Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung spreche ich namens des Hauses unserer Kollegin Frau Krappe zu einem „runden" Geburtstag heute die herzlichsten Glückwünsche aus.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung erweitert werden um die
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU
betr. europäischer Agrarmarkt
— Drucksache VI/63 —.
Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Präsident des Bundestages hat gemäß § 96 a der Geschäftsordnung die von der Bundesregierung als dringlich bezeichnete
Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksache V/731 —Verordnung zur Anderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksache VI/36 —
mit der Bitte um fristgemäße Behandlung an den Ausschuß für Wirtschaft überwiesen.
Wir treten dann in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache VI/49 —
Ich teile dazu mit, daß die Fraktion der CDU/CSU die Fragen 74 ff. aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zurückgezogen hat, weil nach der Geschäftsordnung Fragen dann nicht behandelt werden können, wenn in derselben Woche zum selben Gegenstand ein anderer Tagesordnungspunkt behandelt werden soll. Da das der Fall ist, ziehen Sie die Fragen 74 bis 82 zurück.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf, und zwar zunächst die Frage 3 des Abgeordneten Saxowski:
Trifft die Meldung des Presse- und Informationsdienstes „AGRA-Europe" zu, wonach
a) die deutsche Stickstoffindustrie ihren Abnehmern entlang der Wasserstraßen neben Ablauffrachten bis 15 DM/t noch Sonderrabatte bis 17 % einräumt, um auf diese Weise billige Importe aus westlichen Ländern zu verdrängen, und
b) die deutsche Stickstoffindustrie ihren Abnehmern im inland rd. 86 DM je 100 kg Reinnährstoff abverlangt, während sie einen sehr bedeutenden Teil ihrer Produktion zu einem Preis von 23 DM je 100 kg nach Übersee verkauft?
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich bitte, die beiden Fragen des Herrn Kollegen Saxowski zusammen beantworten zu dürfen.
Keine Bedenken. Dann rufe ich noch die Frage 4 des Abgeordneten Saxowski auf:
Ist die Bundesregierung bereit, darauf hinzuwirken, daß der Höchstpreis für Kalkammonsalpeter wenigstens dem derzeitigen Marktpreis im Inland angepaßt wird, um damit einen Beitrag zur Senkung der Betriebsmittelkosten der deutschen Landwirtschaft zu leisten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es trifft zu, daß die deutsche Stickstoffindustrie den steigenden Einfuhren durch bessere eigene Bedingungen zu begegnen sucht. Dabei handelt es sich um die von Ihnen erwähnte Erstattung der Umschlags- und Weiterleitungskosten bei Transporten auf dem Wasserwege. Es handelt sich weiter um Sonderrabatte, wenn auch in unterschiedlicher Höhe.Dagegen scheint die gemeldete Preisdifferenz zwischen dem Inland- und dem Überseeabsatz nicht typisch zu sein. Die Außenhandelsstatistik der Bundesrepublik Deutschland jedenfalls berichtet über Exportpreise, die wesentlich höher liegen, nämlich zwischen 50 und 75 DM nach Übersee je 100 kg Kalkammonsalpeter.Die Bundesregierung hat bisher mehrmals den staatlich gesetzten Höchstpreis für Kalkammonsalpeter gesenkt. Sie hat dies getan, sobald sich ein niedrigerer Preis am Markt gebildet hatte. Bei der gegenwärtigen Lage und der Struktur des Stickstoffmarktes ist eine Höchstpreisregelung zum Schutze der Landwirtschaft nicht mehr wirksam. Sie ist
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398 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndteigentlich entbehrlich. Die Bundesregierung beabsichtigt daher, zu prüfen, ob die Höchstpreisregelung für Kalkammonsalpeter baldmöglichst aufgehoben werden kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Saxowski.
Herr Staatssekretär, wann ist mit der Aufhebung der Preisbindung zu rechnen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Baldmöglichst, Herr Kollege Saxowski, sobald das Benehmen mit den beteiligten Ressorts hergestellt ist. Ich möchte Ihnen an dieser Stelle noch einmal für Ihre Frage danken, die uns auf dieses wichtige Problem aufmerksam gemacht hat.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Saxowski.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß die Bundesbahn bereits reklärt hat, sie könne den Ausnahmetarif 11 B 1 für Düngemittel nicht aufrechterhalten, wenn sich der Düngertransport zunehmend auf die Wasserwege verlagere — das geht aus der einen Frage hervor —, da die deutsche Stickstoffindustrie ihre Frachten am Rhein mit hohen Rabatten belege.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung wird das prüfen, Herr Kollege Saxowski.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bewerunge.
Stimmen Sie mir zu, daß es möglich ist, daß durch die Aufhebung der Höchstpreisverordnung eine Verschlechterung für die deutsche Landwirtschaft eintreten kann, weil wir entlang der Wasserstraßen eine um 25 % günstigere Versorgung mit Stickstoff haben als im Inland und weil die Bundesregierung auch in der Vergangenheit die Höchstpreisverordnung schon oft herabgesetzt hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir werden prüfen, ob es für einzelne Landwirte ungünstiger ist; für die Landwirtschaft insgesamt können eigentlich nur Vorteile herauskommen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Schmidt .
Herr Staatssekretär, würden Sie veranlassen, daß das Bundeskartellamt diese ganzen Praktiken einmal überprüft?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Bundeskartellamt hat im Düngemittelsektor bereits einmal Recherchen vorgenommen. Diese Höchstpreisregelung ist aber eine Angelegenheit der Bundesregierung und nicht des Bundeskartellamts. Da haben wir allein die Verantwortlichkeit und müssen entsprechend handeln.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Strohmayr auf:
Befürchtet die Bundesregierung ebenso wie die deutschen Beherbergungsbetriebe, daß die starke Werbung über die Verbilligung der Auslandsferienreisen negative Auswirkungen auf den hiesigen Fremden- und Ferienverkehr haben kann?
Der Abgeordnete ist im Saal. — Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darf ich auch diese beiden Fragen gemeinsam beantworten?
Keine Bedenken, ich rufe dann noch die Frage 6 des Abgeordneten Strohmayr auf:
Wird die Bundesregierung Maßnahmen für einen Ausgleich oder zur Förderung des deutschen Fremdenverkehrs ergreifen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zweifellos, Herr Kollege Strohmayr, hat die Aufwertung der Deutschen Mark wie auch die voraufgegangene Abwertung des Französischen Franc eine Verbilligung von Auslandsreisen und eine Verteuerung des Aufenthalts von Ausländern in der Bundesrepublik zur Folge. Beides wird die Entscheidungen der Reisenden beeinflussen. In welchem Maße, läßt sich heute noch nicht übersehen. Deshalb können wir Befürchtungen dieser Art auch noch nicht teilen. Selbstverständlich wird aber die Bundesregierung alle Auswirkungen der D-Mark-Aufwertung sorgfältig zu beobachten haben.
Im übrigen zielt die von Ihnen als „stark" charakterisierte Werbung mit der Verbilligung von Auslandsreisen nur auf die eine Komponente des Fremdenverkehrs, auf die Auslandsreisen unserer Bürger. Ihre Wirkung auf den hiesigen Fremden- und Ferienverkehr wird daher begrenzt sein. Hinzu kommt, daß die Aufwertung der D-Mark voraufgegangene Preissteigerungen im Ausland zu kompensieren hatte, daß es sich also in diesem Rahmen um keine Verbilligung handelt. Ferner kommt hinzu, daß man für die nächste Zeit noch nicht mit Preisstabilität in unseren Nachbarländern wird rechnen können, so daß auf längere Sicht das hiesige Fremdenverkehrsgewerbe durch Aufwertung und Preisstabilität eher gewinnen als Einbußen erleiden wird.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Strohmayr.
Herr Staatssekretär, es ist aber Ihnen bzw. dem Wirtschaftsministerium bekannt, daß innerhalb des Fremdenverkehrsgewerbes in Deutschland eine starke Unruhe entstanden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Selbstverständlich ist eine Verbesserung der Wechselkursparität der D-Mark um 8,5 0'o für den Deutschen und um 9,43 für den Ausländer, der D-Mark kauft, eine einschneidende Maßnahme, die Befürchtungen und Unruhe allerorts auslösen muß, allerorts in der konkurrierenden Wirtschaft. Man wird aber erst abwarten müssen, ob sich diese Befürchtungen bewahrheiten. Wir sind in diesem Punkt sehr zuversichtlich.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Strohmayr.
Herr Staatssekretär, dann ist also Ihren letzten Äußerungen zu entnehmen, daß die Bundesregierung gewillt und bereit ist, falls hier Schwierigkeiten entstehen sollten, dementsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um das Beherbergungsgewerbe bzw. den Tourismus in Deutschland nicht stark absinken zu lassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Selbstverständlich ist nicht daran gedacht, Herr Kollege Strohmayr, kurzfristige Ausgleichsmaßnahmen zu ergreifen. Die Förderung des Fremdenverkehrs ist eine Aufgabe, der sich die Bundesregierung kontinuierlich, und zwar gemeinsam mit den Landesregierungen, zu widmen hat. Die Förderungsmaßnahmen im Rahmen der Regionalförderung und der Gewerbeförderung werden fortgesetzt werden, wie es bei der Beantwortung und bei der Erörterung der Großen Anfrage im 5. Deutschen Bundestag der Wille des Hauses und der Bundesregierung gewesen ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schmidt .
Herr Staatssekretär, würden Sie und die Bundesregierung für den Fall, daß sich die Befürchtungen des Fremdenverkehrs bewahrheiten, daß ein Rückgang zu verzeichnen ist, bei Ihren Überlegungen erneut die Möglichkeit der Halbierung des Mehrwertsteuersatzes im Bereich der Gaststätten und der Hotelerie mit einbeziehen, die hier im Hause schon einmal zur Debatte stand?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir würden sofort innerhalb der Bundesregierung und auch mit dem zuständigen Ausschuß des Hohen Hauses Fühlung aufnehmen. Ob es gerade diese Maßnahme ist, die sich dann empfiehlt, möchte ich dahingestellt sein lassen. Sie wissen, daß eine Korrektur des Mehrwertsteuergesetzes in diesem einen Fall möglicherweise andere Korrekturen nach sich ziehen würde. Der Herr Bundesfinanzminister hat sich vorbehalten, das im Gesamtzusammenhang zu beurteilen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Engelsberger.
Herr Staatssekretär, sind Sie sich bewußt, daß gerade der grenznahe Fremdenverkehr durch die Aufwertung besonders stark getroffen worden ist, daß z. B. die Währungsdisparität zwischen dem oberbayerischen Fremdenverkehrsgebiet und Osterreich 16 % ausmacht und daß hier eine Hilfe der Bundesregierung notwendig ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ich würde auch da sagen, wir sollten etwas abwarten, wie die Preisentwicklung im befreundeten Osterreich im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland in der nächsten Zeit sein wird. Vielleicht können sich — ich möchte das nicht etwa aus diesem Grunde wünschen — manche Befürchtungen dann als gegenstandslos erweisen.
Wir kommen zu den Fragen 7 und 8 des Abgeordneten Leicht. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal; die Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Blumenfeld auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß bei der deutschen Schiffahrt und der deutschen Werftindustrie durch die DM-Aufwertung vom 27. Oktober 1969 unverhältnismäßig hohe Aufwertungseinnahmeverluste entstehen?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte, die beiden Fragen des Herrn Kollegen Blumenfeld gemeinsam beantworten zu dürfen.
Keine Bedenken. Ich rufe also noch die Frage 10 des Abgeordneten Blumenfeld auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Wettbewerbssituetion
der genannten Wirtschaftszweige nach der DM-Aufwertung?
Bitte schön!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Aufwertung der Deutschen Mark ist Kernstück des Stabilitätsprogramms der Bundesregierung. Sie soll für die deutsche Wirtschaft und für den deutschen Verbraucher die Stabilität von Preisen und Kosten so schnell wie möglich wiedergewinnen. Dies läßt sich nicht ohne vorübergehende Belastungen, ja vorübergehende Opfer, erreichen. Auf längere Sicht gesehen, wird jedoch nicht nur der Verbraucher, sondern auch die Wirtschaft dadurch nur gewinnen. Wegen dieses Zusammenhangs und dieser Notwendigkeit bedauert die Bundesregierung, sich Ihren Begriff der Aufwertungseinnahmeverluste nicht zu eigen machen zu können. Eine Maßnahme der Stabilität ist ein Gewinn und kein Verlust.Ihre Fragen nach den Auswirkungen der D-MarkAufwertung auf die deutsche Schiffahrt und die deutsche Werftindustrie lassen sich jedoch auch
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400 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndtohne einen derartigen Kampfbegriff denken und beantworten. Die Antwort lautet: Schiffbau und Seeschiffahrt werden sich einer wesentlichen Wettbewerbsverschärfung gegenübersehen, und dies auch mehr als nur für kurze Frist. Sie produzieren daher in Zukunft unter härteren Bedingungen als andere Zweige unserer Wirtschaft. Bei diesem Urteil ist versucht worden, Vorteile der Kostenstabilisierung und Einnahmeausfälle gegeneinander aufzurechnen. Die Bundesregierung wird daher die Auswirkungen der Paritätsverbesserungen der D-Mark -hier handelt es sich um einen strukturschwachen Industriezweig und strukturschwache Dienstleistungsbereiche — sorgfältig, laufend und eventuell sogar im Einzelfall prüfen. Sie wird Hilfen zur Erleichterung des Anpassungsprozesses oder zur Abwehr von Existenzgefährdungen dann in Betracht ziehen, wenn sie gesamtwirtschaftlich vertretbar sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Blumenfeld.
Herr Staatssekretär, muß ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß sich die Bundesregierung bisher nicht in der Lage sieht, ein Konzept zu entwickeln, das angesichts der Bedeutung dieser beiden Wirtschafts- und Außenwirtschaftszweige unserer Gesamtwirtschaft notwendig ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diesen Schluß können Sie aus meinen Ausführungen nicht ziehen, Herr Abgeordneter.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Blumenfeld.
Herr Staatssekretär, sind die Einnahmeverluste, die bei der Schiffahrt laut den sicherlich auch Ihnen zur Kenntnis gelangten bisherigen Untersuchungen der Treuarbeit im Schnitt 10 % übersteigen, nicht wirklich ein Tatbestand, der zu Maßnahmen zwingt? Hat nicht ebenfalls bei der Werftindustrie der Einnahmeausfall bzw. der Verlust in einer Größenordnung von über 9 und vielleicht auch über 10 % dieses Kriterium? Sehen Sie sich angesichts dieses Tatbestandes nicht doch in der Lage, mehr als nur zu prüfen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung hat gemeinsam mit dem Hohen Haus im letzten Jahr erfahren, daß überstürztes Handeln gesamtwirtschaftlich nicht vertretbar sein kann.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Müller-Hermann.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen davon, daß die Aufwertung in bestimmten Bereichen vorübergehende Opfer verlangen werde. Sind Sie der Meinung, daß man bei
der Seeschiffahrt wirklich nur von vorübergehenden
Opfern sprechen kann, die sie auf sich nehmen muß?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Derartige Prognosen würde ich mir nicht zutrauen, Herr Müller-Hermann; also Prognosen für einzelne Sektoren, Branchen, ja, vielleicht sogar Unternehmen. Das ist noch problematischer, als die Entwicklung der Gesamtwirtschaft konzeptionell in den Griff zu bekommen. Deswegen wird auch hier die Zukunft erweisen, inwiefern die immanente Wettbewerbskraft der deutschen Unternehmen für sich oder gepaart mit Hilfen der Bundesregierung ausreichen wird, wieder den Anschluß an ihre bisherige — ja nicht schlechte — Entwicklung zu finden.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Müller-Hermann.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, Sie wollten im Einzelfall prüfen, ob man besondere Maßnahmen ergreifen müsse. Heißt das — wenn Sie das Selektionsprinzip anwenden —, daß die stabilen und gesunden Unternehmen, die die Aufwertungsverluste nun aus eigener Kraft tragen sollen, dadurch bestraft werden, daß man anderen Aufwertungsverluste ersetzt und den gesunden Betrieben nicht, was dann natürlich zu Lasten ihrer Investitionsquote gehen muß?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, das ist nicht gemeint, Herr Kollege Müller-Hermann. Es ist nur gemeint, daß bei der Abwehr von Existenzgefährdungen — auf diesen zweiten Teil des nächsten Satzes bezog sich der „Einzelfall" — die gewünschten Hilfen selbstverständlich auch im Einzelfall geprüft werden müssen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Peters .
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß die Hilfsmaßnahmen, die vor über einem Jahr, also zur Zeit des Absicherungsgesetzes, für die Werftindustrie mit 4 % beschlossen wurden, heute noch wirksam sind und zum Zeitpunkt der Aufwertung und des Schlusses des Absicherungsgesetzes nicht aufgehoben wurden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Peters, das kann ich nicht bestätigen. Die 4-%-Hilfe aus der Absicherung ist simultan mit dem Wegfall des Absicherungsgesetzes aufgehoben worden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Krammig.
Herr Staatssekretär, muß ich Ihren Ausführungen auf die Frage meines Kollegen Müller-Hermann entnehmen, daß in Ihrem Hause offenbar unbekannt ist, daß sich die nicht
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969 401
Krammighereingeholten Aufträge die infolge der D-MarkAufwertung nicht kontrahiert werden können — auf die Beschäftigungslage der Werften, soweit es sich um kleinere handelt, erst in den Jahren 1970/71, soweit es sich um größere handelt, erst in den Jahren 1972/73 auswirken? Mit anderen Worten, die Betrachtung, die Sie angestellt haben, stellt doch auf den Augenblick ab und berücksichtigt gar nicht, daß das infolge der Vorlaufzeit gar nicht wieder hereingeholt werden kann, wenn die Hilfsmaßnahmen jetzt nicht ergriffen werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Krammig, vielleicht darf ich meine Antwort so präzisieren. Im Augenblick hat die deutsche Schiffbauindustrie einen Auftragsbestand von 4,8 Millionen t. Das ist mehr als in irgendeinem Jahr der letzten zehn Jahre. Das wird sich, wenn keine neuen Aufträge hinzukommen, sukzessiv verschlechtern. Selbstverständlich wird die Bundesregierung im Benehmen mit diesem Hohen Haus die entsprechenden Instrumente — wir haben ein Instrument — bereithalten, um der deutschen Werftindustrie in der internationalen Konkurrenz wenigstens annähernd wieder gleiche Chancen zu bieten. Aber wann dieser Zeitpunkt der Schwierigkeiten für die Beschäftigungslage der Werftindustrie erreicht ist, wird wohl niemand sich zutrauen, mit einiger Zuverlässigkeit sagen zu können. Selbstverständlich hat auch die Bundesregierung Briefe von besorgten Unternehmern der Werftindustrie bekommen, wie sicherlich auch Kollegen und Persönlichkeiten dieses Hohen Hauses sie bekommen haben. In einem dieser Briefe, kann ich mich erinnern, war die große Auftragslücke und Beschäftigungskrise genau für die Wochen vor der Bundestagswahl 1973 vorausberechnet worden. Man kann das so rechnen. Aber es ist nicht notwendig, daß sich die Bundesregierung diese Art von Rechnungen zu eigen macht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rollmann.
Herr Staatssekretär, ist es nicht unverständlich, daß die alte Bundesregierung bei der Ersatzaufwertung des Absicherungsgesetzes vor einem Jahr die besondere Situation der Seeschiffahrt durch besondere Maßnahmen anerkannt hat und nun die neue Bundesregierung in diesem Jahr bei der echten Aufwertung die Situation der Seeschiffahrt nicht anerkennt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Rollmann, die Haushaltsrichtlinien sahen einfach vor, daß diese 4 % mit Beendigung des Absicherungsgesetzes verschwinden müssen. Es war für die Bundesregierung zwingend, so zu handeln.
Wir haben aber aus den Erfahrungen mit den Absicherungshilfen vom Anfang des Jahres 1969 folgendes gelernt. Erstens, man darf nicht überstürzt handeln, und zweitens, man darf nicht im Windhundverfahren andere handeln lassen. Diese Erkenntnis verdanken wir vor allen Dingen der Haushaltsrede des Kollegen Gewandt bei der Beratung des Einzelplans 09 in diesem Frühjahr, und sie ist richtig. Der Bundesregierung liegt das Schicksal der Werftindustrie und der Reedereien — und einiger hier nicht Genannter sehr am Herzen. Aber überstürzt handeln kann für den Helfer wie für den potentiellen Empfänger mitunter nicht dienlich sein.
Zu einer letzten Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Kienbaum.
Herr Staatssekretär, wann erwarten Sie auf Grund der eben erwähnten laufenden Prüfung der Lage, daß die Bundesregierung einen ersten Situationsbericht erstatten kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kerr Kollege Kienbaum, ich würde sagen, daß wir erst einmal einige Statistiken über Oktober und November — wir haben noch keine — zur Verfügung haben müssen, bevor wir die neue Lage beurteilen können. Bisher sind es Befürchtungen, die mehr oder weniger — vielleicht voll — begründet sein können. Aber die Bundesregierung kann daraufhin noch nicht urteilen. Sie bestätigt, daß sie die Entwicklung verfolgen will und sich dem Hohen Hause in dieser Frage jederzeit stellen wird.
Meine Damen und Herren, ich möchte zur Geschäftslage folgendes sagen. Wir haben noch sehr viele Fragen zu beantworten. Ich werde nur noch selten Zusatzfragen zulassen. Ich bitte die Zusatzfragesteller, sich kurz zu fassen. Ich bitte aber auch die Vertreter der Bundesregierung, sich der Regel in diesem Hohen Hause anzupassen, daß kurze Antworten gegeben werden. Sonst werden wir mit unserer Fragestunde heute und morgen nicht fertig werden.
Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Dr Müller-Hermann auf:
Erkennt die Bundesregierung an, daß mit der Paritätsänderung der D-Mark vom 27. Oktober 1969 die Wirkungen der Neubauförderungsmaßnahmen der Bundesregierung entsprechend dem Verkehrspolitischen Programm für die Jahre 1968 bis 1972 zum größten Teil wieder aufgehoben werden?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Arndt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Neubauhilfen für Handelsschiffe belaufen sich 1969 auf 100 Millionen DM, für die beiden folgenden Jahre auf je 90 Millionen DM. Daran gemessen ist die aktuelle Belastung der Seeschiffahrt hoch und Ihre Frage mit Ja zu beantworten.Zu den erwähnten Neubauhilfen sind die Mittel des ERP-Haushalts hinzuzurechnen: für das Jahr 1969 25 Millionen DM an Darlehen, für die drei folgenden Jahre Bindungsermächtigungen von insgesamt 61 Millionen DM, Bürgschaften von 48 Millionen DM und eine Rediskontlinie für Schiffbau-
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402 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndtwechsel von 190 Millionen DM. Das sind Finanzierungshilfen unterschiedlicher Intensität, unterschiedlicher Perioden. Man kann sie nicht addieren.Bei der Beurteilung der Auswirkungen der Paritätsverbesserung der D-Mark auf die Schiffahrt ist ferner zu berücksichtigen — ich konnte das vorhin schon andeuten —, daß gegenüber dem Zeitpunkt der Konzipierung des Verkehrspolitischen Programms die Frachteinnahmen der deutschen Reedereien nicht unerheblich gestiegen sind. Alle diese Daten zusammengenommen legen das Urteil nahe, daß die Neubauhilfe des Bundes nach wie vor für die Investitionsentscheidungen von großer Bedeutung ist, auch nach der D-Mark-Aufwertung.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Müller-Hermann.
Herr Staatssekretär, darf ich wenigstens insoweit Übereinstimmung zwischen Ihnen und mir feststellen, als die ja nicht neuen Strukturhilfen für die Seeschiffahrt durch die Folgewirkungen der Aufwertung weitgehend kompensiert werden, so daß die Wirkungen, die mit Strukturhilfen beabsichtigt werden, in Gefahr gebracht sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese isolierte Rechnung würde ich nicht vornehmen. Man könnte dann 1 genauso sagen, daß die Folgen der Aufwertung die bisherige Steigerung der Frachteinnahmen zu einem Teil kompensieren. Diese isolierte zweiseitige Zurechnung kann man nicht machen. Aber zu einem Gesamtbild, wo die Entwicklung der Frachteinnahmen, die Verstärkung der Neubauhilfen des Bundes, die Mittel aus dem ERP-Haushalt auf der einen Seite und die Ertragsverminderungen infolge der Aufwertung auf der anderen Seite enthalten sind, würde ich sagen: die Neubauhilfe hat immer noch eine große Bedeutung. Es wird auch darüber gesprochen werden müssen, ob sie noch eine größere bekommen sollte.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Müller-Hermann.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, dem Hohen Haus etwa nach einem Vierteljahr einen Bericht vorzulegen, wie sich in der Zwischenzeit die Aufwertung der D-Mark für die Schiffahrt und ihre Konkurrenzfähigkeit ausgewirkt hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin mir nicht so sicher, ob nicht der Herr Bundesminister für Verkehr dafür zuständig ist.
Aber ich glaube gegebenenfalls auch in seinem Namen diese Zusage geben zu können.
Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Rollmann auf:
Erkennt die Bundesregierung die Notwendigkeit sofortiger Maßnahmen sowohl zum Ausgleich der Aufwertungseinnahmeverluste wie ouch zur Erhaltung der Wettbewerbsposition auf dem internationalen Markt für beide Wirtschaftszweige an?
Zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Rollmann, die Bundesregierung wird die Entwicklung der Wettbewerbsposition des Schiffbaues und der Seeschiffahrt laufend prüfen und gegebenenfalls Maßnahmen ergreifen, wenn sie einzelwirtschaftlich oder branchenwirtschaftlich notwendig und wenn sie gesamtwirtschaftlich vertretbar sind. Daß sie dabei nicht überstürzt oder im Windhundverfahren handeln kann, habe ich vorhin bereits auf eine Zusatzfrage zur Frage des Kollegen Blumenfeld antworten müssen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Rollmann.
Würde die Bundesregierung daran denken, ähnlich wie bei der D-Mark-Aufwertung 1961, die Wettbewerbsfähigkeit der Seeschiffahrt durch andere Maßnahmen als den Ausgleich der Einnahmeverluste wiederherzustellen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Man sollte sich heute nicht auf ein Instrument festlegen, auf keinen Fall auf ein Instrument, das uns gegenüber anderen Bereichen der Wirtschaft präjudizieren könnte.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Blumenfeld.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen noch in Erinnerung, daß der EWG-Ministerrat im Juli dieses Jahres ein Beihilfeprogramm für die Werftindustrie in Europa verabschiedet hat, nach dem Beihilfen bis zur Höhe von 10 % gewährt werden können, und daß dieses Programm bisher im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern für die deutsche Werftindustrie noch nicht zum Zuge gekommen ist? Sind Sie bereit, in dieser Sache etwas zu unternehmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu diesem Punkt würde ich eigentlich gerne dem Herrn Abgeordneten Schröder auf seine beiden folgenden Fragen etwas sagen. An dieser Stelle mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vielleicht nur das eine: nehmen Sie die Versicherung entgegen, daß die Bundesregierung wie auch, so nehme ich an, das Hohe Haus entschlossen ist, die Position der deutschen Werften und des deutschen Schiffbaues zu erhalten und, wenn möglich zu stärken. Bringen Sie uns bitte nicht in die Lage, zu rasch handeln zu sollen. Die Erfahrungen, die wir mit einem raschen Handeln in einer ähn-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969 403
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndtlichen Situation gemacht haben, waren nicht so, daß man sie wiederholen sollte.
Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Schröder auf:
Wie gedenkt die Bundesregierung die Wettbewerbsschwierigkeiten des deutschen Schiffbaues zu beseitigen, die durch die Aufwertung der DM entstanden sind?
Ist der Abgeordnete im Saal? - Jawohl. Bitte, zur
Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte, die beiden Fragen des Kollegen Schröder gemeinsam beantworten zu dürfen.
Keine Bedenken. Dann rufe ich zusätzlich Frage 14 des Abgeordneten Schröder auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die laufenden Verhandlungen über das 7. Werftenprogramm beschleunigt und in einer Weise zum Abschluß zu bringen, daß die Arbeitsplätze in diesem Wirtschaftszweig ais gesichert angesehen werden können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Situation der Werften wurde bereits im Bundeswirtschaftsministerium mit dem Vorstand des Verbandes Deutscher Schiffswerften eingehend erörtert. Es bestand Einvernehmen darüber, daß die Beratungen über das 7. Werfthilfeprogramm in der Bundesregierung beschleunigt fortzusetzen sind und daß es möglichst rasch verabschiedet werden sollte, wozu es freilich auch der Mitwirkung des Hohen Hauses bedarf.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Krammig.
Ist Ihnen bekannt, Herr Staatssekretär, daß gelegentlich eines Vortrages, den Herr Staatssekretär von Dohnanyi in Bremen über die Situation der bremischen Wirtschaft gehalten hat, auf die Frage, wie Verluste der Schiffswerften ausgeglichen würden, wenn es zur Aufwertung käme, von Herrn Kollegen Ravens gesagt worden ist: Sie dürfen versichert sein, daß diese Verluste ausgeglichen werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich will mich gern bei den beiden Kollegen erkundigen, ob eine Auskunft in dieser schematischen Weise gegeben worden ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller .
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß der Hinweis auf das 7. Werfthilfeprogramm nicht dahingehend verstanden werden kann, daß dies ein Ausgleich für die Folgen der D-Mark-Aufwertung für die Werftindustrie sein kann, da die Werftfinanzierungsprogramme bereits vor der D-Mark-Aufwertung bestanden haben, um es den deutschen Werften zu ermöglichen, zu ähnlichen Konditionen zu finanzieren, wie es im internationalen Schiffbau seit Jahren üblich ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Müller, die Werfthilfeprogramme können im Umfang und in der Intensität differieren. Beides unterliegt der Gestaltung des Hohen Hauses; und wir werden alle Umstände, auch die neuen, zu berücksichtigen haben.
Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Müller auf:
Treffen Meldungen der Tagespresse auf Grund von Erklärungen aus dem niedersächsischen Wirtschaftsministerium zu, daß es sich bei dem für die Hausbrandversorgung in Niedersachsen von Berlin gelieferten Koks überwiegend um „groben" Koks handelt, den die Hausfrauen mit dem „Hämmerchen" erst zerkleinern müssen?
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich bitte, die beiden Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen.
Keine Bedenken. Ich rufe also noch die Frage 16 des Abgeordneten Müller auf:
Trifft es weiter zu, daß anfallende Transportkosten von Berlin durch ein kompliziertes und überflüssiges Gutscheinsystem aufgefangen werden sollen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, beide Informationen treffen nicht zu. Bei den 100 000 t Koks, die das Land Berlin dankenswerterweise für den niedersächsischen Markt zur Verfügung gestellt hat, handelt es sich um Koks grober Körnung für die Industrie und feiner Körnung für den Hausbrand. Der Großabnehmer der Berliner Kohle — die Ruhrkohle AG — wird jedoch im Austausch mit Industrieverbrauchern, die große Kohle benötigen, sicherstellen, daß insgesamt 100 000 t für den Hausbrand in der richtigen kleinen Körnung zur Verfügung stehen.
Übrigens werden die Berliner Kokskohlen ja von der Ruhrkohle in Berlin übernommen und in Niedersachsen zum gleichen Preis wie Ruhrkoks angeboten. Von einem Gutscheinsystem zum Auffangen der anfallenden Transportkosten kann für diese Kokslieferungen den Verträgen zufolge keine Rede sein.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Müller .
Herr Staatssekretär, reichen die 100 000 t Koks aus Berliner Lägern aus, die Hausbrandversorgung für Niedersachsen für den bevorstehenden Winter sicherzustellen?
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404 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Müller, das kommt darauf an, welche Annahmen man über die Härte des Winters trifft.
Sie wissen, Wetterprognosen sind noch viel schwieriger zu geben als Prognosen der ökonomischen oder politischen Entwicklung. Aber bei einem normalen Winter würde sich die Unterdeckung in der Koksbelieferung Niedersachsens zur Zeit auf etwa 100 000 t belaufen — nach den Berliner Lieferungen. Das ist die Menge, von der Sachverständige glauben, daß sie durch Heranziehung anderer Brennstoffe — Eierbriketts etc. — ersetzt werden kann.
Selbstverständlich wird sich die Bundesregierung nicht damit beruhigen, daß es einen milden oder einen normalen Winter geben könnte. Wir richten uns auf einen harten Winter ein.
— Ich nehme an, auch hier im Parlament. Ein schöner Winter wird es. — Das heißt, es werden alle verfügbaren Ressourcen für Koksimporte herangezogen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wolfram.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß die derzeitige Koksmangellage nicht auf die Energiepolitik der letzten drei Jahre oder auf die Neuordnung des Ruhrkohlenbergbaus, sondern auf die Tatsache zurückzuführen ist, daß von 1956 bis 1966 zwar Kokereien stillgelegt, aber keine neuen Kokereien an der Ruhr gebaut worden sind?
Verzeihung, ich lasse dies Frage nicht zu. Sie hat nach meinem Dafürhalten nichts mit der Koksversorgung zu tun, wie sie in den Fragen 15 und 16 angesprochen worden ist. Jene Zusatzfrage geht in Grundsätze der Politik, die nicht in diesen Bereich der schriftlich vorliegenden Frage hineingehört. Da müssen Sie in der nächsten Woche eine neue Frage stellen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schmidt .
Herr Staatssekretär, glaubt die Bundesregierung, durch entsprechende Maßnahmen eine Wiederholung der bisherigen Schwierigkeiten auf dem Koksmarkt für die Zukunft verhindern zu können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schmidt, in einer Antwort auf eine Frage des Abgeordneten Staratzke, Mitglied des 5. Deutschen Bundestages, zur Koksversorgung habe ich im Sommer in Übereinstimmung mit der Bundesregierung darauf hinweisen können und müssen, daß es Mangellagen in diesem Winter geben kann. Diese Antwort
hatte den Zweck, daß die Verbraucher ihrerseits versuchen, alles daranzusetzen, sich Bestände einzukellern, damit sie nicht im Winter als diejenigen dastehen, die bei vollen Lagern in der Industrie als letzte drankommen. Dieser Run auf die Lager des Handels hat natürlich vorübergehend die Mangellage im Sommer verstärkt und die Lieferfristen erhöht. Inzwischen sind wir soweit, daß wir dank erheblicher zusätzlicher Einfuhrmengen, durch eine gewisse Drosselung unserer Exporte und vor allen Dingen durch das — ich möchte beinahe sagen —rücksichtslose Ausfahren der Kokereikapazitäten dem kommenden Winter mit weit weniger Besorgnis entgegensehen, als das noch im Sommer der Fall war.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Müller-Hermann.
Herr Staatssekretär, wenn Sie schon nicht garantieren können, daß unter allen Umständen im Winter eine ausreichende Hausbrandversorgung zur Verfügung steht, können Sie wenigstens eine Gewähr dafür geben, daß es gerade bei der Hausbrandversorgung nicht zu weiteren Preissteigerungen kommt, und durch welche Gründe ist Ihres Erachtens die ungewöhnliche Steigerung der Kokspreise zu erklären?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf zunächst einmal den einen Punkt Ihrer Frage relativieren: Selbstverständlich wird sich die Bundesregierung für eine ausreichende Versorgung mit Hausbrandmitteln einsetzen. Sie ist auch der Zuversicht, daß dies voll gelingen wird. Lediglich im Bereich Koks wird es zu einer Unterdeckung kommen. Aber da kann durch die Verwendung anderer Kohlebrennstoffe ein Ausgleich geschaffen werden.
Die Preiserhöhung — das war Ihre Frage — der Saarbergwerke, der Ruhrkohle AG und des Aachener Reviers ist auf die Lohnerhöhungen zurückzuführen, die im Zuge der wilden Streiks im Kohlebergbau bewilligt werden mußten. Sie ist auf Materialpreiserhöhungen zurückzuführen, die in einem auch nicht unerheblichen Umfange auf die Zechen zugekommen sind. Sie ist also praktisch auf die Unterlassungen in der Konjunktur- und der Wirtschaftspolitik zurückzuführen, denen wir uns seit diesem Frühjahr ausgesetzt sahen, eine Periode, die ja nun glücklicherweise abgeschlossen ist.
Letzteres ist eine Frage der Wertung. Ich glaube, daß Fragen bzw. Antworten hier nicht eine Wertung beinhalten sollten.
Zur letzten Zusatzfrage, der Abgeordnete Franke .
Herr Staatssekretär, Sie stellen fest: Ersatzbrennstoffe für Koks stehen zur Verfügung. Ist Ihnen bekannt — zumindest aus den Briefen, die ich Ihnen geschrieben habe —, daß der Kohlenhandel im Westen Nieder-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969 405
Franke
sachsens feststellt, daß Ersatzbrennstoffe für Koks nicht zur Verfügung stehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich werde mich beim Steinkohlenbeauftragten sofort danach erkundigen. An sich geben die Berichte, die wir von dort bekommen, kein negatives Bild der Lage.
Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Richarts auf. ist der Abgeordnete im Saal? — Er ist nicht im Saal. Die Fragen 17 und
18 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Dr. Unland auf:
Treffen Informationen zu, daß die EWG-Richtlinie betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für die Bezeichnung von Textilerzeugnissen kurz vor der Fertigstellung steht und voraussichtlich noch in diesem Jahre vom Ministerrat verabschiedet werden soll?
Ist der Abgeordnete im Saal? — Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte, die Fragen
19 und 20 gemeinsam beantworten zu dürfen.
Keine Bedenken. — Dann rufe ich auch die Frage 20 auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag eine Änderung des § 15 des Textilkennzeichnungsgesetzes vorzuschlagen, da es für die beteiligten Wirtschaftskreise offensichtlich unzumutbar ist, sich auf eine Kennzeichnung einzurichten und entsprechende Kosten aufzuwenden, wenn bereits mit hoher Wahrscheinlichkeit feststeht, daß diese Kennzeichnung entweder gar nicht in Kraft treten wird oder aber nur wenige Monate praktiziert werden kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die von Ihnen angesprochene Textilkennzeichnungsrichtlinie der Kommission wird zur Zeit in der Gruppe „Wirtschaftsfragen" des Rates behandelt. Offen sind vor allem noch die Fragen der Kennzeichnung der Wolle und die Bezeichnung der Chemiefaser. Gegenwärtig läßt sich noch nicht übersehen, wann die Erörterung abgeschlossen und die Richtlinie dem Ministerrat zur Verabschiedung zugeleitet werden kann.
Im übrigen darf ich daran erinnern, daß der ständige Ausschuß des 5. Deutschen Bundestages bei der Beratung des Textilkennzeichnungsgesetzes von den Vorbereitungen der EWG-Kommission wußte. Die Fortführung und Vollendung der Gesetzgebung im 5. Deutschen Bundestag und im Bundesrat zeigen, daß beide Häuser die Prinzipien des deutschen Gesetzes in der EWG-Richtlinie verankert zu sehen wünschten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Unland.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, Verbesserungsvorschläge für die EWG-Richtlinie, die in Ihrem Hause gemeinsam mit Verbrauchervertretern und Fachverbänden erörtert worden sind, in Brüssel mit Nachdruck vorzutragen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir werden an die Brüsseler Richtlinie den Maßstab des Deutschen Bundestages und des Bundesrates anlegen, keinen anderen.
Keine Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär Dr. Arndt, für die Beantwortung der Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich rufe die Frage 71 der Kollegin Frau Griesinger auf:
Kann die Bundesregierung Angaben über die längerfristige Entwicklung und den derzeitigen Stand der Erzeuger- und Verbraucherpreise bei Äpfeln in der Bundesrepublik Deutschland machen?
Zur Beantwortung Herr Bundesminister Ertl.
Frau Kollegin, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten. Die verfügbaren Unterlagen über die Entwicklung der Erzeuger- und Verbraucherpreise während der letzten 10 Jahre lassen lediglich erkennen, daß sie je nach Erntemenge, Sorte und Qualität außerordentlich stark schwanken und daß gelegentlich gleichzeitig auftretende Angebote, z. B. an Tafeltrauben, Pfirsichen oder Apfelsinen, einen zusätzlichen Preisdruck auslösen. Erzeuger- und Verbraucherpreise unterliegen uneingeschränkt dem Gesetz von Angebot und Nachfrage. Die heimischen Apfelernten schwankten in den letzten 10 Jahren zwischen 700 000 t und 2 300 000 t, wobei der noch weitverbreitete Streuobstbau den größten Unsicherheitsfaktor darstellt. Da der deutsche Apfelmarkt nur ein Teil des im übrigen völlig liberalisierten EWG-Marktes ist und da die EWG bei Äpfeln inzwischen von einem Zuschußgebiet zu einem strukturellen Überschußgebiet wurde, ist langfristig mit niedrigen Erzeuger- und Verbraucherpreisen zu rechnen. Vor zehn Jahren wurden in der EWG nur etwa 3 Millionen t Äpfel geerntet; in diesem Jahr waren es über 6,5 Millionen t. Die Kommission rechnet für die nächsten Jahre mit einer weiteren Steigerung bis zu 8 Millionen t und darüber. Der Konsum wird diese Entwicklung — trotz der Bevölkerungszunahme — voraussichtlich nicht entsprechend mitmachen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Griesinger.
Herr Bundesminister, was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um dem Preisverfall bei Äpfeln, der ja aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Paritätsänderungen des französischen Franc und der D-Mark zurückzuführen ist, entgegenzuwirken?
Frau Kollegin, Ihre Zusatzfrage berührt zugleich die Frage 72. Ich darf sie vielleicht im Zusamenhang beantworten und möchte voraus-
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406 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969
Bundesminister Ertlschicken, daß wir es heute mit einer besonders umfangreichen Ernte zu tun haben,
wobei noch hinzukommt, daß die Lieferungen aus den EWG-Partnerstaaten die Marktsituation besonders erschweren. Ich darf jetzt Ihre zweite Frage konkret beantworten.
Ich würde auch empfehlen, daß wir die Frage 72 mit einbeziehen; sie gehört da hinein.
Ich bin damit einverstanden.
Dann rufe ich die Frage 72 auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um einem Erzeugerpreisverfall auf den Märkten für Äpfel und damit einer Existenzbedrohung des Erwerbsobstbaues entgegenzuwirken?
Ein weiterer Preisverfall für Äpfel kann in der EWG nur durch gemeinsame Maßnahmen aufgehalten werden. Die staatliche Vernichtung der Überschüsse hat sich auch in den anderen Mitgliedsländern als eine untaugliche und in der Öffentlichkeit zudem heftig kritisierte Maßnahme erwiesen. Zur Zeit werden daher in Brüssel andere von der Kommission vorgeschlagene Abhilfen beraten, wobei eine großangelegte Rodeaktion vorrangiges Interesse verdient, weil das Übel endlich an der Wurzel gepackt werden muß.
Dazu darf ich Ihnen sagen, Frau Kollegin, daß ich bei der letzten Ratssitzung ein Junktim zwischen den Hilfen für die Zitrusfrüchte in Italien und einer möglichen Rodeaktion in der Bundesrepublik hergestellt und darauf bestanden habe, daß, wenn es zu der Zitrusfrüchteverordnung kommt, gleichzeitig auch die Rodeverordnung verabschiedet wird. Ich glaube auch für meine Auffassung Zustimmung gefunden zu haben, daß es sich bei den deutschen Apfelbauern zum Teil um Kleinbetriebe handelt, die zumindest dann gleichrangig in der EWG behandelt werden müßten.
Die Bundesregierung wird zunächst auch weiterhin alles fördern, was die Wettbewerbsfähigkeit unserer heimischen Erzeuger zu verbessern vermag. Neben Vermarktungseinrichtungen und Erzeugerorganisationen wird sie vor allem alle Absatzmaßnahmen sowie die Zusammenfassung des Angebots zu fördern versuchen und darüber hinaus den Obstbau in die Maßnahmen einbeziehen, die sich aus der D-Mark-Aufwertung ergeben. Näheres darüber kann im Augenblick, da die Vorbereitungen noch laufen, nicht mitgeteilt werden.
Abschließend muß aber noch einmal festgestellt werden: es ist besser, für den Absatz alles zu tun. Sie wissen, ich habe mich persönlich auch darum bemüht. Ich würde mich sehr freuen, wenn die Erzeugereinrichtungen, die Genossenschaften, aber auch die Konsumgenossenschaften — ich habe den deutschen Einzelhandel bereits persönlich aufgefordert — alles täten, um die günstige Einkaufssituation für Qualitätsobst zu nutzen und mitzuhelfen, daß der Absatz verstärkt wird. Denn ich glaube, der Konsum und der Absatz sind wesentlich wichtiger als die Vernichtung und Lagerhaltung und sind auch zweckentsprechender.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Griesinger.
Herr Bundesminister, darf ich Sie dahingehend verstehen, daß Sie auf Grund der Tatsache, daß Sie sich selber, z. B. in Baden-Württemberg, von der derzeitigen Situation auf dem Obstmarkt überzeugt haben, alles daransetzen, in Ihrem Hause die Mittel zu aktivieren, die zur Werbung für den Obstverkauf und Obstverbrauch wirklich intensiv genutzt werden können?
Verehrte Frau Kollegin, ich kann Ihnen hier meine volle Unterstützung zusagen. In meinem Hause wird diesbezüglich gerade eine Vorlage ausgearbeitet, die, wie ich hoffe — ich habe gestern noch einmal Anweisung gegeben, daß sie beschleunigt und so schnell wie möglich fertiggestellt wird —, spätestens Ende dieser Woche dem Kabinett zugeleitet werden kann, um mögliche Unterstützungsmaßnahmen einzuleiten.
Es ist mir aber wirklich hier ein Bedürfnis, auch darauf hinzuweisen, daß die bedeutenden Selbsthilfeeinrichtungen unserer Landwirtschaft mithelfen. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Nachdem, wie Sie wissen, wir beide ja leidenschaftliche Sportler sind, ist mir folgende Idee gekommen: wäre es nicht möglich, beispielsweise am kommenden Samstag bei den Bundesligaspielen den Besuchern Äpfel zu überreichen? Ich habe gesagt, das sollte man prüfen lassen. Ich muß feststellen: bis jetzt habe ich noch niemanden gefunden, der bereit ist, die Äpfel zur Verfügung zu stellen. Ich möchte meinen: hier könnten vielleicht die Minister ein bißchen mithelfen. Ich könnte mir keine günstigere Möglichkeit vorstellen, als ein solche Situation zu nutzen, um für den Apfelabsatz zu werben, z. B. unter dem Motto: Wer deutsche Äpfel ißt, hat eine gute Kondition.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Adorno.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, auch dafür Sorge zu tragen, daß die von Ihnen eben angekündigten Ausgleichsmaßnahmen zugunsten der Erzeuger nicht zu wesentlichen Teilen schon auf der Vermarkterstufe hängenbleiben, sondern tatsächlich auch die Erzeuger erreichen?
Her Kollege Adorno, ich bedanke mich sehr für Ihre Anregung. Ich werde meinen Mitarbeitern im Hause, die an dieser Vorlage arbeiten, sofort Ihre Meinung weiterleiten. Ich bin auch gerne bereit, nähere Einzelheiten noch mündlich mit Ihnen zu besprechen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969 407
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ehnes.
Herr Bundesminister, wären Sie bereit, in Ihre Überlegungen auch die Obst- und Gemüsefabriken — ich meine damit die Ernährungswirtschaft - einzubeziehen?
Herr Kollege Ehnes, bereit bin ich zu allem, nur muß ich natürlich sagen: habe ich das Geld dazu?
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Köppler.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, den Platzvereinen der Bundesliga möglicherweise entstehende Ordnungsstrafen zu ersetzen, wenn Sie Wurfgeschosse verteilen?
Herr Kollege Köppler, hier ist keine Fragestunde über die Bundesliga. Ich gebe noch eine Frage an den Kollegen Adorno.
Herr Kollege Köppler, mir geht es darum, daß Äpfel konsumiert werden, nicht darum, daß sie verschossen werden.
Zur letzten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Adorno.
Herr Bundesminister, ist die Bundesregierung bereit, bei ihrer Handelspolitik bezüglich der Obsteinfuhren künftig stärker auf die eigene Produktion aus dem deutschen Obstanbau Rücksicht zu nehmen, um die Fördermaßnahmen der Agrarpolitik zur strukturellen Verbesserung des deutschen Obstbaues nicht wieder zu gefährden oder gar zunichte zu machen?
Herr Kollege Adorno, das ist ein sehr vielschichtiges Problem. Im Bereich der EWG haben wir einen völlig liberalisierten Markt, wie Sie wissen, und ich habe zur Zeit keine Möglichkeit,
irgend etwas zu tun. — Ich nehme an, daß Sie Drittlandeinfuhren meinen. - Ich werde mir Ihre deutlichen Mahnungen sehr zu Herzen nehmen. Aber ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß das immer eine Frage des Aushandelns ist. Was ich tun kann — das möchte ich Ihnen versichern —, wird auf dieser Ebene geschehen.
Ich rufe die Frage 73 des Abgeordneten Susset auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung aus der Sicht des geltenden EWG-Rechts die Gewährung von Lagerprämien in Frankreich in Höhe bis zu 19 FF/100 kg Äpfeln?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister.
Herr Kollege Susset, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten.
Nach Auskunft der französischen Regierung handelt es sich um eine Maßnahme außerhalb der Interventionsvorschriften der Verordnung Nr. 159/66, bei der die verwendeten Mittel auf spätere Investitionsbeihilfen angerechnet werden. Die Maßnahme ist vor Beginn nicht der Kommission der EG mitgeteilt worden.
Die verspätete Unterrichtung der Kommission der
EG enthält einen Vertragsverstoß, da Art. 93 Abs. 3 eine Notifizierung vor Inkrafttreten der Maßnahme vorsieht. Die Regelung selbst verletzt die Vorschriften der Verordnung Nr. 159/66, die die Interventionsmöglichkeiten bei Obst und Gemüse abschließend regeln.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Susset.
Was gedenkt. die Bundesregierung gegen diese offensichtliche Wettbewerbsverfälschung zu tun?
Die Bundesregierung hat bereits im Verwaltungsausschuß darüber Klage geführt und die Kommission aufgefordert, die entsprechenden Maßnahmen einzuleiten.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Adorno.
Herr Bundesminister, stimmen Sie mit mir darin überein, daß Sofortmaßnahmen erforderlich sind, weil die französische Lagerprämie, die in Wirklichkeit eine vorzeitige Auslagerungsprämie ist, dazu beiträgt, den Herbstmarkt weiter zu verstopfen?
Ich stimme Ihnen vollauf zu. Ich habe auch meinen ständigen Vertreter angewiesen, mit allem Nachdruck wegen der Einstellung dieser Maßnahme, die auch noch vertragswidrig ist, bei der Kommission vorstellig zu werden.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Griesinger.
Herr Bundesminister, ich darf Sie noch einmal kurz fragen, was die Bundesregierung zu tun gedenkt, um den Apfelanbauern in der gleichen oder in ähnlicher Weise zu helfen, wie dies in Frankreich geschieht.
Verehrte Frau Kollegin, ich habe Ihnen schon zuvor in meiner Antwort gesagt, daß ich in meinem Hause dabei bin, eine Kabinettsvorlage auszuarbeiten. In dieser Vorlage sind Maßnahmen für die Lagerhaltung, insbesondere aber auch
408 Deutscher Bundestag — 6, Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969
Bundesminister Ertl
für die Absatzförderung, vorgesehen. Sie werden verstehen, daß ich, bevor sie dem Kabinett endgültig vorliegt, in diesem Hohen Hause keine absolut letzte Stellungnahme abgeben kann.
Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Ehnes.
Herr Bundesminister, wären Sie bereit, beim Verkehrsminister zu erwirken, daß die Beförderungsteuer im Güterverkehr auf der Straße wegfällt? Das würde eine wesentliche Entlastung bedeuten.
Herr Kollege Ehnes, ich möchte Sie bitten, diese Frage an meinen Kollegen, den Verkehrsminister, zu richten.
Die Frage 73 betrifft die Stützungsaktion in Frankreich, nicht die Verkehrsteuer in Deutschland. Ihre Frage stimmt also nicht mehr ganz mit der eigentlichen Frage 73 überein.
Herzlichen Dank, Herr Präsident!
Die Fragen 74 bis 82 sind zurückgezogen. Damit sind wir am Ende der Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Die Frage 53 ist bereits beantwortet.
Frage 54 des Abgeordneten Löffler:
Treffen die Pressemeldungen zu, nach denen die Bundesregierung entgegen den Beschlüssen des Haushalts- und des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 29. März 1968 der bayerischen Staatsregierung die Zusage gemacht hat, der Bund werde die Hälfte der Kosten für die Olympischen Spiele übernehmen?
Ist der Abgeordnete im Saal? — Bitte schön! Zur Beantwortung, Herr Bundesminister Genscher.
Der damalige Bundesminister der Finanzen hat in zwei Fernschreiben an .den bayerischen Ministerpräsidenten, und zwar am 15. und am 17. Oktober 1969, die Auffassung geäußert, daß — ich zitiere jetzt wörtlich „der Bund bereit sein sollte, eine höhere Beteiligung als ein Drittel bei den Olympischen Investitionsausgaben zu übernehmen". Nach dem Wortlaut der Fernschreiben steht fest, daß es sich nicht um eine verbindliche Zusage der Bundesregierung handelte. Ich verschweige nicht, daß natürlich durch solche Fernschreiben des Bundesministers der Finanzen Hoffnungen erweckt worden sind.
Die Bundesregierung befindet sich zur Zeit in Konsortialverhandlungen mit dem Freistaat Bayern und der Landeshauptstadt München, bei denen von den Gesprächspartnern auch die Frage einer Änderung des gegenwärtigen Schlüssels angeschnitten wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidt .
Herr Minister, sind Sie in der Lage, dem Hause mitzuteilen, wann diese Fernschreiben aus dem Bundesfinanzministerium hinausgegangen sind?
Diese Fernschreiben stammen vom 15. und 17. Oktober 1969.
Ich rufe die Frage 55 des Abgeordneten Löffler auf:
Ist die Bundesregierung mit dem bayerischen Wirtschaftsminister einer Meinung, daß es sich bei dieser Zusage lediglich um eine reine Verwaltungssache handele, oder wird die Bundesregierung die zuständigen parlamentarischen Gremien unterrichten und beschließen lassen?
Es ist für die Bundesregierung eine Selbstverständlichkeit, Herr Abgeordneter, daß sie die zuständigen parlamentarischen Gremien in vollem Umfang unterrichten und dort, wo es erforderlich ist, ihre Zustimmung einholen wird. Ich weise im übrigen darauf hin, daß nach Artikel 8 des Olympia-Konsortialvertrages vom 10. Juli 1967 die finanziellen Verpflichtungen der Konsorten nur gelten, wenn die zuständigen gesetzgebenden Körperschaften die Mittel bewilligen.
Keine Zusatzfrage. — Ich rufe die Fragen 56 und 57 des Abgeordneten Rutschke auf:Mit welchen Zahlen kann die Bundesregierung die alarmierenden Meldungen der letzten Zeit über einen sprunghaften Anstieg der sogenannten Kinderkriminalität erläutern, und in welchen Bereichen spielt sich diese Kinderkriminalität heute überwiegend ab?Worauf ist diese Zunahme zurückzuführen, und welche Gegenmaßnahmen haben die Behörden ergriffen?Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Genscher vom 13. November 1969 lautet:Nach der Polizeilichen Kriminalstatistik, die nur die der Polizei bekanntgewordenen Straftaten erfaßt, also keine Aussage über die Dunkelziffer enthält, ist die Kriminalität von Kindern his zu 14 Jahren von 1963 bis 1968 von 40 873 auf 60 945 Fälle gestiegen , das bedeutet einen Anstieg von 4,8 % auf 6,3 % an der Gesamtkriminalität.Der Umfang der Kinderkriminalität wird im wesentlichen durch die Diebstahlskriminalität bestimmt.Ihr Anteil an der Gesamtkriminalität betrug 70,4 % im Jahre 1968. Die Diebstahlskriminalität der Kinder ist von 1963 bis 1968 um insgesamt 59,6 % gestiegen.Beim Ladendiebstahl allein ist eine Zunahme von 205,5 % festzustellen.Außerdem wurde eine besonders starke Zunahme der Kinderkriminalität bei den Raubtaten registriert, und zwar von 124 Fällen im Jahre 1963 auf 419 Fälle im Jahre 1968.Die Zunahme der Kinderkriminalität ist ein weltweites Problem. Genaue Vergleichszahlen sind jedoch nicht vorhanden, weil die Kinderkriminalität in anderen Ländern statistisch nicht erfaßt wird.Wenn auch eine eindeutige Aussage über das Ansteigen der Kriminalität insgesamt, und damit auch der Kinderkriminalität, noch nicht wissenschaftlich belegbar ist, so kann doch als sicher angenommen werden, daß bei der Kinderkriminalität, wie auch bei der der Jugendlichen und Erwachsenen, zahlreiche Faktoren
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Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969 409
Präsident von Hasselbiologischer, psychologischer, soziologischer und anderer Art maßgebend sind.Darüber hinaus bestehen häufig Zusammenhänge zwischen kriminellen Verhaltensweisen eines Kindes und Erziehungsmängeln. Unter diesen Aspekten wird deutlich, daß die Bekämpfung der Kinderkriminalität nicht nur ein kriminalpolitisches, sondern in gleicher Weise ein gesellschaftliches Phänomen ist, dem verstärkt mit Mitteln der Gesellschaftspolitik entgegengetreten werden muß.Präventive Maßnahmen der Polizei können in Ergänzung zur Erziehung in Elternhaus und Schule im wesentlichen zwei Bereiche umfassen: die Überwachung kriminogener und sozialschädlicher Zustände und Erscheinungen sowie die adäquate Behandlung kriminell gefährdeter Kinder, insbesondere der kindlichen Ersttäter.Im Rahmen des allgemeinen kriminalpolizeilichen Jugendschutzes werden in allen Ländern der Bundesrepublik Deutsch land in diesen beiden Bereichen verstärkt Anstrengungen unternommen.Die Tätigkeit der weiblichen Kriminalpolizei und der sog. Jugendsachbearbeiter der Kriminalpolizei in Verbindung mit anderen behördlichen und privaten Institutionen, die sich mit Jugendfragen befassen, steht als Beispiel für derartige Bemühungen.Diese zur Bekämpfung der Kinder- und Jugendkriminalität eingesetzten Beamten werden in den Ländern und beim Bundeskriminalamt für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Lehrgängen entsprechend vorbereitet.Wegen der unbefriedigenden Situation auf dem Gebiet der kriminologischen Forschung werde ich bei der Aufstellung des von der Bundesregierung in der Regierungserklärung angekündigten Sofortprogramms entsprechende Maßnahmen zur Erweiterung der Forschungsstelle beim Bundeskriminalamt vorsehen.Die Fragen 58 und 59 sind bereits gestern beantwortet worden.Ich rufe die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Josten auf:Wird die Bundesregierung ein Schlußgesetz zum Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz vorlegen?Zur Beantwortung Herr Bundesminister Genscher.
Das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz ist in diesem Jahr novelliert worden. Die Novelle ist am 1. August 1969 in Kraft getreten. Durch diese Ergänzung des Gesetzes wurde eine Stiftung errichtet, die mit 60 Millionen DM Haushaltsmitteln ausgestattet wird. Die Länder haben außerdem die Zuführung der restlichen Mittel, die ihnen zur Einlösung von Kriegsgefangenenzertifikaten zur Verfügung gestellt wurden, in Aussicht gestellt. Die Stiftungsregelung ermöglicht es, ehemaligen Kriegsgefangenen in besonderen Fällen durch gezielte Maßnahmen wirksam zu helfen und auch solche Fälle in die Betreuung einzubeziehen, in denen auf Grund der bisherigen gesetzlichen Regelung nicht geholfen werden konnte.
Diese Lösung, Herr Kollege, war nach dem Verständnis der damaligen Bundesregierung und, wenn ich recht unterrichtet bin, auch der sie tragenden Fraktionen in diesem Hause ein Abschlußgesetz. Dies wurde bei der Beratung des Gesetzentwurfs betont. Dem Verband der Heimkehrer ist bekannt, daß damit die Entschädigungsregelung abgeschlossen werden sollte. Ich darf ferner darauf hinweisen, daß die mittelfristige Finanzplanung, wie sie jetzt vorliegt, weitere Mittel für diesen Komplex nicht vorsieht.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Josten.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß sich in den vergangenen Jahren Sprecher
der im Bundestag vertretenen Parteien immer wieder für ein Abschlußgesetz zum Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz ausgesprochen haben und daher das von Ihnen erwähnte, vom letzten Bundestag verabschiedete Gesetz damit nicht identisch sein kann?
Herr Kollege, mir sind diese Zusagen bekannt. Sie wissen ebenso wie ich, daß diese Zusagen vor dem Gesetz, von dem ich gesprochen habe, lagen. Darüber hinaus wissen Sie ebenso gut wie ich, daß die frühere Bundesregierung und — ich sage noch einmal: wenn ich recht informiert bin — die sie tragenden Fraktionen in Kenntnis der Zusagen diese Novelle als Abschlußnovelle betrachtet haben.
Ich füge hinzu, daß sich diese Betrachtung auch aus der Tatsache ergibt, daß die mittelfristige Finanzplanung in ihrem gegenwärtigen Stand weitere Mittel für diesen Bereich nicht vorsieht.
Herr Kollege, ich möchte nicht verschweigen, daß ich die damals gegebenen Zusagen und die Novelle, wie sie im Jahre 1969 verabschiedet worden ist, auch unter dem Aspekt der Glaubwürdigkeit der parlamentarischen Demokratie und ihrer Repräsentanten sehe. Auf der anderen Seite darf nicht verkannt werden, daß die finanzielle Situation des Bundes ohne Zweifel dazu gezwungen hat, neue Erwägungen anzustellen.
Herr Minister, wissen Sie, daß der Verband der Heimkehrer bereits der vorigen Regierung einen Kompromißvorschlag zu dem Abschlußgesetz unterbreitet hat, der von einem Betrag von 200 Millionen DM ausgeht und vorsieht, daß dieser Betrag auf fünf Haushaltsjahre verteilt wird?
Herr Kollege, die Tatsache, daß der Betrag von 200 Millionen DM, verteilt auf fünf Haushaltsjahre — also 40 Millionen DM für jedes Jahr —, von der früheren Regierung nicht in die mittelfristige Finanzplanung eingestellt wurde, zeigt, daß sie das Problem wirklik nicht mehr als neu erörterungsfähig angesehen hat. Sie werden mindestens akustisch wahrgenommen haben, Herr Kollege, daß ich zweimal betont habe, daß nach dem gegenwärtigen Stand der mittelfristigen Finanzplanung neue Mittel nicht eingesetzt sind. Sie werden verstehen, daß ich zu diesem Zeitpunkt, bevor über die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung gesprochen wird, keine Zusage geben kann. Ich habe aber auch keine Absage erteilt.
Ich rufe die Frage 61 des Abgeordneten Dr. Enders auf:Ist die Bundesregierung bereit, den nach § 27 a des Bundespolizeibeamtengesetzes am 31. Dezember 1969 auslaufenden Termin zu verlängern, wonach für längerdienende Angehörige des Bundesgrenzschutzes und der Bundeswehr nach Beendigung der Dienstzeit die Höchstgrenze der Übergangsgebührnisse das Zweifache der jeweils ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge aus der Endstufe der Besoldungsgruppe A 1 beträgt?Zur Beantwortung, Herr Bundesminister Genscher.
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410 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969
Ich bitte um Ihre Zustimmung, die beiden Fragen des Abgeordneten Dr. Enders wegen des Sachzusammenhangs zusammen beantworten zu dürfen.
Keine Bedenken. Dann rufe ich noch die Frage 62 des Abgeordneten Dr. Enders auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß im Falle der Nichtverlängerung dieses Termins ein erheblicher Verlust an Übergangsgebührnissen für längerdienende Angehörige des Bundesgrenzschutzes und der Bundeswehr eintreten wird?
Die Übergangsvorschriften des § 27 a des Bundespolizeibeamtengesetzes und des ihm entsprechenden § 79 a des Soldatenversorgungsgesetzes sind seinerzeit mit Zustimmung aller Fraktionen dieses Hohen Hauses mit einer begrenzten Geltungsdauer bis zum 31. Dezember 1969 geschaffen worden. In der Praxis hat § 27 a des Bundespolizeibeamtengesetzes im Bereich des Bundesgrenzschutzes die Gewinnung von Polizeivollzugsbeamten auf Widerruf für das Polizeivollzugsbeamtenverhältnis auf Lebenszeit erschwert. Wegen der hohen Übergangsleistungen ziehen es Widerrufsbeamte vor, aus dem Bundesgrenzschutz auszuscheiden und z. B. als Polizeivollzugsbeamte in den Dienst der Länder überzutreten.
Der Wegfall der Übergangsvorschriften könnte in der Tat nur von denjenigen früheren Polizeivollzugsbeamten auf Widerruf und Soldaten auf Zeit als eine Härte empfunden werden, die bereits am 31. Dezember 1969 Übergangsgebührnisse erhalten.
Herr Kollege, ich möchte allerdings darauf hinweisen, daß der gesamte Fragenkomplex zur Zeit von der Bundesregierung geprüft wird, und zwar generell, aber auch unter dem Gesichtspunkt, ob und inwieweit Härten vermieden werden können.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Enders.
Herr Minister, ist nicht zu befürchten, daß bei dieser vorgesehenen Regelung ein Rückgang der Weiterverpflichtungen eintreten wird?
Herr Kollege, meine Mitteilung, daß der Komplex generell, aber auch im Hinblick auf mögliche Härtefälle überprüft wird, zeigt, daß wir diese Befürchtung ernst nehmen. Diese Frage ist mit in den Bereich unserer Überprüfungen einbezogen.
Meine Damen und Herren, damit ist Punkt 1 der Tagesordnung erledigt. Die Fragestunde ist für heute abgeschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt zur Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der
SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes über einen Ausgleich für Folgen der
Aufwertung der Deutschen Mark auf dem Gebiet der Landwirtschaft
— Drucksache VI/56 —Wird das Wort zur Begründung erbeten? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort wird nicht gewünscht? Ich schließe die Aussprache in der ersten Lesung.
Überweisungsvorschlag: federführend an den Finanzausschuß, mitberatend an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie an den Haushaltsausschuß nach § 96 der Geschäftsordnung. Wer in erster Lesung mit diesem Überweisungsvorschlag übereinstimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe den weiteren Zusatzpunkt auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
betr. europäischer Agrarmarkt
— Drucksache VI/63 —
Zur Begründung der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU hat einen Antrag folgenden Inhalts eingebracht:1. Die aktuellen und prinzipiellen Fragen des europäischen Agrarmarktes auf der Europäischen Gipfelkonferenz mit dem Ziel der Schaffung einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion zum Verhandlungsgegenstand zu machen;2. im Hinblick darauf zu erwirken, die von der EWG eingeräumte Frist für die Übergangsmaßnahmen, die als Folge der deutschen Aufwertung ergriffen worden sind, mindestens bis zum 31. Januar 1970 zu verlängern.Zur Begründung dieses Antrags legt die Fraktion Wert darauf, folgendes auszuführen: Die Ursache für die aktuellen Schwierigkeiten — nicht für die prinzipiellen — liegt in der Tatsache, daß die Bundesregierung aufgewertet hat. Offenbar gingen dem Aufwertungsbeschluß der Bundesreigerung zuwenig vorherige Absicherungen im europäischen Bereich voraus.
Nun spiegelt sich der Mangel an sorgfältiger Vorbereitung in den berechtigten Sorgen der deutschen Landwirtschaft wider.
Dies kann man nicht verschweigen. Das ist um so schwerwiegender, als die agrarpolitischen Probleme im Zusammenhang mit Währungsfragen jedermann seit langem bekannt und offenkundig waren.Alle diese agrarpolitischen Fragen hängen nun mit Themen zusammen, die direkt oder indirekt auf der Gipfelkonferenz eine Rolle spielen. Weder der Ausbau noch die Erweiterung der Gemeinschaft ist
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969 411
Dr. Barzeldenkbar ohne die Diskussion der agrarpolitischen Fragen. Auch die Festlegung der Termine — wie wir wissen, wenn wir es realistisch ansehen — für das Ende der Übergangsperiode und für den Beginn von Beitrittsverhandlungen hängt, nach dem Willen anderer, damit zusammen, daß über die Gestaltung des Agrarmarkts definitive Klarheit wird.Aus allen diesen Gründen halten wir es für zwingend, daß die Regierungschefs auf der Konferenz am 1. und 2. Dezember diese Fragen erörtern, und zwar mit dem Ziel, eine Wirtschafts- und Währungsunion herbeizuführen. Das aber setzt voraus, daß die in Deutschland notwendigen parlamentarischen Entscheidungen ohne Zeitzwang sachlich erörtert werden können. Deshalb ist schon aus Gründen der parlamentarischen Entscheidung und der politischen Beratung notwendig — schon aus diesen Gründen, unabhängig von anderen Gründen —, mindestens bis 31. Januar die Übergangsmaßnahmen zu befristen, die ursprünglich auf den 6. Dezember und jetzt auf den 31. Dezember befristet sind. Dies halten wir für zwingend.Meine Damen und Herren, dies ist ein politisches Problem von großem Rang. Es gehört auf die Gipfelkonferenz. Und das erzwingt bei sachlicher Beratung die Notwendigkeit, der sich niemand hier oder in Brüssel verschließen sollte, die Frist mindestens bis zum 31. Januar zu verlängern.Meine Damen und Herren, da es hier ja gestern etwas in Mode gekommen ist, aus allen möglichen Besprechungen und Konferenzen etwas zu zitieren, möchte ich gleich für dieses Protokoll von mir aus mitteilen, daß es v o r dem Aufwertungsbeschluß der Bundesregierung eine Information durch den Herrn Bundeskanzler und den Herrn Wirtschaftsminister gab. Dabei wurden die verschiedenen agrarpolitischen Möglichkeiten dargetan. Wir haben in diesem Gespräch am 24. Oktober 1969 erklärt: die vorgeschlagenen Lösungen für den Agrarbereich sind unbefriedigend.
Dies haben wir damals erklärt und befinden uns deshalb völlig in der Konsequenz unserer Handlungen.Wir verstehen die Sorgen unserer Bauern draußen, und wir teilen sie. Wir fügen zwei Punkte hinzu: Was soll eigentlich nach vier Jahren geschehen?
Für vier Jahre hat diese Bundesregierung je 1,7 Milliarden DM. Die Zahl war vor vierzehn Tagen, als ich sie nannte, hier noch bestritten. Was soll nach vier Jahren geschehen? Sollen dann die deutschen Bauern mit der zwanzigprozentigen Preiseinbuße dastehen? Und was soll geschehen für den Fall — das ist die zweite Sorge —, daß das passiert, was der Bundeswirtschaftsminister auf Fragen unseres Kollegen Dichgans in der Debatte vor vierzehn Tagen erklärt hat: vielleicht kommt in den nächsten zwei, drei Jahren wieder eine Aufwertung? Was soll dann geschehen? Diese Fragen müssen doch beantwortet werden.
Deshalb gehört das auf die Gipfelkonferenz. Deshalb brauchen wir hier auch Zeit, um sachlich — miteinander, wie ich hoffe — das zu erörtern. Eine Bundesregierung, die mit der Opposition etwas anzufangen weiß, wird das, was ich bis hierher gesagt habe, ja als sehr hilfreich empfinden.
Ob Sie mit Ihren Koalitionsvorlagen am Bundesrat vorbei, abgesehen von dem Vorteil, daß Sie schnell gehandelt haben, klug waren, wird sich noch erweisen. Denn gerade Landwirtschaftspolitik braucht die Bundesländer.Wir beklagen hier dies Ganze doch als einen Teil einer recht planlosen und wenig koordinierten inneren Politik der neuen Bundesregierung.
Wir sehen, daß da Steuerermäßigungen vorgeschlagen werden, ohne daß es bis zur Stunde wenigstens eine Ubersicht über die Gesamtkosten gibt, Herr Bundesminister der Finanzen.
Wir sehen das Versprechen von 50 DM für die Rentner; und dann ist plötzlich das Geld nicht da,
dann ist der Zusammenhang nicht da, der Rentnerbeirat wird gar nicht einmal angehört, an die Kriegsopfer wird dabei nicht gedacht. Wo ist das Gesamtprogramm, Herr Bundeskanzler, nach dem hier etwas gemacht wird?
Das ist doch die Frage. Und heute hören wir dann zu unserer Freude, was wir sehr begrüßen: für die Soldaten ist das Geld da. Was ist denn das Gesamtprogramm bei Ihnen, meine Damen und Herren?
— Ich bin dabei, Herr Kollege Wehner, Ihnen das zu sagen, was ich für notwendig halte.Jetzt kommen Sie auf den Krankenversicherungsbeitrag der Rentner, einen Punkt, den wir am Mittwoch vor der Wahl — übrigens, Herr Schellenberg, mit Zustimmung des Kollegen Schmidt — in einer Fernsehdebatte abhängig gemacht haben von der Verminderung der Ergänzungsabgabe. Jetzt kommen Sie plötzlich dazu.
Aber Sie sagen uns auch noch nicht, wie das bezahlt werden soll, ob aus höheren Staatszuschüssen oder durch höhere Beiträge. Wir sind sehr gespannt, was der Herr Finanzminister hierzu im Zusammenhang zu sagen hat.Meine Damen und Herren, wir wünschen das hier in den Zusammenhang zu stellen, und wir möchten die Bundesregierung ermuntern, nicht unbedingt mit aller Kraft an der Festigung des Rufes zu arbeiten, eine Politik der leichten Hand zu machen.
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412 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. — Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Apel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion muß sich angesichts der Ausführungen von Herrn Barzel fragen, ob es der CDU/CSU um die Bauern geht oder darum, in diesem Plenum erneut Krach zu machen.
Ich muß das wirklich fragen, meine Herren von der CDU/CSU. Wenn Sie sich nämlich Sorgen um die Bauern machen, dann kann ich nicht ganz begreifen, warum Sie hier gleichzeitig von Rentnern und Soldaten reden.
Sie sollten wissen, daß es bei diesem Tagesordnungspunkt um die Bauern geht. Ich werde es deswegen ablehnen, zu den Ausführungen von Herrn Barzel hier Stellung zu nehmen.
Wir reden hier zum Thema. Wenn Sie hier jedesmal im Stile eines Sonntagmittagkonzerts „Für jeden etwas" arbeiten wollen,
so ist das Ihr gutes Recht. Jeder sägt sot gut an seinem Renommee, Herr Barzel, wie er kann.
Meine Damen und Herren, zur Sache! Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß wir Sozialdemokraten erneut feststellen, daß die CDU/CSU ein relativ kurzes Gedächtnis hat.
Denn wenn wir uns einmal die Geschichte der Agrarpolitik in Europa in den letzten acht Monaten angucken, so können wir doch feststellen, daß das Dilemma damit beginnt, daß es eine Spekulation zugunsten der Franc-Abwertung und damit zu Lasten der deutschen Landwirtschaft gibt. Sie alle erinnern sich noch an die Importschwemme. Sie war doch nur deswegen möglich, weil wir eben nicht dem Rat des Bundeswirtschaftsministers im Mai gefolgt sind und aufgewertet haben.
Damit haben wir alle diese Nachteile auch für den Haushalt hinnehmen müssen, die Sie, die Agrarpolitiker in der CDU/CSU, besser kennen als ich.Zweitens darf ich daran erinnern, daß der europäische Agrarmarkt, der uns allen sehr am Herzen liegt, einen ersten Knacks bekam, als die Franzosen abwerteten. An diesem Knacks leiden wir heute noch.Drittens dart ich daran erinnern, daß Sie noch in der Regierungsverantwortung mit beschlossen haben, am 29. September die Kurse freizugeben. Mit dieser Freigabe der Kurse wurde endlich eine Zwangsläufigkeit ausgelöst, aber viel zu spät. Das zwang dann die Bundesregierung, die Maßnahme der Aufwertung zu erwägen und durchzusetzen.Herr Barzel, ich muß Ihnen wirklich sagen: So geht es nicht, daß Sie immer nur dann anfangen nachzudenken, wenn es Ihnen paßt.
Sie müssen sich die gesamte Geschichte angucken. Herr Barzel, Sie haben gesagt, dieses Thema gehöre auf die Gipfelkonferenz. Ich glaube, es ist absolut nicht notwendig, dies hier zu unterstreichen. Selbst wenn wir es nicht wollten, daß dieses Thema auf die Gipfelkonferenz käme, es käme darauf. Wenn Sie in die Zeitungen gucken, werden Sie sehen, daß die Franzosen, — so gestern Herr Pompidou — erneut deutlich gemacht haben, daß das ein zentrales Thema ist.Damit bin ich aber schon bei Punkt 1 des Antrags der CDU/CSU. Wenn man diesen Antrag genau liest, zweifelt man, ob er beinhalten soll, daß die Fragen der europäischen Agrarpolitik so in die Währungs- und Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft, die ja erst zu schaffen ist, eingebunden werden sollen, daß wir jetzt nicht zu weiteren Entschlüssen kommen sollten. Ich glaube nicht, daß Sie das meinen, Herr Barzel; denn das würde natürlich bedeuten, daß damit die Gipfelkonferenz von unserer Seite, falls wir das fordern sollten, bereits heute gescheitert ist. Es ist völlig undenkbar, daß die EWG noch in den letzten Wochen dieses Jahres eine gemeinsame Währungs- und eine gemeinsame Wirtschaftspolitik macht. Dazu brauchen wir wahrscheinlich viele Jahre; denn die Währungspolitik hat ja auch etwas mit Übergabe nationaler Souveränität zu tun, man kann sie davon nicht lösen. Weiter müssen wir sehen, was unsere Partner dazu sagen werden.Insofern können wir diesen ersten Punkt Ihres Antrags nur so verstehen, daß Sie hier auf ein Problem aufmerksam machen wollen, das dadurch besteht, daß wir den „grünen Dollar" haben, daß wir aber keine Währungs- und auch keine Wirtschaftspolitik haben und gerade die unterschiedliche Wirtschaftspolitik uns dazu bringt, daß wir in Auf- und Abwertungsschwierigkeiten hineinlaufen. Insofern ist der erste Punkt Ihres Antrags ein Selbstgänger.Wir wollen den vollen Gemeinsamen Markt, wir wollen die volle Währungs- und Wirtschaftsunion. Wir müssen aber sehen, daß wir das bis zum Jahresende nicht schaffen. Aus diesem Grunde sind wir gezwungen, auch auf der Gipfelkonferenz nach Übergangslösungen für die Agrarpolitik zu suchen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969 413
Dr. Apel- Sehr schön! Dann sind wir völlig klar. Nur damit wir in diesem Hause kein Mißverständnis haben: Die Bundesregierung wird Kompromisse im Bereich der Agrarpolitik, der Agrarstrukturpolitik und der Agrarfinanzierung suchen müssen. Diese Kompromisse werden für uns alle nicht einfach sein. Deswegen möchte ich zur Sache auch nicht weiter sprechen.Zu Punkt 2. Sie verlangen eine Fristverlängerung bis zum 31. Januar 1970. Wir sind der Meinung, daß es nicht besonders klug ist, Herr Barzel, diese Fristverlängerung zu fordern. Ich will Ihnen sagen, weswegen. Es könnte z. B. sein, daß wir am 31. Januar nicht fertig sind. Das ist sogar sehr gut denkbar.
— Okay! Aber wir sollten in jedem Fall nicht den Eindruck erwecken, als sei dann auch für uns der Zug endgültig abgefahren. Wir müssen uns hier vorbehalten, diese Dinge so zu beraten, daß sie sauber und ordentlich abgeschlossen werden.Wir sollten an dieser Stelle auch dankbar anerkennen, daß der Rat und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften bei ihrer letzten Sitzung doch großes Verständnis für die deutsche Situation gezeigt haben, indem der Termin schon bis zum Jahresende hinausgeschoben worden ist. Wir können sicher sein, daß wir, wenn wir überzeugend nachweisen, daß wir auch dann nicht fertig sind, in den europäischen Gremien weiterkommen.
Eine letzte Bemerkung. Herr Barzel, Sie haben bemängelt, daß der Einkommensausgleich für die deutsche Landwirtschaft nur für vier Jahre sichergestellt zu sein scheint.
— Sie haben die Frage aufgenommen; ich gebe Ihnen darauf eine Antwort. Für uns Sozialdemokraten steht völlig fest, daß der Einkommensausgleich für die deutsche Landwirtschaft unverzichtbares Element unserer Agrarpolitik, insbesondere unserer europäischen Agrarpolitik ist.
Wir können schließlich nicht die deutschen Bauern dafür bezahlen lassen, daß die europäischen Mechanismen — die im übrigen damals ein CDU-Agrarminister mitbeschlossen hat; das nur am Rande —, so wirken, daß sie der deutschen Landwirtschaft heute wehtun. Hier gibt es also das eindeutige Bekenntnis der Sozialdemokraten, Einkommensausgleich zu leisten, und zwar — das füge ich hinzu — auch über den Termin 1973 hinaus, wenn das auf Grund der ökonomischen Gegebenheiten notwendig ist. Die mittelfristige Finanzplanung reicht nur bis zu diesem Zeitpunkt. Im übrigen ist dann die Legislaturperiode dieses Bundestages abgelaufen. Eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung wird sich auch nach 1973 nachdrücklich um dieses Thema kümmern.
Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte ein paar zusätzliche Bemerkungen zu den Ausführungen meines Kollegen Apel machen, soweit die Fragen, die Herr Barzel aufgeworfen hat, noch nicht beantwortet sind.
Punkt 1. Herr Barzel, Sie haben hier gefragt: Wo sind die Einzelheiten der Finanzierung nicht nur in der Frage des Agrarmarkts, sondern generell, Steuern usw? Ich stelle die Gegenfrage: Wie ist das eigentlich bei bisherigen Regierungsbildungen mit den Einzelheiten finanzieller Maßnahmen gewesen? Haben die bisherigen Bundesregierungen, die sozusagen die alte Politik fortgesetzt haben, die Einzelheiten im Haushaltsplan dargelegt oder nicht, und ist bei bisherigen Regierungsbildungen der Haushaltsplan früher als im Februar eingereicht worden? Sie wissen genau, Herr Barzel, daß eine finanzielle Ubersicht in Zusammenhang mit einer Aufwertung, noch dazu unter einer völlig neuen Regierung, eine neue Zielprojektion erfordert und darüber hinaus die Vorbereitung des Haushalts, in dem Sie alle Einzelheiten finden werden, eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt.
Dies war so und wird sich auch jetzt nicht ändern.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Leicht?
Herr Kollege Hermsdorf, wären Sie mit mir einig, daß man dann Anträge mit ausgabewirksamen Beschlüssen auch nicht schon vor Vorlage des Haushalts bzw. der mittelfristigen Finanzplanung stellen sollte?
Nein, nur zum Teil. Denn die ausgabewirksamen Beschlüsse, die sozusagen in der Regierungserklärung vorgetragen worden sind, ergeben sich in der Mehrzahl aus Beschlüssen und Anregungen des ganzen Parlaments — ich denke z. B. an die Kriegsopferversorgung —, die hier gefaßt worden sind
und die Sie mitgefaßt haben. Es ist doch ganz klar, daß der Finanzminister diese Forderungen, die ein Wunsch des ganzen Parlaments sind, als erstes in die mittelfristige Finanzplanung hineinpackt und sich sagt: Die müssen auf alle Fälle gedeckt werden, und dann kommen die weiteren Einzelheiten. Wo gibt es denn so etwas, Herr Leicht, daß eine Regierung, nachdem sie erst wenige Wochen im Amt ist, schon einen Haushaltsplan vorlegt? Sie werden die Einzelheiten erfahren, und Sie können sich darauf verlassen, daß sich gerade dieser Finanzminister in puncto Solidität nicht übertreffen lassen wird. Dafür stehen wir gerade.
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414 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Im Augenblick nicht.
— Ich bin doch nicht bereit, Herrn Haase, der in Kassel nichts zu sagen hat, laufend Fragen stellen zu lassen.
Nun komme ich zu der Behauptung, wir hätten uns das nicht überlegt. Herr Barzel, Sie selbst haben in der Debatte vorgetragen, nicht nur heute, sondern auch in der vorigen Sitzung, daß es 1,7 Milliarden DM pro Jahr kosten würde. Dieser Betrag ist allgemein anerkannt. Bei den Verhandlungen in Brüssel haben wir nun zwei Vorschläge gehabt. Wir haben den Vorschlag gewählt, der den Verbraucher nicht belastet und der der Landwirtschaft einen vollen Ausgleich garantiert. Danach werden diese 1,7 Milliarden DM gedeckt durch eine Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes auf der Erzeugerstufe von 5 auf 8%. Das macht 780 Millionen DM. Davon gehen zu Lasten des Bundes 550 Millionen DM, zu Lasten der Länder 230 Millionen DM. Was die 920 Millionen DM angeht, die wir noch aus dem Haushalt bringen müssen, so können Sie doch nicht verlangen, daß nun aus dem Stegreif hier der Versuch gemacht wird, zu erklären, wie dieser Betrag gezahlt werden soll. Dafür muß man doch in Übereinstimmung und mit der Kenntnis des Ernährungsausschusses und der betreffenden Fachleute einen sehr abgewogenen Vorschlag machen. Den werden Sie von uns auf den Tisch des Hauses gelegt bekommen, wenn es so weit ist.
Herr Barzel hat die weitere Frage aufgeworfen, ob es glücklich sei, daß wir dieses Gesetz als Initiativgesetz einbringen und an dem Bundesrat vorbeimarschieren. Als wir noch um eine Verlängerung der Sechswochenfrist kämpften, war klar, Herr Barzel, daß wir, wenn wir die Verlängerung nicht erreichen, sofort einen Ausgleich finden müssen. Dies konnten wir nur durch eine Sondersitzung des Bundesrates erreichen. Daher mußte die Bundesregierung den Versuch machen, in dieser Frage sofort mit dem Bundesrat zu sprechen. Das hat sie getan, und sie hat von dort die Zustimmung zu einer Sondersitzung erhalten. Dieser Initiativgesetzentwurf war also auf den Termin der Sondersitzung zugeschnitten. Das Gesetz läuft mithin auch parallel noch beim Bundesrat. Man kann also nicht davon reden, daß es am Bundesrat vorbeigeht.
— Deshalb sage ich es ja.
— Ich bin nicht Regierungssprecher. Aber ich bin
ganz überrascht, daß Sie etwas nicht wissen, Herr
Barzel. Das kommt bei Ihnen selten vor. Das ist also
der eine Punkt. Und in dem anderen Punkt, was nach vier Jahren geschehen soll, hat mein Kollege Apel unseren Standpunkt klargemacht.
Ich sage Ihnen noch einmal: wir haben mit diesem Initiativgesetzentwurf eine Grundlage geschaffen für den Ausgleich, den wir den Bauern gewähren wollen und gewähren müssen und den wir ihnen zugesichert haben. Er bietet eine solide finanzielle Grundlage. Ich bitte Sie deshalb, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Das Wort hat Herr Bundesminister Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß der Vorsitzende der Fraktion der CDU/CSU die Sonderzahlungen an Wehrpflichtige im Monat Dezember in den Bereich seiner Betrachtungen einbezogen hat, offenbar im Zusammenhang mit dem Vorwurf einer Politik des leichten Geldes.
Ich stelle fest, daß die Fraktion der CDU/CSU für die gestrige Beratung einen ähnlichen, in dieselbe Richtung laufenden Antrag eingebracht hat.
Meine Damen und Herren, ich stelle im übrigen fest, daß die Mittel für unsere Zahlungen, so wie die Bundesregierung sie vorsehen will, aus den Haushaltsmitteln dieses Jahres aufgebracht werden können. Im Gegensatz zum Antrag der CDU/CSU, der weitergehende Zahlungen im Bereich des Übergangsgeldes vorsieht, berührt unser Antrag die mittelfristige Finanzplanung nicht. Wir halten uns im Bereich einer soliden Haushaltsgebarung.
Das Wort hat der Abgeordnete Höcherl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich war über die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Apel sehr überrascht. Er sprach von Krach. Wenn nicht ständig Weihrauch gestreut wird, ist das schon ein Krach.
Diese kleine Koalition scheint mir die kleine Koalition der großen Empfindsamkeiten zu sein.
Wenn Sie diesen Antrag, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, genau gelesen hätten, hätten Sie feststellen können, daß er hilfreich ist. Er will Sie nicht in Ihrer Arbeit und in Ihrer Ausgleichsfunktion stören, sondern er will Ihnen helfen, und all das, was dagegen — —
— Ja, ich werde das genau nachweisen! — Ich will jetzt gar nicht auf die Leidensgeschichte der
Höcherl
Aufwertung zurückkommen. Heute sind wir in einem Stadium, in dem wir sagen müssen: Der Aufwertungsbeschluß steht auf dem Prüfstand, und eine der ersten Prüfungshandlungen ist bei den Ausgleichsmaßnahmen zugunsten der deutschen Landwirtschaft durchzuführen.
Es kann keinen Zweifel geben, daß man bei der Aufwertungsentscheidung etwas versäumt hat, und zwar, sich mit den Partnern, vor allem aus dem Benelux-Bereich, abzusprechen, die konjunkturell und währungspolitisch in einer ähnlichen Situation sind wie wir und von denen man annehmen konnte — selbst die Kommission hat das getan -, daß sie in der Aufwertung wenigstens partiell nachziehen würden; dann wären wir viele Sorgen los. Was ist geschehen? Man hat das unterlassen, man hat sich nicht mit ihnen abgestimmt, man hat diese Übereinstimmung nicht erreicht. Und heute müssen wir in der OECD, im Währungsausschuß — geleitet von Herrn Dr. Emminger – , bittere Vorwürfe auch von dieser Seite darüber anhören, daß wir einseitig aufgewertet hätten und damit die Konjunktur in diesen Ländern anheizen würden.
Das ist die Wirklichkeit, meine Damen und Herren!
Dieser taktischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten hat man sich begeben, weil man es einfach nicht mehr erwarten konnte. Man wollte mit dem Heldenstück der Aufwertung einfach beginnen, ganz gleich, was sonst noch im europäischen Raum passiert.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Apel?
Ja, bitte schön, Herr Dr. Apel!
Herr Kollege Höcherl, können Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß die Aufwertung durch die Freigabe der Wechselkurse zwangsläufig geworden war und daß es dann darauf ankam, schnell wieder zu einer festen Rechnungseinheit zu kommen,
und können Sie mir zustimmen, daß Sie dieser Freigabe der Wechselkurse - nicht freiwillig, aber gezwungen — auf Grund ökonomischer Tatsachen mit zugestimmt haben?
Herr Dr. Apel, ich komme gern auf diese Frage zurück. Es ist richtig, daß nach der Entscheidung vom 29. September das weitere Folgemaßnahmen waren. Das ist richtig. Ich will Ihnen auch sagen, wie ich persönlich zu dieser Maßnahme vom 29. September stand: Ich persönlich hab' sie nicht goutiert. Aber damals stand das ja schon fest — Sie haben ja schon in der Nacht sehr raschgehandelt und wie Ziethen aus dem Busch Ihre neue Koalition geschlossen!
und dann waren wir konstruktiv und hilfreich genug,
Ihren Ideen auf dem Währungssektor eine Möglichkeit zu geben.
Und in Wirklichkeit war es so, daß sich eine Spekulationswelle ankündigte. Warum? Weil Sie fortgesetzt von der Aufwertung gesprochen haben!
Deswegen ist sie gekommen! Und Sie haben uns mit Ihrem Aufwertungsgerede in den Zugzwang gesetzt. Man kann über die Aufwertung so oder so denken, dieser oder anderer Meinung sein, aber nicht fortgesetzt, Monate hindurch, davon reden. Und dann war die Koalition ja klar; alles andere waren Folgemaßnahmen, nicht mehr freiwillige,
sondern waren ein Zugzwang, den Sie ausgelöst haben!
Aber das eigentliche Thema hier ist ja ein anderes. Wenn man eine solche Entscheidung trifft — und sie ist gefallen; wir müssen uns jetzt mit den Folgen abfinden und müssen sie dort, wo wir Möglichkeiten haben, möglichst mildern -, wenn also solche Entscheidungen fallen — und es ist bekannt, daß Professor Schiller sogar über die 8,5 % hinausgehen wollte; er wollte sogar um 10 % aufwerten —, dann muß ich wissen, welche Maßnahmen ich treffe. Was ist die Wirklichkeit gewesen? Sie mußten erst nach Brüssel gehen und sich dort erkundigen
und sich dort beraten lassen. Dort wird entschieden, welche Maßnahmen zulässig sind. Sie haben also einen Zug ins Ungewisse hinein getan, in unbekanntes Land!
In einer Zeit, in der wir Lohnwellen, Preissteigerungen und steigende Betriebsmittelkosten haben, einem Berufsstand, der sowieso von sehr vielen sozialen Möglichkeiten — Wochenende, Urlaub, Arbeitszeit in der üblichen Form — ausgeschlossen ist, zuzumuten, ohne die Sicherheit eines gerechten und dauernden Ausgleichs 8,5 % vom Umsatz, also bis zu 20 %seines Einkommens, einzubüßen, scheint mir ein sehr erheblicher und gravierender Tatbestand zu sein. Ich gebe Ihnen zu: Sie haben immer anerkannt, daß dieser Ausgleich geschehen muß. Aber Sie wissen genau, daß er nach den Gesetzen der EWG, solange wir sie in dieser Form haben, nur degressiv möglich ist. Deswegen ist die Frage des Herrn Kollegen Barzel, was nach vier Jahren sein soll, wirklich berechtigt. In diesen vier Jahren haben wir neu vier Lohnrunden, haben wir neu Preisentwicklungen, und der andere Teil hat die grandiose Aussicht, nach vier Jahren mit minus 8,5 % des heutigen Preisniveaus dazustehen. Das ist doch das Problem.
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416 Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969
HöcherlSie als Regierung sind verantwortlich und verpflichtet, diesem Bevölkerungsteil, der 5 Millionen Menschen umfaßt, zu sagen, wie Sie das lösen wollen, wie Sie ihn in den vier Jahren — auch nach einer neuen Bundestagswahl — stellen wollen. Das ist doch die Frage, eine politische Frage, auf die wir, aber auch die deutsche Landwirtschaft eine Antwort haben wollen.
Nun zu den beiden Punkten! Der erste Punkt: Natürlich weiß jeder, der sich mit diesen Fragen befaßt, daß es keine Erweiterung der EWG und keine Vollendung der EWG geben wird, wenn nicht die dringenden Probleme des Agrarmarktes geregelt sind. Das ist einmal die Agrarfinanzierung. Sie wissen ganz genau, daß Frankreich das zu einer unabdingbaren Voraussetzung für Beitrittsverhandlungen usw. gemacht hat. Die Agrarfinanzierung, die Überschußfrage, die Übergangszeit, das sind die großen Probleme. Diese Probleme müssen auf dieser Gipfelkonferenz behandelt werden, weil es sonst kein europäisches Gespräch gibt. Das ist die rauhe und harte Wirklichkeit. Wenn wir Sie bitten, dafür zu sorgen, daß so etwas getan wird, dann meine ich, das wäre hilfreich und nicht das Auslösen eines Krachs.Zweitens die Frage der gemeinsamen Wirtschafts- und Währungspolitik! Niemand von uns — auch nicht die Antragsteller -- geht davon aus, daß es möglich wäre, auf der Gipfelkonferenz in einem Akt eine gemeinsame Währungs- und Wirtschaftspolitik ) zu beschließen. Aber das Thema muß auf die Tagesordnung, und zwar deswegen, weil der gemeinsame Agrarmarkt in seiner heutigen Verfassung nicht zu halten ist, wenn nicht endlich Wirtschafts- und Währungspolitik harmonisiert werden und nachziehen.
Hier muß man einmal etwas klarstellen: Die Landwirtschaft wird wegen des gemeinsamen Agrarmarktes angegriffen. Sie hat ihn in dieser Form nie gewollt, sondern er ist im Zugzwang und im Verzug herbeigeführt worden.
– Die deutsche Landwirtschaft hat diese Art der gemeinsamen Agrarverfassung in Europa nicht gewollt. Sie hat den Agrarmarkt hingenommen und mit Opfern bezahlt, weil sie europäisch denkt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Apel?
Ja, bitte schön!
Herr Höcherl, könnten Sie diesem Hohen Hause auch sagen, wer von seiten der Bundesregierung und welche politische Gruppierung der deutschen Landwirtschaft den Agrarmarkt in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in dieser Form beschert hat?
- Nein!Aber ich will folgendes sagen: Es ist nicht Schuld der Agrarpolitik,
daß wir eine solche Entwicklung der nicht vollendeten oder nicht harmonisierten Währungs- und Wirtschaftspolitik haben.
Deswegen müssen diese beiden Elemente in diesem Zusammenhang als untrennbare Bestandteile auf der Gipfelkonferenz behandelt werden. Wir ersuchen die Regierung, das zu bewirken. Wie jemand auf den Gedanken kommen kann, das als Angriff zu bezeichnen, ist mir unerfindlich. Sie werden noch andere Dinge erleben. Ich denke hier an Ihre eigene Oppositionspolitik zu der Zeit, als ich noch Innenminister war; Sie haben ja große Erfahrungen auf diesem Gebiet. Ungefähr mit dieser Form müssen auch Sie rechnen. In der Zwischenzeit sind wir auch etwas fortgeschritten, vielleicht noch härter; Sie halten das schon aus.
Nun zu Punkt 2. Ebenfalls ein hilfreicher Antrag. Warum? Nach der bisherigen Regelung sollen die Preise am 1. Januar 1970 um 8,5 % gesenkt sein. Bis dahin sind die Ausgleichsmaßnahmen gesetzgebungsmäßig nicht fertig. Selbst wenn wir mit dem ersten Gesetz, diesen 3 % bei der Mehrwertsteuer, rechtzeitig zum Zuge kommen und der Bundesrat zustimmt, vergeht so viel Zeit, bis dann die Ausführungsbestimmungen kommen und bis das in Kraft treten kann, daß schon nach der heutigen Situation der Termin des 1. Januar nicht eingehalten werden kann, es sei denn, Sie halten es politisch für vertretbar, daß Sie die Preise senken und dann schleppend, zögernd und verspätet mit Ihren Ausgleichsmaßnahmen kommen.
Davor wollen wir Sie und die Landwirtschaft bewahren, und dabei wollen wir Ihnen helfen. Ich bin der Meinung, daß Sie diesem Antrag in Ihrem eigenen Interesse zustimmen sollten.
Ich darf noch ganz kurz auf Herrn Hermsdorf eingehen, der sich auch entsetzlich angegriffen gefühlt hat. Ich will Ihnen etwas sagen zu den viermal 1,7 Milliarden, auf die man sich geeinigt hat. Wo steht denn geschrieben, daß die Produktion gleichbleibt und daß sie sich ständig mit diesem Maßstab messen läßt?
Das sind alles offene Fragen. Sie sagen, mit diesen 3 % bei der Mehrwertsteuer holen Sie 780 Millionen DM heraus. Das haben Sie zunächst einmal berech-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969 417
Höcherlnet. Die Wirklichkeit wird erweisen, ob das so ist oder nicht.
Auf dem Veredelungssektor gibt es einen Bereich, der sehr schwer über die Umsatzsteuer diese 3% bekommen wird,
und das ist der wichtigste Teil. Vielleicht müssen wir Änderungen vorschlagen, die wir gemeinsam mit Ihnen machen wollen.Über die 920 Millionen DM, die nach Ihrem Tableau noch offenstehen, ist überhaupt noch nichts ausgesagt. Wer aber durch Ihre Beschlüsse und Entscheidungen schon weiß, daß er 20 % seines Einkommens verliert, der hat ein Recht darauf, zu wissen, wie Sie das ausgleichen.
Nicht allein auf den guten Willen und nicht allein auf Haushaltseinstellungen kommt es an, sondern darauf, wie der Maßstab ausschaut. Da liegen nämlich die Schwierigkeiten. Also à la bonne heure!
Das Wort hat der Abgeordnete Peters .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der CDU/CSU ist weder geeignet, der Bundesregierung eine Hilfestellung bei den Verhandlungen auf dem Gipfeltreffen zu geben, noch dazu, den landwirtschaftlichen Anliegen zu genügen.
Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß auf dem Gipfeltreffen über die zukünftige Agrarpolitik und über die zukünftige Agrarfinanzierung verhandelt wird. Da bedurfte es nicht Ihrer Anregung, das wird sowieso geschehen.
Sie werden wohl mit mir der Meinung sein, daß es ausgeschlossen ist, in so kurzer Zeit die bisherige Agrarpolitik in eine völlig neue zu verwandeln und grundsätzliche Regelungen in der Agrarfinanzierung, die ebenfalls eine völlige Änderung bringen, dort mit so kurzfristiger Wirkung zu beschließen. Wir müssen uns doch die Frage stellen: Wie ist denn diese Lage entstanden?
Sie ist entstanden durch die Agrarpolitik der CDU,
wie sie seit zehn Jahren hier betrieben worden ist.
— Sie hatten den wesentlichsten Anteil, meine Damen und Herren von der CDU/CSU,
an den Entscheidungen in Brüssel, und Sie werden für diese Entscheidung in der EWG der Landwirtschaft gegenüber geradestehen müssen.
— Ja, ich komme darauf. Sie werden sicher nicht behaupten, daß die jetzige Regierungkoalition die Abwertung des Franc bewirkt habe; die ist von den Franzosen gekommen.
Über die Aufwertung der D-Mark ist hier schon von Herrn Dr. Apel ohne Ihren Widerspruch gesagt worden, daß durch die Freigabe der Wechselkurse die Entwicklung gegeben war, die auch die CDU/CSU nicht aufhalten konnten, die zwangsläufig gekommen ist.
Die Vorlage der Koalitionsparteien schafft
eine Lage für die deutsche Landwirtschaft, und zwar für vier Jahre ohne Degression, mit der die deutsche Landwirtschaft zufrieden sein kann.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bewerunge?
Bitte sehr!
Lieber Kollege Peters, sind Sie ernsthaft bereit, diese Aussage bei Ihren Landwirten in Holstein zu vertreten, wenn ich Sie frage: Wollen Sie den Verteilungsschlüssel nach der Fläche oder nach der Leistungsfähigkeit der Betriebe und wie wollen Sie differenzieren? Sehen Sie nicht ein, daß Sie die Landwirtschaft geradezu in ein Chaos geführt haben?
Herr Bewerunge, ich bin jederzeit gern bereit, diese Entscheidung der Bundesregierung und der Koalition vor den deutschen Bauern zu vertreten.
Herr Bewerunge, durch die Aufwertung der D-Mark ist das Unterlaufen der deutschen Preise unterbunden worden, durch das der Landwirtschaft in der Zeit, als Sie in der Regierung waren, Schäden von Hunderten von Millionen entstanden sind.
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418 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969
Peters
Durch die Aufwertung der D-Mark ist die Kostensteigerung für die deutschen Bauern nicht unterbunden, aber sie ist wesentlich gehemmt worden.
Wäre nicht aufgewertet worden, so wäre die Kostensteigerung für die Landwirtschaft enorm gewesen. Das wäre ebenfalls ein großer Schaden für die Landwirtschaft gewesen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Reinhard?
Bitte schön!
Sie haben mit Ihren Ausführungen zugesagt, daß nicht nur global der deutschen Landwirtschaft, sondern jedem einzelnen Landwirtschaftsbetrieb ein gerechter Ausgleich gegeben wird. Darf ich das so verstehen? Oder halten Sie einen ungerechten Ausgleich mit Ihrem Vorschlag für möglich?
Ich komme jetzt zu den Ausgleichsmaßnahmen.
— Aber selbstverständlich antworte ich Ihnen.
Wir werden jetzt einen Ausgleich durchführen, zur Hälfte über die Mehrwertsteuer.
Dieser Ausgleich ist produktgebunden; das werden Sie wohl nicht bestreiten können. Das heißt, diejenigen Betriebe, die die meisten Verkaufserlöse und den größten Schaden durch die Aufwertung haben, bekommen den größten Ausgleich.
Der weitere Ausgleich wird sehr wahrscheinlich nach verschiedenen Kriterien gegeben werden. Es ist bisher nicht entschieden, wie die 920 Millionen DM verteilt werden. Ich kann mir vorstellen, daß pro Betrieb eine gewisse Dotation erfolgt und das übrige nach der Fläche aufgeschlüsselt wird. Aber das wird einer späteren Entscheidung vorbehalten sein.
Ich habe jedenfalls von Ihnen bisher keine besseren Vorschläge gehört.
— Die Opposition, Herr Rasner, hat auch die Aufgabe, positive, vernünftige Vorschläge zu machen.
- Bisher habe ich von Ihnen nur gehört, daß Sie kritisiert haben, ohne Vorschläge zu machen.
Im übrigen wollen wir in bezug auf EWG-Verhandlungen einen Vergleich mit früheren Regierungen gern aushalten.
Zu den Verhandlungen in Luxemburg und Brüssel sind die Minister Schiller und Ertl gefahren. Sie sind mit Beschlüssen zurückgekommen, die ihren Vorstellungen und Anträgen entsprachen.
— Meine Damen und Herren, wir können ja einmal vergleichen. In der früheren Zeit, als Ihre Minister hinfuhren — womit sind die wiedergekommen? Sie kamen zurück mit Beschlüssen nach den Vorstellungen der Franzosen und der Kommission.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gleissner?
Bitte schön!
Herr Kollege Peters, Sie haben soeben von Frankreich gesprochen. Trifft es nicht zu, daß die Vorschläge, die unsere Vertreter mitgebracht haben, die deutsche Landwirtschaft schlechter stellen als die französische,
und ist es nicht so, daß Ihre Vorschläge wieder auf
den Weg der Subventionen zurückgehen, die Sie,
als Sie in der Opposition waren, bekämpft haben?
Herr Gleissner, bei den Franzosen ist eine Regelung für zwei Jahre erfolgt.
In diesen zwei Jahren können die Franzosen die auf Grund der Franc-Abwertung gegebene Preiserhöhung vollziehen und müssen sie sogar vollziehen.
Das hätte, adäquat auf uns bezogen — also wenn wir die französische Lösung gehabt hätten — bedeutet, daß wir in zwei Jahren eine Preissenkung ohne Ausgleich hätten durchführen müssen. Und was haben unsere Verhandler erreicht? Sie haben den vollen Ausgleich für vier Jahre ohne Degression erreicht.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 1l. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969 419
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dasch?
Bitte schön!
Herr Kollege Peters, sind Sie der Meinung, daß die Ablehnung des Grenzausgleichs für längere Zeit, beispielsweise auf zwei Jahre, wie bei den Franzosen, als Ergebnis der EWG-Ministerratstagung in Brüssel das war, was als Zielsetzung im Reisegepäck Ihres Herrn Landwirtschaftsministers Ertl gewesen ist?
Herr Ertl hat die Ansicht der Bundesregierung vertreten — —
— Herr Ertl hat mit Minister Schiller zusammen bei der ersten Verhandlung in Luxembung vorgeschlagen, zu einem Ausgleichssystem an der Grenze überzugehen. Mit dieser Forderung ist unsere Verhandlungskommission nicht durchgekommen.
— Meine Damen und Herren, in dieser Frage ist Ihre Fraktion gespalten.
Die eine Hälfte will die Ausgleichsabgaben, die andere Hälfte will um jeden Preis die EWG erhalten; und das können Sie nicht auf einen Nenner bringen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Reinhard?
Bitte sehr!
Herr Kollege, Sie haben soeben gesagt, Sie hätten den vollen Ausgleich erreicht. Bei der Grenzabgabe ist bei den Veredelungsprodukten nur die Inzidenz der Getreidepreise berücksichtigt. Wie soll es mit den anderen Verlusten werden? Das frage ich Sie?
Sogar der Deutsche Bauernverband hat die Berechnung von 1,7 Milliarden DM Schaden durch die Aufwertung als Summe akzeptiert. Diese Summe wird der deutschen Landwirtschaft gegeben, ich habe vorhin gesagt: zur Hälfte über die Mehrwertsteuer — die ist produktgebunden —, zur Hälfte über einen anderen Schlussei; und darüber können Sie sich ja auch einmal Gedanken machen, wie das am zweckmäßigsten und gerechtesten für die Landwirtschaft zu machen wäre.
Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Reinhard?
Bitte schön!
Herr Kollege, Sie haben meine Frage wahrscheinlich nicht ganz verstanden. Ich habe gefragt: Wie ist es jetzt bei dem Grenzausgleich? Da wird bei den Veredelungsprodukten nur die Inzidenz der Getreidepreise abgeschöpft. Ich habe Sie gefragt: Wollen Sie bei diesen Veredelungsprodukten dafür sorgen, daß da ein weiterer Ausgleich erfolgt?
Der Ausgleich erfolgt durch die Mehrwertsteuer genauso wie über eine Grenzabgabe, eine Abschöpfung; denn bei der Mehrwertsteuer erfolgt eine Erhebung der Einfuhrsteuer in gleicher Höhe.
Meine Damen und Herren, ich bitte, den Redner weitersprechen zu lassen.
Meine Damen und Herren, der Termin des 31. Januar
wird der deutschen Landwirtschaft nichts nützen. Im Gegenteil. Bis zum 31. Dezember wird die Koalition ihre Gesetzentwürfe in diesem Hause — und wir nehmen an, auch im Bundesrat — durchbringen, und dann wird der volle Ausgleich für die deutsche Landwirtschaft erfolgen.
Ich habe vorhin schon betont — ich will es am Schluß aber noch einmal sagen —, daß eine Regelung mit vollem Ausgleich ohne Degression für vier Jahre erzielt worden ist.
— Ich wiederhole, Herr Struve: mit vollem Ausgleich für vier Jahre. Wenn Sie das bisher noch nicht begriffen haben, werden wir uns im Ausschuß darüber unterhalten.
Wir sind jedenfalls der Meinung, daß bisher noch keine deutsche Bundesregierung so nachdrücklich für die Interessen der deutschen Landwirtschaft eingetreten ist wie die jetzige.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bewerunge?
Herr Kollege Peters, nachdem Sie Herrn Kollegen Struve darüber informiert haben, daß er die Sache immer noch nicht begriffen habe, darf ich Sie fragen, ob Ihnen nicht bekannt ist, daß nur nationale Hilfen im sozialen und strukturellen Bereich progressiv gegeben werden dürfen.
Nein, Herr Bewerunge, das ist ein Irrtum.
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420 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969
Peters
— Ich will meine Meinung zum Schluß genau definieren, damit wir nicht aneinander vorbeireden. Von den 920 Millionen DM, die als Barzuschüsse gegeben werden, wird ein Teil, und zwar 330 Millionen DM im ersten und 220 Millionen DM im zweiten Jahr,
über die EWG gezahlt. Diese degressiven Beträge, d. h. also im zweiten Jahr 110 Millionen DM, dürfen nach der Entscheidung der EWG nicht produktgebunden gegeben werden. Sie sollen vielmehr primär für den sozialen und strukturellen Bereich gegeben werden. So heißt es in dem Beschluß.
— Herr Bewerunge, können Sie sich nicht vorstellen, daß 110 Millionen DM in zwei Jahren für den sozialen Bereich absolut zum Nutzen der deutschen Landwirtschaft sind?
Das Wort hat Herr Bundesminister Professor Schiller.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich darüber gewundert, daß Herr Dr. Barzel in einem Anfall von Selbstkasteiung wieder von der Aufwertung angefangen hat.
— Lassen Sie mich doch einmal ausreden! — Herr Barzel war in Ihren Reihen derjenige, der gesagt hat: Nun laßt endlich die Vergangenheit in bezug auf diesen Punkt ruhen! Er wollte doch seinen Frieden machen mit jener Sache.
Heute aber hat er, ich möchte sagen, in einer vergröberten Weise diskutiert. Er hat ungefähr so diskutiert: Nicht die Pocken sind schuld, sondern die Pockenimpfung ist schuld. Das war die Argumentation von Herrn Barzel.
Sie wissen ganz genau, die einzige Tatsache, die zu bedauern ist, nämlich daß die Schutzimpfung gegen die importierte Inflation um ein halbes Jahr verzögert wurde, ist allein der CDU/CSU in der damaligen Bundesregierung zuzuschreiben.
— Lesen Sie ein Zitat von Herrn Dr. Kiesinger— ich weiß nicht genau, ob es stimmt — in der letzten Nummer des „Deutschen Nachrichtenmagazins" nach! Es betrifft die Aufwertungsfrage, in der Sie den „größten politischen Fehler gemacht" haben.
— Ich habe meinen Hinweis ja mit einem Fragezeichen versehen, Herr Dr. Kiesinger. Im übrigen fand ich Ihre Äußerung zutreffend und sehr passend.
Ich kann nur sagen, wenn Sie so weitermachen, muß ich die Politik der CDU/CSU als Opposition so bezeichnen:
Sie ist die Fortsetzung Ihrer Fehler, die Sie in der Regierung gemacht haben, für vier Jahre nun mit anderen Mitteln, weiter nichts.
— Das ist genau Ihre Linie. Machen Sie in den kommenden Jahren nur so weiter!
— Jetzt sind Sie aber sehr getroffen, Herr MüllerHermann. Dabei habe ich Sie überhaupt nicht gemeint.
Nun war die Rede von der Sorgfältigkeit oder der Sorgfalt der Vorbereitung auf der Regierungsseite. Dazu kann ich nur noch einmal klipp und klar sagen: wir haben schon etwa acht, Tage vor dem Beschluß vom 24. Oktober mit dem für den Einkommensausgleich für die deutsche Landwirtschaft zuständigen Kommissionsmitglied Fühlung genommen und unseren Standpunkt, Gewährung einer konstanten Hilfe, dargelegt. Weiterhin haben wir uns auch mit den übrigen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft in jenen Tagen ganz genau abgestimmt, Herr Höcherl. Wir haben bei den Konsultationen nur festgestellt, daß es bei jenen Ländern im Hinblick auf die Möglichkeit, daß sie dem deutschen Aufwertungsakt teilweise nachziehen, geheime, diskrete Schwellenwerte gab. Wahrscheinlich hätten wir selber um einen zweistelligen Satz aufwerten müssen; dann wären andere Länder mitgegangen. Das ist die Realität. Wollten Sie dieses Opfer, in der Aufwertung so weit zu gehen, der deutschen Wirtschaft zumuten? Das ist die Frage, Herr Höcherl.
Es sagt sich so leicht, die anderen Länder hätten mitgehen können. Wir können sie nicht zwingen. Wir wußten nur, daß sie von bestimmten Sätzen ab mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mitgehen würden. Aber wir hätten — wie gesagt — auf unserer Seite dann einen sehr viel höheren Satz nehmen müssen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969 421
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Höcherl?
Herr Bundesminister, wie beurteilen Sie das Verhalten der Benelux-Staaten im Währungsausschuß der OECD, die uns heute bittere Vorwürfe machen, weil unsere Aufwertung ihre Konjunktur auf dem Exportsektor anheizt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich halte diese Äußerungen für inkonsequent, denn diese Länder selber — —
— Sie sind noch nicht die harte Sprache gewöhnt, die Herr Ertl und ich jetzt — im Gegensatz zu früher - ständig in Brüssel pflegen.
Ich bin jetzt erstmalig — und zwar dreimal — im Agrarrat gewesen, und da ist es allerdings notwendig, daß das Gespräch sehr klar und sehr deutlich ist und daß es jedesmal einen landwirtschaftlichen Charakter nimmt. Und diesen Charakter hatte es auch.
Diese Länder haben die Aufwertung, wie Sie genau wissen, von sich aus sehr begrüßt. Aber sie wären erst bei einem sehr hohen Aufwertungssatz auf deutscher Seite mitgegangen. Herr Höcherl, wollen Sie das auf sich nehmen? Sie können ja hier eine Alternative nennen.
Reizen Sie mal international Wechselkursparitäten aus! Das einzige, was wir machen konnten, war diskret bilateral Fühlung zu nehmen. Diese Fühlungsnahmen haben wir vorgenommen. Wir haben bestimmte Ergebnisse bekommen, und danach haben wir uns gerichtet. Und da mußten wir auch auf einen anderen Teil der deutschen Wirtschaft, den Sie ja wohl auch nicht vernachlässigen wollen, Rücksicht nehmen, nämlich auf die Exportindustrie.
In Vorbereitung dieser Angelegenheit ist die Kommission gefragt worden, und auch die Mitgliedstaaten sind konsultiert worden. Ich kann deshalb überhaupt nicht verstehen, weshalb hier in diesem Hause eine solche Aufregung in bezug auf die Formen des Einkommensausgleiches für die deutschen Landwirte herrscht. Wir konnten — und das gehört mit zur Vorbereitung — auf zwei Modelle zurückgreifen, die im Mai dieses Jahres der listenreiche Odysseus, nämlich Hermann Höcherl, in seinem Landwirtschaftsministerium vorbereitet hatte: a) die Mehrwertsteuerregelung, b) den direkten Einkommensausgleich durch Auszahlung.
Ich füge sogar hinzu, es gehörte mit zur Sorgfaltspflicht auch des damaligen Ministers für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten, daß er diese Dinge —
übrigens zusammen mit dem Wirtschaftsminister —in zwei Modellen für den Fall des Falles vorbereitet hatte.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Höcherl?
Herr Bundesminister, ich verleugne ja gar nicht die Urheberschaft dieses Modells.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zweier Modelle!
Aber Sie nehmen eine Dreiteilung vor. Die Dinge sind ja so geregelt, daß Sie nur bis zu 3 % gegangen sind,
und ich frage Sie: Nach welchem Maßstab soll der zweite Teil, und zwar der größere Teil — 930 Millionen DM —, ausgeglichen werden? Das ist doch die Frage, die offen ist. Darauf habe ich noch keine Antwort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Höcherl, darf ich Ihnen eins sagen: Sie geben doch zu, daß beide Modelle, Mehrwertsteuerregelung und direkter Einkommensausgleich durch Zuschüsse, in Ihrem Haus sehr kollegial mit den Mitarbeitern meines Hauses im Mai erarbeitet worden sind.
— Ich danke sehr für diese Zusage.
Da sehen Sie, wie leicht Ihre Hand war, sehr leicht, Herr Barzel, als Sie von einer schlechten und ungenügenden Vorbereitung sprachen, — in diesem Punkte!
— Ich glaube, Sie waren nicht dabei, als ich beide Wege, der Vor- und der Parallelkonsultation, geschildert habe. Ich weiß nicht, ob Sie das mitbekommen haben.Meine Damen und Herren, wir haben in den Verhandlungen in Luxemburg und in Brüssel zuerst die 1,7 Milliarden DM erreicht. Das ist keine Erfindung dieses Hauses. Herr Höcherl weiß ganz genau, daß es Schätzungen über den Einkommensverlust bei den Landwirten zwischen 180 und 220 Millionen DM pro Prozent des Aufwertungssatzes gab. Wir haben schon am 25. Oktober erreicht, daß Kommission und Rat den 200 Millionen DM zustimmten, und von da ab waren bei dem Aufwertungssatz von 8,5 % 1,7 Milliarden pro Jahr die feste Rechengrundlage für den Einkommensverlust der deutschen Land-
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422 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969
Bundesminister Dr. Schillerwirte. Die Kommission und andere Länder, Herr Höcherl, haben bis vor wenigen Tagen diese 1,7 Milliarden DM anknabbern wollen: im ersten Jahr nur mit einem annähernd so großen Betrag, der dann degressiv abfallen sollte. Ich bin der Meinung, wir haben für die vier Jahre ein gerade Furche gezogen, wie Edmund Rehwinkel es gesagt hat. Wir haben eine konstante Summe Jahr für Jahr erreicht, und dafür sollte auch die Opposition denjenigen, die von der Regierung aus in Brüssel darum gekämpft haben, gratulieren und das nicht heruntermachen.
Im übrigen haben wir noch eine kommunautaire Teilfinanzierung, über die hier überhaupt nicht gesprochen wurde, erreicht. Sie ist auch ganz schön.Schließlich haben wir darum gekämpft, daß bei der Mehrwertsteueregelung, die ja ein rein fiktiver Vorsteuerabzug ist, genau die Leistung — produktbezogen — des einzelnen Landwirts zugrunde gelegt wird.
Das sind die 780 Millionen DM; die sind produktbezogen und entsprechen gewissermaßen dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung. Der andere Teil, die 920 Millionen DM, sind nach Maßstäben der allgemeinen Agrarpolitik den Landwirten als direkte Beihilfe zuzuführen. Das Gesetz selbst ist sehr klar und einfach, es ist sehr marktwirtschaftlich. Diese Dinge im Detail zu regeln obliegt im übrigen den Durchführungsbestimmungen, die wir zusammen mit Brüssel erlassen müssen. Auch dort — Herr Ertl wird Ihnen nachher noch darüber Auskunft geben — sind wir im Gespräch.Meine Herren von der Opposition, was ist denn Ihre Alternative?
Sie polemisieren gegen die Mehrwertsteuerregelung, obgleich man im Hause Höcherl einmal dafür war.
Außerdem gibt es die direkten Beihilfen. Was gibt es denn noch für eine Alternative? Es gibt nur eine einzige daneben,
und das ist die Abschöpfung an der Grenze und die Ausfuhrerstattung, jawohl Herr Struve! Das heißt, daß wir ein neues Zollsystem für alle Produkte der deutschen Landwirtschaft um die Bundesrepublik legen, und zwar nicht à la française begrenzt auf zwei Jahre, sondern bis in alle Ewigkeit. Das war die Alternative. Herr Ertl und ich haben diesen Grenzausgleich in Brüssel als Punkt Nr. 1 beantragt. Er wurde uns abgelehnt, und zwar mit dem Argument, über das auch Ihre hohen Europäer einmal nachdenken sollten: ein solches Grenzausgleichssystem ad infinitum würde nach der Meinung der Mehrheit des Rates und der Kommission einen weiteren Zerfall des gemeinsamen Agrarmarktes bedeuten, nunmehr in drei Teile. Bitte, machen Sie es mit sich selber aus, ob ein solches System mit den europäischen Vorstellungen, die Sie haben, vereinbar ist. Ich selber kann nur noch einmal betonen, Herr Struve, wir haben einen halben Tag darum gekämpft.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Struve?
Herr Bundesminister, würden Sie mir zustimmen, daß es richtiger wäre, statt „bis in alle Ewigkeit" zu sagen: „bis zur Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion", und würden Sie mir zweitens zustimmen, daß auch die Agrarpolitik zusammenbrechen muß, wenn der eine der größten Partner ab- und der andere aufwertet und auf diese Art und Weise für die beiden nationalen Landwirtschaften zwangsläufig Preisunterschiede von 20 und mehr Prozent entstehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Struve, wir sehen die Probleme durchaus. Bloß, die Sorgen der anderen Länder gehen jetzt in anderer Richtung. Die Sorgen der anderen Länder — Herr Ertl kann das sehr viel besser darstellen als ich — gehen dahin, daß durch den dreiprozentigen Vorsteuerabzug bei unserer Mehrwertsteuer für unsere Bauern ein Preisvorsprung gegenüber anderen Konkurrenten entsteht. Ich erwähne das nur.
Im übrigen glaube ich, Sie selber wissen es: wir haben für vier Jahre — damit haben Sie mir ein Argument gegeben — die 1,7 Milliarden DM Jahr für Jahr gesichert unter den Voraussetzungen, die ich aufgezeigt habe. Ich darf dabei noch hinzufügen: Sie müssen einmal zur Kenntnis nehmen, daß die 920 Millionen DM zum erstenmal in der Geschichte dieser Bundesrepublik als Bestandteil der mittelfristigen Finanzplanung für vier Jahre gesetzgeberisch gesichert sein sollen. Dies soll festgenagelt werden. Ich hoffe, Herr Struve, Sie unterstützen uns dabei.
— Ich glaube, ich muß wirklich meine Zeit einhalten; ich komme immer mehr dazu, sie zu überschreiten. Ich glaube, das werden Sie verstehen.
Herr Struve, Sie haben nicht das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe Sie leider nicht ganz verstanden; aber ich glaube, wir haben unseren Disput schon genügend weit geführt.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969 423
Bundesminister Dr. SchillerIch darf hinzufügen, wir haben die Umstellung der Zahlungen an die Landwirte auf die Haushaltsjahre erreicht und damit in Brüssel ein Jahr mehr erlangt. Es bestand nämlich vorher ein anderer Plan. Jetzt geht es bis zum 31. Dezember 1973. Das sind ab 1. Januar volle vier Jahre. Da sind wir nun allerdings der Meinung, diese vier Jahre sollten genügen, Herr Barzel und auch Herr Struve, um auf dem Gebiete der Währungs- und Wirtschaftspolitik jene Konvergenz herbeizuführen, die wir alle wünschen. Vier Jahre haben wir jetzt Zeit mit dieser guten absichernden landwirtschaftlichen Regelung. Daß wir das nicht von heute auf morgen bekommen, ist selbstverständlich.
— Wir haben ja keine Lust aufzuwerten. Bloß — ich habe das anderen Ländern gesagt — wenn die Vertreter anderer Länder nach zwei, drei Jahren, ohne rot zu werden, im Rat mit 8 % Preissteigerung pro Jahr erscheinen, wie wollen Sie, Herr Barzel, dann hier in der deutschen Bundesrepublik das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz erfüllen?
— Nein, Ihr Antrag ist ein billiger Jakob mit dieser Verlängerung der geltenden Übergangsregelung um einen Monat.
Die bisherige Übergangsregelung — aus Ihrem Kreise kamen dazu die Zwischenfragen der Fachleute — ist keineswegs befriedigend. Sie ist kein volles Abgaben- und Ausfuhrerstattungssystern, Herr Struve; das wissen Sie doch. Nun wollen Sie das noch um einen weiteren Monat verlängern. Seien Sie doch froh, daß am 1. Januar, mit Beginn des neuen Haushaltsjahres, die von Brüssel eingesegnete Regelung des vollkommenen aufwertungsbedingten Einkommensausgleichs in Kraft tritt! Das ist doch der Sinn der Sache. Deswegen nützt der Monat gar nichts.Im übrigen haben wir betont, dieses Haus und der Bundesrat sind in ihren Entscheidungen beide souverän. Sie können die Mehrwertsteuerregelung annehmen, sie können sie verändern, sie können die Ausgaben für direkte Beihilfen, die wir vorgeschlagen haben, annehmen oder verändern. Das liegt in Ihrer Hand, und auch Ihr Zeitbedarf ist Ihre souveräne Entscheidung. Ich selber habe darum gekämpft. Ursprünglich wollte man uns in Luxemburg nur bis zum 10./11. November und bis zum 8. Dezember Zeit geben. Jetzt haben wir es auf den 31. Dezember gebracht.Herr Barzel, es tut mir leid. Sie sprechen so leichthin von der Politik der leichten Hand. Nein, nein, wir haben es uns sehr schwer gemacht, mit der Sache selber und in Brüssel. Wir haben sehr darum gekämpft. Sie von der CDU/CSU sind in der Gefahr, in eine Opposition des Leichtgewichts hineinzugeraten. Das möchte ich Ihnen doch mal sagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Höcherl.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Einige wenige Anmerkungen zu den Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers.
Es ist richtig, daß ich einen solchen Vorschlag in meinem Hause ausgearbeitet habe, aber nicht freiwillig, sondern weil ich mußte.
Das war ja das währungspolitische Damaskus des Herrn Professor Schiller im März und April dieses Jahres.
Er hat in seiner währungspolitischen Auffassung eine Schwenkung um 180 Grad vorgenommen. Da war es angesichts der heraufkommenden Gefahr allerhöchste Zeit für mich, zu überlegen, wie man so etwas machen könnte.
Dann haben wir diesen Vorschlag gemacht. Aber ich bekenne heute wie damals: Das ist etwas Schlechtes, eine Krücke, ein ganz unzulängliches Instrument. Das habe ich gesagt, und dazu stehe ich. Auch mit der schönen Einleitungsfloskel „listenreicher Odysseus" möchte ich nicht an Folgen einer währungspolitischen Entscheidung gebunden sein, die wir nicht gewollt haben, die aber heute Tatsache ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Herr Kollege, Sie haben eben von den Zeichen gesprochen, die Sie im März und April veranlaßt hätten, Vorsorge zu treffen. Dachten Sie dabei vor allem oder auch an jenen 28. April mit den Zeichen, die vom damaligen Bundesminister der Finanzen öffentlich gegeben worden sind — über 8 bis 10 % —, wenn auch nicht direkt in dieser amtlichen Eigenschaft?
Nein, der damalige Bundesminister der Finanzen hat nur erklärt: Wenn man überhaupt etwas tun sollte, dann müßte es in diesem Ausmaß geschehen.
Aber er war der Meinung, daß andere Maßnahmen angebracht gewesen wären. Es gibt im Rahmen des Stabilitätsgesetzes eine ganze Serie von Instrumenten, die es möglich gemacht hätten, eine jederzeit
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424 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969
Höcherlreversible außenwirtschaftliche Sicherungsmaßnahme und auch konjunkturelle Dämpfungsmaßnahmen durchzuführen.
Herr Stücklen möchte eine Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Höcherl, ist Ihnen noch in Erinnerung, daß der damalige Bundesfinanzminister Strauß in München darauf hingewiesen hat, daß das Ausland von uns eine Aufwertung in dieser Größenordnung erwartet, daß 'er aber niemals von sich aus eine solche Größenordnung für richtig gehalten hat, wie er auch die einseitige Aufwertung immer für falsch gehalten hat?
Höcherl (CDU/CSU) : Das trifft zu.
Nun noch einige wenige Bemerkungen zu dem Ergebnis. Ich bestreite gar nicht, daß Sie sich in Brüssel angestrengt haben. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die Anstrengungen anderer Leute ohne weiteres in Frage stellen. Aber was ist herausgekommen? Wir haben eine Dreiteilung, einmal eine kommunitäre Beihilfe, die geringer ist als der ursprüngliche Kommissionsvorschlag. Wir haben zweitens eine Mehrwertsteuerformel mit 3 %. Wenn ich richtig unterrichtet bin, wollte der Herr Bundeslandwirtschaftsminister einen höheren Satz, und der ist ihm nicht zugebilligt worden. Die Gründe sind mir unbekannt. Vielleicht erfahren wir etwas darüber. Der dritte, größte Posten mit 930 Millionen DM steht noch offen. Wenn die Gerüchte stimmen, wie man hört, dann ist es so, daß Sie eine Flächensubvention geben wollen. Damit begeben Sie sich auf einen ganz gefährlichen Weg. Das wollte ich Ihnen sagen.
Das Wort hat der Bundesminister Scheel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwei Redner der Oppositions-Fraktionsgemeinschaft,
kongenial, aber jeder in seiner Art, haben hier heute vormittag den Eindruck zu erwecken versucht, als hätten sie das ganze geistige Potential ihrer Fraktion mobilisiert, um uns, der Regierung, einen sensationellen Hinweis zu geben, was wir in Den Haag beraten könnten. Ja nun, darauf sind wir wohl selber gekommen, meine verehrten Damen und Herren, daß die Agrarpolitik, die Agrarfinanzierung, die Wirtschaftspolitik und die Währungspolitik in der EWG eng zusammenhängen. Da brauchten wir Ihre „hilfreichen Erwähnungen" heute morgen überhaupt nicht.
— Auf das Unterstützen komme ich nachher noch. Natürlich ist es so, daß die Landwirtschaftspolitik in der EWG in einem engen Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Währungspolitik steht, auch in der Vergangenheit! Denn vergessen Sie doch nicht, meine Damen und Herren, daß die Abwertung des französischen Franken, die den ersten Bruch des gemeinsamen Marktes auf dem Gebiete der Landwirtschaft herbeigeführt hat, nicht zuletzt in der Haltung der Bundesregierung zur Aufwertungsfrage begründet gewesen ist.
— Das werden Sie ja wohl nicht leugnen können.
Wenn wir vorher Maßnahmen getroffen hätten, dann wäre die französische Maßnahme eine andere gewesen, wenn überhaupt eine erforderlich gewesen wäre, wenn wir ein Jahr vorher etwas getan hätten.
— Dies war immer unsere Meinung.
— Nun gut, Sie mögen auf Äußerungen des Bundeswirtschaftsministers hinweisen, der damals an die Regierungsentscheidungen gebunden war, vom Herbst des vorigen Jahres nämlich. Wie er in seinem Herzen gedacht hat.
— wenn man im Herzen überhaupt denken kann —, das wissen wir nicht.
Meine Damen und Herren, ich will sagen, daß die Wirtschaftspolitik und die Konjunkturpolitik in der Gemeinschaft mit dem gemeinsamen Agrarmarkt zusammenhängen. Denn die Franzosen können nur dann hoffen — und das ist eben hier richtig gesagt worden —, in zwei Jahren wieder an den gemeinsamen Agrarmarkt heranzuwachsen, wenn die allgemeine Konjunkturpolitik in den beteiligten Ländern in dieser Zeit nicht weiter auseinanderläuft. Ich gebe dem Redner recht, der gesagt hat: Wenn es nötig sein wird, daß die Franzosen in zwei Jahren wieder abwerten und wir in zwei Jahren möglicherweise vor der Entscheidung stehen, weiter aufzuwerten, weil die Konjunkturpolitik in den Ländern auseinanderläuft, dann gibt es keine Chance, daß der gemeinsame Agrarmarkt wieder zustande zu bringen ist, der jetzt zweifellos gestört ist. Weil das so ist, werden wir natürlich auf der Gipfelkonferenz in Den Haag dieses wichtige Problem zu besprechen haben, nicht nur das, auch die damit zusammenhängenden technischen, währungspolitischen Möglichkeiten innerhalb der EWG.Insoweit, meine Damen und Herren, decken wir uns in unserer Zielrichtung. Aber das war nicht unbekannt. Deswegen bedurfte es keines weiteren Anstoßes mehr.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969 425
Bundesminister ScheelIch habe ja in den letzten Wochen nichts anderes gesagt als das.
— Ich komme darauf, Herr Rasner. Ganz zum Schluß werde ich etwas zum „Dankeschön" sagen. Das war also keine besonders notwendige Ermahnung an die Regierung.Was den zweiten Punkt angeht, so entsteht doch allerdings hier in der Debatte der Eindruck, als wollte man das noch ein bißchen hinausschieben, weil die Agrarpolitik in der EWG bis dahin in einer besseren Weise geregelt sein könnte.
— Ja, das habe ich alles gehört. Herr Kollege Höcherl hat auch darauf hingewiesen.Verehrter Herr Kollege Höcherl, was Sie in vielen Jahren Ihrer eigenen Verantwortung nicht zuwege bringen konnten — Sie sehen, wie vorsichtig und freundschaftlich ich das alles formuliere: nicht zuwege bringen konnten —, das kann man jetzt nicht in wenigen Wochen oder Monaten nachholen, wiewohl die jetzige Bundesregierung schon einen guten Schritt des Weges vorwärtsgekommen ist. Auch das wird Gegenstand der Verhandlungen in Den Haag sein. Insoweit können Sie völlig beruhigt sein, daß die Interessen der Landwirtschaft in ben Haag in vollem Umfang gewahrt werden.Es wäre hilfreich gewesen — um einen sehr populären Ausdruck zu verwenden —, wenn Sie Ihre ganze Anstrengung darauf hätten konzentrieren können, in der jetzigen Debatte konkrete Möglichkeiten einer neuen Agrarpolitik in der Gemeinschaft schon anzumelden. Aber das ist ja völlig unterblieben. Was Sie hier getan haben, ist nicht in erster Linie hilfreich, wohl auch nicht so gedacht, sondern es entsprach Ihrem aktuellen Bedürfnis, in den Kreisen der Landwirtschaft etwas Propaganda zu betreiben.
Das Wort hat der Abgeordnete Ehnes.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die neue Regierung scheint mit zwei Zungen zu sprechen. Der Herr Außenminister hat soeben erklärt, wir hätten diesen Hinweis und diese gute Unterstützung im Hinblick auf die EWG-Gipfelkonferenz nicht gebraucht. Gleichzeitig spricht der Herr Bundeswirtschaftsminister vom billigen Jakob. Daraus kann man schließen, wie die Landwirtschaft beim Bundeswirtschaftsminister in Wirklichkeit eingestuft ist.
Herr Wirtschaftsminister Schiller erklärt hier, es sei jetzt eine Furche gezogen worden, eine Furche, die es vier Jahre lang gibt. Ich sage dazu, es ist ein Graben aufgerissen worden, über den die deutsche Landwirtschaft nicht hinwegkommt, weil man der
deutschen Landwirtschaft heute etwas zumutet, was niemand einem Nichtschwimmer zumutet: daß er ins Wasser springt, ohne daß er schwimmen kann. Das beste Faustpfand haben Sie aus der Hand gegeben, bevor die Verhandlung begann: die D-Mark.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wehner?
Was in Brüssel beschlossen worden ist, sollte die Bundesregierung nicht mit Stolz erfüllen, sondern sie sollte in aller Demut hier feststellen
— in aller Demut hier feststellen —, daß ein Teil der deutschen Landwirtschaft den Verlust von 8,5 % an der Grenze nicht mehr ausgeglichen bekommt und daß sie auf der anderen Seite Einkommensverluste von 20 °/o hinnehmen muß.
— Märchen gibt es im Deutschen Bundestag, in erster Linie von der FDP-Fraktion vorgespielt, weil die Beschlüsse von Brüssel in Wirklichkeit Preissenkungen um 20 % und nichts anderes bedeuten.
Herr Kollege Ehnes, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Peters?
Bitte sehr!
Herr Kollege Ehnes, bietet sich Ihnen nicht auch ein Vergleich an: wie der Bundeswirtschaftsminister Schiller in Brüssel und in Luxemburg für die deutsche Landwirtschaft eingetreten ist und wie auf der anderen Seite der frühere Minister Schmücker, der Ihrer Fraktion angehörte, die deutsche Landwirtschaft 1964 verschaukelt hat?
Herr Kollege Peters, die heutigen Ausführungen beweisen, daß der Glaube, auch andere Staaten in der Gemeinschaft wollten eine Aufwertung durchführen, in einen Aberglauben verwandelt worden ist, weil kein Staat nachgezogen hat. Deswegen ist dieser Alleingang für die deutsche Landwirtschaft tödlich und in der Praxis unrealisierbar, auch was die eben hier aufgezählten Wege zur Verteilung der Mittel anlangt.
Wer die deutsche Landwirtschaft ernst nimmt — und das zu Ihnen, verehrter Her Apel, gesprochen —, braucht sich hier nicht belehren zu lassen, daß diese Ausgleichszahlung ein unverzichtbares Element der deutschen Agrarpolitik ist. Daß man diesen Teil der Gesellschaftspolitik nicht anders behandelt als die anderen Bereiche, das machen wir zum unverzichtbaren Element und nicht den Ausgleich!
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426 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969
EhnesWenn wir heute glauben — und Sie glauben es, Herr Peters —, daß die deutsche Landwirtschaft diese Regelung abnehmen wird, dann kann ich Ihnen nur sagen: Denken Sie an die Reden, die Sie gehalten haben; denken Sie an Ihr Programm, das Sie in ganz Deutschland verschickt haben, in dem Sie kostenorientierte Preise wollen und in dem Sie auf der anderen Seite die Verbilligung der Bedarfsartikel anstreben. Das ist der Anfang vom Ende, aber kein Anfang zu dieser Regelung, zu der wir unsere Zustimmung geben, deshalb wollen wir die Gipfelkonferenz.
Es ist vorhin gesagt worden, der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Dr. Barzel, mache hier eine Politik der leichten Hand. Meine Damen und Herren, ich weise diese Ausführungen zurück, weil er in seiner Verantwortung als Oppositionsführer hier das Recht hat, für diesen Teil, der den Schaden nun auf den Rücken bekommt, einzutreten. Wir danken Dr. Barzel dafür, daß er hier gesprochen hat!
Wenn in dieser Auseinandersetzung endlich die Karten in der Form auf den Tisch gelegt worden sind, daß man mit Sozial- und Strukturmaßnahmen versucht, der deutschen Landwirtschaft eine Hilfestellung zu gewähren, dann, so möchte ich sagen, verdient in dieser heutigen Auseinandersetzung diese Wahrheit unsererseits eine sehr genaue Überlegung; denn in dieser Überlegung der Sozialdemokratischen Partei liegt die von uns schon lange erkannte Tendenz, die deutschen Landwirte zu Sozialhilfeempfängern und Staatsrentnern zu machen.
— Zu Staatsrentnern zu machen! Wenn Sie — —
Herr Abgeordnete Ehnes, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Fellermaier?
Bitte sehr!
Bitte schön, Herr Abgeordneter!
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Fellermaier!
Herr Kollege Ehnes, glauben Sie, daß es im Interesse Ihres eigenen Berufsstandes liegt — Sie sind einer der Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes —,
wenn sie hier einer Partei, die in den praktischen Beratungen über die Fragen der Agrarpolitik seit vielen Jahrzehnten konstruktiv mitgearbeitet hat, in einer Art und Weise begegnen, wie es der Würde dieses Hauses nicht entspricht?
Herr Kollege Fellermaier, dazu darf ich bemerken, daß ich hier als Mitglied des Deutschen Bundestages spreche und nicht als Präsident einer berufsständischen Organisation.
Ich möchte Ihnen aber genau antworten: Ich möchte auch einen Mann, der in einer berufsständischen Organisation Verantwortung trägt, nicht anders bewerten, als wenn ein Mitglied Ihrer Fraktion hier als Gewerkschaftsmitglied auftritt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, dieses Hohe Haus sollte die Anregung des Außenministers aufgreifen, der nämlich direkt unseren Antrag unterstützt hat und die Gipfelkonferenz als die Möglichkeit dargestellt hat, die Anfang Dezember im Bereich der Agrarpolitik das für uns Notwendige durchführen könnte. Ich wäre deshalb dankbar, wenn nicht nur der Außenminister diese Anerkennung gegenüber dem Antrag der CDU/CSU zum Ausdruck brächte, sondern wenn auch die Freie Demokratische Partei, die die Revision der Agrarpolitik verkündet hat, an dieser Gipfelkonferenz mitwirkte und unseren Antrag unterstützte.
Das Wort hat der Bundesminister Ertl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Ehnes hat in der ihm eigenen Art dieser Debatte eine besondere Note gegeben,
wobei er ein großes Bekenntnis abgelegt hat, nämlich daß er in der Lage ist, zwei verschiedene Formen von Agrarpolitik zu vertreten: die des Bauernverbandspräsidenten und die des CDU/CSU-Abgeordneten. Das ist ein sehr bemerkenswertes Eingeständnis. Ich muß hier in aller Form und Deutlichkeit sagen: vor dieser Art von Politikern sollte sich die deutsche Landwirtschaft in Zukunft hüten.
Das ist schlichtweg das, verehrter Kollege Ehnes, was Sie glaubten einigen Vorrednern ins Stammbuch schreiben zu müssen; das gebe ich Ihnen jetzt zurück. Bei uns ist die Sprache immer deutlich und deshalb verständlich. Sie sagten, man spreche mit
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Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969 427
Bundesminister Ertlzwei Zungen. Sie haben sich hier selber zu den zwei Zungen bekannt, und das ist für dieses Hohe Haus und fürs Protokoll sehr wichtig.
Ich möchte dazu noch etwas Besonderes sagen. Ich glaube, in Demut Politik zu machen ist für uns alle Verpflichtung. Aber, verehrter Kollege Ehnes, für die CDU/CSU-Agrarpolitik — das sage ich, der ja zu den Rechtgläubigen in diesem Hohen Hause gehört —
scheint es mir sehr notwendig zu sein, langsam Gewissensforschung zu treiben, Reue zu zeigen und Buße zu tun.
Ich hätte dies alles nicht gesagt, wenn nicht in dieser Form hier begonnen worden wäre, Kollege Ehnes; das muß ich hier in aller Deutlichkeit feststellen.
— Von Ihnen, Herr Ehnes, damit Sie es genau wissen.
Seit Übernahme meines Amtes — — Kollege Höcherl!
Herr Bundesminister, erinnern Sie sich noch, daß Sie während der Aussprache zur Regierungserklärung hier am gleichen Platze, an dein Sie heute sprechen, erklärt haben, Sie hätten die CDU/CSU-Agrarpolitik, die wir damals eingeleitet haben, unterstützt und für richtig gehalten? Und seit 14 Tagen hat sich Ihr Bild auf diesem Sektor vollkommen gewandelt.
Nein, Herr Kollege Höcherl, ich unterscheide — das werden Sie jetzt merken — Ihren Diskussionsbeitrag sehr von dem des Kollegen Ehnes; das ist nämlich ein Unterschied.
Eines muß ich auch zu dem Beitrag des Kollegen Barzel und zu allen anderen sagen: ich bekenne, daß es Ihr gutes Recht ist, solche Anträge zu stellen. Es ist unsere Pflicht, einen solchen Antrag so gewissenhaft wie nur gerade möglich zu erfüllen. Nur die Tonart und die Selbstgefälligkeit, mit der durch Herrn Kollegen Ehnes eine Position eingenommen worden ist, lasse ich auf die Dauer im Interesse der Landwirtschaft nicht zu.
— Das werde ich Ihnen schon sagen. Sie wollen mich wieder nicht zur Sache kommen lassen! Bitte sehr, wenn Sie wollen, wir können die Neuauflage beginnen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Dr. Stark?
Herr Minister Ertl, sind Sie dann auch der Meinung, daß es nicht angeht, wenn Ihr Ministerkollege Schiller diesen Antrag hier als „billigen Jakob" abtut?
Hier muß ich Ihnen sagen, daß Sie Herrn Kollegen Schiller mißverstanden haben.
— Sie wollen offensichtlich schon wieder nicht zuhören. Wir können uns an diesen Stil gewöhnen, wir haben Zeit.
Herr Kollege Schiller meinte das bezüglich der vier Wochen. Wenn Sie gesagt hätten: Ein Jahr, dann würde ich sagen: gut, versuchen wir, die Sache ein Jahr hinauszuschieben. Ich betone allerdings, dann übernehmen Sie alle unerledigten Fälle für den Verarbeitungssektor. Der Kollege Höcherl weiß, daß ich mich sehr bemüht habe, all die unerledigten Fälle aus der Wechselkursfreigabe langsam hereinzubekommen einschließlich Hähnchen und Geflügel. Sie wissen, wie schwierig das ist. Wenn Sie das natürlich weiter verlängern wollen, nicht nur zu Lasten der Konservenindustrie, sondern auch zu Lasten der Geflügelschlachtereien und der Erzeuger — bitte sehr, darüber können wir uns unterhalten. Aber dann sollten Sie nicht sagen, daß ich das im Schutzinteresse mache, sondern dann müssen Sie zugeben: ich bin hier dabei, das, was in der Wechselkursfreigabe nicht erledigt worden ist, mühsam bei der Kommission nachzuholen. Und das ist gar nicht so leicht; das wird mir der Kollege Höcherl bestätigen.
Ich betone noch einmal — und deshalb habe ich mich eigentlich zu Wort gemeldet —, wenn nicht die Diskussion so verlaufen wäre, hätte ich geschwiegen. Aber ich bin schon der Meinung, daß man für Klarheit und Wahrheit sorgen soll.Im übrigen habe ich zuvor das „Spiegel''-Zitat bezüglich der Aufwertung gelesen. Ich möchte den Kollegen der CDU/CSU empfehlen, dieses „Spiegel"-Zitat des Herrn Bundeskanzlers a. D. Kiesinger nachzulesen.
Das ist nicht meine Aufgabe. Aber ich will Ihnen einmal sagen, in welcher Situation ich mich in meinem Amt befnde. Ich fühle mich in der Zwangslage, aus einem Konkurs ein Vergleichsverfahren zu machen.
Mit unserem Beschluß in Brüssel sind wir schon ein klein wenig zu einem Vergleich hingekommen.
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428 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969
Bundesminister Ertl— Ja, das will ich Ihnen gleich sagen, Herr Stücklen.
— Ich weiß allmählich nicht mehr, wer in der letzten Zeit in der Regierung war. Herr Stücklen, ich komme mir langsam so vor, als ob die FDP seit 1949 die absolute Mehrheit gehabt hätte.
So komme ich mir langsam hier vor. Aber ich bin bereit, -Sie bei der Gewissenserforschung und der Vergangenheitsbewältigung hilfreich zu unterstützen.Ich betrachte den Antrag als sehr hilfreich; denn in der Tat müssen wir die Fehler wiedergutmachen, die dieses Haus und die deutsche Landwirtschaft immer noch aus der Hallstein-Zeit in Brüssel zu begleichen haben.
Ich wäre sehr dankbar, wenn die CDU/CSU endlich einmal mit der Hallstein-Zeit geschichtlich fertigwerden würde.
Damit komme ich zu einem grundsätzlichen Problem, das ebenfalls die Hallstein-Zeit berührt. Ich könnte jetzt fragen: wer hat denn das eigentlich zu verantworten? Welcher Fraktion in diesem Hohen Haus gehört der frühere Präsident an?
— Nein, das ist gar keine Demagogie, sondern das sind Fakten, verehrter Herr Kollege. Aber ich weiß: Wahrheit tut weh. Ich werde jedoch in diesem Haus für Wahrheit sorgen.
— Ich kann nur Fakten feststellen. Ich kann nur sagen, daß ich die Fehler auszubügeln habe, die aus der Hallstein-Zeit herrühren. Wir können ja die Protokolle aufschlagen und nachlesen. — Verehrter Kollege Stücklen, Sie wollen wieder gern reizen. Bitte sehr, setzen wir das fort. Wenn Sie so wollen, machen wir Neuauflage. Das können wir ruhig tun, und Herr Ritz soll sich noch sehr viel notieren. Sie werden sehen, in diesem Haus werden wir für Klarheit und Wahrheit sorgen. Wir können aufgreifen, was in diesem Hause immer gesagt worden ist —Herr Kollege Ehnes, das haben Sie vergessen -: Für Europa sind wir bereit große Opfer zu bringen. Ich habe dazu immer gesagt: nur nicht allein zu Lasten der deutschen Landwirtschaft. Das war der Unterschied zwischen uns.
Ich frage Sie, warum hat denn die Bundesregierung und warum hat denn die CDU nicht früher die Möglichkeit ergriffen, z. B. das, was ich als Oppositionssprecher der FDP immer vorgeschlagen habe,nämlich den Art. 40 in der Form auszulegen, wie es möglich gewesen wäre: a) gemeinsame Wettbewerbsregeln, b) bindende Koordinierung der verschiedenen einzelstaatlichen Marktordnungen, c) eine europäische Marktordnung? Ich sage Ihnen, angesichts der jetzt entstandenen Situation wäre das viel klüger gewesen. Es gab sogar Leute, die es hier in diesem Hause schon einmal gesagt haben und das auch in der Öffentlichkeit vertreten haben. Nur wurde ihnen dann in bösartiger Form unterstellt, sie seien keine Europäer, und ich habe immer gesagt, es ist ein Unterschied, ob Europa in Marktordnungen besteht oder in dem Willen zu einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Das ist doch ein großer Unterschied.
Ich frage Sie, warum ist dieser Weg nicht beschritten worden, und wer trägt dafür die Verantwortung? Es war doch klar, meine verehrten Freunde aus der Opposition. Ich bitte Sie, das wirklich ganz sachlich und nüchtern zu überlegen. Jetzt müßten wir mal eine Bilanzdebatte machen. Es war klar, daß wir uns— besonders ich — permanent in einem Zwang befinden, und zwar in einem solchen Ausmaß und in einer solchen Form, daß ich gar nicht dazu komme, mich grundlegend mit der Problematik auseinanderzusetzen. Das geschieht aber doch nicht deshalb, weil ich diese Politik eingeleitet habe, sondern weil ich hier vollziehen muß, was andere mir aufgebürdet haben.
— Dann will ich Ihnen hier einmal sagen, verehrter Herr Kollege Stücklen, die Aufwertung ist ein Thema, das seit Mai zur Diskussion stand. Sie haben noch in der Koalition gestanden, als die Wechselkurse freigegeben wurden. Sie können sich nicht aus dieser Verantwortung einfach herausmogeln; das ist doch eine Politik gegen die Wahrheit.
Ich frage mich wirklich, warum man nicht früher meine Gedanken aufgegriffen hat, die ich immer wieder zur Diskussion gestellt habe, insbesondere die Auffassung, daß der Grüne Dollar nicht zu halten ist, wenn es nicht zu einer Wirtschafts- und Währungsunion kommt. Ich frage mich, welche Fortschritte wurden in der Zeit gemacht, als Sie die Verantwortung trugen? Ich will es ganz deutlich ansprechen: inzwischen sind gewisse nationale Vorteile europäischer Besitzstand geworden. Das macht die Fortentwicklung dieser Politik außerordentlich schwierig, weil es hier nicht um Europa geht, sondern um den Besitzstand, sei es am deutschen Markt oder an der D-Mark. Das ist die Problematik, vor der wir stehen und die die Verhandlungen in Den Haag sicherlich nicht leicht gestaltet. Aber diese Bilanz muß einmal hier gemacht werden. Meine Herren, da können Sie sich aus der Verantwortung wirklich nicht herausreden, sonst sind Sie einfach nicht glaubwürdig. Das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen.Ich darf nunmehr zu einigen weiteren Bemerkungen etwas vortragen. Es wurde darauf hingewiesen,
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Bundesminister Ertldaß die Grenzabgabe die bessere Möglichkeit gewesen wäre. Ich sage offen, ich habe auch dafür gekämpft; Kollege Schiller hat mich dabei unterstützt. Allerdings muß ich Ihnen, meine verehrten Damen und Herren von der Opposition, auch folgendes sagen. Wir stehen ja in einer permanenten Zwangssituation. Ich habe die Verkürzung der Übergangsfristen auch nicht beschlossen und auch nicht vorgeschlagen. Wir wollen mal alle diese Fragen genau und deutlich aufrühren. Es hätte die große Gefahr bestanden, daß am Ende dieses Jahres bezüglich der Überschüsse der Agrarfinanzregelung und des Problems der Wechselkursveränderungen ein Paket zustande gekommen wäre, das ungefähr so gelautet hätte: Wir einigen uns über Agrarfinanzregelung, wir einigen uns über Überschüsse, und weil wir die Überschüsse am besten durch Preissenkungen bekämpfen, machen wir den Vorschlag, die Franzosen dürfen ihre Preise um 6 % oder um 5,5 % erhöhen, und die Deutschen müssen um 5,5 % herunter. Ich möchte wissen, was Sie zu mir gesagt hätten, wenn ich mit diesem Ergebnis nach Hause gekommen wäre. Mit Recht hätten Sie gesagt, ich hätte die Lebensinteressen der deutschen Landwirtschaft vernachlässigt. Diese Gefahr stand vor uns. Und diese Gefahr zu bannen war durch unseren Kompromiß jetzt möglich, und zwar auf vier Jahre.Hier muß ich auch noch etwas erwähnen, worauf der Kollege Peters hingewiesen hat. Ich habe nicht erst in Luxemburg oder in Brüssel erklärt, daß dies der glücklichste Tag meines Lebens sei, der Tag der Getreidepreissenkung. Aber ich bringe nicht nur den Willen dieser Bundesregierung und, wie ich meine, auch die Unterstützung der Opposition nach Hause, die Ausgleichszahlungen national zu sichern, sondern ich habe sie sogar in Brüssel jetzt abgesichert. Das ist bei der Getreidepreissenkung gar nicht gelungen; darüber wurde bei der Getreidepreissenkung überhaupt nicht verhandelt. Das ist der Unterschied zwischen gestern und heute.
Meine Herren, wenn Sie uns dabei unterstützen, dann wird es uns auch möglich sein, den nationalen Anteil voll durchzuhalten. Dann ist das Argument einfach nicht da, daß man sagt: es passiert genauso wie beim EWG-Anpassungsgesetz, daß man zunächst Zusagen macht und sie nicht einhält.Ich betone noch einmal, ich habe jetzt die Zusage des Ministerrates und der Kommission. Ich glaube, auch als Nichtjurist kann ich sagen, es ist ein Vertragsbestandteil und ein Bestandteil der europäischen Zusammenarbeit geworden. Auf dieser Basis kann ich nun viel leichter über Reformen, notwendige Re formen, und eine Fortentwicklung der EWG-Agrarpolitik verhandeln. Denn ich habe jetzt in der Tat langfristig Zeit. Ich habe dazu Zeit, ohne daß dabei die deutsche Landwirtschaft zunächst Schaden erleidet.Nun zum Problem Mehrwertsteuer. Mein Kollege Schiller ist darauf schon eingegangen. Man kann geteilter Meinung darüber sein, ob vielleicht ein höherer Satz besser oder schlechter gewesen wäre. Das ist eine Frage der Auffassung. Wir haben uns geeinigt. Ich hoffe, daß mich der FinanzministerPöhner aus Bayern bei dieser Lösung nicht im Stich läßt; das würde die Lösung nur erschweren. Wir haben die Mehrwertsteuer mit hineingenommen, und ich freue mich, daß mein Kollege Höcherl, mein verehrter Amtsvorgänger, sagt: Weil damit eine Sofortwirkung bei den Bauern eintritt.Nun wird gesagt: Aber diese Mehrwertsteuerlösung kommt beim Direktverkauf nicht ganz an.
— Sie sind immer so voreilig, lieber Stücklen; die eiligen Leute haben kein Glück, das habe ich das letzte Mal schon gesagt. — Ich habe heute die Anweisung gegeben, diese Frage prüfen zu lassen. Ich habe auch den Bauernverband gebeten, mir seine Zahlen zu geben. Er hat gesagt, auch er sei sich darüber im einzelnen nicht ganz im klaren. Ich habe erklärt, ich stehe ihm zur Verfügung, diese Frage werde ich sehr ernsthaft prüfen. Es ist auf jeden Fall nicht so, wie die Zahlen besagen, die draußen bereits veröffentlicht wurden. Es wurde mir erklärt, auch der Deutsche Bauernverband könne sie so nicht bestätigen, weil es sehr schwierig sei, genaue Zahlen auszurechnen. Einzelheiten bitte ich meinen verehrten Freund Stücklen aus der CSU, mit seinem Nachbarn — von mir aus gesehen zur Rechten —, Hermann Höcherl, zu besprechen. Er wird ihm sicherlich die fachlichen Details sagen können. Ich möchte hier die Diskussion nicht weiter aufhalten.Es wurde dann die Frage gestellt, warum wir überhaupt diese Lösung gemacht haben. Ich betone, es ist ein Kompromiß. Es ist sicherlich nicht ,ein Idealfall. Aber in der Politik muß man vieles machen, was nicht ideal ist. Das war vorgestern so, ist heute so und wird morgen so sein. Aber folgende Punkte erscheinen mir sehr wichtig: Teilausgleich der Einkommensverluste sofort beim Verkauf über die Mehrwertsteuer — das halte ich für einen wichtigen Bestandteil —, langfristige Absicherung eines Direktausgleichs und ein gerechtes Ausgleichsverfahren in Kombination mit Flächenausgleich, der verwaltungstechnisch noch durchführbar ist.Nun wurde es soeben so dargestellt, als wenn das eine ganz, ganz schlimme und unmögliche und natürlich nur aus einer bösartigen Gesinnung heraus zu verstehende Maßnahme wäre. Meine Herren, Sie haben es doch beim Getreideausgleich auch so gemacht. Da hat der Kollege Ehnes z. B. gesagt: „Wir brauchen einen warmen Landregen." Das war damals seine Meinung. So ändern sich die Zeiten.
— Was heißt „nur um Getreide"? Das war ein Ausgleichsverfahren. Wir machen jetzt wieder ein Einkommensausgleichsverfahren. Dabei sage ich Ihnen, in dieser Frage bin ich bereit, mit Ihnen im Ausschuß alle Einzelheiten zu diskutieren. Wer immer mir in diesem Hohen Hause eine bessere Lösung vorschlägt, wird bei mir offene Türen finden. Ich bin weiß Gott nicht der Auffassung, daß das der Weisheit letzter Schluß ist. Ich bin auch bereit, über alle Reformen mit Ihnen zu sprechen. Die Aufforderung des Außenministers unterstütze ich vollauf. Dieses Haus sollte sich bald Gedanken darüber machen und sagen, wie
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430 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969
Bundesminister Ertles die zukünftige Agrarpolitik sieht. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich konkrete Anregungen auch von Ihnen bekäme. Denn das kann der Sache nur nützlich sein.Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Schluß muß ich nur noch einmal sagen: wir sind in einer sehr schwierigen Zwangslage infolge der Tatsache, daß man die Agrarpolitik mit einer Illusion betrieben hat, nämlich mit jener Illusion, daß ein gemeinsamer Agrarmarkt automatisch zur Währungs- und Wirtschaftsunion und dadurch zur politischen Union führe. Diese Illusion ist bis heute Illusion geblieben. Leider hat sich inzwischen ein gewisser Besitzstand europäischer Art herauskristallisiert. Dieses Problem können wir wirklich nur gemeinsam lösen. Dabei betone ich, daß in Zukunft die Frage des möglichen Beitritts Großbritanniens auch für den Agrarsektor sehr wichtig ist. Ohne Erweiterung der Gemeinschaft sehe ich langfristig überhaupt keine günstige Chance, auch auf dem agrarischen Sektor zu besseren Ergebnissen zu kommen. Das sage ich Ihnen hier ganz offen und nüchtern.Ich bedauere sehr, daß wir durch die vorliegenden und damit bindenden Beschlüsse unter einem permanenten Zeitdruck stehen. Ich bin der Meinung, wir brauchen sehr, sehr viel Zeit, um die anstehenden Fragen zu lösen. Man sollte sich wirklich einmal überlegen — ich bin mit dem jetzt beschlossenen Ausgleich einigermaßen zufrieden; ich möchte aber nicht sagen, daß er mich absolut befriedigt —, ob es nicht nützlicher wäre, die Übergangszeit z. B. für ein Jahr zu verlängern und nicht unter Zeitdruck über die Agrarfinanzierung zu diskutieren.Ich möchte mich nicht in Einzelheiten verlieren, sondern nur noch folgendes sagen: nichts ist in der heutigen Zeit schlimmer als diese permanente Hast, in der alle vierzehn Tage Nachtsitzungen bis früh um 2 und 3 Uhr stattfinden. Ich habe zu meinen Kollegen im Ministerrat gesagt: Die Art, wie in Europa seit Jahren Politik gemacht wird, verstößt gegen die prinzipiellen Erkenntnisse der modernen Psychologie und Pädagogik. Damit wird ein Mensch, wie immer seine Konstitution ist, einfach überfordert. Darunter hat Europa in der Vergangenheit gelitten, darunter leidet es auch in der Gegenwart. Nehmen wir uns in diesem Hohen Hause, vielleicht aber auch in Europa, endlich einmal Zeit, über die Probleme gründlich, offen und ehrlich zu diskutieren. Diesen Appell richte ich nicht nur an das Hohe Haus, sondern auch an unsere Partnerstaaten. Ich habe das Gefühl, daß man zu der Offenheit, die Europa braucht, immer noch nicht gefunden hat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Althammer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die beiden Minister sind offenbar, was die Beurteilung unseres Antrages betrifft, unterschiedlicher Meinung. Während der Herr Bundeswirtschaftsminister von einem „billigen Jakob" gesprochen hat, hat der Bundesernährungsminister immerhin zugegeben, daß dieser Antrag hilfreich sein könne. Ich glaube, es ist deshalb notwendig, daß er noch einmal verdeutlicht wird.Wir wissen, daß eine Gipfelkonferenz stattfinden wird, und zwar eine Gipfelkonferenz - das muß man auch betonen — unter anderen Voraussetzungen, als sie zur Zeit der Regierung de Gaulles in Frankreich bestanden. Ich glaube wirklich, daß es sinnvoll wäre, wenn dieses Hohe Haus die Chance sähe und wahrnähme, darauf hinzuwirken, daß auf dieser Gipfelkonferenz das Problem des gemeinsamen Agrarmarktes eben nicht als ein bereits erledigtes Problem behandelt wird. Vielmehr sollte auf der Konferenz dieser Gesamtkomplex noch einmal in den Mittelpunkt der Erörterungen, und zwar im Zusammenhang mit der Währungsvereinheitlichung, gestellt werden. Das ist der Grund dafür, daß wir die mit der heutigen Debatte gegebene Chance ausnutzen wollten.Ich weiß nicht, woher die Regierungsparteien den Optimismus hernehmen, so zu tun, als ob die Lösung, die uns hier vorgelegt worden ist, das Optimum dessen wäre, was man habe erreichen können, als ob es eine gute Lösung für die deutsche Landwirtschaft wäre. Wenn man schon den von der CDU/CSU geäußerten Besorgnissen keinen Glauben schenkt, sollten Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien einmal den Kreis der Betroffenen hören. Von diesem werden Sie hören, welche tatsächlichen Sorgen mit der gefundenen Lösung verbunden werden.Es war auch sehr bedauerlich, daß diese Debatte von Anfang an seitens der Regierungsparteien mit einigen Tönen belastet worden ist, die der Sache nicht dienlich sind.
Es begann mit Herrn Apel, der hier von „Krach schlagen" gesprochen hat. Davon konnte doch wirklich keine Rede sein. Ich möchte auch dem Kollegen Hermsdorf sagen, daß ich die Art und Weise, wie er meinen Kollegen Lothar Haase hier abgefertigt hat, nicht schön gefunden habe.
— Ich werde gleich darauf kommen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich meine - ich darf es wiederholen —, es ist in der Tat nicht sachdienlich, wenn man eine schwierige Situation — in einer solchen befinden sich Regierung und Regierungsparteien zweifellos; das kann doch niemand bestreiten dadurch zu vernebeln sucht, daß man Zensuren austeilt, wie es Herr Professor Karl Schiller hier versucht hat.
Ich möchte noch einen Schritt weitergehen. Nicht nur der Antrag als solcher soll der Regierung und damit den Interessen der deutschen Landwirtschaft hilfreich sein, sondern auch das, was unser Fraktionsvorsitzender Barzel im Gesamtzusammenhang
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Dr. Althammergesagt hat, soll hilfreich sein. Ich meine, hier soll es in erster Linie dem Herrn Bundesfinanzminister hilfreich sein. Man muß diese Belastungen doch in dem Gesamtzusammenhang, in dem sie stehen, sehen. Wir können doch nicht umhin, nun auch einmal die Bilanz aufzumachen. Es war für mich interessant, daß der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, der Kollege Apel, hier zunächst gesagt hat, er wolle auf diesen von unserem Fraktionsvorsitzenden angeschnittenen Komplex gar nicht eingehen. Hinterher hat sich der Kollege Hermsdorf gemeldet und zu diesen Punkten Stellung genommen. Hier ist doch offenbar erkenntlich, daß auch bei der SPD die Problematik gesehen wird, die darin liegt, daß wir, ohne die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung zu haben, nun eine Lawine von neuen Ausgaben auf uns zurollen sehen.Wir sind uns, glaube ich, mindestens im Kreise derer, die sich besondere Sorgen um die Finanzsituation machen, darüber einig, daß bei der günstigen Gesamtsituation, die der neue Minister vorgefunden hat, immerhin einige Belastungen aus der Vergangenheit in den künftigen Jahren, insbesondere im Jahre 1970, auszugleichen sind. Ich erinnere hier nur an den Devisenausgleich, an das Brüsseler Paket, also die Verteidigungsausgaben, an die Kosten der Lohnfortzahlung, an die Verbesserung der Wohnungsbauprämien und an die zusätzlichen Leistungen der Erdölindustrie. Allein diese Kosten bedeuten bereits eine Mehrbelastung von 1,9 Milliarden DM für 1970. Das würde also gegenüber dem voraussichtlichen IstErgebnis dieses Jahres schon eine Erhöhung um 8,8 % bedeuten.Nun haben wir hier in diesem Hohen Hause die Ankündigungen gehört und diskutiert, die den Arbeitnehmerfreibetrag und die Halbierung der Ergänzungsabgabe betreffen. Das bedeutet wiederum eine Mehrbelastung von insgesamt 1 Milliarde DM, von der allerdings nur ein Teil auf den Bundeshaushalt zurückfällt. Wenn ich heute in die Zeitung sehe, lese ich darin, daß der Bundeswohnungsbauminister im Bereich des Wohngeldes eine Summe von rund 500 Millionen DM in Bewegung setzen will. Dann ist da das ganze Hin und Her, das sich bezüglich der Leistungen für die Sozialrentner ergeben hat. Zuerst ist von einem Minister, der diese Sache offenbar im Kabinett nicht vorher abgestimmt hatte, von 100 DM Überbrückungszahlung gesprochen worden. Dann hat man das zurücknehmen müssen. Jetzt spricht man statt dessen von einer Befreiung der Sozialrentner vom Krankenversicherungsbeitrag. Auch dadurch, so ist heute in der Zeitung zu lesen, kommt eine neue Belastung in Höhe von insgesamt 450 Millionen DM auf den Haushalt zu.Ich meine, es müßte doch der Bundesregierung und dem Finanzminister hilfreich sein, wenn die Opposition hier warnend ihre Stimme erhebt und sagt: Wie soll denn das in dieser Konjunkturlage im einzelnen aussehen, wenn wir den Haushalt 1970 jetzt bereits mit über 10 % mehr vorbelasten?
Ich glaube, meine sehr verehrten Damen und Herren, man kann die Dinge nicht so einfach sehen undsagen: Wir warten einmal bis zum Frühjahr nächsten Jahres ab, bis die mittelfristige Finanzplanung kommt; dann geht schon alles in Ordnung. — Mein Gedächtnis trügt mich doch nicht, wenn ich mich daran erinnere, daß es gerade die Sozialdemokraten waren, die der mittelfristigen Finanzplanung mit ihrem Zwang zur Einordnung einzelner Ausgaben in das Gesamtkonzept eine besonders hohe Bedeutung zugemessen haben. Ich möchte sehr darum bitten, daß man sich jetzt an dieses Bekenntnis hält. Ich meine, es geht auch nicht, daß man eine weitere Belastung, nämlich die Aufwertungsverluste der Deutschen Bundesbank in Höhe von 4,2 Milliarden DM, etwa damit abtut, daß man sagt: Das berührt den Steuerzahler und den Bundeshaushalt überhaupt nicht; das trägt die Bundesbank! — Das hat der Herr Bundeskanzler in seiner Fernsehansprache so dargestellt, und es ist hier wiederholt so vorgetragen worden.Nun hören wir Näheres, wie die Sache realisiert werden soll. Die Deutsche Bundesbank, die ja bekanntlich eine Anstalt des öffentlichen Rechts und damit letztlich auch Bundesvermögen ist, will zwei Drittel aus Rücklagen übernehmen. Man wird sehr interessiert sein, zu hören, wie das finanziert werden soll.
Ein weiteres Drittel soll ja nun doch offenbar durch längerfristige Verschuldung auf den Bund zukommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie können das Problem doch drehen und wenden, wie Sie wollen: In jedem Fall wird die Bundesbank nicht in der Lage sein, Abführungen an den Bundeshaushalt vorzunehmen, wie es möglich gewesen wäre, wenn diese Belastung von 4,2 Milliarden DM nicht eingetreten wäre.
Darum meine ich, meine sehr verehrten Damen und Herren, tun Sie diese sehr ernsten Bedenken, die wir hier erheben, gegen diesen Stil der Vorwegankündigungen und der Zusagen einzelner Ministerien, die, wie wir gesehen haben, zum Teil im Kabinett gar nicht abgestimmt waren, bitte nicht so ab, als ob hier die Opposition Krach machen wolle!Lassen Sie mich zum Schluß noch eines sagen. Wenn hier versucht worden ist, meinem Kollegen Ehnes anzuhängen, daß er mit zwei Zungen spreche, dann möchte ich noch einmal ganz klar darauf hinweisen: Der Kollege Ehnes hat hier mit aller Eindeutigkeit festgestellt, daß er vor diesem Hohen Hause in seiner Eigenschaft als Mitglied des Deutschen Bundestages spricht und daß man infolgedessen gar nicht berechtigt ist, hier einen solchen Gegensatz zu konstruieren.
Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube schon, daß es Ihnen weh getan hat, was man Ihnen hier ins Stammbuch schreiben mußte.
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432 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969
Dr. AlthammerAuf eines möchte ich aber auch hinweisen: Die CDU/CSU-Fraktion hat durch ihre bisherige Verhaltensweise, auch durch diesen Antrag heute, bewiesen, daß sie eine konstruktive Opposition betreibt,
daß sie hilfreiche Anträge stellt. — Fragen Sie doch den Herrn Ernährungsminister, der ja ausdrücklich darauf Bezug genommen hat, der gleiche Mann, der auch hier vor diesem Hohen Hause erklärt hat: Wenn dieses Parlament ihm den Auftrag gäbe, auf eine andere Lösung, auf den Grenzausgleich, hinzuarbeiten, dann wäre er bereit, sie zu vertreten. Man kann doch auch nicht so tun, als ob bei den vorigen Regierungen der Großen Koalition und vorher der Kleinen Koalition die SPD und die FDP gar nicht vertreten gewesen seien. Wenn man hier, wie es heute geschehen ist, von zwanzig oder zehn Jahren verfehlter Landwirtschaftspolitik spricht, muß man sich doch an die eigene Nase fassen.
So können Sie aus dieser Sache nicht herauskommen, daß Sie hier etwa eine Legende entwickeln, als sei hier ein Konkurs gewesen, der nun aufzuräumen sei. Das ist so durchsichtig, das nimmt Ihnen niemand ab.
Ich glaube, es geht auch nicht, daß der Bundeslandwirtschaftsminister auf der einen Seite die CDU/CSU beschuldigt, sie hätte eine falsche Landwirtschaftspolitik betrieben, und im gleichen Atemzug dem früheren Landwirtschaftsminister dieser Partei bestätigt, er habe sein Bestes getan.
Es ist meines Erachtens auch nicht möglich, daß man diese Vorwürfe hinsichtlich der Vergangenheit erhebt und auf eine so verdiente Persönlichkeit wie Professor Hallstein verweist und im gleichen Atemzug uns hier heute sagt, diese neue Delegation sei nach Brüssel gegangen, um zu versuchen, den Grenzausgleich zu erreichen. Das sei nicht möglich gewesen, infolgedessen habe man eine andere, die hier diskutierte, sehr viel schlechtere Lösung akzeptieren müssen. Wenn das so war und man sich darauf beruft, daß in Brüssel gewisse Dinge nicht durchzusetzen waren, dann soll man sich bitte auch daran erinnern, daß auch in der Vergangenheit, und zwar sehr viel mehr als heute, gewisse Dinge in Brüssel nicht durchzusetzen waren.
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Möller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin leider gezwungen, einige Korrekturen vorzunehmen, insbesondere gegenüber dem letzten Redner, Herrn Kollegen Althammer. Er hat sich auf Zeitungsmeldungen bezogen; das ist nicht immer
eine gute Quelle. Bei den von ihm angeführten 500 Millionen DM, die eine Änderung des Wohngeldgesetzes kosten würde, handelt es sich nicht um ein Vorhaben des zuständigen Ministeriums, sondern um den Antrag der Kollegen von der CDU/ CSU auf Drucksache VI/2.
Darüber ist hier im Hause gesprochen worden, und Herr Kollege Lauritzen hat die Kosten dieses Antrages der CDU/CSU-Fraktion auf 500 Millionen DM geschätzt. Sie hätten also, bevor Sie diesen Antrag einbrachten, zunächst die mittelfristige Finanzplanung abwarten sollen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Althammer?
Herr Minister, ist Ihnen nicht erinnerlich, daß der Bundeswohnungsbauminister gestern ausdrücklich eine eigene Initiative aus diesem Sektor angekündigt hat und daß sich diese Zahlen darauf bziehen?
Meine Damen und Herren, spenden Sie dazu keinen Beifall, sondern lesen Sie das Protokoll nach! Sie werden feststellen müssen, daß diese Zahlenangabe des Herrn Bundesministers Lauritzen sich auf Ihren Antrag bezogen hat und daß der zuständige Minister ausführte, in seinem Ministerium werde an einem solchen Gesetz gearbeitet. Er fügte hinzu, was dabei noch alles zusätzlich berücksichtigt werden muß und daß man dieses Gesetzesvorhaben im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung unterzubringen hätte. Das ist der Tatbestand. Wenn Sie das Protokoll vom gestrigen Tage nachlesen, dann werden Sie feststellen, daß meine Angabe zutrifft.
Herr Bundesgestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, der Punkt ist erledigt.
— Bitte, Sie können auf den Vorgang zurückkommen, wenn eine Nachprüfung des Protokolls etwasanderes ergeben sollte, als ich hier festgestellt habe.
— Es hätte gar keinen Zweck, daß wir ein Gesetznovellieren, wenn wir es nicht verbessern wollten.
Meine Damen und Herren! Es ist von Herrn Kollegen Althammer auch noch eine Bemerkung gemacht worden, die den Sozialbereich betrifft. Ich möchte mich insbesondere nochmals auf den Hinweis beziehen, den Herrn Kollege Barzel in seiner Rede bezüg-
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Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllerlieh des Familienlastenausgleichs gemacht hat. Ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin aus dem Protokoll der 6. Sitzung auf Seite 42 zitieren:Das Wort „Familienlastenausgleich" fehlt. Während für die so notwendige Kriegsopferversorgung ein Datum genannt wird — 1. Januar 1970 —, wird in Sachen Kindergeld eine ungewisse Terminierung bestimmt. Wir wollen, Herr Bundeskanzler, beides, wie wir das früher hier im Hause zusammen beschlossen hatten, beides zum 1. Januar.
— Bitte Vorsicht! Ich kann Ihnen immer nur diesen wohlmeinenden Rat geben.Ich beziehe mich auf das Papier des Herrn Kollegen Strauß vom 17. Oktober, herausgegeben in den „Finanznachrichten" Nr. 149. Herr Kollege Strauß hat hier auf Seite 8 sehr richtig bezüglich des Kindergeldes auf die Entschließung des 5. Deutschen Bundestages verwiesen. Es heißt dann wörtlich:..., wonach bereits vor 1972 höheres Kindergeld zu zahlen ist. Jede Erhöhung des Kindergeldes ab drittes Kind um 1 DM kostet den Bund rund 40 Millionen DM jährlich.Es handelt sich also um eine Entschließung des 5. Deutschen Bundestages, wonach bereits vor 1972 höheres Kindergeld zu zahlen ist. Deswegen befand sich in der Regierungserklärung der Vermerk, daß die Entscheidung darüber im Jahre 1970 zu treffen sei — eben aus dem Grunde, weil wir feststellen wollten, wie wir diese Position in der mittelfristigen Finanzplanung unterbringen konnten.Und noch eine Bemerkung; sie betrifft den Aufwertungsverlust. Darüber haben wir anläßlich der Regierungserklärung diskutiert. Sie wissen, daß sich die Deutsche Bundesbank nicht zu der volkswirtschaftlichen, sondern zu der betriebswirtschaftlichen Lösung entschlossen hat und daß wir deswegen, weil die Deutsche Bundesbank den vollen Aufwertungsverlust in Höhe von 4,3 Milliarden DM übernimmt, für das Jahr 1969 nicht die in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehene Gewinnzuweisung von 300 Millionen DM in Anspruch nehmen können, da die Deutsche Bundesbank mit der Übernahme der 4,3 Milliarden DM Aufwertungsverlust das tut, was Herr Bundesbankpräsident Blessing in einem Gespräch mit mir so bezeichnete: Sie ist damit bis an die äußerste Grenze des Möglichen gegangen und hat für das laufende Jahr 1969 diese 300 Millionen DM nicht mehr zur Verfügung. Das muß man anerkennen. Im übrigen bestand auch Übereinstimmung zwischen der Deutschen Bundesbank und dem Bundesfinanzministerium, daß ab 1970 wieder die Gewinne, die von der Deutschen Bundesbank für den Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt werden können, im Bundeshaushalt und in der mittelfristigen Finanzplanung einzustellen sind. Ich meine, das ist eine sehr gute Lösung geworden, auch wenn sie eine betriebswirtschaftliche und keine volkswirtschaftliche ist. Keiner hier im Hohen Hause hat an dem Tag, als wir darüber diskutierten, geglaubt, daß sich die Deutsche Bundesbank in einem solchenUmfang an der Sanierung beteiligt und diesen Aufwertungsverlust durch eine solche Maßnahme, durch ein solches Entgegenkommen auffängt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ott? — Bitte schön, Herr Ott!
Herr Bundesminister, darf ich es, wenn Sie hier vom Aufwertungsverlust der Bundesbank sprechen, als Bestätigung dafür auffassen, daß das im Gegensatz zu den früheren Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers steht, in denen er von einer Gewinnausschüttung an das deutsche Volk als Folge der Aufwertung gesprochen hat?
Es ist in diesem Stadium doch wohl richtig, dem Hohen Hause das vorzutragen, was zwischen der Deutschen Bundesbank und dem Bundesfinanzministerium vereinbart wurde. Ich hatte eigentlich geglaubt, daß das Hohe Haus dankbar von diesem Entgegenkommen und dem Verhandlungsergebnis, das uns ja wirklich etwas von dem Druck abnimmt, der damit verbunden war, Kenntnis nehmen wird.
Meine Damen und Herren, ich darf zum Schluß folgendes hervorheben: Mit der Opposition bin ich der Meinung, daß es notwendig ist, möglichst bald den Haushaltsplan und die auf den neuesten Erkenntnisstand gebrachte mittelfristige Finanzplanung einzubringen. Das ist auch das Bestreben der Koalition. Deswegen fand gestern ein Gespräch zwischen den Kollegen Leicht, Schmidt und Pohle auf der einen Seite und mir auf der anderen Seite statt. Dabei haben sich beide Teile bemüht, eine Lösung zu finden, die es uns gestattet, möglichst bald in diesem Hohen Hause den Haushaltsplan für 1970 und den Finanzplan zu erörtern. Es kam zu einer Verständigung, die ich heute im Kabinett vortragen werde und die es uns gestattet, durch zwei Verfahren, auf die wir uns geeinigt haben und die vereinfachende Wirkung besitzen, die Haushaltsrede und damit die Einbringung des Haushalts und der mittelfristigen Finanzplanung statt am 14. April 1970 bereits am 18. Februar 1970 vorzunehmen.Darüber hinaus habe ich mich bereit erklärt, am 12. Dezember 1969 den zuständigen Arbeitskreis der CDU/CSU-Fraktion von dem dann erarbeiteten Stand des Haushaltsplans und der mittelfristigen Finanzplanung genauestens zu unterrichten. Das wäre also ein Zwischenbericht, den man auch hier im Hohen Hause erstatten könnte; aber ich glaube, daß auch in einer solchen Zusammenkunft mit dem zuständigen Arbeitskreis der CDU/CSU-Fraktion eine
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434 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969
Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllerwirklich gründliche Einzeldiskussion zu den verschiedenen Positionen durchgeführt werden kann.
Ich will damit erneut dokumentieren, wie sehr mir daran liegt, Sie davon zu überzeugen, daß wir uns um eine geordnete öffentliche Finanzwirtschaft bemühen, und wie sehr wir daran interessiert sind, daß alle Fraktionen des Hauses die Solidität der Finanzwirtschaft nach den gemachten Erfahrungen als das wichtigste Ziel der Arbeit auf diesem Gebiet ansehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Meine Damen und Herren! Nur ein Wort an die Adresse der Opposition. Sie kennen mich als einen sachlichen Mann, der versucht, gerade die Agrarpolitik auf sachlicher Ebene zu diskutieren. Ich habe auch alle Ausführungen ertragen bis zu E h n e s. Aber was sich Herr Kollege Ehnes heute hier geleistet hat, das ist einfach der Gipfel der Frechheit.
Er hat hier die Doppelzüngigkeit vorgeführt. Herr Kollege Ehnes, das ist doch Ihre Praxis der letzten zwei Jahrzehnte. Hier redeten Sie teilweise, als Sie in der Verantwortung waren, so, und draußen haben Sie dann das Landvolk aufgehetzt und Scherben angerichtet. Mit Ihrer heutigen Rede tragen Sie nicht zur Lösung der Probleme bei.
Noch eines dazu. Wenn ich mir das alles so ansehe und anhöre, muß ich feststellen, daß der agrarpolitische Fundus der Opposition außerordentlich mager ist.
Wenn Sie mit diesem wenigen, was Sie zu bieten haben, in die Diskussionsrunden der nächsten Monate gehen, dann haben wir noch einiges zu erleben. Mit diesen Bravourstücken kommen Sie nämlich nicht vorwärts.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ritz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nun, verehrter Herr Kollege Schmidt , über den agrarpolitischen Fundus der Opposition werden wir uns in der Tat in den nächsten Wochen und Monaten noch häufiger unterhalten. Ich bin der festen Überzeugung, daß wir schon sichtbar machen werden, wie schwer es dieser Koalition fällt, Lösungen zu erarbeiten, die für den landwirtschaftlichen Bereich sinnvoll sind. Wir alle wissen um die Schwierigkeiten, die hiermit zusammenhängen, und, meine Damen und Herren, nicht zuletzt deswegen war eine unserer wesentlichen Argumentationen im Bereich der Aufwertungsdebatte vor der Wahl dieses Problem der europäischen Landwirtschaft. Ich glaube, das sollte man noch einmal in aller Deutlichkeit sagen.
Nun bietet man uns mit dem Gesetzentwurf einen Einkommensausgleich an. Wir wollen die Details im Ausschuß und später vor allem hier in der zweiten und dritten Lesung diskutieren. Aber eines wird man schon sagen müssen: Ein betrieblicher Einkommensausgleich ist das schon in dem Bereich nicht, wo man zugestimmt hat, einen Teil der Mittel für soziale Maßnahmen und Agrarstrukturmaßnahmen bereitzustellen. Meine Damen und Herren, wir sind dafür, und wir werden der Koalition unseren Katalog der sozialpolitischen Maßnahmen und auch der notwendigen Agrarstrukturmaßnahmen vorlegen. Nur, wenn man von einem Einkommensausgleich spricht, der dadurch entsteht, daß jedem Landwirt nach der Übergangsregelung bei jedem Verkaufsakt ein Einkommensausfall von 8,5 % entsteht, dann muß man nach Wegen suchen, um diese 8,5 % entsprechend auszugleichen.
Mit dieser globalen Übertragung in den sozial- und strukturpolitischen Bereich ist dem Anliegen des Ausgleichs pro Betrieb nicht Rechnung getragen.
— Nein. Dann bin ich durch die Zeitung falsch informiert, Herr Kollege Schmidt .
— Nun gut, wir werden darüber im einzelnen diskutieren.
Meine Damen und Herren, ich darf abschließend zu unserem Antrag dies sagen. Wir glauben in der Tat, daß hier eine Hilfestellung geboten ist, um — vielleicht verstärkt, vielleicht auch, um Versäumtes nachzuholen — auf der Gipfelkonferenz noch einmal die Möglichkeit zu schaffen, zu einem, wenn Sie so wollen, Junktim zwischen Währungs- und Wirtschaftsunion auf der einen Seite und Ausgleichsmaßnahmen auf der anderen Seite zu kommen. Es wird immer gesagt, daß ein Grenzausgleichssystem die EWG sprengen könnte. Ich glaube, man hat nicht hinreichend versucht, ob man nicht gerade durch die Forderung nach dem Grenzausgleichssystem in Verbindung mit einer Forderung nach Beschleunigung im Bereich der Währungs- und Wirtschaftsunion hier eine Lösung hätte finden können, die a) der deutschen Landwirtschaft den Ausgleich gebracht hätte und b) uns in Fragen der europäischen Integration vorwärtsgebracht und nicht die Stagnation vertieft hätte. Ich glaube, so sollten Sie auch diesen Antrag sehen.
Wir bitten deshalb, diesen Antrag zu überweisen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als federführenden Ausschuß sowie zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß und, korrespondierend mit dem Gesetzentwurf der Koalition, auch an den Finanzausschuß.
Herr Abgeordneter Frehsee hat das Wort. Zur Geschäftsordnung?
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. November 1969 435
Ja, zur Ausschußüberweisung, Frau Präsidentin. Ich beantrage Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als mitberatenden Ausschuß.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor.
Es sind verschiedene Anträge zur Ausschußüberweisung gestellt worden. Nach dem einen Antrag soll der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten federführend sein, die Ausschüsse für Auswärtiges und für Finanzen sollen mitberatend sein. Der andere Antrag lautete: Auswärtiger Ausschuß federführend, Ernährungsausschuß mitberatend, keine Überweisung an den Finanzausschuß. Welcher Antrag der weitergehende ist, ist hier wohl nicht zu erkennen. Ich stelle daher den zuerst gestellten Antrag als ersten zur Abstimmung.
Wer für die Überweisung des Antrags an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als federführenden Ausschuß sowie an den Finanzausschuß und den Auswärtigen Ausschuß als mitberatende Ausschüsse ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das letztere ist die Mehrheit; damit ist der erste Antrag abgelehnt.
Ich stelle jetzt den zweiten Antrag zur Abstimmung, nach dem der Antrag an den Auswärtigen Ausschuß als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als mitberatenden Ausschuß überwiesen werden soll. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe das Haus ein für Freitag, den 14. November 1969, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.