Protokoll:
6010

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 6

  • date_rangeSitzungsnummer: 10

  • date_rangeDatum: 12. November 1969

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:23 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag lo. Sitzung Bonn, den 12. November 1969 Inhalt: Glückwunsch zu dem Geburtstag des Abg Faller 291 A Verzicht des Abg. Gscheidle auf die Mitgliedschaft im Bundestag 291 A Eintritt des Abg. Säckl in den Bundestag 291 A Erweiterung der Tagesordnung 291 A Amtliche Mitteilungen . . . . . . . 291 C Fragestunde (Drucksache VI/49) Frage des Abg. Dr. Fuchs: Wehrdienst von Abiturienten bei Be- ginn des Studiums im Wintersemester Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 291 D Dr. Fuchs (CDU/CSU) 292 A Frage des Abg. Jung: Möglichkeit des Studiums ohne Be- schränkung durch den Numerus clausus Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 292 B Jung (FDP) 292 C Borm (FDP) 292 C Frage der Abg. Frau Geisendörfer: Auszahlung der Beträge an die Empfangsberechtigten des Honnefer Modells Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 293 A Frau Geisendörfer (CDU/CSU) . . . 293 B Fragen des Abg. Dr. Riedl (München): Verlegung des Sitzes des Europäischen Patentamtes nach München 293 D Fragen des Abg. Burger: Gebührenbefreiung für Grundbucheintragungen bei Gewährung von Darlehen aus Bundesmitteln für Rehabilitationseinrichtungen Jahn, Bundesminister . . 294 A, 294 C Burger (CDU/CSU) 294 A Frage des Abg. Zebisch: Amnestiegesetzgebung für Demonstrationsvergehen 294 D Frage des Abg. Flämig: Unterbindung des Verkaufs von Rauschgift Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 295 A Flämig (SPD) . . . . . . . . . 295 C Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) . . . 295 D Fragen der Abg. Frau Klee: Schaffung eines Europäischen Jugendwerks Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 296 A, 296 B Frau Klee (CDU/CSU) 296 C Frage des Abg. Dr. Apel: Linksfahren auf den Bundesautobahnen Leber, Bundesminister 296 D II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. November 1969 Dr. Apel (SPD) . . . . . . . . 297 A Mertes (FDP) . . . . . . . 297 B Flämig (SPD) 297 C von Bockelberg (CDU/CSU) . . . 297 C Frage des Herrn Abg. Dr. Apel: Bestimmungen über Wechseln der Fahrspur und Rechtsüberholen im Entwurf der Straßenverkehrs-Ordnung Leber, Bundesminister 297 D Frage des Abg. Josten: Zeitplan für den Bau neuer Rheinbrücken Leber, Bundesminister 298 A Josten (CDU/CSU) 298 B Frage des Abg. Weigl: Beginn des Baues der Autobahn Weiden—Hof Leber, Bundesminister 298 B Weigl (CDU/CSU) 298 C Frage des Abg. Fellermaier: Berücksichtigung der Erfordernisse des Verkehrs in der Ferienordnung 1970 Leber, Bundesminister 299 A Fellermaier (SPD) . . . . . . . 299 A von Hassel, Präsident . . . . . . 299 D Frage des Abg. Fellermaier: Erfahrungen mit dem Verkehrsverbot für Lastkraftwagen während der Hauptreisezeit Leber, Bundesminister . . . . . . 299 D Frage des Abg. Mertes: Unfallhilfe auf den Straßen und Autobahnen Leber, Bundesminister . . . . . . 300 A Frage des Abg. Mertes: Einheitliche Notrufnummer — Gebührenfreiheit für Notrufe — Notrufsäulen an Bundesstraßen Leber, Bundesminister 300 B Mertes (FDP) 300 C Fragen des Abg. Dr. Arnold: Einführung eines privaten Fernsehens Leber, Bundesminister . . 300 D, 301 B Dr. Arnold (CDU/CSU) . . 301 A, 301 C Fragen des Abg. Müller (Mülheim) : Wohngeldzuschuß für Sozialhilfeempfänger Dr. Lauritzen, Bundesminister . . 301 D Müller (Mülheim) (SPD) . . . . . 302 A Frage des Abg. Zebisch: Möglichkeiten der Bundesregierung zur Milderung der Wohnungsnot der Studenten Dr. Lauritzen, Bundesminister . . . 302 A Zebisch (SPD) . . . . . . . . . 302 C Frage der Abg. Frau Funcke: Ausgabe von Informationsmaterial des Bundespresseamtes an Mitglieder der Opposition . . . . . . . . . . . 302 D Fragen des Abg. Matthöfer: Beseitigung der rechtlichen Benachteiligung der bei den Stationierungsstreitkräften Beschäftigten — Federführung innerhalb der Bundesregierung Dr. Ehmke, Bundesminister 303 A, 303 B Matthöfer (SPD) . . . . 303 B, 303 C Köppler (CDU/CSU) 303 D Borm (FDP) 303 D Frage des Abg. Ollesch: Geltendmachung der Rezeptgebühr beim Lohnsteuerjahresausgleich Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 304 A Frage des Abg. Dr. Hauser (Sasbach) : Prozeßdauer bei Revisionen in der Finanzgerichtsbarkeit Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär 304 B Dr. Hauser (Sasbach) (CDU/CSU) . 304 C von Bockelberg (CDU/CSU) . . . 304 D Fragen des Abg. Dr. Müller (München) : Zollfreie Einfuhr von Skiern aus 'Osterreich Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär 305 A Dr. Müller (München) (SPD) . . . 305 C Fragen des Abg. Wendt: Besteuerung von karitativen Zwecken dienenden Lotterien Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär 305 D Wendt (SPD) 306 A Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. November 1969 III Frage des Abg. Krammig: Abbau von wettbewerbsverzerrend wirkenden Steuerarten Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 306 B Krammig (CDU/CSU) . . . . . . 306 C Frage des Abg. Krammig: Zusagen der Bundesländer hinsichtlich der Grunderwerbsteuerbefreiung Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär 306 C Krammig (CDU/CSU) 306 D Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Atomwaffensperrvertrag (Drucksachen VI/ 1, VI/50) Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) . . . 307 A Flämig (SPD) 311 A Dr. Rutschke (FDP) 314 B Scheel, Bundesminister . 317 C, 348 D Dr.-Ing. Leussink, Bundesminister . . 323 D Dr. Dr. h. c. Birrenbach (CDU/CSU) . 326 D Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) (Erklärung nach § 36 GO) 331 A Dr. Bußmann (SPD) . . . . . . 331 B Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) . 335 B Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) . . 338 A Brandt, Bundeskanzler 340 C Dr. Barzel (CDU/CSU) 345 D Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) 350 D Dr. Eppler, Bundesminister . . . . 353 B Jung (FDP) 355 D Wischnewski (SPD) 357 D Stücklen (CDU/CSU) 359 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes (Abg. Geisenhofer, Dr. Riedl [München], Dr. Schmidt [Wuppertal], Rollmann, Orgaß, Dr. Probst, Müller [Berlin], Wohlrabe u. Gen.) (Drucksache VI/2) — Erste Beratung — in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wohnungsbindungsgesetzes 1965 (Abg. Geisenhofer, Dr. Riedl [München], Dr. Probst u. Gen.) (Drucksache VI/3) — Erste Beratung —, mit Entwurf eines Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (Abg. Geisenhofer, Dr. Riedl [München] u. Gen.) (Drucksache VI/13) — Erste Beratung —, mit Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung mietpreisrechtlicher Vorschriften Abg. Geisenhofer, Dr. Riedl [München] u. Gen.) (Drucksache VI/14) — Erste Beratung — und mit Entwurf eines Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften (Abg. Geisenhofer, Dr. Riedl [München], Rollmann, Orgaß u. Gen.) (Drucksache VI/15) — Erste Beratung — Geisenhofer (CDU/CSU) . . . . . 361 A Frau Meermann (SPD) . . . . . . 362 B Schmidt (München) (SPD) . . . . 364 B Wurbs (FDP) 364 D Dr. Lauritzen, Bundesminister . . 366 A, 379 A, 383 B Dr. Gleissner (CDU/CSU) 368 A Dr. Müller (München) (SPD) . . . 370 D Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) . 373 C Mick (CDU/CSU) . . . . . . . 378 B Dr. Czaja (CDU/CSU) 381 C Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Schlußtermins für den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über weitere Maßnahmen auf dem Gebiete des Mietpreisrechts im Land Berlin (SPD, FDP) (Drucksache VI/46) — Erste Beratung —in Verbindung mit Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Schlußtermins für den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über weitere Maßnahmen auf dem Gebiet des Mietpreisrechts im Land Berlin (Abg. Müller [Berlin], Benda, Dr. Gradl, Wohlrabe u. Gen.) (Drucksache VI/55) — Erste Beratung — Müller (Berlin) (CDU/CSU) . . . . 385 B Entwurf eines Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm in der Umgebung von Flughäfen (SPD, FDP) (Drucksache VI/4 [neu]) — Erste Beratung — in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm in der Umgebung von Flughäfen (CDU/CSU) (Drucksache VI/7) — Erste Beratung — . . . . . . . . . 386 D Entwurf eines Gaststättengesetzes (CDU/ CSU) (Drucksache VI/5) — Erste Beratung — 387 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Gebühren der Schlachtviehmärkte, Schlachthäuser und Fleischgroßmärkte (Fleischmarkthallen) (CDU/ CSU) (Drucksache VI/6) — Erste Beratung — 387 A IV Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. November 1969 Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. Dezember 1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Kaiserreich Iran zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksache VI/16) — Erste Beratung — 387 B Antrag der Fraktionen der SPD, FDP betr. Fußballweltmeisterschaft 1974 (Drucksache VI/42) 387 B Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes (CDU/CSU) (Drucksache VI/8) — Erste Beratung — in Verbindung mit Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes (CDU/CSU) (Drucksache VI/10) — Erste Beratung — und mit Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes (CDU/CSU) (Drucksache VI/9) — Erste Beratung — Ernesti (CDU/CSU) . . . . . . . 387 C Haase (Kellinghusen) (SPD) . . . . 388 D Ollesch (FDP) . . . . . . . . . 390 A Genscher, Bundesminister . . . . 391 B Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 391 D Nächste Sitzung 392 D Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 393 A Anlage 2 Zusammensetzung der Bundesregierung . 393 B Anlage 3 Gegenseitige Vertretung der Bundesmini- ster 393 C Anlage 4 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Dr. Jahn (Braunschweig) betr. Verhandlungen über Grenzfragen im Osten 394 A Anlage 5 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Memmel betr. Vorschriften über den Erwerb und das Führen von Schußwaffen 394 D Anlage 6 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Draeger betr. Hilfe für die saarländische Wirtschaft . . . . . 395 A Anlage 7 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Dr. Pohle betr. Aufwertung und stabilitätsgerechte Wirtschaftspolitik 395 B Anlage 8 Ubersicht zu der Mündlichen Frage des Abg. Jung betr. Zulassungsbeschränkungen an den Wissenschaftlichen Hochschulen 395 C Anlage 9 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Dr. Schmitt-Vockenhausen betr. Änderung der Ferienordnung für den Sommer 1970 396 B Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. November 1969 291 10. Sitzung Bonn, den 12. November 1969 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. November 1969 393 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Dr. Aachenbach 12.11. Amrehn * 16. 11. Dr. Dittrich ** 14. 11. Draeger 12. 11. Gottesleben 31. 12. Frau Dr. Henze 14. 11. Frau Herklotz * 17. 11. Frau Kalinke * 17. 11. Frau Krappe 14. 11. Lücke (Bensberg) 30. 11. Lücker (München) 13. 11. Müller (Aachen-Land) ** 12. 11. Petersen * 17. 11. Dr. Rinderspacher * 14. 11. Frau Dr. Wolf * 20. 11. b) Urlaubsanträge Dr. h. c. Strauß 6. 12. * Für die Teilnahme an einer Tagung der Interparlamentarischen Union ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments Anlage 2 Zusammensetzung der Bundesregierung Bundeskanzler Willy Brandt Stellvertreter des Bundeskanzlers und Bundesminister des Auswärtigen Walter Scheel Bundesminister des Innern Hans-Dietrich Genscher Bundesminister der Justiz Gerhard Jahn Bundesminister der Finanzen Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Alex Möller Bundesminister für Wirtschaft Prof. Dr. Karl Schiller Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Josef Ertl Anlagen zum Stenographischen Bericht Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Walter Arendt Bundesminister der Verteidigung Helmut Schmidt Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit Käte Strobel Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen Georg Leber Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen Dr. Lauritz Lauritzen Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen Egon Franke Bundesminister für Bildung und Wissenschaft Prof. Dr.-Ing. Hans Leussink Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Dr. Erhard Eppler Bundesminister für besondere Aufgaben Prof. Dr. Horst Ehmke Anlage 3 Gegenseitige Vertretung der Bundesminister Es werden vertreten: durch: Der Bundeskanzler den BM des Auswärtigen Der BM des Auswärtigen den BM für wirtschaftliche Zusammenarbeit Der BM des Innern den BM der Justiz Der BM der Justiz den BM des Innern Der BM der Finanzen den BM für Wirtschaft Der BM für Wirtschaft den BM der Finanzen Der BM für Ernährung, den BM für Wirtschaft Landwirtschaft und Forsten Der BM für Arbeit und den BM für Jugend, Sozialordnung Familie und Gesundheit Der BM der Verteidigung den BM für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen einschließlich der Vertretung in der Befehls-und Kommandogewalt über die Streitkräfte Der BM für Jugend, Fa- milie und Gesundheit den BM für Arbeit und Sozialordnung Der BM für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen den BM der Verteidigung Der BM für Städtebau und Wohnungswesen den BM für innerdeutsche Beziehungen 394 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. November 1969 Der BM für inner- den BM für Städtebau deutsche Beziehungen und Wohnungswesen Der BM für Bildung und den BM für besondere Wissenschaft Aufgaben Der BM für wirtschaftliche Zusammenarbeit den BM des Auswärtigen Anlage 4 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Dahrendorf vom 12. November 1969 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Jahn (Braunschweig) (Drucksache VI/34 Fragen 12 und 13) : Ist die Bundesregierung der Meinung, daß Verhandlungen über Grenzfragen im Osten nur durch eine gesamtdeutsche Regierung in Friedensverhandlungen geführt werden können? Ist die Bundesregierung bereit, da für sie das Recht auf Selbstbestimmung kein Verhandlungsgegenstand ist, dieses Recht auch für die Wiedervereinigung des dreigeteilten Deutschlands zu vertreten? Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß sie nicht nur berechtigt, sondern im Interesse des Friedens in Europa auch verpflichtet ist, mit ihren östlichen Nachbarn über alle Probleme zu sprechen, die zur Normalisierung unseres Verhältnisses zu ihnen und zur Herstellung gut nachbarlicher Beziehungen gelöst werden müssen. 25 Jahre nach dem Unglück des letzten Krieges ist es an der Zeit, die Hindernisse wegzuräumen, die bisher einer deutsch-polnischen Verständigung im Wege gestanden haben. Wir sind .uns dabei bewußt, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht die volle Zuständigkeit in allen Deutschland als Ganzes und Berlin betreffenden Fragen besitzt. Die Bundesregierung hat in ihrer Regierungserklärung bekräftigt, daß das Recht auf Selbstbestimmung, wie es in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegt ist und wie es von der gesamten Welt für sich in Anspruch genommen wird, auch für das deutsche Volk gilt. Das Recht auf Selbstbestimmung wird nirgendwo in der Welt geleugnet, doch gibt es zahlreiche Fälle, in denen Völker oder Volksteile an der Ausübung dieses fundamentalen Rechts gehindert werden. Aus dem Recht auf Selbstbestimmung, das die Bundesregierung nicht müde werden wird, für das ganze deutsche Volk zu fordern, kann aber keine geeignete Handhabe für die Regelung territorialer Fragen hergeleitet werden. Dennoch werden die Gespräche, die mit der polnischen Regierung in Kürze aufgenommen werden sollen, an der Grenzfrage nicht vorbeigehen können. Die Bundesregierung wird sich dabei von der Erkenntnis leiten lassen, die bereits die frühere Bundesregierung in ihrer Erklärung vom 13. Dezember 1966 wie folgt ausgesprochen hat: „In weiten Schichten des deutschen Volkes besteht der lebhafte Wunsch nach einer Aussöhnung mit Polen, dessen leidvolle Geschichte wir nicht vergessen haben und dessen Verlangen, endlich in einem Staatsgebiet mit gesicherten Grenzen zu leben, wir im Blick auf das gegenwärtige Schicksal unseres eigenen geteilten Volkes besser als in früheren Zeiten begreifen." In ihrer Politik gegenüber ihren östlichen Nachbarn wird die Bundesregierung auch der polnischen Regierung den Abschluß eines Abkommens vorschlagen, durch das auf die Anwendung oder Androhung von Gewalt beiderseitig Verzicht geleistet wird. Ein solches Abkommen, das die territoriale Integrität eines jeden Vertragspartners berücksichtigt, könnte zum Ansatzpunkt für weitere Gespräche werden. Was Einzelheiten dieser Gespräche angeht, so bitte ich Sie um Ihr Verständnis, daß die Bundesregierung es nicht für vertretbar hält, ihren durch die Regierungserklärung eröffneten Verhandlungsspielraum durch öffentliche Erklärungen selbst einzuengen. Die Bundesregierung betont aber auch hier, daß sie die von seiten des Parlaments ausgehenden Anregungen vertrauensvoller Fühlungnahnahmen nutzen möchte. Anlage 5 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt vom 6. November 1969 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Memmel (Drucksache VI/34 Fragen 30 und 31) : Beabsichtigt die Bundesregierung, die Kontroverse um die Auslegung des Bundeswaffengesetzes durch eine Novellierung des § 36 zu beenden? Kennt die Bundesregierung die Kritik der Süddeutschen Zeitung vom 27. Oktober 1969, wonach lediglich der Gesetzgeber zu verurteilen sei, weil er durch eine augenscheinlich in ihren Konsequenzen nicht zu Ende gedachte waffenrechtliche Verordnung diese Rechtsunsicherheit geschaffen hat? Der Bundesregierung ist die Kritik der Süddeutschen Zeitung vom 27. Oktober 1969 bekannt. Sie teilt die Auffassung, „daß ein scharfes Vorgehen gegen Revolverhelden für die Sicherheit der Allgemeinheit zwingend ist". Sie ist gemeinsam mit dem Bundestag und Bundesrat der Ansicht, daß die Vorschriften über den Erwerb und das Führen von Schußwaffen auch nach dem Erlaß des Bundeswaffengesetzes strafbewehrt sind. Entsprechend dieser Rechtsauffassung hat das Landgericht München die Entscheidung des Amtsgerichts aufgehoben und betont, daß § 26 Reichswaffengesetz teilweise als Landesrecht fortgilt. In diesem Sinne hat auch das bayerische Oberste Landesgericht geurteilt. Im übrigen sehen die künftigen Landeswaffengesetze vor, daß der unbefugte Erwerb und das unbefugte Führen von Schußwaffen bestraft wird. Mit dem Erlaß dieser Gesetze ist in einigen Ländern bereits in Kürze zu rechnen; eine Initiative des Bundesgesetzgebers ist deshalb nicht erforderlich. Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. November 1969 395 Anlage 6 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt vom 6. November 1969 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Draeger (Drucksache VI/34 Frage 35) : Ist die Bundesregierung bereit, angesichts der besonderen Absatzsituation der saarländischen Wirtschaft auf den französischen Märkten, den saarländischen Unternehmungen im Rahmen ihrer Strukturmaßnahmen zusätzliche Erleichterungen und Hilfen zu gewähren und welche? Die Bundesregierung ist weiterhin bereit, der saarländischen Wirtschaft im Rahmen ihrer Strukturmaßnahmen eine umfassende Hilfe zu gewähren. So sind in der Zweijahresperiode 1967/68 fast 500 Mio DM für das Saarland an Bundesmitteln zur Verfügung gestellt worden. 1969/70 werden diese Bundesmittel, trotz Beendigung der Konjunkturprogramme und trotz geringerer Finanzhilfen für den Steinkohlenbergbau, nahezu die gleiche Größenordnung erreichen. Demgegenüber wurden 1965/66 nur 110 Mio DM für das Saarland aufgewendet. Die Bundesmittel für 1969/70 werden weitgehend im Rahmen des Aktionsprogramms Saarland-Westpfalz zum Einsatz kommen. Dieses Programm sieht Hilfen für die Errichtung neuer Betriebe wie für die Erweiterung grundlegende Rationalisierung und Umstellung der altansässigen Unternehmen vor. In seinem Rahmen sollte auch versucht werden, diejenigen Schwierigkeiten zu beseitigen, von denen die Saarwirtschaft auf Grund der Änderung in den Wechseikursrelationen berührt werden könnte. Die Bundesregierung wird deshalb — im engen Einvernehmen mit den zuständigen Stellen des Landes — die weitere Entwicklung sorgfältig beobachten. Dem Bundesbeauftragten für den Steinkohlenbergbau und die Steinkohlenbergbaugebiete obliegt es, Anträge für eine steuerliche Investitionsförderung auf Grund des § 32 des Kohlegesundungsgesetzes zu prüfen. Für die saarländische Wirtschaft hat er inzwischen Förderungsbescheinigungen für Investitionen über einen Gesamtbetrag von 1,7 Mrd. DM erteilt. Anlage 7 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt vom 6. November 1969 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Pohle (Drucksache VI/34 Fragen 36 und 37): Welche Bereiche der deutschen Wirtschaft haben im Sinne der Rede des Bundesministers für Wirtschaft vom 30. Oktober 1969 gesagt: „Wären wir doch bloß rechtzeitig dem Schiller gefolgt, dann wäre die Sache billiger."? Hängt die zukünftige Funktionsfähigkeit des internationalen Währungssystems nicht maßgeblich davon ab, daß einige andere wichtige Industrieländer eine stabilitätsgerechtere Wirtschaftspolitik führen und eine Reform des Abkommens von Bretton Woods erfolgt? Alle Bereiche der deutschen Wirtschaft haben durch die Verzögerung der Aufwertung Nachteile erlitten. Eine Aufwertung im Frühjahr, ja noch im Sommer dieses Jahres, hätte die Preis- und Kostenstabilität gesichert. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß eine stabilitätsgerechtere Wirtschaftspolitik wesentlich ist, wenn das derzeitige internationale Währungssystem reibungslos funktionieren soll. In der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bedarf es noch einer erheblichen Fortentwicklung des Gemeinschaftsgedankens, um das notwendige Maß an Harmonisierung einer stabilitätsorientierten Wirtschaftspolitik zu erreichen. Solange wir uns in der westlichen Welt nicht auf einem gemeinschaftlichen Stabilitätspfad bewegen, müßten zumindest die im Statut des Internatioalen Währungsfonds gegebenen Möglichkeiten rechtzeitig und entschlossen genutzt werden. Auch auf der Grundlage dieses Statuts ist nach Übereinstimmung vieler Politiker und Sachverständiger eine elastischere und weniger abrupte Anwendung des Wechselkursinstruments möglich. Anlage 8 Ubersicht des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. von Dohnanyi zu der Mündlichen Frage des Abgeordneten Jung (Drucksache VI/49 Frage 2) : Ubersicht über die Entwicklung der Zulassungsbeschränkungen an den Wissenschaftlichen Hochschulen der WS 1968/69 und 1969/70 für Studienanfänger 1) (Stand: 1. 10. 1969) Fächer Vorhandene Zulassungsbeschränkungen Fakultäten absolut WS WS 1968/69 1969/70 1 2 3 Medizin 23 21 23 Zahnmedizin 19 17 19 Tiermedizin 4 3 4 Pharmazie 17 16 17 2) Psychologie 25 12 14 Biologie 29 6 18 Mikrobiologie 9 1 1 Chemie 31 13 18 Biochemie 9 — 1 Lebensmittelchemie 10 — 3 Geographie 32 4 6 Geologie 28 5 3 Geophysik 14 i Mathematik 33 3 8 Mineralogie 28 2 3 Physik 31 8 12 Astronomie 12 — 1 Architektur 8 8 8 Bauing. 8 — 2 Elektrotechnik 10 5 6 Luftfahrttechnik 2 — 1 Vermessung 8 — 2 Jura 24 — 1 Betriebswirtschaft 27 2 4 Volkswirtschaft 28 2 4 Anglistik 27 2 4 Germanistik 28 3 3 396 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. November 1969 Fächer Vorhandene Fakultäten Zulassungsbeschränkungen absolut WS WS 1968/69 1969/ 70 1 2 I 3 Geschichte 27 2 2 Politologie 23 2 2 Publizistik 4 — 1 Romanistik 25 2 3 Slawistik 21 — 1 Soziologie 23 2 3 Theaterwissenschaft 4 — 1 Dolmetscher 3 1 1 1) ohne Konstanz und Ulm, die sich noch im Aufbau befinden 2) darunter zwei Hochschulen, deren Fächer zwar voll ausgelastet sind, die aber offiziell keine Zulassungsbeschränkung eingeführt haben Quelle: Ermittlungen der WRK Anlage 9 Schriftliche Antwort des Bundesministers Leber vom 12. November 1969 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen (Drucksache VI/49 Frage 38) : Ist die Bundesregierung bereit, mit der Kultusministerkonferenz wegen einer Änderung der Ferienordnung für Sommer 1970 zu verhandeln? Die Bundesregierung ist bereit, mit der Kultusministerkonferenz wegen einer Änderung der Ferienordnung für Sommer 1970 zu verhandeln. Ich habe im Auftrag der Bundesregierung den Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen gebeten, in Abstimmung mit der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Bundesländer den Ferienbeginn im Lande Nordrhein-Westfalen möglichst auf den 2. Juli 1970 festzusetzen. Die gleiche Bitte habe ich an den Präsidenten der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder gerichtet.
Gesamtes Protokol
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601000000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich zunächst unserem Kollegen Faller sehr herzlich gratulieren. Er hat am 11. November seinen 60. Geburtstag gefeiert.

(Beifall.)

Alsdann teile ich mit, daß der Abgeordnete Gscheidle am 7. November 1969 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat. Als sein Nachfolger ist mit Wirkung vom 10. November 1969 der Abgeordnete Säckl in den Bundestag eingetreten. Ich begrüße ihn in unserer Mitte und wünsche ihm eine gute Zusammenarbeit.

(Beifall.)

Meine Damen und Herren, gestern abend sind noch zwei Gesetzentwürfe mit der Bitte eingereicht worden, diese auf die Tagesordnung dieser Woche aufzusetzen, und zwar handelt es sich zunächst einmal um den von den Abgeordneten Müller (Berlin), Benda, Dr, Gradl, Wohlrabe und Genossen eingebrachten
Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Schlußtermins für den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über weitere Maßnahmen auf dem Gebiete des Mietpreisrechts im Lande Berlin
— Drucksache VI/55 —,
alsdann um den von der Fraktion der SPD und der Fraktion der FDP eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes über einen Ausgleich für Folgen der Aufwertung der Deutschen Mark auf dem Gebiete der Landwirtschaft
— Drucksache VI/56 —.
Die Vorlagen werden etwa zwischen 10 und 11 Uhr dem Hause vervielfältigt vorliegen. Mir ist mitgeteilt worden, daß eine interfraktionelle Verständigung darüber erzielt wurde, daß beide Gesetzentwürfe auf die heutige Tagesordnung gesetzt werden. — Ich stelle somit fest, daß die Tagesordnung um diese beiden Punkte erweitert wird, und ich darf wohl annehmen, daß damit auch klargestellt ist, daß keine Fristeinrede nach § 77 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung erhoben wird. — Ich sehe, daß es so
beschlossen ist, und schlage vor, die Drucksache VI/55 der Fraktion der CDU/CSU hinter Punkt 8 der Tagesordnung einzuschieben, weil sie in diesen Zusammenhang gehört. Ich wäre dankbar dafür, wenn zwischenzeitlich eine Verständigung darüber erzielt würde, wann der Antrag der Fraktionen der SPD und FDP in der Tagesordnung behandelt werden soll.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Chef des Bundeskanzleramtes hat am 29. Oktober 1969 je eine Liste über die Zusammensetzung der Bundesregierung und die gegenseitige Vertretung der Bundesminister übersandt. Sie sind als Anlagen 2 und 3 diesem Protokoll beigefügt.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 7. November 1969 die Kleine Anfrage des Abgeordneten Rollmann und Genossen betr. Diskriminierung von Frauenarbeit — Drucksache VI/12 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/51 verteilt.
Der Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen hat am 6. November 1969 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rollmann, Dr. Müller-Hermann und Genossen betr. Flaggendiskriminierung — Drucksache VI/11 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/52 verteilt.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt i der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache VI/49 —
Zunächst die Frage 1 des Abgeordneten Dr. Fuchs aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung:
Ist sichergestellt, daß Abiturienten, die am 1. Juli eines Jahres zur Ableistung des Wehrdienstes einberufen werden und die einen Studienzweig ergreifen wollen, der nur mit einem Wintersemester begonnen werden kann, ihr Studium im Wintersemester des der Einberufung folgenden Jahres aufnehmen können?
Ist der Abgeordnete Dr. Fuchs im Saal? — Der Abgeordnete ist anwesend.
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan.

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0601000100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gebe auf die Frage des Kollegen Dr. Fuchs folgende Antwort.
Zur Zeit besteht folgende Regelung: Abiturienten, die im Juli 1968 zur Ableistung des Grundwehrdienstes einberufen worden sind, können nach einem Erlaß vom 9. Juli 1969 vor Ablauf ihrer Dienstzeit zur Aufnahme eines Studiums im Wintersemester 1969/70 beurlaubt werden, und zwar ab 1. Novem-



Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan
) ber 1969, wenn sie ein natur- oder ingenieurwissenschaftliches Fach, und ab 1. Dezember 1969, wenn sie ein geisteswissenschaftliches Fach an bestimmten Universitäten studieren wollen.
Diese Regelung basiert auf einer Vereinbarung zwischen der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder, der Westdeutschen Rektorenkonferenz und dem Bundesminister der Verteidigung. Eine gleiche oder ähnliche Regelung für die nächsten Jahre besteht bisher noch nicht. Der Bundesminister der Verteidigung ist jedoch bemüht, eine für alle Seiten befriedigende Lösung zu finden.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601000200
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Fuchs.

Dr. Karl Fuchs (CSU):
Rede ID: ID0601000300
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Tatsache, daß in den geisteswissenschaftlichen Fächern erst zum 1. Dezember beurlaubt wird, für diese Studenten eine gewisse Schwierigkeit in der Abwicklung ihres Studiums mit sich bringt?

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601000400
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0601000500
Herr Kollege Dr. Fuchs, ohne Zweifel sehe ich darin eine Schwierigkeit. Der Bundesminister der Verteidigung hat aber auf die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte zu achten und muß folgerichtig ein anderes Interesse vertreten als das Interesse der einzelnen Abiturienten, die gerade in diesem Zeitpunkt Grundwehrdienst leisten und die insbesondere in den letzten Wochen der Ableistung des Grundwehrdienstes sehr häufig in Funktionen bei der Truppe berufen werden, aus denen sie nicht ohne weiteres ohne Ersatzgestellung herauszulösen sind.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601000600
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär für die Beantwortung.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Jung aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf:
In welchen Fächern kann man in der Bundesrepublik Deutschland z. Z. noch ein Studium ohne jegliche Beschränkung (etwa durch den Numerus clausus) beginnen?
Zur Beantwortung Parlamentarischer Staatssekretär von Dohnanyi.

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0601000700
Herr Abgeordneter Jung, ich beantworte Ihre Frage wie folgt.
Ohne Beschränkung sind heute noch die Studienplätze für Theologie, Landwirtschaft, Philosophie, Archäologie und in einem gewissen Umfang Maschinenbau, obwohl dort Darmstadt den Numerus clausus vollständig eingeführt hat. In den meisten Fächern bestehen aber im Wintersemester 1969/70 Zulassungsbeschränkungen für deutsche Studienanfänger. Diese Beschränkungen gelten jedoch nur in den medizinischen Fächern sowie in der Pharmazie und der Architektur für alle Hochschulen. Bei allen anderen Fächern haben lediglich einzelne Hochschulen einen Numerus clausus. In diesen Fächern können sich die Studienbewerber nicht mehr den Hochschulort aussuchen, sondern sind bei der Auswahl auf diejenigen Hochschulen beschränkt, die das gewünschte Fach anbieten und noch keine Zulassungsbeschränkungen eingeführt haben.
Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten möchte ich eine Liste *) zu Protokoll geben, die alle Fächer mit Numerus clausus enthält und erkennen läßt, an wie vielen Fakultäten — jeweils von der Gesamtzahl der vorhandenen Fakultäten — in diesen Fächern ein Numerus clausus eingeführt worden ist.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601000800
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jung.

Kurt Jung (FDP):
Rede ID: ID0601000900
Herr Staatssekretär, welche Möglichkeiten sieht Ihr Haus, um diesen im Grunde doch untragbaren Zustand auch in Anbetracht der Entwicklung der Abiturientenzahlen in aller Kürze zu beseitigen?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0601001000
Die entscheidende Möglichkeit liegt natürlich in einem beschleunigten Ausbau der Hochschulen und in einer beschleunigten Erstellung der notwendigen Studienplätze. Hierzu ist in der Regierungserklärung unter anderem ein Weg über die Beschleunigung im Bauverfahren selbst, also ein technischer Weg, genannt worden. Aber dazu werden Untersuchungen über Kapazitätsengpässe und dergleichen erforderlich sein.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601001100
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Borm.

Dr. William Borm (FDP):
Rede ID: ID0601001200
Herr Staatssekretär, nachdem Sie betont haben, daß das für deutsche Studenten gilt, darf ich Sie fragen, ob auch für ausländische Studenten eine Studienbeschränkung vorgesehen ist.

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0601001300
Sie ist im Augenblick nicht vorgesehen, Herr Abgeordneter.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601001400
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Borm.

Dr. William Borm (FDP):
Rede ID: ID0601001500
Darf ich dann fragen, ob sich daraus erhebliche Nachteile für die deutschen Studenten ergeben, unbeschadet dessen, daß das Studium der Ausländer bei uns so erwünscht ist.
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wis-
*) Vgl. Anlage 8



Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Dohnanyi
senschaft: Herr Abgeordneter, die Zahl der ausländischen Studenten ist, gemessen an der Gesamtzahl der deutschen Studenten, relativ klein. Aber ich werde die von Ihnen hier aufgeworfene Frage noch einmal aus dieser Perspektive prüfen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601001600
Ich rufe die Frage 53 der Abgeordneten Frau Geisendörfer auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, damit die Auszahlung der zugestandenen Betrüge an die Empfangsberechtigten des Honnefer Modells so schnell wie möglich erfolgt?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0601001700
Herr Präsident! Frau Geisendörfer, die für die Studienförderung nach dem Honnefer Modell erforderlichen Mittel werden zur Hälfte vom Bund aufgebracht und den Ländern überwiesen. Diese führen die Mittel zusammen mit dem auf sie entfallenden Betrag an die Studentenwerke der Hochschulen ab. Das Studentenwerk zahlt den Förderungsbetrag monatlich im voraus an den empfangsberechtigten Studenten.
Die Bundesregierung und die Kultusminister der Länder sind immer bestrebt gewesen, eine schnelle Auszahlung der Beträge sicherzustellen. Soweit in Einzelfällen Verzögerungen bei der Auszahlung von Förderungsbeträgen an Studenten eingetreten sind, war das offenbar durch technische und/oder personelle Schwierigkeiten bei den jeweiligen Studentenwerken verursacht worden. Bei Bekanntwerden solcher Einzelfälle haben sich Bund und Länder jeweils unverzüglich um eine sofortige Behebung der Schwierigkeiten bemüht.
Im übrigen wird der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft auf Grund der hier gegebenen Anregung das Thema bei der nächsten Konferenz der Kultusminister am 28. November noch einmal zur Sprache bringen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601001800
Zu einer Zusatzfrage Frau Abgeordnete Geisendörfer.

Ingeborg Geisendörfer (CSU):
Rede ID: ID0601001900
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß gerade bei Erstsemestern eine verhältnismäßig lange Frist — und zwar nicht nur in Ausnahmefällen — verstreicht, bis die Auszahlung auch der Vorauszahlung, von der Sie sprachen, erfolgen kann und daß das manchmal bis in den Januar hinein dauert?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0601002000
Frau Geisendörfer, diese Tatsache ist bekannt. Dafür gibt es natürlich mehrere Gründe. Einmal bereitet zu Beginn die Feststellung von Wohnort und dergleichen mehr Schwierigkeiten. Zum anderen mag das auch eine Frage der Organisation in den Studentenwerken sein.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601002100
Zu einer zweiten Zusatzfrage Frau Abgeordnete Geisendörfer.

Ingeborg Geisendörfer (CSU):
Rede ID: ID0601002200
Herr Staatssekretär, sehen Sie eine Möglichkeit der Einflußnahme auf die Studentenwerke, um diesen Prozeß, der an den verschiedenen Universitäten unterschiedlich lange dauert, zu verkürzen und zugleich von einer sozialen Betreuungsstelle aus Vorauszahlungen auf die Ausgaben zu leisten, die die Studenten ja schon in den ersten Wochen haben?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0601002300
Frau Geisendörfer, ich sehe eine Möglichkeit, hier einzugreifen, und zwar im Zusammenhang mit der vorgeschlagenen Rücksprache zwischen dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und den Kultusministern am 28. November. Ob die Möglichkeit besteht, die Auszahlung auf eine andere Institution — wenigstens vorab, wie Sie es eben angeregt haben -- zu verlagern, will ich gern prüfen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601002400
Ich bedanke mich für die Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär von Dohnanyi.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Die Fragen 21 und 22 des Abgeordneten Dr. Riedl (München) werden schriftlich beantwortet:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussichten der deutschen Bewerbung um die Verlegung des Sitzes des Europäischen Patentamtes nach München, und wann wird sich das Bundeskabinett mit diesem Fragenkomplex befassen, um ein konkretes deutsches Angebot abgeben zu können, das sowohl die Errichtung des Dienstgebäudes mit den erforderlichen Bedienstetenwohnungen wie den Neubau einer internationalen Schule in München umfaßt?
Welche Schritte gedenkt die Bundesregierung zu tun, um nach Vorliegen eines solchen Angebots diesem trotz der anderweitigen Bewerbungen zum Erfolg zu verhelfen?
Die Antwort des Bundesministers Jahn vom,, 11. November 1969 lautet:
1. Die Bundesregierung beurteilt die deutsche Bewerbung um den Sitz des Europäischen Patentamtes für München als aussichtsreich. Außer der Bundesrepublik Deutschland haben sich zwar bisher auch die Niederlande und Luxemburg um den Sitz des Europäischen Patentamts beworben. Die Bundesregierung ist jedoch der Auffassung, daß München in jeder Hinsicht die besten Voraussetzungen für die Errichtung des Europäischen Patentamts bietet.
Die Bundesregierung hat bereits am 3. Juli 1963 beschlossen, sich um den Sitz des Europäischen Patentamtes zu bewerben und die dafür erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Auf Grund dieses Beschlusses sind im Zusammenwirken mit allen beteiligten Stellen, auch des Freistaats Bayern und der Stadt München, bereits umfangreiche vorbereitende Maßnahmen eingeleitet worden. Das Bundeskabinett wird sich in Kürze erneut mit dieser Frage befassen, um schon mit Rücksicht auf die Erfordernisse der mittelfristigen Finanzplanung die notwendigen Entscheidungen im einzelnen zu treffen. Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß zu diesen Einzelfragen nicht nur die Errichtung des Dienstgebäudes des Europäischen Patentamts, sondern auch die Unterbringung seiner Bediensteten und die schulische Betreuung ihrer Kinder gehört.
2. Die Bundesregierung wird alle geeigneten Maßnahmen treffen, um der deutschen Bewerbung zum Erfolg zu verhelfen. Sie begrüßt es dankbar, daß der Freistaat Bayern und die Stadt München ihr jede mögliche Unterstützung zugesagt haben. Sie hält jedoch den Zeitpunkt noch nicht für gekommen, Einzelheiten öffentlich mitzuteilen. Mit einer Entscheidung über den Sitz des künftigen Europäischen Patentamts dürfte kaum vor dem Frühjahr 1971 zu rechnen sein.
Ich rufe Frage 23 des Abgeordneten Burger auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei Gewährung von Darlehen aus Bundesmitteln für die Erstellung von Rehabilitationseinrichtungen durch die geforderte dingliche Sicherung ohne Vermerk über Gebührenbefreiung für die Eintragung im Grundbuch insoweit eine erhebliche Störung der Finanzierung und des organischen Ablaufs eintritt, als der Träger der Einrichtungen gezwungen ist, für jedes einzelne der bis zu zehn meist öffentlichen



Präsident von Hassel
Darlehen die Gebührenbefreiung der in der Regel fünfstelligen
Kosten beim zuständigen Landesjustizministerium zu beantragen?
Der Abgeordnete ist im Saal. Zur Beantwortung Herr Bundesminister Jahn.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0601002500
Der Bundesregierung sind erhebliche Störungen im Finanzierungsablauf für Rehabilitationseinrichtungen nicht bekanntgeworden. Nach den Bundesrichtlinien 1953 zu § 64 a der Reichshaushaltsordnung ist vor einer Auszahlung von Bundesmitteln grundsätzlich die dingliche Sicherung im Grundbuch erforderlich. Bei der Auszahlung von Mitteln für Rehabilitationseinrichtungen begnügt sich die Bundesregierung häufig mit einer nachträglichen Sicherung, um Verzögerungen der Baumaßnahmen zu vermeiden. Wenn andere öffentlich-rechtliche oder private Geldgeber die Auszahlung allerdings von der vollzogenen Eintragung abhängig machen, kann es zu Verzögerungen kommen, insbesondere dann, wenn dem Eintragungsverfahren ein besonderes Gebührenerlaßverfahren vorausgeht.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601002600
Zu einer Zusatzfrage
der Abgeordnete Burger.

Albert Burger (CDU):
Rede ID: ID0601002700
Herr Bundesminister, wären Sie bereit, einmal bei einem praktischen Fall die Richtigkeit Ihrer Ausführungen zu überprüfen, insbesondere auch vor dem Hintergrund der bekannten Tatsache, daß in den letzten Jahren von den Bundesmitteln lediglich ein Drittel abgerufen worden ist, auch wegen der Kompliziertheit des Verfahrens in der Planung und Finanzierung von Rehabilitationseinrichtungen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0601002800
Herr Kollege, ich kann nur dankbar dafür sein, wenn Sie mir durch Vorlage von entsprechendem Tatsachenmaterial helfen, diesen Fragen weiter nachzugehen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601002900
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Burger.

Albert Burger (CDU):
Rede ID: ID0601003000
Ist die Bundesregierung grundsätzlich bereit, einmal die Ursachen der Malaise zu durchforsten, die in den von Ihnen angezeigten Bundesrichtlinien zu § 64 a der Haushaltsordnung liegen, die aus dem Jahre 1953 stammen, aber doch Regelungen zum Inhalt haben, die man ohne weiteres im 19. Jahrhundert hätte praktizieren können und die in der heutigen modernen Zeit mit ihrem ungeheuren Tempo und bei den Schwierigkeiten der Planung und Finanzierung eine Handlichkeit in der Praxis überhaupt nicht ermöglichen?

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601003100
Herr Kollege, die Frage soll kurz sein!

Albert Burger (CDU):
Rede ID: ID0601003200
Es war aber ein Satz; ich habe mich sehr angestrengt, Herr Präsident. (Heiterkeit.)

Aber ich gelobe Besserung.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601003300
Das war ein kunstvoller, sehr langer Satz. — Zur Beantwortung der Herr Minister.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0601003400
Herr Kollege, Ihre Frage beginnt mit einer Annahme, die ich hier nicht ohne weiteres bestätigen kann. Aber ich habe eben gesagt, ich bin selbstverständlich gerne bereit, das nachzuprüfen, wenn Sie entsprechende Hinweise geben können.

Albert Burger (CDU):
Rede ID: ID0601003500
Das wird geschehen. Ich danke Ihnen, Herr Minister.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601003600
Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Burger auf:
Ist die Bundesregierung bereit, da jeder der zahlreichen Anträge auf Gebührenbefreiung unnötige Zeit beansprucht und die Auszahlung der Gelder um Wochen verzögert, die Gebührenbefreiung, wie beim sozialen Wohnungsbau, im Bescheid auszusprechen und das gleiche bei den anderen öffentlich-rechtlichen Darlehnsgebern zu empfehlen, oder, wenn dies nicht möglich ist, die rechtliche Voraussetzung hierfür zu schaffen oder anzuregen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister Jahn.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0601003700
Ein Ausspruch über Gebührenbefreiung oder das Vorliegen der Voraussetzungen der Gebührenbefreiung im Bewilligungsbescheid der Bundesregierung würde ohne rechtliche Wirkung sein, da über die Gebührenbefreiung oder einen Erlaß von Gebühren die von den Ländern jeweils bestimmten Stellen zu entscheiden haben. Wenn unmittelbare Wirkungen mit dem Ausspruch verbunden werden sollen, würde es also eines Gesetzes bedürfen. Ein Bundesgesetz scheint mir zur Zeit aber nicht erforderlich zu sein, da die Landesjustizverwaltungen unter Mitwirkung meines Hauses in ihrem Modellentwurf für ihre landesrechtlichen Gebührenvorschriften eine Vorschrift erarbeitet haben, nach der Körperschaften, Vereinigungen und Stiftungen, die gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken im Sinne des Steuerrechts dienen, generell von der Zahlung der Gebühren der Kostenordnung befreit sind, soweit die Angelegenheit nicht einen steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb betrifft.
Unter diese Vorschrift wird die große Masse der Rehabilitationseinrichtungen fallen. In Nordrhein-Westfalen ist ein solches Gebührenbefreiungsgesetz schon erlassen, in Baden-Württemberg wird es vorbereitet. Ich hoffe, daß die übrigen Länder bald folgen werden, soweit sie nicht schon ausreichende Bestimmungen haben.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601003800
Keine Zusatzfragen. — Die Frage 25 des Abgeordneten Zebisch wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet:
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, schon vor der Reform der sog. Demonstrationsdelikte im Rahmen der Strafrechtsreform eine Amnestiegesetzgebung für die Demonstrationsvergehen von 1967/68 vorzubereiten, um damit angesichts der Fülle von unterschiedlichen Entscheidungen der erkennenden Gerichte zum Rechtsfrieden beizutragen und die Ausnahmesituation zu würdigen, die durch das Übergreifen der in allen Staaten infolge einer verschleppten Hochschulreform festzustellenden Studentenrevolte auf die Bundesrepublik Deutschland entstanden war?
Die Antwort des Bundesministers Jahn vom 11. November 1969 lautet:



Präsident von Hassel
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß eine Reform der Strafbestimmungen zum Schutze des Gemeinschaftsfriedens ein entscheidender Beitrag zur Rechtsklarheit und zum Rechtsfrieden sein wird. Sie ist deshalb der Ansicht, daß diese Reform von den gesetzgebenden Körperschaften vordringlich in Angriff genommen werden sollte, Die Bundesregierung hat alles in die Wege geleitet, um beschleunigt die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Lösung dieser brennenden Problematik zu schaffen.
Im Zusammenhang mit der Reform des allseits als unbefriedigend und als verbesserungsbedürftig erkannten bisherigen Rechtszustandes wird sich dann auch die Erwägung aufdrängen, wie die bis dahin begangenen Straftaten zu behandeln sind. In vergleichbarer Lage hat der Gesetzgeber Straffreiheit gewährt, nämlich bei der Reform des Staatsschutz-Strafrechts und im Ersten Strafrechtsreformgesetz.
Eine Amnestie vor der Reform der Strafvorschriften wirft viele Fragen auf, insbesondere rechtliche Probleme von großer Schwierigkeit und Bedeutung. Rechtlich ginge es nicht nur um die Frage, wie man eine solche Amnestie überhaupt sinnvoll abgrenzen könnte, sondern unter anderem auch um die problematischen Auswirkungen auf die Rechtspflege und darum, ob nicht einer solchen Amnestie sehr bald — nämlich nach der Reform — eine weitere folgen müßte. Dies sind Probleme, die gerade unter dem in der Anfrage mit Recht hervorgehobenen Gesichtspunkt des Rechtsfriedens Sorge bereiten müßten.
Damit sind wir am Ende dieses Bereiches. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Ich rufe die Frage 35 des Abgeordneten Flämig auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um den Verkauf von Rauschgift, insbesondere auch an Jugendliche und Schiller, der in jüngster Zeit besorgniserregend zugenommen hat, zu unterbinden?
Ist der Abgeordnete im Saal? — Er ist im Saal. Zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär Westphal.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0601003900
Herr Kollege Flämig, gesetzliche und kriminalpolizeiliche Maßnahmen können nur zu einem geringen Teil den überwiegend sozialpsychologisch begründeten Komplex der Suchtgefahren erfassen. Um dem Problem der mißbräuchlichen Verwendung von Suchtstoffen besser zu begegnen, wollen wir eine kleine Kommission von Sachverständigen bitten, an Hand vorliegender Erfahrungsberichte aus anderen Ländern und an Hand ihrer eigenen Stellungnahme Vorschläge für erfolgversprechende Maßnahmen zu prüfen und zu erarbeiten.
Wir halten es außerdem für notwendig, einen Forschungsauftrag, der die Motivationen aufdecken soll, die zu gewohnheitsmäßiger Anwendung von Suchtstoffen bei Jugendlichen führen, zu erteilen, und sind bemüht, dazu die Voraussetzungen zu schaffen.
An Maßnahmen im Rahmen der Gesetzgebung sind vorgesehen: Einführung von Sonderrezepten zur besseren Überwachung der therapeutisch verwendeten Suchtstoffe, Verschärfung der Strafvorschriften gegen den illegalen Handel mit Suchtstoffen, Erlaß von Vorschriften über die Sicherung von Suchtstoffvorräten bei Herstellern und Großhändlern.
Die illegale Weitergabe von Suchtstoffen an Jugendliche beruht in erster Linie auf dem Schmuggel von Haschisch, also Cannabis, in die Bundesrepublik. Das Bundeskriminalamt und die örtlichen Kriminalpolizeidienststellen versuchen mit allen ihren Mitteln, diesen Schmuggel zu unterbinden.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601004000
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Flämig.

Gerhard Flämig (SPD):
Rede ID: ID0601004100
Herr Staatssekretär, gibt es in Ihrem Hause bereits Erkenntnisse darüber, ob der Konsum von Haschisch und Marihuana für junge Menschen wirklich wesentlich unschädlicher ist als die Anwendung von Opiaten und anderen Rauschgiften wie Kokain, Heroin, LSD etc. oder gar, wie kürzlich behauptet worden ist, unschädlicher als Nikotin und Alkohol?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0601004200
Es gibt in unserem Hause, genau wie an anderer Stelle, noch nicht ausreichende Erkenntnisse, um diese Frage mit Ja oder Nein beantworten zu können. Diese Frage ist in der wissenschaftlichen Welt noch in der Diskussion und hat jetzt zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Aber gerade auch die führenden amerikanischen Wissenschaftler haben gesagt, daß sie erst Mitte nächsten Jahres die Ergebnisse ihrer Untersuchungen über dieses Thema werden vorlegen können. Auch wir verfügen nicht über bessere Erkenntnisse in dieser Hinsicht.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601004300
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Flämig.

Gerhard Flämig (SPD):
Rede ID: ID0601004400
Herr Staatssekretär, halten Sie es für möglich, daß man auch die Kultusministerkonferenz mit der Frage des zunehmenden Rauschgiftkonsums bei Schülern und Jugendlichen und entsprechender vernünftiger Aufklärungsaktionen hinsichtlich der möglichen Suchtgefahren befaßt?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0601004500
Ich halte dies für möglich und meine, daß es darüber hinaus auch andere, in den Ländern zuständige Ministerien gibt, die wir zur Zusammenarbeit bitten sollten. Es hat schon Gespräche gegeben, die in diese Richtung zielen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601004600
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Meinecke.

Dr. Rolf Meinecke (SPD):
Rede ID: ID0601004700
Herr Staatssekretär, Sie sprachen von den Erfahrungen in anderen Ländern. Ist die Bundesregierung geneigt, im Rahmen der zu überlegenden Maßnahmen insbesondere die von Präsident Nixon für die USA vorgeschlagenen 10 spezifischen Schritte, die von innerstaatlichen Maßnahmen his zur Zusammenarbeit mit anderen Staaten reichen, zu prüfen und eventuell einiges davon zu übernehmen?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0601004800
Herr Kollege Dr. Meinecke, wir sind geneigt, dies zu tun. Wir sehen Erfahrungsberichten, die vor allen Dingen in Schweden über die Entwicklungen dort erstellt worden sind, und amerikanischen Unterlagen entgegen, um sie hier auswerten zu können und,



Parlamentarischer Staatssekretär Westphal
von da ausgehend, auch in der von mir vorhin gerade genannten Kommission Vorschläge für unser eigenes Handeln entwickeln zu können.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601004900
Herr Kollege Dr. Meinecke, ich lasse keine weiteren Zusatzfragen zu. Wir haben sehr viele Fragen auf der Tagesordnung. Mit Rücksicht auf die anderen Fragesteller müssen wir uns beschränken.
Ich rufe die Frage 36 der Abgeordneten Frau Klee auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung zu neuen Initiativen zur Schaffung eines Europäischen Jugendwerks?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär Westphal.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0601005000
Frau Kollegin Klee, der Ausschuß für außerschulische Bildung des Europarats befaßte sich am 5. und 7. November 1969, also vor sehr kurzer Zeit, mit dem offiziellen deutschen Vorschlag für ein Europäisches Jugendwerk. Er beschloß, zur Ausarbeitung eines detaillierten Plans einen Arbeitsausschuß aus Vertretern der Mitgliedstaaten zu bilden. Die Bundesregierung — also wir -- wurde gebeten, den Arbeitsausschuß so bald wie möglich einzuberufen, damit das Ergebnis dem Rat für kulturelle Zusammenarbeit auf seiner Sitzung im Februar 1970 zur Prüfung vorgelegt werden kann. Die Bundesregierung wird tatkräftig bemüht sein, auf diesem Wege
einen gemeinsamen Plan für ein Europäisches Jugendwerk zu verwirklichen.
Unabhängig davon wird sie durch unmittelbare Besprechungen mit anderen Regierungen Möglichkeiten zur Verwirklichung suchen. Da es seit kurzem zum Thema Europäisches Jugendwerk eine neue Denkschrift des Deutschen Bundesjugendrings gibt, die auch dem Herrn Bundespräsidenten vorgelegt wurde, wird die Bundesregierung eingedenk ihrer Absicht, den Dialog mit der jungen Generation zu führen, mit den Repräsentanten der Jugendverbände den Inhalt der Denkschrift erörtern, um daraus weitere Initiativen zur Durchsetzung der Idee des Europäischen Jugendwerks abzuleiten.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601005100
Eine Zusatzfrage wird nicht gewünscht. Ich rufe die Frage 37 der Abgeordneten Frau Klee auf:
Inwieweit rechnet die Bundesregierung mit einer Beteiligung der anderen europäischen Länder an einem Europäischen Jugendwerk?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0601005200
Ein großer Teil der Mitgliedstaaten des Europarates, Frau Kollegin Klee, steht positiv zu einem Europäischen Jugendwerk. Bisher haben allerdings erst wenige Staaten ihre Bereitschaft zur wirklichen Mitwirkung erklärt, nämlich die Niederlande, Belgien, Dänemark, Norwegen, Zypern und Malta. Andere, darunter Großbritannien, warten die Weiterentwicklung, unter anderem die Klärung der finanziellen Verpflichtungen und der Rechtsform, noch ab. Einige Regierungen haben bisher noch keine Stellungnahme abgegeben. Die Bundesregierung hofft, daß es ihr gelingt, die Vorbehalte der französischen Regierung auszuräumen, zumal das bestehende, bedeutende deutsch-französische Jugendwerk in seiner Aufgabe durch ein Europäisches Jugendwerk nicht geschmälert würde und in sich im Interesse der Verständigung der Jugend beider Länder weiterentwikkelt werden soll.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601005300
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Klee.

Marie-Elisabeth Klee (CDU):
Rede ID: ID0601005400
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung für eine Beteiligung der osteuropäischen Jugend, wie es in der Regierungserklärung heißt?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0601005500
Frau Kollegin Klee, es kommt im Hinblick auf die Beteiligung der Jugend aus Ost und West gerade bei einer Vorstellung, wie wir sie vom Europäischen Jugendwerk haben, vornehmlich auf das Dabeisein und Mittun an. Es kommt erst in zweiter Linie darauf an, an den Institutionen, die entstehen werden, beteiligt zu sein. Aber unsere Wünsche gehen dahin, auch die Institutionen, die für die Erfüllung der Aufgaben eines Europäischen Jugendwerks geschaffen werden, so offen zu gestalten, daß osteuropäische Staaten genauso wie westeuropäische Staaten durch ihre Organisationen oder ihre Regierungen darin mitwirken können.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601005600
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, für die Beantwortung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen. Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 39 des Abgeordneten Dr. Apel auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß es auf den Bundesautobahnen — auch den mit drei Fahrspuren — immer mehr üblich wird, daß die Fahrer von Personenkraftwagen anhaltend die äußerste Überholspur befahren und damit den vorhandenen Verkehrsraum und den möglichen Fahrzeugfluß unnötig einschränken?
Zur Beantwortung Herr Bundesminister Leber.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601005700
Herr Präsident, es ist der Bundesregierung bekannt, daß auf Bundesautobahnen mit drei Fahrspuren häufig die linke Fahrspur zu stark belastet ist. Wie in der geltenden Straßenverkehrsordnung so sieht auch der gegenwärtige Referentenentwurf der neuen Straßenverkehrsordnung auch bei Autobahnen mit drei Fahrstreifen das Rechtsfahrgebot vor. Die Verkehrspoli-



Bundesminister Leber
zei der Länder ist angewiesen, bei Verstößen dagegen einzuschreiten.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601005800
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Apel.

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0601005900
Herr Minister, sind Sie nicht auch der Meinung, daß die bisherigen Versuche der Verkehrspolizei, das Rechtsfahrgebot durchzusetzen, weitgehend erfolglos waren?

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601006000
Ich finde, ja. Das Rechtsfahrgebot wird dann, wenn drei Fahrspuren da sind, zu häufig umgangen. Deshalb habe ich von einer zu starken Belastung der linken Fahrspur gesprochen. Ich bin allerdings auch der Auffassung, daß das ein Gewöhnungsprozeß ist, mit dem wir es zu tun haben; denn die drei Fahrspuren sind noch nicht überall vorhanden.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601006100
Zu einer zweiten Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Apel.

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0601006200
Herr Minister, können Sie mir zustimmen, daß das gleiche Problem sich auch bei Bundesautobahnen mit zwei Fahrspuren stellt, so daß von einer verstärkten Aktion der Polizei weder dort noch bei den Autobahnen mit drei Spuren durchgreifende Verbesserungen zu erwarten sind?

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601006300
Ich habe das Gefühl, daß im vergangenen Sommer die Fahrdisziplin besser geworden ist. Ich habe die Hoffnung, daß sich der Autofahrer mehr und mehr daran gewöhnt, daß man rechts fährt und daß das schnellere Fahrzeug die linke Spur zum Überholen zur Verfügung behält. An dem von Ihnen geschilderten Zustand, Herr Kollege, würden wir auch nichts ändern, wenn wir das Linksfahrgebot einführten und dann die rechte Fahrspur zur Überholspur machten. Dann würde das Ganze sich nur im umgekehrten Verhältnis vollziehen. Das ist nicht eine Frage von links oder rechts, sondern von schnell oder langsam oder von Schnellfahrenwollen und Nur-langsamer-können.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601006400
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mertes.

Dr. Werner Mertes (FDP):
Rede ID: ID0601006500
Herr Minister, wird das dauernde Linksfahren nicht oft dadurch provoziert, daß Lastzüge, die kaum eine unterschiedliche Geschwindigkeit haben, über Kilometer hin versuchen, sich gegenseitig zu überholen?

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601006600
Weil das stellenweise zu erheblichen Verkehrsbehinderungen führt, sind an besonderen Stellen — vor allen Dingen wegen der Geländeverhältnisse der Autobahn — Überholverbote für Lastwagen eingeführt worden. Im übrigen ist das eine Frage der Disziplin und eine Frage
der Einhaltung des § 1 der Straßenverkehrsordnung: Jeder hat sich so zu verhalten, daß er den anderen nicht mehr als den Umständen nach erforderlich behindert oder belästigt.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601006700
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Flämig.

Gerhard Flämig (SPD):
Rede ID: ID0601006800
Herr Minister, wird das Linksfahren heute nicht auch dadurch hervorgerufen, daß insbesondere bei alten Autobahnstrecken die rechte Fahrspur oft die Gestalt eines Waschbretts hat?

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601006900
Das mag sicher, wenn Sie eine Begründung suchen, für manchen auch ein Anlaß sein, mit dem langsameren Fahrzeug links zu fahren.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601007000
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Bockelberg.

Helmut von Bockelberg (CDU):
Rede ID: ID0601007100
Herr Minister, sehen Sie einen Grund für das Linksfahren nicht darin, daß sich die linksfahrenden Pkw-Kolonnen nicht für disziplinierte Fahrer zum Überholvorgang öffnen wollen?

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601007200
Das sind alles Vermutungen, die man anstellen kann. Hier geht es zunächst einmal um das geltende Recht und um die Fahrdisziplin. Ich vertraue darauf, daß wir auf dem Wege über eine permanente Bemühung — dazu gehört natürlich Beharrlichkeit und Geduld — das erreichen, was man unter Umständen auch über Vorschriften nicht erzwingen kann.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601007300
Ich rufe die Frage 40 des Abgeordneten Dr. Apel auf:
Ist die Bundesregierung bereit, daraus bei der Vorlage der neuen Straßenverkehrs-Ordnung die Konsequenzen zu ziehen, indem sie unter strikter Beachtung des Grundsatzes „keep your lane" (bleib in deiner Fahrspur) dem die Fahrspur wechselnden Fahrzeug die Hauptverantwortung für die Verkehrssicherheit auferlegt und gleichzeilig Rechtsüberholen sanktioniert?
Zur Beantwortung Herr Bundesminister Leber.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601007400
Nach dem Entwurf der neuen Straßenverkehrs-Ordnung darf vom Rechtsfahrgebot — z. B. auf der Autobahn — dann abgewichen werden, wenn die Verkehrsdichte das rechtfertigt. Haben sich in dieser Situation Reihen von Fahrzeugen auf allen Fahrstreifen für eine Richtung gebildet, so darf künftig auch die rechte Reihe schneller fahren als die linke, also überholen. Weitergehend das Rechtsüberholen zuzulassen, ist nicht beabsichtigt; dies ist auch auf internationaler europäischer Ebene künftig nicht vorgesehen. Der Fahrstreifenwechsel von links nach rechts oder von rechts nach links wird so geregelt werden, daß die Verantwortung ausschließlich bei dem Kraftfahrer liegt, der den Fahrstreifen wechselt. Dies ist künf-



Bundesminister Leber
tiges Recht; ich muß dies hinzufügen, damit meine
Mitteilung hier nicht schon falsch interpretiert wird.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601007500
Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 41 des Abgeordneten Josten auf:
Welchen Zeitplan hat die Bundesregierung zum Bau der vorgesehenen neuen Rheinbrücken?
Zur Beantwortung, Herr Bundesminister. •

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601007600
Neben den 33 vorhandenen und den 6 im Bau befindlichen Straßenbrücken über den Rhein sind folgende 14 Rheinbrücken geplant: eine Brücke bei Duisburg für den EmscherSchnellweg, eine Brücke bei Krefeld im Zuge der Bundesstraße 288, eine Brücke im Zuge der „Dü-BoDo", der Autobahn von Düsseldorf über Bochum nach Dortmund am Ulrichsring in Düsseldorf, eine Brücke in Flehe, südlich von Düsseldorf, eine Rheinbrücke bei Sinzig und Remagen, eine Rheinbrücke bei Neuwied, eine Brücke bei St. Goarshausen, ferner Rheinbrücken bei Bingen, Oppenheim/Gernsheim, bei Altrip, Speyer-Nord, Roppenheim, Baden-Baden und Ottenheim-Gerstheim. Das sind 14 Brükken, die in der Planung noch vorgesehen sind.
Die Rheinbrücken bei Bingen, Altrip und Speyer-Nord sollen im 1., die Rheinbrücke Neuwied im 1. oder 2. Fünfjahresplan verwirklicht werden. Was die Abwicklung des Neubaues der übrigen von mir soeben genannten Brücken betrifft, so kann beim derzeitigen Stand des 2. Ausbauplanes noch nichts Konkreteres über den zeitlichen Ablauf der Bautätigkeit gesagt werden. Hierfür müssen zunächst die Ergebnisse der zur Zeit noch laufenden Verhandlungen mit den jeweiligen Auftragsverwaltungen der Länder über die Dringlichkeitseinstufung der einzelnen Objekte abgewartet werden.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601007700
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Josten.

Johann Peter Josten (CDU):
Rede ID: ID0601007800
Herr Minister, entsprechen Ihre jetzt genannten Zahlen den Vorstellungen, die von Ihrem Hause bereits zur Zeit der letzten Regierung vertreten wurden?

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601007900
Die Zahlen, die ich genannt habe, entsprechen den Planungen des nächsten Ausbauplanes, der von 1971 bis 1985 durchgeführt wird, einschließlich der sechs Brücken, die jetzt in Arbeit sind. Es sind 14 plus 6, also 20 Rheinbrücken in Arbeit.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601008000
Ich rufe die Frage 42 des Abgeordneten Weigl auf:
Bis wann kann mit dem Beginn des Autobahnbaues Weiden—Hof gerechnet werden?
Ist der Abgeordnete im Saal? — Zur Beantwortung Herr Bundesminister Leber.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601008100
Bei den Untersuchungen zur Aufstellung des neuen Ausbauplanes hat sich der Bedarf einer zweibahnigen Bundesfernstraße zwischen Weiden und Hof zunächst nicht ergeben. Die Untersuchungen dauern jedoch noch an.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601008200
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Weigl.

Franz Weigl (CSU):
Rede ID: ID0601008300
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, für eine Vorverlegung des Autobahnbaus Weiden—Hof einzutreten, damit die Zonenrandlandkreise in Ostbayern endlich auch einen Anschluß an das große Verkehrsnetz bekommen?

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601008400
Herr Kollege Weigl, es geht nicht um den Anschluß des Zonenrandgebietes in Ostbayern, sondern es geht darum, ob dort eine Autobahn gebaut werden soll. Die Bundesstraße 15 wird im übrigen so ausgebaut, daß alle verkehrlichen Erfordernisse nach dem gegenwärtigen und dem vorausschaubaren Verkehrsbedarf durch sie voll erfüllt werden. Aber wir haben bei den Prognosen, die für diese Trasse, wie man sie sich den-
' kann, angestellt worden sind, einen täglichen Verkehr von 6- bis 8000 Kraftfahrzeugen für das Jahr 1990 ermittelt. Dies rechtfertigt gegenwärtig nicht die Entscheidung für den Bau einer Autobahn. Im übrigen wird die Bundesstraße 15 von Weiden aus nach Norden über eine verhältnismäßig lange Strecke als Autobahn gebaut. Es geht dann darum, künftig am jeweiligen Stand des vorausschaubaren Verkehrsaufkommens die Entscheidung zu prüfen, ob es nur eine gut ausgebaute Bundesfernstraße ist oder ob das Verkehrsaufkommen uns anhält, daraus eine Autobahn zu machen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601008500
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weigl.

Franz Weigl (CSU):
Rede ID: ID0601008600
Herr Bundesminister, soll das Verkehrsaufkommen der alleinige und ausschlaggebende Faktor sein, oder würden Sie nicht auch die Zonenrandlage dieses Gebietes und die Brückenfunktion in die Tschechoslowakei hinein als maßgebende Gründe für einen Autobahnbau berücksichtigen?

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601008700
Die Autobahn, die in die Tschechoslowakei hineinführt, ist im Bau begriffen. Sie kommt von Nürnberg und wird bei Waidhaus hoffentlich einmal nach Prag weitergeführt werden. Die Frage, die Sie hier stellen, ist nicht die einer Ost-West-Verbindung, sondern einer Süd-Nord-Verbindung im Zuge der Bundesstraße 15. Dafür ist ausschließlich das gegenwärtige und das künftige Verkehrsaufkommen ausschlaggebend. Aus anderen Gründen kann man Investitionsentscheidungen, die Milliardengröße haben, nicht treffen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601008800
Ich rufe Frage 43 des Abgeordneten Fellermaier auf:



Präsident von Hassel
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Ferienordnung 1970, die von der Kultusministerkonferenz beschlossen wurde, wieder zu wenig Rücksicht auf die Erfordernisse des Verkehrs nimmt, nachdem die drei großen Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen nahezu gleichzeitig mit den Sommerferien beginnen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601008900
Ich beantworte die Frage mit Ja. Die Bundesregierung teilt Ihre Auffassung, Herr Kollege. Deshalb habe ich im Auftrag der Bundesregierung den Herrn Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen gebeten, den Sommer-ferienplan 1970 im Lande Nordrhein-Westfalen möglichst auf den 2. Juli vorzuverlegen. Ich bin in Ergänzung dessen, was ich soeben gesagt habe, in der Lage, Ihnen mitzuteilen, daß im Land Nordrhein-Westfalen auf meine Bitte hin gestern der Beschluß gefaßt worden ist, den Ferientermin auf den 17. Juli vorzuverlegen. Dies ist eine Vorverlegung um eine ganze Woche. Ich halte diesen Vorschlag, auch wenn man alles abwägt und sich andere günstige Möglichkeiten wie der 2. Juli angeboten hätten, für eine sehr wirkungsvolle Entzerrung des Ferienverkehrs, den wir im Juli zu erwarten haben.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601009000
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fellermaier.

Ludwig Fellermaier (SPD):
Rede ID: ID0601009100
Herr Minister, würden Sie mir zustimmen, daß es sicher auch begrüßenswert wäre, wenn die großen Länder Baden-Württemberg und Bayern, in denen die Ferien am gleichen Tage beginnen, ebenfalls den Ferienbeginn auseinanderzögen, weil ihr Verkehr über eine einzige Autobahn gen Süden rollt, nämlich die Autobahn KarlsruheStuttgart—Ulm--München?

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601009200
Ich bin Ihrer Auffassung, Herr Kollege, und bin auch der Meinung, daß einige Länder — ich will mich hier gar nicht auf bestimmte Länder einlassen, um nicht Streit auszulösen — gut daran täten, auch einmal etwas nachzugeben und nicht darauf zu bestehen, daß ihre Ferien immer im Juli beginnen. Wir werden nur dann eine sachgerechte Ferienlösung haben, wenn wir dabei folgende Probleme ins Auge fassen:
1. eine Erweiterung des Zeitraumes, d. h. einen früheren Beginn der Ferien, nach Möglichkeit ab Mitte Juni, und das Ende der Ferien etwa um Mitte September;
2. daß große Länder dabei überlegen, ob es nicht möglich ist, statt das ganze Land an einem Tage in die Ferien zu schicken, ein solches Land unter Umständen in zwei Ferienbereiche aufzuteilen — nach meiner Auffassung ist das möglich, ohne daß den Dingen Gewalt angetan wird —;
3. bedarf der Ferienplan als solcher einer guten Abstimmung, damit nach Möglichkeit keine Bündelung von Ferienterminen vonstatten geht. Hier wehre ich mich dagegen, daß der Ferienbeginn immer mit dem Wochenende identisch sein muß. Man kann ihn zum Zwecke der Verzahnung auch
einmal mitten in die Woche legen. Bei rechtzeitiger Ankündigung wirkt das genausogut und positiv wie am Wochenende.
Ein Weiteres. Diese Ferienpläne müssen nicht nur national abgestimmt werden, sondern wir haben eine europäische Feriensituation. Hier bedarf es also auch der nachhaltigen Abstimmung der Ferientermine mit unseren Nachbarländern, mit denen wir in dieser Frage sehr verzahnt sind. Ich darf hier nur an die skandinavischen Länder, die Deutschland zum Teil als Transitland betrachten, und an die Beneluxländer erinnern.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601009300
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fellermaier.

Ludwig Fellermaier (SPD):
Rede ID: ID0601009400
Herr Minister, würden Sie mir zustimmen, wenn ich formuliere, daß nicht nur Bundesregierung und Bundestag, sondern auch die deutsche Öffentlichkeit erwarten, daß die Kultusministerkonferenz endlich eine langfristige Lösung im Interesse der Verkehrsteilnehmer wie auch der betroffenen Eltern und Schüler ausarbeitet?
Leber, Bundesminister für Verkehr und für das
Post- und Fernmeldewesen: Sie haben recht, Herr Abgeordneter. Die deutsche Öffentlichkeit erwartet das. Es ist aber sehr mühevoll, mit den Kultusministern darüber einig zu werden. Ich selbst habe das ohne Erfolg versucht und darf bei der Gelegenheit auf folgendes hinweisen. Die Mitteilung, die ich heute in einer Bonner Zeitung gelesen habe, ist nicht richtig. Der letzte Ferientermin ist nicht in meiner Anwesenheit und mit meiner Zustimmung, sondern in meiner Abwesenheit und gegen meinen Widerspruch beschlossen worden.
Ich bin sehr froh, daß ich Ihnen eine hoffnungsvolle Mitteilung machen kann, die mir der Herr Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen gestern abend am Telefon gemacht hat. Er hat mir gesagt, daß er sich bemühen wird, die Ferienregelung künftig durch die Ministerpräsidenten vornehmen zu lassen und sie nicht mehr in dem Zuständigkeitsbereich der Kultusminister zu belassen.

(Beifall bei der SPD.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601009500
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß Sie mir zugeben, daß diese Fragen ausreichend beantwortet worden sind. Die weiteren drei Fragesteller lasse ich nicht zu; wir kommen sonst mit unseren Fragen nicht von der Stelle.
Die nächste ist die Frage 44 des Abgeordneten. Fellermaier:
Welche Erfahrungen brachte das zeitweilige Verkehrsverbol für LKWs auf bestimmten Bundesautobahnen und Bundesfernstraßen an einzelnen Ferientagen des Jahres 1969?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601009600
Das LKW-Fahrverbot während der Hauptreisezeit dieses Jahres hat sich bewährt. Im Gegensatz zu den Vorjahren war der



Bundesminister Leber
Verkehrsablauf auf den meisten Autobahnen flüssig. Die statistische Auswertung der Unfallentwicklung durch das Statistische Bundesamt ist leider noch nicht abgeschlossen. Nach den vorläufigen Unfallzahlen aus sieben Bundesländern ist die Zahl der Unfälle auf dem gesamten Straßennetz an den fünf Wochenenden mit LKW-Fahrverbot gegenüber der Vergleichszeit des Vorjahres um 7% leicht angestiegen. Dies ist der normale Trend aller Jahre. Die Zahl der bei diesen Verkehrsunfällen im ganzen Getöteten liegt jedoch um 13 % niedriger als im Vorjahr. Dies ist bei der erheblichen Zunahme des Verkehrs ein beachtenswert positives Ergebnis.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601009700
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 45 des Abgeordneten Mertes auf:
Welche Stellungnahme gibt die Bundesregierung zu der Kritik des Allgemeinen Deutschen Automobilclubs an der mangelhaften Unfallhilfe auf den Straßen und Autobahnen in der Bundesrepublik Deutschland ah, insbesondere dazu, daß die Kompetenzfrage zwischen Bund und Ländern nach wie vor nicht geklärt sei?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601009800
Nach dem Grundgesetz sind die Bundesländer für den Unfallrettungsdienst zuständig. Ich sehe aus meiner verkehrspolitischen Verantwortung im Unfallrettungsdienst eine Aufgabe der Verkehrssicherheit. Ich bin darum bemüht, in fachlicher Zusammenarbeit mit den Bundesländern und auch mit Gremien der Verkehrsmedizin den Unfallrettungsdienst den modernen Anforderungen anzupassen. Trotz der verhältnismäßig geringfügigen Haushaltsmittel, die mir für diese Zwecke zur Verfügung stehen, habe ich eine Reihe von progressiven Entwicklungen eingeleitet. Ich begrüße die Kritik des ADAC, weil sie meine Bemühungen um eine bundeseinheitliche Koordinierung des Unfallrettungswesens hervorhebt und auch unterstützt.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601009900
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 46 des Herrn Abgeordneten Mertes auf:
Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um eine einheitliche Notrufnummer für das gesamte Telefonnetz der Bundesrepublik Deutschland, die kostenlos angewählt werden kann, ebenso zu erreichen wie die Ausstattung der Bundesstraßen nach dem Vorbild der Autobahnen mit Notrufsäulen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601010000
Die Deutsche Bundespost hat vor mehr als 15 Jahren die Fernsprechrufnummern 110 für Notdienste der Polizei und 112 für Notdienste der Feuerwehr festgelegt. Die Fernsprechanschlüsse mit der Rufnummer 110 können in jedem Ortsnetz bereitgestellt werden. Auch für Ortsnetze mit zweistelligen Rufnummern, die bisher von dieser Regelung ausgenommen waren, sind kürzlich von der Deutschen Bundespost Sonderlösungen vorgeschlagen worden, die es gestatten, auch dort die Notrufnummer 110 einzuführen.
Die Forderung nach gebührenfreien Notrufen ist schon oft gestellt worden. Bei den Notrufen handelt es sich aber genauso wie bei sonstigen Gesprächen
über das öffentliche Fernsprechnetz um gebührenpflichtige Leistungen der Deutschen Bundespost. Es hat sich bisher noch niemand bereitgefunden, diese Kosten anstelle der Fernsprechteilnehmer zu übernehmen.
Die Bundesregierung sieht gegenwärtig keine Möglichkeit, in absehbarer Zeit auf den Bundesstraßen Notrufsäulen zur Verfügung zu stellen, weil die fernmeldetechnischen und betrieblichen Voraussetzungen vorerst noch nicht gegeben sind und aus finanziellen Gründen zur Zeit auch nicht geschaffen werden können.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601010100
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mertes.

Dr. Werner Mertes (FDP):
Rede ID: ID0601010200
Herr Bundesminister, da die Bundespost gerade aus dem Fernsprechverkehr Überschüsse erzielt, frage ich: Wäre es aus humanen Gründen nicht möglich, daß die Notrufnummer kostenlos angewählt werden kann?

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601010300
Herr Kollege Mertes, ich bin zur Zeit dabei, die Kostengröße zu ermitteln, und habe mir vorgenommen, daß der Herr Bundesminister für Verkehr mit dem Herrn Bundespostminister darüber in Kürze mal ein Gespräch führen wird.

(Heiterkeit.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601010400
Ich rufe die Frage 58 des Abgeordneten Dr. Arnold auf:
Stimmt die Bundesregierung der Einführung eines privaten Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland neben den bestehenden Programmen der öffentlich-rechtlichen Anstalten grundsätzlich zu?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601010500
Die Bundesregierung ist, wie der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung zum Ausdruck gebracht hat, der Auffassung, daß neue technische Möglichkeiten im Fernsehen zum besten Nutzen der Gesellschaft, vor allem auch für Bildungsaufgaben, verwendet werden. In jedem Fall sind dabei die Interessen der Öffentlichkeit vorrangig zu sichern.
Nach den Bestimmungen des Grundgesetzes, wie sie vom Bundesverfassungsgericht im Fernsehurteil interpretiert worden sind, liegt die Gesetzgebungs-
und Verwaltungsbefugnis für Rundfunksendungen ausschließlich bei den Bundesländern. Das schließt nicht aus, daß die Bundesregierung gemeinsam mit den Bundesländern die Möglichkeiten prüft, die sich aus den aufgezeigten Zielvorstellungen ergeben. Dabei wäre auf der Grundlage der sich abzeichnenden technischen Entwicklungen eine Gesamtlösung zu erarbeiten, die den sich stellenden Anforderungen gerecht wird.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601010600
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Arnold.




Dr. Gottfried Arnold (CDU):
Rede ID: ID0601010700
Herr Bundesminister, wie ist es mit den technischen Einrichtungen? Ist es so, daß man hier seitens des Bundes schon jetzt die Technik zur Verfügung stellen könnte, oder ist man zu diesem Zeitpunkt noch nicht so weit?

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601010800
Die Einrichtungen sind noch nicht im vollen Sinne ausgereift, sondern sind in Berlin noch im Versuchsstadium, so daß ich von einer ausreichenden Erprobung gegenwärtig noch nicht ausgehen kann.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601010900
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Arnold.

Dr. Gottfried Arnold (CDU):
Rede ID: ID0601011000
Könnten Sie in etwa angeben, Herr Bundesminister, bis wann damit gerechnet werden kann?

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601011100
Ich hoffe, daß das in absehbarer Zeit der Fall sein wird. Aber so, wie das mit Versuchen ist, läßt sich nie ein genaues Datum nennen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601011200
Ich rufe die Frage 59 des Abgeordneten Dr. Arnold auf:
Ist die Bundesregierung insbesondere bereit, in Zukunft sendetechnische Einrichtungen für Gesellschaften des privaten Rechts zur Verfügung zu stellen, wenn diese die Voraussetzungen des Fernsehurteils des Bundesverfassungsgerichts vorn 28. Februar 1961 erfüllen?

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601011300
Wenn die bei der Beantwortung der vorigen Frage angesprochenen rechtlichen und praktischen Fragen geklärt sind, wird es in Zukunft möglich sein, sendetechnische Einrichtungen zur Verfügung zu stellen. Da die dem Rundfunk bisher zur Verfügung stehenden Frequenzbereiche durch die vorhandenen Ton- und Fernseh-Rundfunkprogramme voll belegt sind, ist es nur möglich, diese sendetechnischen Einrichtungen in dem neu zu erschließenden 12-Gigahertz-Bereich zu betreiben. Der Zeitpunkt, zu dem diese Einrichtungen von der Bundespost an Interessenten überlassen werden können, hängt einmal ab von der Liefermöglichkeit der deutschen Industrie und zum zweiten von der Entscheidung der Funkverwaltungskonferenz im Jahre 1971. Die Industrie ist zur Zeit noch nicht in der Lage, sendetechnische Einrichtungen in diesem Frequenzbereich zu liefern. Die Funkverwaltungskonferenz wird darüber zu entscheiden haben, welcher Teilfrequenzbereich aus dem 12-Gigahertz-Bereich für den Rundfunk verfügbar sein wird.
Die Deutsche Bundespost hat die theoretischen Untersuchungen zur Erschließung des 12-GigahertzBereichs für den Rundfunk abgeschlossen. In einem Versuchsnetz, das, wie ich soeben sagte, in Berlin errichtet worden ist, werden durch Messungen die theoretischen Ergebnisse überprüft.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601011400
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Arnold.

Dr. Gottfried Arnold (CDU):
Rede ID: ID0601011500
Herr Bundesminister, können Sie noch einmal sagen, wann mit der Konferenz, die darüber entscheiden wird, zu rechnen ist?

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0601011600
Sie ist für 1971 vorgesehen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601011700
Keine weiteren Fragen. Damit sind wir am Ende der Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich, Herr Bundesminister, angelangt. Ich danke Ihnen für die Beantwortung.

Willi Müller (SPD):
Rede ID: ID0601011800

Ist der Bundesregierung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (AZ VIII C 54/68) bekannt, wonach „auch einem Empfänger von Sozialhilfe . . . der staatliche Wohngeldzuschuß nicht verweigert werden darf"?
Zur Beantwortung Herr Bundesminister Dr. Lauritzen.

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0601011900
Herr Präsident, ich bitte, die Fragen 47 und 48 im Zusammenhang beantworten zu dürfen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601012000
Keine Bedenken. Ich rufe auch die Frage 48 des Abgeordneten Müller (Mülheim) auf:
Wird die Bundesregierung aus diesem Urteil Folgerungen ziehen?

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0601012100
Der Bundesregierung ist bekannt, daß das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluß vom 14. November 1968 dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt hat, ob die das Verhältnis zwischen Wohngeld und Sozialhilfe regelnde Vorschrift des Wohngeldgesetzes mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes vereinbar ist.
Das Wohngeldgesetz schließt in seiner geltenden Fassung einen Teil der Sozialhilfeempfänger vom Wohngeld aus. Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, die es zu seinem Vorlagebeschluß an das Bundesverfassungsgericht veranlaßt hat, ist nicht verbindlich. Die Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift trifft allein das Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht hat bisher noch nicht entschieden. Nach meiner Information ist jedoch mit einer Entscheidung noch in diesem Jahr zu rechnen. Wenn die Verfassungswidrigkeit des § 29 festgestellt werden sollte, wird die Bundesregierung anregen, die Vorschrift entsprechend zu ändern.
Unabhängig von der zu erwartenden verfassungsgerichtlichen Entscheidung prüft die Bundesregierung schon jetzt, ob durch die beabsichtigte Novelle zum Wohngeldgesetz alle Sozialhilfeempfänger in den Kreis der Wohngeldberechtigten einbezogen werden können.




Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601012200
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Müller (Mülheim).

Willi Müller (SPD):
Rede ID: ID0601012300
Ist damit zu rechnen, daß eine Pauschalierung in Betracht gezogen wird, weil die Forderungen der Betroffenen ja über längere Zeit zurückreichen?

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0601012400
Wir werden uns bei der Novelle insbesondere darum bemühen, eine bessere verwaltungsmäßige Praxis mit diesem Gesetz zu erreichen und dabei den Gedanken der Pauschalierung ganz allgemein stärker als bisher in dem Gesetz zu berücksichtigen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601012500
Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Zebisch auf:
Gibt es für die Bundesregierung eine Möglichkeit, nach dem Wohngeldgesetz oder durch Zuschuß an Hauseigentümer zum Ausbau von Studentenzimmern außerhalb des studentischen Wohnungsbaus die durch jüngste Untersuchungen festgestellte drückende Wohnungsnot bei den Studenten zu mildern?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister.

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0601012600
Nach dem Wohngeldgesetz wird Wohngeld nicht gewährt für Wohnraum, der von Familienmitgliedern bewohnt wird, die vom Familienhaushalt nur vorübergehend abwesend sind. Das bedeutet, daß ledige Studenten im allgemeinen kein Wohngeld erhalten, Nur wenn Anhaltspunkte ) dafür vorliegen, daß der ledige Student nicht mehr zum Familienhaushalt seiner Eltern gehört, wird ein Wohngeldanspruch anerkannt.
Die Frage nun, inwieweit allen in der Ausbildung befindlichen Jugendlichen — nicht nur Studenten — ein Zuschuß zu den Wohnkosten gewährt werden kann, wird seit längerer Zeit mit den zuständigen Länderministern beraten. Wegen des Sachzusammenhangs zwischen Wohn- und Ausbildungskosten ist auch die Kultusministerkonferenz mit der Frage befaßt.
Ich meine, bei der Ausbildungsförderung sollten auch die Kosten für eine auswärtige Unterbringung berücksichtigt werden, weil bei der Bemessung dieser Leistungen vom Gesamtaufwand des Auszubildenden ausgegangen werden sollte. Von dem Ergebnis dieser Beratungen, bei denen natürlich auch die finanziellen Auswirkungen bedacht werden müssen, wird es abhängen, ob den in der Ausbildung befindlichen Jugendlichen einschließlich der Studenten durch Wohngeld oder über die Ausbildungsförderung geholfen werden kann.
Darüber hinaus ist die Bundesregierung sehr darum bemüht, durch die Bereitstellung von zusätzlichen Bundesmitteln dazu beizutragen, daß die Wohnraumversorgung der Studierenden entscheidend verbessert wird. Das wird zwar im wesentlichen durch den Bau von Studentenwohnheimen zu erreichen sein. Ich bin aber bemüht — und werde das auch in Zukunft bleiben --, wie wir das mit Erfolg schon im Land Niedersachsen praktiziert haben, die Schaffung von Wohnraum für Studierende
außerhalb des Wohnheimbaus durch Bereitstellung besonderer Bundesdarlehen zu fördern.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601012700
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Zebisch.

Franz Josef Zebisch (SPD):
Rede ID: ID0601012800
Herr Minister, ist die heutige Antwort das Ergebnis der Überprüfung, welche Ihr Haus mir in der vergangenen Legislaturperiode versprochen hat?

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0601012900
Ja, das ist die Überprüfung, über die wir uns unterhalten haben. Leider fehlt es hier, Herr Abgeordneter, etwas an der Mitwirkung der Länder. Ich habe deswegen nur ein Land nennen können.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601013000
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Zebisch.

Franz Josef Zebisch (SPD):
Rede ID: ID0601013100
Haben Sie von den anderen angesprochenen Ländern einen abschlägigen Bescheid zu diesem Fragenkomplex bekommen?

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0601013200
Wir stehen noch mit ihnen in Verhandlungen, um auch sie für diese besondere Förderungsmaßnahme zu gewinnen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601013300
Ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen, Herr Bundesminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf, zunächst die Frage 50 der Abgeordneten Frau Funcke:
Ist die Bundesregierung bereit, die Nachrichtenspiegel und ähnliches Informationsmaterial des Presse- und Informationsamtes, die bisher nur Mitgliedern der Regierungsparteien zur Verfügung gestellt wurden, auch den Mitgliedern der Opposition zugänglich zu machen?
Die Fragestellerin hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Staatssekretärs Ahlers vorn 12. November 1969 lautet:
1. Die Nachrichtenspiegel und sonstiges Informationsmaterial des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung sind allen Abgeordneten zur Verfügung gestellt worden, die um Belieferung gebeten haben. Zwischen Mitgliedern der Regierungsparteien und der Oppositionsparteien wird selbstverständlich auch in Zukunft kein Unterschied gemacht.
2. In Abstimmung mit den Pressestellen der Fraktionen wird zur Zeit die Möglichkeit geprüft, den bisherigen Verteiler zu erweitern, weil das Presse- und Informationsamt seine Arbeitsergebnisse noch mehr als bisher allen Abgeordneten zur Verfügung stellen will. Zu diesem Zweck wird den Abgeordneten demnächst ein Satz Nachrichtenmaterial zugeleitet werden, damit sie selbst entscheiden können, welches Material regelmäßig geliefert werden soll. Das Presse- und Informationsamt wird sich bemühen, die dann möglicherweise auftauchenden Probleme der Vervielfältigung und der Verteilung zusammen mit den Pressestellen der Fraktionen zu lösen.
3. Die bisherige Praxis wurde bereits insoweit ergänzt, daß allen Fraktionsvorsitzenden des Deutschen Bundestages sowie dem Vorsitzenden der Landesgruppe der CSU, dem Herrn Bundestagspräsidenten und den Bundeskanzlern a. D. Erhard und Kiesinger die Ergebnisse der vom Presse- und Informationsamt durchgeführten Meinungsumfragen zur Verfügung gestellt werden.
Ich rufe die Frage 51 des Abgeordneten Matthöfer auf:
ist bei der Geschäftsverteilung der Bundesregierung festgelegt worden welches Ministerium federführend verantwortlich ist für



Präsident von Hassel
die Änderung des Nato-Statut-Zusatzabkommens, hier besonders Artikel 56, und des Unterzeichnungsprotokolls zum Zusatzabkommen zu Artikel 56 Abs. 9?
Der Fragesteller ist im Saal. Zur Beantwortung Herr Bundesminister Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID0601013400
Bei der Neuregelung der Ressortzuständigkeiten im Zusammenhang mit der Bildung der Bundesregierung bestand keine Veranlassung, Herr Abgeordneter, eine von der bisher gegebenen Federführung des Auswärtigen Amtes abweichende Regelung betr. die Änderung des von Ihnen genannten Abkommens festzulegen.
Auf Grund von Weisungen, die im Frühsommer dieses Jahres von dem damaligen Bundesminister des Auswärtigen erteilt wurden, sind die Verhandlungen mit den Entsendestaaten, die auf eine Änderung des Art. 56 des NATO-Statut-Zusatzabkommens abzielten, in der vergangenen Woche zum Abschluß gebracht worden. Vorbehaltlich der Arbeiten eines besonderen Redaktionsausschusses kann bis Ende dieses Jahres mit der Paraphierung einer entsprechenden Vereinbarung gerechnet werden. Die Unterzeichnung der Änderungsvereinbarung dürfte dann Anfang 1970 erfolgen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601013500
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Matthöfer.

Hans Matthöfer (SPD):
Rede ID: ID0601013600
Sind beide Fragen zusammen beantwortet worden?

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID0601013700
Nein.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601013800
Ich rufe die Frage 52 des Abgeordneten Matthöfer auf:
Hat der Bundeskanzler der neuen Bundesregierung von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht und das beauftragte Bundesministerium mit klaren Anweisungen hierzu ausgestattet, mit dem Ziel, die unter Frage 51 angesprochenen Zusatzvereinbarungen dahin gehend zu ändern, daß keine rechtliche Benachteiligung der Beschäftigten bei den Stationierungsstreitkräften mehr übrigbleibt?
Zur Beantwortung, Herr Bundesminister.

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID0601013900
Zusätzliche Weisungen des Herrn Bundeskanzlers wären bei dem von mir zur vorangegangenen Frage dargelegten Sachstand verhandlungstaktisch nicht sinnvoll. Der Stand der inzwischen materiell abgeschlossenen Verhandlungen mit den Entsendestaaten läßt insgesamt eine befriedigende Regelung der anhängigen Fragen, insbesondere hinsichtlich der Rechte der Betriebsvertretungen der bei den Stationierungsstreitkräften beschäftigten deutschen Arbeitnehmer, erwarten.
Im übrigen darf ich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß sich ein auf Grund eines Kabinettbeschlusses vom 19. März dieses Jahres beim Bundesministerium des Innern gebildeter besonderer interministerieller Arbeitskreis weiterhin um die Fragen der sozialen Sicherheit der betroffenen Arbeitnehmer bemüht. Dieser Arbeitskreis wird schon in nächster Zeit wieder zusammentreten.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601014000
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Matthöfer.

Hans Matthöfer (SPD):
Rede ID: ID0601014100
Herr Minister, ist Einigung
erzielt worden über eine Gleichstellung in bezug auf Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte, wie sie etwa auch bei der deutschen Bundeswehr bestehen?

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID0601014200
Herr Abgeordneter, ich bitte um Verständnis dafür, daß ich bis zur Paraphierung über den Inhalt der Vereinbarung hier keine Auskunft geben möchte. Ich möchte abwarten, bis der endgültige Text festliegt.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601014300
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Matthöfer.

Hans Matthöfer (SPD):
Rede ID: ID0601014400
Wird es nach der Paraphierung noch weitere zeitraubende Schritte geben müssen, die vor dem Inkrafttreten dieser Regelungen liegen?

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID0601014500
Das kann ich Ihnen im Augenblick noch nicht sagen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601014600
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Köppler.

Heinrich Köppler (CDU):
Rede ID: ID0601014700
Herr Bundesminister, ist die Bundesregierung bereit, diesem Haus und seinen zuständigen Ausschüssen unmittelbar nach Paraphierung dieses Abkommens den Inhalt bekanntzugeben?

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID0601014800
Selbstverständlich.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601014900
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Borm.

Dr. William Borm (FDP):
Rede ID: ID0601015000
Herr Minister, wird die Bundesregierung ihr Augenmerk darauf richten, daß auch die Berliner Arbeitnehmer bei den auswärtigen Streitkräften in die neuen Regelungen einbezogen werden, die für die Arbeitskräfte in der Bundesrepublik getroffen werden?

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID0601015100
Ich will gern noch einmal prüfen, ob sich in dieser Hinsicht besondere Probleme ergeben haben.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601015200
Ich danke Ihnen für die Beantwortung, Herr Bundesminister.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zunächst kommen wir zur Frage 63 des Abgeordneten Ollesch:
Können die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherungen die vom 1. Januar 1970 an auf 2,50 DM erhöhte Rezeptgebühr beim Lohnsteuerjahresausgleich bzw. in der Einkommensteuererklärung geltend machen, und welche Form des Nachweises empfiehlt die Bundesregierung dafür?



Präsident von Hassel
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Reischl.

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0601015300
Herr Kollege, Rezeptgebühren, die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung vom 1. Januar 1970 an in Höhe von 2,50 DM zu entrichten haben, gehören zu den allgemeinen Krankheitskosten, die bei der Einkommensteuer oder Lohnsteuer stets in ihrer tatsächlichen Höhe als außergewöhnliche Belastung geltend geltend gemacht werden können. Allerdings kann eine Ermäßigung der Einkommensteuer oder der Lohnsteuer nur dann gewährt werden, wenn die außergewöhnlichen Belastungen im Sinne des § 33 des Einkommensteuergesetzes insgesamt die nach dem Einkommen und dem Familienstand gestaffelte sogenannte zumutbare Eigenbelastung übersteigen.
Die zumutbare Eigenbelastung ergibt sich aus der Tabelle, die in § 64 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung und § 25 Abs. 4 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung enthalten ist. Danach beträgt z. B. die zumutbare Eigenbelastung bei Steuerpflichtigen, die für zwei Kinder Kinderfreibeträge erhalten und die ein steuerpflichtiges Einkommen von mehr als 6000 DM haben, 4 v. H. des steuerpflichtigen Einkommens.
Für den steuerlichen Nachweis der Rezeptgebühr genügt eine entsprechende Quittung der Apotheke, bei der das ärztlich verordnete Arzneimittel gekauft worden ist.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601015400
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 64 des Abgeordneten Dr. Hauser (Sasbach) auf:
Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um der oft vorgetragenen Klage über die jahrelange Prozeßdauer bei Revisionen in der Finanzgerichtsbarkeit zu begegnen, nachdem laut „Die Welt" vom 17. Oktober 1969 fast die Hälfte aller im Jahre 1968 vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fälle langer als drei Jahre anhängig waren?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl.

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0601015500
Die Frage des Herrn Kollegen Hauser beantworte ich wie folgt. Die Überlastung des Bundesfinanzhofs und die daraus sich ergebende große Anzahl der bei ihm anhängigen unerledigten Fälle beruhen im wesentlichen darauf, daß die Revision an den Bundesfinanzhof schon bei der verhältnismäßig niedrigen Revisionssumme von 1000 DM ohne das Filter einer entsprechend den anderen Gerichtszweigen vorgeschalteten Berufungsinstanz zulässig ist. Ferner ist die Beschwerde an den Bundesfinanzhof gegen die Beschlüsse der Finanzgerichte bisher in weitaus größerem Umfang als die Beschwerde an die obersten Bundesgerichte der anderen Gerichtszweige gegeben.
Zur Entlastung des Bundesfinanzhofs hatte die Bundesregierung bereits in der 5. Legislaturperiode den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung — Drucksache V/3196 — vorgelegt. Die Streitwertgrenze für die Revision sollte
von 1000 DM auf 6000 DM erhöht, die Beschwerde I an den Bundesfinanzhof eingeschränkt werden.
Ob der Gesetzentwurf in der gleichen Form oder in einer anderen Form von der Bundesregierung vorgelegt wird, hängt in erster Linie von der Entscheidung des ressortmäßig in Zukunft zuständigen Bundesministeriums der Justiz ab, das diese Entscheidung in einer Gesamtschau für die obersten Bundesgerichte wird treffen müssen. Ein solches Gesetz könnte eine erhebliche Minderung der Rechtsmittel an den Bundesfinanzhof zur Folge haben und damit auch für eine beschleunigte Abwicklung der Rückstände sorgen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601015600
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hauser (Sasbach) Dr. Hauser (Sasbach) (CDU/CSU):
Herr Staatssekretär, wäre es nicht möglich, den BFH bis zur Vorlage eines neuen Gesetzes zu veranlassen, im Rahmen seiner Möglichkeiten darauf zu sehen, daß in noch stärkerem Maße als bis dahin echte Musterprozesse geführt werden, um durch die Veröffentlichung der Urteile zu erreichen, daß die Einlegung von Rechtsmitteln oder Beschwerden ähnlicher Art überflüssig wird?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0601015700
Herr Kollege, das wäre ein sehr schöner Weg. Es steht ihm jedoch die richterliche Unabhängigkeit entgegen, die ja bekanntlich irgendwie geartete Weisungen seitens des Ministeriums an den Gerichtshof ausschließt. Aber ich halte es durchaus für möglich, daß in einem Gespräch mit dem Präsidenten des Bundesfinanzhofs, das der Bundesjustizminister dann sicherlich führen wird, in geeigneter Weise daraum gebeten wird, durch entsprechende Bearbeitung diesem Anliegen Sorge zu tragen. Ein Bedenken allerdings gibt es, das auch Sie kennen: daß die Leute Anspruch darauf haben, daß ihre Prozesse in der Reihenfolge behandelt werden, in der sie beim Gericht anhängig werden.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601015800
Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete von Bockelberg.

Helmut von Bockelberg (CDU):
Rede ID: ID0601015900
Steht das Bundesfinanzministerium nicht auf dem Standpunkt, daß die Erhöhung der Streitwertgrenze einer Rechtsverweigerung denen gegenüber gleichkommt, deren Fälle nicht über diese Streitwertgrenze hinausgehen?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0601016000
Ich darf hierzu meine persönliche Meinung sagen, weil ich ja als amtierender Vorsitzender des Rechtsausschusses damals mit diesem Gesetz zu tun hatte: Wir hatten erhebliche Bedenken, ob eine solch große Erhöhung überhaupt möglich ist.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601016100
Ich kann keine weiteren Zusatzfragen zulassen; Sie haben nur eine.



Präsident von Hassel

Dr. Günther Müller (CSU):
Rede ID: ID0601016200

Halt die Bundesregierung eine Änderung der Zollordnung für notwendig, die es ermöglicht, auch in Zukunft Ski aus Österreich zollfrei einzuführen?
Ist der Abgeordnete im Saal? — Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl.

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0601016300
Herr Präsident, ich wäre dankbar, wenn ich die beiden Fragen, die zusammengehören, im Zusammenhang behandeln dürfte.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601016400
Keine Bedenken. Dann rufe ich noch die Frage 66 des Abgeordneten Dr. Müller (München) auf:
Ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß eine Anwendung der neuen Bestimmungen der Zollordnung zu einer Vergrößerung des Verkehrschaos an den deutsch-österreichischen Grenzübergängen führen würde und zu einer entscheidenden Erschwerung des Tourismus bedragen würde, die sich mit dem Streben nach einem vereinten Europa nicht vereinbaren läßt?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0601016500
Erstens. Die Zollfreiheit für Reisebedarf, der aus Drittländern eingeführt wird, ist seit dem 1. September 1969 durch Gemeinschaftsrecht verbindlich geregelt. Nach der Verordnung des Rates der EWG Nr. 1544/69 vom 23. Juli 1969 sind Reisemitbringsel bis zu einem Gesamtwert von 25 Rechnungseinheiten gleich 100 DM zollfrei. Der Wert der persönlichen Reiseausrüstung eines inländischen Reisenden bleibt dabei außer Ansatz, soweit er sie aus dem Inland mitgenommen hatte. Diese Regelung hat zur Folge, daß Waren der persönlichen Ausrüstung — z. B. auch Skier — eines inländischen Reisenden verzollt werden müssen, wenn sie in einem Drittland erworben worden sind und einen höheren Wert als 100 DM haben; innerhalb der Wertgrenze bleiben sie zollfrei.
Die Bundesregierung hat keine Möglichkeit, von der gemeinschaftsrechtlichen Regelung abweichende Bestimmungen zu treffen.
Zweitens. Die früheren innerstaatlichen Zollvorschriften sahen Zollfreiheit für im Ausland beschafftes Reisegerät eines Inländers für den Fall vor, daß die Beschaffung der Waren im Ausland nachweisbar nach Antritt der Reise notwendig geworden war und daß die Waren nachweisbar schon außerhalb des Zollgebiets auf der Reise gebraucht worden waren. Lediglich diese Möglichkeit ist nunmehr entfallen. Die Bundesregierung befürchtet nicht, daß diese Änderung die Freizügigkeit des Reiseverkehrs an den deutsch-österreichischen Grenzübergängen beeinträchtigen und den Tourismus erschweren könnte. Die bisherigen Erfahrungen lassen nicht den Schluß zu, daß die Neuregelung zu derartigen Schwierigkeiten führen wird. Die Grenzzollstellen sind bestrebt, so zügig wie möglich abzufertigen. Die Eingangsabgaben werden im Reiseverkehr bei nicht zum Handel oder zur gewerblichen Verwendung bestimmten Waren im Werte bis zu 240 DM grundsätzlich nach einem Pauschaltarif erhoben,

(l essen Anwendung unangemessene Verzögerungen bei der Reisendenabfertigung ausschließt. Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Müller Herr Staatssekretär, im Hinblick darauf, daß gerade die bayerischen Skifahrer zu einem sehr großen Prozentsatz österreichische Marken benützen, glaube ich, wird es nicht möglich sein, den Reiseverkehr flüssig abzuwickeln. Wie stellt es sich die Bundesregierung vor, daß an einem Wochenende die Skier überprüft werden, die auf den Autos an den Grenzübergängen zurückgebracht werden? Wenn die Reisenden die Skier mit hinübergenommen haben, dürfen sie sie auch wieder mit zurücknehmen, auch wenn das österreichische Marken sind. Ich habe das Gefühl, daß das bisher in einer ganz brauchbaren Weise gehandthabt worden ist, sonst hätte es ja wohl schon Verzögerungen gegeben. Ich rufe die Frage 67 des Abgeordneten Wendt auf: Hält es die Bundesregierung der Sache nach für sinnvoll und gerechtfertigt, daß Lotterien, wie beispielsweise die jetzt auslaufende von der ARD für die „Stiftung Deutsches Hilfswerk" veranstaltete Fernsehlotterie, die ausschließlich karitativen Zwecken dient und deren erklärtes Ziel die Linderung sozialer Härten ist, mit 162/3% Lotteriesteuer belastet werden? Ist der Abgeordnete im Saal? — Herr Präsident, ich wäre dankbar, wenn ich auch diese Fragen gemeinsam beantworten dürfte. Keine Bedenken; ich rufe auch noch die Frage 68 des Abgeordneten Wendt auf: Ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, sich bei den Ländern dafür zu verwenden, daß diese Steuer erlassen, zumindest aber erheblich gesenkt wird? Es ist zutreffend, daß Lotterien und Ausspielungen zu gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken grundsätzlich der Lotteriesteuer unterliegen. Von der Besteuerung ausgenommen sind derartige Lotterien und Ausspielungen nur, wenn der Gesamtpreis der Lose 12 000 DM nicht übersteigt. Diese Steuerbefreiung kann jedoch bei der von Ihnen genannten Fernsehlotterie wegen des größeren Volumens keine Anwendung finden. In den letzten Jahren ist wiederholt angeregt worden, Lotterien und Ausspielungen zu gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken allgemein von der Lotteriesteuer freizustellen. Hiergegen haben sich aber die Länder ausgesprochen, denen bekanntlich die Verwaltung und das Aufkommen der Lotteriesteuer zusteht. Sie haben darauf hingewiesen, daß Lotterien und Ausspielungen Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl grundsätzlich nur genehmigt werden, wenn der Ertrag für Zwecke verwendet wird, die allgemeiner Billigung sicher sind. Das sind aber eben diese Lotterien und Ausspielungen, die gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen, so daß eine Befreiung dieser Lotterien von der Besteuerung oder eine Senkung des Steuersatzes zu ganz erheblichen Steuerausfällen führen würde. Es ist daher nicht anzunehmen, daß die Länder der gewünschten Regelung zustimmen werden. Unter diesen Umständen halte ich es — um damit Ihre zweite Frage zu beantworten — für wenig erfolgversprechend, mich in dem von Ihnen gewünschten Sinne an die Länder zu wenden. Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wendt. Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß das Argument eines Steuerausfalls die Besteuerung nicht begründen kann? Es fällt mir schwer, hierzu etwas zu sagen, weil ja eben gar nicht der Bund von einem etwaigen Steuerausfall betroffen wäre, sondern die Länder, und es auf deren Zustimmung ankommt. Ich rufe die Frage 69 des Abgeordneten Krammig auf: Ist die Bundesregierung der Meinung, daß ein Weg gefunden werden muß, um Steuerarten, insbesondere die Gewerbeund die Lohnsummensteuer, abzubauen, die sich wettbewerbsverzerrend innerhalb der EWG auswirken, weil sie nur in der Bundesrepublik Deutschland vorhanden sind, und wenn ja, wie beabsichtigt die Bundesregierung, den Steuerausfall bei Bund, Ländern Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Dr. Reischl. Die Schaffung eines wettbewerbsneutralen Steuersystems innerhalb der EWG gehört zu den Zielen der Gemeinschaft. Die Bundesregierung wird auch im Rahmen der für diese Legislaturperiode vorgesehenen großen Steuerreform prüfen, ob und gegebenenfalls welche Schritte schon jetzt zu diesem Ziel getan werden können. Dazu gehört auch die Frage einer Senkung der Gewerbesteuer nach Ertrag und Kapital und der Lohnsummensteuer. Wegen des auch für die Zukunft zu erwartenden hohen Finanzbedarfs von Bund, Ländern und Gemeinden müssen die durch eine etwaige Senkung der Gewerbesteuer und der Lohnsummensteuer bedingten Einnahmeausfälle auf andere Weise gedeckt werden. Auch über die Frage der Ausgleichsmaßnahmen kann nur im Zusammenhang mit der Steuerreform entschieden werden. Die Bundesregierung wird zunächst den Bericht der Steuerreformkommission abwarten, bevor sie zu diesen Fragen Stellung nimmt. Sollten die Gemeinden betroffen werden, wird sie selbstverständlich auch bemüht sein, einen qualitativ gleichwertigen Ersatz für etwaige Einnahmeausfälle zu schaffen. Ich lasse nur eine Zusatzfrage zu, Herr Krammig, damit wir zum Ende kommen. Bitte schön, Herr Krammig! Herr Staatssekretär, darf ich Ihren Worten entnehmen, daß in der Bundesregierung im Augenblick konkrete Vorstellungen darüber noch nicht bestehen? Herr Kollege Krammig, solche können schon deswegen nicht bestehen, weil wir in dieser sehr schwierigen Frage auf den Bericht der Steuerreformkommission warten. Ich rufe die Frage Nr. 70 des Abgeordneten Krammig auf: Haben die Bundesländer inzwischen ihre bei der Verabschiedung des Umwandlungsteuergesetzes im Bundesrat gegebenen Zusagen hinsichtlich der Grunderwerbsteuerbefreiung verwirklicht? Zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Reischl. Ich beantworte die Frage wie folgt. Entsprechend der von den Herren Finanzministern und Finanzsenatoren gegebenen Zusage haben die Länder in Zusammenarbeit mit dein Bundesfinanzministerium einen gemeinsamen Gesetzentwurf über Grunderwerbsteuerbefreiung bei Änderung der Unternehmensform erstellt. Nach diesem Gesetzentwurf soll die Grunderwerbsteuerbefreiung für alle Vorgänge gelten, die nach dem Umwandlungsteuergesetz ertragsteuerlich begünstigt sind. Die Befreiung soll rückwirkend in Kraft treten. Andererseits soll sie ebenso wie die Gesellschaftsteuerbefreiung nach § 29 des Umwandlungssteuergesetzes bis zum 31. Dezember 1972 befristet werden. Der Entwurf, der zur Ergänzung des Umwandlungsteuergesetzes erforderlich ist, liegt in einigen Ländern den Parlamenten, in den anderen Ländern noch den Kabinetten vor. Die Bundesregierung kann im Augenblick nicht übersehen, wann mit der Verkündung der Landesgesetze gerechnet werden kann. Sie hat jedoch keinen Zweifel an dem guten Willen der Länder und hofft auf einen zügigen Gang des Gesetzgebungsverfahrens. Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Krammig. Ist Ihnen bekannt, Herr Staatssekretär, daß die erste Lesung des Gesetzentwurfs im Landtag Nordrhein-Westfalen gestern gescheitert ist? Das ist mir aus der Zeitung bekannt. Allerdings scheint mir der dortige Gesetzentwurf wesentlich weiter gegangen zu sein als der gemeinschaftlich vereinbarte. Wir sind damit am Ende der Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Ich danke Ihnen für die Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl. Die Fragestunde ist beendet. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Atomwaffensperrvertrag — Durcksachen VI/1, VI/50 — Ich eröffne die Aussprache und teile dazu folgendes mit. Die Fraktion der CDU/CSU hat beantragt, daß für ihre beiden Hauptredner je 30 Minuten statt für den ersten 45 und für den zweiten 15 Minuten zur Verfügung gestellt werden, zusammen 60 Minuten. Die beiden Hauptredner haben je 30 Minuten. — Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Stoltenberg. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die erste parlamentarische Initiative im 6. Deutschen Bundestag war diese Große Anfrage zum Atomwaffensperrvertrag. Sie folgte damit unmittelbar Ankündigungen namhafter sozialdemokratischer Politiker vor der Wahl des Bundeskanzlers, eine neue Bundesregierung aus SPD und FDP werde den Nichtverbreitungsvertrag demnächst unterschreiben. Dies hat unter anderem der Kollege Helmut Schmidt am 2. Oktober bei dem Jahreskongreß der Labour Party in Blackpool erklärt. Die Regierungserklärung und die schriftliche Antwort der Bundesregierung auf diese Große Anfrage wandeln diese Aussage etwas ab. Es wird unter Hinweis auf die Kabinettsbeschlüsse vom 13. August von gewissen notwendigen Klärungen und Verhandlungen gesprochen. Dennoch haben sich die neue Koalition und die neue Regierung auf eine baldige Unterzeichnung des Vertrages festgelegt. Dies ist eine folgenschwere Ankündigung. Wir begrüßen es dabei, daß die Bundesregierung in den letzten Tagen alle Fraktionen dieses Hauses durch den Bundeskanzler selbst und sachverständige Beamte über den Stand ihrer Gespräche und Überlegungen informiert hat. Aber es hätte dem häufig zitierten Willen zur Gemeinsamkeit in lebenswichtigen Fragen besser entsprochen, wenn vor öffentlichen Festlegungen im Ausland und Inland eine wirkliche Diskussion mit uns und mit allen im Für und Wider der Argumente geführt worden wäre. Wir hoffen, daß dieses Versäumnis in den Ausschüssen des Bundestages jedenfalls teilweise ausgeglichen werden kann. Die politische Einzelbewertung des Nichtverbreitungsvertrags ist sehr schwierig. Wohl in keinem internationalen Vertragswerk der Vergangenheit verbinden sich völkerrechtliche, außenund sicherheitspolitische Fragen so eng mit sehr komplizierten und zugleich bedeutenden wissenschaftlichen, technischen und industriellen Problemen. Insofern kann dieser Text als bezeichnend für einen neuen Abschnitt der Geschichte angesehen werden, in dem die großen Themen der Friedenssicherung, der Bündnisse und der zwischenstaatlichen Beziehungen in nie gekannter Weise mit den wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen verbunden sind. Wir müssen, wie ich glaube, die Komplexität dieser Sachfragen und der politisch wirksamen Motive sehr genau erkennen. Die so häufig geübte isolierte Betrachtung und Bewertung dieses Vertrages unter nur einer Überschrift wird seinen Chancen und seinen Gefahren nicht gerecht. Er entsprang den Verhandlungen der Genfer Abrüstungskonferenz. So ist er von vielen außerhalb und innerhalb Deutschlands als ein sichtbares Ergebnis ihrer langen und so oft enttäuschenden Beratungen begrüßt und bejaht worden. Wir wissen freilich, daß sein Inkrafttreten nicht Abrüstung der Nuklearmächte bedeuten würde. Seine Wirkungen beschränken sich auf die nichtnuklearen Staaten und deshalb ist er im Vorfeld der eigentlichen Abrüstung angesiedelt. Es bleibt das Ziel der Verhinderung des Entstehens neuer nationaler Nuklearmächte im Interesse der Verringerung von Konfliktgefahren und die Hoffnung, Verhandlungen der Weltmächte über eine reale Rüstungsbeschränkung mögen bald möglich sein. Alle demokratischen Parteien in Deutschland stimmen diesen Zielen zu und teilen diese Hoffnung. Es bleibt allerdings zu prüfen, inwieweit der konkrete Vertragstext ihnen gerecht werden kann, ohne neue Spannungen zu erzeugen. (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601016600
Dr. Günther Müller (CSU):
Rede ID: ID0601016700
Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0601016800
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601016900
Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0601017000
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601017100
Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0601017200



Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601017300
Martin Wendt (SPD):
Rede ID: ID0601017400
Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0601017500
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601017600
Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0601017700
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601017800
Karl Krammig (CDU):
Rede ID: ID0601017900
Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0601018000
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601018100
Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0601018200
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601018300
Karl Krammig (CDU):
Rede ID: ID0601018400
Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0601018500



Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601018600
Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0601018700

(Beifall bei der CDU/CSU.)


(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der vorgesehene Verzicht der nichtnuklearen Staaten auf die Entwicklung und den Erwerb von Atomwaffen ohne Gegenleistung der Nuklearmächte etwa auf dem Gebiet der Abrüstung hat zahlreiche ernste Fragen aufgeworfen, von denen ich einige nennen möchte.
Erstens. Werden alle wesentlichen Staaten diesen Grundsatz akzeptieren, der bestehende Machtverhältnisse und Machtgefälle fixiert? Anders gesprochen: hat dieser Vertrag die Chance, einen universellen Charakter zu gewinnen? — eine der ent- scheidenden Voraussetzungen für die Erreichung seiner Ziele.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Zweitens. Welche Wirkungen hat das nationalstaatliche Prinzip dieses Vertrages in den unterschiedlichen Rechten und Pflichten der Partner auf die übernationalen Institutionen, auf die Bündnisse unter dem Vorzeichen der Sicherheit und auf die neuen völkerrechtlichen Zusammenschlüsse in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft vor allem für uns im freien Europa?
Diese zentrale Frage verschärft sich außerordentlich durch die Einseitigkeit der Kontrollverpflichtungen auch im friedlichen Bereich der Forschung und Industrie;

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)




Dr. Stoltenberg
sie sollen auf Drängen der Sowjetunion gegen einen zunächst viele .Jahre von den Vereinigten Staaten vertretenen Standpunkt nur den nichtnuklearen Staaten auferlegt werden, während die militärischen Atommächte hiervon freibleiben.
Drittens. Ist in dem Vertragstext der Bereich der friedlichen Forschung und Entwicklung von dem militärischen Sektor begrifflich eindeutig geschieden und in der Praxis ohne Differenzen und damit ohne neue schwere Spannungen sachlich klar unterscheidbar?
Viertens. Ist es technisch möglich, den Fluß und Verbleib spaltbaren Materials in allen nichtnuklearen Staaten so umfassend und wirksam zu kontrollieren, daß keine Behinderungen und Wettbewerbsnachteile gegenüber den Atommächten auftreten, und sind eindeutige Regelungen für die Kosten der Kontrolle erzielt oder erreichbar?
Fünftens schließlich: Was bedeutet dieser Vertrag im Gesamtzusammenhang der Weltpolitik und vor allem auch unserer Beziehungen zur Sowjetunion?
Im Lichte dieser Fragen sind manche deutliche Verbesserungen im vorliegenden Vertragstext vom Juni 1968 gegenüber dem ersten gemeinsamen Entwurf der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion vom Dezember 1966 erzielt worden. Hierin stimmen wir mit einigen Hinweisen der Bundeseregierung in ihrer schriftlichen Antwort vom 7. November überein. Wir können mit Befriedigung sagen, wie sehr dies auch den Bemühungen der deutschen Politik der letzten Bundesregierung der Großen Koalition zu verdanken ist. Wir fügen freilich, ohne unbescheiden zu sein, hinzu, daß es dabei wesentlich die von uns, der CDU/CSU, begonnene kritische Diskussion im Winter 1966/67 war,

(Beifall bei der CDU/CSU)

die mühsam und gegen viel Widerstreben allmählich mehr Verständnis für die sachlichen Einwände und mehr Engagement in der Vertretung unserer Gesichtspunkte bewirkt hat.
Aber im Gegensatz zur Bundesregierung sehen wir nicht, daß die erreichten Fortschritte im Text und vor allem in den Interpretationen jetzt die Ankündigung einer unmittelbar bevorstehenden deutschen Unterschrift rechtfertigen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Schon eine flüchtige Lektüre zeigt, wie stark mehrere zentrale Punkte des Vertrages durch mühsam zwischen Ost und West ausgehandelte KompromißFormulierungen bestimmt sind. Sie erlauben eine für uns tragbare Handhabung, garantieren sie aber nach dem heutigen Stand der Konsultationen noch keineswegs. Deshalb sind auch nach den jüngsten Konsultationen weitere Klärungen in zähen und geduldigen Verhandlungen erforderlich.
Wir stehen dabei — im Gegensatz zu früheren, wiederholten Warnungen und Prophezeiungen führender Sozialdemokraten und auch mancher deutscher Publizisten — nicht unter einem Zeitdruck oder vor der Gefahr der Isolierung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Vertrag ist achtzehn Monate nach seiner Ausfertigung und Auflage zur Unterschrift bisher nicht in Kraft getreten. Vor allem haben ihn zwei der fünf Nuklearmächte und die Mehrzahl der sogenannten Schwellenmächte bis heute nicht unterzeichnet.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

Es sind dies Staaten mit sehr unterschiedlichen außenpolitischen und verfassungsmäßigen Voraussetzungen: China, Indien und Pakistan, Japan, Australien und Südafrika, Brasilien, Argentinien und Chile, Israel und die arabischen Staaten, um nur einige zu nennen. Zu den Mitgliedern der Vereinten Nationen, die bisher abseits stehen, gehören übrigens auch die Ukraine und Weißrußland,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

ein sehr bezeichnender Sachverhalt für die Eigenart der sowjetischen Politik und die moralische Legitimation ihrer Anschuldigungen gegen andere.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

In Westeuropa sind neben der Bundesrepublik Frankreich, die Schweiz, Spanien und Portugal dem Vertrag nicht beigetreten aus sehr unterschiedlichen politischen Voraussetzungen und Erwägungen. Ein Blick auf unser Nachbarland, die Schweiz, und die dortige Diskussion macht deutlich, wie abwegig das auch in Deutschland gelegentlich verwandte Klischee von den friedlichen und fortschrittlichen Staaten als den Signatarmächten und den rückschrittlichen, machtorientierten Staaten als den Abseits-stehenden ist.
Die strikte Ablehnung des Vertrages durch einige wichtige Staaten — nicht alle der genannten haben endgültig votiert — wird ihn in der vorausschaubaren Zukunft nicht zur universellen Wirkung kommen lassen. Die Vorhersage der Regierung in ihrer schriftlichen Antwort auf unsere Große Anfrage, eine deutsche Unterschrift werde dieses Ziel der Universalität in erreichbare Nähe bringen, trifft ganz gewiß nicht zu, ist eine völlige Verkennung der Situation in einer Reihe bedeutender Staaten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir nehmen diesen schweren Mangel unter den für uns vorgegebenen außenpolitischen Bedingungen nicht zum Anlaß, für ein definitives deutsches Nein zu plädieren.

(Abg. Wehner: Da kann ich nur lachen!)

— Es steht Ihnen frei, zu lachen, Herr Kollege Wehner. Es steht Ihnen auch frei, hier bessere Argumente vorzutragen. Aber Sie müssen es schon ertragen, daß wir hier unsere Meinung sagen,

(lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Wehner)

die Sie in den Kabinettsberatungen der letzten drei Jahre etwas ernster gewürdigt haben, als Sie es mit Ihren Zwischenrufen hier tun.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber die ganz besondere Bedeutung, die der deutschen Entscheidung zukommt, für uns und auch in der Sicht anderer, gibt uns die Chance und die Verpflichtung, alle politischen Möglichkeiten bis



Dr. Stoltenberg
\\) zur vollen und eindeutigen Klärung unserer legitimen Interessen vor einer abschließenden Würdigung auf das nachdrücklichste zu nutzen.
Hier nenne ich als erstes unsere Europapolitik auf der Grundlage der völkerrechtlich geltenden unzweideutigen Verträge über den Gemeinsamen Markt und Euratom und, damit eng verbunden, unsere wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Belange. In Europa haben wir seit 1956 durch die Römischen Verträge die Grenzen der Nationalstaaten, ihre Rechts- und Wirtschaftsordnung nicht nur verbal, sondern praktisch überschritten: Freizügigkeit, Niederlassungsfreiheit, Wettbewerbsgleichheit, Nichtdiskriminierung, schrittweise Rechtsangleichung sind essentielle und unverzichtbare Wesensmerkmale der neuen europäischen Gemeinschaften, sind Grundrechte ihrer Bürger geworden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Deshalb ist jeder Versuch, diese Gemeinsamkeit und Gleichberechtigung im Bereich der Wissenschaft und Wirtschaft, der friedlichen Zusammenarbeit und des Wettbewerbs innerhalb der Gemeinschaften direkt oder indirekt anzutasten, für uns inakzeptabel.
Das rein nationalstaatliche Prinzip des Nichtverbreitungsvertrages in der höchst problematischen Rechtsungleichheit von Atomwaffenmächten und Nicht-Nuklearwaffen-Staaten auch im friedlichen Bereich steht in einer Grundspannung zu diesen modernen, zukunftweisenden Strukturen, die Nichtnuklearmächte und Atommächte in Europa gleichberechtigt vereinigen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Deshalb wurde ja so hart um die Formulierung des Kontrollartikels 3 gerungen. Sie ermöglicht jetzt auch einer Gruppe von Staaten, gemeinsame Verträge mit der Internationalen Atomenergieorganisation abzuschließen. Sie ermöglicht die Einschaltung von regionalen Kontrollsystemen, ohne sie aber als rechtlichen Anspruch zu garantieren.
Wir sind uns über den Grundsatz der Aufrechterhaltung des europäischen Kontrollsystems in diesem Hause immer einig gewesen. Aber die schon vor langer Zeit entwickelten deutschen Vorstellungen über die Einzelheiten einer solchen Regelung — hier liegen die Kernpunkte im Detail —, die exakten Garantien für die Vermeidung von diskriminierenden Doppelkontrollen, die ganz genaue Begrenzung der Aufgaben der Wiener Behörde auf eine Verifikation der Ergebnisse ohne zusätzliche Kontrollen sind bis heute nicht im ausreichenden Umfang international abgesichert. So ist es bestürzend, daß sich noch nicht einmal die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft trotz der intensiven Bemühungen der Kommission über sehr allgemeine Grundsätze hinaus auf eine verbindliche Position in diesen wesentlichen Einzelfragen eines Kontroll- und Verifikationsmechanismus einigen konnten. Frankreichs prinzipielle Ablehnung des ganzen Vertrages hat diese Lage natürlich objektiv erschwert. Aber es ist erstaunlich, daß auch die Regierungen von solchen Mitgliedstaaten, die einen baldigen deutschen Beitritt wünschen und gelegentlich auch öffentlich an-
mahnen, bisher wenig Interesse an dieser detaillierten Erarbeitung einer europäischen Position zeigen.

(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Leider wahr!)

Sicher liegt die spezielle Verantwortung für dieses Versäumnis nicht bei uns. Aber es war auch in der Bundesrepublik in den letzten Jahren nicht immer einfach, die entscheidende Bedeutung der europäischen Gemeinschaften und den Rang der europäischen Verträge im Zusammenhang mit der Bewertung des Atomwaffensperrvertrages genügend deutlich zu betonen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

1956 hat Konrad Adenauer unmittelbar nach dem Fallen des Besatzungsstatuts in den Römischen Verträgen erreicht, daß alle Mitgliedstaaten der europäischen Gemeinschaften unabhängig von ihrer militärischen Stellung die gleichen Rechte und Pflichten für Wissenschaft und Industrie übernehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Integration war das entscheidende Mittel zur Überwindung der Schatten der Vergangenheit, des Mißtrauens und der Ressentiments. Es gibt keinen Grund und keine Rechtfertigung, 1969 dieses zentrale Prinzip der gleichen Rechte und Pflichten in Wissenschaft und Industrie für die Gemeinschaft und in einem weiteren Europa auch nur im geringsten einzuschränken.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Deshalb haben wir in der letzten Bundesregierung bis in die Beratung des August hinein einer völligen Klärung dieser europäischen Fragen vor einer abschließenden Bewertung des Vertrages zentrale Bedeutung beigemessen. Dieses Ziel ist bis heute nicht erreicht, nicht in den Gemeinschaften und trotz gewisser weiterer Fortschritte in den Konsultationen der letzten Wochen auch noch nicht voll in der Haltung unserer wichtigsten Verbündeten, der Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritanniens. Deshalb war es ein Fehler, daß die neue Bundesregierung ohne Diskussion mit uns eine relativ kurzfristige deutsche Unterschrift in Aussicht stellte, ohne den Zeitpunkt zu kennen, zu dem sich die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die anderen in allen Punkten endlich verbindlich äußern.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich warne dabei erneut vor dem wieder diskutierten Gedanken, wesentliche Klärungen, die jetzt möglich sind, in die Zeit nach der Unterschrift und vor der Ratifizierung zu verlegen.

(Abg. Rawe: Sehr wahr!)

Dieses von einigen anderen Staaten gewählte Verfahren würde unsere Verhandlungsposition nicht stärken, sondern schwächen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es wird der Bedeutung dieser Fragen für die Gemeinschaft nicht gerecht und widerspricht übrigens auch dem völkerrechtlichen Grundsatz, daß eine Regierung Verträge nur in voller Kenntnis ihrer



Dr. Stoltenberg
Konsequenzen und in der Absicht unterschreibt, den Ratifikationsvorgang auch zu bewirken.

(Lebhafter Beifall bei der CDU CSU.)

Alles, was jetzt festgelegt werden kann, muß auch geklärt werden.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Hier geht es nicht um technische Details, wie ich es in der Sprache der Diplomaten so oft in den letzten Jahren gehört habe, sondern um Kernfragen recht- licher, wissenschaftlicher und industrieller Natur.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Deutschlands Wissenschaft und Wirtschaft kann auf diesem Schlüsselgebiet der Zukunft keine Diskriminierung hinnehmen. Dies gilt für die Situation innerhalb der Gemeinschaften, gegenüber möglichen neuen Mitgliedsländern, aber auch im weltweiten Maßstab. Die Bereitschaft der USA und Großbritanniens, den friedlichen Bereich ihrer Forschung und Technik freiwillig den gleichen Kontrollen zu unterwerfen, ist wichtig und hilfreich. Wir wissen aber nicht, ob die Wiener Agentur dieses Angebot mit seinen beträchtlichen finanziellen und organisatorischen Konsequenzen überhaupt annimmt. Hieran gibt es gewisse Zweifel.
Eine solche Regelung löst auch nicht die Probleme, die aus der strikten Weigerung der Sowjetunion erwachsen, das gleiche zu tun, und auch nicht mögliche Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Staaten, die dem Vertrag überhaupt nicht beitreten.
) Solche Nachteile können aus perfektionistischen Kontrollvorstellungen erwachsen, die es hier und da gibt, vor allem aber auch aus dem immer noch ungeklärten Problem der Kosten. Ich sehe bisher nicht, wie die erforderlichen Beschlüsse über die sprunghaft wachsenden Kontrollkosten in den Organen der Wiener Organisation zustande kommen sollen, wenn eine Reihe wichtiger Mitgliedstaaten der Organisation den Vertrag und damit die Kontroll-und Kostenregelung ablehnt und andere keine Kontrollen für sich zu übernehmen brauchen.
Wir haben mit der vor allem in Karlsruhe geförderten Entwicklung der instrumentierten SpaltstoffFluß-Kontrolle bei Reaktoren die Chance bedeutender Vereinfachungen. Aber ihre Übertragung auf die industriellen Bereiche der Brennelementfabrikation und der Wiederaufarbeitung ist schwierig und noch nicht abschließend geklärt. Diese Fragen berühren die Industrie, die ihre Sorgen wiederholt in Deutschland öffentlich geäußert hat, noch stärker als die Forschung. Aber auch unter den Wissenschaftlern gibt es weiterhin Bedenken, ob die unklaren Formulierungen des Vertrages Anlaß bieten, bestimmte Disziplinen wie z. B. die in Deutschland bedeutsam entwickelte Fusionsforschung ungerechtfertigterweise in die Nähe militärischer Entwicklungen zu rücken und sie damit zu beeinträchtigen. Leider können wir nicht bei allen Vertragspartnern völlig ausschließen, daß ihre neu erworbenen Rechtspositionen gegenüber uns auch einmal ein Instrument werden, das dazu benutzt wird, Spannungen zu vergrößern, und nicht dazu, sie abzubauen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das sind einige der Fragen, die sich heute in dieser Zwischenbilanz für uns stellen. Zu anderen, die ich nur andeutete, wird vor allem mein Kollege Kurt Birrenbach eingehender sprechen.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Abschluß folgendes sagen. Wir veranschlagen die eingangs genannten Perspektiven der Verringerung von Konfliktgefahren und der Hoffnung auf spätere Abrüstungsgespräche, die sich jetzt ankündigen, sehr hoch. Dies rechtfertigt das Bemühen der Bundesregierung, intensiv zu verhandeln, um die Voraussetzungen für einen möglichen deutschen Beitritt zu klären. Er bliebe, wie deutlich wurde, auch dann noch eine schwere Entscheidung mit manchen Hypotheken, wenn in den genannten Punkten befriedigende Interpretationen erzielt werden. Dies ist nach unserer Überzeugung aber nur möglich, wenn die deutsche Entscheidung bis zum Schluß der Verhandlungen offenbleibt und zugleich glaubwürdig erkennbar wird, daß wir unter den genau genannten Bedingungen und Voraussetzungen — aber auch nur so — zum Beitritt bereit sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Diese ganz entschiedene Verhandlungsführung ist auch deshalb notwendig, um jedermann klarzumachen, daß neue internationale Verträge, die sich etwa auf den Gebieten der biologischen und chemischen Entwicklung fern am Horizont ankündigen, keinerlei diskriminierende Regelungen für den friedlichen Bereich mehr enthalten dürfen und substantielle Konzessionen aller, auch der Sowjetunion, erfordern.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Weil dies so ist, können wir keinen Terminzwang vertragen, für den es in der internationalen Behandlung des Vertrags auch keinen Anlaß gibt.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

Wir fordern den Bundeskanzler auf, bei der bevorstehenden europäischen Gipfelkonferenz diesen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen und mit Nachdruck für eine gemeinsame Haltung der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft in jenen Fragen einzutreten, die ihre wechselseitigen Verpflichtungen auf Grund der Römischen Verträge berühren. Es müßte uns alle in diesem Hause zutiefst beunruhigen, wenn wir Europäer nicht einmal dort mehr handlungsfähig sind, wo die Verträge klar und unsere Interessen identisch sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Jedermann kann auch hier mit unserem entschiedenen Engagement für die Sache Europas, für die volle Freiheit unserer Forschung, unserer Wissenschaft und Industrie und für das Fernziel einer wirklichen Abrüstung rechnen.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601018800
Das Wort hat der Abgeordnete Flämig für die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei. Für diesen Redner hat die Fraktion 25 Minuten Redezeit beantragt.




Gerhard Flämig (SPD):
Rede ID: ID0601018900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was der Kollege Stoltenberg hier ausführte, insbesondere seine grundsätzliche Bejahung des Atomwaffensperrvertrags, klingt schon etwas anders als das, was man bisweilen draußen im Lande hörte.

(Sehr richtig! bei der SPD. — Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Wir Sozialdemokraten nehmen das zur Kenntnis. Aber wir stellen fest, daß wir in wesentlichen Punkten anderer Auffassung sind.

(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

Wir glauben, daß die Verhältnisse jetzt so sind, daß die Unterschrift gerechtfertigt ist. Eben weil wir gegen die Ausbreitung von Atomwaffen sind, gerade weil wir sichergestellt wissen wollen, daß die deutsche Teilnahme an der friedlichen Nutzung der Kernenergie nicht behindert wird, insbesondere weil wir Europa stärken und die Euratom in die weltweite internationale Atomenergiekommission in Wien eingebaut wissen wollen, sind wir für die baldige Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages.

(Beifall bei der SPD.)

Das ist kein Paradoxon. Wir haben uns vorgenommen, die Begründung für das, was ich eben sagte, ebenso wie Sie es tun, in einigen Abschnitten vorzutragen. Lassen Sie mich einiges zu dem ausführen, was in der Anfrage mit „friedlicher Nutzung der Kernenergie" umschrieben ist.
Ich möchte zunächst vorausschicken, daß die Sorgen der Industrie, der Wissenschaft, der Forschung und der Politiker gegen die ursprüngliche Fassung des Vertrages auch unsere Sorgen waren. Auch für uns war die ursprüngliche Fassung nicht annehmbar, Herr Dr. Stoltenberg.

(Zurufe von der CDU CSU: Doch! — Das ist aber ganz neu! — Weitere Zurufe von der CDU CSU.)

— Das ist keineswegs neu. Wir haben von vornherein für Verhandlungen plädiert und haben diese Verhandlungen nicht nur angekündigt, sondern insbesondere unser damaliger Außenminister Brandt hat diese Verhandlungen konsequent geführt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Der Erfolg dieser Verhandlungen liegt doch vor aller Augen.

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

Der Vertrag in seiner heutigen Fassung ist doch ganz wesentlich anders als seine ursprüngliche Fassung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das verdanken wir nun einmal auch unserem damaligen Außenminister und heutigen Bundeskanzler Brandt und — das möchte ich in diesem Zusammenhang sagen — auch der Tätigkeit seiner Botschafter Schnippenkötter, Bahr, Roth usw.

(Unruhe bei der CDU/CSU.)

Es steht doch fest, daß kein anderes nichtnukleares
Land so viel an Vertragsverbesserungen und -interpretationen herausgeholt hat wie die Bundesrepublik, und das kommt allen zugute. Der Text ist jetzt nicht mehr zu ändern. Über 90 Staaten haben unterschrieben, nahezu 40 haben ratifiziert.
Ich will nicht in die Prophetie einsteigen, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, wie Sie es vorhin getan haben. Aber es spricht doch einiges für das, was die Bundesregierung sagt: daß in absehbarer Zeit die Zahl 40 erreicht ist und damit der Vertrag in Kraft tritt.

(Abg. Dr. Stoltenberg: Das habe ich nicht bestritten!)

Wer angesichts dieser Sachlage noch immer „Super-Versailles" sagt, der unterstellt doch, daß mehr als 90 Länder der Erde für ein „Super-Versailles" und damit genauso töricht sind, wie man es unserer Bundesregierung unterstellt.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU. — Zuruf von der Mitte: Billiger geht es nicht!)

Hier ist vorhin von dem verstorbenen Altbundeskanzler Adenauer gesprochen worden.

(Unruhe in der Mitte.)

Seine Beurteilung bezog sich auf die ursprüngliche Fassung des Vertrages. Es wäre interessant, aber es ist müßig, heute sich darüber Gedanken zu machen, was der alte Herr wohl sagen würde, wenn er die heutige Fassung läse.

(Anhaltende Unruhe bei der CDU/CSU.)

Immerhin ist heute — auch dank deutscher Initiative in die Präambel der Grundsatz aufgenommen worden, daß die Vorteile der friedlichen Nutzung der Kerntechnik inklusive aller technischen Nebenprodukte allen Vertragsparteien für friedliche Zwecke zugänglich sein sollen. Es ist geklärt, daß in Verfolg dieses Grundsatzes alle Vertragsparteien am weitestmöglichen Austausch wissenschaftlicher Informationen zur Weiterentwicklung und Anwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke teilnehmen. Ich erinnere an den Art. IV, der damals nicht existierte, wo es steht, daß der Vertrag nicht so auszulegen sei, als würden unveräußerliche Rechte aller Vertragsparteien beeinträchtigt, unter Wahrung der Gleichbehandlung die Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln. Und es steht darin, daß alle Vertragsparteien sich verpflichten, den weitestmöglichen Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie zu erleichtern, und daß alle Vertragsparteien berechtigt sind, daran teilzunehmen. Das ist doch nicht abzustreiten. Meine Damen und Herren, das sind doch Vorteile!
Es gehört eine ganze Portion Ignoranz dazu, in einer Zeitung, die Ihnen, meine Damen und Herren von der CSU, sehr nahe steht, zu schreiben:
Die wichtigsten Folgen des Atomsperrvertrages würden ungeheuer sein. Die Gefährdung der Arbeitsplätze, die Kontrolle der deutschen Industrie, die ungeklärten Kostenfragen würden



Flämig
die deutsche Position auf dem Weltmarkt entscheidend treffen.
Und dann das Allerschlimmste:
Und wieder wird es ein Sozialdemokrat sein, der einen verhängnisvollen Vertrag unterschreibt.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Beim Versailler Vertrag spielte der SPD-Kanzler Bauer diese tragische Rolle, — —

(Glocke des Präsidenten.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601019000
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter. Darf ich bitten, die Unterhaltung hier vorn an der Regierungsbank und auch im vorderen Teil des Saales einzustellen. Wer Rücksprachen zu erledigen hat, den bitte ich, sich etwas nach hinten zu begeben.

(Beifall. — Abg. Schwabe: Den Satz bitte noch einmal vorlesen!)


Gerhard Flämig (SPD):
Rede ID: ID0601019100
Ja, es ist vielleicht notwendig, den Satz noch einmal im Zusammenhang zu genießen:
Beim Versailler Vertrag spielte der SPD-Kanzler Bauer diese tragische Rolle. Jetzt ist Willy Brandt in seine Fußtapfen getreten.
Meine Damen und Herren, so etwas kann man schlicht und einfach mit Brunnenvergiftung umschreiben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir haben uns überzeugt: was sagt die betroffene Industrie dazu? Was sagt die Wissenschaft dazu? Gewiß, das ist in der Stellungnahme des Deutschen Atomforums niedergelegt. Wir sind der Sache nachgegangen, Herr Kollege Memmel. Auch wir sind in die USA gefahren, und es ist müßig, festzustellen, wer in wessen Fußtapfen getreten ist. Wir haben Gespräche mit der Industrie geführt und haben zu unserer Freude und Überraschung gesehen, daß es wesentliche Gesichtspunkte f ü r die jetzige Unterzeichnung des Vertrages auch in der Industrie gibt.
Die Industrie sieht z. B. ein, — —

(Zuruf von der CDU/CSU: „Welche?" „Schuhwarenindustrie?")

— Nicht die Schuhwarenindustrie, sondern die betroffene Nuklearindustrie.

(Heiterkeit.)

— Das erheitert Sie anscheinend kolossal. -- Ich habe selber Gespräche geführt, meine Damen und Herren. Sie stellen sich hier so hin, als seien Sie der alleinige Vertreter gewisser Industrieinteressen. Ich muß Ihnen sagen: uns liegt das Vorankommen in der Wirtschaft, insbesondere auch in der Nuklearindustrie, genauso am Herzen wie Ihnen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Mir ist gesagt worden: Die Industrie sieht ein, daß eine Kontrolle notwendig ist für den Transport, die Herstellung, die Lagerung, die Verwendung und die Wiederaufarbeitung von spaltbarem Material. Die Industrie sagt: Das darf aber nicht über Gebühr die
Produktion behindern oder verteuern. Die Konkurrenzsituation auf dem Weltmarkt sei heikel, wenn nicht alle, mit denen wir auf dem Weltmarkt konkurrierten, den gleichen Kontrollen unterworfen seien, oder gar, wenn der Kontrollierte noch die Kontrolle bezahlen solle. Meine Damen und Herren, wir entnehmen aus der Antwort der Bundesregierung, daß diese Frage doch weitgehend geklärt ist. Es soll aus dem Gesamtbudget der IAEO bezahlt werden.
Jede Kontrolle im Betrieb bedeutet eine gewisse Belästigung. Deswegen — das sehen wir ein — ist die Industrie gegen eine Doppelkontrolle. Im übrigen: wir haben ja jetzt schon eine Art Doppelkontrolle, so ganz nebenbei. Wir haben neben der Euratom-Buchkontrolle noch die weitgehenden bilateralen Kontrollen seitens der Lieferländer bzw. der Lieferfirmen.
Die Opposition spricht in diesen Tagen gern davon, was geschieht, wenn wir den Atomwaffensperrvertrag unterschreiben. Man muß auch einmal davon sprechen, was geschieht, wenn wir den Vertrag jetzt nicht unterschreiben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Jeder Fachmann weiß, daß es in der Bundesrepublik Kernkraftwerke gibt, daß sie hier entwickelt und gebaut werden, die nicht auf der Basis des Natururans arbeiten, sondern mit angereichertem Uran. Die Anreicherung ist ein komplizierter technischer Vorgang. Das gehört nicht hierher. Aber wir wissen, daß der Löwenanteil des angereicherten Materials zur Zeit aus den USA kommt. Der schöne Traum einer eigenen Anreicherungsanlage, einer Gasultrazentrifuge, wird sich wahrscheinlich eines Tages verwirklichen. Aber selbst die Fachleute sagen uns: Es wird 1972/73 werden, bis der Bau einer solchen Anlage überhaupt in Angriff genommen werden kann.
In Amerika habe ich in Gesprächen erfahren: Sie brauchen in der Bundesrepublik den Atomwaffensperrvertrag nicht zu unterschreiben; es genügt, wenn Sie sich den Kontrollbestimmungen unterwerfen. Meine Damen und Herren, das heißt doch aber, die Nachteile in Kauf nehmen, ohne die Vorteile, von denen ich vorhin gesprochen habe, irgendwie auch zu genießen.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Wenn die Bundesrepublik kein Vertragspartner ist, gibt es eben weiter bilaterale Kontrollen, und die sind auch nicht gerade schön und erstrebenswert.
Jederzeit könnte der US-Kongreß ein Gesetz an- kündigen, das sich auf Nichtunterzeichnerstaaten des Atomwaffensperrvertrags bezieht. Dann müßten die Lieferfirmen für angereichertes Material abwarten, dann würde eben der Nachschub auf einmal stocken. Das wäre ein Risiko für die Elektrizitätsversorgungsunternehmen. Ein Tag Verzögerung im Kernbrennstoffnachschub würde für ein normales Elektrizitätsversorgungsunternehmen einen Ausfall von 300 000 DM bedeuten. Im Monat wären das 10 Millionen DM. Das haben wir nachgerechnet, Herr Martin. Allein diese Möglichkeit würde doch ein konservatives Elektrizitätswerk davon abhalten,



Flämig
jene 600 bis 800 Millionen DM für ein Kernkraftwerk zu investieren, zumal sich in unserem Raum auch noch Erdgas, 01 und Kohle anbieten.
Das bedeutet also: die Nichtunterzeichnung führt im Ausland und im Inland zu Unsicherheit auf dem Markt. Das wären schlechte Grundlagen für eine Auftragserteilung für Atomreaktoren oder Brennelemente. Auch wenn wir nicht unterzeichneten, würden wir trotzdem, wie gesagt, durch bilaterale Verträge überwacht, und es gäbe doch keine Unabhängigkeit. Ein Manager — nicht ein „Schuhfabrikant", meine Damen und Herren, wie Sie mir vorhin zugerufen haben, sondern ein Mann, der selber damit zu tun hat,

(Zurufe von der Mitte)

der in seinem Betrieb Brennelemente herstellt — hat mir gesagt: Wir können und wollen Anreicherungsanlagen, die nicht überwacht werden, nicht betreiben. Wir wollen uns nicht dem Vorwurf aussetzen, wir wollten eine Kontrolle vermeiden; denn wir haben nichts zu verbergen.
Die Doppelkontrolle soll durch ein Nachprüfungsabkommen, ein sogenanntes Verifikationsabkommen, vermieden werden. Das ist nicht nur notwendig, um die Doppelkontrolle zu vermeiden, sondern auch deshalb, um nicht jene europäische Zusammenarbeit aufs Spiel zu setzen, von der Sie, Herr Kollege Stoltenberg, gesprochen haben, nicht zuletzt auch — das gebe ich zu — wegen Frankreich. Unser Nachbar will den Vertrag nicht unterzeichnen. Aber er hat erklärt, daß er sich in allen Punkten so ver- halten wolle, als hätte er unterzeichnet, nämlich konform.

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

-- Die Erklärung liegt vor. Frankreich hat sich im übrigen der Euratom-Kontrolle unterworfen. Schon aus diesem Grunde müssen wir an einer Aufrechterhaltung der Euratom-Kontrolle interessiert sein.
Es geht also darum, die Brüsseler Kommission und die Wiener Organisation zu einem Übereinkommen zu bringen. Das wird geschehen, sobald die Bundesrepublik unterzeichnet hat. Es wäre töricht, so zu tun, als sprächen andere Gründe gegen die Kontrolle durch die Wiener Behörde, die übrigens vor wenigen Tagen 28 Kontrolleure angestellt hat, darunter auch Deutsche.

(Zuruf von der Mitte: Sowjetrussen!)

— Das ist doch eine Weltorganisation. Selbstverständlich sind darin auch Sowjetrussen; ich komme sofort darauf.
Wir wollen im Gouverneursrat Sitz und Stimme haben, in dieser Weltorganisation zur friedlichen Nutzung der Kernenergie. Dazu brauchen wir die Mehrheit der 102 Stimmen in dieser Organisation. Die kriegen wir nicht, wenn wir uns isolieren. Die kriegen wir auch nicht, wenn wir die Internationale Atomenergieorganisation in Wien so hinstellen, als sei sie eine Art Schnüffelorganisation. Fachleute haben mir gesagt, der Einwand der Industriespionage sei geradezu lächerlich; eine Industriespionage sei nicht auf Kontrolleure aus Wien angewiesen. Das glaube ich auch nicht.

(Abg. Wehner: Sehr wahr! Sehr richtig!)

Im übrigen ist doch die Praxis der Wiener Behörde so, daß Kontrolleure zurückgewiesen werden können, die den Kontrollierten nicht passen. Darüber hinaus bin ich der Auffassung — von diesem Argument sollte man bei Gelegenheit auch einmal Gebrauch machen —, daß hier das Motto gilt: Wer sich selbst nicht kontrollieren läßt, hat auch andere nicht zu kontrollieren, wenigstens nicht bei uns.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und ironischer Beifall bei der CDU/ CSU.)

Herr Dr. Stoltenberg hat gesagt, die Sache sei unter Umständen nicht mit der europäischen Integration vereinbar. Er hat aber nicht gesagt — obwohl er es als langjähriger Fachminister weiß —, daß die Euratom-Kommission die Mitgliedsländer angeschrieben und ihnen empfohlen hat, den Vertrag zu unterschreiben, allerdings unter Vorbehalt. Wörtlich steht in dem Schreiben — ich habe es doch auch gelesen —:
Es besteht keine Unvereinbarkeit zwischen den Zielen des Nichtverbreitungsvertrages und Euratom.

(Abg. Dr. Stoltenberg: Aber das ist doch ein unvollständiges Zitat!)

— Moment, es heißt weiter:
Die Kommission betrachtet den Abschluß eines Nachprüfungsabkommens Euratom — IAEO als geeigneten Weg, die erforderlichen Garantien zu erlangen.
Die Kommission sagt, es sei notwendig, die Unterzeichnung unter dem Vorbehalt zu machen,
daß Art. 3 des Vertrages erst in Kraft tritt, wenn im Sinne dieses Artikels ein Abkommen geschlossen ist, das die Wahrung der Rechte und der Pflichten der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft laut Euratom-Vertrag garantiert.
Jetzt ist das Zitat vollständig.
Die Kommission besteht darauf, daß die fünf Mitgliedstaaten, die hier betroffen sind, gemeinsam vorgehen. Sie sagt allerdings am Schluß des Briefes auch:
Eine Ratifizierung oder zumindest eine Hinterlegung der Ratifikationsurkunden soll aufgeschoben werden, bis zufriedenstellende Abkommen zwischen Euratom und der Wiener Behörde erreicht sind.
Italien, Belgien, die Niederlande, Luxemburg haben unterzeichnet. Wir sollten jetzt nachziehen, um die Gleichheit herzustellen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Über das Wie muß verhandelt werden. Aber dazu braucht doch die Euratom ein Mandat, meine Damen und Herren, d. h. sie braucht eine Willenserklärung der fünf Regierungen, dem Vertrag beizutreten. Die Schlange beißt sich doch in den Schwanz, wenn wir sagen:

(Abg. Windelen: Schlangen haben überhaupt keinen Schwanz!)




Flämig
Keine Unterschrift, ehe die Beteiligung der Euratom-Kommission geklärt ist! und wenn die Kommission sagt: Keine Verhandlungen über die Klärung ohne Mandat!

(Abg. Haase [Kassel]: Wo fängt bei der Schlange der Schwanz an? — Abg. Wehner: Wo bei Ihnen der Humor anfängt!)

— Das finden Sie sehr lustig, Herr Haase. Sie verstehen natürlich sehr viel davon.

(Heiterkeit bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, wir führen heute keine Ratifikationsdebatte. Wir haben hier im Grunde genommen nur über die Anfrage und die Antwort der Regierung zu reden. Die grundsätzlichen Fragen werden noch in einer Ratifikationsdebatte besprochen. Aber wir Sozialdemokraten meinen, die Zeit für eine Vertragsunterzeichnung sei gekommen. Was vor der Unterschrift geklärt werden konnte, ist geklärt. Was noch geklärt werden muß, kann erst geklärt werden, wenn die Bundesrepublik die Unterschrift leistet, denn die Kommission braucht ein Mandat. Das letzte Wort wird immer noch der Bundestag haben, wenn eine befriedigende Klärung herbeigeführt ist, d. h. Anerkennung der Euratom-Kontrollen, Nichtdiskriminierung durch Kontrollen etc. und die Kostenfrage.
Eine rasche Unterzeichnung des Vertrages beschleunigt die Euratom-interne Vorbereitung und hilft auch, die Fragen zu klären, die in dem Fragenkatalog des Deutschen Atomforums noch offen sind. Den Vertrag nicht unterschreiben bedeutet, die Solidarität mit anderen Euratom-Partnern zu verletzen. Den Vertrag nicht unterschreiben bedeutet, Wasser auf die Mühlen derjenigen zu gießen, die da behaupten, wir wollten Atomwaffen herstellen oder uns wenigstens die Möglichkeit dazu offenhalten.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Den Vertrag nicht unterschreiben heißt, die Hersteller von Kernkraftwerken und von Brennelementen, die mit angereichertem Uran arbeiten, in eine Situation der Unsicherheit zu bringen und ihre Existenz zu gefährden. Den Vertrag nicht unterschreiben heißt die Bemühungen der Euratom um ein Nachprüfungsabkommen zunichte machen. Selbst das Deutsche Atomforum hat offengelassen, ob die ungeklärten Fragen vor oder nach der Unterschrift geklärt werden sollen, hat also die Unterschrift selbst, genauso wie Sie — das habe ich heute mit Freude gehört —, nicht in Frage gestellt. Wir sind der Auffassung, die Zeit ist reif für die Unterschrift, weil die Nachteile der Nichtunterzeichnung größer sind als die Vorteile.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0601019200
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rutschke.

Dr. Wolfgang Rutschke (FDP):
Rede ID: ID0601019300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Auseinandersetzungen der letzten Monate und -- ich möchte fast sagen — Jahre um diesen Vertrag haben der Öffentlichkeit eigentlich nur die negativen Elemente die-
ses Vertrages klargemacht. Man spricht von den wirtschaftlichen Nachteilen, man spricht von den möglichen wissenschaftlichen Nachteilen, aber völlig verschüttet worden ist der Gedanke, daß dieser Vertrag auch positive Seiten hat. Ich halte es für angemessen, darauf hinzuweisen, welche positiven Elemente in diesem Vertrag enthalten sind.
Als das atomare Wettrüsten Mitte der 50er .Jahre zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion begann, verstärkte sich gleichzeitig auch die Angst der Weltbevölkerung vor dem Atomkrieg. Die Tests von A- und Wasserstoffbomben vertieften diese Angst, denn man sah, welche unheimlichen Wirkungen diese neuen Massenvernichtungsmittel dann haben werden, wenn sie einmal auf die Bevölkerung abgeworfen werden. Insbesondere bei uns in der Bundesrepublik war die Angst groß, und zwar deshalb, weil wir gerade an der Nahtstelle zwischen Ost und West liegen und durch unsere geographische Lage im Hinblick auf einen Atomkrieg in einer besonderen Gefährdung sind. Es besteht die Möglichkeit, daß bei einer atomaren Auseinandersetzung das deutsche Volk ausgerottet wird.
Das war zu einer Zeit, als die gegenseitige Hochrüstung auf diesem Gebiet besonders in Gang war. Erfreulicherweise konnten wir aber feststellen, daß damit auch das atomare Patt entstand, d. h. daß den Großmächten klar war, daß sie niemals diese Waffen würden einsetzen können, wenn sie sich nicht selbst vernichten wollen. Es blieb aber die Gefahr übrig, daß die Großmächte durch kleinere Mächte, die in Besitz von Atomwaffen kommen, in eine atomare Auseinandersetzung gezogen werden könnten. Diese Gefahr ist groß, und das veranlaßte selbstverständlich auch die Großmächte, sich darüber Gedanken zu machen, wie man das verhindern kann. Deshalb war ein legitimes Interesse der Großmächte vorhanden, eine Regelung zu finden, die die Verbreitung der Atomwaffen auf weitere Nationen möglichst nicht zuläßt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, stellen Sie sich vor, daß diese Atomwaffen z. B. im Nahen Osten an die Nationen verbreitet worden wären, seinerzeit im Kongo, an Nigeria, ganz gleich wo! Die Verantwortung, die mit dem Besitz von Atomwaffen verbunden ist, auch im Hinblick auf das eigene Volk, ist so entscheidend groß, daß es in der Tat nur so sein kann, daß eine wirklich verantwortungsvolle Regierung alles tun wird, in der Lage zu sein, diese Fragen zu meistern.
Es liegt aber auch im Interesse der kleineren Mächte, eine Nichtverbreitung der Atomwaffen anzustreben. Es war der irische Chefdelegierte Frank Aiken, der bereits im Oktober 1959 in den Verein' ten Nationen einen entsprechenden Antrag einbrachte, der dann von der UNO-Delegation Irlands in ihrem Entschließungsentwurf vom 17. November 1961 den Vereinten Nationen zur Beschlußfassung vorgelegt und am 4. Dezember 1961 angenommen wurde. Es waren also nicht die Großmächte, sondern die Initiative für diesen Sperrvertrag ging von einem kleineren Land aus.



Dr. Rutschke
Es entstanden langwierige Verhandlungen. Der Kollege Flämig hat schon darauf hingewiesen, daß der ursprüngliche Vertragstext entscheidend verändert werden konnte. Wir danken es der damaligen Bundesregierung, daß sie sich energisch für unsere Interessen eingesetzt hat und daß wir den nunmehrigen Vertragsentwurf haben, der eine ganz entscheidende Verbesserung im Vergleich zu dem ursprünglichen Text ausweist.
Die Reaktionen auf den nunmehr vorliegenden Vertrag sind unterschiedlich gewesen. Franz Josef Strauß und der „Bayern-Kurier" waren sich in dem Fall ausnahmsweise einmal einig. Sie sagten, das sei ein „kosmisches Versailles".

(Heiterkeit bei Abgeordneten der Regierungsparteien.)

Die Atomindustrie fürchtete gewisse Nachteile im Wettbewerb. Nun, das war zu prüfen. Andere, die den Vertrag mehr von der politischen Seite betrachteten, waren der Meinung, dadurch werde eine Fixierung der Unterscheidung zwischen Nationen erster und zweiter Klasse entstehen: Nationen, die über Atomwaffen verfügen, und solche, die nicht über Atomwaffen verfügen.
Meine Damen und Herren, das ist leider richtig. Es ist leider auch festzustellen, daß wir nicht unter den Mächten der Nummer eins sind. Wir dürfen dabei aber nicht völlig vergessen, daß sich in Deutschland ein machtbesessener Abenteurer durchsetzen konnte und die deutsche Geltung und das deutsche Ansehen in der Welt verspielt hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Konsequenz daraus ist eben die, daß wir nicht mehr zu den Mächten der Nummer eins gehören, sondern daß wir uns selber in die Lage einer Macht der Nummer zwei gebracht haben. Das sollte man bei den Betrachtungen im Hinblick auf den Atomsperrvertrag auch nicht völlig vergessen.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Hitlers unverantwortliche Machtpolitik ist auch jetzt wieder ein Stein, der auf unserem Wege liegt. Denn wir müssen mit besonderer Vorsicht auch an diese Fragen herangehen; wir können nämlich leicht in einen falschen Ruf kommen. Kollege Flämig hat bereits angedeutet, daß uns die Verweigerung der Unterschrift so ausgelegt werden könnte, als strebten wir nach Atomwaffen. Das tun wir mit Sicherheit nicht. Allerdings dürfte ein ehemals sehr promimentes Regierungsmitglied dann in England nicht so viel Andeutungen machen, daß auch die Bundesrepublik an dem Besitz von Atomwaffen beteiligt sein wolle. Ich glaube, daß er damit unseren Interessen nicht nützt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, was ist an diesem Vertrag auszusetzen? — Er beinhaltet zunächst einmal den Verzicht auf Atomwaffen. Das ist für uns kein Opfer, denn wir haben bereits auf Atomwaffen verzichtet und wollen dabei auch bleiben. In unserer strategischen und geographischen Lage tun wir gut daran, nicht danach zu streben, irgendwie Atomwaffen in unseren Besitz zu bekommen.
Die zweite Frage ist, ob die friedliche Nutzung der Atomenergie durch diesen Vertrag weiterhin garantiert bleibt, ferner, ob die wissenschaftliche Forschung durch Kontrollen eventuell behindert werden könnte. Ganz törichte Leute sind der Meinung, der wichtigste Punkt sei, daß durch die Kontrolleure der IAEO „Spionage" betrieben werden könnte. Ich habe jedenfalls in den Wahlversammlungen dieses Argument der Spionage immer als Nummer eins entgegengehalten bekommen. Geradezu lächerlich dieser Gedanke! Herr Kollege Flämig hat darauf schon die notwendige Antwort gegeben.
Ein weiterer Nachteil könnte die doppelte Kontrolle durch Euratom und IAEO, die Wiener Behörde, sein.
Ich. glaube, daß bis auf den letzten Punkt, nämlich den der Doppelkontrolle durch Euratom und IAEO, durch die Regierung in der Ihnen vorliegenden Drucksache Nr. 50 alle Fragen, soweit sie überhaupt befriedigend zu beantworten sind, eine befriedigende Antwort gefunden haben.
Es steht eindeutig im Vertrag, daß die friedliche Nutzung nicht behindert wird und die wissenschaftliche Forschung garantiert bleibt. Nun sagen Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, es komme auf die Auslegung dieses Vertrags an, und der Teufel stecke bekanntlich im Detail. Da möchte ich Sie darauf hinweisen, daß man natürlich sowohl von der einen wie von der anderen Seite alles in einen Vertrag hineingeheimnissen kann. Auf der einen Seite können die Russen durch Auslegung unter Umständen etwas in diesen Vertrag hineingeheimnissen, was gar nicht darin steht. Dann sähen sie sich aber immerhin etwa 100 Nationen gegenüber, die im Hinblick auf den Wortlaut des Vertrages einen anderen Standpunkt einnähmen.
Aber auch Sie von der CDU/CSU geheimnissen in diesen Vertrag Sie tun es kräftig — Auslegungsbefürchtungen hinein, die Sie nach meinem Empfinden durch den Text des Vertrages nicht rechtfertigen können. Es scheint mir doch der Überlegung wert zu sein, daß Sie uns damit keinen Gefallen tun, sondern im Gegenteil vielleicht andere auf Gedanken bringen, auf die sie möglicherweise noch gar nicht gekommen sind.

(Lachen bei Abgeordneten in der Mitte.)

Wenn es ein Vertrag zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik allein wäre, würde ich Ihre Bedenken, Herr Kollege Stoltenberg, natürlich teilen können, denn dann wäre er nur ein zweiseitiger Vertrag, und die Auslegung läge dann immer zwischen zwei Vertragspartnern. Da es sich aber um einen Vertrag zwischen mehr als 100 Nationen handelt, können Sie doch nicht allein die Auslegungen, die die Sowjetunion unter Umständen vornehmen könnte, als Maßstab für diesen Vertrag nehmen.

(Abg. Dr. Barzel: Sprechen Sie ruhig weiter so ins Protokoll!)

Auf der anderen Seite stehen doch 100 Nationen,
die nicht daran interessiert sein können, unbegrün-



Dr. Rutschke
dete und einseitige Auslegung in dieser Form zu unterstützen.

(Beifall bei der FDP. — Abg. Dr. Barzel: Ganz unwichtig, wie die Sowjetunion interpretiert?!)

— Aber meinen Sie, Herr Barzel, daß die USA unwichtig sind, die auf der anderen Seite stehen?

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Barzel: Nein!)

— Nun, bitte, das ist doch die entscheidende Frage. Sie halten sich immer nur an das, was eventuell die Sowjetunion sagen könnte. Die Regierung hat mit den Vereinigten Staaten verhandelt und hat Zusagen bekommen. Die ignorieren Sie offensichtlich. Das ist nicht in Ordnung.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0601019400
Herr Kollege Rutschke, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0601019500
Herr Kollege Rutschke, ich darf Sie nur herzlich fragen, ob Sie auch das Argument in Ihre Betrachtung einbezogen haben, daß die Bundesrepublik Deutschland dem Westen gegenüber solche Verzichte bereits definitiv erklärt hat.

Dr. Wolfgang Rutschke (FDP):
Rede ID: ID0601019600
WEU-Vertrag, ja!
Dr. Barzel (CDU/CSU) Und haben Sie in Ihre Betrachtung einbezogen, daß das politisch einzig Neue die Übernahme einer solchen Verpflichtung gegenüber der Sowjetunion ist und daß deshalb die Interpretation durch diese Macht, die eine der vier für Deutschland verantwortlichen Mächte ist, für die Bundesrepublik Deutschland von besonderem Rang ist?

Dr. Wolfgang Rutschke (FDP):
Rede ID: ID0601019700
Herr Kollege Barzel, ich stimme Ihnen insofern nicht zu, als Vertragspartner 100 Nationen und nicht nur die Bundesrepublik und die Sowjetunion sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

100 Nationen stehen auf der anderen Seite. Sie werden sich sicherlich wehren, wenn durch ein einziges Mitglied — nehmen Sie die Ostblockstaaten meinetwegen dazu, davon kann man ja wohl im allgemeinen ausgehen — eine einseitige Auslegung gegeben wird. Es unterliegt also keinem Zweifel, daß ein sehr starkes Gegengewicht vorhanden ist und sich die Weltmeinung auch in dieser Hinsicht durch die Zahl derjenigen, die anderer Meinung sind, beeindrucken läßt.
Meine Damen und Herren, es wurde viel davon gesprochen, daß die wissenschaftliche Forschung und die friedliche Nutzung der Atomenergie beeinträchtigt werden könnten. Das hat auch der Kollege Flämig angedeutet. Ich kann Sie in diesem Zusammenhang nur auf Art. III Abs. 2 des Vertrages verweisen. Wie Sie wissen, bekommen wir, wenn wir diesem Vertrag nicht beitreten, keine Lieferungen spaltbaren Materials mehr; denn alle Mächte, die Liefermächte sind, verpflichten sich, nur an Staaten
zu liefern, die entweder Mitglied dieses Vertragswerks sind oder sich zumindest den Kontrollbestimmungen unterwerfen. Das würde also bedeuten, daß wir zwar dem Vertrag — wenn es nach Ihnen ginge — nicht beitreten, weil wir die wissenschaftliche Forschung — —

(Zurufe von der CDU/CSU: Wer sagt denn das? — Abg. Kiep: Das hat kein Mensch gesagt!)

— Gut, ich will es gerne verbessern. Es bestünde also, solange wir diesem Vertrag nicht beigetreten sind, die Schwierigkeit, daß Art. III Abs. 2 Anwendung findet, daß wir entweder kein spaltbares Material mehr bekommen — denn auf der anderen Seite verpflichten sich ja auch die Geberländer dieses Materials, sich an die Bestimmungen des Vertrags zu halten — oder daß wir uns den Kontrollbestimmungen unterwerfen müssen, die uns nach Ihrer Meinung ja so besonders drücken. Und dann sind wir diesem Art. III Abs. 2 des Vertrages, also der Kontrolle, zwar unterworfen, können aber die Vorteile, die in den späteren Artikeln, auf die Kollege Flämig hingewiesen hat, in diesem Vertrag enthalten sind, nicht in Anspruch nehmen. Auch das stimmt also in Ihrer Argumentation nicht ganz; ich wäre Ihnen dankbar, wenn vielleicht einer der Kollegen von der CDU/CSU einmal darauf einginge, wie er sich das vorstellt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0601019800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Giulini?

Dr. Wolfgang Rutschke (FDP):
Rede ID: ID0601019900
Ja, bitte, Herr Kollege!

Dr. Udo Giulini (CDU):
Rede ID: ID0601020000
Herr Kollege Rutschke, wie erklären Sie es sich dann, daß die Ukraine und Weißrußland, die ja in der UNO eine Stimme als selbständige Staaten haben, diesen Vertrag nicht unterschrieben haben?

Dr. Wolfgang Rutschke (FDP):
Rede ID: ID0601020100
Soweit mir bekannt ist, hat die Sowjetunion auch für diese Staaten mit unterschrieben.

(Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)

Aber darauf kann ich Ihnen keine genaue Antwort geben; das gebe ich Ihnen ehrlich zu. Mir ist jedoch bekanntgeworden, daß die Sowjetunion diesen Vertrag auch für diese Staaten verbindlich mit unterschrieben hat.

Dr. Udo Giulini (CDU):
Rede ID: ID0601020200
Darf ich dann nur fragen: Ist Ihnen bekannt, daß die Sowjetunion auf Befragen antwortet, daß der weißrussische Staat und der ukranische Staat keine Atomwaffen besitzen und deshalb nicht zu unterschreiben brauchen?

Dr. Wolfgang Rutschke (FDP):
Rede ID: ID0601020300
Das ist mir nicht bekannt, aber man könnte vielleicht davon ausgehen, daß die Ukraine und Weißrußland nicht eigene, sondern nur im Rahmen der Sowjetunion Atommächte sind.
Meine Damen und Herren! Nun zu dem Einwand — man hat ihn draußen in der Bevölkerung viel gehört —, daß dann, wenn dieser Atomwaffensperr-



Dr. Rutschke
vertrag in Kraft träte und die Kontrollen installiert würden, die sowjetischen Kontrolleure bataillonsweise kommen und vom Speicher bis zum Kellerraum alles untersuchen würden, was in einem Atomreaktor so vor sich geht. Auch diese Vorstellung ist falsch. Wir können jederzeit ohne Angabe von Gründen Kontrolleure zurückweisen. Und wir könnten — der Kollege Flämig hat darauf hingewiesen — sagen, daß wir uns nur von Kontrolleuren kontrollieren lassen, deren Länder bereit sind, sich auch kontrollieren zu lassen. Damit würde unter Umständen kein sowjetischer Kontrolleur jemals in ein deutsches Atomwerk kommen können. Das ist durchaus möglich, und man sollte es nicht anders darstellen.
Es werden nun Einwände in Fülle gemacht — auch in Ihrer Schriftlichen Großen Anfrage, meine Damen und Herren; und Sie haben sich selbst darüber Gedanken gemacht —, die darauf hinzielen, was geschehen würde, wenn die NATO aufgelöst wird. Nun halte ich die Auflösung der NATO für nicht so akut. Selbst wenn ein Staat innerhalb der NATO nun einen anderen Weg geht — wir hoffen, daß er wieder den Weg zurück findet —, muß ja deshalb nicht die NATO insgesamt aufgelöst werden. Sie haben sich also auch darüber Gedanken gemacht; und die Regierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU ja gesagt, daß es dann möglich wäre, den Art. X des Atomwaffensperrvertrages in Anspruch zu nehmen. Das ist durchaus eine Lösung, die sich anbietet. Aber ich glaube nicht, daß die Amerikaner auch nur das I geringste Interesse daran haben könnten, Mitteleuropa preiszugeben. Das ist doch eine Vorstellung, die sehr weit hergeholt ist.
Vom Deutschen Atomforum sind sehr seriöse und ernst zu nehmende Fragen gestellt worden. Ich hatte an sich die Absicht, sie noch einmal zu verlesen. Aber im Hinblick auf die Kürze der Zeit möchte ich Sie auf die Antwort der Regierung verweisen. Ich glaube, daß die Fragen bis auf einen Tatbestand, Euratom-Kontrolle und Kontrolle durch die Wiener Behörde, so beantwortet worden sind, daß man durch die Beantwortung befriedigt sein kann.
Zur Information sollte man sich auch immer wieder ins Gedächtnis zurückrufen, daß bereits 93 Staaten diesen Atomwaffensperrvertrag unterschrieben und 21 ihn bereits ratifiziert haben. Im übrigen bedeutet die Unterschrift ja nicht die Ratifizierung. Dieser Vertrag erhält nicht schon durch die Unterschrift Gültigkeit für uns, sondern erst durch die Ratifizierung. Hier haben wir eine genügende Spanne Zeit, um uns in den Verhandlungen entsprechend zu verhalten und die letzten noch offenen Fragen zu klären.
Ich bin der Meinung, meine Damen und Herren, daß im Interesse der Bundesrepublik die Unterschrift unter diesen Vertrag vollzogen werden sollte. Wir sind aber gleichfalls der Meinung, daß alle Fragen, die erst nach Unterzeichnung dieses Vertrages gelöst werden können, dann in Verhandlungen mit Entschiedenheit aufgegriffen werden sollten, um zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0601020400

(1 Herr Bundesminister Scheel. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Dr. Stoltenberg hat zu Beginn seiner Bemerkungen bemängelt, daß sich Vertreter der Regierungsparteien zum Termin der Unterzeichnung geäußert haben. Wir haben nichts anderes getan, Herr Kollege Stoltenberg, als das, was auch Sie in der Vergangenheit getan haben. Was den Termin angeht, so haben wir uns präzise an das gehalten, was auch Sie gesagt haben, z. B. in Wien am 14. Mai dieses .Jahres, nämlich daß gegen Ende des Jahres der Vertrag wohl unterzeichnet werden könnte, wenn bestimmte Dinge geregelt seien; und um die Regelung dieser Fragen geht es. Daß wir am Ende vielleicht zu unterschiedlichen Überzeugungen kommen, ob die Beantwortung der Fragen im Sinne der Fragesteller ist, das will ich einmal dahingestellt sein lassen. Aber der Vertrag hat eine lange Geschichte. Am 16. Dezember 1966 wurde der Bundesrepublik Deutschland der Text der Art. I und II eines Nichtverbreitungsvertrages, über die sich die amerikanische und die sowjetische Delegation der Genfer Abrüstungskonferenz geeinigt hatten, übermittelt. Von diesem Tage an war die Bundesregierung in den Prozeß der Entstehung des NV-Vertrags eingeschaltet und mit seinen Problemen insgesamt konfrontiert. Fast drei Jahre sind seitdem vergangen. Man wird also, wenn die Bundesregierung in Kürze zu einer abschließenden Würdigung des Vertrages kommen will, nicht gut behaupten können, dazu sei es noch zu früh. (Beifall bei der FDP. — Abg. Wehner: Sehr wahr!)

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0601020500
Man wird ebensowenig von hektischer Eile oder Überstürzung sprechen können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ein Blick auf die dreijährige Geschichte der deutschen Bemühungen um den NV-Vertrag und um die Schaffung der notwendigen Voraussetzungen für den Beitritt der Bundesrepublik zeigt, daß die Zeit bis zum Kabinettsbeschluß vom 13. August 1969 redlich und mit anerkennenswertem Erfolg genutzt worden ist. Die Maßstäbe für die endgültige Bewertung des NV-Vertrags wurden in diesem Hause schon am 27. April 1967 gesetzt, und diese Maßstäbe fanden die Zustimmung aller Parteien des Bundestages: 1. ungehinderte Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken, 2. deutliche Verbindung zur allgemeinen Abrüstung in der Welt, 3. Gewährleistung der Sicherheit, 4. keine Beeinträchtigung regionaler, d. h. in unserem Falle europäischer, Einigungsbestrebungen. An diesen vier Kriterien haben sich die Bemühungen der Bundesregierungen, den NV-Vertrag anzunehmen, orientiert.
Erstens zur friedlichen Nutzung: Als Industrienation, die auf dem Gebiet des Baues von Atomkraftwerken erhebliche Anstrengungen gemacht hat, um den Vorsprung anderer Staaten aufzuholen, und



Bundesminister Scheel
die heute beachtliche Exportinteressen zu wahren hat, haben wir uns besonders bemüht, Forschung, Entwicklung und friedliche Nutzung der Kernenergie vor Risiken zu bewahren. Nicht zuletzt auf Grund deutscher Vorschläge wurden in der Präambel versprochen und im operativen Teil des Vertrages zugesichert: keine Beeinträchtigung von Forschung, Entwicklung und Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke, Förderung des Austauschs von Informationen und Material, Teilhabe an den Vorteilen, die die Kernwaffenstaaten aus der Entwicklung und Produktion von Kernwaffen zugunsten friedlicher nuklearer Tätigkeiten ziehen, d. h. Teilhabe an dem sogenannten „spin-off", wie das in der modernen Technikersprache heute wohl heißt, dann Beschränkung der Kontrolle auf den Vertragszweck, Prinzip der instrumentierten Spaltstoff-Fluß-Kontrolle an bestimmten strategischen Punkten zunächst als Zielvorstellung in der Präambel, später auch Übernahme dieses Prinzips in den operativen Teil für das Kontrollverfahren —, ferner Möglichkeit des Verifikationsabkommens zwischen Euratom und der Internationalen Atomenergieorganisation in Wien, keine Kosten für Forschung und Entwicklung, sowie die Nichtdiskriminierung bei den Kernsprengdiensten für friedliche Zwecke.
In dieser Zeit sind durch Verhandlungen aus dem Vertrag Bestimmungen, die wir nicht haben wollten, herausgefallen, nämlich die Erwähnung von Anlagenkontrollen im Text des Vertrages heute scheint das technisch auch gar nicht mehr nötig zu sein —, dann die sogenannte Guillotine, d. h. keine automatische Einführung von Kontrollen durch die Internationale Atomenergieorganisation im Euratom-Bereich.
Zusätzlichen Schutz bieten die amerikanischen klassischen Interpretationen. Für den friedlichen Bereich sind dies die ersten beiden klassischen Interpretationen. Darüber hinaus gibt es weitere amerikanische Interpretationen und Zusicherungen in Briefen an den Bundeskanzler und den Bundesaußenminister, in anderen diplomatischen Schriftstücken und in den offiziellen Erklärungen vor dem amerikanischen Senat.
Ich möchte noch die Äußerung des amerikanischen Chefdelegierten in der NV-Debatte der Vereinten Nationen besonders erwähnen, daß z. B. der mögliche Reaktor der Zukunft, der auf der Basis der kontrollierten thermo-nuklearen Fusion arbeiten würde— Herr Kollege Stoltenberg hat soeben darauf hingewiesen — , vom NV-Vertrag nicht betroffen ist.
Ferner gibt es die amerikanische und die britische Zusage, für den eigenen zivilen Bereich die Kontrollen der Internationalen Kernenergieorganisation zuzulassen, amerikanische Zusicherungen hinsichtlich der ungehinderten Belieferung von Euratom mit spaltbarem Material auch bei deutschen Reaktorexporten und schließlich die Zusage der baldigen Aufnahme von Gesprächen mit Euratom zur Liberalisierung der bestehenden Lieferverträge zwischen Euratom und den Vereinigten Staaten von Amerika.
Zur Abrundung hat die Bundesregierung nun eigene Interpretationen beschlossen, die Ihnen bekannt sind und die zum größten Teil bereits auf der Konferenz der Nicht-Nuklearwaffen-Staaten öffentlich bekanntgegeben wurden. Sie bilden einen Teil der Note, die bei Unterzeichnung den Depositarmächten und den anderen Regierungen übergeben werden soll. Schließlich hat selbst die Sowjetregierung auch uns gegenüber wiederholt versichert zuletzt in einem Papier, das sie am 6. November dieses Jahres überreicht hat , daß keinem Land für die Forschung, Entwicklung und Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke Hindernisse in den Weg gelegt werden dürfen.
Die Bundesrepublik Deutschland ist in diesen Fragen nicht allein. Ihre Interessen stehen im Einklang mit den Interessen aller nichtnuklearen Industriestaaten. Die rasche Erfüllung der Versprechen und Verpflichtungen zur Förderung der friedlichen Nutzung der Kernenergie bei den Nichtnuklearen würde der allgemein geforderten Ausgewogenheit der Verpflichtungen im NV-Vertrag wenigstens in dieser Hinsicht Rechnung tragen. Sie könnte die auch von uns für die -Wirksamkeit des Vertrages als notwendig herausgestellte weltweite Annehmbarkeit fördern.
Wesentlich für unsere Wissenschaft und Nuklearwirtschaft bleibt die Ausgestaltung der Kontrolle, die sich ja nur im friedlichen Bereich abspielt. Die Kontrollfrage ist im NV-Vertrag nicht abschließend geregelt. Der Vertrag verweist auf die hierüber mit der Wiener Atomenergieorganisation abzuschließenden Abkommen. Der Vertrag ermöglicht jedoch wirtschaftlich unschädliche Sicherungsmaßnahmen durch das Prinzip der instrumentierten Spaltstoff-Fluß-Kontrolle an bestimmten strategischen Punkten, wie wir es gefordert haben. Dieses Prinzip ist auch im operativen Teil des Vertrages, der die Durchführung der Sicherungsmaßnahmen behandelt, verankert.
Der NV-Vertrag läßt auch ein euratomvertragsgerechtes Verifikationsabkommen zwischen der Europäischen Atomgemeinschaft und der Wiener Atomenergiebehörde zu. Allerdings enthält er keine Garantie für ein solches Abkommen. Um die Wahrung der Rechte und Pflichten, die den Mitgliedstaaten von Euratom und der Gemeinschaft aus den Römischen Verträgen erwachsen, zu sichern, soll die Ratifizierung des NV-Vertrages in gemeinsamem Vorgehen aufgeschoben werden, bis ein zufriedenstellendes Abkommen mit der internationalen Atomenergieorganisation zustande gekommen ist. Die vier nichtnuklearen Euratommitglieder, die den NV-Vertrag bereits unterzeichnet haben — also außer Frankreich und uns alle —, haben den Ratifikationsaufschub wie vereinbart bei der Ratifizierung erklärt. Die Bundesregierung würde bei ihrer Unterzeichnung das gleiche tun.
Frankreich, das als Kernwaffenstaat am nichtdiskriminierenden Euratom-Sicherungssystem weiweiterhin in vollem Umfange teilnimmt, hat bei der Behandlung der Euratom betreffenden Fragen aus dem NV-Vertrag stets eine verständnisvolle Haltung eingenommen und uns das bis in die jüngste Zeit hinein in Gesprächen über diesen Punkt versichert.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 10. Sitzung. Borin, Mittwoch, den 12. November 1969 319
Bundesminister Scheel
Die Bundesregierung wird weiterhin durch konstruktive Mitarbeit dazu beitragen, daß das bei der europäischen Zusammenarbeit auf nuklearem Gebiet bisher Erreichte nicht beeinträchtigt, sondern nach Möglichkeit gefestigt und ausgebaut wird. Eine nächste Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen, wird die Gipfelkonferenz in Den Haag bieten.

(Abg. Wehner: Sehr gut!)

Durch die deutsche Unterschrift wird nach Auffassung der neuen Bundesregierung die Gemeinsamkeit der Euratom-Mitglieder verstärkt werden. Hierdurch werden die Aussichten auf befriedigende Ergebnisse in den kommenden Verhandlungen zwischen Brüssel und Wien eher gestärkt.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Die Gemeinsamkeit der Euratom-Partner ist die Grundlage der bisher erzielten Ergebnisse gewesen. Je fester und je vitaler die Gemeinsamkeit ist, desto besser werden die Interessen der Mitglieder der Gemeinschaft auch in Zukunft gewahrt werden können, um so bereiter werden wir auch die befreundeten Staaten finden, die sich für eine Förderung des Abkommens zwischen Brüssel und Wien ausgesprochen haben. Ich glaube, daß wir uns über die bestehenden Unsicherheiten und die nun einmal auf uns zurollenden Probleme bei der Kontrolle weitgehend einig sind. Sie sollten weder verborgen noch verkleinert werden; sie sollten aber auch nicht unsere Entschlossenheit zu weiteren Fortschritten auf diesem Gebiet bremsen. Es kommt hinzu, daß bei der Kontrolle die entscheidenden Probleme unabhängig von der deutschen Unterschrift unter diesen Vertrag gelöst werden müssen.
Jetzt ein kurzes Wort zu den Kosten der Kontrolle. Nach der bisherigen Praxis bei Euratom und auch in der Internationalen Atomenergieorganisation trägt die Organisation die durch ihre Tätigkeit anfallenden Kosten von Kontrollen. Dies ist unbestritten, und auch die sowjetische Regierung hat sich dafür ausgesprochen, daß die Kosten einer solchen Kontrolle aus dem Haushalt gedeckt werden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0601020600
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stoltenberg?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0601020700
Bitte sehr!

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0601020800
Sind Sie bereit, Herr Bundesminister, Ihre Ansicht, daß das unbestritten sei, noch einmal kritisch zu prüfen im Hinblick auf Erklärungen einer Reihe von bedeutenden Staaten, die Mitglieder der IAEO sind, aber dem Vertrag nicht beitreten wollen, daß sie nicht bereit seien, Kontrollkosten für Aufgaben zu übernehmen, die sie selbst der Substanz nach nicht akzeptieren könnten?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0601020900
Ich kann mich, Herr Kollege Stoltenberg, bisher darauf beziehen, daß es die Regel in Euratom und in der
Internationalen Atomenergieorganisation gewesen ist, die Kosten durch die Organisation tragen zu lassen. Diese Meinung wird von den wesentlichen Partnerstaaten dieser Organisation geteilt, auch heute. Ich habe besonders erwähnt — weil das von Ihnen doch immer gefragt wird —, daß auch die Sowjetunion heute diese Meinung teilt und daß sie uns das in einem Papier am 6. November dieses Jahres, also vor wenigen Tagen, noch einmal wiederholt hat. Im übrigen sind auch Länder, die den NV-Vertrag ablehnen oder ihm sogar kritisch gegenüberstehen, an der Kontrolle beteiligt. So haben Länder wie Indien, Brasilien und Argentinien Sicherungsabkommen mit der internationalen Organisation geschlossen. Durch ihre Nichtteilnahme am Vertrag würde sich ihre Situation hinsichtlich der Kontrolle und insoweit auch hinsichtlich der Kosten, nämlich der Erstellung des Budgets der Organisation, nicht wesentlich ändern, da die Budgetverabschiedung durch die Mehrheit der Mitglieder erfolgt.
Der NV-Vertrag ist ein Nichtrüstungsvertrag, dem eine Leistung der Nichtkernwaffenstaaten, nämlich ihr Verzicht auf Herstellung und Erwerb von Kernwaffen, zugrunde liegt. Mit dem Vertrag werden dagegen nicht die Gefahren beseitigt, die sich für die Völkergemeinschaft aus dem Vorhandensein von Kernwaffen ergeben.

(Abg. Wehner: Sehr wahr!)

Die überwiegende Mehrheit der Nichtkernwaffenstaaten teilt mit uns die Auffassung, daß der NV-Vertrag ein Schritt auf dem Weg zu echten Rüstungsbegrenzungen und Abrüstungsmaßnahmen sein muß. Auf die Bemühungen der Nichtnuklearen geht die Einfügung des Art. 6 in den Vertragstext zurück. Das mag, wenn Sie es lesen und die Durchsetzbarkeit in Rechnung stellen, wenig sein. Aber ich bitte sich doch einmal klarzumachen, daß dies überhaupt der erste Vertrag in der langen Geschichte der Abrüstungsgespräche und -verhandlungen ist, in dem die Kernwaffenmächte in einem operativen Teil und nicht nur in der Absichtserklärung verpflichtet werden, in redlicher Absicht Verhandlungen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens zu führen.

(Zustimmung bei der SPD.)

Der NV-Vertrag ist heute der einzige praktische Hebel, die Kernwaffenmächte zu echten Abrüstungsmaßnahmen zu drängen. Und wer die letzte Sitzungsperiode des Genfer Abrüstungsausschusses verfolgt hat, der weiß, daß die dort vertretenen Nichtkernwaffenstaaten von dieser Möglichkeit im Vertrag hinreichend Gebrauch gemacht haben.
Aus der besonderen geographischen Lage der Bundesrepublik und aus der Integration der deutschen Streitkräfte in das westliche Bündnis, aber auch als Folge unseres bereits 1954 ausgesprochenen freiwilligen Verzichts auf die Herstellung von Kernwaffen ergeben sich nun für uns als Nichtkernwaffenmacht im Zusammenhang mit dem NV-Vertrag spezifische Sicherheitsprobleme. Auch in dieser Hinsicht haben die Bemühungen der Bundesregierung zu wichtigen Ergebnissen geführt. Um mit dem für uns Wichtigsten anzufangen: die Vereinbarkeit



Bundesminister Scheel
auch der nuklearen Sicherheitsvorkehrungen des Bündnisses mit dem NV-Vertrag wurde durch entsprechende amerikanische Interpretationen festgestellt. Auch ist nach der Erklärung des damaligen amerikanischen Verteidigungsministers Clifford, die in den Hearings des Senats im Juli 1968 bestätigt wurde, die Weiterentwicklung der nuklearen Verteidigungsvorkehrungen innerhalb des Bündnisses nicht behindert, auch wenn sie auf anderen technischen Voraussetzungen beruhen.
In diesem Zusammenhang sollte ich vielleicht eine kurze ergänzende Bemerkung zu dem machen, was in der Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU in puncto Interpretationen, ihren Wert und ihre Rechtsverbindlichkeit gesagt worden ist. Die erwähnten amerikanischen Interpretationen gelten im besonderen für den Bereich des atlantischen Bündnisses. Es ist ihnen von keiner Seite widersprochen worden. Aber selbst wenn irgendein NV-Vertrags-Partner Widerspruch dagegen erheben wollte oder gar erheben sollte, so würde man sich damit zwar auseinanderzusetzen haben, es würde aber kein Jota an der Effektivität der amerikanischen Interpretationen ändern. Entscheidend bleibt allein, daß innerhalb des atlantischen Bündnisses Einmütigkeit über die Vereinbarkeit der Sicherheitsarrangements mit dem NV-Vertrag besteht.
Sehr beschäftigt hat uns die Gültigkeit des in Art. 2 der Satzung der Vereinten Nationen verankerten Verbots der Anwendung oder Androhung von Gewalt. Das Ergebnis unserer Bemühungen — mit anderen Staaten zusammen noch in der letzten Phase der Fixierung des Vertragstextes — war die Einfügung des dreizehnten Präambelsatzes des NV-Vertrages und als Ergänzung dazu die Annahme der Resolution der Vollversammlung der Vereinten Nationen vom 12. Juni 1968, mit der die Annahme des Vertrages empfohlen wurde und aus der ich den einschlägigen Text hier zitieren möchte:
Die Vollversammlung bekräftigt, daß im Interesse des Friedens und der Sicherheit zwischen den Völkern sowohl Kernwaffen- wie Nichtkernwaffenstaaten die Verantwortung haben, im Einklang mit den Grundsätzen der Satzung der Vereinten Nationen zu handeln, wonach die souveräne Gleichheit aller Staaten zu respektieren ist, wonach die Staaten sich in den zwischenstaatlichen Beziehungen der Androhung oder Anwendung von Gewalt zu enthalten haben und wonach internationale Streitfälle mit friedlichen Mitteln beizulegen sind.
Da die Bundesrepublik nicht Mitglied der Vereinten Nationen ist, muß es als Fortschritt gewertet werden, daß in den Gesprächen mit der Sowjetunion die ausdrückliche Einbeziehung der Bundesrepublik in den Genuß der Resolution 255 festgestellt und auch noch einmal schriftlich fixiert worden ist. Wie Sie wissen, ist die uneingeschränkte Gültigkeit des Art. 2 für die Bundesrepublik durch den Interventionsanspruch in Frage gestellt, den die Sowjetunion unter Verweisung auf die Art. 53 und 107 geltend machen zu können glaubt. Soweit die Perspektive einer sich auf die Art. 53 und 107 berufenden Intervention die Sicherheit der Bundesrepublik berühren könnte, sind wir, wie wir in der Beantwortung der Anfrage schon gesagt haben, durch die NATO und die unzweideutigen Erklärungen der amerikanischen, der britischen und der französischen Regierung vom September 1968 geschützt. Unsere Sicherheit ist ja durch unser Bündnis garantiert, in dem wir Mitglied sind, nicht etwa durch Verträge oder Abmachungen, die wir mit der Sowjetunion geschlossen hätten.
Auf das politische Problem der Natur der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion, das sich uns angesichts des sowjetischen Vorbehalts stellt und das nicht auf den NV-Vertrag beschränkt ist, komme ich nachher noch einmal in anderem Zusammenhang zurück.
Das letzte der am 27. April 1967 verkündeten Kriterien, die ich soeben verlesen habe, forderte, daß der NV-Vertrag die europäischen Einigungsbestrebungen nicht beeinträchtigen dürfe. Daß der NV-Vertrag politischen Formen eines mehr oder weniger engen Zusammenschlusses europäischer Staaten nicht im Wege steht, bedarf keiner weiteren Begründung, da der Vertrag ausschließlich den Gegenstand der horizontalen Nichtweitergabe regelt. Im Zusammenhang mit dem NV-Vertrag interessiert also lediglich die Frage nach dem Kernwaffenstatus einer sich zusammenschließenden Gruppe europäischer Staaten im Lichte der Bestimmungen des Vertrages.
Die Lehre von der Staatensukzession, auf den NV-Vertrag angewandt, besagt, daß keine verbotene Übertragung von Kernwaffen oder der Verfügungsgewalt darüber, sondern Rechtsnachfolge vorliegt, wenn eine Föderation an die Stelle einer Gruppe von Staaten tritt, unter denen auch Kernwaffenstaaten waren. Zudem kann ein Staatenzusammenschluß der Forderung nach Nichtweitergabe in besonders deutlicher Weise Rechnung tragen, wenn er zur Verminderung der Zahl von Kernwaffenstaaten führt. Als Ergebnis entsprechender Verhandlungen bekräftigt die sechste der amerikanischen Interpretationen, daß die Vereinigten Staaten von Europa den Nuklearstatus im Wege der Rechtsnachfolge erhalten können, wenn sich unter den Gliedern der Föderation ein Kernwaffenstaat befindet.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0601021000
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Birrenbach?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0601021100
Bitte!

Dr. Kurt Birrenbach (CDU):
Rede ID: ID0601021200
Herr Bundesaußenminister, ist Ihnen bekannt, daß nach der Aufgabe der Entwürfe von März 1966 und Ende 1965 das Kriterium für die Weiterverbreitung, daß keine zusätzliche Nuklearmacht geschaffen werden soll, durch die Entwürfe vom Herbst 1966 aufgegeben worden ist, das heißt, daß die Voraussetzung, von der Sie soeben gesprochen haben, gar nicht mehr besteht?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0601021300
Nein, Herr Kollege Birrenbach. Ich wiederhole, daß in der



Bundesminister Scheel
noch gültigen sechsten amerikanischen Interpretation — sie ist nicht ungültig, sondern noch gültig die Vereinigten Staaten von Europa den Nuklearstatus als Rechtsnachfolger einer Staatengruppe erhalten können, unter der sich ein Nuklearstaat befindet. Ohne Frankreich und England — das sind ja Nuklearstaaten — kann man sich eben keine europäische Föderation vorstellen. Damit ist ganz klar gesagt, daß eine europäische Einigung, wenn sie einen entsprechenden Föderationsgrad allerdings hat, als Rechtsnachfolger ohne weiteres in -die Rechte eines Nuklearstaates nach dem Vertrag eintritt.
Man hat nun bedauert, daß die Interpretation einen sehr hohen Föderationsgrad als Kriterium für die Nachfolge aufstellt und daß dadurch die Möglichkeit entfällt, eine integrierte Nuklearstreitmacht als zusätzlichen Faktor für den Einigungsprozeß in Europa zu gewinnen, also sozusagen bevor die Föderation besteht, oder dadurch, daß man eine Föderation in Europa durch die Bildung einer nuklearen Streitmacht der jetzigen Staaten befördern möchte.
Die Bundesregierung ist in diesem Zusammenhang der Auffassung: solange die NATO in der bisherigen Form existiert, wäre die Forderung, daß es auf dem Wege hin zu den Vereinigten Staaten von Europa eine eigenständige europäische nukleare Streitmacht geben solle oder sogar müsse, politisch außerordentlich gefährlich. Sie würde den Einigungsprozeß nicht fördern, sondern geradezu verhindern.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Erfahrungen, die wir bereits in unserem Bündnis mit dem Projekt der MLF gemacht haben, sollten uns davon bewahren, diesen Weg zu beschreiten oder gar von deutscher Seite vorzuschlagen, wie es geschehen ist. Keine andere europäische Regierung hat bisher einen solchen Vorschlag unterbreitet oder wird das nach unserer Meinung tun.
Außerdem könnte Europa, wenn es sich dazu entschließen sollte, jederzeit ein dem gegenwärtigen NATO-System vergleichbares System aufstellen, indem es die europäischen Kernwaffenstaaten instand setzt, Europa so gut wie möglich nuklear zu verteidigen, ohne daß Kernwaffen auf Nichtkernwaffenstaaten übertragen werden, genauso wie das in der NATO jetzt der Fall ist.

(Abg. Dr. Apel: Sehr richtig!)

Auf die Situation, die sich aus einer Auflösung der NATO ergeben würde, möchte ich in diesem Zusammenhang nicht eingehen, sondern nachher noch einmal zurückkommen.
Wenn wir noch die nicht unwichtigen Ergebnisse in Verfahrensfragen hinzufügen, dann ist das, meine Damen und Herren, in großen Zügen die Bilanz dessen, was deutscherseits in unermüdlichen Verhandlungen und Gesprächen bis zum Kabinettsbeschluß vom 13. August 1969 erreicht wurde. Ich möchte hier ausdrücklich erklären, daß alle, die daran beteiligt waren, auch diejenigen, die durch kritische Fragen daran beteiligt gewesen sind, Anerkennung verdienen.
Das Bundeskabinett hat sich am 13. August mit den Fragen befaßt, die von den beteiligten Ressorts als noch klärungsbedürftig bezeichnet worden waren und für die das Auswärtige Amt Vorschläge unterbreitet hatte. Die Verhandlungen mit der amerikanischen Regierung, mit denen das Auswärtige Amt vom Kabinett beauftragt worden war, wurden am 29. Oktober auf dem Hintergrund dessen, was in der Regierungserklärung vom 28. Oktober zum Vertrag festgestellt worden war, aufgenommen und am 31. Oktober abgeschlossen. Die amerikanische Regierung hat für unser Anliegen großes Verständnis gezeigt. Ich zögere nicht, das Ergebnis, wenn ich es an den vom Kabinett gebilligten Vorschlägen messe, als gut zu bezeichnen. In der schriftlichen Beantwortung der Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion wurde auf das Ergebnis dieser Verhandlungen Bezug genommen. Gleichlaufend zu den Verhandlungen mit der Regierung der Vereinigten Staaten fand eine erneute Fühlungnahme mit der sowjetischen Regierung statt. Die Vorsitzenden der Fraktionen des Bundestages sind über das Gesamtergebnis unterrichtet.
Ich möchte an dieser Stelle meine Aussagen zum Fragenkomplex der Sicherheit wiederholen und vervollständigen. Es geht hierbei um das vielbeschworene Sicherheitsrisiko, das sich für die Bundesrepublik aus der unterschiedlichen Laufdauer des Vertrags einerseits und des Nordatlantikpaktes andererseits ergeben könnten. Ich bin weit davon entfernt, das Problem auf die leichte Schulter zu nehmen. Alle Absicherungen gegen mögliche Gefahren setzen den Fortbestand des Bündnisses voraus. Aber ich meine, meine Damen und Herren, es ist an der Zeit, bei der Beantwortung dieser Frage, die auch Gegenstand der Großen Anfrage ist, die Dinge in der richtigen Perspektive zu sehen. Eine Auflösung der NATO oder ihre Schrumpfung in einem die Sicherheit wirklich gefährdenden Umfang bedeutet für uns wie für alle Mitglieder den Fortfall des nuklearen Schutzes, der die Grundlage unserer Sicherheit ist. Das Risiko, daß das Eintreten eines solchen doch sicherlich sehr hypothetischen Falles für uns schon heute mit sich brächte, ergibt sich daraus, daß unser 1954 ausgesprochener Verzicht auf die Herstellung von Kernwaffen unserer Verteidigungsmöglichkeiten beschränkt hat. Träte der NV-Vertrag in Kraft, so entfiele auch die Möglichkeit für uns, Kernwaffen zu erwerben. Jedenfalls dürften uns keine abgegeben werden. Diese von mir durchaus nicht unterschätzte Gefahr würde durch den Nichtbeitritt der Bundesrepublik zum Vertrag allerdings um nichts vermindert. Andererseits wird das Risiko durch unseren Beitritt zum NV-Vertrag kaum vermehrt, sofern wir entschlossen sind, in dem zur Diskussion stehenden hypothetischen Fall von der Möglichkeit des Art. X des Vertrages Gebrauch zu machen, nämlich als Vertragspartner zurückzutreten.

(Abg. Dr. Hammans: Wohin?)

— Das sagt der Vertrag. Das können wir jederzeit. Art. X gibt uns in diesem Falle die Möglichkeit, durch einfachen Entschluß und die Bekanntgabe dieses Entschlusses vom Vertrag zurückzutreten. Sie



Bundesminister Scheel
müssen den Vertrag nur einmal durchlesen; dann werden Sie das gleich finden.

(Abg. Dr. Hammans: Wohin zurücktreten?)

Darauf komme ich noch. Das hat aber nichts mit dem Vertrag zu tun. Wir sprechen ja jetzt nur über den Vertrag. Wie wir unsere Sicherheit garantiert sehen wollen, ist ein zweites Problem.
Es ist die Absicht der Bundesregierung, bei der Unterzeichnung zu erklären, daß das Fortbestehen der NATO oder eines entsprechenden Sicherheitssystems Voraussetzung unseres Beitritts ist. Sollte also der Fall, den ich genannt habe, jemals eintreten, wird es Sache der dann amtierenden deutschen Regierung sein, gemeinsam mit anderen befreundeten Staaten die Maßnahmen zu treffen, die für die gemeinsame Sicherheit dann erforderlich sein werden. Heute für einen solchen Fall bereits Absprachen treffen zu wollen hieße, jeder zukünftigen Regierung die Hände binden. Das kann man ja gar nicht. Man kennt ja die Situation zu einem zukünftigen Zeitpunkt, der sehr hypothetisch ist, nicht.
An dieser Stelle möchte ich Zweifel, die durch das Eingehen auf diesen Fall der Auflösung der NATO überhaupt entstehen könnten, ausräumen. Die Bundesregierung ist überzeugt, daß die NATO so lange existieren wird, wie die Spannungsherde in Europa fortbestehen. Die Bundesregierung wird ihrerseits treu zu den Verpflichtungen gegenüber dem Bündnis stehen.
Meine Damen und Herren, gehen wir nun dazu über, eine Gesamtbilanz aufzustellen, wie sie sich im Augenblick darstellt. Eine Vorbemerkung dazu. Schon jeder bilaterale Vertrag ist ein Kompromiß. Um wieviel mehr gilt das für ein Vertragswerk zwischen Partnern so verschiedener Struktur und so verschiedener Interessenlage, wie es die bisher 93 Unterzeichner sind!
In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine Bemerkung des Herrn Kollegen Dr. Stoltenberg sagen, daß ich eine Information darüber habe, daß von den wichtigen Schwellenmächten auch Japan eine Entscheidung vorbereitet, den Vertrag zu unterzeichnen. Das hat der japanische Wissenschaftsminister gestern seinem deutschen Kollegen mitgeteilt. Wie die Schweiz zu der Unterzeichnung steht, wissen Sie genausogut wie ich. Natürlich gibt es gewisse Zusammenhänge zwischen ihrer Entscheidung und den Entscheidungen anderer wichtiger Staaten, die noch ausstehen, darunter der Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland.
Die Elle, mit der das Schlußergebnis unserer Bemühungen gemessen werden muß, können also nicht die Maximalforderungen nur eines einzigen präsumptiven Vertragspartners sein. Von unseren Maximalforderungen her betrachtet, müssen wir sagen — ich habe gar keinen Grund, das zu verschweigen —, daß wir in diesem oder jenem Punkt gern ein Mehr aufzuweisen gehabt hätten. Bei der Schlußbilanz haben wir nicht mehr nach dem Wünschenswerten zu fragen, sondern zu prüfen, ob das für den Schutz unserer Interessen Notwendige getan ist.
Wenn ich nun die vier Kriterien nehme und daran das Erreichte messe, so ergibt sich, glaube ich, daß die für eine solche Würdigung des Vertrages notwendigen Voraussetzungen gegeben sind.
Erstens. Die ungehinderte Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken ist gesichert. Die noch ausstehende Lösung der Kontrollprobleme wird bis zur Ratifikation erfolgen. Die Bundesregierung wird bei Unterzeichnung eine entsprechende Erklärung über den Aufschub der Ratifikation bis zum Abschluß eines befriedigenden Verifikationsabkommens abgeben.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0601021400
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Stoltenberg?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0601021500
Ja, bitte, wenn von meiner Zeit etwas abgerechnet wird. Ich wollte nämlich in zwei Minuten mit meinen Ausführungen am Ende sein.

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0601021600
Ich werde mich kurz fassen. Besteht nicht ein klarer Widerspruch zwischen Ihrer ersten Feststellung, daß die ungehinderte, d. h. keiner Diskriminierung unterworfene Forschung und Entwicklung gesichert ist, und Ihrer zweiten Feststellung, daß die Kontrollprobleme noch geklärt werden können? Denn gerade aus der Unklarheit im Zusammenhang mit den Kontrollproblemen kann ja die Gefahr der Diskriminierung erwachsen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0601021700
Herr Kollege Stoltenberg, ich darf in diesem Zusammenhang wiederholen, daß dieses nicht allein unser Problem ist, sondern das Problem der Euratom-Mächte, die mit uns gemeinsam bei der Unterzeichnung des Vertrages einen Vorbehalt dergestalt machen, daß erst ein im Sinne von Euratom liegendes Verifikationsabkommen beschlossen werden muß, bevor die Ratifikation vorgenommen wird. Darin liegt die Sicherheit auf dem Gebiete, das Sie jetzt angesprochen haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Heck: Das muß vor der Unterschrift geschehen!)

— Ich bekomme den Zwischenruf: Das muß vor der Unterschrift geschehen! Vor der Unterschrift wird Euratom mit der Internationalen Atombehörde gar nicht verhandeln können. Wir müssen doch endlich einmal zu Verhandlungen kommen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich weiß gar nicht, warum ausgerechnet das Parlament, das nämlich die internationalen Verträge zu billigen hat, auf sein Recht der Ratifikation so wenig Gewicht legt und auf das Recht der Regierung zu unterzeichnen so viel Gewicht legt.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Unruhe bei der CDU/CSU.)




Bundesminister Scheel
Das Parlament hat es in der Hand, dazu Stellung zu nehmen.
Ich will fortfahren, meine Damen und Herren.
Zweitens. Die Verbindung zwischen dem Vertrag und der allgemeinen Abrüstung ist so deutlich und so verpflichtend hergestellt, wie realistisch von Vertragstexten erwartet werden kann.
Drittens. Unsere Sicherheit ist zwar nicht in allen Fällen durch Rechtstitel garantiert, aber gegen Rückfälle in Gewaltpolitik gibt es keine Rechtstitel. Das wissen wir aus der Vergangenheit sehr genau.

(Abg. Dorn: Sehr richtig!)

Wir sind heute und für die voraussehbare Zukunft durch solide Bündnisabsprachen gesichert. Es gilt, diese Bündnisabsprachen lebendig und wirksam zu erhalten.
Viertens. Die europäischen Einigungsbestrebungen werden durch den Vertrag nicht behindert. Die Möglichkeit der nuklearen Rechtsnachfolge eines föderierten europäischen Staates ist festgestellt. Bis zum Zustandekommen eines solchen Staates sind wir durch die NATO geschützt. Danach ist eine wirksame Nuklearverteidigung denkbar, ohne daß es der Integration bedarf. Ein zu lautes Rufen nach einer integrierten europäischen Nuklearstreitmacht erweckt den Eindruck deutscher Kernwaffenambitionen und könnte dadurch den Weg nach Europa geradezu verbauen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD.)

Meine Damen und Herren, wenn ich diese Bilanz für eine abschließende Würdigung vor der Unterzeichnung des Vertrages ziehe, so ist dabei klar, daß zwischen Unterzeichnung und Ratifikation noch einiges zu tun bleibt; aber das haben wir ja nie verschwiegen. Die Schlußbilanz für die Ratifikation wird noch einige zusätzliche Posten auf der Habenseite aufweisen müssen, darunter das, was Herr Kollege Stoltenberg soeben gesagt hat.
Meine Damen und Herren, für uns alle, für die letzte Bundesregierung ebenso wie für die jetzige, lautete die Frage, die sich am 16. September 1966 zum erstenmal stellte, zu keinem Zeitpunkt, ob die Bundesrepublik dem NV-Vertrag beitreten solle. Nur Illusionisten halten den Nichtbeitritt für eine echte Alternative. Ein Land, dessen Regierung von Anfang an dem Grundgedanken des Vertrages zugestimmt hat und jahrelang aktiv an dem Zustandekommen mitgearbeitet hat, dessen Regierung sich mit anderen Nichtnuklearen intensiv und mit Erfolg um Verbesserungen des Vertragstextes bemüht hat, durch Verhandlungen mit den Verbündeten zusätzliche Interpretationen zur Sicherung erreicht hat, würde sich in Ost und in West dem Verdacht aussetzen, nicht nur dem Vertrag nicht beitreten, sondern ihn zu Fall bringen zu wollen, wenn es noch lange zögerte, diesen Vertrag durch seine Regierung unterzeichnen zu lassen.
Ich darf zum Schluß auf die ernsten Nachteile hinweisen, die einträten, wenn die Entscheidung über die Unterzeichnung nach feststehendem Vertragstext und nach Abschluß der Gespräche mit unseren west-
lichen Verbündeten und mit der Sowjetunion auf unabsehbare Zeit vor uns hergeschoben wird. Im Westen müßten berechtigte Zweifel an der Ernsthaftigkeit unserer Friedenspolitik entstehen. Das deutschamerikanische Verhältnis würde einer wachsenden Belastung ausgesetzt, vor allen Dingen auch im Hinblick auf die beginnenden amerikanisch-sowjetischen Gespräche über die Begrenzung der Atomrüstung. Der Zusammenhalt in der NATO würde geschwächt werden.

(Abg. Dr. Barzel: Würden Sie nicht die Güte haben, mit spitzem Bleistift zu zeichnen!)

Die Verhandlungen im Rahmen der Europäischen Atomgemeinschaft über die Grundlagen für ein Verifikationsabkommen würden erheblich erschwert werden. Der Nichtbeitritt könnte den Abschluß eines befriedigenden Verifikationsabkommens zwischen Euratom und der Internationalen Behörde in Frage stellen, ja, er wird ihn in Frage stellen. Die Bereitschaft vieler Länder, mit uns auf nuklearem Gebiet zusammenzuarbeiten, würde geschwächt werden. Außerdem würde natürlich eine Kampagne Osteuropas eine leichte Zielscheibe haben, eine leichtere als jetzt,

(Zurufe von der CDU/CSU: Genau, wenn Sie so sprechen! Nach einer solchen Rede ja!)

Schließlich, meine Damen und Herren, würde der Spielraum unserer eigenen Politik, vor allen Dingen der Spielraum unserer Deutschland- und unserer Osteuropa-Politik, eingeschränkt werden.
Das ist die Bilanz, die sich heute für uns darstellt. Die Bundesregierung wird das Für und Wider, auch im Lichte der heutigen Diskussion des Deutschen Bundestages, sorgfältig abwägen, und danach wird sie ihre Entscheidung treffen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0601021800
Das Wort hat Herr Bundesminister Professor Leussink.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0601021900
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits vor meinem Eintritt in die Bundesregierung habe ich mich — wie sicher sehr viele andere interessierte Bürger — mit den technischen und den wissenschaftlichen Aspekten des Sperrvertrages beschäftigt; nach Eintritt in die Bundesregierung selbstverständlich in besonderem Maße. Ich habe eine Reihe von Kernphysikern, und zwar von solchen, die auch über den technischindustriellen Bereich genau Bescheid wissen, befragt. Das haben vor mir sicher auch schon andere getan. Ich möchte hier vorläufig keine Namen nennen, bin aber selbstverständlich gern bereit, es zu tun, wenn es von Ihnen gewünscht wird. Alle Unterhaltungen haben mir bestätigt, daß für den Fortschritt in der Kernforschung und in der Kerntechnik, besonders auch, wenn wir an die vor uns liegenden Entwicklungen denken, die Vorteile eines Beitritts zum Sperrvertrag größer sind als die Nachteile. Man befürwortet darüber hinaus überwiegend auch eine baldige Unterschrift.



Bundesminister Dr.-Ing. Leussink
Die Ansichten der Kernphysiker, besonders auch derer, die sich mit der technischen Weiterentwicklung und Ausnutzung dieses Zweiges der Naturwissenschaften befassen, gehen etwa in folgende Richtung: Ohne Teilnahme am Sperrvertrag beschränken wir uns die Möglichkeiten der Zukunft ganz empfindlich. Das trifft schon zu für das unmittelbar vor uns liegende Stadium der technischen Ausnutzung und Anwendung von Schnellen Brütern und Hochtemperatur-Reaktoren. Die Kernfusion wird sicher nur international zur technischen Reife gebracht werden können, wenn überhaupt. Es ist schon fraglich, ob das unter Beschränkung auf die westliche Welt allein überhaupt noch geschehen kann. Es sieht so aus, als ob große unterirdische Sprengungen, etwa unter der Arktis, sich zu einem kontrollierten und wirtschaftlichen Verfahren zur Gewinnung zum Beispiel von hochangereichertem Uran oder zur Aluminiumgewinnung entwickeln ließen. Daran werden wir nur innerhalb des Sperrvertrages, ganz sicher nicht außerhalb des Sperrvertrages teilnehmen können.
Die Ausnutzung der Atomenergie ist in der Zukunft wahrscheinlich gar nicht einmal die wichtigste technische Anwendung von Naturwissenschaft — und nicht einmal die gefährlichste. Viele Naturwissenschaftler halten es — ihre Verantwortung gegenüber der Menschheit ernst nehmend; auch ich nehme diese Verantwortung sehr ernst — deshalb für ein Gebot der Stunde, mit weltweiten Kontrollmaßnahmen auf den Gebieten der naturwissenschaftlichen Anwendungen jetzt zu beginnen, seien die Bedingungen des ersten Schritts auch nicht ganz ideal.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Dem, was hier vorhin über die zukünftigen Bedingungen solcher Kontrollverfahren von Herrn Kollegen Dr. Stoltenberg gesagt worden ist, stimme ich voll zu. Es ist auch das Ziel der Bundesregierung.
Vielleicht wird nun der eine oder andere sagen, das sei ja wieder einmal alles futurologisch. Der Herr Außenminister hat bereits von meiner gestrigen Unterhaltung mit dem japanischen Minister für Wissenschaft und Technologie, Herrn Kiuchi, berichtet und dabei auch gesagt, daß er uns in den Stand gesetzt hat, öffentlich davon Gebrauch zu machen, daß die japanische Regierungspartei, nämlich die liberale, beschlossen hat, dem Sperrvertrag beizutreten. Allerdings hat sie noch keinen Beschluß über den Zeitpunkt gefaßt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Genau das ist es! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Kehren wir also zum Heute zurück! Um auch die Gesichtspunkte der im Deutschen Atomforum mitvertretenen Wirtschaftskreise aus erster Hand zu erfahren, habe ich mich am Vormittag des vergangenen Samstags mit einigen prominenten Vertretern dieser Industrie, der Atomindustrie —auch hier bin ich, wenn es gewünscht wird, gern bereit, Namen zu nennen —, über die wissenschaftlichen, technischen und industriellen Probleme des Sperrvertrags unterhalten. Zunächst ist auch dort ganz klar geworden, daß keiner der hieran Beteiligten es überhaupt als Denkmöglichkeit betrachtet, dem Vertrag nicht
beizutreten, besonders auch dann nicht, wenn die bereits in der Antwort der Bundesregierung und in den weiteren Mitteilungen von heute definierten Vorbehalte gemacht werden, die vor Ratifizierung befriedigend geklärt werden müssen.
Meine Gesprächspartner waren auch gar nicht so sehr um die Komplexe besorgt, die man mit der verkürzten Formel von der möglichen Industriespionage oder der Behinderung des Außenhandels umschreiben kann. Professor Mandel vom Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk hat dazu bekanntlich in einer Zeitschrift im April dieses Jahres bereits gesagt: „Ich glaube nicht an Atomspionage." Herr Abgeordneter Rutschke hat dazu soeben Ausführungen gemacht.
Man darf sich den Abfluß von Know-how überhaupt nicht so einfach vorstellen. Die Entwicklungen gehen heute weitgehend offen vor sich. Zum Beispiel ist in Jülich seit etwa vier Jahren laufend ein Amerikaner bei der Entwicklung und beim Betrieb des Prototyps des Kugelhaufenreaktors nach Schulten dabei. Die Jülicher begrüßen den damit vorhandenen Erfahrungsaustausch. Übrigens beruht die Anwesenheit dieses Amerikaners auf Lieferbedingungen für Kernmaterial, die die USA heute einseitig festlegen.
Herr Kollege Stoltenberg hat mit einem gewissen Schlenker auf die naturwissenschaftlichen Dinge hingewiesen, die immer in der Sprache der Diplomaten vorgetragen werden; man könnte auch sagen: in der Sprache des Geisteswissenschaftlers. Ich stehe als Techniker der Sprache der Naturwissenschaftler vielleicht etwas näher. Aber von den Einzelheiten, Herr Kollege Stoltenberg, verstehen wir doch beide gleich viel, nämlich nichts.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir müssen uns schon an die Fachleute halten, und das tue ich auch. Es handelt sich leider um eine Mischung von wissenschaftlich-technischen mit allgemeinpolitischen Aspekten.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0601022000
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0601022100
Wenn ich meinen Gedanken zu Ende geführt habe. — Dann muß die eine Seite auch möglichst sauber dargestellt werden. Darum sollten wir uns gemeinsam bemühen. — Bitte!

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0601022200
Ist Ihnen entgangen, Herr Bundesminister, daß ich nicht von naturwissenschaftlichen Fachfragen gesprochen habe — was mir nicht zukommt und was ich in den letzten Jahren immer vermieden habe —, sondern von Organisations-, Kontroll- und Rechtsvereinbarungen, ,die in der Tat der Urteilsfähigkeit dieses Hohen Hauses und aller seiner Mitglieder unterliegen?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0601022300
Mir ist nicht entgangen, daß man



Bundesminister Dr.-Ing. Leussink
das nur immer als eine Mischung von, wie ich schon sagte, wissenschaftlich-technischen mit allgemeinpolitischen Aspekten betrachten kann und daß wir uns gemeinsam bemühen müssen, diese eine Seite, die ja rational erfaßbar ist — die andere doch offensichtlich nicht —, so sauber wie möglich herauszuarbeiten.
Wenn man wirklich hinter die wesentlichen Besonderheiten solcher komplizierten Anlagen, wie sie bereits die heutigen Reaktoren, ganz besonders aber die zukünftigen darstellen, kommen will, dann bedarf es schon der kontinuierlichen Beschäftigung einer großen Zahl, nämlich einer Zahl von -zig Spezialisten auf den verschiedensten Gebieten für eine längere Zeit, nämlich für Monate. Mit bloßem Hinschauen und mit der berühmten Geheimkamera ist da heute wirklich nicht mehr viel zu machen.
Es ging meinen Gesprächspartnern von der Industrie aber, wie ich sagte, gar nicht so sehr um diesen Aspekt, sondern es ging ihnen besonders um die Erhaltung von Euratom. Dies war für mich um so mehr beeindruckend, als dies mit der Haltung der Bundesregierung — wie diese inzwischen genügend klargemacht haben dürfte — voll übereinstimmt, denn hinsichtlich einer befriedigenden Lösung der Frage der Verifikation und der damit zusammenhängenden Euratom-Fragen sind die Vorbehalte der Bundesregierung zweifellos am schärfsten formuliert.
Zusammenfassend möchte ich sagen, daß mich die Unterhaltung mit den Vertretern der einschlägigen ) deutschen Industrie am Samstag davon überzeugt hat, daß es mehr Gründe dafür gibt, den Sperrvertrag jetzt bald zu unterzeichnen, als dagegen

(Beifall bei den Regierungsparteien)

und daß man die notwendige weitere Klärung der Zeit bis zur Ratifizierung überlassen kann.
Die Interessen der Industrie und Wissenschaft nicht nur in Deutschland, sondern ebenso in den industrialisierten Nichtkernwaffenstaaten wie auch in den USA und im Vereinigten Königreich gehen dahin, daß die Kontrollen, die auf Grund oder aus Anlaß des Vertrags durchgeführt werden, Forschung, Entwicklung und Produktion nicht hindern, sondern nur dazu bestimmt sind, die Abzweigung spaltbaren Materials für militärische Zwecke zu verhindern. Der Herr Außenminister hat diese Fragen hier schon in der notwendigen Breite behandelt.
Es ist auch schon darauf hingewiesen worden, daß es vornehmlich den deutschen Bemühungen zu verdanken ist, daß der Vertrag nicht die Anlagenkontrolle, sondern die Kontrolle des Spaltstoffflusses vorschreibt. Das ist eine ganz wesentliche Unterscheidung. Dabei soll diese Kontrolle an den berühmten „strategischen Punkten" durchgeführt werden. Dieses Kontrollprinzip hat — unabhängig von seiner grundsätzlichen Festlegung im Vertrag — in den letzten Jahren zunehmend Anerkennung gefunden. Hierfür waren die bei der Gesellschaft für Kernforschung in Karlsruhe unter wesentlicher Förderung durch meinen Herrn Amtsvorgänger vorgenommenen Arbeiten am Projekt Spaltstoffflußkontrolle von besonderer Bedeutung. Die deutschen Bemühungen zur Einführung des Systems der Kontrolle an strategischen Punkten haben ihren Niederschlag auch in einer Anzahl von Arbeitstagungen der Wiener Behörde, der IAEO, gefunden und dazu geführt, daß das Prinzip jetzt allgemein grundsätzlich Zustimmung findet. Übrigens ein sehr schönes Beispiel dafür, wie erfolgreich ein zielbewußtes Projektforschungsunternehmen sein kann. Wir liegen auf diesem Spezialgebiet heute zweifellos an der Spitze in der Welt.
Die Spezialisten unseres Hauses und die Karlsruher rechnen damit, daß in der Zeit bis zum Beginn der Kontrollmaßnahmen das Prinzip der Kontrolle an strategischen Punkten so entwickelt werden kann, daß keine Behinderung der Industrie mehr vorhanden ist und daß bis dahin für eine Reihe von Anlagen die erforderlichen Instrumente vorhanden sein werden, um die Kontrolle an den strategischen Punkten automatisieren zu können. Das ist ja doch das große Ziel. Entscheidend dafür, daß die Kontrolle nicht zu einer Behinderung und zu einer Gefährdung industrieller Interessen führt — das wollen wir doch alle gemeinsam nicht —, ist eben die Kontrolle an strategischen Punkten. Wenn sich die Kontrolle auf wenige solche Punkte beschränkt, besteht zu Befürchtungen, die Kontrollen könnten mißbraucht werden, wahrlich kein Anlaß mehr. Nach einer gewissen Zeit, die je nach Anlage verschieden sein kann, ja sein muß, wird es möglich sein, diese Kontrollen weitgehend zu automatisieren; und die Präambel zum Vertrag — das muß man doch auch sagen — spricht sich bereits ausdrücklich für ein solches Verfahren aus.
Wichtig für unsere Industrie und auch für die Forschung ist für die nächste vor uns liegende Zeit die Frage der Befreiung der Lieferabkommen von jetzt vorhandenen politischen und administrativen Beschränkungen. Sie wissen, daß wir jedenfalls hinsichtlich des Bezuges von angereichertem Uran noch auf längere Zeit von den Vereinigten Staaten abhängig sein werden. Diese Lieferungen finden jetzt im Rahmen des USA-Euratom-Grundabkommens vom Juni 1960 statt; Herr Abgeordneter Flämig hat darauf bereits hingewiesen. Dieses Abkommen reicht bis 1995. Die in dem Abkommen festgesetzten Höchstmengen von jetzt 215 t Uran 235 entsprechen voraussichtlich nur dem Bedarf der Gemeinschaft bis in die 70er Jahre hinein, aber sicher nicht dem bis 1995. Hier rechnet man mit einem Bedarf der Gemeinschaft etwa in der Größenordnung von 1000 t Uran 235. Die Gemeinschaft wird nach Auffassung der Bundesregierung dann, wenn der politische Wille der Mitgliedstaaten erkennbar ist, dem Vertrag beizutreten, d. h. wenn auch die Verifikationsfrage positiv gelöst ist, leichter die unbedingt notwendig werdende Erhöhung des Liefervolumens durchsetzen können.
Aber es geht nicht einmal in erster Linie um die absoluten Mengen. Der Beitritt zum Vertrag nach Erfüllung der Voraussetzungen des Ratifikationsvorbehalts wird es zulassen, die Liberalisierung der Lieferbedingungen mit weit größerer Aussicht auf Erfolg als bisher zu betreiben. Unsere Industrie ist an der Liberalisierung der bestehenden Lieferverträge mit den USA besonders interessiert, und sie



Bundesminister Dr.-Ing. Leussink
muß es sein. Es kann auch nicht zweifelhaft sein, daß die Amerikaner schon nach Unterzeichnung des Vertrages durch die Bundesrepublik eher geneigt sein werden, über eine Erhöhung der Liefermengen, aber auch über eine Liberalisierung der Lieferbedingungen mit der Gemeinschaft zu sprechen. Denn die Gemeinschaft kann sich dann darauf berufen, daß die von den USA verfolgten Ziele der Nonproliferation durch den Vertrag selbst erreicht werden und daß es deshalb dann nicht mehr notwendig ist, wie bisher die Lieferverträge mit Bedingungen zu belasten, die in erster Linie eingeführt wurden, um die Lieferverträge selbst als Mittel zur Verhinderung einer Proliferation zu benutzen. Das ist doch, schlicht gesagt, der heutige Zustand.
Die Bundesregierung ist angesichts der Haltung der anderen Nichtkernwaffenstaaten der Gemeinschaft davon überzeugt, daß bei positivem Ausgang der Verifikationsverhandlungen die Gemeinschaft durch den Vertrag nicht gefährdet wird. Daß Frankreich zwar sich selbst nicht der Verifikation unterwerfen wird — wir haben es gehört —, aber dem Abkommen insbesondere nach Vorliegen der deutschen Unterschrift keine Hindernisse entgegensetzen wird, dürfte feststehen. Gilt der Vertrag für die Nichtkernwaffenstaaten der Gemeinschaft und besteht die Euratom-Kontrolle in Frankreich fort, so sind keine Schwierigkeiten zu erwarten, weil der freie Verkehr zwischen allen Staaten der Gemeinschaft einschließlich Frankreich nach den Bestimmungen des Vertrages keinen Beschränkungen unterliegen wird und die Wettbewerbsgrundlage grundsätzlich gleich ist. Die gemeinsamen Anlagen, die wir haben, können fortbestehen, neue können gegründet werden.
Dagegen muß befürchtet werden, daß der gemeinsame Kernenergiemarkt zerstört wird, wenn die Bundesrepublik trotz befriedigender Lösung des Verifikationsproblems dem Vertrag nicht beitreten sollte; denn dann gäbe es innerhalb der Gemeinschaft nicht weniger als drei Kategorien nebeneinander: Neben dem Kernwaffenstaat Frankreich würde es dann in der Gemeinschaft noch zwei weitere Kategorien geben, nämlich Vertragsstaaten und Nichtvertragsstaaten. Im Verhältnis zu diesen würden die Exportbeschränkungen des Art. II Abs. 3 des Vertrages gelten. Das würde den Gemeinsamen Markt auf dem Gebiete der Kernenergie auf die Dauer nach meiner Meinung mit Sicherheit zerstören.
Nach den Washingtoner Gesprächen haben wir jetzt die Sicherheit, daß jede Vertragspartei im Lichte bestehender Absprachen für sich festlegt, welche Ausrüstungen und Materialien beim Export den Kontrollvoraussetzungen unterliegen. Auch damit wurde — es ist bereits gesagt — eine wesentliche, und zwar berechtigte, Forderung der deutschen Exportindustrie erfüllt.
Es muß daran erinnert werden, daß der Export von Kernmaterial und bestimmten Ausrüstungsgegenständen aus der Bundesrepublik auch jetzt schon, und zwar aus Gründen, die wir alle hier, glaube ich, voll anerkennen, nicht völlig frei ist. Die freiwilligen Beschränkungen, denen sich die
Bundesregierung in Abstimmung mit anderen Staaten unterwirft, entsprechen der erklärten Politik der Bundesregierung, die darauf gerichtet ist, die Verbreitung von Kernwaffen nicht zuzulassen.
Nachdem die gelbe Lampe hier schon wieder einmal aufleuchtet, Frau Präsidentin, möchte ich mich nur noch auf folgende Bemerkungen beschränken:
Ich möchte gerne noch einmal darauf hinweisen, daß wir uns bewußt sein sollten, was für beeindrukkende Exporterfolge die deutsche Atomindustrie heute schon erreicht hat, obwohl sie bisher schon einer internationalen Kontrolle unterlag. Nicht aber unterlagen dieser Kontrolle eine Reihe mit ihr konkurrierender Industriefirmen anderer Staaten. Diesen ungleichen Zustand haben wir doch heute. Jüngste Beispiele dafür sind die Lieferung eines produktiven Kernkraftwerks nach Atucha in Argentinien und eines Unterrichtsreaktors nach Argentinien. In beiden Fällen hat Argentinien die Kontrolle durch die IAEO in Wien akzeptiert, obwohl dieses Land bekanntlich noch nicht zu den Unterzeichnern des Vertrages gehört und es auch fraglich zu sein scheint, ob es unterzeichnen wird. — Bitte, Herr Stoltenberg!

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0601022400
Darf ich Sie darauf hinweisen, Herr Kollege Leussink, daß das zweite ein Geschenk der Bundesregierung ist, das ich in Buenos Aires überreicht habe, und daß es im Gegensatz zum ersten nicht ganz in diese Argumentation hineinpaßt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0601022500
Ich mache das Fragezeichen noch selber daran, Herr Kollege, und nehme das zur Kenntnis.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Abgesehen davon, daß auch dieses Geschenk der Bundesregierung der Kontrolle unterliegt, ist das Verhältnis dieses kleinen Unterrichtsreaktors — er kostet, glaube ich, etwa 600 000 DM — zum Reaktor in Atucha so klein, daß selbst dieser Hinweis die Aussagekraft der Sätze, die ich gesprochen habe, kaum beeinträchtigen kann.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Angesichts der von deutscher Seite abzugebenden Interpretationen, deren Wert vor allen Dingen darin liegt, daß sie mit den Interessen und den Erklärungen aller anderen industrialisierten Staaten übereinstimmen, und auf Grund der Verhandlungsergebnisse in Washington bin ich davon überzeugt, daß die deutsche Unterschrift nicht zu einer Beeinträchtigung der deutschen Forschung und Entwicklung für unsere friedlichen Nukleartätigkeiten führen wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0601022600
Das Wort hat der Abgeordnete Birrenbach.

Dr. Kurt Birrenbach (CDU):
Rede ID: ID0601022700
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nach dem Kollegen Stoltenberg ist es meine Aufgabe, die Konse-



Dr. Dr. h. c. Birrenbach
quenzen des Vertrages im Sicherheitsbereich und in den europäischen Einigungsbestimmungen im allgemeinen darzustellen. Die CDU/CSU-Fraktion setzt sich nach wie vor, wie unser Fraktionsvorsitzender am 29. Oktober noch erklärt hat, für eine Fortsetzung der von den früheren Bundesregierungen geführten Friedens- und Verständigungspolitik ein. Nach wie vor unterstützen wir den Grundsatz der Nichtverbreitung von Kernwaffen, wie dies schon in der Friedensnote vom 25. März 1966 zum Ausdruck gebracht worden ist, und halten vorbehaltlos an dem Verzicht auf die Produktion von Kernwaffen fest, der im Zusammenhang mit dem Deutschlandvertrage festgelegt ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber mit dem Beitritt zum Nichtverbreitungsvertrag übernimmt die Bundesrepublik erstmalig formell Verpflichtungen gegenüber der Sowjetunion auf dem zentralen Gebiet der Sicherheitspolitik, unserer Wirtschaft und unserer Wissenschaft, Die Übernahme von Verpflichtungen ist aber nur möglich, wenn die Sowjetunion uns als gleichberechtigten Partner anerkennt,

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

für den die Regeln des Völkerrechts über das Verbot von Gewalt, Drohung und Erpressung uneingeschränkt und vorbehaltlos gelten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Bestimmungen der Art. I und II sind nach einer Erklärung des sowjetischen Abrüstungsbevollmächtigten in Genf im Februar 1966 Kernstück des Vertrages. Dabei geht es der Sowjetunion in erster Linie um die Unterschrift der Bundesrepublik. Die USA sind primär daran interessiert, die Weiterverbreitung nuklearer Waffen auf weltweiter Basis zu verhindern. Sie sehen konkrete Gefahren vielmehr im Nahen Osten und in Asien. Auf Grund der allianzinternen Bindungen in Europa haben die USA stets die sowjetische These bestritten, daß der Proliferationsherd in Europa bestehe, und zwar in der Bundesrepublik.
Unsere Situation auf dem Gebiet der Sicherheit ist viel schwieriger als auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Wir liegen an der Demarkationslinie. Unser Land ist geteilt. Unser natürliches Streben nach Selbstbestimmung wird von einem Kernwaffenstaat als aggressiv und revisionistisch bezeichnet.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Gegen diese sogenannte aggressive Politik richtet sich, wie die Sowjetunion erklärt, der Atomsperrvertrag.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Es ist klar, daß durch den Beitritt zum NV-Vertrag die Sowjetunion mittelbar einen Einfluß auf die innere Struktur des Bündnisses und des europäischen Zusammenschlusses von morgen gewinnt. Es besteht insofern ein fundamentaler Unterschied zu den allianzinternen Abkommen wie etwa zu dem der WEU.
Die Sowjetunion verfolgt mit diesem Vertrag ein doppeltes Ziel: die Zementierung und den Ausbau
der politischen Abhängigkeit der Bundesrepublik von der Sowjetunion als einer Siegermacht des zweiten Weltkrieges, die Gefährdung des Zusammenhalts des Bündnisses sowie gleichzeitig die Begrenzung des politischen und militärischen Zusammenschlusses in Europa. Wenn der sowjetische Ministerpräsident Kossygin am 9. Februar 1967 erklärte, die Bundesrepublik müsse den Vertrag unterschreiben,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

ob sie wolle oder nicht,

(erneute Rufe bei der CDU/CSU: Hört! Hört!)

so geht es ihm in erster Linie um diese beiden ersten Artikel des Vertrags.
Lassen Sie mich nun zum Sicherheitsbereich kommen. Die erste Frage, die sich ergibt, lautet: was ist überhaupt Weiterverbreitung? Die' Art. I und II sind alles andere als klar. Aus diesem Grunde haben uns die Vereinigten Staaten Interpretationen gegeben. Sechs Interpretationen sind in der NATO offengelegt und sind durch die Offenlegung im Senat gleichzeitig Teil der legislative history des Vertrages der Vereinigten Staaten geworden. Die Sowjetunion hat keine dieser Erklärungen bestätigt, obwohl sie ihr offiziell mitgeteilt worden sind.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Dr. Rutschke.)

Die Interpretationen erfahren so natürlich eine starke Verfestigung, solange nicht, meine Herren von der FDP, die Sowjetunion vor ihrer eigenen Ratifikation diesen Interpretationen widerspricht.
Wir sind der Meinung, Herr Bundesaußenminister, daß die Bundesregierung ihre Entscheidung über die Unterzeichnung des NV-Vertrages nicht vor einer Ratifikation dieses Vertrages durch die Sowjetunion fällen sollte,

(Beifall bei der CDU/CSU)

da erst dann sichergestellt werden kann, daß diese den amerikanischen Interpretationen nicht widersprochen hat, und nicht schon, wenn erst gute Gründe für eine solche Annahme bestehen, wie es heißt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0601022800
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Raffert?

Joachim Raffert (SPD):
Rede ID: ID0601022900
Herr Birrenbach, ist Ihnen klar, daß Sie sich mit dieser Erklärung, die Sie soeben abgegeben haben, in Widerspruch befinden zu einem Beschluß der Interparlamentarischen Union vom letzten Freitag in Neu-Delhi, dem alle Abgeordneten der CDU, die dort vertreten waren, zugestimmt haben,

(Hört! Hört! bei der SPD)

nämlich daß die Mitglieder der Interparlamentarischen Union — das sind alle Mitglieder dieses Hauses — ihren Einfluß auf die Regierungen dahingehend geltend machen sollen, daß der Vertrag über Nonproliferation sowohl unterzeichnet wie ratifiziert werden sollte, sofern das bisher noch nicht stattgefunden haben sollte? Darf ich Sie darauf auf-



Raffert
merksam machen, daß die Möglichkeit, dagegen zu stimmen, bestanden hat. Es gab 18 Enthaltungen, eine Gegenstimme. Alle Mitglieder der CDU, die dort waren, haben zugestimmt.

(Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Kurt Birrenbach (CDU):
Rede ID: ID0601023000
Herr Kollege, ich spreche hier im Namen der CDU/CSU-Fraktion. Die mir nicht bekannten Erklärungen in Neu-Delhi sind in diesem Zusammenhang nicht relevant.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD.)

Aber selbst bei simultaner Ratifikation und falls die Sowjetunion vorher nicht widerspricht, wird die Sowjetunion damit noch nicht de jure gebunden. Diese Tatsache trifft keinen Staat mehr als uns. Das werden auch Sie nicht bezweifeln.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0601023100
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wienand?

Dr. Kurt Birrenbach (CDU):
Rede ID: ID0601023200
Bitte!

Karl Wienand (SPD):
Rede ID: ID0601023300
Herr Kollege Birrenbach, sollten wir uns nicht nach Möglichkeit befleißigen, auch hier dafür Sorge zu tragen, daß die Mitglieder dieses Hohen Hauses, die von uns zur Interparlamentarischen Union geschickt werden, dort wenigstens mit Würde ihre Haltung vertreten können?

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Kurt Birrenbach (CDU):
Rede ID: ID0601023400
Herr Kollege, ich antworte Ihnen darauf: die Interessen der Bundesrepublik als Ganzes, wie wir sie sehen, scheinen mir noch einen Vorrang vor dieser Frage zu verdienen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Barzel: Keine Zwischenfrage mehr! Sie haben zwei Stunden geredet!)

Beabsichtigt die Bundesregierung — so stelle ich die Frage —, die Sowjetunion über den Gehalt dieser Interpretation zu konsultieren? Ich gebe Ihnen zu, daß die Frage zwei Seiten hat, die ernsthafte Beachtung verdienen. Nur muß uns die Bundesregierung sagen, was sie aus ihrer Verantwortung heraus tut, wenn die Ratifikation nicht gleichzeitig erfolgt oder wenn die Sowjetunion später Einwände erhebt.
Dieses Interpretationsproblem erfährt eine weitere Komplizierung. In den klassischen Interpretationen 2 bis 6 steckt die Definition eines Begriffes, bei dem zwischen den USA und der Sowjetunion ein potentieller Dissens besteht und über den, auch auf Wunsch der Bundesrepublik, nur in vertraulichen Ausschüssen beraten werden sollte. Damit wird das Kernproblem des Vertrages berührt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es geht um die Definition des Begriffs der Verbreitung. Die Einigung zwischen den USA und der Sowjetunion über den geänderten Text war nur möglich, weil dieser politische Dissens stillschweigend in Kauf genommen wurde. Die Ersetzung des amerikanischen Entwurfs vom August 1965 und März 1966 durch den Vertragstext vom Herbst 1966 war ohnehin schon gravierend genug, weil man das Prinzip der Beschränkung des Verbots der Proliferation auf nationale Verfügungsrechte aufgegeben hat. Das ist an sich schon ein ernstes Problem. Zwar haben die USA ihren NATO-Partnern zum Begriff „Verfügungsgewalt" Interpretationen vorgelegt, diese aber nicht in der Ratifikationsdebatte des Senats offengelegt. Sie sind also nicht Teil der sogenannten „legislative history of the treaty" geworden.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

Der Dissens in einer Kernrfage eines Vertrages, der praktisch auf unbegrenzte Zeit geschlossen ist, wird so zu einer seiner Grundlagen. Über diesen Dissens können selbst die Interpretationen 2 bis 6 gefährdet werden. Wenn ein Land Verträge gewissenhaft erfüllen muß, dann die Bundesrepublik. Wir haben ein vitales Interesse daran, uns mit der Sowjetunion über die großen Fragen der deutschen Politik zu verständigen.

(Abg. Schwabe: In welcher Form?)

Darum ist es wichtig, Verträge mit gerade dieser Macht nur dann zu unterzeichnen, wenn sie präzise formuliert sind und einverständlich ausgelegt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das mögliche Opfer eines Dissenses wären weniger die mächtigen Vereinigten Staaten als die verwundbare Bundesrepublik. Es bedarf daher einer sehr sorgfältigen Abwägung, welches der entstehenden Risiken um des Friedens willen das größere ist. Wir erwarten von der Bundesregierung eine erschöpfende Aufklärung über diesen Punkt in einer geschlossenen Arbeitssitzung des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses.
Jeder in diesem Hause wird sich darüber klar sein, daß weder die Bundesrepublik noch unsere europäischen Partner bereit wären, den NV-Vertrag zu unterschreiben, wenn die NATO nicht bestünde, die uns den Schutz der amerikanischen Weltmacht bietet. Der NATO-Vertrag ist, wie Sie wissen, seit 1969 kündbar, der NV-Vertrag durch einfache Mehrheit über die 25jährige Laufdauer hinaus praktisch auf unbegrenzte Zeit verlängerbar. Das einzige Element der Sicherheit, das wir hier vor uns sehen, ist die Rede des amerikanischen Außenministers vom 2. Oktober 1968 vor der UNO. Dabei ist von einer feierlichen Verteidigungsverpflichtung der USA in Europa die Rede, die insbesondere die Sicherheit der Bundesrepublik und West-Berlins einschließt, bis „der Moment kommt, wenn die deutsche Nation in Frieden und Freiheit in einem gesicherten Europa wiedervereinigt werden kann".

(Sehr gut! bei der CDU CSU.)

Das hat der neue amerikanische Außenminister am 15. Februar in einer allgemein gehaltenen Erklärung bestätigt, in der er sich alle Äußerungen der vorherigen Verwaltung zu eigen gemacht hat. Die Bundesregierung bietet uns dafür ein Rücktrittsrecht.



Dr. Dr. h. c. Birrenbach
Was nützt der Bundesrepublik aber schon ein Rücktrittsrecht bei Wegfall des NATO-Vertrages? Kann es sich die Bundesrepublik überhaupt leisten — wie Sie in Ihrer schriftlichen Äußerung erklären —, in einer gefährlichen Konstellation von diesem Vertrage zurückzutreten?

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Wohin soll sich die Bundesrepublik eigentlich zurückziehen?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

In eine nationale Option wohl nicht; das wissen wir alle, das ist undenkbar, und das wünschen wir alle nicht.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Die einzige Möglichkeit, die dann bleibt, ist eine gemeinsame Lösung europäischer Natur. Es gibt keine andere. Die zeitliche Diskrepanz in der Laufdauer ist so gravierend, daß es sich die Bundesrepublik einfach nicht leisten kann, den ernsthaften Versuch zu unterlassen, eine der Rusk-Rede äquivalente Erklärung der neuen Regierung der Vereinigten Staaten anzustreben.

(Beifall bei der CDU, CSU.)

Jede Schwächung der NATO oder nur der Glaubwürdigkeit der Garantie der USA und jeder Fortschritt der europäischen Einigung werfen früher oder später das Problem der europäischen Option auf.
Die Bundesregierung gibt zu, daß die Interpretation Nr. 6 über den Wortlaut des Vertrages hinausgeht. Der ursprüngliche amerikanische Entwurf vom August 1965 war ungleich günstiger als der heutige Vertragstext. Die amerikanische Interpretation erschwert die Situation insofern, als sie die Übertragung aller Funktionen der Außen- und Verteidigungspolitik auf den neuen Bundesstaat fordert. Das ist gewiß politisch unrealistisch; insofern stimme ich mit dem Bundesaußenminister überein. Aber auch hier spielt der Dissens, von dem ich eben gesprochen habe, eine sehr gravierende Rolle.
Die Bundesregierung erklärt nun, die Interpretation entspreche der heutigen Lage und der voraussichtlichen Entwicklung. Aber wie sieht denn die Konstellation der Mächte in der Welt in zwei oder drei Jahrzehnten aus, — bei einem Vertrag, der auf Jahrzehnte abgeschlossen ist? Wo steht dann Europa? Wo stehen dann die Vereinigten Staaten? Wissen Sie das, meine Damen und Herren von der Bundesregierung?

(Unruhe bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0601023500
Herr Abgeordneter Birrenbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Kurt Birrenbach (CDU):
Rede ID: ID0601023600
Ich habe nur eine kurze Redezeit; ich kann nicht alle Zwischenfragen gestatten.
Wenn der Bundesaußenminister auf die Zurückhaltung der anderen EWG-Partner Bezug nimmt, so antworte ich ihm folgendes. Auch Italien — ein Staat
vergleichbarer Größe hat einen Vorbehalt bei
Unterzeichnung des Vertrages eingelegt.

(Zwischenruf von der SPD.)

Die kleineren EWG-Staaten sind mit der Bundesrepublik nicht vergleichbar. Sie sind weder Gegenstand der Anfeindungen durch eine Nuklear-Weltmacht, noch würde ihnen der Rücktritt ernstlich verwehrt werden. Die beiden der Bundesrepublik vergleichbaren Staaten in Europa sind aber Kernwaffenmächte. Ob diese beiden Mächte aber das Rennen um die vertikale Proliferation allein mit den beiden Supermächten auf die Dauer durchhalten, ohne auf ganz Europa angewiesen zu sein, scheint heute schon zweifelhaft. Die europäische Entwicklung kann also auf längere Dauer gar nicht übersehen werden. Der Verweis übrigens in der europäischen Option auf die Staatensukzession ist eine völkerrechtliche Selbstverständlichkeit, — vielleicht nicht für die Sowjetunion. Aber in Europa geht es — das möchte ich dem Herrn Bundesaußenminister sagen — gar nicht einmal erstrangig um die Frage, ob Europa Nuklearmacht werden soll oder nicht. Viel akuter ist die Tatsache, daß die Sowjetunion jede Stufe der Einigung Europas auf militärischem Gebiet, auch auf konventionellem Gebiet, als Beginn eines „Zugangs" der Bundesrepublik zu nuklearen Waffen ansehen wird, selbst wenn diese nur zu Verteidigungszwecken dienen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Gerade die NATO-interne und europainterne Selbstbindung des Westens gegenüber Deutschlands Nichtbeteiligung an nuklearen Arrangements irgendwelcher Art ist doch das Zentrum der ganzen sowjetischen Nichtverbreitungspolitik.
Diese europäische Option wird um so verständlicher, falls später rein defensive Waffen entwickelt werden sollten, zur Verteidigung gegen die Mittelstreckenraketen der Sowjetunion an ihrer Westgrenze — zumal der Vertrag gar nicht zwischen defensiven und offensiven Waffen unterscheidet.
Aus diesem Grunde fragen wir die Bundesregierung, ob sie ebenso wie Italien bereit ist, für den Fall der Unterzeichnung und Ratifikation des Vertrages einen Vorbehalt in der Frage der europäischen Option, insbesondere auch für rein defensive europäische Kernwaffen, einzulegen, dessen Formulierung nicht restriktiver ist, als es der Wortlaut des Vertrages erfordert, und diesen Vorbehalt von den Vereinigten Staaten und den europäischen Partnern bestätigen zu lassen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Die Sowjetunion droht der Bundesrepublik auf Grund der Art. 53 und 107 und des Potsdamer Abkommens mit „Zwangsmaßnahmen" — wie sie sagt —, d. h. einer Intervention politischer wie militärischer Natur, im Falle einer — ich zitiere —„Wiederaufnahme der aggressiven Politik der Bundesrepublik". Dabei bezeichnet die Sowjetunion als „aggressive Politik" allein schon das Verlangen nach Selbstbestimmung und sogar die Ostpolitik der Großen Koalition.



Dr. Dr. h. c. Birrenbach
Dieses Recht nimmt die Sowjetunion in Anspruch bis zum Abschluß eines Friedensvertrages. Da dieser aber unabsehbar ist, ist der sowjetische Interventionsanspruch praktisch zeitlich illimitiert.
Die westlichen Regierungen bestreiten die Rechtsgültigkeit des sowjetischen Interventionsanspruchs. Falls ein solcher überhaupt bestünde, könnte er nur kollektiv geltend gemacht werden. Bei einseitiger Intervention wäre der Bündnisfall gegeben. So die Erklärung der Drei Mächte vom September vorigen Jahres.
Die Sowjetunion, Herr Bundesaußenminister, hat am 6. Februar zur militärischen Frage erklärt, die Resolution 255 des Sicherheitsrates, betreffend die Sicherheitsgarantie des Sicherheitsrates, sei auch auf die Bundesrepublik anwendbar. Aber übersehen wir dabei nicht, daß die Sowjetunion mit einem einfachen Veto diese Sicherheitsgarantie praktisch hinfällig machen kann!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Im übrigen wäre das konventionelle Risiko gar nicht
abgedeckt; und ist das nicht ebenso entscheidend?

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

Soweit der militärische Aspekt. Die Bundesrepublik wäre also gesichert durch den NATO-Vertrag, solange dieser besteht.
Die Bundesregierung hat aber recht, neben der rein militärischen Intervention ein zusätzliches höchst gravierendes politisches Problem zu sehen, welches die Natur der Beziehungen zur Sowjetunion im allgemeinen und nicht nur in bezug auf den NV-Vertrag berührt. Die Erklärung ist richtig. Es ist aber darauf hinzuweisen, daß der NV-Vertrag grundlegend die Beziehungen der Bundesrepublik zur Sowjetunion auf dem Gebiet der Sicherheit, der Wirtschaft und der Wissenschaft verändert.

(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Sehr richtig!)

Die Bundesregierung hat nach ihrer schriftlichen Erklärung die Absicht, zur Geschäftsgrundlage der Unterzeichnung des Vertrages eine Erklärung zu machen, wonach Abs. 13 der Präambel im Rahmen des NV-Vertrages einschränkungslos für die Bundesrepublik wie für die übrigen Staaten gilt. Eine solche Erklärung stellt die Bundesrepublik aber nicht auf die gleiche Stufe mit allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Auch die Resolution der Vollversammlung hebt den Vertrag nicht auf —; sie involviert auch nicht den Verzicht der Sowjetunion auf die Ausübung des von ihr behaupteten generellen Interventionsrechtes, selbst wenn die Erklärung ein Schritt in der rechten Richtung wäre. Sie deckt ebensowenig das Risiko einer politischen Einmischung der Sowjetunion in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik, wie z. B. die Drohung wegen der NPD es zeigt.
Was die Bundesregierung verlangen müßte, wäre eine klare Anerkennung der Sowjetunion, daß alle Rechte aus dem NV-Vertrag der Bundesrepublik in gleicher Weise wie allen übrigen Vertragsmächten zustehen, darüber hinaus, daß nach Unterzeichnung und Ratifikation des Vertrages das Gerede, die Bundesrepublik suche Zugang zu nuklearen Waffen, aufhört und daß abgesehen von der Problematik der Vier-Mächte-Verantwortung für Deutschland und Berlin, die Bundesrepublik den gleichen Status im Verhältnis zur Sowjetunion gewinnt wie alle übrigen Staaten der Erde. Dazu reicht aber die Beschränkung auf Abs. 13 der Präambel nicht aus. Es geht nicht nur darum, daß im Rahmen dieses Vertrags nicht Gewalt angewandt oder damit gedroht werden soll, sondern daß Art. 2 der Charta der Vereinten Nationen Grundlage der gesamten Beziehungen der Bundesrepublik zur Sowjetunion wird. Das ist das Problem.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Bundesregierung hat nach ihrer Erklärung den Wunsch, den Komplex der Feindstaatenartikel, soweit er über den NV-Vertrag hinausgeht, im Rahmen künftiger Gewaltverzichtsverhandlungen zu bereinigen. Dazu muß ich Ihnen folgendes sagen. Der NV-Vertrag beinhaltet auf Grund von Abs. 13 den Gewaltverzicht. Dieser ist an die Stelle einer operativen Bestimmung gegen Drohung und Gewalt getreten. Das war der Sinn der ganzen Verhandlungen. Wenn wir aber den fundamentalen, über den NV- Vertrag hinausgehenden Gehalt der Feindstaatenartikel in Gewaltverzichtsverhandlungen ausräumen wollen — so wie die Bundesregierung es wünscht —, so ist unsere Verhandlungsposition ungleich schwächer als beim NV-Vertrag.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Jedermann, auch die Sowjetunion, weiß, daß die Bundesrepublik weder die Absicht noch die Möglichkeit hat, sie anzugreifen. Wenn aber die Unterschrift unter den NV-Vertrag für die Sowjetunion entscheidend für den ganzen Vertrag ist, dann ist es doch wohl ratsam, beim NV-Vertrag und nicht bei künftigen Gewaltverzichtsverhandlungen anzusetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aus unserer tiefen Sorge vor möglichen politischen Drohungen auf Grund dieser Artikel, selbst wenn das militärische Risiko abgedeckt wäre — ich sage: wäre —, möchten wir die Bundesregierung ermutigen, in eindeutiger Form der Sowjetunion die Frage nach einer einschräkungslosen und vorbehaltlosen Anwendung des Art. 2 der Charta der Vereinten Nationen im Gesamtbereich der Beziehungen beider Nationen vorzulegen, sobald alle anderen Fragen mit dem Westen geklärt und gelöst sind. Diese Frage vor der Unterzeichnung zu klären, ist von großer Bedeutung; denn jetzt ist unsere Position noch stärker.
In dem von mir behandelten Bereich der Sicherheit und europäischen Einigung — damit komme ich zum Schluß — sind im Rahmen des NV-Vertrags noch so fundamental wichtige Klärungen vorzunehmen, daß der Vertrag heute noch nicht unterschriftsreif ist. Unterblieben oder mißlängen diese Klärungen, würde die Spannung in Europa nicht vermindert, sondern erhöht. Kann dies der Sinn des Vertrags sein? Diese Frage stellen heißt, sie verneinen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Das ist ja zum Lachen! — Weitere Zurufe von der SPD.)





Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0601023700
Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in die Mittagspause ein.
Die Sitzung ist bis 15 Uhr unterbrochen.

(Unterbrechung von 12.53 Uhr bis 15.00 Uhr.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0601023800
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Zu einer Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Stoltenberg das Wort.

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0601023900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat zu Beginn seiner Rede auf eine Äußerung hingewiesen, die ich am 14. Mai in Wien gemacht haben soll: Eine Entscheidung der Bundesregierung über den Vertrag sei Ende des Jahres möglich, wenn die Konsultationen fortgeführt würden.
Ich möchte zu diesem Hinweis folgendes erklären. Ich habe am 14. Mai in Wien als Bundesminister für wissenschaftliche Forschung ein internes amtliches Gespräch mit dem Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation, Herrn Eklund, geführt, an dem von jeder Seite je ein Beamter teilgenommen hat. Herr Eklund hat mich in diesem Gespräch nach dem möglichen Zeitpunkt der Entscheidung der Bundesregierung gefragt. Ich habe ihm daraufhin — in voller Übereinstimmung mit dem, was ich hier heute für meine Fraktion gesagt habe — geantwortet, daß eine Entscheidung dann erfolgen könne, wenn alle offenen Punkte befriedigend geklärt seien. Das könne Ende dieses Jahres sein; das könne aber auch — da die Voraussetzungen nicht von uns abhängen — später sein.
Ich halte es nun — das möchte ich zum zweiten sagen — für ein nicht unbedenkliches Verfahren, wenn aus solchen internen amtlichen Gesprächen früherer Mitglieder der Bundesregierung auf der Grundlage der vorliegenden internen amtlichen Berichte der Beamten hier so zitiert wird. In diesem Falle können auch die früheren Mitglieder der Bundesregierung bei parlamentarischen Auseinandersetzungen in diesem Hause nicht weiter jene Zurückhaltung in ihrem amtlichen Wissen aus dem Kabinett und ihrer Amtszeit üben, die ihnen an sich die Interessen dieses Staates auferlegen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Köppler: Merkwürdiger Stil! — Zuruf von der CDU/ CSU: Und dann noch vom Außenminister!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0601024000
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bußmann.

Dr. Bernhard Bußmann (SPD):
Rede ID: ID0601024100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist für mich — insbesondere als Neuling — nicht ganz einfach, jetzt auf die Rede des Kollegen Birrenbach sozusagen in kontrollierter Reaktion zu antworten. Aber das ist ja nun einmal meine Aufgabe. Ich werde später auf sie zu sprechen kommen.
Zunächst möchte ich einiges über diesen Vertrag sagen, was ins Grundsätzliche geht. Ich glaube, wir alle sollten uns hier an die Genesis, an die Vorgeschichte dieses Vertrages erinnern. Sie beginnt mit der irischen Erklärung von 1961, setzt sich in den Entwürfen der USA und der Sowjetunion aus den Jahren 1965 und 1966 fort und dann weiter in den verschiedenen Entwürfen, die schließlich zu dem endgültigen Vertrag führten. Ich glaube, kein Vertrag in der Nachkriegszeit hat eine derartig intensive Behandlung gefunden wie gerade dieser Vertrag, und über kein Vertragswerk der Nachkriegszeit ist so intensiv — gerade von deutscher Seite —verhandelt worden, um Verbesserungen des Textes zu erreichen, um einen Zusammenhang und einen Zusammenhalt mit den Interessen unserer Verbündeten und den weiteren betroffenen Staaten dieser Erde, die keine Nuklearmächte sind, herzustellen. Kein Vertrag hat schließlich durch die Änderungen, die während der verschiedenen Etappen vorgenommen worden sind, im Endeffekt so viele positive Ergebnisse gebracht.
Man sollte das sehen und zur Kenntnis nehmen. Man sollte vor allen Dingen auch auf das, was früher war, Bezug nehmen. Es ist nicht ganz fair und nicht ganz korrekt, wenn man, wie es der Herr Kollege Birrenbach getan hat, etwa auf frühere Entwürfe der Jahre 1965 und 1966 Bezug nimmt und dann ausschließlich den Artikel herausgreift, der in bezug auf einen einzigen Punkt liberaler war. Aber wir alle erinnern uns doch, daß unsere Hauptsorge in der Vergangenheit und vor allen Dingen in jenen Jahren eben die war, daß der Kontrollartikel, daß jene Artikel, die sich auf die wirtschaftliche Nutzung und ihre mögliche Behinderung bezogen, damals ganz anders aussahen. Wir müssen heute das Verhandlungspaket sehen, das am Ende dieser Verhandlungen herausgekommen ist. Dieses Verhandlungspaket ist insgesamt befriedigend, wenn auch kein Maßanzug, wie es Herr Birrenbach offenbar erwartet hat. Aber das scheint nun einmal das Schicksal von Vorlagen in der Politik und das Schicksal vieler politischer Vorgänge überhaupt zu sein.
Ich würde diesen Atomwaffensperrvertrag ganz gerne mit der Regierung vergleichen, die wir von 1966 bis 1969 hatten.

(Abg. Dr. Stoltenberg: Ich würde sagen, das ist kein schmeichelhafter Vergleich für die Regierung!)

- Ich glaube, der ist ganz schmeichelhaft. Auch diese Regierung wurde nicht allzusehr geliebt, aber sie wurde von vielen für notwendig gehalten, und sie hat nach Meinung vieler ganz vernünftige Ergebnisse erzielt. Dennoch finden sich vor allen Dingen in der letzten Phase dieser Regierung manche Schönheitsfehler. Trotzdem ist das Ergebnis, das erzielt wurde, unter dem Strich gesehen — vor allen Dingen für uns, wenn wir es einmal parteipolitisch sehen — positiv gewesen. Ich glaube, im Sinne einer solchen politischen Bewertung sollte man auch ein-



Dr. Bußmann
mal auf den Atomwaffensperrvertrag eingehen und nicht hier lediglich den Maßnanzug — —

(Abg. Dr. Heck: Die parteipolitische Nützlichkeit!)

— Die parteipolitische Nützlichkeit sehe ich beim Atomwaffensperrvertrag überhaupt nicht.

(Abg. Dr. Dr. h. c. Birrenbach: Glauben Sie, daß der Ausdruck aus der Konfektion hier sehr zweckentsprechend ist?)

— Nein, Sie haben vollkommen recht. Das ist sicherlich auch kein Konfektionsanzug, aber das ist ein Kompromiß, der nach vielen Verhandlungen zustande gekommen ist. Dieser Kompromiß ist das, was möglich und erreichbar war, aber kein Ideal. So ist es ja allgemein bei Kompromissen, ganz gleich, unter welchen politischen Gruppierungen man diese Kompromisse schließt.
Aber es gibt ja noch andere Dinge, die über diesen Vertrag zu sagen sind. Der Kollege Stoltenberg hat in seiner grundsätzlichen Bewertung vor allen Dingen ein Problem angeschnitten, nämlich das Problem der Universalität dieses Vertrages, das durch die essentielle Ungleichheit der Teilnehmerstaaten dieses Vertrages verletzt werde. Das mag formal durchaus richtig sein. Allerdings sollten wir die Welt so sehen, wie sie ist, und nicht so, wie wir sie uns wünschen. Das stammt übrigens von Kennedy, ist also zitierbar. Wenn wir die Welt so sehen, wie sie Ist, müssen wir feststellen, daß sicher mit den klassischen Völkerrechtsregeln der Staatengleichheit die Problematik von Kernwaffenbesitz und -verzicht weder erfaßt noch gelöst werden kann. Wer bestreitet denn heute schon, daß die Nuklearwaffen den Charakter des Krieges und den Charakter der Weltpolitik nicht nur quantitativ, sondern grundlegend geändert und die klassischen Regeln von Krieg und Frieden auf den Kopf gestellt haben?! Diese Revolution wirkt sich auch entscheidend

(Abg. Dr. Dr. h. c. Birrenbach meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Moment, ich führe das eben zu Ende — auf andere Bereiche des zwischenstaatlichen Zusammenlebens aus. Der Atomwaffensperrvertrag verdeutlicht sehr anschaulich, in welch starkem Maße die nukleare Revolution die politisch-rechtliche Grundlage der Staatengemeinschaft verändert. Es liegt im Wesen der nuklearen Waffen, daß der Begriff der Gleichwertigkeit, sei es hinsichtlich der Waffen, der militärischen Macht oder des Status der Länder nicht mehr den überkommenen normativen Wert haben kann.
Es erscheint gegenüber einer allzu starken emotionell bedingten Wertung eines Atomwaffensperrvertrages notwendig, darauf hinzuweisen, daß der Vertrag nicht eigentlich die Aufteilung der Welt in die Habenden und Nichthabenden schafft, sondern daß er lediglich einen bestehenden, allgemein hingenommenen Tatbestand besiegelt und ihn in eine völkerrechtliche Norm faßt. Darum kommen wir nicht herum. Das ist doch nun einmal die Situation dieser Welt, daß es den Unterschied zwischen den Supermächten, die über das letzte Mittel der nationalen
Souveränität verfügen, und den anderen gibt, die zwar im Gedankenspiel und in den Berechnungen der Großen eine Rolle spielen, die aber nichtsdestoweniger auch völkerrechtlich schließlich einen anderen Rang einnehmen werden, weil die Welt so ist und nicht so, wie sie vielleicht sein sollte.

(Abg. Dr. Stoltenberg: Aber er schafft einen Unterschied im friedlichen Bereich, den es nicht gibt und nicht geben muß! Das ist der Punkt!)

— Über den friedlichen Bereich möchte ich nicht sprechen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ich davon nicht genügend verstehe und das genauso wie Professor Leussink lieber den Fachleuten überlasse. Sie wissen genau, Kollege Stoltenberg, daß es zahlreiche Äußerungen durchaus prominenter Wissenschaftler gibt, die sagen, daß ein breites Spektrum der wissenschaftlichen friedlichen Forschung auf dem Gebiet der Atomenergie sehr viel mehr Möglichkeiten bietet als das Gebiet der kriegerischen Forschung, und Sie wissen ebensogut, daß nach Meinung des amerikanischen Außenministers Rusk der Ertrag der kriegerischen Forschung — wenn ich das einmal so nennen darf — gegenüber dem Ertrag der friedlichen Forschung als, wie es wörtlich heißt, unendlich klein zu bezeichnen ist. Ich möchte mich auf diesen Streit nicht einlassen; das sollten die Techniker unter sich austragen. Aber zur Universalität dieses Vertrages und zur essentiellen Ungleichheit der Staaten müßte einfach gesagt werden, was ist auf dieser Erde.
Weiterhin wird natürlich gegen den Vertrag eingewendet, daß er kein wirklicher Beitrag zur Abrüstung ist. Kollege Stoltenberg hat mit Recht gesagt: er ist eine Vorform, eine Vorstufe, er befindet sich im Vorhof der Abrüstung, ist aber selber noch keine Abrüstung. Nun, seit wir Ende der 50er Jahre die neuen Ideen der Rüstungskontrolle, Rüstungsbeschränkung und Abrüstung entwickelt haben, wissen wir, daß der eigentlichen Abrüstung das Institut der Rüstungskontrolle vorauszugehen hat, das zunächst einmal Rüstungen stabilisiert auf dieser Welt, bis dadurch eine Basis geschaffen wird, die es eventuell möglich macht, daß es weitergeht. Wir hoffen ja zuversichtlich, daß es weitergeht.
Wir sind froh darüber, daß am nächsten Montag in Helsinki die Vorgespräche über die Begrenzung strategischer Waffensysteme beginnen sollen. Wir wissen nicht, wo sie enden. Wir wissen auch, Herr Zimmermann, welche Problematik das unter Umständen für uns mit sich bringt und daß wir uns wahrscheinlich im Verteidigungsausschuß und in anderen Ausschüssen oft darüber zu unterhalten haben werden. Aber hier ist gewissermaßen von seiten der Atommächte eine Vorleistung geschehen, indem sie den Anfang machen, ohne daß wir Endgültiges darüber aussagen, ohne daß wir schon jetzt endgültig dazu Stellung nehmen können; denn eben da sind Dinge drin, über die wir heute, ohne daß Ergebnisse irgendwelcher Art vorliegen, noch gar nicht reden können. Aber der Anfang ist gemacht, und sowohl den Bedingungen des operativen Teils des Vertrages als auch den Bedingungen der Prä-



Dr. Bußmann
ambel, daß eben diese Wandlungen eingeleitet werden sollen, ist in etwa Genüge getan worden.
Wir werden bei der Überprüfungskonferenz feststellen können, inwieweit das zum Erfolg geführt hat und inwieweit sich diesen ersten Gesprächen andere angeschlossen haben. Aber hier ist, wie der Außenminister gesagt hat, ein wirksamer oder, besser gesagt, der einzige Hebel der Nichtnuklearen gegenüber den Supermächten überhaupt, auf dem Gebiete der Abrüstung irgend etwas zu bewirken. Das muß doch einfach so gesehen werden.
Am Beitrag des Kollegen Birrenbach hat mich eigentlich die Tendenz gestört, die — etwas grobschlächtig vielleicht — ausgedrückt werden kann als Mißtrauen in unsere Verbündeten, insbesondere in unseren amerikanischen Verbündeten und die Dauerhaftigkeit seiner Sicherheitsgarantie.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

— Entschuldigen Sie, Herr Birrenbach. Ich habe kein Manuskript, aber ich habe Gott sei Dank Ihr Manuskript vorliegen. Wenn man sich das im einzelnen ansieht, kann man eigentlich zu keinem anderen Ergebnis kommen, als daß die Sowjetunion mit diesem Vertrag durchaus hinterhältige und für uns nicht sehr angenehme Zwecke verfolgt, daß sich aber die Amerikaner, gewissermaßen als tumbe Toren, auf diesen Vertragszweck einlassen, ohne die Problematik im einzelnen zu erkennen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Köppler: Herr Bußmann, ein bißchen unter dem Strich! — Abg. Dr. Stoltenberg: Da tun Sie Kurt Birrenbach doch etwas unrecht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Natürlich ohne Manuskript. Das hier ist nämlich Herrn Birrenbachs Manuskript.

(Abg. Köppler: Das er nicht benutzt hat!)

— Gut, einverstanden.
Das gleiche gilt in starkem Maße von den Darlegungen, die sich auf den Begriff „Verfügungsgewalt" bezogen. Man sollte doch einfach sehen, daß der Begriff „Verfügungsgewalt" in den amerikanischen Interpretationen — ich meine jetzt die Interpretationen 1 bis 6 — in einer Weise erläutert worden ist, daß die bisherigen Arrangements in der NATO nicht gefährdet werden. Der englische Außenminister Mulley hat im Unterhaus dazu weitergehende Erklärungen abgegeben.

(Abg. Dr. Dr. h. c. Birrenbach: Staatsminister!)

— Richtig: Staatsminister Mulley hat dazu weitergehende Erklärungen abgegeben, die uns bei der öffentlichen Erörterung des Begriffs ,,Verfügungsgewalt" jedenfalls weiterhelfen. Darauf sollten wir uns beziehen. In den demnächstigen Verhandlungen des Verteidigungsausschusses und des Auswärtigen Ausschusses werden die Einzelheiten über die Verabredungen ja noch dargelegt, soweit noch Erläuterungen nötig sind.
Die NATO-Laufzeit wurde im einzelnen angesprochen. Dabei wurde betont, daß es nun einmal so ist, daß die NATO nach Ablauf ihres zwanzigjährigen Bestehens gewissermaßen mit einjähriger
Kündigungsfrist in Frage gestellt werden kann, während der Atomwaffensperrvertrag zunächst für 25 Jahre gilt. Der Zusammenhang ist nicht so recht ersichtlich. Natürlich hängt die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland von der NATO ab. Aber sie würde von der NATO auch dann abhängen, wenn es keinen Atomwaffensperrvertrag oder irgendwelche Rüstungskontrollabkommen in Mitteleuropa gäbe.

(Beifall bei der FDP.)

Wir sind auf dieses Bündnis angewiesen, und wir müssen eben alles tun, um es zu stärken.
Man kann sogar einen Umkehrschluß ziehen: daß der Atomwaffensperrvertrag geeignet sein kann, den Zusammenhalt dieses Bündnisses zu verstärken. Denn wenn wir erklären — wie es unsere Bundesgenossen ebenfalls getan haben —, daß mit Ablauf des NATO-Vertrages bzw. einer vorzeitigen Auflösung des Bündnisses in seiner derzeitigen Form die europäische Sicherheit vital gefährdet würde, und — zurückgreifend auf Art. 10 — der Rücktrittsfall gegeben sei, dann kann man auch sagen, daß der Atomwaffensperrvertrag, an dessen Erhaltung die Weltstaatengemeinschaft und die europäischen Staaten in starkem Maße interessiert sind, erhalten bleiben muß und mit ihm die NATO, weil die Weltstaatengemeinschaft hierauf großen Wert legt. Er ist auf diese Art gewissermaßen die Umklammerung der NATO und — das ist kein entscheidender Punkt — auch eine Grundlage für den Zusammenhalt der
westlichen Allianz.
Zur europäischen Option! Die Möglichkeiten der europäischen Option sind in der sechsten amerikanischen Interpretation dargelegt worden. Es ist sicherlich richtig, wenn Herr Kollege Birrenbach sagt, es sei eine glatte Selbstverständlichkeit, daß nach den Regeln der Staatensukzession ein neu entstehendes Völkerrechtssubjekt, das im Besitz der auswärtigen und der Verteidigungsgewalt ist, dann die Rechte seiner Einzelstaaten übernehmen kann. Aber genau das ist es, was wir im Augenblick und wahrscheinlich auf lange Zeit als die alleinige Möglichkeit in bezug auf ein vereinigtes Europa ansehen.
Wir sollten uns doch nichts vormachen. Wer zu diesem Zeitpunkt und in absehbarer Zukunft einen Vorschlag in Europa vorbrächte, der darauf hinausliefe, eine gemeinsame EVG, eine gemeinsame Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu schaffen, die gleichzeitig im Besitz von Atomwaffen wäre und ein gemeinsames Verfügungsrecht hätte, der würde jedenfalls Europa zuverlässig verhindern. Nach dem Willen unserer Verbündeten, nach dem erklärten Willen etwa des französischen Staatspräsidenten sind der Besitz und die Verfügungsgewalt an Atomwaffen das I-Tüpfelchen der Souveränität und können erst in dem Augenblick übertragen werden, wenn die Gesamtsouveränität auf ein neues Völkerrechtssubjekt übergeht, und keinen Moment vorher. Wir kennen die Vorschläge von General de Gaulle aus dem Jahre 1964, die natürlich auf eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft hinausliefen, aber doch eine solche, die auf dem Prinzip der Arbeitsteilung basierte, wo die einen die konventionelle und die anderen die atomare Komponente



Dr. Bußmann
darzustellen hatten. Das ist sogar noch restriktiver als die Regelungen, die wir zur Zeit innerhalb der atlantischen Allianz, innerhalb unseres Bündnisses haben mit dem Besitz von Trägerwaffen auf der einen Seite und der Verfügungsgewalt bzw. dem Besitz von atomaren Sprengköpfen auf der anderen Seite; ich meine, bei unseren amerikanischen Verbündeten.
Die europäische Option — wenn sie so offenbleibt, wie es der Vertrag vorsieht — entspricht den realen Bedingungen, die sich augenblicklich in Europa stellen. Wir sollten diese Bedingungen so akzeptieren, wie sie sind.
Es ist heute morgen häufig darauf hingewiesen worden, daß überhaupt keine Aussagen darüber möglich sind, wie es denn etwa in 10, 15 oder 20 Jahren aussehen werde. Wenn das stimmt, dann stimmt es erst recht für die Möglichkeit eines ABM-Systems, das ebenfalls angesprochen wurde. Jeder weiß, daß nach dem gegenwärtigen Stand der Technik und auf lange Zeit hinaus ein ABM-System, wie es die Techniker augenblicklich in anderen Staaten in der Planung haben, auf Grund der geringen Vorwarnzeiten, auf Grund der geringen Distanzen für Mitteleuropa und insbesondere für die Bundesrepublik eine glatte Unmöglichkeit wäre. Wir müssen allerdings, wenn das Projekt ABM-System erwogen wird, auch davon ausgehen, daß ein ABM-System unter den Bedingungen der gegenwärtigen Arrangements innerhalb der NATO, d. h. der Arrangements: Trägerwaffen auf der einen Seite bzw. bei der einen Gruppe, Verfügungsgewalt über atomare Sprengköpfe auf der anderen Seite oder bei der anderen Gruppe, möglich wäre. Dadurch würden uns keine entscheidenden Wege versperrt.
Ein letztes Problem in diesem Zusammenhang waren die Interventionsklauseln der Charta der Vereinten Nationen, die immer wieder angesprochen wurden. Ich glaube, wir sollten um der Ehrlichkeit zueinander willen auch darauf hinweisen, daß diese Interventionsklauseln von der anderen Seite — und damit meine ich in diesem Fall die Sowjetunion — nur in einen Zusammenhang mit deutscher Politik im Dialog über den gegenseitigen Gewaltverzicht und nie in einen Zusammenhang mit dem Atomwaffensperrvertrag gebracht wurden. Wir haben diesen Zusammenhang in unserer Diskussion nun einmal hergestellt. Darüber sollte gesprochen werden, und darüber müssen eindeutige Erklärungen erfolgen. Aber kann es eindeutigere Erklärungen geben als die unserer Verbündeten, insbesondere der Amerikaner und der Franzosen, die erklärt haben, daß der Bündnisfall gegeben sei, wenn auf Grund einer Intervention die territoriale Integrität der Bundesrepublik Deutschland verletzt werde? Hier liegt unsere Garantie und sonst nirgendwo.
Die übrige Rechtsbewertung dieser Artikel ist vom Außenminister der vorigen Regierung mit Recht als überständig und obsolet bezeichnet worden. Diese Artikel geben kein einseitiges Interventionsrecht, sondern sie geben nur eine mehrseitige Form des Rechts, das sich auf Nichtanrufung des Sicherheitsrats bezieht.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Es gibt keine einseitige Intervention irgendeiner Macht. Außerdem sollten wir uns, wenn wir hier schon juristische Scheinprobleme hochspielen, in der Realpolitik vor allen Dingen darüber klar sein, daß Interventionen im allgemeinen überhaupt nicht auf Grund einer Rechtsgrundlage geschehen, sondern auf Grund nackter Gewalt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich möchte mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zum Schluß ein kurzes Zitat bringen, das die gegenwärtige Diskussion und die Diskussion der letzten Jahre sehr gut umreißt und das bezeichnend für das Klima dieser Diskussion hier in diesem Hause und anderswo sein sollte. Da heißt es:
Die Bundesregierung ist grundsätzlich an einer internationalen Nichtverbreitungsregelung interessiert, da sie auf diesem Gebiet bereits bedeutsame Vorleistungen gemacht hat. Sie hat in den Pariser Verträgen des Jahres 1954 auf die Produktion von Kernwaffen auf eigenem Boden verzichtet. Die Bundesregierung hat in der Friedensnote vom 25. März 1966 den Verzicht auf den Erwerb nuklearer Waffen in Aussicht gestellt. Sie hat sich mit dem Abschluß des Euratom-Vertrages für die friedliche Entwicklung der Kernenergie einer internationalen Kontrolle unterworfen. Die Bundesrepublik ist daher daran interessiert, daß alle übrigen Staaten sich entsprechenden Beschränkungen unterwerfen. Eine unkontrollierte Verbreitung von nuklearen Waffen auf individuelle Staaten muß die internationale Friedensordnung gefährden. Aus dieser Perspektive heraus sollte die Diskussion über den jetzt vorliegenden Atomsperrvertrag in der Bundesrepublik geführt werden.
Dieses Zitat stammt aus einem Aufsatz „Zur Problematik des Atomsperrvertrages, kurze Zusammenfassung für Wahlkampfzwecke" von Dr. Birrenbach
MdB.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Ich würde trotzdem sagen, dieses Zitat sollte den Geist gerade der Diskussion in dieser Situation beherrschen, da wir darüber zu befinden haben, wann und unter welchen Umständen wir Entschlüsse fassen über die Unterzeichnung dieses Vertrages und über die spätere Ratifizierung, vor der allerdings noch eine ganze Reihe Vorbedingungen erfüllt sein sollen. Im Sinne des Zitates wäre also die Diskussion zu führen.
Das Ergebnis der bisherigen Diskussion auf internationaler Ebene entspricht weitgehend dem, was der Außenminister der vorherigen Regierung am 27. April 1967 vor dem Deutschen Bundestag als vier Kriterien aufgestellt hat, nach denen man sich auf jeden Fall zu entscheiden habe. Damals wurde gesagt, als erstes müsse die ungehinderte Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken gesichert sein. Als zweites müsse eine deutliche Verbindung zur allgemeinen Abrüstung erkennbar sein. Das dritte sei die Gewährleistung unserer Sicherheit. Und das vierte bedeute, daß keine Beeinträchtigung regionaler, in unserem Fall europäischer, Einigungsbestrebungen gegeben sein dürfe.



Dr. Bußmann
Nach unserer Meinung sind diese Kriterien in der jetzigen Situation nach den langen Verhandlungen, die in der Vergangenheit geführt worden sind, erfüllt. Wir können in eine abschließende Diskussion eintreten. Im Interesse unserer Außenpolitik müssen wir auch den Weg für eine endgültige Entscheidung freigeben. Denn wer sich mit dem beschäftigt, was die internationale Presse und was mancher Staatsmann auch in der westlichen Welt heute sagt, der muß feststellen, daß heute schon in immer stärkerem Maße darauf hingewiesen wird, daß die Staaten der Welt auf die Entscheidung der Bundesrepublik warten.
Es besteht der Verdacht, daß bei einer eventuellen Ratifikationsverweigerung der Sowjetunion mit dem Hinweis darauf, daß die Bundesrepublik ja nicht bereit sei, bindende Erklärungen über ihren Beitritt abzugeben, die Schuld am Scheitern dieser Rüstungskontrollabmachung insgesamt der Bundesrepublik Deutschland in die Schuhe geschoben wird.
Dann wäre das Ergebnis ein Dissens mit unseren westlichen Verbündeten und das Verbauen jeder Verständigungspolitik und jeder Entspannungspolitik gegenüber den osteuropäischen Staaten und der Sowjetunion. Das sollten wir sehen, und daran sollten wir denken. Wir haben hier eine Verantwortung, die sich wahrscheinlich auf die nächsten Jahre und Jahrzehnte bezieht. In diesem Sinne sollte die Diskussion geführt werden. Ich hatte den Auftrag, in diesem Sinne hier den Standpunkt der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion in der Frage der Sicherheit zu vertreten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0601024200
Das Wort hat der Abgeordnete Schultz.
Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist mir eine besondere Freude, Ihnen, Herr Kollege Dr. Bußmann, zu Ihrer Jungfernrede meine Glückwünsche aussprechen zu können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es freut mich besonders, daß wir nun in Zukunft nicht gegeneinander die Klingen zu kreuzen haben, sondern miteinander fechten können. Vielleicht hat das Haus gemerkt — ich kenne Sie ja schon aus Ihrer vorhergehenden Arbeit verhältnismäßig gut —, daß Sie ein ernstzunehmender Mann sind, der in den Bundestag gekommen ist, worüber wir uns alle nur freuen können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Mit besonderer Freude habe ich natürlich Ihr Wort von der „Arbeitsteilung" aufgenommen. Ich denke aber an die Arbeitsteilung innerhalb des Bündnisses bezüglich der atomaren und konventionellen Komponente. Sie wissen, daß hier noch gewisse Divergenzen zwischen den beiden Koalitionspartnern vorhanden sind. Ich hoffe, daß wir noch die Gelegenheit haben werden, Sie von unserer richtigen Meinung zu überzeugen. — Das nur nebenbei, möchte ich sagen, zwischen uns beiden.
Auch ich möchte mich mit den Argumenten und Argumentationen des Kollegen Birrenbach auseinandersetzen. Ich bin fast unglücklich, daß ein Teil dessen, was ich mir aufgeschrieben hatte, Kollege Bußmann schon vorweggenommen hat. Herr Kollege Birrenbach hat im Duktus seiner Rede den NV-Vertrag als eine Sache dargestellt, die die Sowjetunion zur Knebelung der Bundesrepublik Deutschland erfunden habe. Mein Kollege Rutschke und soeben auch Herr Dr. Bußmann haben auf den Hergang hingewiesen, wie es zu diesem Vertrag gekommen ist; ich brauche das nicht zu wiederholen.
Ich möchte etwas anderes hinzufügen. Unter Punkt 5 der Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion wird gefragt, welchen universalen Charakter dieser Vertrag habe, wenn die Bundesrepublik ihm nicht beitrete. Damit wird doch schon gesagt, daß auch von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU-Fraktion, der universale Charakter dieses Vertrages anerkannnt wird. Folglich kann er kein Instrument mehr zur Knebelung der Bundesrepublik durch die Sowjetunion sein.
Ich bin auch sehr froh, daß Kollege Bußmann auf die Frage der Abrüstung, die mit diesem Vertrag
verbunden ist, eingegangen ist. Wir wissen alle aus der Erfahrung langer Zeiten, daß man zur Abrüstung nur in kleinen Schritten kommen kann. Es muß aber unterstrichen werden, daß der Vertrag deswegen bejaht werden muß, weil er für diejenigen, die keine nuklearen Waffen besitzen, einen gewissen Hebel bedeutet, um auch in der Frage der Abrüstung auf dem Gebiet der Nuklearwaffen weiterzukommen. Insbesondere ist die Möglichkeit der Überprüfung nach einer bestimmten Zeit, ob dieser Vertrag seinen Zweck erreicht hat, hier von besonderer Bedeutung.
Der Kollege Birrenbach hat von der Sowjetunion in einer ganzen Reihe von Punkten bindende Erklärungen vor Unterzeichnung des Vertrages gefordert, durch die die Nichtdiskriminierung der Bundesrepublik Deutschland klargestellt werden soll. Meine Frage, die ich dazu stellen möchte, ist: Hat nicht die Sowjetunion im Februar 1969 gegenüber der damaligen Bundesregierung erklärt, daß die Bundesrepublik Deutschland mit der Übernahme der Pflichten des Vertrages auch in die vollen Rechte des Vertrages gleichberechtigt eintrete? Diese Frage ist, soviel ich weiß, im Auswärtigen Ausschuß, dem ich nicht angehörte und angehöre und der ein vertraulicher Ausschuß ist, erörtert worden. Frage: Reicht das nicht aus, oder was muß noch mehr getan werden? Wenn mehr getan werden muß, dann frage ich mich: Warum hat die Regierung der Großen Koalition die Zeit seit Februar nicht genutzt, um die von Herrn Birrenbach heute gewünschten weiteren bindenden Erklärungen zu bekommen?

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0601024300
Herr Abgeordneter Schultz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Birrenbach? — Bitte.

Dr. Kurt Birrenbach (CDU):
Rede ID: ID0601024400
Herr Kollege, im Gegensatz zu Ihnen ist die jetzige Bundes-



Dr. Dr. h. c. Birrenbach
regierung auch der Meinung, daß es zwei Komplexe gibt: den Komplex des Verzichts auf Gewaltandrohung innerhalb des NV-Vertrages und jenen Gewaltverzichtskomplex, der für die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik allgemein gilt.

(Zurufe von der SPD: Frage!)

— Ist Ihnen klar, daß sie in bezug auf den ersten Teil befriedigt ist mit der Erklärung des sowjetischen Botschafters vom 6. Februar, daß sie aber für den zweiten Teil eine Regelung im Rahmen der Gewaltverzichtsverhandlungen anstrebt?

(Abg. Mischnick: Das ist kein Widerspruch!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0601024500
Herr Birrenbach, hoffentlich war der Charakter der Frage den Kollegen deutlicher als mir.

(Heiterkeit.)

Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) : Herr Kollege Birrenbach, wenn ich richtig verstanden habe, sind auch Sie der Meinung, daß bezüglich der Nichtdiskriminierung der Bundesrepublik Deutschland im NV-Vertrag die Dinge in Ordnung sind, daß aber die Frage der Gewaltverzichtserklärungen und der damit zusammenhängenden Interventionsartikel nicht in Ordnung ist. Das war doch die Meinung, die Sie soeben vertreten haben?
3) Dr. Dr. h. c. Birrenbach (CDU/CSU): Ich muß das jetzt in eine Frage fassen, was sehr schwierig ist.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0601024600
Anders geht es nicht.

Dr. Kurt Birrenbach (CDU):
Rede ID: ID0601024700
Nein. — Haben Sie mir damit nicht zugegeben,

(Lachen und Zurufe von der SPD)

daß es für diese Frage zwei Komplexe gibt, nämlich einerseits den Komplex des NV-Vertrages und zweitens den Komplex der allgemeinen Beziehungen der Bundesrepublik zur Sowjetunion?
Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) : Selbstverständlich gebe ich Ihnen zu, daß es diese zwei Probleme nebeneinander gibt. Aber sie stehen gar nicht, was weiß ich, im Gegensatz zueinander, sondern das sind eben zwei verschiedene Probleme, und es ist ganz sicher, daß im Rahmen des Gewaltverzichts, den die Bundesregierung anstrebt, die Frage der Interventionsartikel erledigt werden muß. Das ist aber ein anderes Problem, über das wir heute nicht sprechen. Wir sprechen heute über den NV-Vertrag.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0601024800
Gestatten Sie eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schultz? — Bitte.

Dr. Kurt Birrenbach (CDU):
Rede ID: ID0601024900
Herr Kol- lege Schultz, da der § 13 der Präambel das Problem des Gewaltverzichts behandelt, aber eben nur im Rahmen des NV-Vertrages, erhebt sich die zweite Frage, ob die Rückfrage an die Sowjetunion, die sich auf die Gesamtbeziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik erstreckt, im Rahmen des NV-Vertrages oder in Gewaltverzichtsverhandlungen behandelt werden soll, und da bin ich der Meinung, daß der beste Hebel der NV-Vertrag ist.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0601025000
Der zweite Satz war nicht mehr zulässig.
Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP): Ich bin nicht Ihrer Meinung, Herr Kollege Birrenbach. Ich glaube, daß man schrittweise vorgehen muß. In der Präambel des Vertrages ist bezüglich der Nichtgewaltandrohung von Nuklearbesitzern gegenüber Nichtnuklearbesitzern etwas gesagt, in diesem speziellen Bereich. Die Frage des Gewaltverzichts und der Interventionsartikel ist ein zweites Problem, das im Rahmen der Verhandlungen über den Gewaltverzicht erledigt werden muß. Hier kann ich Ihnen also nicht folgen.
Herr Kollege Birrenbach, Sie hatten erklärt, daß Herr Kossygin gesagt habe, die Bundesrepublik Deutschland werde unterzeichnen müssen, ob sie wolle oder nicht, und Sie haben hier sehr deutlich die Meinung vertreten, daß die Sowjetunion eine harte, unversöhnliche Haltung gegenüber der Bundesrepublik einnehme, wenn ich das einmal so pauschal sagen darf. Heißt das nicht mit anderen Worten, daß Verhandlungen mit der Sowjetunion überhaupt keinen Sinn haben? Zum Schluß kommen Sie dann aber zu der Bemerkung, daß offene Fragen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion vor der Unterzeichnung des Vertrages durch die Bundesregierung geklärt werden müssen. Da habe man noch die Kraft, etwas zu ändern oder Interpretationen zu bekommen.
Nun frage ich Sie: Wenn es doch gar keinen Sinn hat, überhaupt mit der Sowjetunion zu verhandeln,

(Sehr richtig! bei der FDP — Abg. Dr. Dr. h. c. Birrenbach: Das haben Sie unterstellt!)

warum soll man eigentlich die Unterzeichnung des Vertrages davon abhängig machen?

(Beifall bei der FDP.)

Ich sehe also in diesem Bereich Ihrer Rede keine zwingende Logik. Nach meiner Auffassung bleibt die Stärke der Bundesrepublik, diese oder jene Interpretation zu bekommen, immer gleich, gleichgültig, ob die Fragen vor Unterschrift oder nach Unterschrift geklärt werden.

(Widerspruch in der Mitte.)

Ich bin sogar der Meinung — und nun korrigiere
ich mich selber —, daß wir nach der Unterschrift



Schultz (Gau-Bischofsheim)

größere Möglichkeiten und einen größeren Spielraum als vorher haben. Aber das ist meine Ansicht.

(Abg. Dr. Dr. h. c. Birrenbach: Auch gegenüber der Sowjetunion?)

— Auch gegenüber der Sowjetunion. Es kommt dann nur auf die Verhandlungsführung an.
Nun hat der Kollege Dr. Barzel meinen Freund Rutschke gefragt, ob nicht bekannt sei, daß die Bundesrepublik Deutschland freiwillig auf ABC-Waffen nur gegenüber dem Westen verzichtet habe, jetzt komme der Osten hinzu. Man müßte sich also noch einmal erinnern, was Rutschke dazu gesagt hat. Ich frage einfach: Galt denn damals, als wir 1954 durch die damalige Bundesregierung und den Bundeskanzler Adenauer diesen Verzicht ausgesprochen haben, dies in der Tat nur gegenüber dem Westen? Ich war bisher immer der Meinung, das sei eine allgemein verbindliche Erklärung für die Bundesrepublik insgesamt gewesen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich warne davor, jetzt solche Fragen zu stellen. Denn dann würde sich die Diskussion über all diese Probleme der Option für nukleare Waffen oder nicht plötzlich in einem ganz anderen Licht darstellen, und die Erklärungen der früheren Bundesregierungen, daß von uns keine Option angestrebt werde, würden plötzlich keine Grundlage mehr haben. Das kann doch gar nicht so sein, wie das hier durch diese Frage hochgekommen ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

1) Ich glaube, wir müssen uns von dieser Frage sehr distanzieren.
Es ging in der Debatte heute früh auch um die Glaubwürdigkeit. Ich muß schon sagen, wir sollten in der Tat hier im Hohen Hause genau dieselbe Haltung wie in internationalen Gremien einnehmen, insbesondere wenn in den internationalen Gremien Politiker der Opposition — ohne Zweifel von Rang und Namen — dabei sind.

(Zuruf von der FDP.)

Die Namen braucht man ja wohl nicht zu nennen, es kann joder nachlesen, wer an dem entsprechenden Tag entschuldigt gewesen ist.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0601025100
Herr Abgeordneter Schultz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lenz? — Herr Abgeordneter Dr. Lenz!

Dr. Carl Otto Lenz (CDU):
Rede ID: ID0601025200
Herr Kollege Schultz, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß man sehr wohl für die grundsätzliche Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages eintreten, aber die Unterschrift dennoch von gewissen Klärungen durch die Bundesregierung abhängig machen kann?

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP): Das kann man selbstverständlich, Herr Kollege Dr. Lenz, aber in diesem Fall schien mir die Zustimmung in eben
jenem Gremium so eindeutig zu sein, daß es hier eben zutrifft, daß man dort so und hier anders geredet hat.
Aber lassen Sie mich noch zu einer zweiten Stilfrage des Hohen Hauses kommen. Wir haben ja glücklicherweise seit der neuen Koalition und der neuen Regierung ein vollbesetztes Haus. Es wäre natürlich sehr schön, wenn bedeutende Männer dieses Hohen Hauses das, was sie zu den in Rede stehenden Problemen zu sagen haben, auch in diesem Hohen Hause sagten

(Abg. Wehner: Sehr wahr!)

und nicht draußen in entsprechenden Artikeln veröffentlichten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich habe hier eine dpa-Meldung vor mir liegen, und darin schreibt der Kollege Franz Josef Strauß, der heute nicht dasein kann

(Zuruf rechts: Weshalb? — Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)

— nein, nicht „Hört! Hört!", sondern weil er im Genesungsurlaub ist, zu dem wir ihm, glaube ich, alle besten Wünsche übermitteln —,

(Abg. Wehner: Sehr wahr!) er schreibt in diesem Artikel,


(Zurufe von der FDP: Wo?) — einem Artikel im „Bayern-Kurier",


(Lachen bei den Regierungsparteien)

nach der dpa-Meldung —, dieser Vertrag sei durchaus geeignet, „uns langfristig gesehen in eine schwierige wirtschaftliche Situation zu bringen". Er sagt weiter:
Die angeblich neuen Interpretationen, welche die neue Regierung in Washington und Moskau erreicht hat, dienen also nur als Feigenblatt, um den ursprünglichen Entschluß zu einer Unterschrift zu rechtfertigen.
Die dpa-Meldung schließt mit dem Zitat:
Brandt, ein großer Meister der unverbindlichen Ausdrucksweise, pflegt die Tugend der Zweideutigkeit, die in diesem Fall zum Laster wird. Hier wäre aber Eindeutigkeit erforderlich.
Ich muß schon sagen, solche Aussagen, insbesondere die letzte, die ich hier verlesen habe, gehören eigentlich in die Vorwahlkampfzeit. Nach der Wahl sollten wir uns etwas anders ausdrücken.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muß leider schließen; die rote Lampe leuchtet auf. Ich hätte noch manches zu sagen.
Ich möchte zum Abschluß die Meinung meiner Fraktion wie folgt darlegen. Wir sind der Auffassung, daß die Nichtunterzeichnung durch ausdrückliche Willenserklärung kaum schlechter sein kann als ein formales Offenlassen der Entscheidung, mit welchen Gründen auch immer.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)





Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0601025300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kliesing.

Dr. Georg Kliesing (CDU):
Rede ID: ID0601025400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gegenstand unserer Debatte ist noch aktueller geworden, als zu erwarten war, und zwar dadurch, daß die Mitglieder des Hohen Hauses heute morgen erfahren haben, daß die Eröffnung von Gewaltverzichtsverhandlungen mit der Sowjetunion, bei denen das heutige Thema hoffentlich auch eine große Rolle spielen wird, in aller Kürze bevorsteht. Leider haben die Mitglieder des Hohen Hauses diese Nachricht nicht zuerst hier aus dem Munde des Herrn Außenministers erhalten, weil er es vorgezogen hat, diese Mitteilung gestern auf einer Pressekonferenz zu machen, obwohl er wußte, daß sich dieses Hohe Haus heute zu einer außenpolitischen Debatte zusammenfinden würde. Ich bedauere das sehr.

(Zuruf von der Mitte: Ein neuer Stil!)

Ich möchte den Herrn Außenminister, da er heute morgen das Verhältnis von Regierung und Parlament in einem Nebensatz apostrophiert hat, bitten, hinsichtlich der Gestaltung dieses Verhältnisses in der Zukunft in bezug auf die stilistische Handhabung unser Bedauern zur Kenntnis zu nehmen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0601025500
Herr Abgeordneter Dr. Kliesing, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wischnewski?

Dr. Georg Kliesing (CDU):
Rede ID: ID0601025600
Nein, ich möchte im Augenblick keine Zwischenfragen beantworten,

(Zurufe von der SPD: Aha!)

da es sich hier um ein Anliegen handelt, das weniger den Koalitionspartner als den Herrn Bundesaußenminister persönlich angeht.

(Abg. Wischnewski: Aber man darf doch fragen, ob Sie die Regierungserklärung gelesen haben!)

In der Öffentlichkeit ist es in der letzten Zeit üblich geworden, die Forderung nach einer baldigen Unterschrift der Bundesrepublik unter den Atomsperrvertrag dadurch zu popularisieren und zu propagieren, daß man der Bevölkerung sagt, damit werde ein Klima des Vertrauens, eine Atmosphäre des Wohlwollens geschaffen, als ob die Unterschrift der Bundesregierung gewissermaßen das Tor zum goldenen Zeitalter der Abrüstung aufstieße. Daher haben wir in unserer Großen Anfrage den Zusammenhang zwischen dem Sperrvertrag und der Abrüstung, für die wir alle eintreten und von der so viel für die Sicherung des Friedens abhängt, zur Diskussion gestellt. Leider ist der schriftliche Diskussionsbeitrag, den die Bundesregierung in ihrer Artwort leistet, dürftig und enttäuschend. Er beschränkt sich nämlich im wesentlichen auf die Erinnerung an frühere Resolutionen und auf die Ankündigung einer weiteren, daran anknüpfenden Willenserklärung. Zu den eigentlichen Fragen, die der Vertrag und die deutsche Unterschrift im Hinblick auf die Abrüstung aufwerfen, sagt die schrift-
liche Antwort der Bundesregierung nichts. Die bisherige Debatte hat, was die Beiträge der Bundesregierung betrifft, an dieser Feststellung nicht viel geändert.
Die Fragen lauten: Bringt uns der Vertrag dem Ziel einer Abrüstung tatsächlich näher? Gehen die Atommächte in diesem Vertrag klare Verpflichtungen ein, den Rüstungswettlauf zu stoppen und die vorhandenen Vorräte an Massenvernichtungsmitteln zu verringern? Ist im Falle einer Nichtabrüstung der Vertrag — etwa nach fünf Jahren — praktisch revidierbar? Erhöht oder vermindert eine baldige Unterschrift der Bundesregierung unter diesen Vertrag ihre Möglichkeiten, auf eine rasche effektive Abrüstung hinzuwirken? — Das sind die eigentlichen Fragen, und weder die Bundesregierung noch das Parlament haben das Recht, ihnen aus dem Weg zu gehen und statt dessen eine Atmosphäre der Wunschträume und Illusionen aufzubauen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Präambel und Art. VI des Vertrages geben eine eindeutige Auskunft: Die Atommächte gehen keinerlei Verpflichtung zum Rüstungsstopp oder gar zur Abrüstung ein. Weder erfüllt der Vertrag die Forderung der für sein Zustandekommen grundlegenden Resolution der Vereinten Nationen vom 19. November 1965, der Vertrag müsse ein annehmbares Gleichgewicht gegenseitiger Verpflichtungen der Atommächte und der Nichtnuklearen sowie einen tatsächlichen Schritt zur Verwirklichung allgemeiner, insbesondere nuklearer Abrüstung enthalten, noch ist es den Nichtnuklearstaaten, wie Italien, Schweden, Rumänien, Indien oder Brasilien, und auch nicht den Bemühungen — diese seien hier anerkannt — der Bundesregierung auf der Genfer Abrüstungskonferenz gelungen, ihre Vorstellung ,durchzusetzen, im Vertragstext müsse der Verpflichtung der Nichtatomstaaten zu horizontaler Nichtverbreitung eine entsprechende Verpflichtung der Atommächte zu vertikaler Nichtverbreitung und Abrüstung gegenüberstehen.

(Abg. Bußmann: In Art. VI steht aber — —) — Ich komme noch darauf.

Mit Recht stellte der brasilianische Außenminister in der UNO fest, der Vertragsentwurf lasse jegliche reale und greifbare Verpflichtung der Kernwaffenstaaten auf weitere Schritte zur teilweisen oder vollständigen nuklearen Abrüstung vermissen. Das ist der Tatbestand, und daran ändert auch der Hinweis auf Art. VI nichts, in dem sich die Verhandlungsparteien lediglich zu — wie es dort heißt — ehrlich gemeinten Verhandlungen verpflichten, der also bezüglich der Abrüstung nur eine Absichtserklärung, eine Erklärung des guten Willens darstellt ohne irgendeine weiterreichende Verpflichtung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Außerdem bleibt gerade im Zusammenhang mit Art. VI festzustellen, daß jeder Verhandlungspartner bei den Verhandlungen auf Grund Art. VI in ,der Beurteilung der Frage, ob er solche Verhandlungen tatsächlich in redlicher Absicht führt, souverän ist.



Dr. Kliesing (Honnef)

Im übrigen gibt es kein Indiz dafür, daß ,die Kernwaffenmächte etwas anderes zum Maßstab ihrer Rüstungs- und Abrüstungspolitik machen als ihre eigenen Interessen, und zwar so, wie sie diese Interessen in den wechselnden weltpolitischen Konstellationen in souveräner Entscheidung selbst beurteilen. Wer z. B. die Vorbereitung der amerikanisch-sowjetischen Vorgespräche in Helsinki über eine Rüstungsbegrenzung lediglich auf dem Gebiet strategischer Raketen verfolgt hat, weiß doch, daß die eigentlichen Motive dieser Informationsgespräche — so sagt man amerikanischerseits neuerdings — handgreifliche Notwendigkeiten praktischer Vernunft und parallele Interessen der beiden Großmächte sind, nicht aber eine Rücksichtnahme auf das Sicherheitsbedürfnis ,der Nichtnuklearen.
Hier muß ich mich an Herrn Bußmann wenden. Herr Kollege Bußmann, Sie haben im Zusammenhang damit gesagt: Wir hoffen, daß es weitergeht. Es muß aber doch erst einmal anfangen, und ein Hinweis auf Helsinki hilft doch gar nicht. Es ist mir unverständlich, wie Sie die bevorstehenden Informationsgespräche als eine „Vorleistung" betrachten können. Das stellt die Dinge nun wirklich auf den Kopf. Im Zusammenhang mit dem Atomsperrvertrag sind wir doch diejenigen, und zwar alle Nichtnuklearstaaten, von denen eine Vorleistung gefordert wird, und nicht die Atommächte, die ja ausdrücklich von jeglicher Vorleistung ausgenommen werden. Dafür stellen Informationsgespräche in Helsinki wohl keinen Ersatz dar.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Gelegentlich hört man nun, man könne Hoffnung auf eine Konferenz setzen, die laut Vertrag fünf Jahre nach Inkrafttreten zusammentreten soll. Meine Damen und Herren, wenn man bis dahin nicht zu einer wirklichen Abrüstung gekommen ist, wird auch diese Konferenz nichts anderes tun als alle vorhergehenden Konferenzen, nämlich Resolutionen verabschieden, so wie es beispielsweise die Genfer Abrüstungskonferenz ohne bisher sichtbaren Erfolg getan hat.
Was schließlich die Möglichkeit einer Vertragsänderung angeht, so wissen wir alle, daß nach Art. VIII jede Atommacht ein Vetorecht dagegen hat. Das heißt mit anderen Worten, wer bis dahin die Abrüstung verhindert hat, wird es mittels dieses Vetorechts auch dann tun. Die Formulierung des Art. VI zeigt eindeutig, daß sich die Kernwaffenmächte in der Abrüstungsfrage die Hände nicht haben binden lassen, und man kann ihnen noch nicht einmal einen Vorwurf machen, sie hätten diese ihre Absicht verheimlicht.
Unsere Forderung nach Abrüstung muß in einem vernünftigen Verhältnis zu unserem Sicherheitsbedürfnis stehen, weil unsere eigene Sicherheit abhängt von der glaubhaften Bündnisverpflichtung einer der beiden großen Kernwaffenmächte, nämlich der Vereinigten Staaten. Diese Frage ist in anderem Zusammenhang zu debattieren; hier genügt die nüchterne Feststellung, daß dieser Vertrag nach seinem Text und nach seinen Anlagen die Chancen einer nuklearen Abrüstung nicht erhöht. Dafür gibt es kein Indiz.
Vor den Genfer Verhandlungen über den Vertragstext, nämlich im Jahre 1966, äußerte sich in diesem Zusammenhang einer der engagiertesten Vertreter dieses Vertrages, der damalige Abrüstungsbeauftragte und heutige Europaminister der britischen Regierung, Lord Chalfont, auf einem Symposium in Kanada wie folgt:
Es wäre gewiß töricht, von seiten der Nuklearmächte glauben zu wollen, die anderen Länder würden sich zu einem Verzicht bereit erklären, wenn nicht ein Anfang mit der atomaren Abrüstung gemacht würde.
Und an einer anderen Stelle fuhr er fort:
Tatsächlich müßte ein solcher Vertrag nicht nur das Einfrieren der Nukleararsenale, sondern eine effektive Verringerung der Rüstungen mit sich bringen.
Und in einer Schlußbetrachtung kam er zu der Feststellung:
eine eingehende Analyse der Probleme einer vertraglich vereinbarten Atomwaffensperre wird die Tatsache zu berücksichtigen haben, daß ein derartiger Vertrag nicht isoliert gesehen werden kann, sondern im Gesamtrahmen von miteinander verzahnten Maßnahmen der Rüstungskontrolle und Abrüstung steht.
So hörte man es 1966. Eine Analyse des Vertragstextes vermittelt uns heute die traurige Erkenntnis,
daß von all dem praktisch nichts übriggeblieben ist.
Herr Bundeskanlzer, Sie haben nun im SPD-Pressedienst vom 31. Januar dieses Jahres geschrieben — und haben damit eine Formulierung des Kollegen Eppler aus dem vorigen Jahr aufgegriffen —:
Der Vertrag — unvollkommen, wie er sein mag — ist heute der praktische Hebel für das Bemühen um nukleare Abrüstung geworden.
Der Herr Bundesaußenminister hat heute morgen diese Ihre damalige Formulierung wörtlich übernommen, interessanterweise lediglich unter Weglassung der Parenthese: „unvollkommen, wie er" — der Vertrag— „sein mag". Ich muß feststellen, daß ich in dieser Frage völlig entgegengesetzter Auffassung bin. Ich meine vielmehr, daß die Bundesregierung bis zur Unterzeichnung des Atomsperrvertrages gerade mit ihrer in Aussicht gestellten Unterschrift vielleicht letztmalig über eine politisch wirksame Möglichkeit verfügt, von ihren nuklearen Partnern eine Gegenleistung konkreter Abrüstungsverpflichtung zu fordern.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Bundesregierung hat also, Herr Bundeskanzler — um bei Ihrem Vergleich zu bleiben —, bis zur Unterschrift einen Hebel in der Hand und würde mit einer voreiligen Unterschrift diesen Hebel, der zu einer nuklearen Abrüstung angesetzt werden könnte, ohne Gegenleistung verschenken.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Es ist einfach nicht ersichtlich, womit wir die
Nuklearmächte, insbesondere die Sowjetunion, un-



Dr. Kliesing (Honnef)

sererseits zu einer späteren Abrüstungsverpflichtung bewegen könnten, wenn wir uns einmal in die politische und rechtliche Bindung dieses Vertrages begeben haben.
Es ist erstaunlich, wie wenig sich manche Vorkämpfer von Frieden und Abrüstung in der Diskussion über diesen Vertrag zum Anwalt der Nichtnuklearen gemacht haben und wie wenig sie sich gegenüber den Supermächten als berufene Vorkämpfer des Junktims von Nichtverbreitung und Abrüstung erwiesen haben. Denn in Wirklichkeit erhöht der Atomsperrvertrag nicht die Chancen der Abrüstung, sondern er mindert sie, wenn wir mit unserer Unterschrift das einzige Mittel, das wir haben, um die nukleare Abrüstung in Gang zu bringen, aus der Hand geben.
Nun gibt es Leute, die die Illusion propagieren, wenn wir den Vertrag einmal ohne Gegenleistung unterzeichnet hätten, würde das „Klima des Vertrauens" als Vorstufe der Abrüstung entstehen. Es gibt kein Indiz dafür, daß solch ein Optimismus berechtigt ist. Erinnern wir uns: Die Tinte der deutschen Unterschrift unter dem Teststopp-Vertrag war noch nicht trocken, als der sowjetische Außenminister bei der UNO eine unerhört aggressive Rede gegen die Bundesrepublik hielt und damit eine jahrelange weltweite und geradezu ungeheuerliche Diffamierungskampagne gegen die Bundesrepublik forcierte.
Und wie war es im vorigen Jahr? Am 1. Juli 1968 legte u. a. die Sowjetunion diesen Vertragstext vor. Wie lange dauerte es denn, bis sie das, was in der Präambel als Absichtserklärung steht, schon dreimal gröblich verletzt hatte, nämlich durch den Einmarsch in die Tschechoslowakei, durch die Interventionsbehauptung gegenüber der Bundesrepublik und durch die Breschnew-Doktrin?!
Wer die Abrüstung also tatsächlich fördern will und die Dinge nüchtern sieht, muß davon ausgehen, daß man nichts erhält, wenn man alles, was man hat, vorher ohne Gegenleistung verschenkt. Abrüstung setzt nämlich zweierlei voraus: erstens die erkennbare Bereitschaft zum Verzicht auf imperialistisches Machtstreben und zweitens eine positive Einstellung zur Forderung nach gegenseitiger Kontrolle von Abrüstungsmaßnahmen. Beide Voraussetzungen fehlen in der sowjetischen Politik völlig, und es gibt kein Anzeichen dafür, daß sich durch eine baldige deutsche Unterschrift grundsätzlich etwas daran ändern würde.
Es werden sicherlich andere Motive als das der Abrüstung für die Entscheidung der Bundesregierung maßgeblich sein. Worum es mir hier geht, ist, zu verhindern, daß man dem deutschen Volke, das die Abrüstung mit Recht so sehnlich und ehrlich wünscht, den Vertrag dadurch schmackhaft machen will, daß man ihm vormacht, eine baldige deutsche Unterschrift werde uns dem goldenen Zeitalter der Abrüstung näherbringen.
Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung gesagt: Wir werden dem kritischen Bedürfnis nach Information Genüge tun. Ich nehme Sie hier beim Wort. Sagen Sie bitte dem deutschen
Volk, wenn Sie ihm die Unterschrift der Regierung I erklären wollen, hinsichtlich des Abrüstungsvertrages, des Atomsperrvertrages keine Allgemeinheiten. Sprechen Sie bitte nicht von unbeweisbaren klimatischen und atmosphärischen Zukunftserwartungen, sondern bleiben Sie bei der konkreten Wahrheit dessen, was der Text des Vertrages sagt,

(Abg. Dr. Apel: Das ist ja toll! — Weitere Zurufe von der SPD)

damit Sie in unserem Volke keine falschen Hoffnungen erwecken und damit nicht der Illusion, daß eine Abrüstung komme, die grausame Enttäuschung eines unvermindert fortgesetzten Rüstungswettlaufs folgt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0601025700
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0601025800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Bundesregierung hat wie ihre Vorgängerin den Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen mit der Gewissenhaftigkeit, zu der sie verpflichtet ist, im Lichte der deutschen Interessen geprüft. Das Hohe Haus wird diese Prüfung formal zwar erst bei der Ratifizierung vorzunehmen haben, aber niemand wird die Bedeutung der heutigen Debatte unterschätzen. Zur Prüfung im Lichte der deutschen Interessen gehörte selbstverständlich auch die Frage nach den möglichen Folgen eines deutschen Nein. Solche Folgen würden gewiß nicht ohne Wirkung auf die Interessen der Bundesrepublik bleiben. Ich will das hier nicht ausmalen.
Wenn ich das, was bisher in dieser Debatte vorgebracht wurde, richtig verstanden habe, hat sich bisher kein Verfechter eines Nein zu Wort gemeldet. Trotz allem, was unterschiedlich betrachtet wird, ging es in dieser Debatte bisher — ich kann mich nur auf die Debatte, die in diesem Hause geführt wird, beziehen — nicht eigentlich um das Ob, sondern um das Wann

(Abg. Dr. Barzel: Um das Wie! — Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Und um die Bedingungen!)

und um das, was mit dem Blick auf den dem einen oder anderen geeignet erscheinenden Zeitpunkt noch geschehen sollte.
Wenn ich mir wiederum überlege, was bisher in der Debatte vorgebracht worden ist, dann ist es nicht ganz leicht, festzustellen, was nun eigentlich noch geklärt werden soll. Da muß ich zunächst eine prozedurale Frage behandeln. Als ich heute früh Herrn Kollegen Stoltenberg zuhörte, hätte ich fast den Eindruck bekommen können, als wollte er sagen — er wollte es so sich sicher nicht sagen —, es sei unverantwortlich oder rechtlich höchst anfechtbar, bestimmte Klärungen in den Zeitabschnitt — ganz bewußt überlegt — zwischen Unterschrift und Ratifizierung zu verlegen. Wenn dies die Auffassung sein sollte, dann war dies jedenfalls nicht die Auffassung von Herrn Kollegen Birrenbach im Sommer dieses Jahres. Herr Kollege Birrenbach hat am 16. Juni dieses Jahres in einem längeren, sachlich sehr fundierten Schrift-



Bundeskanzler Brandt
stück — wie das immer in seinen Schriftstücken ist —an den Herrn Bundeskanzler, das mir auch zur Kenntnis kam, ausgeführt, wie er die Verhandlungslage sah, und hat in diesem Brief gesagt: „Ich bin der Auffassung —

(Abg. Dr. Dr. h. c. Birrenbach: Das war doch vertraulich!)

— Nein, das kann schon deshalb nicht vertraulich sein, weil es auf eine vertrauliche Kabinettsvorlage von mir Bezug nimmt, die aber inzwischen längst offen ist, Herr Kollege Barzel.

(Abg. Dr. Barzel: Eine Korrespondenz, Herr Bundeskanzler!)

— Dann zitiere ich nicht, sondern sage, worum es in der Sache geht. Herr Kollege Birrenbach hat damals die Auffassung vertreten, daß es zahlreiche Fragen gibt, die erst nach der Unterzeichnung des Vertrages in Verhandlungen mit unseren Partnern eine Regelung finden können, während es andere gibt, die vorher geklärt werden müssen, und zwar hat er solche mit dem Blick auf die Vereinigten Staaten und andere mit dem Blick auf die Sowjetunion genannt — dies ist der Punkt, auf den es mir ankam, doch nicht darauf, irgendeinen Brief vorzulesen, Herr Kollege Barzel —, weil die vorige Bundesregierung diese Erwägungen voll in ihre Überlegungen einbezogen hatte. Jener Katalog über noch zu klärende Fragen, den das Kabinett am 13. August aufstellte, enthält fast alle Punkte, die damals der Kollege Birrenbach vorbrachte, der Katalog enthielt aber nicht die jetzt erneut vorgebrachte Vorstellung, daß der Komplex, der sich aus den Art. 53 und 107 der Charta der Vereinten Nationen ergibt, in diese NV-Debatte mit der Sowjetunion einbezogen werden sollte. Ich sage in diesem Augenblick gar nicht — darauf komme ich gleich erst —, was meiner Meinung nach richtig oder falsch ist, ich sage nur: Diese Regierung ist wie ihre Vorgängerin zu dem Ergebnis gekommen, dem Rat, den Herr Kollege Birrenbach damals gegeben und heute wiederholt hat, nicht folgen zu sollen. Das muß ja nun nicht bedeuten, daß er unrecht hat, er hat nur unserer Meinung nach hierzu ein Verfahren vorgeschlagen, dem wir uns wie die vorige Regierung nicht angeschlossen haben.
Wenn man vom Beiwerk absieht, geht es im wesentlichen um drei Sachpunkte, von denen die Kollegen gemeint haben, diese müßten nun noch weiter geklärt werden. Der erste ist der Komplex der Verifikation. Das darf ich einfach feststellen, ohne Argumente, die schon vorgebracht worden sind, vor allem auch von dem Herrn Außenminister, hier ausdrücklich zu wiederholen. Die Regierung ist hier der Meinung, Herr Kollege Stoltenberg, daß die deutsche Unterschrift, eine nicht zu weit hinausgezögerte deutsche Unterschrift, erst die Voraussetzung dafür schafft,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

das mit unseren Euratom-Partnern in Wien gemeinsam verhandeln zu können.
Zweiter Komplex: europäische Option. Da gehen die Meinungen wohl etwas auseinander. Ich sage
jedenfalls als meine Auffassung und die der Regierung, daß wir es nicht für realistisch halten und aus deutscher Sicht auch nicht für klug halten, zu diesem Punkt und zu dieser Frage über das hinauszugehen, was in der einschlägigen amerikanischen Interpretation gesagt ist,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

nämlich darüber, welchen Grad der Organisiertheit Europa aufweisen muß, um über eine eigene Atomstreitmacht zu verfügen.
Der dritte Komplex ist nun eben der, den ich soeben andeutete: die sich aus den Art. 53 und 107 ergebende Problematik, von der diese Regierung meint — und ich sage noch einmal: wie die vorige meinte —, daß darüber abschließend im Zusammenhang mit dem Gewaltverzicht und nicht im Zusammenhang mit dieser Materie gesprochen werden sollte.
Übrigens in diesem Zusammenhang, Herr Kollege Kliesing: Sie hatten soeben den Herrn Außenminister gerügt, weil die Zeitungen über etwas berichten, was er gestern gesagt hat über vorgesehene Gespräche teils mit der Regierung der Sowjetunion, teils mit der Regierung der Volksrepublik Polen. Dazu darf ich nun sagen: in der Regierungserklärung, die dem Hause am 28. Oktober vorgetragen worden ist und die zwei Tage lang debattiert wurde, steht in meiner Zusammenfassung als Punkt 4:
Die Bundesregierung wird demnächst das sowjetische Aide-mémoire zum Thema Gewaltverzicht beantworten und einen Termin für die von der Sowjetunion angeregten Verhandlungen in Moskau vorschlagen.
Und in Punkt 5:
Sie wird der Regierung der Volksrepublik Polen einen Vorschlag zur Aufnahme von Gesprächen zugehen lassen.
Genau dies hat der Außenminister gestern mit Zeitungsleuten erörtert, und dies bedurfte keiner ergänzenden Darstellung vor dem Plenum des Bundestages.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0601025900
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Barzel?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0601026000
Bitte!

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0601026100
Herr Bundeskanzler, würden Sie es nicht für förderlich gehalten haben, nachdem in der Debatte über die Regierungserklärung Einzelheiten zu diesen beiden Punkten auf Wunsch der Regierung nicht erörtert worden sind, wenn über diese beiden Punkte Montag abend bei dem Kooperationsgespräch bei Ihnen durch den Herrn Außenminister berichtet worden wäre und die Opposition nicht gestern über diese Frage unklare Zeitungsmeldungen hätte lesen müssen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0601026200
Ich kann Ihnen insofern nicht ganz recht geben, Herr Kollege Barzel, als die



Bundeskanzler Brandt
Zeitungen zur Sache wirklich nichts anderes sagen, 1 als am 28. Oktober gesagt worden ist. Ich kann Ihnen zweitens nicht ganz recht geben, weil das Gespräch vom Montagabend ja Gott sei Dank nicht das letzte gewesen sein wird, das die Spitze der Regierung mit den Herren Fraktionsvorsitzenden geführt hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0601026300
Eine Zusatzfrage.

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0601026400
Darf ich den letzten Satz so verstehen, Herr Bundeskanzler, daß Sie selber das Bedürfnis empfinden, über diese beiden Fragen so bald wie möglich auch mit der Opposition zu sprechen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0601026500
Genau das hatte ich soeben sagen wollen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0601026600
Ich bedanke mich sehr herzlich.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0601026700
Eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kliesing.

Dr. Georg Kliesing (CDU):
Rede ID: ID0601026800
Herr Bundeskanzler, da Sie mich selbst angesprochen haben, möchte ich Sie fragen: Ist es Ihnen entgangen, daß ich nicht so sehr nach diesen Verhandlungen mit Moskau an sich gefragt und da keineswegs das Verhalten des Herrn Bundesministers kritisiert habe, sondern daß das Neue, was durch die Pressekonferenz eingeführt worden ist, laut dpa doch ist, daß nach Andeutungen von Bundesaußenminister Walter Scheel diese Verhandlungen praktisch vor der Tür stehen, daß er angekündigt hat: in aller Kürze? Das war das Neue, was, wie ich vorhin gesagt habe, die Aktualität der heutigen Debatte gesteigert hat.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0601026900
Ich glaube, darüber brauchen wir uns weiter gar nicht zu streiten; wir haben ja auch noch nicht ernsthaft gestritten. In der Regierungserklärung stand: demnächst, Herr Kollege. Das ist auch von heute aus gesehen nicht eine Festlegung auf morgen früh; aber demnächst, nicht irgendwann in einer fernen Zukunft.
Meine Damen und Herren! Auch die vorhergehenden drei Bundesregierungen haben — das muß noch einmal in Erinnerung gerufen werden — zur Nichtverbreitung von Atomwaffen eine grundsätzlich positive Haltung eingenommen. Die Bundesregierung hat schon unter den Kanzlern Adenauer, Erhard und Kiesinger ihr Interesse an einem weltweit annehmbaren Vertrag betont und sich bemüht, auf die Vertragsgestaltung Einfluß zu nehmen. Es kann nach dem Verlauf der Debatte für mich auch keinem Zweifel unterliegen, daß diese positive Grundhaltung von den Fraktionen des Hauses weiter mitgetragen wird.
Im übrigen wird wohl niemand so tun wollen, als hingen alle Übel dieser Welt mit der NV-Problematik zusammen. In Wirklichkeit handelt es sich um tatsächliche oder vermeintliche Übel, mit denen wir es auch dann zu tun hätten, wenn über NV überhaupt nicht debattiert werden würde. Man kann eben wirklich fragen, ob es besser stehen würde um den Frieden in der Welt, um die Einigung Europas, um die Fragen unserer Nation, um die Chancen unserer friedlichen Nutzung der Kernenergie, wenn es diese NV-Debatte, die Debatte um das Zustandekommen dieses Vertrages nicht gäbe. Dann stünde es um all diese Dinge natürlich nicht besser.
Aber nun will ich zugeben, daß sich nicht nur bei uns, sondern auch an manchen anderen Stellen in der Welt mit dem Nichtverbreitungsvertrag Hofnungen und Befürchtungen verbinden und daß in der internationalen Debatte frühzeitig zwei Denkrichtungen hervorgetreten sind.
Die eine Denkrichtung ist der Auffassung, daß ein solcher Vertrag die Privilegien einiger weniger bevorrechtigter Staaten verfestigt, daß diese den anderen Staaten legitime Selbstverteidigungsmittel vorenthalten und deren Souveränität zu diesem Zweck beschränken möchten. Der Vertrag, so hört man — ich sage noch einmal: nicht nur bei uns —, sei Ausdruck einer Überheblichkeit der Kernwaffenmächte, er sei nicht ausgewogen, sei eine ungeheuerliche Zumutung einiger weniger an die überwiegende Mehrheit der Staaten.
Die andere Denkrichtung sieht in dem Vertrag einen Ausdruck gemeinsamer, wenn auch gewiß noch recht unzulänglicher Bemühungen, mit den Problemen der modernen Welt fertigzuwerden. Die andere Denkrichtung meint, in dieser Zeit veränderten sich die Beziehungen der Völker zueinander stärker als je zuvor, und Begriffe wie „Macht" und „Sicherheit" gewönnen eine neue Qualität. Die Nichtverbreitung von Kernwaffen ist aus dieser Sicht ein
und jetzt wiederhole ich, was vorhin von Herrn Kliesing zutreffend zitiert wurde —, wenn auch noch so unzulängliches Instrument auf dem Wege zur Sicherung des Friedens in der Welt und einer weltweiten Sicherheit, weil hierdurch doch die Gefahr verringert werden kann, daß eine dieser Waffen durch Zufall, durch bösen Willen oder Fehlkalkulation zum Einsatz kommt. Anhänger dieser Denkrichtung würden es gewiß begrüßen, Herr Kollege Kliesing, wenn man schon zu einem überzeugenderen Ergebnis gelangt wäre und heute schon eine unmittelbare Beschränkung der nuklearen Rüstungen derer, die sie haben, eintreten würde. Aber, so wird man hinzufügen dürfen, der Vertrag stellt als Kompromiß das unter den gegebenen Umständen Optimale dar. Fast jeder Vertrag ist ein Kompromiß; das gilt schon bilateral und multilateral erst recht.
Auch die Bundesregierung ist sich wie wohl alle Partner dessen bewußt, daß der Vertrag ein mühsam erzielter Kompromiß ist, ein Kompromiß zwischen Kernwaffenmächten, Nichtkernwaffenmächten, sich konfrontierenden Allianzen, ungebundenen Ländern, Entwicklungsländern und hochindustrialisierten Staaten.
Ein Kompromiß kann niemanden voll befriedigen. Das liegt in seinem Wesen. Aber im ganzen ist die-



Bundeskanzler Brandt
ser Vertrag doch ein hoffnungsvoller Versuch, der Versuch der Staatengemeinschaft — es sind jetzt schon an die hundert Staaten, und es werden mehr werden —, einiger ihrer besonders komplizierten Probleme gemeinsam Herr zu werden.
Nun ist in den acht Jahren intensiver Verhandlungen nach menschlichem Ermessen alles ausdiskutiert, was an Implikationen zu bedenken war. Die Verhandlungsgeschichte kaum eines anderen Vertragswerks kann mit diesen acht Jahren verglichen werden. Alle oder fast alle denkbaren Fragen sind in den beteiligten Ländern und in internationalen Organisationen aufgeworfen, verhandelt und beantwortet worden. Bei vollem Respekt vor der hier weitergehenden Debatte im Deutschen Bundestag: auch in der heutigen Debatte dieses Hohen Hauses werden kaum noch wirklich neue Gesichtspunkte aufkommen können.

(Zustimmung bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, von einer überhasteten Behandlung kann nun wahrhaftig keine Rede sein. Da denke ich nicht nur an die acht Jahre der internationalen Debatte, sondern auch an die drei Jahre seit jenem 16. Dezember, als der damalige Außenminister Dean Rusk mich in Paris in die dortige amerikanische Botschaft bat und mir und damit der Bundesregierung den ersten Entwurf der Amerikaner und der Russen zu den Art. I und II zur Kenntnis brachte. Das sind drei lange Jahre gewesen. Ich muß auf Grund meiner Kenntnis der Materie sagen, daß uns ein Hinauszögern des jetzt möglichen und fälligen Schrittes keinen Vorteil, sondern eher Nachteile bringen könnte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es ist gesagt worden — Herr Kollege Kliesing —, man sollte in diesem Hohen Haus und damit zugleich in der deutschen Öffentlichkeit keine Illusionen wecken, sondern über das sprechen, um das es wirklich geht. Da lassen Sie mich auch den Punkt erwähnen, der immer wieder — wenn auch nicht heute — in der Debatte hochkommt, als stecke dahinter so etwas wie ein Stück eines antideutschen Komplotts. Meine Damen und Herren, die Initiative — darauf hat Herr Kollege Rutschke heute morgen schon hingewiesen — ging damals bekanntlich von den Iren aus, vom neutralen Irland, dem man alles andere als Deutschfeindlichkeit nachsagen kann. Irland brachte 1961 eine entsprechende Resolution in den Vereinten Nationen ein. Die ganz überwiegende Mehrheit aller Staaten hat diese Initiative begrüßt und die Resolution gutgeheißen. Es trifft also schon von diesem Ausgangspunkt her einfach nicht zu, daß es sich hier um eine Art von Verschwörung der Weltmächte oder anderer gegen uns Deutsche gehandelt habe. Wir sollten uns insoweit auch nicht falsch einrangieren und uns auch nicht von Zwangsvorstellungen leiten lassen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich habe selbst immer bedauert, daß die im Prinzip positive Haltung, die schon frühere Bundesregierungen zeigten, durch Schlagworte wie „atomare Komplizenschaft" oder „Super-Jalta" grob entstellt wurde. Wenn sich die Mehrheit der Staatengemeinschaft für den Vertrag entschieden hat, so gewiß nicht wegen einer antideutschen Einstellung. Alle diese Länder nehmen, sofern sie — und das sind die allermeisten — Nichtkernwaffenmächte sind, die gleichen Beschränkungen auf sich wie wir. Auch das muß hier einmal festgehalten werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Hinzu kommt, daß die Bundesrepublik Deutschland — was in diesen Zusammenhang gehört — 1954 auf Herstellung und Verwendung von atomaren, biologischen und chemischen Waffen verzichtet hat. Insoweit kann man sagen, ein weltweiter Vertrag bringt die anderen Länder, die vielen, die heute noch nicht Kernwaffenmächte sind, dortin, wo wir bereits seit langem stehen. Das ist die Lage.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Noch deutlicher: dieser Vertrag mit all seinen Unzulänglichkeiten ist für uns in größerem Maße als für irgendeinen anderen ein Element der Gleichberechtigung der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Im übrigen will ich hier in aller Deutlichkeit festhalten, daß ich mich vor und nach meiner Wahl zum Bundeskanzler konsequent an die vier Maßstäbe gehalten habe, die ich im April 1967 an dieser Stelle aufstellen durfte, Der Außenminister hat sich ausführlich darauf bezogen. Ich brauche mich darauf jetzt nur zu berufen. Ich möchte hier aber auch nicht unausgesprochen lassen, daß die Bundesregierung bei den Verbündeten, vornehmlich bei den Vereinigten Staaten von Amerika, aber auch bei anderen befreundeten Nationen, für ihre Wünsche großes Verständnis gefunden hat. Ich hielte es für unangemessen, auch nicht dies anerkennend vor dem Deutschen Bundestag zu würdigen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Weil die Verbündeten und gerade auch der Hauptverbündete sich soviel Zeit genommen haben, konnte die Bundesregierung, obgleich nicht in Genf an der Abrüstungskonferenz beteiligt, auf die Gestaltung des Vertragswerks Einfluß nehmen. Der Vertrag ist jetzt ein anderer als der ursprüngliche Entwurf. Er läßt sich nicht mehr mit den ersten Fassungen vergleichen. Hinzu kommen die Interpretationen, und was sonst noch inzwischen zu diesem Vertragswerk gehört.
Der Bundesminister des Auswärtigen hat in Ergänzung der schriftlichen Beantwortung der Großen Anfrage der CDU/CSU bereits erläutert, aus welchen Gründen die Bundesregierung nach den jüngsten Verhandlungen vor allem mit den USA, aber auch mit der Sowjetunion der Auffassung ist, daß unsere Belange, mit denen wir im übrigen nicht allein stehen, nunmehr geschützt sind, soweit es — diese Hinzufügung ist wichtig — überhaupt mit Vertragsworten, Interpretationen und Erklärungen möglich ist.
Ich will jetzt nicht darüber streiten, ob es richtiger gewesen wäre, schon etwas eher zu einer abschließenden Würdigung zu gelangen. Meine Meinung dazu habe ich früher gesagt. Ich meine, wir sollten uns alle bemühen, den Eindruck von Rechthaberei



Bundeskanzler Brandt
zu vermeiden. Deshalb will ich nicht auf dem herumreiten, was auch schon früher dazu hätte gemacht werden können. Allerdings zeigen die Tatsachen, wie sie mir vorliegen, was wir in den letzten Wochen geklärt haben, das hätten wir auch schon ein bißchen früher klären können,

(Abg. Wehner: Sehr wahr!)

wenn wir es hätten klären wollen. Wir sind jeder sachlichen Frage und Anregung nachgegangen nach den Beschlüssen des vorigen Kabinetts, und wir denken auch heute nicht daran, diese Sache auf die leichte Schulter zu nehmen. Wir wissen, mit diesem Vertrag werden wir alle leben müssen.
Herr Kollege Birrenbach hat in diesem Zusammenhang eine Anzahl von Sorgen ausgesprochen. Ich hoffe, daß für Sie, verehrter Herr Kollege, und andere, die Ihre Sorgen teilen, meine sich darauf jetzt beziehenden Ausführungen nicht ohne Belang sein werden. Zunächst einmal beinhaltet der deutsche Beitritt zum NV-Vertrag, daß die Bundesrepublik Deutschland in der Tat indirekt gegenüber der Sowjetunion, wie es gegenüber den drei Westmächten schon direkt geschehen ist, auf den Besitz und darüber hinaus den Erwerb von Atomwaffen verzichtet. Nach bisherigem Stand hat die Sowjetunion gar nicht damit gerechnet, daß wir uns um den Erwerb bemühen würden. Aber davon geht keiner der drei Beteiligten aus. Das ist die Lage. Die Bundesregierung hält diese zusätzliche Festlegung nicht für ein Unglück, sondern eben dies entspricht ihrem Willen, und hierin sind wir uns sicher alle einig.
Herr Kollege Birrenbach hat dann die Forderung
aufgestellt, daß die Grundlage unseres Verhältnisses zur Sowjetunion die volle Gültigkeit des Art. 2 der Charta der Vereinten Nationen sein sollte. Mit dieser Forderung stimme ich überein und stimmt die Regierung überein, für die ich spreche. Dabei wissen wir, Herr Kollege Birrenbach, daß auch gegenüber den drei Westmächten die Art. 53 und 107 der Charta der Vereinten Nationen noch auf dem Papier stehen, jedenfalls nicht einmal durch den Deutschlandvertrag, wenn man es so nennen will, außer Kraft gesetzt worden sind. Wir haben uns allerdings mit unseren westlichen Verbündeten darüber verständigt, daß sie sich auf diese Artikel nicht mehr berufen werden. Das ist die Veränderung, die dort eingetreten ist.

(Abg. Dr. Dr. h. c. Birrenbach: Entscheidend! — Abg. Dr. Stoltenberg: Entscheidende Veränderung!)

Der Genauigkeit halber sage ich nicht nur dies zur Charakteristik der Lage, sondern schließe daran an: ich gehe davon aus, daß der Kollge Birrenbach genauso wie ich selber wünscht, daß wir unser Verhältnis zur Sowjetunion auf eine adäquate Basis stellen.

(Abg. Dr. Dr. h. c. Birrenbach: Einverstanden! Eindeutig!)

Das ist die Aufgabe. Dies ist aber nach unserer Überzeugung nicht im NV-Vertrag zu regeln.

(Abg. Dr. Dr. h. c. Birrenbach: Da liegt der Unterschied!)

In diesem Punkte hat der Kollege Birrenbach eine Auffassung vertreten, die nicht neu ist — ich deutete es schon an , die er schon früher vorgebracht hat und die das Kabinett unter Bundeskanzler Kiesinger sich nicht zu eigen gemacht hat. Ich lehne sie in dieser Form zu diesem Zeitpunkt oder, besser gesagt, in diesem Zusammenhang auch ab. Die gegenwärtige Bundesregierung hält es wie ihre Vorgängerin nicht für opportun, diese Frage im Zusammenhang mit dem NV-Vertrag abschließend klären zu wollen.
Wir haben von der Sowjetunion — das darf ich nun aber hinzufügen — in der Tat etwas bekommen, Herr Kollege Birrenbach. Wir haben es schriftlich, in einer verpflichtenden Form, daß auch die Sowjetunion die Bundesrepublik Deutschland als ein Land betrachtet, für das ebenso wie für jeden anderen Partner des NV-Vertrages das Recht auf Selbstverteidigung gilt. Das steht in der Resolution 255 des Sicherheitsrates, und dies gilt im Verständnis der Sowjetregierung auch für uns, obwohl wir bekanntlich nicht Mitglied der Vereinten Nationen sind.
Wenn man nun sagt, da gebe es bekanntlich doch die Möglichkeit des Vetos im Sicherheitsrat, dann antworte ich: natürlich gibt es die; das wird auch durch den NV-Vertrag nicht abgeschafft. Aber ich füge hinzu: ich verlasse mich, wenn von der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland heute und mor- gen die Rede ist, in der Tat nicht auf diese Resolution des Sicherheitsrates,

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

sondern ich verlasse mich auf das Bündnis, wenn es um die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland geht.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

In Verbindung mit einem Teil der Ausführungen des Kollegen Kliesing zu eben diesem Punkt kann ich dem Hohen Hause mitteilen, daß die von der früheren amerikanischen Regierung abgegebene Erklärung, Interventionen, gleichgültig, mit welcher Begründung und unter welchem Vorwand sie stattfinden, stellten den Bündnisfall dar, gegenüber der gegenwärtigen Bundesregierung voll bestätigt wird. Der amerikanische Außenminister wird bei der deutschen Unterschrift eine entsprechende Erklärung abgeben. Ebenso wird die amerikanische Auffassung vom Zusammenhang zwischen NV-Vertrag und NATO erneut bestätigt werden.
Ein kleiner Irrtum war heute früh entstanden, Herr Kollege Birrenbach. Nicht die Bundesregierung hatte den Wunsch geäußert, zu ein paar zusätzlichen Aspekten den Ausschüssen Aufklärung zu geben, sondern dies war ein Wunsch, der von verbündeter Seite — wenn man so sagen darf: hauptverbündeter Seite — uns gegenüber geltend gemacht worden war.

(Abg. Dr. Dr. h. c. Birrenbach: Ich habe dies aus Delikatesse so gesagt!)

--- Vielen herzlichen Dank.
Sie sprachen dann auch von der Befürchtung, der NV-Vertrag könnte das Bündnis zerstören. Ich



Bundeskanzler Brandt
hoffe, ich kann diese Ihre Befürchtung durch folgendes ausräumen: Genau an dem Tag, an dem Sie diese Befürchtung aussprechen, erreicht mich zu meiner Freude aus Washington die Nachricht meines Kollegen Verteidigungsminister, der dort das schwierige Geschäft von Herrn Kollegen Schröder in bezug auf die NPG, die Nuclear Planning Group, weiterführt. Die Herren, die dort mit ihm sind, sagen, man habe gerade in der jetzigen Situation, in diesem Augenblick, einen Fortschritt in bezug auf dieses Stück gemeinsamer Verteidigungspolitik erzielt, einen Fortschritt auf der 6. Tagung, wie er bei den fünf voraufgegangenen leider noch nicht zu erzielen gewesen war.
Im übrigen will ich auch gar nicht — wenn wir über diese Fragen etwas hinwegdenken — meinen Zweifel angesichts der Frage verhehlen, ob Kernwaffenbesitz für die Jahre, in die wir hineingehen, überhaupt wünschenswert oder nützlich ist. Kernwaffenfreiheit kann, wenn es die Sicherheitslage zuläßt, auch als Privileg gesehen werden. Der Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen über die Folgen des Besitzes und des Einsatzes von Kernwaffen vom 10. Oktober 1967 sieht es so. Meine Damen und Herren, Macht und Sicherheit, ihre Interdependenz, ihre Relativierung und Neudefinition in dieser Welt sind erst noch richtig zu erfassen. Da sind wir alle wohl noch erst dabei, das in den Griff zu bekommen, wenn es uns gelingt, und zu den nationalen und kollektiven Interessen sind diese Faktoren in eine aktuelle Beziehung zu setzen. Dies ist übrigens eines der wichtigsten Aufgabengebiete für die deutsche Friedensforschung, von der in der Regierungserklärung die Rede war.
Die Bundesregierung begreift ihre positive Haltung zum Nichtverbreitungsvertrag jedenfalls als Beitrag zu einer umfassenden nüchternen, illusionslosen — jawohl — Friedenspolitik, die natürlich aber nicht im Alleingang zum Erfolg geführt werden kann. Vor allem die Kernwaffenmächte sind aufgefordert, konkrete Schritte zu tun, um durch eine vereinbarte Begrenzung und Reduzierung ihres nuklearen und konventionellen Potentials die Welt sicherer zu machen. Unsere Aufgabe und die Aufgabe aller Nichtkernwaffenstaaten ist es, sie aus dieser Verpflichtung nicht zu entlassen. Gerade deshalb begrüße ich im Anschluß an das, was der Kollege Bußmann gesagt hat, auch meinerseits die am 17. November in Helsinki beginnenden Gespräche zum Thema SALT, wie die Angelsachsen sagen, d. h. die Gespräche über die Begrenzung strategischer Rüstungen.
Ich verstehe die Skepsis von Herrn Kliesing nach all dem, was unsere Generation erlebt hat. Diejenigen von uns, die alt genug sind, haben davon noch ein bißchen aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen mitbekommen, und dann kam all das andere dazu. Ich verstehe die Skepsis, und trotzdem ist dies ein möglicher Einstieg.

(Abg. Wehner: Sehr wahr!)

Trotzdem darf man nicht auf die Möglichkeit ver-
zichten, daß dies zu einem praktischen Hebel werden
könnte. Wenn wir darauf verzichteten, würden wir
nicht nur um eine Hoffnung ärmer, sondern auch mit unserer Meinung im Bündnis alleinstehen, und das möchte ich auch nicht bei der Behandlung dieser Frage.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Im übrigen fürchte ich, daß Herr Kollege Kliesing übersehen hat, daß die wichtigen Fragen, die er vorgebracht hat, im Katalog der beiden Fraktionen, Ihrer Fraktion und der SPD-Fraktion, vom Frühjahr enthalten waren und dort auch im einzelnen beantwortet wurden. Sie waren jetzt nicht Gegenstand der Großen Anfrage und fanden deshalb auch keine Erwähnung in der Antwort der Bundesregierung. Seither hat sich zu diesem Komplex, Herr Kollege Kliesing, nur geändert, daß am 17. November die Gespräche in Helsinki beginnen. Wer die Ungleichheit zwischen Kernwaffenmächten und Nichtkernwaffenmächten im Prinzip ablehnt — was man gern möchte —, der muß im Prinzip den NV-Vertrag ablehnen. Aber das tun wir doch alle miteinander nicht.
Wir haben ein ganz spezifisches Interesse daran, gerade auf nuklearem Gebiet Fehldeutungen der deutschen Politik auszuschließen. Dies gilt übrigens gerade auch in Verbindung mit dem Begriff „Verfügungsgewalt", zu dem die Regierung in ihrer Antwort eine besondere Feststellung getroffen hat. Ich bitte zu würdigen, was in diesem Zusammenhang in bezug auf die Allianz festgestellt worden ist und daß wir hierzu in den Ausschüssen gern noch ergänzende Auskünfte geben wollen. Ich füge die herzliche Bitte hinzu, die Bedeutung dieser Debatte nicht zu reduzieren, einmal zu reduzieren durch unangebrachtes Mißtrauen gegenüber unseren Verbündeten und andererseits durch den Eindruck, als seien wir doch auf etwas aus, was wir erstens gar nicht wollen und was uns zweitens keiner gibt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir haben ein besonderes Interesse an der Kooperation mit anderen Staaten, die als Nichtkernwaffenmächte in einer vergleichbaren Situation sind. Daß unsere Haltung zum NV-Vertrag dem Frieden und der Entspannung dienen soll, dürfte nirgends angezweifelt werden können.
Als der italienische Außenminister im Januar dieses Jahres in gleicher Angelegenheit vor sein Parlament trat, da sagte er, er sei überzeugt, Italien werde durch seinen Beitritt zu diesem Vertrag nicht schwächer, sondern in Wirklichkeit stärker werden. Dasselbe gilt nach meiner Überzeugung auch für die Bundesrepublik Deutschland.

(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Beifall bei Abgeordneten der FDP.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0601027000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0601027100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich an dieser Stelle der Debatte auf wenige Punkte beschränken; den übrigen Fortgang der Debatte werden andere, sachverständigere Kollegen bestreiten.



Dr. Barzel
Wir begrüßen, daß in der nächsten Woche in Helsinki die SALT-Gespräche beginnen, und wir hoffen, daß sie ein Klima schaffen, in dem der Abbau von Spannungen in Mitteleuropa erleichtert werden kann; denn dies bleibt die Hauptsorge der Deutschen.
Herr Bundeskanzler, zu einigen Punkten dessen, was Sie hier vorgetragen haben! Erstens. Sie haben in einem Ihrer ersten Sätze gesagt, dieser Bundestag werde „formal" erst bei der Ratifizierung votieren. Das ist ein interessanter Satz. Das bedeutet, daß diese Debatte einen großen Rang bekommt, und daß bedeutet zugleich, welcher Rang der Absicht der Bundesregierung zukommt, bald — „zügig", wie Sie uns gesagt haben — eine Unterschrift zu leisten. Dies zwingt natürlich die Opposition, die Punkte, in denen sie Bedenken hat, entweder in diesem Hause voll auszusprechen oder sie im Ausschuß zu erörtern. Es zwingt die Opposition auch, weiterhin davon auszugehen, daß das gilt, worin wir übereingekommen sind, nämlich: daß die Bundesregierung warten wird, bis dieses Haus und seine Ausschüsse ihre Befassung mit der Sache abgeschlossen haben. Das erscheint mir sehr wichtig.
Der bisherige Gang der Debatte und Ihre Intervention eben, Herr Bundeskanzler, machen doch deutlich, daß noch manches zu besprechen ist. Ich will manche Frage hier gar nicht stellen. Aber ich meine, wir müßten doch etwas mehr wissen über die Frage, was mit der Sowjetunion im Zusammenhang mit diesem Thema besprochen worden ist, was noch besprochen werden soll, was nicht mit der Sowjetunion besprochen worden ist oder nicht mit der Sowjetunion besprochen werden soll. Auch das kann in den Ausschüssen geschehen, wenn dies gewünscht wird.
Wir begrüßen, daß die Regierung erklärt hat, sie werde alles, was die Opposition — sei es hier, sei es im Ausschuß, sei es in anderen Gesprächen — hierzu sagt, würdigen und in ihre Entscheidung einbeziehen. Im Hinblick auf diese Erklärung findet die Debatte am heutigen Tag statt. Ich denke, sie ist bis zur Stunde eine Debatte, in der sachlich gerungen wird, in der Argumente pro und kontra auf den Tisch gelegt werden, in der die eine Frage beantwortet worden ist, die andere noch nicht, in der aber eine abschließende Würdigung noch nicht möglich ist,

(Sehr richtig! in der Mitte)

weil noch nicht alles ausgesprochen und noch nicht alles mitgeteilt worden ist.
Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, wirklich eine breite Basis für diese Politik suchen, müssen Ihre Anstrengungn breit, geduldig, sachlich und so sein, daß man Argument für Argument nehmen und es dann als erledigt oder nicht erledigt betrachten kann, um zu einer abschließenden Gesamtwürdigung zu kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU.) Das ist das eine, was ich hier sagen wollte.

Das zweite. Der Herr Bundeskanzler hat am Schluß seiner Ausführungen — Sie werden mir erlauben,
ganz ruhig zu sagen, daß ich das für überflüssig hielt, weil dafür in diesem Hause kein Adressat vorhanden ist, wie Ihnen, Herr Bundeskanzler, bekannt sein muß; ich weiß nicht, wen Sie damit gemeint haben — eine Mahnung ausgesprochen. Die deutsche Politik müsse, so sagten Sie, „Fehldeutungen vermeiden", und zwar vor allem auf dem atomaren Gebiet.

(Sehr gut! bei der SPD.)

— Lassen Sie mich doch dazu etwas sagen! Es ist, denke ich, hilfreich für Deutschland, wenn sich die Opposition hier so einläßt. — Wir müssen, so sagte der Kanzler, den Eindruck vermeiden, als sei die Bundesrepublik Deutschland auf etwas aus, was sie nicht bekommen werde. So ungefähr hieß es.
Herr Bundeskanzler, wen meinen Sie eigentlich damit? Dieses Haus, der vorige 5. Bundestag, hat am 26. September 1968 einstimmig — ich darf für die Fraktion der CDU/CSU des 6. Deutschen Bundestages sagen, daß dieses Votum unverändert fort-gilt —folgendes beschlossen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich darf es mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren — es handelt sich um die berühmte Entschließung, die hier oft eine Rolle gespielt hat —:
Der Deutsche Bundestag tritt für internationale Vereinbarungen über gleichwertige Maßnahmen zur Rüstungskontrolle, Rüstungsbegrenzung und Abrüstung ein. Die Bundesrepublik Deutschland hat gegenüber ihren Bündnispartnern auf die Herstellung von atomaren, biologischen und chemischen Waffen verzichtet und sich entsprechenden internationalen Kontrollen unterworfen. Sie strebt keine nationale Verfügungsgewalt über Atomwaffen und keinen nationalen Besitz an solchen Waffen an.
Dies gilt für uns fort, und deshalb war diese Mahnung sicherlich an eine Adresse außerhalb des Hauses gerichtet.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Unsere Besorgnis, Herr Bundeskanzler und Herr Außenminister, ist folgende. Das Neue dieses Vertrags — ich sage das in NV-Debatte auf NV-Debatte für diese Fraktion — ist doch, daß wir eine rechtsförmliche Verpflichtung auch gegenüber der Sowjetunion eingehen.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Die Frage, die wir zu stellen haben werden, heißt: Ist diese Verpflichtung so konkret und so bekannt und so unzweideutig, daß eine Situation entsteht, in der ein definitives Urteil für jeden, der bei einem praktisch unbefristet geltenden Vertrag Verantwortung für kommende Generationen übernimmt, möglich ist?
Sehen Sie, Herr Kollege Raffert, wenn ich den Vorzug gehabt hätte, mit Ihnen und mit anderen in Neu-Dehli gewesen zu sein, hätte der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der CDU/CSU entsprechend den Einlassungen dieser Fraktion und beider Parteien bei der IPU natürlich ja zur Nonproliferation gesagt. Aber das heißt doch nicht, daß für Deutschland alle Voraussetzungen erfüllt sind; denn dies



Dr. Barzel
ist das einzige Land der Welt, das sich einer Interventionsanmaßung der Sowjetunion ausgesetzt sieht. Dieses Thema muß vom Tisch, meine Damen und meine Herren.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. —Abg. Raffert: Was hat denn das mit dem Vertrag zu tun, Herr Barzel? Das steht so oder so darin!)

— Was das mit dem Vertrag zu tun hat? Das ist in der Debatte deutlich geworden, und es wird weiter deutlich werden, Herr Raffert; wir führen die Debatte.

(Zuruf von der SPD.)

— Ich habe jetzt nicht die Absicht, eine Zwischenfrage zu gestatten, und bitte sehr um Verständnis.

(Erneuter Zuruf von der SPD.)

— Es ist das zweite Mal, daß ich eine Zwischenfrage ablehne. Ich habe sie einmal einem Kollegen, als eine persönliche Sache zu bereinigen war, abgelehnt. Ich möchte hier in Ruhe noch ein paar Punkte ansprechen. Die Redezeit für die Opposition ist an diesem Tage knapp genug. Das haben Sie früher oft genug beklagt.

(Lachen bei der SPD )

Der dritte Punkt, Herr Bundeskanzler — und ich sehe dabei auch den Herrn Außenminister an im Hinblick auf das, was er über eine Wiener Erklärung meines Freundes Stoltenberg gesagt hat, wozu Herr Stoltenberg sich mit Recht geäußert hat —: Der Bundeskanzler fing an, von einem Brief meines Kollegen Birrenbach zu sprechen, und hat das dann freundlicherweise nicht ganz zu Ende geführt. Es ist sicher nicht Ihre Absicht, aber bei denen, die zuhören, und die Vorgänge dieser Jahre und Monate nicht kennen, wird so der Eindruck erweckt: Na, ist das eigentlich alles so eine Richtung, und wird überall dasselbe gesagt? — Es ist wohl nicht Ihre Absicht, aber der Eindruck könnte entstehen. Damit er nicht entsteht, Herr Bundeskanzler, habe ich mir — und dies ist ein Kompliment für das Archiv der Bundestagsfraktion der CDU/CSU — den Brief von Herrn Birrenbach vom 16. Juni beschafft. Und da dieser Brief — —

(Zurufe von der SPD.)

— Sicherlich, es ist etwas anderes, wenn ein Absender die Ermächtigung gibt, einen Brief zu verlesen, als wenn ein Empfänger von einem Brief Gebrauch macht. — Da dieser Brief, wie es ausdrücklich heißt, im Auftrag des Fraktionsvorsitzenden geschrieben worden ist, möchte ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einige Sätze aus diesem Brief vorlesen. Es heißt — —

(Wiederholte Zurufe von der SPD.)

— Haben Sie nicht gemerkt: es ist etwas anderes, wenn Sie mir einen Brief schreiben, was Sie dann mit dem Brief machen, oder wenn ich als Empfänger hingehe. Das ist ein Unterschied. Ich glaube, das ist klar. — Es heißt dort:
Die Vorschläge der Kabinettsvorlage von Bundesaußenminister Brandt scheinen mir im ganzen gesehen nicht annehmbar zu sein. Herr
Brandt wünscht eine Verbesserung der NV-Regelung auf eine Zeit nach der Unterzeichnung des Vertrages vertagen zu wollen. Ich bin demgegenüber der Auffassung, daß es zwar zahlreiche Fragen gibt, die erst nach der Unterzeichnung des Vertrages in Verhandlungen mit unseren Partnern eine Regelung finden können, daß aber andererseits gewisse Punkte bereits vor Unterzeichnung des Vertrages — sei es mit unseren westlichen Partnern, insbesondere den Vereinigten Staaten, sei es mit der Sowjetunion — verhandelt werden müssen.
So weit dieses Zitat.
Wenn jemand genau wissen möchte, welche Fragen vorher und welche nachher zu verhandeln sind, dann möchte ich bitten, Herr Bundeskanzler, in dem Vermerk über das Gespräch mit der Fraktion der CDU/CSU bei Ihnen als Außenminister nachzusehen — ich glaube, vom April —, wo ganz genau gesagt ist, welche Fragen vor einer etwaigen deutschen Unterschrift und welche hinterher zu klären seien. Eines kann ich hier schon sagen: es war und ist die unveränderte Auffassung der Bundestagsfraktion der CDU/CSU, daß vor einer definitiven Festlegung der deutschen Haltung die Frage, die der Bundeskanzler Kiesinger „unser Verhältnis zur Sowjetunion" genannt hat und über die mein Freund Guttenberg nachher im einzelnen sprechen wird, geklärt sein muß.
Der vierte Punkt. Ich habe leider der Jungfernrede des sozialdemokratischen Kollegen Bußmann nur am Lautsprecher zuhören können. Ich fand, es war eine bedeutsame Rede. Ich möchte auf diese Rede zurückkommen, Herr Bußmann, weil es bedeutsam war und weil dort ein Satz war — —

(Zuruf von der SPD.)

— Er hört es in der Übertragung; ich mache gar keinen Vorwurf. — Er sagte — und da stimme ich nicht mit ihm überein —, wir sollten hier „nicht juristische Scheinprobleme hochspielen". Er hat dem das gegenübergestellt, was er „Realpolitik" nannte. Was sind juristische Scheinprobleme? Ich möchte einmal Herrn Bußmann eine Frage stellen. Vielleicht antwortet jemand anders; das beste wäre natürlich, Sie würden antworten, Herr Bundeskanzler, aber ich will es einmal so herum versuchen. In Art. II dieses Vertrages wird beschrieben, welche Verpflichtung wir übernehmen, und ich darf mit Genehmigung des Präsidenten diesen Artikel in die Debatte einführen:
Jeder Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen und sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen, . .
Wenn mir in diesem Hause jemand sagen kann, was definitiv dies sei, die mittelbare Verfügungsgewalt zu erlangen, dann wäre ich dankbar. Dies ist nämlich nicht ein „rechtliches Scheinproblem", sondern dies ist der Kern des Vertrages!

(Beifall bei der CDU/CSU.) Was ist dies, meine Damen und Herren?




Dr. Barzel
Was passiert in dem Fall — und ich gehe jetzt gar nicht einmal auf den europäischen Vorbehalt ein, über den meine Freunde sprechen werden; aber es ist eine fundamentale Frage —, was ist, wenn im Sinne dieses Vertrages Kernwaffenstaaten und Nichtkernwaffenstaaten sich im Zuge künftiger Entwicklungen — in 10, in 15 Jahren; dieser Vertrag dauert ja so lange — zu einer Gemeinsamkeit in der Politik zusammenfinden wollen, die etwas anderes ist als die Staatensukzession? Ist dann dieses Zusammenkommen und dieses Versuchen, gemeinsame Politik in einem gemeinsamen Ministerrat zu machen, etwa die Nähe der indirekten Verfügungsgewalt?
Ich habe den deutschen Text zitiert, weil alle, die mit dem englischen umgehen, den Begriff der Kontrolle hier gewöhnlich verwechseln. „Kontrolle" ist Art. III; und „Verfügungsgewalt" ist Art. I und II und heißt im Englischen „control". Das ist ein großer Unterschied. Was ist möglicher Zugang zu indirekter Kontrolle? Das ist eine Frage, die beantwortet werden muß.
Sehen Sie, Herr Bußmann, mein Kollege Birrenbach hat — was wir in anderen Zusammenhängen unendlich oft getan haben — davon gesprochen: Pacta sunt servanda; Verträge sind zu halten. Und gerade die Deutschen haben allen Anlaß, überhaupt nie wieder den Schatten eines Verdachts, eines Zweifels aufkommen zu lassen, daß sie irgendeine Unterschrift dolos leisten würden. Das aber setzt doch voraus, daß 'der Inhalt eines Vertrages bestimmt ist und daß alle die, die ihm zustimmen sollen, wissen, welche Verpflichtungen sie wirklich übernehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren! Das Völkerrecht, mit dem wir es zu tun haben, setzt ja nicht Normen, sondern lebt im Grunde aus Verabredungen, und die kommen ja nicht gegen einen zustande. Deshalb ist es ein geltender Satz der allgemeinen Völkerrechtslehre, daß für die Interpretation und Beurteilung völkerrechtlicher Verträge auch das heranzuziehen ist, was sich im Zivilrecht in der Welt als allgemeine Rechtslehre entwickelt hat. Ich möchte das jetzt noch sagen, um dem ohnehin beschäftigten Herrn Bundeskanzleiminister Ehmke vielleicht noch etwas in seiner juristischen Eigenschaft zu tun zugeben.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

— Das ist ein positives Wort, meine Damen und Herren. — Ich habe gesternabend, weil ich dachte, daß so etwas kommen könnte, in einer Rechtsquelle nachgelesen, die für jeden Juristen, wenn er Politiker ist und gelegentlich seinen Verstand wieder juristisch einrichten muß, nützlich ist. Herrn Jahn geht's noch nicht so; er ist Justizminister; aber anderen Juristen geht es so: Wenn man immer in der Politik ist, muß man gelegentlich den juristischen Verstand wieder einrichten. Und dazu sind es, glaube ich, hervorragende Übungen, wenn man bei Sohm in den „Institutionen des Römischen Rechts" nachliest. Da wird vieles wieder klar, und das ist auch völlig unbestritten, daß ist auch europäisch, und das hat
überhaupt eine gute Basis. Da heißt es dann auf Seite 201: „Verträge im Rechtssinne sind rechtlich erhebliche Konsenserklärungen." Konsens heißt also Zustimmung. Meine Damen und Herren, ist es eigentlich wirklich ein Fortschritt, wenn wir es hier mit einer Sache zu tun haben, wo .ein Konsens über einen Dissens zur Geschäftsgrundlage wird? Das ist eine Frage, und ich glaube, sie so zu formulieren entspricht der Zurückhaltung, die wir uns hier vorgenommen hatten. Aber da in der allgemeinen Rechtslehre — und da hört es auch schon auf — der „error in substantia", d. h. der Irrtum über den Gegenstand selbst, nicht nur als Motiv beachtlich ist, sondern ein potentieller Anfechtungsgrund ist, möchte ich gern, daß in diesem Hause und in der deutschen Politik niemand diesen potentiellen Anfechtungsgrund wird finden können, weil er hier etwa einen Beschluß mit einem „error in Substantia" gefaßt hat. Deshalb wollen wir die „substantia" gründlich in den Ausschüssen erörtern.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, wir sprechen hier sonst oft von Friedensordnung. Das heißt: Herrschaft des Rechts, oder das heißt im Sprachgebrauch, wenn ich es richtig verstanden habe: Vertragt euch! Also: Wenn ihr euch vertragt, euch an die Ver- träge haltet, gibt es Frieden. Das meint „Herrschaft des Rechts".
Meine Damen und Herren, deshalb kann man rechtliche Fragen in einem solchen Zusammenhang gar nicht „hochspielen" und sie gegen eine vermeintliche „Realpolitik" setzen. Politik für Deutschland heißt das Recht ganz ernst nehmen

(Beifall bei der CDU/CSU)

und eine Verpflichtung, die wir eingehen sollen, unbegrenzt eingehen sollen, ganz, ganz ernst nehmen und sich nicht selbst, Herr Bundeskanzler, unter einen zeitlichen Zugzwang setzen.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0601027200
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0601027300
Herr Präsident, ich will in diesem Augenblick nur auf ganz wenige Bemerkungen des Kollegen Dr. Barzel eingehen. Zunächst einmal hat Herr Dr. Barzel wieder auf die Erklärung von Herrn Dr. Stoltenberg von heute mittag zurückgegriffen. Herr Dr. Stoltenberg, Sie haben erklärt, ich hätte, als ich Ihre Auffassung über den Termin einer möglichen Unterschrift unter den NV-Vertrag hier genannt habe, vertrauliche Berichte verwendet. Das ist nicht der Fall. Ich habe mich auf offen geführte Unterhaltungen und bekannte Erklärungen von Ihnen bezogen, und ich habe ja auch nur zur Sache etwas gesagt.

(Abg. Dr. Stoltenberg: Das trifft nicht zu!)

Ich bin der Meinung, daß Sie, Herr Dr. Stoltenberg, auch gar nicht etwa bestreiten wollen, daß Sie -- wie wir es als eine reale Möglichkeit betrachtet haben, daß der Vertrag Ende dieses Jahres un-



Bundesminister Scheel
terschrieben wird. Es ist ja auch kein Geheimnis, daß man diese Meinung hat vertreten können, wenn die Einschränkung gemacht wird — und Sie haben sie gemacht —: wenn alle die Dinge geklärt sind, die es zu klären gilt.
Die unterschiedliche Auffassung ergibt sich also letztlich daraus, ob man mit den Klärungen, die wir in der Zwischenzeit haben erreichen können, zufrieden ist oder nicht. Sie werden möglicherweise nicht damit zufrieden sein. Wir dagegen werden bei der endgültigen Abwägung der Pro und Kontra des Vertrages möglicherweise mit diesen Klärungen zufrieden sein. Darin besteht der Unterschied. Mehr wollte ich auch damit nicht gesagt haben, Herr Kollege Stoltenberg.
Ich möchte jetzt gleich auf den letzten Punkt, den Herr Dr. Barzel hier erwähnt hat, zu sprechen kommen. Er brachte seine Sorge zum Ausdruck, die Verfügungsgewalt könnte nicht recht definiert worden sein. Hier muß ich Ihnen einige Passagen vorlesen. Ich glaube, das ist auch für die Kollegen, die diesen Text noch nicht kennen, nützlich. Zu dem von Herrn Dr. Barzel angesprochenen Thema liegt eine sehr umfassende Antwort unserer amerikanischen Verbündeten vor. Dort heißt es:
1. Der Vertrag befaßt sich nur mit dem, was untersagt, und nicht mit dem, was erlaubt ist.
Das ist, glaube ich, ein entscheidender Bestandteil.
2. Er untersagt, Kernwaffen, das bedeutet Bomben und Sprengköpfe
— ich sage hinzu: sonst nichts —
oder die Verfügungsgewalt darüber, an irgendeinen Empfänger weiterzugeben. Er untersagt ferner die Weitergabe sonstiger Kernsprengkörper, weil ein für friedliche Zwecke bestimmter Kernsprengkörper als Waffe verwendet oder unschwer für eine derartige Verwendung hergerichtet werden kann.
Darüber ist heute morgen eine umfassende Diskussion geführt worden.
3. Er behandelt nicht und untersagt daher nicht die Weitergabe nuklearer Träger oder Trägersysteme oder der Verfügungsgewalt darüber an irgendeinen Empfänger, solange eine solche Weitergabe Bomben oder Sprengköpfe nicht einschließt.
Die augenblickliche NATO-Regelung wird also überhaupt nicht betroffen.
4. Er behandelt nicht alliierte Konsultationen und Planungen auf dem Gebiet der nuklearen Verteidigung, solange daraus keine Weitergabe von Kernwaffen oder der Verfügungsgewalt darüber resultiert.
Die augenblickliche Regelung ist also gedeckt.
5. Er behandelt nicht Regelungen über die Dislozierung von Kernwaffen auf alliiertem Hoheitsgebiet, da diese keine Weitergabe von Kernwaffen oder Verfügungsgewalt darüber einschließen, sofern und solange nicht eine Entscheidung, Krieg zu führen, getroffen wird, in
welchem Zeitpunkt der Vertrag nicht mehr maßgebend wäre.
6. Der Vertrag behandelt
— das ist das, was Herr Dr. Barzel speziell wissen will —
nicht das Problem der europäischen Einheit und würde die Rechtsnachfolge eines neuen föderierten europäischen Staates in den Nuklearstatus eines seiner schon vorher vorhandenen Bestandteile nicht ausschließen. Ein neuer föderierter europäischer Staat müßte die Kontrolle über alle Aufgaben im Bereich seiner äußeren Sicherheit ausüben einschließlich der Verteidigung und aller die äußere Sicherheit betreffenden außenpolitischen Angelegenheiten,
— das ist der hohe Stand an Föderation, den ich für eine solche Entwicklung bejahe —
brauchte jedoch nicht so zentralisiert zu sein, daß er sämtliche Regierungsaufgaben übernähme. Während der Vertrag die Rechtsnachfolge seitens eines solchen föderierten Staates nicht behandelt, würde er der Weitergabe von Kernwaffen oder der Verfügungsgewalt darüber an irgendeinen Empfänger einschließlich eines multilateralen Gebildes entgegenstehen.
Das heißt mit anderen Worten, es muß ein bestimmter Grad an Föderation erreicht sein, und ich meine, das ist gut so. Es heißt aber außerdem, daß vorher jede andere Form von Sicherheit in der gleichen Weise geregelt werden kann, wie sie jetzt innerhalb unseres Bündnisses geregelt ist, nämlich dadurch, daß die Staaten, die Atomwaffen besitzen, in den Stand versetzt werden, eine wirkungsvolle Verteidigung zu betreiben, und daß den Beteiligten, die nicht Atomwaffenstaaten sind, der Zugang zu den Waffen blockiert wird, so wie es jetzt geschieht.
Meine Damen und Herren, ich darf jetzt vielleicht zu ein paar anderen Punkten kommen, nur ganz wenigen, zunächst zum Verfahren. Herr Dr. Barzel, Sie haben gesagt, daß es Ihnen darauf ankäme, bis zur Unterschrift ein sehr sorgfältiges Verfahren durchzuführen. Nun ist die Unterschrift unter diesen Vertrag ganz unbestritten nicht Sache einer Entscheidung des Bundestages, sondern einer Entscheidung der Bundesregierung. Wir haben es für richtig gehalten, die Unterschrift unter diesen Vertrag nicht zu beschließen, solange der Bundestag nicht ausführlich über diesen Vertrag diskutieren konnte. Das hat er jetzt getan bzw. ist dabei, es zu tun. Er hat diese Diskussion auf der Basis der Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion begonnen. Erklärungen über die Verhandlungen mit der Sowjetunion über diesen Komplex sind nun heute hier gegeben worden. Darüber hinaus kann es keine geben. Ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß der Komplex der Art. 53 und 107 in zukünftige Verhandlungen mit der Sowjetunion hineingeschoben wird, die nicht mit dem NV-Vertrag in Verbindung stehen. Wir haben von der Sowjetunion erstens eine zufriedenstellende Erklärung über den ganzen Bereich der friedlichen Anwendung der Kernenergie und der Freiheit in der Wissenschaft und der Entwicklung und der Wirtschaft auf diesem Gebiete bekommen. Zweitens ha-



Bundesminister Scheel
ben wir eine völlig ausreichende Erklärung über den Komplex der Kosten der Kontrollen bekommen. Hier kann ich nur sagen: Daß der Vertrag mit der Internationalen Atomenergieorganisation noch nicht geschlossen ist, liegt ja zum Teil daran, daß wir noch nicht die Unterschrift unter den Vertrag gesetzt haben, denn erst danach wird Euratom in der Lage sein, das Verifikationsabkommen mit der Internationalen Behörde zu verhandeln. Das bedingt sich gegenseitig.
Daß wir ein Verifikationsabkommen haben wollen, in dem auch die Kostenfrage in unserem Sinne geregelt ist, versteht sich. Das gilt aber auch für die anderen Atomländer. Insoweit haben wir hier Verbündete in der Sache. Alle haben bei ihrer Unterschrift darauf hingewiesen, daß eine Ratifikation erst in Frage kommt, wenn das Verifikationsabkommen, also auch die Frage der Kosten, zufriedenstellend geregelt ist.
Weiter hat die Sowjetunion eine Erklärung abgegeben über die Entschließung 255 der Vereinten Nationen. Hier gibt es die bekannte Einschränkung, die heute auch von dem Herrn Bundeskanzler noch einmal eingehend dargestellt wurde. Aber erstens können wir hier nichts weiteres erwarten — nicht zuletzt auch mit Nutzen für uns —, weil ja das Vetorecht jedes Mitgliedes des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in jedem Fall und immer gegeben ist, und zweitens berührt das nicht unsere Sicherheit; denn unsere Sicherheit wird nicht durch eine Entschließung der UNO garantiert, sondern
ganz allein durch die Wirksamkeit des Bündnisses, dem wir angehören.
Herr Dr. Barzel hat nun gesagt, das Neue dieser Diskussion und dieses Vertrages sei, daß es sich hier zum erstenmal um eine rechtsförmliche Verpflichtung der Bundesrepublik gegenüber der Sowjetunion handle. Damit, Herr Dr. Barzel, verfälschen Sie den Sinn dieses Vertrages doch um einiges. Denn hier handelt es sich nicht um einen Vertrag zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion, sondern es handelt sich um einen multilateralen Vertrag, dem schon 93 Länder angehören.

(Abg. Dr. Barzel: Ich habe doch nur von einer Verpflichtung gesprochen! — Abg. Dr. Dr. h. c. Birrenbach: Aber die Sowjetunion ist doch Partner dieses Vertrages! Das ist doch das Problem!)

— Natürlich. Es sind aber auch noch andere Partner dieses Vertrages. Herr Dr. Birrenbach, unsere Sicherheit wird in diesem Bereich überhaupt nicht berührt, weil unsere Sicherheit nicht von diesem Vertrag abhängt.

(Abg. Dr. Dr. h. c. Birrenbach meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Es kommt doch darauf an — Herr Dr. Birrenbach, ich möchte das jetzt zu Ende führen —, daß unsere Vertragspartner in dem Sicherheitsbündnis, dem wir angehören, in ihrer Definition der Bestimmungen des Vertrages mit uns eine gemeinsame Meinung haben und daß sie innerhalb dieses Bündnisses diese Meinung vertreten. Nun ist es so, daß in der Interpretation der Vereinigten Staaten eine einheitliche Auffassung zustande gekommen ist, der sich alle NATO-Partner angeschlossen haben: Der Sicherheitsfall, der Bündnisfall würde in dem gleichen Augenblick eintreten, in dem eine andere Macht von außen die Sicherheit der Bundesrepublik gefährden würde. Das ist doch allein der Kern, auf den es ankommt. Das haben wir erreicht, und das ist das Entscheidende.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601027400
Gestatten Sie eine Frage?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0601027500
Nein, ich will Herrn Barzels Fragen beantworten. Es kommt nämlich jetzt noch der zweite Punkt.
Herr Barzel hat in diesem Zusammenhang gesagt, daß die Interventionsanmaßung der Sowjetunion gesehen werden müsse. Das ist ja in einem engen Zusammenhang zu sehen. Herr Dr. Barzel, die Interventionsanmaßung der Sowjetunion kann man nun weiß Gott nicht durch die Verweigerung der Unterschrift unter diesen NV-Vertrag abwehren. Das sind zwei unterschiedliche Bereiche. Ich wiederhole, daß auf der einen Seite unsere Sicherheit durch das Bündnis garantiert ist, dem wir angehören, und nicht durch Abmachungen mit der Sowjetunion, daß aber auf der anderen Seite Verhandlungen mit der Sowjetunion geführt werden müssen, die den Status der Bundesrepublik gegenüber der Sowjetunion berühren, wenn es nämlich darum geht, die Art. 53 und 107 aus der Welt zu schaffen und die Bundesrepublik in den vollen Genuß des Art. 2 der UNO-Charta zu bringen. Das ist unsere Absicht bei den Verhandlungen, die wir in der Zukunft führen wollen.
Dies zunächst zu den Bemerkungen, die Herr Barzel zur Sicherheit gemacht hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601027600
Das Wort hat der
Abgeordnete Freiherr von Guttenberg.

Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg (CSU):
Rede ID: ID0601027700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige Worte zu dem sagen, was man vielleicht die politsich-geschichtliche Räson dieses Vertrags nennen kann. Ich stimme dabei zunächst voll mit dem überein, was der Herr Bundeskanzler hier gesagt hat, daß nämlich das eigentliche Kriterium für die Bewertung dieses Vertrags selbstverständlich die Frage danach ist, ob er den deutschen legitimen Interessen mehr nützt oder mehr schadet.
Meine Damen und Herren, es liegt ein konkreter Vertrag vor. Das ist eine gute Sache, weil es nämlich davor schützt, eine abstrakte Diskussion um das Prinzip der Nichtverbreitung zu führen, bei der dann die einen die Kalten Krieger und die anderen die Verständigungssucher sind etc. Dies alles paßt nicht mehr vor den Hintergrund dieses konkreten Vertrages.
Ich möchte aber einem widersprechen, was der Herr Bundeskanzler hier gesagt hat. Er war der



Freiherr von und zu Guttenberg
Meinung, daß wir heute alle zusammen nicht mehr vor der Frage stehen, o b , sondern nur mehr vor der Frage, wann dieser Vertrag unterschrieben werden sollte; nur über dieses Wann gebe es verschiedene Meinungen. Herr Bundeskanzler, ich glaube, Sie haben die Einlassungen meiner Parteifreunde mißverstanden. Uns geht es nicht nur um das Wann, uns geht es um konkrete Klärungen konkreter Punkte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir sind nicht der Meinung, daß alles bereits geklärt sei.
Mit Ihnen, Herr Bundeskanzler, sind auch meine Freunde und ich der Meinung, daß es ein ganz großes, gewichtiges Argument für diesen Vertrag gibt, nämlich daß er ein Hemmnis gegen die Verbreitung von Atomwaffen ist. Das begrüßen wir. Aber wir sagen: Hemmnis, wir sagen gewiß nicht: Garantie. Und wir setzen die legitime Frage dazu, ob die Mittel und Methoden richtig sind, die nach dem Vertrag zur Erreichung dieses Zieles angewendet werden sollen.
Lassen Sie mich noch eine Vorbemerkung machen. Ich habe wenig Verständnis für das Argument, das hier bei manchen Sprechern der Regierungsparteien durchgeklungen ist, daß wir uns durch eine Verzögerung oder gar eine Nichtunterschrift in die Isolierung brächten, daß wir damit Munition für eine gegnerische Propaganda schüfen. Solche Argumente liegen am Rande; und ich möchte hinzusetzen, daß die Substanz eines 25jährigen Vertrages — so lange
soll er ja laufen — gewichtiger ist als eine momentane Klimaverbesserung, die man vielleicht erreichen kann.
Zudem, meine Damen und Herren — und das meine ich sehr ernst —, wer aus solchen Gründen, nämlich aus der Befürchtung einer möglichen Isolation, für diesen Vertrag plädiert, plädiert in Wahrheit gegen ihn. Denn ein Vertragsvorschlag, der eine solche Zwangslage, der eine solche Beschneidung der Handlungsfreiheit bedeutete, wäre ein schlechter Vertragsvorschlag.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir haben den Vertrag ganz nüchtern auf dem Hintergrund der großen Ziele zu prüfen, die dieses ganze Haus gemeinsam verfolgt.
Wir alle wünschen Abrüstung. Ist dieser Vertrag ein Schritt zur Abrüstung? Ich will nicht wiederholen, was Kollege Kliesing und andere hier gesagt haben. Aber ich glaube nicht, daß dieser Vertrag als Schritt zur Abrüstung bezeichnet werden kann; denn mehr als eine relativ unverbindliche Willenserklärung der Großmächte ist in diesem Vertrag nicht enthalten.
Herr Außenminister, wenn Sie in einer Ihrer Einlassungen vorhin gesagt haben, daß dieser Vertrag der einzige Hebel sei, mit dem wir, die Nichtnuklearen, atomare Abrüstung erreichen könnten, dann kann ich nur antworten: Alle Nichtnuklearen legen diesen Hebel in dem Augenblick aus der Hand, in dem sie ihre Unterschrift leisten. Dies gilt nicht nur für uns, dies gilt für alle Nichtnuklearen.
Eine zweite Frage. Wir alle — und das ist hier in allen Reden zum Ausdruck gekommen — sehen in der NATO die Grundlage unserer Sicherheit. Ist dieser Vertrag ein Schritt zur Stärkung unserer Sicherheit, also zur Stärkung der NATO? Lassen Sie mich Sie alle daran erinnern, daß der amerikanische hohe Beamte, der diesen Vertrag ausgehandelt hat, vor einigen Jahren selbst geschrieben hat, daß dieser Vertrag eine „gewisse Erosion" der Bündnisse zur Folge haben werde; ein Zeugnis, das man nicht so einfach überspringen sollte.
Lassen Sie mich hinzusetzen: nach meiner Meinung begründet dieser Vertrag eine zusätzliche Abhängigkeit der europäischen nichtnuklearen Partner von der großen Nuklearmacht USA. Wenn Kennedy recht hatte, der gesagt hat, ein gesundes Bündnis müsse auf gegenseitiger Abhängigkeit beruhen, dann gilt auch vice versa, daß die Stärkung einseitiger Abhängigkeit in der Tat die Gefahr einer gewissen Erosion bedeutet.
Ein Drittes. Dieses ganze Haus sucht Entspannung. Ist dieser Vertrag ein Schritt zur Entspannung? Ich fürchte im Gegenteil, — und ich werde noch einiges darüber sagen —, daß dieser Vertrag von der Sowjetunion sehr bald als Instrument ihrer Kampagne gegen uns und damit als ein Mittel zu vermehrten Spannungen verwendet werden wird.
Ein Viertes. Dieses Haus strebt nach einer europäischen Friedensordnung. Ist dieser Vertrag ein Schritt zu zusätzlicher europäischer Friedenssicherung? Diese Frage stellen heißt, darauf hinweisen zu müssen, daß im vergangenen Jahr die Kernwaffenmacht Sowjetunion kurz nach ihrer Unterschrift unter diesen Vertrag den Nichtkernwaffenstaat CSSR manu militari oder „in brüderlicher Hilfe", wie es dann genannt wurde, überfallen hat.
Ein Fünftes. Wir alle wünschen die Einheit Europas. Ich will nicht wiederholen, was gesagt wurde. Aber ich bestreite, daß dieser Vertrag als solcher ein Mittel zur Förderung der europäischen Einigungspolitik ist. Ich befürchte leider im Gegenteil, daß von diesem Vertrag, der das nationalstaatliche Prinzip erneut und verstärkt in die europäische Diskussion einführt, gegenläufige Tendenzen ausgehen werden.
Lassen Sie mich sechstens sagen: Wir alle hoffen auf Verbesserung unseres Verhältnisses zur Sowjetunion und haben also die Frage zu stellen: Ist dieser Vertrag geeignet, diese Beziehungen zu verbessern? Dazu nun einiges im Detail.
Hier, im deutsch-sowjetischen Verhältnis liegt nach meiner Meinung das zentrale Problem, das wir bei diesem Vertrag sehen müssen. Alle anderen Probleme betreffen auch andere Nichtkernwaffenstaaten. Hier, beim deutsch-sowjetischen Verhältnis, geht es um ein spezifisch deutsches Problem. Hier müssen wir entscheiden, und hier kann uns niemand anders die Entscheidung abnehmen.
Der Herr Bundeskanzler nannte diesen Vertrag einen optimalen Vertrag. Herr Bundeskanzler, ich bestreite, daß dieser Vertrag für uns Deutsche in unserer speziellen Situation wirklich ein optimaler Vertrag ist.



Freiherr von und zu Guttenberg
Wie sieht denn die deutsche Situation aus? Der Herr Bundeskanzler sprach von Zwangsvorstellungen, die da irgend jemand haben soll. Herr Bundeskanzler, es ist keine Zwangsvorstellung, daß nur die Bundesrepublik einen essentiellen, die nationale Existenz der Deutschen berührenden Konflikt mit der Sowjetunion hat. Herr Bundeskanzler, es ist keine Zwangsvorstellung, daß außerhalb Osteuropas nur die Bundesrepublik expressiv verbis in die Interventionszone der Sowjetunion einbezogen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Bundeskanzler, es ist keine Zwangsvorstellung, daß nur die Bundesrepublik von der Sowjetunion ausdrücklich als ein Staat minderen Rechts behandelt wird. Und, Herr Bundeskanzler, es ist auch keine Zwangsvorstellung, daß die Sowjetunion nur von der Bundesrepublik behauptet, daß bereits geltende Abmachungen ihr, der Bundesrepublik, eine Rechtspflicht zum Vertragsbeitritt auferlegten. Meine Damen und Herren, wenn die Sowjetunion von uns sagt, wir seien durch andere Abmachungen bereits rechtlich verpflichtet, dem Vertrag zuzustimmen, dann allerdings handelt die Sowjetunion nur konsequent, wenn sie sagt, daß dies dann keine deutsche Leistung sei, und wenn sie jede Gegenleistung verweigert. Von uns wird Leistung verlangt. Was die Sowjetunion leistet, sehe ich bis heute nicht.
Herr Bundeskanzler, Sie haben in diesem Zusammenhang gesagt, im Grunde vollzögen mit diesem Vertragswerk andere doch nur, was wir, die Deutschen, bereits vorgeleistet hätten. Herr Bundeskanzler, ich bin anderer Meinung; denn es ist ein qualitativer Unterschied, daß wir gestern bestimmte Verzichte unseren westlichen Alliierten gegenüber geleistet haben und heute gefragt werden, solche Verzichte der Sowjetunion gegenüber zu leisten. Man kann darüber nicht so leicht hinweggehen, wie es der Herr Außenminister gemacht hat. Meine Damen und Herren, hier fordert die zweite Weltmacht der Erde von uns, von dem Mittelstaat Bundesrepublik, eine auf eine Generation hinaus dauern sollende Verpflichtung, mit der sie unter anderem ein Mitspracherecht zu erlangen sucht in unseren eigenen Verhältnissen innerhalb der NATO, innerhalb Europas und innerhalb der Bundesrepublik selbst. Dies ist ein Novum.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Widerspruch bei der SPD.)

– Meine Damen und Herren, man kann füglich die Gefahr nicht bestreiten, daß dieser Vertrag von der Sowjetunion vorrangig als ein Instrument ihrer Deutschlandpolitik angesehen wird. Hier, scheint mir, liegt der Grund dafür, daß die Sowjetunion bewußt— und ich weiß, was ich sage

(Abg. Wienand: Hoffentlich!)

eine klare Definition jenes entscheidenden Vertragsbegriffes verweigert hat, von dem vorhin der Kollege Dr. Barzel sprach. Es ist der Sowjetunion und ihrer Intervention zuzuschreiben, daß wir heute keine klare und verbindliche Interpretation dessen haben, was „Proliferation" eigentlich nach diesem Vertrag sein soll, was also unter „mittelbarer oder unmittelbarer Verfügungsgewalt" zu verstehen sei.
Der Herr Bundeskanzler sagt, in der Geschichte dieses Vertrages seien manche Verbesserungen erreicht worden. Dem stimme ich zu und setze hinzu, daß hieran der letzen Regierung der Großen Koalition ein gerüttelt Maß an Dank zu schulden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei der FDP.)

Aber wenn das auch stimmt, dann stimmt leider
auch das Gegenteil, nämlich daß es in der Behandlung dieses Vertrages gewisse Phasen gab, bei denen in entscheidenden Punkten von den Amerikanern und anderen für uns bessere Formulierungen vorgeschlagen waren, Formulierungen, die dann aber unter dem Eindruck des sowjetischen Njet leider verschlechtert worden sind.

(Abg. Wehner: Wem gilt dieser Vorwurf, Herr Kollege?)

— Herr Wehner, ich mache hier gar keinen Vorwurf.

(Abg. Wehner: Das wollte ich nur festgestellt wissen!)

— Ich versuche hier mit aller Nüchternheit die Gefahren darzustellen, die es in diesem Vertrage gibt.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD.)

Ich habe gesagt, daß ich dankbar dafür sei, daß die vergangene Regierung viel erreicht habe, daß aber entscheidende Punkte noch der Klärung bedürften, z. B. die Frage: Wird die Sowjetunion es schon unter den Begriff „indirekte Verfügungsgewalt" einordnen, wenn in der Bundesrepublik spaltbares Material für friedliche Zwecke produziert werden wird? Wird die Sowjetunion schon von indirekter Verfügungsgewalt reden, wenn in der Bundesrepublik technische Weiterentwicklungen auf dem nuklearen Gebiet gefunden werden sollten? Wird die Sowjetunion von indirekter Verfügungsgewalt sprechen, wenn innerhalb der NATO neue interne Beratungen über gemeinsame strategische Fragen durchgeführt werden?

(Abg. Dr. Rutschke: Schauen Sie doch mal in den Vertrag rein, da steht es doch!)

Meine Damen und Herren, ich hole mir diese Frage nicht sozusagen aus der Luft. Ich habe gute Gründe zu dieser Sorge. Bereits 1963 gab es einen sowjetischen Protest gegen die Zusammenarbeit der Firma Siemens mit der französischen Atomkommission. 1968 gab es die Behauptung der „Prawda" — das heißt ja „Wahrheit", wie wir wissen —, daß das deutsch-britisch-holländische Ultrazentrifugenprojekt ein Hintertürchen für die Deutschen bedeute, um sich Atomwaffen zu verschaffen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Am 28. Januar 1967 wie am 8. Dezember 1968 gab es Noten der Sowjetunion mit der Beschuldigung, daß die Bundesrepublik bereits an der industriellen Basis der Atomwaffen arbeite. Ich habe daher keinen Zweifel — —

(Glocke des Präsidenten.)

— Sie mahnen mich, Herr Präsident; ich werde mich kurz fassen.




Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601027800
Das rote Licht hat Sie gemahnt!

Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg (CSU):
Rede ID: ID0601027900
Ich habe daher keinen Zweifel an der Berechtigung dieser Voraussage: Sollten diese unklaren Verpflichtungsbestimmungen so bleiben, fürchte ich, daß in Verbindung mit der sowjetischen Interventionsanmaßung, von der die Rede war, für die sowjetische Politik unüberschaubare Möglichkeiten ständiger Interventionsversuche unter dem Schein des Rechtes dieses Vertrages eröffnet werden. Wenn man uns sagt, daß der Wunsch nach Klarheit diesen Vertrag gefährde, dann antworten wir, daß ein unklarer Vertrag uns gefährdet; und dies scheint mir für uns das Wichtigere zu sein.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Herr Bundeskanzler hat gefragt, was noch zu klären sei. Ich kann hier keinen erschöpfenden Katalog mehr aufstellen. Ich will nur sagen: sicher die Frage des Gewaltverzichts, also die Frage dessen, was ich hier als Interventionsanmaßung der Sowjetunion bezeichnet habe. Ich widerspreche der These, daß man diese Problematik von der Problematik des NV-Vertrages trennen solle oder könne.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wer diese beiden Dinge trennt, begibt sich des einzigen Hebels, des einzig wirklichen Mittels, das wir haben — wenn wir überhaupt eines haben —, um bei der Sowjetunion Interesse daran zu wecken, sich uns gegenüber auf eine ernsthafte Gewaltverzichtspolitik einzulassen.

(Glocke des Präsidenten.)

— Ich bin am Ende, Herr Präsident, und darf noch vier Schlußsätze sagen: Mir scheint, daß in der feindseligen Haltung der Sowjetunion gegenüber uns und unseren legitimen Zielen das eigentlich entscheidende Kriterium für die Bewertung dieses Vertrages liegen muß. Wir, meine Freunde und ich, hielten es für eine grobe Selbsttäuschung, wollte irgend jemand glauben, daß unsere Unterschrift unter den Vertrag ein Mittel sein könne, um dieses deutsch-sowjetische Verhältnis zu verbessern. Umgekehrt wird ein Schuh daraus:

(Abg. Wehner: Was für ein Schuh?)

wenn sich die Sowjetunion wirklich und tatsächlich bereit fände, ihr Verhältnis zu uns entscheidend zu revidieren und auf eine neue Grundlage zu stellen — Stichwort: Gewaltverzicht —, wären auch wir bereit, über vieles mit uns reden zu lassen, auch über diesen Vertrag.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601028000
Das Wort hat Bundesminister Dr. Eppler.

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0601028100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute schon mehrfach von jenem 27. April 1967 gesprochen, an dem ich die Ehre hatte, für die beiden damaligen Regierungsfraktionen die Große Anfrage zum Atomwaffensperrvertrag zu begründen, nebenbei wohl in einer Weise, die, wie Herr Kollege Barzel damals sagte, auch in seiner Sicht fair gewesen ist. Aber ich habe das Gefühl, verehrter Herr Kollege von Guttenberg, daß vieles von dem, was Sie heute gesagt haben, eigentlich besser in die damalige Debatte gepaßt hätte als in die heutige. Warum? Weil Sie im Grunde immer noch darüber argumentiert haben, ob dieser Vertrag an sich gut oder weniger gut sei, während die Frage hier und heute doch lautet, ob diese Regierung gut daran tut, einen Vertrag, der von der Mehrzahl der Länder dieser Erde und unserer Verbündeten bereits unterschrieben ist, ebenfalls zu unterschreiben. Dies ist eine völlig andere Ausgangsstellung. Ich will das an einigen Beispielen zu klären versuchen.
Sie, Herr Kollege von Guttenberg, haben gesagt, Sie könnten sich — vielleicht ist das nicht genau zitiert; dann können Sie mich korrigieren — nichts anderes vorstellen, als daß eben dieser Vertrag, wie immer man ihn interpretiere, doch wohl zu einer Erosion unseres Bündnisses führe. Habe ich Sie richtig verstanden?

(Zurufe von der Mitte.)


Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg (CSU):
Rede ID: ID0601028200
Herr Kollege, Sie haben mich insoweit nicht richtig verstanden, als ich hier einen Amerikaner zitiert habe.

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0601028300
Gut. Aber, verehrter Herr Kollege, Sie haben sich doch mit diesem Zitat dem Sinne nach identifiziert. Sie haben diese Befürchtung. Verstehe ich Sie richtig? — Herr Kollege, ich wäre schon dankbar, wenn Sie mir jetzt zu erkennen gäben, ob ich Sie richtig verstanden habe.

Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg (CSU):
Rede ID: ID0601028400
Herr Kollege Eppler, ich kann meine Antwort nun nicht in Frageform kleiden, wenn Sie mich fragen. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten will ich gern antworten.
Ich habe gesagt, Herr Kollege Eppler, daß nach meiner Auffassung alles, was die einseitige Abhängigkeit der Europäer stärkt, nicht zugunsten des Bündnisses gewertet werden könne, und ich habe mich dabei eines Zitats von Präsident Kennedy bedient.

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0601028500
Verehrter Herr Kollege, dann habe
ich Sie doch durchaus richtig verstanden, und ich
muß Ihnen zugestehen, daß, wenn dieses Argument vor zwei Jahren gekommen wäre, ich möglicherweise gesagt hätte: ja, so könnte das sein. Nur ist doch heute die Frage nicht mehr die, ob dieser Vertrag an sich, ob die Existenz dieses Vertrages der NATO nützt oder schadet, sondern jetzt ist doch die Frage, ob es für die NATO, nachdem die meisten NATO-Mitglieder bereits unterschrieben haben,

(Abg. Dr. Rutschke: Sehr richtig!)




Bundesminister Dr. Eppler
besser oder schlechter ist, wenn auch wir noch unterschreiben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es könnte ja durchaus so sein, Herr Kollege, daß Sie im Prinzip recht haben, daß vielleicht sogar der NATO das Leben erleichtert werden würde, wenn dieser Vertrag nicht da wäre. Aber im Augenblick ist dies nicht die Frage, sondern die Frage ist, wie wir die Geschlossenheit der NATO, nachdem es diesen Vertrag gibt, aufrechterhalten können. Das ist das Thema.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Genau dasselbe gilt für Europa, Herr Kollege. Ich habe genau mitgeschrieben, was Sie hier gesagt haben. Vielleicht habe ich mich geirrt; dann lasse ich mich auch korrigieren. Sie haben gesagt: Ich bestreite, daß dieser Vertrag als solcher ein Mittel zur Stärkung der Einheit Europas ist. — Hier möchte ich Ihnen, verehrter Herr Kollege, voll zustimmen. Dieser Vertrag als solcher ist sicherlich nicht dazu gemacht, Europa zu stärken. Nur ist das nicht die Frage, vor der wir heute stehen. Die Frage, vor der wir heute stehen, lautet doch, ob es für Europa besser ist, wenn es nur zwei Kategorien von Staaten innerhalb der EWG und von Euratom gibt — einen Staat, der Nuklearmacht ist und dem Vertrag nicht beitritt, und fünf Staaten, die nicht militärische Nuklearmächte sind und dem Vertrag beitreten —, oder ob es besser ist für Europa, wenn es noch eine dritte Kategorie gäbe, nämlich einen Staat, der auch nicht Nuklearmacht ist, aber dem Vertrag nicht beitritt; und da sind wir nun eben, verehrter Herr Kollege, der Meinung, daß dies Europa in keinem Fall dienlich sein kann.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601028600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg (CSU):
Rede ID: ID0601028700
Herr Kollege Eppler, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß ich vorhin einen ganzen Katalog von Fragen gestellt habe, die zu nicht gerade sehr attraktiven Antworten zugunsten dieses Vertrages geführt haben, daß ich am Ende aber meine Entscheidung zu der Sache selbst nicht von diesen einzelnen Punkten abhängig gemacht habe, sondern vielmehr als den Hauptpunkt unser Verhältnis zur Sowjetunion bezeichnet habe?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0601028800
Verehrter Herr Kollege, darüber bin ich mir durchaus im klaren, und ich habe das auch mit großer Genugtuung vermerkt. Mir geht es nur darum, daß wir hier keine abstrakte Debatte darüber führen, ob ein solcher Vertrag eine schöne oder weniger schöne Sache ist. Vielmehr geht es darum, wie wir hier und heute zu entscheiden haben.
Schließlich noch ein weiterer Punkt.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601028900
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Birrenbach?
Dr. Eppler, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit: Bitte, Herr Kollege!

Dr. Kurt Birrenbach (CDU):
Rede ID: ID0601029000
Herr Bundesminister Eppler, würden Sie mir zugeben, daß es ein Unterschied ist, ob einerseits die Sowjetunion den Art. 2 vorbehaltlos für uns anerkennt oder andererseits die Vereinigten Staaten bereit wären, einen von der Bundesrepublik eingelegten Vorbehalt über eine europäische Option zu indossieren oder nicht?
Dr. Eppler, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit: Verehrter Herr Kollege, ich bin gerade dabei, ein Wort noch zu der europäischen Option zu sagen. Wenn wir von Ihrer Prämisse ausgehen, also so tun, als ob wir jetzt zu entscheiden hätten, ob es diesen Vertrag geben soll oder nicht, dann könnte man natürlich so argumentieren: das, was praktisch möglich ist in Europa — ganz unabhängig davon, ob wir es wünschen oder nicht —, wird durch diesen Vertrag erlaubt. Er erlaubt zwei Dinge in bezug auf Europa und die europäische Verteidigung — darüber sind wir uns doch wohl einig —: 1. Er erlaubt Regelungen in Europa, die analog dem sind, was wir heute in der NATO haben, d. h. also Regelungen, wo eine der bisherigen Atommächte die volle Verfügungsgewalt über die Sprengkörper behält, andere aber — eventuell in einem europäischen Arrangement — eigene Trägerwaffen haben. Darüber sind wir uns doch einig: dies erlaubt der Vertrag. Herr Birrenbach nickt, Sie, Herr von Guttenberg, schütteln den Kopf.

(Abg. Dr. Dr. h. c. Birrenbach: Erlaubt er!)

— Herr Birrenbach sagt, es sei so.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601029100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0601029200
Bitte!

Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg (CSU):
Rede ID: ID0601029300
Herr Kollege Eppler, ich möchte an Sie die Frage stellen, ob Sie mir darin zustimmen, daß der Vertrag selbst über diese Frage nichts sagt, daß wir hier von Interpretationen abhängig sind und daß hinsichtlich der Frage der unmittelbaren Verfügungsgewalt noch eine Interpretationslücke bleibt, die im Ausschuß genauer behandelt werden soll?

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0601029400
Aber, verehrter Herr Kollege von Guttenberg, ich bin mit Ihrem Kollegen Birrenbach einig, daß auch die relativ ungünstige Interpretation, die die Amerikaner uns auf diese Frage gegeben haben, diese Lösung jedenfalls erlaubt.
Die zweite Lösung, die erlaubt ist — darüber wurde vorhin gesprochen —, wäre die Verfügung einer europäischen Föderation, wenn sie einen bestimmten Föderationsgrad erreicht hat, über gemeinsame eigene Atomwaffen. Herr Kollege, dies sind die beiden Möglichkeiten, die der Vertrag offenläßt.



Bundesminister Dr. Eppler
Meine Frage wäre nun, ob denn das, was dazwischen liegt, praktisch überhaupt denkbar ist, ob Sie sich ernsthaft vorstellen können, daß es jemals einen französischen Präsidenten oder einen englischen Premierminister geben könnte, der die Verfügungsgewalt über die französischen oder britischen Atomwaffen aus der Hand geben würde, ehe es eine volle Föderation in der Verteidigungspolitik in Europa gibt? Deshalb finde ich: wenn man davon ausgeht, Herr Kollege Birrenbach und Herr Kollege von Guttenberg, dann erlaubt der Vertrag auch nach der restriktiven Interpretation, die wir haben, die Dinge, die faktisch einmal möglich sein könnten, und er verbietet die, von denen ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, daß sie jemals möglich werden.
Nun ist aber die Frage gar nicht mehr so gestellt. Sie sprechen von einer europäischen Option, als ob alle anderen Europäer diese Option auch möchten. Was hilft uns hier das Debattieren über eine europäische Option, wenn vier europäische Staaten bereits unterschrieben und mindestens drei davon klargemacht haben, daß sie auf diese Option nicht den geringsten Wert legen?

(Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Der Vertag dauert 25 Jahre!)

Deshalb bleibt festzustellen, daß heute eine andere Diskussionsgrundlage gegeben ist als die, ob eine europäische Option an sich wünschenswert wäre oder nicht.
Noch ein Weiteres. Herr Kollege von Guttenberg, Sie haben gesagt, Sie bezweifelten, daß dieser Ver) trag ein Schritt zur Abrüstung sei. Ich glaube, wir alle können daran zweifeln. Keiner von uns hat es in der Tasche, daß dies so ist.

(Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Ich habe noch mehr gesagt!)

— Gut, schön!

(Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Ich habe gesagt, daß wir den Hebel aus der Hand geben!)

Ich bitte Sie, doch einmal darüber nachzudenken: Da wir heute nicht über die Existenz des Vertrags, sondern über unseren Beitritt zu diesem Vertrag zu debattieren haben, dürfte doch die Frage nicht nur lauten: Ist dieser Vertrag — mit mehr oder weniger Sicherheit — ein Schritt zur Abrüstung, sondern sie müßte auch lauten: Was bedeutet es für die ansonsten immer wieder versuchten Abrüstungsgespräche, wenn der Vertrag, nachdem er einmal so weit gediehen ist, nun doch in seiner Universalität zum Scheitern gebracht wird? Ich meine, ein Scheitern des Vertrags in seiner Universalität wäre in jedem Fall ein Rückschritt auf dem Weg zur Abrüstung, unabhängig davon, ob die Unterschrift unter den Vertrag automatisch ein Fortschritt in Richtung auf die Abrüstung ist.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601029500
Herr Abgeordneter Birrenbach, eine Zwischenfrage.

Dr. Kurt Birrenbach (CDU):
Rede ID: ID0601029600
Herr Bundesminister, welcher der vier Schwellenstaaten der
ersten Kategorie und welcher der acht Schwellenstaaten der zweiten Kategorie und welcher der Produzenten von Uran, von denen bisher nur einer den Vertrag unterschrieben hat, hat die Unterzeichnung des Vertrags unterlassen, weil wir noch nicht die Unterschrift geleistet haben? Würden Sie das einmal sagen.

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0601029700
Herr Kollege Birrenbach, ich habe vor einiger Zeit versucht, die völlig anderen Zahlen bezüglich der Schwellenmächte erster und zweiter Kategorie, die in Ihrer Großen Anfrage stehen, zu eruieren und feststellen, wer dort womit gemeint sei. Nun bringen Sie plötzlich wieder völlig andere Zahlen für die Schwellenmächte. Jedenfalls bestehen doch gerade bei Ihnen Zweifel daran, daß der Vertrag einen universalen Charakter bekommen wird. Meine Frage lautet, was es negativ für die Abrüstungsgespräche bedeuten würde, wenn Ihre Zweifel zu Recht bestünden.
Schließlich ein Letztes. Meine Damen und Herren, heute ist mehr oder weniger implizit, aber auch explizit von der Diskriminierung gesprochen worden, die darin liegt, daß die einen etwas behalten. das sie haben, und die anderen auf etwas verzichten, das sie nicht haben. Zweifellos liegt hier ein Stück Diskriminierung, wenn man so will, vor. Nur bitte ich Sie, Herr Kollege von Guttenberg, dieses Thema dann auch einmal umgekehrt zu durchdenken. Wenn wir so argumentierten, müßten wir sagen: Letztlich hat jeder Staat, jeder souveräne Staat, ein Recht auf diese Waffen.

(Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Das hätten Sie sich sparen sollen!)

— Ich habe nicht gesagt, daß Sie so etwas sagen;
aber das ist doch die letzte Konsequenz. Hier kommen wir zu dem, was der Herr Bundeskanzler vorhin gesagt hat, nämlich daß sich manche unserer Begriffe, z. B. Souveränität, Diskriminierung usw., plötzlich an einer Realität stoßen, mit der man in den letzten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts rechnen muß, wo nämlich, wenn wir mit den Begriffen der Souveränität und der Diskriminierung arbeiten, schließlich eine Welt entsteht, in der immer mehr Staaten über nukleare Waffen verfügen. Ich habe das Gefühl, wir sollten unsere Kinder nicht in eine solche Welt hineinwachsen lassen, weil eine andere Welt einigen Begriffen, in denen wir alle aufgewachsen sind, nicht ganz entspricht.

(Beifall bei der SPD.) Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Abgeordnete Jung.


Kurt Jung (FDP):
Rede ID: ID0601029800
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei so manchem Beitrag des heutigen Nachmittags hatte ich den Eindruck, daß insbesondere Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion Positionen bezogen haben, die zeitlich ein, zwei oder gar drei Jahre zurückliegen, ganz so, als ob es in der Zwischenzeit nicht Hearings, internationale Besprechungen und Klärungen auch im Kabinett ge-



Jung
geben hätte. So hat Herr Kollege Stoltenberg heute früh die Forderung aufgestellt, daß wesentliche Fragen politischer, wirtschaftlicher, industrieller und wissenschaftlicher Natur noch geklärt werden müssen, weil bisher ungeklärt. Er bezweifelte auch, daß dieser Vertrag die Chance hat, einen universellen Charakter zu bekommen. Ich glaube, diese Frage könnte man am besten durch ein Beispiel beantworten, indem man den Vergleich mit dem Vertrag über die UNO heranzieht. Wer unter den Vorbedingungen, die mit denen vergleichbar sind, die Herr Kollege Stoltenberg aufgestellt hat, in die UNO will, müßte dann auch die Forderung erheben, daß er den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats gleichgestellt sei. Das ist bekanntlich nicht möglich. Trotzdem ist der universelle Charakter der UNO unbestreitbar.
Nun fordern Sie, Herr Kollege Stoltenberg — er ist im Moment nicht hier —, die volle und eindeutige Klärung zu Fragen, die aber leider nicht präzise umrissen waren, zu Fragen aus technischer, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Sicht. Für einen ehemaligen Forschungs- und Wissenschaftsminister fand ich die Formulierungen doch bemerkenswert vage. Ich hatte den Eindruck, daß vielmehr Zuflucht zu emotionalen Argumenten gesucht wurde. Naturwissenschaftler wollen aber Fakten und keine Phänomene. Ich hoffe, daß Herr Kollege Stoltenberg in der Ausschußberatung die Fragen präzisiert. Das ist schon deswegen notwendig, damit nicht der Verdacht entsteht, daß mit dieser un- bestimmt umrissenen Formulierung „nach voller und eindeutiger Klärung" eigentlich eine gewisse Verzögerungstaktik bemäntelt werden soll.
Herr Kollege Stoltenberg hat zunächst einmal die Europapolitik herangezogen, die Kontrollartikel, EWG, Euratom und das Verhältnis zu IAEO. Aus dem Vertrag geht doch eindeutig hervor, daß die europäischen Kontrollsysteme aufrechterhalten werden können und daß eine Doppelkontrolle, wie befürchtet wird, ganz einfach nicht eintreten kann, wenn die Wiener Behörde die Verifikation annimmt. Es gibt doch keinen Zweifel daran — und das ist auch in den Hearings von Senator Fulbright, an denen auch die Secretaries of State Rusk und Nitze teilnahmen, bei der Gegenüberstellung der Kontrollsysteme klargeworden —, daß das Kontrollsystem in Euratom wesentlich schärfer und wesentlich weitgehender ist als das Kontrollsystem in der IAEO. Von daher gibt es doch gar keinen Zweifel, daß die Wiener Behörde mit diesem Verifikationsabkommen einverstanden sein wird. Was die Frage der Rückläufigkeit der Kontrolle angeht, so gibt es doch auch eindeutige Aussagen — Herr Kollege Stoltenberg weiß das ganz genau —, daß in jedem Fall z. B. bei Lieferung von Reaktoren oder Material ein Safeguard Agreement abgeschlossen wird; in diesem Safeguard Agreement ist schon jetzt konkret die Rückweisung von Kontrollinspektoren möglich.

(Abg. Dr. Dr. h. c. Birrenbach meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Bitte schön, Herr Kollege Birrenbach!

Dr. Kurt Birrenbach (CDU):
Rede ID: ID0601029900
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß in dem Statut der IAEO in Wien auch die Prüfung von Anlagen vorgesehen ist?

Kurt Jung (FDP):
Rede ID: ID0601030000
Ich komme gleich darauf, Herr Kollege Birrenbach. Es ist nicht nur die Prüfung von Anlagen darin enthalten, sondern auch die Prüfung von Plänen von Anlagen. Ich werde nachher in die Details gehen, was ich leider heute bei Herrn Kollegen Stoltenberg vermißt habe.

(Beifall bei der FDP.)

Herr Kollege Stoltenberg sprach auch davon, daß die Situation Frankreichs unklar sei. Frankreich ist als eine der Atomwaffenmächte nicht daran interessiert, diesen Vertrag zu unterschreiben — das ist kein Geheimnis —, aber Frankreich hat bisher in der Euratom auch nie die Politik des leeren Stuhls betrieben, war also am gemeinsamen Handeln und an den gemeinsamen Beratungen von Euratom beteiligt. Frankreich bleibt ja auch mit seiner Nuklearforschung für friedliche Zwecke in dem Euratom-Kontrollsystem, so daß sich die Frage der unterschiedlichen Behandlung von EWG-Partnerstaaten hier überhaupt nicht stellt. Wie ich die Sache sehe, werden wir nach Annahme des Verifikationsabkommens durch die Wiener Behörde ja auch in diesem Euratom-Kontrollsystem bleiben.

(Abg. Dr. Dr. h. c. Birrenbach meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Bitte schön, Herr Kollege Birrenbach!

Dr. Kurt Birrenbach (CDU):
Rede ID: ID0601030100
Herr Kollege, ist Ihnen klar, daß der Begriff der Verifikation bis heute noch nicht eindeutig festgelegt ist, daß also die Möglichkeit besteht, daß die Verifikation in Wahrheit eine Doppelkontrolle bedeutet und daß diese Kontrolle nicht von Partnern — wie in der EWG —, sondern von dritten und vierten Mächten, darunter Mächten des Ostblocks, ausgeübt wird?

Kurt Jung (FDP):
Rede ID: ID0601030200
Herr Kollege Birrenbach, es ist mir vollkommen klar, daß der Verifikationsbegriff bisher noch nicht eindeutig festgelegt ist. Allerdings muß ich Sie darauf hinweisen, daß diese Definition der Verifikation bisher deswegen unmöglich war, weil wir den Vertrag ja noch nicht unterschrieben haben und weil wir überhaupt noch nicht in Verhandlungen eintreten konnten.

(Beifall bei der FDP. — Abg. Dr. Dr. h. c. Birrenbach: Sagenhaft! — Zuruf des Abg. Balkenhol.)

— Natürlich, so ist es, Herr Kollege Balkenhol. Sie müßten sich mit der Materie ein bißchen mehr beschäftigen; dann würden Sie das auch feststellen.

(Abg. Dr. Dr. h. c. Birrenbach: Das tun wir seit sechs Jahren!)

Nach Ihrer Meinung müßten die Kernfragen rechtlicher, wissenschaftlicher und industrieller Natur geklärt werden. Es wurde gesagt, insbesondere sollte geklärt werden, ob die Wiener Behörde diese



Jung
Verifikation annimmt. Das kann ich doch nur in dem Sinne verstehen, daß die bisherigen Kontrollsysteme — Herr Kollege Birrenbach, ich komme nun auf die Details zu sprechen — möglicherweise nicht den Erfordernissen der kommerziellen kerntechnischen Industrie entsprechen. Das Kontrollsystem der IAEO ist gewissermaßen noch ein Relikt aus der Zeit, in der die Entwicklungs- und Forschungsanlagen durch die IAEO überwacht wurden. Damals war das für uns im übrigen recht günstig. Sie wissen ja: Austausch von Erfahrungen und auch von Informationen. Meine Damen und Herren, in einer Zeit aber, in der wir uns bemühen, Datenbanken anzulegen, von denen die Daten von allen möglichen Leuten abgerufen werden können, kann doch das alte Argument der Industriespionage nicht mehr recht glaubhaft sein. Herr Professor Leussink hat heute nachmittag auch zu diesem Thema einige Ausführungen gemacht, die das beleuchten.
Ich gebe zu, daß in der Frage des know how die bisherige Kontrolle möglicherweise Schwächen hat; aber nicht nur in dieser Frage, sondern besonders auch in der Frage der Kosten, auf die ich nachher noch kommen will. Die bisherige Kontrolle nach IAEO geschieht ja so, daß einmal die Buchführung, zum anderen die Anlage — wie Sie, Herr Kollege Birrenbach, sagten — aber, was nun wirklich der kritische Punkt bei dieser Kontrolle ist, auch die Pläne der Anlage kontrolliert werden können. Aber es ist doch unbestritten, daß gerade jetzt in der IAEO dieses Kontrollsystem neu überdacht wird; neu überdacht deswegen, weil es sich in der Folgezeit mit unendlich hohen Kosten darstellen wird. Es liegt also im Interesse der IAEO, diese Kontrolle effektiver zu gestalten. Da ist erkennbar — auch das hat Herr Professor Leussink heute schon erwähnt —, daß nach den ersten Analysen gerade unser deutsches System, das bei der GfK in Karlsruhe in Entwicklung ist, immer mehr Anklang findet. Die IAEO wird gar nicht darum herumkommen, neue Kontrollsysteme einzuführen, weil sie dem Druck ihrer Mitglieder folgen muß, dem Druck, der sich ganz einfach aus der Kostenexpansion ergibt.
Damit komme ich zur Kostenfrage, die heute auch von Herrn Kollegen Stoltenberg gestellt wurde. Sie wissen, in Abs. 6 der Präambel ist der Begriff der „strategischen Punkte" oder der „Schlüsselpunkte" definiert. Das sind also beispielsweise die Punkte: Eingang bei der Anlage, Produkt und Abfall. Diese Schlüsselpunkte können nach dem GfK-System automatisch überwacht werden, und dies schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt, wenn auch die Möglichkeit der ganzen Kontrolle der Anlagen nach diesem GIN- System sicher noch einige Jahre dauern wird. Aber dadurch werden eben die Kosten in Grenzen gehalten. Herr Kollege Flämig hat ja bereits erläutert, daß die Kosten von der Gemeinschaft zu tragen sind, die Kosten, die 1 % der Stromerzeugungskosten für den Gesamtbereich der Kontrolle betragen, die sich jedoch unterschiedlich darstellen im Brennstoffkreis, wo — zugegeben — die Brennelementeindustrie mit 5 bis 10 % am höchsten durch Kosten der Kontrolle belastet wäre, wenn diese nicht auf die Gemeinschaft umgelegt werden würden. Da, meine Damen und
Herren, ist es natürlich richtig: Kosten der Kontrolle können nicht auf einzelne Industriezweige allein abgewälzt werden.
Herr Kollege Stoltenberg sprach auch von den biologischen und chemischen Entwicklungen, die sich fern am Horizont abzeichnen. Er befürchtet, daß diese Entwicklungen durch den NV-Vertrag beeinträchtigt werden. Ich meine, es ist doch unbestritten — und Herr Kollege Stoltenberg müßte das besser wissen —, daß in den Hearings, aber auch in der Unterrichtung des Kabinetts — wenn ich mich recht entsinne, war das Anfang August — gerade diese Frage geklärt wurde, daß nämlich die friedliche Nutzung dieser Entwicklung uneingeschränkt und ohne diskriminierende Formulierungen in der Zukunft auch für uns möglich sein wird. Die schweren wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Schäden, die er anführte, kann ich nur so interpretieren, daß er befürchtet, daß wir, wenn wir den Vertrag unterschrieben haben, nicht in Länder liefern könnten, die ihrerseits den Vertrag nicht unterschrieben haben, und daß Lieferungen z. B. Frankreich oder China vorbehalten bleiben. Für Frankreich hat Herr Berard eindeutig und verbindlich erklärt, daß Frankreich dies nicht tun werde. Auch der Hinweis auf Niederlassungsfreiheit und Wettbewerbsgleichhkeit zieht einfach nicht, weil, wie ich ja vorhin schon sagte, Frankreich hinsichtlich der friedlichen Nutzung in der Euratomkontrolle verbleibt. Es ist mir bisher nicht bekannt, ob China so attraktiv ist, daß Abwanderungen aus unserem Bereich erfolgen.
Ich meine also, daß es gerade im Interesse und zum Nutzen unserer Wissenschaft und Wirtschaft wäre, wenn wir den Vorschlägen der Regierung folgten. Vorhin wurde schon angedeutet— Herr von Guttenberg sprach davon —, daß wir in der Zusammenarbeit in einer Gemeinschaft mit Holland und Großbritannien neue Zentrifugen entwickeln. Wir sind also nicht mehr ausschließlich auf den Lizenznachbau angewiesen. Wir haben ein Interesse daran, zu exportieren und in den Kreis derer, die in diesem NV-Vertrag künftig zusammengeschlossen sind, einzutreten. Ich meine, es ist doch entscheidend, daß wir aus der Ecke, in der wir unser derzeit befinden und in die wir uns möglicherweise selber begeben haben, herauskommen, um mehr in die Mitte zu gleichen Partnern zu treten. Damit nutzen wir unserer Volkswirtschaft und dienen dem Ziel einer friedlichen Entwicklung und einer wirksamen Abrüstung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601030300
Das Wort hat der Abgeordnete Wischnewski.

Hans-Jürgen Wischnewski (SPD):
Rede ID: ID0601030400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir die Debatte von heute morgen rückschauend betrachten, müssen wir feststellen, daß es nicht sehr viel neue Argumente, die uns zu einer anderen Einstellung bewegen könnten, gegeben hat. Ich möchte allerdings eins in aller Deutlichkeit sagen, ich sehe einen gewissen Widerspruch zwischen dem, was der Kollege Dr. Barzel, und dem, was der Kollege von



Wischnewski
Guttenberg gesagt hat. Der Kollege Dr. Barzel hat gesagt, von welch entscheidender Bedeutung das Recht für die deutsche Politik ist, und ich glaube, wir stimmen ihm alle zu. Wenn dem so ist, Herr Kollege Guttenberg, dann kann man mit den Formulierungen und Auslegungen des Vertrages nicht so leichtfertig umgehen, wie Sie das hier teilweise getan haben.

(Oh-Rufe bei der CDU/CSU. — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Wo denn? — Abg. Freiherr von und zu Guttenberg meldet sich zu einer Zwischenfrage.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601030500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hans-Jürgen Wischnewski (SPD):
Rede ID: ID0601030600
Herr Kollege von Guttenberg, ich will das auch gleich begründen. Sie haben von der Weiterentwicklung der Nuklearwissenschaft gesprochen und gefragt, ob man das nicht einschränken könnte, obwohl Sie genau wissen, daß sich der Vertrag ausschließlich mit Waffen und Sprengkörpern beschäftigt. Das ist ganz ausschließlich und eindeutig so festgelegt.
Sie haben — um ein Zweites zu nennen — von einem Mitspracherecht der Sowjetunion in unseren eigenen Verhältnissen gesprochen, obwohl Sie genau wissen, daß — wenn Sie die Kontrolle meinen — erst durch die Vereinbarungen von Euratom und Wiener Behörde diese Frage im Interesse der Bundesrepublik endgültig geregelt werden kann, um zu verhindern, daß solche, die sich nicht selbst kontrollieren lassen, bei uns kontrollieren können.
Lassen Sie mich eine für mich ganz entscheidende Frage ansprechen. Herr Kollege von Guttenberg, Sie haben in besonders starkem Maße von unserer Sicherheit gesprochen und haben in diesem Zusammenhang die Frage des Bündnisses angesprochen. Für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland sind zwei Dinge von entscheidender Bedeutung: erstens eine aktive Friedenspolitik und zweitens — wie Sie sehr richtig gesagt haben — das Bündnis.

(Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Da habe ich den Bundeskanzler zitiert!)

Hier haben wir die Situation des Bündnisses zu betrachten, Herr von Guttenberg. Von 15 Mitgliedern dieses Bündnisses haben 12 den Vertrag in der Zwischenzeit unterzeichnet. Sie wissen genauso wie ich, daß Frankreich eine besondere Haltung einnimmt. Es bleiben zu dieser Stunde lediglich übrig die Bundesrepublik und Portugal. Ich möchte hier in aller Deutlichkeit sagen, ich habe nicht den Eindruck, daß wir einen positiven Beitrag leisten, wenn wir uns innerhalb des Bündnisses noch lange in der augenblicklichen Situation befinden.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601030700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Guttenberg?

Hans-Jürgen Wischnewski (SPD):
Rede ID: ID0601030800
Bitte, Herr Kollege von Guttenberg!

Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg (CSU):
Rede ID: ID0601030900
Stimmen Sir mir zu, Herr Kollege Wischnewski, daß von allen 15 NATO-Staaten nur die Bundesrepublik das von mir vorhin beschriebene besondere Verhältnis zur Sowjetunion hat?

Hans-Jürgen Wischnewski (SPD):
Rede ID: ID0601031000
Ich darf in diesem Zusammenhang in einigen Sätzen mehr folgendes sagen — und darin ist auch die Antwort auf Ihre Frage enthalten —: die Bundesregierung hat in ihrer Regierungserklärung zum Atomsperrvertrag gesagt:
Die Bundesregierung wird den Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen unterzeichnen, sobald entsprechend den Beschlüssen der letzten Bundesregierung die noch ausstehenden Klärungen herbeigeführt sind.
Die Bundesregierung — ich spreche jetzt von der letzten Bundesregierung — hat den Katalog der noch ausstehenden Klärungen in ihrem Kabinettsbeschluß vom 13. August 1969 zusammengefaßt, und in der Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion ist dieser Kabinettsbeschluß vom 13. August auch ausdrücklich aufgeführt. Die neue Bundesregierung hat die Zwischenzeit genutzt, um alle Fragen, die damals zur Debatte gestanden haben, insbesondere mit den Vereinigten Staaten zu klären. Und wenn ich die Antwort der Bundesregierung richtig verstanden habe, werden wir in einer wichtigen Frage auch noch in den beiden zuständigen Ausschüssen eine entsprechende Auskunft erhalten.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601031100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stoltenberg?

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0601031200
Ist Ihnen, wenn Sie den Kabinettsbeschluß zitieren, Herr Kollege Wischnewski, nicht bekannt, daß in ihm vorgesehen war, eine gemeinsame Haltung der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zu den Einzelheiten des Kontrollverfahrens vor der abschließenden Würdigung herbeizuführen, und entnehmen Sie nicht dieser Debatte, daß das bis zum heutigen Tage nicht geschehen ist, so daß also Ihre Wertung insofern falsch ist?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Hans-Jürgen Wischnewski (SPD):
Rede ID: ID0601031300
Herr Kollege Dr. Stoltenberg, ich bin Ihnen für diese Frage ganz besonders dankbar.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Eine Rücksprache mit Mitgliedern der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft — Sie haben ja ohne weiteres die Möglichkeit, das zu tun —wird auch Ihnen beweisen, daß durch unsere Haltung eine Reihe von entscheidenden Fragen als Vorbereitung für die Einnahme einer gemeinsamen Haltung bisher nicht geklärt werden konnte. Ich würde wirklich empfehlen, daß Sie in dieser Frage mit den Mitgliedern der Kommission Rücksprache nehmen, die ausdrücklich sagen, daß wegen der Haltung der Bundesregierung in der Vorbereitung auf die notwendigen Gespräche mit der Wiener Behörde bisher nur i einige wenige technische Fragen, nicht aber die entscheidenden Fragen geklärt werden konnten.




Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601031400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0601031500
Darf ich Sie darauf hinweisen, Herr Kollege Wischnewski, daß diese Wertung in keiner Weise den Tatsachen entspricht, weil die Bemühungen der Kommission, eine gemeinsame Haltung der Mitgliedstaaten zu erreichen —unabhängig von der Frage einer deutschen Unterschrift , nicht an der Haltung der früheren oder jetzigen Bundesregierung gescheitert sind, sondern an der Haltung anderer Mitgliedstaaten, die dies zu verantworten haben und nicht wir, so daß wir die Verantwortlichkeiten nicht verwischen sollten?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Hans-Jürgen Wischnewski (SPD):
Rede ID: ID0601031600
Herr Kollege Dr. Stoltenberg, bevor wir diese Debatte begannen, sind meine politischen Freunde und ich darum bemüht gewesen, in Brüssel den letzten Stand der dortigen Situation zu klären. Dort ist auch von den Mitgliedern der Kommission, die aus der Bundesrepublik kommen, noch einmal eindeutig auf die Lage hingewiesen worden, wobei natürlich nicht gesagt worden ist, daß die Schuld bei uns liegt. Die anderen — bis auf Frankreich — haben in dieser Frage ihre Entscheidung bereits getroffen.
Hier ist vorhin in der Debatte gesagt worden, daß die Gipfelkonferenz ein Anlaß dazu sein könnte, eine Reihe von Fragen in Vorbereitung der Gespräche zu klären, die zwischen Euratom und der Wiener Behörde stattzufinden haben. Dazu möchte ich ausdrücklich sagen, daß das nur begrüßt werden kann und daß es ein besonders günstiger Anlaß ist, dies jetzt zu tun.
Alle Fragen, die in dem Kabinettsbeschluß vom 13. August behandelt waren, sind soweit sie mir bekannt sind, mit der Beantwortung der Großen Anfrage der CDU/CSU angesprochen, mit Ausnahme dessen, was die Bundesregierung noch für die beiden Ausschüsse in dieser Frage vorgesehen hat. Ich möchte hier ausdrücklich feststellen, daß sich die vorige Bundesregierung — das ist schon mehrere Male gesagt worden —, in hervorragender Weise darum bemüht hat, den ursprünglichen Text zu verbessern, und daß diese Bundesregierung in der kurzen Zeit, die seit dem 13. August zur Verfügung gestanden hat — nach der Regierungsbildung — wesentliche Fragen insbesondere mit den Vereinigten Staaten geklärt hat. Ich darf hier auch ganz deutlich zum Ausdruck bringen, wir haben in den Fragen, die mit unserem bedeutendsten Verbündeten in der Zwischenzeit geklärt werden konnten — ich nehme an, daß wir darin gänzlich übereinstimmen —, völliges Vertrauen zu den Vereinigten Staaten. Erst vor wenigen Tagen hat zwischen den Beauftragten der Bundesregierung und dem Außenminister der Vereinigten Staaten ein Gespräch stattgefunden, in dem die für uns wesentlichen Fragen noch einmal ausdrücklich bestätigt worden sind. Aus dieser Sicht gibt es in dieser Stunde keine Möglichkeiten, andere Fragen zu klären. Die Fragen, die
noch geklärt werden müssen — in dieser Hinsicht stimmen wir ja völlig überein, daß noch ein paar Probleme zu klären sind —, können erst eindeutig geklärt werden, wenn die Bundesregierung ihre Unterschrift geleistet hat. Zwischen der Unterschriftsleistung und der Ratifizierung des Vertrages wird genügend Zeit sein, die Fragen, die noch der Klärung bedürfen und die erst dann geklärt werden können, auch endgültig zu klären. Mir scheint es deshalb notwendig zu sein, daß die Bundesregierung dieses Abkommen bald unterschreibt, um in unserem eigenen Interesse die Zeit zwischen Unterschriftsleistung und Ratifizierung so schnell wie möglich nutzen zu können.
Herr Kollege Birrenbach — Herr Kollege Barzel hat es nachher erfreulicherweise ein wenig anders dargestellt — hat zu dem Stellung genommen, was unsere Kollegen alle gemeinsam bei der Interparlamentarischen Union gemacht haben. Dazu lassen Sie mich bitte noch ein Wort sagen, weil ich nicht möchte, daß der Eindruck entsteht, daß die Stellungnahme von Parlamentariern in solchen internationalen Gremien wie der IPU hier vielleicht nicht die notwendige Bedeutung haben. Die Frage wird bei der Interparlamentarischen Union schon langer als ein Jahr behandelt. Eine wichtige Entscheidung ist bereits im Frühjahr dieses Jahres bei der Ratssitzung der Interparlamentarischen Union gefallen, als man zu diesen Fragen in bezug auf Unterschrift u n d Ratifizierung schon Stellung genommen hatte. Der Deutsche Bundestag ist dort durch den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages in entscheidendem Maße vertreten worden. Wir sollten daran denken, welche Haltung der Kollege Dr. Kopf in dieser Frage eingenommen hat, wenn wir, verehrter Herr Kollege Dr. Birrenbach, hier die Tätigkeit von Parlamentariern in solchen Gremien beurteilen.

(Abg. Dr. Jaeger meldet sich zu einer Zwischenfrage.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601031700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Jaeger?

Hans-Jürgen Wischnewski (SPD):
Rede ID: ID0601031800
Das gilt nicht nur für die Ratssitzung, sondern das gilt auch für die Plenarsitzung, in der alle Kollegen dieses Hauses eine gemeinsame Haltung eingenommen haben und in der die Frage der baldigen Unterschrift und der baldigen Ratifizierung angesprochen wurde. Ich schneide diese Frage hier an, weil niemals der Eindruck entstehen darf, daß wir zu Hause eine andere Sprache führen als draußen. Das allerdings könnte der Bundesrepublik sehr schaden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601031900
Das Wort hat der Abgeordnete Stücklen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0601032000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Fraktion der CDU/CSU gebe ich folgende Erklärung ab.



Stücklen
Die Fraktion der CDU/CSU hält es vor einer abschließenden Würdigung des Nichtverbreitungsvertrages für erforderlich:
1. eine gemeinsame Haltung der Mitgliedstaaten der europäischen Gemeinschaften in den Einzelfragen der Rechtsstellung der Gemeinschaften, der vollen Anerkennung des Euratom-Kontrollsystems, der Vermeidung von Doppelkontrollen und der Beschränkung der IAEO auf eine Verifikation der Ergebnisse herbeizuführen;
2. die Unterstützung weiterer Länder für diese Punkte zu gewinnen;
3. die volle Gleichstellung der deutschen friedlichen Forschung und Industrie durch geeignete Interpretationen und angemessene Kostenregelungen zu sichern;
4. die Entscheidung der Bundesregierung über die Unterzeichnung des Nichtverbreitungsvertrages nicht vor einer Ratifikation dieses Vertrages durch die Sowjetunion zu fällen, da erst dann sichergestellt werden kann, daß diese den amerikanischen Interpretationen nicht widersprochen hat;
5. geeignete Schritte zu ergreifen, um auszuschließen, daß in den entscheidenden Punkten des Vertrages ein Dissens in der Interpretation zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion entsteht;
6. die amerikanische Regierung zu bitten, die Erklärung des Außenministers der Vereinig-
) ten Staaten vor den Vereinten Nationen vom 2. Oktober 1968 über die andauernde Sicherheitsgarantie der USA durch die amerikanische Regierung ausdrücklich zu wiederholen;
7. die Sowjetunion aufzufordern, in eindeutiger Form ohne Einschränkung die Anwendung des Art. II der Charta der Vereinten Nationen im Gesamtbereich der Beziehungen der Bundesrepublik zur Sowjetunion anzuerkennen;
8. die europäische Option, insbesondere für defensive europäische Kernwaffen, offenzuhalten.
Wir legen Wert auf eine eingehende Beratung dieser Fragen in den zuständigen Ausschüssen des Deutschen Bundestages. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich im Sinne dieser Erklärung zu verhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601032100
Ich habe keine Wortmeldungen mehr. Niemand wünscht mehr das Wort? — Dann ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Nunmehr kommt eine Reihe von Punkten, die sich alle miteinander mit Wohngeld, Wohnungswesen, Mietpreisvorschriften und Mietrechtsvorschriften befassen:
3. Erste Beratung des von den Abgeordneten Geisenhofer, Dr. Riedl (München), Dr. Schmidt

(Wuppertal), Rollmann, Orgaß, Dr. Probst, Müller (Berlin), Wohlrabe und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes

— Drucksache VI/2
4. Erste Beratung des von den Abgeordneten Geisenhofer, Dr. Riedl (München), Dr. Probst und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wohnungsbindungsgesetzes 1965
— Drucksache VI/3
5. Erste Beratung des von den Abgeordneten Geisenhofer, Dr. Riedl (München) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum
— Drucksache VI/13
6. Erste Beratung des von den Abgeordneten Geisenhofer, Dr. Riedl (München) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung mietpreisrechtlicher Vorschriften
— Drucksache VI/14
7. Erste Beratung des von den Abgeordneten Geisenhofer, Dr. Riedl (München), Rollmann, Orgaß und Genossen eingebrachen Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften
— Drucksache VI/15 —
Ich nehme an, daß zumindest die Punkte 3 bis 7 einheitlich begründet werden. — Welche Punkte wollen Sie begründen?

(Abg. Geisenhofer: Die Tagesordnungspunkte 3, 4 und 6! Zu den Tagesordnungspunkten 5 und 7 wird Herr Dr. Riedl sprechen!)

— Sie wollen hintereinander sprechen? — Dann erteile ich Ihnen das Wort zur Begründung. Abgeordneter Geisenhofer!

Franz Xaver Geisenhofer (CSU):
Rede ID: ID0601032200
Herr Präsident, ich bitte Sie, die Tagesordnungspunkte 3, 4 und 6 gemeinsam behandeln zu dürfen. Es sind dies die Drucksachen VI/2, VI/3 und VI/14.
Meine Damen und Herren, die Anliegen der von mir zu behandelnden drei Gesetzentwürfe sind bereits in der 198. Sitzung des 5. Deutschen Bundestages zur Sprache gekommen. Was den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes betrifft, darf ich annehmen, daß in diesem Hause Einigkeit darüber besteht, daß das Wohngeldgesetz vom Jahre 1965 nun endlich den veränderten Verhältnissen angepaßt werden muß. Wir bedauern zutiefst, daß ein ähnlicher Vorschlag, den wir im vergangenen Herbst im 5. Deutschen Bundestag gemacht haben, im Ausschuß gescheitert ist.
Ich darf auch annehmen, daß in diesem Hohen Hause Übereinstimmung darüber besteht, daß die Mieten schneller und höher gestiegen sind als die Einkommen, die Löhne und Gehälter. Gerade in den



Geisenhofer
Großstädten, in den Millionenstädten tritt diese Diskrepanz deutlich und erschreckend zutage.

(Anhalte Unruhe.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601032300
Meine Damen und Herren, ich bitte, Platz zu nehmen und allenfalls notwendige Privatgespräche draußen zu führen.

Franz Xaver Geisenhofer (CSU):
Rede ID: ID0601032400
Um die Folgen dieser unguten Entwicklung zu beseitigen oder zumindest zu mildern, sieht der Antrag der CDU/CSU vor, daß in wesentlichen Bereichen Verbesserungen eingeführt werden. Ich darf hier betonen, daß die gesamte CDU/CSU-Fraktion einmütig hinter diesem Gesetzentwurf zur Wohngelderhöhung steht.
Die Verbesserungsvorschläge betreffen im wesentlichen folgende Positionen: 1. Erhöhung der Einkommensgrenze von 750 DM auf 900 DM, 2. eine lineare Senkung der Tragbarkeitssätze um 1 %,
3. die Erhöhung der Mietobergrenze im Althausbereich und im freifinanzierten Wohnungsbau und
4. die Erweiterung der zuschußfähigen Wohnflächen von 5 bis 10% vor allem bei kinderreichen Familien. Um die Ungerechtigkeiten gegenüber kinderreichen Familien zu beseitigen und um dem Grundsatz der Verwaltungsvereinfachung Rechnung zu tragen, sieht unser Gesetzentwurf die Streichung der Kappungsvorschrift des § 10 Abs. 2 vor. Ferner ist vorgesehen, daß der Wohngeldversagungsgrund, der bisher schon bei 5000 DM Erspartem bestand, erst bei Vermögensteuerpflichtigkeit eintritt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Gesetzentwurf soll bewirken, daß einkommenschwache Familien, Rentner, Pensionäre und Kinderreiche stärker als bisher in den Genuß des Wohngeldes kommen. Vor allem sollen zukünftige Mieterhöhungen durch unseren Gesetzentwurf die Rentner und Bezieher kleiner Einkommen nicht mehr treffen, weil das Wohngeld ihnen jegliche Erhöhung der Mieten abnimmt.
Ferner wollen wir erreichen — und das ist erstmalig —, daß auch Bezieher mittlerer Einkommen, die in freifinanzierte Wohnungen mit hohen Mietlasten abgedrängt sind, in den Genuß des Wohngeldes kommen. Es soll erreicht werden, daß für eine dreiköpfige Familie, die heute bei einem Nettoeinkommen von 1000 DM monatlich in München für eine Wohnung von 75 bis 80 qm à 5 DM 400 DM Miete zu zahlen hat — mit Licht und Heizung sind das insgesamt 500 DM—, diese Mietlast wesentlich gesenkt wird. Wegen dieser hohen Mietlast besteht in München in Tausenden von Familien große Verbitterung. Diese Mietbelastung ist einfach untragbar. Wir wollen einen Tragbarkeitssatz von 21% erreichen. Dieser wäre zumutbar. In dem geschilderten Modellfall wäre das eine Monatsmiete von ungefähr 210 DM.
Der Einwand, daß durch die Erhöhung der Mietobergrenzen die Hausbesitzer, also die Vermieter, angereizt werden könnten, die Miete auf diese Höhe anzuheben, ist nicht stichhaltig. Im Althauswohnungsbau sind in München die Sechszimmerwohnungen bereits von der Preisbindung frei, und die
Mieten haben sich bei 4 DM pro Quadratmeter eingependelt. Im freifinanzierten Wohnungsbau werden bereits Mieten von 6, 7 und 8 DM verlangt. Das ist einfach nicht tragbar.
Eine rasche und fühlbare Erhöhung des Wohngeldes ist auch deswegen notwendig, weil, wie wir glauben, selbst nach der Verabschiedung des Städtebauförderungsgesetzes die Mietpreise nicht sinken werden; wir sind schon froh, wenn sie nicht weiter steigen.
Bei Annahme unseres Gesetzentwurfes kann auch damit gerechnet werden, daß der Andrang auf Sozialwohnungen nachläßt. Es werden nämlich die Mieter, die in freifinanzierte Wohnungen abgedrängt werden und dort eine sehr hohe Mietbelastung übernehmen müssen, ihre Anträge auf Zuweisung von Sozialwohnungen zurücknehmen, wenn sie auch im freifinanzierten Wohnungsbau ein erhöhtes Wohngeld bekommen. Umgekehrt kann damit gerechnet werden, daß Mieter von Sozialwohnungen, die bessere Wohnungen im freifinanzierten Wohnungsbau anstreben, Sozialwohnungen freigeben.
Über die Höhe der Kosten, die unser Gesetzesvorschlag verursachen wird, können wir keine konkreten Angaben machen. Ich darf aber in diesem Zusammenhang auf den zweiten Wohngeldbericht der Bundesregierung verweisen. Wir wissen, daß von 21 Millionen Haushaltungen in der Bundesrepublik Deutschland ungefähr 700 000 Haushaltungen — das sind rund 3 % — Wohngeld beziehen. Die Wohngeldzuschüsse betragen ungefähr 511 Millionen DM. Selbst wenn die Kosten unserer Gesetzesvorlage den Betrag von 200 Millionen DM übersteigen, müssen wir um der sozialen Gerechtigkeit willen dazu ja sagen, denn es geht hier darum, den hart bedrängten Mietern in diesen Bereichen tatsächlich eine Hilfe zu geben. Die ungerechtfertigten und unsozialen Mietbelastungsquoten von jetzt 30, 40 und mehr Prozent müssen beseitigt werden. Aber auch die unberechtigten Mietvorteile — ich denke an die sogenannten fehlbelegten Sozialwohnungen — müssen in diesem Hohen Hause einmal diskutiert werden, und das Problem muß im Ausschuß angegangen werden.
Unser Gesetzentwurf berücksichtigt weitgehend die Erfahrungen, die im zweiten Wohngeldbericht niedergelegt sind. Im Ausschuß muß auch geprüft werden, ob Empfänger von Sozialhilfe in das Wohngeldgesetz einbezogen werden können.
Zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wohnungsbindungsgesetzes 1965 — Drucksache VI/3 — kann ich mich kurz fassen. Dieser Gesetzentwurf ist mit keinen Kosten verbunden und beschränkt sich auf München. Damit wollen wir der besonderen Wohnungssituation in München gerecht werden. Es soll erreicht werden, daß das Amt für Wohnungsfragen in München wieder mehr bei der Vergabe von Sozialwohnungen mitwirkt. Ferner soll erreicht werden, daß die Wohnrechtbescheinigung nach § 5 des Wohnungsbindungsgesetzes nur dann in München gilt, wenn sie beim Amt für soziale Wohnungsfragen ausgestellt ist. Damit wollen wir den stürmischen Andrang auf Sozialwohnungen wieder einigermaßen in den Griff bekommen.



Geisenhofer
Der letzte Gesetzentwurf, den ich zu begründen habe, betrifft das Zweite Gesetz zur Änderung mietpreisrechtlicher Vorschriften. Dieser Gesetzentwurf sieht eine Verlängerung der Preisbindung, die in München am 31. Dezember 1970 zu Ende ginge, für zwei Jahre über die Olympiade hinweg bis zum 31. Dezember 1972 vor. Gleichzeitig soll den Vermietern, den Hausbesitzern, eine Anhebung der Mieten um 10 % gestattet werden.
In München sind Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt nicht ausgeglichen. Vielmehr stehen sie in krassem Widerspruch zueinander. Jährlich ziehen fast 40 000 Menschen zu. Nach der letzten Wohnzählstatistik besteht in München ein Wohnungsfehlbestand von 19 000 Wohnungen. Das ist ein rechnerisches Defizit von 4,5 °/o. Nach diesem Defizit müßte München eigentlich noch schwarzer Kreis sein. Unser Gesetzentwurf sieht nicht die Rückkehr zur Wohnungszwangswirtschaft vor. Wir wollen aber durch die Preisbindung für weitere zwei Jahre die Mieter vor Mißbrauch, vor überhöhten Mieten schützen. Andererseits wollen wir die Hausbesitzer durch die 10%ige Erhöhung der Mieten davor bewahren, daß ihr Althaus-Eigentum zerfällt.
Diese Maßnahme wird auch deshalb notwendig, weil sich der Wohnungsbedarf in München durch die Olympiade stark erhöhen wird. Um Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungssektor wenigstens bis Ende 1972 ausgleichen zu können, bitten wir die Bundesregierung, den Wohnungbau in München so
3) zu unterstützen, daß wenigstens 10 000 Sozialwohnungen jährlich erstellt werden können.
Ich schlage vor, die Gesetzentwürfe den zuständigen Ausschüssen zu überweisen, und bitte um Ihre Zustimmung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601032500
Meine Damen und Herren, die Gesetzentwürfe, die jetzt begründet worden sind, sind in der Tagesordnung als Punkte 3, 4 und 6 aufgeführt. Ich eröffne jetzt die Aussprache zu diesen Punkten 3, 4 und 6.
Das Wort hat Frau Meermann.

Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0601032600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Ich möchte einige Anmerkungen zum Antrag Drucksache VI/2 machen, den der Herr Kollege Geisenhofer soeben begründet hat.
Herr Kollege Geisenhofer, wann immer dieses Haus wohnungspolitische Debatten geführt hat und wie unterschiedlich auch unsere Meinungen in Einzelfragen gewesen sein mochten, über eins waren sich die Sprecher aller drei Fraktionen in den letzten Jahren eigentlich immer einig: daß das Wohngeld als ein ganz wichtiges Instrument fortschrittlicher Wohnungsbaupolitik erhalten bleiben muß. Daher sind wir alle in diesem Hause verpflichtet, von Zeit zu Zeit zu untersuchen, ob bei veränderten Einkommensverhältnissen, veränderten Baupreisen und veränderten Mieten die Menschen, die die Hilfe
des Gesetzes bekommen sollen, sie auch noch erhalten und ob diese Hilfe ausreichend ist.
Die SPD-Bundestagsfraktion ist der Auffassung, daß das Wohngeldgesetz in seiner gegenwärtigen Form durch die Entwicklung der letzten Jahre überholt worden ist und daß wir es einer generellen Durchsicht und einer generellen Verbesserung unterziehen müssen. Wir haben diese unsere Absicht auch bereits bei der Haushaltsplanberatung im März 1969 angekündigt.
Wir stehen also der Tendenz Ihres Antrags Drucksache VI/2 mit Sympathie gegenüber, da er unsere Ankündigungen aufnimmt. Jedoch sind wir im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Geisenhofer, nicht der Auffassung, daß es damit getan ist, die materiellen Leistungen des Gesetzes zu verbessern, sondern wir meinen, daß das Gesetz gleichzeitig auch vereinfacht werden muß. Sie werden sich vielleicht an unsere Beratungen im Ausschuß erinnern und werden wissen, wie wir gesucht und darum gerungen haben, jeder besonderen Situation, die eintreten könnte, größtmögliche Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Das hat das Gesetz nicht gerade einfach gemacht. Wir haben dabei einem anderen berechtigten Anliegen vielleicht nicht genügend Rechnung tragen können: daß der Bürger schnell zu seinem Geld kommen will. Wir werden also das Verfahren vereinfachen müssen, auch unter Inkaufnahme des Umstandes, daß dann vielleicht nicht jeder Einzelfall in letzter Perfektion vorgeregelt werden kann.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601032700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0601032800
Frau Kollegin, stimmen Sie mit mir darin überein, daß eine Vereinfachung aber nicht zu einer Verschlechterung für ausgesprochene Härtefälle führen darf?

Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0601032900
Selbstverständlich, Herr Kollege. Wir entscheiden über diese Vereinfachungen ja auch nicht heute, sondern wie ich Sie kenne, Herr Czaja, werden wir im Ausschuß noch lange Diskussionen mit Ihnen darüber haben.
Wir Sozialdemokraten haben deshalb im März dieses Jahres vorgeschlagen — weil wir beides tun müssen: das Gesetz materiell verbessern und es gleichzeitig praktikabler machen —, daß wir uns, sobald der Bericht der vom Wohnungsbauminister einberufenen Kommission zur Vereinfachung des Wohngeldgesetzes vorliegt, an diese Arbeit machen. Das ist jetzt der Fall. Wir können nun eine umfassende und solide Arbeit leisten und können auch die Erfahrungen der Länder und Gemeinden mit heranziehen.
Vielleicht haben einige Kollegen der CDU/CSU ähnliche Überlegungen gehabt, nämlich die Kollegen, die den uns vorliegenden Antrag nicht unterschrieben haben. Es muß doch auffallen, daß ein Antrag von bemerkenswert großer finanzieller Konsequenz von einer bemerkenswert kleinen Gruppe unterschrieben worden ist. Persönlich möchte ich meiner Freude darüber Ausdruck geben,



Frau Meermann
daß aus diesem Antrag eine starke Anerkennung der sozialdemokratischen Wirtschafts- und Finanzpolitik spricht. Denn es ist noch gar nicht so lange her — im Herbst 1966 —, daß der damalige Finanzminister, der der antragstellenden Gruppe, die im wesentlichen aus süddeutschen Gefilden kommt, auch aus anderen Gründen nahesteht, der Auffassung war, daß er den Wohngeldempfängern eine ganz erhebliche Kürzung der staatlichen Hilfe zumuten müsse.

(Abg. Jacobi [Köln/Iserlohn] : Sehr gut!)

Wir haben damals einige Mühe gehabt, dem Finanzminister gegenüber durchzusetzen, daß am Wohngeld nicht gerüttelt werden darf und daß das Wohngeld seinen sicheren Platz in der Finanzplanung haben muß. Heute haben Sie einen nur sehr unzureichenden Versuch gemacht, etwas zur finanziellen Seite Ihres Antrages zu sagen. Soweit ich unterrichtet bin, hat der Herr Wohnungsbauminister Berechnungen anstellen lassen, nach denen der Antrag so, wie er vorliegt, etwa 500 Millionen DM jährlich für Bund und Länder gemeinsam kosten wird. — Aber wahrscheinlich sind Sie der Auffassung, daß der sozialdemokratische Finanzminister das schon irgendwie schaffen wird.
Wir werden uns im Ausschuß noch im einzelnen über Ihre Vorschläge unterhalten und insbesondere die Frage prüfen müssen, ob außer den generellen Verbesserungen für diejenigen Gruppen, für die Sie besondere Maßnahmen ins Auge gefaßt haben, vielleicht noch Wirksameres getan werden kann. Ich denke hier vor allem an die Alleinstehenden in den unteren Einkommensgruppen. 1968 lag das monatliche Einkommen bei über 40 % der alleinstehenden Mietzuschußempfängern unter 300 DM. Dabei handelt es sich im wesentlichen um alleinstehende Frauen. Diese sind auch von der Wohnflächenbegrenzung in besonderem Maße betroffen, weil sie häufig in größeren Wohnungen zurückbleiben und geeignete kleine Wohnungen nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen. Ich habe jetzt diese Gruppe herausgegrifffen, bin aber mit Ihnen der Ansicht, daß wir z. B. auch die Wohngeldsituation der jungen und kinderreichen Familien verbessern sollten. Sie haben dazu einige recht interessante Vorschläge gemacht.
Ich muß es mir versagen, auf- Ihre Vorschläge im einzelnen einzugehen. Wir sind heute in der ersten Lesung, und diese soll nicht allzu lang sein. Ich muß auch die Versuchung unterdrücken, auf alle Forderungen einzugehen, die jetzt in Ihrem Antrag erscheinen und die Ihre Fraktion, als Sie die Regierung stellten, uns Sozialdemokraten abgelehnt
hat.

(Abg. Jacobi [Köln/Iserlohn] : Sehr richtig!)

Ich darf z. B. an die Kappungsvorschrift erinnern, die Sie jetzt beseitigen wollen. Auf Grund dieser Kappungsvorschrift wird in der Tat oftmals mit der linken Hand ein Teil dessen wieder weggenommen, was die rechte gewährt hat.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0601033000
Eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Mick.

Josef Mick (CDU):
Rede ID: ID0601033100
Frau Kollegin Meermann, waren wir nicht gemeinsam der Meinung, daß wir mit diesem völlig neuartigen Gesetz gemeinsam Erfahrungen sammeln müßten, um es dann laufend zu verbessern?

Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0601033200
Ja, Herr Kollege Mick. Ich habe auch ausdrücklich gesagt, daß ich mit der Tendenz des Antrags einverstanden bin. Ich komme aber nun zu einigen Bedenken.
In dem Antrag sind einige Ungereimtheiten, Herr Kollege. Ich sehe z. B. eine offensichtliche Ungereimtheit darin, daß Sie eine erhebliche Anhebung der Mietobergrenzen für Altbauwohnungen in Städten mit über 1 Million Einwohnern vorsehen. Das sind nur drei Städte in der Bundesrepublik: Berlin, Hamburg und München. In München gibt es zur Zeit noch gebundene Mieten für Altbauwohnungen. So liegt z. B. die gebundene Miete für eine Altbauwohnung ohne Bad und Heizung der obersten Ausstattungskategorie ich habe mich ausdrücklich erkundigt — monatlich bei 1,98 DM pro qm. Sie möchten ja auch, daß das vorläufig so bleibt.

(Abg. Geisenhofer meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Ich möchte den Gedanken erst zu Ende führen. -Sie haben nämlich in Ihrem Gesetzentwurf — Drucksache VI/14 — vorgesehen, daß in München die gebundenen Mieten erst ab 1. Januar 1971 um 10 % erhöht werden können. Wenn Sie aber in dem anderen Antrag eine Festlegung der Mietobergrenze für solche Wohnungen auf 3 DM verlangen, muß das natürlich bei demjenigen Hausbesitzer, der nicht ständig mehrere Gesetze miteinander vergleicht, die Vorstellung erwecken, daß er eigentlich seine gebundene Miete um über 50 % erhöhen könnte. Das führt aber zu einer Beunruhigung in Brennpunkten des Wohnungsbedarfs, und einen solchen stellt München schließlich dar. Vor einer derartigen Beunruhigung wollen wir sowohl den Mieter als auch den Vermieter schützen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601033300
Eine Zwischenfrage!

Franz Xaver Geisenhofer (CSU):
Rede ID: ID0601033400
Frau Kollegin, darf ich fragen: Ist Ihnen nicht bekannt, daß es in München 30 000 Altbauwohnungen gibt, 6-Zimmer-Wohnungen, die bereits frei, also nicht mehr preisgebunden sind und bei denen sich der Mietpreis bei 4 DM eingependelt hat, so daß eine Erhöhung über die Obergrenze, die wir festlegen, hinaus gar nicht mehr möglich ist?

(Abg. Jacobi [Köln/Iserlohn] : Das sollte nicht legalisiert werden!)


Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0601033500
Es ist ein Unterschied, Herr Kollege, ob sich ein hoher Preis mißbräuchlich so entwickelt hat oder ob wir ihn hier als etwas Normales ansehen. Wir sollten im Gesetz eine mißbräuchliche Entwicklung nicht nachträglich sanktionieren, wenn dadurch Anregung zu weiteren Miet-



Frau Meermann
preiserhöhungen gegeben wird, die Sie ja ausdrücklich nicht wollen.

(Beifall bei der SPD.)

Ich kann durchaus verstehen, Herr Kollege, daß Sie sich bei diesem Antrag etwas vom olympischen Eifer haben leiten lassen. Sie wollten schnell in die Öffentlichkeit, und das verstehe ich. Aber in diesem Punkt und auch in einigen anderen hat Ihr Eifer der Gründlichkeit ein bißchen geschadet. Ich habe bei der Lektüre an einen Ausspruch denken müssen, den Fritz Reuter seinem Onkel Bräsig in den Mund gelegt hat, nämlich: „In die Fixigkeit, da bist du mich über, aber in die Richtigkeit, da bin ich dich über."

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Wir werden bei der Behandlung dieser Gesetzesnovelle beides tun müssen: bald und richtig novellieren.
Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt der Ausschußüberweisung zu.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601033600
Meine Damen und Herren, ich möchte nicht, daß eine Verwirrung entsteht. Wir haben die Punkte 3, 4 und 6 begründen lassen; dazu hat Frau Meermann gesprochen. Will noch ein Mitglied des Hauses zu diesen drei Fragen sprechen? — Herr Schmidt (München) !

Manfred Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0601033700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Wohnungssituation in München macht es sicher erforderlich, daß in diesem Hause schnell Abhilfe geschaffen wird. Aus diesem Grund begrüßen wir es grundsätzlich, daß von einer kleinen Zahl von Abgeordneten der Fraktion der CDU/CSU ein solcher Antrag eingebracht wurde. Wir dürfen allerdings nicht vergessen, daß die Situation, die in München entstanden ist, zum großen Teil darauf zurückzuführen ist, daß eben in diesem Hause von einem Minister, der Ihrer Fraktion angehörte und als Abgeordneter angehört, und von dieser Fraktion selbst eine völlig falsche Politik betrieben worden ist.

(Beifall bei der SPD.)

Es wäre allerdings erheblich besser gewesen, wenn viele der Unterzeichner dieses Antrags im Dezember 1968 dem Antrag der SPD zugestimmt hätten, den Mieterschutz in München zu verlängern. Dann hätte es dieser Debatte heute meines Erachtens nicht bedurft.

(Beifall bei der SPD.)

Es ist keine Schande, wenn man einen politischen Fehler wiedergutmachen will; im Gegenteil, es ehrt diejenigen, die das tun. Aus diesem Grunde freuen wir uns über den Versuch, in diesem Antrag eine Lösung zu finden. Allerdings glaube ich, daß man hier unterstreichen muß, was die Kollegin Meermann gesagt hat: dieser Antrag hat sehr unter der Eile gelitten, mit der er vorgelegt wurde. Das gilt nicht nur für die Frage des Wohngeldes. Es gilt auch für die Frage der Mietpreisbindung und für die
Frist, die Sie vorgesehen haben. Es ist doch ganz klar, daß die Bevölkerungszunahme Münchens, die in diesem Jahre eine Höhe von 50 000 erreichen wird, bis zu den Olympischen Spielen und darüber hinaus noch weiter ansteigen wird. Das heißt also, daß sich die Probleme in München verschärfen und nicht entschärfen werden. Aus diesem Grund halten wir die Frist bis 1972, die Sie für die Verlängerung der Mietpreisbindung vorgesehen haben, nicht für ausreichend, und wir werden unsererseits mit einem Antrag kommen, der über diese Frist hinausgeht.
Im übrigen werden wir einen Antrag vorlegen, der für die Münchner Mieter eine Reihe weiterer Verbesserungen vorsieht. Aber darauf kann heute bei der ersten Lesung dieses Gruppenantrags nicht eingegangen werden.
Wir sind überdies 'der Meinung, 'daß es nicht gut ist, wenn man die Frage des Schutzes des Mieters bei der Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen nur für München regeln will. Wir glauben, daß diese Sache bundeseinheitlich zu regeln ist, da die daraus resultierenden Schwierigkeiten kein Münchener Spezifikum sind.

(Abg. Jacobi [Köln/Iserlohn] : Sehr richtig!)

Als Münchener Abgeordneter möchte ich meinen kurzen Ausführungen noch folgendes hinzufügen. Wir hätten es sehr begrüßt, wenn Sie bereit gewesen wären, vor allen Dingen die Abgeordneten der CSU, die in München wohnen, mit uns über diese Frage zu sprechen und nicht hier einen Antrag einzureichen, der, wie aufgezeigt und wie die Kollegin Meermann schon ausgeführt hat, eine Reihe von Ungereimtheiten enthält und die Beseitigung der Schwierigkeiten auf dem Münchener Wohnungsmarkt nicht erleichtert, sondern die Lösung dieser Fragen noch erschwert. Aus diesem Grunde haben wir zwar nichts dagegen, daß die Anträge dem Ausschuß überwiesen werden; wir hoffen aber im Interesse 'der Münchener Mieter, daß erheblich bessere Vorschläge in diesem Hause angenommen werden, als sie in dem vorgelegten Gruppenantrag enthalten sind.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601033800
Meine Damen und Herren, wir können dem Kollegen Schmidt (München) zu seiner Jungfernrede gratulieren und ihn als Vorbild für freies- Sprechen nehmen; (Beifall) oder sagen wir lieber: für Nichtablesen.
Herr Abgeordneter Wurbs!

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0601033900
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU und Herr Kollege Geisenhofer hat ja ausdrücklich betont, daß es sich bei diesen Gesetzentwürfen nicht um Abgeordnetenanträge oder Gruppenanträge, sondern um Gesetzentwürfe der gesamten CDU/CSU-Fraktion handelt.
Diese Gesetzentwürfe, die hier zur Beratung anstehen, haben einen wohnungspolitischen Tatbestand zum Gegenstand. Es würde in der ersten Lesung zu weit gehen, wenn man auf die einzelnen Vorlagen im Detail zu sprechen käme; aber gestat-



Wurbs
ten Sie mir bitte, daß ich ein paar kurze Bemerkungen mache.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0601034000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Geisenhofer?

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0601034100
Bitte schön!

Franz Xaver Geisenhofer (CSU):
Rede ID: ID0601034200
Kollege Wurbs, Sie haben mich wahrscheinlich mißverstanden. Ich habe ausdrücklich gesagt, daß die Verbesserung des Wohngeldgesetzes einstimmig von der CDU/CSU-Fraktion mitgetragen wird. Ich habe mich auf dieses Gesetz bezogen.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0601034300
Gut; dann habe ich das mißverstanden. Es bezieht sich nur auf das Wohngeldgesetz. Ich bedanke mich.
Ich darf zunächst zum Gesetzentwurf zur Änderung des Wohngeldgesetzes einige Anmerkungen machen. Ich glaube, das war eines der wichtigsten sozialpolitischen Gesetze, die überhaupt vom Bundestag verabschiedet worden sind. Ziel dieses Gesetzes war es, infolge der Freigabe der Mietpreisbildung auftretende Härten im wesentlichen auszugleichen und darüber hinaus jeder Familie einen angemessenen Wohnraum zu schaffen.
Alle drei Fraktionen haben in den einschlägigen Ausschußberatungen die Meinung vertreten, daß dieses Gesetz an das derzeitige Preisniveau angepaßt werden sollte und daß es einer Novellierung bedürfe. Die Erfahrungen haben gezeigt, daß das Gesetz sehr schwerfällig zu praktizieren ist und daß neben der materiellen Verbesserung selbstverständlich auch Verbesserungen der Verfahrensvorschriften erfolgen müßten.
Wir haben neben den soeben von mir angeführten Punkten noch ein weiteres Anliegen: bei der Novellierung des Gesetzes vor allen Dingen auch die Belange der Rentner und Sozialhilfeempfänger mehr zu berücksichtigen.
Es ist das gute Recht der Opposition, Gesetzentwürfe vorzulegen; aber es ist auch die Pflicht der Regierung, sich über die finanziellen Auswirkungen und Konsequenzen klarzuwerden.

(Abg. Jacobi [Köln/Iserlohn]: Das ist selbst Pflicht der Opposition!)

Wir werden sehr sorgfältig zu prüfen haben, ob die finanzielle Lage es zuläßt, den zusätzlichen Finanzbedarf, der sich in einer Größenordnung von etwa 500 Millionen DM bewegt, in der mittelfristigen Finanzplanung zu berücksichtigen.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. SchmittVockenhausen.)

Meine Damen und Herren, eine weitere Bemerkung zu dem Gesetzentwurf über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum. Ich verkenne keineswegs, daß sich München in einer besonderen Situation befindet. Die letzten Statistiken, die ich zu Rate gezogen habe, sagen aus, daß im Laufe eines Jahres etwa 50 000 Menschen nach München
zuziehen. Ich bezweifle aber, ob durch diese Gesetzesvorlage eine grundlegende Änderung der Wohnungsmarktlage erreicht werden kann. Die von der CDU/CSU eingebrachte Gesetzesvorlage löst bei meinen Parteifreunden und mir Bedenken aus, denn sie zielt ja auf die Wiedereinführung der Wohnungszwangswirtschaft ab, nachdem das Wohnungsbewirtschaftungsgesetz mit dem 31. Dezember 1968 ausgelaufen ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601034400
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0601034500
Bitte schön!

Dr. Günter Böhme (CDU):
Rede ID: ID0601034600
Ist Ihnen bekannt, daß dieses Thema hier zur Zeit gar nicht zur Diskussion steht, daß der Gesetzentwurf über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum nicht aufgerufen ist?

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0601034700
Ich darf mir aber doch erlauben, als Sprecher der FDP zu diesen Punkten einige Anmerkungen zu machen. Sie werden Gelegenheit haben, nachher noch zu diesen Punkten Stellung zu nehmen. Ich wollte es mir ersparen, ein paarmal nach hier oben zu gehen, um auf Ihre Gesetzentwürfe einzugehen. Ich glaube das doch in einem abhandeln zu können.
Noch ein Wort zur Änderung mietpreisrechtlicher Vorschriften. Es liegen drei Gesetzentwürfe vor — ich möchte sie hier gleich zusammen behandeln —, die im wesentlichen die Aussetzung und Verlängerung der Schlußtermine für Berlin und München vorsehen. Sämtliche Entwürfe zielen darauf ab, die Mietpreisbindung über einen gewissen Zeitpunkt hinaus — in diesem Falle über das Jahr 1972 hinaus — zu verlängern. Ich deutete ja eben schon an, daß sich München in einer besonderen Situation befindet. Wir haben in den Ausschüssen noch genügend Zeit, die Probleme eingehend zu beraten.
Wesentlich anders stellt sich für mich die Situation Berlins dar. Die Mietpreisbindung läuft dort mit dem Ende dieses Jahres aus. Es erscheint mir daher Eile geboten, das Gesetz noch rechtzeitig zu verabschieden. Ich verkenne keineswegs die Schwierigkeiten der betroffenen Städte. Ich gebe aber zu überlegen, oh dem Wohnungsmarkt mit der Verlängerung der Schlußtermine wesentlich geholfen wird und ob die Situation auf diese Weise wesentlich verbessert werden kann. Ich möchte hier die Anregung wiederholen, die ich bereits 1968 gegeben habe: In den betroffenen von mir angeführten Städten etwas mehr über den verstärkten sozialen Wohnungsbau zu tun.
Wir sollten uns bei der Beratung dieser Gesetzentwürfe auch überlegen, ob man nicht — wenn wir diese Schlußtermine jetzt wieder verlängern — ein für allemal mit dieser Verlängerung einen Schlußstrich unter diese Entwicklung setzen sollte.
Noch eine Schlußbemerkung zu einem weiteren Punkt, der heute abend zur Diskussion steht, und zwar zu den mietrechtlichen Vorschriften. Es geht im



Wurbs
wesentlichen darum, § 565 BGB und §§ 721 und 794 a ZPO zu ändern. Ich melde hier schon heute erhebliche Bedenken an, denn durch die Änderung dieser Paragraphen scheint mir eine künftige Veräußerung doch sehr erschwert zu werden, was auch auf die Mobilität des Wohnungseigentums entsprechend Einfluß haben würde. Ich glaube, die bisher geltenden Kündigungsfristen dürften — vor allem nach Modifizierung der Sozialklausel — in den hier in Betracht kommenden Fällen ausreichen. Wir werden uns vorbehalten, im Ausschuß ergänzende Anträge und Entwürfe vorzulegen und werden dazu beitragen, daß diese Gesetzentwürfe zügig bearbeitet werden.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601034800
Das Wort hat der Herr Bundeswohnungsbauminister.

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0601034900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober hat der Herr Bundeskanzler eine Verbesserung des Wohngeldgesetzes als eine wichtige Sozialreform bezeichnet. Zu einer solchen Reform gehören natürlich und sicherlich die Prüfung und die Beratung der in der Drucksache VI/2 behandelten Probleme. Für eine umfassende Novellierung des Wohngeldgesetzes, die von allen Fraktionen des Hohen Hauses für notwendig gehalten wird, reicht nach meiner Meinung die Vorlage aber noch nicht ganz aus. Es geht doch darum, das Gesetz den veränderten Einkommens- und Mietverhältnissen anzupassen und die unbilligen Härten zu beseitigen, die sich aus der bisherigen Handhabung des Gesetzes ergeben haben. Darüber hinaus muß die Novelle nach meiner Meinung durchgreifende Verfahrenserleichterungen bringen und auch zu einer Senkung des erheblichen Verwaltungsaufwandes beitragen.
Ich habe deshalb eine Novelle zum Wohngeldgesetz vorbereiten lassen, die wir in Kürze mit den anderen Bundesressorts und den Ländern abstimmen werden. Dabei wird insbesondere die Vereinfachung der Einkommensberechnung zu prüfen sein. Hierbei werden die Berechnungsfaktoren besser konkretisiert und stärker pauschaliert werden müssen. Um unbillige Härten zu vermeiden, geht es nicht nur um die generelle Herabsetzung der sogenannten Tragbarkeitssätze, es geht vielmehr um gezielte Verbesserungen bei den unteren Einkommensgruppen und um eine Entschärfung der sogenannten Kappungsvorschrift. Auch die Vorschriften über die benötigte Wohnfläche und über die Miet- und Belastungsobergrenzen müssen so zu neuen Grenzwerten kombiniert werden, daß dabei unbillige Härten für die Mieter vermieden werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601035000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Czaja? — Bitte schön!

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0601035100
Herr Minister, stimmen Sie mit der Antwort, die Frau Kollegin Meermann
gegeben hat, überein, daß die Vereinfachung zu keinen Verschlechterungen gerade für die einkommensschwächsten Schichten führen darf?

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0601035200
Herr Abgeordneter Czaja, wir sehen in der Novelle einen wichtigen Schritt der Sozialreform, d. h. nicht eine Verschlechterung, sondern nach Möglichkeit eine Verbesserung der Leistungen des Gesetzes.

(Beifall bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, es wird in diesem Zusammenhang auch zu prüfen sein, wie für die Empfänger von Sozialhilfe und Kriegsopferfürsorge eine befriedigende Regelung gefunden werden kann. Gerade darüber hatten wir uns ja heute morgen in der Fragestunde unterhalten. Das gilt auch für die andere Frage aus der Fragestunde von heute morgen, wie die Mietbeihilfen für Jugendliche, die sich in der Ausbildung befinden, namentlich auch für Studenten, geregelt werden können. Dabei sollte nach meiner Meinung entschieden werden, ob Mietbeihilfen zu den Ausbildungskosten im Rahmen der Ausbildungsförderung gehören oder ob Beihilfen im Rahmen des Wohngeldgesetzes geleistet werden sollten. Neben diesen materiellen Fragen steht gleichwertig die Forderung nach Vereinfachung, Verbilligung und vor allen Dingen auch Beschleunigung des Wohngeldverfahrens. Das Gesetz sollte daher eine Fassung erhalten, die den verstärkten Einsatz elektronischer Datenverarbeitungsanlagen ermöglicht.
Meine Damen und Herren, für eine umfassende Novellierung des Wohngeldgesetzes, wie ich sie für erforderlich halte, ergeben sich also noch viele Fragen, die in der Vorlage Drucksache VI/2 nicht berücksichtigt worden sind. Deshalb brauchen wir eine umfassende Vorlage, wie sie die Bundesregierung vorbereitet.
Nun noch einen besonderen Hinweis. Da ein solches Gesetz der Zustimmung des Bundesrates bedarf und die Länder die Hälfte der Kosten aus diesem Gesetz zu tragen haben, sollte den Ländern auf jeden Fall die Möglichkeit erhalten bleiben, bereits beim ersten Durchgang im Bundesrat dazu Stellung nehmen zu können; denn auch der Bundestag wird doch darauf Wert legen, die Stellungnahme des Bundesrates zu kennen, wenn er seine Beratungen beginnt.
Welche finanziellen Mehraufwendungen mit dem Antrag aus der Vorlage VI/2 verbunden sein werden, dazu äußern sich die Antragsteller leider nicht. Herr Abgeordneter Geisenhofer hat das ja ausdrücklich bestätigt. Nach vorsichtigen Schätzungen in meinem Hause werden die für Bund und Länder aus dieser Vorlage zu erwartenden Mehrausgaben insgesamt etwa 500 Millionen DM betragen. Schon daraus ergibt sich doch, daß eine Novelle zum Wohngeldgesetz mit erheblichen finanziellen Mehraufwendungen verbunden ist, die im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung abgesichert sein müssen. Davon hängt auch die Novellierung des Gesetzes ab.



Bundesminister Dr. Lauritzen
Es sollte auch nicht Übersehen werden, daß zwischen der Gewährung von Wohngeld, die man gelegentlich auch „Subjektförderung" nennt, und der öffentlichen Förderung des Wohnungsbaus, „Objektförderung" genannt, wohnungspolitisch ein enger Zusammenhang besteht. Auch darauf wird Rücksicht zu nehmen sein. Denn über das Verhältnis von Objekt- und Subjektförderung ist ja gerade in der letzten Zeit mit Recht lebhaft diskutiert worden. Es ist bezeichnend, daß Herr Abgeordneter Geisenhofer in diesem Zusammenhang für München ein besonderes Wohnungsbauprogramm von jährlich 10 000 Wohnungen gefordert hat. Auch hier besteht also ein unmittelbarer Zusammenhang zu der Vorlage.
Lassen Sie mich deshalb darauf Bezug nehmen, daß der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung angekündigt hat, daß wir ein langfristiges Wohnungsbauprogramm aufstellen und mit den Ländern abstimmen werden. Diese Wohnungsbauprogramm geht davon aus, daß der Wohnungsbau eine langfristige Aufgabe des Bundes bleiben wird, wie es der Jahreswirtschaftsbericht 1968 bereits mit gebührendem Nachdruck betont hat. Dieses Programm muß sich an den Ergebnissen der Wohnungszählung von 1968 orientieren und muß nach dem Bedarf ausgerichtet sein. Schon die bisher vorliegenden Einzelergebnisse lassen doch erkennen, daß der Bedarf höher sein wird, als bisher angenommen wurde. Ich kann im Grunde genommen nur das unterstreichen, was in der Begründung der Vorlage Drucksache VI/2 ausgeführt ist. Ich darf das mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, kurz zitieren. Es heißt in der Begründung zu § 1 Nr. 8:
Vor allem in den Großstädten mit einer Million und mehr Einwohnern (Ballungsräume), aber auch in anderen Gebieten, entspricht das Angebot an Wohnraum nach wie vor noch nicht dem vorhandenen Bedarf.
Ich hätte es allerdings sehr begrüßt, meine Damen und Herren, wenn diese Erkenntnis, die mit meiner Meinung völlig übereinstimmt, von den Antragstellern schon früher vertreten worden wäre.

(Beifall bei der SPD.)

Ich glaube, manches Gesetz wäre in diesem Hause dann anders ausgefallen, und wir hätten uns in der Gesetzgebung vielleicht besser dem Bedarf anpassen können. Herr Abgeordneter Schmidt hat nach meiner Meinung mit Recht darauf hingewiesen. Es muß doch das Ziel unserer Wohnungspolitik sein, eine Versorgung am Wohnungsmarkt zu erreichen, die es jedem Bürger ermöglicht, seine Wohnung frei wählen zu können, eine Wohnung, die der Größe seiner Familie angemessen ist. Durch entsprechende Objekt- und Subjektförderung muß zudem sichergestellt werden, daß auch einkommensschwache Mieter die Miete für familiengerechte Wohnungen tragen können. Deshalb ist es eine Aufgabe der öffentlichen Hand, den öffentlich geförderten Wohnungsbau verstärkt und langfristig fortzusetzen.
Das Wohnungsbauprogramm muß daher von dem tatsächlichen örtlichen Bedarf und von den persönlichen Bedürfnissen unserer Bevölkerung ausgehen. Nach unserer Auffassung muß der Bau von Wohnungen für kinderreiche Familien, junge Ehepaare, alte und alleinstehende Menschen sowie körperlich Behinderte besondere Berücksichtigung finden. Die Bundesregierung wird dabei auch in Zukunft die Bildung von Eigentum für breite Bevölkerungsschichten durch die öffentliche Förderung von Eigentumswohnungen und Eigenheimen nachdrücklich unterstützen.
Wir werden für ein solches Wohnungsbauprogramm auch das Zweite Wohnungsbaugesetz ändern müssen, und wir sollten endlich, meine Damen und Herren, von den starren Bindungen der langen Dringlichkeitskataloge wegkommen. Wir sollten dieses System, das man gelegentlich — vielleicht etwas diskriminierend — „Töpfchenwirtschaft" genannt hat, verbessern; denn wir müssen zu einer gezielten Förderung gelangen, die an dem örtlichen Bedarf ausgerichtet ist und nach den von mir genannten subjektiven Bedarfskategorien flexibel gehandhabt werden kann. Wir müssen auf jeden Fall aufpassen, daß wir nicht am Bedarf vorbeibauen. Deswegen werden wir bei der Novellierung des Bundeswohnungsbaugesetzes auch an eine Änderung der Einkommensgrenzen denken müssen.
Ich habe das ausgeführt, meine Damen und Herren, um deutlich zu machen, daß die Änderung des Wohngeldgesetzes nicht für sich isoliert betrachtet werden darf, sondern daß sie in unsere wohnungspolitischen, aber auch in unsere städtebaulichen Gesamtvorstellungen einbezogen werden muß. Denn alle diese Vorhaben, die doch mit finanziellen Aufwendungen verbunden sind, müssen im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung abgesichert werden. Dabei dürfen wir natürlich auch das Städtebauförderungsgesetz nicht vergessen, dessen Notwendigkeit ja alle drei Fraktionen dieses Hohen Hauses wiederholt betont haben.
Ich halte es für notwendig, auch in diesem Gesetz einen finanziellen Rahmen der Bundesverpflichtung festzulegen, damit die Länder und Gemeinden sich daran orientieren können und so die Möglichkeit haben, über ihre Prioritäten rechtzeitig und richtig zu entscheiden. Weiter halte ich es für notwendig — auch das gehört nach meiner Meinung in ein solches Programm —, die Modernisierung und Instandhaltung des Althausbesitzes künftig in verstärktem Maße auch über den Rahmen des Städtebauförderungsgesetzes hinaus zu fördern. Hier, meine Damen und Herren, möchte ich die wichtigsten Schwerpunkte der zukünftigen Wohnungsbaupolitik sehen, die doch alle miteinander in einem sehr engen Zusammenhang stehen. Das sollte bei der Beratung der Vorlage Drucksache VI/2 nicht außer acht gelassen werden.
Sicherlich wird es sich empfehlen, die Beratung dieser Vorlage im Ausschuß mit den Beratungen der angekündigten Regierungsvorlage zu verbinden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601035300
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Gleissner.




Dr. Franz Gleissner (CSU):
Rede ID: ID0601035400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich angesichts dieser Anträge einige Bemerkungen mache.
Sie wissen, daß diese Anträge, so wie sie vorgetragen worden sind, mehr oder weniger — das muß zugestanden werden — auf eine „Lex München" hinauslaufen, weil wir alle miteinander, ganz gleich, wo wir stehen, um die Erscheinungen auf dem Gebiete des Wohnungsmarkts und um andere soziale Folgeerscheinungen der hektischen Expansion Münchens in Sorge sind. Aber, ich glaube, diese Anträge sagen nichts zur Gesamtproblematik. Deswegen ist es richtig, daß wir diese Anträge nicht allein so stehenlassen. Ich habe selbst einige unterschrieben. Ich möchte mir keinen Vorwurf machen lassen, die Nöte und Sorgen in der Stadt München nicht genauso zu sehen wie diejenigen, die politisch vielleicht anders denken. Aber es wurde nichts zur Gesamtproblematik im Raum München gesagt. Es wurde nichts darüber gesagt, was eigentlich die Ursachen der Münchener Misere, der ganz besonderen Wohnungsnot in München, sind.

(Zuruf von der SPD.)

Lassen Sie mich dazu ein paar Bemerkungen machen. Es ist erfreulich, daß die Antragsteller diese Situation nicht abstreiten, daß sie in einer Reihe von Bemerkungen zum Ausdruck gebracht haben, daß hier eigentlich noch mehr dahintersteckt und daß vielleicht mit diesen Anträgen, so gut sie gemeint sind, die eigentlichen Probleme, die in diesem Raum bestehen, nicht gemeistert werden.
Es ist falsch, wenn man in diesem Zusammenhang Herrn Lücke einen Vorwurf macht; denn man kann nur sagen: Bundesminister Lücke ist nicht nur hier in der Bundesrepublik, sondern in Europa und darüber hinaus durch eine Wohnungspolitik bekannt, die fortschrittlich, modern und sozial war.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD.)

Wenn in Räumen wie München soziale Mißstände entstehen, dann sind es zum Teil, zumindest in dieser Stadt, die ich überschaue, auch die Planungen, die über das Maß des Möglichen sowohl der Stadt wie des Staates hinausgehen, wenigstens was das Tempo betrifft.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601035500
Herr Abgeordneter Dr. Gleissner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Apel?

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0601035600
Herr Kollege, wie erklären Sie sich dann die Tatsache, daß auch Hamburg, wo der Zuzug nicht so gewaltig ist wie bei Ihnen, entsprechende Probleme hat? Zweitens: Wie werden Sie mit dem Problem fertig, daß die Statistiken bis dato alle falsch waren und wir jetzt also zu ganz neuen Zahlen kommen?

Dr. Franz Gleissner (CSU):
Rede ID: ID0601035700
Es geht mir nicht darum, Probleme, die verschiedene Gemeinden haben, zu verkleinern. Aber wenn man die Wohnungssorgen von Hamburg und München zueinander in ein Verhältnis setzt, dann stellt man auf jeden Fall ein ganz großes Gefälle fest. Was zweitens die Statistik betrifft, so wollen wir die Hinweise, die wir kurz vor den Wahlen erhalten haben, daß die Statistik unter Umständen nicht in Ordnung sei, ernst nehmen. Aber es muß doch erst ernstlich geprüft und geklärt werden, ob es wirklich so ist, wie es vier Wochen vor den Wahlen hieß, als man mit einer voreiligen Vorwegnahme von Zählergebnissen Politik gemacht hat.
Darauf kommt es jetzt an.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601035800
Herr Abgeordneter Dr. Gleissner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt (München)?

Dr. Franz Gleissner (CSU):
Rede ID: ID0601035900
Bitte!

Manfred Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0601036000
Herr Dr. Gleissner, können Sie vielleicht eine Stimme zitieren, die bestätigt, daß Paul Lücke im In- und Ausland für eine richtungsweisende und soziale Wohnungsbaupolitik bekannt ist?

(Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Franz Gleissner (CSU):
Rede ID: ID0601036100
Herr Schmidt, ich kann Ihnen jetzt vom Pult weg weder Zeitschriften noch Zeitungen aufzählen. Aber ich habe Dutzende solcher Stimmen in Zeitschriften gelesen, und ich werde mich bemühen, diese Stimmen beizubringen. Darauf können Sie sich verlassen.

(Abg. Dr. Apel: Das war bestimmt im ,,Bayern-Kurier" !)

— Seien Sie dafür dankbar, gerade die Antragsteller, für die ich volles Verständnis habe — ich habe die Anträge zum Teil mit unterstützt —, daß wir die wahre Ursache nicht totschweigen, weil sonst bei den Mietern, bei den 80 000 Wohnungsuchenden in München der Eindruck entsteht, als ob mit diesen Anträgen die Kalamität morgen oder übermorgen beseitigt würde. Gerade deswegen habe ich mich zu Wort gemeldet, weil zusätzlich zu diesen Anträgen endlich das geschehen muß, was wir schon seit Jahren in der Bundesrepublik versprechen, nämlich Raumordnungspolitik. In den Gutachten ist ganz deutlich geschrieben, was zu tun ist. Da steht drin, daß in Räumen wie München die Entwicklung zu moderieren ist, um des angewachsenen Nachholbedarfs Herr zu werden. Das ist der Kernsatz. Wir werden das nie ganz erreichen. Aber wir müssen diese Leitlinie für unsere kommunale Entwicklung zugrunde legen.
Bitte schön, Herr Kollege!

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0601036200
Herr Kollege Gleissner, habe ich Sie richtig verstanden: Wollen Sie einen „Visazwang" für München einführen?

Dr. Franz Gleissner (CSU):
Rede ID: ID0601036300
Kein Mensch führt einen Visazwang ein, kein Mensch wird in München



Dr. Gleissner
ein Zollhaus errichten wollen oder Stacheldraht ziehen, wie es immer noch heißt, um München abzusperren. Aber es gäbe eines: in München nicht alles zur gleichen Zeit zu tun, nämlich nicht in einem Jahr soundsoviel Arbeitsplätze zu schaffen, wenn man weiß, daß 10 000 Arbeitsplätze einfach 30 000, 40 000 Zuziehende im Gefolge haben. Das wäre möglich. Das haben wir in der Hand.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601036400
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Franz Gleissner (CSU):
Rede ID: ID0601036500
Ja, bitte schön.

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0601036600
Habe ich Sie dann richtig verstanden, wenn ich annehme, daß Sie die Freizügigkeit der Unternehmer in der Bundesrepublik einschränken wollen?

Dr. Franz Gleissner (CSU):
Rede ID: ID0601036700
Ich habe volles Verständnis, wenn der Unternehmer in Räume geht, die ihm materiell oder aus bestimmten Überlegungen ganz besonders liegen. Aber wir glauben, daß sowohl die Kommunen wie der Staat und die Öffentlichkeit eine Verantwortung haben, eine übergroße Konzentration, besonders wenn man mit den Folgelasten nicht fertig wird, zu verhindern, um auch den strukturschwachen Gebieten das zukommen zu lassen, was möglich ist. Das gilt nicht für alle Branchen, daß weiß ich; aber für viele gilt es.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601036800
Herr Kollege Dr. Gleissner, genehmigen Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Franz Gleissner (CSU):
Rede ID: ID0601036900
Ja, bitte schön.

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0601037000
Herr Kollege Gleissner, teilen Sie meine Auffassung, daß es eigentlich für Attraktivität der Stadt München und für eine gute Politik, die dort getrieben wird, spricht, daß so viele Unternehmer und so viele Menschen den Wunsch haben, in dieser Stadt zu leben?

Dr. Franz Gleissner (CSU):
Rede ID: ID0601037100
Wenn Sie das Landesarbeitsamt München oder Experten fragen, können Sie einwandfrei feststellen, daß immer neue Arbeitsplätze geschaffen und dann die Arbeitskräfte aus dem In- und Ausland angeworben werden. Ja, es ist sogar so, daß Zuziehende, die von anderswo her abgeworben werden, Vergünstigungen bekommen — auch bei der Miete —, die der Ortsansässige nicht hat. Dadurch entsteht die besondere Wohnungsnot Münchens. — Ich will das jetzt nicht vertiefen.
Aber lassen Sie mich noch eine zweite Bemerkung machen, die in Verbindung mit den Anträgen steht. Ich habe vor mir „Maßnahmen zur Verhinderung von Wohnungsnotständen in der Landeshauptstadt", den „München-Plan". Wenn ich Ihnen vorlesen würde — ich tue es nicht —, was hier von der Stadt München hochverantwortlich und mit großer Arbeit geleistet worden ist, unterstützt vom Staat, wenn ich aufzähle, wieviel hunderttausend Wohnungen
gebaut worden sind, daß wir in der Bundesrepublik an der Spitze stehen, in der Zahl der Wohnungen die wir je tausend Einwohner bereitstellen usw., wenn Sie diese Ergebnisse alle zusammennehmen, müssen Sie sagen: Mehr kann man fast nicht mehr leisten, wenn man die Bauwirtschaft nicht überfordern und die Baukosten und Bodenpreise nicht verteuern will.
Aber diese Opfer und all die Hilfen waren mehr oder weniger umsonst. Wir reden heute genau das gleiche, was wir vor fünf oder zehn Jahren geredet haben, hier und anderswo. Die Wohnungsnot bleibt uns erhalten, weil die einzige Ursache nicht beim Namen genannt werden darf, nämlich der un-gesteuerte, ungehemmte Zuzug, ob es um Industrieanlagen geht oder was es sonst an immer neuen Projekten sein mag. Darauf müssen wir zu sprechen kommen.

(Abg. Folgen Sie laufen auch nicht mit dem Grundgesetz unter dem Arm herum, Herr Dr. Gleissner!)

— Das ist ein ganz falscher Einwurf. Das hat mit dem Grundgesetz nichts zu tun. Wir haben freien Zuzug. Aber wir haben auch das Bundesbaugesetz, wir haben Raumordnungsgesetze, die ganz genau sagen, welche Grenzen den Gemeinden gegeben sind. Wir haben kein Laissez-faire-Grundgesetz in diesem Sinne, sondern wir haben Begrenzungen, an die wir uns halten müssen, wenn die Raumordnung nicht eine Farce sein soll und wenn die Raumordnung nicht von mächtigen Interessenten, vielleicht auch einseitig gewerbesteuerlich interessierten Gemeinden, umgangen werden soll, wenn man die Nachfolgelasten nicht real einkalkuliert.
Ich glaube, jene, die diese gegenwärtige Entwicklung im Raum München für schicksalhaft oder fortschrittlich halten, irren. Sie sind nämlich in einer Denkungsart festgefahren, die lautet: Es wird immer weiter investiert; als Folge davon wollen Tausende zuziehen, also müssen wir für Tausende Baugelände bereitstellen. Die wahre Alternative müßte nach meiner und meiner Freunde Meinung lauten — und darauf möchte ich hinaus —: das notwendige Baugelände und die immer kostspieliger werdenden neuen Folgeeinrichtungen für Arbeitsplätze und neuen Zuzug von Tausenden können wir ohne ernsten Schaden für die Allgemeinheit — ich möchte das unterstreichen: ohne ernsten Schaden für die Allgemeinheit — und für die bereits ansässige Bevölkerung nicht mehr bereitstellen, auf keinen Fall in diesem Tempo.
Frau Meermann hat mit Recht gesagt, man muß Unruhen befürchten. Vertreter Münchens sprachen ebenfalls von Unruhen, die angesichts der Wohnungsnot zu befürchten sind. Einige Wochen vor den Wahlen hat man sogar gesagt: Warum sind die Mieter noch nicht auf die Straße gegangen? — Dann sollte man aber die Expansion nicht stärker einheizen und die Wohnungsnot verewigen!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601037200
Herr Kollege Dr. Gleissner, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jacobi?



Jacobi (Köln/Iserlohn) (SPD): Herr Kollege Dr. Gleissner, darf ich aus Ihren Bemerkungen über Baulandpreise und die damit verbundene Problematik den Schluß ziehen, daß Sie bereit sind, an Maßnahmen gegen die Bodenspekulation stärker denn bisher mitzuwirken?

(Zuruf von der CDU/CSU: Großunternehmen!)


Dr. Franz Gleissner (CSU):
Rede ID: ID0601037300
Darüber können wir uns unterhalten, wenn wir nicht falsche Vorwürfe machen. Herr Kollege Jacobi, Sie haben vollkommen recht, hier ist eine wichtige, aber auch schwierige Problemstellung, bei der Sie meine Mithilfe haben werden.

(Beifall bei der SPD.)

Ich möchte noch ein Beispiel hinzufügen, ohne jetzt diese Dinge ausführlich genug begründen zu können; sie wären es wert, stärker beachtet zu werden. Die von der Stadt München ohne Kritik und Widerstand übernommenen, umstrittenen und maßlosen Planungs- und Entwicklungszahlen — Prognose-Gutachten August 1962 —, mit denen man planerisch in Vorlage gegangen ist, mit denen man trotz Wohnungsnöten — geradezu angereizt hat, haben sich in der Stadt und in den Landkreisen explosionsartig ausgewirkt mit all den Folgen und dem permanenten Baudruck, der entstanden ist.
Ich stelle nun die Frage: worauf kommt es im Raum München an, worauf kommt es mir und meinen Freunden beim Abbau beziehungsweise bei der ) Milderung der Wohnungssorgen im Raum München an? Eine der Voraussetzungen ist — das ist die Bitte um das Verständnis, das gerade in sozialer Hinsicht erforderlich ist —, daß wir einsehen, daß der Raum München nicht gleichzeitig — ich sage das nicht vorwurfsvoll, ich weiß, daß die Dinge nicht idealistisch, sondern realistisch darzustellen sind — die belastenden Folgeerscheinungen der bisher schon überhektischen Entwicklung meistern und die kostspieligen und schwierigen Sanierungsaufgaben vom Ausbau der Massenverkehrsmittel bis zur Beseitigung der Wohnungsnot und zur Abwassersanierung bewältigen kann, wenn die Zuzugsentwicklung im Raum München im bisherigen Umfang weitergeht. Die Entwicklung im Raum München ist in den letzten Jahren — so sagen es doch die Leute — ein Faß ohne Boden geworden, wenn man zwar immer größere Staatshilfen einsetzt, wenn man rechtlich-politisch Ausnahmeregelungen — oft zu Lasten anderer — zu erreichen sucht, aber nicht gleichzeitig — ich wiederhole und unterstreiche es: wie es die Raumordnungspolitik fordert — der Aufblähung und Expansion in diesem Raum gewisse Grenzen setzt. Es sage mir niemand, daß die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht vorhanden seien.
Ich darf zusammenfassen. Meine Damen und Herren, die Wohnungsnot nimmt kein Ende — das war vor einiger Zeit eine Überschrift in der „Süddeutschen Zeitung" —, sie bleibt uns erhalten, wenn wir nicht die Ursachen des Übels sehen wollen. Sie bleibt uns erhalten, wenn wir in diesem Raum nicht
den Forderungen der Raumordnung Rechnung tragen und Maßnahmen vermeiden, die den Zuzug und die Wohnungsnot geradezu anheizen. Ich habe vor mir das neue Bauprojekt einer Großfirma. Ich habe vor mir den Beschluß Münchens, nach dem ein Großunternehmen mit 20 000 Arbeitsplätzen — zunächst 10 000, dann auf 20 000 ansteigend — durch „in der gesetzlich zulässigen Weise" wie z. B. durch großzügige Baugebietsausweisungen gefördert werden soll. Man hat sogar bei der Staatsregierung den Antrag auf Erlaß der Grunderwerbsteuer gestellt — am 23. 6. 1969 —, was sonst wohl kaum andere Betriebe bekommen. Man braucht sich dann nicht zu wundern über die Folgen. Maßgebliche Stellen des Staates und Organisationen der Bürger haben interveniert und darauf gedrungen, diesen Planungen nicht nachzugeben, sondern sie mit Vorsicht zu überlegen, weil die Folge ein Zuzug von 80 000 Menschen wäre, weil im Raum München bereits 37 203 Arbeitsplätze unbesetzt sind, weil schon mehr als 80 000 Gastarbeiter in München wohnen und weil 80 000 Wohnungssuchende zuerst eine Wohnung brauchen. Ich habe mich ebenfalls gegen diese Planungen gewandt. Das ist — in der Auseinandersetzung um die Wohnungsnot in München — eine konsequente Haltung. Ich glaube, der Münchener hat recht, der in einer Münchener Zeitung geschrieben hat:
Die bisherige Expansionspolitik Münchens kommt geradezu dem Tatbestand eines sozialen Vergehens gleich, dessen Auswirkungen, insbesondere was die Wohnungsnot betrifft, an die ortsansässige Bevölkerung Münchens und die umgebenden Landkreise weitergereicht wird. Wer die wahren Ursachen der Wohnungsnot verschweigt und ablenkt, führt Mieter und die Öffentlichkeit irre und verewigt die Wohnungsnot und die anderen sozialen Folgeerscheinungen der Überentwicklung im Raume München.
Meine Damen und Herren, ich habe das gesagt aus Liebe zu München und Oberbayern, aus Interesse an einer gesunden Politik und daran, daß München sein Gesicht nicht verliert und daß München diesen sozialen Notständen, die da sind, nicht nur durch diese Gesetzesvorlagen, soweit sie vertretbar sind, sondern auch durch eine Raumordnungspolitik, wie wir sie hier im Hause beschlossen haben, Herr wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601037400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Müller (München).

Dr. Günther Müller (CSU):
Rede ID: ID0601037500
Meine Damen und Herren! Haben Sie keine Angst, daß ich sehr lange zu den Münchener Problemen Stellung nehme. Ich habe aber Lust und Liebe, einiges zurechtzurücken, was Sie, sehr verehrter Herr Kollege Gleissner, hier gesagt haben.
Sie haben zunächst angedeutet — und Sie sind
dafür als ein Meister bekannt —, daß wohl die schlechte Kommunalpolitik in München, in der eine Partei die Mehrheit hat, der Sie nicht angehören, schuld daran sei, daß eine solche Entwicklung statt-



Dr. Müller (München)

findet. Da müßte man meiner Ansicht nach als erstes sehen, daß die Leute nicht gern in diesem Umfange in eine Stadt zuziehen würden, wenn dort eine schlechte Politik gemacht würde. Man geht dorthin, wo eine gute Politik gemacht wird, man läßt sich dort nieder, wo man weiß, daß man für seine Interessen Verständnis findet.

(Zurufe von der CDU/CSU: Schöne Landschaft!)

— Bitte, wenn Sie eine Zwischenfrage haben, dann einigen Sie sich, wer.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601037600
Es haben sich zwei Zwischenfrager gemeldet, als erster der Kollege Ott.

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0601037700
Herr Kollege Dr. Müller, würden Sie mir zustimmen, wenn ich behaupte, daß einen erheblichen Teil der Konjunkturpolitik in München wir alle gemeinsam durch unseren Beitrag zur Olympiade mitbezahlen?

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)


Dr. Günther Müller (CSU):
Rede ID: ID0601037800
Wir sind noch nicht im olympischen Wettbewerb. Aber wenn wir über Konjunkturpolitik reden, müßte, glaube ich, mehr der dafür zuständige Wirtschaftsminister etwas dazu sagen, der gerade von Ihrer Partei in Bayern im Wahlkampf wegen seiner Konjunkturpolitik so schlecht behandelt wurde.

(Abg. Ott: Der ist doch nicht an der Olympiade schuld!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601037900
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Rollmann?

Dietrich-Wilhelm Rollmann (CDU):
Rede ID: ID0601038000
Herr Kollege Müller, können Sie sich vorstellen, daß man vielleicht auch aus anderen Gründen als wegen der Kommunalpolitik von Herrn Vogel und der SPD nach München zieht?

Dr. Günther Müller (CSU):
Rede ID: ID0601038100
Ja sicher! Aber man zieht sicher nicht nach München, wenn dort eine schlechte Kommunalpolitik gemacht wird, wenn es einem dort wesentlich schlechter geht.

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601038200
Herr Abgeordneter Dr. Müller, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt (München) ?

Manfred Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0601038300
Herr Dr. Müller, ist Ihnen bekannt, daß wir in München einen sehr prominenten Zuzügling haben, der deswegen zugezogen ist, weil seine Kinder dort eine hervorragende Schulausbildung genießen können im Gegensatz zu Rott am Inn, wo dieser prominente Zuzügling herstammt, und daß es sich dabei um Franz Josef Strauß handelt?

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Günther Müller (CSU):
Rede ID: ID0601038400
Auf diesen Zuzügling wäre ich sowieso noch gekommen, weil ich ihn vor kurzem als Wähler in meinem Wahlkreis begrüßen konnte.

(Abg. Köppler: Das ist aber ein Irrtum! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601038500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Apel?

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0601038600
Herr Kollege Müller, können Sie mir zustimmen, wenn ich annehme, daß der Zuzug nach München auch darauf zurückzuführen ist, daß das bayerische Land ansonsten wirtschaftspolitisch, aber auch kulturpolitisch unterentwickelt ist?

(Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Köppler: Herr Müller, die Antwort interessiert uns! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Günther Müller (CSU):
Rede ID: ID0601038700
Lieber Herr Kollege Apel, das stimmt nicht, daß Bayern unterentwichelt ist.

(Lachen und Beifall bei der CDU/CSU.)

— Moment, jetzt klatschen Sie nicht mehr: Unterentwickelt ist die Regierung, die wir in Bayern haben.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601038800
Herr Kollege Dr. Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Gleissner?

Dr. Günther Müller (CSU):
Rede ID: ID0601038900
Bitte, gern!

Dr. Franz Gleissner (CSU):
Rede ID: ID0601039000
Herr Dr. Müller, darf ich Sie bitten, daß Sie — weil Sie ja als guter Bayer gelten wollen, worüber ich mich sehr freue — den Vorwurf, Bayern sei mit Ausnahme von München unterentwickelt, noch deutlicher zurückweisen? Und darf ich noch eine zweite Frage stellen?

Dr. Günther Müller (CSU):
Rede ID: ID0601039100
Dann muß ich aber gleich dazu sagen, Herr Kollege Gleissner: zu dem stehe ich auch.

Dr. Franz Gleissner (CSU):
Rede ID: ID0601039200
Aber bitte. Gut.
Ein Zweites, Herr Dr. Müller. Es ist einwandfrei nachzuweisen — —

(Zurufe: Frage!)

— ist es nicht einwandfrei nachzuweisen, Herr. Dr. Müller, daß mit Ausnahme von Pensionären und Witwen der Zuzug nach München eine Funktion der Ausbringung von Arbeitsplätzen ist? Das steht doch überall fest. Das ist doch nachzuweisen. Das steht in Gutachten und Enqueten. Zuerst wird die Planung gemacht, dann komt die Folge, der Zuzug.

Dr. Günther Müller (CSU):
Rede ID: ID0601039300
Herr Kollege Gleissner, ich gehe gleich noch auf Ihre Frage ein. Das stand sowieso auf meinem Spickzettel; denn



Dr. Müller (München)

Sie gehen hier immer von Tatsachenbehauptungen aus, die in Wirklichkeit gar nicht stimmen. Vor kurzem hat einer Ihrer Kollegen draußen außerhalb des Bundestages erklärt, daß die Probleme Münchens dadurch entstünden — was Sie vorhin auch andeuteten —, daß so viele neue Arbeitsplätze geschaffen würden. Nun habe ich mich gewundert, wie es in Ihrer Fraktion Leute gibt, die weder die Raumordnungsberichte noch den Bericht des Bundesarbeitsministeriums zur Standortwahl der Industriebetriebe in der Bundesrepublik lesen, wo sie lesen können, daß von allen Ballungsräumen in der Bundesrepublik der Ballungsraum München den geringsten Ansiedlungsgrad bei neu zuziehenden Betrieben hat. Das ist richtig. Die Tatsache, daß mehr Arbeitsplätze in München entstehen, kommt daher, daß sich die Münchener Industrie gut entwickelt, und das können Sie nicht verhindern, es sei denn, Sie wollten bewußt eine Rezession in der Bundesrepublik herbeiführen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.) Um das ganz klar zu sagen.


(Abg. Rollmann: Das wollen wir nicht!)

Nach dem Bericht zur Standortwahl — Herr Kollege Köppler nickt mit dem Kopf; er kennt den Bericht sicher — ist es so, daß sich die Großbetriebe nicht in München niederlassen, sondern daß sie in andere Ballungszentren ziehen. Das, was Sie, Herr Kollege Gleissner, immer wieder auf Versammlungen im bayerischen Oberland behaupten, wo die Haberfeldtreiber gegen München zusammenkommen, entspricht leider nicht den Tatsachen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Abg. Ott meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Einen kleinen Moment, lassen Sie mich den Gedanken zu Ende führen.
Das, was Sie auch noch anführen, nämlich daß eine voreilige Prognostik in München, eine Stadtplanung, die in die Zukunft schaut, sozusagen den Zuzug hereinholt, kann nicht richtig sein. Eine Vorausschau ist in der Politik einfach notwendig. Ich lese immer mit großer Befriedigung jene Teile im „Bayernkurier", wo steht, daß sich Bayern zu dem Kalifornien der Bundesrepublik entwickelt, wo sich die moderne Wachstumsindustrie niederläßt.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der CDU/CSU. Also doch nicht unterentwickelt!)

In Ihrer Haus- und Provinzgazette „Bayernkurier" wird begrüßt, daß Bayern Industrie anzieht, und bei den Versammlungen auf dem Lande draußen wird erklärt

(Zuruf von der Mitte)

— Moment, ich komme gleich darauf —, daß München einen solchen Wasserkopf bildet und alles an sich zieht.

(Abg. Ott: Stimmt doch! Wollen Sie widersprechen?)

— Kollege Ott, zwei Beispiele. Warum ziehen die Leute nach München? Warum suchen sie Arbeitsplätze in München? Warum gehen Sie dorthin? Weil
sie dort Gelegenheit haben, Arbeit zu finden. Die Strukturpolitik der bayerischen Landesregierung trägt leider nicht dazu bei, daß dieser Zuzug gestoppt wird und daß man das Grenzlandgebiet Niederbayern, Oberpfalz und Oberfranken mehr industriell fördert, damit dort Industrieansiedlung erfolgt.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601039400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ott? — Bitte.

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0601039500
Herr Kollege Dr. Müller, ist Ihnen bekannt, daß ein Teil der Leistungsfähigkeit der Landeshauptstadt München daher kommt, daß alle bayerischen Bürger das Leben in München dadurch angenehm machen, daß sie mit ihren Steuergeldern in München sowohl Universitätskliniken als auch Staatstheater, Krankenhäuser und Schulen finanzieren?

Dr. Günther Müller (CSU):
Rede ID: ID0601039600
Herr Kollege Ott, der Herr Bürgermeister der Landeshauptstadt und der Stadtrat der Landeshauptstadt München erkennen gerne an, daß die bayerischen Steuerzahler etwas dazu beitragen. Aber ich hoffe auch, daß die Bevölkerung außerhalb Münchens anerkennt, daß in den Münchener Krankenhäusern der Stadt zu einem sehr hohen Prozentsatz Leute liegen, die bis aus dem Bayerischen Wald nach München gebracht werden, weil man im Bayerischen Wald noch nicht die entsprechenden Krankenhäuser hat, die dort notwendig wären.

(Beifall bei der SPD.— Zurufe von der Mitte.)

Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu der Zweigleisigkeit Ihrer Argumentation machen. Ich las hier in diesem Hause die Frage eines verehrten Herrn Kollegen aus München, der die Bundesregierung fragte, wann die Bundesregierung endlich genügend Mittel bereitstelle, um Dienstwohnungen in München zu bauen und ein europäisches Patentamt nach München zu bringen. Das ist populär, so zu fragen für die im Patentamt. Dann kommt der Kollege Gleissner und spricht gegen die bösen Sozialdemokraten, die immer alles nach München holen wollen, — um das mal ganz klar und deutlich zu sagen.
Ein zweites Beispiel: Es gab in dieser Bundesrepublik einen Bundeslandwirtschaftsminister Ihrer Fraktion, der wollte die Fleischforschungsanstalt aus Kulmbach nach München verlegen. Es waren die Münchener Abgeordneten der SPD-Fraktion, die zusammen mit anderen hier einen Antrag eingebracht haben, in dem die Bundesregierung gebeten wird, die Fleischforschungsanstalt in Kulmbach zu lassen, weil dort ein Beitrag zur Strukturpolitik und zur Erhaltung von Arbeitsplätzen geleistet werden kann, und sie nicht nach München zu holen. Das ist Tatsache, die Propaganda draußen sieht anders aus.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601039700
Herr Kollege Dr. Müller, gestatten Sie eine Frage?




Dr. Franz Gleissner (CSU):
Rede ID: ID0601039800
Lieber Herr Kollege Dr. Müller, Sie dürften ja wissen: die Forschungsanstalt Kulmbach ist ein kleiner Fisch mit einem geringen Personalbestand. Ein zweites, Herr Kollege Dr. Müller: Sie dürften auch wissen — und ich bitte Sie, das anzuerkennen —, daß ich in dieser Auseinandersetzung den Mut habe, seit Jahren nicht nur der anderen Seite die Wahrheit zu sagen, sondern dies auch in den eigenen Reihen tue, und zwar ganz deutlich und vernehmlich.

Dr. Günther Müller (CSU):
Rede ID: ID0601039900
Herr Kollege Gleissner, kleine Fische machen natürlich auch ein großes Netz, das dann gefüllt ist. Man muß an solchen Beispielen zeigen, wie die Tendenz ist. Ich kann einem Privatunternehmer — das hat Ihnen vorhin eine Zwischenfrage schon gezeigt — nicht verbieten — Grundgesetz! —, daß er sich in München niederläßt. Aber ich kann bei einer Regierung den Antrag stellen, daß sie in ihrer Politik anders verfährt. Das ist auch ein erheblicher Unterschied, den man hier sehen muß.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen; ich habe versprochen, nicht lange über diese Münchener Probleme hier zu sprechen.

(Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Rollmann: Dafür war es aber lang!)

— Ja, Ihre Zwischenfragen, Kollege Rollmann, mußte ich ja auch mit einkalkulieren, weil Sie offensichtlich auch zu denen gehören, die vielleicht nach München ziehen wollen, aber nicht aus den Gründen, die ich vorher genannt habe.

(Abg. Ott: München, München über alles!)

Aber eine Bemerkung, Herr Kollege Ott, und das ist die Schlußbemerkung! Erstens ist es nicht richtig — das war vorhin Ihre Frage —, daß in erster Linie junge Leute als Arbeitskräfte nach München ziehen, sondern der Bevölkerungszuwachs in München — besorgen Sie sich bitte einmal die Unterlagen beim Statistischen Amt — ist in erster Linie bei den Über-65-Jährigen. Das sind all die Leute, die München als ihren Alterssitz gewählt haben, die aus Norddeutschland — das zitiert immer der Herr Gleissner — nach Süddeutschland kommen. Wir freuen uns darüber, daß sie kommen. Wir freuen uns über den Kollegen Rollmann, wenn er kommt. Wir freuen uns über andere.

(Lachen und anhaltende Unruhe in der Mitte. — Allgemeine Heiterkeit.)

Wir können das selbstverständlich nicht verhindern.
Der Kollege Schmidt hat midi vorhin gefragt, wie ich dazu stehe, daß ein prominenter Mann Ihrer Partei nach München zugezogen ist. Ich freue mich über diesen Zuzug. Mein Wahlkreis ist dadurch der Wahlkreis geworden, der die meisten CSU-Bundestagsabgeordneten hat, — als Bewohner, nicht etwa in der Wahl. Ich freue mich darüber. Aber ich muß natürlich eines sagen. Wenn der Herr Kollege Strauß, um den es sich hier handelt, erklärt, er gehe von Rott am Inn nach München, damit seine Kinder eine anständige Ausbildung bekommen, stellt
sich mir die Frage, ob man da nicht in der Struktur-, in der Kulturpolitik in Bayern einiges ändern könnte.

(Zustimmung bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich habe nichts dagegen, daß der Herr Kollege Strauß hierher nach München zieht. Wenn ich ihn wieder sehe, werde ich ihm sagen, daß er auch zu den Bösen gehört — von Herrn Gleissner zitiert —, die in München einen Arbeitsplatz gesucht haben. Ich bin froh, wenn Kollege Strauß seinen Arbeitsplatz außerhalb Münchens hat und nicht in München.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601040000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Riedl:

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601040100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere eigentlich als einer der Antragsteller dieser wohnungspolitischen Anträge, daß — Herr Kollege Dorn, jetzt befinden wir uns einmal ausnahmsweise in Übereinstimmung; ich verwerte jetzt einen Zwischenruf von Ihnen — die Diskussion zur Wohnungssituation in München derart abgeglitten ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Kollege Müller, das, was Sie hier ausgeführt haben, entspricht genau dem, was ich von Ihnen im Wahlkampf auf von Ihnen fabrizierten Flugzetteln gelesen habe.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601040200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601040300
Bitte sehr!

Dr. Günther Müller (CSU):
Rede ID: ID0601040400
Herr Kollege Riedl, darf ich Sie fragen, ob Ihnen schon bekannt ist, daß der Wahlkampf beendet ist.

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601040500
Herr Müller, genau diese Frage habe ich Ihnen zu stellen. Die müssen Sie mir beantworten. Und eines muß ich auch mit aller Entschiedenheit zurückweisen, daß Sie nämlich die bayerische Staatsregierung trotz ihrer national und international anerkannten Leistungen derart attackiert haben.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Oh-Rufe bei der SPD. — Abg. Dr. Müller [München] : In der Außenpolitik, in „South Carolina"!)

— Herr Dr. Müller, daß es Ihnen nicht paßt, daß im Gebiet von Ingolstadt eine derart geglückte Industrieansiedlung vollzogen worden ist, kann ich mir natürlich gut vorstellen.

(Beifall bei der CDU/CCU.)

Daß wir in Bayern mit den schwierigen Struktur-
problemen fertig werden, Herr Kollege Müller, paßt



Dr. Riedl (München)

Ihnen im Hinblick auf die kommende Landtagswahl sicher auch nicht.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601040600
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Corterier?

Dr. Peter Corterier (SPD):
Rede ID: ID0601040700
Herr Kollege Dr. Riedl, darf ich Sie fragen, ob Sie in diese „nationale und internationale Anerkennung" der Leistungen der bayerischen Staatsregierung auch die Leistung des Kultusministers Dr. Huber einschließen.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601040800
Herr Kollege Corterier, darf ich Ihnen im Rahmen unseres Themas eine sachbezogene Antwort geben, indem ich wiederum zurückfrage: Wie erklären Sie sich die absolute Überfüllung der Münchner Hochschulen und Universitäten? Glauben Sie etwa, daß Studenten aus der ganzen Bundesrepublik nur deshalb nach München kommen, weil ihnen das Vorgebirge und der Starnberger See gut gefallen? Ich glaube, daß auch das eine Anerkennung der Leistungsfähigkeit unserer Universität und Technischen Hochschule in München ist.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Bevor ich zur Sache komme, noch dies.

(Lachen bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der SPD: „Zur Sache, Schätzchen!")

— Sie werden noch staunen, in welcher Weise ich zur Sache komme.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition — ich meine diese Seite; von der anderen, der kleinen Fraktion, hat man in diesem Zusammenhang heute noch nicht sehr viel gehört —, mich wundert eigentlich etwas, daß Sie sich, seitdem Sie in der Regierung sitzen, über sozialpolitische Initiativen von unserer Seite in einer Weise mokieren, daß ich mich fragen muß, wo Ihre sozialpolitische Verantwortung auf diesem Gebiet liegt.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Herr Kollege Schmidt, Sie haben den Antragstellern, Herrn Kollegen Geisenhofer und mir, vorgehalten, daß wir nicht gemeinsam mit Ihnen vorgegangen seien. Herr Kollege Schmidt, dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung. Sie halten an einem Donnerstag in München eine Pressekonferenz ab, erklären der Presse die einzelnen Gesetzesvorhaben, die Sie im Deutschen Bundestag einreichen wollen, verkünden vor der Presse an diesem Donnerstag, daß Sie die Gesetzentwürfe in der darauffolgenden Woche im Deutschen Bundestag einbringen würden, übersenden danach dem Kollegen Geisenhofer und mir die Gesetzesvorlagen mit der Bitte, sie zu unterschreiben, und ich lese dann am Freitagabend, als ich von Bonn zurück nach München kam, in der Zeitung über Ihre Absichten,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

und Sie verlangen dann von uns, daß wir mitmachen. Ich bin zwar, Herr Kollege Schmidt, absoluter Neuling in diesem Hause.

(Zuruf von der SPD: Das merkt man!)

Trotzdem bin ich der Meinung, daß das parlamentarischem und politischem Stil eindeutig widerspricht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601040900
Herr Kollege, bitte schön!

Manfred Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0601041000
Herr Dr. Riedl, haben Sie nicht gelesen, was in dem Brief stand, nämlich daß wir bereit waren, mit Ihnen über den Inhalt dieser Initiativen zu sprechen?

(Abg. Köppler: Im Anhörungsverfahren — Zuruf von der CDU/CSU: Ihr seid zu spät gekommen!)


Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601041100
Herr Kollege Schmidt, selbstverständlich steht das in Ihrem Brief. Nur habe ich den Brief erst bekommen, nachdem ich darüber etwas in der Zeitung gelesen hatte. Aus diesem Grund haben wir nicht mitgemacht.

(Zurufe von der SPD.)

Meine Damen und Herren, ich darf nun die Diskussion, die weit über den Rahmen dessen, was wir beabsichtigt haben, hinausgeht, in den Punkten zusammenfassen, die uns, die Antragsteller, bewogen haben, einige besondere Anträge zugunsten einer Verbesserung der Wohnungssituation in München zu stellen. Oberster Leitsatz unserer Initiativen war folgender. Unser Ziel und unsere Verpflichtung in diesem Hohen Hause müssen sein, für möglichst gleichartige Lebensverhältnisse in unserem Lande zu sorgen und dort, wo dies bisher nicht der Fall ist, Unterschiede auszugleichen und Verbesserungsmaßnahmen zu ergreifen. Dieses Prinzip wird mit Recht im Hinblick auf die revierfernen, strukturschwachen Gebiete seit langem mit gutem Erfolg verfolgt. Ich meine, daß wir gerade vom Bund her sehr brauchbare Ansätze für eine sinnvolle Strukturpolitik in der Bundesrepublik Deutschland gezeigt haben. Das Leben in den Ballungsräumen unserer Groß- und Millionenstädte in Deutschland wird heute umgekehrt zunehmend von Faktoren bestimmt, die draußen auf dem flachen Lande, draußen in den Klein- und Mittelstädten, nur noch eine untergeordnete Rolle spielen, beispielsweise das Problem der Bewältigung des Massenverkehrs in den Großstädten und Ballungsräumen, beispielsweise die Luftverschmutzung und die Lärmbelästigung und beispielsweise die Wohnungssituation.
Ich mache mit besonderem Nachdruck auf diesen Hintergrund aufmerksam, weil meinem Kollegen Geisenhofer und mir seit Bekanntwerden dieser



Dr. Riedl (München)

Gesetzentwürfe hier im Deutschen Bundestag aus allen Fraktionen — ich gebe zu: auch aus unserer Fraktion — immer wieder vorgehalten wurde: „Aha, die Münchener Lobby geht wieder einmal um; man will wieder einmal eine Extrawurst für München braten". — Angesichts dieser von uns ernst genommenen Kritik möchte ich Sie bitten, die Frage der Wohnungssituation in der bayerischen Landeshauptstadt mit dem nötigen Ernst und — ich muß es gegenüber dem Kollegen Gleissner sagen — auch mit der notwendigen Sachlichkeit gegenüber den sozialen Problemen in der Landeshauptstadt München zu diskutieren.
Weil das in der Diskussion leider etwas untergegangen ist, möchte ich noch einmal schwerpunktmäßig die Faktoren herausstellen, auf die es meiner Ansicht nach im Augenblick in München auf dem Wohnungssektor ankommt.

(Zuruf von der SPD.)

— Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, ich habe den Eindruck, daß dies bei Ihnen manchmal doch nicht in diesem Umfang bekannt ist, und aus diesem Grund sage ich Ihnen das ganz eindeutig.

(Widerspruch bei der SPD.)

Erstens, Nach den vor kurzem bekanntgewordenen Wohnungszählergebnissen — das wurde hier schon gesagt — fehlen in München sage und schreibe 19 434 Wohnungen, was einem Fehlbestand von 4,5 % entspricht. Ich möchte das dahingestellt sein lassen, ob die Berechnungsgrundlagen und Berechnungsmethoden diese Zahl noch absolut rechtfertigen. Ich wäre deshalb Ihnen, verehrter Herr Bundesminister, auch dankbar, wenn Sie gerade zur Berechnungsmethode vor diesem Hohen Hause ein klärendes und daher nützliches Wort sagen könnten. Demgegenüber ist es aber eine unumstößliche Tatsache, daß am vergangenen Freitag beim Städtischen Amt für Wohnungsfragen in München der fünfzehntausendste Wohnungssuchende in der bayerischen Landeshauptstadt registriert wurde. Bis zum Jahresende rechnet man mit einer Gesamtzahl von 18 000 Wohnungsuchenden,. Von 15 000 Wohnungsuchenden sind 11 000 Wohnungsnotfälle und 2500 absolut krasse Wohnungsnotstände.
Zweitens. In ständig steigendem Maße wird in München Altwohnraum zweckentfremdet, so daß — nicht nur in der Münchener Innenstadt, aber dort vor allem — zunehmend Wohnraum verlorengeht.
Drittens. Für den einkommenschwachen Teil der Bevölkerung der bayerischen Landeshauptstadt, der nach einer Kündigung seine verhältnismäßig preiswerte Wohnung verliert, wird es immer schwieriger, eine etwa gleich billige Ersatzwohnung zu finden. Die Hilfe des an sich sehr begrüßenswerten § 556 a BGB reicht hier nicht annähernd aus. Man muß dazu kommen, daß bei gerichtlicher Kündigung dieser Punkt der Ersatzwohnraumbeschaffung bei der Urteilsfindung mit berücksichtigt wird.
Viertens. Langjährige Münchener Bürger fühlen sich gegenüber neu zuziehenden benachteiligt, weil die Münchener und von auswärts zuziehende Bürger
im Hinblick auf die Wohnberechtigungsbescheinigungen gleichbehandelt werden.

(Abg. Liehr: Das ist doch nichts Neues! — Weitere Zurufe von der SPD.)

Fünftens. Die im Wohngeldgesetz festgesetzten Obergrenzen übersteigen gerade in München die Mieten im frei finanzierten Wohnungsbau, bei den Altbauwohnungen und im öffentlich geförderten Wohnungsbau.
Sechstens, meine Damen und Herren — das muß ich mit aller Deutlichkeit hier sagen —, übersteigt das Mietniveau für frei finanzierte Wohnungen in München bei weitem die Durchschnittssätze in der Bundesrepublik. München ist auf diesem Gebiet absoluter Spitzenreiter mit Beträgen zwischen 6 und 9 DM pro Quadratmeter.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601041200
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601041300
Bitte sehr!

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0601041400
Herr Kollege, sind Sie bereit, einem vernünftigen Städtebauförderungsgesetz zuzustimmen?

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601041500
Herr Kollege, Ich bin Ihnen für diese Frage sehr dankbar. Ich bitte nur, mir zu gestatten, am Schluß, wie ich es vorhabe, dazu Stellung zu nehmen. Sie werden staunen, in welch positiver Weise ich hier meine Aussage mache.

(Beifall.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601041600
Herr Kollege, ich sehe noch eine Wortmeldung des Abgeordneten Jacobi zu einer Zwischenfrage.

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601041700
Bitte schön!
Jacobi (Köln/Iserlohn) (SPD) : Herr Kollege, indem ich dankbar zur Kenntnis nehme, was Sie hier zum Teil ausgeführt haben, frage ich Sie, ob Sie bereit sind, sich darüber zu orientieren — da Sie ja auch nach den Gründen der Mißstände suchen —, in welchem Umfange ein großer Teil Ihrer Freunde früher durch die Gesetzgebung und durch sein Verhalten zu diesen Mißständen beigetragen hat.

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601041800
Herr Kollege Jacobi, wenn Sie eine „Sippenhaftung für vergangene Wohnungsbaupolitik" einführen wollen, so lehne ich das als junger Politiker ab.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich weiß es ganz genau und ich spüre es, daß Ihnen eine früher gemachte Politik sicherlich zum Teil viel, viel lieber war, und ich weiß es ganz genau — ich wiederhole mich jetzt —, daß es Ihren Freunden von der SPD in München gar nicht paßt, daß es nun in der CSU einige Leute gibt,

(Zurufe von der SPD: Einige?)




Dr. Riedl (München)

die den Finger etwas deutlicher auf die Wunden legen, als es bisher der Fall war. Aber eines muß ich Ihnen auch sagen: was der verstorbene Kollege Prinz Konstantin von Bayern hier im Deutschen Bundestag auf dem Gebiet der Wohnungspolitik vertreten hat, hat heute nach wie vor genauso Geltung wie damals.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601041900
Herr Kollege, darf ich zunächst Ihre Blicke — —

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601042000
Ich komme aber in zeitliche Schwierigkeiten!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601042100
Ich werde das gern berücksichtigen. — Darf ich Ihre Blicke zunächst auf den Kollegen Czaja lenken. Würden Sie ihm eine Zwischenfrage genehmigen?

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601042200
Bitte sehr!

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0601042300
Herr Kollege Riedl, würden Sie die Freundlichkeit haben, Herrn Kollegen .Jacobi darauf hinzuweisen, daß die SPD in diesem Bundestag seit drei Jahren die Verantwortung für die Wohnungsbaupolitik trägt?

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601042400
Herr Kollege Czaja, dazu bin ich selbstverständlich gern bereit.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601042500
Gestatten Sie nun eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Müller (München)?

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601042600
Bitte sehr!

Dr. Günther Müller (CSU):
Rede ID: ID0601042700
Herr Kollege Riedl, würden Sie mir darin zustimmen, daß Ihre Änderung, daß es jetzt in der CDU/CSU auch einige gibt, die hier eine fortschrittliche Wohnungsbaupolitik betreiben wollen, bedeutet, daß es leider nur einige sind, also eine Minderheit in Ihrer Partei?

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601042800
Herr Kollege Müller, wenn ich mir Ihre Fraktion so anschaue, dann frage ich mich, warum Sie Ihren Antrag, den Sie vor der Presse schon vor 14 Tagen verkauft haben, nicht heute bereits in diesem Hause als ausgedruckte Drucksache vorliegen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es wäre also viel besser, Herr Kollege Müller,
wenn Sie nach den Ursachen der Schwierigkeiten
in Ihrer Fraktion fragten. Ich weiß ganz genau, — —

(Zuruf des Abg. Dr. Müller/München.)

— Herr Kollege Müller, lassen Sie mich doch einmal ausreden! Ich bin immer noch in der Beantwortung Ihrer Frage. Herr Kollege Müller, ich weiß ganz genau — und das gebe ich ganz offen zu —, daß meine Meinung sich nicht mit der Meinung aller meiner Kollegen in der CSU-Landesgruppe deckt. Ich bin mir aber der grundsätzlichen Unterstützung
aller Kollegen in der CSU-Landesgruppe sicher. Hoffentlich haben Sie dieses Bewußtsein der Einigkeit in Ihrer Fraktion auch.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601042900
Herr Abgeordneter Dr. Riedl, Ihr Kollege Gleissner möchte fragen.

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601043000
Bitte sehr!

Dr. Franz Gleissner (CSU):
Rede ID: ID0601043100
Herr Kollege Riedl, wären Sie bereit, Herrn Kollegen Müller zu fragen, wer das Wohngeldgesetz eingeführt hat und wie die Abstimmungsverhältnisse damals lagen, und wie es im Ausland mit dem Wohngeldgesetz im Vergleich zur Bundesrepublik ausschaut?

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601043200
Ich glaube zwar, daß dies verfahrensrechtlich gar nicht möglich ist. Aber der Kollege Müller weiß das ganz genau.
Meine Damen und Herren, ich möchte ein ganz kurzes Wort zur Entwicklung der Wohnungssituation vom Zuzug her sagen. Im Augenblick findet ein ausgesprochener Run auf München statt. Während noch im Jahre 1962 mit 36 324 Personen die höchste Zuwachs-Jahresrate nach 1945 zu verzeichnen war, ist Mitte 1968 bis Mitte 1969 ein Rekordzuwachs von 43 353 Personen festzustellen gewesen, wobei — und das ist das besonders Interessante an dieser Zahl — lediglich 1994 Personen auf den Geburtenüberschuß, 41 359 Personen aber auf den Wanderungsgewinn entfielen.
München hat damit ganz eindeutig die höchste Zuwachsrate aller deutschen Städte, Wenn München auch unter den Millionenstädten der Welt in der unteren Kategorie liegt, hinsichtlich der Zuwachsraten, liegt diese Stadt eindeutig mit an vorderster Stelle.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich kurz fassen.

(Beifall und Zurufe von der SPD.)

— Daß Sie zu sozialpolitischen Vorstellungen der CSU freudig Beifall klatschen, ist für mich als Neuling auch eine sehr interessante Erfahrung.
Meine Damen und Herren, dieser Zuzug hat drei Gründe: erstens die ständig zunehmende Industrialisierung, zweitens die Faszination der „Weltstadt mit Herz" und drittens neuerdings — zumindest indirekt — die Tatsache der Veranstaltung der Olympischen Spiele.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601043300
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601043400
Bitte schön!

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0601043500
Herr Kollege, auf Ihre Berner-kung bezüglich des Beifalls hin möchte ich Sie fragen, ob Sie das Aufzählen von Zahlen schon für sozialpolitische Vorstellungen halten.




Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601043600
Herr Kollege, gerade Sie müßten wissen, daß sozialpolitische Vorstellungen nicht von der Auswertung wichtiger Statistiken zu trennen sind. Diese Auswertung praktiziert im übrigen auch der Herr Wohnungsbauminister tagtäglich gerade im Hinblick auf die Wohnungspolitik, die wir hier in diesem Hause machen wollen.
Meine Damen und Herren, Angebot und Nachfrage stehen auf dem Wohnungsmarkt in München in einem krassen Mißverhältnis. Wir müssen hier kurzfristig, aber auch langfristig etwas tun. Wenn wir rasch etwas tun wollen, dann sollten wir die von uns diesem Hause vorgelegten Gesetzentwürfe verabschieden. Langfristig — Herr Kollege Berkhan, jetzt komme ich zur Beantwortung Ihrer Frage — brauchen wir ein Städtebauförderungsgesetz, das städtebauliche Erneuerungs- und Entwicklungsmaßnahmen durch ein wirkungsvolles Finanzierungsinstrumentarium über einen längeren Zeitraum sichert. Ziel dieses Gesetzes muß es auch sein, eine ausreichende Versorgung mit Baugelände zu vertretbaren Preisen zu gewährleisten.

(Beifall bei der SPD: — Abg. Berkhan: Da werden wir Sie festnageln!)

— Herr Kollege Berkhan, da können Sie mich auf jedes Wort festnageln. Ziel des Gesetzes muß es weiter sein, die Bodenspekulation zu verhindern. Eine solche Regelung, im Rahmen des Art. 14 des Grundgesetzes, ist aber nur gewährleistet — Herr Kollege Berkhan, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zuhören würden —, wenn der Schutz des Eigentums und die Sozialverpflichtung des Eigentums in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Ich hoffe, daß das Hohe Haus in Kürze darüber in diesem Sinne entscheiden wird.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601043700
Herr Kollege, der Abgeordnete Ollesch möchte eine Zwischenfrage stellen.

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0601043800
Herr Kollege, könnte es Ihnen und den übrigen Kollegen, die vielleicht noch zum Problem München sprechen möchten, bei der Zeitplanung hilfreich sein, wenn ich Ihnen erkläre, daß meine Sympathie für München langsam im Schwinden begriffen ist?

(Heiterkeit.)


Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601043900
Herr Kollege, als ich vorhin neben Ihnen saß, habe ich allerdings gemerkt, daß Ihre Mißstimmung gegenüber München schon einer Zeit entstand, als die Kollegen von der SPD-Fraktion hier sprachen.

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601044000
Herr Kollege, Herr Abgeordneter Dr. Gleissner hat sich noch zu Wort gemeldet.

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601044100
Ich lehne keine Zwischenfrage ab, Herr Präsident.

Dr. Franz Gleissner (CSU):
Rede ID: ID0601044200
Sind Sie bereit, in Ihre langfristigen Maßnahmen auch Maßnahmen der Raumordnungspolitik hineinzunehmen?

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601044300
Herr Kollege, Gleissner, hier ist in erster Linie der Bayerische Landtag und nicht der Bundestag am Zug. Der Bundestag hat ja das entsprechende Bundesgesetz bereits verabschiedet.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601044400
Eine Zwischenfrage des Kollegen Ott.

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0601044500
Herr Kollege Dr. Riedl, würden Sie mir zustimmen, wenn ich behaupte, daß das Problem der Wohnungsnot in München überhaupt kein Problem mehr wäre, wenn die der SPD im Herzen sehr nahestehende größte Wohnungsbaugesellschaft etwas weniger im Ausland und dafür mehr in München gebaut hätte?

(Heiterkeit bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD. — Abg. Dr. Apel: Das ist ja wohl das Letzte!)


Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601044600
Herr Kollege Ott, das ist eine sehr bedeutsame Frage, über die wir uns noch gründlich unterhalten müssen.

(Lachen bei der SPD.)

— Meine Damen und Herren. Ich habe den Eindruck, daß Sie die „Neue Heimat" in ihrem Gesamtumfang noch gar nicht durchschaut haben.

(Abg. Ott: Da geht es nach Karl Marx und dem Mehrwert!)

— Herr Kollege Ott, ich wollte diese Antwort nur zu Ende geben: Das ist eine sehr interessante Frage, mit der wir uns mit Sicherheit in München in Zukunft in stärkerem Maße als bisher befassen müssen. Darauf können Sie sich verlassen. Nur weiß ich ganz genau, daß das von Ihnen aus uns gegenüber mit sehr, sehr kritischen Augen beobachtet werden wird.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601044700
Bitte schön!

Dr. Wolfgang Rutschke (FDP):
Rede ID: ID0601044800
Herr Kollege, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es vielleicht zweckmäßig wäre, alle diese Fragen zwischen CSU-Abgeordneten in der Landesgruppe der CSU abzuhandeln?

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601044900
Es gehört zum Stil dieses Hohen Hauses, daß Fragen, die an den Redner gestellt werden, auch beantwortet werden.

(Zurufe.)

Die Aufforderung zur Fragestellung und zur Genehmigung kam ja vom Herrn Präsidenten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601045000
Herr Kollege, ich muß Sie leider noch einmal fra-



Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
gen. Der Herr Kollege Schmidt (München) hat noch eine Zwischenfrage. Würden Sie die auch noch genehmigen?

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601045100
Selbstverständlich.

Manfred Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0601045200
Herr Dr. Riedl, wären Sie bereit, den Fragesteller aus Ihrer Fraktion darauf hinzuweisen, daß es gerade immer die Fraktion der CSU im Münchner Stadtrat ist, die der Meinung ist, daß die Neue Heimat in München viel zuviel und nicht zuwenig baut?

(Beifall bei den Abgeordneten der SPD.)


Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0601045300
Herr Kollege Schmidt, ich werde den Kollegen die entsprechenden Zeitungsartikel gerne übersenden.
Meine Damen und Herren, ich bin am Ende meiner Ausführungen

(Beifall bei den Regierungsparteien)

und wollte nur noch an ein Wort des verstorbenen Kollegen Prinz Konstantin erinnern, das er am 6. Dezember 1968 gesagt hat: „Eigentum an Wohnraum bedingt besondere soziale Verpflichtungen." Das war für uns der Anlaß, diese Gesetzentwürfe vorzulegen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601045400
Meine Damen und Herren, nachdem der amtierende Präsident schon die Freude hatte, vorhin einen Münchener Abgeordneten zu seiner Jungfernrede zu beglückwünschen, tue ich das jetzt für den Kollegen Dr. Riedl ebenfalls sehr gern.

(Beifall).

Das Wort hat der Kollege Mick.

Josef Mick (CDU):
Rede ID: ID0601045500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe jetzt einige Vorstellungen davon, warum man so gerne nach München zieht. Ich wäre auch versucht, dort hinzuziehen, um dort Kommunalpolitiker zu werden, denn die Buntheit dieser Münchner Debatte verführt dazu. Ich meine aber, wir sollten diese kommunalpolitische Debatte hier nicht fortsetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der Regierungsparteien.)

Ich hätte mich auch nicht zu Wort gemeldet, verehrter Herr Minister, wenn Sie nicht einige grundsätzliche Bemerkungen zur Wohnungsbaupolitik im allgemeinen gemacht hätten. Ich denke auch nicht daran, jetzt noch zu versuchen, eine umfassende wohnungspolitische Debatte zu entfesseln.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD.)

Ich glaube aber, einige Ihrer Bemerkungen bedürfen doch einer sofortigen Erwiderung.
Zunächst einmal, verehrter Herr Minister, glaube ich, daß es nicht Aufgabe dieses Hohen Hauses oder Aufgabe einzelner Abgeordneter ist, hier Gesetz-
entwürfe einzureichen, die auf Punkt und Komma einer Gesetzesformulierung standhalten. Ich bin vielmehr der Meinung, daß es Aufgabe dieses Hohen Hauses und einzelner Abgeordneter ist, Anträge einzureichen, von denen sie glauben, daß sie politisch notwendig sind. Und sie sollten hier nicht den Stil eines Oberlehrers anwenden, der Kritik an einzelnen Formulierungen übt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition — —

(Große Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

— Sie wußten doch immer, wie schwer das ist; und jetzt verlangen Sie von uns, daß wir uns von heute auf morgen umstellen können.

(Heiterkeit und Zurufe von der SPD.) — Ja, uns fällt das schwer.

Meine Damen und Herren von der Regierungspartei,

(Aha-Rufe bei der CDU/CSU. — Sehr gut! bei der SPD)

Sie sollten sich langsam daran gewöhnen, daß Ihr Minister und Sie seit drei Jahren die größte Verantwortung für die Wohnungsbaupolitik tragen, und sollten nicht so tun, als wenn das, was heute wohnungspolitisch relevant ist, so in der Steinzeit grundgelegt worden wäre. Sie tragen in erster Linie die Verantwortung. Sie müssen sich damit abfinden, daß Sie mit dieser Verantwortung konfrontiert werden. Sie sollten hier keine Ausweichmanöver machen, sondern sich den Problemen stellen und sich nicht mit der Vergangenheit für das entschuldigen wollen, was heute nicht in Ordnung ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.) — Keine Zwischenfrage!


(Zurufe von der SPD.)

Verehrter Herr Minister, ich erwarte von Ihnen vor allem eine Initiative; sie ist der Schlüssel zur Lösung der Probleme, die vor allem die bayerischen CSU-Kollegen hier in Anträge gekleidet haben. Wir erwarten von Ihnen, daß Sie uns endlich die Fehlerquellen des Gesetzes über die Statistik betreffend den Wohnungsfehlbestand in der Bundesrepublik Deutschland aufzeigen und daß sie sich nicht damit begnügen, wenige Wochen vor der Wahl Behauptungen in die Welt zu setzen, ohne zu sagen, wo die Fehlerquellen liegen. Darauf warten wir, um auch, wenn es notwendig sein sollte, die Wohnungspolitik revidieren zu können, weil das Bessere des Guten Feind ist. Dieser Meinung sind wir und waren wir allezeit. Ich glaube, daß wir in dieser Meinung sogar manchen Fortschritt auch in der Wohnungspolitik erzielt haben.
Im übrigen, verehrter Herr Minister, werden wir mit wohnungspolitischen Initiativen aufwarten, um Sie zu einer Höchstleistung zu zwingen, um unser Konzept in diese Wohnungspolitik einzubringen. Wer mich kennt, meine sehr verehrten Damen und



Mick
Herren, wird mir noch solche Fragen stellen, wie sie soeben meinem Vorredner gestellt worden sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601045600
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende dieses Abschnitts der Debatte. — Herr Minister, wenn Sie sich als Regierungsmitglied noch zu Wort gemeldet haben, ist die Debatte wieder eröffnet. Ich erteile Ihnen das Wort.

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0601045700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe in meinen Ausführungen vorhin darauf aufmerksam gemacht, daß eine umfassende Novelle zum Wohngeldgesetz nach meiner Meinung mehr Punkte enthalten sollte als diese Vorlage. Herr Kollege Mick, das war keine Kritik an den einzelnen Formulierungen, sondern einfach der Versuch, einmal umfassend darzustellen, was eine Novellierung des Wohngeldgesetzes erforderlich macht.

(Abg. Mick: Sie können noch eine Vorlage machen!)

— Ich habe Ihnen doch gesagt, die Vorlage ist in Arbeit. Ich bin allerdings der Meinung, da die Länder 50 % der Kosten zu tragen haben, ist es selbstverständlich, daß man vorher mit ihnen über eine solche Vorlage sprechen muß.
) Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Herr Minister, genehmigen Sie eine Zwischenfrage? — Herr Kollege Rollmann, bitte schön!

Dietrich-Wilhelm Rollmann (CDU):
Rede ID: ID0601045800
Darf ich fragen, Herr Minister, wann mit Ihrer Vorlage zu rechnen ist und wie lange die Mieter, die auf eine Verbesserung des Wohngeldes warten — bereits seit langer Zeit, wo Sie die Verantwortung tragen —, noch auf eine Verbesserung des Wohngeldes in unserem Lande warten müssen.

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0601045900
Herr Kollege Rollmann, ich darf die Gegenfrage stellen: Wo wollen Sie die 500 Millionen DM, die die Durchführung Ihrer Vorlage kostet, im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung unterbringen?

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU: Das ist Ihre Sache!)

Hier ist bei der Diskussion über die Regierungserklärung sehr viel von solider Finanzpolitik gesprochen worden. Das aber gehört nach meiner Meinung dazu:

(Zurufe von der CDU/CSU: Dann versprechen Sie das nicht!)

Es gehört dazu, daß eine Regierung eine Vorlage mit erheblichen finanziellen Auswirkungen nur machen kann, wenn die mittelfristige Finanzplanung diese Vorlage absichert. Das gehört zusammen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601046000
Herr Minister, gestatten Sie zunächst eine Zwischenfrage des Kollegen Czaja? — Entschuldigen Sie, meine Herren, wir müssen ein bißchen nach der Reihe vorgehen.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0601046100
Herr Minister, würden Sie mir zugeben, daß Sie von Ihrem Rechtsverordnungsrecht nach § 43 Abs. 3 des Wohngeldgesetzes hinsichtlich der Festsetzung der Obergrenzen für Wohngeldleistungen nicht zur rechten Zeit Gebrauch gemacht haben, und dies, obwohl Sie in den Jahren 1967 und 1968 den Ansatz im Haushalt für Wohngeld nicht voll verbraucht haben?

(Hört! Hört! und Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Zuruf von der CDU/CSU: So schlecht war die Politik!)


Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0601046200
Der Ansatz für Wohngeld — —

(Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601046300
Herr Minister, einen Augenblick! Meine Herren, ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir jetzt zunächst die Antwort abwarten könnten. Ihre Bitte um eine Zwischenfrage ist notiert. Bitte, Herr Minister!

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0601046400
Herr Kollege Czaja, Sie kennen die Zahlen ganz genau. Der Betrag, der nicht ausgenutzt worden ist, hätte doch bei weitem nicht ausgereicht, um eine wesentliche Verbesserung des Wohngeldgesetzes zu erreichen.
Zweitens haben Sie alle vergessen, meine Damen und Herren, wie wir 1966/67 hier angefangen haben.

(Beifall bei der SPD.)

Wir haben uns sehr bemühen müssen, das Wohngeldgesetz überhaupt durchzuhalten. Jetzt, wo die finanzielle Situation anders aussieht, bemühen wir uns darum, die notwendigen Verbesserungen nachzuholen. So sieht die Sache doch aus.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601046500
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Frage des Kollegen Czaja?

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0601046600
Herr Minister, würden Sie mir zugestehen, Sie in einer Vorlage im Jahre 1967 seitens der Regierung eine Verschlechterung des Wohngledes beantragt haben und daß dies in erster Linie die CDU/CSU-Fraktion in diesem Hause verhindert hat?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0601046700
Nein, das ist unrichtig! Die Vorlage stammt vom Finanzminister und hat den



Bundesminister Dr. Lauritzen
entschiedenen Widerspruch meiner Parteifreunde gefunden.

(Abg. Dr. Czaja: Aber Sie haben sie hier vertreten!)

— Ich habe sie hier im Hause nicht vertreten.

(Abg. Dr. Czaja: Aber selbstverständlich haben Sie sie vertreten!)

— Nein, ich habe mich ausdrücklich dagegen gewandt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601046800
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ott?

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0601046900
Herr Minister, da Sie uns fragen, woher das Geld kommen soll, frage ich: Würden Sie mir widersprechen, wenn ich die Meinung äußere, daß es Ihre Pflicht und Aufgabe gewesen wäre, bei der Mitwirkung anläßlich der Regierungserklärung darauf zu dringen, daß eine Erhöhung des Wohngeldes wichtiger als ein stufenweiser Abbau der Ergänzungsabgabe ist?

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)


Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0601047000
Ich sehe diesen Zusammenhang nicht. Ich kann nur sagen, das ist ein sehr gesuchter Versuch, hier Dinge zu verbinden, die gar nichts miteinander zu tun haben.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601047100
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jacobi?
Jacobi (Köln/Iserlohn) (SPD) : Herr Minister, habe ich es recht in Erinnerung, daß die damals drohende Verschlechterung des Wohngeldes, die vom Finanzminister angestrebt worden ist, in einem Spitzengespräch der Koalitionsparteien auf Betreiben der SPD behoben werden konnte, daß also die Gefahr erst durch eine Intervention der SPD beseitigt wurde?

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0601047200
Nicht nur das, wenn ich richtig unterrichtet bin, sondern ich habe mich sehr nachdrücklich dagegen gewandt und habe noch versucht, die Dinge im Rahmen der Kabinettsberatung wieder in Ordnung zu bringen. Aber das sind frühere Dinge.
Meine Damen und Herren, die Vorlage, die die Bundesregierung zu diesem Punkt vorbereitet, ist so weit fertig, daß sie mit den Ländern in den finanziellen Auswirkungen abgestimmt werden kann. Das ist notwendig. Darum kommen wir nicht herum, weil das Gesetz zustimmungsbedürftig ist und im Bundesrat scheitern kann, wenn wir nicht die Zustimmung der Länder erhalten. Das ist doch ganz
selbstverständlich, weil die Länder 50% der Kosten tragen müssen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601047300
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mick?

(Abg. Dr. Apel: Jetzt reicht's aber langsam! Diese Komiker da!)


Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0601047400
An mir liegt es nicht, wenn die Beratung lange dauert.

Josef Mick (CDU):
Rede ID: ID0601047500
Herr Minister, sind Sie mit mir der Meinung, daß in der Vergangenheit aus ähnlichen Gründen wie denen, derentwegen Sie heute diesen Initiativgesetzentwurf der CDU/CSU nicht in Bausch und Bogen gutheißen können, auch nicht alle Blütenträume der damaligen Opposition reifen konnten?

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0601047600
Ich muß darauf hinweisen, was nach meiner Meinung ergänzungsbedürftig ist und daß ich das Verfahren für besser halte, wenn der Bundesrat von vornherein eingeschaltet ist. Das ist in dieser Sache nach meiner Meinung von der Natur her gegeben. Deswegen sehe ich den Weg über die Regierungsvorlage, die in den Bundesrat geht, als den besseren Weg an.

(Abg. Rollmann: Sie haben in Wirklichkeit kein Geld für irgendeine Verbesserung des Wohngeldes! Das ist der Witz der Sache, Herr Minister! Sie haben kein Geld dafür!)

— Ich weiß nicht, wie Sie zu dieser Beurteilung kommen. Sehen Sie sich einmal an, welche Vorschläge meine politischen Freunde für das Finanzprogramm gemacht haben! 15 % mehr an Jahresrate für Wohnungs- und Städtebau. Das ist schon ein wesentlicher Betrag, der dabei eine Rolle spielt. Sie sehen also durchaus das Bemühen, die Dinge auch finanziell abzusichern.

(Abg. Rollmann: Sie machen das genauso wie bei den Rentnern mit den 50 Mark!)

— Ich habe hier keine Zusage abzugeben, die ich nicht einhalten kann. Deswegen ist dieser Hinweis völlig unberechtigt.
Meine Damen und Herren, ich bin gefragt worden, welcher Zusammenhang mit den statistischen Zahlen besteht, die bisher als erste Ergebnisse der Wohnungs- und Gebäudezählung bekanntgeworden sind. Hier handelt es sich um folgendes: Es hat sich herausgestellt, daß die sogenannte statistische Fortschreibung, die die Gebäude und Wohnungen erfaßt und die von einer umfassenden Gebäude- und Wohnungszählung aus dem Jahre 1955 ausgeht, nicht mehr mit dem tatsächlichen Bestand übereinstimmt. Das war auch der wesentliche Anlaß dafür, daß wir im Oktober 1968 eine Wohnungs- und Gebäudezählung durchgeführt haben. Darf ich Sie daran erinnern, daß dieses Gesetz dreimal im Vermittlungsausschuß



Bundesminister Dr. Lauritzen
war und daß wir uns sehr nachdrücklich für dieses Gesetz eingesetzt haben.
Worauf sind die Fehler zurückzuführen? Die Fortschreibung erfaßt den Zugang an neuen Gebäuden und Wohnungen. Aber sie erfaßt nicht zuverlässig den Abgang; sie erfaßt nicht die Umwidmung von Wohnraum in Büroraum; sie erfaßt nicht die Gebäude, die im Wege von Altstadtsanierungen verschwinden.

(Abg. Mick: Warum ändern Sie das nicht?)

— Deswegen haben wir 1968 die umfassende Zählung gemacht. Jeder, der die Statistik kennt, weiß, daß diese Fehlerquellen darin sind. Deswegen darf er nicht überrascht sein, wenn die Gebäudezählung aus dem Oktober 1968 andere Ergebnisse bringt als die Fortschreibung. Die Fortschreibung muß nach einem Jahr immer wieder durch eine Erfassung korrigiert werden. Wenn man auf Grund von statistischen Unterlagen politische Entscheidungen trifft, dann muß man wissen, welche Fehlerquellen in den statistischen Unterlagen drinstecken. Das hat man in der Vergangenheit nach meiner Meinung nicht genügend berücksichtigt.

(Abg. Dr. Czaja: Die Vergangenheit sind die letzten drei .Jahre!)

Nein, das sind nicht die letzten drei Jahre, sondern das sind die Jahre, in denen über den Schlußtermin beim Abbau der Wohnungszwangswirtschaft entschieden wurde

(Beifall bei der SPD — Abg. Dr. Czaja: Das war 1960!)

und als mit dem sogenannten rechnerischen Wohnungsdefizit gearbeitet wurde; eine Einrichtung, die wir aufgegeben haben. Dabei ging es darum, festzustellen, wieviel Haushalte es gibt und was eine Wohnung im Sinne des rechnerischen Wohnungsdefizits ist. Dafür braucht man nach meiner Meinung exakte Unterlagen. Fortgeschriebene Zahlen reichen dafür nicht.
Jetzt stellt sich einfach heraus — die Zahlen sind auch für München genannt worden —, daß die fortgeschriebene Zahl der angeblich vorhandenen Wohnungen in München um rund 17 000 höher liegt als die der tatsächlich vorhandenen. Bitte überlegen Sie einmal, was das bedeutet! Wenn Sie davon ausgehen, daß eine Familie etwa drei Personen umfaßt, dann könnte in den fehlenden 17 000 Wohnungen eine Stadt von 50 000 Einwohnern untergebracht werden.

(Abg. Dr. Czaja: Wo war das Baurechtsamt in München?)

— Das hat mit dem Baurechtsamt nichts zu tun, sondern das sind die Fehlerquellen in der Statistik, die man kennen muß.

(Abg. Dr. Czaja: Dann nennen Sie sie!)

Meine Damen und Herren, ich will Ihnen noch andere Zahlen nennen. Regensburg: minus 6,8 % —Herr Kollege Höcherl ist leider nicht da —, Düsseldorf: minus 5,7%, Kaiserslautern: minus 4,9%.
Wir haben in den bisher vorliegenden Ergebnissen von 14 Städten, die rund 10 % der Wohnbevölkerung ausmachen, festgestellt, daß 2,5 % der Mehrpersonenhaushalte noch in Untermiete leben und rund 3 % der Mieter in unzulänglichen Wohnungen. Das sind die echten Bedarfszahlen, die uns in Zukunft noch große Sorgen machen werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601047700
Es liegt eine weitere Wortmeldung vor. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0601047800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister für Wohnungswesen hat die Debatte neu eröffnet und nach den Gründen der jetzigen Situation und der Notwendigkeit der Anträge gefragt. Es unterliegt keinem Zweifel — das weiß jeder Fachmann —, daß der bedeutendste der Anträge der zum Wohngeldgesetz ist. Herr Minister, Sie können sich der Verantwortung nicht entziehen — und Sie haben das nicht beantwortet , daß Sie das Verordnungsrecht nach § 43 Abs. 3 des Wohngeldgesetzes nicht ausgeschöpft haben, der Ihnen die Möglichkeit und die Pflicht gab, die Obergrenze bis zu 33 % über den gewogenen Durchschnitt der Mieten im sozialen Wohnungsbau hinaufzusetzen. Nach der Statistik Ihres Hauses betragen diese Mieten derzeit 3,10 DM. Das bedeutet, daß Sie mit der Obergrenze mindestens auf 4,30 bis 4,50 DM hätten hinaufgehen müssen. Das haben Sie nicht getan. Das ist Ihr schwerer Fehler, den Sie politisch vor diesem Haus verantworten müssen.
Sie haben gesagt, der Finanzminister sei schuld. Es hat in diesem Hause noch keinen Wohnungsbauminister gegeben, der nicht das Ringen um die Finanzen hätte durchstehen müssen. Ich muß Ihnen sagen: nicht einmal in der Koreakrise ist der öffentlich geförderte Wohnungsbau so zurückgegangen wie unter Ihnen.

(Abg. Jacobi [Köln/Iserlohn] : Das war doch Ihre Politik!)

Ich darf mich berufen auf die protokollarisch festliegenden Ausführungen des Kollegen Jacobi vom 9. Juni 1967, Seite 5572 der Protokolle dieses Hauses, der Ihnen klar vorgehalten hat — allerdings damals nur in einer zu Protokoll gegebenen Rede, weil er es öffentlich nicht wollte —, daß der soziale Wohnungsbau mehr denn je in Bedrängnis gerate und rückläufig sei. Ich darf Sie, Herr Minister, darauf aufmerksam machen, daß nach den Berichten des Statistischen Bundesamtes der öffentlich geförderte Wohnungsbau im Jahre 1968 um 12 % zurückgegangen ist, und dies, Herr Minister, obwohl Sie durch das Zinsanhebungsgesetz erheblich mehr Rückflüsse zur Verfügung haben. Sie haben hier nicht erklärt, wo die Rückflüsse, die für Sie ein Dispositionsfonds sind, nun tatsächlich Verwendung finden und wieweit diese Rückflüsse auch für besondere Vorhaben von Mammutunternehmen verwendet worden sind.




Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601047900
Herr Kollege, ich will Sie nur darauf aufmerksam machen, daß eine Zwischenfrage gewünscht wird.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0601048000
Bitte sehr!

Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0601048100
Herr Kollege Dr. Czaja, Sie wissen doch, daß der im Jahre 1967 ausgeführte Wohnungsbau auf Bewilligungen zurückgeht, die einige Jahre zuvor erteilt worden sind, also in einer Zeit, in der die Sozialdemokraten den Wohnungsbauminister nicht stellten.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0601048200
Frau Kollegin Meermann, ich habe die Zahl von 1968 zitiert — wenn Sie etwas genauer hingehört hätten — und habe für 1967 nur die Ausführungen des Kollegen Jacobi von Ihrer Fraktion zitiert, die er wahrscheinlich wegen der Sprengkraft dieser Ausführungen nur zu Protokoll gegeben und hier nicht vorgetragen hat. Ich habe auch die Seitenzahl dazu angegeben.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601048300
Genehmigen Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar von Herrn Abgeordneten Dröscher?

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0601048400
Bitte!

Wilhelm Dröscher (SPD):
Rede ID: ID0601048500
Herr Dr. Czaja, können Sie erläutern, worin der Unterschied in der Öffentlichkeit der Aussage besteht zwischen einer Erklärung, die vom Podium abgegeben wird, und einer Erklärung, die zu Protokoll gegeben wird und die ja genauso ins Protokoll kommt?

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0601048600
Deswegen habe ich sie zitiert.

(Zurufe von der SPD.)

— Aber die Aussage ist eindeutig, Herr Kollege Dröscher. Ich bitte Sie, auf Seite 5572 nachzulesen. Es ist eine eindeutige Verurteilung der Politik des Bundesministeriums für Wohnungswesen von damals.

(Abg. Jacobi [Köln/Iserlohn] meldet sich zu einer Zwischenfrage.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601048700
Bitte schön, Ihre Zwischenfrage ist genehmigt.
Jacobi (Köln/Iserlohn) (SPD) : Herr Kollege Czaja, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich Reden in diesem Hause nur dann zu Protokoll gebe, wenn ich Rücksicht auf die Übermüdung des Hauses nehme oder wenn zeitliche Gründe mich dazu zwingen?

(Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)

Darf ich Sie des weiteren bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß meine Kritik am Rückgang des Wohnungsbaues ihre Wurzel in einer Wohnungsbaupolitik findet, die Ihr Freund Lücke und die Ihre Freunde zu verantworten hatten.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0601048800
Herr Kollege Jacobi, nachdem Sie hier einen schwerkranken Kollegen angesprochen haben

(lebhafte Oho-Rufe von der SPD — Zuruf von der SPD: Was soll denn das?)

— Sie wissen doch noch gar nicht, was ich sagen will —

(anhaltende Zurufe von der SPD)

— glauben Sie, daß es nicht stimmt, daß er schwer krank ist? —,

(Abg. Jacobi [Köln/Iserlohn] : Was hat das mit der Sache zu tun, wenn einer Minister war? — Weitere Zurufe von der SPD)

glaube ich, daß ich einiges zu den Ursachen der jetzigen Situation sagen muß. Da möchte ich Ihnen folgendes ins Stammbuch schreiben, Herr Kollege Jacobi. Unter dem Kollegen Lücke betrugen die Mietsteigerungen von 1962 auf 1963 laut Statistik des Verbandes gemeinnütziger Wohnungsunternehmen 6,5 %, von 1964 auf 1965 betrugen sie 6,4 %. Nach 1965 war Herr Lücke nicht Minister.

(Abg. Jacobi [Köln/Iserlohn] : Aber er hat die Gesetze vorbereitet!)

— Ja, die Gesetze waren 1965 und 1966 in Kraft getreten.
Darf ich Ihnen aber jetzt sagen, welche Mietsteigerungen unter Ihrem Minister von 1966 auf 1967 zu verzeichnen waren?

(Lebhafte Zurufe von der SPD. — Abg. Jacobi [Köln/Iserlohn] : Demagoge!)

— Nein, das sind Tatsachen, Herr Kollege; ich lasse diese Tatsachen nicht überschreien. 8,5 %! Und von 1967 auf 1968 10 %, und zwar nicht, Herr Minister, wie Sie behaupten, für den frei finanzierten Wohnungsbau, sondern ausweislich des Tätigkeitsberichtes der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen ausdrücklich bei den öffentlich geförderten Wohnungen.
Abg. Dr. Apel meldet sich zu einer
Zwischenfrage.)

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601048900
Herr Abgeordneter!

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0601049000
Ich werde erst den Gedanken beenden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601049100
Bitte! Ich wollte Sie nur aufmerksam machen.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0601049200
Der Tätigkeitsbericht der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen für das Jahr 1968 weist auch klar die Gründe dafür aus, die Sie, Herr Minister, jedenfalls nicht mit einer konzertierten Aktion beantwortet haben. Dieser Bericht weist aus, daß bei den öffentlich geförderten Wohnungen und bei den Gesamtwohnungen aller Unternehmen, die den Verband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen angehören, 56 % der Miet-



Dr. Czaja
steigerungen auf Erhöhung der kommunalen Gebühren und Umlagen zurückzuführen sind.

(Abg. Schulte [Unna] : Wissen Sie nicht, daß Sie die ganze Misere herbeigeführt haben? Können Sie das sagen, ohne rot zu werden?)

Auch das muß hier gesagt werden. Der Minister muß gefragt werden, ob er das Nötige getan hat, um in einer konzertierten Aktion mit Gemeinden und Ländern, zu der er in diesem Hause wiederholt aufgefordert worden ist, diesem Mißstand zu begegnen, daß nicht nur einmal im Jahr, sondern 9 bis 12mal Erhöhungen stattfinden.
Auch bezüglich der Mammutunternehmen muß hier eine Frage gestellt werden. Diese haben ja ganz große steuerliche Subventionen dadurch erhalten, daß Sie eine Ermächtigung für den Reichsarbeitsminister des Dritten Reiches dahingehend ausgeweitet haben, daß diese Unternehmen auch Versorgungsbauten in jeder Form errichten können. Wieweit haben diese Mammutunternehmen tatsächlich stabilisierend auf die Mietpreise gewirkt? Das alles hat ja nicht Herr Lücke zu verantworten, der seit 1965 nicht mehr Wohnungsbauminister ist .
Schließlich ist die Frage aufzuwerfen, was Sie gegen die steigenden Gesamtbaukosten, insbesondere auch gegen die vom Verband der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen nachgewiesenen Steigerungen der Geldbeschaffungs- und Verzinsungskosten — auch während der Bauzeit — getan haben. Auch hier hat es an einer konzertierten Aktion selbst mit den Staatsbanken, aber auch mit ) solchen Banken gefehlt, deren Einlagen nicht vom Diskontsatz betroffen waren.
Meine Damen und Herren, das alles zeigt, daß nicht nur in der vergangenen Regierung, sondern auch in dieser Regierung der Bundesminister für Wohnungswesen einer der schwächsten Punkte der Regierung ist.

(Zurufe von der SPD.)

Er wird hoffentlich endlich zu Taten und nicht nur zu Reden schreiten.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Buh-Rufe von der SPD.)

Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen Herr Abgeordneter Czaja, wollten Sie die Zwischenfrage des Abgeordneten Apel beantworten? — Herr Abgeordneter Apel, es ist das Recht des Redners, auf Zwischenfragen nicht einzugehen.
Das Wort hat der Herr Bundeswohnungsbauminister.

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0601049300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den letzten Bemerkungen des Herrn Abgeordneten erwarten Sie von mir sicherlich keine Erklärung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Dieses ganze Spiel mit Zahlen, Herr Czaja, das Sie hier so munter entwickelt haben, erfordert nun eine lange Erwiderung, weil da derartig viele Fehler und falsche Bezugspunkte drin sind, daß die Richtigstellung leider sehr viel Zeit erfordert.

(Abg. Dr. Czaja: Nennen Sie einen Fehler!)

— Darf ich den Satz zu Ende reden; ich habe Sie ja auch nicht unterbrochen.

(Abg. Dr. Apel: Er hat sich nicht unterbrechen lassen!)

— Ja, vielleicht auch.
Es wird nicht zu vermeiden sein, daß wir im Ausschuß einmal darauf zu sprechen kommen, damit endlich dieses Herumjonglieren mit falschen Zahlen aufhört. Es ist doch erschütternd, wenn man auch aus dem Munde von Herrn Czaja hört, daß eine Mietsteigerung von 10 % vorliegen soll. Dabei hat er denselben Fehler gemacht, den auch andere gemacht haben, nämlich Indexpunkte miteinander zu vergleichen. Der Index ist um 10 Punkte gestiegen. Das sind aber keine 10 °'o, sondern die Prozentsteigerung beträgt 7,4%. Dieses muntere Spiel möchte ich hier nicht fortsetzen.

(Abg. Dr. Czaja: Würden Sie zugeben, daß es unter Lücke nur 6 Punkte gegeben hat?)

— Jetzt will ich Ihnen einmal etwas sagen, Herr Czaja.

(Abg. Dr. Czaja: Bitte!)

— Ich habe hier die Zahlen seit dem Jahre 1948 vorliegen, und danach wird klar ausgewiesen, daß bis zum Abbau der Wohnungszwangswirtschaft, also bis zum Jahre 1960, die jährliche Mietsteigerung im Durchschnitt etwa bei 2 bis 3% liegt, und dann schnellt sie nach oben und beträgt jedes Jahr mindestens 61/2 %. In den Jahren, in denen besonders viele Abschlußtermine lagen, liegt sie sogar noch höher.

(Abg. Dr. Klepsch: Wie ist es denn mit den kommunalen Gebühren?)

— Aber ich bitte Sie! Ich weiß nicht, wer von Ihnen in der Kommunalpolitik zu Hause ist. Wie stellen Sie es sich vor, daß ein Bundesminister auf die Tarife der kommunalen Versorgungsunternehmen, der Müllabfuhr und der Kanalreinigung Einfluß nehmen soll?

(Zurufe von der Mitte.) — Nein, das geht nicht.


(Abg. Dr. Czaja: § 27 der Berechnungsverordnung!)

— Das geht nicht. Ich habe hier in einer Fragestunde in Aussicht gestellt, mit den zuständigen Länderministern darüber zu sprechen. Das ist geschehen. In der letzten Konferenz der Minister und Senatoren für das Bau- und Wohnungswesen ist sehr eingehend über den Einfluß der kommunalen Gebühren und Abgaben auf die Entwicklung der Mieten diskutiert worden. Wir waren uns alle einig, das zu versuchen. Das muß aber über die Länder und Gemeinden geschehen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Wenn Sie das eine konzertierte Aktion nennen wollen, sind wir uns in dem Punkt einig. Das ist



Bundesminister Dr. Lauritzen
aber geschehen. Nur dürfen Sie die Möglichkeit, die darin liegt, nicht überschätzen.
Was die Entwicklung des Bauvolumens angeht, so ist einfach festzustellen, daß in diesen drei Jahren trotz der großen finanziellen Schwierigkeiten, in denen wir uns befanden, das Volumen des sozialen Wohnungsbaus gehalten worden ist.

(Beifall bei der SPD.)

Ihre Statistik enthält leider nicht den zweiten Förderungsweg. Den haben Sie vergessen. Das sind öffentliche Mittel, die in den Wohnungsbau hineingehen.

(Abg. Dr. Czaja: Aber nur für Empfänger gehobener Einkommen!)

— Das sind mit öffentlichen Mitteln geförderte Wohnungen, die dürfen Sie doch nicht weglassen! Natürlich gehören die dazu!

(Abg. Dr. Czaja: Nein, steuerbegünstigt.)

— Nein, das ist nicht steuerbegünstigt; das ist der zweite Förderungsweg. Die Statistik weist bei dem mit direkten staatlichen Hilfen geförderten Wohnungsbau für 1967 198 000 Bewilligungen, für 1968 204 000 Bewilligungen aus. Ich habe immer gesagt, das Volumen sollte 200 000 sein. Da haben wir es!

(Zuruf des Abg. Dr. Czaja.)

— Nein, in dem Grad, wie öffentliche Mittel im Sinne des Zweiten Wohnungsbaugesetzes hineingehen. Es ist doch eine Rabulistik, wenn Sie jetzt sagen: Das rechne ich hinein und das rechne ich nicht hinein. Öffentliche Mittel im Wohnungsbau haben dazu geführt, daß die Rate von 200 000 Wohnungen im Jahr gehalten worden ist.
Nun noch etwas, Herr Czaja, was wir versucht haben im Ausschuß schon drei Jahre lang deutlich zu machen. Drei Jahre lang haben wir darüber diskutiert, daß die Rückflußmittel nicht einen Dispositionsfonds des Bundeswohnungsbauministers schaffen.

(Zuruf des Abg. Dr. Czaja.)

— Nein, das haben alle abgenommen; außer Ihnen haben das alle Mitglieder des Ausschusses akzeptiert. Die Mittel sind im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung eingeplant und haben zu diesen Bauten geführt, von denen ich soeben gesprochen habe.
Aber nun lassen Sie mich noch etwas sagen. Ich würde es für gefährlich halten, eine Änderung des Wohngeldgesetzes allein auf die Festsetzung der Mietobergrenze zu beschränken. Das ist eine ganz gefährliche Sache. Das führt zunächst einmal dazu
— wollen wir es einmal vorsichtig ausdrücken —, daß man sich auf Kosten des Staates über die Miethöhe verständigen kann.

(Beifall bei der SPD.)

Aber was viel gefährlicher ist: das hebt sofort das Mietniveau.

(Zuruf von der SPD: Da wollen die doch hin!)

Deswegen ist eine umfassende Novelle notwendig, wie ich sie vorhin dargestellt habe. Ich glaube, Sie werden das im Ernst nicht bestreiten können.

(Abg. Dr. Klepsch: Wann kommt die denn?)

— Die kommt noch in diesem Jahr, wenn der Finanzminister mir sagt, wieviel Geld im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung drin ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nehmen Sie die Ergänzungsabgabe!)

— Sie waren doch bisher immer gegen die Ergänzungsabgabe. Jetzt sind Sie mit einem Male dafür. Ich verstehe ihre Politik nicht mehr.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

Hier muß im Zusammenhang gesehen werden, welche Mittel für das Wohngeld, welche Mittel für den Wohnungsbau und welche Mittel für die Städtebauförderung zur Verfügung stehen. Dann können wir eine Vorlage machen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen Meine Damen und Herren, damit stehen wir am Ende der Beratungen der Tagesordnungspunkte 3, 4 und 6.
Zu dem von den Abgeordneten Geisenhofer, Dr. Riedl (München), Dr. Schmidt (Wuppertal), Rollmann, Orgaß, Dr. Probst, Müller (Berlin), Wohlrabe und Genossen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes wird vorgeschlagen, ihn dem Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen und dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. Ich sehe keine anderen Vorschläge; es ist so beschlossen.
Der Antrag der Abgeordneten Geisenhofer, Dr. Riedl (München), Dr. Probst und Genossen betreffend Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wohnungsbindungsgesetzes 1965 soll nach dem Vorschlag des Ältestenrates dem Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen überwiesen werden. — Es werden keine anderen Vorschläge gemacht; es ist so beschlossen.
Der Antrag der Abgeordneten Geisenhofer, Dr. Riedl (München) und Genossen betreffend Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung mietpreisrechtlicher Vorschriften soll auf Vorschlag des Ältestenrates dem Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen überwiesen werden. — Es werden keine anderen Vorschläge gemacht; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, zu den Punkten 5 und 7 der Tagesordnung habe ich eine angenehme Nachricht für Sie: die verehrten Kollegen aus Hamburg, Dr. Apel und Rollmann, die sich hierzu zu Wort gemeldet hatten, haben ihre Wortmeldung zurückgezogen.

(Beifall und Heiterkeit.)

Sie erhoffen sicher, daß sich das positiv auf die weitere Beratung des hier schon mehrfach vorgetragenen Anliegens auswirkt. — Somit liegen keine Wortmeldungen vor. Ich schließe die Beratung.



Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
' Der Antrag unter Punkt 5 — Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum — soll dem Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen überwiesen werden. — Es wird kein anderer Vorschlag gemacht; es ist so beschlossen.
Der Gesetzentwurf unter Punkt 7 — Änderung mietrechtlicher Vorschriften — soll dem Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen — federführend — und dem Rechtsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. — Andere Vorschläge werden nicht gemacht; es ist so beschlossen.
Wir kommen nun zu Punkt 8:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Schlußtermins für den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über weitere Maßnahmen auf dem Gebiete des Mietpreisrechts im Land Berlin
— Drucksache VI/46 —
Heute morgen ist beschlossen worden, neben Punkt 8 folgenden Punkt 8 a auf die Tagesordnung zu setzen:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller (Berlin), Benda, Dr. Gradl, Wohlrabe und Genossen betreffend Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Schlußtermins für den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über weitere Maßnahmen auf dem Gebiet des Mietpreisrechts im Land Berlin
— Drucksache VI/55 —
Darf ich zunächst fragen, ob zu Punkt 8 das Wort gewünscht wird? — Das ist nicht der Fall.
Jetzt frage ich, ob zu Punkt 8 a das Wort gewünscht wird. B Bitte schön, Herr Kollege Müller!

Johannes Müller (CDU):
Rede ID: ID0601049400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zu der Begründung des Antrags Drucksache VI/55 nur noch einige wenige Gesichtspunkte nachtragen. Ich hoffe, daß damit nicht wieder erneut eine so scharfe Diskussion heraufbeschworen wird, wie wir sie eben erlebt haben.

(Zuruf von der SPD: Dann hätten Sie so vernünftig sein müssen wie die Hamburger!)

Zunächst möchte ich mit Genugtuung feststellen — auch im Namen meiner Kollegen —, daß die SPD- und die FDP-Fraktion entgegen dem ursprünglichen Vorschlag des Bausenators von Berlin als Endtermin für die Mietpreisbindung nicht den 31. Dezember 1973, sondern den 31. Dezember 1972 vorschlagen. Das Mieterschutzgesetz soll mit Ablauf desselben Termins auslaufen. Insoweit stimmen wir erfreulicherweise überein. Dieser Termin entspricht aber im übrigen dem Antrag der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus vom 17. Oktober 1969; das darf ich doch hier einmal feststellen.
Zweitens. Unsere Vorlage Drucksache VI/55 enthält nur wenige Abweichungen von der der beiden
Koalitionsfraktionen, und zwar wünschen wir die Aufrechterhaltung der §§ 17 und 18 Abs. 2 des Zweiten Bundesmietengesetzes. Wir wünschen eine Erhöhung nicht nur um 10 % oder 5 %, sondern auch um 15 % der Wohnungen mit Zentralheizung. Schließlich sehen wir die Aufrechterhaltung des Geschäftsraummietengesetzes als in der Praxis überholt an.
Drittens. Das, was auch unser Antrag nicht enthält — das ist eigentlich der Grund dafür gewesen, daß ich mich noch einmal zu Wort gemeldet habe — und was nur aus zeitlichen Gründen unterblieben ist, was aber an dieser Stelle von uns nachdrücklich angesprochen werden soll, ist eine Übergangsregelung. Diese Frage muß, auch wenn sie noch so problematisch ist, in den Ausschußberatungen unbedingt behandelt werden. Über 450 000 Einwohner Berlins sind 65 Jahre und älter. Sie vor allem leben in der Angst, daß die Eingliederung ihrer Wohnungen in die soziale Marktwirtschaft eine große Zahl von Kündigungen zur Folge haben könnte mit dem Ziel, die Mieten unangemessen zu erhöhen. Sie fürchten, dem Vermieter wehrlos ausgeliefert zu sein und enorme Mieterhöhungen in Kauf nehmen zu müssen.
Im Hinblick auf die besondere Situation Berlins betrachten wir es als unsere Pflicht, ihnen diese Sorge möglichst zu nehmen.

(Abg. Dr. Klepsch: Sehr gut!)

Wir denken dabei an eine Angemessenheitsverordnung, die für eine bestimmte Übergangszeit Rahmenmaßstäbe für Mieterhöhungen festlegt, um ungerechtfertigte Mietpreissteigerungen zu vermeiden. Es ist nach unserer Auffassung z. B. auch nicht einzusehen, daß Berliner, die, wie es in der Begründung Ihres Antrags heißt, „ihren ersten Wohnsitz oder ihren Lebensmittelpunkt im übrigen Bundesgebiet haben", nach wie vor den Mieterschutz genießen und dazu auch noch durch Mietpreisbindung eine niedrig gehaltene Miete zahlen. Deren Berliner Wohnungen sind bestimmt keine Bruchbuden; sonst würde man das Mietverhältnis nicht aufrechterhalten.
Vor allem sollte man aber während einer Übergangszeit durch geeignete Maßnahmen verhindern, daß eine größere Zahl von Wohnungen zweckentfremdet wird.
Im übrigen hat inzwischen der zuständige Ausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses auf Antrag der CDU-Fraktion einen Beschluß gefaßt, wonach der Senat beauftragt wird — ich zitiere —, „sich beim Bundesgesetzgeber dafür einzusetzen, daß bei Wirksamwerden der Wohnungsmarktwirtschaft eine Übergangsphase geschaffen wird". Das sollte man auch bei den Ausschußberatungen mit berücksichtigen.
Wichtiger als all das ist die Schaffung einer genügenden Zahl von Wohnungen, die den heutigen Bedürfnissen entsprechen. Dies wird nicht durch Verlängerung der Mietpreisbindung allein, sondern auch durch Vermehrung qualitativ guten Wohnraums erreicht. Selbst wenn im Jahr 20 000 neue Wohnungen



Müller (Berlin)

gebaut werden, wird man das in drei Jahren nicht schaffen.

(Zurufe von der SPD.)

Von den rund 952 000 Wohnungen Ende 1967 sind bekanntlich rund 480 000 Wohnungen bis 1918 erbaut worden.

(Zuruf von der SPD: Das steht doch alles in unserer Begründung!)

— Ich komme jetzt darauf.

(Abg. Schulte [Unna] : Das Ablesen von Reden ist verboten!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601049500
Herr Kollege, darf ich Sie auf die Bestimmungen in der Geschäftsordnung hinweisen, wonach wir unsere Ausführungen hier in freier Rede vortragen sollen.

(Beifall bei der SPD.)


Johannes Müller (CDU):
Rede ID: ID0601049600
Für meine Begründung darf ich mir aber doch ein paar Zahlen notieren und darauf Bezug nehmen.

(Abg. Schulte [Unna] : Was haben Sie? Zahlen notiert? Gucken Sie sich das noch einmal an!)

Von rund 480 000 Wohnungen haben allein 276 000 weder Bad noch Innentoilette. Hier liegt das eigentliche Problem, bei dem wir ansetzen müssen. Der Herr Bundeswohnungsbauminister hat heute an anderer Stelle schon darauf hingewiesen.
Meine Fraktion wird deshalb Überlegungen anstellen, wie man nicht nur durch langwierige Flächensanierungen, sondern mit einem Gesetz zur Verbesserung und Modernisierung erhaltungswürdiger Altbauwohnungen weiterkommen kann.

(Abg. Schulte [Unna] : Der Redner liest ab!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601049700
Herr Abgeordneter Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Roelf Heyen (SPD):
Rede ID: ID0601049800
Herr Abgeordneter Müller, ist Ihnen klar, daß Sie jetzt die Begründung des SPD/ FDP-Antrags verlesen?

Johannes Müller (CDU):
Rede ID: ID0601049900
Nein. Ich habe ihr lediglich einige Zahlen entnommen.

(Zurufe und Lachen bei der SPD.)

— Das ist doch wohl mein gutes Recht. Aber diese Zahlen sind mir aus anderen Unterlagen genauso geläufig gewesen, nicht nur aus Ihrem Antrag.
In diese Richtung geht auch ein Beschluß des zuständigen Ausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses, der ebenfalls auf einen Antrag der CDU zurückzuführen ist und lautet: Die Modernisierung von Altwohnungen ist durch zusätzliche Mittel und neue gesetzliche Bestimmungen zu fördern. Ein solches Gesetz sollte aber nicht allein für Berlin gelten, sondern für das ganze Bundesgebiet, obwohl man hier wahrscheinlich Berlin einige Prioritäten einräumen sollte.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601050000
Gestatten Sie bitte eine Zwischenfrage des Abgeordneten Borm?

Johannes Müller (CDU):
Rede ID: ID0601050100
Ja, bitte.

Dr. William Borm (FDP):
Rede ID: ID0601050200
Herr Kollege Müller, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Beschlüsse von Ausschüssen noch nicht die Beschlüsse des zuständigen Gremiums, des Berliner Abgeordnetenhauses, sind und daß allein die maßgebend sind?

Johannes Müller (CDU):
Rede ID: ID0601050300
Ich stimme Ihnen insoweit zu; aber Sie nehmen doch wohl auch von mir entgegen, daß das Abgeordnetenhaus, wenn der Ausschuß das einstimmig beschlossen hat, diesen Empfehlungen wahrscheinlich folgen wird. Wir werden alle diese Bemühungen unterstützen. Ich hoffe, daß diese Frage im Ausschuß in diesem Sinne mit behandelt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601050400
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Es ist vorgeschlagen, den von den Fraktionen der SPD und der FDP eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Schlußtermins für den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über weitere Maßnahmen auf dem Gebiete des Mietpreisrechts im Land Berlin und den Antrag der Abgeordneten Müller, Benda und Genossen, der die gleiche Überschrift trägt, dem Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen zu überweisen. — Es liegen keine anderen Vorschläge vor. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm in der Umgebung von Flughäfen
— Drucksache VI/4 (neu)
b) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eigebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm in der Umgebung von Flughäfen
— Drucksache VI/7 —
Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und FDP — Drucksache IV/4 (neu) — entspricht den Beschlüssen des Deutschen Bundestages der V. Wahlperiode vom 26. Juni 1969. Der Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU — Drucksache VI/7 — schließt sich den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses vom 16. Juli 1969 an. Über den Bericht des Vermittlungsausschusses — Drucksache V/4590 — ist vom Deutschen Bundestag nicht mehr Beschluß gefaßt worden. Deshalb haben sich die Fraktionen entschlossen, erneut Gesetzentwürfe betreffend Schutz gegen Fluglärm in der Umgebung von Flughäfen einzubringen.
Das Wort wird nicht gewünscht.



Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Sind Sie mit dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrates, und zwar an den Innenausschuß — federführend —, an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen, an den Haushaltsausschuß — mitberatend und gemäß § 96 der Geschäftsordnung —, einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gaststättengesetzes
— Drucksache VI/5 —
Das Wort wird nicht gewünscht. Der Überweisungsvorschlag des Ältestenrats: Ausschuß für Wirtschaft — federführend —, Rechtsausschuß mitberatend. Ich höre keine anderen Vorschläge; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Gebühren der Schlachtviehmärkte, Schlachthäuser und Fleischgroßmärkte (Fleischmarkthallen)

— Drucksache VI/6 —
Das Wort wird nicht gewünscht.
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend —, Innenausschuß und Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mitberatend. — Es werden keine weiteren Vorschläge gemacht; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich schlage vor, daß wir zunächst alle die Punkte erledigen, die nach den Vorschlägen des Ältestenrates ohne Aussprache behandelt werden sollen, und daß ich dann die Punkte 12, 13 und 14 aufrufe.
Ich rufe zunächst Punkt 15 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. Dezember 1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Kaiserreich Iran zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
— Drucksache VI/16 —
Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Überweisungsvorschlag des Ältestenrates lautet: Finanzausschuß. — Es liegen keine weiteren Vorschläge vor; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der
SPD,FDP, betr. Fußballweltmeisterschaft 1974
— Drucksache VI/42 —
Das Wort wird nicht gewünscht.
Es wird vorgeschlagen Überweisung an den Sonderausschuß für Sport und Olympische Spiele — federführend — und an den Haushaltsausschuß nach § 96 der Geschäftsordnung. — Es liegen keine anderen Vorschläge vor; es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr die Punkte 12, 13 und 14 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes
— Drucksache VI/8 —
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes
— Drucksache VI/10
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes
— Drucksache VI/9
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ernesti.

Leo Ernesti (CDU):
Rede ID: ID0601050500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich die drei Gesetzentwürfe kurz begründen.
Wir haben in der letzten Legislaturperiode in diesem Hause verschiedene Gesetze verabschiedet, die insbesondere die Personallage der Bundeswehr ver- bessern und einen gerechten Lastenausgleich der Wehrdienstleistenden und Nichtdienenden untereinander herbeiführen sollten. Wir haben einige Gesetze aber nicht mehr verabschieden können. Wir halten es für dringend geboten, jetzt schon weitere Gesetzentwürfe einzubringen, damit die Ausschüsse beraten können und nicht erst zu warten brauchen, bis sich der Minister im Hause eingearbeitet hat. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben Verständnis dafür, daß wir Ihnen hier eine Zeit der Einarbeitung zubilligen und in der Zwischenzeit eine kleine Formulierungshilfe mit übernehmen.
Ein Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes liegt Ihnen in Drucksache VI/8 vor. Es dreht sich hier um das Weihnachtsgeld für Wehrpflichtige.

(Zurufe von der FDP.)

Wir drängen darauf, daß dies in den Ausschüssen bald beraten wird, damit die Wehrpflichtigen noch diese Weihnachten ebenfalls ein Weihnachtsgeld bekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie wissen, daß die Weihnachstzuwendungen für den öffentlichen Dienst laufend erhöht worden sind und daß auch in der Privatwirtschaft Weihnachtsgeld gezahlt wird. Nur die, die in ein Pflichtverhältnis zum Staat genommen werden, die Wehrpflichtigen, sind von diesem Weihnachtsgeld ausgenommen. Wir haben diesen Gesetzentwurf eingebracht, damit die
388 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 10, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12, November 1969
Ernesti
Beratungen sofort beginnen können und die Wehrpflichtigen noch in diesem Jahr in den Genuß eines Weihnachtsgeldes kommen können.
Meine Damen und Herren, ich komme zur nächsten Vorlage, Drucksache VI/10: Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes. Hier dreht es sich um drei verschiedene Fragenkomplexe.
Zunächst geht es um die Verbesserung des Ruhegehaltes. Es ist eine Ungerechtigkeit, daß verschiedene Soldaten — Unteroffiziere wie Offiziere —, die aus Altersgründen vorzeitig in den Ruhestand versetzt werden müssen, ihre Höchstpensionen nicht erreichen können. Gegenwärtig ist es so, daß einer, der mit dem 20. Lebensjahr zur Bundeswehr kommt und als Offizier oder Unteroffizier mit dem 52. Lebensjahr aus Gründen, die er nicht selbst zu vertreten hat, in den Ruhestand gehen muß, noch 75 % erreicht. Kommt er aber mit dem 25. Lebensjahr zur Bundeswehr, kann er diese Summe nicht mehr erreichen, Das führt dazu, daß Leute aus sozialen Gründen über diese Dienstzeit hinaus im Dienst behalten werden, damit sie den höchsten Prozentsatz ihres Ruhegehaltes erreichen. Deswegen sind wir der Meinung, daß der § 26 geändert werden sollte, so daß in Zukunft auch die Leute, die sich mit 25 Jahren noch zum Dienst in der Bundeswehr melden, 75 % als Pension erreichen können.
Bei § 38 sind wir der Meinung, daß die Grenze des Ausgleichsbetrags bei der vorzeitigen Pensionierung endlich auch von 8000 auf 12 000 DM erhöht werden sollte. Wir wissen, daß es seit 1957 im öffentlichen Dienst Gehaltserhöhungen von durchschnittlich 50 % gegeben hat, während die Hauptfeldwebel und auch die Angehörigen anderer Besoldungsgruppen, die schon vorzeitig mit 52 Jahren gehen müssen, nur geringe Beträge erreichen und die Grenze von 8000 DM von ihnen nicht überschritten werden kann. Daher sind wir der Meinung, daß dieser Höchstbetrag auf 12 000 DM erhöht werden sollte.
Zu § 63 meinen wir, daß eine Änderung notwendig ist, weil es gegenwärtig Soldaten, die auf besonders gefährdeten Dienstposten beschäftigt werden, gibt, die für den Fall der Invalidität oder deren Familien für den Fall des Todes nicht so gesichert sind, wie es bei den Jetpiloten der Fall ist. Wir sind der Meinung, daß hier — z. B. bei den Tauchern oder Fallschirmspringern — eine Angleichung unbedingt erforderlich ist, um eine Gerechtigkeit herbeizuführen.
Die Vorlage Drucksache VI/9 befaßt sich mit der Verzahnung der Hauptfeldwebelstellen nach A 8 mit denen nach A 9. Es ist im öffentlichen Dienst allgemein üblich, daß die Hauptsekretärsstellen zu einem bestimmten Prozentsatz mit A 9-Stellen verzahnt werden können. Für Soldaten war das bisher nicht notwendig, weil die Stabs- und Oberstabsfeldwebel nach A 9 und A 10 bezahlt wurden. Da diese Laufbahn — wegen der Einführung der Laufbahn des militärfachlichen Dienstes — ausläuft, ist es zwingend erforderlich geworden — da viele Hauptfeldwebel jetzt Tätigkeiten ehemaliger Stabsfeldwebel übernehmen —, diese Verzahnung der Stellen in eine Größenordnung von 10 % vorzusehen.
Meine Damen und Herren, deswegen haben wir diese Gesetzentwürfe vorgelegt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601050600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jung?

Kurt Jung (FDP):
Rede ID: ID0601050700
Ich wollte nur fragen, Herr Kollege Ernesti, ob Sie zur Abkürzung des Verfahrens nicht die Begründung des Antrags der FDP, den Sie im vergangenen Jahr abglehnt haben, hier als Begründung Ihrer Anträge vortragen können.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)


Leo Ernesti (CDU):
Rede ID: ID0601050800
Sie haben Gelegenheit, Ihre Begründung hier anschließend kundzutun. Ich habe keine Veranlassung, Begründungen der FDP vorzutragen. Ich trage hier unsere Begründungen zu den von uns vorgelegten Gesetzentwürfen vor.
Meine Damen und Herren, meine Freunde und ich werden den Überweisungsvorschlägen des Ältestenrates zustimmen. Ich habe die Bitte, daß die Ausschüsses diese Gesetzesvorlagen unverzüglich beraten, damit im Sinne der Gerechtigkeit nun auch den Soldaten geholfen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601050900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haase.

Detlef Haase (SPD):
Rede ID: ID0601051000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Ernesti hat zu Beginn seiner Ausführungen geglaubt, dem neuen Verteidigungsminister eine Einarbeitungsfrist einräumen zu müssen. Ich meine, er sollte dann auch an den Vorgänger von Herrn Schmidt denken und fragen, ob er seine Ausarbeitungsfrist restlos ausgenutzt hat und die ihm erteilten Aufträge erfüllt hat.
Ich habe hier das Protokoll der 244. Sitzung der 5. Wahlperiode vom 27. Juni 1969 vor mir. In dieser Sitzung ist ein Entschließungsantrag der FDP-Fraktion einstimmig angenommen worden, mit dem der damalige Verteidigungsminister beauftragt worden ist, das Problem des Weihnachtsgeldes für Wehrpflichtige zu überprüfen und dem Parlament entsprechende Vorschläge zu machen. Das ist nicht geschehen. Sie bringen also nichts Neues, Herr Kollege Ernesti, sondern holen das nach, was Herr Schröder versäumt hat.

(Abg. Köppler: Woher wissen Sie das? Wir haben seither nicht mehr getagt!)

— Die Regierung hat ja auch während der Parlamentsferien gearbeitet, und sie hat auch die Pflicht gehabt, zu arbeiten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir sind der Meinung, daß das Problem einer Weihnachtszuwendung an Wehrpflichtige kein neues, sondern ein sehr altes Problem ist. Wir haben in der Wehrdebatte im Dezember 1967 und auch 1968



Haase (Kellinghusen)

darüber gesprochen. Wir haben uns im Ausschuß darüber unterhalten und haben den damaligen Verteidigungsminister auch im Ausschuß wissen lassen, daß wir wünschen, daß bis zu diesem Zeitpunkt beratungs- und beschlußreife Vorschläge vorliegen. Jezt kommen Sie mit 'einem Vorschlag, der Weihnachtszuwendung und Verbesserung des Entlassungsgeldes kombiniert. Sie wissen also das, was auf der Grundlage bestimmter Dienstzeiten an Weihnachtszuwendung oder besonderer Zuwendung noch nicht ausgezahlt werden kann, dann am Ende der Dienstzeit bis zum Höchstbetrag von 240 DM zusätzlich zu dem inzwischen erhöhten Entlassungsgeld auszahlen. Wir sind der Meinung, die Dinge müssen auseinandergehalten werden.
Wir stimmen der Absicht der Bundesregierung zu, das Wehrsoldgesetz dahin gehend zu ändern, daß in diesem Jahr eine einmalige pauschale besondere Zuwendung an alle Wehrpflichtigen — ohne Rücksicht auf die Zeitdauer des geleisteten Grundwehrdienstes — gezahlt werden kann, weil wir einfach nicht einzusehen vermögen, warum nach Ihrem Vorschlag diejenigen grundwehrdienstleistenden Wehrpflichtigen, die am 4. Oktober einberufen worden sind und deswegen eine Dienstzeit von drei Monaten in diesem Jahr nicht mehr erreichen, in diesem Jahr nichts bekommen sollen und und diejenigen, die kurz vor der Entlassung stehen, das erhöhte Weihnachtsgeld oder die erhöhte Zuwendung bekommen sollen. Wir neigen der Auffassung der Regierung zu.
Das Problem des Entlassungsgeldes wollen wir anders lösen. Sie kennen unsere Auffassungen. Wir wollen das Entlassungsgeld Zug um Zug auf einen Satz — den heutigen Geldwertverhältnissen entsprechend — von etwa 100 DM pro geleisteten Monat Grundwehrdienst erhöhen. Wir wollen dann auch in einer Lösung, die im nächsten Jahr vorbereitet werden kann, den Versuch machen und alle Vorschläge der Regierung unterstützen, die darauf abzielen, eine Weihnachtszuwendung oder besondere Zuwendung an Wehrpflichtige gesetzlich einzuführen. Wir wollen diese wie bei den Beamten und Angsetellten des öffentlichen Dienstes in ein bestimmtes Verhältnis zum Wehrsold bringen, und zwar auf der Grundlage eines durchschnittlichen Wehrsoldes der Werhpflichtigen, beim Gefreiten oder Obergefreiten vielleicht 50 %, wenn es steigt in den anderen Bereichen vielleicht 60 oder 70 %. Auch hier wollen wir den Versuch machen, den Weg der Analogie zu gehen.
Zu dem zweiten Antrag betreffend die §§ 26, 38 und 63 des Soldatenversorgungsgesetzes. Mit der Änderung des § 26 verfolgen Sie das Ziel, den Soldaten, die nach den geltenden Vorschriften mit dem 52. Lebensjahr aus dem Dienst ausscheiden, eine — an sich noch nicht erreichte — volle Pension zu gewähren. Das ist eine Frage der Analogie zum übrigen Beamtenrecht; das ist ein Bruch der Grundsätze des allgemeinen Beamtenrechts. Sie müssen eines dabei bedenken: Wir sind bereit, mit Ihnen im Ausschuß darüber zu reden, Sie müssen aber dabei bedenken, Herr Kollege Ernesti, ein Soldat, der mit dem 25. Lebensjahr eintritt und mit 52 Jahren die Höchstgrenze der Pension noch nicht erreicht hat, hat bis zum 25. Lebensjahr als Beschäftigter in der privaten Wirtschaft möglicherweise schon zumindest eine Anwartschaft in der Arbeiterrentenversicherung oder in der Angestelltenversicherung begründet und kann nach dem 52. Lebensjahr darauf zurückgreifen. Diese Dinge müssen bei der Beratung im Ausschuß mit erörtert werden, wenn wir hier Nägel mit Köpfen machen wollen. Das gleiche gilt für die Anhebung. Hier muß eine Korrektur von 8000 auf 12 000 DM oder eine andere Summe vorgenommen werden. Ich will es einmal dahingestellt sein lassen, weil hier einfach die Zeitverhältnisse die alten Rechtsvorschriften überrollt haben. Hier muß eine Korrektur vorgenommen werden.
Zum letzten Punkt, Herr Kollege Ernesti. Wenn wir davon ausgehen, daß, wie Sie in Ihrer Begründung sagen, der Unterschied in der Unfallart für die Gewährung der Unfallentschädigung nicht zu rechtfertigen ist, dann gilt dies aber für alle Soldaten, die in der Bundeswehr ihren Dienst leisten, und nicht nur für die, die gefährdet, besonders gefährdet oder weniger gefährdet sind. Dann müssen wir das Problem von dieser Seite aufgreifen und uns überlegen, ob wir eine versicherungsrechtliche oder arbeitsrechtliche Ersatzlösung in der Unfallversorgung aller Soldaten einschließlich der Wehrpflichtigen finden,

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

die schwer leiden müssen, soweit Fälle bisher eingetreten sind, Todesfälle oder besondere Fälle. Da stimmen wir dann hoffentlich überein und können das, was Sie hier vorgeschlagen haben — wir haben uns schon einmal im Ausschuß darüber unterhalten , vielleicht noch mit dem Ziel einer wesentlichen Verbesserung und einer vernünftigen Lösung beraten.
Jetzt zu der Frage A 9 für 10% der Hauptfeldwebel. Wir stehen nach wie vor auf dem Standpunkt, daß mit der Einführung der zusätzlichen Laufbahn die Dienstposten und damit auch die Dienstgrade der Stabs- und Oberstabsfeldwebel auslaufen und daß im Zusammenhang damit das Ziel verfolgt werden soll, hier nicht wieder für einen kleineren Teil von 10 °/o eine Sonderlösung zu treffen, sondern dann die verbleibenden fünf Unteroffizierdienstgrade glatt durchzustufen von der A 5 des Unteroffiziers bis zur A 9 des Hauptfeldwebels. Dann sind wir davon weg. Wir sehen diese Lösung, die wir mitzumachen bereit sind, nicht als eine endgültige Lösung an, sondern nur als eine Übergangslösung mit dem Ziel, das wir verfolgen. Darüber habe ich vor einem Jahr und vor zwei Jahren hier vor diesem Hause meine Ausführungen für die sozialdemokratische Fraktion gemacht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601051100
Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.

(Zuruf des Abg. Dr. Klepsch.)





Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0601051200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, Herr Kollege Klepsch, wir haben heute sicher nicht allzuviel dazu beigetragen, daß sich die Sitzung bis in die späten Abendstunden hinzieht. Ich brauche nur an die Stunde vorhin zu erinnern, als die Münchner insgesamt ihre Visitenkarte hier abgaben.

(Zuruf von der Mitte.)

Wir freuen uns natürlich über die Aktivität bei den Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, die ja nun nicht die Einarbeitungszeit des Bundesverteidigungsministers abwarten wollen. Wir freuen uns insbesondere darüber, weil wir in Ihren Anträgen alte Bekannte wiederfinden aus der vergangenen Legislaturperiode, nämlich Anträge der Freien Demokraten, die Sie damals als Mitglied der Großen Koalition aus diesen oder jenen Gründen heraus abgelehnt haben. Wir werden uns, obwohl Sie es sich sehr einfach machen mit Ihrer verteidigungspolitischen Aktivität, bemühen, in den Ausschußberatungen sachgerecht — wie wir es immer getan haben — Ihre Anträge, die ja früher einmal die unseren waren, zu beraten.

(Abg. Haase [Kassel]: Dann werden Sie ja mithelfen, Herr Ollesch!)

Ich kann das etwas näher erläutern.
Meine Damen und Herren, die Drucksache VI/8 geht auf eine Entschließung zurück, die dieses Hohe Haus am 27. Juni 1969 auf Antrag der Freien Demokraten gefaßt hat. Unter dem Entschließungsantrag steht auch noch mein Name ausgedruckt. Wir sind erfreut darüber, daß Sie so schnell reagieren und diese Vorlage gemacht haben. Allerdings ist uns die Vorlage in der Form einfach nicht ausreichend begründet, auch nicht durch die kurzen Ausführungen von Ihnen, Herr Ernesti. Sie wollen ja mit der besonderen Zuwendung zur Weihnachtszeit — unserer Meinung nach liegt hier ein besserer Vorschlag der Regierung vor —

(Zurufe von der CDU/CSU: Wo?)

-- Sie werden ihn sicherlich in den nächsten Tagen zur Kenntnis nehmen können.

(Abg. Haase [Kassel] : Hoffentlich geht es nicht so wie bei den Rentnern!)

— Nein, es wird sicherlich nicht so sein wie bei den Rentnern.
Sie wollen Sonderzuwendungen, ein neues Entlassungsgeld einführen, nachdem wir im Zuge der Bemühungen um die Herstellung der Wehrgerechtigkeit vor ganz kurzer Zeit das Entlassungsgeld erhöht haben. Sicherlich ist es nicht ausreichend — da stimme ich Ihnen zu —, aber ob die Beträge, die Sie vorschlagen, die haargenau ausreichenden sind, das werden wir in den Ausschußberatungen dann feststellen. Sie können überzeugt sein, daß wir uns in der Fürsorge für unsere Soldaten sicherlich nicht von Ihnen übertreffen lassen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Betonter Beifall bei der CDU/CSU.)

So haben wir es in der Vergangenheit — das können wir für uns in Anspruch nehmen; es ist nachzuweisen — immer gehalten.

(C (Abg. Klepsch: Wir werden ja sehen, was die Regierung macht! — Abg. Haase [Kassel] : Passen Sie auf, daß es Ihnen mit Ihrer Fürsorge nicht geht wie Herrn Arendt!)

— Wissen Sie, Herr Kollege Haase (Kassel), ich bin nicht so ganz neu in diesem Geschäft, sicherlich nicht jünger als Sie. Konzedieren Sie uns doch die Vorsicht, die Sie in der Beurteilung Ihrer Tätigkeit hier für sich in Anspruch nehmen!

(Abg. Haase [Kassel] : Ich wollte nur warnen, Herr Kollege!)

Nun zum Antrag VI/9, dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes! Sie wollen nunmehr ein Anliegen, das die Freien Demokraten in den letzten Jahren immer vertreten haben, das Anliegen der Durchforstung unserer Besoldungsordnung für die Soldaten, in einem Teil übernehmen. Sie wollen 10 % der Hauptfeldwebel auf herausgehobenem Posten nach A 9 bringen.

(Abg. Haase [Kassel] : Das ist ein Anfang!)

Sicherlich, die veränderte Situation auf dem Unteroffizierssektor mag dafür eine Begründung sein. Ich glaube aber, daß wir mit dieser Änderung allein des Problems nicht Herr werden.

(Zurufe von der CDU/CSU: Einverstanden!)

Wir sollten uns sehr genau überlegen, was mit dem Rest derjenigen, die nicht die Möglichkeit haben, Offizier des militärfachlichen Dienstes zu werden, die aber auf Lebenszeit verpflichtet sind und für die

(Abg. Dr. Klepsch: Das müssen Sie nach links hin sagen!)

— Herr Klepsch, ich befasse mich doch hier mit Ihrem Antrag — entsprechende Dienstgrade zur Zeit nicht zur Verfügung stehen, geschehen soll.
Allerdings darf es auch nicht so sein, daß von unserem Vorhaben, vom Berufsunteroffizier alter Art abgehen zu wollen, in Zukunft wieder Abstriche gemacht werden müssen; denn es war doch allgemeine Auffassung, daß mit der Schaffung des Offiziers des militärfachlichen Dienstes die Stellung des Unteroffiziers auf Lebenszeit alter Art auslaufen sollte und daß neue Positionen nicht geschaffen werden sollten. Uns lag damals daran, Herr Kollege Stahlberg und Herr Kollege Ernesti, eine klare Besoldungsübersicht für die Unteroffiziere zu erhalten, von A 1 durchlaufend bis A 11, und den Hauptfeldwebel generell nach A 9 zu bringen. Wir wollen hoffen, daß nunmehr — ich nehme an, daß wir im Laufe der Zeit mit unserem Koalitionspartner hinsichtlich der klaren Durchstufung eine Einigkeit erzielen werden — —

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Dr. Klepsch: Gehen Sie mal daran!)

— Doch, doch! Ich bin mir mit Herrn Haase einig darüber; wir waren uns auch schon in der Vergangenheit klar darüber, und ich nehme an, daß Sie der neuen Koalition auch aus der Opposition heraus



Ollesch
Ihre Hilfestellung in dieser Frage nicht versagen werden.

(Abg. Haase [Kassel] : Nein! Wir sind dabei! Ausgezeichnet! — Abg. Dorn: So schnell haben sie gelernt!)

Nun zu dem Antrag Drucksache VI/10. Meine Damen und Herren, auch Sie haben da einen Antrag der letzten Legislaturperiode Wort für Wort wiederaufgenommen. Das ist Ihr gutes Recht. Ich meine den Antrag, den Sie gemeinsam mit der SPD Ende 1968 gestellt haben.
Die Freien Demokraten hatten ja einen ähnlichen Antrag gestellt. Er ging allerdings weiter als der jetzt vorliegende. Wir wollten die Unterschiedsbeträge zwischen Großeltern und Enkeln und Eltern und Kindern abschaffen, den Unterschiedsbetrag, den Sie beibehalten wissen wollen. Wir vermögen alle nicht einzusehen — die Kollegen der SPD sind der gleichen Meinung —, daß es eine unterschiedliche Behandlung von Witwen verunglückter Soldaten gibt. Daß es diese Unterschiedlichkeit nicht gibt, ist ein gemeinsames Anliegen.
Allerdings, meine Damen und Herren, gibt es noch mehr besonders gefährdete Posten, als sie aufgezählt sind und in Ihrem Antrag erfaßt werden. Darüber werden wir uns zu unterhalten haben, damit wir endlich gemeinsam einige Schritte in Richtung auf das Ziel tun können, der Wehrgerechtigkeit näherzukommen.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601051300
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0601051400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will in der gebotenen Kürze zu dem Antrag der CDU/CSU Drucksache VI/8 Stellung nehmen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der CDU/CSU, die Verbindung der Sonderzuwendung für den Monat Dezember mit einem zusätzlichen Entlassungsgeld ist geeignet, die rechtzeitige Verabschiedung dieses Gesetzes und die rechtzeitige Auszahlung möglicherweise zu gefährden. Deshalb ist die Bundesregierung der Meinung, daß sie dem Hohen Hause eine selbständige Novelle vorlegen sollte. Ich rechne damit, daß dieser Gesetzentwurf morgen im Kabinett beschlossen werden wird. Der Entwurf hat zudem den Vorteil, daß er sich im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung hält, nämlich aus den Haushaltsmitteln dieses Jahres bedient werden kann und sich auch nur auf dieses Jahr bezieht. Sie wissen, daß es diese Regierung gerade mit der Einhaltung der Leitlinien der mittelfristigen Finanzplanung besonders ernst meint.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ist das wirklich so? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Aber, verehrter Herr Kollege, die Entscheidung, die Sie beklagen, Herr Haase, ist ja gerade aus diesen Gründen gefällt worden. Sie können nur eines. Sie können entweder sagen, daß es die Rentner bekommen sollen, oder Sie können sagen, wir sollten
die mittelfristige Finanzplanung einhalten. Aber Sie können nicht beides fordern und beides zugleich kritisieren.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601051500
Herr Abgeordneter Haase möchte eine Zwischenfrage stellen.

Lothar Haase (CDU):
Rede ID: ID0601051600
Herr Minister, eine Frage in diesem Zusammenhang. Sie wollen doch auch Steuern senken. Ehe Sie Steuern senken, wäre es doch günstiger, hier sozialen Verpflichtungen — beispielsweise im Zusammenhang mit den Rentnern — nachzukommen, die Sie ja selbst für notwendig erachten.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0601051700
Herr Kollege, die Bundesregierung wird in diesem Bereich Vorschläge vorlegen, die es Ihnen schwermachen werden, zu sagen, wir kämen sozialen Verpflichtungen nicht nach. Im übrigen würde ich auch die Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrags als sozial durchaus gerechtfertigt betrachten.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Haase [Kassel] : Aber dann haben Sie doch Geld zur Verfügung!)

— Herr Kollege Haase, ich will Ihnen das gern noch einmal bei einem besonderen Punkt erläutern. Ich möchte gern meinem Vorsatz treu bleiben, sehr schnell zu Ende zu kommen, aber ich stehe natürlich gern zu weiteren Auskünften zur Verfügung.
Meine Damen und Herren, wir haben also die Absicht, uns im Bereich der mittelfristigen Finanzplanung zu halten. Wir werden Vorsorge dafür treffen, daß die Auszahlung noch mit dem Wehrsold für den Monat Dezember erfolgen kann. Ich habe mich um die Ermächtigung bemüht, daß diese Auszahlung im Vorgriff auf die gesetzliche Regelung rechtzeitig angeordnet werden kann. Wir haben, wie hier von den Sprechern der Koalition schon dargelegt worden ist, mit etwa 70 DM eine Höhe gefunden, die nach unserer Meinung der richtigen Leistung entspricht und die eine personalpolitisch nicht zu vertretende Differenzierung nach der Dauer des Wehrdienstes vorsieht. Denn jeder Wehrpflichtige, meine Damen und Herren, der zu Weihnachten z. B. seinem Beruf nicht nachgehen kann, hat das gleiche Interesse daran, eine solche Zuwendung zu bekommen.
Da Sie im Kern der Sache dasselbe verfolgen wie wir, rechnen wir auf Ihre freudige und schnelle Unterstützung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601051800
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Staatssekretär Berkhan.

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0601051900
Meine sehr ge-



Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan
ehrten Damen und Herren, darf ich mich erst einmal freundlich dafür bedanken, daß die CDU/CSU bereit ist, dem Verteidigungsminister — ich habe leider nicht richtig gehört — so eine Art Schonfrist zuzubilligen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Einarbeitungszeit! — Abg. Wehner: Schonkost!)

Ich würde sagen, er ist kein tragendes Reh. Sie können ihn also attackieren. Der Verteidigungsminister ist in der Lage, schon heute funktionsfähig zu sein. Wir sehen mit großem Vergnügen den Beratungen über diese Gesetzentwürfe im Ausschuß entgegen.
Ich kann Ihnen jedenfalls bestätigen, Herr Ernesti, Sie haben sich sehr schnell auf Opposition eingestellt. Sie haben sehr schnell gelernt, daß man am besten fährt, wenn man alte Vorstellungen, die bereits im Ausschuß beraten sind, wieder auf den Tisch des Hauses bringt.
Ich hätte nur eine einzige Bitte. Es besteht im Verteidigungsministerium die Absicht, das Versorgungsrecht für Soldaten zu novellieren. Es ist immer gefährlich, wenn man vor solchen Novellen die Rosinen herausnimmt und in Einzelberatungen schon zu Gesetzen macht. Ich würde Sie bitten, bei den Beratungen zu überlegen, ob nicht, wenn wir uns auf eine Zeit festlegen, eine Gesamtnovelle für all diese Fragen vorzuziehen ist. Darüber können wir dann im Ausschuß reden.
Ähnlich ist die Situation bei der Anhebung von A 8 nach A 9. Wir werden nämlich noch nicht alle Stabs- und Oberstabsfeldwebel in der Funktion von Fachoffizieren sehen. Wir haben dort noch 5000 Planstellen besetzt. Zur Zeit ist der Zustand, wie er sonst im öffentlichen Dienst ist, daß ein Teil der Unteroffiziere auf Inspektorenbesoldung und sogar auf Oberinspektorenbesoldung Anspruch hat. Im Grundsatz waren wir uns einig, und wir werden sehen, was zu machen ist.
Ob Ihre Zahl 10 % stimmt, vermag ich im Moment nicht zu entscheiden. Wir sind, wenn wir das durchsetzen wollen, an das übliche Beamtenrecht gebunden, und da gibt es, wie Sie wissen, eine Grenze von 5% im Rahmen einer bestimmten Laufbahn. Wer es durchsetzen will, sollte sich also vernünftigerweise an das übliche Recht im öffentlichen Dienst anlehnen.
Ich will über die anderen Teile des Versorgungsrechts nicht reden. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß der Verteidigungsminister erklärt hat, er wünsche eine Bestandsaufnahme. Wir sind dabei. Bei der Bestandsaufnahme wird man insbesondere an der schwierigen Situation der Unterführer der Bundeswehr nicht vorbeikönnen. Das alles gehört in die Sache hinein.

(Zuruf von der CDU/CSU: Also doch Einarbeitungszeit!)

Herzlichen Dank, daß Sie zu so später Stunde noch bereit waren, sich über die schwierigen Fragen der Personallage im Bundesverteidigungsministerium mit mir zu unterhalten.

(Beifall.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0601052000
Meine Damen und Herren, die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats für die Punkte 12, 13 und 14 liegen vor. Es sind keine anderen Vorschläge gemacht worden. Ich darf annehmen, daß ich sie nicht wiederholen muß. — Es ist nach diesen Vorschlägen beschlossen.
Wir stehen damit am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für Donnerstag, den 13. November, 9 Uhr — Fragestunde —, ein.