Konzertierten Aktion gekommen ist? Es ist nämlich leichter, mit einfachen Formeln Wahlkampf zu machen, als den notwendigen sozialen Konsens mit Opfern für alle herbeizuführen.
Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben zu Recht vor einigen Wochen in einem Interview von der Notwendigkeit der Wiedergewinnung der deutschen Tugenden gesprochen. Lesen Sie einmal das Wahlprogramm der FDP, ob das als Beitrag zur Wiedergewinnung alter deutscher Tugenden dienen kann!Sie haben sich dann immer wieder auf Ihren Kollegen, den Finanzminister Matthöfer, bezogen. Es ist eigentlich ein etwas merkwürdiger Stil, daß sich nun die Bundesminister hier vor dem Plenum gegenseitig loben müssen, weil ein Lob sonst in deutschen Landen und in der Zeitung in den letzten Monaten nicht mehr erteilt wurde.
Oder, Herr Minister, ist es der Versuch, den bisher gegen Marktwirtschaft ideologisch widerspenstigen Finanzminister so einzubinden, daß er nun in den marktwirtschaftlichen Schwitzkasten genommen wird?
Sie haben gesagt, der bayerische Ministerpräsident habe dafür keine Patentrezepte geliefert.
— Danke, Herr Wehner, aber es war nur Wasser. —
Wenn Sie die Reden von Franz-Josef Strauß aus den Jahren 1969 bis 1981 gelesen und beherzigt hätten und wenn Sie seine Finanzpolitik aus den Jahren 1966 bis 1969 fortgeführt hätten, dann bräuchten Sie heute keinen so deprimierenden Jahreswirtschaftsbericht vorlegen.
— Nein, das ist keine Pflichtübung, das ist die Realität; er war der einzige Finanzminister, der in schwieriger Zeit Schulden zurückgezahlt hat. Sie werden das nie schaffen.
Herr Kollege Waigel, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Roth?
Aber gern! Denn der Herr Roth ist zwar ein Linker, aber kein Dummer.
Herr Präsident, dürfen die Redner Kollegen qualifizieren, selbst wenn es positiv ist?
Herr Waigel, ich gehöre zwar nicht wie Sie zu den Bewunderern des bayerischen Ministerpräsidenten, aber zu seinen Lesern. Im Rahmen einer Rede hat er mit Bewunderung von der Wirtschaftspolitik von Mrs. Thatcher gesprochen. Sind Sie der Meinung, daß das die Stelle ist, die der Herr Bundeswirtschaftsminister pflegen sollte angesichts der doppelt so hohen Arbeitslosigkeit in England?
Herr Kollege Roth, die Premierministerin von England ist in der Schwierigkeit, daß sie in relativ kurzer Zeit die Mißwirtschaft jahrzehntelanger sozialistischer Regierungen beseitigen muß.
— Herr Kollege Jens, Sie haben anschließend 30 Minuten Zeit, und ein Großteil Ihrer Frage wird sich durch gutes Zuhören bei mir in den nächsten Minuten erledigen.
Sie haben, Graf Lambsdorff, und ich finde das bemerkenswert, von der notwendigen und schwierigen Weitergabe von Erfahrungen einer Generation an die andere gesprochen. Das ist in der Tat ein wichtiges Problem für uns alle. Ich glaube, es ist bei der FDP und bei den Judos besonders schwierig. Wenn Sie da Ihren Beitrag dazu leisten, dann wird dies wichtig sein, um das Spannungsverhältnis von Tra-
Metadaten/Kopzeile:
1012 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Dr. Waigeldition und Innovation, von Älteren und Jüngeren auszugleichen. So viel zu Ihrer Rede, Herr Minister.Nun einige Bemerkungen zum Jahreswirtschaftsbericht. Der Jahreswirtschaftsbericht ist der Versuch, ein realistisches Bild von der aktuellen wirtschaftlichen Lage und von der voraussichtlichen Entwicklung zu zeichnen. Es ist nicht wahr, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß im zurückliegenden Bundestagswahlkampf SPD und FDP uns gegenüber fair gewesen seien. Sondern Sie haben damals behauptet, wir würden mit den wirtschaftlichen Problemen und vor allem mit dem Problem der Ölpreissteigerungen spielend fertig. Sie haben behauptet, Haushalts- und Verschuldungsfragen gebe es nicht, die Opposition betreibe das Geschäft der Schwarzmalerei und wecke in unverantwortlicher Weise bei der Bevölkerung Ängste vor der künftigen Wirtschaftsentwicklung.
Heute hat sich all das, was wir in Ehrlichkeit gegenüber dem Volk prognostiziert haben, als richtig herausgestellt.
Der Jahreswirtschaftsbericht unterscheidet sich in seiner ernüchternden Lagebeurteilung wohltuend von dem, was früher gesagt wurde. Während in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers noch von einer gesunden Wirtschaft die Rede war, ist nunmehr offenkundig, daß wir uns nach 1967 und 1974 auf dem Marsch in die dritte Rezession der Nachkriegsgeschichte befinden. Wir wissen noch nicht, wie schwer sie wird. Noch nie waren wir von den im Stabilitätsgesetz verankerten Zielen weiter entfernt als zur Stunde.
Sie sagen, es sei objektiv nicht machbar, alle Ziele gleichzeitig zu erreichen. Das wissen auch wir. Sie können aber nicht leugnen, daß auch die politische Führung daran Schuld trägt, daß nicht wenigstens einige dieser Ziele besser erreicht worden sind, als es geschehen ist.
Wachstum wird es in diesem Jahr nicht geben. Die Arbeitslosenzahl steigt auf eine politisch nicht mehr tragbare Höhe. Bei der Reduzierung der Inflationsrate und beim Abbau des Leistungsbilanzdefizits ist kaum mit Fortschritten zu rechnen. Die erhoffte konjunkturelle Wende ist mehr als ungewiß. Indikatoren dafür sind nicht vorhanden. Sie hängt vom Ergebnis der Tarifrunde, von möglichen OPEC-Beschlüssen, von der Wirtschaftsentwicklung unserer wichtigsten Handelspartner und nicht zuletzt von der politischen Entscheidungsfähigkeit der Bundesregierung ab. Und hier ist nichts Gutes in den letzten Wochen und Monaten passiert.Der Jahreswirtschaftsbericht ist auch realistischer als das Bild, das die Bundesregierung noch um die Wende des vorigen Jahres vermittelt hat. Aber auch diese Vorausschau ist angesichts der Entwicklung der Inflationsrate und der Beschlüsse, die Sie soeben erst gefaßt haben, noch optimistisch.Dem Jahreswirtschaftsbericht mangelt es begreiflicherweise an einer Bestandsaufnahme der politischen Fehler und Versäumnisse, die maßgeblich zu der gegenwärtigen Fehlentwicklung geführt haben. Ich habe Verständnis dafür, daß Sie sagen, wir sollten doch keine Vergangenheitsbewältigung betreiben, nur, Herr Bundeswirtschaftsminister: Es ist schon unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, von dieser Stelle aus darauf hinzuweisen, wer in den letzten Jahren die Verantwortung dafür getragen hat, daß wir in diese Situation gekommen sind.
Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, und auch Ihr Vorgänger haben die richtige Erkenntnis nicht erst seit heute. Im April 1977 haben Sie in New York einen Vortrag gehalten und sich darin in erstaunlicher Offenheit mit der grundlegenden wirtschaftspolitischen Strategie der Union identifiziert, ohne daraus konkrete Konsequenzen zu ziehen.
Sie haben damals gesagt:Wir haben es nicht mit einer vorübergehenden konjunkturellen Nachfrageschwäche zu tun, die sich durch die Ersatznachfrage des Staates ausfüllen ließe, sondern die Ursachen sind struktureller Art. Kurzfristige staatliche Globalprogramme sind deshalb nicht das richtige Instrument ...Das Ziel der deutschen Wirtschaftspolitik ist nun, die Staatshaushalte grundsätzlich wieder zu konsolidieren und gleichzeitig den investiven Anteil dieser Haushalte zu erhöhen ...Später heißt es:Die Devise der Stunde kann nicht lauten: „Verschuldet euch mehr, die Inflation ist nicht so wichtig!", sondern nach einer Phase expansiver Fiskalpolitik ist nun eine Phase der Konsolidierung unbedingt notwendig. Es droht sonst die Gefahr, daß wir die finanzielle Misere potenzieren.So Graf Lambsdorff im April 1977. Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn Sie damals die richtige Erkenntnis gehabt haben, warum haben Sie dann in den letzten vier Jahren keine andere Wirtschafts-und Finanzpolitik betrieben?
Nicht umsonst hat der Bundeswirtschaftsminister immer wieder auf die von Finanzminister Matthöfer in der Haushaltsdebatte gehaltene Rede hingewiesen. Denn diese Rede bedeutet — jedenfalls verbal — eine Kehrtwendung der Finanzpolitik Matthöfers und der Koalition.
Nur, diesen Kurswechsel hätten wir früher gebraucht. Aber es war immerhin hochinteressant, indieser Rede eines Sozialdemokraten im Grunde die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1013
Dr. WaigelAbkehr von der Vollbeschäftigungsgarantie zu hören. Da war plötzlich vom Prinzip der Subsidiarität die Rede, daß der Staat nur subsidiär eingreifen könne. Da hieß es, neue staatliche Ausgabenprogramme könnten die aktuellen wirtschaftspolitischen Probleme nicht lösen. Das sagt der gleiche Herr Matthöfer, der im Bundestagswahlkampf nicht müde geworden ist, die positiven Wachstums- und Beschäftigungseffekte kreditfinanzierter Ausgabenprogramme zu beschwören. Solche Programme sind früher auch durchgeführt worden, haben sehr viel Geld gekostet und die Kassen ruiniert, so daß wir jetzt in dieser miserablen konjunkturellen Zeit nicht die Möglichkeit haben, eine antizyklische Finanzpolitik zu betreiben.
Abbau von Investitionshemmnissen heißt die wichtigste wirtschaftspolitische Schlußfolgerung des Jahreswirtschaftsberichts und des Sachverständigengutachtens. Graf Lambsdorff hat dies soeben wieder dargetan, und auch die anderen Wirtschaftspolitiker der FDP versäumen keine Gelegenheit, darauf hinzuweisen. Wir stimmen Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister, in diesem Punkt uneingeschränkt zu. Sie sollten aber den Mut und die politische Kraft aufbringen, diese Investitionshemmnisse, die zu einem Investitionsstau von mehr als 50 Milliarden DM geführt haben, genau zu bezeichnen. Denn, Herr Minister, diese Investitionshemmnisse sitzen personifiziert auf dieser Regierungsbank, und Sie gehören dazu.
Investitionshemmnis Nummer eins ist der Bundeskanzler höchstpersönlich.
Er und sein Planungschef — niemand anderen können Sie bei der langen Passage über die neuen Kommunikationstechnologien gemeint haben — sind für den Verkabelungsstopp verantwortlich. Damit ist einer Zukunftsindustrie in der Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit genommen worden, sich rechtzeitig darauf einzustellen, Arbeitsplätze zu bewahren und Arbeitsplätze zu schaffen.
Investitionshemmnis Nummer zwei ist die norddeutsche SPD um Klose, Jansen und Matthiesen, gestützt durch einige Südlichter der SPD um Eppler. Hatten Wirtschaft und Gewerkschaften nach der Bundestagswahl von der Bundesregierung endlich grünes Licht für den erforderlichen Kraftwerksausbau erhofft, so zeigen die Auseinandersetzungen um Brokdorf nun, daß die SPD in dieser für uns existentiellen Frage nach wie vor in sich heillos zerstritten und politisch handlungsunfähig geworden ist. Die Brokdorf-Entscheidung des Hamburger Senats ist wirtschafts- und gesellschaftspolitisch verhängnisvoll. Wenn sich Hamburgs Bürgermeister Klose im Hinblick auf den Weiterbau des Kernkraftwerkes Brokdorf für eine Denkpause ausspricht, so geht es ihm nicht um eine Pause zum Denken, sondern um eine Pause vom Denken.
In dieser Frage muß die Flucht in gegensätzliche Optionen endlich ein Ende haben. Entscheidungen sind unumgänglich. Das kräftige Sowohl-Als-auch des Parteivorsitzenden der SPD, Herrn Brandt, ist eine glatte Verhöhnung der Bürger, die hier Entscheidungen verlangen.
Als Investitionshemmnis Nummer drei hat sich in den vergangenen Jahren Ex-Justizminister Vogel hervorgetan. Es vergeht heute fast kein Tag mehr, an dem nicht FDP- und jetzt auch SPD-Politiker — dies steht im Gegensatz zu der Gesetzespolitik von Herrn Vogel — fordern, es müsse mehr privates Kapital in den Wohnungsbau hineinkommen. Herr Bundeswirtschaftsminister, es wird sehr interessant sein, zu verfolgen, wie Sie diesen Zielkonflikt zwischen dem, was Sie vorschlagen, und dem, was Sie in den letzten Jahren getan haben, lösen wollen. Ich möchte Sie auch noch an die regierungsinterne Auseinandersetzung bei der Abfassung des Erfahrungsberichtes der Bundesregierung über das Zweite Wohnraumkündigungsschutzgesetz erinnern. Wir werden Sie in den nächsten Monaten Punkt für Punkt nach diesen Investitionshemmnissen abklopfen und wollen sehen, was daraus — neben verbaler Bekundung — wird.Die Liste der Investitionshemmnisse kann ich mit der Nummer vier fortsetzen. Das ist der Innenminister Baum, der Ihrer Partei angehört, Herr Bundeswirtschaftsminister. Die von Ihnen und der FDP verlangte Verbandsklage ist geradezu ein neues Instrument zur Blockierung von Investitionsvorhaben.
Niemand kann doch bestreiten, daß dies zu einer weiteren Verschleppung der Genehmigungsverfahren und gerichtlichen Einspruchsverfahren im Kraftwerksbereich, im Straßenbau und bei Industrieansiedlungen führt. Wir müssen uns angesichts der Diskussion der letzten Wochen auch die Frage stellen, ob nicht die Überbeanspruchung des Rechts letztlich zu einem Mißbrauch des Rechts wird. Wenn ich mir überlege, daß eine Bürgerinitiative in den letzten Tagen eine Gerichtsentscheidung als den Beginn des Ausstiegs aus der Technik bezeichnet hat, dann kann ich nur sagen: Dies wäre in letzter Konsequenz das Todesurteil für viele Menschen in unserem Lande.
Als Investitionshemmnis besonderer Art hat sich der Bundesfinanzminister entpuppt. Er hat — im Gegensatz zu dem, was heute der Bundeswirtschaftsminister gefordert hat — den konsumtiven Teil seines Haushalts für tabu erklärt und versucht, die Lücke im Haushalt mit Steuererhöhungen und durch massive Kürzung investiver Mittel zu stopfen. Eine Mittelkürzung gerade bei investiven Vorhaben — ich denke z. B. an den Saar-Pfalz-Kanal und an die Main-Donau-Verbindung — oder bei den Investitionszuschüssen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in strukturschwachen Regionen ist konjunktur- und wachstumspolitisch falsch und führt zu einer direkten Gefährdung von Arbeitsplätzen.
Metadaten/Kopzeile:
1014 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Dr. WaigelDie Haushaltspolitik der Bundesregierung ist seit Jahren durch einen kontinuierlichen Rückgang des Anteils investiver Ausgaben an den Gesamtausgaben gekennzeichnet. Ihre Programmflut hat zu der rapide zunehmenden Staatsverschuldung und zu zweistelligen Preissteigerungen in der Bauwirtschaft geführt. Gerade für diese Branche wäre hingegen eine Verstetigung der öffentlichen Baunachfrage notwendig, um ein ständiges Auf und Ab für diesen konjunkturpolitisch bedeutsamen Wirtschaftszweig zu verhindern.Die mehrjährige Finanzplanung, einst als verläßliche Orientierungslinie auch für die private Wirtschaft gedacht, ist nicht mehr das Papier wert, auf dem sie gedruckt wird.
Man kann sie nur noch als Anhang zu Grimms Märchen bezeichnen, wenn man sich vorstellt, daß dort von der Voraussetzung eines Wirtschaftswachstums von 3,5 % ausgegangen wird, aber bereits heute erkennbar ist, daß wir diese Zahl leider nie erreichen werden.Doch auch der Bundeswirtschaftsminister muß in die Reihe der Investitionshemmnisse einbezogen werden, auch wenn er gegen sie wettert. Als wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion und dann als Bundeswirtschaftsminister trägt Graf Lambsdorff Mitverantwortung für das „stop and go" in der Haushalts- und Steuerpolitik, die im Verlauf der 70er Jahre eine erhebliche Investitionslücke im privaten Sektor aufgerissen hat. Meine Damen und Herren, diese Investitionslücke von gestern ist die Technologielücke von heute und morgen.
Die gestern unterlassenen Investitionen und Innovationen äußern sich heute im zunehmenden Vordringen der Japaner auf den Weltmärkten, und hier müssen wir noch mit der Offensive der USA rechnen. Dies hat in der Konsequenz, wenn wir uns dieser Herausforderung nicht stellen können, negativste Auswirkungen auf die Arbeitsplätze und den sozialen Standard unserer ganzen Bevölkerung.Der Jahreswirtschaftsbericht unterstreicht die Notwendigkeit, den binnenwirtschaftlichen Kostenanstieg zu bremsen. Nur, Herr Bundeswirtschaftsminister, Ihre 7-%-Aussage vom Jahr 1979 war der teuerste Versprecher des Jahres.
Das Kokettieren mit diesem Fehler — es ist Ihnen eigen, daß Sie mit Ihren Fehlern noch kokettieren, um sich damit sympathisch darzustellen, was nicht dagegen spricht, daß Sie Fehler einsehen; damit Sie mich recht verstehen — täuscht nicht darüber hinweg, daß diese Aussage die deutsche Wirtschaft und damit alle an der Wirtschaft Beteiligten teuer zu stehen gekommen ist.
Für uns, meine Damen und Herren, sind neue kreditfinanzierte Ausgabenprogramme kein geeignetes Mittel zur Lösung der aktuellen wirtschaftspolitischen Probleme. Die Politik des Gasgebens undBremsens bei den Staatsausgaben hat sich als zu naiv erwiesen. Die vor uns liegenden Probleme sind, wie zu Recht hervorgehoben, überwiegend struktureller Art. Wir brauchen mehr Investitionen und Exporte zu Lasten des staatlichen und des privaten Verbrauchs. Wir brauchen stabilitätsgerechte Tarifabschlüsse und vor allem eine Reduzierung der Staatsquote. Bei der Verabschiedung des Bundeshaushaltes haben Sie versäumt, einen Kurswechsel in der Haushalts- und Finanzpolitik einzuleiten. Im Grunde muß man auch heute noch feststellen, daß der Zuwachs der Gesamtausgaben des Bundes — wenn man alles zusammenrechnet und den mit Sicherheit kommenden Nachtragshaushalt einbezieht — entgegen Ihren Vorschlägen und entgegen den Beschlüssen des Finanzplanungsrats über dem Zuwachs des nominellen Sozialprodukts liegen wird.Eine Wirtschaftspolitik muß — hier stimmen wir mit Ihnen überein — angebotsorientiert betrieben werden. Erforderlich sind verbesserte Investitions- und Innovationsanreize.Inflation löst die Beschäftigungsprobleme nicht, sondern verschärft sie. Eine Lockerung der Stabilitätspolitik ist nicht vertretbar, und angesichts der notwendigen Kapitalimporte zur Finanzierung des Leistungsbilanzdefizits und angesichts der internationalen Zinsdifferenzen ist auch der zinspolitische Spielraum der Bundesbank äußerst gering. Die CDU/CSU-Fraktion erwartet deshalb von der Bundesbank eine Fortsetzung der Politik des knappen Geldes. Angesichts einer Inflationsrate von nahezu 6 % ist eine Lockerung dieses restriktiven Kurses der Bundesbank nicht zu empfehlen.Seit einigen Wochen wird die Frage einer Abwertung der D-Mark innerhalb des Europäischen Währungssystems bzw. ein zeitweiliges Ausscheren der D-Mark aus dem Europäischen Währungssystem diskutiert. Das zeigt, wie berechtigt unsere Sorgen gewesen sind, als es um die Errichtung dieses umstrittenen und strittigen Instrumentariums gegangen ist. In der gegenwärtigen Situation halten wir ein Ausscheren aus dem Europäischen Währungssystem aus politischen Gründen für nicht wünschenswert. Nur sind bei der ganzen Schwierigkeit und der ganzen Problematik, die auch bei den Kapitalströmen zu verzeichnen sind, auch politische Ursachen vorhanden, und Sie, Graf Lambsdorff, haben dies dankenswerterweise zugegeben. In der Schwäche der D-Mark kommt nämlich ein Nachlassen des Vertrauens des Auslands in die politische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung zum Ausdruck.
Im Gegensatz zu Ihrer Beantwortung unserer Kleinen Anfrage weist die Bundesrepublik im Jahre 1980 das größte Leistungsbilanzdefizit aller westlichen Industriestaaten auf. Das Defizit hat sich gegenüber dem Vorjahr auf rund 28 Milliarden DM verdreifacht, und höchstens die Hälfte dieses Defizits entfällt auf die gestiegene Ölrechnung, während der andere Teil — darauf hat auch die Deutsche Bundesbank hingewiesen — auf strukturelle Faktoren zurückzuführen ist. Das Vordringen der Japaner und einiger Schwellenländer auf unsere Märkte und die stetige Zunahme der Fertigwarenimporte signa-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1015
Dr. Waigellisieren entgegen der Auffassung der Bundesregierung durchaus eine Gefahr für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.Zum Abbau des Leistungsbilanzdefizits ist — das wissen wir alle — eine weitere Reduzierung des Ölverbrauchs unumgänglich. In dieser Haltung befinden wir uns übrigens in interessanter Gesellschaft; denn im Rahmen der Stellungnahme zum Sachverständigengutachten im vorigen Jahr hat Graf Lambsdorff, offensichtlich zurückkehrend von einer Reise durch Ölförderländer, erklärt, eine Mineralölsteuererhöhung führe zur Beschleunigung der Ölpreiserhöhung der OPEC-Staaten. Vor wenigen Minuten ist er dieser vor einem Jahr geäußerten Überzeugung wieder einmal untreu geworden.
Herr Bundeswirtschaftsminister, es gibt auch eine Reihe von kleineren Maßnahmen, die geeignet wären, unser Leistungsbilanzdefizit etwas abzubauen. Ich denke z. B. an die deutsche Tourismuswerbung im Ausland, eine bessere Unterstützung der Auslandsmessen, eine bessere Ausstattung der Auslandshandelskammern und auch ein stärkeres Engagement der Regierung und der Botschaften bei Großaufträgen im Ausland, wo sich viele unserer Exporteure wünschten, sie würden in ähnlicher Form wie konkurrierende Unternehmer aus manchen europäischen Ländern unterstützt.
Die Pionierleistung deutscher Ingenieure auf den Weltmärkten bedarf auch der politischen Rückendeckung der Bundesregierung und der politischen Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland.
Ihre Hoffnung, Graf Lambsdorff, und die der Regierung auf eine konjunkturelle Wende im zweiten Halbjahr ist bisher nicht durch Indikatoren bestätigt, die Hoffnung ist trügerisch. Die Entwicklung hängt entscheidend von der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung, von den Tarifabschlüssen, von der Preispolitik der OPEC-Staaten und der Wirtschaftsentwicklung der Partner ab. Wir betreiben nicht das Geschäft der Schwarzmalerei, aber wir wissen auch, daß die aktuelle Wachstumsschwäche nur durch eine stabilitätsorientierte Geldpolitik, eine konjunkturgerechte Tarifpolitik durch den wirklichen Abbau bestehender Investitionshemmnisse und durch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die privaten Investitionen und Innovationen überwunden werden.Bisher hat sich die Regierung mehr durch große Worte als durch Taten hervorgetan.
Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister — wir gratulieren Ihnen dazu —, sind vor wenigen Wochen zum Redner des Jahres gewählt worden. Den verantwortlichen Politiker erkennt man daran, daß er sagt, was er denkt, und tut, was er sagt. Sie, Graf Lambsdorff, werden in den kommenden Monaten unter Beweis stellen müssen, ob Sie Ihre verbale Politik innerhalbIhrer Regierung und innerhalb der Koalition durchzusetzen in der Lage sind. Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe das Gefühl, große Worte haben wir eben gehört. Im Wirtschaftsausschuß schätze ich den Kollegen Waigel immer als einen sehr sachlichen, ordentlichen Mann. Aber eben haben Sie, Herr Waigel, doch nur Polemik abgesondert und Sprüche geklopft.
Im Wirtschaftsausschuß wird ganz anders geredet. Es wundert mich immer, daß einige Kollegen plötzlich anfangen zu polemisieren, wenn sie hier stehen. Was soll das eigentlich? Damit kann man doch keinen Bürger, der etwa auf der Zuschauertribüne sitzt, überzeugen. Man sollte so etwas also unterlassen.
Besonders hat mich gewundert, daß Sie die Politik von Frau Thatcher so gelobt haben.
Sie meinen offenbar, vorher habe Mißwirtschaft geherrscht und jetzt werde eine hervorragende Politik betrieben. Eines ist an dieser Aussage immerhin gut: Die deutsche Bevölkerung weiß jetzt wenigstens, woran sie ist, wenn die CDU/CSU einmal die Weichen in der Wirtschaftspolitik stellen sollte. Dann wird nämlich in diesem Lande eine Politik à la Frau Thatcher betrieben. Davor bewahre uns Gott, muß ich wirklich sagen.
— Ich möchte dieses Thema ganz sachlich abhandeln.
— Sie kommen j a auch noch dran, Herr Kiep.
Ich darf Sie vielleicht daran erinnern, daß England zu der Zeit, als Herr Callaghan noch die Weichen der Politik stellte, z. B. eine Preissteigerungsrate von 10% hatte. Heute weisen die neuesten Daten aus: In England haben wir eine Preissteigerungsrate von 18 %. Das ist die Politik von Frau Thatcher, die Sie ebenfalls machen wollen.
Als Herr Callaghan an der Regierung war, hatten wir eine Arbeitslosenquote
Metadaten/Kopzeile:
1016 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Dr. Jens— das sind doch Fakten; Sie können das ja nachher widerlegen, Herr Kiep — von 5,3 %.
Wir haben jetzt eine Arbeitslosenquote von 10 %. Und ein angesehenes wirtschaftswissenschaftliches Institut, Philipps and Drew, prognostiziert, daß in England demnächst 3,25 Millionen Menschen arbeitslos sein werden.
Das ist Ihre Politik von Frau Thatcher.
Ich kann Ihnen nur sagen: Möge das deutsche Volk davor bewahrt werden, jemals in die Verlegenheit zu kommen, mit dieser Politik konfrontiert zu werden.
Gott sei Dank gibt es den Jahreswirtschaftsbericht, der kein schönes Bild zeigt, der jedoch ein sehr realistisches Bild unserer voraussehbaren ökonomischen Entwicklung vermittelt. Es ist einfach nicht seriös, wenn man so tut, als hätte diese Bundesregierung alles das zu verantworten, was auf uns zukommt.
Das ist unseriös. Mittlerweile weiß jeder Bürger in diesem Lande, woher die Probleme kommen.Sie sind in erster Linie Folge der exorbitant gestiegenen Ölpreise. Allein im Jahre 1980 haben wir für die Ölimporte 30 Milliarden DM mehr ausgeben müssen als im Jahre 1978.
— Na und? Dafür sind doch nicht etwa wir verantwortlich. Tun Sie doch nicht so! Das haben uns doch die OPEC-Staaten beschert.
— Frau Thatcher auch nicht. Aber sie hat doch Öl genug. Sie sollten wissen, daß Frau Thatcher über eigenes Öl verfügt. Wir hingegen müssen unser gesamtes Öl importieren. — 30 Milliarden DM mehr. Das heißt doch auf gut deutsch, daß jeder in diesem Lande, Kinder und Greise eingerechnet, im Jahre 1980 an die OPEC-Staaten rund 500 DM mehr als im Jahre 1978 zu zahlen hatte. Das muß natürlich irgendwo herkommen.Außerdem hatten wir — insofern war das, was Herr Waigel gesagt hat, einmal richtig — mit den weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, die ja keinesfalls neu sind. Was jetzt die Stahlindustrie zu erleiden hat, was morgen möglicherweise die Automobilindustrie ergreift, das hat vor kurzem die Textilindustrie durchgemacht. Das bewirken weltwirtschaftliche Veränderungen, vor denen kein Wirtschaftszweig in unserer Bundesrepublik völlig gefeit ist. Aber die Unternehmer sind sicherlich aufgerufen, hier gegenzuhalten und rechtzeitig die Weichen zu stellen, aber nicht etwa, wenn sie in Schwierigkeiten kommen, wieder nach dem Staat zu rufen.Wir haben ganz zweifellos seit Jahren festzustellen, daß immer mehr Arbeitskräfte durch den Einsatz von Kapital ersetzt werden. Die Rationalisierungen sind in diesem Lande gewaltig vorangeschritten. Ich sage gar nichts gegen Rationalisierungen; ich stelle nur fest, daß auf diese Art und Weise viele Arbeitskräfte, wie man heute so schön hochmodern sagt, „freigesetzt" worden sind.Wir haben für die überschaubare Zukunft — wenigstens bis 1985 — damit zu rechnen, daß alljährlich zusätzlich 100 000 bis 150 000 Menschen einen Arbeitsplatz in unserer Volkswirtschaft suchen.
Es werden bis 1985 etwa 750 000 Menschen sein, für die wir Arbeitsplätze zu schaffen haben.Ich sage Ihnen: Wenn wir ein Problem haben, mit dem wir uns zu befassen haben, dann ist es aus der Sicht der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion das Problem der Arbeitslosigkeit. Ich hätte von Herrn Waigel gern konkret gehört, was er gegen die Arbeitslosigkeit in diesem Lande tun möchte. Ich habe nichts gehört.
— Meine Herren, Sie können zwar alle zusammen singen, aber nicht alle zusammen reden. Wenn jemand eine Frage hat, soll er doch aufstehen und eine Frage stellen; dagegen habe ich ja gar nichts. Aber daß Sie hier alle so herummurmeln, das tut man doch nur in der Kirche.
Das Problem der Arbeitslosigkeit nehmen wir sehr ernst. Für uns Sozialdemokraten ist die Arbeitslosigkeit nicht nur ein wirtschaftliches, sondern vor allem auch ein menschliches Problem.Aber man muß immer wieder hinzufügen: Wenn wir uns in dieser Welt umsehen, können wir feststellen, daß dieses Land im internationalen Vergleich verhältnismäßig gut dasteht.
Wir haben eine Beschäftigungssituation, die uns nicht gefällt. Aber die Arbeitslosigkeit liegt deutlich niedriger als in allen anderen vergleichbaren Industrienationen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1017
Dr. JensNur in Schweden und Österreich ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt ein bißchen besser. Wir stehen in der Rangliste der Beschäftigung an dritter oder vierter Stelle in der Welt.Das gleiche gilt für die Preisentwicklung. Auch hier ist festzustellen, daß unsere Preise steigen, und das ist nicht gut. Aber nur in der Schweiz haben wir eine niedrigere Preissteigerungsrate als bei uns. Auch das muß man immer wieder einmal betonen.
Herr Waigel hat das Leistungsbilanzdefizit angesprochen. Ich komme gern darauf zu sprechen. Sicherlich haben wir ein großes Leistungsbilanzdefizit, das wir auch bekämpfen müssen. Aber man muß hinzufügen: Wir sind wiederum das Land, das die größten Währungsreserven in der Welt besitzt.
— Haben wir augenblicklich noch. Das können Sie in den neuesten Zahlen des Bundespresseamts nachlesen. Wir haben noch immer die höchsten Währungsreserven in der Welt.
Insofern sage ich Ihnen hier: Die grundlegenden ökonomischen Bedingungen in diesem Lande sind in Ordnung.
Die Grundlinien unserer Politik müssen angesichts dieser Probleme, die ich hier kurz geschildert habe, heißen: alles tun, um vom Öl wegzukommen, alles tun, um die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in diesem Lande zu steigern.
Aber dazu gehört nicht nur, daß wir das private Investitionsniveau erhöhen, sondern dazu gehört auch, daß wir das Investitionsniveau der öffentlichen Hände erhöhen. Wenn wir es nicht schaffen, die Investitionen im privaten und im öffentlichen Bereich zu erhöhen, dann gehen wir einen Weg in die Massenarbeitslosigkeit, den wir wirklich nicht wollen können.
Keiner hat ein Patentrezept zur Hand, um diese Probleme zu lösen. Aber ich betone: Weder die Ideen eines Herrn Keynes noch die Ideen eines Herrn Friedman können unsere neuen Probleme lösen.
Wir müssen unkonventionell, undogmatisch undohne ideologische Scheuklappen neue Wege gehen.
Ich weiß, daß Sie uns immer gern den Vorwurf machen, wir hätten mal eine Vollbeschäftigungsgarantie ausgesprochen. Aber ich betone einmal mehr für meine Fraktion: eine Garantie für Vollbeschäftigung kann es in einer marktwirtschaftlichen Ordnung natürlich nicht geben.
In einer marktwirtschaftlichen Ordnung haben wir eine Fülle von Trägern der Wirtschaftspolitik. Ein Träger ist die Bundesregierung. Aber es gibt daneben natürlich auch die Tarifvertragsparteien. Es gibt auch die Deutsche Bundesbank, und es gibt natürlich auch die großen Unternehmen, die meines Erachtens ebenfalls sehr viel Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt auf ihre Schultern gelastet haben.Ich darf noch eine kurze Bemerkung zu Japan machen, da ich vor kurzem auch die große Ehre hatte, mal in Japan sein zu dürfen.
— Ja, der Wirtschaftsausschuß fährt da auch noch mal hin. — Die Probleme sind sicherlich sehr ernst. Aber es ist nicht richtig, wenn immer nur gesagt wird: In Japan sind etwa die Löhne niedriger, und die Lohnnebenkosten sind noch niedriger. Das alleine ist nicht das Problem. In Japan, glaube ich, gibt es auch eine wesentlich intensivere Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern, zwischen Betriebsräten und Arbeitnehmern. Auf diesem Gebiete der Zusammenarbeit zwischen den großen Gruppen können wir manches von den Japanern lernen.
— Ich verteufele die gar nicht. Ich stelle hier nur sachlich fest: es ist dort so, daß die Einkommen der Spitzenmanager vielleicht achtmal, vielleicht neunmal höher sind als die eines durchschnittlichen Arbeitnehmers. Das gönne ich denen. Das kann auch leistungsbezogen sein. Aber wenn man hier immer wieder feststellt, daß die Einkommen dreißigmal, vierzigmal höher sind als die eines durchschnittlichen Arbeitnehmers, dann hat das meines Erachtens nichts mehr mit Leistung zu tun.
Dann wird seitens der Opposition immer wieder so getan — Herr Waigel hat es eben auch gemacht —, als seien wir gegen eine angebotsorientierte Politik. Das sind wir überhaupt nicht. Wenn es sinnvoll wäre, mit angebotspolitischen Maßnahmen die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, wären wir ohne
Metadaten/Kopzeile:
1018 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Dr. Jensweiteres dafür. Ich habe eben schon gesagt: wir sind gegen jede Ideologie in der Wirtschaftspolitik.
— Das sind die Sozialdemokraten. — Aber angesichts des hohen Zinses, den wir zur Zeit auf dem Geld- und auf dem Kapitalmarkt haben, ist es doch ausgesprochen unvernünftig, etwa zu glauben, daß bei Entlastungen für Investoren diese in risikoreiche Investitionen hineingehen. Ein Investor, der zu entscheiden hat, wählt augenblicklich immer die wesentlich lukrativere Anlage auf dem Geld- oder Kapitalmarkt, weil das mehr bringt. Angesichts des hohen Zinses ist eine angebotsorientierte Politik zur Zeit zumindest sehr risikoreich.Worum es heute meines Erachtens wirklich geht, ist: wir müssen recht bald zu niedrigeren Zinsen in diesem Lande kommen. Sonst würgen wir in der Tat die Investitionstätigkeit ab. Das schafft uns dann die Massenarbeitslosigkeit, die wir alle nicht wollen. Am besten wäre ganz zweifellos eine Zinssenkung der Deutschen Bundesbank, obwohl ich die Probleme der Bank nicht verkenne. Aber wenn die Bank die Zinsen um 1 % senkt, bewirkt das, daß wir bei den deutschen Unternehmen um 8 Milliarden die Kosten entlasten. Aber die Deutsche Bundesbank ist autonom. Das betone ich hier noch einmal ausdrücklich. Ich bin auch der Meinung, sie muß autonom bleiben. Sie bestimmt die Geldpolitik, aber sie bestimmt auch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung durch diese Autonomie mit und hat insofern auch sehr viel Verantwortung für die Entwicklung unserer Gesamtwirtschaft.Im übrigen scheint es — um ein Wort von Herrn Waigel aufzugreifen — zur Zeit wieder auf den internationalen Finanzmärkten, Herr Waigel, viel Vertrauen in die deutsche Regierung und in die deutsche Währung zu geben. Seit einigen Tagen haben wir wieder eine steigende Tendenz für die D-Mark und eine sinkende Tendenz für den Dollar.
— Ja, Sie lachen. Aber da kann ich doch nur sagen: hören Sie doch auf mit diesem Unsinn, daß Schwankungen des D-Mark/Dollar-Kurses das Vertrauen in die Bundesregierung widerspiegeln. Das ist doch wirklich Unsinn.
Ich darf noch ein Wort zu den Wechselkursen sagen, die ja für unsere ökonomische Entwicklung in der Zukunft sehr wichtig sind. Ein berühmter und meines Erachtens auch sehr hochgeschätzter Nationalökonom, Herbert Giersch, vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel — dem man sicherlich nicht vorwerfen kann, er sei ein Sozialdemokrat oder ein Sozialist —, hat vor kurzem sinngemäß gesagt: Wir hatten bis vor kurzem durch die Aufwertung der D-Mark in diesem Lande Deflation importiert, und wir müssen jetzt bereit sein, durch eine Abwertung der D-Mark auch mal wieder Beschäftigung zu importieren. — Ich kann dieses Wort von Herrn Giersch nur ausdrücklich unterstützen.Ich möchte einige wenige Bemerkungen zu den anstehenden Lohnabschlüssen machen, obwohl das selbstverständlich die Sache der Tarifvertragsparteien ist. Mir scheint aber wichtig, was Graf Lambsdorff eben gesagt hat: Bei diesen Lohnabschlüssen wird auch darüber entschieden, ob der soziale Konsens in diesem Lande auch für die Zukunft gesichert bleibt. Meine Damen und Herren, dieser soziale Konsens muß gesichert bleiben. Dem Sachverständigenrat ist da unbedingt zuzustimmen, daß es kurzsichtige Unternehmenspolitik wäre, wenn sie die konjunkturbedingte starke Verhandlungsposition am Markt voll ausreizen würden. Das darf nicht sein. Bei den Lohnabschlüssen müssen sicherlich die strukturellen Komponenten stärker beachtet werden, denn durch die Preissteigerungen, die wir alle beklagen, leiden vor allem die Bezieher kleiner Einkommen, und für die müßte eigentlich zusätzlich etwas an Ausgleich geschaffen werden. Wenn immer so gerne vom „Gürtel-enger-Schnallen" gesprochen wird, so habe ich nichts dagegen, aber ich bin der Meinung, wenn der Gürtel schon enger geschnallt werden muß, dann müssen ihn die erst mal enger schnallen, die in der letzten Zeit besonders dick geworden sind.
Meine Damen und Herren, aus sozialdemokratischer Sicht darf auch über eine Arbeitszeitverkürzung nicht geschwiegen werden. Auch darüber muß nachgedacht werden. Wir machen uns doch etwas vor. Wir haben in den Jahren von 1970 bis 1979 in diesem Lande alljährlich eine Arbeitszeitverkürzung von rund 1 % gehabt. Das ist nicht viel. Mit fortschreitender Rationalisierung muß auch die Arbeitszeitverkürzung weiterhin eine der Möglichkeiten bleiben. Auf diesem Felde könnten die Gewerkschaften sehr wohl noch das eine oder andere unternehmen.Wir sollten sicherlich auch darüber nachdenken, ob es nicht möglich ist, die Lebensarbeitszeit weiter zu verkürzen, die Möglichkeit zu schaffen, daß die Alteren vielleicht eher in Rente gehen können. Das kann natürlich nur möglich sein, wenn sie bereit sind, unter Umständen auch einen Teil ihrer Einkommensansprüche abzugeben.Die Hauptlast der Wirtschaftspolitik liegt ganz zweifellos auf den Schultern der Finanzpolitik. Ich möchte hier noch einmal sagen, es war richtig, daß die Bundesregierung die Steuersenkung zu den Jahren 1981 und 1982 durchgesetzt hat, die eine Entlastung der Einkommensbezieher um 16,5 Milliarden DM bringt. Natürlich muß man die Mineralölsteuererhöhung um 3,7 Milliarden DM dagegenrechnen. Unter dem Strich bleibt dann aber immer noch eine Ein-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1019
Dr. Jenskommensverbesserung von rund 12 Milliarden DM. Das ist zum heutigen Zeitpunkt genau richtig.
Ich betone auch, es war richtig, Herr Wissmann, daß die Bundesregierung 1976 ein Zukunftsinvestitionsprogramm aufgelegt hat. Auf diese Art und Weise wurden im öffentlichen Bereich längst überfällige Investitionen getätigt. Ich meine, dieses Zukunftsinvestitionsprogramm war ein Erfolg.Ich möchte bei dieser Gelegenheit ausdrücklich begrüßen, daß Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff und auch Bundesfinanzminister Matthöfer in der Haushaltsdebatte einmal mehr gesagt haben, daß sie nicht bereit seien, eine prozyklische Finanzpolitik zu betreiben. Steuermindereinnahmen werden nicht etwa durch Ausgabenkürzungen ausgeglichen, sondern müssen notfalls und notgedrungen zu einer höheren Verschuldung führen, die wir alle nicht begrüßen.Ich möchte hier aber auch die Aufforderung aussprechen, insbesondere an Bund, Länder und Gemeinden, bei den Konsumausgaben zu jäten und bei den Investitionen zu säen. Die Investitionen, die im Jahre 1981 im öffentlichen Bereich getätigt werden können, müßten auf die erste Hälfte dieses Jahres vorgezogen werden, um so einen Investitionsschub zu bewerkstelligen.Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zu den vielgescholtenen Investitionshemmnissen. Auch Herr Waigel ist eben ausführlich darauf eingegangen, Graf Lambsdorff hatte auch etwas dazu gesagt. Herr Schwarz-Schilling, es kann keiner dagegen sein, daß Hemmnisse abgebaut werden. Auch ich bin dafür, daß Investitionshemmnisse abgebaut werden, insbesondere wenn es bürokratische Investitionshemmnisse sind. Aber bei vielen — Ihnen will ich das gar nicht einmal unterstellen, obwohl ich Sie jetzt angucke — ist es doch so, daß sie davon reden, daß Investitionshemmnisse wegmüßten, aber im Grunde eine Reduzierung des Umweltschutzes oder eine Reduzierung des Mieterschutzes meinen. Das kann doch wohl nicht in unserem Sinne sein. Die Opposition hat doch auch zum Umweltschutz und zum Mieterschutz ja gesagt. Das muß im Interesse der Bürger in diesem Lande erhalten bleiben.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir mittelfristig noch mehr Investitionen werden tätigen müssen, als zur Zeit im Haushalt vorgesehen sind. Ich meine, daß wir wiederum so etwas wie ein Zukunftsinvestitionsprogramm brauchen. Das könnte ein Investitionsprogramm zur Verbesserung der Lebensqualität sein. Schwerpunkt könnte der Umweltschutz sein. Weiterhin könnte die Schaffung von Wohnraum verstärkt gefördert werden, insbesondere für kinderreiche Familien und in Ballungsgebieten. Es könnte etwas Zusätzliches für die Verbesserung des Nahverkehrs getan werden. Vor allem aber, meine ich, müssen wir mehr tun, um die Fernwärme auszubauen — Kraft-Wärme-Koppelung.
Der Bund hat auf diesem Felde 600 Millionen DM schon in diesem Haushalt 09 zur Verfügung gestellt.
— Lesen Sie den Jahreswirtschaftsbericht nach: Der Bund war bereit, 600 Millionen DM für den Ausbau der Fernwärme und Kraft-Wärme-Koppelung zur Verfügung zu stellen. Dies ist am Streit mit den Ländern über die Mischfinanzierung gescheitert. Insbesondere — das wollen wir nicht verschweigen — Herr Stoltenberg hat dies abgelehnt. Vielleicht hat er Angst um sein Kernkraftwerk in Brokdorf. Ich weiß das nicht so ganz genau.
Aber damit wären 1,2 Milliarden DM an Investitionshilfen allein in diesem Jahr vorhanden gewesen,
die insgesamt Investitionen mit einem Volumen von 6-7 Milliarden DM nach sich gezogen hätten. Das wäre ein Investitionspush gewesen, der meines Erachtens in die konjunkturelle Landschaft hineingepaßt hätte. Ich hoffe nur sehr, da13 auch Herr Stoltenberg noch vernünftig wird und sich bereit erklärt, dieser Mischfinanzierung, diesem Ausbau der Fernwärme zuzustimmen.Ich möchte zusammenfassen und einmal mehr sagen: Wenn es eine angebotsorientierte Politik geben soll — und ich hätte grundsätzlich nichts dagegen —, dann, glaube ich, muß man vor allem auf die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen abstellen.
Wir haben neueste Informationen vom Ifo-Institut und vom Infratest-Institut, wonach in den letzten Jahren ganz besonders viele Arbeitsplätze bei den kleinen und mittleren Unternehmen geschaffen worden sind. Die großen sind schon lange nicht mehr die Wachstumsunternehmen.
Dort wurden Arbeitsplätze abgebaut. Wenn wir Arbeitsplätze schaffen wollen, dann muß es um eine verstärkte Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen gehen, und die Angebotsbedingungen sind dort zu verbessern.
Metadaten/Kopzeile:
1020 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Dr. Jens— Ich freue mich über Ihren Beifall. — Diese Politik haben wir schon lange getrieben.
Von 1977 bis 1979 allein sind 32 000 neue selbständige Existenzen geschaffen worden. Das ist ein Erfolg unserer Politik.
Herr Kollege Jens, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wissmann?
Bitte schön.
Herr Kollege Dr. Jens, Sie sprechen wohl von allen unterstützte Bekenntnisse aus. Darf ich Sie fragen, warum Sie und Ihre Fraktion in der letzten Legislaturperiode Initiativen zur Mittelstandsförderung, zur Existenzgründung für junge Leute und auch andere Initiativen zugunsten einer verbesserten Mittelstandspolitik abgelehnt haben?
Herr Wissmann, Sie sitzen doch nun auch schon die ganze Zeit im Wirtschaftsausschuß. Sie wissen doch nun wirklich, was wir auf diesem Felde alles gemacht haben. Wir haben jedes Jahr die ERP-Mittel erhöht. Wir haben das 300-Millionen-DM-Programm zur Förderung von Forschung und Entwicklung und das Programm zur Förderung von selbständigen Existenzen aufgelegt. Wir haben eine Fülle von weiteren Maßnahmen ergriffen. Da macht es sich natürlich immer schön für die Opposition, wenn sie noch etwas zusätzlich fordert. Aber das, was bisher von uns gemacht wurde, wird noch nicht einmal immer in Gänze ausgeschöpft.
Ich habe sehr bedauert, Herr Wissmann, daß Herr Waigel — man konnte vielleicht gar nichts anderes erwarten — hier wiederum keine konkreten Rezepte genannt hat, um unsere Probleme hinsichtlich der Arbeitslosigkeit zu lösen.
Ich glaube, daß sich die Opposition — Herr Kiep, Sie sind ja morgen noch dran — das einfach zu leicht macht, wenn sie immer nur anklagt, meckert und schimpft
und nie konkret sagt, was sie nun eigentlich machen will.
Ich glaube auch, daß das deutsche Volk dieser Opposition langsam nicht mehr glaubt; denn Verantwortung hat auch die Opposition zu tragen, und zurVerantwortung gehört, daß man auch einmal unpopuläre Entscheidungen mitträgt.
Sie hätten z. B. bei der Mineralölsteuererhöhung eben ja sagen können, aber da haben Sie j a schön, weil es gut ankommt, mit Nein gestimmt,
obwohl Sie ganz genau wissen: Das ist ein Schritt in die richtige Richtung gewesen.
Da läuft die Opposition durch die Lande und beklagt, daß wir zu viele Subventionen hätten. Das haben Sie doch immer getan.
Sie reden dauernd vom Subventionsabbau, der betrieben werden müßte.
Nur, wenn es z. B. darum geht, die Mittel für die regionale Strukturpolitik etwas zu kürzen, wenn es z. B. darum geht, die Sparförderung abzuschaffen, dann sagt die Opposition wieder nein dazu.
— Das sind auch Subventionen.
Wenn es darum geht, bei der Agrarpolitik vielleicht einmal etwas wegzuschneiden, dann sagt die Opposition auch wieder nein dazu. Also, so geht es nicht! Ich bin da sehr auf Ihre konkreten Hilfen zum Subventionsabbau gespannt.Worauf es mir ankam, war, deutlich zu machen: Auch Sozialdemokraten, meine Damen und Herren, wollen die Investitionskraft der Volkswirtschaft steigern, wollen staatliche Investitionen, dann aber auch und vor allem private Investitionen. Auch Sozialdemokraten wollen die Wettbewerbsfähigkeit, die Leistungsfähigkeit der deutschen privaten Unternehmen erhöhen.Dazu gehören allerdings nicht ausschließlich finanzielle Hilfen. Dazu gehört meines Erachtens auch mehr Miteinander und weniger Gegeneinander. Minister Baum hat vor kurzem einmal gesagt: Schwierige Zeiten wie unsere erfordern mehr und nicht weniger Solidarität. Das gilt, so meine ich, auch für die Wirtschaft.Zu diesem Mehr an Solidarität gehören meines Erachtens der Erhalt und auch der Ausbau des sozialen Netzes, gehört meines Erachtens nicht weniger, sondern mehr Mitbestimmung für die deutschen Arbeitnehmer.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1021
Dr. JensDa darf der einzelne nicht mit aller Kraft auf seinen Privilegien beharren. Da muß derjenige, der bisher von den ständigen wirtschaftlichen Eintwicklungen besonders profitierte, als erster seinen Beitrag leisten. Worauf es ankommt, ist nicht nur verantwortliches Handeln des Staates, sondern ist auch verantwortliches Handeln eines jeden einzelnen und vor allem der großen gesellschaftlichen Gruppen für unsere gesamtwirtschaftliche Entwicklung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Haussmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte am Anfang dafür danken, daß Herr Ministerpräsident Albrecht bereit war, hier einem guten parlamentarischen Brauch zu folgen, daß nämlich bei der Jahreswirtschaftsdebatte zunächst einmal eine Runde der Parlamentarier abgeschlossen werden kann und daß dann die Vertreter der Länder das Wort nehmen.
Meine Damen und Herren, die wirtschaftliche Lage der Bundesrepublik ist nicht gut. Die Arbeitslosigkeit ist zu hoch, die Inflationsrate unbefriedigend, die wirtschaftliche Aktivität stagniert — welchsprachlicher Unsinn übrigens, von einem „Minuswachstum" zu sprechen! —,
und unsere Außenbilanz ist bei weitem nicht ausgeglichen;
in der Tat eine sehr schwierige Lage.
Für die Bürger draußen, die bei dieser Debatte von uns Hilfe erwarten, ist es aber auch kein Trost, daß unter einer CDU-Regierung das Ergebnis eher noch schlechter wäre.
Ich sage bewußt „schlechter", meine Damen und Herren,
weil ein praktikables und finanzpolitisch abgestimmtes Konzept von Ihnen in der jetzigen Situation nach wie vor fehlt. Sie akzeptieren nicht die weltwirtschaftliche Verflechtung unserer Wirtschaft; Sie akzeptieren nicht den Vergleich mit den wichtigsten Industrieländern, und ich halte es für einen gefährlichen Provinzialismus, wenn der bayerische Ministerpräsident hier in der Haushaltsdebatte gesagt hat: Was gehen uns die Beschäftigungsprobleme der anderen draußen an?
— Das hat er hier sinngemäß gesagt; es ist von der Opposition noch einmal bestätigt worden.
Wir können das nachprüfen.
Zweitens. Ihr neuestes Patentrezept liegt, wie man aus Reden der Kollegen draußen in den Wahlkreisen vernimmt, in einem sehr faden Aufguß amerikanischer, Reaganscher Aufbruchstimmung. Der Unterschied ist natürlich der, daß Herr Reagan die Wahl im Gegensatz zu Ihnen gewonnen hat und insofern natürlich auch die Stimmung in beiden Ländern verschieden ist.
— Trotzdem, Herr Waigel, wäre es interessant — wenn Sie die Wahl gewonnen hätten —,
die Mixtur zu sehen, die die Union zwischen strammen Friedman-Jüngern à la Wirtschaftsflügel von Herrn Bismarck und der Sozialromantik, die Herr Blüm verkörpert, veranstalten würde. Das wäre eine interessante Mischung an wirtschaftspolitischem Konzept.
— Sie sind mir immer sehr sympathisch. Ich habe persönlich nichts gegen Romantiker, aber es ist sehr schwierig, diese beiden Flügel in Ihrer großen Volkspartei auf ein konsistentes Wirtschaftskonzept zu bringen.
— Vielleicht müssen Sie in Berlin einmal eine praktische Bewährungsprobe bestehen, Herr Blüm. Ich würde es persönlich begrüßen.
Dritter Punkt. Sie reden von Haushaltssanierung— auch Herr Waigel hat das ja sehr stark betont —, handeln aber in praxi dagegen. Eine energiewirtschaftlich und devisenpolitisch notwendige Mineralölsteuererhöhung wird abgelehnt, und jegliche Steuersenkungsmaßnahmen werden über den Bundesrat torpediert. Insofern wäre es für den Bürger wirklich glaubwürdiger, wenn es auch nur einen CDU-Ministerpräsidenten in der Bundesrepublik geben würde, der nun wirklich eine alternative Haushaltssparpolitik fahren würde.Es ist doch völlig richtig, wenn die „Süddeutsche Zeitung" schreibt — ich zitiere mit Einverständnis des Präsidenten —:Viel anders hätte die Wirtschafts- und Finanzpolitik der vergangenen zwölf Jahre auch unter
Metadaten/Kopzeile:
1022 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Dr. HaussmannUnionsregie in Bonn nicht ausgesehen. Daß die Finanzpolitiker der Union stets vor den Folgen dieser Politik gewarnt haben, ist überhaupt kein schlüssiger Beweis dafür, daß sie die gleiche Politik, in Verantwortung stehend, nicht auch betrieben hätten.
Herr Waigel, gestern schrieb der auch von Ihnen anerkannte Korrespondent Thoma in der „Süddeutschen Zeitung"
folgendes über den Haushalt des bayerischen Ministerpräsidenten — ich zitiere —:Auch mit Franz Josef Strauß als Regierungschef ist Bayern nicht imstande, dem Bund vorzumachen, wie ein Haushalt aussehen müßte, der den sich aus Konjunkturlage und Konsolidierungszwang ergebenden Anforderungen genügen würde.
— Das können Sie von Bayern nicht sagen; dort regieren Sie ja schon eine Ewigkeit. — Wenn also bei der Opposition in der praktischen Politik im Moment keine konkreten Rezepte vorhanden sind, ist es wichtig, zu sagen, was denn die FDP in dieser Situation anbietet. Da ist es für uns — das sage ich ganz offen — erstaunlich — ja, ich würde sagen, es ist mehr als eine koalitionspolitische Pflichtarbeit gewesen; es läßt vielmehr auf eine sehr gelungene Überzeugungsarbeit schließen —, wenn der sozialdemokratische Finanzminister in der Haushaltsdebatte gesagt hat, daß unsere strukturellen Probleme nicht durch ein globale antizyklische Geld-, Kredit- und Finanzpolitik ausgeglichen werden könnten und daß er es nicht für richtig halte, neue, zusätzliche Ausgabenprogramme zu beschließen, sondern daß dies die Stunde der autonomen unternehmerischen Investitionen und Innovationen sei: so Herr Matthöfer. Genau dies war immer unser liberales Wirtschaftskonzept. Es ist ein großer Erfolg unserer Politik, daß sie nun auch hier eine so breite Anerkennung findet.Meine Damen und Herren von der Opposition, auch wir Deutschen müssen — dem kann sich niemand entziehen — unseren Tribut an die geänderten weltwirtschaftlichen Daten zahlen. Da gibt es auch kein binnenwirtschaftliches Patentrezept. Die Probleme der Arbeitslosigkeit in unserem Land sind viel zu ernst. Wecken Sie daher bitte bei unseren Bürgern keine falschen, weil kurzfristig nicht erfüllbaren Hoffnungen!Der Weg, den wir vorschlagen, ist ehrlich. Er bedeutet Opfer. Aber er wird mittelfristig erfolgreich sein. Er heißt: Beseitigung von Arbeitslosigkeit durch Stärkung unserer Wettbewerbsfähigkeit und durch mehr Marktwirtschaft. Da bin ich sehr im Streit mit Ihnen, Herr Waigel. Diese Diskussion vor der Wahl über die internationale Wettbewerbsfähigkeit hat nicht die Opposition in der Bundesrepublik ausgelöst, sondern ausschließlich der liberale Wirtschaftsminister.
Die Opposition hat seine Äußerungen in vielen Wahlreden in den Wahlkreisen bewußt dazu mißbraucht, ihn auf ein anderes Gleis abzuschieben, und zwar nach der Devise, hier gehe es um einen Vorwurf an den Fleiß der deutschen Arbeitnehmer. Erst im nachhinein haben Sie respektiert, daß hier Unternehmer, Politik und Arbeitnehmer gleichzeitig gemeint sind.
Erlauben Sie mir, wenn immer so viel von Sparen, Einschränkungen und Fleiß die Rede ist, eine kritische persönliche Bemerkung. Ich kann das Wort vom engeren Gürtel eigentlich kaum mehr hören. Ein Kommentator hat dieser Tage folgendes gesagt, und ich stimme ihm zu: Man kann den Gürtel nicht enger schnallen, solange die Bäuche zu dick sind. Die Bäuche sind die Besitzstände und die Anspruchsrechte in unserer Gesellschaft. Da muß doch auch in dieser Debatte die Frage erlaubt sein: Wird denn der öffentliche Dienst erkennen, welch ungeheuren Wert die Arbeitsplatzsicherheit in den schwierigen 80er Jahren darstellen wird, und wird er bereit sein, dies auch bei seinen Forderungen zu berücksichtigen?
Ich komme auf unser Konzept zurück: Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, mittelfristige Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Diese von Lambsdorff ausgelöste Diskussion über die japanische Herausforderung ist zur rechten Zeit gekommen. Es ist sehr wichtig, daß nach den vielen ängstlichen Tönen dieser Diskussion endlich auch positivere, offensivere Töne zu spüren sind, insbesondere in der Automobilindustrie. Es wäre ja ein Armutszeugnis, wenn unsere Vorzeigebranche in der Bundesrepublik verstärkt die Flucht hinter Schutzzöllen und Zäunen und nicht die offensive Auseinandersetzung suchen würde. Deshalb begrüße ich es, daß — bisher leider nur in der Bundesrepublik — die Automobilindustrie diesen Weg geht. Staatliche Schutzzäune im exportintensivsten Land wären Harakiri und könnte mittelfristig nur noch mehr Arbeitsplätze gefährden.
Auch der Wunsch nach Anpassungsübergängen ist falsch. Denn hinter Schutzmauern ist der Anpassungsdruck weg. Für die FDP ist ganz entscheidend, daß in der Bundesrepublik die deutschen Gewerkschaften bereit sind, diesen Weg mitzugehen und nicht wie andere europäischen Gewerkschaften die Flucht hinter Protektionismus suchen.
Ich bitte daher die Kollegen der CDU/CSU und auch der SPD herzlich: Helfen Sie unserer liberalen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1023
Dr. HaussmannWirtschaftspolitik bei Ihren Kollegen in den anderen europäischen Ländern! Helfen Sie bei den Abgeordneten der konservativen und der sozialistischen Fraktion in Europa, daß sich hier diese marktwirtschaftliche Linie und nicht das Flüchten im Protektionismus durchsetzt!Die japanische Herausforderung anzunehmen heißt aber auch für die Unternehmen selbst, nicht nur zu reagieren oder zu jammern, sondern durch verstärkte Technologieförderung und bessere Ausbildung zu antworten. Es führt kein Weg am Erschließen der japanischen Märkte vorbei. Es ist ein viel zu großer und zu wichtiger Markt. Ich weiß, es ist schwierig. Aber wir kommen nicht dran vorbei. In einer Diskussion mit deutschen Marketingberatern habe ich gehört, die Sprache sei für einen Deutschen in Japan besonders schwierig. Es ist natürlich auch zu fragen, ob es nicht umgekehrt für einen japanischen Marketingmann schwierig ist, in Deutschland Fuß zu fassen.Wir von der FDP werden im Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages ein Hearing zur Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft beantragen. Auf die Antworten der deutschen Wirtschaft, der Gewerkschaft und der Wissenschaftler werden wir sehr gespannt sein.Ich möchte zum Ende meiner kurzen Ausführungen kommen und sagen: Wir können, glaube ich, den Bürgern dieses Landes einen gewissen Teil ihrer Ängste, was die wirtschaftliche Zukunft angeht, durchaus nehmen. Herr Waigel, wir stehen zum Glück nicht am Beginn einer dritten Rezession, sondern wir stehen mitten in einem schmerzlichen Prozeß der weltwirtschaftlichen Anpasssung. Aber mittelfristig werden wir mit Hilfe unseres Konzepts Arbeitslosigkeit abbauen. Wir dürfen an diese Aufgabe nicht mit Pessimismus und mit Wehklagen herangehen. Wenn wir uns auf unsere Tugenden besinnen, ist es möglich, in der Bundesrepublik — genauso wie in Japan — aus dieser weltwirtschaftlich schwierigen Lage herauszukommen. Ich habe eher die Sorge, daß wir in Zukunft noch viel tun müssen, um den Arbeitnehmern und Unternehmern in anderen Ländern Europas auf diesem Weg zu helfen. — Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, es sind nur noch wenige Minuten bis 13 Uhr. Zwischen den Fraktionen ist im Ältestenrat vereinbart worden, daß eine kurze Mittagspause von einer Stunde eingelegt wird. Ich denke, es ist jetzt nicht mehr sinnvoll, die Debatte fortzusetzen.
Ich unterbreche die Sitzung. Der Deutsche Bundestag tritt um 14 Uhr wieder zusammen.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksachen 9/159, 9/169 —
Es liegen zwei Dringlichkeitsanfragen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf Drucksache 9/169 vor. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Penner zu Verfügung.
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß die Illustrierte „Stern" unter der Überschrift „Die versteckte Atommacht" die angebliche Dislozierung von Depots von Nuklearwaffen morgen detailliert veröffentlichen wird, und sieht die Bundesregierung hierin eine akute Gefährdung der Sicherheitslage der Bundesrepublik Deutschland?
Ich beantworte die Frage des Abgeordneten Hans Graf Huyn wie folgt. Die Bundesregierung bedauert die Veröffentlichung eines Artikels, der geeignet ist, durch seine Mischung von teilweise richtigen und falschen Daten und eine tendenziöse Interpretation der Abschreckungsstrategie des Bündnisses Unruhe in die Bevölkerung zu tragen. Die Bundesregierung bedauert insbesondere, daß durch diesen Artikel der nicht gerechtfertigte Verdacht geweckt wird, als nähme es die Bundesregierung hin oder beabsichtige es sogar, im Falle eines Konflikts die Rolle einer Nuklearmacht zu übernehmen. Die bisherigen Ergebnisse der Überprüfung weisen darauf hin, daß eine akute Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nicht vorliegt. Das Prüfungsverfahren ist jedoch noch nicht abgeschlossen.
Eine Zusatzfrage, Graf Huyn.
Herr Präsident, ich möchte den Herrn Staatssekretär fragen, ob die Bundesregierung nach wie vor zu der Äußerung des Staatssekretärs von Bülow steht, der in der 122. Sitzung des 8. Deutschen Bundestages am 6. Dezember 1978 erklärt hat:
Wegen der besonderen militärstrategischen Funktion, die atomare Sprengkörper für die Verteidigungsplanung der NATO und damit für die Abschreckungswirkung des Bündnisses haben, unterliegen alle diesbezüglichen Angaben innerhalb der NATO einem sehr hohen Geheimhaltungsgrad. Durch das gezielte Erfassen und die öffentliche Bekanntgabe von Objekten, die für die Lagerung atomarer Sprengkörper in Betracht kommen könnten, würde ein schwerer Nachteil für die Äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verursacht werden.
Hierin läge ein Verstoß vornehmlich gegen die Straftatbestände der §§ 95 StGB , 96 Abs. 2 StGB (Auskundschaften von Staatsgeheimnissen),
Entschuldigen Sie, Graf Huyn! Ich bitte, eine Frage zu stellen.
— ich bin sofort am Ende der Frage, Herr Präsident —
Metadaten/Kopzeile:
1024 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Graf Huyn97 Abs. 1 StGB und 109 g Abs. 1 StGB (Sicherheitsgefährdendes Abbilden).Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Graf Huyn, die Deduktion ist, abstrakt gesehen, sicherlich richtig. Es fragt sich nur, ob diese Deduktion den konkreten Sachverhalt trifft.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Huyn.
Herr Staatssekretär, erkennt die Bundesregierung in der fast zeitgleichen Berichterstattung über dieses Thema in den Zeitschriften „Spiegel" und „Stern" sowie in linksextremistischen Tageszeitungen den Beginn einer Kampagne gegen die von der Bundesregierung für richtig gehaltene Nachrüstung im Mittelstreckenbereich?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Es kann keine Frage sein, daß wir in der Bundesrepublik derzeit eine Diskussion erleben, die sich auf breiter Basis mit Grundsatzfragen der Verteidigungspolitik beschäftigt. Es bleibt jedem unbenommen, auf Grund auch zeitlich zusammenfallender Veröffentlichungen daraus seine persönlichen Wertungen zu ziehen.
Eine Zusatzfrage, Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, seit wann hat die Bundesregierung Kenntnis, Information oder Hinweise, daß ein Artikel dieser Art im „Stern" vor der Veröffentlichung steht?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Wir selbst haben von dem Artikel durch einen Vorabdruck erfahren. Das war gestern.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Haase .
Herr Staatssekretär, bei der seinerzeitigen Beratung der Beschaffungsvorlage für den Flugkörper Lance wurden uns im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages Details, die jetzt in der Presse oder in Wochenschriften veröffentlicht worden sind, unter dem Vorbehalt „streng geheim" mit den dazugehörigen Strafandrohungen übermittelt. Ich darf Sie fragen: Gelten diese Strafandrohungen nach Ansicht dieser Regierung nur für Abgeordnete des Deutschen Bundestages oder gegen jedermann?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Verehrter Herr Kollege Haase, das Strafgesetzbuch gilt — für Abgeordnete übrigens nicht „nur", aber auch — für alle Deutschen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Kunz .
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Aussage, daß die Nachrüstung im Mittelstreckenbereich den Atomkrieg wahrscheinlicher mache, wie es in diesem Artikel behauptet wird?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Die Ansicht der Bundesregierung zu dieser Frage ist bekannt. Sie kann sich der Wertung in diesem Teil des Artikels nicht anschließen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jungmann.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß Karten, wie sie der „Stern" veröffentlicht hat, in den USA bereits öffentlich kursieren und die Einzeichnungen der Standorte in den in den USA kursierenden Karten sehr viel präziser sind als im „Stern"?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Es ist bekannt, daß in anderen Staaten, gerade in solchen der westlichen Welt, eine noch großzügigere Informationspolitik betrieben wird als in der Bundesrepublik. — Darauf möchte ich meine Antwort beschränken.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Jobst.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß dieser Artikel den falschen Eindruck erweckt, daß die westliche Rüstung derjenigen der sowjetischen Militärmacht gleichwertig oder gar überlegen sei? Und was gedenkt die Bundesregierung dazu zu unternehmen?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Der Eindruck, der durch diesen Artikel erweckt wird, ist in vielerlei Hinsicht schädlich. Ich habe das am Anfang hervorgehoben. Er ist insbesondere deshalb schädlich, weil er einen falschen Eindruck von dem militärischen Kräfteverhältnis zwischen den beiden Machtblökken erweckt.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Würzbach.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Situation bezüglich unserer Sicherheit — Sie sprachen gerade selber von Unruhe — im Zusammenhang damit, daß ab heute mittag an verschiedenen Stellen im Bundesgebiet Bürgerinitiativen unter Hinweis auf die veröffentlichte Karte Kernkraftgegner zu Märschen zu diesen Zielen und Demonstrationen aufgerufen haben?
Dr. Penner Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Würzbach, ich habe schon vorhin gesagt, daß die Bewegung, die wir in den Anfängen alle spüren, sehr ernst genommen werden muß. Sie beschränkt sich nicht auf ein Feld der Politik. Ein Feld der Politik wird dabei aber besonders berührt, nämlich die Verteidigungspolitik. Wir werden uns dem zu stellen haben.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kroll-Schlüter.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1025
Herr Staatssekretär, welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung entsprechend Ihrer Aussage zu ziehen, daß strafrechtliche Androhungen gegen jedermann gelten?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung kann, was die Anwendung des Strafrechts angeht, selber keine Konsequenzen ziehen. Dafür sind die Strafverfolgungsorgane der Bundesrepublik Deutschland zuständig.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, könnte die Aufregung über solche Publikationen auch daher rühren, daß die Bundesregierung im Gegensatz zu anderen westlichen Demokratien eine zu restriktive Informationspolitik über Sicherheitsfragen betreibt?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hansen, diese Frage wird sicherlich von verschiedenen Standorten aus unterschiedlich bewertet.
Ich selbst muß sagen, daß die Informationspolitik der Bundesregierung eigentlich nichts zu wünschen übrigläßt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß dieser Artikel, gewollt oder ungewollt, zum Bestandteil der Kampagne des Warschauer Pakts gegen die Nachrüstungsbeschlüsse der NATO geworden ist und daß er dazu beiträgt, in der Bundesrepublik Deutschland ein völlig falsches Sicherheitsgefühl entstehen und die notwendigen Verteidigungsanstrengungen als überflüssig erscheinen zu lassen?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Ich habe in meiner ersten Antwort auf die Frage des Abgeordneten Huyn schon eine entsprechende Bewertung ausgesprochen. Es ist richtig, daß wir solche Artikel nicht einfach beiseite schieben können, sondern sie in ihren Auswirkungen ernst nehmen müssen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Linsmeier.
Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung bereits Hinweise oder Erkenntnisse darüber vor, woher das Material für diesen Artikel stammt?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Nein, der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse darüber vor, woher das Tatsachenmaterial stammt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Francke .
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung die Absicht, Strafanzeige zu stellen?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Ich habe vorhin schon versucht, den Unterschied zwischen den Aufgaben der Bundesregierung und den Aufgaben der Strafverfolgungsbehörden klarzustellen. Die Delikte, die hier in Frage stehen, werden von Amts wegen verfolgt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mertes.
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, welche schlimmen Folgen für die psychologische Lage der Soldaten entstünden, wenn die Preisgabe höchster Staatsgeheimnisse nicht mehr geahndet wird und die Verteidigungsbereitschaft der Bundesrepublik Deutschland und damit auch die friedenssichernde Funktion der Abschreckung Schaden leidet, ohne daß die Bundesregierung versucht, dies zu verhindern, und ist die Bundesregierung bereit, diesen Zusammenhang auch dem Abgeordneten Hansen näherzubringen?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Mertes, Sie antizipieren in Ihrer Fragestellung etwas, dem ich mich nicht anschließen kann. Sie behaupten, daß es sich bei dem Vorgang um den Verrat höchster Staatsgeheimnisse handelt. Das wird sich erst noch herausstellen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dallmeyer.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben in einer Antwort gesagt, daß Sie sich der Herausforderung auf Grund der Demonstration stellen werden. Können Sie etwas mehr konkretisieren, wie das aussehen soll?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Es ist sicherlich nicht zureichend, dauernd nach neuen Gesetzen zu rufen. Das wird für sich allein keine zureichende Antwort bedeuten, sondern wir werden uns bemühen müssen, diese Frage auch politisch zu bewältigen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Böhm.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung die Rechtsfrage geprüft, ob die Bundesanwaltschaft in dieser Angelegenheit von sich aus tätig werden muß, und wie ist das Ergebnis einer solchen Prüfung?Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Sie können sicher sein, daß die Bundesregierung diese Frage geprüft hat.
Ich empfehle, die zweite Frage nicht aus dem Augezu verlieren; aber ich kann Ihnen jetzt schon sagen,
Metadaten/Kopzeile:
1026 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Parl. Staatssekretär Dr. Pennerdaß die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Voigt.
Herr Staatssekretär, ist es nicht auch eines der Probleme im Zusammenhang mit dieser Veröffentlichung im „Stern", daß die Fragen der Friedenssicherung isoliert auf militärische Fragestellungen konzentriert werden, während die Friedenssicherung von politischen Friedensstrategien beherrscht sein muß?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Die Problematik ist klar, berührt aber meines Erachtens nicht das Kernstück des Problems als Antwort auf diesen Artikel.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Dringlichkeitsfrage 2 des Abgeordneten Würzbach auf:
Welche Schritte gedenkt die Bundesregierung wegen der bevorstehenden Veröffentlichung im „Stern" mit dem Titel „Die versteckte Atommacht" zu unternehmen?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hält presserechtliche Schritte für wenig erfolgversprechend. Für die Einleitung eines Strafverfahrens sind die Strafverfolgungsbehörden zuständig. Der Generalbundesanwalt hat gestern ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, was wird die Bundesregierung tun, um vor dem hier angesprochenen Hintergrund mehr als bisher zu verdeutlichen, daß der NATO-Nachrüstungsbeschluß — Dezember 1979 — ein Modernisierungsbeschluß ist, der zur Folge hat, die Friedenssicherung — um diese Vokabel aufzunehmen — besser zu gewährleisten, und überhaupt erst — Aussage der Regierung — die Grundlage für erfolgreiche Abrüstungsverhandlungen darstellt?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Ich denke, der Herr Bundeskanzler hat den Standpunkt der Bundesregierung in der Regierungserklärung sehr deutlich gemacht.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Würzbach.
Da Voraussetzung, Anlaß, Begründung für den Nachrüstungsbeschluß vor allem der Bereich der Mittelstreckenraketen gewesen ist und sich die Zahl von damals 50 SS 20 inzwischen auf 100 verdoppelt hat, frage ich: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß damit rein rechnerisch sozusagen eine doppelte Notwendigkeit für diesen Beschluß gegeben ist?
Entschuldigen Sie, Herr Abgeordneter, die Frage steht mit der ursprünglich eingereichten Frage in keinem Zusammenhang. Ich kann sie daher nicht zulassen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Jungmann.
Herr Staatssekretär, kann man davon ausgehen, daß die Bundesregierung bei der Behandlung dieser Veröffentlichung besonnener vorgehen wird, als das im Jahre 1962 der Fall war, als in einer anderen Zeitschrift schon einmal eine derartige Veröffentlichung erfolgte? Damals ist die Bundesregierung nicht sehr besonnen gewesen.
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung wird sich, Herr Kollege Jungmann, am geltenden Recht orientieren.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dallmeyer.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, mitzuteilen, wie die Veröffentlichung des Artikels im „Stern" von den Verbündeten aufgenommen worden ist?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat nach Veröffentlichung des Artikels im „Stern" Kontakte zu den Verbündeten gehabt. Sie werden verstehen, daß Einzelheiten über diese Kontakte in diesem Haus nicht unterbreitet werden können.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Huyn.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung nicht der Meinung, daß Veröffentlichungen dieser Art, die koordiniert in verschiedenen Medien erscheinen, für die entsprechenden Behörden Anlaß sein müßten, einer Infiltration gewisser deutscher Medien durch verfassungsfeindliche Elemente nachzugehen?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Ich möchte sagen, daß eine Bewertung dieser Frage und ein daraus folgendes Tätigwerden allein in die Zuständigkeit der dazu berufenen Staatsorgane fallen. Im übrigen, Kollege Graf Huyn, die Ihrer Frage zugrunde liegende Behauptung vermag ich so nicht zu teilen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger .
Herr Staatssekretär, da die Frage des Kollegen Würzbach nicht nur auf Maßnahmen im Hinblick auf die Redaktion gerichtet ist, sondern überhaupt auf Maßnahmen der Regierung, möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung beabsichtigt, der breit angelegten Desinformationskampagne, die mit diesem Artikel doch wohl erst begonnen hat, durch eine ebenso breit angelegte Informationskampagne zu begegnen, mit der die Ziele, die Zwecke und die Aufgaben des Nachrüstungsbeschlusses und der Rüstungsanstrengungen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1027
Jäger
des Nordatlantischen Bündnisses dargestellt werden.Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist immer bemüht, ihre Politik deutlich zu machen. Sie wird sich dabei aber innerhalb der Grenzen halten, die vom Bundesverfassungsgericht gesetzt worden sind.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, darf ich in Ergänzung der Frage meines Kollegen Jungmann fragen, ob man davon ausgehen kann, daß die Bundesregierung nicht wie seinerzeit bei der „Spiegel"-Affäre von einem „Abgrund von Landesverrat" ausgeht und nicht etwa die Inhaftnahme von Redakteuren des „Stern" veranlassen wird?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung geht auch bei diesem Sachverhalt von Tatsachen aus.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, ist bei den Bemühungen um Aufklärung des Sachverhalts, der zu diesem Artikel geführt hat, neben dem Verfassungsschutz auch der Bundesnachrichtendienst eingeschaltet?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Das kann ich im Moment nicht sagen. Ich werde der Sache aber nachgehen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Mertes.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung gewillt, den politischen, d. h. kriegsverhindernden und friedenssichernden Charakter der Abschreckung wirksamer als bisher gegenüber der Bevölkerung zu erläutern, um dem weitverbreiteten Unwissen über den Zusammenhang von Frieden, Sicherheit und Abrüstung entgegenzuwirken, auf dessen Nutzung nicht nur der „Stern" vom 19. Februar 1981, sondern auch andere Publikationen, aber auch parlamentarische Äußerungen wie die des Kollegen Hansen abzielen?
Dr. Penner, Parl. Staatssekretär: Wir sind bemüht, dieser Informationspflicht zu genügen. Wir sind uns bewußt, daß gerade künftig eine solche Informationspflicht sehr ernst zu nehmen ist.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Wir kommen damit zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Staatssekretärin Fuchs zur Verfügung. Die
Fragen 33 und 34 des Abgeordneten Kalisch werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Horstmeier auf:
Wieviel Prozent der Zivildienstleistenden absolvieren nach Kenntnis der Bundesregierung Vorbereitungslehrgänge, und wie teilt sich diese Zahl nach Besuchern der Lehrgänge an Zivildienstschulen und bei freien Trägern auf?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Herr Präsident, ich würde gern die Fragen 35 und 36 gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 36 des Abgeordneten Horstmeier auf:
Welche Erfahrungen mit Vorbereitungslehrgängen an Zivildienstschulen im Hinblick auf eine Verwendung der Zivildienstleistenden in den sozialen Diensten sind der Bundesregierung bekannt?
Frau Fuchs, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, im Jahre 1980 haben nach vorläufigem Ergebnis 11 133 Zivildienstleistende an einem Einführungslehrgang teilgenommen. Das sind rund 42 % der 26 301 Zivildienstleistenden, die in diesem Jahr ihren Dienst angetreten haben. Davon haben 4 849 Zivildienstleistende — das sind rund 44 % — einen Einführungslehrgang in Zivildienstschulen und 6 284 — das sind rund 56 % — einen von einem Verband der Freien Wohlfahrtspflege durchgeführten Einführungslehrgang besucht.
Einführungslehrgänge in Zivildienstschulen, in denen Dienstleistende auf ihren Dienst — vor allem im sozialen Bereich — vorbereitet werden, gibt es seit 1971. Diese Lehrgänge, die im Laufe der Jahre ständig ausgebaut und verbessert worden sind, haben sich grundsätzlich bewährt. Schwerpunktmäßig finden Kurse für die Einführung in die Probleme statt, die die Zivildienstleistenden bei der Betreuung und Versorgung alter, behinderter und kranker Menschen erwarten. Wesentlicher Gegenstand der Lehrgänge ist daneben nach dem Zivildienstgesetz die Einführung in Wesen und Aufgaben des Zivildienstes und die Unterrichtung der Dienstleistenden über ihre Rechte und Pflichten, ferner der staatsbürgerliche Unterricht. Zu jedem Lehrgang gehört außerdem ein Kurs in Erster Hilfe, der in Zusammenarbeit mit den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege durchgeführt wird.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Horstmeier.
Frau Staatssekretärin, können Sie etwas darüber sagen, wie hoch die Kosten für diese Einführungslehrgänge zum einen bei den Zivildienstschulen und zum anderen bei den freien Trägern sind?Frau Fuchs, Parl. Staatssekretär: Bei den Zivildienstschulen betragen die Kosten 80 DM pro Teilnehmertag. Die anderen Schulen, von denen Sie sprechen, erhalten vom Staat einen Zuschuß von 40 DM; die übrigen Kosten werden von den Trägern der Schulen selbst aufgebracht.
Metadaten/Kopzeile:
1028 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Horstmeier.
Frau Staatssekretärin, gibt es bestimmte Kostenelemente, die zu diesen höheren Kosten bei den Zivildienstschulen führen?
Frau Fuchs, Parl. Staatssekretär: Wir sind dabei, diese Kosten zu analysieren. Aber ich darf noch einmal darauf hinweisen, Herr Abgeordneter: die nichtstaatlichen Zivildienstschulen bekommen einen Zuschuß von 40 DM; ob sie für ihre Leistungen mit dem Geld auskommen, ist eine andere Frage. Wir gehen nach den bisherigen Untersuchungen davon aus, daß die übrigen Kosten von den Trägern getragen werden; ob diese dann mittelbar nicht doch zu Lasten des Staates gehen, wird derzeit überprüft.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, liegen Erfahrungen darüber vor, ob an den Zivildienstschulen eine zielgerechte Einführung erfolgt, so daß sich eine Einarbeitung nachfolgend bei den Trägern, wo dann die Arbeit abgeleistet werden soll, erübrigt?
Frau Fuchs, Parl. Staatssekretär: Das ist auch der Sinn der Zivildienstschulen, daß man die Zivildienstleistenden in die Aufgaben einführt, die sie erwarten. Wir gehen davon aus, daß sich durch die Einführung der Umfang der Einarbeitung bei den Trägern entsprechend reduzieren kann.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, gibt es eine Zusammenarbeit zwischen den freien Trägern und den Zivildienstschulen?
Frau Fuchs, Parl. Staatssekretär: Ich habe schon darauf hingewiesen, daß wir seit 1971 diese Schulen haben, teilweise bei den Trägern, teilweise als staatliche Zivildienstschulen. Es gibt eine gute Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Organisationen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Broll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Staatssekretärin, gehört es auch zu den Unterrichtsgegenständen der Zivildienstschulen, daß Lehrgangsteilnehmer gruppenweise während der Dienstzeit zu Demonstrationen gegen Atomkraft und gegen Gelöbnisfeiern nach Hamburg fahren, wie es geschehen ist?
Frau Fuchs, Parl. Staatssekretär: Ich würde nicht sagen, daß dies zu den Aufgaben der Zivildienstschulen gehört.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Börnsen.
Frau Staatssekretärin, beabsichtigt die Bundesregierung eine Schwerpunktverlagerung — Sie haben vorhin die Zahlen genannt — zwischen Zivildienstschulen und freien Trägern zugunsten der Zivildienstschulen?
Frau Fuchs, Parl. Staatssekretär: Ich habe darauf hingewiesen, daß wir im Augenblick dabei sind, das Zusammenwirken zwischen Zivildienstschulen einerseits und den freien Trägern andererseits zu überprüfen und sachgerecht fortzuentwickeln.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Peter.
Frau Staatssekretärin, teilen Sie die Meinung, daß durch Erarbeitung von koordinierten Curricula die Ausbildung in den Einführungslehrgängen verbessert werden könnte?
Frau Fuchs, Parl. Staatssekretär: Ich teile Ihre Auffassung.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Der Fragesteller der Frage 37 hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Zur Beantwortung steht Frau Minister Huber zur Verfügung.
Der Fragesteller der Frage 38 hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 39 — des Abgeordneten Kroll-Schlüter — auf:
Gibt es noch keine konkreten Möglichkeiten, durch flexiblere Arbeitszeiten die Familienaufgaben besser mit den Anforderungen der Berufswelt zu vereinbaren?
Bitte, Frau Minister.
Herr Kollege Kroll-Schlüter, die Einführung der gleitenden Arbeitszeit in der Verwaltung und in einer Vielzahl von Betrieben stellt bereits einen konkreten Beitrag dar, Familien- und Berufsleben miteinander besser zu kombinieren. Mit der Möglichkeit, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit in gewissen Grenzen selbst zu bestimmen, haben vor allem erwerbstätige Mütter und Väter zeitliche Spielräume gewonnen, die sie für die Familie nutzen können.Sofern Unternehmen nicht die flexible Arbeitszeit eingeführt haben, erlauben sie von Fall zu Fall Ausnahmen von fest fixierten Arbeitsstunden und nehmen für einen begrenzten Zeitraum häufig auf besondere familiäre Situationen Rücksicht, vor allem bei berufstätigen Müttern mit Kleinkindern.Welche Ansätze noch denkbar sind, um Wahlmöglichkeiten der Beschäftigten mit Familienpflichten in bezug auf den Arbeitsbeginn, die Lage der Arbeitszeit oder die Zahl der wöchentlichen Arbeitstage zu vergrößern, sollen die vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit geförderten Untersuchungen aufzeigen. Dazu gehört erstens ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen zum Thema „Familienfreundliche Arbeitswelt". Das Ziel dieses von uns in Auftrag ge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1029
Bundesminister Frau Hubergebenen Gutachtens, das Ende dieses Jahres vorliegen wird, ist, Möglichkeiten aufzuzeigen, die den Entscheidungsspielraum zwischen Erwerbs- und Familientätigkeit vergrößern.Zweitens: Ein Forschungsprojekt des Deutschen Jugendinstituts: „Anpassungsprobleme zwischen Arbeitswelt und Familie". Das Projekt wird in diesem Jahr anlaufen und sieht vor, unterschiedliche Arbeitszeitregelungen wie Teilzeit, Urlaub, Sonderregelungen zur Kinderbetreuung in den USA und in der Bundesrepublik zu vergleichen und in ihrer Wirkung auf die Familie zu analysieren.Drittens: Modellversuche zur Wiedereingliederung von Frauen in das Berufsleben, nachdem diese wegen Familienaufgaben ihre Berufstätigkeit für längere Zeit unterbrochen haben.Viertens: Ein Forschungsprojekt „Familienfreundliche Gestaltung des Arbeitslebens", das in meiner Antwort auf Frage 57 noch näher erläutert wird.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kroll-Schlüter.
Warum hat die Bundesregierung mit der Untersuchung solcher Fragen so lange gewartet, bis es eine sehr hohe Arbeitslosigkeit gibt, die die Frauen in besonderer Weise benachteiligt?
Frau Huber, Bundesminister: Die Kombination von Familienpflichten und Arbeit ist in den letzten Jahren ein erhebliches Thema geworden. Wir sind angesichts der Entwicklung zu der Überzeugung gekommen, daß wir noch nicht genug über diese Fragen wissen. Wir machen daher eine Datensammlung. Ich glaube, daß die Veränderungen der letzten Jahre dies nötig gemacht haben — unabhängig von der Beschäftigungslage.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Ist einer Bundesregierung nicht möglich, auf Grund eigener Erfahrungen in einem Jahrzehnt eigene konkrete Schlußfolgerungen zu ziehen?
Frau Huber, Bundesminister: Es ist uns schon möglich, Schlußfolgerungen zu ziehen. Die einfachste Schlußfolgerung, die man ziehen könnte, wäre die einer verkürzten Arbeitszeit, die ohne weitere Sonderregelungen allen etwas bringen würde. Solange dies aber aus vielerlei Gründen nicht möglich ist, bemühen wir uns, die speziellen Probleme zu erörtern, zu untersuchen, damit gezielte Einzelregelungen möglich werden. Wir wollen das modellhaft erproben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Diederich.
Frau Bundesminister, Sie haben sich in Ihrer Antwort überwiegend auf Maßnahmen für Frauen bezogen. Welche Rolle messen Sie den Männern zu, und wie wollen Sie insbesondere sicherstellen, daß bei künftigen flexibleren
Arbeitszeiten die gewonnene Freizeit auch tatsächlich von beiden Partnern der Familie zugewandt wird?
Frau Huber, Bundesminister: Herr Abgeordneter, ich habe mich bei den Untersuchungen, die ich Ihnen genannt habe, keineswegs nur auf Frauen bezogen. Die Untersuchungen beziehen sich auf beide Eltern und z. B. auch auf Männer, die alleinstehend sind, mit ihrer Familie. Das bedeutet, wir machen keinen Unterschied, sondern wünschen uns sehr, daß beide Eltern durch bessere Arbeitszeitregelung profitieren.
Eine Zusatzfrage.
Frau Ministerin, Sie haben, als Sie den Mann erwähnten, eben insbesondere von dem alleinstehenden Mann gesprochen. Darf ich davon ausgehen, daß Sie bei den Untersuchungen über Arbeitszeit und Familie auch berücksichtigen, daß Kinder nicht nur Mütter, sondern auch Väter haben und daß auch dann, wenn beide Elternteile vorhanden sind, Beziehungen zwischen Berufswelt und Familie bestehen?
Frau Huber, Bundesminister: Frau Kollegin Steinhauer, es kann sich nur um einen Hörfehler handeln, denn ich habe gesagt, beide Eltern sollen davon profitieren, natürlich auch alleinstehende Väter, die genau dieselben besonderen Probleme wie Mütter haben, die alleinstehen.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe Frage 40 des Abgeordneten Kroll-Schlüter auf:
Welche rechtlichen oder politischen Möglichkeiten hat die Bundesregierung, solche konkreten Vorschläge in die Tat umzusetzen?
Bitte, Frau Minister.
Frau Huber, Bundesminister: Herr Kollege Kroll-Schlüter, die Regelung der Arbeitszeit fällt im wesentlichen in den Zuständigkeitsbereich der Tarifvertragsparteien. Der Gesetzgeber kann hier nur Rahmenbedingungen setzen. Impulse zur familienfreundlicheren Gestaltung des Arbeitslebens lassen sich vor allem aus Modellprojekten gewinnen. Es ist vorgesehen, die Ergebnisse des laufenden Forschungsprojekts „Familienfreundlichere Gestaltung des Arbeitslebens" in einem Modellversuch umzusetzen und auf seine Realisierungsmöglichkeiten abzuklopfen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kroll-Schlüter.
Darf ich nach diesen Antworten auf diese beiden Fragen die Schlußfolgerung ziehen, daß ein solches Modell wohl ergänzende Erkenntnisse hervorbringen könnte, aber keine zusätzlichen konkreten Möglichkeiten für die Bundesregierung zur Verbesserung der Situation der Frauen?Frau Huber, Bundesminister: Nicht, solange Sie Regelungen meinen, die in den Rahmen der Tarifverhandlungen fallen. Es sind aber schon vielerlei Ent-
Metadaten/Kopzeile:
1030 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Bundesminister Frau Huberwicklungen auf Grund von Erprobungen entstanden, die in Modellversuchen stattgefunden haben, und auf Grund von Erkenntnissen aus Untersuchungen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Kroll-Schlüter.
Dürfte ich in diesem Zusammenhang um ein Beispiel bitten, das so etwas konkret darlegt und unterstreicht?
Frau Huber, Bundesminister: Zum Beispiel möchte ich Ihnen noch einmal das Modell Tagesmütter in Erinnerung rufen, das erheblichen Eingang in unser Pflegekinderwesen gefunden hat. Es wird jetzt überall praktiziert, obwohl wir das Modell beendet haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jaunich.
Frau Minister, können Sie mir darin zustimmen, daß es sich hierbei um ein gesellschaftliches Problem handelt, daß es um Bewußtseinsveränderungen geht und daß demzufolge politische Erörterungen und Modellvorhaben nur förderlich sein können?
Frau Huber, Bundesminister: Ja, Herr Abgeordneter, ich glaube, sie sind ausgesprochen dienlich, und sie sollen die Bewußtseinsänderungen beschleunigen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 41 des Herrn Abgeordneten Jaunich auf:
Kann für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland davon ausgegangen werden, daß durch weitere Zulassung der Verwendung stark cadmiumhaltiger Düngemittel eine Gefährdung der Gesundheit der Verbraucher über die Nahrung, insbesondere über Gemüse, nicht zu befürchten ist?
Bitte, Frau Minister.
Frau Huber, Bundesminister: Herr Kollege Jaunich, Cadmium als Begleitstoff in mineralischem Phosphatdünger spielt im Vergleich zu Cadmium in Klärschlämmen und in der Emission aus der Luft eine vergleichsweise geringere Rolle. So kann man davon ausgehen, daß in der Bundesrepublik Deutschland durch mineralische Phosphatdünger im Druchschnitt etwa 4 bis 5 g Cadmium pro Hektar und Jahr auf landwirtschaftlich genutzte Böden gelangen. Demgegenüber stehen etwa 5 g Cadmium pro Hektar und Jahr, die nach den bisher nur lükkenhaften Erkenntnissen durch Auswaschung oder durch Entzug durch die Pflanzen wieder ausgetragen werden.
Anders sind die Cadmiummengen bei der Aufbringung von Klärschlämmen oder von organisch-mineralischen Düngemitteln zu sehen, die unter Verwendung von Klärschlamm hergestellt werden. Nach der vom Umweltbundesamt vorgelegten Cadmium-Studie beträgt der durchschnittliche Cadmiumgehalt der in der Landwirtschaft verwendeten Klärschlämme 18 mg pro Kilogramm Trockenmasse. Das entspricht einer Zufuhr von 45 g Cadmium pro Hektar und Jahr auf die beschlammten Flächen. Bei diesen Werten handelt es sich um Mittelwerte aus Einzelwerten, die eine große Schwankungsbreite aufweisen.
Die Bundesregierung hat bisher davon abgesehen, nach § 2 Abs. 2 des Düngemittelgesetzes vom 15. November 1977 Höchstmengen für Cadmium in Phosphatdüngern festzusetzen. Es ist jedoch vorgesehen, bei der nächsten Änderung der Düngemittelverordnung, voraussichtlich im Herbst dieses Jahres, den Cadmiumgehalt in den organisch-mineralischen Düngemitteln zu begrenzen.
In bezug auf mineralischen Phosphatdünger hat die Bundesregierung die einschlägige Industrie gebeten, regelmäßig die Cadmiumwerte der verwendeten Phosphate und der erzeugenden Dünger mitzuteilen. Insbesondere aus diesen Meldungen werden zu gegebener Zeit die für die legislativen Maßnahmen notwendigen Folgerungen gezogen.
Hinsichtlich des vorliegenden Entwurfs einer Klärschlammverordnung ist die Bundesregierung bemüht, Regelungen zu finden, die das Aufbringen von Klärschlämmen mit überhöhten Cadmiumwerten zukünftig ausschließen.
Derzeit bieten die vom Bundesgesundheitsamt herausgegebenen Richtwerte 1979 für Blei, Cadmium und Quecksilber in und auf Lebensmitteln für die Überwachungsbehörde hinreichende Anhaltspunkte, anläßlich stichprobenweise durchgeführter Kontrollen kontaminierte pflanzliche Lebensmittel auf der rechtlichen Grundlage des § 17 Abs. 1 Nr. 1 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes vom Verkehr auszuschließen.
Keine Zusatzfrage.Ich rufe die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Jaunich auf:Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung getroffen, um eine Übersicht über die Lebensmittel zu gewinnen, von denen eine Gesundheitsgefährdung wegen eines überhöhten Cadmiumgehalts ausgehen könnte'?Frau Huber, Bundesminister: Herr Kollege Jaunich, die von der Bundesregierung getroffenen Maßnahmen sind ausführlich in dem vom Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit im März 1976 herausgegebenen Bericht „Umweltchemikalien: Probleme, Situation, Maßnahmen" geschildert worden. Dazu gehören unter anderem: Einrichtung der Zentralen Erfassungs- und Bewertungsstelle für Umweltchemikalien beim Bundesgesundheitsamt, Einrichtung eines Bund-Länder-Arbeitskreises Umweltchemikalien, Forschungsprogramme und die Intensivierung des Datenflusses aus den Bundesländern.Vom Bundesgesundheitsamt wurde mit dem Bericht 1/79 der Zentralen Erfassungs- und Bewertungsstelle für Umweltchemikalien des Bundesgesundheitsamtes über Blei, Cadmium und Quecksilber in und auf Lebensmitteln eine umfassende Übersicht über den Gehalt der Lebensmittel bzw. Lebensmittelgruppen auch an Cadmium vorgelegt. Dabei wurden Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln, Getreide, Gemüse und Fleisch besonders berück-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1031
Bundesminister Frau Hubersichtigt und entsprechende Richtwerte veröffentlicht.Im Hinblick auf die mit Cadmium besonders belasteten Lebesnmittel wie bestimmte wildwachsende Pilze und bestimmte Organe von Schlachttieren wurden vom Bundesgesundheitsamt Verzehrempfehlungen herausgegeben. Darüber hinaus wird gegenwärtig u. a. durch Gutachten des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit geprüft, inwieweit zur Ergänzung der Überwachung die Rückständesituation in Lebensmitteln bundesweit laufend und repräsentativ durch ein im wesentlichen mit den Ländern durchzuführendes entsprechendes Datenerfassungs- und -bewertungssystem erfaßt werden sollte. Mit dem Einsatz eines solchen Systems kann jedoch allenfalls nur längerfristig gerechnet werden, da neben schwierigen technischen Fragen natürlich auch die Frage' der Finanzierung eine Rolle spielt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jaunich.
Frau Minister, ist die Bundesregierung nicht der Auffassung, daß, solange die Belastung von Lebensmitteln mit Cadmium nicht hinreichend auszuschließen ist, entsprechende Gefährdungshinweise nicht einmalig gegeben werden dürften, sondern wiederholt werden müßten?
Frau Huber, Bundesminister: Ja, wir sind sehr dieser Auffassung, wir tragen durch laufende Veröffentlichungen dazu auch bei, und ich hoffe, daß auch die Ausführungen, die ich hier heute mache, denselben Zweck erfüllen werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Susset.
Frau Minister, das, was Sie dem Kollegen Jaunich geantwortet haben, trifft ja nur für die in der Bundesrepublik Deutschland produzierten Nahrungsmittel zu. Inwieweit will sich die Bundesregierung nun bemühen, sicherzustellen, daß diese Vorschriften auch für alle aus anderen Ländern auf den deutschen Markt kommenden Lebensmittel gelten?
Frau Huber, Bundesminister: Sie wissen, daß wir gerade in Gesprächen über eine Harmonisierung solcher Vorschriften in der EG sind. Wir beobachten mit großem Interesse und mit großer Intensität das, was im Ausland geschieht, auch, gerade was Cadmium betrifft, z. B. die Vorgänge in Schweden. Ich kann Ihnen versichern, daß es zwar nicht immer einfach ist, eine Harmonisierung zu erreichen und dadurch die Situation zu verbessern, daß wir aber immer daran arbeiten.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 43 des Abgeordneten Gilges auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, bei welchen anderen Lebensmitteln außer Wildpilzen ein überhöhter Cadmiumgehalt zu erwarten ist?
Frau Huber, Bundesminister: Herr Kollege Gilges, das Schwermetall Cadmium ist als Mineralbestandteil überall in der Natur verbreitet. Es wird bei vielen industriellen Prozessen, vor allem in der Verhüttung und bei der Metallurgie sowie bei der Kohleverbrennung freigesetzt und mit dem Niederschlag auf Böden angereichert. Von dort wird es in Pflanzen, auch in Nahrungs- und Futterpflanzen, aufgenommen.
Die Zentrale Erfassungs- und Bewertungsstelle für Umweltchemikalien beim Bundesgesundheitsamt sammelt seit Jahren Daten über Cadmiumgehalte in Lebensmitteln. Eine Zusammenstellung ist unter dem Titel „Blei, Cadmium und Quecksilber in und auf Lebensmitteln" — ich erwähnte sie soeben schon — 1979 erschienen. Danach ist eine Gefährdung des Verbrauchers in der Bundesrepublik bisher nicht zu befürchten. Allerdings muß eine Zunahme des Cadmiumertrags auf Böden langfristig vermieden werden.
Bei einigen Lebensmitteln gibt es Ausnahmen. Bestimmte Wildpilze reichern Cadmium aus dem Boden an. Darum hat das Bundesgesundheitsamt Verzehrempfehlungen für Pilze herausgegeben. Der gelegentliche Verzehr ist allerdings unbedenklich. Das gleiche gilt für die Nieren vom Rind und vom Schwein, da auch in diesen — besonders bei älteren Tieren — Cadmium relativ angereichert wird.
Daneben gibt es zahlreiche regionale Belastungen bei pflanzlichen Lebensmitteln in der Umgebung starker Emittenten, bei verwehten Halden oder bei pflanzlichen Lebensmitteln, die auf Böden, die mit stark cadmiumhaltigen Schlämmen gedüngt wurden, gezogen worden sind.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gilges.
Frau Ministerin, hält es die Bundesregierung dann, wenn der Anteil von Cadmium in gewissen Nahrungsmitteln, z. B. in Pilzen, steigt, eigentlich nicht für notwendig, eine Verbotsliste zu veröffentlichen, damit konsequenterweise einige dieser Lebensmittel, z. B. insbesondere Wildpilze in Dosen, bei denen man das ja prüfen kann, aus dem Verkehr genommen werden?
Frau Huber, Bundesminister: Die Bundesregierung hält es nicht für erforderlich, diese Nahrungsmittel zu verbieten. Sie hält es aber für erforderlich, darauf hinzuweisen, daß einige besonders gefährdete Nahrungsmittel wie Wildpilze nur zum gelegentlichen Verzehr geeignet sind. Wenn ein solcher Hinweis beachtet wird, ist der Genuß unbedenklich.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wird die Liste, die Sie angesprochen haben, bzw. werden die Untersuchungen — bezogen auf bestimmte Nahrungsmittel — eigentlich jährlich fortgeschrieben?Frau Huber, Bundesminister: Die Liste wird jeweils nach den neuesten Erkenntnissen fortgeschrieben. Das kann sich auch über einen längeren Zeitraum erstrecken. Sie wird nach den wissenschaftlichen
Metadaten/Kopzeile:
1032 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Bundesminister Frau HuberErgebnissen des Bundesgesundheitsamtes fortgeschrieben.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 44 des Abgeordneten Gilges auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bisher getroffen, um den Verbraucher vor Lebensmitteln mit überhöhtem Cadmiumgehalt zu schützen?
Frau Huber, Bundesminister: Herr Kollege Gilges, der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit mißt den Problemen der Schwermetallkontamination von Lebensmitteln — insbesondere durch Cadmium — herausragende Bedeutung bei.
Vom Bundesgesundheitsamt wurden die Richtwerte '79 herausgegeben; ich habe sie soeben schon zweimal erwähnt. Es handelt sich um Werte, nach denen sich die Lebensmittelwirtschaft und -überwachung richten kann und soll. Bei Überschreiten der Richtwerte soll von der zuständigen Behörde auf der Grundlage des § 17 Abs. 1 Nr. 1 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes von Fall zu Fall geprüft werden, ob eine Beanstandung der in Frage kommenden Lebensmittel geboten ist.
Da für mehrere Lebensmittel die Erarbeitung eines Richtwertes aus Mangel an geeignetem Datenmaterial noch nicht möglich war, ist es erforderlich, die Richtwerttabellen im Laufe der Zeit zu ergänzen. Dies wird durch entsprechende Publikation im Bundesgesundheitsblatt geschehen.
Voraussetzung für den Erlaß einer Rechtsverordnung über Umweltkontaminanten in Lebensmitteln ist das Vorliegen von weiterem statistisch ausreichend gesichertem Datenmaterial. Für eine toxikologische Bewertung sind ferner zuverlässige Angaben über die Pro-Kopf-Verzehrsmenge dieser Lebensmittel erforderlich. Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit wird bemüht sein, bis 1983 einen entsprechenden Verordnungsentwurf vorzulegen.
Das Bundesgesundheitsamt hat darüber hinaus bei verschiedenen Gelegenheiten auf die erhöhte Kontamination bestimmter Lebensmittel, z. B. von Pilzen, über die ich soeben auch schon gesprochen habe, hingewiesen, um vor dem übermäßigen Verzehr solcher Lebensmittel zu warnen. In einer neuesten Veröffentlichung hat das Bundesgesundheitsamt empfohlen, Gerichte aus Nieren vom Rind und Schwein nur gelegentlich zu verzehren.
Neben einer Reihe einschlägiger Forschungsvorhaben nimmt der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit entsprechend Einfluß auf gesetzgeberische Maßnahmen im Vorfeld der Lebensmittelgewinnung.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Frau Minister, Cadmium ist j a nicht nur generell in der Bundesrepublik verbreitet, sondern Cadmium tritt j a, insbesondere wenn man die japanischen Erfahrungen heranzieht, besonders in Schwerpunktbereichen auf; Sie kennen j a diese Fälle. Meine Frage lautet: Werden eigentlich die regionalen Bereiche, in denen Cadmium besonders auftreten könnte, verstärkt beobachtet, und was unternimmt die Bundesregierung, um das abzustellen?
Frau Huber, Bundesminister: Die Überwachung und Kontrolle ist Sache der Länder. Das Bundesgesundheitsamt registriert allerdings, wenn in bestimmten Regionen besonders auffällige Belastungen bestehen.
Ich rufe Frage 45 des Abgeordneten Rayer auf:
Reichen die bestehenden Emissionsvorschriften aus, um eine Zunahme des Cadmiums in den Lebensmitteln aus bestimmten Gebieten zu verhüten?
Frau Huber, Bundesminister *): Herr Abgeordneter Rayer, nach Auffassung der Bundesregierung ist es erforderlich, die Kontamination von Lebensmitteln durch Regelungen im Vorfeld der Lebensmittelgewinnung einzuschränken. Zu diesen Regelungen gehören alle Maßnahmen, die einen weiteren Anstieg der Cadmiumbelastung von Wasser, Boden und Luft, insbesondere in der Nahrungskette, verhindern. In erster Linie gehören dazu die Änderung der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft, der Erlaß einer Rechtsverordnung über die Aufbringung von Klärschlamm mit vom gesundheitlichen Standpunkt vertretbaren Höchstmengenfestsetzungen von Cadmium in diesem Schlamm und verstärkte Bemühungen zur Rückgewinnung von Cadmium bei den Emittenten.
Voraussetzung für den Erlaß einer Verordnung über Höchstmengen von Schwermetallen in und auf Lebensmitteln ist ausreichend gesichertes statistisches Datenmaterial, das noch von den Ländern zu erstellen ist. Weniger vorrangig in diesem Zusammenhang ist nach hiesiger Auffassung das auf den 1. Juli 1982 verschobene Inkrafttreten des schwedischen Verbots, Cadmium zur Oberflächenbehandlung als Stabilisator und als Farbstoff zu technischen Zwecken zu verwenden oder nach Schweden zu importieren. Grundsätzlich reichen die bestehenden Gesetzesermächtigungen in der Bundesrepublik Deutschland aus, um — soweit erforderlich — entsprechende Beschränkungen für die Verwendung von Cadmium auszusprechen.
Zusatzfrage, bitte.
Frau Minister, können Sie mir mitteilen, ob es im Hinblick auf die Cadmiumbelastung in bestimmten Gebieten Versuche gegeben hat, durch Verschnitt von sehr stark belasteten Pflanzen mit unbelasteten Pflanzen einen Durchschnittswert zu erhalten, der optisch die Belastung nach unten setzt?
Frau Huber, Bundesminister: Über solche Versuche ist mir nichts bekannt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Eigen.*) Versehentlich wurde hier die Antwort auf die Frage 46 vorgetragen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1033
Frau Minister, können Sie dem Hohen Hause mitteilen, ob Sie bei der Antwort, die Sie soeben gegeben haben, möglicherweise das Futtermittelgesetz vergessen haben, in dem leider die Einfuhr von Schadstoffen in jeder Menge, soweit es sich um Rohstoffe handelt, erlaubt ist, die dann zu Mischfuttermitteln verarbeitet werden?
Frau Huber, Bundesminister: Ich habe das Futtermittelgesetz nicht vergessen. Es fällt nicht in meinen Verantwortungsbereich. Aber ich bedanke mich, daß Sie dies aufgezeigt haben. Auch das ist eine Gefahrenquelle, der wir uns widmen müssen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Broll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Bundesminister, führt die Bundesregierung das deutliche Absinken der durchschnittlichen Lebenserwartung aller Deutschen unter anderem auf den starken Genuß von Cadmium zurück?
Frau Huber, Bundesminister: Ich glaube, so weit können wir nicht gehen, Herr Abgeordneter.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gilges.
Frau Bundesminister, sind Sie der Meinung, daß es eine ernste Frage ist, worüber wir hier diskutieren, und nicht eine Frage, über die man sich lustig machen sollte?
Frau Huber, Bundesminister: Herr Abgeordneter Gilges, es ist zuletzt die Frage gestellt worden, ob das Absinken der durchschnittlichen Lebenserwartung der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland auf Cadmium zurückzuführen ist. Ich habe gesagt: So weit würde ich in meiner Beurteilung nicht gehen. Ich glaube, daß diese Frage nicht ganz so ernst gemeint war, wie Sie sie jetzt aufgefaßt haben.
Es liegen keine weiteren Zusatzfragen vor.
Ich rufe die Frage 46 des Herrn Abgeordneten Rayer auf:
Welche Rechtsvorschriften müssen geändert oder neu erlassen werden, um nach schwedischem Vorbild eine weitere Zunahme der Cadmiumgefährdung durch Lebensmittel zu verhüten?
Bitte.
Frau Huber, Bundesminister*): Emissionswerte für Cadmium hat die Bundesregierung in der Novelle zur TA Luft 1978 beschlossen, nachdem schon im Jahr 1974 Werte festgelegt worden waren. Die Novelle ist dem Bundesrat zusammen mit der Änderung des Immissionsschutzgesetzes zugeleitet worden. Der Bundesrat hat zur TA Luft einen generellen Vorbehalt gemacht, daß zunächst die Novelle zum Bundes-Immissionsschutzgesetz verabschiedet wer-
*) Versehentlich wurde hier die Antwort auf die Frage 45 vorgetragen.
den müsse. Die Novelle wurde aber nicht mehr verabschiedet. Dadurch hat sich das Vorhaben mit Ablauf der Wahlperiode erledigt. Die Koalition ist übereingekommen, die Gesetzesnovelle nicht wieder einzubringen. Der Innenminister stellt deswegen die TA Luft 1978 gegenwärtig auf die geltende Rechtslage um.
Man kann jedoch, Herr Abgeordneter, von der Emission nicht unmittelbar auf eine Kontamination von Lebensmitteln schließen, da die Frage, wie sich die Emission auf den Einwirkungsbereich einer Anlage auswirkt, von den Besonderheiten des jeweiligen Falls abhängt. Ein ausreichender Schutz kann nur über die Festsetzung von Immissionswerten erreicht werden. Derartige Immissionswerte hat die Bundesregierung, wie gesagt, 1978 beschlossen. Aus Bodenbelastungen, die teilweise in Jahrzehnten entstanden sind, kann sich eine Gesamtbelastung ergeben, die im Einzelfall über den vom Bundesgesundheitsamt veröffentlichten Richtwerten liegt. Erhöhte Cadmiumgehalte können insbesondere in belasteten Gebieten auch über Futterpflanzen in tierische Lebensmittel gelangen.
Zusatzfrage, bitte.
Frau Ministerin, Cadmium ist ja nur ein wesentlicher Bereich der Umweltverschmutzung. Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Maßnahmen zur Verminderung der Cadmiumgefährdung als Teil eines Gesamtkonzepts zum gesundheitlichen Verbraucherschutz einzubauen?
Frau Huber, Bundesminister: Wir haben in der Richtlinie, die ich erwähnt habe, auch Blei und Quecksilber als die Schwermetallgruppe, die besonders belastend ist, aufgeführt. Wir haben im übrigen, was die Belastung von Lebensmitteln betrifft, eine sehr umfassende Gesetzgebung, die aber laufend ergänzt und überprüft werden muß.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 47 der Frau Abgeordneten Schmidt auf:
Welche Erfahrungen und Reaktionen von betroffenen Frauen, Gewerkschaften und Verbänden verzeichnet der Arbeitsstab Frauenpolitik auf das arbeitsrechtliche EG-Anpassungsgesetz?
Frau Huber, Bundesminister: Herr Präsident! Ich würde die Fragen 47 und 48 gern zusammen beantworten.
Ist die Fragestellerin damit einverstanden?
Ja.
Ich rufe daher jetzt die Frage 48 der Frau Abgeordneten Schmidt auf:Welche Probleme stehen nach den Erfahrungen des Arbeitsstabs Frauenpolitik der Bereitschaft der Frauen entgegen, im Rahmen des arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetzes für ihre dort verankerten Rechte einzutreten?Bitte schön.
Metadaten/Kopzeile:
1034 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Frau Huber, Bundesminister: Frau Abgeordnete, das Gesetz ist erst seit August 1980 in Kraft. Daher liegen der Bundesregierung bisher kaum Stellungnahmen betroffener Frauen bzw. der Verbände vor. Einige Gewerkschaften haben erste Stellungnahmen abgegeben. Sie beklagen einhellig eine geringe Beachtung des Gesetzes in den Betrieben.Auch zu dem Verhalten von Frauen in bezug auf dieses Gesetz lassen sich noch keine gesicherten Aussagen machen. In Gesprächen, die die Leiterin des Arbeitsstabs Frauenpolitik in meinem Ministerium mit betroffenen Frauen hatte, wiesen diese vor allem darauf hin, daß sie Prozesse nach dem EG-Anpassungsgesetz wegen der schwierigen Beweislage scheuen. Aus den allgemeinen Erfahrungen des Arbeitsstabs mit Frauen, die an ihrem Arbeitsplatz benachteiligt werden, ist zu sagen, daß sie generell in der Rechtsdurchsetzung sehr zurückhaltend sind. Für viele Frauen steht die Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes im Vordergrund. Aus Sorge, sie könnten keinen anderen geeigneten Arbeitsplatz finden, sind sie eher bereit, Benachteiligungen zu ertragen, als sich gegen die Benachteiligungen mit Nachdruck zur Wehr zu setzen. Dies gilt ganz besonders für ältere Frauen und Frauen mit Familienpflichten. In diesem Zusammenhang ist allerdings auf § 612 BGB hinzuweisen, der die Benachteiligung von Arbeitnehmern ausdrücklich verbietet, wenn sie ihre Rechte wahrnehmen.
Zusatzfrage? — Bitte.
Frau Minister, ist Ihnen bekannt, wieviel Gerichtsverfahren derzeit nach dem arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetz anhängig sind und — gegebenenfalls — auf welche Paragraphen sie sich stützen?
Frau Huber, Bundesminister: Es ist mir nicht bekannt, wieviel Verfahren nach diesem Gesetz jetzt anhängig sind. Wir haben aber — ich werde später noch darauf zurückkommen — eine Urteilssammlung von Prozessen zusammengestellt, die schon stattgefunden haben.
Bitte, eine weitere Zusatzfrage.
Frau Minister, ist Ihnen bekannt, daß in einschlägigen arbeitsrechtlichen Zeitschriften, die üblicherweise auch Betriebsräte und Unternehmen beziehen, mehr oder weniger verklausulierte Anleitungen zur Umgehung dieses Gesetzes veröffentlicht werden, und sieht das Ministerium Möglichkeiten, dagegen etwas zu tun?
Frau Huber, Bundesminister: Wenn uns solche verklausulierten Anweisungen zugesandt werden, werden wir dies prüfen. Im übrigen sind wir der Meinung, daß sich der Betriebsrat und die Vertreter der Gewerkschaft vor Ort darum kümmern sollten.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Roitzsch.
Frau Ministerin, stimmen Sie mir zu, daß sich angesichts der Erfahrungen bzw. Nichterfahrungen mit dem arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetz die Bedenken der Union als richtig erwiesen haben, daß nämlich dieses Gesetz für eine weitere Durchsetzung der Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Arbeitswelt ohne nennenswerten Nutzen ist?
Frau Huber, Bundesminister: Ich stimme Ihnen insoweit zu, als dieses Gesetz zu seiner besseren Durchsetzung sicherlich noch ergänzt werden müßte. Ich glaube aber nicht, daß man am Anfang einer Entwicklung diese schlecht beurteilen oder gar zurückdrehen sollte, bloß deshalb, weil man die Erfolge, die man sich verspricht, noch nicht erreicht hat.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Heyenn.
Frau Bundesminister, geht aus den Erfahrungsberichten und Reaktionen der betroffenen Frauen, Gewerkschaften und Verbänden auch hervor, daß eine völlige Umkehr der Beweislast im EG-Anpassungsgesetz die Situation der klagenden Frauen verbessert hätte?
Frau Huber, Bundesminister: Die Beweislast ist der springende Punkt, über den am meisten geklagt wird. Die Frauen glauben nicht, daß ihre Chancen bei der derzeitigen Rechtslage so besonders groß sind.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Lepsius.
Frau Minister, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Berichterstattung zu diesem EG-Anpassungsgesetz, die die Regierung bis 1981 vornehmen muß, eine weitere Bekräftigung der Absicht der Bundesregierung beinhalten wird, die Rechte der Frauen zu verbessern?
Frau Huber, Bundesminister: Die Berichterstattung ist nicht nur eine gute Gelegenheit, über die gesammelten Erfahrungen zu berichten, sondern sie ist auch eine gute Gelegenheit, das Gesetz noch einmal öffentlich bekanntzumachen und dadurch seine Durchsetzung zu verbessern.
Meine Damen und Herren, ich bitte doch, sich hinzusetzen. Denn wenn sich zu-viele Damen und Herren von den Plätzen erheben, ist es von hier oben nicht festzustellen, ob jemand von den Damen und Herren eine Frage zu stellen wünscht.Keine weiteren Zusatzfragen? — Ich rufe dann die Frage 49 der Frau Abgeordneten Steinhauer auf:Liegen dem Arbeitsstab Frauenpolitik bereits Erkenntnisse darüber vor, in welchem Umfang die Vorschriften des § 611b BGB und Artikel 2 des EG-Anpassungsgesetzes (Aushang der Gleichbehandlungsvorschriften im Betrieb) beachtet werden?Frau Huber, Bundesminister: Frau Kollegin Steinhauer, der Arbeitsstab Frauenpolitik im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit wertet in gewissen Abständen die Stellenanzeigen in den Wochenendausgaben der überregionalen Tageszeitungen sowie der Wochenzeitungen aus. Er hat dabei
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1035
Bundesminister Frau Huberfestgestellt, daß dem Gebot der geschlechtsneutralen Stellenausschreibung des Gesetzes zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz bisher kaum Genüge getan wird. Der Arbeitsstab hat in den zurückliegenden Monaten eine Reihe von Betrieben angeschrieben, die Stellen geschlechtsspezifisch ausgeschrieben haben, und sie auf die neue Rechtslage hingewiesen. In der Regel ändern diese Betriebe daraufhin ihre Ausschreibungspraxis.Dem Arbeitsstab Frauenpolitik liegen weiter erste Stellungnahmen von Gewerkschaften über die Befolgung des arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetzes in den Betrieben vor. In diesen Stellungnahmen wird vor allem über die Nichtbeachtung der geschlechtsneutralen Stellenausschreibung sowie darüber geklagt, daß das Gesetz nicht, wie gefordert, in den Betrieben ausgehängt wird. Der Arbeitsstab Frauenpolitik hat keine Möglichkeit, von sich aus in die Betriebe zu gehen und die Einhaltung der Vorschriften des EG-Anpassungsgesetzes im Einzelfall zu überprüfen. Er ist darauf angewiesen, daß Gewerkschaften oder betroffene Frauen ihn über die Praxis in den Betrieben informieren.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Frau Minister, besteht die Absicht, weitere Veröffentlichungen über die Bekanntmachungen des EG-Anpassungsgesetzes durch den Arbeitsstab Frauenpolitik, auch in Kooperation mit dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung und insbesondere angesichts der kürzlich veröffentlichten Erläuterungen, herauszugeben, damit die Vorschriften mehr Beachtung finden?
Frau Huber, Bundesminister: Die Probleme der Frau in der Arbeitswelt sind sehr zentrale Probleme. Wir werden alles veröffentlichen, was uns jetzt im Rahmen der Zusammentragung von Informationen, die wir für unseren Bericht brauchen, auf den Tisch gelegt wird. Wir werden keine Gelegenheit versäumen, nennenswerte Fakten zu veröffentlichen.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Frau Minister, wie erfolgt die Veröffentlichung von Stellenausschreibungen in den Bundesbehörden, und sehen Sie auch Möglichkeiten, durch Kooperation mit den Ländern auf eine Verwirklichung dieses Teils des Gesetzes hinzuwirken?
Frau Huber, Bundesminister: Wir bemühen uns zusammen mit dem Innenministerium, in der gleichen Richtung zu wirken.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Schmidt.
Ist zwischenzeitlich gewährleistet, daß das arbeitsrechtliche EG-Anpassungsgesetz in allen Ministerien aushängt und daß in allen Ministerien auch geschlechtsneutral innerbetriebliche Stellenausschreibungen — ebenso wie in der Bundestagsverwaltung — vorgenommen werden?
Frau Huber, Bundesminister: Ich weiß nicht, ob das in allen Ministerien der Fall ist. Ich kann nur für mein Ministerium sprechen. In meinem Ministerium war schon vor dem EG-Anpassungsgesetz eine entsprechende Weisung ergangen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 50 der Frau Abgeordneten Steinhauer auf:
Gibt es aus der Tätigkeit des Arbeitsstabs Frauenpolitik Erkenntnisse darüber, daß sich bestehende Beschäftigungsverbote und Arbeitsschutzbestimmungen auf die berufliche Tätigkeit der Frauen nachteilig auswirken, und welche Lösungsmöglichkeiten zur Gleichstellung der Frau im Arbeitsleben sieht die Bundesregierung z. B. durch Individualisierung des Arbeitsschutzes und gleiche Anwendung des individuellen Gesundheitsschutzes für Männer und Frauen?
Frau Huber, Bundesminister: Frau Abgeordnete Steinhauer, den Arbeitsstab Frauenpolitik hat eine Reihe von Beschwerden junger Mädchen erreicht, die wegen Arbeitsschutzbestimmungen bestimmte Berufe nicht ergreifen konnten. Das gilt vor allem für Bauberufe. Wie die Bundesregierung bereits mehrfach auf parlamentarische Anfragen erklärt hat, hält sie die Vorschriften der Arbeitszeitordnung und damit auch den dort geregelten Arbeitsschutz für Frauen für überprüfungs- und novellierungsbedürftig. In dieser Frage mit Vorschlägen an die Öffentlichkeit zu treten, ist zunächst Sache des federführenden Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Der Arbeitsstab Frauenpolitik ist der Auffassung, daß notwendige sinnvolle Schutzvorschriften nicht entfallen, sondern so weit wie möglich auch auf Männer erstreckt werden sollten. Besondere Schutzvorschriften für Frauen sollten nur dort bestehenbleiben, wo die besondere Konstitution der Frau dies erfordert. Im übrigen sollte der Arbeitsschutz nicht auf das Geschlecht der Arbeitnehmer, sondern auf die jeweilige Schutzbedürftigkeit der einzelnen Arbeitnehmer abgestellt werden.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Steinhauer.
Frau Minister, würden Sie bei der Fortentwicklung des Arbeitsschutzes auch die Erkenntnisse der Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und Sicherheitsfachkräfte auf Grund der Arbeitsstättenverordnung einbeziehen?
Frau Huber, Bundesminister: Frau Kollegin Steinhauer, wir haben, wie ich glaube, zweierlei zu berücksichtigen. Das eine sind die medizinischen Erkenntnisse, insbesondere der Betriebsärzte. Das andere ist die technische Weiterentwicklung im Betrieb, die dazu geführt hat, daß der Umfang schwerer körperlicher Arbeiten zurückgegangen ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heyenn.
Frau Bundesminister, innerhalb welchen Zeitraumes gedenkt die Bundesregierung hier ein Gesamtprogramm vorzulegen, um zu Neuregelungen zu kommen?
Metadaten/Kopzeile:
1036 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Frau Huber, Bundesminister: Ich bitte Sie, mir nachzusehen, daß ich den Zeitraum deswegen nicht genau angeben kann, weil der federführende Minister nicht anwesend ist.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer.
Frau Minister, darf ich Ihre Antwort so interpretieren, daß Sie bei den weiteren Bestrebungen, den Arbeitsschutz der Entwicklung anzupassen, die Erkenntnisse der Betriebsärzte und der Sicherheitsfachkräfte einbeziehen werden?
Frau Huber, Bundesminister: Diese Frage habe ich eben schon bejaht.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 51 der Frau Abgeordneten Weyel auf:
Welche Maßnahmen hat der Arbeitsstab Frauenpolitik beim Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit seit seinem Bestehen durchgeführt, veranlaßt oder eingeleitet, und wie beurteilt die Bundesregierung diese Aktivitäten im Hinblick auf die an den Arbeitsstab geknüpften Erwartungen'?
Frau Huber, Bundesminister: Frau Kollegin Weyel, die rechtliche Gleichstellung von Männern und Frauen ist weitgehend verwirklicht. Die im Rentenrecht noch bestehende unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen wird die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode ändern. Jetzt kommt es vor allem darauf an, praktische Benachteiligungen der Frauen abzubauen.
Am deutlichsten werden solche Benachteiligungen im Arbeitsleben. Auf diesem Gebiet hat der Arbeitsstab Frauenpolitik folgende Modelle und Untersuchungen in Gang gesetzt: eine Untersuchung über Möglichkeiten einer familienfreundlichen Arbeitsorganisation mit anschließender Erprobungsphase, drei Modelle zur beruflichen Wiedereingliederung arbeitsloser Frauen und von Frauen, die ihre Erwerbstätigkeit unterbrochen haben, Frauenförderungspläne auf freiwilliger Basis in einer Reihe von Betrieben und Kommunen, eine Zusammenstellung der Rechtsprechung zu Fragen der Lohngleichheit, eine Untersuchung über Möglichkeiten zur Verbesserung der Ausbildung in traditionellen Frauenberufen sowie eine Untersuchung über den Beitrag erwerbstätiger Frauen zur Sozialversicherung und zum Steueraufkommen.
Um die Lage der Frauen in ihren Familien zu verbessern, hat der Arbeitsstab Frauenpolitik folgende Vorhaben geplant bzw. durchgeführt: Müttertreff in Ludwigsburg, Modell über Möglichkeiten eines breiten ehrenamtlichen Engagements für Frauen in Saarbrücken, Weiterführung und Intensivierung der Informationsbörsen, die inzwischen in ungefähr 50 Städten durchgeführt worden sind, ein Selbsthilfemodell für alleinstehende ältere Frauen mit dem Ziel, die dritte Lebensphase aktiv zu beginnen, die Entwicklung eines speziellen Angebots der Jugendarbeit für arbeitslose Mädchen in Berlin, eine Untersuchung über staatliche Leistungen an nichterwerbstätige Frauen.
Zum Komplex Gewalt gegen Frauen füge ich an: Hilfen für mißhandelte Frauen im ländlichen Bereich — das ist ein neues Modell, das wir jetzt beginnen wollen —, ein Notruftelefon für vergewaltigte Frauen in Mainz und die Vorlage des Abschlußberichts über die wissenschaftliche Begleitung des Modells Frauenhaus Berlin, der zur Zeit im Druck ist.
Zur Verbesserung der Chancen von Frauen im öffentlichen Leben trägt der Arbeitsstab bei durch Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen Wahlsystem und Wahlchancen von Frauen und durch die finanzielle Unterstützung der Arbeit der Frauenverbände.
Eine Unterrichtung der Öffentlichkeit durch unser Haus mit Hilfe von Informationsschriften, Postern, Postkarten und Informationsveranstaltungen findet ständig statt.
Diese kursorischen Bemerkungen können nur einen kurzen Überblick über die Aktivitäten geben, die der Arbeitsstab Frauenpolitik in diesen Bereichen entfaltet. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß er erst eineinhalb Jahre im Amt ist. Ich halte sein Ergebnis für beachtlich.
Zusatzfrage. Bitte, Frau Abgeordnete Weyel.
Frau Ministerin, Sie haben auf das Modellprojekt Berliner Frauenhaus hingewiesen. Können Sie schon global etwas über das Ergebnis dieses Modellversuchs sagen?
Frau Huber, Bundesminister: Ja. Ich kann sagen, daß uns der Bericht zeigt — ohne hier auf Details einzugehen —, daß das Problem Gewalt gegen Frauen kein Randgruppenproblem, sondern ein Problem aller Schichten ist. In den allermeisten Fällen ist es auch das Problem der Gewalt gegen Kinder. Hier ist eine Hilfe aus eigener Kraft sehr schwer möglich.
Der Bericht zeigt ferner, daß es sehr gut ist, wenn eine ständige Schutzeinrichtung zur Verfügung steht. Die Hilfe muß eine Hilfe zur Selbsthilfe sein. Dies wird um so eher gelingen, je mehr soziale Einrichtungen ihre Dienste einbringen.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Bestehen darüber hinaus Ansätze oder Absichten, dem Problem Gewalt gegen Frauen weiterhin zu begegnen?
Frau Huber, Bundesminister: Sie wissen, Frau Kollegin, daß wir dies nur modellhaft fördern können. Wir planen als Modell ein Frauenhaus in einem ländlichen Bereich. Es ist möglich, daß dies ein Modell in Schleswig-Holstein werden wird.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Kroll-Schlüter.
Frau Minister, wie kommt es eigentlich, daß nach mehr als zehn Jahren sozialdemokratischer Leitung des Familienministeriums jetzt ein Arbeitsstab Frauenpolitik eingerichtet werden mußte?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1037
Frau Huber, Bundesminister: Ich möchte nicht auf die fernere Vergangenheit zurückkommen, die uns eine Menge Probleme hinterlassen hat, an denen wir heute noch zu knabbern haben.
— Ja natürlich! — Die Tradition in diesem Bereich ist sehr schwer zu durchbrechen. Ich meine, daß die Frau durch die Entwicklung der Arbeitswelt sowohl als Hausfrau wie auch im Betrieb benachteiligt worden ist. Daß wir dies in der normalen Arbeit unseres Hauses nicht haben auffangen können, hat sich herausgestellt. Deswegen finde ich es ausgezeichnet, daß wir nun einige Mitarbeiter haben, die sich diesen Fragen besonders widmen können.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.
Frau Minister, zum Problembereich Gewalt gegen Frauen habe ich die Frage: Bestehen über das eben geschilderte Projekt hinaus weitere Ansätze, dem Problem Gewalt gegen Frauen zu begegnen?
Frau Huber, Bundesminister: Das Berliner Frauenhaus hat als Modell eine sehr große Breitenwirkung gehabt. Es haben sich in der Bundesrepublik inzwischen 100 Initiativen gebildet. Sie sehen also, daß das Problem nicht nur dort angegangen wird, wo wir Modell fördern können.
Weitere Zusatzfragen, Frau Abgeordnete Däubler-Gmelin.
Frau Minister, ich möchte an die Frage meines Kollegen Kroll-Schlüter anknüpfen: Können Sie uns sagen, wie Sie sich erklären, daß nach 20 Jahren CDU-Regierung und Gleichberechtigungsgrundsatz im Grundgesetz die Gleichstellung der Frau immer noch nicht erreicht war?
Frau Huber, Bundesminister: Ich kann mir das sehr gut erklären, und ich sehe es manchmal in diesem Hause, wenn ich Anträge verfolge, die zum Ziele haben, die Frau mit gewissen Mitteln wieder in die häusliche Tätigkeit zurückzuverweisen, und eigentlich nicht ihre Gleichberechtigung zu betreiben, sondern nur Wege zu suchen, wie sie sich wieder mit den herkömmlichen traditionellen Frauenaufgaben zufrieden geben sollen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Geiger.
Frau Minister, wie oft haben Sie seit der Einsetzung des Arbeitsstabes für Frauenpolitik dessen Leiterin Auftrag und Gelegenheit gegeben, an den Beratungen des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit teilzunehmen und dort die Erkenntnisse des Arbeitsstabes einzubringen?
Frau Huber, Bundesminister: Frau Kollegin, es ist nicht meine Aufgabe, etwas zu regeln, über das der
Ausschuß selber zu befinden hat. Wenn der Ausschuß wünscht, daß die Leiterin des Arbeitsstabes Frauenpolitik erscheint, wird sie erscheinen. Wir sind dort eingeladene Gäste, und es obliegt mir nicht, die Einladungen zu schreiben.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Wex.
Frau Minister, welche Konsequenzen ziehen Sie aus der Aussage von Frau Kutsch, daß der Arbeitsstab Frauenpolitik nicht besser sein kann, als die jeweils sachlich zuständigen Ressorts es sein wollen oder sein können, und welche Konsequenzen hat das für eine bürokratische Einrichtung in einem Ministerium ohne direkte Eingriffs- und Anhörungskompetenzen für die anderen Ressorts?
Frau Huber, Bundesminister: Sie sprechen die traditionellen Verfestigungen an, die es natürlich auch im öffentlichen Dienst und in den Ministerien gibt, und unsere Aufgabe ist das Bohren harter Bretter. Nichtsdestotrotz ist es sehr sinnvoll, auch Aufgaben anzugehen, die sich nicht leicht erledigen lassen und die man nicht von heute auf morgen besorgen kann. Wir haben hier auch mit wenig Kompetenzen viel zu leisten, und ich bin der Meinung, es war höchste Zeit, daß wir damit angefangen haben.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer.
Frau Minister, ich möchte Sie in Anknüpfung an die Frage des Kollegen Kroll-Schlüter fragen, ob mit der Einrichtung des Arbeitsstabes Frauenpolitik nicht auch zum Ausdruck kommt, daß über 20 Jahre lang die Schere zwischen der rechtlichen Gleichstellung und der faktischen Gleichstellung der Frauen nicht geschlossen werden konnte, und ob Sie angesichts der anstehenden Probleme mit mir der Auffassung sind, daß der Arbeitsstab Frauenpolitik noch einer dringenden Aufwertung bedarf.
Frau Huber, Bundesminister: Ich würde mich über eine Aufwertung freuen. Die Bundesregierung hat erkannt, daß sich Maßnahmen auf dem Felde der Frauenpolitik nicht darin erschöpfen können, daß man dauernd neue Gesetze macht, sondern man muß der Praxis dort helfen, wo die Probleme bestehen.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Dr. Hellwig.
Frau Minister, wie hoch ist der Haushaltsansatz für die Maßnahmen des Arbeitsstabes Frauenpolitik, und wieviel Prozent des Gesamthaushalts sind das?Frau Huber, Bundesminister: Ich glaube, der Arbeitsstab hat ungefähr 3,5 Millionen DM. Ich kann das aber nur aus dem Kopf sagen.
Metadaten/Kopzeile:
1038 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Dr. Lepsius.
Frau Minister Huber, hätten Sie etwas dagegen, wenn im Haushaltsansatz die Mittel für Ihr Ministerium erhöht würden und wenn gleichzeitig die Möglichkeit bestünde, den Arbeitsstab Frauenpolitik auch institutionell aufzuwerten, beispielsweise durch einen Parlamentarischen Staatssekretär, um der Sache der Gleichberechtigung der Frau zu dienen?
Frau Huber, Bundesminister: Frau Abgeordnete, wie kann ich etwas dagegen haben?! Aber stellen Sie diese Frage bitte an den Haushaltsausschuß!
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Verhülsdonk.
Frau Minister, in der Haushaltsdebatte hat sich ergeben, daß im letzten Haushaltsjahr 600 000 DM beim Arbeitsstab Frauenpolitik nicht verbraucht worden sind. Aus welchen Gründen und zum Nachteil welcher frauenrelevanten Maßnahmen konnten die Mittel nicht eingesetzt werden, so daß sie meines Wissens im neuen Haushalt gestrichen worden sind?
Frau Huber, Bundesminister: Frau Abgeordnete Verhülsdonk, die Abwicklung einiger Projekte, die wir zusammen mit den Ländern regeln müssen und nicht allein installieren können, verzögert sich manchmal, so daß Maßnahmen zwar beginnen, aber einige Monate später. Daraus resultieren Reste im Haushalt. Die Kürzungen nehme ich im übrigen mit Bedauern zur Kenntnis; sie entsprechen nicht meinen Intentionen.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Ich rufe die Frage 52 der Frau Abgeordneten Dr. Lepsius auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung Arbeitsprogramm und Prioritäten des Arbeitsstabs Frauenpolitik, und ist beabsichtigt, über die Aktivitäten des Arbeitsstabs dem Deutschen Bundestag zu berichten?
Frau Huber, Bundesminister: Frau Kollegin Lepsius, die Bundesregierung hat in ihrem Beschluß vom 2. Mai 1979 zur Einrichtung des Arbeitsstabes Frauenpolitik die Prioritäten der Arbeit festgelegt. Sie sieht gegenwärtig keinen Anlaß, diese Aufgabenstellung, die von der Gleichberechtigung von Frauen im Arbeitsleben über die Ausbildung bis zu Fragen des Familienalltags reichen, zu ändern.
Zur Zeit wird eine Übersicht über die Arbeit des Arbeitsstabes erstellt, die selbstverständlich auch den Abgeordneten des Deutschen Bundestages zur Verfügung gestellt wird.
Zur inhaltlichen Darstellung verweise ich auf die Antwort auf die Frage von Frau Weyel.
Eine Zusatzfrage.
Frau Minister, können Sie mich unterrichten, ob die gestrige Meldung in der „Frankfurter Rundschau" zutrifft — mir erscheint sie etwas widersprüchlich —, daß der nächste Jugendbericht tatsächlich, wie vorgeschlagen, als ein
Mädchenbericht erscheinen wird, und zwar unter dem besonderen Aspekt der Förderung der Chancengleichheit junger Frauen im Verhältnis zu jungen Männern?
Frau Huber, Bundesminister: Ich kann Sie darüber unterrichten, daß wir das Thema Mädchen in der Tat in der Sachverständigengruppe bearbeiten lassen wollen, die sich mit dem nächsten Bericht befassen wird. Die genaue Zusammensetzung der Gruppe ist noch nicht erfolgt.
Mir liegt daran, daß das Thema Chancengleichheit, das wir wählen werden, nicht nur im erzieherischen Sinn mit Blick auf die Bildung, sondern auch im sozialen Sinne aufgefaßt wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Minister, können Sie mich weiter darüber unterrichten, ob zwischen der Spitze des Hauses, also Ihnen, und dem Arbeitsstab Frauenpolitik gegenteilige Auffassungen herrschen oder ob es sich um widersprüchliche Meldungen in der Presse handelt?
Frau Huber, Bundesminister: Wenn wir an ein Thema herangehen, so pflegen wir das zu erörtern. Gäbe man das Ergebnis jeder Erörterung über das Für oder Wider einer Überschrift oder einer Gliederung des Themas jeweils an die Presse, könnte leicht der Eindruck entstehen, wir wären über viele Dingen uneinig. So sieht aber die notwendige Arbeitsvorbereitung für ein solches Vorhaben aus.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Diederich.
Frau Minister, ich beziehe mich auf die Äußerung, die Sie vorhin gemacht haben: daß es jetzt darauf ankomme, bestimmte Vorhaben in der Praxis durchzusetzen. Welche Unterstützung erfährt der Arbeitsstab Frauenpolitik durch einzelne Bundesländer, wie gestaltet sich die Kooperation mit ihnen, und können Sie sagen, daß Sie von allen Bundesländern in gleicher Weise bei Ihrem Vorhaben unterstützt werden, diese Arbeit auf eine breitere Basis zu stellen?
Frau Huber, Bundesminister: Ich möchte auf eine Frage verweisen, die gerade das zum Gegenstand hat und die ich noch beantworten werde.
Die Zusammenarbeit mit den Ländern ist im allgemeinen gut. Sie ist dort besser, wo sich spezielle Stellen um die Frauenprobleme kümmern.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Benedix.
Frau Minister, werden Sie in der von Ihnen eben angekündigten Übersicht, die der Arbeitsstab herausgeben will, auch Fälle offensichtlicher Diskriminierung ansprechen, und zwar sowohl der Zahl nach als auch hinsichtlich der Anstellungsbereiche?Frau Huber, Bundesminister: Wir werden solche Fälle zusammenstellen, wobei ich Ihnen allerdings
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1039
Bundesminister Frau Hubersagen muß, daß wir natürlich keinen vollständigen Überblick über Diskriminierungen geben können. Das liegt in der Natur der Sache.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schmidt.
Gehören zum Arbeitsprogramm des Arbeitsstabes auch Untersuchungen über Hausfrauen, und hat der Arbeitsstab in diesem Zusammenhang festgestellt, welche Leistungen der Staat schon heute für Hausfrauen aufbringt?
Frau Huber, Bundesminister: Ich trug gerade vor, daß eine unserer Untersuchungen darauf abzielt festzustellen, welche staatlichen Leistungen an Hausfrauen gehen und wie die steuerliche Situation der Hausfrau ist.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Weyel.
Frau Ministerin, können Sie uns konkret sagen, welche Länder zur Zusammenarbeit mit dem Stab besonders bereit sind bzw. welche Länder schon entsprechende Einrichtungen haben?
Frau Huber, Bundesminister: Frau Kollegin Weyel, ich darf auf die Antwort verweisen, die ich gleich auf eine entsprechende Frage geben werde.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kroll-Schlüter.
Gehört zur Aufgabe des Arbeitsstabes auch, Frau Minister, zu untersuchen, warum die Frauenarbeitslosigkeit heute höher ist als in den vergangenen 30 Jahren?
Frau Huber, Bundesminister: Wir bemühen uns, diese Frage zusammen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zu klären.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Verhülsdonk.
Frau Minister, die Effektivität der Arbeit des Stabes scheint bisher an der sachlichen, aber auch an der zeitlichen Schwierigkeit gescheitert zu sein, alle Gesetzentwürfe frühzeitig durchzuarbeiten, um sie mit den Ressorts besprechen zu können. Meine Frage lautet: Mit welchen Gründen lehnt es die Bundesregierung ab, nach dem Vorbild des Wirtschaftskabinetts mit den Ressortchefs ein sogenanntes Frauenkabinett einzurichten, in dem die Ressorts unmittelbar die frauenrelevanten Fragen bei Gesetzentwürfen rechtzeitig und direkt miteinander besprechen können?
Frau Huber, Bundesminister: Erstens möchte ich korrigieren: Wir sind nicht zeitlich oder sachlich gescheitert, sondern wir haben es nur mit einer kurzen Anlaufzeit zu tun. Wir können uns natürlich mit einem Personal von etwa zehn Leuten nicht allen Fragen gleichzeitig und intensiv zuwenden.
Ihre spezielle Frage richten Sie bitte an das Bundeskanzleramt.
Eine weitere Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Steinhauer.
Frau Minister, sehen Sie in der Feststellung des neuen Berichts, daß die Zahl der sozialversicherungspflichtig tätigen Frauen im letzten Jahr erheblich zugenommen hat, einen Erfolg der Berufsförderungsmaßnahmen für Frauen?
Frau Huber, Bundesminister: Ich glaube, daß es nur teilweise ein Erfolg der Berufsförderungsmaßnahmen ist, weil der Drang zur Berufstätigkeit im allgemeinen größer geworden ist. In einer Reihe von Berufen haben die Förderungsmaßnahmen aber erhebliches bewirkt. Ich wünsche mir, daß der Anteil der Frauen bei den speziellen Förderungsmaßnahmen noch höher wird.
Es liegen keine Zusatzfragen mehr vor. Ich rufe die Frage 53 der Abgeordneten Frau Dr. Lepsius auf:Welche Möglichkeiten sieht der Arbeitsstab Frauenpolitik, es Männern und Frauen besser zu ermöglichen, Familie und Beruf zu vereinbaren, und ist nach Auffassung des Arbeitsstabs Frauenpolitik Teilzeitarbeit ein Lösungsansatz?Frau Huber, Bundesminister: Frau Kollegin Lepsius, um Frauen und Männern zu ermöglichen, Familie und Beruf besser miteinander zu vereinbaren, hält der Arbeitsstab Frauenpolitik ein vergrößertes Angebot qualitativ guter Kinderbetreuungseinrichtungen für dringend geboten. In zahlreichen Schreiben haben sich Frauen aus diesem Grund an den Arbeitsstab gewandt. Hier sind Länder und Gemeinden zu weiteren Maßnahmen aufgefordert. Ich möchte nochmals betonen, daß der Arbeitsstab die familienfreundlichere Gestaltung des Arbeitslebens für einen zentralen Ansatz hält, Familie und Beruf besser miteinander in Einklang zu bringen. Um weitere Erkenntnisse auf diesem Gebiet zu erhalten, hat der Arbeitsstab Frauenpolitik im August 1980 den Auftrag zu einer wissenschaftlichen Untersuchung vergeben.Teilzeitarbeit ist aus unserer Sicht nur bedingt als Lösung tauglich, da Teilzeitarbeit neben Vorteilen auch eine Reihe gravierender Nachteile bringt, wie z.B. geringerwertige Tätigkeit, geringes Einkommen, fehlende Berufsaussichten und auch größere Unsicherheit wegen verstärkter Rationalisierungstendenzen.Außerdem darf nicht übersehen werden, daß zwei Drittel der arbeitsuchenden Frauen eine Vollzeitbeschäftigung begehren. Die Teilzeitarbeit ist für viele Frauen jedoch die einzige Möglichkeit, überhaupt erwerbstätig zu sein. Deshalb hat die Bundesregierung im Rahmen des arbeitsmarktpolitischen Programms dazu beigetragen, daß mit Bundesmitteln zusätzlich auch Teilzeitarbeitsplätze geschaffen wurden.Der Arbeitsstab Frauenpolitik hält es im übrigen für notwendig, daß mehr qualifizierte Teilzeitarbeitsplätze angeboten werden.
Metadaten/Kopzeile:
1040 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Eine Zusatzfrage von Frau Abgeordnete Dr. Däubler-Gmelin.
Frau Minister, haben Sie schon einmal erwogen, weil in der Tat die Frage der Arbeitszeitregelungen den Sozial- und Tarifvertragsparteien überlassen bleibt, an diese heranzutreten und diesen die Priorität flexibler, familienabhängiger Arbeitszeiten für Männer und Frauen nahezubringen?
Frau Huber, Bundesminister: Wir stehen in ständigen Kontakten mit den Gewerkschaften. Ich glaube, daß die Untersuchung, die wir jetzt in Auftrag gegeben haben, uns helfen wird, mit unseren Argumenten noch mehr Gehör zu finden.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Steinhauer.
Frau Minister, sehen Sie einen Grund für Hemmungen, eine Teilzeitarbeit aufzunehmen, auch darin, daß sich solche Frauen im Hinblick auf die Bemessungsgrundlage bei der Rentenversicherung verschlechtern? Gehen Sie mit mir einig, daß wir das Ziel verfolgen müssen, daß Teilzeitbeschäftigte Aufstockungsbeiträge zum Erhalt ihrer Bemessungsgrundlage leisten sollten?
Frau Huber, Bundesminister: Ich gehe mit Ihnen einig, Frau Kollegin: Dies gehört zu den Besonderheiten der Teilzeitarbeit.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 54 der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin auf:
Wie viele betroffene Frauen haben sich mit Eingaben und der Bitte um Hilfe an den Frauenstab beim Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit seit seiner Einrichtung gewandt, welche Inhalte wurden im wesentlichen vorgetragen, und auf welchen Gebieten konnte der Frauenstab helfen?
Frau Huber, Bundesminister: Frau Kollegin Däubler-Gmelin, in den vergangenen anderthalb Jahren haben sich ca. 900 betroffene Frauen mit schriftlichen Eingaben an den Arbeitsstab Frauenpolitik gewandt. Weitere 300 Frauen haben sich persönlich oder telefonisch vorgestellt und um Hilfe gebeten. In einem Drittel der Fälle hatten Frauen Probleme mit einer unzureichenden Alterssicherung, da sie ihre Erwerbstätigkeit aus familiären Gründen unterbrochen hatten bzw. bei einer Heirat ihre Rentenanwartschaften hatten auszahlen lassen. Zu einem großen Teil beklagen Frauen diskriminierende Behandlung in den Betrieben. Dabei zeigt sich, daß viele Frauen zuwenig über ihre Rechte informiert sind und sich unsicher in der Durchsetzung dieser Rechte fühlen.
In vielen Eingaben spielt auch die mangelnde Anerkennung der Hausfrauentätigkeit eine Rolle. Gefordert wird vor allem die Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung. Geschiedene Frauen, deren Ehe vor Inkrafttreten des neuen Eherechts geschieden wurde, beklagen, daß ihnen kein Anspruch auf Versorgungsausgleich zusteht. Der Arbeitsstab Frauenpolitik hat sich bemüht, den Frauen Wege zur Lösung ihrer Probleme zu zeigen, auf die zuständigen Stellen zu verweisen oder diese einzuschalten. So konnte z. B. durch das Eingreifen des Arbeitsstabes Frauenpolitik erreicht werden, daß einer 90jährigen Vertriebenen die Lastenausgleichsgelder beschleunigt ausgezahlt wurden. In einem anderen Fall konnte eine Eheschließung zwischen einer Deutschen und einem geschiedenen Ausländer ermöglicht werden, nachdem die bestehenden Hindernisse beseitigt wurden.
Darüber hinaus gaben die Eingaben wertvolle Hinweise auf Hindernisse, die der rechtlichen oder tatsächlichen Gleichstellung von Frauen noch entgegenstehen und die nicht nur individuell, sondern generell auszuräumen sind, z. B. die Probleme der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, d. h. Arbeitszeitregelungen, Kinderbetreuungsfragen, besonders Wiedereingliederung in den Beruf. Außerdem hat der Arbeitsstab Frauenpolitik in den für die betroffenen Frauen besonders bedeutsamen Gebieten Informationsmaterial zusammentragen lassen. Dieses Material wird in großem Umfang angefordert, d. h., wir erhalten täglich etwa 30 solcher Anforderungen.
Eine Zusatzfrage.
Frau Minister, wenn wir darin übereinstimmen, daß genau diese Tätigkeit zur Schließung der von uns beklagten Schere zwischen rechtlichem Anspruch auf Gleichberechtigung und tatsächlicher Durchsetzung äußerst wichtig ist, möchte ich fragen: Sehen Sie die Möglichkeit, daß diese Art der individuellen Hilfe des Arbeitsstabes Ihres Hauses mit Hilfe der Presseorgane einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird?
Frau Huber, Bundesminister: Ich denke, dies versuchen wir. Aber es wäre noch besser, wenn ein Netz von solchen Stellen, die sich um solche Fragen kümmern, in der Bundesrepublik dies leisten würde.
Eine Zusatzfrage, Frau Dr. Hellwig.
Frau Minister, Ihre Antwort auf diese Frage veranlaßt mich zu einer weiteren Frage. Wieviel Prozent seiner Arbeitszeit hat der Arbeitsstab Frauenpolitik eigentlich dafür verwendet, eine Art Petitionsausschuß zu sein, und wieviel Prozent seiner Arbeitszeit waren wirklich darauf gerichtet, allgemeingültige Maßnahmen durchzusetzen?
Frau Huber, Bundesminister: Der Arbeitsstab hält es für seine Hauptaufgabe, allgemeingültige Forderungen durchzusetzen; als Stelle, die der Bürger kennt, hat er aber auch die andere Aufgabe zu erfüllen. Die Mitglieder des Arbeitsstabes hatten niemals Zeit, in Prozenten auszurechnen, wieviel das ausmacht.
Eine Zusatzfrage, Frau Verhülsdonk.
Frau Minister, in ihrem letzten Interview hat Frau Kutsch gesagt, daß
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1041
Frau Verhülsdonkder Arbeitsstab Frauenpolitik nicht besser sein kann, als die jeweils sachlich zuständigen Ressorts es sein wollen und sein können. Welche Möglichkeiten sehen Sie als die zuständige Ministerin, diesen Zustand zu verbessern?Frau Huber, Bundesminister: Frau Kollegin Verhülsdonk, ich hatte auf die gleiche Frage eben schon geantwortet.
Aber ich will gerne zusätzlich noch sagen, daß wir ja eine Anhörung vorbereiten. Wir haben einen Prüfungsauftrag aus der Regierungserklärung, das Gleichstellungsgesetz betreffend. Wenn die nächsten Monate ins Land gegangen sind, werden Sie sehen, daß unser Ressort zusammen mit dem Innenminister, d. h. bei uns der Arbeitsstab, Fragen vorbereitet, die wir in dieser Anhörung öffentlich bekanntmachen werden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Heyenn.
Frau Minister, teilen Sie meine Auffassung, daß es Ihnen durch die Kenntnisnahme vieler einzelner an Sie herangetragener Probleme besser ermöglicht wird, allgemeingültige Regelungen vorzubereiten?
Frau Huber, Bundesminister: Die Erfahrungen, die wir sammeln, gründen sich alle auf Erfahrungen im Einzelfall. Wir sind heute leider noch kaum in der Lage, aus den wenigen Prozessen, die es bisher gibt, und den Urteilen, die dazu ergangen sind, eine Strategie zu entwickeln, wie Frauen es im allgemeinen besser haben können. Da ist noch viel zu tun.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Kroll-Schlüter.
Frau Minister, ist mein Eindruck nach dieser Fragestunde richtig, daß sich gerade in den vergangenen Jahren für die Frauen eine Fülle von Problemen aufgetürmt hat?
Frau Huber, Bundesminister: Die Fülle der Probleme hatte sich auch vorher schon aufgetürmt, aber sie ist jetzt endlich deutlich geworden.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Ich gebe noch bekannt, daß die Fragen 97 und 98, 127, 144 und 145 von den Fragestellern zurückgezogen wurden.
Die übrigen nicht aufgerufenen Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen im Stenographischen Bericht abgedruckt.
Wir setzen die unterbrochene Beratung zu Punkt 3 der Tagesordnung fort: Beratung des Jahresgutachtens 1980/81 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1981.
Das Wort hat der Herr Ministerpräsident des Landes Niedersachsen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich mich in dieser Debatte zu Wort gemeldet habe, dann nicht, um über die konjunkturelle Entwicklung zu diskutieren. Auch die gibt Anlaß zu mancherlei Sorge. Die steigende Arbeitslosigkeit ist sicher etwas, das wir ernst nehmen sollten. Aber Konjunkturen haben das Gute an sich, daß sie kommen und gehen, und man weiß wenigstens, daß nach jedem Abschwung irgendwann auch wieder ein konjunktureller Aufschwung erfolgt.Nein, das, was mich bewegt, was mich veranlaßt hat, hier das Wort zu ergreifen, ist nach meiner Einschätzung der Dinge, daß sich die weltwirtschaftliche Position der Bundesrepublik Deutschland im Laufe der letzten Jahre fundamental geändert hat. Ich habe das Gefühl, daß wir noch allzu leicht der Versuchung erliegen, dieses aus unserem Bewußtsein zu verdrängen und zu sagen, das sei doch eigentlich gar nicht so schlimm. Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn ich Ihre Ausführungen von heute morgen nehme, dann haben Sie am Schluß gesagt: „Ich bin sicher, daß mit einer entsprechenden Orientierung in den ökonomischen und politischen Grundbedingungen bald wieder das Vertrauen in die D-Mark gestützt wird." Ich muß Ihnen sagen, ich kann diesen Optimismus nicht teilen.Um die ganze Bedeutung dieses Wandels richtig zu erfassen, muß man sich vor Augen halten, daß wir, die Bundesrepublik Deutschland, Devisenüberschüsse erzielt haben, 30 Jahre lang Währungsreserven angesammelt haben, die die höchsten der Welt geworden sind, die weit höher sind als die der Vereinigten Staaten von Amerika. 30 Jahre lang ist der Kurs der Deutschen Mark, von den täglichen Schwankungen abgesehen, nur gestiegen, und jetzt ist das plötzlich anders.Meine Damen und Herren, man muß einmal überlegen, was diese Entwicklung über 30 Jahre bedeutet. Sie hat dazu geführt, daß die Besiegten des Zweiten Weltkrieges ihren Arbeitnehmern höhere Löhne zahlen konnten als die Vereinigten Staaten von Amerika. Dies ist eine enorme Leistung des ganzen deutschen Volkes.
Dies ist auch eine Leistung unseres Systems der Sozialen Marktwirtschaft, das funktioniert hat. Ich will mich jetzt nicht in eine billige Polemik einlassen, inwieweit dieses trotz sozialdemokratischer Regierungspolitik so geworden ist.
Metadaten/Kopzeile:
1042 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Ministerpräsident Dr. Albrecht
Eines ist aber deutlich: Diese Situation hat sich radikal geändert, und ich will Herrn Wehner gerne einige Zahlen in Erinnerung rufen.
Im Jahre 1978 haben wir noch einen Leistungsbilanzüberschuß von 17,5 Milliarden DM eingefahren. Meine Damen und Herren, 1979 war es ein Leistungsbilanzdefizit von 10 Milliarden DM, 1980 ein Defizit von 28 Milliarden DM. Man muß sich einmal vor Augen halten, was das bedeutet. Das bedeutet doch, daß wir im letzten Jahr fast ein Drittel der gewaltigen Währungsreserven verloren haben, die wir in 30 Jahren angesammelt haben. Dies ist keine Kleinigkeit, über die man so hinweggehen kann.
Wenn das so weitergeht — das ist eine einfache Rechnung —, sind wir mit unseren Devisenreserven in zwei bis drei Jahren am Ende.
In Wahrheit, Herr Bundeswirtschaftsminister, wissen Sie so gut wie ich, daß wir nicht mehr so viel Zeit haben. Wenn sich erst einmal als allgemeine Meinung festigen sollte, daß der Kurs der Deutschen Mark nicht zu halten ist, dann drängen auch all die D-Mark-Beträge auf den Devisenmarkt, die jetzt noch von Zentralbanken, Geschäftsbanken, Unternehmen, Privatleuten gehalten werden. Schätzungen sagen, daß dies mehrere hundert Milliarden DM sind, die von Ausländern gehalten werden. Wenn die eines Tages in Frankfurt an der Devisenbörse präsentiert werden, auch wenn es — sagen wir — nur 200 Milliarden DM sind, was machen wir in einer solchen Situation?
— Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, ich glaube, Sie täten gut daran, dieses sorgfältig in sich aufzunehmen;
denn das könnte der Anlaß sein, daß Sie die Regierungsverantwortung in der Bundesrepublik Deutschland verlieren.
Ich glaube, daß es wichtig ist, hier die Frage zu stellen, worin eigentlich die Gründe für diese Entwicklung liegen. Die zweite Frage ist dann: Was kann man in dieser Lage noch tun?
Wenn ich die Gründe anspreche, Herr Bundeswirtschaftsminister, dann nicht um nachzukarten, sondern aus der Überzeugung heraus, von der ich hoffe, daß Sie sie teilen, daß nur, wenn man die richtige Diagnose gestellt hat, auch eine vernünftige Therapie herauskommen kann.
— Nicht so ungeduldig!
Ich teile Ihre Überzeugung, daß in der Tat die Entwicklung auf dem Ölmarkt einer der wesentlichen Gründe ist. Die Ausgaben der Bundesrepublik Deutschland für die Rohöleinfuhren betrugen im Jahre 1973 9 Milliarden DM, 1980 45 Milliarden DM; hinzu kommen noch die vielen Milliarden DM für die Erdölprodukte. Das heißt, obwohl die eingeführten Mengen von 1973 auf 1980 um 12 % gesunken sind, mußten wir im Jahre 1980 das Fünffache an Devisen für unsere Erdöleinfuhren bezahlen.Hier stellt sich allerdings auch die Frage der politischen Verantwortung; denn es ist nicht wahr, daß das, was hier passiert ist, ein unabwendbares Schicksal gewesen wäre.
Spätestens seit 1973/74 konnte doch jeder wissen, wohin der Karren fuhr, konnte jeder wissen, daß das Erdöl von Jahr zu Jahr teurer werden würde. Eine vorausschauende Politik hätte spätestens seit 1974/75 eine Politik „Weg vom 01" sein müssen. Genau dies ist eben nicht geschehen.Ich will nicht darüber diskutieren, ob das Heizenergiesparprogramm, das wir als mißraten ansehen, etwas gebracht hat oder nicht, ich stelle nur fest, daß, wenn man rein die Zahlen betrachtet, die Einfuhren an Erdöl im Jahre 1979 noch oberhalb des Niveaus von 1974 lagen und erst im Jahre 1980 eine gewisse Verminderung festzustellen war, die sicherlich zum Teil auf die Einsparungsbemühungen unserer Bevölkerung zurückzuführen ist, zum Teil aber auch auf die Abschwächung der wirtschaftlichen Konjunktur.
Die Bundesregierung hat zweifellos den Marktmechanismus spielen lassen. Sie hat akzeptiert, daß das Öl auf unserem Markt immer teurer wird.
Und hieran haben wir auch keinerlei Kritik zu üben. Aber eine aktive Politik „Weg vom Öl" gibt es doch erst dann, wenn man darüber hinaus Maßnahmen ergreift, um Öl durch andere Energieträger zu ersetzen. Genau daran hat es gefehlt.
Eben dies ist nicht geleistet worden, weil aus politischen Gründen die Regierungskoalition und insbesondere die Sozialdemokratische Partei dazu nicht in der Lage waren.
Ersatzenergieträger, die man zur Verfügung stellen könnte, gibt es nicht so viele. Vor allem gibt es zwei:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1043
Ministerpräsident Dr. Albrecht
die Einfuhrkohle und die Kernenergie. Da muß man hier schon klar sagen, wohin der Kurs gehen soll.
— Ich komme gleich darauf, Herr Kollege. Ich will nur kurz abhaken, worüber wir einig sind. Dann ist Ihre Frage schon beantwortet.Wir sind einig darüber, daß wir alle Anstrengungen unternehmen müssen, um Energie zu sparen. Wir sind einig darüber, daß wir den Wirkungsgrad bei der Energienutzung erhöhen wollen. Wir sind deshalb auch einig darüber, daß wir das Fernwärmenetz, soweit es vernünftig ist, ausbauen wollen. Allerdings, muß ich sagen, haben dazu noch gesetzliche Änderungen des Monopolsystems zu erfolgen. Wir sind darüber einig, daß wir natürlich die sogenannten soft energies — Wind, Wasser, Sonne, Erdwärme — heranziehen wollen, soweit es vernünftig ist. Nur: Wir wissen alle, daß das keine großen Prozentsätze in unserer Energiebilanz ausmacht. Wir sind darüber einig, daß wir Erdgas aus dem Ausland nehmen, wenn wir es kriegen können, ohne daß wir dadurch erpreßbar werden.
Jetzt komme ich zu Ihrer Frage. Selbstverständlich sind wir darüber einig, daß wir alle deutsche Kohle, die wir überhaupt nur kriegen können, auch zur Deckung unseres Energiebedarfs einsetzen.
— Sie wissen gar nicht, wieviel wir brauchen!
Nur muß man doch dann, wenn man sieht, wie es mit der deutschen Kohle aussieht, zu folgenden Feststellungen kommen — ich will das einmal global schildern —: Wir haben zur Zeit einen Gesamtenergiebedarf, der bei über 400 Millionen t Steinkohleeinheiten liegt; man kann darüber diskutieren, ob wir für die nächsten 20 Jahre noch einmal zusätzlich 150 000 oder 200 000 t Steinkohleeinheiten brauchen. Auf jeden Fall müssen doch dann, wenn wir eine Politik „weg vom Öl" haben wollen, wenigstens 20 bis 25% des jetzigen Bestandes an Erdöl ersetzt werden. Das allein macht schon 100 Millionen t aus. Dann muß auch noch der zusätzliche Bedarf für die nächsten 20 Jahre gedeckt werden.Meine Damen und Herren, was sagt uns denn die deutsche Kohle? Sie wissen genauso wie ich: Sie sagt, daß sie in den nächsten zehn Jahren etwa 8 Millionen t zusätzlich zur Verfügung stellen kann,
vielleicht auch 10 Millionen t, wenn es ganz gut geht,12 Millionen t. Aber das steht doch in gar keiner Relation zu den 100 bis 200 Millionen t, die wir brauchen.
Deshalb zeigt sich hier, wie leer eigentlich die Formel vom „Vorrang der Kohle gegenüber der Kernenergie" ist.
Es geht hier nicht um Vorrang, es geht darum, daß wir alle Kohle brauchen und dazu noch die Kernenergie.
In der Tat, entscheidend ist die Frage — und da muß sich jeder selbst entscheiden —: Wie hältst du es mit der Einfuhrkohle, wie hältst du es mit der Kernenergie? Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zunächst ein Wort zur Einfuhrkohle sagen.Andere Staaten sind schon seit Jahren auf dem Weg, sich langfristig Einfuhrkohle zu sichern. Ich habe darüber mit verschiedenen Wirtschaftsministern befreundeter Staaten sprechen können, die seit vielen Jahren mit Rotchina, mit der Volksrepublik Polen und mit anderen noch exportfähigen Staaten über langfristige Kohleverträge verhandeln. Es reicht hier nicht aus, daß wir sagen: Wir beseitigen das Kontingent, die mengenmäßige Beschränkung, wir stocken es so auf, daß Einfuhr möglich ist. Nach meiner Überzeugung brauchen wir mehr, nämlich eine Politik, die darauf abzielt — obwohl wir sehr spät in diesen internationalen Wettbewerb einsteigen —, auch für die Bundesrepublik Deutschland Einfuhrkohle privatrechtlich und völkerrechtlich langfristig zu sichern. Denn was nützt es uns, wenn wir in Australien Zechen haben, es aber dort eines Tages eine Exportbeschränkung gibt und wir die Kohle, die wir dort produzieren, nicht in die Bundesrepublik Deutschland exportieren können?
Aber noch schlimmer ist die Unfähigkeit der Regierungskoalition — und hier muß man sagen: der SPD —, den Beitrag der Kernenergie klar zu definieren und dann auch praktisch zu realisieren.
Das wird ja nun in der Tat geradezu dramatisch an dem — j a, was soll ich sagen? — Possenspiel oder Trauerspiel um Brokdorf demonstriert.
Hier geht es j a nicht um die Hamburger SPD, sondern das, was sich in Hamburg vollzieht, hätte sich ebenso bei Herrn Eppler, bei Herrn Jansen, bei Herrn von Oertzen oder in anderen Bundesländern vollziehen können. Man muß sich das doch vor Augen halten. Ein Ausländer wird das überhaupt nicht begreifen.Da gibt es eine staatseigene Gesellschaft, die Hamburger Electrizitätswerke. 76 % der Anteile sind in den Händen des Hamburger Senats. Diese Gesellschaft beschließt, mit den Nordwestdeutschen Kraftwerken zusammen das Kernkraftwerk Brokdorf zu bauen. Da gibt es den Regierungschef in Hamburg,
Metadaten/Kopzeile:
1044 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Ministerpräsident Dr. Albrecht
der zuerst nichts dagegen hat, aber nach den Demonstrationen hat er etwas gegen Brokdorf. Da führt er den Landtagswahlkampf in Schleswig-Holstein gegen den Kollegen Stoltenberg, der seinerseits bereit ist, in Durchführung des Energieprogramms der Bundesregierung die Teilerrichtungsgenehmigung zu geben. Und immer noch kämpft Herr Klose gegen das Kernkraftwerk in Brokdorf, das seine staatseigene Gesellschaft dort bauen will. Aber die Mehrheit seines Senats ist anderer Auffassung. Sie stützt den Regierungschef nicht. Dann beruft man eine Koordinierungssitzung ein; von wem? Vom Senat, vom Parteivorstand, von der Fraktion; das Führungsgremium der SPD beschließt: Brokdorf muß gebaut werden. Und der regierende Bürgermeister bleibt in der Minderheitenposition. Er sagt: Das geht mich doch gar nichts an; ich habe hier noch einen Parteitag. Dann wird ein Parteitag einberufen; dort kippt die Mehrheit wieder um.Meine Damen und Herren, ich muß auch dies sagen. Spätestens jetzt stellt sich doch für uns die Frage: Gibt es hier noch einen Bundeskanzler, der versucht, Einfluß auf die deutsche Politik auszuüben?
Ich habe das öffentlich gesagt, und ich sage es jetzt noch einmal: Ich habe kein Verständnis dafür, daß der Herr Bundeskanzler in dieser Situation nicht zu seinem Landesparteitag gegangen ist und für seine Position gekämpft hat, weil viel auf dem Spiele steht.
Ich kann mir schon denken, welche Gründe er hatte, nicht vor seinem eigenen Parteitag zu kämpfen. Statt dessen hat er die Führungsspitzen der norddeutschen SPD nach Bonn eingeladen; er hat sie natürlich nicht überzeugen können. Ich nehme ihm nicht übel, daß er seine Parteigenossen nicht überzeugen konnte, aber ich nehme ihm übel, daß er dann hat verlautbaren lassen, das sei eine regionale Entscheidung, so als gehe das die Bundesregierung nichts an. Meine Damen und Herren, jeder von uns weiß, daß Brokdorf Symbolwert erlangt hat, daß dies einer der Prüfsteine der gesamten Energiepolitik der Bundesregierung ist. Da kann der Bundeskanzler nicht die Pilatushaltung einnehmen und sagen: Ich wasche meine Hände in Unschuld.
— Ich freue mich ja, daß Sie jetzt das Stichwort in die Debatte eingebracht haben, sonst hätte ich vielleicht in einem zweiten Debattenbeitrag darauf antworten müssen; dann kann ich das jetzt gleich tun.Meine Damen und Herren, in Gorleben war es genau anders. In Gorleben haben wir uns ganz klar entschieden. Wir haben gesagt: Das Endlager wird gebaut, das Zwischenlager wird gebaut, und die Wiederaufbereitungsanlage wird jetzt nicht in Gorleben gebaut, aber vielleicht an einem anderen Orte.
Weil wir hier klar entschieden haben, ist plötzlich alles in Gorleben viel leichter. Wir haben vor Pfingsten letzten Jahres das Antiatomdorf dort abräumen müssen; seitdem ist dort Ruhe. Die Untersuchungen, die Tiefbohrungen gehen programmgemäß vonstatten. In einiger Zeit — es wird nicht mehr lange dauern — werden wir in der Lage sein, einen Schacht im Salzstock von Gorleben abzuteufen. Lassen Sie mich dies sagen: Ich bin fest davon überzeugt, daß die Bundesrepublik Deutschland gerade auf Grund dieser Politik das erste Land der Erde sein wird, das über ein funktionstüchtiges Endlager für atomaren Abfall verfügt. Die Amerikaner haben kein Endlager, die Franzosen haben kein Endlager, und die Briten rechnen damit, daß sie etwa in den Jahren 2005 bis 2010 ein Endlager haben werden. Wir, die Bundesrepublik Deutschland, werden sicherlich in den 90er Jahren ein funktionstüchtiges Endlager, und zwar in Niedersachsen, für die Entsorgung der gesamten Bundesrepublik Deutschland und nicht nur des Landes Niedersachsen haben.
Wir haben gesagt — ich habe Ihnen das soeben noch einmal in Erinnerung gerufen —, daß wir auch bereit sind, dort ein Zwischenlager zu bauen, und zwar nicht nur für unseren Bedarf, sondern für den Bedarf der gesamten Bundesrepublik Deutschland. Die Anträge sind gestellt; die Anhörungen sind vonstatten gegangen, und ich bin ziemlich sicher, daß wir das Zwischenlager in Niedersachsen, obwohl wir drei Jahre später gestartet sind, eher fertigstellen werden, als das bei dem Zwischenlager in Nordrhein-Westfalen der Fall sein wird, das eigentlich diese Funktion für die Bundesrepublik Deutschland wahrnehmen sollte.Ich sage ein letztes Wort zur Wiederaufbereitungsanlage. Es war nach meiner Überzeugung ein kapitaler Fehler, das gigantische Projekt der Bündelung all dieser Anlagen an einem Ort vorzusehen. Mittlerweile hat sich das auch herumgesprochen. Es war ein Fehler, die überdimensionierte Anlage mit einem Durchsatz von 1 400 t zu konstruieren, nachdem man bisher nur Erfahrungen mit einer 50-t-Anlage hatte. Jetzt ist ja in Hessen eine Anlage mit einer Kapazität von nur noch etwa 350 t im Gespräch. Ich will hierzu nur ganz klar sagen: Auch das Land Niedersachsen hält sich an das, was zwischen den Regierungschefs von Bund und Ländern vereinbart worden ist. Das bedeutet, wenn die Entscheidung über einen Standort getroffen werden soll, dann ist dafür Niedersachsen genauso in der Erwägung, wie es Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Schleswig-Holstein oder irgendein anderes Bundesland ist. Allerdings ist der Standort dann nicht Gorleben, sondern ein anderer.Ich will diese Vorgänge um Brokdorf doch noch abschließend behandeln. Das Ende kennen wir. Der Senat sagt: Was der Parteitag beschlossen hat, bin-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1045
Ministerpräsident Dr. Albrecht
det uns nicht. Der Senat ist nach achtstündiger Debatte nicht in der Lage, ja oder nein zu sagen. Was kommt dabei heraus, damit der Senat nicht stürzt? Er sagt: Wir brauchen eine dreijährige Denkpause. Sieben Jahre lang herrscht nun schon Denkpause bei der SPD in Sachen Kernenergie. Wie lange soll das eigentlich noch weitergehen?
Regieren bedeutet jedenfalls nach meinem Verständnis etwas anderes. Regieren heißt, daß man in der Tat erst denkt, dann diskutiert, aber dann auch entscheidet. Und daran fehlt es in der Bundesrepublik Deutschland seit vielen, vielen Jahren.
Dieses Problem ist kein internes Problem der SPD. Denn die SPD ist, ob wir das wollen oder nicht, die größere Regierungspartei in der Bundesrepublik Deutschland. Nicht mehr lang, wenn Sie so weitermachen. Da müssen Sie sich gewaltig am Riemen reißen! Aber jetzt ist sie die Regierungspartei. Deshalb kann es uns nicht gleichgültig sein, was sich im Innern dieser Partei vollzieht.Ich will allerdings auch sagen, und ich denke, ich bin da in Übereinstimmung mit dem Herrn Bundesfinanzminister, daß das Ölproblem nicht die einzige Erklärung für diese dramatische Verschlechterung der deutschen Leistungsbilanz ist. Ich will es mal so ausdrücken: Wenn wir einen stärkeren Zuwachs an Produktivität hätten, als wir ihn in den letzten Jahren gehabt haben, wenn die Investitionskraft und insbesondere die Innovationskraft der deutschen Wirtschaft noch ungebrochen wären, wenn wir weiter an der Spitze des technologischen Fortschritts stünden, dann hätten wir trotz der gewaltigen Belastung durch diesen starren Block von Ölimporten noch eine Chance, unsere Bilanz, wenigstens auf mittlere Sicht gesehen, auszugleichen. Wenn wir ehrlich miteinander umgehen und uns nichts vormachen wollen, müssen wir auch hier sagen, daß das leider nicht mehr ganz so ist und daß offensichtlich auch die Wettbewerbskraft unserer Wirtschaft in den letzten Jahren sich nicht so günstig entwickelt hat, wie wir das wünschen. Der Strukturbericht, der jetzt von den wirtschaftswissenschaftlichen Instituten vorgelegt worden ist und für den ich mich ausdrücklich bedanken möchte — das ist eine gute Neuerung in unserem Berichtswesen, in unserem Instrumentarium —, weist das ziemlich deutlich aus. Er bestätigt das, was wir aus der täglichen Erfahrung draußen im Land wissen, nämlich daß in wichtigen Bereichen unsere Wirtschaft international nicht mehr wettbewerbsfähig ist und daß sie in anderen Bereichen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit bedroht ist. Ich brauche nicht an die alten Schwierigkeiten in der Textilindustrie und in der Lederindustrie zu erinnern. Es folgte der Schiffsbau, der uns im Norden, an der Küste gewaltige Sorgen macht, wo wir einfach erkennen müssen, daß wir im Frachterbau, insbesondere im Tankerbau international nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Wir hatten dieselben Probleme dann beim Massenstahl. Die Sektoren, die einst den Weltruf der deutschen Industrie begründet haben: optische Industrie, Fotoindustrie, sind doch in gar keiner Weise mehr international wettbewerbsfähig. Denken Sie an die Japaner. Es hat gar keinen Zweck, daß wir unsere Augen vor dieser Tatsache verschließen. Denken Sie auch an die Unterhaltungselektronik. Kürzlich ging durch die Presse, daß Grundig allein vier Werke in der Bundesrepublik Deutschland schließen will. Auch das ist ja ein Alarmzeichen. Und wer es immer noch nicht begriffen hat, der braucht nur auf den Automobilmarkt zu sehen, wo wir nicht nur auf den Weltmärkten ausgepunktet worden sind, sondern wo auch auf unserem Heimatmarkt das Problem immer dringender wird.All dies sind Zeichen, die uns nachdenklich machen müssen und die das, was ich sage, stützen: Daß eine tiefergreifende Veränderung unserer internationalen wirtschaftlichen Position stattgefunden hat. Es hat keinen Zweck, daß wir ohne fundierte Beweise hoffen, daß innerhalb von 6 bis 12 Monaten alles wieder anders sein wird. Ich glaube, daß sich in einer solchen Situation jeder fragen muß, ob er an dieser Entwicklung nicht ein bißchen Mitverantwortung trägt. Die Unternehmer müßten sich vielleicht fragen, ob sie nicht allzu selbstsicher geworden waren, ob die Initiativkraft, die schöpferische Kraft noch in dem alten Maße vorhanden ist. Die Gewerkschaften müßten sich fragen, ob es wirklich richtig ist, den Menschen in dieser Lage auch nur die Perspektive der 35-Stunden-Woche zu eröffnen, oder ob es nicht wichtiger wäre, daß wir gemeinsam eine Anstrengung unternehmen, die außerordentlich hohen Fehlzeiten in der deutschen Wirtschaft, den Krankenstand und ähnliches abzubauen. Meine Damen und Herren, wenn wir die Fehlzeiten in der deutschen Wirtschaft um 50 % senken könnten, hätten wir immer noch doppelt so hohe Fehlzeiten, wie die Japaner sie in ihrer Industrie haben.Aber die Frage richtet sich auch an die Politiker und an den Staat; Graf Lambsdorff hat es mit dem Stichwort Bürokratie, Bürokratismus angesprochen. Der Staat, die Politiker müßten sich fragen lassen, ob die Flut von Gesetzen, Verordnungen und Reglementierungen nicht mit dazu beigetragen hat, daß die schöpferische Initiativkraft in der freien Wirtschaft eingeschränkt worden ist, und ob wir nicht Mitverantwortung dafür tragen, daß nicht alle technologischen Chancen von der deutschen Wirtschaft genutzt werden konnten. Hier gibt es vor allem zwei Sektoren, die von fundamentaler Bedeutung sind: Das eine ist, wie jeder weiß — ich habe darüber gesprochen —, die Nukleartechnologie. Wir müssen sehen, daß die Franzosen uns davongezogen sind, und zwar deshalb, weil sie die Schwierigkeiten, die wir haben, nicht haben. Ich bin dem Herrn Bundeswirtschaftsminister sehr dankbar dafür, daß er den zweiten wichtigen Sektor so klar angesprochen hat: die Telekommunikation, die Kommunikationstechnologie. Meine Damen und Herren, hier liegen gewaltige Möglichkeiten der Entwicklung. Noch ist unsere Industrie in der Lage, hier im internationalen Wettbewerb Spitzenpositionen zu besetzen. Aber wenn wir die Blockade der Verkabelung in der Bundesrepublik Deutschland noch drei, vier Jahre durchhalten,
Metadaten/Kopzeile:
1046 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Ministerpräsident Dr. Albrecht
werden wir auch diese Chance verspielt haben; das ist meine feste Überzeugung.
Ich will schließlich, obwohl es kein angenehmes Thema ist, auch darauf hinweisen, daß sich auch unsere Gerichte fragen müssen, ob sie es wirklich verantworten können, daß allein im Kraftwerkssektor etwa 60 Milliarden DM an Investitionen blockiert sind. Wir müssen uns einmal vor Augen halten, was eine solche Summe bedeutet. Auch wenn Bund und Länder trotz der Finanznot jetzt wieder dazu kommen sollten, konjunkturstützende Programme aufzulegen, so würden die doch nur einen Bruchteil der Investitionssumme ausmachen, die heute allein durch die Verwaltungsgerichte blockiert ist. Da wäre es sehr viel einfacher und richtiger, zu versuchen, hier eine Deblockade herbeizuführen.Meine Damen und Herren, was tun? Nun, nach dem, was ich über die Gründe gesagt habe, ist klar, daß vor allen Dingen zwei Dinge wichtig sind: Das erste ist, daß wir alle Anstrengungen unternehmen, um unsere Wettbewerbskraft wieder zu stärken, daß wir die verschiedenen politischen Blockaden aufheben. Das zweite ist, daß wir jetzt endlich beginnen, eine wirksame Politik „weg vom Öl" zu betreiben. Die entscheidende Frage ist allerdings: Wann wirken solche Versuche? Angenommen, wir würden jetzt keine Brokdorf-Diskussion mehr haben, angenommen wir würden ab morgen einträchtig einen klaren energiepolitischen Kurs fahren und überzeugt sein, daß wir alle eine Anstrengung machen müssen, um unsere Wettbewerbskraft wieder zu stärken, so ist doch zu bedenken, daß sich dies nicht von heute auf morgen realisieren läßt. Denn ein Kraftwerk zu bauen dauert acht Jahre. Und das andere, die Stärkung der Wettbewerbskraft, ist ja in Wahrheit ein gesellschaftlicher Prozeß. Da müssen wir die Menschen, da müssen wir uns gegenseitig überzeugen, und ein solcher Überzeugungsprozeß ist auch nicht in wenigen Monaten zu schaffen; das sind vielmehr jahrelange Vorgänge.Herr Bundeswirtschaftsminister, dies will ich am Schluß nun doch einmal deutlich fragen: Wie sehen Sie hier eigentlich unsere Chancen? Was würden wir denn normalerweise in einer solchen Situation tun, in der wir ein Leistungsbilanzdefizit von 28 Milliarden DM und entsprechende Devisenverluste haben? Wir würden den Kurs der Deutschen Mark sinken lassen, damit die Exporte es leichter haben und die Importe gebremst werden. Dies würde uns zwar viele Schwierigkeiten bereiten — das ist ohne Frage richtig; das würde einen Inflationsstoß in die Bundesrepublik Deutschland tragen —, aber es würde uns auch eine Chance bieten, zu neuem Gleichgewicht zu kommen, und uns einen neuen Spielraum für eine eigenständige Konjunkturpolitik eröffnen, den wir zur Zeit nicht haben. Wir hätten dann nicht mehr die höchsten Löhne. Die sind aber ohnehin nicht zu halten. Nach meiner Überzeugung haben wir in den nächsten Jahren — realwirtschaftlich gesehen — keine Chance mehr, an der Spitze der Lohnpyramide der Welt zu bleiben.Die Bundesregierung und die Bundesbank sperren sich gegen eine solche Politik der Abwertung derDeutschen Mark. Ich kann auch gar nicht leugnen, daß ich dafür sehr viel Verständnis habe. Und warum? Angesichts dieses gewaltigen unbeweglichen Blocks der Öleinfuhren und des zweiten großen Blocks der lebensnotwendigen Rohstoffeinfuhren bedeutet jede Abwertung eine entsprechende Verteuerung. 30 % Abwertung heißt 30 % Verteuerung der Öleinfuhren, 30 % Verteuerung all der Rohstoffe, die wir als verarbeitende Wirtschaft brauchen, um international exportieren zu können. Es ist sicher, daß eine solche Entwicklung gewaltige Verwerfungen innerhalb der deutschen Volkswirtschaft und einen ganz neuen Impuls zum Strukturwandel hervorrufen müßte. Es gibt Sektoren, die sich dann leichter bewegen, und es würde Sektoren geben, die gewaltig ins Hintertreffen geraten. In jedem Fall wäre damit der inflationäre Schub verbunden, von dem ich gesprochen habe. Ich kann also verstehen, daß die Bundesregierung, nachdem wir nun in eine Situation geraten sind, in der wir praktisch keinen Bewegungsspielraum mehr haben, zögert, überhaupt irgend etwas zu tun.Wenn ich Sie recht interpretiere, dann warten Sie doch nur darauf — das ist die letzte Hoffnung, Herr Bundeswirtschaftsminister —, daß in den nächsten Jahren die Inflation in den Industriestaaten der Welt so groß sein wird, daß wir den Kurs der Deutschen Mark wenigstens nominell einigermaßen verteidigen können, auch wenn er real in gar keiner Weise mehr zu halten ist. Ich meine, daß die Chancen allerdings, daß diese Rechnung aufgeht, eher begrenzt sind. Sie werden um so begrenzter sein, als die Regierungspolitik in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Großbritannien an dem Kurs festhält, der auf eine Stabilisierung und auf eine Eindämmung der Inflation ausgerichtet ist.Was wird denn geschehen, wenn diese Hoffnung trügerisch sein sollte? Dann wird in nicht zu ferner Zeit festgestellt werden müssen, daß unsere Devisenreserven, unsere Währungsreserven, erschöpft sind. Dann werden wir, die wir immer anderen Kredite gegeben haben, im Ausland zur Stützung der Deutschen Mark um Kredite bitten müssen.Es tut mir leid, daß ich nun auch nicht sagen kann: In dieser Situation läßt sich alles kurzfristig wieder in Ordnung bringen. Hier muß man einmal zur Kenntnis nehmen, daß, wenn auf so wichtigen Gebieten wie dem der Energiepolitik jahrelang Versäumnisse eingefahren werden, diese eben nicht kurzfristig zu korrigieren sind. Es läßt sich auch nicht innerhalb weniger Monate begradigen, wenn die Wettbewerbsfähigkeit durch eine Fülle von gesellschaftlichen Prozessen erst einmal geringer geworden ist. Das, was wir jetzt noch tun können — —
— Ja, ich würde Ihnen gerne mehr als drei Vorschläge machen; nur hilft das alles nichts mehr in den Fristen, um die es geht.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1047
Ministerpräsident Dr. Albrecht
Natürlich müssen Sie sich jetzt endlich einmal zur Kernenergie und zur Einfuhrkohle bekennen und entsprechende Handlungen unternehmen.
Was nützt mir denn eine Partei, die erklärt: Wir sind jetzt einig über fünf Punkte, und in den fünf Punkten steht nach der Interpretation, die man uns gibt: der Bau von Brokdorf ist mit den fünf Punkten genauso vereinbar wie der Nichtbau von Brokdorf.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?
Herr Ministerpräsident, wollen Sie zur Kenntnis nehmen, daß das Importkontingent mit Zustimmung Ihrer Parteifreunde längst erhöht worden ist, und wollen Sie erklären, das reiche nicht aus?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe eben schon erklärt, daß es nicht ausreicht, nur die Grenzbeschränkungen wegzunehmen. Wir müssen bei dem Wettbewerb um ausländische Kohle, der schon vor Jahren eingesetzt hat, trachten, uns privatrechtlich und völkerrechtlich langfristig ausländische Kohle zu sichern. Es wird nämlich in Zukunft nicht mehr so sein, daß man nur darauf wartet, uns Kohle verkaufen zu dürfen. Wir müssen froh sein, wenn wir noch internationale Kohle in größeren Mengen bekommen.
Ich glaube, es ist ziemlich deutlich, was wir hätten tun müssen, und ziemlich deutlich, was wir immer noch tun müssen. Die Frage ist, ob uns die Zeit nicht davonrennt.
Immerhin möchte ich am Schluß dieser Ausführungen eines festhalten. Auch wenn wir jetzt kurzfristig nichts bessern können, so sollten wir besser jetzt gleich anfangen, statt noch weitere Jahre zu verlieren. Das ist, glaube ich, das, was, wenn aus dieser Debatte etwas Positives herauskommen kann, als gemeinsame Überzeugung herauskommen sollte.
Das Wort hat Herr Bundesminister Graf Lambsdorff.
— Der Beifall gilt noch nicht Ihnen, Herr Bundesminister.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Ministerpräsident, es wäre in der Tat hilfreich, wenn wir die Punkte, in denen wir Übereinstimmung finden, hier gemeinsam feststellten. Aber es ist wenig hilfreich, wenn Sie sich anschicken, die Punkte, in denen diese Übereinstimmung ganz offensichtlich besteht — Sie haben doch heute morgen meiner Rede zugehört —, in Frage zu stellen.
Ich habe deutlich gemacht, daß die Probleme der deutschen Volkswirtschaft nicht in sechs oder zwölf Monaten beseitigt werden können, sondern daß das eine Aufgabe der nächsten Jahre ist. Es ist auch klargemacht worden, daß die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im internationalen Vergleich in den letzten Jahren gelitten hat.Es besteht überhaupt kein Anlaß, Herr Ministerpräsident, dies so hin- und so darzustellen, als sähe die Bundesregierung diese Problematik nicht, als verniedlichte sie sie oder als wäre sie nicht in der Lage und nicht willens, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Für die Behauptung, Herr Ministerpräsident, mit der Sie der Bundesregierung und gleichzeitig der Bundesbank unterstellten, wir ließen den D-Mark-Kurs sinken und hofften gleichzeitig, daß uns Inflation und Kostensteigerung bei unseren Wettbewerbern nominal wieder in eine bessere Wettbewerbsposition brächten, wäre ich allerdings für Beweise dankbar.
Sowohl die Bundesregierung wie die Bundesbank werden den Versuch nicht unternehmen und haben ihn auch nicht unternommen. einer Bewegung an den Märkten, die sich in den letzten Tagen ja ziemlich hektisch abgespielt hat — mit Ausnahme der Verhinderung erratischer Kursschwankungen von Tag zu Tag —, gegenzuhalten, weil das sinnlos ist, weil man das nicht schaffen kann. Keiner hat das versucht. Daher sollten Sie uns das nicht nachsagen.
Zweitens habe ich heute morgen mit allem Nachdruck gesagt, daß wir die Stabilitätsbemühungen der Regierungen in unseren Partnerstaaten begrüßen und unterstützen. Ich habe ausdrücklich gesagt: Wir können doch jetzt nicht in die Vereinigten Staaten gehen und die Stabilitätspolitik, die dort mit hohen Zinsen betrieben wird, anklagen, nachdem wir so etwas jahrelang verlangt haben. Wie kommen Sie dazu, Herr Ministerpräsident, zu sagen, wir förderten die Inflation oder nähmen sie mindestens bei anderen hin, um damit unsere Position zu verbessern? Keine Rede davon!
Im übrigen, Herr Ministerpräsident Albrecht, ist es richtig, daß die Leistungsbilanz im vorigen Jahr ein ungewöhnliches und besorgniserregend großes Defizit ausweist. Die Bundesregierung hat eindeutig darauf hingewiesen, und die ganzen Konsequenzen und der ganze Ausgangspunkt der Haushaltsrede des Bundesfinanzministers und meiner Rede zum Jahreswirtschaftsbericht sind an dem besorgniserregenden Problem des Leistungsbilanzdefizits aufgehängt. Über diesen Tatbestand und seine Feststellung brauchen wir uns nicht zu streiten.Die Überlegungen — ich will nicht sagen: Spekulationen —, die der Herr Ministerpräsident des Lan-
Metadaten/Kopzeile:
1048 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffdes Niedersachsen zur Frage der möglichen Kursentwicklung der Deutschen Mark in der Zukunft hier angestellt hat, finde ich, sind kein sehr hilfreiches Vorgehen.
Ich sage das auch deswegen, weil man, wenn man sich die Handelsbilanzentwicklungen im vorigen Jahr ansieht, feststellt, daß wir eines der ganz wenigen Länder sind — übrigens im Gegensatz zu Japan —, die noch einen erheblichen Handelsbilanzüberschuß erwirtschaften.Im übrigen sind wir auch deswegen zu diesem Leistungsbilanzdefizit gekommen, weil wir vor allen Dingen im Jahre 1979 und dann weiter im Jahre 1980 einen Importsog in die Bundesrepublik Deutschland gehabt haben — der Import ist erheblich stärker als unser Export angestiegen —, der sich in Leistungsbilanzziffern niederschlägt und der ein Ausweis unserer guten konjunkturellen Entwicklung des Jahres 1979 und seiner Folgen gewesen ist.Hier muß ich noch einmal folgendes auch an die Adresse des Kollegen Waigel sagen. Immer wieder werden wir gefragt: Warum habt ihr — Sie haben eine Rede von mir aus dem Jahre 1977 zitiert, zu der ich noch heute voll stehe — in den Jahren 1978/79 eine Politik betrieben, die höhere Defizite zur Folge hatte? Jeder von Ihnen weiß, meine Damen und Herren — man kann es hundertmal sagen, es wird offensichtlich absichtlich wieder vergessen —, daß dies die Konsequenz des Bonner Weltwirtschaftgipfels vom Sommer 1978 und des unwiderstehlichen Druckes unserer Partner gewesen ist — Stichwort Lokomotivtheorie —, etwas für die Nachbarstaaten durch die Ankurbelung der Konjunktur in der Bundesrepublik Deutschland zu tun mit der gewünschten Folge, daß der Importsog in die Bundesrepublik zur Belebung unserer Nachbarstaaten und deren Wirtschaft anstieg. Genau diese Politik, die wir nur sehr zögernd betrieben haben, ist es gewesen, die neben den Ölproblemen wesentlich zum Leistungsbilanzdefizit beigetragen hat.Ich wiederhole, was ich hier bei anderer Gelegenheit schon einmal gesagt habe. Keine Regierung der Bundesrepublik Deutschland, wer immer sie in dieser Zeit gestellt hätte, wäre in der Lage gewesen, dem Druck unserer Partner angesichts deren Probleme im Sommer 1978 und für das Jahr 1979 zu widerstehen und eine grundsätzlich andere Politik zu betreiben, Herr Ministerpräsident.
Ich füge ein Zweites hinzu. Ich bin mit Ihnen einig, daß in der Energiepolitik in einigen Bereichen — das habe ich ebenfalls heute morgen hier gesagt — Zeit verloren worden ist. Aber ich sage auch: Selbst wenn wir in diesen wichtigen Fragen schneller zu Entscheidungen gekommen wären, die ich für notwendig halte, hätte das am Leistungsbilanzdefizit des Jahres 1980 so gut wie nichts geändert. Im Jahre 1985 könnten Sie, wenn wir immer noch in einer so schwierigen Situation sein sollten, sagen: Das habt ihr damals versäumt. Aber angesichts der Zeiten, der Fristen, der Bauzeiten, der Auswirkungen auch der notwendigen Maßnahmen beim Ersatz des eingesetzten Mineralöls sind einfach die Zeithorizonte, die Zeiträume, mit denen Sie hier operieren, nicht sauber angegeben, wenn Sie einen Zusammenhang zwischen noch nicht getroffenen Entscheidungen — ich teile Ihre Kritik — und den Auswirkungen auf das Leistungsbilanzdefizit des Jahres 1980 herstellen.
Herr Ministerpräsident, im übrigen bin ich Ihnen sehr dankbar dafür, daß Sie sich positiv zur Strukturberichterstattung der fünf Forschungsinstitute geäußert haben. Ich wäre außerordentlich dankbar, wenn Sie diese Ihre Erkenntnis, die ich teile, den Mitgliedern Ihrer Fraktion des Wirtschafts- und des Haushaltsausschusses vermitteln könnten.
Weil ich diese Strukturberichterstattung so lange für richtig gehalten habe, wie ich ich hier im Amt bin, bin ich bei einigen Ihrer Kollegen ungefähr schon in den Geruch eines Investitionslenkers schlimmster Ordnung gekommen. Aber wir sind in dieser Frage einig: Da lenken Sie mit mir zusammen die Investitionen über den Strukturbericht der Forschungsinstitute.Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident, nun kommen natürlich ein paar Worte zur Energiepolitik. Ich möchte insbesondere zur Frage der Kohle zwei Bemerkungen machen. Beide Standpunkte, die Sie hier vertreten haben, sowohl zur Importkohle als auch zur deutschen Kohle — ich bedauere, da werde ich den einen oder anderen im Hause enttäuschen müssen, der sich eigentlich an dem aufrichten müßte, was er von Ihnen gehört hat —, sind unrealistisch und nicht praktikabel. „Alle deutsche Kohle, die wir kriegen können, muß eingesetzt werden."
Herr Ministerpräsident, ich habe heute morgen hier ausdrücklich gesagt: begrenzt durch die Haushaltsmöglichkeiten. Sie wissen doch wohl, daß alle deutsche Kohle, die wir kriegen können, subventionierte Kohle sein muß, die der Bundesfinanzminister bezahlen muß, wobei Sie die weiteren Defizite dafür nicht in Kauf nehmen wollen.
Zum zweiten. Auf die Zwischenfrage des Kollegen Wolfram haben Sie gesagt, bei der Importkohle seien die Änderungen des Zollkontingentgesetzes nicht ausreichend.Herr Ministerpräsident, ich darf Ihnen herzlich nahelegen, das zu tun, was ich schon heute morgen empfohlen habe: den gestrigen Leitartikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" über die Situation der Importkohle zur Kenntnis zu nehmen. Besser kann man überhaupt nicht darlegen, daß wir solche Mengen von Importkohle freigegeben haben, daß sie überhaupt nicht kontrahiert werden können.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1049
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffDas ist viel mehr, als die deutsche Wirtschaft braucht und importieren kann und will.
— Auf die Frage des Kollegen Wolfram hat er gerade das Gegenteil behauptet.Nun ist es sicherlich richtig, Herr Ministerpräsident, daß es wünschenswert ist, sich privatrechtlich und völkerrechtlich langfristige Kohlelieferungsverträge zu sichern, und zwar solche Kohlelieferungsverträge, bei denen man nicht in Lieferabhängigkeiten — so haben Sie gesagt — gerät. Zunächst einmal möchte ich die Frage stellen, ob das aus Ihrer Sicht eigentlich die Aufgabe des Staates oder die Aufgabe der Unternehmen ist. Aber ich könnte mir denken, darüber verständigen wir uns leicht: die privatrechtliche Seite die Unternehmen, die völkerrechtliche Seite der Staat. Ich empfehle Ihnen, Herr Ministerpräsident, sich die einschlägigen Protokolle der Internationalen Energie-Agentur über die Kohleimportzusagen der großen Exportländer anzusehen. Sowohl das Kohleexportland Australien wie das Kohleexportland Neuseeland haben, und zwar gegen den Widerspruch natürlich aller anderen Partner in der Internationalen Energie-Agentur, den Vorbehalt gemacht, daß sie aus verfasssungsrechtlichen Gründen nicht in der Lage seien, ohne Rücksicht auf eigene Notstände und Notlagen eine Pflicht zu dauernder Belieferung zu übernehmen. Das ist die Realität in der Welt.Wenn Sie, Herr Ministerpräsident, nun ausgerechnet von den Ländern Volksrepublik China — ich bevorzuge diese Bezeichnung gegenüber der Bezeichnung Rotchina, die Sie gewählt haben — und Polen als sicheren Kohlelieferländern sprechen, muß ich Ihnen sagen: Wie es im Augenblick in China aussieht, steht ja heute in jeder Zeitung. Für Kohlelieferungen müssen die Chinesen die gesamte Infrastruktur erst aufbauen und Aufschließungsmaßnahmen vornehmen, die zur Zeit alle zurückgestellt sind. Bedauerlicherweise — das wissen Sie ebenso wie ich — ist die Volksrepublik Polen mit den zugesagten und kontrahierten Kohlelieferungen weit in Rückstand geraten aus Gründen, über die wir nicht zu sprechen brauchen. So sieht es in der rauhen Wirklichkeit mit der Abhängigkeit oder Nichtabhängigkeit, mit dem Risiko oder Nichtrisiko der Belief e-rung vom Importkohle nun einmal aus, und zwar in allen Bereichen der Energiepolitik.Da das so ist, Herr Ministerpräsident, stimme ich Ihnen zu, daß wir zur Diversifizierung des Risikos die friedliche Nutzung der Kernenergie brauchen. Darüber gibt es zwischen Ihnen und mir keine Meinungsverschiedenheit. Es ist nicht meine Aufgabe, über die Position des Bundeskanzlers gegenüber seiner eigenen Partei bzw. in seiner eigener Partei zu sprechen. Der Bundeskanzler ist im Augenblick nicht hier, und ich bin der Wirtschaftsminister dieses Kabinetts. Zwischen dem Bundeskanzler und der Bundesregierung gibt es keine Meinungsverschiedenheiten darüber, daß die friedliche Nutzung der Kernenergie notwendig ist. Er hat sich in den letzten Tagen mit aller Deutlichkeit zu dieser Frage geäußert. Deswegen ist es nicht zulässig, zumindest nicht notwendig, Herr Ministerpräsident, die polemische Frage zu stellen: Gibt es hier noch einen Bundeskanzler? Wir haben nach Ihrer GorlebenEntscheidung auch nicht die Frage gestellt: Gibt es hier noch einen Ministerpräsidenten?
In meinen Augen ist es auch nicht in Ordnung, hier von einer Pilatus-Haltung des Bundeskanzlers zu sprechen.
Wir haben in einzelnen Fragen alle unsere Schwierigkeiten, auch in unseren eigenen Parteien.
Es gibt keinen — auch keinen führenden — Politiker, der in welcher Frage auch immer hundertprozentig und in jedem Punkt vollständig mit der Programmatik seiner eigenen Partei übereinstimmt. Das gibt es — ich kann nur sagen: hoffentlich — auch bei Ihnen nicht. Das kann es ja gar nicht geben.Aber ich gebe zu, dies ist keine nebensächliche Frage. Dies ist eine wichtige, eine Kernfrage. Aber im Endergebnis der Betrachtung muß ich Ihnen sagen — gerade auch vor dem Hintergrund der akuten Diskussionen über das Thema Brokdorf, das Sie noch einmal angeschnitten haben —, daß die Bundesregierung das Ihre getan hat, um die Entscheidung der schleswig-holsteinischen Landesregierung zu ermöglichen, und daß ich — ich darf zurückhaltend formulieren — nicht den Eindruck habe, Herr Ministerpräsident, daß sich Ihr schleswig-holsteinischer Kollege in dieser Frage und bei dieser Entscheidung über mangelnde Unterstützung durch die Bundesregierung zu beklagen hätte oder auch wirklich beklagt.
Was Ihre Gorleben-Entscheidung anlangt, die Sie hier noch einmal vertreten haben und die Ihre Entscheidung in der Zuständigkeit des Landes Niedersachsen ist, so begrüße ich — ich will das hier noch einmal ausdrücklich unterstreichen — die Bereitschaft Ihrer Regierung, in der Frage des Zwischenlagers und des Endlagers das wirklich dringend Notwendige zu tun. Diesbezüglich haben wir überhaupt keine Meinungsverschiedenheiten, wie wir auch, wie ich finde, in der Frage der Entsorgungsgrundsätze seit einigen Monaten gut und konstruktiv zusammenarbeiten.Was ich zu beanstanden hatte — ich habe dies damals öffentlich getan; Sie wissen das —, war nicht die Absage an die Wiederaufbereitungsanlage mit einem Durchsatz von 1 400 t, sondern die Absage an die Wiederaufbereitungsanlage gänzlich und generell. Aber das war Ihre Entscheidung. Wir sind nun dabei, andere Standorte zu suchen.Nur, Herr Ministerpräsident, auch bei anderen Standorten ist es ja so einfach nicht. Mir liegt ein
Metadaten/Kopzeile:
1050 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffZeitungsbericht aus Warburg in Nordrhein-Westfalen vor im Zusammenhang mit der Diskussion über den von der hessischen Landesregierung vorgesehenen neuen Standort für die auch von Ihnen begrüßte neue Wiederaufbereitungsanlage. Da heißt es, daß die CDU-Ratsfraktion dem Rat der Stadt Warburg die Beschlußempfehlung zuleitet, eine Kernkraftwiederaufbereitungsanlage im Raum VolkmarsenWelda—Diemelstadt entschieden abzulehnen und sich ihr mit allen Möglichkeiten zu widersetzen.
Ich sage das nicht aus Gründen billiger und einfacher Polemik.
— Ich weiß das noch nicht, aber wahrscheinlich wird es auf einer ähnlichen Linie liegen.
— Doch, es gibt sie wohl.
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen noch einmal: Wir werden alle, wie ich das hier schon vor einigen Wochen formuliert habe, vor Ort die Notwendigkeiten und Entscheidungen einer solchen Energiepolitik zu vertreten haben. Wenn jeder von uns draußen das getan hätte, was er hier in Bonn und an dieser Stelle verkündet, wären wir manchen Schritt weitergekommen. Das gilt für bayerische Kollegen genauso wie für andere.
Was einem nicht gefällt, ist in der Tat eine Position, die da heißt: Bei euch klappt nichts, bei uns ist aber offensichtlich alles in Ordnung. Es ist eben, wie wir sehen, durchaus nicht alles in Ordnung.Ich sage deswegen noch einmal: Die Lösung der energiepolitischen Probleme ist überhaupt nur erfolgreich anzugehen im Zusammenwirken zwischen Bund und Ländern. Keiner kann ohne den anderen und keiner kann gegen den anderen handeln.
— Natürlich: und die Energiewirtschaft. Aber den staatlichen Rahmen müssen Bund und Länder setzen; anders kann es nicht funktionieren. Deswegen bin ich auch dagegen, daß wir zusätzliche und unnötige Schärfe in diese Auseinandersetzung tragen. Das sollten insbesondere nicht solche tun, die im Grunde dasselbe wollen. Das kommt mir etwas merkwürdig vor.
Die Standortentscheidungen sind und bleiben Länderentscheidungen. Das ist in unserer Verfassung so vorgesehen und angelegt, und keine Bundesregierung kann den Standort für ein Kernkraftwerk und für Entsorgungseinrichtungen, vom Endlager biszur Wiederaufbereitungsanlage über das Zwischenlager, vorschreiben.
Keine Seite kann es allein. Wir können es nur gemeinsam.Es wird sich zeigen, meine Damen und Herren, ob der föderative Aufbau dieses Landes in der Lage ist, auf ein Problem Antworten zu geben, das beim Verfassen des Grundgesetzes, beim Gründen dieses Staates kein Problem war und das wir nicht als solches gesehen und erkannt haben. Es wird sich zeigen, ob wir alle miteinander die Kraft haben, dennoch die notwendigen Antworten zu geben und ein Problem kooperativ zu lösen und uns einer Aufgabe zu stellen, die allerdings — da, Herr Ministerpräsident, bin ich mit Ihnen völlig einer Meinung — für die künftige wirtschaftliche und auch gesellschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland eine Kernfrage ist.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Herr Ministerpräsident Albrecht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf dem Herrn Bundeswirtschaftsminister in aller Kürze auf seine Ausführungen antworten. Verehrter Graf Lambsdorff, Sie haben mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik Deutschland als eines von wenigen Ländern immer noch einen Außenhandelsüberschuß habe, wenn auch ein großes Leistungsbilanzdefizit. Ich finde, Sie wissen genauso gut wie ich, daß dieses Argument überhaupt nicht trägt. Denn auch der Überschuß im deutschen Außenhandel ist von 40 Milliarden DM vor zwei Jahren auf etwa 10 Milliarden DM zurückgegangen; ich habe noch nicht die letzten Zahlen für 1980. Das heißt: hier ist ein Verlust an Überschußpositionen von etwa 30 Milliarden DM. Das ist ein wesentlicher Beitrag zur Veränderung unserer Leistungsbilanz insgesamt.Zweitens. Sie sagen, der Zeithorizont stimme nicht, wenn ich sagte: Hätten wir nicht sieben Jahre Versäumnisse in der Energiepolitik gehabt, dann wären wir jetzt nicht in dieser Lage. Natürlich ist richtig, daß der Bau eines Kraftwerks — je nachdem, wie gnädig die Gerichte sind — zwischen sechs und zehn Jahre dauert. Ich will Ihnen gerne zugeben, daß das normalerweise etwa acht Jahre dauert. Aber wir stünden heute doch ganz anders da, wenn wir 1973/74 klare Entscheidungen getroffen hätten und auch die Kraft gehabt hätten, sie durchzuführen. Dann würden die nächsten Kraftwerke 1981, 1982, 1983 in Betrieb gehen können. Jetzt ist überhaupt keine Perspektive dafür vorhanden.
Sie sprechen von der deutschen Kohle und sagen: die kann nicht in unbegrenzten Mengen produziert
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1051
Ministerpräsident Dr. Albrecht
werden, allein deshalb, weil die Subvention für uns nicht zu bezahlen ist. Das ist auch nicht mein Vorschlag. Ich sagte etwas anderes. Ich nehme das, was unter realistischen Bedingungen in den nächsten zehn Jahren zusätzlich von der deutschen Kohle geleistet werden kann. Dabei muß man wissen, daß erhebliche Anteile der jetzigen Förderung ausfallen und erst einmal durch neue Schächte ersetzt werden müssen und daß dann darüber hinaus noch eine bestimmte Menge produziert werden kann. Sie werden mir nicht widersprechen — Sie haben mir auch nicht widersprochen —, wenn ich sage, daß der deutsche Bergbau in Übereinstimmung mit der Bundesregierung — ich habe das auch in Ihren Unterlagen gelesen — etwa acht Millionen Tonnen unter dem Strich zusätzlich innerhalb der nächsten zehn Jahre glaubt bereitstellen zu können. Es bleibt j a dann wohl unwidersprochen, daß angesichts der Größe des Dekkungsproblems, das wir haben, acht Millionen Tonnen deutsche Kohle zusätzlich überhaupt nicht geeignet sind, uns einer Lösung spürbar näherzubringen.Dann haben Sie darauf hingewiesen — das ist nicht falsch —, daß die langfristigen Verträge über Einfuhrkohle schwierig seien. Lassen Sie mich dazu zwei Dinge sagen. Natürlich ist es immer ein Risiko, vom Ausland abhängig zu sein. Von Staatshandelsländern abhängig zu sein ist ein doppeltes Risiko. Aber der Bundeskanzler hat, glaube ich, zu Recht gesagt: Risikostreuung ist ein vernünftiges Prinzip. Das heißt, auch wir müssen wie die anderen danach trachten, die Einfuhrkohle unter möglichst verläßlichen Bedingungen zu kriegen, die von uns aushandelbar sind.Von den Polen ist es zur Zeit schwierig. Keiner weiß, wie es weitergeht. Aber längerfristig gesehen besteht gar kein Zweifel daran, daß die Polen Kohle haben und sehr daran interessiert sind, auch über die Kohleexporte Devisen verdienen zu können, zur Erleichterung ihrer finanziellen Situation. Ich habe 1976 aus Gesprächen mit der polnischen Regierung heraus Ihrem Herrn Amtsvorgänger nahegelegt, einen langfristigen Liefervertrag mit der Volksrepublik Polen abzuschließen. Man hat uns damals gesagt: Sie können fünf Millionen Tonnen haben, zehn Millionen Tonnen jährlich, auch 20 Millionen Tonnen, nur wir Polen haben nicht das Kapital, um die neuen Zechen aufzuschließen. Deshalb kann es nur so sein, daß Ihr das Kapital bereitstellt und wir eine langfristige Lieferverpflichtung eingehen. Die Polen waren bereit, uns eine Preisklausel zu machen, die etwa so aussah, daß sie uns diese Kohle jeweils zum niedrigsten Energiepreis auf dem Weltmarkt zur Verfügung stellen wollten. Dieses Angebot ist von der Bundesregierung damals nicht angenommen worden aus Sorge vor der Entwicklung im Ruhrbergbau.
— Lassen Sie mich das bitte eben zu Ende führen, Herr Kollege.Dasselbe gilt für die Volksrepublik China. Auch dort kann man Mengen von Kohle bekommen unter der Voraussetzung, daß man die Investitionen zunächst einmal zu finanzieren bereit ist. Sie wissen so gut wie ich, daß andere Länder, etwa Ihr dänischer Kollege, sehr intensiv darüber verhandeln, sich auch dort einen Anteil zu sichern. Ich sage j a nicht, daß wir nur aus diesen Ländern die Kohle zu kriegen versuchen sollten. Ich sage, daß dies Teil des gesamten Aspektes sein muß.Und dies ist meine zweite Bemerkung dazu: Wenn Sie recht haben sollten — ich will das gar nicht prinzipiell in Frage stellen —, daß auch die Einfuhrkohle in Wahrheit nicht viel hergibt, dann lautet doch die einzige Schlußfolgerung: um so größer ist die Last, die auf der Kernenergie lasten wird, d. h. um so dringender brauchen wir einen stärkeren Ausbau der Kernenergie. Nur dann können wir doch unsere Probleme der Bedarfsdeckung lösen.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, gerne.
Herr Ministerpräsident, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß das, was Sie für richtig halten, heute ohne weiteres, soweit es die Importkohle betrifft, möglich ist, und wollen Sie bitte damit zum Ausdruck bringen, daß diese These auch für Sie und Ihre politischen Freunde im Zusammenhang mit dem geplanten Gasgeschäft mit der UdSSR gilt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, aber Sie werden auch, glaube ich, sorgfältig zur Kenntnis genommen haben, daß ich gesagt habe, wir müssen dabei darauf achten, daß wir nicht politisch erpreßbar werden.
In begrenztem Umfang richtig und ja, aber nicht bis zu einer Grenze, daß wir politisch abhängig werden, gerade von einem Partner, wie die Sowjetunion es ist.
Herr Bundesminister, Sie haben eben genickt, als ich gesagt habe, um so wichtiger wäre es, daß der richtige Beitrag der Kernenergie nun endlich klar definiert würde und daß wir auch die Kraft hätten, das durchzuführen. Ich sage ja nicht, daß die Bundesregierung dazu keine Position hätte. Die Bundesregierung hat viel Vernünftiges zur Kernenergie gesagt, nur reicht das nicht aus. Es ist nun mal nicht so — und Gott sei Dank nicht so — in einer Demokratie, daß dort eine Institution oben schwebt. Sie kann nur wirksam werden, wenn sie zumindest von den Regierungsparteien getragen wird, die diese Bundesregierung ins Amt gebracht haben. Hier mangelt es daran, daß die Regierungsparteien — ich will das sorgfältig differenzieren: zumindest die größere Regierungspartei — nicht in der Lage sind, das durchzuführen, was die Bundesregierung zu wiederholten Malen als ihre Meinung verkündet hat.
Metadaten/Kopzeile:
1052 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Ministerpräsident Dr. Albrecht
Sie haben zu Recht darauf hingewiesen — das bestätigt genau das, was ich sagen will —, dies geht in der Tat nur durch Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Aber wer regiert denn in den Ländern? Die Union, die SPD/FDP, zum Teil die SPD allein. Hier sehen Sie nun ganz klar, was ich meine. Sie haben mich gefragt, ob bei uns alles in Ordnung sei. Ich will nur eine einzige Zahl nennen, die ich schon öfter genannt habe. Zur Zeit sind in der Bundesrepublik Deutschland 15 Kernkraftwerke im Bau oder im Genehmigungsverfahren. 14 dieser 15 Kernkraftwerke werden in unionsregierten Ländern gebaut, ein einziges, Biblis C, in einem sozialdemokratisch-freidemokratisch regierten Land.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schwarz-Schilling.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Wirtschaftsminister, Sie haben zum Schluß Ihrer Rede die Frage gestellt, ob unser föderales System nicht vor einer neuen Bewährungsprobe stehe, ob die Probleme unserer Energieversorgung in Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern positiv gelöst werden können. Ich möchte die Bundesregierung vor einem Fehlschluß warnen. Wenn wir auf Grund der Zerstrittenheit von Parteien und Ideologien die notwendigen Entscheidungen in Bund und Ländern nicht koordiniert fällen, ist nicht die Frage nach der Tauglichkeit unserer Institutionen zu stellen, sondern die Frage nach der Tauglichkeit der Parteien, die diese Institutionen im Moment besetzen. Das ist die Situation.
Ich möchte die Bundesregierung davor warnen, den Schwarzen Peter jeweils anderen Institutionen zuzuschieben. Die Selbstgefälligkeit, Herr Minister, mit der Sie diese Fragen beantwortet haben, nachdem Ministerpräsident Albrecht einen neuen Anlauf für ein gemeinsames Verständnis von Bund und Ländern gemacht hat, scheint zum stabilsten Faktor dieser Bundesregierung zu werden. Ich möchte bemerken, daß diese Art von Stabilität nicht zu Investitionsanreizen für die deutsche Wirtschaft führt. Darüber müssen Sie sich im klaren sein.Meine Damen und Herren, stellen wir einmal die Frage nach der Lernkurve dieser Bundesregierung. Man kann sagen, daß sich die Definitionen der Eckwerte in den zehn Jahren, in denen diese Bundesregierung regiert, total verschoben haben. Im Jahre 1969 galt das Preisniveau als stabil, wenn die Differenz zwischen der Zuwachsrate des nominalen Bruttosozialprodukts und der des realen Bruttosozialprodukts 1 % betrug. Jetzt dagegen wird nur noch davon geredet, daß es uns „doch besser als anderen Ländern" gehe. Jegliche konkrete Zuordnung wird unterlassen. Während man vor zehn Jahren von einem hohen Beschäftigungsstand nur dann sprach, wenn die Arbeitslosenquote nicht über 0,8 % lag, so reden wir heute noch bei einer Größenordnung von 3,5 % von Vollbeschäftigung. Das hat sich alles während dieser zehn Jahre abgespielt. Wenn heute die privateWirtschaft auch bei der Bundesregierung wieder einen besseren Stellenwert hat, dann ist dieser Lernprozeß vor allem durch die leeren Kassen dieser Bundesregierung in Gang gekommen, die selbst nicht mehr in der Lage ist, das von Staats wegen zu tun, was bei der heutigen Lage getan werden müßte.
Wie sind die Signale des Marktes? Wir hören auf der einen Seite diese Diskussion, wir hören aus dem Jahreswirtschaftsbericht optimistische Prognosen, die mit den Realitäten nicht mehr übereinstimmen. Auf der anderen Seite kämpfen draußen Arbeitnehmer und Unternehmer tagtäglich gegen den flutartigen Kostenanstieg, um Arbeitsplätze zu erhalten, um Finanzierungen im Rahmen zu halten, um trotz der irrsinnigen Last der Fremdkapitalzinsen noch irgendwie Renditen erwirtschaften zu können. Vor diesem Hintergrund ist das, was sich heute hier abspielt, sehr akademisch.Was bedeutet das hohe Zinsniveau für ein Unternehmen heute? Die Vereinigten Staaten sind sehr wohl in der Lage, ein so hohes Zinsniveau noch lange Zeit durchzuhalten, und zwar aus verschiedenen Gründen.
— In der Bundesrepublik Deutschland ist ein Substanztransfer von den Unternehmen in den Staatsbereich in einer solchen Größenordnung vor sich gegangen, daß als Resultat die Eigenkapitalquote der Unternehmen heute auf 23 %, bei mittleren und kleinen Unternehmen bis auf annähernd 20 % zurückgegangen ist. Das heißt, daß die Geschäftstätigkeiten zu 80 % fremdfinanziert sind, und das heißt, daß für diese 80 %, zumindest im mittel- und im kurzfristigen Bereich, exorbitant hohe Zinsen zu zahlen sind. In den Vereinigten Staaten haben wir im Durchschnitt eine Eigenkapitalquote von 60 %, so daß die unternehmerischen Tätigkeiten nur zu 40 % mit hohen Zinsen fremdfinanziert werden müssen. Aus diesem Grunde sind die Unternehmen in den Vereinigten Staaten viel länger in der Lage, diese Hochzinsphase durchzuhalten, als das bei uns in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist; sie haben einen viel längeren Atem. Die Unternehmen hier dagegen sind durch die Steuergesetzgebung und andere Lasten so ausgezehrt, daß sie keineswegs solche Perioden ohne Existenzgefährdungen durchstehen können.Wenn Sie sich einmal ansehen, wie die Renditeerwartungen in den Vereinigten Staaten trotz dieser hohen Zinsen aussehen, dann werden Sie feststellen, daß die inflationsbereinigte Nettoeigenkapitalrendite in den Vereinigten Staaten im Durchschnitt noch bei über 6 % liegt. Bei uns beträgt sie 1 %. Das bedeutet, daß in Deutschland Fremdkapital bei diesen hohen Zinsen nur noch finanziert werden kann, wenn ein weiteres Sinken der Eigenkapitalrendite in Kauf genommen wird. Das führt aber dazu, daß den Unternehmen bei uns sehr schnell die Luft ausgeht. Es gibt heute tagtäglich Hiobsbotschaften. Sie entwickeln sich geradezu zu einer Flut, wie man
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1053
Dr. Schwarz-Schillingsieht, wenn man die Zeitung aufschlägt. Dies geschieht in einer Zeit, in der die Staatskassen leer sind, in der die ausländischen Wettbewerber in die Märkte gehen und in der durch bürokratische Entscheidungen sowie durch gesetzgeberische Inkompetenz verhindert wird, daß für unsere wichtigsten Zukunftstechnologien die Schleusen geöffnet und die Initialzündungen für eine neue Konjunkturphase eingeleitet werden.
Meine Damen und Herren, die Deutsche Bundespost sagt dazu immer: Ja, ob nun dieser Stopp besteht oder nicht, wir verkabeln doch in der vollen Höhe. — Was dabei total übersehen wird, ist, daß es hier gar nicht um das Fernsehen geht. Es geht hier vielmehr um einen Kommunikationsverkehr des kommerziellen Bereichs, um Kommunikation zwischen den Unternehmen, um einen Verkehr im gewerblichen Bereich, der nur dann vorankäme, wenn wir flächendeckende Netze hätten. Da nützen uns doch die Pilotprojekte nichts! Meine Damen und Herren, stellen Sie sich einmal vor, vor einigen Jahrzehnten wäre jemand auf den Gedanken gekommen, zwei oder drei Ortschaften mit Telefonen auszustatten und zu sagen, jetzt probieren wir einmal aus, was die mit den Telefonen machen; und danach wäre entschieden worden, ob wir in Deutschland das Telefon einführen. Das wäre doch wohl ein Witz geworden!
Ähnliches gilt in anderen Bereichen, so bei der Energiepolitik. Meine Damen und Herren, hier ist die Diskussion viel zu lange an der Frage, welchen Bedarf wir haben werden, festgehalten worden. Die wirkliche Frage ist doch: zu welchen Preisen, zu welchen Kosten?Herr Wirtschaftsminister, Sie haben hier in der Energiedebatte mich zitiert, weil ich im Wirtschaftsausschuß die Frage gestellt habe, wie ein Kostenvergleich in bezug auf die Bundesrepublik Deutschland, auf Frankreich und auf unsere anderen Nachbarländer in den Jahren 1990 und 2000 aussehen wird. Denn das ist für die Zukunftsentwicklungen und für die entscheidenden Rahmenbedingungen der Standortpolitik der Unternehmen und damit für die Arbeitsplätze in Deutschland, in Frankreich, in Holland und in den anderen Ländern ausschlaggebend.Sie meinten, ich müßte in mich gehen,
weil hier von der Bundesregierung offizielle Angaben erwartet würden. Auf dem Unternehmenssektor ist es doch so, daß heute jedes mittlere und jedes größere Unternehmen Planungen für 5 oder 10 Jahre haben muß, um überhaupt zu wissen, wie hoch investiert werden soll und wo Arbeitsplätze geschaffen werden können. Und diese Bundesregierung glaubt, überhaupt nicht darüber nachdenken zu müssen, wie bei der Energie in diesem Lande in den nächsten 15 Jahren die Kostenentwicklung aussehen wird!
Sehen Sie nicht, daß bereits ein großer Teil der deutschen Unternehmen an den Grenzen zu Frankreich dort überhaupt nur noch dann bleibt, wenn diese Unternehmen Stromverträge mit Frankreich abschließen können, weil sie sonst im Jahre 1990 nicht mehr wettbewerbsfähig sind?
Sehen Sie nicht, daß wir in der Bundesrepublik neue Disparitäten bekommen, indem eben ganze Industriezweige in ganzen Regionen wegen der Energiekosten nicht mehr wettbewerbsfähig sein werden?
— Lieber Herr Wehner, wenn dann diese Werke ihre Tore schließen und die Arbeitslosen vor den Toren auf der Straße stehen, sind das keine Märchen
— es sind auch keine Phrasen —, sondern dann sind Sie für das, was sich abspielt, verantwortlich!
— Offensichtlich gibt es für Sie heute noch nicht so viele Arbeitslose, daß Sie bei Ihren Entscheidungen Korrekturen ansetzen würden.
Was sagt der Sachverständigenbericht? „Die expansive Finanzpolitik der vergangenen Jahre hat zu einem Konsolidierungsbedarf von solcher Höhe geführt, daß der Staat 1981, also in einem Jahr, das nicht gut zu werden verspricht, kaum noch Handlungsspielraum hat." — Das ist die Aussage des Sachverständigenberichts über die Handlungsspielräume dieser Bundesregierung.Meine Damen und Herren, der Bundeswirtschaftsminister war ja in der besagten Sitzung des Wirtschaftsausschusses gar nicht anwesend und hat sich offensichtlich fehlinterpretierend irgend etwas berichten lassen. Er sollte sich mehr um Fragen wie die kümmern, daß z. B. im Bundesfinanzministerium ein Referentenentwurf für das 14. Gesetz zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes erstellt wird, in dem nun plötzlich neue Genehmigungspflichten und Preisregulierungen auftauchen, die mit der Marktwirtschaft überhaupt nichts mehr zu tun haben. Darum soll er sich kümmern und nicht an der falschen Front hier irgendwelche falschen Parolen von sich geben.
Meine Damen und Herren, nachdem der Staat seit dem Jahre 1970 seinen Korridor so erweitert hat, daß er fast 50 % unseres Sozialprodukts nicht nur beeinflußt, sondern direkt in entsprechender Weise bestimmt, braucht die Wirtschaft einen Partner, der selber über Kompetenzen verfügt und die Kompetenzen, die er hat, auch ausfüllt, damit wir alle gemeinsam die Probleme meistern, vor denen wir stehen. Ich kann nur sagen: Da steht die Wirtschaft un-
Metadaten/Kopzeile:
1054 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Dr. Schwarz-Schillinggeheuer allein. Der Wirtschaftsminister erklärt: Es ist nicht die Stunde der Verzagtheit, der Resignation. Ja, glauben Sie etwa, unsere Arbeitnehmer, unsere mittelständischen Unternehmer sind diejenigen, die resignieren? Sie haben doch seit Jahren bis zur eigenen Existenzaufgabe gegen die Resignation gekämpft. Aber wo man anfängt zu resignieren, ist, wenn man zu der gleichen Zeit — —
— Ja, ich habe vielleicht mehr Kontakte zu Arbeitnehmern als Sie, auch wenn Sie in einer anderen Partei sind.
Sie brauchen sich ja nur einmal die Struktur Ihrer Fraktion anzusehen, nicht?
Meine Damen und Herren, wenn wir diese Bundesregierung in der heutigen Situation betrachten und sehen, was sie uns in diesem Jahreswirtschaftsbericht an Phrasen, an Allgemeinplätzen bietet, ohne konkret zu sagen, wie sie die sogenannten Rahmenbedingungen nun wirklich konkret neu ausfüllen will, um das gemeinsame Ziel zu erreichen, dann kann man allerdings resignieren. Ich kann nur sagen: Wenn diese Bundesregierung nicht sehr schnell dazu übergeht, auch die Haftung für das zu übernehmen, was sie als Kompetenz beansprucht, und damit Kompetenz und Haftung wieder zusammenführt, wie es bei jedem Unternehmen der Fall ist, und wenn der Staat nicht bereit ist, auf seinem Gebiet aktiv die volle Verantwortung zu übernehmen, etwa im Hinblick auf die Innovationshemmnisse, die Probleme der Bauwirtschaft und die Fragen der Kernkraftwerke, dann hat nicht der deutsche Arbeitnehmer, nicht der Unternehmer, nicht unsere Bevölkerung versagt, sondern diese Bundesregierung, die ihren Part in einer großen Stunde der Verantwortung nicht gespielt hat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reuschenbach.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist die Pflicht der Opposition, Regierung zu kontrollieren, sie anzutreiben und auch zu kritisieren, aber es ist ganz bestimmt nicht ihre Verpflichtung, ökonomische Probleme, die es gibt — beträchtliche Arbeitslosigkeit und strukturelle Verwerfungen —, mit Schadenfreude in der Stimme zu kommentieren.
Da die Opposition hier heute über weite Strecken nicht mehr als eine sehr schwarz gefärbte und verzerrte Zustandsbeschreibung geboten hat, ist es auch schwer, mit ihr über Politik zu diskutieren; denn Politik ist Gestaltung der Lebensverhältnisseund nicht nur Kommentierung von Zuständen und Verhältnissen.
Ich kann Sie um der Diskussionsfähigkeit in diesem Haus willen wirklich nur dringend bitten, mehr zu bieten als Kommentierungen mehr oder weniger intelligenter Art.Mir kommt es darauf an, auf die Beiträge des Ministerpräsidenten aus Niedersachsen zurückzukommen, der mit heimnehmen kann, daß er uns in der Sorge um die ökonomische Entwicklung — Leistungsbilanz, Strukturwandel — nicht überbieten kann und daß es völlig überflüssig war, hier eine Art Nachhilfestunde zu veranstalten. Es wäre sinnvoller und hilfreicher gewesen, Herr Ministerpräsident, wenn Sie dargelegt hätten, was Sie aus Ihrer Aufgabe als Ministerpräsident eines großen Landes beitragen wollen, beitragen können und beitragen werden, um Schwierigkeiten zu meistern.
— Nun gut. — Da er sich vornehmlich mit Energiepolitik befaßte
und anderen vorhielt, sie seien nicht eifrig und entschlossen genug gewesen, muß ich ihn fragen, ob er es als einen sehr bemerkenswerten Beitrag zur Energiepolitik in diesem Lande empfindet, daß seine Landesregierung zum ersten Male — über Qualität will ich nicht streiten — sage und schreibe im Dezember 1980 eine geschlossene Formulierung der Energiepolitik seines Landes Niedersachsen vorlegte. Im Jahre 1980! Und er kritisiert andere, daß sie nicht schon Anfang der 70er Jahre alles Nötige getan hätten.Ich will auch darauf eingehen, was denn 1973, wie er meint, zu tun gewesen wäre und um welche Konsequenzen es geht. Wenn man es heute mit einer echten Stromlücke oder damit zu tun hätte, daß die Lichter ausgehen oder vorübergehend Strom abgeschaltet werden muß, dann wäre seine Kritik berechtigt, daß in den Jahren 1973 und 1974 eine ungleich größere Kraftwerkskapazität, egal welcher Art, hätte auf die Beine gestellt werden müssen. Das ist doch gar nicht das Problem.Das Problem ist in diesen 70er Jahren gewesen, die Abhängigkeit vom Öl zu reduzieren. Da muß man hinzufügen, daß es nicht diese sozialliberale Koalition seit 1969 war, die dieses Land durch das Verkommenlassen des Bergbaus in den 50er und 60er Jahren in eine solche Abhängigkeit vom Öl gebracht hat.
Wer, nachdem er zehn Jahre in der Opposition ist, so tut, als sei es möglich, innerhalb weniger Jahre die Energiestruktur eines Landes so zu verändern, daß man von 70 % Ölanteil auf Null herunterkommt, täuscht sich und andere. Wenn er es versuchte, würde er dieses Land in eine Katastrophe treiben,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1055
Reuschenbachwenn er in wenigen Jahren von 70 auf Null herunterkommen wollte.
Ich erinnere mich gut, wie bei der ersten Vorlage des Energieprogramms und bei den ersten Maßnahmen zur Ölreduzierung, nämlich dem Verbot, Kraftwerke auf Ölbasis zu bauen, Kollegen aus Ihrer Fraktion aufgeheult haben, weil sie meinten, das sei bösester Dirigismus und der Staat maße sich Entscheidungen an, die nur dem Markt zukämen. Heute sind sieben Jahre vorbei. Sie werden ja so oft nachträglich klug. An diesem Tag, an dem die Opposition einen, wie mir scheint, richtigen Beitrag zur Reduzierung des Ölverbrauchs abgelehnt hat, klagt der Herr aus Niedersachsen, diese sozialliberale Koalition sei nicht ausreichend fähig, einen Beitrag zur Reduzierung zu leisten. Mir scheint, dieser Tag hat für Sie, Herr Ministerpräsident, mindestens insofern doch noch einen Sinn, als Sie manches mit heimnehmen könne.Wenn man unser Land und seine Wirtschaftsordnung nicht kennte und nur Herrn Albrechts Reden hört, müßte man glauben, hierzulande hätten wir eine zentrale Verwaltungs- und Planwirtschaft, bei der per Knopfdruck in Bonn Import- und Preispolitik der Ölkonzerne dirigiert werden, bei der Verbraucherverhalten par ordre du mufti bestimmt wird, bei der Investitionsbereitschaft von Unternehmen per Knopfdruck in Bonn verordnet wird.Wie sehr Energiepolitik von internationalen Entwicklungen abhängt, kommt bei Herrn Albrecht allenfalls zum Zweck des Vorwurfs zum Ausdruck. Und dabei liegt die Bedeutung von Importenergiepreisen, von neuen Energieimportverträgen und Währungskursveränderungen auf der Hand; er erweckt den Eindruck, als sei es allein eine Frage des Beschlusses der Bundesregierung, das zu korrigieren.Was Kohleimporte angeht, so will ich Ihnen einmal folgendes sagen: Wenn der polnische Bergbau nicht wieder auf die Beine kommt und wenn es in Südafrika eines Tages rumst, dann werden Sie und die Menschen in Niedersachsen sehr froh darüber sein, daß die Sozialdemokraten und diese Bundesregierung in den zurückliegenden Jahren dafür gesorgt haben und auch in der Zukunft dafür sorgen werden, daß ein Höchstmaß an heimischer Kohle zur Verfügung steht.
— Sie fragen: Wer will das nicht? Das ist ein gutes Stichwort. Im sogenannten Energieprogramm der niedersächsischen Landesregierung vom Dezember 1980 steht geschrieben: „Niedersächsische Kohlepolitik ist Importkohlepolitik." Damit ist die Antwort auf Ihre Frage „Wer will das nicht?" gegeben. Alles das, was insbesondere in den letzten Jahren aus Niedersachsen zum Thema Kohle gesagt worden ist, war gegen den heimischen Bergbau gerichtet. Da war das Revier der „Kostgänger der Nation", da haben die Menschen eben „mit Füßen abgestimmt"; na ja, das ist eben so. Bei dem Versuch, dem erfolgreichen Versuch, durch die Verstromungsgesetze den Absatz heimischer Steinkohle für die Verstromung zu sichern, war die niedersächsische Landesregierung wahrlich nicht an der Spitze der Bewegung, sondern eher am anderen Ende dieses Geleitzuges.
Im Energiebild des Herrn Albrecht ist anscheinend auch kein Raum für die Verteilung der energiepolitischen Zuständigkeiten gemäß unserem föderativen Staat und dessen Einfluß auf die Verwirklichung energiepolitischer Ziele der Bundesregierung. Dabei war es doch seine Landesregierung, die in den letzten Jahren den entscheidenden Schlag gegen die Zukunft und die Weiterentwicklung der Kernenergie geführt hat. Es ist doch nicht zu leugnen, er kann es doch nicht nachträglich noch als eine Großtat feiern, daß das viele Jahre verfolgte Entsorgungskonzept durch seine Entscheidung über Bord ging. Seine Begründung dafür lautete — es war nicht irgendeine technische Regelung, die nicht zweckmäßig gewesen sei —, daß es politisch nicht durchsetzbar sei. Das heißt mit anderen Worten: weil die Opposition im niedersächsischen Landtag ihm, der christlichdemokratischen Regierung nicht gefolgt sei. Also, wer vor seiner Opposition so kapituliert, kann doch nicht im gleichen Atemzug anderen sagen, sie sollten doch endlich einmal für die eigene Überzeugung kämpfen. Wenn wir hier im Deutschen Bundestag bzw. die Bundesregierung immer dann, wenn die Opposition sagt: Da spielen wir nicht mit, sagen würden: Das ist politisch nicht durchsetzbar, dann wäre dieses Land schon lange nicht mehr regierbar.
Ihre mangelnde Bereitschaft, zu entscheiden, Herr Albrecht, berechtigt Sie heute ganz bestimmt nicht, dem Bundeskanzler mangelnde Entscheidungskraft vorzuwerfen. Wenn der Bundeskanzler aus den eigenen Reihen kritisiert wird, dann meistens weniger deshalb, weil er nicht entschlossen genug entscheidet, sondern meistens eher deshalb, weil er einigen zu entschieden auftritt, zu entschieden seine Meinung sagt, zu entschieden entscheidet.
Wer so wie Herr Albrecht dazu beigetragen hat, der Energiepolitik, der Kernenergiepolitik Steine in den Weg zu legen, hat wirklich wenig Berechtigung, mit dem Finger auf andere zu zeigen; da zeigen nämlich immer gleich drei zurück.In diesem Zusammenhang liegt mir sehr daran, mich einer Forderung zuzuwenden, die in den letzten Tagen erhoben worden ist. In den letzten Tagen haben Herr Dregger und Herr Riesenhuber sinngemäß geäußert, daß die Bundesregierung endlich die Diskussion über die Regionalisierung der energiepolitischen Entscheidung beenden solle. Dies ist ein außergewöhnlich ernstzunehmender Vorgang. Denn dies bedeutet, wenn es ernst gemeint wird und zu Konsequenzen führen und nicht nur ein Tupfer im politischen Wortstreit sein soll, daß Landesplanung außer Kraft gesetzt werden soll, daß Standortbe-
Metadaten/Kopzeile:
1056 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
ReuschenbachStimmungen durch Länder, Kreise und Städte außer Kraft gesetzt werden sollen, daß die Bedarfsfeststellung nach dem Energiewirtschaftsgesetz nicht mehr, wie dort festgelegt, den Ländern, sondern dem Bundeswirtschaftsministerium obliegen soll, daß gemeindliche Selbstverwaltung im Zusammenhang mit der Beschlußfassung und mit dem Befinden über Bebauungspläne außer Kraft gesetzt werden soll. Ich muß sagen, wenn Sie dies wirklich so wollen — ich muß Ihre Worte ja wohl ernst nehmen —, ist das heller Wahnsinn. Dies würde am Ende nämlich eine Militarisierung der Standortfeststellungen, der Planungsvorgänge für Energieanlagen bedeuten. Wer das in die Debatte wirft, erweist dem Fortgang der Energiepolitik hierzulande den allerschlechtesten Dienst. Wer auch nur den Anschein erwecken würde, als sollte ein Kraftwerk, auch ein Kernkraftwerk, wie ein Truppenübungsplatz geplant und gebaut werden, wird in diesem Lande erst recht bürgerkriegsähnliche Zustände heraufbeschwören. Ich kann Sie nur dringend bitten, von diesem Weg abzugehen.Offizielle Sprecher der Union wirken immer dann, wenn es um Energiepolitik und um Kernenergiepolitik geht, so stramm und zackig, als ob es überhaupt keinen Anlaß, keinen Grund für ein bißchen Nachdenklichkeit gäbe, als ob es keine Veranlassung gäbe, auch einmal etwas abzuwägen, als ob es überhaupt keinen Diskussionsbedarf gäbe. Sie verfahren gewissermaßen nach dem Motto „drauf und dran". Gemessen an diesem Verhalten der Union in Fragen der Energie- und Kernenergiepolitik — zackig und stramm, drauf und dran — sind professionelle Energiewirtschaftler und Energietechniker noch hochsensible Systeme.
Sie können mir sehr wohl abnehmen, daß es bei manchen Diskussionen in meiner eigenen Partei auch bei mir Ärger gibt und mir auch manchmal die Zornesröte ins Gesicht kommt. Wenn ich das aber mit der geistig-politischen Friedhofsruhe in der Union eintauschen müßte, würde mir dies die Schamesröte ins Gesicht treiben.
Vermutlich werden Sie von einem Sozialdemokraten keinen Rat annehmen. Dann sollten Sie ihn aber von Herrn Remmers annehmen, der der CDU/CSU in den letzten Tagen in dem eben gemeinten Sinn ins Stammbuch geschrieben hat, daß sie sich entgegen dem Anschein in einer schwierigen Situation befinde, weil es ihr an der lebendigen Diskussion über entscheidende Fragen der Gegenwart mangele, und daß ihr eine lebendige Diskussion sehr gut zu Gesicht stünde. Ein einsamer Rufer in der Wüste. Sein Rat kann bei Ihnen sicherlich schneller ankommen, da er Ihren Leuten, eingeschlossen den Ministerpräsidenten aus Niedersachsen, nähersteht.
Nun muß natürlich auch Herr Kohl sich noch melden und sagen, der Bundeskanzler möge wegen seiner Äußerungen zur Kernenergie hier im Deutschen Bundestag die Vertrauensfrage stellen. Der Bundeskanzler wird selbst zu entscheiden haben, ob er diesem „Befehl" folgt. Mein Gott, warum soll er denn hier im Deutschen Bundestag die Vertrauensfrage stellen?
Wo ist denn da der Konflikt zwischen ihm und der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, um dessentwillen er die Vertrauensfrage stellen sollte? Der Bundeskanzler hat gesagt, daß er es für unwahrscheinlich halte, daß der Ausstieg aus der Kernenergie eines Tages ermöglicht werden könnte.
Sie meinen, dagegen stünde, daß die Sozialdemokraten auf ihrem Parteitag in Berlin der Auffassung waren und auch noch der Auffassung sind, daß sich in den 90er Jahren vielleicht beide Möglichkeiten ergeben. Genauso wie die Sozialdemokraten auf ihrem Bundesparteitag in Berlin hat die Enquete-Kommission votiert, und zwar nicht durch linke Spinner — Herr Lenzer hat vor Einsetzung der Enquete-Kommission ja einmal vorausgesagt, die Kommission werde eine Tummelwiese für linke Spinner, um die Aggressionen abzuwälzen —, sondern durch hervorragende sachkundige Mitarbeiter. Die Herren Häfele, Meyer-Abich, Pfeiffer und Schneider sind weder Tölpel noch Ignoranten. Sie haben die gleiche Empfehlung gegeben: in diesem Jahrzehnt alles zu tun, was möglich und nötig ist, soviel wie möglich zu sparen, rationellen Umgang mit Energie, moderaten Zubau von Kernkraftwerken, um am Ende dieses Jahrzehnts aus der dann erkennbaren Lage Schlußfolgerungen zu ziehen, um dann entweder in die Brütertechnologie einzusteigen oder, was auch ich für unwahrscheinlich halte, auf den Beitrag von Kernenergie verzichten zu können.Die Bundesregierung hat im Jahreswirtschaftsbericht ihre energiepolitischen Ziele beschrieben. Wir werden sie mahnen, drängen und unterstützen, die Ziele bei der nächsten Fortschreibung des Energieprogramms umzusetzen. Wir werden sie ermuntern, den Weg der energiepolitischen Vernunft weiterzugehen. Ich muß alle Hoffnungen und Illusionen zerstören, wonach die Energiepolitik des Kanzlers und des Bundeswirtschaftsministers etwa an der SPD-Fraktion scheitern könnte. — Vielen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hauser .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Reuschenbach, ich habe volles Verständnis dafür, daß Sie hier jetzt durch ein sehr forsches Auftreten versuchen wollen, den schlechten Eindruck zu verwischen, der heute morgen durch Ihren Vorredner aus Ihrer Fraktion entstanden ist.Sie sprachen von Schadenfreude. Ich glaube jedoch, wir haben überhaupt keinen Anlaß zur Scha-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1057
Hauser
denfreude; denn das, was hier zu beklagen ist, geht uns alle an. Wir sind in einer Situation, in der man eigentlich gar nicht deutlich genug auf die Konsequenzen aufmerksam machen kann, die sich aus dem ergeben, was Sie durch Ihre Politik in den letzten Jahren verschuldet haben.Aber wir sind daran gewöhnt, daß es, wenn wir auf Mißstände aufmerksam machen, aus der Sicht der Regierungskoalition entweder als Panikmache, als Schwarzmalerei oder, wie Sie das hier jetzt vortragen, als Schadenfreude dargestellt wird. Das sind wir gewohnt. Das ist die bequemste Art, solcher Kritik zu begegnen, wenn man darauf keine konkreten Antworten geben kann.
Sie haben gesagt, es sei nicht möglich, mit der Opposition zu diskutieren. Der Herr Ministerpräsident Albrecht hat hier, gerade was seine und die Haltung seiner Landesregierung zur Energiepolitik angeht, sehr deutlich gesagt, wie er die Dinge sieht. Nur haben Sie dabei offenbar nicht zugehört; sonst könnten Sie hier nicht davon sprechen, daß diese Versäumnisse in Niedersachsen aus dem Anfang der 70er Jahre resultierten, als nämlich dort noch nicht die CDU die Landesregierung stellte, sondern Ihre Freunde die Regierungsverantwortung trugen. Da kann man doch nur sagen, daß die Landesregierung, die dort unter der Verantwortung der CDU 1976 tätig wurde, sofort darangegangen ist, sich der Probleme anzunehmen, um die es hier vorhin in der Debatte gegangen ist.Aber, meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat uns einen Bericht vorgelegt, aus dem wir mit Freude entnehmen, daß sie sich der hervorragenden Bedeutung — so heißt es dort wörtlich — der mittelständischen Wirtschaft und der freien Berufe für die weitere Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung bewußt ist.
Allerdings frage ich mich, wenn wir das so hören, weshalb sich von insgesamt 74 nur ganze 3 Abschnitte einem so bedeutenden Bereich widmen.
— Das hat mit Erbsenzählen gar nichts zu tun.
Ich will Ihnen gleich auch sagen, was das für einen Hintergrund hat, meine Herren Kollegen. Es wird gesagt, der Mittelstand als treibende Kraft der Marktwirtschaft hätte mehr als nur eine so marginale Erwähnung in diesem Bericht verdient. Die Schönheit und Eleganz mancher ministerieller Formulierungen kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß wieder einmal nach der Art des unseriösen Autoverkäufers verfahren worden ist, der die schadhaften Stellen zukleistert und überlackiert, so daß der Kunde, von dem glanzvollen Erscheinungsbild beeindruckt, die verbeulte Karosserie und den durchgerosteten Rahmen übersieht. Deswegen scheint es mir notwendig zu sein, daß wir an dem Lack, der ohnehin seit dem Wahltag von dieser Koalition erheblich abgeblättert ist, einmal kratzen und fragen, wie es denn mit der Substanz dieses Jahreswirtschaftsberichts aussieht.So steht im Bericht, die Bundesregierung strebe auch weiterhin eine Stärkung der Eigenkapitalbasis der mittelständischen Unternehmen an. Der Kollege Dr. Schwarz-Schilling hat vorhin schon auf diese Situation aufmerksam gemacht, und jeder, der das liest, freut sich, daß dieses Problembewußtsein bei der Regierung offenbar vorhanden ist. Aber dann liest man das im Jahreswirtschaftsbericht ein- oder zweimal durch, um festzustellen, daß nirgendwo auch nur im Ansatz eine Aussage darüber vorhanden ist, wie die Bundesregierung gedenkt, dieser Kapitalauszehrung unserer mittelständischen Unternehmen zu begegnen. Die Eigenkapitalquote, die von 1967 bis heute von 31,4 % auf etwa 20 % geschrumpft ist, also ein Minus von über 10 %,
ist eine erschreckende Substanzauszehrung unserer Unternehmen.
Die Konkursstatistik des Jahres 1980 zeigt, wohin das führt, nach der wir zum Jahresende über 9 000 Zahlungseinstellungen verzeichnen mußten. Gerade der Verein Creditreform hat dazu in diesen Tagen alarmierende Zahlen veröffentlicht, indem er feststellte, daß damit gleichzeitig 225 000 Arbeitskräfte ihren Arbeitsplatz in diesen Unternehmen verloren haben, die zum größten Teil zu den künftigen Dauerarbeitslosen gehören werden.
Wenn man diese Konkurswelle nicht stoppt, dann wird man auch mit den Problemen der Arbeitslosigkeit nicht zufriedenstellend fertig. Denn in jedem dieser Unternehmen der mittelständischen Wirtschaft — wir wissen, daß zwei Drittel der Arbeitnehmer dort Arbeit und Brot finden — sind Arbeitsplätze unwiederbringlich verlorengegangen. Dem können wir nur durch eine Verbesserung unserer Wettbewerbsfähigkeit entgegenwirken, und deshalb müssen die Rahmenbedingungen für private Investitionen auch in der Steuerpolitik politisch ein Thema bleiben.
Angesichts des riesigen Schuldenberges, den die Bundesregierung aufgetürmt hat, können Steuersenkungen sicherlich im gegenwärtigen Zeitpunkt kein aktuelles Thema sein. Die Regierung hat gerade heute morgen mit ihrer Mehrheit wieder Steuererhöhungen veranlaßt; aber das darf nicht bedeuten, daß wir, auf mittlere Sicht gesehen, etwa auf entsprechende Überlegungen verzichten.Die Steuerpolitik muß erneut zur Förderung der Wachstumsbedingungen sowie der Investitions- und Risikobereitschaft der Unternehmen eingesetzt werden. Steuersenkung zur Überwindung der Rezession kann eine Maßnahme sein, die schon bei ihrer Ankündigung die gewünschte positive Signalwirkung hervorbringt. Das könnte beispielsweise durch eine Verbesserung der Abschreibungsbedingungen erreicht werden. Ich erinnere hier an das Beispiel,
Metadaten/Kopzeile:
1058 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Hauser
das wir gerade in den Vereinigten Staaten erleben, wo allein die Bekanntgabe des Sparprogramms des neuen Präsidenten zu einer ganz unerwarteten Belebung der Investitionstätigkeit geführt hat, und ich glaube, wir sollten die Reaktionen auf die Veröffentlichung seines Wirtschafts- und Finanzprogrammes in den letzten Tagen sehr sorgfältig zur Kenntnis nehmen.Natürlich kann dies erst in Frage kommen, wenn die durch die Schuld der Regierung verlorengegangene finanzpolitische Handlungsfähigkeit wiederhergestellt wird. Dafür braucht man einen langen Atem; denn kurzfristiges konjunkturpolitisches Taktieren, insbesondere eine künstliche Belebung der Nachfrage durch irgendwelche Programme, hilft hier nicht weiter. Aber weder im Haushaltsentwurf noch im Jahreswirtschaftsbericht wird auch nur im Ansatz eine Auskunft darüber gegeben, wie beispielsweise der Wirtschaftsminister die Weichen hier stellen will. Insofern kann ich meinem Kollegen Kiep nur zustimmen, der das sogenannte Sparprogramm der Regierung kürzlich als ein Gemisch aus Feigheit und Geiz mit massiven Steuer- und Abgabenerhöhungen charakterisiert hat.
Die Bundesregierung erhöht auf breiter Front die Abgaben. Sie belastet damit die Tarifverhandlungen und erschwert kostenneutrale Tarifabschlüsse. Sie gefährdet nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit unserer nationalen Volkswirtschaft, sondern sie gefährdet auch die Arbeitsplätze. Ich glaube, die Bundesregierung würde in einem Kollegium — ein Kollege der SPD hat das in den vorigen Tagen etwas anders genannt, ich will mich aber dieses Ausdrucks nicht bedienen — von Preistreibern eine gute Figur machen.Vollbeschäftigung kann nur erreicht werden, wenn eine aktive Wachstumspolitik betrieben wird. 1 % mehr reales Wachstum bedeutet nach Berechnungen der Bundesanstalt für Arbeit etwa 100 000 Arbeitslose weniger. Und wenn der Herr Bundesarbeitsminister in diesen Tagen auf Grund seiner neuesten Erkenntnisse feststellen mußte, daß 100 000 Arbeitslose 1,9 Milliarden DM kosten, weiß man, wovon die Rede ist. Insofern ist Wachstumspolitik die beste Politik zur Sicherung der Arbeitsplätze. Weil sich zwei Drittel aller Arbeitsplätze in kleinen und mittleren Unternehmen befinden, ist das gleichzeitig dann auch die beste Art von Mittelstandspolitik; denn erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik ohne Berücksichtigung der besonderen Situation der mittelständischen Unternehmen ist nicht denkbar und von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Den Wachstumsbestrebungen gebührt deshalb Vorrang vor anderen politischen Zielsetzungen.Natürlich lassen sich Wohlstand und Lebensqualität eines Volkes nicht nur in Prozentzahlen vom Bruttosozialprodukt messen. Das Wachstum selbst ist das Ergebnis des Fleißes, der Tüchtigkeit, der Sparsamkeit, des Erfindungsreichtums, der Risikofreude und der Einsatzbereitschaft von Unternehmern und bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmern und keineswegs allein das Produkt staatlich verordneter Wachstumspolitik. Deshalb muß im Sinne wohlverstandener Wachstumspolitik wieder ein Klima hergestellt werden, das den Unternehmern die Wahrnehmung ihrer Funktion im Sinne dieser Zielsetzung erlaubt. Es muß für die Arbeitnehmer Leistungsanreize bieten. Sie dürfen nicht in die Schwarzarbeit gedrängt werden.Damit sind wir bei einem Bereich der Mittelstandspolitik, der in Ihrem Bericht auch keine Erwähnung gefunden hat. In diesem Zusammenhang zitiere ich gerne aus einem Papier, zu dessen Zustandekommen Sie, Herr Wirtschaftsminister, sicherlich auch Ihren Beitrag geleistet haben. Im Aktionsprogramm der FDP für den Mittelstand steht unter Punkt 23 zu lesen
— ja, ich hoffe, daß Sie daran auch noch denken, wenn es soweit ist —, „daß eine wirkungsvolle Bekämpfung der Schwarzarbeit durch Streichung des nicht nachweisbaren Tatbestandsmerkmals ,aus Gewinnsucht` angestrebt werden muß".
— Sicher, ich finde das prima. Ich will nur hoffen, daß Sie sich, wenn der Gesetzentwurf in den Ausschüssen und hier im Plenum zur Entscheidung steht, nicht wieder hinter der Behauptung verkriechen, der Koalitionspartner gebe Ihnen nicht die Genehmigung, unserem Gesetz zuzustimmen, wie das in der letzten Legislaturperiode der Fall gewesen ist.
Nur, diese Streichung des Tatbestandsmerkmals „aus Gewinnsucht" allein ist j a wohl doch nicht die Lösung des Problems.
— Ja, natürlich. — Deswegen möchte ich Sie auch gerne beim Wort nehmen, wenn es darum geht, die immer weiter steigenden Belastungen des Arbeitnehmers abzubauen, die ihn geradezu in die Schwarzarbeit treiben; denn der Verdienst jeder Überstunde wird auf Grund staatlicher Abgaben zu 50 % weggenommen.
Das ist doch der eigentliche Übelfaktor im Rahmen dieser ganzen Diskussion. Es ist sehr bedauerlich, daß darüber im Jahreswirtschaftsbericht nicht ein Wort gesagt wird, daß das alles draußenvor bleibt, als sei das alles von geringem Interesse.Das gleiche gilt für eine Reihe von anderen Themen verantwortlicher Mittelstands- und Wirtschaftspolitik. Wo bleibt denn, Herr Bundeswirtschaftsminister, eine Aussage zur Bürokratiebelastung der kleinen und mittleren Unternehmen? Sie haben das in Ihrem Bericht sehr feinsinnig damit umschrieben, daß Sie sagen — ich zitiere —: „Der Mittelstand hat eine hohe Sensibilität gegenüber administrativen Belastungen und bürokratischen Hemmnissen."
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1059
Hauser
— Eine schöne Formulierung. Sie könnte von einem Ministerialdirigenten stammen. Das freut natürlich den Mittelständler, wenn er so etwas hört und wenn ihm die Bundesregierung hier ein „hohes Maß an Sensibilität" bescheinigt.Nur — da kommt er sich ein bißchen für dumm verkauft vor —: Er sucht vergeblich danach, wie denn die Bundesregierung diese Bürokratiebelastung in Zunkunft von diesem „sensibilisierten" Mittelständler wegnehmen will. Das ist natürlich ein Versuch am untauglichen Objekt; denn darüber steht im Jahreswirtschaftsbericht überhaupt nichts.Oder: Wo finden wir in dem Bericht zur Mittelstandspolitik eine Passage über den Abbau ausbildungshemmender Vorschriften beispielsweise im Jugendarbeitsschutzgesetz? Wir finden sie überhaupt nicht, weil dies nach dem Geschäftsverteilungsplan der Bundesregierung nichts mit Mittelstandspolitik zu tun hat. Dies alles zeigt die ganze Praxisferne eines solchen wissenschaftlich verbrämten Berichts.Ich darf zusammenfassen, da ich hier an das Ende meiner Redezeit erinnert werde.
— Herr Kollege Roth, Sie haben j a auch nicht mehr zu bieten als das, was hier heute morgen von Ihren Freunden vorgetragen worden ist. Ich glaube schon, daß es richtig ist, wenn man auf die angesprochenen Probleme einmal deutlich hinweist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Urbaniak?
Ja, wenn es nicht meine Redezeit beschränkt. Ich muß ja noch eine Zusammenfassung geben.
Ihre Redezeit ist schon zu Ende.
Dann beantworte ich die Zwischenfrage nicht, denn ich lege Wert darauf, meine Ansichten hier noch vorzutragen. Das erscheint mir wichtiger, als solche Fragen zu beantworten.
Herr Kollege, entschuldigen Sie bitte, Ihre Redezeit ist zu Ende. Kommen Sie bitte schnell zum Schluß.
Darf ich eine kurze Zusammenfassung geben?
Eine halbe Minute.
Halten Sie sich doch zurück! Sie wissen doch gar nicht, was das ist, eine freie Rede. Sie haben hier noch nie frei geredet.
Ich darf zusammenfassen. Erstens. Die unternehmerische Ertragskraft muß gestärkt werden. Zweitens. Leistungsbereitschaft und Leistungsanreiz müssen durch Senkung der Ausgabenbelastung wieder möglich werden. Drittens. Wir brauchen einen Gesinnungswandel auch im Hinblick auf unser soziales Leistungssystem, der ein politisches Klima schafft, in dem vorurteilsfrei und ohne Verdächtigung die Fragen diskutiert werden können, deren Diskussion notwendig ist.
Ich denke, meine Damen und Herren, wenn der Jahreswirtschaftsbericht auf diese Fragen die Antwort verweigert, dann fehlt hier ein ganz entscheidendes Stück. Ich darf, Herr Minister, in Abwandlung eines FAZ-Zitats sagen: Dieser Bericht läßt noch nicht einmal den Versuch erkennen, die Partei des ausgebeuteten Mittelstandes zu ergreifen, der die Musik auf den Tanzböden des Sozialstaats zu spielen hat, ohne selbst mittanzen zu dürfen. Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Wurbs.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der bisherige Verlauf der Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht hat meines Erachtens zusammengefaßt folgendes gezeigt. Die deutsche Volkswirtschaft wird sich in den 80er Jahren mit großen Anstrengungen dem Strukturwandel anpassen müssen. Die Herausforderungen lauten in Stichworten: Rohstoffpreisexplosion — vor allem beim Öl —, Leistungsbilanzdefizit und die japanische Herausforderung.Wirtschaft, Unternehmer und Arbeitnehmer müssen vor allem selbst damit fertig werden. Der Staat kann und muß, wo es auch auf Grund sozialer Spannungen notwendig wird, flankierend helfen und die Rahmenbedingungen setzen.Es hilft uns jedoch nicht, wenn wir die wirtschaftlichen Probleme zudecken. Wir alle müssen uns der internationalen Herausforderung offen stellen. Nur so können wir den Kern unseres Wohlstands halten und für mehr Menschen sichere Arbeitsplätze schaffen.
Diese nüchterne Analyse ist jedoch kein Anlaß zur Panik. Sie ist auch kein Anlaß zur Schwarzmalerei. Leider haben die Debatte und der letzte Beitrag wieder gezeigt, daß die Opposition der Versuchung nicht widerstehen kann, alles schwarz in schwarz zu malen. Hierzu haben Sie, Herr Kollege Hauser, in der Ihnen eigenen Art einen Beitrag geleistet. Sie haben aber keine Lösungsmöglichkeiten angeboten. Es ist ja leicht — und es ist Ihr gutes Recht —, der Regierung Vorwürfe zu machen. Aber ohne Lösungsmöglichkeiten hier vom Podium zu gehen, halte ich doch für etwas schwach.
Metadaten/Kopzeile:
1060 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
WurbsIch möchte behaupten und nehme an, daß die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung und ihres Wirtschaftsministers gar nicht so schlecht gewesen sein kann. Denn das Wahlergebnis des 5. Oktober hat doch gezeigt, daß gerade der Kreis derer, die Sie angesprochen haben, uns zu diesem Wahlergebnis verholfen hat; das ist wohl nicht zu bestreiten.
Ein Wort zu den Insolvenzen, die Sie eben dargelegt haben. Ich will das Problem der Insolvenzen hier keinesfalls verniedlichen. Aber dann muß man auch den Ursachen etwas nachgehen. Ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin aus dem Artikel, den Sie zitiert haben, aus dem Bericht der „Creditreform", folgendes vortragen. Hier heißt es unter anderem, Unternehmen mit der Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung seien 1980 besonders anfällig für Insolvenzen gewesen. Als Hauptgründe hierfür nennt die „Creditreform" die mangelnde Qualifikation des Managements sowie fehlende Markterkundung und -beobachtung, falsche Standortwahl und nicht fundierte kaufmännische Ausbildung. Wie von der „Creditreform" weiter beobachtet wurde, wurden aus Gründen der finanziellen Risikobeschränkung Einzelfirmen häufig nur deshalb gelöscht, damit eine Neugründung in GmbH-Form vorgenommen werden konnte. Wenn Sie die Insolvenzen auch noch hinsichtlich der Einzelpersonen bereinigen, werden Sie zu einem ganz anderen Ergebnis kommen.Aber hier ist doch die Frage erlaubt: wem nützt es eigentlich, wenn wir hier Schwarzmalerei und Miesmacherei betreiben? Wäre es nicht besser, zu versuchen, angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation zu gemeinsamen Lösungen zu kommen? Wenn man sich gegenseitig hier den Schwarzen Peter zuschiebt, ist keine Lösungsmöglichkeit gegeben. Wir sollten doch versuchen, in aller Freundschaft Lösungsmöglichkeiten zu finden.Ich wollte auch noch einmal an einem Beispiel aufführen, wie schwierig die Situation beispielsweise auf dem Geldmarkt ist. Aus dem Bereich des Mittelstands werden Stimmen laut, die sagen: Die Zinsen müssen herunter. Ich kann das durchaus verstehen. Denn gerade der mittelständische Bereich ist durch die Zinssituation am stärksten belastet. Aber wozu würde diese mögliche Zinssenkung führen? Der Kapitalabfluß würde sich vergrößern, und auch das Handelsbilanzdefizit würde sich entsprechend vergrößern.
Ich glaube, damit würde auch die Inflation angeheizt, und Instabilität ist wohl für den Mittelstand eine große Gefahr. So schwierig es auch für den Mittelstand sein mag, mit einer derartigen Zinslast zu leben, sollten wir der Bundesbank doch unsere weitere Unterstützung angedeihen lassen, zumal der Spielraum der Bundesbank doch sehr begrenzt ist.Günstige Rahmenbedingungen bilden jedoch die Voraussetzungen für Leistungs- und Risikobereitschaft, für Innovation, Initiative und persönlichen unternehmerischen Einsatz. Ich möchte im Blick auf die mir zustehende Redezeit nur mit einigen Stichworten an das erinnern, was die Koalition in den vergangenen Jahren zur Verbesserung der Leistungsbereitschaft mittelständischer Unternehmen getan hat. Ich glaube, es kann von dieser Stelle aus nicht häufig genug aufgeführt werden, was die Regierung getan hat. Ich behaupte — und will es auch beweisen —, daß keine Regierung vor dieser Regierung so viel für den Mittelstand getan hat wie diese Regierung.
Ich nenne nur die Einführung des auf 5 Millionen DM begrenzten Verlustrücktrages, die Entlastung bei der Lohn- und Einkommensteuer, die mehrmalige Anhebung des Vorwegabzuges bei den Vorsorgeaufwendungen, die mehrmalige Anhebung der Freibeträge bei der Gewerbesteuer, die Senkung der Vermögensteuer sowie die Abschaffung der Lohnsummensteuer.Herr Kollege Hauser, ich möchte auch an dieser Stelle den überproportionalen Anstieg der Gewerbeförderungsmittel im Handwerk nicht unerwähnt lassen. Sie stiegen — man höre genau zu — vom Jahre 1970 bis zum Jahre 1980 von rund 13,25 Millionen DM trotz der Haushaltssituation auf rund 60,6 Millionen DM: eine ganz respektable Steigerung. Ich glaube, das sollte auch einmal anerkannt werden.Hinzu kommt das Personalkostenzuschußprogramm für kleine und mittlere Unternehmen im Bereich der Forschung und Entwicklung. Dabei möchte ich für die FDP-Fraktion der Bundesregierung ausdrücklich dafür danken, daß sie die Mittel für dieses Programm im Jahre 1981 trotz der schwierigen Kassenlage gesteigert hat.
Auch nicht unerwähnt lassen möchte ich das Eigenkapitalhilfeprogramm, das 1979 eingeführt worden ist und dessen Inanspruchnahme, wie die Zahlen deutlich zeigen, gestiegen ist. Die Bundesregierung hat im Jahreswirtschaftsbericht eine Überprüfung der Vergabekriterien für dieses Programm angekündigt. Wir werden uns gerne daran beteiligen.Wir werden auch künftig, wie der Jahreswirtschaftsbericht deutlich macht, die Rahmenbedingungen so gestalten, daß der Wille zur Selbständigkeit weiter gestärkt wird, daß die Zahl der kleinen und mittleren Unternehmen auch künftig zunimmt. Wir werden auch weiterhin verhindern, daß die Steuerlast ansteigt.
Das gleiche gilt für die Förderung von Forschung und Entwicklung, für die Exportberatung. Darüber hinaus wird sich die FDP-Bundestagsfraktion für die Einführung eines Selbständigenvorwegabzugs für nachgewiesene Krankenhausversicherungsbeiträge einsetzen, wenn wieder Steuersenkungen zur Diskussion stehen.Die FDP-Fraktion wird weiter eine Einschränkung der Nebentätigkeit öffentlich Bediensteter besonders im Bauplanungsbereich der Gemeinden un-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1061
Wurbsterstützen. Unser besonderer Einsatz gilt dem Abbau der Bürokratie, die erfahrungsgemäß gerade den mittelständischen Bereich belastet.Nun zu Ihnen, Herr Kollege Hauser. Im Arbeits- und Berufsrecht ist aus der Sicht der FDP-Fraktion die wirkungsvolle Bekämpfung der Schwarzarbeit von besonderer Bedeutung, und zwar durch die Streichung des nicht nachweisbaren Tatbestandsmerkmals „aus Gewinnsucht". Hierzu liegt ein vom Land Hessen über den Bundesrat eingebrachter Gesetzentwurf vor. In der Regierungserklärung ist ausdrücklich von der Erteilung eines Prüfungsauftrages gesprochen worden. Ich bin sicher, daß wir dieses Problem in dieser Legislaturperiode werden lösen können.
Wenn Sie von den lohnsteuerfreien Überstunden sprechen, rühren Sie an eine alte Forderung der FDP. Nur darf ich auch hier angesichts der Haushaltslage sagen: Ob das derzeit realisiert werden kann, wage ich in Frage zu stellen. Ich halte es für richtiger, hier zu sagen: das wird aus finanziellen Gründen nicht möglich sein, als der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen und Hoffnungen zu wecken, die später nicht zu realisieren sein werden.Abschließend und zusammenfassend möchte ich feststellen, daß die Aufgabe des Mittelstandes, der Selbständigen und der freien Berufe, gerade bei der Lösung künftiger Probleme im Energie-, Technologie-, Umwelt- und Informationssektor noch größer und wichtiger werden wird. Wir warnen ausdrücklich vor der zunehmenden Macht der Großorganisationen, die den Freiraum des einzelnen einzuschränken drohen und die Zukunft planen und verwalten wollen.Für die Freien Demokraten ist eine freie Gesellschaft ohne eine große Zahl von Selbständigen, von Freiberuflern, von kleinen und mittleren Unternehmen und ihren Arbeitnehmern nicht denkbar. Diesem Ansatz trägt der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung, trägt die Mittelstandspolitik der Bundesregierung Rechnung.
Das Wort hat der Abgeordnete Pieroth.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Graf Lambsdorff wurde vor nicht allzu langer Zeit als bester Redner des Jahres mit dem Goldenen Mikrophon ausgezeichnet.
Wie mein Kollege Waigel, so stelle auch ich das anerkennend fest. Graf Lambsdorff, Ihre rhetorischen Leistungen haben zusammen mit unserem politischen Flankenschutz so manches Schlimmere aus der ideologischen Mottenkiste verhindert.
Die Forderung von seiten der SPD nach direkter Investitionslenkung ist zurückgestellt. Die Hauffschen Szenarien für eine dirigistische Strukturpolitik sind im Papierkorb gelandet — wo sie auch hingehören.
Die Illusion, der Staat könne mit Konjunkturprogrammen die entsprechende Nachfrage bei den Privaten schaffen, ist geplatzt. Das haben Sie erreicht.Und doch sind Ihre Rhetorik, Ihre Fähigkeit zum Kritisieren und Warnen unter dem Strich politisch vom Übel. Denn diese Koalition stülpt sich Ihre Rhetorik als Tarnkappe für schwere Fehler und Versäumnisse in der Wirtschafts- und Finanzpolitik über. So haben Sie es in der Koalition allzu lange verstanden — Herr Haussmann, Sie haben noch mitgeholfen —, den Eindruck zu erwecken, es sei bei uns wirtschaftlich im Grunde alles in Ordnung. Bis Mitte des letzten Jahres haben Sie, Graf Lambsdorff, ganz überzeugend verkündet, 1981 sei mit einem Wachstum von 21/2 % zu rechnen,
die Arbeitslosigkeit könne unter der Millionengrenze bleiben, das Problem des Leistungsbilanzdefizits bekäme man in den Griff. Zugegeben: Kurz vor der Wahl kamen dann sehr vorsichtige Einschränkungen. In der Wahlkampfhektik wurden die aber von der Wählermasse nicht mehr verstanden. Gleich nach der Wahl mußten Sie dann der staunenden Öffentlichkeit gestehen, wie dramatisch anders die wahre Lage unserer Wirtschaft war.Meine Damen und Herren, das hat sich der Wähler vom 5. Oktober gemerkt, und wir werden das dem Berliner Wähler für den 10. Mai wieder ins Gedächtnis rufen.
— Alles klar, Herr Roth.Und jetzt zur Sache: Graf Lambsdorff, um diesmal wenigstens in Berlin allen Mißverständnissen vorzubeugen, fordere ich Sie hiermit auf, vor dem 10. Mai zu mir nach Berlin zu kommen und mit mir öffentlich die Lage unserer Wirtschaft im Bundesgebiet und in Berlin zu diskutieren.
Dem FDP-Wähler muß doch eines klar werden: Eine FDP zu wählen, die ihr Schicksal an die SPD gekettet hat, das ist wirtschaftspolitisch eine programmierte Fahrt in den ganz tiefen Keller.
Unter einer solchen Koalition werden alle Fehlentwicklungen der letzten zehn Jahre lediglich verlängert werden.Was mußten Sie, Graf Lambsdorff, in diesen Jahren alles mitmachen, tolerieren — oder noch scho-
Metadaten/Kopzeile:
1062 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Pierothnender ausgedrückt: was konnten Sie alles zumindest nicht verhindern? Ich nenne den rasanten Anstieg der Staatsquote, die massive Zunahme der Verschuldung, die wachsende Bürokratisierung unserer Wirtschaft, die zunehmende Kritik an der Bundesbank, die wachsende Unkenntnis der Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft und demzufolge das wachsende Unverständnis in der Bevölkerung über die Vorteile einer arbeitsteiligen Weltwirtschaft. Bitte rühmen Sie sich angesichts dieser Tatsachen doch nicht, eine Entwicklung abbremsen zu können, die es ohne die FDP als Koalitionspartner überhaupt nicht gäbe.
Und beklagen Sie nicht allzu häufig politische Zustände, die Sie selbst doch mit herbeigeführt haben?
Mit Bremsen, Graf Lambsdorff, bekommt man diesen Karren — wie jeden Karren — nicht aus dem Dreck. Sie müssen anschieben, gestalten, motivieren können; darauf kommt es jetzt an, aber das können Sie in der Koalition mit der SPD nicht leisten.
In dieser Koalition haben Sie kein Konzept, die Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen. In dieser Koalition haben Sie kein Konzept, wie wir für Zeiten, die noch schlechter werden können, Haushaltsreserven schaffen können. In dieser Koalition haben Sie kein Konzept, wie wir den schon langsam absurd werdenden Dauerzustand eines gespaltenen Arbeitsmarktes — einerseits Arbeitslosigkeit, die sich auf einem immer höheren Sockel einnistet, andererseits unsere Betriebe, die expandieren wollen und expandieren könnten, aber händeringend nach Facharbeitern und Führungskräften suchen —
überwinden können. Und Sie haben in dieser Koalition kein Konzept, wie Sie die für unsere kochentwickelte Wirtschaft so lebenswichtige Frage nach einer besseren Eigenkapitalausstattung lösen wollen.Das alles sind doch die Bremsen für die Kraft unserer Wirtschaft, unsere Probleme zu lösen. Graf Lambsdorff, was wollen Sie dagegen tun? Wie wollen Sie die Eigenkapitalquote von jetzt 23 % wieder anheben, die Quote, die, als Sie begonnen haben, mitzuregieren, einmal bei stolzen 30 % lag? Wie wollen Sie — und auch Sie, Herr Cronenberg, haben es jetzt auf diesem Gebiet schwer — die Vermögensbildung bei den Arbeitnehmern dazu nutzen und verbessern?
Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, Sozialpartnerschaft statt sozialistischen Klassenkampfes: das ist doch eine der großen Chancen, das wirtschaftspolitisch Notwendige mit dem sozialpolitisch Erwünschten zu kombinieren!
Graf Lambsdorff, sagen Sie uns, wie Sie die Innovationsfähigkeit beleben wollen, wenn wir in der Bundesrepublik Deutschland bei den Abschreibungsbedingungen gegenüber unseren europäischen und amerikanischen Konkurrenten ganz hinten liegen!Das, Graf Lambsdorff, zeigt den zentralen Punkt: Ihre Schwäche bei der wirtschaftspolitischen Gestaltung. Sie können wirtschaftpolitisch nicht gestalten, weil die SPD Ihr Konzept als unsozial abstempelt. Denn es sind doch die Sozialdemokraten, die der Öffentlichkeit eingeredet haben, eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Wirtschaft sei unsozial. Meine Damen und Herren, in der Realität ist es doch genau umgekehrt: Unsozial ist die Politik dieser Koalition, die zuwenig auf die eigene Kraft der Menschen vertraut, die zuwenig auf Eigeninitiative, auf die Selbständigen und den Mittelstand in unserer Wirtschaft gesetzt hat!
Zu welch unsozialen Ergebnissen diese Politik führt, will ich Ihnen noch am Beispiel Berlins ganz deutlich zeigen. Arbeitslosigkeit gibt es nicht nur in meinem strukturell wirklich benachteiligten Wahlkreis in Rheinland-Pfalz. Bei meinem ersten Besuch im Arbeitsamt in Neukölln mitten in Berlin hat es mich sehr betroffen gemacht, wie hart die Arbeitslosigkeit sogar in einer Stadt wie Berlin geworden ist. In Berlin öffnet sich immer weiter die Schere zwischen sinkendem Arbeitsplatzangebot in der Privatwirtschaft und steigendem Angebot an Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst. Während in den letzten zehn Jahren die Industrie in Berlin rund 83 000 Beschäftigte verloren hat, ist der öffentliche Dienst um 45 000 Personen gewachsen.
Es ist fast die gesamte werktätige Bevölkerung in meinem zukünftigen Wahlkreis Wilmersdorf, die im öffentlichen Dienst verschwunden ist.
In Berlin hatte der öffentliche Dienst 1979 mit 193 000 Beschäftigten bereits mehr Arbeitnehmer als das verarbeitende Gewerbe. Was soll ich da dem Inhaber der Baufirma sagen, der mir letzte Woche erklärt hat, daß man ihm den Polier abgeworben hat? Ich dachte, die Konkurrenz hätte ihn abgeworben. Aber nein, er sagte, das könnte er j a noch verstehen, aber der Mann sei jetzt Hausmeister einer Schule geworden. Wie wollen wir dem Unternehmer klarmachen, wie er zu mehr Fachkräften kommen könnte?Ich wende mich nicht gegen den öffentlichen Dienst, gegen tüchtige Menschen in der Verwaltung, bei der Müllabfuhr und an den Schulen, aber ich wende mich gegen eine Politik, die die Dynamik der privaten Wirtschaft dadurch lähmt, daß die Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst so attraktiv gemacht und so ausgedehnt werden, daß für die Privatwirtschaft immer weniger Fachkräfte übrigbleiben.
Zum Thema Arbeitsmarktprobleme gehört auch: Wir wollen nicht, daß immer mehr Arbeitsplätze ge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1063
Pierothschaffen werden, die Steuern kosten; wir brauchen wieder mehr Arbeitsplätze, die Steuern bringen. Darauf muß es jetzt ankommen!
Berlin ist aber auch ein Beispiel für ein zweites, viel grundsätzlicheres Problem, das es in allen Bundesländern mit sozialliberaler Koalition — und nur dort — gibt. SPD und FDP haben die Neigung, statt die Wirtschaft insgesamt durch Verbesserungen der Rahmenbedingungen zu motivieren, Wohltätigkeiten für einzelne Betriebe durch direkte Fördermaßnahmen und häufig auf Grund direkter Beziehungen zu vergeben. Die Folgen sind unheilvoll. Der Bürger sieht in erster Linie die Kosten, die Steuermillionen, die bei der HeLaBa, beim Aachener Klinikum, beim Frankfurter Flughafen und im Fall Garski vergeudet wurden.Mir geht es vor allem um den entgangenen wirtschaftlichen Nutzen. Was hätte mit diesem Geld Positives geschehen können!
Berlin zeigt jedenfalls, auf welche Klippen eine Wirtschaftspolitik aufläuft, die die Soziale Marktwirtschaft als Lotsen unter Deck versteckt und vom Ruderhaus den Glauben an die Machbarkeit durch den Staat steuern läßt.Dort und hier ist es nichts weiteres als eine Lebenslüge, eine Überlegenslüge der SPD/FDP, zu behaupten, in der Wirtschaftspolitik sei heute doch alles so kompliziert und so schwierig geworden und deshalb kaum zu lösen. In Wahrheit machen Sie sich Ihre Wirtschaftspolitik durch die Wahl Ihres Koalitionspartners politisch zu schwierig. Dabei wäre doch vieles der Sache nach viel einfacher, als der Bevölkerung unter ständigem Bezug auf das Ausland eingeredet wird.Was wir politisch leisten müssen, ist, wieder zu den einfachen und klaren Maximen zu finden, die das Denken des wirklichen Ludwig Erhard bestimmt haben, den Maximen, die den Grundstein für den beispiellosen Erfolg unserer Sozialen Marktwirtschaft gelegt haben. Die staatliche Wirtschaftspolitik muß der Versuchung widerstehen, wirtschaftliche Dynamik und sozialen Fortschritt durch eigene Tätigkeit und in eigener Regie direkt herbeiführen zu wollen. Dazu sind Politiker und Beamte beim besten Willen nicht fähig. Das wirtschaftliche Scheitern aller verwaltungsgläubigen Regime, die es bisher gegeben hat, zeigt dies in aller Klarheit.Die Wirtschaftspolitik muß wieder motivieren, die vorhandene Leistungsbereitschaft sich entfalten lassen; sie muß auf die Impulse von unten vertrauen. Den „faulen Deutschen", von dem Sie, Graf Lambsdorff, nur in Dementis sprechen, gibt es ja wirklich nicht; „faul" ist nur der Politiker, der es versäumt, ordnungspolitische Einsichten auch in die Wirklichkeit umzusetzen.
Statt vieler Appelle erwarten wir von einem Wirtschaftsminister wenige, aber breit wirkende Maßnahmen. Unsere Wirtschaft braucht ein solches Signal, um wieder Vertrauen fassen zu können, oderanders ausgedrückt, wie Ernst Günter Vetter heute in der „Frankfurter Allgemeinen" schreibt: „Das politische Klima prägt das ökonomische".Bereits einige wenige wirtschaftspolitische Signale können heute eine Aufbruchstimmung auslösen. Wie so etwas wirkt, konnten wir j a am Anstieg des Dollars feststellen. Durch einen Neubeginn in der Wirtschaftspolitik wird auch bei uns etwas geschehen. Eine Stadt wie Berlin könnte wieder zu dem werden, was sie traditionell einmal war: ein Lebensnerv unserer Wirtschaft, ein Vorreiter für intelligente Produkte und ein Ausgangspunkt für sozialen Fortschritt.
Herr Abgeordneter, — —
Ich bin am Schluß, Frau Präsidentin.
Ich wollte nur fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Roth zulassen.
Nein, ich kann keine Zwischenfrage mehr zulassen, denn auf der Uhr steht: 0. Mir steht also keine Redezeit mehr zur Verfügung. — Die Voraussetzungen sind in Berlin doch vorhanden: Eine intelligente, pfiffige, wache Bevölkerung, tüchtige Arbeitnehmer und mutige Unternehmer. Die Berliner sind besser als der Ruf der SPD. Was zur Zeit noch fehlt ist eine ebenso tüchtige und mutige Wirtschaftspolitik, die die Signale setzen wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schachtschabel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich abschließend ein paar Bemerkungen machen — nicht zu der gesamten Debatte, sondern zu dem, was in den letzten Stunden und Minuten hier gesagt worden ist.Ich gehe zuallererst auf das ein, was der Kollege Hauser gemeint hat, als er auf die Lage des gewerblichen Mittelstands und auf die etwa 9 000 Insolvenzen im Jahr 1981 abgehoben hat. Dies kann er tun; es bleibt jedem unbenommen, das zu machen. Aber der Regierung vorzuwerfen — er hat das ein bißchen versteckt, etwas überdeckt gemacht; aber wir haben es gehört —, sie verfahre nach Art des unseriösen Autoverkäufers, kleistere schadhafte Stellen zu und übersehe den durchgerosteten Rahmen des Autos, ist schlicht gesagt, eine Unverfrorenheit, die sich lediglich mit sachlicher Unkenntnis entschuldigen läßt.
Ich kann mir gut denken, daß ein Mann, der im handwerklichen Bereich tätig ist, die tatsächlichen Verhältnisse doch wohl kennen muß. Deshalb muß ich annehmen, daß hier ein bißchen versucht worden ist, die Zahlen hochzuspielen. Denn es ist eine bekannte Tatsache, daß Insolvenzen, so bedauerlich
Metadaten/Kopzeile:
1064 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981
Dr. Schachtschabelsie sind, zu einer Marktwirtschaft ebenso gehören wie Existenzgründungen. Und es ist eine immer wieder zutreffende Feststellung, daß in Zeiten rezessiver konjunktureller Entwicklung die Zahl der Insolvenzen höher als in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs ist. Insofern kann und soll gar nicht bestritten werden, daß in einer weltweit angespannten wirtschaftlichen Lage auch bei uns Insolvenzen eingetreten sind.Aber eine isolierte Betrachtung der Insolvenzen, wie sie immer wieder auch von der CDU/CSU in Verlautbarungen entgegengenommen werden muß, führt zu unzutreffenden Bewertungen der wirtschaftlichen Entwicklung selbständiger Existenzen. Denn zur gleichen Zeit finden nachweislich Existenzgründungen statt. Wir können für die vergangenen Jahre sogar feststellen, daß der Saldo zwischen Zugängen und Abgängen der Selbständigen gerade wegen der erfolgreichen Politik der sozialliberalen Koalition durchaus positiv gewesen ist.Die einseitige Darstellung ist aber auch deshalb unzulässig und die Sachlage verfälschend, weil in keiner Weise auf die tatsächlichen Ursachen der Insolvenzen eingegangen wird. In aller Kürze sage ich nur: Schon vor Jahren hat das Institut für Mittelstandsforschung eine klare Analyse durchgeführt. Erst gestern ist in der Presse berichtet worden, daß die Wirtschaftsauskunftei „Creditreform" mitgeteilt hat, daß nach ihren Erkenntnissen als Hauptgründe für Insolvenzen folgende Kriterien angenommen werden müssen: Mangelnde Qualifikation des Managements, fehlende Markterkundung und Marktbeobachtung, falsche Standortwahl und nichtfundierte kaufmännische Ausbildung.Da kann ich nur feststellen, daß es unter Berücksichtigung dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse klar und einsichtig ist, daß gerade die sozialliberale Bundesregierung auf die Behebung dieser schwachen Stellen allergrößten Wert gelegt hat und damit auch Erfolge erringen konnte. Ich verweise in diesem Zusammenhang darauf, daß wir die Qualifikation der Selbständigen in kleinen und mittleren Unternehmen für die Existenzfähigkeit und Weiterentwicklung ihrer Betriebe sehr ernst nehmen und daß es gerade in den Bereichen Unternehmerschulung und Unternehmerausbildung zu wesentlichen Erfolgen gekommen ist. Für Maßnahmen zur Leistungssteigerung hat die Bundesregierung von 1970 bis 1980 mehr als 2,3 Milliarden DM aus Haushaltsmitteln bereitgestellt. Allein für 1980 waren es rund 880 Millionen DM.Es sollte der CDU/CSU bekannt sein, wie vielfältig und differenziert das Angebot öffentlicher Hilfestellungen für Selbständige auf diesem Gebiet ist. Ich darf, falls die Opposition dies nicht kennen sollte, auf Schwerpunkte, die zur Steigerung der Leistungsfähigkeit beitragen sollen und beigetragen haben, hinweisen. Gefördert werden z. B. Unternehmensberatung, Weiterbildung von Unternehmern und Mitarbeitern, Berufsausbildung, insbesondere im Zusammenhang mit der überbetrieblichen Ausbildung, betriebliche Rationalisierung, Information und Dokumentation sowie die zwischenbetriebliche Kooperation.Meine Damen und Herren, es paßt natürlich nicht in das Konzept der CDU/CSU, daß die Zahl der Selbständigen — ich greife da einen Hinweis des Herrn Kollegen Pieroth aus der vergangenen Debatte auf —, und zwar ohne Landwirtschaft gerechnet, wieder angestiegen ist: 1977 um 16 000, 1978 um 4 000, 1979 um 38 000; für 1980 liegen noch keine abschließenden Zahlen vor.Wir machen darauf aufmerksam, daß auch noch ein anderer Punkt, wie wir meinen, richtiggestellt werden muß. Ich glaube. es war der Kollege Wissmann, der heute morgen gemeint hat, wir hätten uns nicht für die Mittelstandsförderung eingesetzt.
Er hat uns sogar vorgehalten, wir hätten der Mittelstandsförderung nicht unsere Zustimmung gegeben, ja sie sogar abgelehnt. Das ist völlig falsch; es sind deswegen auch Zwischenrufe erfolgt.
— Warten Sie ab, Herr Kollege Wissmann. Ich habe Ihre Ausführungen protokolliert, wenigstens für meine Zwecke. Es mußte so verstanden werden, wie Sie das gesagt haben.
— Na, sehen Sie. Deswegen gehört eine Antwort darauf.Trotz des engen finanzpolitischen Handlungsspielraums sind die entscheidenden Haushaltsansätze, die der Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation im Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen sowie deren Leistungssteigerung dienen, erhöht worden. So ist z. B. der Haushaltsansatz zur Förderung der Leistungssteigerung im Handwerk von rund 30 Millionen DM im Jahre 1980 auf rund 34 Millionen DM im Jahre 1981 — wir sprechen von diesem Jahr, Herr Kollege Wissmann — erhöht worden.Ganz besonders aufgestockt worden sind die Mittel für die Förderung der überbetrieblichen beruflichen Bildung im Handwerk. Auch dazu ein paar Zahlen: 1980 waren es 30,5 Millionen DM, 1981 sind es 49 Millionen DM. Die Bundesregierung verdeutlicht mit diesen Maßnahmen, daß sie der beruflichen Bildung, wie dies in der Regierungserklärung von Bundeskanzler Helmut Schmidt betont worden ist, größtes Gewicht beimißt.Auf die übrigen Forderungen will ich wegen der ablaufenden Zeit, meine Damen und Herren, nur kurz eingehen:
Auch im ERP-Programm sind die Mittel erhöht worden. Erneut erhöht worden ist der Ansatz im ERP-Mittelstandsprogramm. 1980 belief er sich auf 1,697 Milliarden DM, 1981 auf 1,806 Milliarden DM. Von anderen, weiteren Steigerungssätzen in den
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1981 1065
Dr. SchachtschabelFörderungsprogrammen wollen wir ganz schweigen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich damit abschließen, daß ich betone, daß die Maßnahmen, die von der sozialliberalen Bundesregierung besonders im mittelständischen Bereich mit Erfolg durchgeführt worden sind, dazu geführt haben, daß wir — wie in kaum einem anderen Bereich — in der Tat feststellen können, daß das mittelständische Gewerbe im wesentlichen ausgezeichnete Entwicklungen vorweisen kann. Ich verweise nur auf den typisch mittelständischen Bereich des Handwerks, in dem sich zeigt, daß die konjunkturelle Entwicklung trotz der unverkennbar rezessiven gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im Jahre 1980 insgesamt sehr positiv verlaufen ist. Der Umsatz ist erneut — auch real — gestiegen. Die Zahl der Beschäftigten hat erneut zugenommen. Die Zahl der Ausbildungsverhältnisse hat sich nochmals beträchtlich erhöht, und dem Handwerk ist dafür auch mehrfach Dank gesagt worden. Die Zahl der Betriebe hat sich etwa auf dem Niveau von 1979 stabilisiert. Wenn Sie das alles sehen und dabei den gewerblichen Mittelstand als einen stabilisierenden Faktor betrachten — und das sollte man tun —,
können wir wohl sagen, daß wir mit der Selbständigenpolitik, wie sie von der sozialliberalen Bundesregierung betrieben worden ist — sie ist von der sozialdemokratischen Fraktion abgestützt worden —, einen Erfolg verzeichnen können, der uns nach dieser Debatte, in der so viele pessimistische Lichter aufflammten, die Berechtigung gibt, zu sagen, daß wir — gerade in diesem Bereich, aber nicht nur dort —auf dem rechten Wege sind und zu einem Erfolg gelangt sind.Lassen Sie mich zum Schluß einen Hinweis geben. Ich habe manche Stimme aus Ihrem Lager, ja, ich habe vor allen Dingen Stimmen aus dem Lager des gewerblichen Mittelstandes gehört, die gesagt haben. in diesen Jahren der sozialliberalen Bundesregierung seien in der Tat wirksame Maßnahmen in der Selbständigenpolitik ergriffen und mit Erfolg praktiziert worden
Dies, meine Damen und Herren von der Opposition, sollten Sie einmal in Ruhe nachlesen. Dann sollten wir einmal darüber debattieren, wo noch Schwachstellen sind. Ich bin sicher, daß unsere Maßnahmen diese Schwachstellen ganz deutlich angehen, während Sie sich vorhin und überhaupt in allgemeinen Äußerungen ergangen haben. Ich glaube, man sollte das anerkennen, was geschehen ist, und auf diesem Wege erfolgreich weiterschreiten. — Vielen Dank.
Die Aussprache über den Tagesordnungspunkt 3 wird morgen fortgesetzt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 20. Februar 1981, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.