Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Würden Sie mir gestatten, Herr Kollege Rasner, daß ich zunächst die Präliminarien erledige?
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11938 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969 11939
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11940 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969 11941
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11942 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
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11944 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969 11945
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11946 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
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11948 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
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— Dann rufe ich zuerst die Frage 21 des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß allgemeine Personenkennzeichen, wie sie Pressemeldungen zufolge kürzlich an die dänische Bevölkerung vergeben wurden, zur Vereinfachung und Rationalisierung der Verwaltungsarbeit beitragen können?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, die Verwendung der elektronischen Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung zwingt dazu, das bisher in Bevölkerungsregistern oder Dateien gebräuchliche Ordnungsschema der alphabetischen Namens-
folge aufzugeben und durch ein maschinengerechtes, auf einer Ziffernfolge aufbauendes Ordnungssystem zu ersetzen. Ein solches nach einheitlichen Merkmalen gebildetes Personenkennzeichen, das an die gesamte Bevölkerung vergeben wird, bewirkt in zweierlei Hinsicht eine Vereinfachung und Rationalisierung der Verwaltung. Zunächst erleichtert es den Verkehr des Bürgers mit der Verwaltung, aber auch den Verkehr zwischen den Behörden, wenn an die Stelle der unterschiedlichen Ordnungsnummern, Aktenzeichen und dergleichen eine einheitliche Kenn-Nummer träte, deren sich dann möglichst alle Verwaltungen bedienen sollten.
Ein weiterer Rationalisierungsvorteil läßt sich dadurch erzielen, daß die für bestimmte Aufgaben benötigten personenbezogenen Informationen von den bearbeitenden Stellen nicht selbst erhoben, vorrätig oder aktuell gehalten werden müssen, sondern von Datenbanken mit Hilfe des Personenkennzeichens als Verknüpfungszeichen abgerufen werden können. Auf diese Weise könnten z. B. die behördlichen Meldepflichten des Bürgers erheblich verringert werden. Dies setzt allerdings ein integriertes Verbundsystem von EDV-Anlagen im öffentlichen Bereich voraus.
Herr Schmitt-Vockenhausen!
Herr Staatssekretär, welche Erfahrungen gibt es bereits in anderen Ländern bzw. wo ist man dabei, ähnliche Systeme einzurichten?
Es gibt in einer Reihe von Ländern praktische Erfahrungen mit bereits eingeführten Systemen. Andere sind im weiter fortgeschrittenen Stadium der Vorbereitung.
Keine weitere Frage dazu? — Dann kommt die nächste Frage, die Frage 22 des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen:
Wie ist der Stand der Vorbereitungen zur Einführung eines allgemeinen Personenkennzeichens in der Bundesrepublik Deutschland?
Im vergangenen Jahr wurden im Bundesinnenministerium die Vorbereitungen zur Einführung eines allgemeinen Personenkennzeichens aufgenommen und ein Planungskonzept für die Vergabe entworfen. Die dabei auftauchenden Probleme für alle Fachbereiche und Verwaltungsebenen erwiesen sich als so vielschichtig, daß es sinnvoll erschien, unter der Federführung des Bundesministeriums des Innern eine Reihe von Arbeitsausschüssen zu bilden. Ihnen gehören fachkundige Mitglieder aus Bundesressorts, Landes- und Kommunalverwaltungen sowie aus anderen Einrichtungen an. Diese häufig tagenden Arbeitsausschüsse befassen sich insbesondere mit Einzelfragen des Vergabesystems, aber auch des Personenkreises, der ein Kennzeichen erhalten soll, sowie
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11950 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Staatssekretär Köpplermit der Dokumentation von Zusatzinformationen, den Rechtsgrundlagen der Einführung und Anwendung des Personenkennzeichens sowie mit EDV-technischen Einzelfragen.Nach den bisher gefundenen Zwischenergebnissen wird das Personenkennzeichen von zentralen Stellen der Bundesländer oder von kommunalen Gebietskörperschaften, die über Datenverarbeitungsanlagen verfügen, an die Wohnsitzbevölkerung vergeben werden, ohne daß jedoch für diesen Zweck neue Behörden zu schaffen wären. Ich hoffe, daß die im Interesse der Einheitlichkeit auf Bundesebene zu leistenden Vorarbeiten bis zum Ende dieses Jahres abgeschlossen werden können. Die Vergabevorbereitungen in den Verwaltungen der Länder und Kommunen werden allerdings einen weiteren Zeitraum in Anspruch nehmen.
Herr Schmitt-Vockenhausen!
Werden in diesem Zusammenhang von dem Arbeitskreis auch die Fragen der Sicherung gegen mißbräuchliche Zugriffe und der Sicherung der Persönlichkeitssphäre geprüft?
Herr Kollege, diese Fragen gehören zu den wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit dem Gesamtprojekt. Sie werden mit der gebotenen Sorgfalt geprüft.
Herr Schmitt-Vockenhausen!
Ist eine zentrale Vergabe und Speicherung des Personenkennzeichens mit weiteren Daten der Kennzeicheninhaber auf Bundesebene beabsichtigt?
Das ist nach dem bisherigen Stand der Überlegungen nicht beabsichtigt.
Ich rufe dann die Frage 23 des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen auf:
Wie würde sich nach den Vorstellungen der Bundesregierung das allgemeine Personenkennzeichen zusammensetzen?
Um den Anforderungen der elektronischen Datenverarbeitung zu genügen, muß das Kennzeichen einer Person grundsätzlich unverwechselbar und unveränderlich sein. Darüber hinaus erscheint es vorteilhaft, in das Personenkennzeichen zugleich eine für den Bürger erkennbare und leicht merkfähige Individualinformation, wie z. B. das Geburtsdatum, aufzunehmen.
Es ist daran gedacht, das Personenkennzeichen als zwölfstellige Ziffernfolge zu gestalten. Die ersten sechs Stellen bestehen aus dem Geburtsdatum, die nächste Ziffer dient der Kennzeichnung des Geburtsjahrhunderts und des Geschlechts. Daran schließt sich eine vierstellige Seriennummer zur Unterscheidung der am gleichen Tag geborenen Personen gleichen Geschlechts an. An letzter Stelle ist eine Prüfziffer zur Absicherung gegen Schreib- und Übertragungsfehler vorgesehen.
Herr Schmitt-Vockenhausen!
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß es gelingt, die Schranken, die in diesen Fragen durch den Föderalismus und auch durch das Ressortdenken gesetzt sind, zu überwinden?
Die bisherigen Vorbereitungsarbeiten, Herr Kollege, haben mich in dieser Richtung hoffnungsfroh gemacht.
Ich bin bereit, auch noch die Frage 24 des Abgeordneten Bühler beantworten zu lassen; aber ich sehe, daß der Abgeordnete Bühler nicht im Saal ist. Die Frage wird schriftlich beantwortet.Wir kommen dann zu den Fragen 25, 26 und 27 des Abgeordneten Dr. Müller-Emmert:Unter welchen zeitlichen, fachlichen und personellen Voraussetzungen erfolgt die sportliche Ausbildung der Angehörigen des Bundesgrenzschutzes im Vergleich zur Bundeswehr und Polizei der Bundesländer?Ist sichergestellt, daß innerhalb des Bundesgrenzschutzes den talentierten und Spitzensportlern ausreichend Trainings- und Förderungsmöglichkeiten materieller und ideeller Art während der Dienstzeit gegeben werden?Hat die Bundesregierung konkrete Pläne, wie Bundeswehr und Bundesgrenzschutz noch mehr als bisher in den Gesamtbereich Sport der Bundesrepublik Deutschland einbezogen werden können?Die Fragen werden im Einverständnis mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.Damit ist die Fragestunde beendet.Ich rufe nun Punkt 2 der Tagesordnung ,auf:Zweite Beratung des von der Bundesregierung leingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1969
— Drucksache V/3300 —Berichte des Haushaltsausschusses
Übungsgemäß wird das Haushaltsgesetz selbst immer am Schluß ,der Haushaltsberatungen behandelt.Vereinbarungsgemäß rufe ich jetzt auf: Einzelplan 04
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969 11951
Vizepräsident SchoettleGeschäftsbereich des Bundeskanzlers und Bundeskanzleramtes— Drucksache V/3924 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Conring Abgeordneter Haase Abgeordneter BaierWünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache zum Einzelplan 04. Es liegen übrigens auf Umdruck 596 Änderungsanträge vor, die selbstverständlich mit behandelt wierden.In der allgemeinen Aussprache hat der Abgeordnete Mischnick 'das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beratungen über den Haushalt 1969 stellen eine Art erste Abschlußbilanz dieser Regierung dar. Es ist hochinteressant, daß wir noch vorgestern 'die Mitteilung bekamen, eine Sondersitzung des Deutschen Bundestages sei möglicherweise erforderlich, um eine Regierungserklärung entgegenzunehmen. Die Sondersitzung fand nicht statt. Heute hören wir, ,daß nicht einmal eine Erklärung beabsichtigt sei, so daß wir morgen im Rahmen der einschlägigen Einzelpläne die gewichtigen Fragen der Konjunktur- und Stabilitätspolitik behandeln wollen. Nun, wir werden uns an diese Absprache halten und über diese Frage erst morgen sprechen. Aber dieser Tatbestand scheint mir doch zu kennzeichnen, daß in dieser Regierung, daß in dieser Koalition nicht einmal innerhalb von 24 oder 36 Stunden vor einer solchen Debatte Klarheit über das geschaffen werden kann, was man hier im Deutschen Bundestag tun und sagen will.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, seit 21/4 Jahren hat dieser Bundeskanzler durch das Grundgesetz die Kompetenz, die Richtlinien der Politik zu bestimmen. Aber wenn wir diese Zeit einmal ganz nüchtern betrachten, dann müssen wir feststellen, daß wir in 'diesen 21/4 Jahren eigentlich recht selten etwas von der Wahrnehmung dieser Richtlinienkompetenz gespürt haben. In den letzten Tagen .allerdings, als der neugewählte Bundespräsident politische Meinungen in einem Interview zum Ausdruck brachte, pochte der Herr Bundeskanzler mit Nachdruck in einer Erklärung darauf, daß er die Richtlinienkompetenz habe. Das ist nach dem Grundgesetz völlig unbestritten. Die Frage ist nur: Was hat der Herr Bundeskanzler wirklich aus dieser Kompetenz gemacht?Wenn wir uns einmal die Regierungserklärung — da scheint mir jetzt die Beratung des Haushalts ein guter Anlaß zu sein — vom Dezember 1966 daraufhin ansehen, wo die Gelegenheit wahrgenommen worden ist, die Richtlinien der Politik zu bestimmen, dann muß ich leider feststellen, daß diese Richtlinienkompetenz z. B. für die Gesetzgebung über die Abwicklung der Kriegs- und Nachkriegsfolgen nicht wahrgenommen worden ist, wie es angekündigt wurde, daß der Haushalt nach wie vor nur ein Flickenteppich von Interessen und Ressortkompromissen ist, daß er nicht ein Spiegelbild von politischen Grundsatzüberlegungen darstellt, daß man nicht den notwendigen finanziellen Spielraum geschaffen hat, um Möglichkeiten für neue politische Entscheidungen zu haben, daß die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern nicht so sachgerecht vorgenommen worden ist, daß man wirklich eine der heutigen Zeit entsprechende zielstrebige Politik verfolgen kann, und daß in der Außen- und Sicherheitspolitik nicht langfristige Programme aufgestellt worden sind.Das alles sind Punkte, die nicht einen Kritikkatalog der Opposition darstellen. Sie sind vielmehr aus den Aufgaben herausgenommen, die die Regierungserklärung dieser Koalition gesetzt hat. Sie alle sind nicht erfüllt. Das ist heute schon feststellbar. Meine Damen und Herren, von den Grundsätzen, die sich diese Regierung vorgenommen hat, sind nur wenige angepackt und nur einzelne verwirklicht worden. Glauben Sie wirklich ernsthaft, Herr Bundeskanzler, daß das, was offensteht, noch bis zum Ende dieser Legislaturperiode erledigt werden kann? Ich denke hierbei nur an den Gesetzgebungskatalog, der allein in der Osterpause zwischen den Vorsitzenden der beiden Koalitionsfraktionen daraufhin überprüft werden soll, was noch geschehen kann.
— Lieber Herr Kollege Barzel, ja. Aber wir haben das, was wir wollten, doch in einem viel größeren Maße durchführen können, als es dieser Koalition gelungen ist.
Meine Damen und Herren, daß Sie das heute noch prüfen müssen, daß Sie in dieser Frage zu keinen Ergebnissen gekommen sind,
ist doch ein Zeichen dafür, daß der Bundeskanzler die Richtlinienkompetenz, die er hat, nicht wahrgenommen hat, sondern daß er Entscheidungen, die eigentlich im Kabinett fallen sollten, die er durch seine Richtlinien bestimmen sollte, auf einen Kreis übertragen hat, der außerhalb der Verfassungsordnung liegt.
Wenn ich es richtig sehe, müßte ich eigentlich sagen: Herr Bundeskanzler, Sie haben sich so „durchkreßbronnt" in Ihren Entscheidungen, statt selbst zu entscheiden.
Der Hinweis, daß man in einer Koalition miteinander zu gemeinsamen Entscheidungen kommen müsse, ist durchaus verständlich. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, wenn Sie heute Bilanz ziehen, müssen Sie doch fest-
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11952 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Mischnickstellen, daß das Verständigen auf gemeinsame Aktionen von Jahr zu Jahr, von Monat zu Monat, und jetzt können wir schon feststellen: von Woche zu Woche geringer geworden ist, leider auf Kosten der sachlichen Entscheidungen.
Gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Schmidt ?
Bitte!
Herr Kollege Mischnick, ohne Ihnen in dem meine Frage einleitenden Nebensatz widersprechen zu wollen, möchte ich doch die Frage an Sie richten: Wenn es so wäre, wie Sie sagen, hätten Sie dann das Recht, es so laut zu beklagen, nachdem Sie doch laufend dazu beitragen, daß es so kommt, wie Sie es hier beklagen?
Herr Kollege Schmidt, ich bin Ihnen sehr dankbar für das Lob, das Sie damit der Opposition ausgesprochen haben, daß sie mit ihren Beiträgen erreicht hat, daß diese Regierung von falschen Entscheidungen abgehalten worden ist. Vielen Dank dafür!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Frage?
Bitte!
Voll heimlicher Anerkennung für den offenbaren Hang der FDP zur Schizophrenie möchte ich Sie doch nun einmal im Ernst fragen, Herr Kollege Mischnick, auf welchen der beiden Standpunkte Sie sich stellen wollen, ob Sie es, wie ich es für möglich halten würde, für eine legitime Taktik der Oppositionspartei erklären wollen, die regierenden Parteien auseinanderzumanövrieren, oder ob Sie es für Ihren Standpunkt halten, das Auseinandermanövrieren zu beklagen? Welchen von beiden Standpunkten wollen Sie im Ernst vertreten?
Herr Kollege Schmidt, wir würden es immer begrüßen, wenn die Koalitionsparteien in der Lage wären, tatsächlich Reformen durchzusetzen und das gemeinsam zu tun. Dazu sind sie aber leider nicht in der Lage, wie das Ergebnis ihrer Arbeit beweist.
Meine Damen und Herren! Zur Deutschland- und Außenpolitik heute nur einige wenige Bemerkungen, weil wir nach einer Absprache in Kürze Gelegenheit haben werden, die gesamte Deutschlandpolitik mit einer Großen Anfrage und dem Entwurf der Freien Demokraten für einen Vertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR hier im einzelnen zu diskutieren. Wir hoffen nur, daß bei dieser Gelegenheit die Bundesregierung aus der Unverbindlichkeit der Deklamationen heraustritt und dem Deutschen Bundestag sagt, wie man sich die praktische Deutschlandpolitik für die nächsten Monate vorstellt, und daß man sich mit den Sachfragen auseinandersetzt, die wir in unserem Vertragsentwurf und in der Großen Anfrage zur Sprache bringen. Deshalb heute dazu keine Einzelheiten, obwohl es natürlich ebenfalls in den großen Katalog der ausgeübten oder nicht ausgeübten Richtlinienkompetenz gehört.
Lassen Sie mich aber ein paar Bemerkungen zur allgemeinen Außenpolitik machen. Die Bundesregierung hat zwar Erklärungen abgegeben, aber sie hat den Vereinigten Staaten, der Sowjetunion und den europäischen Staaten bis heute keinen konkretisierten Vorschlag über ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem vorgelegt, wie es die Opposition nicht nur mehrfach verlangt hat, sondern wie sie es in Grundzügen auch mehrfach dargelegt hat.
Es genügt eben nicht, Herr Kollege von Wrangel — ich weiß nicht, ob er da ist —, daß man nur in einem Dienst feststellt, Moskau müsse nun sagen, was es mit dem europäischen Sicherheitssystem — ich nehme an, Sie spielen auf die Budapester Erklärung an — auf sich habe. Unserer Meinung nach ist es gerade Aufgabe der Bundesregierung, an die Regierung der Sowjetunion ganz konkrete Fragen zu stellen, einmal diese neueste Erklärung des Warschauer Paktes, die in vielen Dingen mit dem identisch ist, was man vor zwei, drei Jahren erklärt hat, daraufhin abzuklopfen, welch harter Kern dahintersteckt und wo und wie wir in Einzelfragen im direkten Gespräch mit der Sowjetunion weiterkommen können. Das muß jetzt durch die Regierung geschehen, und man darf nicht warten, bis Erklärungen dazu kommen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten von Wrangel?
Bitte!
Herr Kollege Mischnick, stimmen Sie mit mir darin überein, daß es vielleicht besser wäre, sachliche diplomatische Vorklärungen zu treffen, ehe man spektakuläre Aktionen ins Auge faßt?
Herr Kollege von Wrangel, wenn Sie meinen, daß schon dieser Hinweis eine spektakuläre Aktion ist, dann verstehe ich natürlich, weshalb Sie in der Sache selber kaum weiterkommen. Wenn Sie allein schon die Aufforderung, etwas zu tun, als spektakulär ansehen, ist das verständlich.
Wir wollen ja gerade, daß sich die Regierung unmittelbar in das Gespräch einschaltet, und wir sind sehr froh darüber, daß es zu einer Reihe von Gesprächen vor unserer Berliner Bundesversammlung mit dem sowjetischen Botschafter gekommen ist.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969 11953
MischnickWir erwarten, daß sie fortgesetzt werden, daß man diese Frage mit einbezieht und nicht immer nur aktuelle Fragen behandelt, sondern langfristige Überlegungen in die Gesamtkonzeption entsprechend einbaut.Ich denke nur an die letzten Konsultationsgespräche, die in Paris stattgefunden haben. Da muß man doch feststellen, daß eine gemeinsame westeuropäische Politik nach wie vor an drei Faktoren scheitert: einmal an der Auffassung Frankreichs, daß sich die Westeuropäer, bevor man enger zusammenarbeitet, von der amerikanischen Vormundschaft freimachen und die französische Führung in Westeuropa anerkennen sollten — das hört man doch immer wieder heraus —, zweitens an der unverändert ablehnenden Haltung Frankreichs zum Beitritt weiterer Staaten zur EWG und drittens daran— machen wir uns doch da nichts vor —, daß unsere Partner auch in der deutschen Frage unterschiedliche Auffassungen haben. Wir müssen entweder erreichen, daß sie sich zu dem gleichen Standpunkt bekennen wie wir, oder wir müssen in der Deutschlandpolitik um einer besseren Koordinierung in der westeuropäischen Gemeinschaft willen neue Überlegungen anstellen, manches überdenken, vielleicht das eine oder andere revidieren.Herr Bundeskanzler, mit welchem Optimismus sind Sie unmittelbar nach Ihrem Amtsantritt nach Paris gefahren! Das war richtig spürbar und sichtbar. Man hatte das Gefühl: jetzt wird alles besser. Wenn man aber dann betrachtet, was heute tatsächlich erreicht worden ist,
muß man leider feststellen, daß die damaligen Hoffnungen getrogen haben und daß wir heute keinen Schritt weiter sind als Anfang und Ende 1966.
Ja, manches ist sogar schwieriger statt leichter geworden.
Natürlich ist es immer verdienstvoll, den Blick aller Westeuropäer darauf zu richten, daß wir darauf drängen, daß die umfassenden Formen der Zusammenarbeit vorangetrieben werden. Aber wir sollten doch etwas nüchterner in unserer Betrachtungsweise werden und nicht einem falschen Optimismus huldigen. Die Überwindung der Schwierigkeiten ist nicht leichter, sondern schwerer geworden. Allerdings haben wir manchmal den Eindruck, Herr Bundeskanzler, daß Sie Ihre Politik im Augenblick nur noch auf das Warten abstellen, nämlich darauf, daß etwas anders wird, weil Sie nicht glauben, durch aktive Politik weiterzukommen. Das ist ein bedauerlicher Zustand.
— Lieber Herr von Guttenberg, ich bin gern bereit, einiges hinzuzufügen. In Kürze laufen gewisse Fristen für 1970 aus. Vereinbarungen, die im Rahmen der EWG abgeschlossen worden sind, können zu neuen Überlegungen führen. Diesen Ablauf von Fristen sollte man doch wahrlich nutzen, um damitdie eigene Position deutlich zu machen und auch den anderen deutlich zu machen, daß es nicht nur nach ihrem Willen, sondern auch nach unserem Willen, nach einem gemeinsamen Willen gehen sollte. Das ist das Entscheidende.
Gestatten Sie eine Frage? — Bitte, Herr Abgeordneter Schmidt :
Herr Mischnick, was die deutsche Position gegenüber der Position der französischen Außenpolitik, der französischen Deutschlandpolitik zumal, angeht: können Sie noch konkreter werden als in den letzten paar Sätzen, die Sie gesprochen haben?
— Ich polemisiere gar nicht. Ich möchte nur ganz gern verstehen, was Sie gemeint haben, und daran liegt mir, das herauszufinden.
— Nein, ich bitte mal um Entschuldigung: ich will ja nicht polemisieren. Ich möchte im Ernst hören, welches die Vorstellung der Freien Demokraten von einer anderen Politik ist, die wir gegenüber Frankreich treiben sollen. Das möchte ich in allem Ernst hören.
Herr Kollege Schmidt, ich wiederhole, daß gewisse Fristen ablaufen. Der 1. Januar 1970 wird bezüglich der Vereinbarungen, die wir vor längerer Zeit getroffen haben, zu neuen Überlegungen führen. Wenn immer die Sorge ausgesprochen wird: „Wir müssen befürchten, daß Frankreich vielleicht die Konsequenz zieht, aus der EWG auszutreten", so teilen wir diese Befürchtung nicht, sondern wir sind überzeugt, daß der Nutzen, den Frankreich in der EWG hat, genauso groß ist wie der Nutzen, den wir haben, und wir meinen, daß es aber nicht so weitergehen kann bei den Gesprächen über die Neugestaltung z. B. gewisser Agrarverordnungen, gewisser Finanzierungssätze, einfach die Überlegungen, die früher von Frankreich gebracht worden sind, zu übernehmen, sondern daß es gilt, hier unseren Standpunkt härter zu vertreten, als es in der Vergangenheit — zugegebenermaßen: auch in der Zeit, als wir selbst in der Regierung waren — geschehen ist.
— Das ist ein Teil der Politik.
Gestatten Sie noch eine Frage?
Herr Mischnick, verstehe ich Sie so richtig, daß Sie im Grunde meinen, man müsse nicht so besorgt sein, wie vielleicht
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11954 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Schmidt
einige hier in Bonn sind, man müsse nur dieselbe Politik wie bisher gegenüber Frankreich treiben, allerdings etwas härter und etwas konsequenter, im Grunde aber mit der gleichen Tendenz, nur härter? Habe ich das richtig verstanden?
Härter die Politik zu vertreten und gleichzeitig intensiver die Erweiterung der EWG zu vertreten und nicht einmal den Eindruck zu erwecken „Jawohl, wir sind dafür", solange die Engländer hier sind; sind sie aber wieder abgereist, den Eindruck zu erwecken: „So ernst meinen wir es gar nicht mehr." Das ist doch das, was unsere Position so gefährdet.
— Aber bitte, Herr Kollege Barzel, Sie sollen nicht zu kurz kommen. Beide Koalitionsfraktionen selbstverständlich!
Herr Kollege Mischnick, habe ich richtig gelesen, daß — anders als Sie soeben — Ihr verehrter Parteivorsitzender den Vorschlag gemacht hat, wir sollten nun mit Großbritannien eine Sondergemeinschaft bilden? Habe ich das richtig gelesen, oder spielt das keine Rolle in Ihrer Einlassung?
Herr Kollege Scheel hat nicht davon gesprochen, daß man eine Sondergemeinschaft zwischen der Bundesrepublik und Großbritannien machen solle, sondern daß wir den Beitritt Großbritanniens, in welcher Form auch immer, die Zusammenarbeit, forcieren, ganz zielbewußt anstreben sollen, weil wir überzeugt sind: Frankreich wird nicht die Konsequenz ziehen, auszutreten, sondern bereit sein, ernster um diese Frage zu ringen als bisher. Das ist unsere Überzeugung.
Also unter der Überschrift: „Mehr mit Frankreich" eine Position „ohne Frankreich". Ich danke sehr.
Herr Kollege Barzel, das ist eine Auslegung, die Sie gegeben haben. Mit Frankreich und mit England, aber nicht einmal mit dem und einmal mit jenem, um anschließend zwischen den Stühlen zu sitzen. Das ist doch das Problem, vor dem wir stehen.
Lassen Sie mich jetzt ein paar Bemerkungen zu einem Thema machen, das vor einigen Wochen hier im Rahmen einer Aktuellen Stunde eine Rolle spielte. Herr Bundeskanzler, wie lange dauert es eigentlich noch, bis Sie von Ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen, um in der Frage des Atomsperrvertrages, des Nichtverbreitungsvertrages, zu einer Entscheidung zu kommen? Wir sind der Meinung, daß es nachgerade peinlich wird, wenn dieser Vertrag weiterhin zum Gegenstand innen- und koalitionspolitischer Manipulationen gemacht wird, wie das in den letzten Wochen immer wieder geschehen ist. Wir bedauern, daß teilweise intern,
teilweise lautstark ein öffentliches Gezerre über diesen Vertrag — wie ganz genau sichtbar ist: nämlich aus parteipolitischen Gründen — erfolgt ist. Ich will Ihnen auch gleich den Nachweis führen. Die Zeitung des CSU-Landesvorsitzenden z. B. verkündet die nicht beweisbare Behauptung, wenn man den Vertrag unterschreibe, würde die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik um Jahrzehnte zurückgeworfen werden. Gleichzeitig verkündet der Kollege Wienand vor den Freunden seiner Partei: hätte die SPD allein zu bestimmen, wäre der Vertrag längst unterzeichnet. Der Herr Bundesaußenminister hat davon gesprochen, bis zur Sommerpause sollte er unterzeichnet werden.
Die Freien Demokraten erkennen durchaus an, daß die Bundesrepublik sich dagegen schützen muß, daß der Vertrag von dritter Seite zur Bremse der friedlichen, der wirtschaftlichen, der wissenschaftlichen Entwicklung gemacht wird. Nur sind wir der Meinung: die Klärung dieser Fragen sollte zügiger behandelt werden, weil der politische Wert der deutschen Unterschrift mit jeder Verzögerung geringer wird. Das ist doch ein Tatbestand, den wir endlich zur Kenntnis nehmen müssen.
Je mehr in Ost und West der Eindruck entsteht, hier werde zum Teil mit Kniffen gearbeitet, um gegen die Zielsetzung des Vertrages vorzugehen — nicht Sie, Herr Bundeskanzler, gegen die Zielsetzung des Vertrages, aber andere, die offensichtlich mit diesen Kniffen gern gewisse wahlpolitische Erfolge verbinden wollen,
indem sie sich nach draußen als Hüter der deutschen Wirtschaft, der deutschen Wissenschaft darstellen —, wird die Bedeutung dieses Vertrages, wenn wir ihn unterschreiben, herabgemindert werden. Über die Ratifizierung kann selbstverständlich auch nach unserer Meinung erst im nächsten Bundestag gesprochen werden. Die Zwischenzeit zwischen Unterschrift und Ratifizierung sollte aber genommen werden, um umstrittene Fragen der Kontrolle zu klären. Die Erklärung, daß man im Grundsatz zur Unterschrift bereit sei, ist jetzt für die Bundesregierung nach unserer Auffassung überfällig und sollte schnellstens erfolgen.
Herr Abgeordneter Mischnick, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Dr. Birrenbach?
Bitte schön!
Herr Mischnick, sind Sie sich darüber klar, daß es eine ganze Reihe von Fragen gibt, die im Rahmen des Sperrvertrages ohne Änderung des Vertrages — der ja nunmehr feststeht — mindestens wesentlich besser geregelt werden können? Ich spreche z. B. von der
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Abg. Dr. BirrenbachFrage der Drohung der Sowjetunion auf Grund der Artikel 53 und 107 der Charta der Vereinten Nationen. Sie wissen, daß Verhandlungen mit der Sowjetunion in Gang gekommen sind, die noch nicht beendet sind. — Erste Frage.Zweite Frage. Sind Sie sich darüber klar, daß der Atomsperrvertrag, der über mindestens 25 Jahre läuft, viel länger Geltung haben wird als der NATO-Vertrag, der jetzt von einem Jahr auf das andere kündbar ist? Ist Ihnen klar, daß in dieser Frage noch Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten möglich sind, die zu einem Ergebnis führen können, ohne daß der Vertrag geändert werden müßte?Sind Sie, Herr Mischnick, sich darüber klar,
daß im zivilen Bereich noch eine ganze Reihe von Fragen offenstehen, die ungeklärt sind, die vor der Unterzeichnung noch eventuell durch Erklärungen der Regierungen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens geklärt werden könnten?
Verehrter Herr Kollege Birrenbach, zunächst einmal haben Sie mit Ihrer ersten Frage, wenn ich richtig verstanden habe, etwas anderes gesagt als mit der dritten. Denn daß der Vertragstext nicht mehr geändert werden kann, darüber
sind wir uns doch hoffentlich einig. Er wird nicht geändert werden. Möglich ist aber natürlich, daß die Zeit zwischen Unterschrift und Ratifizierung — darauf habe ich hingewiesen — auch von der Bundesregierung genutzt wird — genauso, wie das von anderen Regierungen getan worden ist —, gewisse Zweifelsfragen zu klären, Auslegungsmodalitäten und Zusatzerklärungen zu erreichen. Ich muß mich allerdings fragen: Was ist eigentlich in der ganzen Zeit, seitdem wir den Text haben, geschehen, wenn Sie jetzt sagen: „Das alles muß noch geklärt werden!" ? Wir waren bisher davon ausgegangen, daß sich diese Regierung darum bemüht. Sie scheinen nicht dieser Meinung zu sein. Das bedaure ich.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage von Herrn Ertl?
Bitte!
Herr Kollege Mischnick, können Sie sich vorstellen, daß die Frage von Herrn Birrenbach eigentlich dem Außenminister galt?
Herr Kollege Ertl, daß das natürlich zu den Feinheiten der Behandlung in der Koalition gehört, ist mir völlig klar. Aber ich setze mich jetzt mit dem Bundeskanzler auseinander und mit nichts anderem.
Wollen Sie noch eine Frage gestatten, Herr Kollege Mischnick?
Bitte!
Herr Kollege Mischnick, sind Sie sich darüber klar, daß die Verhandlungsposition der Bundesregierung ungleich besser ist, wenn sie die Fragen, die ich soeben genannt habe, anhängig macht, bevor die Unterzeichnung des Vertrages erfolgt ist?
Herr Kollege Birrenbach, haben Sie sich einmal ,die 'Frage gestellt, ob der politische Wert ,einer Unterschrift nicht bei weiteren Gesprächen größer sein kann, als wenn wir jetzt einfach sagen, wir wollen so lange 'verhandeln, bis alles geklärt ist?
Auch das ist eine Frage, die Sie legitimerweise einmal stellen müssen.
— Nach Ihrer Meinung!
Noch einmal Herr Abgeordneter Dr. Birrenbach zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Mischnick, sind Sie sich darüber klar, daß es nach den Erfahrungen, die wir in der Weimarer Republik gemacht haben, wo Verträge unterzeichnet wurden, die nachher nicht gehalten werden konnten, ungleich besser ist, Probleme zu klären, bevor die Unterzeichnung durch die Bundesrepublik erfolgt ist?
Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß es gut ist, vor der Unterzeichnung der Vierträge möglichst alle offenen Fragen zu klären.
Ich bedaure sehr, daß ich mich über die Intensität Ihrer Bemühungen 'leider getäuscht habe. Ich entnehme aus Ihren Mitteilungen, daß sie bisher nicht intensiv genug waren, um zu einem Ergebnis zu kommen.
Nun einige kurze Bemerkungen zur Sicherheitspolitik. Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung davon gesprochen, daß langfristige Programme nicht nur für die Außenpolitik, sondern auch für die Sicherheitspolitik aufgestellt werden sollten. Wenn ich mir nun einmal das ansehe, was geschehen ist, komme ich zu dem Ergebnis, daß Sie offenbar auch in dieser Frage von Ihrer Richtlinienkompetenz keinen Gebrauch gemacht haben. Der Beweis für diese Behauptung liegt nach unserer Auffassung blau auf weiß gedruckt allen vor unter dem Titel „Weißbuch 1969 zur Verteidigungspolitik der Bundesregierung". Dieses Weißbuch Ist
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11956 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Mischnickja zum Teil mit recht höhnischen Kommentaren bedacht worden. Einige nehmen sogar an, es heiße deshalb „Weißbuch", weil nur darinsteht, was jeder sowieso schon weiß.
Ich meine nicht, daß das der Ausgangspunkt der Überlegungen für die Bezeichnung „Weißbuch" war. Andere trösten sich damit, daß mit diesem Weißbuch endlich einmal alles zusammengefaßt worden sei und wir der Notwendigkeit enthoben seilen, in früheren Regierungserklärungen nachzulesen, was alles gesagt worden ist, daß es also eine Art Kompendium sei. Dais ist anerkennenswerterweise der Fall. Aber ein klar umrissener Standpunkt der Bundesregierung, wie grundsätzlich die Sicherheitspolitik für die Zukunft aussehen soll, ist in diesem Weißbuch nicht enthalten.Wir bedauern das; denn es wäre ja gerade auch in diesem großen Bereich notwendig, ein langfristiges Konzept zu entwickeln. Zu den Einzelheiten werden meine Kollegen aus dem Verteidigungsausschuß Stellung nehmen. Ich will hier nur noch eines ergänzend dazu sagen. Wir meinen, das Interessanteste an diesem Weißbuch ist eigentlich das, was nicht darinsteht, nämlich die vielen Fragen, die da geprüft werden sollen, die anderen Fragen, bei denen man sieht, daß an ihnen in einem Schneckentempo gearbeitet wird, daß für notwendig gehaltene Maßnahmen nicht durchgeführt werden — ich denke an die Zusammenlegung der Stäbe —, und noch vieles andere mehr. Natürlich sind Bestandsaufnahmen von Zeit zu Zeit durchaus notwendig. Wer sich aber damit begnügt, Bestandsaufnahmen zu machen, statt notwendige Entscheidungen zu fällen, der vergeudet nach unserer Meinung Volksvermögen in großem Ausmaß, denn bei der Verteidigung handelt es sich ja immerhin um 18 Milliarden DM. Das Weißbuch zur Verteidigung verdeutlicht somit, daß wir von dem Ziel, eine größere Sicherheit zu erreichen, leider noch sehr, sehr weit entfernt sind.Nun ein paar Bemerkungen zu innenpolitischen Fragen. Auch hier haben wir einen großen Berg unerledigter Fragen vor uns liegen. Erst dieser Tage ist ja der Katalog dazu in der gemeinsamen Veröffentlichung über die beabsichtigten Gespräche der Koalition vorgelegt worden.Ich muß ganz offen sagen, bei der Innenpolitik hat man oft das Gefühl, daß auf eine Art administrative Geschäftigkeit abgedrängt wird, statt grundsätzliche Überlegungen für die Zukunft anzustellen. Ich denke nur daran, daß man an Zuständigkeiten eines verwischenden Pseudoföderalismus festhält, daß man zwar fast ängstlich über Schule und Hochschule redet, tatsächlich aber in diesem Hause nichts tut, obwohl es möglich wäre, wenn man endlich die Konsequenzen zöge. Man sieht zwar, daß vieles faul ist, aber den Knoten durchzuhauen, die notwendigen Reformen endlich anzupacken, dazu hat man einfach nicht den Mut, dazu raffen sich weder die Regierung noch die Koalitionsparteien auf. Man bleibt einfach bei dem alten Schlendrian und redet, bis der letzte gute Gedanke schließlich zerredet ist. Partielle Scheinlösungen werden an die Stelle von möglichenReformen gesetzt. Das geht von der Lohnfortzahlung bis zur Mitbestimmung. In keinem Bereich eine wirklich klare Aussage der Regierung, was sie will! Das heißt doch, daß in der Innenpolitik ebenfalls viele Punkte einfach ausgeklammert werden.Wenn ich jetzt, Herr Bundeskanzler, daran denke, wie Sie Ihren Führungsanspruch in der Frage der Finanzreform gehandhabt haben, komme ich zu dem Ergebnis, daß das, was uns nach den Sitzungen des Vermittlungsausschusses in diesen Tagen beschäftigen wird, doch nichts weiter ist als eine Verwässerung ursprünglich einmal durchaus überlegenswerter Gedanken. Von einer grundlegenden Reform kann überhaupt nicht mehr die Rede sein.
— Entschuldigung, Herr von Wrangel, ich verwechsle nicht den Bundeskanzler mit einigen Bundesländern. Ich ging vielmehr von der Annahme aus, daß der Bundeskanzler als Parteivorsitzender auch Einfluß auf seine Parteifreunde hat, die Ministerpräsidenten sind. Das scheint ein Irrtum zu sein. Leider ist dieser Einfluß offensichtlich nicht vorhanden.
— Die Richtlinienkompetenz geht für die Regierung nicht so weit. Aber es muß doch möglich sein, in einer Großen Koalition, zu der alle Ministerpräsidenten, seien es solche der CDU, seien es solche der SPD, gehören, ein derartiges Einverständnis zu erzielen und damit den Anspruch, mit dem Sie diese Regierung gebildet haben, nämlich die Finanzreform als entscheidendes Problem mit Zweidrittelmehrheit zu lösen, auch zu erfüllen. Daran sind Sie gescheitert; da beißt die Maus keinen Faden ab.
Herr Abgeordneter Mischnick, würden Sie eine Frage des Abgeordneten Schmidt gestatten?
Bitte!
Herr Kollege Mischnick, da Sie das alles, was Sie hier vortragen, diesen bunten Blumenstrauß, unter der Rubrik „Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers" vortragen, wäre ich dankbar, wenn Sie mir — nicht nur zur Verständigung zwischen uns, sondern auch zur Verständigung zwischen allen, die dieses Wort in der öffentlichen Debatte in den Mund nehmen — zustimmen könnten, daß die Ansicht der Kommentare richtig ist, daß es sich bei der Richtlinienkompetenz um eine innerdienstliche Weisungskompetenz innerhalb der Bundesregierung handelt und nicht etwa um eine Weisungskompetenz gegenüber Ländern, Parteien oder sonst jemandem.
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Lieber Herr Kollege Schmidt, ich habe soeben zum Ausdruck gebracht, daß die Richtlinienkompetenz im Sinne des Grundgesetzes gegenüber der Regierung, gegenüber den Kabinettsmitgliedern gilt. Ich habe aber darauf hingewiesen, daß man zumindest erwarten müßte, daß ein Parteivorsitzender, der sich vornimmt, mit der Bildung einer Großen Koalition große Reformen durchzuziehen, bei seinen eigenen Parteifreunden auf entsprechenden Widerhall stößt. Wenn dann Ihre Kollegen aus den Ländern anderer Meinung sind, kann ich das selbstverständlich nicht dem CDU-Parteivorsitzenden anlasten, ich könnte das höchstens dem Parteivorsitzenden der SPD anlasten. Tatsache ist aber, daß sich beide in dieser Frage nicht haben durchsetzen können. Das steht heute fest.
— Aber lieber Herr Kollege, der Hinweis, daß wir in den Länderregierungen sitzen, kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Mehrheit in den Länderkabinetten eben nicht von uns gestellt wird.
Da Sie auch wissen, daß im Bundesrat einheitlich abgestimmt wird, kann ich nur sagen, daß Ihre Zwischenruf rein polemischer Natur war und von Sachlichkeit keine Spur vorhanden war.
— Wenn Sie noch einmal wollen, bitte!
Bitte, Herr Abgeordneter Schmidt !
Ich bedauere ein wenig, wenn diese Debatte allzusehr in das Fahrwasser seichter Polemik geraten sollte, Herr Mischnick, und ich möchte mit der Frage, die ich zu stellen beabsichtige, dazu nicht beitragen. Ich möchte aber gerne wissen, ob Sie der Meinung sind, daß z. B. die Freien Demokraten in Nordrhein-Westfalen bei der Stellung, die dieses Land im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß zur Frage der Finanz- und Verfassungsreform eingenommen hat, im Grunde die Position ihrer Landesregierung in Düsseldorf nicht geteilt haben, sondern daß es sich darum gehandelt hat — wie Sie eben anzudeuten schienen —, daß sie leider in Düsseldorf nicht die Mehrheit hatten und nur infolgedessen die Politik eines reichen Landes vertreten wurde. Ist das richtig aufgefaßt, oder ist es nicht vielmehr so, Herr Mischnick, daß es sich unabhängig von parteilichen Schattierungen einzelner Landesregierungen hier in Wirklichkeit darum handelt, daß nicht etwa ein Konflikt zwischen Bund und Ländern vorliegt, sondern vielmehr zwischen reichen Ländern, zwischen stärker unitarisch ausgerichteten Ländern, zwischen armen Ländern und stärker föderalistisch eingerichteten Ländern?
Ist das nicht der eigentliche Konflikt, von dem Sie
sprechen, und machen Sie nicht einen schweren
Fehler, wenn Sie hier dem deutschen Volk und der Öffentlichkeit suggerieren, das Thema der Finanzverfassungsreform sei ein Thema, in dem politische Parteien verschiedene Standpunkte nicht miteinander hätten vereinigen können?
Herr Kollege Schmidt, ich hoffe, daß ich, wenn dann die Replik kommt und es notwendig ist, dazu in ähnlich ausführlicher Form als Fragesteller Stellung zu nehmen, die gleiche Gelegenheit bekomme — wie es den Koalitionskollegen möglich war —, nicht nur Fragen zu stellen, sondern ganze Beiträge zu bringen. Ich bin sicher, daß Sie dann darauf eingehen werden.
Nun aber zu Ihrem Petitum. Herr Kollege Schmidt, genau das ist ein entscheidender Punkt, weshalb wir in der Finanzreform nicht weiterkommen. Warum sind Sie dann nicht bereit, unseren Antrag zu unterstützen, durch Zusammenlegung von Ländern stärkere Einheiten zu schaffen und damit Probleme der Finanzreform leichter zu lösen, als es im Augenblick der Fall ist?
Da ziehen Sie aber nicht mit.
Zunächst muß ich Sie fragen, Herr Abgeordneter Mischnick, ob Sie eine Frage Ihres Fraktionskollegen Dorn beantworten möchten.
Ich lasse die Frage zu, bitte!
Herr Kollege Mischnick, wären Sie bereit, den Kollegen Schmidt noch einmal darauf hinzuweisen, daß der Bundeskanzler in diesem Hause, als es um die Beratung dieser Probleme ging, erklärt hat, wenn sie von der Mehrheit dieser Koalition nicht gelöst würden, gäbe es dafür keine Entschuldigung.
Herr Kollege Dorn, das ist an anderer Stelle vorgesehen, wo ich darauf noch einmal hinweisen will.
— Herr Kollege Schmidt!
Herr Mischnick, vorwegschickend für meine Person, daß ich mir durchaus eine zweckmäßigere Gliederung und Abrundung der deutschen Länder zu insgesamt lebensfähigen Gebilden vorstellen könnte, möchte ich Sie nun doch fragen, welchen Sinn Sie darin sehen, nachdem Sie die großen Schwierigkeiten, die wir alle miteinander gemeinsam — und ich schließe Sie ein — bei der Durchsetzung minimaler Vorstellungen in Sachen Finanzverfassungsreform erlebt haben, noch viel
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11958 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Schmidt
weitergreifende, den Bestand der einzelnen Länder geradezu angreifende Gesetzentwürfe zur öffentlichen Debatte zwischen Bund und Ländern zu stellen. Ist es nicht vielmehr so, daß wir, wenn wir das täten, was Sie uns antragen, mit Sicherheit selbst den nicht sehr großen, aber doch immerhin echten Fortschritt bringenden Erfolg der Finanzverfassungsreform geradezu unterminieren und möglicherweise beseitigen würden?
Ich wäre dankbar, wenn Sie mir sagen würden, ob beispielsweise die Freien Demokraten in Hamburg oder in Bremen das unterstützen, was Sie offensichtlich im Sinn haben, nämlich die Schaffung eines norddeutschen Landes.
Herr Kollege Schmidt, Sie haben völlig recht, daß diese Fragen 'selbstverständlich auch in den Parteien unterschiedlich beurteilt werden. Wir haben aber — —
— Jetzt müssen Sie aber doch den zweiten Teil abwarten! Wir haben aber erreicht, daß z. B. bei dem Gesetzentwurf, den wir bereits eingereicht haben, zwischen Saar, Rheinland-Pfalz und Hessen eine völlig übereinstimmende Meinung erzielt worden ist. Wir werden das gleiche für den norddeutschen Raum erreichen, wenn ein entsprechender Vorschlag von uns kommen wird. Darüber können Sie völlig unbesorgt sein.
Ich habe aber aus Ihrer Stellungnahme weiter Ihre Sorge herausgelesen, Herr Kollege Schmidt, daß die Schwierigkeit der Auseinandersetzung größer wird, wenn man dem Bund in bestimmten Bereichen mehr Kompetenzen gibt. Herr Kollege Schmidt, wir haben die Absicht, in einem Gesamtkatalog in unserer Wahlplattform deutlich zu sagen, daß es nicht nur darum geht, gewisse Kompetenzen von den Ländern auf den Bund zu übertragen, weil eine zentrale Regelung notwendig ist, sondern daß wir gleichzeitig überprüfen müssen, wo Einzelkompetenzen vom Bund an die Länder abgegeben werden können, weil eine zentrale Regelung heute nicht mehr erforderlich ist. Beides muß man gemeinsam sehen. Wir sehen das nicht einseitig, sondern als ein geschlossenes Ganzes. Das fehlt aber als Konzept von dieser Regierung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Dr. Müller-Hermann?
Bitte!
Sehr verehrter Herr Kollege Mischnick, darf ich nicht doch bitten, daß Sie die Frage des Kollegen Schmidt etwas präziser beantworten, welchen Zusammenhang Sie zwischen Ihrem Hinweis auf Ihren Antrag zu einer
Neuordnung der Länder und der jetzt notwendigen
Verabschiedung der Finanzverfassungsreform sehen.
Lieber Herr Kollege Müller-Hermann, wir würden den Zusammenhang darin sehen: Wenn es rechtzeitig zu einer solchen — über anderthalb Jahre liegt der Antrag vor — —
— Ja, wenn! Es liegt an Ihnen, nicht an uns. Wenn Sie dem gefolgt wären, wären Teilprobleme in diesem Bereich schon ausgeräumt, weil wir dann nämlich leistungsfähige Länder hätten und damit die Frage nach finanzstarken und finanzschwachen Ländern nicht mehr die Bedeutung hätte, die sie heute leider hat, weil Sie keine Reform der Länder wollen. Das ist doch der Punkt!
Meine Damen und Herren, ich wollte hier noch ein paar Einzelheiten zur Finanzreform vortragen und darüber sprechen, wo überall die Mängel liegen. Das würde aber zu weit führen. Wir werden ja auch morgen bei der Erklärung dazu diese Punkte im einzelnen darlegen können.
Eines ist aber doch unbestreitbar: Selbst das, was sich die Regierung an kleineren Bereichen vorgenommen hatte, ist nicht durchsetzbar gewesen. Es ist doch bezeichnend, daß die Koalition nicht einmal im Vermittlungsausschuß in der Lage war, in diesen Fragen gemeinsam zu handeln, sondern daß es von Fall zu Fall sehr unterschiedliche Abstimmungen gab, was wiederum beweist, daß Sie als Koalition nicht die Kraft haben, eine Reform wirklich durchzusetzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ist es dann nicht möglich, wenigstens das, worauf Sie sich schon auf einem Parteitag geeinigt haben, in die praktische Politik umzusetzen, oder müssen wir annehmen, daß Ihre Parteitagsbeschlüsse nur „for show" gedacht sind, die Regierungspolitik aber etwas ganz anderes macht als das, was dort beschlossen wird? Es wäre bedauerlich, wenn es so wäre.Wir sehen mit Sorge, daß die bescheidene Rahmenkompetenz des Bundes im Schul- und Hochschulwesen wieder eingeschränkt, gestrichen werden, überhaupt herausfallen könnte. Das wäre nach unserer Auffassung tatsächlich verhängnisvoll. Die gesamte Bevölkerung, insbesondere die Jugend, erwartet doch, daß wir auf dem Schul-, auf dem Bildungssektor endlich zu einheitlichen Reformen kommen, nachdem die Länder doch 20 Jahre lang bewiesen haben, daß sie das einfach nicht schaffen. Das ist ein Tatbestand, der nicht hinwegzuleugnen ist. Die Rahmenkompetenz ist nach dem derzeitigen
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MischnickStand die einzige Möglichkeit, wirklich zügige und durchgreifende Reformen für das ganze Bundesgebiet durchzuführen.Bedauerlich ist, daß Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, offensichtlich nur eines durchsetzen können: das einheitliche Ordnungsrecht für die Universitäten, aber nicht eine einheitliche Reform des Hochschulwesens.
Darauf kommt es an, nicht in erster Linie auf das Ordnungsrecht.Wenn die Bundesregierung hier wirklich ernsthaft etwas erreichen wollte, kann sie sich auch nicht damit herausreden, es gebe keine Vorschläge. Auch die Ministerpräsidentenkonferenz hat davon gesprochen, man müsse jetzt einen gemeinsamen Entwurf erarbeiten. Nun, wir haben einen vorgelegt. Wenn Sie morgen unserem Antrag, Art. 74 und 75 des Grundgesetzes zu ändern, folgen, können wir übermorgen über ein gemeinsames Hochschulgesetz für die ganze Bundesrepublik beraten. Aber den Mut, das durchzusetzen, haben Sie ja leider nicht.
— Entschuldigen Sie! Da zeigt sich wieder: Ist man in der Lage, so etwas durchzusetzen, oder ist man zu schwach dazu, es gegenüber den Ländern durchzusetzen?
Das sind alles Fragen, Herr Bundeskanzler, die Sie an Ihrer eigenen Erklärung vom 11. März 1968— Kollege Dorn spielte schon darauf an — messen müssen. Sie haben hier in diesem Hohen Hause — ich zitiere wörtlich — erklärt:Der Föderalismus steht, darüber soll sich niemand täuschen, vor seiner großen Bewährungsprobe, und wir alle müssen wissen, daß, wenn wir auf irgendeinem Gebiet versagen, die Geschichte niemandem von uns die Entschuldigung abnehmen wird, ihm habe die Kompetenz gefehlt.Das haben Sie vor einem Jahr gesagt. Heute müssen wir feststellen, daß von dem, was Sie selbst erkannt haben, trotz einjähriger Beratungen nichts verwirklicht werden wird.
— Herr Kollege von Wrangel, das, was Sie da als „Reform" anbieten, ist nicht einmal ein Reförmchen; das ist ein völlig verwässerter Vorschlag, der uns in der Frage der Reform keinen Schritt weiterbringen wird.
Auch die Art und Weise, wie die großen Projekte der gesellschafts- und sozialpolitischen Auseinandersetzung angepackt worden sind, entbehrt jeglicher zentralen Führung und Zielsetzung. Ich brauche nur daran zu erinnern, wie lange hier um das Problem der Bruttolohnfortzahlung hin und her debattiert worden ist. Das, was Sie jetzt als Kompromiß erreicht haben, ist doch der Beweis dafür, daß Sieauch in dieser Frage weder von der Regierung noch von den Koalitionsfraktionen aus zu einer gemeinsamen Vorlage kommen können. Jeder geht seinen eigenen Weg, d. h. praktisch gibt es auch in dieser Frage keine Führung durch die Regierung; es muß den Fraktionen überlassen bleiben, weil sich die Regierung nicht auf ein gemeinsames Konzept einigen kann.Ich will gar nicht auf die Einzelfragen eingehen; das werden wir debattieren, wenn die Anträge vorliegen. Eines ist klar: Aus den eigenen Erklärungen der Bundesregierung geht hervor, daß, wenn diese Bruttolohnfortzahlung — sei es in dieser oder in jener Form — kommt, dies weder der Preisstabilität noch einer entsprechenden Einkommensverbesserung der Arbeiter dienen wird. Wir werden über diesen Punkt bei der Erörterung der Stabilitätsfrage noch zu reden haben. Das Ganze ist doch weiter nichts als ein Notnagel, mit dem Sie die Löcher im Haushalt der Sozialversicherungsträger stopfen wollen.Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Sie alle diese Punkte — es gibt noch eine ganze Reihe, die man aufführen könnte — als eine Art Richtlinienkatalog des Ausklammerns betrachten, der nach der zweijährigen Amtszeit des Herrn Bundeskanzlers vorliegt, scheint es uns notwendig zu sein, daß man versucht, wenigstens für die letzten drei, vier Monate der Regierungstätigkeit nicht nur — worüber mir morgen zu sprechen haben — eine Art Preisstabilität herbeizuführen, sondern auch eine Art Mindeststabilität der Regierungsarbeit zu erreichen.Wenn man die Angriffe der CDU und insbesondere der CSU auf den Koalitionspartner SPD liest und hört, muß man sich manchmal fragen: Besteht überhaupt noch eine Regierungskoalition, oder ist das eine Notgemeinschaft zur Erreichung des 28. September? Diesen Eindruck hat man manchmal.
Wenn man dien 'heutigen Artikel dm „Vorwärts" liest und sieht, wie hier gegenseitig .aufeinander geschossen wird, dann muß man wirklich den Eindruck gewinnen: Eigentlich gibt es gar keine Koalition mehr, sondern man will nur noch schnell versuchen, über die Runden zu kommen.
— Ich habe nicht bestritten, daß es verschiedene Parteien gibt. Aber, Herr Kollege Stücklen, es ist doch unbestreitbar, daß Sie und Ihre Freunde offensichtlich zeitiger als die Freunde von der CDU meinen: Jetzt muß eben auch in der Koalition, — wir kennen das doch aus eigener Erfahrung — Wahlkampf gemacht und nicht mehr regiert werden! — Das ist der Stil, dien Sie leider schon immer gehabt haben; wir bedauern das.
Gegenwärtig regiert die Große Koalition nach unserer Meinung nach einem kleinen ABC: a wie
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11960 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Mischnick„Ausklammern wichtiger Entscheidungen", b wie „Blockieren wichtiger Reformen", c wie „Kosmetisieren schlechter Kompromisse mit Millionenaufwand für Anzeigen". Das ist das, was geschieht.
Wir meinen, Sie sollten nach .einem großen ABC regieren: A wie „Abschneiden alter Zöpfe", B wie „Beschlüsse für wichtige Reformen", C wir „Kooperation zwischen Bund und Ländern,
zwischen CDU, CSU und SPD, zwischen dem Bundeskanzler und seiner eigenen Partei und seiner eigenen Fraktion, insbesondere seinen Freunden von der CDU/CSU".
Aber, Herr Bundeskanzler, wir bedauern, daß wir zu dier Überzeugung kommen mußten: das schaffen Sie nicht. Das bedauern wir um unseres Volkees und unseres Landes willen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Kollege Barzel, einen Moment! Darf ich einmal eine Bemerkung machen, die an das ganze Haus gerichtet und freundlich gemeint ist, da alle Fraktionen davon betroffen werden. Ich halte es nicht für schön, nicht nur der Optik wegen, wenn im Hause wähnend der Reden hier auf der Tribüne Zeitung gelesen wird. Auch manche Kollegen haben die Neigung, sich hinter der Zeitung zu verstecken, obwohl ich 'glaube, daß sie gar nichts zu verbergen haben.
Ich meine, man könnte das auf ein Minimum beschränken. Das gilt nicht nur für den Plenarsaal; das gilt sogar auch für die Regierungsbank, die ich heute hier zum zweitenmal apostrophieren muß.
Nun hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Schluß der Rede des Kollegen Mischnick mit dem Ausflug ins Abc wurde auch nicht dadurch besser, daß hier — anders als bei der neuen Namensbezeichnung der FDP — die Punkte offensichtlich fehlten. Das war mit der Werbeagentur wohl noch nicht abgesprochen, Herr Mischnick.
Aber wir hatten heute hier eigentlich nach dem Vortheaterdonner ein bißchen mehr erwartet.
Wissen Sie, wenn ich sehe, daß Ihr sehr verehrterParteivorsitzender — ich lese jetzt nicht in der Zeitung, Herr Präsident; ich benutze sie, um hier dieses Bild zu zeigen — —
— Das wäre ja schrecklich, wenn der Redner selbst auch noch die Zeitung läse. Das wäre nun gar nicht auszuhalten.
Meine Damen und Herren, da wird uns also durch Ihren Parteivorsitzenden die „Jagd auf die CDU" angekündigt.
Na ja, es war eine ganz schöne Eröffnung mit Platzpatronen und Rohrkrepierern. Aber das kommt davon, wenn man sich als Parteivorsitzender auf den Schaukelstuhl setzt,
nachdem man am 5. März offensichtlich alle Kraft verbraucht hat.
Erlauben Sie mir nun zunächst noch eine etwas scherzhafte Bemerkung. Herr Mischnick, Sie mußten natürlich einen Weg finden, alles, was Sie unterbringen wollten, unter diesen Einzelplan zu bringen. Deshalb haben Sie gesagt: Jetzt nehmen wir mal die Richtlinienkompetenz. Wir haben sorgsam zugehört, und ich bin sicher, Helmut Schmidt genauso. Ich bin sicher, daß nicht nur Herr Bundeskanzler Kiesinger, sondern auch der Außenminister als Parteivorsitzender zugehört haben. In all diesen Wünschen kam doch offensichtlich nur eines zum Ausdruck: endlich in eine Koalition ohne Mitsprache zu kommen, in der allein der Kanzler alles durch Richtlinienkompetenz erledigt.
Das ist doch offensichtlich der Wunsch der Freien Demokraten: eine parlamentarische Zusammenarbeit, ohne daß man sich trifft.
— Früher hatten wir einen Koalitionsausschuß, Herr Mischnick; da haben wir doch beide dringesessen. Wir beide waren in der Bundesregierung, als Konrad Adenauer den deutsch-französischen Vertrag machte. Das hätte er mal als Richtlinie machen sollen! Wie hätten Sie dann als Koalitionspartner reagiert? Dann haben wir für den Teststoppvertrag— nicht wahr, Richard Stücklen — die ganzen Sommerferien geopfert, sechs Kabinettssitzungen gehabt. Warum denn? Weil alle Partner mit Recht den Wunsch hatten, mitzuberaten und nicht dem Kanzler allein, was weiß ich, in irgendeinem schönen Quartier, die Entscheidung zu überlassen. So wird es bleiben. Ich glaube, wenn Sie wieder einmal — und das scheint ja Ihr Wunsch zu sein; allerdings muß man dann, würde ich sagen, hier doch mindestens schon ein bißchen mehr anlegen —, in eine Regierung kommen, werden Sie sicher wieder von Mitspracherecht und von Partnerschaft und von Zusammenarbeit und von rechtzeitigem Anhören reden.
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Dr. BarzelNa gut, schön, also damit ist es, glaube ich, mit den Richtlinien in der Abteilung „Heiterkeit" ein ganzes Stück — —
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Bitte schön, Herr Mischnick!
Darf ich fragen, Herr Kollege Barzel, wer vor wenigen Tagen eine solche Betonung auf seine Richtlinienkompetenz gelegt hat. War das nicht der Herr Bundeskanzler?
Da gab es ja wohl auch einen Anlaß,
weil mancher öffentliche Eindruck — —
— Ja, wenn jemand einen solchen schafft, nachdem es keinen Kanzlerwechsel und keinen Koalitionswechsel und auch sonst keinen Wechsel gegeben hat. Vokabeln wie „Machtwechsel" sind ganz schlecht. Das ist ganz schlecht. Reden wir lieber von Verantwortung. Das, glaube ich, ist uns allen jetzt lieber, meine Damen und Herren.Nun lassen Sie mich noch ein Wort in einer anderen Richtung sagen, weil Sie unterschwellig ja immer versucht haben, auch den Bundeskanzler anzugreifen. Zum direkten Angriff hat es ja nicht gelangt. Da war wohl offensichtlich nichts. Entweder wollte man sich nichts verbauen, oder es gab nichts. Das wollen wir abwarten, meine Damen und Herren.
Aber Sie würden ja nicht so lange vom Kanzlersprechen, wenn Sie den Mann nicht achteten undfür den Herbst als einen gefährlichen Gegner— auch was Ihre parteipolitischen Erwartungen angeht — betrachteten. Sonst würden Sie doch nicht davon sprechen. Sie kennen doch die demoskopischen Ergebnisse genauso wie wir.Herr Mischnick und meine Kollegen von der FDP: Eigentlich sollten Sie doch Verständnis für einen Kanzler und Parteivorsitzenden haben, der nicht tobend und nicht mit der Faust, sondern mit Argumenten und mit Gelassenheit und in Ruhe und zum rechten Zeitpunkt führt. Meine Damen und Herren, dafür sollten Sie doch eigentlich Verständnis haben.
Und wenn dann immer von der Entscheidungsschwäche geredet wird: Sehen Sie, wie lange haben Sie denn gebraucht, um am 5. März eine Entscheidung hinzubekommen? In dieser Zeit hat dieser Mann jeden Tag mehrere Entscheidungen getroffen,vollzogen, und wir haben sie in die Realität umgesetzt.
Genug von dieser Sache.
Nun zur Richtlinienkompetenz eine letzte, etwas ernstere Bemerkung.
— Nun, Herr Ertl, was Ihr Herr Fraktionsvorsitzender hier gesagt hat, gab ja bisher nur Grund zur Heiterkeit. Ich kann doch nichts dafür. Ich repliziere doch nur auf Bitten meiner Freunde.Die Richtlinienkompetenz — Herr Schmidt hat aus einem Kommentar, der, glaube ich, sehr einengend war, vorgelesen — bezieht sich auf die Bundesregierung. Sie bezieht sich nicht auf dieses Haus. ,Sie bezieht sich nicht auf die Parteien. Sie bezieht sich nicht auf die Länder, und sie bezieht sich— erstaunlicherweise — nicht auf die Politik europäischer Mächte und Nachbarn, die für die deutsche Politik auch wichtig sind.
Wenn Sie das alles miteinander feststellen, kommen Sie, glaube ich, zu einem richtigen Bild.Meine Damen und Herren, zu den innenpolitischen Fragen wird mein Freund und stellvertretender Kollege im Fraktionsvorstand, Ernst Müller-Hermann, noch sprechen; auch zu dem, was wir noch vorhaben. Der Gesetzgebungskatalog, der von dem Koalitionspartner veröffentlicht worden ist — wir haben uns gestern darüber verständigt —, war uns ein bißchen zu zufällig und auch noch zu dürftig. Wir haben vor, in dieser Koalition wie vorgesehen noch mehr zu Ende zubringen.
— Seien Sie nicht so neugierig, es kommt eins nach dem anderen.
Ich möchte noch ein Wort zu der Frage der Finanzverfassungsreform sagen, weil das auch im allgemeinen Teil bei Ihnen eine Rolle gespielt hat. Wir werden das morgen entscheiden und Erklärungen dazu abgeben; eine Debatte wird ja dann nicht möglich sein. Das Ergebnis kann man so und so betrachten. Das Beste war das, wogegen Sie gestimmt haben, nämlich die Konzeption des Deutschen Bundestages.
Meine Damen und Herren, Sie hätten von Ihrem Einfluß in den Landesregierungen Gebrauch machen können, z. B. in Düsseldorf, wo es ja — auch in dieser Frage — eine Alternative gibt. Herr Genscher, ich habe Sie in der Debatte zur zweiten und dritten Lesung danach gefragt. Was haben Sie mit Ihrem Einfluß in dieser Frage gemacht? Am Dreikönigstag haben Sie gesagt: Wir wollen nicht Ministerstühle, wir wollen die Macht, und das im Sinne von Gestaltung! — Ja, was haben Sie denn nun in Düssel-
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Dr. Barzeldorf bei der Finanzverfassungsreform gestaltet? Was haben Sie denn da gemacht, meine Damen und Herren?
Wir werden morgen sagen, wie wir zu dieser Dreiteilung und zu den Dingen stehen. Wir haben morgen noch eine Fraktionssitzung. Man muß natürlich gelegentlich Abstriche an den besten Vorstellungen machen, weil es halt ohne den Bundesrat nicht geht. Wir werden noch in einer Fraktionssitzung darüber sprechen, ob das jetzt schon die endgültigen Abstriche sind. Das, was jetzt als Konzept auf dem Tisch liegt, beinhaltet mehr, als wir gegenwärtig haben. Es ist zwar auf dem Gebiet der Bildungspolitik weniger als erwünscht, aber mehr als gar nichts, und bisher haben wir gar nichts. Ich will diese Debatte aber nicht vorwegnehmen. Meine Freunde kommen darauf zurück.
— Nun mal langsam! Sie müssen mich doch hier in Ruhe das extemporieren lassen, was ich heute zu extemporieren vorhabe.Meine Damen und Herren, nun zunächst zu ein paar außenpolitischen Fragen, die Herr Mischnick aufgegriffen hat. Er hat wiederholt, was sein Parteivorsitzender gestern nach einer dpa-Meldung — er hat es wiederholt, also stimmt es — gesagt hat. Uns wird der Vorwurf gemacht, wir hätten es — so hat der Vorsitzende der FDP gesagt, und der Fraktionsvorsitzende hat es soeben in einem Halbsatzwiederholt — fertiggebracht, uns außenpolitisch zwischen alle Stühle zu setzen. Ein böser Vorwurf! Zugleich wurde in derselben Rede der Herr Bundesminister des Auswärtigen gelobt, und zwar mit den Worten, Brandt habe als Außenminister „eine gute Figur gemacht". Also, verehrter Herr Außenminister, ich würde mir das verbitten, daß es ein Lob ist, dafi Sie zwischen allen Stühlen sitzen und dabei eine gute Figur machen,
es sei denn — das ist doch ein ganz schwerer Angriff, meine Damen und Herren! —, man hält denjenigen für einen guten Parteiführer, von dem man sagt, er bewege sich mit elegantem Charme zwischen allen Fronten; das würde ich auch nicht gerade für ein Lob halten.
Daß der Vorwurf in der Sache nicht stimmt, wissen Sie.
— Ich habe doch von jemandem gesprochen, den ich vorhin hier abgebildet gezeigt habe, wie er sich auf dem Schaukelstuhl bewegt. Das ist doch nicht mein Bild, meine Damen und Herren! Das ist doch nur hier in die Debatte eingeführt. — Also, gehen wir mal ein bißchen weiter in dieser Frage. Daß das in der Sache nicht stimmt, weiß, glaube ich, jeder. Das war zuletzt z. B. bei der Solidarität der Verbündeten zu verspüren, als wir in Berlin waren. Niemand wird bestreiten, daß im Augenblick z. B. die Beziehungen zwischen den USA und der Bundesrepublik Deutschland — um nur einen Punkt herauszugreifen — besser sind als seit langer Zeit.
Aber ich möchte nun gern die Debatte aufnehmen, die wir vorher über Europa hatten, weil wir dann nämlich am Schluß sehen werden, wer sich völlig isoliert zwischen alle Stühle gesetzt hat. Da hat also der Vorsitzende der Freien Demokratischen Partei in eben dieser Rede von gestern erklärt, endlich sollte die Bundesrepublik Deutschland in allen von der EWG nicht gedeckten Bereichen bald zu einer konkreten europäischen Zusammenarbeit kommen, wie dies Großbritannien vorschlage; soweit der Text.Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, da hat nun unglücklicherweise — für Sie unglücklicherweise; für Europa glücklicherweise — vorige Woche am 11. März eine sehr wichtige Tagung in London stattgefunden. Zum erstenmal in der europäischen Geschichte haben an dem Monnet-Komitee hervorragende Vertreter der drei großen britischen Parteien teilgenommen; die haben wir dort eingeladen. Die deutsche Politik hat viel daran mitgearbeitet, daß es dazu kam. Diesem Komitee gehören alle Parteien in Europa an, auch die Liberalen, die FDP auch. Es fehlen in dem Komitee bedauerlicherweise die Gaullisten und — noch — eine andere französische Gruppe. Auch die Gewerkschaften gehören dazu. Die Kommunisten fehlen; das ist richtig. Dieses Komitee, in dem also die Freien Demokraten ebenso wie die Liberalen aus England und die Konservativen und die Vertreter der Labour-Partei aus England vertreten sind, hat sich mit Europa befaßt, und da hat es keine Stimme dafür gegeben, eine neue Institution zu schaffen, etwa britische Vorschläge, sondern es gab nur einen einstimmigen Beschluß, darauf hinzuwirken, das Bestehende zu erhalten und auszubauen, und zu zeigen, wie dies geschehen könne. — Sehen Sie, so setzt man sich ohne Sachkenntnis zwischen alle Stühle in Europa. Und nun sehen Sie alle, wer wo wie sitzt!
Niemand will das außer Ihrem Parteivorsitzenden. Dann soll er nicht sagen, andere, die hier verantwortlich ihre Arbeit tun, setzten sich zwischen alle Stühle. Lassen wir ihn auf dem Schaukelstuhl sitzen, meine Damen und Herren!Nun noch ein anderer Punkt, der offensichtlich immer wieder eine Rolle spielt. Der Herr Kollege Mischnick hat gesagt, es sei eigentlich Sache der Richtlinienkompetenz des Kanzlers, auch in der Frage des Sperrvertrags endlich Klarheit zu schaffen. Diese Frage eignet sich an keiner Stelle zu einer heiteren Bemerkung. Aber ich weise die Unterstellung zurück — ich tue dies ganz ruhig —, daß hier irgend jemand — das sage ich für meine ganze Fraktion — „aus parteipolitischen Gründen" mit diesem Vertrag ein Spielchen treibe. Das weise ich zurück.
Ich frage mich vielmehr, ob es förderlich ist, in einem Zeitpunkt, in dem diese Bundesregierung entsprechend den Vorschlägen, die auch Sie unterstützt haben, auch mit der Sowjetunion über solche Dinge
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Dr. Barzelzu sprechen versucht, zur Unzeit auf Entscheidung zu drängen, bevor Klarheit ist. Das frage ich mich hier, meine Damen und meine Herren.
— Eine Sekunde, Herr Ertl, Sie kommen gleich dran.Die Zwischenfragen meines Freundes Birrenbach haben schon einiges deutlich gemacht.
Aber, Herr Kollege, haben. Sie nicht mit uns erlebt, daß plötzlich im ,Zusammenhang mit der sowjetrussischen Berlin-Politik die Propagandabehauptung aufgestellt wurde, dort würden von der Industrie rechtswidrig Güter erzeugt mit allen Folgen, die diese falsche 'Propaganda hatte? Haben Sie das erlebt? Und dann wollen Sie hier vielleicht eine Unterschrift in einer unklaren Situation, 'die übermorgen zu ähnlicher Propaganda gegen die gesamte deutsche Volkswirtschaft 'in ihren entscheidenden Punkten benutzt werden könnte?!
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11964 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
— Passen Sie einmal auf, Herr Dorn: auf Ihre Lautstärke kommt gleich etwas, was hoffentlich uns alle miteinander nachdenklich machen wird! Ich finde, wir alle vergessen zu schnell den desolaten Zustand Europas, der uns am 21. August deutlich geworden ist. Wir vergessen zu schnell, was Europäer in Europa leiden müssen! Wie oft haben wir darüber geklagt! Was hat Ihr Kollege Mende, als Minister für gesamtdeutsche Fragen, alles angestellt — er ist mit einer Denkschrift zur UNO gefahren —, um die Welt auf die Verletzungen von Menschenrechten in Deutschland aufmerksam zu machen! Wir waren böse darüber, daß wir oft kein Echo fanden. Und was passiert nun in unserem Nachbarland? Vorige Woche brachte eine deutsche Zeitung eine Meldung von zehn Zeilen — soweit ich sehe, war es die einzige —, und diese zehn Zeilen möchte ich hier mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen. Es heißt dort:Prag, 11. März. — In der Tschechoslowakei hat sich ein weiterer junger Mann selbst verbrannt. Radio Prag berichtete, ein 18jähriger tschechischer Fabrikarbeiter habe sich in der östlich von Prag gelegenen Stadt Kutna Hora mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und angezündet. Er sei bewußtlos in ein Krankenhaus eingeliefert worden und zwei Stunden später gestorben. Seit Januar dieses Jahres haben sich damit etwa 30 junge Tschechoslowaken selbst in brennende Fackeln verwandelt.12 Zeilen! Das ist europäische Realität. Hier, meine Damen und Herren, wird der Kern dessen deutlich, um was es hier geht, und dazu hätte ich gern von der Opposition etwas gehört. Es geht um die Menschenrechte, um die geistige Freiheit. Das ist das Problem dieser Zeit. Ob Sie die Not und das Elend in der dritten Welt nehmen, ob Sie die deutsche Frage, die europäische Frage nehmen, es geht um die geistige Freiheit und um die Menschenrechte. Das ist von dieser Opposition nicht einmal angedeutet worden. Die geistigen Prozesse sind das Hauptproblem.
Früher haben wir gesagt: was muß da passieren, daß Menschen des Nachts ihren Hof zumachen, vielleicht noch einmal das Vieh füttern, um dann für immer wegzugehen? Wir waren böse, daß keiner das hörte. Was muß geschehen sein, daß junge Menschen — jetzt 30 an der Zahl — sich selbst in Fackeln verwandeln? Das ist eine Herausforderung, die es zu bestehen gilt.Zu dieser politischen Aufgabe, zu dieser Pflege der Menschenrechte und der geistigen Freiheit gehört auch die soziale Basis, über die wir in den nächsten Tagen zu sprechen haben werden. Dazu gehört auch die Lohnfortzahlung, gehören die Bildungsprobleme. Auch das spielt eine Rolle.Wir hätten mehr erwartet. Dieser Aufguß war für die angekündigte „Jagd" zu wenig. Wir warten auf mehr, — wir wollen nämlich munterer werden durch die Opposition.
Das Wort hat Herr Kollege Schmidt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte vorweg gestehen dürfen, daß es mich Überwindung kostet, heute morgen hier zu sprechen. Denn wir waren eigentlich auf einen großen Tag eingestellt;
das war uns angekündigt worden. Nun habe ich nicht das Gefühl, daß die zum Einzelplan 04 — Bundeskanzleramt — durch den Fraktionsvorsitzenden, den Sprecher der FDP gemachten Ausführungen es wirklich nötig machen, daß man den Bundeskanzler gegen seine Angriffe verteidigt. Manchmal hat er nötig, verteidigt zu werden. Er hat auch Anspruch darauf, von seinen Koalitionspartnern bisweilen verteidigt zu werden. Aber dies heute morgen kann der Bundeskanzler selbst mit der linken Hand erledigen.
Es tut mir leid, Sie haben nämlich — — Ich möchte mal zu Zeiten der Großen Koalition, Herr Mischnick, an Ihrer Stelle der Oppositionsführer sein! Welche Chancen haben Sie vertan, welche Chancen!
Sie haben eine staatspolitische Aufgabe in diesem Hause. Weiß Gott ist in Deutschland nicht alles gut und nicht alles in Ordnung. Weiß Gott machen diese beiden Parteien, die gemeinsam regieren, Fehler. Weiß Gott macht diese Bundesregierung Fehler, hat Versäumnisse zu verantworten. Aber was sagen Sie? Man solle zwar dieselbe Politik treiben gegenüber Paris, aber ein bißchen härter. Man solle die Länderreform machen, man solle die Finanzreform richtig machen. Und wenn man Sie dann bittet, konkret zu werden, ist alles, was danach kommt, im Stil der Zeitungsanzeigen, die wir überall jetzt sehen: die mit dem Zöpfeabschneiden, ohne daß man daraus entnehmen kann, welcher Zopf gemeint ist.
Mir tut es wirklich weh, daß hier eine Chance vertan worden ist. Sie sagen, es sei, beinahe gegen Ende der Legislaturperiode der Großen Koalition, der Zeitpunkt, um Bilanz zu ziehen. Mir tut es leid, daß Sie die Chance dazu nicht wahrnahmen. Es gibt bei uns, auch bei der CDU und CSU, Leute, denen es Spaß macht, im Parlament zu debattieren, sich notfalls auch sehr streitbar auseinanderzusetzen. Heute aber muß .man sich ja selber Mühe geben, sich in Zorn zu reden bei dem, was man gehört hat.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969 11965
Schmidt
Es ist nämlich nicht so, daß, wenn heute, was ich zugebe — nach einer Zeit von zweieinviertel Jahren Großer Koalition —, manches in unserem Lande, in unserer Gesellschaft aufbricht, was wir nicht nur mit Freude und mit Begeisterung sehen, Herr Mischnick, dieses so geschieht, weil angeblich diese Koalition zu groß und zu stark und zu überwältigend sei. Es ist auch so, weil die FDP-Opposition immer noch ihre geistige und politische Rolle nicht zu spielen vermag.
Sie haben sich als Opposition ein paarmal im Laufe der letzten Jahre beklagt. Wir haben Ihnen nun parlamentarisch-technisch alle Möglichkeiten geboten. Das hat es zu den Zeiten, wo Kurt Schumacher oder wo Erich Ollenhauer oder wo Fritz Erler die ersten Sprecher der sozialdemokratischen Opposition waren, nie gegeben, daß eine Haushaltsdebatte von dem Führer der Opposition mit einer großen Rede eröffnet wurde. Das haben wir Ihnen selbstverständlich eingeräumt — wie vieles andere auch. Wir haben gar nicht darüber gestritten. Sie haben uns auch gar nicht zu bitten brauchen; das war uns selbstverständlich — aus unserer eigenen Erfahrung —, und die CDU/CSU hat sich auch nicht lange bitten lassen. Es ist nicht so, daß Sie keine technische Möglichkeiten hätten, sondern es ist so, daß Sie selber nicht das Gewicht auf die Waage bringen. Ich sehe Herrn Scheel lieber an diesem Pult als auf dem Präsidentenstuhl sitzen; das muß ich ganz ehrlich sagen. Herr Scheel, man kann nicht zugleich draußen im Lande die Politik bewegen und hier den Präsidenten machen.
Ich bitte um Entschuldigung. Das war keine Polemik gegen den amtierenden Bundestagspräsidenten, sondern gegen den Vorsitzenden der Freien Demokratischen Partei.Nun ist Herr Mischnick sicherlich in einer mißlichen Lage gewesen, weil er, zum Bundeskanzler hin sprechend, über viele Felder hin Bemerkungen hat machen müssen oder machen wollen. Im Grunde war sein Hauptthema die Richtlinienkompetenz oder — etwas abgewandelt — die Große Koalition. Ich will nicht auf alle Ihre Punkte anworten, will auch nicht nochmals auf die Punkte eingehen, zu denen Herr Barzel sich schon eingelassen hat, obwohl ich durchaus Nuancen zum Ausdruck zu bringen hätte.
— Aber dies ist ja keine außenpolitische Debatte, sondern eine Debatte zum Einzelplan 04, Herr Ertl. Die außenpolitische Debatte kommt anschließend beim nächsten Haushaltseinzelplan. Da werden wir ja die Konkretisierung hören, die angekündigt wurde. Ich rede jetzt zur Großen Koalition und zum Bundeskanzlerhaushalt und zur Richtlinienkompetenz.Zur Bundesregierung insgesamt hat Herr Mischnick am Anfang mit der Leichtigkeit der Polemik, die ihm eigen ist und zustatten kommt, ein bißchen über die angeblich — ich weiß es auch nicht genau —für gestern abend angekündigt gewesene Sondersitzung gesprochen, die dann doch nicht stattgefunden habe, und gesagt, das Ganze sei doch ein Zeichen für Durcheinander. Ich möchte dazu für meine Freunde etwas sagen dürfen, ohne daß ich weiterhin auf Herrn Mischnick repliziere, denn auch wir haben ja zum Bundeskanzlerhaushalt und zur Großen Koalition bei dieser Gelegenheit einiges zu sagen. Wir haben nicht gewünscht, daß die Bundesregierung wie Ziethen aus dem Busch am Dienstagabend eine Erklärung über irgendeine besonders dramatische Konjunktursituation abgebe.
Wir sind einigermaßen erstaunt, muß ich sagen, daß wir seit Wochen in den Zeitungen lesen, wir hätten es mit einer besonderen Lage zu tun, die dieses Haus bisher so nicht gesehen habe.
— Das geht auf beide, lieber Herr Ertl. Wenn Sie das richtig verstehen und die Zeitungen gelesen haben, werden Sie sehen, daß es auf beide geht. Es ist ja offenbar nicht nur ein Minister einer Partei an dieser Sache beteiligt.Ich finde es ganz gut, wenn die Bundesregierung nach draußen deutlich macht, daß sie auch die andere Seite des Instrumentariums des Stabilitätsgesetzes benutzen will, daß ihr das damals nicht nur ein Lippenbekenntnis war. Insofern begrüße ich das, was die Bundesregierung offenbar vorhat. Es ist ein Zeichen der Ehrlichkeit und ein Zeichen dafür, daß man die unangenehme Seite, die es da gibt, nicht nur verbal hat in Kauf nehmen wollen, sondern sie auch verantworten will.Andererseits bin ich dagegen, daß die Lage dramatisiert wird. Die Preise sind im Februar 1969 um 2,3 % höher als im Februar 1968. Im Januar waren sie im Vergleich zum entsprechenden Vorjahrsmonat nur um 2,1 % höher, im Dezember um 2,7%. Das geht also hin und her. Nun bitte ich doch einmal deutlich zu sehen, daß von diesem Preisanstieg ein Drittel auf die Nahrungsmittel und fast der ganze Rest auf die Verteuerung der Mieten entfällt. Das heißt, wir haben es mit Preisanstiegen zu tun, die durch administrative Preisveränderungen herbeigeführt sind. Das bitte ich auch die Bundesregierung sich einmal deutlich anzuhören. Wir haben es mit administrativ herbeigeführten Preisveränderungen in zwei großen Gebieten zu tun. Wegen dieser spezifischen Ursachen ist die Möglichkeit, binnenwirtschaftliche Dämpfungsmaßnahmen zum Erfolg zu bringen, nicht besonders groß.Es kommt drittens hinzu — und das allerdings macht auch mich besorgt, hier verstehe ich die Besorgnis der Bundesregierung —, daß die Preiserwartungen, wohl infolge des nach wie vor großen Zustroms von Auslandsaufträgen, im allgemeinen nach oben gerichtet sind. Das sehen wir durchaus. Deswegen ist ,es ganz gut, wenn die Regierung zeigt, daß sie bereit ist, etwas zu tun. Aber ich meine, es hat niemand in der Bundesregierung und niemand in der öffentlichen Meinung eine Rechtfertigung dafür, hier irgendeine Dramatisierung in die Situation zu bringen. Das hat ja übrigens auch
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11966 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Schmidt
nicht einmal Herr Mischnick getan. Sondersitzungen des Bundestages sind in dieser Lage absolut überflüssig. Wer immer sie erfunden hat, der möge sich schämen.
Ich vermute, — nein, ich will die Vermutung für mich behalten.
— Ich kann sie ja trotzdem aussprechen: ich vermute, daß es die ganz Weisen im Ältestenrat des Deutschen Bundestages waren.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Rasner?
Herr Kollege Dr. Schmidt, darf ich Ihnen empfehlen, in den Kreis Ihrer Vermutungen auch Ressortminister beider Fraktionen einzubeziehen?
Gern! Im übrigen, Herr Rasner, bin ich einer von den wenigen Deutschen, die es bis zum Doktor nicht bringen werden und trotzdem, wie ich hoffe, in Ihren Augen etwas taugen.
Zum Ernst zurück! — Herr Mischnick, Sie haben hier beklagt und haben ein paar Beispiele dafür angedeutet, daß die beiden regierenden Parteien in mancher Frage uneins seien. Das können Sie ja im Ernst nicht beklagen; denn wenn Sie sich vorstellen, daß die beiden regierenden Parteien in allen Fragen wirklich einig wären, dann wäre Ihr Schicksal besiegelt.
Aber auch wenn Sie den parteiegoistischen Standpunkt der FDP einmal außer acht lassen, wenn Sie sich auf einen allgemeinen staatspolitischen oder gesellschaftspolitischen Standpunkt der Interessen unseres Landes stellen, können Sie doch nur zufrieden sein, daß zwei Jahre Großer Koalition in keiner Weise die Gefahr heraufbeschworen haben, daß sich die Unterschiede zwischen den beiden großen Parteien irgendwie verwischt haben. Das können Sie doch nur begrüßen. Ich bin ja bereit anzuerkennen, Herr Mischnick, daß Sie und Ihre Fraktion von Zeit zu Zeit durchaus erfolgreich den Keil zwischen die beiden regierenden Parteien getrieben haben. Aber Sie können doch nicht gleichzeitig — so auch heute morgen hier — den Keil treiben und, wenn Sie damit irgendwo einmal ein paar Millimeter Erfolg haben, sagen, das sei aber eine große Schande und eine Gefahr für das deutsche Volk. Für eines von beidem müssen Sie sich doch entscheiden.Ich habe vorhin schon mit Zwischenfragen auf das Dilemma der Entscheidungsnotwendigkeit bei der FDP hingewiesen. Mir fällt da ein Beispiel ein. Jetzt ist Herr Rasner leider um dringender Geschäfte willen aus dem Saal gegangen.
Ich hätte ihn bei dem Beispiel gern angeguckt. Ich weiß nicht, ob Herr Genscher da ist. Ihn hätte ich auch gern angeguckt. Die Geschäftsführer sind also draußen. Was die da wohl machen!
Darauf wollte ich nämlich zu sprechen kommen. Die beiden Herren hätte ich sonst nur angeguckt, ohne sie namentlich zu nennen. Manchmal entrieren die beiden auch solche Geschäfte. Bei Herrn Rasner ist es klar, das ist ein ganz alter Fuhrmann in diesem Hause, der nimmt, wo er es kriegen kann. Herr Genscher ist auch nicht so ganz neu in dem Geschäft. Er sagt sich: versuchen wir mal, ein Geschäft — ich drücke mich etwas salopp aus, aber im Stil der Rede, die den Morgen eröffnet hat — mit dem Herrn Rasner, mit der CDU/CSU zu machen. Damit wird dann das eingepackt, was an einem anderen Tage gemeinsam mit uns gemacht wird. Hinterher kommt wieder ein Geschäft mit der CDU-Seite. Das ist alles parlamentarisch zulässige, sogar notwendige Taktik. Ich würde nie zu denen gehören, die den hier doch in gewisser Weise implizierten Wettkampfcharakter, Mannschaftssportcharakter, der auch im Parlamentarismus steckt, mit der Vokabel „parteipolitisch" abtun, die mich aus Ihrem Munde, Herr Mischnick, heute morgen etwas betrübt hat. Es hat mir mißfallen, daß Sie das in abfälliger Weise gesagt haben. Ich weiß nicht, ob Sie es so wiederholen würden; vielleicht würden Sie es das nächste Mal anders ausdrücken. Aber das müssen Sie doch sehen: Ich beanstande es nicht, wenn die Parteien hier im Parlament miteinander ringen und es dabei auch Tricks gibt. Sie machen ja eine ganze Menge Tricks — manche gelingen.
Nur, so ist es nicht, daß das Reden über diese Tricks oder das Reden darüber, wo andere einig sind, während sie uneinig sein sollten, oder uneinig sind, während sie eigentlich einig sein sollten, allein schon die Substanz dessen ausmachen kann, worum es hier geht. Ihnen geht es im Augenblick darum, Ihrer eigenen Anhängerschaft, sich selbst und der öffentlichen Meinung zu vermitteln, daß Sie nach der Wahl des neuen Bundespräsidenten, die am 5. März in Berlin stattfand, nunmehr koalitionsfähig nach allen Seiten seien. Das ist Ihr Anliegen. Das haben Sie im Grunde auch heute morgen hier verfolgt: sich möglichst gleich weit von allen zu distanzieren, sich möglichst gleich weit allen beiden anzunähern. Das haben Sie im Grunde auch heute morgen verfolgt. Das halte ich auch für richtig, weil ich es für erlaubt halte, daß politische Parteien manövrieren. Ich halte das, was Sie da machen, für durchaus zulässig. Nur müssen Sie die Bedeutung dieser Taktik in der richtigen Größenordnung sehen.Ich will auch einmal von den anderen beiden Fraktionen und deren Koalitionsfähigkeiten sprechen. Die CDU war bis zum November 1966 — mit
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vorübergehenden und vereinzelten Ausnahmen — im Grunde kontinuierlich koalitionswillig nur nach rechts. Die FDP ist seit dem 5. März 1969 — jedenfalls möchte sie sich so verstehen — erstmalig koalitionswillig auch nach links. Die Sozialdemokraten waren und sind bereit zu Koalitionen, wenn Koalitionen zur Regierungsbildung und zur Gesetzgebung notwendig sind. Wir sind bereit sowohl zu einer solchen wie zu einer solchen Koalition — das war auch schon im November 1966 so —, in jedem Falle einer Koalitionsnotwendigkeit.Sie wissen auch aus eigener Erfahrung — Sie haben ja in Bonn viel mehr Koalitionen gebildet, Herr Mischnick, als wir, daß, wenn es zum Schwur kommt, zwei Bedingungen erfüllt sein müssen. Die eine Bedingung ist sehr schnell zu klären: es müssen bei einer Koalition sichere Gesetzgebungsmehrheiten zustande kommen. Ob die andere Bedingung, die aus vielen Einzelbedingungen besteht, erfüllt ist, ist sehr viel schwieriger zu beantworten, nämlich die Frage: welches sind die sachlichen Einigungen auf den vielen einzelnen Sachfeldern der Politik, die zwei Partner miteinander eingehen und wo sie sich gegenseitig darauf verlassen, daß diese dann auch gemeinsam verifiziert, verwirklicht werden? Darüber helfen uns auch gegenseitig die Reden unserer Hauptgeschäftsführer oder Bundesgeschäftsführer unserer Parteien nicht hinweg, da helfen uns auch die Anzeigenkampagnen nicht, die wir alle im Augenblick in den Zeitungen treiben.
— Nicht alle? — Na ja, ihr haltet euer Pulver trokken; das kommt dann auch noch.
Das hilft uns beides nicht darüber hinweg.
Im Grunde geht es letztlich um die Frage: wo ist ein Maximum an Substanzeinigung möglich, und wie bewerten wir das? Deshalb meine ich im Gegensatz zu Herrn Mischnick, es ist heute nicht der Zeitpunkt, aufzuzählen, was diese gegenwärtige Koalition alles geleistet hat. Das machen, wie gesagt, gegenwärtig die Bundesgeschäftsführer der beiden Parteien — nicht immer ganz glücklich, Herr Barzel.
— Darf ich Ihr Lachen als Zustimmung nehmen?
Ich würde doch gern die Gelegenheit benutzen, im Gegensatz zu Mischnick weder die bisherigen Leistungen noch die Versäumnisse darzustellen, sondern ich möchte auf das eingehen, was im Laufe der nächsten vier Monate noch geschehen muß. Und da wäre ich dankbar, auch die Reaktion auf den Gesichtern der Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion erkennen zu können.
Schauen Sie, wir haben hier jetzt ganz schön Iden wirtschaftlichen Aufschwung und die finanzielle Gesundung zustande gebracht, auch wenn Herr Mischnick das nicht gern anerkennen mag. In Wirklichkeit ist beides in einem guten Stande. Wir haben das aber idoch nicht um des Selbstzwecks willen getan, sondern wir haben es getan, um auf diese Weise eine wesentliche Voraussetzung zu schaffen oder eine wesentliche Bedingung wiederherzustellen für die Erfüllung von großen gesellschaftlichen Gemeinschaftsaufgaben. Die erste Notwendigkeit war die, in der Rezession den sozialen Besitzstand zu sichern, die zweite ist die, im Aufschwung den sozialen Ausbau unserer Gesellschaft voranzutreiben — im Aufschwung! Dabei sind wir jetzt, und wir möchten nicht gern diese von uns geschaffene Aufschwungs-phase verpassen, wir möchten auch nicht gern, daß sie unzureichend genutzt bliebe für alles das, was nur in einer solchen Phase wirklich möglich ist und was in der Rezession ganz gewiß nicht möglich war.Wir möchten, daß die berufliche Entfaltung und die Sicherung der Existenz in der Arbeitswelt in dieser Phase noch besser ausgebaut wird als bisher; wir möchten eine langfristig fundierte Sicherung — auch finanziell fundierte Sicherung — des Lebensabends schaffen; wir wollen den Ausbau der sozialen Sicherung im Krankheitsfalle. Wir würden es für ein ganz schwerwiegendes Versäumnis dieses Parlaments und dieser Koalition halten, wenn trotz der günstigen konjunkturpolitischen Voraussetzungen in den nächsten Wochen die gesellschaftspolitische Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten für den Fall, daß sie krank sind, nicht zustande käme. Wir glauben, daß sie zustande gebracht werden kann. Wir sehen die Möglichkeit zu gemeinsamer Gesetzgebung aus den Entwürfen beider Fraktionen. Ich will deren erste Lesung hier gewiß nicht vorweg nehmen, will aber hinzufügen, daß zu der Lohnfortzahlung und zu der Besserstellung der Angestellten in der Krankenversicherung eben auch das Ausbildungsförderungsgesetz gehört, daß auch die Arbeitsmarktanpassungsvorhaben des Berufsausbildungsgesetzes und des Arbeitsförderungsgesetzes dazu gehören. Ich will sagen, daß die Themata, die im Städtebauförderungsgesetz umschlossen sind, allerdings notwendige gesellschaftspolitische Reformen sind, die bei dieser Gelegenheit vorangebracht werden müssen. Ich weiß gar nicht, wie tief unten man in der Situation eines neuen Parlaments und zumal einer neuen Regierung wieder ansetzen müßte, wieviel von der vorgetanen Arbeit versinken würde, untergehen würde, wenn wir in diesen letzten Monaten etwa den Atem nicht mehr hätten, um alle diese Dinge, die wir verabredet haben, auch wirklich zu machen.
Ebenso gehört die Finanzverfassungsreform dazu. Wir haben uns damit gestern in unserer Fraktion sehr schwer getan. Ich sehe, daß sich andere damit auch sehr schwer tun. Aber auch hier hätte ich große Besorgnis, was wohl mit all der vorgetanen Arbeit passieren würde, mit den unendlich vielen Bemühungen, Anstrengungen, der Energie, die man investiert hat, den Kompromissen, die man mit den und unter den Ländern geschlossen hat. Was würde wohl geschehen, wenn wir das alles absinken ließen in das parlamentarische Nichts? Es müßte alles eine
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11968 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Schmidt
Legislaturperiode später wieder neu angefangen werden, und vier Jahre wären vertan. Es wäre eine Verzögerung von vier Jahren, liebe Freunde! Das man dabei viele schreckliche Dinge — dem einen sind sie hier schrecklich, dem anderen ist etwas dort schrecklich und dem dritten ist wieder anderes unerwünscht —, daß man vieles dabei in Kauf nehmen muß, was unerwünscht ist, das wissen wir alle. Wir möchten aber in dieser Legislaturperiode auch noch die zugehörigen Ausführungsgesetze unter Dach und Fach haben.Ich sehe mit einer gewissen Besorgnis, wie wir uns von manchen Leuten draußen im Lande anstecken lassen und daß Parlamentsdebatten wie hier zum Einzelplan 04 mehr Wahlkampfstil annehmen, als das im Augenblick schon erlaubt sein dürfte. Hier ist noch verdammt viel Arbeit zu machen bis zum 30. Juni. Ich appelliere eigentlich an alle in diesem Hause, an meine eigenen Fraktionsfreunde genauso wie an die Opposition und die andere Koalitionsfraktion: lassen wir uns doch bitte nicht anstecken von diesem grassierenden Vorwahlkampfgewühl, machen wir verdammt noch mal unsere Arbeit zu Ende, die hier noch bergeweise auf den Tischen liegt.
Da ist noch das Steueränderungsgesetz mit den implizierten vermögenspolitischen Verbesserungen — der Versuch, bei der Sparförderung größere Gerechtigkeit zu schaffen — und mit den implizierten Förderungen für wirtschaftliche Strukturpolitik auf dem Tisch; da ist noch das Publizitätsgesetz auf dem Tisch; da ist noch die Reform dies Rechts der unehelichen Kinder auf diem Tisch, wo uns das Verfassungsgericht jetzt mit Recht gemahnt hat: „Mach endlich voran, Deutscher Bundestag!" ; da ist noch die Reform des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches auf dem Tisch: ich habe damit, wie mir scheint, nur die im Augenblick gesellschaftspolitisch wichtigsten Dinge genannt, die wir vom Tisch haben möchten, die wir in das Bundesgesetzblatt umgesetzt haben möchten, die wir umgesetzt haben möchten in die gesellschaftliche Wirklichkeit dieses Landes.Dann gibt es ja bei uns immer noch eine Hoffnung, über die in meiner Fraktion gestern lange geredet worden ist. Ich berichte dazu — nicht nur für die Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion, sondern auch für die Kollegen in der FDP, 'die nunmehr nach rechts und links koalitionswillig sind —, daß wir die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben haben, daß Leute, die für Mitbestimmung der Studenten eintreten, gleichzeitig auch für die Mitbestimmung der Arbeiter und Angestellten eintreten,
und daß wir die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben haben, daß Leute, die sich draußen auf ihren Kongressen ausdrücklich als das soziale Gewissen einer großen Partei gerieren, im Grunde nicht so lässig sind, daß sie sich auf den Standpunkt stellen, es komme ihnen auf vier Jahre länger oder kürzer nicht an.
Ich will damit sagen, daß ich immer noch die Hoffnung habe — das spreche ich hier für meine Freunde aus —, daß die Verabschiedung eines Teiles 'der von uns vorgelegten Gesetzentwürfe auf dem Feld der Mitbestimmung in dieser Legislaturperiode von Ihnen ernsthaft in Erwägung gezogen wird. Das ist unser Wunsch. Wir wissen genau, daß wir es mit niemandem verabredet haben, als diese Regierung gebildet wurde. Wir können darum nur bitten, wir können auch nur Argumente vortragen. Wir können hoffen, daß unsere Argumente auf Sie Eindruck machen.Herr Bundeskanzler, ich muß zu einem Punkt etwas sagen, 'in dem ich Besorgnisse habe. Soweit ich sehe, hat der Bundestag 'das, was ihm auf dem Felde der strukturellen Reform im personellen Sektor der Bundeswehr möglich war, in Angriff genommen. Ich appelliere hier nicht an jemand, der innerhalb des Kabinetts die Richtlinienkompetenz ausüben könnte, sondern ich appelliere eigentlich an das Bundeskabinett als Ganzes. Es ist nicht nur eine Sache 'des Ressortministers und man muß nicht erst den letzten Bericht des Wehrbeauftragten dazu lesen — aber ich empfehle jedem Kabinettsmitglied, ihn zu lesen —, um sich darüber klar zu werden, daß wir 'es innerhalb der Bundeswehr mit einer Reihe von Schwierigkeiten, Erscheinungen und Besorgnissen zu tun haben, mit 'denen die Armee allein nicht fertig werden kann.
Wir sind hier in Gefahr, den Armen schuldig werden zu lassen. „Wir" habe ich gesagt, wir alle miteinander. Aber die Führung in solchen Dingen muß von der Bundesregierung ausgehen. Hier sind Probleme involviert, die sehr viel schwieriger sind, als daß jemand einfach sagt: Wir setzen einmal die Wehrpflicht herunter, oder wir verringern einmal die Armee oder verbessern diese oder jene Gehaltsgruppen. Die Probleme sind sehr viel schwieriger, weil sie im internationalen Geflecht Konsequenzen auslösen und Konsequenzen befürchten lassen müssen, nicht nur in Richtung Osten, auch in Richtung Westen und innerhalb unseres Bündnisses. Es sind sehr komplexe Fragen. Gerade deshalb ist es eine Sache, die die Führung der Regierung erheischt. Es ist nicht ein isoliertes Sachproblem, dessen Lösung für sich im Parlament vorangetrieben werden kann. Mir macht dies Besorgnis.Ich will ganz deutlich sagen, daß wir, wie ich glaube, nicht zusehen dürfen, daß die Entwicklung insbesondere innerhalb des Heeres — nicht der ganzen Bundeswehr —, das besonders betroffen ist, ohne etwa besonders Schuld zu haben, wie in den letzten 12 oder 18 Monaten noch ein oder anderthalb Jahre weitergeht. Das würde zu psychisch irreparablen Zuständen führen. Es ist auf die Dauer unerträglich, in einem Lande Wehrpflicht zu haben, wenn von den wehrpflichtigen jungen Leute nur 48% eingezogen werden
und die anderen 52% den ersten 48 % eine langeNase machen. Das ist psychisch gefährdend, sowohl
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969 11969
Schmidt
für die 52% als auch für die 48%, meine Damen und Herren.
Betrachten Sie das bitte nicht als ein militärtechnisches oder als ein Ressortproblem des Herrn Schröder. Betrachten Sie es bitte als einen der ganz wesentlichen Faktoren für die Unruhe in unserer jungen Generation heute. Es ist unerträglich, das auf die Dauer weiterlaufen zu lassen. Ich sage Ihnen ganz offen: Ich habe keine Lösung für das Problem. Ich will auch nicht so tun, als ob wir schon eine hätten. Ich will nur die Bundesregierung und jedermann hier in diesem Saal bitten, sich das zu überlegen und sich darüber klarzuwerden, daß dies nicht andauern darf, bis eine neue Regierung im nächsten Jahr endlich aktionsfähig ist, daß hier Weichen gestellt werden müssen, daß man sich hier den Kopf zerbrechen und ein Bündel von schwerwiegenden Entscheidungen treffen muß, daß man ganz gewiß auch schwere Nachteile in Kauf nehmen muß. Es darf so nicht weiterlaufen.Ich weise darauf hin, daß die Amerikaner ein ähnliches Problem haben, daß sich der neue Präsident in Amerika dieses Problems bewußt ist und öffentlich signalisiert hat, daß er sich des Problems bewußt ist und es prüfen läßt.Übrigens, Herr Mischnick, um zum Schluß auf Sie zurückzukommen: Sie hätten auch ruhig vom amerikanischen Präsidenten sprechen sollen; denn Sie waren auf dem Feld der Außenpolitik ja ziemlich ausführlich zugange. Ich finde, es hätte dem Staat genützt und der Opposition gut angestanden — dabei hätte Sie gar nicht riskiert, der Bundesregierung ein Lob auszusprechen —, wenn Sie ausgeführt hätten — das hätten Sie im Namen des ganzen Hauses tun können —, wie dankbar wir sind, nicht dafür, daß ein amerikanischer Präsident immer wieder einmal die amerikanischen Garantien ausdrücklich wiederholt, sondern dankbar für das Erlebnis, den Präsidenten der Vereinigten Staaten hier unter uns gehabt zu haben, dem gegenüber mancher vielleicht ein leichtes Vorurteil hatte, der uns aber hier alle sehr überzeugt hat.
Das ist sicherlich kein Verdienst der Bundesregierung — nur, Herr Mischnick, wenn man als Oppositionsführer auf außenpolitischen Feldern spricht, dann darf man das eben auch nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Wettkampfcharakters der Politik im Bundestag tun; das Übergeordnete ist das Interesse des ganzen Landes.
Das Wort hat der Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Fraktionsvorsitzenden der beiden Koalitionsfraktionen haben sichbemüht, unserem Fraktionsvorsitzenden eine Fülle von Zensuren — aus ihrer Sicht natürlich schlechten Zensuren — zu erteilen. Ich möchte daher an dieser Stelle, wenn ich die Ankündigung in den ersten Sätzen der Reden der beiden Fraktionsvorsitzenden dieser Regierung mit dem werte, was sie nachher zur Sache ausgeführt haben, betonen, daß sie hier heute morgen außergewöhnliche „staatsmännische" Reden gehalten haben und sie deshalb auch ganz besonders, wenn man den Inhalt wertet, berechtigt waren, kritische Bemerkungen an die Adresse meines Freundes Wolfgang Mischnick zu richten.Meine sehr verehrten Damen und Herren von dieser zahlenmäßig großen Koalition! Sie haben uns vorgeworfen, die Opposition habe in dieser Stunde eigentlich nichts geboten. Nun könnte man fragen: Was kann man denn, wenn man die Ergebnisse der Regierungspolitik der letzten zweieinhalb Jahre hier im Parlament wertet, eigentlich bieten? Ich möchte nachher auf eine Reihe von einzelnen Problemen eingehen.Der Kollege Barzel könnte eigentlich als Leitmotiv für seine Rede den Satz wählen, hier habe er „Feuer frei!" auf von ihm selbst aufgestellten Pappkameraden gegeben, um damit zu erläutern, inwieweit er sich von der Jagd auf die ChristlichDemokratische Union absetzen wollte. Nun, er hat kein Jagdziel genannt, sondern er hat ständig selbst Ziele aufgestellt, die er dann bekämpft hat und die in diesem Hause bisher von meinem Freund Mischnick gar nicht angesprochen waren. Er hat auch kritisiert, genauso wie sein Koalitionskollege Schmidt, daß mein Freund Mischnick auf Fragen der Konjunkturpolitik, der Deutschlandpolitik, auf uns bewegende Fragen der heutigen Zeit, nicht eingegangen sei, hat dabei natürlich großzügigerweise übersehen, daß im Ältestenrat ausdrücklich ausgemacht war, auf diese Fragen bei der Behandlung des Bundeskanzleretats heute nicht einzugehen, weil wir nämlich auf Grund des Antrags der Fraktion der Freien Demokraten im April über die Deutschlandpolitik in diesem Hause sprechen wollen und weil zwischen den Fraktionen ausdrücklich vereinbart war, über die Fragen der Konjunkturpolitik erst morgen zu sprechen.Meine Herren, es ist natürlich auch — ich will hier gar keine Zensuren für die Zukunft erteilen — äußerst problematisch, wenn, obwohl Ihre Fraktionen heute morgen auf Befragen meines Fraktionsvorsitzenden noch einmal ausdrücklich erklärt haben: Jawohl, so werden wir heute verfahren, sie das anschließend hier an dieser Stelle zum Anlaß nehmen, dem Fraktionsvorsitzenden der Opposition, wenn er sich an diese Vereinbarung hält, nachträglich noch Vorwürfe zu machen.Meine Damen und Herren, der Kollege Schmidt hat während der Rede von Herrn Mischnick eine Frage gestellt, nämlich die Frage: Wollen Sie eigentlich die Regierungsparteien durch Ihre Rede auseinandermanövrieren? — Nun, Herr Kollege Schmidt, wenn wir das können, wenn sich uns die Chance bietet, werden wir diese Chance wahrnehmen, im Gegensatz zu dem, wie sich Ihre Fraktion
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11970 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Dornund Partei in der vorigen und in dieser Legislaturperiode verhalten hat.Ich darf zwei ganz konkrete Beispiele bringen. Als wir in der vorigen Legislaturperiode mit den Christlichen Demokraten in der Regierung stehend uns bemühten, durch Initiativen in diesem Hause die Konfessionalisierungsgesetze in entscheidenden Positionen wieder rückgängig zu machen, Gesetze, die die CDU während der Zeit ihrer Alleinherrschaft in diesem Hause gegen die Stimmen der SPD und der FDP verabschiedet hatte, ist der Sprecher der Sozialdemokraten — damals in der Opposition stehend — hier heraufgegangen und hat erklärt, das sei ein Streit zwischen den Koalitionsparteien, die SPD werde sich bei der Abstimmung über diese Frage der Stimme enthalten; sie lehne es ab, die Rolle des Schlichters oder Schiedsrichters in der Koalition zu übernehmen. Das Ergebnis dieser Entscheidung war natürlich, daß es mit den Stimmen der SPD ermöglicht wurde, das weiter fortzuführen, was die SPD wenige Jahre vorher in diesem Hause einstimmig abgelehnt hatte, nämlich die Weiterführung der Politik der CDU.Als wir dann die SPD in der Regierungsposition erlebten und wir in der Opposition die Anträge erneut wieder in diesem Hause vortrugen, hat es der Kollege Hirsch von der SPD wiederum abgelehnt, unseren Anträgen, die früher einmal der Auffassung der Sozialdemokraten entsprachen, zuzustimmen, und zwar mit der Begründung, die FDP wolle nur ein Durcheinander in die Koalition hineingetragen. So garantierte die SPD mit dieser Entscheidung wiederum dafür, daß die Politik der CDU, die sie früher bekämpft hat, auch in dieser Zeit weiter fortgeführt werden kann.Meine Damen und Herren, nun würde sich der Kollege Barzel vielleicht darüber freuen und sagen: Auf diese Weise haben wir, obwohl wir nicht die Mehrheit in diesem Hause haben, jedenfalls erreicht, daß wir unsere Politik in den entscheidenden Fragen immer durchsetzen konnten. Aber ich meine, ganz so einfach, wie das im Herbst des Jahres 1966 aussah und wie es heute von den Koalitionsparteien — weniger an dieser Stelle, aber täglich draußen in der politischen Auseinandersetzung — vorgetragen wird, sollten es sich die Partner dieser zahlenmäßig großen Koalition eigentlich doch nicht machen. Am 13. März dieses Jahres, also vor wenigen Tagen, lief eine Meldung über DIMITAG, die am 14. März in einer Reihe von Tageszeitungen ihren Niederschlag fand. In dieser Meldung wurde von dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, Müller-Hermann, ein Vorwurf erhoben. Von Müller-Hermann wurde in der Meldung nämlich behauptet, Schiller betreibe die Sozialisierung. Im Deutschland-Union-Dienst vom gleichen Tage heißt es dann: „Die SPD betreibt auf einem Umweg eine Sozialisierung großer Industriegruppen." Dann erfolgt ein scharfer Angriff auf diese wirtschaftspolitischen Vorstellungen der SPD.Meine Damen und Herren, es ist an dieser Stelle nicht uninteressant — weil nämlich der Bundeskanzler, wie mein Kollege Mischnick schon gesagt hat, in den letzten Tagen mehrfach darauf hingewiesen hat, daß er die Richtlinien der Politik bestimme, an den Kollegen Müller-Hermann, der ja wohl nach mir sprechen wird, die Frage zu stellen und ihn zu bitten, diese zu beantworten, wieso er eigentlich dazu komme, Angriffe gegen den Bundeswirtschaftsminister und die SPD in dieser Richtung vorzutragen, wenn der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt. Wenn er von seiner Kompetenz Gebrauch machte, könnte dieser Vorwurf doch gar nicht erhoben werden, weil nach den Vorstellungen der Christdemokraten — zumindest nach den Vorstellungen der Christdemokraten auf dem rechten Flügel — eine solche Gefahr in der politischen Auseinandersetzung der nächsten Zeit gar nicht bestehen kann.Ich frage also: Was soll man von dieser Bundesregierung halten, wenn die führenden Abgeordneten der Koalitionsfraktionen sich in dieser Frage so äußern und Vorwürfe gegen einzelne Regierungsmitglieder erheben? Das erinnert mich natürlich an eine Reihe von Artikeln — zwei habe ich ganz besonders im Auge —, die der Kollege Müller-Hermann im Herbst des Jahres 1966 geschrieben hat. In der damaligen Krise der Christlich-Demokratischen Union rief er seine Partei zur Einigkeit auf; er appellierte, in der Auseinandersetzung über nicht so wichtige Fragen hinwegzusehen, denn die Alternative dieser Regierung sei natürlich die Gefahr einer Regierungsbeteiligung der Sozialdemokraten, und die Sozialdemokraten seien — so der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Christlichen Demokraten — nicht regierungsfähig.Vielleicht sieht das heute anders aus, obwohl man natürlich wieder neue Überlegungen anstellen muß, wenn man im Deutschland-Union-Dienst vom 2. Januar dieses Jahres von dem Generalsekretär der Christlichen Demokraten erneut ganz erhebliche Zweifel an der Führungsqualität der SPD ausgesprochen findet. Dort heißt es:Würde die SPD die Wahl gewinnen, ginge die Welt sicher nicht unter,— insofern hat er sich von Konrad Adenauer also schon abgesetzt —aber vielen gingen die Augen auf. Sie würden plötzlich feststellen müssen, daß Regieren mehr bedeutet, als gute Einzelleistungen zu vollbringen.Dann wird noch einmal ausdrücklich festgestellt, daß die Sozialdemokraten keine Führungsqualitäten in der Politik besitzen.Meine Damen und Herren, vielleicht ist es das Ergebnis der zweijährigen Zusammenarbeit in dieser Koalition, wenn der Generalsekretär der Christlichen Demokraten, der ja bis vor wenigen Monaten dem Koalitionskabinett angehört hat, eine solche Erklärung abgibt. Ich frage Sie ernsthaft: Was soll die Opposition in diesem Hause von einer solchen Regierung, die von ihren eigenen Leuten so abqualifiziert wird, halten?
Ich möchte zu einem Beispiel der letzten Tage übergehen. Es war kein Geringerer als der Bundes-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969 11971
Dornfinanzminister und Vorsitzende einer der Koalitionsparteien, Franz Josef Strauß, der — an die Koalition erinnernd — in einem Interview folgendes gesagt hat: „Sie ist eine gute Erfahrung gewesen, doch jetzt hat sie ihre Aufgabe erschöpft." Im ersten Halbsatz dieses Satzes stimme ich mit Herrn Strauß völlig überein. Diese zahlenmäßig große Koalition ist eine gute Erfahrung für alle Parteien in diesem Hause gewesen. Wir haben feststellen können, daß die Sozialdemokraten, nachdem sie in diese Regierung eingetreten sind, eine Fülle von Vorstellungen aufgegeben haben, die sie in diesem Hause in der Opposition permanent und oft auch sehr intensiv vertreten haben. Wir haben feststellen müssen — um als Beispiel ein Zitat des Bundesministers a. D. Dr. Franz-Josef Wuermeling aus seiner Schrift „Leere Proklamation oder ernster Wille — Bittere Wahrheiten zur Bonner Familienpolitik" zu bringen daß diese Koalition die sozialpolitisch schlechteste war, die wir seit 1949 gehabt haben,
und das ausgerechnet unter Beteiligung der Sozialdemokraten. Nun, meine Damen und Herren, Herr Minister Wuermeling ist lange genug Minister verschiedener Regierungskoalitionen und auch der Regierung der Alleinherrschaft der CDU in diesem Hause gewesen. Er weiß sicher einiges davon zu berichten.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Wuermeling?
Bitte schön!
Herr Kollege, sind Sie bereit, genauer zu zitieren? In meiner Schrift steht nichts von einer sozialpolitisch schlechten Bundesregierung drin, sondern es ist lediglich auf den Bereich der Familienpolitik Bezug genommen.
Herr Kollege Dr. Wuermeling, ich wollte nicht aus dieser Schrift zitieren. Insofern — das gebe ich Ihnen zu — habe ich einen Irrtum begangen. Vielmehr habe ich nur auf diese Schrift hingewiesen, worin Sie sich sehr kritisch mit dieser Regierung auseinandersetzen. Das, was ich vorher angeführt habe, habe ich einer Rede entnommen, die Sie, wenn ich mich nicht sehr irre, Anfang des letzten Jahres in diesem Hause zu Protokoll gegeben haben, als Sie hier nicht mehr sprechen wollten, um die Plenarsitzung nicht noch länger auszudehnen. Aber wir haben die Kritik, die Sie gegen diese Regierung hier vorgetragen haben, sehr wohl zur Kenntnis genommen.
— Ich bin sicher, daß Sie noch viel deutlichere Kritik in diesen Fragen an dieser Regierung üben können, als ich selbst es zu tun vermag.Meine Damen und Heren, Herr Strauß hat also gesagt: „Diese Regierung, diese Koalition hat ihreAufgabe erschöpft." Er fährt fort: „Aber das Spiel hat lange genug gedauert." — Herr Kollege Schmidt und Herr Kollege Barzel sind leider nicht mehr da. Ich hätte ihnen beiden gern das Wort „Spiel" in diesem Zusammenhang, das sie vorhin so sehr ernsthaft kritisiert haben, noch einmal expressis verbis vor Ohren geführt. — „Aber dieses Spiel hat lange genug gedauert", sagt Herr Strauß. „Wenn es weitergeführt würde, würde es Schaden bringen." Nun könnten Sie fragen: Für wen? Für unseren Staat? Weit gefehlt. Das hat Herr Strauß nicht behauptet, sondern: „... würde es Schaden bringen für unsere Partei", die Christlichen Demokraten und die Sozialisten. Er beurteilt also das Erfahrungsergebnis der politischen Handlungen dieser Koalition danach, wem es Schaden bringt, nämlich den Parteien dieser zahlenmäßig großen Koalition.Nun, meine Damen und Herren, es ist natürlich sehr einfach, an das zu erinnern, was der Bundeskanzler wenige Wochen, wenige Monate, nachdem diese Koalition gebildet wurde, gesagt hat, als er ausführte, daß diese Koalition, daß diese Regierung und daß diese Parteien auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden seien. Ich kann mir schon denken, daß er für die eine Partei mehr Gedeih im Auge hatte und für die andere Partei mehr Verderb, als er das aussprach. Wenn ich die Zitate der anderen Kollegen der Christlichen Demokraten von Müller-Hermann über Heck bis Strauß aus der letzten Zeit in der Aussage werte, wird sehr eindeutig sichtbar, für wen man hier eigentlich mehr an Gedeih gedacht hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, so beurteilt also die Christlich-Demokratische Union ihren Partner in ihrer Regierungsverantwortung mit ihm. Manche gute Einzelleistung wird bestätigt, wird bescheinigt, aber er ist nicht fähig, die Politik für die Zukunft in unserem Volke und in unserem Lande zu gestalten.Nun drängt sich natürlich die Frage auf: Wie sehen denn die Sozialdemokraten eigentlich ihren Partner? Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten bitte ich dazu wenige Zeilen vorlesen zu dürfen, die die Sozialdemokraten vor wenigen Monaten bei einer Wahl in Hessen über ihren Partner veröffentlicht haben. Es heißt dort:Die CDU hat ihr wahres Gesicht gezeigt. Sie, die sich neuerdings so modern gibt, ließ die Maske fallen. Sie entpuppte sich in aller Öffentlichkeit als das, was sie immer war: die Partei von vorgestern, die nichts gelernt hat, weit schlimmer noch: die nicht die Fähigkeit und den Willen aufbringt, lernen zu wollen. Statt dessen betreibt sie wie eh und je das Geschäft mit der Angst.Man könnte fast sagen — das gehört nicht zu diesem Zitat —: Wer heute morgen Rainer Barzel gehört hat, hat noch einen schlagenden Beweis dafür geliefert bekommen. Aber dann geht das Zitat der SPD weiter:Aber wer anderen Angst macht, hat selbst Angst. Und die CDU hat Angst, weil sie auf die Herausforderung der Zeit keine Antwort hat. Denn der wirkliche Garant für Sicherheit
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11972 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Dornund Ordnung sind rechtzeitige Reformen, und die hat die CDU nicht anzubieten. Sie ist gegen alles: gegen Mitbestimmung, gegen Lohnfortzahlung zum Beispiel. Traurig dabei ist nur, daß sie mit dieser Haltung der Demokratie einen Bärendienst leistet und den Radikalen in die Hände spielt. Denn aufgeschobene Reformen sind der beste Nährboden für Radikale. Bezeichnend ist auch, daß sie bis heute keine Stellung zur NPD bezogen hat.So also die Sozialdemokraten über ihren Koalitionspartner, die Christlichen Demokraten.Dieser Auseinandersetzung zwischen den Koalitionspartnern, die in diesem Hause auch heute morgen wieder so große Einigkeit demonstriert haben, hat dann Helmut Schmidt noch einen i-Punkt aufgesetzt. Er ist nach Bayreuth gefahren, um dort gegen die Rechtsextremisten zu Felde zu ziehen, zusammen mit seinem Koalitionsfreund Freiherr von und zu Guttenberg. Wenn der SPD-Pressedienst Helmut Schmidt richtig zitiert hat, hat Helmut Schmidt in dieser Kundgebung in Bayreuth u. a. folgenden Satz gesagt:Die deutsche Demokratie wird nicht einen Taglänger leben als die deutsche Sozialdemokratie.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich frage mich, woher Herr Kollege Schmidt den Mut nimmt, solche Behauptungen aufzustellen,
und welches Demokratieverständnis er besitzt; denn in diesem Hause, Herr Kollege Mattick, haben seit 1949 nicht die Sozialdemokraten die Mehrheit gehabt. Sie können aber doch nicht bestreiten, daß nach 1945 eine demokratische Entwicklung in diesem Hause Platz gegriffen hat.
— Nein, Herr Kollege Schwabe, ich habe es nicht nötig, mir einen Buhmann aufzubauen. Ich halte mich an das, was in dem Parteipressedienst Ihrer Partei veröffentlicht wird. Damit wird man sich in diesem Hause doch noch politisch auseinandersetzen dürfen.
— Ich habe doch behauptet, Herr Kollege Strohmayr, daß die Sozialdemokratie in diesem Hause nicht die Mehrheit gehabt hat.
— Ich weiß nicht, ob sich das ändern wird. Aber das ist eine Frage, die Sie angeht. Ich zerbreche mir nicht Ihren Kopf. Daß sie in der Vergangenheit über manche Strecken die Mehrheit in diesem Hause nicht gehabt hat, habe ich sehr begrüßt.Es kann doch niemand bestreiten — auch Sie nicht —, daß in diesem Hause parlamentarische unddemokratische Zustände geherrscht haben. Manches hat Ihnen nicht gepaßt; vieles hat auch uns nicht gepaßt. Aber daß wir hier parlamentarisch darum gerungen haben, unsere eigenen demokratischen Vorstellungen durchzusetzen, das kann doch von niemandem, weder in diesem Hause noch außerhalb dieses Hauses, bestritten werden.
— Aber sehr verehrter Herr Kollege, ich bestreite jedem Parteisprecher das Recht, für sich in Anspruch zu nehmen, daß, wenn seine Partei, die auf dem Boden der Demokratie steht — das will ich unterstellen —, nicht mehr existiert, die Demokratie in diesem Staate zu Ende ist. Das kann nicht ein einziger von einer einzelnen Partei in diesem Lande behaupten. Das bestreite ich mit großer Entschiedenheit.Zu den Ausführungen der Kollegen Barzel und Schmidt muß ich doch, insbesondere wenn ich mir die verfassungspolitische Auseinandersetzung der letzten Monate und der letzten 21/4 Jahre in diesem Hause ansehe, einiges sagen. Herr Kollege Barzel hat erklärt, in der Bildungspolitik sei bisher nichts erreicht worden, und er habe von uns eigentlich klare Alternativen dazu erwartet. Nun, wir werden uns über diese Fragen im Laufe der nächsten Tage ausführlich zu unterhalten haben. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren von der ChristlichDemokratischen Union, wenn Sie in den vergangenen Jahren den gleichen Elan in den Landtagen für eine Bildungs- und Schulgesetzgebung aufgewandt hätten — Sie haben ja eine große Zahl von Kultusministern in den Ländern gestellt —, den Sie viele Jahre aufgewandt haben, um unbedingt die Konfessions- und Zwergschulen in unserem Lande zu erhalten und neu zu bauen, dann wäre vieles von der augenblicklichen bildungspolitischen Misere längst beseitigt. Wir haben Hunderte von Millionen DM für Ihre falsche Bildungspolitik der letzten 20 Jahre investieren müssen.
Zu der Auseinandersetzung über den Sperrvertrag hat der Kollege Barzel gesagt, die FDP dränge jetzt zur Unzeit. Der Kollege Birrenbach hat eine Fülle von Fragen gestellt, die — nehmen Sie mir es bitte nicht übel — doch völlig überflüssig waren. Diese Fragen hat sich doch jedes einzelne Mitglied dieses Hauses in der Vorbereitung auf die Auseinandersetzung um diese Problematik selbst gestellt. Glauben Sie denn vielleicht, wir hätten der Schulmeisterei von heute bedurft, um mit diesen Problemen konfrontiert zu werden?
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11974 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
— Herr Kollege Müller-Hermann, nachdem prominente Mitglieder, z. B. Herr Strauß, erklärt haben, daß die Koalition erschöpft ist, frage ich mich natürlich, was wir von einer erschöpften Koalition überhaupt noch zu erwarten haben.
Die Sozialdemokraten haben als Antwort auf das Strauß-Interview einen Katalog von Dingen vorgelegt, die sie noch geregelt haben wollen. Helmut Schmidt hat heute einzelne Punkte dieses Katalogs angesprochen. Rainer Barzel hat sich dazu ausgeschwiegen, weil er mit Schießübungen auf Pappkameraden beschäftigt war. Ich frage Sie aber: Wie soll das mit den Beratungen weitergehen, auch in der Frage der Mitbestimmung? Herr Kollege Schmidt hat sie heute im letzten Teil seines Beitrages noch einmal sehr in den Vordergrund gestellt. Ich erinnere sie mich noch sehr gut der Diskussion in diesem Hause über die Mitbestimmung, als Herr Kollege Schmidt, wie er sagte, wenig vorbereitet — wahrscheinlich weil das Thema auch völlig neu war und nicht seit Jahren die Partei beschäftigt hat — —
— „Wenig vorbereitet", hat er gesagt. —
— Nun, das andere war eine polemische Bemerkung von mir, Herr Kollege Matthöfer. Ich nehme an, daß Sie das noch unterscheiden können. Ich habe absichtlich zwischen den beiden Sätzen auch eine Pause gemacht.
— Natürlich! Sonst sieht er immer gleich die Feinheiten, Herr Kollege Schwabe; ich bin also völlig überrascht, daß er es heute nicht mitgekriegt haben will.Herr Kollege Schmidt hat das hier zu einem Zeitpunkt vorgetragen, als kein einziges SPD-Mitglied auf der Regierungsbank saß. So wichtig war das für die Regierungsmannschaft der Sozialdemokraten. Ich habe in einem Artikel der „Nürnberger Zeitung" einen Vergleich angestellt. Bisher war nur Rainer Barzel als Schlittschuhläufer bekannt. Ich weiß nicht, ob es ein Pflicht- oder ein Kurlaufen von Helmut Schmidt an dieser Stelle zu diesem Thema war. Vielleicht müßte man sich da beim DGB näher erkundigen. Mit Sicherheit aber hat er keine hohen Wertungen für das erreichen können, was er hier im Schaulaufen vorgetragen hat.Meine Damen und Herren, die Koalitionsfraktionen haben in Aussicht gestellt, doch noch etwas zu tun. Wir lassen uns überraschen, Herr Kollege Müller-Hermann, wir warten ab, was Sie in den nächstenWochen noch tun wollen. Sie wie wir wissen, daß wir noch eine Osterpause und eine Pfingstpause zwischendurch haben, und über die Zahl der Ausschußsitzungsmöglichkeiten bis zum Beginn der Sommerferien brauche ich Sie nicht zu informieren, weil Sie viel länger als ich Mitglied dieses Hauses sind und genau wissen, was in dieser Zeit in der praktischen Auseinandersetzung noch erledigt werden kann. Wir Freien Demokraten werden in diesem Hause stets bereit sein, die politische Auseinandersetzung auch in den nächsten Monaten zu führen, und wir werden mit Sicherheit noch vor Beendigung dieser zahlenmäßig großen Koalition — und auch wir sind der Meinung, es wird um der politischen Zukunft unseres Volkes willen Zeit, daß sie zu Ende geht — Gelegenheit haben, uns an dieser Stelle mit dem Ergebnis dieses zweieinvierteljährigen Regierungsbündnisses politisch auseinanderzusetzen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, etwa zum Haushalt des Bundeskanzleramtes eine Rede für meine parlamentarischen Freunde zu halten.
— Ja, oder Kürzungsvorschläge zu machen.
Wir haben bei den Dämpfungsmaßnahmen den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers, aber auch andere Ressorts, sehr sorgsam und schonungsvoll behandelt. Ich wollte vielmehr einen Beitrag zu der Debatte insofern leisten, als ich Sie, sehr geehrter Herr Kollege Dorn, und eventuelle weitere Glanzredner aus Ihren Reihen davon bewahren möchte, sich infolge einer verhängnisvollen, sonst eigentlich gar nicht zu unterstellenden Informationsschwäche auf ein angebliches Interview von mir zur Großen Koalition zu berufen. Das darf ich hier jetzt in aller Deutlichkeit sagen. Denn Sie hätten, wenn Sie sich auf dieses Interview berufen, dessen Werdegang und Inhalt ich in wenigen Sätzen schildern werde, bei der Objektivität, die Ihre Person und Ihre politischen Freunde auszeichnet, zumindest meine Erklärung dazu zur Kenntnis nehmen müssen, und dann hätten Sie sich fairerweise auf diesen Text nicht mehr berufen können.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dorn?
In diesem Falle mit besonderer Freude!
Herr Minister Strauß, eine Erklärung von Ihnen, daß dieses Interview, das überall in Auszügen veröffentlicht wurde — ich habe es allein in vier verschiedenen Zeitungen, darunter auch der
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969 11975
DornCDU nahestehenden Zeitungen, gelesen —, so nicht gegeben worden sei, ist mir nicht bekannt. Aber wenn Sie sagen, so sei es nicht gewesen, dann beziehe ich mich auf ein Interview in der römischen Wochenzeitung „Espresso", die den Sozialisten nahestehen soll,
und daraus habe ich Wortzitate gebracht.
Ja, genau zu diesem Interview habe ich in einer dpa-Meldung, die sicherlich Ihnen und Ihren doch sonst so wohlinformierten Mitarbeitern nicht entgangen sein dürfte, erstens erklärt, daß ich dieses Interview nie gegeben habe, und zweitens, daß meine Meinung zu den Punkten in diesem angeblichen Interview in allen wesentlichen Fragen gefälscht worden ist.
— Sie ist gefälscht worden. Obwohl es leider nicht zum engeren Thema des Bundeskanzlerhaushalts gehört, möchte ich Ihnen hier die genauen Zusammenhänge darlegen, und ich danke Ihnen sehr dafür, da Erwiderungen, die man gibt, normalerweise kaum mehr dieselbe Aufmerksamkeit finden wie das, was ursprünglich die Verwirrung ausgelöst hat, daß Sie mir die Gelegenheit gegeben haben, das von dieser Stelle aus zu tun.
Während der Bundespräsidentenwahl in Berlin hat mich zwischen dem ersten und dem zweiten Wahlgang der Begleiter und Dolmetscher eines italienischen Senators der Sozialistischen Partei — ich habe jetzt den Originaltext; der Senator heißt Lino Januzzi — darauf angesprochen, ob ich bereit sei, ein paar politische Fragen mit dem Senator zu erörtern; er sei als Gastbeobachter seiner Partei bei der Bundespräsidentenwahl in Berlin, er habe auch schon mit anderen Parlamentariern gesprochen und werde noch mit weiteren sprechen. Das Vergnügen, mit ihm gesprochen zu haben, hatten Herr Willy Brandt — aber nur kurz, das hat auch der Dolmetscher bestätigt —, ferner Herr Helmut Schmidt und Herr von Thadden. Ich weiß nicht, warum man die Führung der FDP dabei ausgeklammert hat. Das ist an sich vielleicht eine Unterbewertung gewesen.
— Ich sage ja, die Zusammensetzung war: Willy Brandt, Helmut Schmidt, dann Strauß und Herr von Thadden. Mit denen hat er laut seinen eigenen Angaben, wie sie auch vom Dolmetscher bestätigt werden, gesprochen. Über Willy Brandt sagte er, dieser habe nur wenig Zeit gehabt; denn dieser habe ein kurzes Treffen mit Herrn Scheel gesucht, habe deshalb Herrn Helmut Schmidt am Arm gepackt, und alle drei seien hinter einen Vorhang verschwunden.
So habe ich mir jetzt eben den Text von demselben
Dolmetscher, der in Berlin war, vor drei Minuten
draußen übersetzen lassen, da meine Kenntnis des Italienischen nicht voll ausreicht, um hier alle Feinheiten zu verstehen.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte das gern zusammenhängend darstellen. Aber wenn Sie unbedingt wollen.
Herr Minister, ist Ihre Art der farbigen Darstellung eine unmittelbare Folge Ihrer neuesten orientalischen Erfahrungen?
Entweder waren Sie schon ein paar hundert Jahre im Orient, wenn ich an Ihre früheren Reden denke,
oder Sie vermögen sich so in orientalische Gepflogenheiten einzuleben, daß Sie ohne Aufenthalt dort sich hier gelegentlich als echter Orientale benehmen,
was Farbigkeit der Rede, Saftigkeit des Inhalts, Ausdruckskraft der Gebärden betrifft.Der betreffende italienische Senator hat mir seine Visitenkarte gegeben, und ich habe ihm mitgeteilt, daß ich voraussichtlich um 12.30 Uhr, zwischen dem zweiten und dritten Wahlgang, Zeit hätte, ihm ein paar Fragen zu beantworten. Ich habe das aus reiner Höflichkeit getan. Es war mit keinem Wort davon die Rede, daß dieses Gespräch verwendet werden sollte. Es war mit keinem Wort davon die Rede, daß er Mitherausgeber einer italienischen Wochenzeitschrift sei. Es war mit .keinem Wort die Rede davon, daß ein Interview gegeben werden sollte. Weder er noch der Dolmetscher noch ich haben irgendwelche Notizen gemacht, und was er geschrieben hat, ist in allen wesentlichen Punkten das Produkt seiner Phantasie, das, was er hören wollte und deshalb geschrieben hat, obwohl ich es nicht gesagt habe.Ich habe mich jetzt mit dem betreffenden Journalisten, weil ich heute schon ahnte, Herr Dorn — man hat ja manchmal so eine divinatorische Gabe, so ein leichtes Fingerspitzengefühl —, was kommen würde, soeben da draußen unterhalten. Dieser Journalist, der akkreditierter Journalist einer italienischen Zeitung in Bonn ist, hat mir erklärt, er habe sofort nach Veröffentlichung dieses nicht gegebenen Interviews an diesen Senator telegraphiert und erklärt, daß er als Dolmetscher die Wahrheit der Darstellung nicht bestätigen könne und sich von dem Inhalt distanziere; er habe etwas anderes gedolmetscht als das, was hier in dem Interview stehe. Der Journalist heißt Zanelli und ist bereit, für diese seine Äußerung einzustehen; er hat sie drau-
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11976 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Bundesminister Dr. h. c. Straußßen soeben in Gegenwart von drei Zeugen wiederholt.Zum Thema selbst — ich wollte Sie nur vor weiterer Zeitverschwendung bewahren; darum räume ich ein für allemal damit auf —, zum Thema Große Koalition, habe ich gesagt: sie hat ihre Aufgabe weitgehend erfüllt. Ich habe niemals gesagt, daß ihre Aufgabe erschöpft sei und jetzt des grausamen Spiels ein Ende gemacht werden sollte. Ich habe meine Meinung zur Großen Koalition mehrmals öffentlich, in Wort und Schrift, ausgedrückt, und ich möchte hier nicht noch einmal die „Schlacht auf den Katalaunischen Feldern" über die Vorgeschichte des Zustandekommens dieser Koalition schildern, weil ich es Ihnen auch ersparen möchte, daß man im Hause des Gehenkten vom Strick reden muß.
Ich habe mir erlaubt, zu sagen — und das ist auch meine Meinung —, daß eine große demokratische Partei wie die Sozialdemokratische Partei, die eine Geschichte von über hundert Jahren hat — ich bitte Sie, mir abzunehmen, daß das meine Meinung ist; ob Sie es freundlich finden oder nicht, ist eine andere Frage — und die nur wenige Jahre, nämlich in der Weimarer Republik und damals unter wenig glücklichen Umständen, an der Regierung war, im Interesse einer normalen Funktion des parlamentarischen Spiels nicht auf die Dauer aus der Verantwortung herausgehalten werden durfte. Wie die Umstände damals gelegen haben — hin oder her —, hat damit überhaupt nichts zu tun. Ich habe damit die Meinung vertreten, die ich auch hier äußere, daß eine dauernde Tätigkeit in der Opposition — das ist meine politische Meinung, die ich unzählige Male vertreten habe — die Gefahr in sich birgt, daß man ein gespanntes Verhältnis zur Wirklichkeit bekommt, und daß die unmittelbare Konfrontation mit der Wirklichkeit in der Funktion der Regierungsverantwortung, nicht nur in der Funktion der Oppositionsverantwortung — wie ich ausdrücklich sage — unentbehrlich ist, daß ich aus diesem Grunde die Bildung dieser Koalition auch rückblickend aus der Sicht von heute, auf damals bezogen, bejahe.Ich habe zweitens erklärt, daß diese Große Koalition keine Dauererscheinung sein soll. Diese Außerung ist von Ihrer Seite sehr oft gekommen, ist von unserer Seite sehr oft gekommen. Wir brauchen die Gründe, warum sie keine Dauererscheinung sein soll, nicht mehr aufzuzählen.Ich sage auch eines, obwohl es jetzt noch riskanter ist: Von mir haben Sie noch nie gehört und werden Sie nicht hören bis die Wahlen vorbei sind, wie die nächste Koalition aussehen soll. Ich werde niemals so töricht sein, zu sagen, daß eine Koalition auf jeden Fall fortgesetzt und um jeden Preis beendet werden muß. Beide Aussagen sind töricht. Erst einmal soll man dem Wähler glaubhaft das Gefühl geben, daß er dabei etwas mitzuentscheiden hat, und dann schauen wir uns die Landschaft an, dann geht es um die Frage der Aufgaben, die zu lösen sind und nicht um präelektionäre wahlarithmetische Spielchen, die ausgetragen werden. Diese Meinunghabe ich unzählige Male in Wort und Schrift, in Rundfunk und Fernsehen vertreten, und ich werde sie auch bis zum 28. September durchhalten.Der Hintergrund war aber interessant. Mir 'sagte mein Gesprächspartner eben, daß dieser Abgeordnete ein Gegner der Großen Koalition in Italien sei, weil er dem linkssozialistischen Flügel 'angehöre, und daß er via Berlin Argumente gegen die Fortsetzung der Großen Koalition in Italien durch die Entstellung meiner Ausführungen über die Große Koalition in Deutschland sammeln sollte. So ist der Vorgang.Jetzt komme ich aber noch zu einer beinahe humoristischen Darstellung. Er hat mir das Wort ein dien Mund gelegt, Deutschland müsse Europa „eirare", ziehen. Normalerweise zieht der Esel einen kleinen Wagen, oder es zieht ein Pferd, oder es zieht eine Lokomotive einen Zug. Ich weiß nicht, was der Ausdruck „ziehen" heißen soll. Ich habe in diesem Gespräch unsere Ansichten zu Europa, wie sie von mir unzählige Male vertreten worden sind — ob sie jetzt akzeptiert werden oder nicht, :ist eine ganz andere Frage —, dargelegt, auf die Verantwortung der Bundesrepublik für die europäische Einigung hingewiesen und versichert, daß wir niemals mehr in nationalistische Gedankengänge zurückfallen werden und deshalb einen ganz klaren europäischen Kurs steuern und bestimmte Dinge in Europa mit Sorge sehen.Aber was heißt, daß Deutschland Europa „ziehen" muß? Das „ziehen" ist von Reuter übersetzt worden mit „lead". „lead" heißt nämlich sowohl „ziehen", wie lein Pferd zieht, wie auch „führen" im Sinne von „Führer". Das „lead" aus Reuters Büro ist wieder von Le Monde mit dem Ausdruck „conduire", „führen", übernommen worden, und die deutsche Presse hat es dann mit „führen" übersetzt. Der Artikel vom Le Monde vom Freitag letzter Woche mit dem Wort „führen" ist von Le Monde am Montag widerrufen worden, nachdem Le Monde die Vorgeschichte und die Reihenfolge — Sie können es ja nachlesen —„tirare — lead — conduire — führen" geklärt hatte.
Dabei spreche ich doch wirklich eine sehr deutliche Sprache, (die sich in diesem Falle kaum von der Hamburger unterscheidet.
Meine Damen und Herren, außerdem können Sie mir zutrauen, was Sie wollen, aber soviel Instinktlosigkeit und soviel Erfahrungslosigkeit, etwas zu sagen, was im übrigen auch meiner Auffassung und meiner innersten Einstellung widerspricht, daß Deutschland Europa führen soll, das käme mir im Traum nicht in den Sinn, noch in irgendeinem anderen Zustande.
Und das Letzte. Da muß ich denjenigen, die den Artikel übersetzt haben, sagen, sie müßten doch noch einmal in die Dolmetscherschule gehen. Da heißt es im Zusammenhang mit der Rolle der SPD außerhalb der Verantwortung über viele Jahre und
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969 11977
Bundesminister Dr. h. c. StraußJahrzehnte: ,,... e a furia di stare fuori". Das ist übersetzt worden: und wegen der Wut des Draußenbleibens". So weit reicht noch mein Italienisch: ,,... e a furia di stare fuori" heißt ,,... und weil man solange draußen war" und nicht ,,... und wegen der Wut des Draußenbleibens".
„e a furia di parlare" heißt: und wegen des langen Redens; „e a furia di bibere" heißt: und wegen des langen Trinkens, aber nicht: und aus der Wut über das Trinken oder ähnliches.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage das auch an die Adresse des Koalitionspartners, weil Sie sehr schnell reagiert haben und — das kann ich allerdings verstehen — einen ganzen Katalog von Aufgaben aufgeführt haben, die noch zu lösen seien, weshalb meine Äußerung, die Aufgabe sei erschöpft, von Ihnen zurückgewiesen worden ist. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Ich habe nie gesagt, die Aufgabe sei erschöpft. Ich habe gesagt: Die Aufgabe sei erfüllt. Dieses Interview falsch zu verwenden, ist mangels anderer triftiger Argumente heute, ich darf sagen, das legitime Anliegen der Opposition.
Das Wort hat Herr Kollege Genscher, wenn ich recht sehe, zur Geschäftsordnung.
Ja, zur Geschäftsordnung, Herr Präsident, wie ich ausdrücklich bestätige, obwohl es natürlich verlockend wäre, in dieser Sondersituation etwas zur Sache zu sagen. Es war für mich das erste Mal, ein Dementi zu hören, das länger war als die Publikation.
Aber möglicherweise ist der Verfasser dieses sogenannten Interviews der Versuchung erlegen, an Stelle der Aufzeichnung über das Gespräch mit dem Bundesfinanzminister Publikationen des „Bayernkurier" zu verwerten.
Meine Damen und Herren, ich möchte namens der Fraktion der FDP beantragen, daß die Zustimmung zu Sitzungen von Ausschüssen für heute nachmittag in Anbetracht der Haushaltsberatung des Deutschen Bundestages zurückgezogen wird. Ich mache eine Ausnahme für den Rechtsausschuß, soweit er sich mit der Beratung der Frage befaßt, wie die Abstimmung über die Vorschläge des Vermittlungsausschusses vor sich gehen soll. Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sind es der Bedeutung von Haushaltsberatungen, auch der Bedeutung der Ressorts, deren Haushalte hier heute nachmittag abgehandelt werden, schuldig, daß allen Kollegen die Teilnahme an der Plenarsitzung ermöglicht wird.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Kollege Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe gehört, daß heute nachmittag acht Ausschüsse tagen sollen. Kollege Genscher hat völlig recht: Das geht nicht. Ich würde vorschlagen, den Katalog der Ausnahmen um einen Ausschuß, der eine Reihe von Anliegen zu beraten hat, die das ganze Haus unter allen Umständen noch verabschieden will, zu erweitern, nämlich um den Arbeitsausschuß. Wir können selbstverständlich nicht acht Ausschüsse tagen lassen, während wir hier die Haushaltsberatung abwickeln. Das ist klar.
Meine Damen und Herren, läßt sich Einigkeit darüber erzielen, statt der eben beantragten einen Ausnahme zwei Ausnahmen zuzulassen und für den Rest die Genehmigung zurückzuziehen? Herr Genscher ist damit einverstanden. Wie ist es mit der SPD-Fraktion? — Das scheint der Fall zu sein; auch einverstanden. Damit wären wir einig, daß die Genehmigung zur Tagung der Ausschüsse für den Nachmittag zurückgezogen ist mit Ausnahme des Rechts- und des Arbeitsausschusses. Das ist somit beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir haben zu Einzelplan 04 den Änderungsantrag Umdruck 596 vorliegen. Er wird vom Herrn Kollegen Raffert begründet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um wenigstens in etwa an dem anknüpfen zu können, was der Bundesfinanzminister hier vorgetragen hat, möchte ich sagen: Das, wozu ich ein paar Bemerkungen zu machen habe, spielt sich weder hinter einem Vorhang noch vor einem Vorhang ab, sondern jeweils immer dann, wenn der Vorhang aufgezogen wird, nämlich im Lichtspieltheater. Es geht um den kleinen Antrag, der von einer Gruppe von Abgeordneten aus allen Fraktionen eingebracht worden ist: Förderungsmittel für die deutschen Wochenschauen in Höhe von 200 000 DM in Kap. 04 03, also im Haushalt des Presse- und Informationsamts, bereitzustellen.Die Deckung ist vorgeklärt worden. Auf dem Umdruck wird Ihnen dargestellt, woraus die Mittel genommen werden können. Wenn wir diesen Antrag annehmen, worum ich Sie herzlich bitte, handeln wir in Verfolg des Entschließungsantrags, den wir seinerzeit bei der Verabschiedung des Filmförderungsgesetzes hier angenommen haben und in dem es heißt, daß sich die deutschen Wochenschauen in einer Situation befänden, die es notwendig mache, ihnen wenigstens vorübergehend staatliche Hilfe zu gewähren. Ich will es bei der Erinnerung an diesen Entschließungsantrag bewenden lassen, um keine zu ausführliche Begründung der Situation geben zu müssen.Im übrigen möchte ich abschließend ankündigen, daß meine Fraktion in nächster Zeit einen Antrag einbringen wird, der die Bundesregierung veranlassen soll, über den Vollzug des Filmförderungsgesetzes bis heute und über die Maßnahmen, die die Bundesregierung auf Grund des von mir eben er-
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11978 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Raffertwähnten Entschließungsantrags inzwischen ergriffen hat, zu berichten.
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Das Wort hat der Herr Kollege Haase.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, Herr Kollege Raffert, das ist nicht der rechte Weg, dieses Problem zu erledigen. Die Sache ist doch noch gar nicht ausdiskutiert. Ich meine auch, daß es nicht angemessen ist, für diese Anforderungen einen besonderen Titelansatz auszuweisen.
Ich schlage vor, daß wir die Regierung ersuchen, dem Haushaltsausschuß eine Finanzvorlage zu machen. Dann ist gewährleistet, daß diese Angelegenheit ausreichend diskutiert wird. Wir haben der Bundesregierung in Notfällen noch niemals das Geld verweigert.
Ich glaube, das ist der beste Weg. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie diesen Gruppenantrag ablehnen würden.
Das Wort wird weiter nicht gewünscht.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzelplan 04. Zunächst stimmen wir über den Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Lohmar, Damm, Frau Geisendörfer, Frau Klee, Kubitza, Dr. Meinecke und Genossen ab. Wer diesem Änderungsantrag, der von Herrn Raffert begründet worden ist, zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ablehnung? — Das letzte ist die Mehrheit. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 04. Wer dem Einzelplan 04 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 04 ist mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, damit wird die Sitzung bis 15 Uhr unterbrochen.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist erneut ein Geschäftsordnungsplan aufgetaucht, das ich von hier aus mit den Kollegen der Fraktionen zunächst einmal klären muß. Wir hatten uns heute morgen darauf verständigt, daß wir die Vielzahl der Ausschußsitzungen heute nachmittag wegen der Wichtigkeit der Beratungen über den Haushalt einfach nicht richtig finden, und haben beschlossen, nur dem Rechtsausschuß und dem Arbeitsausschuß eine Genehmigung zu geben. Nach diesem Beschluß habe ich erfahren, daß ein anderer, ein dritter Ausschuß, nämlich der Sozialpolitische Ausschuß, heute nachmittag eine öffentliche Anhörung
— nicht eine öffentliche, sondern eine geschlossene Anhörung — von Sachverständigen angesetzt hat, die angereist sind. Ich sehe ein, daß es für den Vorsitzenden des Ausschusses eine schwierige Lage wäre, die angereisten Sachverständigen wieder ausladen zu müssen.
Darf ich einmal die anwesenden Geschäftsführer der Fraktionen um ihre Meinung zu dieser Frage bitten.
— Herr Genscher, Sie wollen das Wort ergreifen,
bitte schön! Herr Genscher hat das Wort zur Geschäftsordnung. Er ist der Antragsteller von vorhin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der Tatsache, daß die Sachverständigen eingeladen sind, ist meine Fraktion damit einverstanden, daß dieser Ausschuß tagt. Das kann aber nicht bedeuten, daß eine andere heute morgen vorgenommene Ausnahme aufrechterhalten bleibt, weil wir damit praktisch ein Ergebnis hätten, das wir gerade vermeiden wollten. Wir bitten deshalb, von der Sitzung des Arbeitsausschusses abzusehen.
Ich möchte hier vor dem Hohen Hause nicht verschweigen, daß meine Fraktion bereits am Vormittag des Dienstags, also gestern, den Bundestagspräsidenten auf die unhaltbare Situation hingewiesen hat, daß während der Haushaltsberatungen Ausschüsse in großer Zahl tagen sollen. Wir haben den Bundestagspräsidenten bereits gestern gebeten, seine Genehmigung zurückzuziehen, und außerdem angekündigt, daß wir sonst heute im Plenum des Deutschen Bundestages eine Änderung seiner Entscheidung beantragen würden.
Wenn also heute die Sachverständigen angereist sind und wir damit in einen Zugzwang kommen, so ist das auch ein Ergebnis der Tatsache, daß der Herr Präsident nicht geneigt war, diesem Wunsch einer Fraktion, der, wie ich heute morgen festgestellt habe, die ungeteilte Unterstützung aller Fraktionen findet, stattzugeben.
Das Wort hat Herr Kollege Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Genscher, im Grundsatz sind wir uns einig. Aber ich finde, daß es nicht gut ist, wenn wir, nachdem wir heute mittag um ein Uhr beschlossen haben: der Arbeitsausschuß soll tagen, um drei Uhr beschließen: er soll nicht tagen. Die Kollegen werden schätzungsweise jetzt tagen, und sie hätten auch ein Recht dazu. Mit diesem „Rein in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln" ist uns nicht geholfen. Ich sage noch einmal, Herr Kollege Genscher, im Grundsatz haben Sie recht; aber wir wissen alle -- wir haben noch die Oster-und Pfingstpause; das Haus hat noch vier, fünf Arbeitswochen —, es gibt neben Stilfragen des Plenums, die ich wahrlich nicht gering veranschlagen
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Rasnerwill, auch Notwendigkeiten der Sache, und manchmal muß man auch Kompromisse schließen. Ich will das jetzt nicht vertiefen.Herr Präsident, ich schlage vor, daß wir, wie auch Herr Genscher vorgeschlagen hat, den Sozialpolitischen Ausschuß zusätzlich tagen lassen. Ich bitte Sie aber sehr darum, nicht noch Anträge zu stellen, weitere Ausschüsse tagen zu lassen. Ich glaube, wir müßten — um es gleich vorweg zu sagen — von Fraktions wegen jeden weiteren Antrag ablehnen. Das ist ganz sicher. Ich bitte darum, es bei der einmal getroffenen Entscheidung, daß der Arbeitsausschuß tagen soll, zu belassen.
Können wir uns darüber verständigen, meine Damen und Herren? Unter Aufrechterhaltung des Grundsatzes ist der Geschäftsführer der FDP-Fraktion, wie ich sehe, bereit, sich mit Herrn Rasner zu verständigen, was das praktische Verhalten angeht. Das würde bedeuten, daß der Sozialpolitische Ausschuß seine Sitzung heute nachmittag durchführen kann. Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Ich rufe nun in zweiter Beratung auf:
Einzelplan 05
Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksache V/3925 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Conring Abgeordneter Dr. Abelein
Der Herr Bundesaußenminister hat um das Wort gebeten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst gern zu drei Fragen äußern, die heute morgen aufgeworfen wurden. Ich meine erstens die Europapolitik der Bundesregierung, zweitens die Problematik der europäischen Sicherheit und drittens den Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen.Was die Europapolitik angeht, so hat Herr Kollege Mischnick heute früh in seiner Rede zum Etat des Bundeskanzlers auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die wir bei dem eigenartigen Verhältnis gegenüber Frankreich einerseits und England andererseits zu meistern haben. Ich kann mir nicht das Bild zu eigen machen, das hier gebraucht wurde, wir könnten uns zwischen den Stühlen sitzend wiederfinden. Ich habe den Eindruck, wir sitzen auf unserem eigenen Stuhl. Wahr ist freilich, daß derjenige, der in der gegenwärtigen europäischen Situation auszugleichen versucht, der in besonderem Maße, wie wir es tun, versucht, nationale und europäische Interessen auf einen Nenner zu bringen, in die Gefahr gerät — zeitweilig jedenfalls —, von verschiedenen Seiten mit Kritik bedacht zu werden.Ich möchte konkret sagen, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung auch nach den deutschfranzösischen Konsultationen der vergangenen Woche keinen Anlaß sieht, von der bisherigen Zielsetzung ihrer Europapolitik abzugehen, d. h. sich einmal um den inneren Ausbau der Europäischen Gemeinschaften zu einer vollen Wirtschaftsunion und zum anderen um die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaften zu bemühen.Was den inneren Ausbau angeht, so kann ich auch nach den Gesprächen der vergangenen Woche in Paris sagen, daß wir uns hier .in Übereinstimmung mit der französischen Regierung befinden. Primäres Ziel des inneren Ausbaus der Gemeinschaften ist die Steigerung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie. Wir begrüßen es aus deutscher Sicht, so denke ich, insbesondere, daß die Vorarbeiten für ein europäisches Patent rasch abgeschlossen werden konnten. Ich denke, wir begrüßen es auch, daß am Dienstag nächster Woche im Ministerrat in Brüssel der Bericht zur technologischen Zusammenarbeit erstattet wird, von dem wir annehmen dürfen, daß er Vorschläge für eine Zusammenarbeit über den Kreis der Sechs hinaus enthält. Freilich müssen wir uns, gerade was dieses Gebiet angeht, darüber im klaren sein, daß mit allgemeinen Zielsetzungen für die technologische Zusammenarbeit noch nicht viel erreicht ist und daß man sich in dieser schwierigen Übergangszeit bis zu einem gewissen Grade auf das einstellen muß, was man die Zusammenarbeit à la carte genannt hat. So wie wir beim Projekt der Gasultrazentrifugen mit England und Holland zusammenarbeiten, haben wir in Paris festgestellt, daß das jahrelang diskutierte Airbus-Projekt, wenn es nicht mit Frankreich und England zusammen in Angriff genommen werden kann, mit Frankreich allein in Angriff genommen wird.Zu bedauern ist, daß die Arbeiten zur Schaffung einer europäischen Handelsgesellschaft ins Stocken geraten sind. Die Wiederaufnahme dieser Arbeiten ist gerade von unserem Standpunkt aus dringend erwünscht.Wir sind nach wie vor der Auffassung, daß der innere Ausbau der Europäischen Gemeinschaften von einer Koordinierung und Harmonisierung der nationalen Wirtschafts- und Währungspolitiken begleitet sein muß. Andernfalls könnten Spannungen und krisenhafte Entwicklungen die bereits erzielten Ergebnisse gefährden.Was das Thema der Erweiterung angeht, denke ich, hat sich für uns nichts daran geändert, daß Europa sowohl Frankreich wie auch England braucht, um auf der Höhe der ihm gestellten Aufgaben zu sein. Wir meinen damit, daß die wirtschaftlichen wie die politischen Kräfte Frankreichs u n d Großbritanniens zum Nutzen Europas eingesetzt werden müssen. Für uns ist nicht ersichtlich, warum ein Beitritt Großbritanniens und anderer europäischer Staaten zu den Europäischen Gemeinschaften deren Umwandlung in eine Art großer Freihandelszone bedingen würde. Aber wir sind natürlich bereit, über die Folgen einer Erweiterung der Europäischen Gemeinschaften weiter mit Frankreich und im Kreise der Sechs zu sprechen. Allerdings sollten dann auch die Beitrittskandidaten, Großbritannien und die andern, die Gelegenheit bekommen, ihren Standpunkt vorzutragen. Wir glauben, daß solche Gespräche den Beweis erbringen würden, daß Europa mit einem11980 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bann, Mittwoch, den 19. März 1969Bundesminister BrandtAbbau seiner Strukturen, wie er zu unserem großen Bedauern in der EWG eingesetzt hat, nicht in eine bessere Zukunft geführt werden kann, daß vielmehr nur die Regeln des EWG-Vertrags die wirtschaftliche Einheit und die politische Zusammenarbeit auf der Grundlage voller Gleichberechtigung aller Partner in einem System des Interessenausgleichs garantieren können. Wir meinen, daß diese Regeln auch in einer erweiterten Gemeinschaft angewendet werden können.Meine Damen und Herren, aus einigen ausländischen Pressemeldungen hat dieser Tage der Eindruck entstehen können, die Bundesregierung sei von ihrer bisherigen Linie hinsichtlich einer Erweiterung der Europäischen Gemeinschaften abgerückt. Teilweise wurde die deutsche Position in diesen ausländischen Pressemeldungen irrtümlich so dargestellt, als habe die Bundesregierung heute Bedenken dagegen, daß über Großbritannien hinaus mit anderen Staaten über deren Beitrittsanträge gesprochen würde. Ich möchte ausdrücklich sagen, daß eine solche Darstellung irreführend ist. Sicherlich verrate ich kein Geheimnis, wenn ich vor dem Hohen Hause mitteile, daß der französische Staatspräsident erneut seine Auffassung dargelegt hat, daß ein Beitritt Großbritanniens und anderer Länder den Charakter der EWG verändern würde.Wir bestreiten natürlich auch nicht, daß jede Erweiterung der Gemeinschaft Probleme stellt, vielleicht um so zahlreichere Probleme, je zahlreicher die Beitretenden sind. Wir haben uns aber in all diesen Diskussionen der vergangenen Monate — Jahre sind es ja jetzt schon — an die Verträge von Rom und Paris gehalten, die eine Erweiterung der Gemeinschaft vorsehen und die auch bereits das Instrumentarium enthalten, wie man die dabei auftretenden Probleme bewältigen könnte. Selbstverständlich werden die Kompromisse, die in einer Gemeinschaft gefunden werden müssen, der sowohl Großbritannien als auch Dänemark, Irland und Norwegen beitreten, vielfach anders aussehen als in einer Gemeinschaft zu Sechs. Und wenn ich die vier Länder eben genannt habe, muß ich der Ordnung halber auch den besonderen Antrag Schwedens erwähnen. Auf einzelnen Gebieten könnte eine Einigung gewiß schwieriger werden.Wir sind aber der Meinung, daß andererseits der Ausgleich der Interessen auf gewissen Gebieten und auf keineswegs unwichtigen Gebieten — ich denke hier beispielsweise an die Landwirtschaftspolitik — in einer größeren Gemeinschaft leichter werden könnte. Wir glauben demnach nicht, daß die Gemeinschaft ihren Charakter im Falle der Erweiterung grundlegend ändern würde. Wir sind aber durchaus bereit, die Probleme, die sich im Praktischen objektiv stellen, zusammen mit unseren Freunden zu studieren. Die gleiche Bereitschaft gilt für Erwägungen, die an uns herangetragen werden oder an uns herangetragen werden mögen, in einem größeren Rahmen als dem der Gemeinschaft mit den Methoden der intergouvernementalen Zusammenarbeit über wirtschaftliche, politische und sicherheitspolitische Fragen zu sprechen.Ein Wort in diesem Zusammenhang noch zur Westeuropäischen Union. Seit dem Frühjahr 1968 waren zahlreiche Versuche unternommen worden, auch von unserer Seite, die politische Zusammenarbeit, den Meinungsaustausch, die Konsultation im Kreis der Sieben, also der Sechs der Gemeinschaft plus Großbritannien, zu verstärken. Ein gewisser Erfolg schien sich auf Grund der Ministerratstagung der WEU in Luxemburg Anfang Februar diesen Jahres anzubahnen. Dann hat es statt dessen einen Streit über die Auslegung des WEU-Vertrages gegeben. Bei den deutsch-französischen Konsultationen in der vergangenen Woche in Paris hat sich gezeigt, daß Frankreich bis auf weiteres nicht beabsichtigt, seine Mitarbeit in der Westeuropäischen Union wieder aufzunehmen, und daß es an der Tätigkeit in diesem Kreis zur Zeit kaum Interesse hat. Die Aussichten, die gegenwärtige Krise, sei es durch eine rechtliche Klärung, sei es durch eine politische Klärung, beizulegen, erscheinen daher sehr gering. Trotzdem werden Routinesitzungen des Ständigen Rats weiter stattfinden. Dem Wunsch der einzelnen Delegationen, dabei auch über politische Fragen zu konsultieren, an deren Erörterung sie jeweils interessiert sind, wollen wir uns nicht verschließen. Dies steht im Einklang mit der von uns seit langem vertretenen Meinung, daß jede Regierung frei sein muß, die sie interessierenden Fragen zur Diskussion zu stellen. So weit zur Frage der aktuellen Europapolitik.Was die Fragen der europäischen Sicherheit angeht, so hat der Herr Vorsitzende der FDP-Fraktion heute früh die Frage aufgeworfen, warum die Bundesregierung nicht einen eigenen, einen deutschen Plan für ein europäisches Sicherheitssystem entwickelt habe. Ich möchte Herrn Kollegen Mischnick und die Kollegen der FDP-Fraktion bitten, bei ihren weiteren Überlegungen zu diesem Thema nicht außer Betracht zu lassen, daß die Bundesregierung zwar aus, wie sie meint, guten Gründen keinen eigenen Plan unterbreitet hat, daß sie aber sehr aktiv an der Meinungsbildung der atlantischen Allianz zu diesem Thema gearbeitet hat. Bei uns in Deutschland ist, wie ich glaube, etwas zu kurz gekommen, was im Dezember 1967 als Ergebnis der sogenannten Harmel-Studien zu den Fragen der europäischen Sicherheit und einer europäischen Friedensordnung zu Papier gebracht worden ist und was dann Ende Juni 1968 auch mit einem Angebot an die östliche Seite auf der Ministerratstagung der NATO in Reykjavik formuliert wurde. Wir sind — das darf ich versichern — bei all den vorbereitenden Erörterungen in der Allianz und auf den erwähnten beiden Ministerratstagungen im Dezember 1967 und im Juni 1968 sehr aktiv gewesen.Wer sich außerdem noch einmal anschaut, was die NATO in ihrem Brüsseler Kommuniqué vom November vergangenen Jahres nach der tschechoslowakischen Krise zu Papier gebracht hat, wird mir zugeben müssen, daß selbst angesichts des schweren Rückschlags, den die tschechoslowakische Krise für die Bemühungen um Entspannung in Europa bedeutet hat, in Brüssel eindeutig die doppelte Aufgabenstellung der Allianz unterstrichen, und zwar begrün-
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Bundesminister Brandtdet unterstrichen worden ist: einmal die Aufgabe, die wir alle kennen, nämlich für Sicherheit zu sorgen durch Verteidigungsanstrengungen, solange das notwendig ist, und zum anderen die Aufgabe, das politische Instrumentarium bereitzustellen, mit dem die Länder der Allianz einzeln, aber im Kontakt miteinander, mit der östlichen Seite in Unterhaltungen über Rüstungsbegrenzung, über Abbau der Truppen- stärken und über die Regelung der offenen Fragen in diesem Teil der Welt eintreten können. Im April, in der Woche nach Ostern, wird die NATO ihre nächste Tagung in Washington nicht nur abhalten, weil es dann 20 Jahre her ist, seit sie begründet wurde, sondern dieses Thema, das sich aus der doppelten Aufgabenstellung der Allianz ergibt, wird sicher auch im einzelnen neu erörtert und überprüft werden.In diesen Zusammenhang gehört mit Recht das, was schon heute morgen in Meinungsäußerungen zu der Budapester Erklärung der Staaten des Warschauer Paktes vor wenigen Tagen anklang. Man kann, wenn man sich diese Budapester Erklärung von vorgestern anschaut, jedenfalls in taktischer Hinsicht — zunächst sage ich bewußt dies — von einem überraschenden Kurswechsel sprechen. Weswegen? Im Text dieser Budapester Erklärung von vorgestern wird sehr stark an die Bukarester Erklärung derselben Staaten aus dem Jahre 1966 angeknüpft, und zwar auf eine Weise, die ich gleich versuchen werde zu charakterisieren. Aber gerade die Bukarester Erklärung aus dem Jahre 1966 hatte man durch die bekannte Karlsbader Erklärung imJahre 1967 zu unseren Lasten abzuschwächen und einzuengen versucht. Man hatte das abzubremsen versucht, was im Anschluß an das Bukarester Dokument in die europäische Diskussion hineingekommen war. Die vorgestrige Budapester Erklärung bezieht sich ausdrücklich auf die von Bukarest. Sie enthält ein Minimum an Polemik. Sie konzentriert sich auf die gewiß nicht unproblematische Abhaltung einer europäischen Sicherheitskonferenz und auf das Ziel einer Überwindung der Blöcke.Es erscheint mir bemerkenswert, daß in diesem vorgestrigen Dokument der Warschauer-Pakt-Staaten die Amerikaner mit keinem Wort erwähnt werden, weder in der Polemik noch in bezug auf ihre Mitwirkung an dem, was zu der Thematik einer europäischen Sicherheitskonferenz dazugehören würde.Manches spricht nun meiner Einschätzung nach dafür, daß man an den Zentren des Warschauer Paktes 1967/1968 stark auf die Erosion der NATO gesetzt hatte, während es jetzt, im Jahr 1969, aus dortiger Sicht wieder stärker darauf anzukommen scheint, den Zusammenhalt der NATO zu schwächen oder jedenfalls die Europäer getrennt anzusprechen —, in einer Zeit, in der sich beide Supermächte auf ein bilaterales Gespräch einstellen.Hier wird man auch die Novembertagung der NATO mit einbeziehen müssen, die auf die tschechoslowakische Krise reagierte; ich habe schon davon gesprochen. Und man wird den Nixon-Besuch in den westeuropäischen Hauptstädten einbeziehen müssen.Lassen Sie mich bitte in diesem Zusammenhang auch ein Wort über die deutsch-sowjetischen Beziehungen sagen. Sie wissen alle — nicht nur die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses wissen es —, daß es in letzter Zeit, verglichen mit früher, eine erhöhte Zahl von Kontakten zwischen den beiden Staaten — Kontakten auf höherer Ebene — gegeben hat, und zwar nicht nur wegen der Meinungsverschiedenheiten in der Frage der Bundesversammlung und der Durchführung der Bundesversammlung in Berlin. Man konnte in den zurückliegenden Monaten den Eindruck gewinnen, daß nicht nur wir — wir können dies nur erneut unterstreichen —, sondern daß auch die Regierung der Sowjetunion um eine Regelung strittiger Fragen bemüht ist und daß sie jedenfalls interessiert sein könnte, Gesprächsmöglichkeiten mit uns in stärkerem Maße als früher offenzuhalten. Daran ändert auch nichts die polemische Presseverlautbarung vom Freitag vergangener Woche. Wir haben in den erwähnten Gesprächen der letzten Wochen und Monate unsere unveränderte Gesprächsbereitschaft betont.Ich will nicht der Versuchung erliegen, hier mehr oder weniger vernüftige Kommentare zu den russisch-chinesischen Differenzen zu geben. Dennoch will ich sagen: es ist ein ermutigendes Zeichen, daß die Sowjetunion uns von sich aus über wichtige Entwicklungen unterrichtet hat, unter anderem darüber, wie sie das Verhältnis zur Volksrepublik China sieht. Die Sowjetunion scheint der Meinung zu sein, daß die beiden Staaten — Bundesrepublik Deutschland und UdSSR — nicht nur über grundsätzliche Fragen miteinander sprechen könnten — das würde wohl im wesentlichen die Thematik umreißen, die wir unter dem Stichwort „Gewaltverzicht" früher schon einmal abzuhandeln versucht haben —, sondern sie scheint auch bereit zu sein, über praktische Fragen zu sprechen. Jeder weiß, daß über Fragen des zivilen Luftverkehrs gesprochen worden ist, und es muß darüber weiter gesprochen werden. Wir sind offen für Unterhaltungen über eine Formalisierung der Wirtschaftsbeziehungen, über die weitere Förderung des kulturellen Austausches und auch 'über die Intensivierung der technisch-wissenschaftlichen Kontakte; um hier 'einige Beispiele zu nennen.Ich darf aber, meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang vielleicht noch ein Wort hinzufügen, das sich auf das Bündnis bezieht. Während man vermuten kann — ich habe diese Vermutung anklingen lassen —, daß die schwierige Partner im Osten wieder stärker auf eine Differenzierung und auf eine daraus resultierende Schwächung des Zusammenhalts im westlichen Bündnis setzen möchten, müssen wir gerade bei unserer ausgeprägten Bereitschaft zum Gespräch primär mit der Sowjetunion, aber auch mit allen anderen Partnern des Warschauer Paktes unter den von uns angegebenen Voraussetzungen sagen, wie viel uns liegt am Zusammenhalt des Bündnisses, gerade was diese Fragen angeht, an funktionierenden Konsultationen im Bündnis und nicht an Alleingängen, die wir bei anderen nicht wünschen und die wir von uns aus auch anderen nicht zumuten sollten. Ich
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Bundesminister Brandt
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Das wollte ich bei der Gelegenheit sagen.Schließlich haben die Italiener im besonderen Maße auf etwas hingewiesen: Die Stellungnahme der Staaten, die ihre Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen haben, wird von großer Bedeutung sein, wenn man eines Tages den Vertrag auf dem Wege zu weiteren Rüstungskontrollen und Begrenzungen benutzen will, d. h. wenn man die Atommächte selbst beim Wort nehmen will, wenn man die Teile des Vertrages wirksam werden lassen will, durch die sie selbst zu einem Abbau der Atomrüstungen gebracht werden sollen. Ich glaube, daß ein solcher Vertrag — problematisch wie er ist — geschichtlich nur seine Rechtfertigung finden würde, wenn er eines Tages die Überleitung auf dem Wege zu einer so gearteten Reduzierung der angehäuften Atomwaffenbestände und der atomaren Rüstung überhaupt darstellte.Nach diesen Bemerkungen zu den drei vorher aufgeworfenen Fragen darf ich jetzt noch ein paar Sätze zu dem Etat sagen, dem Einzelplan, für den ich im engeren Sinne zuständig bin. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit mit wenigen Sätzen auf vier Punkte lenken.Erstens. Es findet, wie sich jeder überzeugen kann, keine nennenswerte Ausweitung des Personalbestandes statt, weder in der Zentrale noch bei unseren Auslandsvertretungen. Neu sind nur zwei Dinge, eine Vergrößerung des Inspektorats in der Zentrale und neue Stellen bei einigen Auslandsver-11984 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bann, Mittwoch, dem 19. März 1969Bundesminister Brandttretungen deswegen, weil im Zuge der früher vorgesehenen dreijährigen Maßnahmen Personalstellen für Kulturreferenten im Ausland angehoben werden. Dies ist dringend notwendig.Das führt mich zum zweiten Punkt. Meine Damen und Herren, wenn Sie sich den Etat genau anschauen, werden Sie finden, daß der Schwerpunkt erneut eindeutig bei der Pflege der Beziehungen zum Ausland liegt, und zwar auf dem Gebiete der Kultur, des Schul- und Erziehungswesens. Dazu gehört die Förderung des deutschen Schulwesens im Ausland. Einschließlich der für die Baumaßnahmen zur Verfügung stehenden Mittel umfaßt diese Position mit über 255 Millionen DM etwa 35% des Gesamthaushalts.Meine dritte Bemerkung. Die internationalen Beiträge, die die Bundesrepublik leistet, haben sich bei einigen internationalen Organisationen zum Teil erheblich erhöht, und zwar wegen der Ausweitung der Haushalte dieser Organisationen und nicht wegen übertriebener Spendierfreudigkeit von seiten der Bundesregierung. In erster Linie ist hinsichtlich der Ausweitung der Etats der Organisationen die UNESCO zu nennen.Viertens. Ein wichtiger Ausgabeposten sind gerade auch diesmal die Hilfsmaßnahmen im Ausland, insbesondere auf zwei Gebieten. Das eine findet in diesem Einzelplan gar nicht seinen direkten Niederschlag, aber ich darf es hier erwähnen. Hier finden wir neben einem Posten von 3 Millionen DM, der von Jahr zu Jahr durchläuft und die Funktion einer Feuerwehr erfüllt — wenn es irgendwo einmal besondere Not gibt, dann kann man aus dem Titel etwas nehmen —, als deutsche Hilfe zur Linderung der Flüchtlingsnot im Nahen Osten einen Ansatz von 10 Millionen DM als Teil des auf fünf Jahre verteilten Gesamtbetrags von 50 Millionen DM.Ich spreche davon hier absichtlich noch einmal, weil es in einer Zeit, in der unsere Beziehungen zu einem überwiegenden Teil der arabischen Welt leider noch nicht wieder normalisiert sind, für die Bundesregierung ein ernstes Anliegen ist, auf diesem Wege, dem Wege der Mittelbewilligung zur Linderung der Flüchtlingsnot im Nahen Osten, unser unvermindertes Interesse an der Wiederherstellung normaler Beziehungen mit allen Partnerstaaten dort ebenso zu bekunden wie unser Interesse an der Befriedung, am Frieden, an der Stabilisierung, am Ausgleich in dem Krisengebiet des Nahen Ostens.
Das ist das eine.
Das zweite ist Biafra. Nein, als Außenminister muß ich korrekt sagen: Ost-Nigeria, man kann zur Not auch sagen: Nigeria/Biafra. Jedenfalls wird der Bund nach dem, was nicht im Einzelplan 05, sondern aus technischen Gründen bei der allgemeinen Finanzverwaltung unter Einzelplan 60 ausgewiesen wird, neu stark einsteigen,
um dort dem Rechnung zu tragen, was uns nicht nurvon den Kirchen und vom Roten Kreuz nahegebrachtwird, sondern was mit Recht viele junge Menschenin unserem Volk bewegt, die nicht verstehen können, daß man hier nicht zu einer politischen Lösung kommt. Wir kommen nicht zu einer politischen Lösung. Leider! Wir bemühen uns, wir reden mit Verantwortlichen an Ort und Stelle. Ich begrüße es, daß sich auch Abgeordnete des Bundestages an Ort und Stelle orientieren wollen. Wir sprechen mit afrikanischen Staatsmännern, mit unseren europäischen Verbündeten, mit anderen, die Einfluß haben könnten, mit dem Weltrat der Kirchen, mit dem Heiligen Stuhl, mit der Organisation für afrikanische Einheit. Aber solange das alles so unbefriedigend bleibt, muß zumindest dort, wo es darum geht, das Leben von Kindern und Frauen und Flüchtlingen zu retten, gerade Deutschland eine hervorragende Rolle spielen. Ich finde — ohne daß wir uns hier besser machen wollen, als wir sind —, es ist ein schönes Zeichen, daß nicht nur durch das, was die öffentliche Hand tut, und das, was die karitativen und die kirchlichen Organisationen global tun, sondern auch als Ergebnis vieler Einzelbeiträge der vielen einzelnen in unserem Volk die Bundesrepublik heute weit an der Spitze derer steht, die ihren Beitrag zur Linderung der Not in Nigeria und Biafra leisten.
Ich bitte um die Erlaubnis, in der letzten Haushaltsberatung dieser Legislaturperiode im Zusammenhang mit dieser außenpolitischen Debatte einige Schlußbemerkungen über das, was diese Regierung darstellt, machen zu dürfen. Ich würde mir schäbig vorkommen, wenn ich mich nicht sowohl als Bundesminister des Auswärtigen als auch als Stellvertreter des Bundeskanzlers bei der Beratung meines Einzelplanes ausdrücklich zur Gesamtarbeit und zur Gesamtleistung dieser Regierung bekennen würde. Ich würde etwas versäumen, wenn ich nicht aus meiner Sicht und aus meiner Verantwortung sagte, daß die Arbeit, die wir in diesen letzten zweieinviertel Jahren — es ist jetzt schon etwas länger — geleistet haben, sachlich fortgeführt werden muß.Dabei soll sich keiner besser machen, als er ist; ich will es auch nicht tun. Jeder steht neben der Regierungs- oder Parlamentsverantwortung in der Verantwortung, die sich für ihn aus der politischen Gemeinschaft und der Überzeugungsgemeinschaft ergibt, in der er steht. Ich denke, wir sollten, so gut es geht, versuchen, das, was wir draußen zu sagen haben, sich nicht allzu sehr von dem entfernen zu lassen, was wir einander hier zu sagen haben;
denn sonst könnte sich daraus eine Schizophrenie ergeben, die auch der deutschen Demokratie und dem, was die jüngere deutsche Generation davon hält, nicht gut bekommen würde.Jede Form der Regierungsbildung bringt ihre Probleme mit sich — übrigens auch dann, wenn eine Partei die Mehrheit der Mandate hat;
das bringt auch Probleme mit sich: dann wird man leicht übermütig.
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Bundesminister BrandtWenn eine Partei einen sehr viel kleineren Partner hat, führt das auch zu Problemen. Wenn aber zwei große Parteien zeitweilig zusammenwirken, dann besteht nicht nur die Gefahr, daß manches verkleistert wird, sondern dann besteht jedenfalls vom Prinzip her auch die Gefahr, daß die Lebendigkeit der parlamentarischen Auseinandersetzung und die Wirksamkeit der parlamentarischen Kontrolle schaden leiden könnte.Dies, glaube ich, ist glücklicherweise nicht eingetreten; es braucht auch nicht einzutreten. Diese Art des Regierens führt aber dazu — das gilt für die Außenpolitik so wie für die wichtigsten Gebiete der Innenpolitik —, daß man viel Geduld aufwenden muß und jedem der Beteiligten viel Selbstzucht abverlangt wird.
Insofern ist das auch ein ganz gutes Charaktertraining. Aber, meine Damen und Herren, wogegen ich mich wenden möchte, das ist diese, wie ich finde, primitive Vorstellung, als ob es etwas Verwerfliches sei, wenn für eine bestimmte Zeit wegen der Lösung bestimmter wichtiger Aufgaben zwei große Parteien sagen, daß sie Kompromisse schließen, um mit diesen Fragen fertig zu werden.Was ist eigentlich Schlechtes daran? Gehören nicht Kompromisse im wohlverstandenen Sinne des Wortes zur Demokratie, so wie sie zum Leben gehören?
Ist es dabei nicht einfach nur erforderlich, daß jeder der Beteiligten offen sagt, daß man einander sagt, daß man auch den Anhängern sagt, daß man auch der Öffentlichkeit sagt, auf Grund welcher Motive und Notwendigkeiten man zu dem kommt, wozu man kommt? Ich habe manchmal den Eindruck — draußen mehr noch als hier heute vormittag — daß einige- schon wieder vergessen haben, wo wir Ende 1966 standen.
Heute früh hat der Vorsitzende der Oppositionsfraktion noch einmal auf die Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 Bezug genommen. Ich bitte alle Beteiligten, die einschlägigen Passagen noch einmal nachzulesen. Ich will es nicht noch einmal tun. Das könnte so aussehen, als läge mir daran, Salz in Wunden zu streuen. Ich bitte nur noch einmal nachzulesen, was damals über die Lage und die Notwendigkeiten ausgesagt, hier vor dem Hohen Hause entwickelt und diskutiert worden ist: das Zittern um die Arbeitsplätze, die Zerrüttung der Staatsfinanzen, aber auch die Gefahr der außenpolitischen Isolierung.
— Jawohl; wobei ich Ihnen natürlich zugebe — wenn Sie das mit dem „Ach so" haben sagen wollen —, daß ein Land wie Deutschland — da braucht man nicht erst bei Bismarck nachzuschauen — auf Grund seiner Lage immer einer gewissen objektiven Gefahr des Bedrängtwerdens von verschiedenen Seiten ausgesetzt ist und daß dies in stark abgewandelter Form für die Probleme gilt, denen einStaat wie die Bundesrepublik Deutschland in dem noch nicht zu Ende gebrachten Ost-West-Konflikt ausgesetzt ist. Das weiß ich auch, und davon bleibt manches auch für den, der nicht zur Hysterie neigt.Aber war es nicht so, daß sich Ende 1966 auf Grund der erwähnten Entwicklungen von draußen her und im Innern hier und da Elemente einer Staatskrise abzeichneten?
— Ist es aber nicht wahr, verehrter Herr Kollege, daß der Rechtsextremismus, der vielleicht manchmal mißverstanden, uns außenpolitisch so viel Sorgen bereitet, in zwei deutsche Landtage so unterschiedlicher Struktur wie den hessischen und den bayerischen eingerückt ist, bevor diese Regierung im November 1966 gebildet wurde?
Danach, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat es allein auf dem Gebiet, über das heute nachmittag noch gesprochen werden wird, das nämlich mit der inneren Ordnung zusammenhängt, mehr als ein Jahr gedauert, bis z. B. unter den Arbeitnehmern dieser Bundesrepublik das Zittern um die Arbeitsplätze aufgehört hat und durch neue Zuversicht abgelöst worden ist. Das hat sich doch nicht alles von einem Tag zum anderen gewandelt. Das hat zum Teil weit über ein Jahr gedauert.
— Aber ich darf meine Meinung sagen,
und wenn ich sie sage, dann nicht, um irgend etwas zu idealisieren, sondern um nicht etwas von dem vermiesen zu lassen, was von unterschiedlichen Ausgangspunkten her — zum Teil durch nicht übereinstimmende Überzeugungen getragen — gemeinsam geleistet worden ist.
Jeder muß das Recht haben zu sagen, was er glaubt, nämlich daß er, wenn er dabei über noch mehr Einfluß verfügt hätte, aus seiner Sicht auf noch eindeutigere Ergebnisse hätte hinweisen können.
Aber ich sage nicht, daß dies dazu führt, das zu reduzieren, was man geleistet hat und woran gemeinsam gearbeitet worden ist. Ich sage, auf die Außenpolitik bezogen, nicht: Wie herrlich weit haben wir es gebracht! Es wäre unverantwortlich, das zu sagen. Ich sage nur guten Gewissens und nicht nur auf Grund dessen, was ich in den Zeitungen lese, sondern auch auf Grund dessen, was ich, wenn ich herumkomme, erfahre, auf Konferenzen und draußen bei Besprechungen in den verschiedenen Teilen der Welt: Das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland hat in dieser Zeit der Regierung der Großen Koalition nicht Schaden gelitten, sondern es ist gewach-
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11986 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Bundesminister Brandtsen. Wir stehen heute außenpolitisch in Europa undin der Welt nicht schwächer, sondern gesicherter da.
Da es eine unleugbare Interdependenz zwischen Innen- und Außenpolitik gibt, hat die Ordnung der Dinge im Innern, zumal auf dem Gebiet der Wirtschaft, hat aber auch die Schärfung des Bewußtseins für die Reformnotwendigkeiten dazu beigetragen, daß wir außenpolitisch besser und stärker dastehen.Nun muß weitergestritten werden, nicht nur zwischen der Opposition in diesem Hause und den Fraktionen, die die Mehrheit bilden, sondern auch unter denen, die die Mehrheit bilden. Es streitet sich aber besser, wenn es nicht in erster Linie darum geht, wer früher irgend etwas zu verantworten hatte. Es streitet sich viel besser, wenn man, gestützt auf eine Besserung der Verhältnisse, miteinander darin wetteifert, in welcher Weise es rascher vorangehen soll: auf den Gebieten der Modernisierung, der Reformprojekte und, wie ich meine, auch der Demokratisierung in den verschiedenen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens.Man fragt gerade 'den Außenminister gelegentlich, was er eigentlich von der Rolle Deutschlands in der Welt hält. Dann versucht er zu sagen, was ich zum Schluß dieser Ausführungen vor diesem Hohen Hause sagen möchte. Ich bin davon überzeugt, daß es innerhalb der Großren Koalition und mit den Freien Demokraten keine Meinungsverschiedenheiten darüber gibt, daß die Rolle der Bundesrepublik Deutschband in der Welt nicht darin bestehen kann, in irgendwelche Vorstellungen zurückflüchten zu wollen, die sich auf eine Großmachtstellung alten Stils hinbewegen. Das wollen wir nicht; das ginge übrigens auch nicht. Aber ich habe Verständnis dafür, wenn unsere Mitbürger — und gerade 'die jungen — uns draußen sagen: Aber es muß doch eine spezifische Rolle ,geben! Und 'diese Rolle kann nicht zurückgestellt werden, bis 'Europa Wirklichkeit ist. Während Europa erst noch wind, muß Deutschland in der Welt auch über Europa hinaus in der Welt wirken. Es muß danach streben, sich darzustellen, jetzt sage ich nicht: als eine große Macht, aber als 'eine möglichst gewichtige, bedeutende Macht auf den Feldern friedlicher Leistungen.Das heißt erstens — unid darum haben wir uns bemüht und 'bemühen wir uns weiter —, vom Frieden nicht nur in dem Sinne zu sprechen, daß wirdarauf hoffen, andere würden ihn schon retten. Das bedeutet vielmehr, daß .wir uns, ohne uns zu überschätzen und zu überheben, um eigene deutsche Beiträge zur Sicherung des Friedens in Europa und in der Welt bemühen. Das bleibt die Aufgabe.
Zweitens heißt das, die Rolle unserer auswärtigen Politik auch darin zusehen — dies steht voll gleichgewichtig daneben —, auch für übermorgen Arbeitsplätze und wachsenden Wohlstand zu sichern, indem man sich um die Erhaltung von Freundschaften und um das Gewinnen neuer Freunde und neuer Märkte bemüht und neuen Möglichkeiten in der Welt nachspürt, wissenschaftlich und technisch.Das leitet über zum Dritten — darum spreche ich gern von der Kulturpolitik als der dritten Säule der auswärtigen Politik, und das 'sollten wir nie zu kurz kommen lassen; alle drei Elemente stehen nebeneinander —: deutsche Kultur und die deutsche Kulturnation — ich spreche auch dieses Wort ohne Scheu aus — nicht nur darzustellen — übrigens möglichst zeitgerecht darzustellen —, sondern sich im Austausch, .im Geben und Nehmen, im geistigen und kulturellen Austausch bewähren zu lassen.Wenn wir das als Elemente eines Generalnenners verstehen, dann wind wir meiner Überzeugung mach auf dem richtigen Weg. Aber ich bin ganz sicher, daß wir, gestützt auf gute Ansätze, immer wieder ganz großer Anstregungen bedürfen, um dauerhafte Fortschritte zu erzielen, sowohl in bezug ,auf die eingangs erörterte Europapolitik, wie um den welter gesteckten Zielsetzungen nahezukommen, von denen ich gesprochen habe.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt Herr Kollege Zoglmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist mir 'ein persönliches Bedürfnis — ich drücke dabei auch die Auffassung meiner Freunde aus —, zum Eingang meiner Darlegungen hier zu erklären, daß uns die Atmosphäre der letzten Stunde, in der der Herr Außenminister gesprochen hat, sehr angenehm berührt. Diese Atmosphäre ist wesentlich verschieden von der Atmosphäre des heutigen Vormittags. Ich glaube, wir sollten diese gute Atmosphäre zu einem guten Gespräch benützen.Nun hat der Herr Außenminister am Ende seiner Ausführungen — ich bitte, es nicht mißzuverstehen, wenn ich das sage — eine Art Pflichtübung vollzogen, und zwar nicht einmal so sehr in seiner Eigenschaft als Außenminister, sondern in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei und möglicherweise auch im Hinblick auf künftige Entwicklungen in der Bundesrepublik. Ich muß Ihnen sagen, Herr Bundesminister, daß ich diesen Teil Ihrer Ausführungen eigentlich als den schwächeren empfinde.
Im anderen, größeren Teil Ihrer Ausführungen finde ich sehr viel, was mich angenehm anspricht.In dem, was Sie zuletzt sagten, sind einige Dinge enthalten, die wir nicht unwidersprochen im Raum stehenlassen sollten. Sie haben gesagt: Eine Koalition hat immer Probleme; selbst wenn eine Partei allein die Mehrheit hat, hat sie auch Probleme; sie wird dann leicht übermütig. Ich würde sagen, man müßte noch hinzufügen: wenn eine Partei allein regiert, ist sie eigentlich auch eine Koalition. Sie ist dann nämlich eine Summe von Interessengegensät-
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Zoglmannzen, die sich zunächst einmal in dieser einen Partei abklären müssen. Dieses ,ständige Gerede von Koalitionen und nicht Koalitionen, von Koalitionszwang und davon, daß es besser sei, unter keinem Koalitionszwang zu stehen, ist doch sehr problematisch, wenn man die Dinge auf ihre 'eigentliche Substanz zurückführt.
Sie haben hier ein bißchen den Eindruck erweckt, als ob der Kollege Mischnick heute vormittag hätte anklingen lassen, daß wir den Parteien, die im Augenblick die Bundesregierung bilden, den Vorwurf machen, daß sie überhaupt beieinander sind. Davon kann gar nicht die Rede sein, selbst wenn die beiden Fraktionen so groß sind, wie sie sind, nämlich 450 von 500 Bundestagsabgeordneten.Allerdings wird es hier problematisch. In der Demokratie sollte eigentlich die Opposition eine mögliche Alternative zur Regierung sein. Bei allem Selbstbewußtsein, das wir haben, und bei aller Hoffnung, daß wir im Herbst in der Wahlauseinandersetzung sehr gut abschneiden werden, würde doch keiner von uns ernsthaft die Auffassung vertreten, daß wir eine Alternative zur Regierung in dem Sinne wären, daß wir am Ende mit absoluter Mehrheit in dieses Haas zurückkehren. Ich muß also sagen, bei 450 Abgeordneten wird es problematisch. Herr Bundesminister, das Problem ist nicht, daß in einer Regierung zwei Große sind, sondern das Problem besteht darin, daß man dann auch größere Anforderungen an ihre Leistungen stellt. Das ist das Kriterium. Die SPD hat von der vorigen Regierung immer behauptet, sie sei die Regierung einer verhältnismäßig kleinen Koalition. So klein war sie im übrigen nicht; sie hatte eine Mehrheit von 100 Abgeordneten in diesem Haus, und das ist immerhin beträchtlich. Eine so große Koalition wie die jetzige muß natürlich mit .ihren Leistungen am Ende dieses Unternehmen rechtfertigen. Genau das, Herr Bundesaußenminister, hat der Kollege Mischnick heute in seinen Ausführungen mit Recht dargestellt. Der Anspruch, der hier erhoben wird, ist den Leistungen, die hinterher erbracht wurden, nicht adäquat. Das ist das Problem.
Sie haben weiter gesagt: Wo standen wir 1966! Dann haben Sie — wenn ich es etwas journalistisch ausdrücke — ein wenig Katastrophenstimmung gemacht: Die Arbeitsplätze waren bedroht, die Staatsfinanzen waren zerrüttet, in der Außenpolitik waren wir isoliert, das Zittern kam schon usw. Das ist es, Herr Bundesminister, was ich vorhin mit dem etwas schwächeren Teil der Ausführungen meinte. Wenn man die Dinge nämlich nüchtern betrachtet — wir sollten sie nüchtern sehen; hier folge ich Ihnen ganz, wenn Sie sagen, wir sollten hier drinnen so reden, daß wir einander immer ansehen können; wir sollten es auch draußen tun —, dann dürfen wir, so meine ich, so etwas nicht sagen. Wir dürfen es jedenfalls nicht unwidersprochen lassen. Denn so, wie Sie sie dargestellt haben, waren die Verhältnisse gar nicht. Ich will das nicht alles vertiefen. Von einer Staatskrise, von einer damals möglichen oder einerdamals drohenden Staatskrise zu reden ist ganz abwegig.Sofern Sie auf das Hochkommen der NPD damals in Bayern und in Hessen abgehoben haben, muß ich ergänzend sagen: Dieser Zug zur NPD ist auch nach der Bildung der Regierung Kiesinger-Brandt — wenn ich das einmal so sagen darf — weitergegangen. Die Wahlen in Baden-Württemberg waren ja ein halbes Jahr
— anderthalb Jahre; ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Kollege, es verstärkt mein Argument —, ein und ein halbes Jahr nach der Regierung KiesingerBrandt, und bei dieser Wahl in Baden-Württemberg hat diese Partei ganz beachtlich abgeschnitten. So einfach können wir also die Dinge nicht darstellen, wie es hier anklang. Ich will das nicht vertiefen, weil ich an sich zu außenpolitischen Problemen etwas sagen wollte. Aber ich glaube, es ist notwendig, am Eingang eines Gesprächs über die Außenpolitik — ich bestätige Ihnen noch einmal die sehr angenehme sachliche Atmosphäre, in der Sie sonst hier gesprochen haben — zunächst einmal Mißverständnisse aus der Welt zu bringen, die dieses Gespräch vielleicht unnötig belasten.Sehr stark war natürlich der Gegensatz zu Herrn Barzel heute vormittag in bezug auf die Bewertung der Budapester Konferenz. Während der Herr Außenminister sachlich und nüchtern auch das Positive dieser Budapester Aussage anklingen ließ, vermißte ich das beim Vorsitzenden der größten Fraktion dieses Hauses heute völlig. Denn wie das Ding zunächst etikettiert wird, ob nun die Russen sagen, sie wollten mit ihren Verbündeten eine Sicherheitskonferenz, und ob wir dann sagen, wir möchten eine Friedensregelung, daran darf man sich nicht stoßen. Natürlich wird jeder am Anfang seine Ausgangsposition errichten. Natürlich haben die Russen ein Sicherheitsbedürfnis, heute vielleicht ein größeres als sonst. Sie werden daher die Sicherheitsprobleme in den Vordergrund schieben. Aber gerade die Tatsache, daß sie Sicherheitsprobleme haben, läßt uns für die Regelung unserer Probleme hoffen. Denn nur in der Aushandlung kann man sich am Ende näherkommen. Herr Dr. Barzel hat heute ausgeführt, man könne nicht auf die Budapester Aufforderung eingehen, weil etwas verlangt werde, was wir gar nicht brauchen könnten; wir brauchten eine Konferenz über die Friedensordnung. So geht es nicht. Man muß dem Partner — und in diesem Fall ist die Sowjetunion mit ihren Verbündeten der Partner — gestatten, daß er seine Ausgangsposition darlegt. Wir werden die unsere darzulegen haben, und dann wird man sehen, wie man weiterkommt.Heute morgen und auch jetzt wieder beim Herrn Außenminister ist angeklungen, daß die Russen dabei nichts über die Teilnahme der Amerikaner gesagt haben. Vom Herrn Außenminister wurde das nicht in negativem Sinne gesagt, aber bei Herrn Barzel klang es heute morgen negativ an. Ich möchte dazu sagen, auch das bitte ich als zur Ausgangsbilanz der Russen gehörend zu zählen. Natürlich
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11988 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Zoglmannwerden die Russen nicht ihrerseits erklären: In eine solche Konferenz wollen wir von vornherein die Amerikaner mit hineinnehmen, sondern sie werden mit Recht sagen: Das ist doch ein Petitum der anderen; das sollen die anderen erst einmal verlangen. Warum sollten denn die Russen von vorherein verlangen, daß die Amerikaner mit dabei sind? Dadurch würde ja ihre Position offensichtlich schwieriger werden. Das ist doch eine Überforderung des Verhandlungspartners, und eine solche Überforderung sollten wir nicht vornehmen.Nun taucht natürlich die Frage auf, ob wir uns gegenüber den sozialistischen Ländern, insbesondere gegenüber der Sowjetunion, im letzten Jahr psychologisch immer richtig verhalten haben. Ich möchte der Bundesregierung nicht unterstellen, ja ihr nicht einmal im entferntesten den Vorwurf machen, sie wolle mit der neuen Ostpolitik — die ja auch nicht so neu ist; sie geht eigentlich auf die Ablösung des Herrn von Brentano durch Herrn Schröder damals im Auswärtigen Amt zurück; die Dinge haben sich eben langsam entwickelt — der Sowjetunion einen Schaden zufügen. Niemand von uns will das. Aber die Sowjetunion und die Russen 'überhaupt neigen zu einer gewissen hintergründigen Betrachtung dessen, was die anderen tun, um es einmal sehr vorsichtig auszudrücken. Deshalb muß man auf die psychologische Situation, in der sich hier der Partner befindet, besonders Rücksicht nehmen, und das kann man natürlich nicht so abtun, wie es heute morgen hier geschehen ist. Da kann man nicht sagen, die östliche Seite reagiere jetzt auf die ausgestreckte Hand so, daß man fast den Eindruck habe, ihr wäre die geballte Faust lieber. Meine Damen und Herren, das ist ein böses Wort.
— Na, Herr Kollege von Wrangel, in etwa ist das so angeklungen, und das sollte man eben nicht sagen. Aus einem Gespür für die Verantwortung, die wir alle in diesen Dingen haben, muß ich hier widersprechen; denn das darf nicht unwidersprochen im Raume stehenbleiben.
Ich komme noch einmal auf die psychologische Situation der Sowjetrussen zurück. Ich wünsche jetzt von keinem in diesem Hause, auch nicht von den Herren auf der Regierungsbank, eine Antwort, aber ich möchte Sie alle bitten, mit uns gemeinsam zu überlegen, ob wir uns beim Aufkommen des sogenannten Prager Frühlings im vorigen Jahr immer psychologisch richtig verhalten haben.
— An die Reise von Herrn Scheel nach Prag. Ausgezeichnet! Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Kollege Guttenberg, daß Sie mir die Möglichkeit geben, dazu ein klärendes Wort zu sagen. BevorHerr Scheel in München seine Reise nach Prag antrat, habe ich mich mit ihm noch sehr eingehendunterhalten. Sie sind mir sicherlich nicht böse, wenn ich sage: aus dem böhmischen Raum und hinsichtlich der Mentalität seiner Leute habe ich mir im Leben einiges an Erfahrungen zugelegt. Ich konnte also dem Kollegen Scheel eine ganze Reihe von sehr guten Ratschlägen geben, genauso wie ich es schon bei der Reise von Thomas Dehler vor drei Jahren getan habe, der auf meine Bitte hin eben nicht nach Lidice fuhr und sich nicht zu billiger Propaganda hergab, wie es leider andere unbewußt getan haben. Herr Scheel hat sich in Prag so verhalten, Herr von Guttenberg, daß er sehr böse Kommentare seiner Reise in der DDR-Presse einheimsen mußte, sehr böse Kommentare, aber nicht etwa deshalb, weil er mit Herrn Dubček gemeinsam in Reformkommunismus gemacht hat, sondern deshalb, weil er in Prag die deutschen Interessen richtig vertreten hat. Deshalb stieß er auf die Kritik der Leute aus der DDR.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege, von Herrn Schulze-Vorberg?
Sehr gern!
Herr Zoglmann, ich könnte mir denken, daß Ihre Bemerkung von der billigen Propaganda mißverstanden werden könnte. Ich bin überzeugt, Sie haben es nicht so gemeint. Nicht jeder Politiker, der an eine Gedenkstätte geht, tut das aus „billiger Propaganda". Es gibt dafür auch sehr ernste menschliche Gründe. Man sollte das nicht so mit einem Wort abtun; es kann mißverstanden werden.
Gut, Herr Kollege, ich lasse das gelten. Wir wollen das hier auch nicht in einem Sinne erörtern, der unnötig Friktionen schafft. Das will ich ja gar nicht, sondern ich möchte, daß wir gemeinsam über die Dinge nachdenken.Herr Guttenberg, wenn der Führer der Oppositionspartei sich in einer Situation — wie es im vorigen Jahr im Juni/Juli in der Tschechoslowakei der Fall war — am Ort selbst ein Bild zu machen versucht, dann fällt das noch immer in den Bereich dessen hinein, was ich mir von einem gut funktionierenden Parlamentarismus erwarte.Aber lassen Sie mich jetzt eines sagen — ich hätte es vielleicht sonst nicht gesagt, aber weil Sie diese Frage hier aufbrachten, muß ich sie stellen —: glauben Sie denn, daß es sehr gut war, in dieser Situation den Präsidenten der Bundesbank nach Prag zu entsenden?
Glauben Sie, daß das gut war? Diese Frage möchte ich doch hier mal stellen.
— Ja, der kann reisen, wann er will. Aber soll ichIhnen sagen, daß er natürlich nur gereist ist, nach-
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Zoglmanndem er vorher im Wirtschaftsministerium und das Wirtschaftsministerium seinerseits im Bundeskanzleramt nachgefragt hat, ob die Reise genehm sei. Herr von Guttenberg, das wissen Sie genauso gut wie ich. Ich glaube, jetzt sind wir auf einem schlechten Weg.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, zunächst von Herrn Kollegen Müller-Hermann?
Bitte!
Herr Kollege Zoglmann, ich habe bei meiner folgenden Frage davon auszugehen, daß die Kritik an der psychologisch-taktisch nicht rechten Behandlung der Tschechen im vergangenen Jahr von Ihnen ausgegangen ist, und von der Unterstellung, daß Herr Scheel als Chef der Opposition ein gewichtiges Mitglied des deutschen Parlaments ist und daß wir in den Bemühungen um bessere Kontakte zur Tschechoslowakei sogar auf den gleichen Wegen voranzukommen versucht haben. Jetzt frage ich: war es in der damaligen Situation — Mitte des Jahres — bei den Entwicklungen, die sich abzeichneten, der richtige Zeitpunkt, daß Herr Scheel als Chef der Opposition in Prag diese Gespräche führte?
— Ja, wesentlich.
Herr Kollege Müller-Hermann, ich will darauf eingehen. Ich habe schon gesagt, daß eine Sache am Ende immer daran gemessen werden muß, was dabei herausgekommen ist. Die Reise des Herrn Scheel hat in keiner Weise Dinge tangiert, die ich mit meiner Aussage gemeint habe.
Das ist das Entscheidende. Ich habe keinerlei Notiz in der Ostpresse gelesen — angefangen von der russischen Presse bis hinüber nach Ungarn oder Bulgarien; soweit man das verfolgen kann —, keine einzige Aussage mit Ausnahme der Aussagen, die in der DDR-Presse standen. Die waren eigentlich alle für uns positiv in dem Sinne, wie ich das vorhin zitiert habe. Hingegen konnte die Reise des Herrn Blessing in einem solchen Zeitpunkt — Herr von Guttenberg, da werden Sie mir recht geben — zumindest mißverstanden werden, gerade im Zusammenhang mit Überlegungen über die Zurverfügungstellung internationaler Anleihen für die Tschechoslowakei, die über die Schweiz abgewickelt werden sollten usw. Hier ist eben das angerührt, was ich meine. Versetzen Sie sich bitte in die psychologische Situation des Partners, der sowieso vor Mißtrauen strotzt und den man daher — das nützt nichts — entsprechend behandeln muß. Das meinte ich mit meiner Aussage.
Das Zweite darf ich gleich hinzufügen.
— Entschuldigung, Herr Kollege; ich muß den Gedanken noch zu Ende bringen. — Das Zweite: wir haben uns natürlich auch hinterher nicht sehr klug verhalten. Wenn so eine Sache, wie sie am 21. August passiert ist, vor sich geht, ist das natürlich etwas Schreckliches und Furchtbares, wenn etwas transparent wird, was transparent zu machen sicher auch den Russen sehr unangenehm war. Die Leute aus Moskau haben ein halbes Jahr lang Konferenz auf Konferenz, Gespräch auf Gespräch stattfinden lassen, alles nur in der Überlegung, am Ende das verhindern zu können, was sie am 21. August schließlich doch gemacht haben. Die Russen hatten also sehr wohl ein Empfinden dafür, daß sie in eine sehr problematische Sache hineingeraten waren. Und nun wußte doch jeder, daß die Weltgeschichte weitergeht; jeder wußte: aus dem August wird der September, und aus dem September wird der Oktober und der November und der Dezember, und nach einem halben Jahr 'spätestens, muß man wieder miteinander reden. Man hat es sogar schon früher getan. Ich frage mich: Wo liegt der Sinn eines Verhaltens, das zunächst einmal die Dinge erschwert, problematisiert, um am Ende doch wieder in ein Gespräch einzumünden, das dann natürlich mit den Hypotheken aus dieser Zwischenepoche belastet ist? Meine Damen und Herren, in dieser Zeit haben wir uns nach meinem Dafürhalten nicht klug genug verhalten, und ich empfinde das als einen Nachteil.
Gestatten Sie eine Frage von Herrn Kollegen Kiep?
Bitte!
Herr Kollege, ist Ihnen nicht bekannt, daß der Präsident der Deutschen Bundesbank, Herr Blessing, der auf Einladung der Tschechischen Notenbank nach Prag gereist ist, diese Reise an sich absagen wollte und nur auf dringenden Wunsch seiner Gastgeber trotzdem angetreten hat, und daß beim Zustandekommen seiner Reise weder das Bundeskanzleramt noch das Bundeswirtschaftsministerium mitgewirkt haben oder eine solche Reise befürwortet oder ihn zu einer solchen Reise gedrängt haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich will hier nicht sagen, daß das Bundeskanzleramt oder das Wirtschaftsministerium ihn gedrängt hat. Das will ich jetzt nicht sagen, weil ich es nicht weiß.
— Weil ich es nicht weiß, kann ich es nicht sagen. Ich sage hier nur das, meine Kollegen, was ich weiß; und ich weiß, daß rückgefragt wurde, und ich weiß, daß er das Plazet bekam. In dem Augenblick, wo jemand bei einem anderen rückfragt, der ihm übergeordnet ist, übernimmt derjenige, der das Plazet gibt, natürlich eine gewisse Verantwortung. Wir wollen doch die Dinge nicht unnötig in ein Licht bringen, in das sie nicht gehören.
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11990 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
ZoglmannWenn Sie sagen, Herr Blessing ist von der Tschechischen Notenbank eingeladen worden, so will ich Ihnen auch dazu etwas sagen. Es gibt sicher im Leben Situationen, wo Sie einmal jemandem auch in seinem eigenen Interesse nein sagen müssen, weil, wenn Sie das tun, was er von Ihnen verlangt, am Ende auch demjenigen, für den es geschehen soll, es nicht gut bekommt. Da muß man, weil man die größere Einsicht in die Dinge hat, auch einmal ablehnen. Dafür hätten sich sicher Begründungen finden lassen. — Sie alle wissen genau, was ich meine, meine Damen und Herren; an Ihren Gesichtern kann ich es erkennen. Also lassen wir das.Ein Letztes. In diese Überlegung gehört auch eine Aussage hinein, die ebenfalls einmal von dieser Stelle as gemacht werden muß. Ich halte es nicht für eine gute Sache, daß im Zusammenhang mit den Gesprächen über die Abhaltung der Bundesversammlung in Berlin und über die Möglichkeiten, die sich ganz zuletzt abgezeichnet haben, mag man sie bewerten wie auch immer, von maßgeblicher Stelle aus dem Bereich des Bundeskanzleramtes, so darf ich es einmal formulieren, eine Aussage kommt: „Wir haben Herrn Ulbricht ausmanövriert." Meine Damen und Herren, wer so etwas sagt, —
— Das ist geschehen; das hat der Bundespressechef — zumindest in den Zeitungen stand es zu lesen, ich habe von ihm kein Dementi gehört — gesagt: „Es ist uns gelungen, Herrn Ulbricht auszumanövrieren". So habe ich das gelesen. So etwas in einem solchen Augenblick zu sagen, beweist nur, meine Damen und Herren, daß diejenigen, die .das sagen, keine Empfindung dafür haben, daß die Stellung des Herrn Ulbricht nach dem 21. August eine unvergleichlich andere ist als die, die er vorher hatte, und daß die Sowjetrussen Herrn Ulbricht gegenüber sich in einer Situation befinden, die vielleicht auch ihnen selber nicht sehr angenehm sein mag, die es aber eben nicht zuläßt, daß man solche Aussagen macht, ohne auch Folgen zu provozieren. Deshalb führe ich das hier an, und ich würde es begrüßen, wenn man daraus lernte und wir uns in Zukunft solcher Aussagen enthielten.
Herr Abgeordneter, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Dr. Strauß gestatten?
Von Herrn Abgeordneten Dr. Strauß mit besonderem Vergnügen.
Damit nach diesen Ausführungen keine Unklarheit besteht: sind Sie bereit, Herr Kollege Zoglmann, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich zufällig dabei war, als der Herr Bundeskanzler den Herrn Bundesbankpräsidenten Blessing angesprochen und ihm seine Bedenken im Zusammenhang mit der geplanten Reise nach Prag mitgeteilt, allerdings zur Antwort bekommen hat, daß seine einladenden Gastgeber die Absage als einen politischen Affront verstehen würden, weshalb er
die Reise leider nicht absagen könne? So war der Verlauf, den ich persönlich miterlebt habe.
Herr Kollege Strauß, selbstverständlich nehme ich Ihnen das genauso, wie Sie es sagen, ,ab, und ich bedaure sehr, 'daß ein Mann, der so maßgebliche Verantwortung trägt wie der Herr Bundesbankpräsident Blessing, einem Rat des Herrn Bundeskanzlers nicht gefolgt ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zusatzfrage?
Herr Kollege Zoglmann, teilen Sie meine Auffassung, daß ,die gefährlichsten Feinde der in Prag an einem neuen Werk arbeitenden Reformkommunisten ihre lautstarken Bewunderer und Interessenten westlich der tschechischen Grenzen waren?
Herr Kollege, ich stimme Ihnen da voll bei und darf für meine Kollegen aus der Journalistik sagen: Was die deutschen Journalisten, einschließlich der Fernsehjournalisten, in der Zeit von Januar 'bis August unbewußt praktiziert haben, hat am Ende vielleicht mit ein Teil Schuld ,daran, daß die Dinge so ,gelaufen sind, wie es geschehen ist. Machen wir uns bitte nichts vor, so war es leider. Ich bin Ihnen für 'die Frage sehr dankbar.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Frage?
Ich darf noch eine letzte Frage stellen. Ich habe aus Ihren Worten entnommen, daß die sogenannte Presse im anderen Teil 'Deutschlands die Reise des Herrn Bundesvorsitzenden der FDP mit großen Vorwürfen hinsichtlich seiner Vertretung 'deutscher Interessen verfolgt hat. Könnten Sie bereit sein, mit mir darüber nachzudenken, ob nicht gerade der diesen „Vorwürfen" zugrunde liegende Sachverhalt auch ein Stück Beitrag dazu war, daß man in Prag in immer größere Schwierigkeiten gegenüber anderen Brüdern geriet?
Herr Kollege Strauß, ich bin immer gern bereit, selber nachzudenken und auch mit anderen gemeinsam nachzudenken; aber ich muß Ihnen sagen: Hier sind einfach die Größenordnungen verschoben.
— Nein, das hat mit dem Oppositionschef gar nichts zu tun. Natürlich, Herr Kollege Müller-Hermann,— wenn Sie nun schon insistieren — ist es etwas anderes, ob ein Bundesbankpräsident nach Prag fährt und ob er verdächtigt werden kann, daß er dort Gespräche über mögliche Anleihen führt, die die Russen als gegen sich gerichtet empfinden, oder ob der Chef einer Oppositionspartei zu einem reinen Informationsbesuch dorthin fährt. Das sind doch sicherlich zwei verschiedene Schuhe, und keiner
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Zoglmannvon uns sollte so tun, als ob beides das gleiche wäre. Hier sind einfach die Größenordnungen verschieden.Ich darf ein Weiteres hinzufügen. Auch aus den allerletzten Tagen ist mir ein solches Beispiel einer psychologisch falschen Nachrichtenpolitik der Bundesregierung präsent. Denken sie an die Auseinandersetzung jetzt am Ussuri: Da kommt der sowjetische Botschafter zum Bundeskanzler — eine höchst spektakuläre Sache! Es ging Ihnen sicher nicht anders als mir: wir waren alle überrascht, daß er zum Bundeskanzler geht und mit ihm solche Dinge erörtert. Und was steht am Ende — wiederum als Quelle Bundespresseamt — in den Zeitungen? Es steht darin, man müsse die Darstellungen der Russen mit einer gewissen Reserve entgegennehmen, weil ja bekannt sei, daß sie auch in der deutschen Frage immer falsche Meldungen in die Welt setzen. Eine solche Politik ist eben schlecht. Sie ist auch deshalb schlecht, weil man ja wohl nicht unterstellen kann, daß die Aussagen des anderen Partners in diesem Streit glaubhafter wären als die, die aus Moskau kommen. Das wird doch ernsthaft niemand behaupten wollen. Und das Zweite: Herr Kollege Guttenberg, ich weiß nicht, ob Sie die Absicht haben, nach mir zu sprechen; aber wenn Sie es tun, wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir nachher die Frage beantworten würden: Wer von uns hat wirklich die sachlichen Informationen, um über diese Dinge eine endgültige Aussage machen zu können? Ich befürchte: im Augenblick keiner. Deshalb ist eine solche Aussage, wie sie erfolgt ist, unqualifiziert und schadet uns allen. Das ist etwas, was hier einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden sollte.Meine Damen und Herren, nun noch einige Punkte, die nur mittelbar mit dem zusammenhängen, was ich hier vorgetragen habe.Der Herr Bundesaußenminister hat vorhin gesagt, daß er im Kulturetat 235 Millionen DM stehen hat. Das ist eine beachtliche Summe; denn wir alle wissen ja, wie sich die Dinge entwickelt haben: vor wenigen Jahren noch 40 Millionen DM, jetzt 235 Millionen DM. Das ist eine große Leistung, die hier vollzogen worden ist. Nichtdestoweniger, Herr Bundesminister, stellt sich die Frage, ob unsere Botschaften gerade in den Ländern, auf die es in den Auseinandersetzungen, die ich hier angesprochen habe, ankommt, richtig ausgestattet sind.Vergegenwärtigen wir uns beispielsweise einmal die Ausstattung der Deutschen Botschaft in Bukarest. Ich stelle fest, daß dort neben dem Leiter der Mission zwei A-15-Stellen, zwei A-14-Stellen und eine A-13-Stelle vorhanden sind. Ich würde sagen, daß das eben nicht ausreicht. Ich habe mir auch erzählen lassen — ich weiß nicht, ob es stimmt; vielleicht kann das hier geklärt werden —, daß man dort nicht einmal einen Pressereferenten hat. Was wollen Sie mit einer Botschaft, die nicht einmal einen Pressereferenten hat, wo also die Kommunikation zur Öffentlichkeit, und zwar in beiden Richtungen, nichtgewährleistet ist? Das gefällt uns nicht, und ich möchte das hier ausdrücklich festhalten.
- Einen Augenblick, Herr Kollege! Ich kommegleich zum nächsten.Nebenan, in Belgrad, sitzt zwar ein Beamter des höheren Dienstes mehr als in Bukarest. Es sitzen dort also sechs Beamte, was erfreulich ist, aber, so würde ich sagen, immer noch zuwenig. Ich habe den Eindruck, daß wir in Belgrad auch sonst nicht sehr viel Glück hatten. Nun hat der Bundesaußenminister— ich muß ihm das anerkennend bestätigen — eine sehr maßvolle und vernünftige Personalpolitik gemacht. Um so unglücklicher ist es, daß die Lösung des Personalproblems an der Spitze der Botschaft in Belgrad doch eigentlich ein bißchen mißglückt ist. Ich will das hier nicht näher ausführen, aber ich möchte sagen, mir scheint die Sache deshalb besonders bedrückend, weil ich in der Entsendung eines Kollegen aus diesem Hause an die Spitze einer Vertretung der Bundesrepublik im Ausland etwas durchaus Positives und Begrüßenswertes sehe. Es trifft uns daher doppelt, daß die Sache dort eigentlich nicht so gelaufen ist, wie wir alle uns das gewünscht hätten. Ich möchte es bei dieser zurückhaltenden Art der Darstellung bewenden lassen.
Man könnte mehr darüber sagen, aber ich möchte es nicht tun.Meine Damen und Herren, ein Weiteres! Wenn ich an die Kommunikation mit diesen Ländern denke, dann erinnere ich mich daran, daß die SPD im August vorigen Jahres mit der Unterschrift des Chefs der Fraktion, nämlich mit der Unterschrift des Kollegen Schmidt , einen Antrag auf Aufhebung des Visazwangs für Reisen in die Ostblockländer eingebracht hat. Dieser Antrag landete dann nach drei Monaten im Auswärtigen Ausschuß, und seither habe ich von diesem Antrag nichts mehr gehört. Seit Oktober ist dieser Antrag einfach nicht mehr präsent. Unterdessen kommt aber etwas anderes. Unterdessen kommt eine Mitteilung — woher sie stammt, wäre zu klären —, daß die Bundesregierung nicht beabsichtige, den Visazwang im Verhältnis zu den Ostblockländern aufzuheben oder auch nur zu lockern. Das wird mit einem nach meinem Dafürhalten abwegigen Argument begründet, nämlich mit der Behauptung, man würde die westlichen Verbündeten damit verärgern, weil diese den Visa-zwang aufrechterhalten. Meine Damen und Herren, das scheint mir doch höchst problematisch zu sein. In unseren Diskussionen in Rumänien, in Ungarn und in Jugoslawien befinden wir uns alle in einer sehr schwierigen Situation, wenn wir an Polizeimethoden Kritik üben und man uns dann entgegenhält: Was wollen Sie, bei uns kann jeder einreisen, schlimmstenfalls bekommt er am Flughafen einen Einreisestempel, einen Quasi-Einreisevisum-Stempel, aber ein Visum im eigentlichen Sinne wird nicht ver-
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Zoglmannlangt, bei euch aber muß man wochenlang auf die Einreisegenehmigung warten! Nun will ich es mir ersparen, darzulegen, warum man wochenlang warten muß. Ich möchte das aus besonderen Gründen hier nicht sagen. Ich will nur feststellen, Herr Außenminister, daß das Verfahren, das wir praktizieren, unserer deutschten Sache nicht nützlich ist. Nur das möchte ich feststellen und Sie bitten, vielleicht einmal zu überlegen, was man da tun kann, um von diesen Dingen wegzukommen.Nun ein Weiteres und ein Letztes. Der Herr Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat erfreulicherweise vor wenigen Tagen in Berlin festgestellt, man müsse sich überlegen, ob man die Entwicklungshilfe nicht auch auf Länder des sozialistischen Blocks ausdehnen könnte. Das ist eine nach meinem Dafürhalten durchaus vernünftige Aussage. Aber, meine Damen und Herren, wie sieht es in der Praxis aus? In der Praxis sieht das so aus, daß wir mit den Rumänen — sehr begrüßenswert und erfreulich — ein Abkomemn über die gegenseitige wirtschaftliche Zusammenarbeit unterzeichnen. Effektiv aber kommt dabei kaum etwas heraus. Man macht z. B. ein Abkommen über Lohnveredelung oder industrielle Zusammenarbeit. Die Waren, die dabei zusätzlich in Bewegung geraten, müssen auf dem normalen Wege über die Kontingente wieder nach der Bundesrepublik zurück. Da die Kontingentzahlen aber nicht erhöht wurden, ist das Ergebnis, daß sich das sofort tim Raume stößt und aus der Sache nichts werden kann. Ich muß Ihnen sagen, daß das ein Verfahren ist, das auf die Dauer gesehen unsere Partner natürlich mit Recht verärgert.Wie ich mir sagen ließ, wird die Bundesrepublik morgen im Bereich der ausländischen Einfuhren bestimmte Weichen neu stellen. Dabei ist unter anderem auch an den Fortfall der Selbstbeschränkungen bei Lieferungen aus Hongkong, Taiwan und Macao gedacht. Es ist nicht einzusehen, warum 90% aller Waren, die aus Hongkong in den EWG-Raum ausgeführt werden, in die Bundesrepublik gehen und nur 10% in alle übrigen Länder, während wir auf der anderen Seite mit den Ostblockländern, mit denen wir wirklich eine sinnvolle Zusammenarbeit entwickeln sollten, durch derartige Beschränkungen der Kontingente dauernd auf Schwierigkeiten stoßen und eigentlich nicht recht vorankommen.Ähnlich liegt es bei Jugoslawien. Mit den Jugoslawen haben wir ebenfalls ein Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit geschlossen. Die deutschen Finnen, die mutig dort hingehen und die Intentionen der Bundesregierung aufgreifen, stellen nun fest, daß die Hermes-Versicherung nicht bereit ist, das politische Risiko des Engagements zu übernehmen. Damit werden aber solche Abmachungen vollkommen illusorisch.Herr Außenminister, ich möchte Sie dringend bitten, diese Dinge einmal zu prüfen und ihnen nachzugehen. Denn sie sind im Sinne dessen, was Sie hier vorgetragen haben, sicher ein hemmender Faktor. Wir sollten uns bemühen, diese hemmenden Faktoren zu beseitigen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte heute nicht in die Debatte eingreifen. Ich werde das zu Beginn der dritten Lesung tun, wie ich schon den Fraktionen mitgeteilt habe. Aber Herr Zoglmann hat mich zunächst in eine etwas peinliche Lage gebracht, indem er eine Behauptung aufgestellt hat hinsichtlich des Besuchs des Herrn Bundesbankpräsidenten in Prag, zu der ich kaum eine Antwort hätte geben können, ohne daß ich dadurch den Eindruck vermittelt hätte, ich würde etwa Herrn Blessing irgendeinen nachträglichen Vorwurf machen. Ich bin aus dieser Situation durch den Herrn Bundesfinanzminister befreit worden, der — ich wußte es gar nicht mehr — Zeuge meines Gesprächs mit Herrn Blessing war. Insofern, Herr Zoglmann, ist ja die Sache richtiggestellt.Ich muß aber noch eines hinzufügen. Mein Gespräch mit Herrn Blessing kam natürlich aus einer prinzipiellen Haltung, die ich selbst vom ersten Augenblick an eingenommen hatte, als sich die ersten Anzeichen der Krise in der Tschechoslowakei zeigten. Wer ein wenig von den Dingen dieser Welt versteht, wußte ja, wie gefährlich das alles werden konnte und daß wir keinen Anlaß hatten, etwa von uns aus 01 ins Feuer zu gießen. Das war für mich der Anlaß, unter allen Umständen alles zu unterlassen, was diesen Eindruck hätte erwecken können. Deswegen war ich eben auch über den Besuch Ihrer politischen Freunde, Herr Zoglmann, in Prag unglücklich. Ich sage das ausdrücklich und habe das hinterher auch den Herren gesagt.Hinzu kam, daß bei einer Unterredung, die ich mit dem Herrn Bundesaußenminister im Juli in Stuttgart hatte, das Gespräch zufällig auf ein Mitglied dieses Hauses kam, das ihm gesagt hatte, es wolle, ich glaube, am selben oder am anderen Tag nach Prag fahren. Ich bat ihn, diesem seinem Parteifreund zu raten, diese Reise nicht zu unternehmen, so wie ich meinen Parteifreunden genau dasselbe raten werde. Beide haben wir dies dann auch getan. Wir haben uns nicht nur in diesem Punkt mit der äußersten Behutsamkeit bewegt, sondern während all jener kritischen Wochen alles vermieden, was dazu hätte beitragen können, daß wir die Krise etwa verschärft oder aber einen Vorwand gegeben hätten für Angriffe, die dann natürlich ohnehin gekommen sind.Ich muß also die Behauptung zurückweisen, daß wir uns in der damaligen Zeit unklug oder gar leichtfertig verhalten hätten. Aber ich muß hinzufügen, daß mein Rat an Herrn Präsident Blessing damals natürlich auch bedeutet hat — so hat er ihn auch verstanden, als er mir sagte, nun könne er so kurzfristig nicht mehr gut absagen, weil das einem Affront gleichkomme —, daß er sich bei seinem Besuch in Prag ganz im Sinne meines Rates an ihn bewegen solle. Und dies hat er — er hat mir nach seiner Rückkunft berichtet — dann auch getan. Sie werden verstehen, daß ich über den Inhalt dessen, was er mir nach seiner Rückkunft berichtet hat, jetzt
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969 11993
Bundeskanzler Kiesingervor diesem Hohen Hause keine Mitteilungen machen möchte. Diese Erklärung war ich also dem Herrn Bundesbankpräsidenten schuldig.Was im übrigen den Besuch des Botschafters der Sowjetunion, Herrn Zarapkin, bei mir betrifft, so hat es eine solche Erklärung, wie Sie soeben zitiert haben, nie gegeben. Ich kann Ihnen nur sagen, daß meine eigenen Auslassungen dazu so waren, wie sie eben sein müssen, wenn der Botschafter einer fremden Macht kommt und eine Mitteilung überbringt, die man mit der gebührenden Aufmerksamkeit entgegennimmt.Mit all diesen Dingen die Position des Herrn Ulbricht — eine Äußerung, die der Bundespressechef gemacht haben soll — bei einer außenpolitischen Aussprache so fragmentarisch anzurühren
halte ich für bedenklich und der Sache, d. h. unserer Außenpolitik, nicht nützlich.
Das Wort hat Herr Kollege Majonica.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an die letzten Worte des Herrn Bundeskanzler anknüpfen. Ich halte es nicht für glücklich, wie Herr Kollege Zoglmann die Vorgeschichte des 21. August 1968 hier dargestellt hat. Man kann über die Klugheit von Reisen streiten, man kann über die Klugheit deutscher Journalisten und Fernsehkommentare streiten, wie man will. Aber es ist doch eine Gespensterschlacht, wenn man annimmt, daß dieses Verhalten auch nur irgend etwas dazu beigetragen hätte, wie es am 21. August geschehen ist.
Was den 21. August ausgelöst hat, waren nicht irgendwelche Reisen deutscher Politiker, waren nicht irgendwelche Kommentatoren in den deutschen Rundfunkanstalten oder in den deutschen Zeitungen, sondern war einfach die simple Tatsache, daß in der Tschechoslowakei ein radikaler Entstalinisierungsprozeß zu demselben Zeitpunkt durchgeführt wurde, wo man in der Sowjetunion eine gewisse Restalinisierung vornahm. Diese beiden gegensätzlichen Entwicklungen in der Sowjetunion und der Tschechoslowakei haben dann zur Intervention der Sowjetunion in der Tschechoslowakei geführt, mit der begründeten Furcht der Sowjetunion, daß das, was in der Tschechoslowakei passiere, eines Tages in der Sowjetunion selbst ansteckend wirken könne. Sie brauchen sich ja nur das faszinierende Gutachten von Herrn Sacharow anzusehen, Sie brauchen sich nur die Fortsetzung der Sacharowschen Ideen durch die estnischen Naturwissenschaftler anzusehen, um festzustellen, daß ähnliche Ideen radikaler demokratischer freiheitlicher Art und auch in der Sowjetunion gedacht wurden und die Sowjetunion befürchten mußte, daß die Ansteckung der Tschechoslowakei auf ihr eigenes Gebiet überschlagen würde. Das ist der Grund für die Intervention in derTschechoslowakei. Ich glaube, man sollte hier nicht einen falschen Mythos aufbauen, als ob Deutsche oder deutsche Politiker an diesen Ereignissen auch nur den geringsten Schuldanteil gehabt hätten.
Ich glaube nicht, daß das der deutschen Position und der wirklichen Vorgeschichte gerecht wird, die der 21. August nun einmal gehabt hat. Ich glaube, daß man das einmal sehr deutlich feststellen muß.Auch die berühmte deutsche Wirtschaftskraft, die wirtschaftliche Ausstrahlung hat das nicht vermocht. Ich darf darauf hinweisen, daß wir ja nicht nur mit der Tschechoslowakei, sondern mit allen mittel-und osteuropäischen Staaten einen sehr großen Handelsaustausch haben, ohne daß das zu ähnlichen Reaktionen wie im Falle Tschechoslowakei geführt haben könnte.Herr Bundesaußenminister, ich möchte es begrüßen, daß Sie gesagt haben, daß Sie in der Europapolitik bei unserer bisherigen Zielsetzung bleiben. Das bedeutet doch wohl, daß wir weiter eine sehr schwierige Vermittlungsposition einnehmen und uns vor allen Dingen bemühen werden, das Erreichte zu sichern; denn es wäre wohl eine abenteuerliche Politik, das in Frage zu stellen, was in Europa bisher erreicht worden ist.Ich sehe es als das wichtigste Ergebnis der Konsultationsgespräche in Paris zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn französischen Staatspräsidenten an, daß ein eindeutiges Bekenntnis zur Europäischen Gemeinschaft und zur EWG abgelegt worden ist. Für die Bundesrepublik darf es den Gedanken einer Alternative zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gar nicht geben. Wir müssen unbedingt und unter allen Umständen an der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft festhalten, denn sonst können wir auch jene Ängste nicht beseitigen, die immerzu gegen eine zu starke wirtschaftliche Position der Bundesrepublik vorgebracht werden. Diese Ängste sind nur dadurch zu beseitigen, daß die Bundesrepublik eben fest in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eingebaut bleibt.Sie haben in diesem Zusammenhang vom inneren Ausbau der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, vom europäischen Patentrecht usw. gesprochen. Nun, Herr Bundesaußenminister, Sie werden verstehen, daß es mich ein wenig schmerzt, daß im Zusammenhang mit dem inneren Ausbau der Europäischen Gemeinschaft von der Stärkung der Institutionen der Europäischen Gemeinschaft gar nicht mehr die Rede ist, daß dieser große Problemkreis der Stärkung der Institutionen leider ausgeklammert wird. Ich denke hier beispielsweise an die Einführung der Mehrheitsbeschlüsse im Ministerrat, weil ich der Meinung bin, daß die Einstimmigkeit ein desintegrierendes Element, der Mehrheitsbeschluß aber ein integrierendes Element in diesem nun so wichtig gewordenen Ministerrat ist. Der Ministerrat ist dadurch wichtiger geworden, daß die Europäische Kommission leider zurückgedrängt wird.Ich meine, in diesem Zusammenhang sollte man auch feststellen, daß es notwendig ist, der Euro-
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11994 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Majonicapäischen Kommission exekutive Befugnisse zu geben, daß es vor allen Dingen notwendig ist, eine Aufwertung und Stärkung der Rechte und Zuständigkeiten des Europäischen Parlaments vorzunehmen. Sicherlich ist es so, daß über den kleinen Schritten, die in der Europäischen Gemeinschaft vorgenommen werden, im Augenblick diese großen Probleme in den Hintergrund getreten sind. Man sollte aber niemals vergessen, daß das die eigentlich entscheidenden Fragen sind und daß wir uns um diese eigentlich entscheidenden Fragen kümmern müssen.Herr Bundesaußenminister, wenn gesagt wird, die Erweiterung der EWG durch Großbritannien oder andere beitrittswillige Staaten verändere den Charakter der EWG, dann muß ich, meine Damen und Herren, sagen, daß diese Erweiterung den Charakter der EWG nur dann verändert, wenn die Institutionen nicht stark genug sind, um neue Mitglieder aufzunehmen. Der beste Weg zur Erweiterung der EWG wäre eben, die Institutionen zu stärken.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Fellermaier?
Bitte sehr!
Herr Kollege Majonica, Sie haben dankenswerterweise eine Reihe von Notwendigkeiten zur Aktivierung im Rahmen der EWG
aufgezeigt. Darf ich aus diesem Katalog einen einzigen Punkt herausnehmen und Sie fragen: Wie stellen Sie sich in der Praxis eine Aufwertung des europäischen Parlaments vor? Durch welche konkreten Aktionen des Ministerrats oder einzelner Regierungen der EWG soll das geschehen?
Ich könnte mir vorstellen, daß es in Gesamteuropa zu gemeinsamen europäischen Wahlen für dieses Parlament kommt. Nur scheint es mir wichtiger zu sein, daß zunächst einmal die Befugnisse des Parlaments, etwa auf dem Gebiet des Haushaltsrechts, erweitert werden, um überhaupt aus einem Konsultationsorgan ein wirkliches Parlament mit wirklichen Befugnissen zu machen. Ich bin mir darüber im klaren, welche Schwierigkeiten es im Augenblick macht, daß ein Partner das nicht mitmachen will. Ich habe das hier nur angemerkt, damit es hinter den vielen technischen Einzelheiten nicht vergessen wird und damit wir das große Ziel des inneren Ausbaus — und darunter verstehe ich einen institutionellen Ausbau — der Europäischen Gemeinschaften nicht vergessen.Im Zusammenhang mit dieser Frage der Erweiterung bedauern wir natürlich sehr, daß die Westeuropäische Union in eine Krise hineingeraten ist und daß diese Krise im Augenblick nicht beigelegt werden kann. Gerade in einer weltpolitischen Situation, in der es notwendig wäre, daß Europa mit einer Stimme spricht, ist dieses wichtige Koordinationsinstrument lahmgelegt worden. Aber es sollte von denjenigen weiterhin zur Koordinierung außenpolitischer Meinungen benutzt werden, die zu dieserKoordinierung auch jetzt bereit sind. Mit anderen Worten: wir sollten dafür eintreten, daß die WEU nicht etwa untergeht, sondern erhalten bleibt.Im Zusammenhang mit dem europäischen Sicherheitssystem und der Erklärung von Budapest, Herr Außenminister, haben Sie selbst schon darauf hingewiesen, daß die Vereinigten Staaten in diesem Zusammenhang nicht erwähnt werden. Ich glaube, es besteht in diesem Hause Einstimmigkeit darüber, daß jeder derartige europäische Sicherkeitskonferenz vom Übel wäre, wenn sie einen Schritt dazu beitrüge, die Vereinigten Staaten sicherheitspolitisch aus Europa herauszudrängen. Darüber gibt es hier gar keine Diskussion.Nur muß ich eines noch anmerken. Wenn in dieser Budapester Erklärung von der „Überwindung der Blöcke" 'die Rede ist, dann dürfen wir nicht übersehen, daß Mittel- und Osteuropa ein Geflecht bilateraler Verträge geschaffen hat, die durchaus heute schon den Warschauer Pakt ersetzen könnten, ohne daß die eigentliche Effektivität der Zusammenarbeit auf militärischem Gebiet in Mittel- und Osteuropa dadurch berührt würde. Ich glaube, das muß sehr deutlich gesehen werden. Wenn es einmal einen sehr spektakulären Akt :der Sowjetunion gäbe, den Warschauer Vertrag einfach zur Debatte zu stellen, müßten wir daran denken, daß er mittlerweile schon durch dieses Geflecht bilateraler Verträge ersetzt worden ist.Ich begrüße es auch, Herr Bundesaußenminister, daß Sie hier die Gesprächsbereitschaft der Bundesregierung gegenüber dier Sowjetunion betont haben. Sie haben es eine wichtige Entwicklung genannt, daß der Herr Bundeskanzler durch den sowjetischen Botschafter über den Konflikt am Ussuri, über den Konflikt zwischen China und der Sowjetunion, unterrichtet worden ist. Nur muß ichleider darauf hinweisen, daß diese Unterrichtung vor dem Hintergrund einer Pressekampagne in der Sowjetunion stattfand, die von einer „Achse Bonn—Peking" spricht, die davon spricht, daß wir mit der Chinesischen Volksrepublik unter einer Decke steckten und daß sogar gewisse Aktionen der Volksrepublik China mit uns abgestimmt worden seien. Dias ist natürlich barer Unfug, was hier gesagt worden ist, und ich stimme dem zu, was Sie in einem anderen Zusammenhang gesagt haben, nämlich daß es abenteuerlich wäre, wenn wir uns etwa in diesem Konflikt auf der einen oder anderen. Seite einmischten. Nur sollte man diese beiden Kontraste sehen, auf der einen Seite die Information durch dien sowjetischen Botschafter und auf der anderen Seite die sowjetische Pressekampagne. Man wird dien Diffamierungen und Herabsetzungen der Bundesrepublik gerade dadurch entgegentreten können — Sie haben das hier angedeutet —, daß wir uns bemühen, Mitglied der Abrüstungskonferenz in Genf zu werden, weil es der Bundesrepublik wirklich gut ansteht, Werke dies Friedens zu tun und sich an den Abrüstungsgesprächen aktiv zu beteiligen.Das gleiche gilt auch für Nigeria/Biafra. Hier haben wir doch einen der wenigen außenpolitischen Komplexe, wo es ein positives Engagement breiter Teile der deutschen Jugend ‘gibt, und das verpflich-
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Majonicatet uns dazu — ich unterstreiche das, was Sie gesagt haben —, politische 'Einwirkungen zur Beendigung des Konflikts zu unternehmen und vor allen Dingen humanitäre Hilfe zu leisten.Im Zusammenhang mit der humanitären Hilfe möchte ich aber dem Bundesaußenminister, dem Bundesaußenministerium und vor allen Dingen auch Herrn Ministerialdirektor Dr, Frank einen besonderen Dank aussprechen. In diesem Hause hat es häufig lebhafte Debatten — vor allen Dingen von der FDP ausgelöst — über die in Korea Verurteilten gegeben. Nun hat es Herr Dr. Frank fertiggebracht, daß ein großer Teil — bis auf einen, aber Sie können damit rechnen, daß auch dessen Schicksal bald positiv entschieden wird — aus der Haft entlassen worden ist. Es hätte der Opposition sehr wohl angestanden, gerade weil sie die koreanische Frage hier so oft hochgespielt hat, wenn sie hier auch einmal ihren Dank für das ausgesprochen hätte, was in dieser Frage erreicht worden ist.
Ich möchte es jedenfalls von seiten der CDU/CSU-Fraktion tun. Es war gut, daß wir den Ratschlägen der Opposition nicht gefolgt sind. Hätten wir die diplomatischen Beziehungen zu Korea abgebrochen, wäre keiner von diesen Menschen entlassen worden und nach Deutschland zurückgekehrt, und wir hätten die Beziehungen zu einem sehr wichtigen Land in Ostasien gestört, was sicherlich weder im deutschen noch im koreanischen Interesse liegt.Herr Bundesaußenminister, lassen Sie mich zum Schluß nun noch ein Wort zu der gemeinsamen Arbeit, die von der Großen Koalition geleistet worden ist, sagen. Wir werden diese gemeinsame Arbeit, die in den letzten Jahren geleistet worden ist, auch gemeinsam vertreten. Sie werden aber Verständnis dafür haben, Herr Bundesaußenminister, wenn wir sagen, daß wir in der glücklichen Lage sind, bei der Arbeit dieser Bundesregierung die Kontinuität stärker als unser sozialdemokratischer Koalitionspartner zu betonen. Wir standen immerhin 1966 nicht an einem völligen Neuanfang. Sicherlich hatten wir 1966 kein Paradies in der Bundesrepublik, aber wir haben es auch im Jahre 1969 nicht. Es liegt nun einmal nicht in der Hand der Menschen, ein Paradies zu schaffen. Wir haben 1966 aber auch keine Wüste hier in der Bundesrepublik gehabt.
Wir haben 1966 nicht am Punkte Null anfangen müssen, sondern wir haben auf dem aufbauen können, was vorher geleistet worden ist. Sonst wäre die erfolgreiche Arbeit — das gestehe ich zu, und das unterstreiche ich — der Großen Koalition gar nicht möglich gewesen, denn Wunder kann keine Regierung vollbringen. Die Regierung hätte in den letzten zwei Jahren nicht das leisten können, was geleistet worden ist, wenn die Fundamente nicht vorher sicher und gut gelegt worden wären.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schultz .Schultz (FDP) : Herr Präsident, Meine sehr verehrten Damen und Herren! An den Anfang meiner Ausführungen möchte ich die Zurückweisung dessen, was Herr Kollege Majonica über die Ausführungen meines Kollegen Zoglmann gesagt hat, stellen. Herr Zoglmann hat das Verhalten deutscher Politiker hier in keiner Weise so dargestellt, als ob es die Krise in der Tschechoslowakei herbeigeführt hätte. Das ist doch gar nicht wahr! Das kann doch aus seinen Worten gar nicht entnommen werden. Er hat nur gesagt, daß in einem solchen Fall auch besondere Vorsicht, Zurückhaltung und Diskretion der Politiker hier in diesem Lande notwendig ist. Mehr hat er nicht gesagt.Außerdem, Herr Kollege Majonica, haben wir niemals den Antrag gestellt, die diplomatischen Beziehungen zu Südkorea abzubrechen. Wir haben im Rahmen einer Aktuellen Stunde nur gesagt: Wenn nichts anderes zum Erfolg führt, ist das zu prüfen. Das halte ich noch nicht für eine sehr schlimme Sache, sondern für einen ganz vernünftigen Hinweis.Der Herr Bundesaußenminister hat im Verlauf seiner Rede davon gesprochen, daß zwischen Politikern und zwischen politischen Parteien und letzten Endes auch zwischen Völkern Kompromisse geschlossen werden müßten, wenn man zusammenleben wolle, und daß solche Kompromisse nicht verwerflich seien, wie es oft dargestellt werde. Ich möchte dem hundertprozentig zustimmen; nur gibt es manchmal Situationen, wo der Kompromiß nicht mehr ausreicht, sondern wo man in der Tat eine Entscheidung treffen muß. Am Ende des Kompromisses steht natürlich auch eine Entscheidung. Aber es gibt manche Situationen, wo man den Kompromiß eben nicht vorher suchen kann.Ich will hier mit auf das eingehen, was Herr Kollege Mischnick heute früh über den Nichtverbreitungsvertrag gesagt hat. Hier geht es um eine Entscheidung. Ein Kompromiß wäre, wenn der Herr Bundeskanzler als Vertreter der Bundesregierung die Unterschrift mit einer unsichtbaren Tinte leisten würde. Das wäre ein Kompromiß, aber Sie werden mir zugestehen, das geht eben nicht. Es geht also praktisch darum, die Frage zu klären, ob diese Regierung noch bereit ist, den NV-Vertrag zu unterschreiben oder nicht.Was Herr Kollege Barzel heute früh dazu gesagt hat, hat mir, möchte ich sagen, eigentlich wenig gefallen. Herr Dr. Barzel sagte, wir sollten keine dubiose Unterschritt unter einen solchen Vertrag leisten. Selbstverständlich bin ich auch der Meinung, wir sollten keine dubiose Unterschrift unter den Vertrag leisten. Aber man sollte doch dabei überlegen, was durch den Vertrag inzwischen fixiert ist und was noch interpretationsmäßig klargelegt werden kann. Man muß die Frage stellen: Ist hier noch mehr zu ändern, und wann kann man noch etwas ändern?Herr Kollege Barzel hat heute früh das Beispiel Gaszentrifuge, das Gemeinschaftsprojekt Bundesrepublik-Holland-Großbritannien und die sowjetische Gegenpropaganda dagegen angeführt und hat quasi gefragt: Wollen Sie unter solchen Voraussetzungen
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11996 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Schultz
eine Unterschrift leisten? Ich möchte der CDU/CSU-Fraktion zur Überlegung geben, ob nicht gerade eine Unterschrift unter den Nichtverbreitungsvertrag das Projekt Gaszentrifuge beflügeln würde, insbesondere auch im Blick auf unsere Partner; es ist vielleicht notwendig, daran zu erinnern, daß, wenn Pressemeldungen richtig sind, der holländische Außenminister Luns in einer Rede einmal gemeint hat, es sei wohl an der Zeit, daß die Bundesrepublik sich entscheide und daß sie sich im Sinne einer Unterschrift unter den NV-Vertrag entscheide.Herr Kollege Barzel hat weiter erklärt, daß man nach den tschechischen Erfahrungen nun besonders vorsichtig sein müsse, um es höflich auszudrücken; sein Pathos, mit dem ,er hier gesprochen hat, hätte eigentlich einen viel stärkeren Ausdruck notwendig gemacht. Nun frage ich mich: Was soll der Hinweis auf den 21. August 1968 eigentlich? Befindet sich denn nicht der amerikanische Senat im Stadium der Ratifizierungsverhandlungen? Ist Italien nicht nach dem 21. August dem NV-Vertrag beigetreten, wenn auch mit einer erläuternden Erklärung der Regierung, die ich mir ohne weiteres z. B. als eine Präambel für ein Ratifizierungsgesetz in diesem Hause vorstellen könnte? Warum haben, so müßte man doch Herrn Kollegen Barzel weiter fragen, unsere Euratom-Partner bis auf Frankreich, dessen Haltung bekannt ist, unterschrieben? Glaubt Kollege Barzel vielleicht, daß Frankreich eine Verbesserung des nuklearen Status der Bundesrepublik wünscht? Ich glaube, kaum. Der Herr Außenminister hat, wie ich meine, dazu vorhin Richtiges gesagt. Ich brauche das nicht zu wiederholen.Ich möchte in diesem Zusammenhang eine andere Frage mit anschneiden. Wir alle wissen, daß der schon oft angekündigte Dialog zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion vor uns steht. Daß er geführt werden wird, hat, glaube ich, nichts besser bewiesen als die Möglichkeit der Durchführung der Bundesversammlung in Berlin ohne größere Störung. Ist es im Blick auf diesen Dialog, der geführt werden wird, für unsere Stellung auch gegenüber dem amerikanischen Bündnispartner nicht besser, wir leisten die Unterschrift jetzt? Haben wir dann nicht mehr Einfluß auf diesen Dialog, als wenn wir das nicht tun? Das scheinen mir Fragen zu sein, die in der CDU/CSU-Fraktion bisher noch nicht erörtert worden sind. Ich meine, man müßte sie doch ernsthaft betrachten. Der Herr Bundesaußenminister hat darauf mit dem Satz hingewiesen: Wir müssen uns überlegen, was hinter einer hinausgezögerten Unterschrift steht, ob sie dann noch politisch wertvoll ist.Es ist auch die Frage, ob die Interpretationen des Vertrags in bezug auf Probleme, bei denen die Auslegung noch offen ist, nicht besser mit der Unterschrift als ohne sie zu erreichen sind. Ich meine auch, die Zeit für die Diskussion dieser Fragen, um zu annehmbaren Lösungen zu kommen, zwischen einer Unterschrift und einer Ratifizierung hier im Bundestag wird sicher ausreichen; denn kein Mensch denkt daran — auch wir nicht —, daß dieser Bundestag dies noch tun könnte. Das wird dem nächsten Bundestag überlassen bleiben müssen. Aber es istdoch die Frage, ob die Ungewißheit, die zur Zeit besteht, bis zum 28. September bestehenbleiben soll, so daß dann die Dinge praktisch neu aufgerollt werden müssen. Aus den Worten des Herrn Kollegen Barzel hatte ich etwa den Eindruck gewonnen, daß mit Sicherheit nicht mehr mit einer effektiven Handlung dieser Regierung in dieser Frage zu rechnen sei.Wir haben ausgedrückt, was wir in dieser Frage für richtig halten. Nach meiner Meinung ist es notwendig, bei diesem Problem den Dialog zwischen den Regierungsparteien und auch zwischen der Bundesregierung und der stärkeren Regierungspartei so zu führen, daß eine Entscheidung noch vor der Sommerpause möglich ist. Insofern möchte ich den Herrn Außenminister in dem, was er zu dieser Frage gesagt hat, voll unterstützen. Ich würde mich in unser aller Interesse freuen, wenn es zu dieser Entscheidung kommen könnte. Ob allerdings die Zeit bis zur dritten Lesung dieses Haushalts, wo der Herr Bundeskanzler das Wort ergreifen will und wahrscheinlich auch zu dieser Frage etwas sagen will, ausreicht, die widerstrebenden Meinungen von den Christlich-Sozialen bis hin zu den Sozialdemokraten zu überbrücken, das wage ich zu bezweifeln. Aber wir werden sehen.Ein Letztes zu den Ausführungen von Herrn Kollegen Barzel. Unser Freund Mischnick hat die Frage des europäischen Sicherheitssystems angeschnitten. Herr Barzel hat dazu gemeint: „Was wollen Sie denn eigentlich mit einem europäischen Sicherheitssystem? Wir wollen eine europäische Friedensordnung." Herr Barzel hat dann in sehr pathetischer Weise auf die brennenden Fackeln in der Tschechoslowakei hingewiesen. Meine Damen und Herren, so billige Polemik führt uns doch wohl nicht weiter.
Denn daß ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem praktisch ein Ausdruck der Friedensordnung ist und daß hier innere Zusammenhänge bestehen, muß doch jeder vernünftige Mensch einsehen. Es hat also gar keinen Wert, über diese Frage in einer solch abwertenden Art zu sprechen, wie es Herr Barzel heute früh getan hat.Wir sollten uns sehr viel mehr darum bemühen, daß die Ansätze, die geschaffen werden können, um eine europäische Friedensordnung zu erreichen, nicht vorher dadurch völlig zerstört werden, daß man nicht bereit ist, sich mit den Anträgen, die auch im Bundestag vorhanden sind, sachlich auseinanderzusetzen. Daß hier eine größere Einsicht bei den Damen und Herren der Christlich-Sozialen eintreten möge, sei mein Wunsch für heute.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller-Hermann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ursprünglich hatte ich die Absicht, nur ein paar Bemerkungen ,an die Adresse des Herrn Bundes-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969 11997
Dr. Müller-Hermannaußenministers und des Parteivorsitzenden der SPD im Zusammenhang mit dem innenpolitischen Teil seiner Ausführungen zu richten. Aber die Ausführungen des Herrn Kollegen Zoglmann haben mich dazu angeregt, auch zum 'außenpolitischen Teil ein Wort zu sagen, aber nur ganz kurz.Mir hat bei Ihren Ausführungen, Herr Zoglmann, am besten gefallen, daß Sie davon sprachen, wir müßten miteinander denken und nachdenken. Das ist sicherlich sehr richtig und sehr nützlich, gerade in der heutigen Situation, wo wir möglicherweise vor einer neuen Phase der Ost-West-Beziehungen stehen und eine gründliche Vorbereitung unsererseits in Abstimmung mit unseren Verbündeten und insbesondere mit den Vereinigten Staaten nötig ist. Unsere Sorge isst — und das spreche ich hier einmal sehr frei aus —, daß die Opposition aus dem verständlichen Wunsch, 'sich unter allen Umständen zu profilieren und sich auch von den Regierungs- und Koalitionsfraktionen abzusetzen,
nun eine übermäßige Aktivierung und Aktivität zur Profilierung auf dem Gebiet der Außenpolitik entfaltet. Wenn die Profilierung zu einer Geschäftigkeit um jeden Preis ausartet, kann das nur von Schaden für das Ganze sein, und das liegt gewiß nicht in Ihrer Absicht. Ob ,das jetzt der völlig überflüssige Ausflug in 'die Vergangenheit mit dem Besuch von Herrn Blessing in Prag war, ob das Ihre Ankündigung von einem Generalvertrag über die Zufahrtswege nach West-Berlinoder über einen noch umfangreicheren Vertrag mit Ost-Berlin betrifft, es ist immer dasselbe: die Gefahr ist außerordentlich groß, daß diese Aktivitäten von Kräften, die weder Ihnen noch uns wohlwollen, ausgenutzt werden, um uns in einem Bereich auseinanderzumanövrieren, wo höchste Einmütigkeit sicherlich das Gebot der Stunde
Jetzt ein Wort zu den Ausführungen von Herrn Minister Brandt. Heute vormittag wurde eigentlich von allen Sprechern der Koalition mit Recht darauf hingewiesen, daß kein Anlaß besteht, irgend etwas zu 'dramatisieren. Ich meine, das sollte man auch bei ,den Vorgängen praktizieren, die der Vergangenheit angehören und zur Bildung der Großen Koalition geführt haben. Wenn hier von Staatskrise und dem Zittern um Arbeitsplätze gesprochen wird, so trifft idas meines Erachtens nicht den Kern der Dinge. Diese Große Koalition wurde 1966 in 'erster Linie gebildet, um die Kräftezusammenfassung im Parlament zu bewirken, die nötig ist, um die Grundgesetzänderungen für die Reformvorhaben durchzuziehen. Das war der Hauptanlaß für ,das Bilden der Großen Koalition.
In diesem Zusammenhang von einer Wirtschaftskrise zu sprechen, ist völlig abwegig. Es handeltesich damals um einen Konjunkturrückschlag, dersich zwangsläufig aus dem ergeben hat, was sich zuvor ereignet hat, indem nämlich dieses Hohe Haus quer durch alle Fraktionen mehr ausgegeben hat, als die Staatsfinanzen zuließen, und außerhalb der Parlamentsbeschlüsse auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene gleichfalls eine Überforderung der Wirtschaft von verschiedenen Seiten einsetzte. Es besteht gar kein Anlaß, hier einen Vorwurf an eine spezielle Adresse zu richten.
Vielleicht, Herr Bundesaußenminister, könnten die Ereignisse vor und nach 1966 für Volkswirte ein Anlaß sein, einen Umstand besonders zu analysieren, nämlich die Wirkung psychologischer Kräfte auf Staat, Finanzen und Wirtschaft. In meinen Augen läßt sich nämlich feststellen, daß die angebliche Krise in der Wirtschaftsentwicklung, der bedenkliche Trend unserer Wirtschaftsentwicklung auch dadurch — ich sage ausdrücklich: auch dadurch — ausgelöst worden ist, daß die damalige Opposition alle psychologischen Möglichkeiten genutzt hat, diese Krise heraufzubeschwören.
Diese psychologischen Umstände haben eine große Rolle gespielt. Ebenso, Herr Kollege Genscher, wurden nach dem Bilden der Großen Koalition durch die Beruhigung in der Öffentlichkeit sehr stark die psychologischen Voraussetzungen dafür geschaffen, daß der Wirtschaftsrückschlag durch gemeinsame Aktivitäten von verschiedenen Seiten wieder überwunden werden konnte.
Ich sage das ohne jede Polemik als Richtigstellung. Das Thema wird sicherlich bei den Diskussionen eine gewisse Rolle spielen, die wir in der Wahlzeit noch durchzustehen haben.
Im Augenblick kommt es wirklich darauf an -- ich freue mich, hier eine völlige Übereinstimmung mit dem Herrn Bundesaußenminister feststellen zu können —, daß wir in der Großen Koalition zunächst einmal die Arbeit zu Ende bringen, die wir uns gemeinsam vorgenommen haben. Es ist heute von verschiedenen Seiten festgestellt worden: wir wollen nicht die Erfolge mühsam auseinanderdividieren, nach dem alten Motto „Die Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen", und jeder rechnet aus, was er an Positivem beigetragen hat. Wir werden, Herr Kollege Minister Brandt, in der Wahlzeit sicherlich unsere Kräfte messen müssen; das gehört dazu. Aber zunächst einmal geht es uns gemeinsam darum, noch möglichst viel an konstruktiver Arbeit für das Allgemeinwohl aus der Koalition herauszuholen.
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen.
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11998 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte nicht die Debatte zusammenfassen, denn ich denke, sie ist nicht zu Ende gekommen. Aber zu diesem Punkt — dann kann ich mich nachher hoffentlich auf die Außenpolitik allein beschränken — doch ein paar Bemerkungen! Streiten wir nicht um Worte! Wenige werden bestreiten wollen, daß die tatsächliche und, ich gebe zu, auch die psychologische Situation des Jahres 1966 nicht gefahrlos gewesen ist. Die Kollegen der CDU/CSU-Fraktion werden mir auch zugeben müssen, daß es zur Regierungsbeteiligung der Sozialdemokraten nicht deswegen gekommen ist, weil die Kollegen der CSU und der CDU allein nicht hätten aushalten können, als ob es sie also danach gedrängt hätte, unbedingt die Sozialdemokraten dabeizuhaben. Sondern die effektive Lage war: es war eine Regierung gescheitert. — Das kann doch wohl keiner bestreiten.
Es war eine Regierung gescheitert in Deutschland. Der Staat brauchte eine neue.
Nun macht jeder seine Erfahrungen. — Ich finde, das ist ,ein ganz ernstes Thema. Für mich ist es jedenfalls sehr ernst. Jeder hat seine Erfahrungen draußen im Lande und im Gespräch mit den Leuten an den Arbeitsplätzen. Wer heute abstreiten will, daß die Menschen Furcht gehabt haben in weiten Bereichen, vor allen Dingen im Ruhrgebiet, aber überhaupt in weiten Bereichen, daß sie wirkliche Angst gehabt haben um ihren Arbeitsplatz und um ihre Zukunft, der soll das nicht nur hier vertreten, sondern der soll das den Menschen sagen, die selbst wissen, daß es anders war.
Aber ich muß nach dem Beitrag von Herrn Kollegen Müller-Hermann doch folgendes sagen. Natürlich wird im Streitgespräch zwischen Regierung und Opposition manches zugespitzt. Das mag auch dort gelegentlich bis Ende 1966 so gewesen sein. Trotzdem werden Sie mir bitte auch zugeben müssen, daß die Fraktion, die auf jener Seite des Hauses sitzt, vor dem Bundestagswahlen 1965, obwohl in der Opposition und hart angeriffen, Anträge, die sich auf einige Milliarden 'erstreckt hätten, zurückgezogen hat, während der damalige Bundeskanzler Erhard gesagt hat, wenn jemand von einer Krise der öffentlichen Finanzen spreche, dann nehme er dies heiter. So war die Situation im Sommer 1965.
Im Jahr 1966, bevor die Regierung der Großen Koalition gebildet wurde, haben die Sozialdemokraten, obwohl von der Oppositionsbank aus — das müssen Sie zugeben —, haben Herr Schiller und andere ihren wesentlichen Beitrag zum Thema Stabilitätsgesetz geleistet, und keiner wird diese Tätigkeit und dieses Bemühen in Verbindung bringen können mit einem Bestreben, hier die ökonomische Lage anders darzustellen, als sie war.
Das Wichtigste ist aber natürlich, daß es heute objektiv besser ist, daß dazu viele beigetragen haben, daß dazu nicht zuletzt aber auch die Arbeit dieser Regierung — beider Seiten in dieser Regierung — beigetragen hat. Ich habe vorhin, außer dem Hinweis auf den Zusammenhang zwischen Außen-und Innenpolitik — wobei es ja um eine Wechselwirkung geht —, nichts anderes sagen wollen, als was ich hier wiederhole: Bei dieser Arbeit geht es mir und meinen Freunden darum, unseren eigenen unverkennbaren Beitrag deutlich zu machen, zu dem wir stehen — insbesondere stehen —, so wie wir zur Gesamtleistung stehen. Es wird, auch wenn es jemand versuchte, niemand gelingen, die Sozialdemokraten in dieser Bundesregierung in die Rolle von Mitläufern zu drängen. Dies ist eine große und eine selbstbewußte Partei; die steht zu ihrer eigenen Leistung, der eigenen Deutung ihrer Politik in der Regierung der Koalition, und sie wird, darauf gestützt, ihre eigenen Perspektiven für die Jahre, die kommen, entwickeln.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Es ist schade, daß ich nach diesen beiden kurzen Reden sprechen muß, die ich als — so würde man in Bayern sagen —, „Nachtarocken" bezeichnen möchte. Das ist insofern schade, Herr Bundesaußenminister, als ich Ihre Bemerkungen von vorhin über den deutschen Beitrag zum Friedensgespräch in der Welt, zu dem Gespräch, das einmal zur Abrüstung führen soll — hoffentlich einmal führt! —, nachdrücklich unterstreichen wollte, weil ich dankbar dafür bin.Sie haben in diesem Zusammenhang festgestellt, Herr Bundesaußenminister, daß diese Überlegungen — Sie haben von der Harmel-Studie gesprochen — in unserer Öffentlichkeit etwas zu kurz gekommen sind. Da haben Sie sicher recht. Wenn sie in unserer Öffentlichkeit zu kurz gekommen sind, so steht zu befürchten, daß sie auch in der Weltöffentlichkeit zu kurz gekommen sind. Das ist nicht nur schade, sondern bedenklich.Wir müssen in einer Welt, in der es hoffentlich den heißen Krieg immer weniger gibt, in der der heiße Krieg für Europa hoffentlich nicht kommt, in der aber die Auseinandersetzungen nicht aufhören werden, unseren Friedenswillen immer wieder darstellen. Denn uns gegenüber steht — auch darauf haben Sie hingewiesen, Herr Außenminister — eine Propaganda, die gerade die Bundesrepublik immer wieder aufs Korn nimmt und nicht zögert, uns auch Dinge zu unterstellen, die durch die ständige Wiederholung in der Welt möglicherweise nicht ohne Wirkung bleiben.Gestern hat die Abrüstungskonferenz in Genf wieder begonnen. Wir sind dort leider noch nicht Mitglied. Wir wollen hoffen, daß ihre Bemühungen erfolgreich sind. Diese Konferenz hat eine Botschaft
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Dr. Schulze-Vorbergdes neuen amerikanischen Präsidenten Nixon entgegengenommen. Ich glaube, es ist richtig, in diesem Hause einmal festzuhalten, daß nach der Europareise dieses neuen Präsidenten, die für uns eine gute Sache, eine Demonstration der Zusammenarbeit zwischen Amerika und dem freien Teil Europas war, jetzt eine Botschaft dieses Präsidenten folgt, die den Friedenswillen dieses Mannes, wie ich glaube, eindrucksvoll dokumentiert. Ich bin noch nicht im Besitz des Wortlauts der Botschaft, die Präsident Nixon an die Genfer Abrüstungskonferenz gerichtet hat. Aber darin sind wichtige Punkte angesprochen. Der Meeresboden soll ohne militärische Einrichtungen bleiben. Das wird ein wichtiges und, wie ich hoffe, würdiges Gegenstück zum Weltraumabkommen. Es ist die Einstellung der unterirdischen Kernwaffenversuche angesprochen. Es ist die Einschränkung der Produktion spaltbaren Materials zu Waffenzwecken angesprochen. Es ist das Verbot von biologischen und chemischen Waffen als Ergänzung zum Genfer Protokoll von 1925 angesprochen.Wenn hier heute dankenswerterweise immer wieder von den Abrüstungsbemühungen der Bundesregierung gesprochen wird, so erinnert uns gerade diese Anregung des neuen amerikanischen Präsidenten daran, daß Konrad Adenauer im Jahre 1954 nicht nur auf atomare, sondern eben auch auf biologische und chemische Waffen feierlich verzichtet hat. Dieser Verzicht ist leider allein geblieben, es ist uns kein Staat gefolgt. Das ist eine überaus beklagenswerte Tatsache.Das Wichtigste für Europa in der Botschaft des amerikanischen Präsidenten ist, so scheint mir, der Vorschlag zur Begrenzung der strategischen Raketensysteme. Darüber gibt es, wie wir wissen, seit längerer Zeit — auch wieder aufgenommen nach Prag — Gespräche zwischen den Amerikanern und den Sowjets. Für diesen Vorschlag haben wir in Europa deshalb besonderes Interesse, weil die Amerikaner und die Sowjets bei diesen strategischen Raketensystemen möglicherweise nur an ihre interkontinentalen Raketen denken, während es für uns in Europa, und ich würde sagen: in West- und Osteuropa gleichermaßen, also für alle europäischen Völker außerordentlich wichtig ist, daß hier nicht nur über interkontinentale Atombomben gesprochen wird, sondern auch über die kontinentalen, über die Mittelstreckenraketen. Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Außenminister, wenn Sie die Bemühungen der Bundesregierung auf diesen Punkt lenken könnten, soweit das nicht schon geschehen sein sollte.Wenn wir ein Sicherheitssystem für Europa wollen, so ist die Überlegung wichtig, was östlich und westlich der Demarkationslinie geschehen kann. Wenn auch in der heutigen Debatte wieder direkt und indirekt angeklungen ist, daß das Rüstungsgleichgewicht den Frieden erhält oder jedenfalls den Ausbruch des Krieges verhindert, so kann, wenn dazu die Militärblöcke auch noch für eine schwer abzusehende Zeit notwendig sind, das Gleichgewicht der Rüstungen und der Truppenstärken doch auf beiden Seiten auf einem weit niedrigeren Niveau hergestellt werden. Wir können dieTruppen, wir können die Waffen gleichzeitig, gleichmäßig, gleichwertig, gleichartig und kontrolliert auf beiden Seiten, in Ost und West, reduzieren, und darauf sollten alle Bemühungen gerichtet sein.Botschafter Schnippenkötter hat die Bundesregierung als Beobachter in Genf würdig vertreten. Es wäre gut, Herr Außenminister, wenn Sie in dieser Debatte vielleicht noch ein abschließendes, klärendes Wort zum Verfahren um die Botschafter Schnippenkötter und Grewe sagen könnten, das dieses Haus beschäftigt hat. Das ist eine Sache, die einmal ausgeräumt werden sollte, da Ungutes gesagt worden ist. Ein gutes Wort kann hier vieles retten.Wenn ich vorhin sagte, daß wir darauf achten müssen, in dieser Welt unsere Stimme zur Geltung zu bringen, die Stimme, die den Frieden will, die zur Abrüstung beitragen will, soweit das überhaupt nur in unseren Kräften steht, und wenn ich dabei ausdrücklich sowohl die Bemühungen des Herrn Bundeskanzlers in seinen Regierungserklärungen wie Ihre Bemühungen, Herr Außenminister, dankbar anerkenne, besonders Ihre Genfer Rede, so bedaure ich doch außerordentlich, daß die Bundesregierung in dieser weltweiten Auseinandersetzung mit Noten so zurückhaltend war. Die letzte Note, die allen Völkern übersandt worden ist und die den Friedenswillen der Bundesregierung klargelegt hat, war die Friedensnote des früheren Außenministers Schröder. Ich glaube, daß eine Friedensnote nicht genügt. Alle Völker müssen immer wieder wissen, daß wir diese Friedenspolitik, die betrieben wird, solange es eine Bundesrepublik gibt, fortsetzen. Das einmal zu sagen, genügt nicht, weil wir ständiger Propaganda ausgesetzt sind, die das zu bestreiten versucht.
Zum Atomwaffensperrvertrag lassen Sie mich nur ein paar Sätze sagen. Hier ist von seiten der Opposition ein Drängen nach der deutschen Unterschrift klar geworden. Lassen Sie mich dem ein Drängen danach entgegensetzen, v o r der Unterschrift zu möglichst letzter Klarheit zu kommen, was in diesem Vertrag steckt! Darauf kommt es doch an.Ich habe vor Monaten in diesem Hause gefragt: Was bedeutet eigentlich im englischen Vertragstext die Formulierung „Control over nuclear weapons"? Was bedeutet das? Wie interpretieren das die Amerikaner? Wir wissen, daß sie früher einmal gesagt haben: Control over nuclear weapons hat nur, wer die Finger am Abzug hat. Gilt diese Interpretation noch? Wenn nein, welche Interpretation der Amerikaner gilt heute?
— Wenn es für Sie geklärt ist, für mich ist es nicht geklärt.
— Ich wäre dankbar, wenn Sie uns dann Aufklärung geben könnten, Herr Dorn. Ich habe mich sehr bemüht, dahinterzukommen. Es wäre gut, wenn es in diesem Hause auch gesagt würde, wenn das so klar ist. Heute wissen wir nicht, was das heißt:
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12000 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Dr. Schulze-Vorberg„Control over nuclear weapons". Wie interpretieren das die Sowjets? Ist das womöglich eine Formulierung, die man so auslegt, daß Kontrolle über nukleare Waffen — wenn ich das einmal wörtlich übersetzen darf, was nicht ganz richtig ist — schon der hat, der als nichtatomarer Waffenstaat mit einem atomaren Waffenstaat eng zusammenarbeitet? Das würde dann bedeuten, daß nicht nur die deutsch-französische Zusammenarbeit zumindest erschwert wäre, sondern es würde bedeuten, daß der Zusammenschluß in Europa auch im Zusammenhang mit dieser Formulierung in Frage gestellt wäre, und das halte ich für außerordentlich bedenklich.Wir sollten uns also nicht nur vertraulich an der Meinungsbildung in der NATO beteiligen, sondern dafür sorgen, daß dieser Wille der Bundesregierung, zum Frieden in der Welt konstruktive Beiträge zu leisten, auch der Weltöffentlichkeit und der Öffentlichkeit in unserem ganzen Volk immer wieder bekannt wird.Ich darf drei Sätze zur Kulturpolitik einflechten, weil mir hier eine Definition, die einmal Botschafter von Herwarth für die Kulturpolitik gefunden hat, angebracht zu sein scheint. Das war in der Zeit, als Dieter Sattler noch die Verantwortung für die Kulturpolitik trug. Herwarth hat damals formuliert, die Kulturpolitik im Ausland diene dazu, Freunde zu erhalten und Freunde zu gewinnen. Das ist eine gute Sache, und ich bin sicher, daß im Auswärtigen Amt unsere Kulturpolitik auch in diesem Sinne im Grundsatz weiter betrieben wird und daß dort auch die Grundsätze dieser Politik festgelegt werden. Dennoch glaube ich, daß wir bei der guten Übung bleiben sollten, die Dieter Sattler aufgebaut hat, nämlich die Dinge weitgehend zu delegieren an Institute, an das Goethe-Institut, an die Alexander-von-Humboldt-Stiftung.Hier wäre ich an sich froh, wenn ich den Bundeskanzler direkt fragen könnte, was aus seinen Worten vor dem Stifterverband der deutschen Wissenschaft geworden ist. Dort regte er an, aus dieser Alexander-von-Humboldt-Stiftung eine Stiftung zu machen, die diesen Namen wirklich verdient, ihr Stiftungsvermögen zuzuführen, damit sie selbständig arbeiten kann.
— Ich bin dankbar für die Anregung; ich werde das nachher sofort tun, so schnell ich kann. Ich bin nur kürzlich wieder einmal auf diese Formulierung in der Rede des Bundeskanzlers gestoßen. Wir wären dankbar, wenn man diesen Worten von damals bald Taten folgen ließe.
— Das wäre hervorragend, Herr Dorn.
Ich bin überzeugt, Sie werden durch entsprechendeAnträge dazu beitragen. Bis jetzt sind sie nicht da.Aber das sind ernsthafte Überlegungen; ich fürchte, daß dies Ihr besonderes Interesse vielleicht nicht finden wird.
— Herr Dorn, leider muß hier sehr viel ohne Anregung der Opposition gehen; denn was Sie hier heute verbraten haben, ist nicht zu gebrauchen. Infolgedessen müssen wir auf unsere eigenen Dinge zurückgreifen.
— Ganz im Gegenteil, Herr Dorn! Ich habe hier festgestellt, daß wir eine sehr konstruktive Politik betrieben haben, und ich habe dazu ermutigt, das fortzusetzen; Sie haben mich Ida offenbar völlig mißverstanden.
Aber weil von Ihrer Seite, von der Opposition, so außerordentlich auf .die Unterschrift unter den Atomsperrvertrag gedrängt wird, möchte ich folgendes sagen. Herr Bundesaußenminister, wir Abgeordneten besitzen leider keine wissenschaftlichen Mitarbeiter — was wir bedauern; wir brauchten sie manchmal. Sie haben ein großes Haus, und ich habe einmal gehört, man wäre einer Sache nachgegangen. Es wäre vielleicht ganz interessant, darüber einiges zu hören: In der Zeit — sie liegt lange zurück —, .als der Mönch Berthold Schwarz das Schießpulver erfunden hat — oder nacherfunden hat, was ich nicht genau weiß —, in dieser Zeit des Mönchs Berthold Schwarz sollen die damaligen Großmächteeinen Schießpulver-Sperrvertrag entworfen haben — mit Folgen, die uns heute ja alle geläufig sind.Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt sehr viel Unglück auf dieser Welt. Sehr viel Katastrophen, nicht nur im 20. Jahrhundert, sind aus trügerischen Hoffnungen entstanden. Wenn wir mit der Unterschrift zögern, bis wir klar wissen, was dieser Vertrag will und was dieser Vertrag einmal bewirken wird, so deshalb, weil wir trügerischen Hoffnungen nicht erliegen wollen. Zum Ziel dieses Vertrages, zum Frieden dieser Welt und zur Ächtung aller Massenvernichtungswaffen beizutragen ,sagen wir ein freudiges Ja.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Apel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist Mode geworden — auch hier in diesem Hause, wie ich mich erinnere —, die Worte des Vorsitzenden Mao zu zitieren. Ich trage diese
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969 12001
Dr. ApelWorte nie bei mir, ich trage immer die Worte des Vorsitzenden Kurt Georg bei mir,
d. h. also die Erklärung der Regierung der Großen Koalition. Lassen Sie mich einfach zu dem Thema, das hier zwischen Herrn Dr. Müller-Hermann und dem Herrn Bundesaußenminister anhängig war, aus diesen Worten des Vorsitzenden Kurt Georg zitieren.
Da heißt es:Der Bildung dieser Bundesregierung, in deren Namen ich die Ehre habe, zu Ihnen zu sprechen, ist eine lange, schwelende Krise vorausgegangen, . . .
Die Hoffnungen richten sich darauf, daß es der Großen Koalition . . . gelingen werde, die ihr gestellten schweren Aufgaben zu lösen,
darunter vor allem die Ordnung der öffentlichen Haushalte, eine ökonomische sparsame Verwaltung, die Sorge für das Wachstum unserer Wirtschaft und die Stabilität der Währung. . . .Wir sind entschlossen, soviel an uns liegt, die auf uns gesetzten Hoffnungen zu erfüllen und die befürchteten Gefahren abzuwehren.Das ist der Tatbestand, meine Damen und Herren von der CDU, von dem Sie natürlich nicht herunterkommen, denn das sind die Aussagen des Bundeskanzlers der Großen Koalition. Ich glaube, mehr braucht man zu diesem Thema nicht zu sagen. Es ist völlig legitim, wenn an dieser Stelle erneut an den Ausgangspunkt unserer Arbeiten erinnert wird.Lassen Sie mich jetzt aber etwas zu zwei Punkten sagen — wir sind in einer außenpolitischen Debatte —, erstens zu den Problemen der Europapolitik und zweitens zu der Frage der Freilassung der Gefangenen in Südkorea. Ich glaube, meine Damen und Herren von der FDP, Sie können eins nicht tun, die Bundesregierung und den Bundesaußenminister dafür verantwortlich machen, daß es in der westlichen Integration Partner gibt, die störrisch sind, die nicht bereit sind, gewisse Wege der Integration, die vorgezeichnet sind, mitzugehen. Hier hilft wirklich nur konstantes, beharrliches gutes Zureden. Das hat der Bundesaußenminister in den letzten zwei Jahren gemacht und — wie ich finde — mit einigem Erfolg, und zwar mit einigem Erfolg in zweifacher Hinsicht:
Erstens ist das Thema EWG so sehr in das Bewußtsein aller Staatsmänner der EWG gerückt, daß selbst die französische Regierung noch vor wenigen Tagen deutlich erklärt hat, daß es über den Bestand der EWG, über die Bedeutung der EWG im Rahmen ihrer Außenpolitik — wahrscheinlich auch im Rah-men ihrer Innenpolitik — überhaupt keine Diskussion gibt. Es ist also allgemein anerkannt, daß die EWG wesentliches Element unserer Politik ist.Zweitens. Der Bundesaußenminister hat ebenfalls durch wiederholte und beharrliche Darstellung der Notwendigkeiten Europas und unserer Position erreicht, daß selbst in Frankreich das Bewußtsein von der Notwendigkeit, England irgendwie an die Gemeinschaft heranzuführen, so gewachsen ist, daß selbst der französische Staatspräsident anfängt, laut über dieses Thema zu denken. Dieses laute Denken, das uns anschließend über die verschiedensten Kanäle zugetragen worden ist, mag uns nicht befriedigen; dennoch ist es interessant, heute feststellen zu können, daß auch der französische Staatspräsident anfängt, über diese Dinge nachzudenken.
— So ist es. Sie haben es also tatsächlich gemerkt, ja.
Ich finde, wir haben auch hier die Aufgabe, die Anregungen, die aus Paris über die Besprechungen in Paris kommen könnten, vielleicht schon gekommen sind, sehr ernsthaft zu prüfen.Eines steht für uns Sozialdemokraten bei allen Überlegungen, wie der Brückenschlag zwischen EWG- und EFTA-Ländern zu vollziehen wäre, unverrückbar fest: Erstens, wir sind nicht bereit, an der Struktur der EWG rütteln zu lassen. Für uns bleibt die EWG zentrales Anliegen der europäischen Integration. Zweitens, wir können keinerlei Pläne des Brückenschlags akzeptieren, die die demokratische Gleichberechtigung der westeuropäischen Völker in Frage stellen könnte, d. h. die irgendwie ein Über- oder Unterordnungsverhältnis schaffen würden.Der Herr Außenminister hat in seiner Rede davon gesprochen, daß wir zur Zeit wohl nicht viel anderes tun können als das beharrliche Verfolgen unserer bekannten Europapolitik. Herr Dr. Barzel hat heute morgen darauf aufmerksam gemacht, daß eines der Elemente dieses beharrlichen Verfolgens unserer Politik die Tagung des Monnet-Komitees in London war. Der Außenminister hat ferner gesagt, wir müßten dieses Europa heute auf dem Wege eines Europas à la carte verfolgen. Ich halte das für richtig. Wir müssen jede Chance ergreifen, um in der Stagnation, in der sich Europa befindet, punktuell Fortschritte zu erreichen.Insofern ist es gut, daß es Ansätze für eine verstärkte technologische Zusammenarbeit gibt. Insofern ist es auch gut, daß die Bundesregierung im Rahmen der WEU Initiativen ergriffen hat. Wir Sozialdemokraten erwarten von der Bundesregierung, daß sie unbeeindruckt von Reaktionen eines westlichen Verbündeten diese Kontakte im Rahmen der WEU fortsetzt, mit den Briten über die Themen, über die im Rahmen der WEU gesprochen werden kann, redet, um zu sehen, wie weit man kommen kann.
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12002 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Dr. ApelDie FDP hat heute morgen auch über die Möglichkeiten gesprochen, im Laufe dieses Jahres über die Neuordnung der Agrarfinanzierung vielleicht Druck auf den einen oder anderen Partner auszuüben, seine Integrationsbereitschaft zu erhöhen. Bei genauem Hinsehen muß man wohl davon ausgehen, daß diese Möglichkeiten beschränkt sind, wenn sie nicht überhaupt irreal sind. Man kann nicht davon ausgehen, daß ein Partner wegen 1 Milliarde DM mehr oder weniger bereit ist, seine Außen- und Europapolitik völlig auf den Kopf zu stellen.
— Das ist der zweite Aspekt, Herr Moersch, auf den ich gerade kommen wollte. Wir erwarten — und die Sozialdemokraten haben dazu ein Papier verabschiedet —, daß die Bundesregierung aus ganz anderen Überlegungen, nämlich aus der Notwendigkeit, unser finanzielles Engagement in der EWG zu überprüfen, die Agrarfinanzierung neu durchleuchtet und sieht, wie man zu einem besseren Gleichgewicht zwischen den Partnern kommt. In diesem Zusammenhang sollte man wahrscheinlich auch unseren Partnern sagen, daß es so etwas wie ein Wechselverhältnis zwischen Zahlungsbereitschaft und europäischem Integrationsklima gibt.Lassen Sie mich eine letzte Betrachtung über die nun endgültig geregelte Rückführung der Häftlinge aus Südkorea anstellen. Gerade die Jugend in unserem Lande war in dieser Frage sehr unruhig. Für sie war das Signalfunktion der Bewährung der Außenpolitik der Großen Koalition. Wenn wir denForderungen vieler, auch von Vertretern der Presse, gefolgt wären, hätten wir hierbei einen sehr harten Kurs einschlagen müssen. Ich gebe Ihnen zu, daß auch ich persönlich geschwankt habe, welches wohl der richtige Weg wäre. Nachdem ich jetzt feststelle, daß der Weg des Bundesaußenministers der richtige war, bin ich froh, daß sich dieser Weg bewährt hat; denn er zeigt, daß Außenpolitik, beharrlich, konsequent verfolgt, unter deutlicher Darstellung unserer eigenen Position in der Situation, in der wir uns befinden, noch die größten Erfolge haben kann. Das gibt mir auch Hoffnung, daß wir in der Europapolitik mit der Politik unseres Außenministers irgendwann, wenn das Klima günstiger ist, einen wesentlichen Schritt vorankommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Martin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesaußenminister hat im Verlauf seiner Rede das Thema auswärtige Kulturpolitik angeschnitten und den größten Teil seiner Betrachtungen über den Haushalt diesem Gegenstand — wie ich glaube, mit Recht — gewidmet. Er hat dankenswerterweise in seinen späteren Ausführungen gesagt, es müsse auch innerhalb derer, die Verantwortung tragen, gestritten werden, und zwar um die notwendigen Reformen.Wenn ich das Wort „Reform", Herr Bundesaußenminister, in die heutige Debatte hineinnehme, müssen wir natürlich eigentlich über die Reform des auswärtigen Dienstes reden. Das ist genau das, was Sie am 7. Juni 1968 hier angekündigt haben. Sie haben damals gesagt, die auswärtige Kulturpolitik sei einer der drei Pfeiler moderner Außenpolitik, gleichwertig neben der Diplomatie und der Außenhandelspolitik. Wenn diese Sätze stimmen — ich halte sie für völlig richtig —, hat das natürlich seine Konsequenzen.Ich erinnere noch einmal daran, daß schon Stresemann in seiner immer wieder zitierten Rede gesagt hat, daß der Stellenwert im Amt nicht richtig sei und daß die auswärtige Kulturarbeit nicht ausreichend gewürdigt werde. Ich fürchte, daß das auch heute noch der Fall ist und daß wir — ich meine jetzt uns alle — den Durchbruch in dieser Sache noch nicht erzielt haben. Daran möchte ich noch einmal erinnern.Der Bundesaußenminister hat damals auch die Linien gezeigt, auf denen eine solche Reform vor sich gehen muß. Er hat vor allen Dingen gesagt: Wir brauchen eine Planung über mehrere Jahre hinaus; wir brauchen eine starke Entfaltung der freien Kräfte; wir brauchen eine Bildung von Schwerpunkten; wir müssen den kulturellen Austausch mit Südosteuropa und Osteuropa intensivieren.Das ist im ganzen ein Programm, das sich durchaus sehen lassen kann und auch richtig ist; ich unterstütze es. Da wir als Parlamentarier die Aufgabe haben, die Gegenstände von Zeit zu Zeit wieder abzurufen und zu fragen, was aus unseren Absichten geworden ist, möchte ich jetzt einmal mit ein paar Strichen — ohne zu ausführlich zu werden — an Hand dieser Kriterien die gegenwärtige Lage betrachten, in der Absicht, Anregungen zu geben und zu Verbesserungen anzuleiten.Wenn ich das Thema Planung nehme, so muß ich sagen, daß wir in dieser Sache eigentlich noch nicht vorwärtsgekommen sind. Wenn wir den Haushaltsplan dieses Jahres ansehen, so müssen wir feststellen, daß wir dieselben Zahlen, dieselben Schwerpunkte und dieselben Gegenstände haben. Ich habe damals hier in der Debatte gesagt: Wir müssen dazu kommen, einen endgültigen Rahmen für die auswärtige Kulturpolitik zu gewinnen; wir müssen, genau wie bei den anderen großen Gegenständen der Politik wissen: Welchen Anteil am Haushalt brauchen wir? Daß wir einen weitaus größeren Anteil brauchen, ergibt sich aus unserer Lage. Daß die Kulturpolitik ein Pfeiler jeder Außenpolitik ist, ist richtig; aber für ein Land wie die Bundesrepublik gilt das nach den Ereignissen des zweiten Weltkriegs um ein Vielfaches.
Es ist gar keine Frage, daß die Möglichkeiten, die in der auswärtigen Kulturpolitik und in der Kulturdiplomatie stecken, von der Bundesrepublik Deutschland noch nicht ausgeschöpft sind; ich würde sagen: bei weitem nicht ausgeschöpft sind.Daß wir eine solche Planung nicht haben, führt natürlich dazu, daß die Haushaltsberatungen in eine gewisse Unsicherheit geraten; denn man hat dann
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Dr. Martinja keine konkreten Ziele, sondern nur das Geraufe der an den Ressorts beteiligten Leute um die Gelder. Ich glaube, daß wir deshalb das Thema Planung wieder hervorholen und uns Gedanken darüber machen müssen: Wie sieht die Kulturpolitik endgültig aus? Wie viele Menschen braucht man dazu? Welche Institutionen sind notwendig? Wieviel Geld braucht man dazu?Es gibt Leute, die an eine erhebliche Erhöhung der Mittel im Laufe der Jahre denken. Wenn wir an die Planung für dieses Jahr herangehen, so sehen wir folgendes Bild: Wir haben bei den Mitteln eine Zunahme von 4,5 %. Wenn man das analysiert, so sieht man sofort, daß diese Summe durch Besoldungserhöhungen aufgezehrt wird und eine weitere Auszehrung dadurch eintritt, daß wir in Ländern mit starken Inflationstendenzen zu arbeiten haben.Kurz und gut: Der Kaufwert, den wir in der auswärtigen Kulturpolitik anlegen, ist gesunken. Wir geben in diesem Jahr de facto weniger aus als im vergangenen Jahr. Ich halte es für heilsam, sich das klarzumachen; ich habe das in den verschiedenen Gremien, auch im Auswärtigen Ausschuß, dargelegt. Ich meine, daß sich dann, wenn die Sache so wichtig ist, die Ressortchefs, also der Chef des Auswärtigen Amtes und der Chef der Finanzen, persönlich miteinander unterhalten müssen. Sonst kommen wir nicht zu diesen Schritten. Wir haben nämlich den Zustand, daß wir von 1961 bis 1965 zwar sprunghafte Verbesserungen hatten, daß aber danach die Stagnation, wenn nicht sogar die Regression, einsetzte.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Selbstverständlich!
Herr Abgeordneter Hermsdorf!
Herr Kollege Martin, sind Sie a) mit mir darin einig, daß das, was Sie hier an Vorstellungen hinsichtlich der Inflation sozusagen entwickeln nicht nur auf das Auswärtige Amt, sondern auf eine ganze Reihe anderer Institutionen zutrifft, und sind Sie b) mit mir der Auffassung, daß es nicht nur eine Frage der Höhe der Mittel ist, sondern daß auch die Frage darin steckt, was damit gemacht wird?
Sie haben mit beidem recht. Das ist so wahr wie die Tatsache, daß die Sonne morgens aufgeht, was Sie da sagen. Das ist ganz klar, Herr Hermsdorf; darüber brauchen wir uns, glaube ich, nicht zu streiten. Ich habe aber heute nicht über irgend etwas, sondern über auswärtige Kulturpolitik zu reden. Das ist mein Thema. Die anderen Themen behandeln Sie ja in aller Breite im Haushaltsausschuß. Ich habe hier nur mein Thema zu behandeln, und dabei muß ich feststellen, daß wir uns in dem Zustand befinden, den ich eben geschildert habe. Ich denke also, Planung, Voraussicht über Jahre und sich finanzpolitisch darauf
einrichten sind ein Erfordernis, um das man nicht herumkommt.
Ich möchte zweitens noch einmal das unterstreichen, was der Außenminister damals gesagt hat: Wir müssen uns auf die freien Organisationen stützen. Es gibt auch einen Beschluß des Auswärtigen Ausschusses, der die Partnerschaft etwa mit dem Goethe-Institut, dem DAAD usw. fordert. Ich habe gestern mit Vergnügen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gelesen, daß mein Kollege Kahn-Ackermann diese Forderung in einem Vortrag in München mit Nachdruck erhoben hat. Ich sage das deshalb, weil wir in Vertragsverhandlungen mit dem Goethe-Institut stehen und ich daran erinnern möchte, daß es hier nicht um Reglementierungen, sondern um die Errichtung einer Partnerschaft geht. Wir haben das Goethe-Institut und die anderen Organisationen aufgebaut, um Apparaturen zu haben, die nicht mit der offiziellen Politik belastet sind, die sich freier bewegen können und die etwa auch in Ländern, mit denen es keine diplomatischen Beziehungen gibt, arbeiten können.
Ich komme aber noch einmal, und zwar über die Frage der Schwerpunktbildung, zu den Finanzen zurück. Wir waren uns in diesem Hause darüber einig, daß die Förderung der deutschen Sprache dieser Schwerpunkt sein sollte. Die Haushaltsgestaltung zeigt ,aber, daß dafür nur wenige Millionen vorgesehen werden konnten, und diese mußten an anderen Stellen eingespart werden, so daß wir empfindliche Streichungen beim Goethe-Institut und bei den anderen Institutionen zu verzeichnen haben. Es ist mir klar, daß wir heute über abgelaufene Dinge reden. Aber ich kündige auch im Namen meiner Freunde hier schon mit Entschiedenheit an, daß wir dm Haushaltsausschuß und im Parlament auf alle diese Dinge wieder zurückkommen werden.
Ich möchte ein letztes sagen. Zu den Beziehungen zu Osteuropa, die sehr viel schwieriger geworden sind, bei denen wir aber wissen, daß sie auf diesem Gebiet keineswegs nachgelassen haben, ist zu sagen, daß wir nach meiner sicheren Überzeugung das Doppelte von dem tun könnten, was wir jetzt tun. Ich habe dazu vor zwei Jahren einen detaillierten Bericht vorgelegt. Ich denke, daß es gerade in der Situation, in der sich Osteuropa jetzt befindet, eine starke Notwendigkeitgibt, diese Arbeit nicht nur in Gang zu halten, sondern zu aktivieren. Meine Damen und Herren, nichts wäre schlimmer, als wenn wir in der gegenwärtigen Situation die geistigen Schichten in Osteuropa aus politischem Opportunismus im Stich lassen oder weniger bedenken würden. Das würde ich für sehr gefährlich halten.
Meine Damen und Herren, ich plädiere also dafür, .daß wir das, was wir uns hier vorgenommen haben, neu aufnehmen und 'uns über Koordination, Planung, Haushalt, über das Verhältnis zu den freien Institutionen und vor allen Dingen über eine Aktivierung der Kulturpolitik gegenüber Osteuropa vierständigen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kahn-Ackermann.
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12004 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Außenminister hat im letzten Teil seiner Ausführungen hier mit Recht gesagt, daß sich das Ansehen der Bundesrepublik in der Welt gehoben habe, daß es gewachsen sei. Das ist nicht zu leugnen. Auch das Ansehen dieses Landes als Kulturstaat in der Welt ist gewachsen, weil, seit die Regierung der Großen Koalition im Amt ist, in jenen Organisationen, die unsere zwischenstaatlichen Kulturbeziehungen draußen sichtbar machen, sich auch etwas anderes vollzogen hat: Die gesellschaftspolitische und zeitkritische Diskussion, die hier in unserem Lande vor sich geht und die in diesem Lande auch früher immer vor sich gegangen ist, wird der Welt nun ohne Scheuklappen mitgeteilt. Das ist wichtig.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Abgeordneter?
Bitte schön!
Herr Kahn-Ackermann, wollen Sie im Ernst behaupten, daß die Tendenzen unserer auswärtigen Kulturpolitik, die Sie aufzeigen und die ich sehr begrüße, etwa in der Zeit von Dieter Sattler nicht vorhanden gewesen wären?
Lieber Herr Schulze-Vorberg, ich kann mich an eine Zeit erinnern, wo wir in diesem Hause darüber diskutieren mußten, ob gewisse Schriftsteller und Dichter sozusagen zum kulturellen Bestand unserer Nation zählten.
Ich empfinde es als Vorzug, daß in einer Zeit, in der der Welt nicht verborgen bleibt, was Menschen in einem Land über die Kultur, über die Politik und über die Zivilisation denken, auch in dem Bereich, in dem die Außenpolitik mitwirkt, diese Diskussion unterstützt und anderen vor Augen geführt wird. Es ist nicht so, daß das Bild der Deutschen in der Welt ganz allein davon abhängig ist, was die Mitarbeiter des Herrn Außenministers planen und was sie für Programme vermitteln. Es ist doch heute im Zeitalter der Massenmedien ganz selbstverständlich, daß das Bild der Deutschen draußen dadurch geformt wird, wie sich die Deutschen in der Welt präsentieren. Der Außenminister kann dazu nur einen Teilbeitrag — wenn ich auch zugeben muß: einen wichtigen Teilbetrag — leisten.Mit anderen Worten: Man kann nicht übersehen, daß das, was Sie vielleicht die Intellektuellen nennen, zusehends eine gewisse außenpolitische Bedeutung bekommt. Die Diskussionen, die sie entfachen, werden für das Vorfeld außenpolitischer Meinungen und Beurteilungen wichtiger. Wir kommen auch zusehends in eine Zeit hinein, in der die Gedanken, die da entwickelt werden, viel universellerer Natur sind, als das vielleicht noch vor zehn Jahren der Fall war. Das bezieht sich auch auf das, was wir an zwischenstaatlichen Kulturbeziehungen entwickeln können, weil es heute keine typisch deutsche Literatur, typisch deutsche Musik, typisch deutsche bildende Kunst gibt. All das nähert sich in Europa sehr an. Es nähert sich im industriellen Westen überhaupt sehr an. Es ist wichtig, die ganze Breite dieser Entwicklungen aufzuzeigen.Ich bin dem Außenminister dankbar, daß er im Beirat seines Amts, der sich mit dieser Frage beschäftigt, die Diskussion über diese Probleme in großer Breite in Gang gebracht hat und daß auch innerhalb des Amtes eine Diskussion darüber entstanden ist, was der Außenminister und seine Mitarbeiter auf diesem Felde überall dort, wo die zwischenstaatlichen Kulturbeziehungen sich nicht auf eine organische und selbständige Weise vollziehen, in regulativer und unterstützender Weise tun können. Es scheint mir wichtig, daß wir uns in Zukunft mehr noch als bisher in einer sehr illusionslosen und nüchternen Weise darüber klarwerden, was die Menschen in der Welt von uns denken und worin sie unseren fruchtbaren und schöpferischen Beitrag für sich selbst sehen. Das muß sorgfältig geprüft werden. Diese Prüfung ist im Gange. Wir können nur hoffen, daß diese Vorarbeiten nunmehr rasch und zügig voranschreiten.Es kommt hinzu, was ich betonen möchte, daß es nicht allein das Budget des Außenministers ist, über das wir bei dieser Gelegenheit sprechen, sondern daß noch ein halbes Dutzend anderer Ressorts dieser Bundesregierung an Dingen beteiligt sind, die in dasselbe Fach schlagen, und daß es hier etwa um eine Summe von 800 bis 850 Millionen DM geht, die im Bundesetat beim Entwicklungsminister, beim Wirtschaftsminister, beim Bundespresse- und informationsamt und in ähnlichen Bereichen enthalten ist.Ich möchte noch einmal wiederholen: Vieles von dem, was sich in diesem Lande vollzieht, bedarf keiner amtlichen Transmission, und das ist gut so. Denn es wäre schlecht, wenn wir unsere Kulturdiplomaten in eine Lage versetzen müßten, sozusagen Richter über das zu sein, was dem Ausland über uns mitgeteilt wird und was nicht. Dies wäre eine völlige Überforderung der Aufgabe, die sie haben.Noch etwas kommt hinzu. Der Bundesaußenminister hat mit Recht gesagt, er sei stolz darauf, daß wir eine Kulturnation sind. Wir sind eine der großen Kulturnationen in Europa, und ich empfinde einige Genugtuung darüber, daß auch in unseren Kulturinstituten draußen zusehends der Versuch gemacht wird, dieses Europa als Ganzes und mit anderen gemeinsam darzustellen Ich würde hoffen, daß man, weil die Kultur- und Zivilisationsäußerungen auf diesem Kontinent sehr viel universeller geworden sind, fortfährt, das so zu tun.Schließlich bieten wir diese Kulturäußerungen in unserer Sprache. Das ist eine außerordentlich wichtige Dimension. Es ist ein Verdienst dieses Hauses, diese Problematik in den Vordergrund gerückt zu haben. Ich bin dem Außenminister dankbar, daß er es fertiggebracht hat, dieser Aufgabe die höchste Priorität bei unserem kulturellen Wirken draußen zugeben. Auch auf diesem Gebiet wird jetzt ge-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969 12005
Kahn-Ackermannplant, wie man diese Dinge so effektiv wie möglich voranbringen kann.Wenn Sie heute nach Paris fahren, können Sie auf den Champs Elysées große Schilder sehen, auf denen dem Sinne nach etwa steht: Soll die französische Sprache morgen eine sterbende Sprache werden? Wenn dem so sein wird, werden wir alle zu ihren Mördern gehören. — Das ist die Art und Weise, in der man in unserem Nachbarlande dafür wirbt, daß die französische Sprache, die eine Weltsprache ist, es auch weiterhin bleibt und daß die politisch bewußten Menschen sich an dieser Aufgabe beteiligen. Denn diese Aufforderung schließt mit dem Wunsch, daß alle, die an dieser Frage interessiert sind, in die „Alliance Française" eintreten oder sie unterstützen. Ich weiß nicht, wie es hier in diesem Lande aufgenommen würde, wenn wir auf öffentlichen Plätzen ähnliche Schilder aufstellten.Es scheint mir eine unbestritten wichtige Aufgabe unserer Kulturpolitik zu sein, auch in Zukunft dafür zu sorgen, daß die spezifische Rolle unserer Sprache als einer heute vielleicht nicht mehr sehr bedeutenden, aber in manchen Bereichen wichtigen Weltsprache erhalten bleibt und intensiviert wird. Unser Bewußtsein, hier ein Stück Europa zu sein, sollte dadurch von unserer Kulturdiplomatie und unserer Diplomatie schlechthin unterstützt werden, daß die Bemühungen, das Deutsche auch in jenen europäischen Gremien zur gleichberechtigten Sprache zu machen, in denen das heute noch nicht der Fall ist, nicht aufgegeben werden, Herr Außenminister. Ich halte das für wichtig für unser Selbtsverständnis in Europa, ganz besonders dann, wenn — hier pflichte ich Ihnen völlig bei — in Zukunft mehr à la carte gegessen und ausgewählt werden muß.Lassen Sie mich eine Bitte aussprechen, Herr Außenminister. Mein Vorredner hat bereits darauf hingewiesen, daß die wachsenden Aufgaben sich vielfach nur schwierig mit den Pflichten, die ein Berufsdiplomat zu erfüllen hat, auf einen Nenner bringen lassen. Ich möchte hinzufügen: In der Ausbildung eines Diplomaten spielt eine Rolle, daß er ein wägender Mensch sein muß, in erster Linie auch ein rezeptiver Mensch, der vorsichtig abwägt. In der Kulturdiplomatie gibt es jedoch häufig Vorgänge, die zumindest katalytisch sind, wenn nicht gar ganz aggressiv wirken. Hier braucht es also gelegentlich auch ein gewisses Engagement, das schwierig in die Strukturen einzubetten ist, denen nun einmal Beamte unterworfen sind. Ich meine also, Herr Außenminister, man sollte im Amte noch einmal prüfen, in welchem Umfang vieles von dem, was wir auf diesem Gebiete machen, aus dem Amt heraus in Organisationen gelegt werden kann, die mit diesen Schwierigkeiten besser fertig werden.Sie wissen, Herr Außenminister, daß die meisten unserer Kulturreferenten draußen — ich bin sehr dankbar, daß diese Funktion dadurch ansehnlicher gemacht worden ist, daß sie in fast allen wichtigen Plätzen in der Dienstpostenbewertung angehoben ist — zwei Drittel ihrer Arbeitszeit an ihrem Schreibtisch mit, ich möchte einmal sagen: der Erledigung von bürokratischen Pflichten verbringen.Das ist notwendig, das sehe ich ein. Aber es ist eigentlich nicht der rechte Inhalt ihrer Aufgabe. Der rechte Inhalt ihrer Aufgabe wäre das Pflegen der Kontakte zu der kulturellen und zivilisatorischen Wirklichkeit in ihrem Gastland. Ich sehe ein, daß Sie ihre Stellen nicht beliebig vermehren können. Dagegen würde schon der Haushaltsausschuß sein. Aber in der Praxis brauchen wir leider noch ein bißchen mehr freien Raum, in dem das Knüpfen und Verbinden all dieser wichtigen Beziehungen stärker betrieben werden muß. Wenn es im beamteten Raum nicht geht, muß man auf geeignete Aushilfen sinnen. Ich würde denken, daß sie auch zu finden sind.Eine weitere Anregung wäre folgendes. Sie haben mit Recht davon gesprochen, daß wir heute einer der wichtigsten Mitgliedstaaten der UNESCO sind. Seit Jahren ist es uns auf Grund der bundesdeutschen Beamtenstruktur und überhaupt der Struktur unserer auswärtigen Kulturpolitik, die auf eine enge Zusammenarbeit mit den Bundesländern angewiesen ist, nicht oder nicht in ausreichendem Maße gelungen, solche Leute für die UNESCO-Arbeit zu interessieren, die die UNESCO haben möchte und die geeignet wären, unsere neuen gesellschaftspolitischen Konzepte und unsere Erfahrung im Bildungsraum und im pädagogischen Raum dort zu vertreten. Dies ist uns bisher deshalb nicht gelungen, weil diese Leute nur für eine kurze Zeit dort arbeiten können. Man muß ihnen die Sicherheit bieten, daß sie, wenn sie nach Hause zurückkehren, nicht benachteiligt werden, sondern ihre internationalen Erfahrungen auch zum Besten unseres Landes weiter verwenden können. Ihnen, Herr Außenminister, ist dieses Problem nicht unbekannt, und Sie haben kürzlich davon gesprochen, daß im Schoße der Bundesregierung auf Abhilfe gesonnen werde, um überhaupt unsere Mitarbeit an internationalen Organisationen, soweit es diese Aufgabe betrifft, zu ändern und zum Besseren zu wenden. Ich würde es sehr begrüßen, wenn diese Überlegungen möglichst bald zu einem gewissen Abschluß kämen.Aber, Herr Außenminister, bestünde nicht auch eine Möglichkeit darin, daß wir solchen bewährten Beamten aus diesen internationalen Kulturinstitutionen speziell den Weg zur Mitarbeit in der Kulturdiplomatie öffnen? Ich glaube, das Auswärtige Amt würde selber dadurch profitieren, weil es eine Reihe von qualifizierten Mitarbeitern mit großer Erfahrung im kulturpolitischen Geschäft zum eigenen Nutzen einsetzen könnte. Sie würden der dritten Säule unserer Außenpolitik eine neue Dimension geben, dessen bin ich gewiß.Herr Außenminister, lassen Sie mich noch eine letzte Anregung geben. Ich möchte jetzt noch einmal vom „Europa à la carte" reden. Die Bundesregierung hat zusammen mit anderen Partnerländern des Europarates vor ungefähr fünf, sechs Jahren der Errichtung einer Regierungsorganisation zugestimmt, die sich „Rat für kulturelle Zusammenarbeit im Europarat" nennt. Dies ist eine außerordentlich wichtige und nützliche Organisation, die, nachdem sie ihre Kinderkrankheiten überwunden hat, einiges auf dem Feld der europäischen Inte-
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12006 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Kahn-AckermannBration und der europäischen Zusammenarbeit tut, eine Arbeit, die sich unter der progressiven Mitarbeit Frankreichs vollzieht. Darin sehe ich einen großen Gewinn, weil wir dort in der Tat eine Möglichkeit haben, die Erfüllung von Hoffnungen und Erwartungen, die wir später auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet verwirklichen wollen, durch eine engere Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Bildung und Erziehung in Europa vorzubereiten.Auf der diesjährigen Ratstagung sind es vornehmlich die Vertreter der schwedischen, norwegischen und österreichischen Regierungen gewesen, die angeregt haben, diese Organisation aus dem Stadium des Reagenzglasversuchs in eine breite europäische Dimension zu erheben, damit die Mitgliedstaaten auch wirklich etwas davon haben. Ich würde es daher sehr begrüßen, wenn die Bundesregierung sich überlegte, ob sie nicht mit Mitteln des Haushalts 1970 zusammen mit all jenen Staaten, die das auch wollen — und da gibt es einige —, eine Institution, deren Etat heute etwa so groß ist wie der des Stadttheaters von Straßburg — das ist der Sitz dieser Organisation —, materiell in den Stand setzen sollte, die Aufgaben, die zu bewältigen sie imstande ist — das hat sie bewiesen —, nun auch wirklich in einem für Europa nützlichen Umfang zum Nutzen aller Beteiligten und zur Vorbereitung dessen zu lösen, was wir uns alle in Europa wünschen.
Das Wort hat der Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren. Die Tatsache, daß zwei Mitglieder der Koalitionsfraktionen zu diesem Etattitel betreffend Auslandskulturarbeit so .ausführliche Anmerkungen gemacht haben, wenn auch in einer sehr gemäßtigten und zuletzt nicht immer ganz durchsichtigen Sprache —es war sicher alles sehr gut gemeint, ich will das nicht bestreiten —, diese Tatsache allein zeigt ja, daß Kritik an der Handhabung unserer kulturellen Auslandsbeziehungen selbst in den Reihen der Regierungsparteien zu üben ist. Wir Freien Demokraten wissen, daß der Bundesaußenminister Aden Willen hat, vernünftige Auslandskulturarbeit zu fördern. Aber eis ist sicher, daß die Organisationsform und 'die personelle Ausstattung, die ihm hier zur Verfügung stehen, bisher nicht auf den Stand gebracht werden konnten, der der Sache angemessen wäre. Herr Minister, ich muß ein bißchen bedauern, daß Ihre beiden beamteten Staatssekretäre — einer ist ja nun ausgeschieden — und der Parlamentarische Staatssekretär offensichtlich nicht genügt haben, eine klare Verantwortlichkeit herzustellen und ,der Auslandskulturarbeit in Ihrem Hause einen entsprechenden Rang zu geben. Wir wissen genau, daß Sie sich dieser Frage nicht auch noch in dem notwendigen Umfang annehmen können. Aber wir hätten erwartet, daß einer der Herren Staatssekretäre sich nun einmal im Schwerpunkt diesen Fragen widmet. Es sind mit Recht Zweifel laut geworden, ob das der Fall ist.Ich möchte hinzufügen, daß eine weitere Frage, die oft gestellt worden ist, immer noch unbeantwortet geblieben ist, weil diese Koalition sich offensichtlich in wichtigen Dingen gegenseitig blockiert: ich meine die Frage der inneren Organisation, der Verantwortlichkeit innerhalb der Bundesregierung, der Ressorts. Da ist z. B. die Tatsache — es ist ein kleiner Punkt —, daß die Auslandspressearbeit immer noch im Bundespresse- und Informationsamt ressortiert, obwohl sie sinngemäß selbstverständlich in ,das Auswärtige Amt gehört; ich habe das hier schon einmal angeschnitten.Ein anderer Punkt — und der scheint mir sehr gravierend zu sein, wenn ich die letzten Nachrichten richtig lese — ist die Frage, ob der Auswärtige Dienst in der jetzigen Besetzung in der Lage ist, die Wissenschaftspolitik im Ausland genügend zu beobachten, ob die Arbeitsteilung mit dem Forschungsministerium klappt, ob man sich im klaren ist in unserer auswärtigen Politik, welche Konsequenzen politischer Art beispielsweise aus dem Projekt der Gaszentrifuge, dem Gemeinschaftsprojekt von Großbritannien, den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland entstehen können. Sie wissen: das State Department in Washington hat eine ausgezeichnet funktionierende wissenschaftliche Beratungsabteilung für solche Fragen. Ich habe nicht den Eindruck, daß wir in der gleichen Weise fähig sind, diese Probleme im Auswärtigen Amt selber zu behandeln. Es ist noch sehr offen, ob das, was einige Mitglieder der Bundesregierung, vor allem der Bundesforschungsminister, als einen besonders großen Erfolg feiern, nämlich die Gemeinschaftsproduktionsanlage unter Beteiligung eines kernwaffenbezitzenden Staates, Herr Bundesaußenminister, Ihrer Außenpoltik wirklich nützt. Darüber kann man verschiedener Meinung sein. Es kann als ein Moment der Sicherheit aufgefaßt werden, daß eine der Nuklearmächte, nämlich Großbritannien, an diesem Projekt beteiligt ist. Es kann aber auch gegenteilige Wirkungen haben, d. h. es kann ein Anlaß sein, dort mißtrauische Erklärungen zu produzieren, wo man gern Mißtrauen produziert, nämlich auf östlicher Seite, auch wenn das im einzelnen nicht berechtigt ist und wenn von unserer Seite gewiß nicht beabsichtigt ist, sich auf diese Art und Weise in den Besitz von Anlagen zu setzen, die Kernbrennstoffe, etwa zu militärischen Zwecken, herstellen könnten.Aber das ist immerhin ein Punkt, bei dem ich den Eindruck habe, daß alle Aspekte dieser Regelung nicht genügend durchdacht worden sind und daß vielleicht die Posaunen, die da und dort losgelassen werden in solchen Fällen, zu laut und zu schrill sind. Man hätte die Sache politisch vielleicht doch noch besser durchdenken sollen. Darüber wird man streiten können, was am Ende richtig ist. Aber ich habe den Eindruck, daß man die gesamten Verflechtungen aus Mangel an entsprechender Ausstattung auch im Auswärtigen Amt nicht in vollem Umfange gesehen hat. Das hierzu.Nun gleich zu einem Antrag, den wir zum Haushaltsgesetz selbst gestellt haben, und zwar auf Umdruck 6031; er steht in einer gewissen Beziehung*) Siehe Anlage 3
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Moerschauch zur auswärtigen Arbeit. Wir haben beantragt, als Art. 7 a die vorläufige Sperrung der Hälfte der Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit im Inland einzufügen. Ich will ganz offen sagen: wenn das Ergebnis der Prüfung, die ja zugesagt ist, bei den Inlandsmitteln sein sollte, daß man diese Mittel nicht braucht — ich bin ganz sicher, daß man keine 60 Millionen für Öffentlichkeitsarbeit im Inland braucht; damit kann man höchstens dummes Zeug machen, was wir gelegentlich in den Zeitungen als Anzeigen auch lesen können —, wenn man also hier erhebliche Mittel einspart, dann hätte man nämlich die Mittel zu einem guten Teil frei, die wir für Auslandskulturarbeit und für Öffentlichkeitsarbeit im Ausland ganz dringend brauchen. Herr Dr. Martin hat vorhin auf die Kulturarbeit in den Oststaaten hingewiesen, ich möchte die Möglichkeit nennen, die wir jetzt haben, einen Informationsaustausch über Fernsehanstalten vorzunehmen, sogar mit Sowjetrußland. Das kostet ein paar hunderttausend Mark im Jahr zusätzlich. Diese Möglichkeit müßte man nutzen. Jetzt kann man es angeblich nicht. Es will mir nicht einleuchten, daß man die Chancen, die von solchen Partnern geboten werden, nicht nützen kann, weil die eine Million oder die zwei Millionen nicht zur Verfügung stehen, obwohl in einer völlig undifferenzierten Weise Öffentlichkeitsmittel für die Inlandsarbeit gegeben werden, d. h. für die jeweiligen Rechtfertigungsbedürfnisse einzelner Ministerien der Öffentlichkeit gegenüber. Eine Regierung, die nicht imstande ist, in einem Haushalt entsprechend umzudisponieren, den Schwerpunkt der Öffentlichkeitsmittel auf die Auslandsarbeit zu legen, eine solche Regierung ist nicht besonders handlungsfähig.Es ist ein offenes Geheimnis, daß die Untersuchungen über die richtige Verwendung solcher Mittel deshalb so lange dauern, weil kein Ressort von seinem Besitzstand lassen will. Es ist aber ebenso sicher richtig, daß die Anzeigen, meine Damen und Herren von der Koalition, die Sie zur Zeit wieder aufgeben — wo angeblich „die Richtung stimmt" —, jetzt den Eindruck bewirken, daß die Richtung in zwei verschiedenen Richtungen in dieser Regierung angeblich stimmt, daß jedenfalls die Handlungen dieser Regierung diese Anzeigen in einer merkwürdigen Weise kommentieren. Deshalb könnten Sie die Mittel von vornherein sparen. Uns von der Opposition tun Sie allerdings einen Gefallen, wenn Sie die Anzeigen weiter aufgeben, weil Ihre Handlungen in so krassem Gegensatz zu diesen offiziellen Behauptungen stehen, daß jedermann die Sache erkennt, um die es hier geht. Da, meine ich, wäre es allerdings für das Ganze wichtiger, im Ausland die Mittel zu verstärken und im Inland entsprechend einzusparen.
Ein weiterer Punkt — die beiden Vorredner haben ihn angeschnitten —: die Unabhängigkeit — will ich einmal sagen — der Goethe-Institute im Ausland, etwa bei der Auswahl der Referenten, die Frage, welches Bild von Deutschland, von deutscher Kultur Ausländer bekommen. Ich verkenne nicht die Wichtigkeit dieser Arbeit, möchte aber gleich hinzufügen, daß politische Handlungen in diesem Lande am Ende mehr zur Prägung des Bildes der Deutschen im Ausland beitragen können als alle noch so gut gemeinten anderen Maßnahmen. Das ist uns hoffentlich allen klar; mit anderen Worten: daß die Entscheidung in Berlin am 5. März uns im Ausland geholfen hat, daß das Bild von dem Deutschen durch diese Entscheidung verändert worden ist, ohne daß dies Etatmittel beansprucht hätte, ist ganz sicher. Daß eine Wahl eines Kandidaten mit den Stimmen der NPD das Gegenteil bewirkt hätte und durch keine Geldmittel auszugleichen gewesen wäre, möchte ich hier allerdings auch hinzufügen. Insofern sollte man also diese Dinge nicht unter-, aber auch nicht überschätzen, sondern die Relation sehen und sich darüber klar sein, daß die politische Handlung, der politische Wille, der in diesem Hause sichtbar wird, am Ende über das Bild der Deutschen im Ausland entscheidet.Und noch ein anderes entscheidet. Man kann 50 Millionen für diese Arbeit ausgeben. Wenn dann irgendein Verantwortlicher in der Bundesrepublik eine Rede hält, in der er dieselben Leute beschimpft, die man mit diesen 50 Millionen DM — mit sehr viel weniger allerdings im einzelnen — zu Vorträgen, zu Dichterlesungen oder anderen kulturellen Veranstaltungen ins Ausland schickt, und beispielsweise, wie das früher geschehen ist, von einem „Mitglied" — er meinte Grass — „der geheimen Reichsschrifttumskammer" spricht und sich der Verantwortliche in der Bundesregierung nicht sofort von solchen Dingen distanziert, dann kann man die Mittel und die Reise sparen.
— Moment, Herr Dr. Martin.
In jüngster Zeit ist in milderer Form, aber nicht weniger peinlich, vom Regierungschef, von Herrn Bundeskanzler Kiesinger, wiederum die Literatur in die Politik eingeführt worden. Ich weiß zwar nicht, aus welchem Grunde. Daß der Bundeskanzler persönlich ein Anhänger der Idylle sein mag, soll ihm ja unbenommen bleiben.
Aber wenn wir mit öffentlichen Mitteln die moderne deutsche Literatur im Ausland vertreten sehen wollen, finde ich es nicht so sehr klug, daß der Bundeskanzler sich hinstellt und, auch vor ausländischen Pressevertretern, sein Desinteresse und geradezu sein Mißfallen an dieser Literatur bekundet, obwohl doch wahr ist, daß in dieser Literatur, ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht, ein gut Teil des Lebensgefühls der jungen Generation in Deutschland zum Ausdruck kommt und daß sie eben doch ein Stück Deutschenbild im Ausland vermitteln kann und vermitteln muß.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte!
Zunächst der Abgeordnete Dr. Wörner. Er hat sich zuerst gemeldet.
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Herr Kollege Moersch, wären Sie bereit, Ihre etwas dramatischen Ausführungen dadurch zu entdramatisieren, daß Sie sich bereit finden, den Wortlaut der Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers mindestens teilweise hier wiederzugeben?
Herr Dr. Wörner, Sie kennen den Wortlaut sicher ganz genau. Ich kenne den Wortlaut aus der Zeitung, und das, was in den Zeitungen stand, ist unwidersprochen geblieben. Da hat der Bundeskanzler bekundet, daß er es eigentlich doch wohl nicht für richtig halte, daß man diese Art von modernen Schriftstellern als Repräsentanten der deutschen Literatur ansähe.
— Nur diese.
— Entschuldigen Sie, Herr Haase. Sie sind in Kassel zu Hause. Vielleicht gibt es dort einen geeigneten Heimatschriftsteller, den Sie ins Ausland schicken wollen.
Ich würde davon abraten. Ich kenne jedenfalls keine markanten Vertreter deutscher Literatur — und da gibt es sehr verschiedene Stilrichtungen —, die etwa nicht die Gelegenheit hätten, ins Ausland zu gehen. Ich kann mir also nur vorstellen, daß der Bundeskanzler etwas völlig anderes gemeint hat. Dieses völlig andere müßten Sie einmal aufklären. Da kann ich nur vermuten — wenn ich einmal Stilvergleiche in eigenen literarischen Werken des Bundeskanzlers anstelle —, daß es sich um eine Richtung handelt, die jedenfalls heute nicht repräsentativ sein kann.
Gestatten Sie noch eine Frage? — Bitte, Herr Abgeordneter von Guttenberg.
Herr Kollege Moersch, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß Sie soeben in objektiv verfälschender Weise das wiedergegeben haben, was der Herr Bundeskanzler gesagt haben soll, und würden Sie mir zustimmen, daß die Lektüre dessen, was der Herr Bundeskanzler wirklich gesagt hat, zeigt, daß er lediglich darüber seinen Unwillen geäußert hat, daß eine gewisse Einseitigkeit in der deutschen Literatur festzustellen ist?
Herr Abgeordneter von Guttenberg, ich kann überhaupt nicht zustimmen, daß ich hier etwas falsch dargestellt hätte, sondern ich habe hier meine Meinung dahin geäußert, daß ich es nicht sehr geschickt fand, daß sich der Herr Bundeskanzler in dieser Weise sozusagen literaturkritisch betätigt hat. Denn Sie wissen ganz genau, daß kein Mitglied Ihrer Fraktion — und Sie hätten ja Gelegenheit gehabt, das zu tun — etwa Herrn Grass damals, wo er gerade in Stockholm im Auftrag des Auswärtigen Amts einen Vortrag hielt, gegen den Vorwurf, Mitglied einer geheimen Reichsschrifttumskammer zu sein, in Schutz genommen hat. Es müßte doch hellhörig machen, daß im Zusammenhang mit dem Engagement einer solchen Schriftstellergruppe für einen Präsidentschaftskandidaten, der nicht der Ihre war, ausgerechnet diese Äußerung zur Literatur gefallen ist, in einer Rede, bei der es sich um die Bundespräsidentenwahl, um eine nachträgliche Kommentierung gehandelt hat. Diesen Zusammenhang, den ich eigentlich gar nicht nennen wollte, will ich jetzt hier doch einmal nennen, und da werden Sie mir doch gestatten, meine eigene Meinung zu haben.
Herr Kollege, wollen Sie den Dialog mit Herrn von Guttenberg noch fortsetzen?
Selbstverständlich!
Bitte, Herr Abgeordneter von Guttenberg!
Herr Kollege, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß Ihnen hier niemand Ihre eigene Meinung bestreitet, sondern daß ich einfach gesagt habe, daß Sie eine falsche Tatsachenbehauptung aufgestellt haben, nämlich daß sich der Bundeskanzler kritisch zu einer bestimmten Stilrichtung geäußert habe. Eben dies hat er nicht getan. Er hat lediglich bedauert, daß es in der deutschen Literatur gegenwärtig eine gewisse Einseitigkeit gebe. Dies ist vor allem eine Tatsachenfrage und nicht eine Meinungsäußerung über eine bestimmte Schriftstellergruppe.
Herr von Guttenberg, mit dem Inhalt der deutschen Sprache bin ich von Berufs wegen etwas vertraut, und eben das, was Sie hier zitiert haben, nenne ich eine kritische Bemerkung. Wenn Sie das anders nennen, kann ich es natürlich nicht ändern; aber das war eine kritische Bemerkung. Sonst hätte der Bundeskanzler sie ja wohl nicht gemacht, und es ist auch in verschiedenden Zeitungen und in Kommentierungen so empfunden worden. Wir können ja nachher den Wortlaut herbeiholen und hier zu Protokoll geben; dann werde ich Ihnen sagen, was davon im einzelnen zu halten ist. Aber offensichtlich sind Sie etwas vorgeprägt in Ihren Meinungen zu diesen Fragen. Die Betroffenen haben sie jedenfalls als kritisch aufgefaßt, und das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.Ich will zum Schluß kommen. Ich wollte diese Anmerkung machen, weil mir scheint, daß es ziemlich sinnlos ist, über Etattitel im einzelnen zu sprechen, wenn der Geist, der aus manchen Mitgliedern
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Moerschder Bundesregierung spricht, jedenfalls nicht der ist, den ich gern im Ausland als deutschen Geist repräsentiert sähe.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Martin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war zunächst froh, daß Herr Moersch nicht die Liberalität der Großen Koalition ausgebeutet hat. Ich hatte ja von dem Angebot des Herrn Außenministers Gebrauch gemacht, auch in der Koalition streitige Fragen zu behandeln. Zum Schluß ist das dann doch etwas anders geworden. Herr Moersch, ich glaube, mit der Literatur haben Sie nicht das Richtige getroffen.
Ich will mich aber erst einmal mit Herrn Kahn-Ackermann auseinandersetzen, der hier eine Sache für sich in Anspruch genommen hat, die er nicht erfunden hat.
— Ja, nicht wahr, das muß sofort klargestellt werden. — Sie wissen ganz genau, daß ich und meine Freunde zu der Zeit von Dieter Sattler, als Herr Schröder das Außenministerium hatte, uns mit Vehemenz dafür eingesetzt haben, daß die ganze Breite der Gesellschaft im Ausland zum Zuge kommt, und immer betont haben, daß wir keine Selektion betreiben wollen, sondern daß es uns darauf ankommt, die Gesellschaften verschiedener Länder frei miteinander kommunizieren zu lassen, weil wir damit erstens unsere Liberalität und zweitens unsere Produktivität unter Beweis stellen. Das habe ich an diesem Pult des öfteren ausgeführt. Die viel späteren Erfindungen sind dann nicht mehr so wild. Ich will Ihnen einmal sagen: wir haben Golo Mann geschickt, wir haben Grass, Hans Mayer, SchwabFehlisch, Hanisch geschickt und z. B. sogar einen Mann wie Henze, der heute bei der AP-Null ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Kollege, entsinnen Sie sich noch gewisser einschlägiger Erörterungen, wo ich Ihnen zugeben mußte, daß Sie diese Meinung vertraten, aber leider eine Mehrheit Ihrer Freunde die gegenteilige Meinung und daß es deswegen nicht dazu kam, die Sache zu solcher Breite zu gestalten, wie wir das ursprünglich beabsichtigt hatten?
Vielen Dank für den Hinweis darauf, daß die CDU eine lebendige und vielfältige Partei ist! Das nehme ich natürlich gern entgegen.
Natürlich, hat er mir eben gesagt!
— Ja wissen Sie, Ihnen fällt ja außer „rückschrittlich " nichts ein. Wenn man sich dauernd bewegt, ist man noch nicht am Fortschreiten. Das sind feine Unterschiede.
Na, wollen wir die Polemik einmal lassen, sonst kommen wir nicht dahin, wohin wir wollen!
— Welche Kollegen? Wieso nicht?
— Aber Herr Moersch, der objektive Gang ist der gewesen, daß das im Auswärtigen Amt durch Dieter Sattler und den damaligen Außenminister vollzogen worden ist. Das ist doch das Ergebnis, Natürlich haben wir die Mehrheit gehabt. Wir hatten doch die Richtlinien durch den Kanzler in der Hand und haben das damals durchgesetzt. Das ist doch ein ganz klarer Fall, das ist doch klipp und klar.Herr Moersch, Sie haben etwas gesagt, was ich von der anderen Seite sehen würde. Die Frage —, was repräsentativ für ein Land ist, ist die schwierigste Frage der auswärtigen Kulturpolitik. Das müssen Sie uns allen zugestehen. Wir haben im Anfang mit Friedrich Sieburg lange darüber diskutiert, und ich muß Ihnen sagen: selbst dieser kluge Mann war nicht in der Lage, diese Frage zu beantworten. Und wenn jemand behauptet, daß das, was sich heute in den Vordergrund drängt und einen gewissen Literaturbetrieb organisiert, unbedingt repräsentativ für unser Land sei, so irrt sich der, würde ich sagen.
Die Frage, was repräsentativ ist, muß hier auch gesehen werden im Blick auf den Konsensus der jeweiligen Bevölkerung — nicht aller Bürger, aber der geistigen Schicht. Wenn der Herr Bundeskanzler vermutet, daß das, was im Literaturbetrieb im Vordergrund steht, nicht unbedingt repräsentativ sei, so spricht sehr vieles für diese Vermutung. Ich halte es für berechtigt, das einmal auszusprechen; denn der Kanzler hat ja die Sorge, daß das Ausland uns so sieht, wie wir wirklich sind, und nicht so, wie es einige Gruppen unbedingt haben wollen.
Insofern hat er das Recht, das zu sagen. Manches ist ja auch einseitig.Ich will Ihnen ein Beispiel sagen: Vor einiger Zeit waren 50 Leute aus dem Ostblock hier. Was glauben Sie, wen wir den Leuten vorgeführt haben? Jetzt halten Sie sich fest: Ernst Jünger — lauter kommunistischen Leuten, Ich muß Ihnen sagen: Das war für die ungefähr das tiefgreifendste Erlebnis, das sie hatten, und ich muß Ihnen sagen: die Leute, die anderen da, die ich soeben apostrophiert habe, die wollten die gar nicht sehen. Sie wollten den Ernst
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Dr. MartinJünger sehen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir solche Leute — auch Heidegger beispielsweise oder seine Schule —, die für dieses Land viel repräsentativer sind, die aber hier totgeschwiegen werden, einmal ins Spiel brächten. Wir müssen einmal wirklich objektivieren können. Wir sind doch nicht dazu da, im Ausland unsere Privatmeinungen durchzusetzen, sondern um das deutsche Volk zu repräsentieren.
Ich möchte mich noch ein bißchen mit Kahn-Ackermann auseinandersetzen. Herr Kahn-Ackermann, es hat mir ein bißchen weh getan, daß Sie sagten: es gibt eigentlich keine deutsche Musik, kein deutsches Theater usw. Sie widersprechen sich da. Natürlich gibt es die Meinung, daß die Industriegesellschaft alles vereinheitlicht und daß wir alle dasselbe denken. Dafür gibt es einige Hinweise. Aber, Herr Kahn-Ackermann, wir haben uns doch gemeinsam entschlossen, die deutsche Sprache in den Mittelpunkt der Auslandsarbeit zu stellen, wie das entsprechend alle anderen tun. Die Sprache aber ist der konzentrierte Ausdruck von Kultur. Es gibt eine eigene deutsche Kultur in allen ihren Sparten, und es ist eigentlich die Voraussetzung für die Kommunikation mit den anderen Ländern, daß man das nicht verwischt, sondern betont.Die auswärtige Kulturpolitik setzt auch eine Klärung des nationalen Bewußtseins voraus. Deshalb höre ich es nicht so furchtbar gern — ich weiß, daß Sie den einen Aspekt betont haben, aber — —
— Gut!Ich möchte dann abschließend noch folgendes sagen; das geht den Herrn Minister an. Sie haben gesagt: Beirat. Das ist richtig. Der Außenminister hat in einer großartigen Weise in der Sitzung zu der Sache Stellung genommen und hat auch unser aller Unterstützung gefunden. Aber was jetzt fehlt, ist folgendes: Der Beirat darf nicht nur anhören, sondern muß sich zu Empfehlungen durchringen; denn hier geht es ja darum, daß die Kulturgesellschaft repräsentiert wird gegenüber dem Amt. Das aber kann sie nicht machen, um mit Ihnen zu sprechen, indem sie sich auf das Rezeptive verlegt, sondern das kann sie nur, indem sie eine echte Empfehlung und einen Beitrag dazu leistet.Und ein letztes Wort — ich habe es vorhin vergessen —: Herr Bundesminister, ich möchte Sie sehr bitten, auf folgendes zu achten. Wir beobachten immer wieder, daß die Delegationen aller Art im Ausland, insbesondere nach Osteuropa, von bundesdeutscher Seite ständig unterrepräsentiert sind. Das funktioniert einfach nicht. Ich weiß nicht, woran es liegt; aber ich halte das für eine ganz bedenkliche Sache, wenn die großen Leute in unserem Lande, die Wissenschaftler usw. ins Ausland wollen und die Gelegenheit haben, dort eine Tribünezu finden, nicht fahren können, weil das an administrativen oder ökonomischen Gründen scheitert.
Nur eine kleine Intervention des Herrn Präsidenten. Der Herr Kollege Martin hat ja vorhin sogar einen bestimmten Teil der Literatur hier zitierenderweise benutzt. „So irrt sich der", sagten Sie. Ich muß das Zitat vervollständigen:
Wenn einer, der mit Mühe kaum gekrochen ist auf einen Baum, schon glaubt, daß er ein Vogel wär, so irrt sich der.
Illustrationen dafür haben wir auch in diesem Hause schon erlebt.
Das Wort hat der Abgeordnete Nellen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich fürchte nicht, durch einige Minuten zum Thema Biafra Ihre Langeweile oder eine Minderung Ihres Interesses zu erregen. Die wachsende Zahl von Interpellationen und Anfragen in den Fragestunden bestätigt die Erfahrung zahlreicher Kollegen und auch meine eigene, daß die Frage Nigeria/Biafra allmählich sogar zu einem innenpolitischen Problem wird. Man braucht nicht gerade nach Heidelberg zu gehen, um stürmische Versammlungen mit diesem Thema zu erleben; man erlebt das auch anderswo. Es gibt aber auch tröstlichere Ereignisse. Ich hörte zufällig am vergangenen Sonntag im Westdeutschen Rundfunk den katholischen Gottesdienst. Ich sage „tröstlichere Ereignisse", die uns die Breite anzeigen, mit der dieses Problem von unserem Volke erlebt wird. Dort sammelte sinnvollerweise am Sonntag der Brotvermehrung der Pfarrer von den Schulkindern für die ersten drei Wochen der Fastenzeit 350 DM ein, von der Kollekte der Erwachsenen ganz zu schweigen. Was wir am kommenden Sonntag auch zahlenmäßig wieder an den humanitären Werken der Kirche — Miserior und Brot für die Welt — erleben werden, gehört, wie der Herr Bundesaußenminister schon sagte, mit zum Tröstlichsten und wirklich Ermunternden, was Charakter und Moral unseres Volkes angeht, was wir feststellen können.Es ist unzweifelhaft so, daß sich die Formel — und die ist zum großen Teil richtig — in bezug auf Nigeria/Biafra anbietet: Wir können dort in den Kampfgebieten oder — um es deutlicher zu sagen — in dem in Sezession befindlichen Gebiet Nigerias nur humanitäre Hilfe leisten. Es ist leider zu befürchten, daß sich dieses „Nur" — dessen Berechtigung weitgehend einzusehen ist; das ist klar — doch eines Tages zu einer furchtbaren Anklage gegen uns alle, gegen die Europäer, gegen alle, die da schweigen, verdichten wird.Wir haben wiederholt verbindliche Äußerungen der führenden Leute des Deutschen Roten Kreuzes und der deutschen und internationalen kirchlichen karitativen Vereine gehört. Die Arbeitspapiere, die uns von diesen sachkundigen Leuten gegeben wur-
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Nellenden, lauten im Tenor folgendermaßen: Die Hungerkatastrophe wird, wenn das jetzt anlaufende Vegetationsjahr, das Anbau- und Erntejahr, nicht ganz große Wandlungen im Anbau bringt, so groß sein, daß wir über die anderthalb Millionen hinaus, die verhungert sind, bis zum Jahresende mit einer weiteren Million zu rechnen haben. Das ist eine ganz fürchterliche Sache, aber darüber dürfen wir nicht nur die Hände zum Himmel ringen.Die weitere Folgerung, die uns die Organisationen und die Hilfswerke nahelegen, ist die: Es muß versucht werden, über noch so große, quantitativ und qualitativ bedeutsame humanitäre Aktionen, nämlich einfache „Fütterungsaktionen" — darum handelt es sich — hinaus, dem schrecklichen Übel — und jetzt kommt das entscheidende Wort, daß sie uns alle sagen — an die politische Wurzel zu gehen. Da bietet sich bei uns in der Bundesrepublik dann so leicht die Redensart an: Ja, wir können doch nichts machen. Dieser Auffassung, die weitgehend fast zu einer geläufigen Sprachmünze geworden ist, möchte ich ganz entschieden entgegentreten.Ich bin 'der Meinung und bitte die Regierung, das auch ernsthaft zu bedenken: Ein Staat, der seine bilateralen Verhältnisse, seine normalen diplomatisch-politischen Beziehungen zu dem Staat Nigeria, der unser einziger Adressat ist, in Ordnung hat — das hat ,sich neulich wieder anläßlich der Brückeneinweihung in Anwesenheit einer Regierungsdelegation gezeigt —, ein Staat, der dort dieses große Objekt erstellt hat und der anläßlich dieser Einweihung sofort eine weitere Tranche von fast 50 Millionen DM Entwicklungshilfe in Aussicht stellen konnte, der dann für die gesamte Bevölkerung ungewöhnlich hohe Beträge zum Kampf gegen den Hunger zur Verfügung stellt, hat nicht nur moralisch, sondern auch politisch das Recht — das möchte ich der Bundesregierung sagen —, in vorsichtiger, aber deutlicher Form auszusprechen: Wir können ja nicht dauernd diese Schraube weiter laufen lassen und der Sache mit „feeding centers" usw. begegnen. Wir müssen dieser Zentralregierung in Lagos nahelegen, präliminare Verhandlungen oder erste Schritte zu tun, damit das ganze Problem einer so schauerlich drohenden „starvation" aus der Welt geschafft wird.Ich sage noch einmal: Ich weigere mich, einfach global die Formel zu akzeptieren: Wir können doch nicht, wir haben keinen Einfluß. Wir haben sowohl auf Grund unserer Entwicklungshilfeleistungen als auch auf Grund der enormen humanitären Leistungen — in Anführungszeichen — zumindest ein Recht, mit diesen Worten zu sprechen.Dann wird man wieder hören: Ja, uns Deutschen steht aber nicht die Rolle des Schulmeisters und des Moralisten an. Das ist wiederholt auch in anderem Zusammenhang gesagt worden, etwa als man die Frage aufwarf, ob wir nicht einmal unseren großen Freunden in den USA, ähnlich wie die meisten NATO-Länder, in vorsichtiger Weise etwas zum Vietnam-Problem sagen könnten. Da hat man an dieser Stelle bedeutungsvoll den Finger gehoben und gesagt: Nicht moralisch, nicht schulmeisterlich! Ich kann nur sagen, damit hat man haargenau andem eigentlichen Punkt vorbei gezielt; denn ich glaube, in diesem Hause ist niemand so töricht, daß er unsere Rolle verkennen würde. Aber ich glaube, daß sehr viele hier sind, die sagen würden: Wir Deutschen haben in der jüngsten Geschichte so viel Böses angerichtet und erlitten, daß wir aus unseren schrecklichen Erfahrungen in gewisse Situationen hineinsprechen dürfen.Noch etwas .anderes; da wünschte ich sehr, daß mir das Auswärt'i'ge Amt eine beruhigende Erklärung geben könnte. Wir wissen alle, daß die karitativen Flugzeuge — ich nenne Sie mal so —, die jede Nacht über die einzige Piste in Biafra einfliegen — das sind vier, fünf, sechs usw. —, unmittelbar vor ,dem Einflug von 'den Flugzeugen der berühmten Whisky-Piloten, vielfach ägyptischer Herkunft usw., beschossen und sofort nach der Landung, nach dem Aufsetzen bombardiert werden. Zuletzt hatten wir ja noch vor drei Wochen vier Flugzeugverluste. Ich möchte gern die Bundesregierung fragen: Was tut sie, um in Lagos etwa zu erreichten, daß mindestens diese rein humanitären Maßnahmen ungestört und nicht unter Beschuß und Bombardierung vor sich gehen? Ich bitte die Bundesregierung, nachzuprüfen, ob es stimmt, daß in einem Fall, wo zwei schwedische humanitäre Hilfsflugzeuge bombardiert wurden — einer der Piloten soll der Graf Rosen gewesen sein, ich nenne Roß und Reiter —, die schwedische Regierung in Lagos vorstellig geworden ist und gesagt hat, daß sie eine Wiederholung derartiger Behinderungen karitativer Anflüge durch Bomben und Maschinengewehrfeuer als einen ungewöhnlich unfreundlichen Akt betrachten wird. — Bitte, ,die können 'das! Ich frage, ob 'die Bundesregierung bereit ist, nachzuprüfen, wie die Dinge da liegen, und vielleicht analog — das ist sie dem riesigen Opfer unserer Bevölkerung, welches dort hineinfließt, schuldig — etwas Ähnliches 'tun kann.Im übrigen möchte 'ich meaner uneingeschränkten Genugtuung darüber Ausdruck geben, daß in einer musterhaften Zusammenarbeit zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit beim letzten Besuch der Regierungsdelegation — das war die berühmte Brückeneinweihung — der Staatssekretär des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Absprache mit dem Auswärtigen Amt 'und nach genauesten Unterhaltungen berechtigt war, ganz vorsichtige, — wenn Sie so wollten — vorsichtige aber deutliche informelle Präliminarunterhaltungen über die politische Beendigung dieser schauerlichen Dinge zu führen. Es ist bekannt: Er h a t von Lagos die Zusicherung bekommen, daß die Parlamentarierdelegation, die .am 8. April fahren soll, selbstverständlich ohne weiteres kommen kann; sie soll sogar zuerst nach Biafra fahren. Es läßt sich also schon etwas tun.Der Tenor all dessen, was bestimmt nicht ich allein,sondern auch die meisten Kollegen draußen erfahren, ist, daß sich unsere Bevölkerung Gedanken darüber macht, daß es mit noch so vielen hunderttausend Tellern Suppe pro Tag allein leider nicht getan ist, daß vielmehr versucht werden muß, eine politische Pointe in diese Dinge hineinzubringen.
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12012 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
NellenIch darf Ihnen sagen, daß mich vor einigen Wochen eine 90minütige Unterhaltung mit dem rangältesten katholischen Bischof von Biafra enorm beeindruckt hat Er war einer dieser brillanten, intelligenten jungen Afrikaner; er . ist gerade über 40 Jahre alt und aus bester römischer Schule. Er betonte alle zwei Minuten: Wir danken dem deutschen Volk! Daran ließ er keinen Zweifel. Er sagte aber auch: Wenn nicht bald versucht wird, „politisch" zu vermitteln, ist alles umsonst, dann werden weite Gegenden zum Friedhof; das können Sie mit noch so kräftiger Suppe usw. nicht verhindern.
Das Wort hat der Abgeordnete Mattick.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir trotz der vorgeschrittenen Zeit noch einige allgemeine Bemerkungen.
Ich möchte mit einer Bemerkung zu dem beginnen, was Herr Majonica hier über die Situation im Jahre 1966 gesagt hat. Er sagte — da stimme ich ihm zu —: Es war doch nicht die Stunde Null. — Da hat er natürlich recht; es war nicht die Stunde Null. Aber es war doch schlimm genug, denn wenn es nicht so schlimm gewesen wäre, dann hätte doch sicher die stärkste Partei des Hauses dem Wunsch der zweitstärksten Partei zugestimmt, Neuwahlen durchzuführen, um neu anzufangen, nachdem die Regierung Erhard gescheitert war.
Verständigen wir uns doch darauf: Es war schlimm genug, und die Große Koalition ist deshalb zustande gekommen, weil es schlimm genug war. Ich glaube, dann kann man sich Einzelheiten ersparen.
Bitte sehr!
Herr Mattick, können wir uns auch darüber verständigen, daß daran, daß es — wie Sie sagen — „schlimm genug war", alle Fraktionen dieses Hauses mitgewirkt hatten?
Dem kann ich nicht zustimmen, Herr Guttenberg;
denn die Sozialdemokratische Partei hat, obwohl sie in der Opposition war, 1966 ausreichende Vorschläge dazu gemacht, wie man es besser machen könnte. Das haben wir ja dann gemeinsam praktiziert.
Nun will ich ein paar Bemerkungen zu dem machen, was Herr Zoglmann gesagt hat. Ich möchte Herrn Zoglmann sagen: Mir ist es in den Wochen vor dem 21. August des vergangenen Jahres einmal etwas kalt den Rücken heruntergelaufen. Es war, wenn ich mich recht entsinne, um den 15. August herum, als ich in der „Abendschau" das Bild sah,
wie der Parteivorsitzende, Herr Scheel, mit dem Sektglas in der Hand in Prag fotografiert war. Das war ein schlechter Eindruck. Aber ich stimme Ihnen, Herr Zoglmann — damit das ganz klar ist —, nicht zu, daß Herr Scheel an dem Einmarsch am 21. August nun deswegen mitschuldig wäre. Das ist von Ihnen hier falsch dargestellt worden, nämlich so, als ob das Verhalten von Herrn Scheel und von Herrn Blessing — andere Namen sind hier nicht gefallen — dabei mitgewirkt hätte, daß die Sowjets am 21. August in die CSSR einmarschiert sind. Die Russen haben heute vielleicht ein paar neue Begründungen dafür gehört, weshalb sie in die CSSR einmarschiert seien. Ich teile Ihre Auffassung dazu nicht.
Herr Zoglmann, wollen Sie eine Frage stellen? — Bitte sehr!
Herr Kollege Mattick, würden Sie der Feststellung zustimmen, daß es eine Bereicherung der Objektivität dieser Diskussion wäre, wenn Sie anschließend das Protokoll über meine Ausführungen läsen und dabei zur Kenntnis nähmen, daß ich, was Herrn Scheel betrifft, genau das Gegenteil dessen festgestellt habe, was Sie hier behaupten?
Aber Herr Zoglmann, das geht doch nicht, daß Sie sich hier hinstellen und generell sagen: das deutsche Verhalten war nicht klug, und dann Herrn Scheel davon ausnehmen. Das können Sie nicht. Entweder müssen Sie Herrn Scheel in die Feststellung, daß es nicht klug war, mit einbeziehen oder zugeben, daß Ihre Begründung dieser Vorgänge nicht der Wirklichkeit entspricht. Ich jedenfalls möchte sagen, die Sowjets, die Sowjetunion und ihre Partner hatten andere Gründe, in die CSSR einzumarschieren, als die Gründe, die hier von Ihnen als Erscheinungsformen, die mit dazu geführt hätten, genannt worden sind.In diesem Zusammenhang sagten Sie, Herr Zoglmann: Herr Ulbricht hat durch den 21. August eine neue Position erhalten. Sie haben nicht gesagt, was Sie mit der „neuen Position" meinen. Ich möchte dem hinzusetzen: es ist sicher richtig, daß am 21. August deutlich geworden ist, daß das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und der DDR-Regierung ein ziemlich gefestigtes, aneinander gebundenes und abhängiges Verhältnis ist. Wenn Sie aber sagen, Ulbricht habe dadurch eine neue Position bekommen, dann sage ich Ihnen darauf, nach meiner Auffassung ist die Position Ulbrichts im Ostblock als Ganzes gesehen mit dem 21. August schlechter geworden. Der Einmarsch deutscher Truppen in die CSSR hat selbst bei vielen Kommunisten in den Ländern drüben einen Schock ausgelöst, womit Ulbricht sicher noch lange zu tun haben wird. Ich werde auf diese Bemerkung noch in einem anderen Zusammenhang kurz zurückkommen.
Nun haben Sie, Herr Zoglmann, gesagt: Die Sowjetunion hat Sicherheitsprobleme. Ich bestreite, daß der Einmarsch in die CSSR und die Auseinandersetzung um Berlin, mit der wir es im Augenblick zu tun haben, wirklich etwas mit den Sicherheitsproble-
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Mattickmen der Sowjetunion zu tun haben. Ich bin der Meinung, hier handelt ,es sich um ganz andere Probleme. Leider — und das ist meine Frage an den Außenminister— sind wir alle nicht in der Lage, uns ein wirkliches Bild von der inneren Situation in der Sowjetunion und auch in den anliegenden Ostblockstaaten zu verschaffen. Uns fehlt hier die Kenntnis. Uns fehlt auch die Kenntnis, wieso die Sowjetunion plötzlich den ständigen Konflikt an der chinesischrussischen Grenze mit dieser Lautstärke aufbauscht und daraus in der Propaganda ,einen halben Krieg macht. Das muß doch Ursachen haben, die wir, glaube ich, etwas näher untersuchen müßten.In diesem Zusammenhang erscheint es mir interessant, daß die Gräfin Dönhoff jetzt in der „Zeit" eine Artikelserie aus der „Sunday Times" über den „Alltag in der Sowjetunion" abzudrucken beginnt. Ich empfehle, das einmal sehr aufmerksam zu lesen, weil daraus sehr deutlich wird, daß der Alltag in der Sowjetunion wieder stalinistischer wird. Ich glaube, diese Probleme kann man nicht ausschalten oder beiseiteschieben, wenn man sich die gegenwärtige Lage und auch das Verhältnis zur Sowjetunion vor Augen führt. Nun hat die FDP ja einen Antrag gestellt, über diese Dinge zu reden. Diese Debatte ist vertagt worden. Deshalb will ich dazu hier jetzt im einzelnen auch keine weiteren Ausführungen machen.Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt ein paar Bemerkungen in bezug auf die Leistung des Außenministers machen. Lassen Sie mich eines vorweg sagen. Immer wenn die Sozialdemokraten hier an dieser Stelle etwas über ihre Leistungen in der Großen Koalition sagen und einige Punkte herausstellen, gibt es bei unserem Koalitionspartner eine Erregung, als hätten wir alles andere, was vorher war, in den Schatten gestellt. Das ist gar nicht das Problem. Wenn wir darüber reden, beziehen wir uns auf das, was in den zweieinviertel Jahren Großer Koalition auch von einigen sozialdemokratischen Ministern Besonderes — das möchte ich betonen — geleistet worden ist. Kein Ministeramt, meine Damen und Herren, kann seine Leistungen und seine Erfolge so wenig direkt messen wie das Auswärtige Amt. Es gibt weder Konjunkturzahlen noch Steuereinnahmen, die man registrieren kann. Die Erfolge sind nicht direkt meßbar. Kein Ministeramt ist so wie das Auswärtige Amt von Einflüssen abhängig, auf die es selbst und wir alle keinen Einfluß haben, nämlich von den internationalen Einflüssen, die von uns zum großen Teil auch bei der besten eigenen Politik nicht zu steuern und nicht zu beeinflussen sind. Erlauben Sie mir ein Zitat aus der „Süddeutschen Zeitung" von heute wiederzugeben, das mehr darüber aussagt als manches, was in unseren Unterhaltungen hier zur Sprache kommt. Herr Kempski schreibt dort über die Budapester Konferenz. Sein Artikel ist überschrieben: „Geheimnisvolle Signale beim Ostblock-Gipfeltreffen". Es heißt dort: „Das Kampfgeschrei in Bonn ist nicht mehr die einigende Parole im Ostblock". Meine Damen und Herren, das kommt einer Erfolgsbilanz gleich, die gar nicht zu unterschätzen ist.Ich möchte mir in diesem Zusammenhang erlauben, aus meinen eigenen Erfahrungen eine Bemerkung zu machen. Im Ostblock, bei den Völkern des Ostblocks ist die Politik der Bundesrepublik unter der Führung der Großen Koalition mit dem Außenminister Brandt in den letzten Jahren unbestreitbar zu einer großen Hoffnung im Hinblick auf die weitere europäische Entwicklung geworden. Das können wir uns sicher alle zuschreiben, aber daß der Außenminister hier einen besonderen Erfolg verbuchen kann, wird auch niemand abstreiten, der gleich daran denkt, hier werde die Konkurrenz aufgezogen.In diesem Sinne würde ich Herrn Mischnick nicht gern zustimmen, wenn er sagt, der Außenminister hat eine gute Figur gemacht. Die hat er sowieso.
Wenn man „gemacht" sagt, denke ich immer an das Gespräch zwischen Mann und Frau, in dem der Mann zur Frau sagt: „Mach doch nicht so ein dummes Gesicht!", und sie sagt: „Wenn ich Gesichter machen könnte, hättest du schon längst ein anderes!"
Ich meine, solche Bemerkungen sind in diesem Zusammenhang nicht passend. Jedenfalls glaube ich, daß wir das Vertrauen zur Bundesrepublik international in den letzten Jahren auf allen Gebieten verstärkt haben.In diesem Zusammenhang zwei Bemerkungen, meine Damen und Herren, die mir wichtig sind. Jetzt hätte ich mich beinahe so versprochen wie Herr Barzel heute vormittag. Wenn der CDU-Mann seine Freunde anspricht, sagt er „Liebe Freunde!" ; wenn wir es auf unsere Weise sagen, klingt das gleich ganz anders.
Insofern ist ein Versprecher bei uns schwieriger als bei Ihnen. Aber ich habe es noch zeitig genug gemerkt.Ich möchte zwei Bemerkungen machen, die eine zu dem Besuch Nixons und die zweite zu dem Besuch Wilsons in Bonn und in Berlin. Hier ist schon eine Anmerkung dazu gemacht worden. Es steht mir nicht an, die Art, wie Nixon sich hier gezeigt hat, aufgetreten ist, zu werten. Ich glaube jedenfalls, als er wieder wegging, waren wir alle weit zufriedener über seinen Auftritt hier und über das, was an Kontakten daraus entstanden ist, als wir erwartet hatten. Vorher hatten wir vielleicht doch einige Sorgen. Auch, daß Wilson in Berlin und in Bonn war, war in dieser Phase eine sehr gute Sache. Lassen Sie mich als Berliner diese Bemerkung machen. Berlin brauchte in dieser Phase besonderer Auseinandersetzungen um diese Stadt diese Bekundung der Verbundenheit, und es brauchte auch diese Bekundung der Sicherheit durch die alliierten Freunde. Ich laube, meine Damen und Herren, daß Nixon so wie Wilson — lassen Sie mich das etwas grob aussprechen — manch einer Meinungsmache in der deutschen Publizistik in den letzten Tagen in die Suppe gespuckt hat, als es hier darum ging, ob die Bundesversammlung nach den Entwicklungen, die vorher waren, in Berlin stattfinden kann oder
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12014 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Matticknicht. Insofern möchte ich den beiden Männern auch als Sozialdemokrat von dieser Stelle aus noch einmal meinen Dank sagen. Ich glaube, der Besuch in Berlin war etwas Besonderes in dieser Phase.Darf ich noch eine Bemerkung zur Budapester Erklärung machen. Ich stimme absolut zu, daß man alles tun muß, um zu prüfen, ob es hier einen neuen Weg der Verhandlung und eine neue Chance für einen neuen Schritt gibt. Ich möchte nur sagen, es war alles schon einmal da. Wir sollten uns bemühen, so wie es der Bundesaußenminister erklärt hat — das ist auch meine Bitte an diejenigen, die öffentliche Meinung machen —, bei der Untersuchung nicht schon vorher Positionen aufzugeben und falsche Hoffnungen zu erwecken.
Denn das alles war schon einmal ohne Ergebnis.Im Zusammenhang mit meiner Einstellung dazu, wie man bei den Völkern im Ostblock die Dinge in der Bundesrepublik heute sieht, und im Zusammenhang mit meiner Auffassung, daß in Jugoslawien ein besonderes Zentrum und eine Brücke für weiteres Wirken in den Ostblock hinein sein kann, habe ich eine Bitte an den Außenminister. Ich bin nicht ein Mann, der besondere Repräsentationsgebäude und -räume zum Protzen für die deutsche Bundesrepublik erwartet. Aber, Herr Bundesaußenminister, Sie werden mir zustimmen, wenn ich sage: Die deutsche Vertretung in Jugoslawien, dem wichtigsten Land des Ostens und kommunistischen Land, in dem die Bundesrepublik jetzt vertreten ist, ist so nicht zu verantworten. Das ist nicht nur kein repräsentatives Haus, das ist ein Haus, in dem zu arbeiten man den Menschen im Grunde genommen nicht zumuten kann, weniger noch, Menschen zu empfangen, Begegnungen durchzuführen und das zu tun, was ich mir von dem Botschafter in dieser Stadt vorstellen könnte, nämlich Kontakte zu pflegen. Wir unterstützen mit allen Kräften Ihr Bemühen — ich spreche das, glaube ich, für meine Fraktion und sicher auch für die anderen Fraktionen aus —, in Belgrad eine bessere Position für unsere Vertretung dort zu finden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kopf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auswärtige Politik und geschichtliche Abläufe sind ein Kontinuum. Sie gleichen einem Teppich mit einem Muster, das von jedem fortgesetzt werden muß, der die Verantwortung für die Fortführung und die Gestaltung der auswärtigen Politik übernimmt. Das gilt in ganz besonderem Maße für die Europapolitik. Wir sind seit Monaten beunruhigt über Erscheinungsformen der Stagnation. Die Bundesregierung, insbesondere der Außenminister, aber auch das Parlament haben nichts unversucht gelassen, um diese Stagnation zu überwinden. Wir werden diese Bemühungen fortsetzen. Aber einige klare Linien, die sichfür die nächste Zukunft ergeben, müssen wohl ausgesprochen werden.Es ist nicht möglich, im Rahmen der Sechs Frankreich durch Großbritannien zu ersetzen. Länder sind in einer Gemeinschaft nicht austauschbar. Das muß ausgesprochen werden, vor allem auch deshalb, weil wir davon überzeugt sind, daß die Zuordnung der beiden Länder Frankreich und Bundesrepublik beinahe naturgesetzlich ist, nicht zuletzt auch durch die geographische Lage bestimmt, und daß sie ein konstantes Element der deutschen Politik bleiben wird. Es wäre daher verfehlt, Frankreich zu isolieren, auch dann, wenn wir mit manchen Formen des französischen Verhaltens nicht einverstanden sind.Eine Umwandlung der EWG in eine Freihandelszone wäre ganz bestimmt ein äußerst bedauerlicher und schmerzhafter Verlust an Gemeinschaft. Darum tragen wir Bedenken; denn wir erblicken ja in der EWG eine Durchgangsstufe zu anderen Formen staatenbündlicher oder bundesstaatlicher Einigung der freien Länder Europas. Insbesondere wäre es nicht ausdenkbar, wenn man schon diesen Gedanken erwägt, an eine Freihandelszone zu denken, wobei aber die Agrarordnung beibehalten würde. Wir haben ja französische Stimmen kennengelernt, denen vorschwebte, bei einem solchen Umwandlungsprozeß der EWG in eine Freihandelszone könne das, was in der Agrarordnung bereits verwirklicht worden ist, beibehalten werden. Das ist natürlich nicht möglich.Das Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa hat sich in den letzten Tagen in London versammelt. Das ist begrüßenswert. Es können neue Impulse von den Entschließungen ausgehen, auch wenn unmittelbar eine Verwirklichung dieser Entschließungen deshalb nicht möglich ist, weil der Beitritt Großbritanniens zur Zeit sich nicht durchführen läßt. Aber die Bedingungen zu erwägen, unter denen dieser Beitritt und die Mitwirkung Großbritanniens erfolgen könnten, ist sicherlich wertvoll und notwendig. So möchten wir den Bemühungen des Monet-Komitees wiederum unsere volle Achtung zollen.Der Minister hat von der Notwendigkeit gesprochen, auch mit der Sowjetunion eine Verständigung zu suchen. Auch ich möchte dies unbedingt bejahen. Es sollen alle Gesprächsmöglichkeiten ausgenützt werden. Es wäre erfreulich, wenn die abgebrochenen Verhandlungen über den Gewaltverzicht wiederaufgenommen werden könnten. Der Minister hat die Möglichkeit von Gesprächen über kulturelle, über wirtschaftliche und über technische Zusammenarbeit angeführt. Das alles ist unbedingt zu billigen.Aber ebenso sicher ist, sosehr wir die Verständigung gerade auch mit der Sowjetunion wünschen: Unser Platz ist und bleibt im Bündnis. Es ist erfreulich, daß Präsident Nixon hier an dieser Stelle ein so warmes Bekenntnis zur Aufrechterhaltung der NATO abgelegt hat. Die NATO darf sich nicht selbst in Frage stellen; denn sie ist notwendig. Wir müssen sie stärken.
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Dr. KopfWenn uns auch als ein Ziel der Zukunft die Schaffung einer europäischen Friedensordnung vorschwebt, einer Friedensordnung, durch die nicht jetzt und auch nicht in der mittelfristigen Planung, aber nach einer ferneren Zukunft die Blöcke abgelöst werden könnten, so muß doch dieser etwas vage Begriff der europäischen Friedensordnung immer durch zwei Elemente präzisiert werden, einmal, daß diese europäische Friedensordnung nur denkbar ist, wenn eine Garantie der Vereinigten Staaten von Amerika stattfindet, und zweitens, daß diese europäische Friedensordnung nicht die deutsche Teilung befestigen, sondern zu ihrer Überwindung mitarbeiten muß.Die WEU ist wertvoll, deshalb besonders, weil in ihr die Mitarbeit Großbritanniens erfolgt. Diejenigen unter uns, die den Beratenden Versammlungen der WEU in den letzten Jahren beigewohnt haben, wissen, daß sich hier immer nützliche und wertvolle Diskussionen ergeben haben und daß hier ein Ausstrahlraum gegeben war, in dem die Briten in stärkerem Maße, als dies im Europarat Ausdruck bekommen kann, präsent waren und der Meinungsaustausch mit ihnen sich hat ermöglichen lassen. Wir glauben daher, daß die WEU auch in Zukunft fortgeführt werden soll.Ich möchte nicht noch einmal all die Bemerkungen, die in zahlreichen Diskussionen zum Atomsperrvertrag gemacht worden sind, wiederholen. Auch wenn der Text dieses Vertrages feststeht, auch wenn mit einer Änderung dieses Textes nicht mehr gerechnet werden kann, so ist doch, wie ich meine, noch die Klärung einer ganzen Reihe von Fragen notwendig, ist die Interpretation und auch die Anerkennung dieser Interpretation notwendig. Die Entscheidung darf nicht zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem diese Fragen noch nicht restlos geklärt sind. Ich darf Sie, Herr Minister, noch einmal an die Zusage erinnern, daß, wenn die Regierung in Zukunft an eine Unterzeichnung des Vertrages denken sollte — ich halte die Voraussetzung hierfür im Augenblick nicht für gegeben —, zunächst eine Besprechung im Auswärtigen Ausschuß stattfinden wird. Ich bin dankbar dafür, daß uns diese Zusage gegeben worden ist.Im letzten Jahr ist von Ihnen, Herr Minister, eine Kommission für die Reform des Auswärtigen Dienstes eingesetzt worden. Das war ein glückliches und auch ein notwendiges Vorhaben. Unsere Auswärtigen Ämter reichen in das 19., ja vielleicht sogar 'in dais 18. Jahrhundert zurück. Inzwischen hat sich die gesellschaftliche Lage sehr stark verändert. Neue Aufgiabengebiete im kulturellen und wissenschaftlichen Bereich sind erschlossen worden. Es muß eine Besinnung über die Aufgaben des Auswärtigen Dienstes stattfinden. Die Aufgaben, die heute in einer dynamischen Welt zu erfüllen sind, müssen neu präzisiert, die notwendigen Struktur- unid Funktionsmaßnahmen müssen systematisch überlegt werden. Daher war es richtig, diese Kommission ins Leben zu rufen.Schon heute zeichnen sich zwei Probleme ab, die vielleicht noch nicht endgültig behandelt worden sind, die mir aber wichtig und erwähnenswert er-scheinen. Einmal wird es wohl nötig sein, eine Stellenreserve zu schaffen, die bisher nicht besteht. Zweitens ist eine Vermehrung der Inspektorate wünschenswert. Im neuen Haushalt ist diesem letzten Gesichtspunkt schon Rechnung getragen worden.Besondere Anerkennung verdient die Kulturabteilung des Auswärtigen Amts, die vielleicht mehr in der Verborgenheit und ohne den Glanz der großen Welt arbeitet, die aber eine sehr große Aufgabe zu bewältigen hat. Das ergibt sich 'schon bei einer Durchsicht des Kulturplanes. Die Delegation von Aufgaben ist weitgehend erfolgt. Sie mußte erfolgten. Leider ist sie zu einem Zeitpunkt erfolgt, da die Stellen und Vereinigungen, die Auslandskulturarbeit treiben, schon weitgehend zersplittert waren. Es ist deshalb notwendig, immer wieder 'an eine gewisse Flurbereinigung zu denken und zu versuchen, die Stellen, die sich mit Auslandskulturarbeit befassen, zu reduzieren unid zu rationalisieren.Was über die deutsche Sprache und über die Notwendigkeit, ihr in stärkerem Maße Geltung zu verschaffen, gesagt worden ist, möchte ich nur noch einmal akzentuieren. Die deutsche Sprache hat in den Jahren mach dem letzten Weltkrieg noch nicht die Anerkennung und die offizielle Geltung erfahren, die ihrer eigentlichen Reichweite und ihrer Bedeutung entspricht. Alle unsere staatlichen Stellen sollten daher genauso wie die Parlamentarier weiter dazu beitragen, daß die deutsche Sprache zwar vielleicht nicht die Weltgeltung, aber die volle europäische Geltung wiedererlangt.Schließlich sei mit wenigen Worten der humanitären Maßnahmen der Bundesregierung im Ausland gedacht, die ja im engen Einvernehmen mit den drei Unterausschüssen für die Vietnam-Hilfe, für die Nahost-Hilfe und für die humanitäre Hilfe in Afrika getroffen werden. Dafür sind erhebliche Mittel bereitgestellt worden. Ihre Bereitstellung war notwendig. Es gibt humanitäre Verpflichtungen für ein Land wie das unsere. Was über die Notwendigkeit, insbesondere auch in Nigeria/Biafra das humanitäre Werk fortzusetzen, gesagt worden ist, das kann nur noch einmal unterstrichen werden.Natürlich besteht der Wunsch, auch bei der Durchführung der humanitären Hilfe immer und immer wieder auf die Wiedergewinnung des Friedens hinzuwirken, auch wenn hier unsere Einflußmöglichkeiten beschränkt sein sollten. Aber mindestens sollte eines erreicht sein — und die Delegation des Deutschen Bundestages, die sich demnächst nach Nigeria/Biafra begeben wird, könnte auch auf diesem Gebiet ihren nützlichen Einfluß geltend machen —, daß karitative Züge und Transporte, die zur Versorgung der Bevölkerung des östlichen Landesteils von Nigeria eingesetzt werden, ungestört bleiben und die Empfänger auch erreichen.Ich darf eine ganz kleine Einschaltung zugunsten unseres Kollegen Zoglmann machen. Er hat den Auswärtigen Ausschuß angesprochen wegen des Antrags auf Erleichterung der Visaerteilung für Personen aus den Oststaaten. Ich darf hierzu folgendes sagen. Der Auswärtige Ausschuß konnte noch nicht abschließend tätig werden, weil der Bericht des mit-12016 Deutscher 'Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969Dr. Kopfberatenden Ausschusses, dies Innenausschusses, noch nicht vorliegt. Selbtverständlich wird, sobald dieser Bericht uns vorgelegt wird, der Auswärtige Ausschuß als federführender Ausschuß diesen Antrag unverzüglich behandeln.Schließlich möchte ich versuchen, in einem einzigen Satz die wesentlichen Punkte unseres außenpolitischen Verhaltens zusammenzufassen: Wir werden alles tun, um die europäischen Einigungsbestrebungen fortzusetzen; wir werden aber auch die Möglichkeit einer Verständigung mit den Ländern des Ostens und insbesondere der Sowjetunion ausnützen und ausschöpfen, allerdings unter Wahrung der vitalen Interessen der Bundesrepublik, und wir werden unsere Europapolitik und unsere Ostpolitik im Zeichen der Erhaltung und der Gewährleistung des Friedens fortsetzen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Geisendörfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem mein Vorredner soeben einen ganz großen Rahmen mit weiten Ausblicken gesetzt hat, erlauben Sie mir, noch ein verhältnismäßig kleines Teilproblem anzusprechen, von dem hier schon in den vergangenen Jahren oft die Rede war; Sie wissen, daß es mir besonders am Herzen liegt. Das ist die Frage unserer Wissenschaftsattachés im Ausland. Herr Minister, ich bin sehr froh, daß es in dieser Beziehung vorangeht, daß wir jetzt einen neuen Wissenschaftsattaché in Washington bekommen. Ich möchte aber doch darauf aufmerksam machen, daß mir das Tempo dieser Entwicklung etwas zu langsam erscheint. Wir haben im vergangenen Jahr erlebt, daß z. B. Frankreich in Washington ein ganz großes Büro mit einer Reihe von qualifizierten Wissenschaftlern und den dazugehörigen Hilfskräften eingerichtet hat, um alle die Aufgaben wahrnehmen zu können, die man auf diesem Gebiet unbedingt wahrnehmen muß. Ich glaube, darüber gibt es keine Meinungsverschiedenheit mehr. In den vergangenen Jahren gab es eine ganze Reihe von Hindernissen, teils organisatorisch, teils grundsätzlicher Art. Ich wäre sehr dankbar, wenn diese Hindernisse allmählich überwunden würden und wenn sich die Einsicht durchsetzte, daß um der Wichtigkeit dieser Dinge willen auch das Tempo ihrer Verwirklichung etwas beschleunigt werden muß.
Das Wort hat der Abgeordnete Giulini.
Herr Präsident! Meine Damen und ,Herren! Eine Minute nur! Herr Bundesaußenminister, zu Ihrem großen Bemühen, mit den Sowjets einigermaßen klarzukommen oder eine Politik zu machen, die irgendwie erkennen läßt, was eigentlich die Sowjets meinen, möchte ich drei Sätze sagen. Erstens. Es scheint mir so, daß die Sowjets folgendes wollen: die Bundesrepublik raus aus Ber-
lin, mit der Folge: Dann habt ihr Ruhe in Deutschland. Zweitens: Die Amerikaner und Alliierten raus aus der Bundesrepublik; dann habt ihr Ruhe in Europa. Drittens: Die Alliierten, bzw. die Amerikaner, raus aus den europäischen Gebieten, dann habt ihr Ruhe in der Welt. — Es scheint mir, daß das die Konzeption der Russen ist, obwohl man das natürlich nie im einzelnen genau sagen kann.
Das Wort hat der Herr Bundesaußenminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich zunächst für eine Reihe von Hinweisen zu bedanken, die ich mir notiert habe und gern weiterverfolgen will.Das fing an mit dem sicher richtigen Hinweis des Herrn Kollegen Zoglmann auf die unzureichende Ausstattung mancher unserer Botschaften. Das hängt ein wenig mit dem zusammen, wovon Herr Dr. Kopf sprach. Wir bemühen uns, einen Teil dieser Dinge möglichst objektiv durch die Reformkommission beurteilen zu lassen, die unter dem Vorsitz von Botschafter bzw. Staatssekretär von Herwarth an der Arbeit ist. Ich höre jetzt, daß diese Kommission glaubt, wesentlich früher mit ihren Empfehlungen fertig werden zu können, als ich ursprünglich geglaubt hatte. Es wäre gut, wenn schon Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres für eine neue Bundesregierung bestimmte Entscheidungsgrundlagen oder jedenfalls Bewertungsgrundlagen von dort erarbeitet würden.Was Korea angeht, so haben sowohl Herr Majonica wie Herr Apel darauf hingewiesen — ich freue mich darüber, weil es auch eine Anerkennung für meine Mitarbeiter ist —, daß sich die eingeschlagene Linie als die richtige erwiesen hat. Nun will ich allerdings, ohne zuviel aus der Schule zu plaudern, sagen: dabei hilft natürlich manchmal auch, wenn das Parlament oder wenn auch die Öffentlichkeit wesentlich über das hinausgeht, was der Außenminister glaubt sagen zu können. Nur: was nicht hilft, waren die in der Öffentlichkeit zum Teil aufkommenden Verdächtigungen, was die Motive angeht. Das hilft nicht, das kann nur entmutigen; dürfte es eigentlich trotzdem nicht. Ich will nur, daß das Hohe Haus dabei noch folgendes weiß. Die Regelung, die mit der koreanischen Regierung getroffen worden ist, bedeutet nicht irgendeine ökonomische Leistung zum Wiederzurechtrücken dessen, was zurechtzurücken notwendig war. Da sind hier und da falsche Eindrücke entstanden, und ich wollte auch das gern gesagt haben.Zur Europapolitik möchte ich zunächst etwas aufgreifen, was Herr Kollege Apel über die landwirtschaftliche Seite dieser Politik gesagt hat. Ich denke, es ist wichtig, unsere französischen Nachbarn wissen zu lassen — oder einige von ihnen, die dort Sorgen haben —, daß sie — wenn ich es recht sehe — irren, wenn sie befürchten, wir wollten die Grundlagen der
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Bundesminister Brandtgemeinsamen Landwirtschaftspolitik in Frage stellen. Das wollen wir nicht. Die Grundlagen nicht! Dieses Bedenken ist in Verbindung mit den Diskussionen über den etwaigen Beitritt Englands aufgetaucht, aber die Diskussion wird auch unabhängig davon geführt. Worum es geht, ist vielmehr folgendes; ich denke, darin stimmen wir überein.Erstens. Der Römische Vertrag stellt die Landwirtschaftspolitik in einen ganz klaren Zusammenhang mit der übrigen Handelspolitik. Aus der Sicht und den Interessen der Bundesrepublik Deutschland muß vielleicht stärker noch als aus der Sicht anderer EWG-Partner darauf hingewiesen werden, daß dieser Zusammenhang gewahrt bleiben muß. Anders gesagt, wenn nicht ein gewisser Prozentsatz frei bleibt für das Hereinnehmen von Landwirtschaftsprodukten aus anderen Ländern, seien es südamerikanische Länder, afrikanische Länder, südosteuropäische Länder, dann wird das handelspolitisch für ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland außerordentlich schwierig.Das Zweite ist: Nicht in erster Linie deswegen, weil wir mehr zahlen, als wir wieder hereinbekommen — denn das wäre zu eng gesehen —, sondern aus allgemeiner Sicht der europäischen Staaten, auch auch der Sicht der französischen Regierung bereitet es Sorgen, die Ziffern auf sich zukommen zu sehen, die die Agrarfinanzierung kennzeichnen. Bleibt es bei 20 Milliarden, oder erweisen sich auch diese Schätzungen wieder als zu niedrig, wie sich fast alle Schätzungen auf diesem Gebiet als zu niedrig erwiesen haben?
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ertl?
Herr Minister, trifft es nicht zu, daß der französische Außenminister Debré in Brüssel klar gefordert hat: absolute Priorität für den EWG-Markt ohne Rücksichtnahme auf Drittländer, einschließlich der Finanzierung?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich würde dem so nicht beipflichten. Ich habe aber absichtlich in einem gewissen Zusammenhang mit dem, worüber debattiert wird, gesagt — und mir liegt daran, das nicht nur zu sagen, sondern auch das Gefühl zu haben, dies sei eine vom Hause unterstützte Meinung —: wir wollen die Grundlagen der gemeinsamen Landwirtschaftspolitik und ihrer Finanzierung nicht antasten, aber wir haben diese beiden Punkte. Und, verehrter Kollege, erstens hat es Debré nicht so gesagt, und zweitens wäre es ja damit noch nicht so, weil er es so sagt; sondern was wird, ergibt sich aus der gemeinsamen Willensbildung, die, nebenbei gesagt, zusätzlich zu der im Kreise der Sechs — auch unterstützend und zusätzlich abklärend — eine bilaterale deutsch-französische Meinungsbildung sein wird. So ist es vereinbart.
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Frage des Herrn Abgeordneten Ertl?
Darf ich dann Ihre Antwort so verstanden haben, daß Sie in diesem Hohen Hause sagen, daß Sie in dieser Frage absolut mit der französischen Regierung übereinstimmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein. Ich würde es lieber sehen, Herr Kollege, wenn Sie statt dieser unerlaubten Kurzfassung die Sätze so nähmen, wie sie gesagt sind und im Protokoll ihren Niederschlag finden werden.
Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, denen man nachgehen muß. Da ist die Geschichte mit den Visen für Osteuropäer. Ich denke, darauf kann und sollte jetzt wegen der vorgerückten Zeit im einzelnen nicht mehr eingegangen werden.Es wäre mir sehr lieb gewesen, wenn ich einiges zur auswärtigen Kulturpolitik hätte sagen können. Aber vielleicht wenigstens folgendes dazu: Es wäre ein Irrtum, anzunehmen, es habe keine klare Verantwortlichkeit gegeben. Man kann darüber streiten, ob man inhaltlich weit genug gekommen war. Hier wurde aber der Eindruck erweckt, als ob kein Staatssekretär dafür richtig zuständig gewesen sei, oder sei. Das ist falsch. Das hat seine klare Zuordnung zu einem der Staatssekretäre gehabt, und so wird es auch in Zukunft sein. Über den Inhalt müssen wir weiter miteinander reden.Einige der Fragen, die Herr Kollege Kahn-Ackermann aufgeworfen hat, vor allen Dingen, was das Personal bei internationalen Organisationen betrifft, werden schon morgen vormittag zwischen mir und den Mitgliedern der Kultusministerkonferenz erörtert. Es ergibt sich zufällig so, daß das morgen auf einer Sitzung der Kultusminister der Länder ansteht, vor der ich über diese Fragen zu sprechen habe.Ich denke auch, daß uns die Hinweise zur Wissenschaftspolitik und zur Einsetzung von mehr oder besser ausgestatteten Wissenschaftsattachés als bisher helfen werden.Wenn aber von Schwerpunkten der Kulturpolitik die Rede ist, dann bitte ich doch noch sagen zu dürfen: Da die Welt, in der wir leben und in der wir kulturpolitisch wirken wollen, ja nicht stillsteht, ergeben sich die Schwerpunkte nicht allein aus dem, was wir uns ausdenken und für richtig halten; sie ergeben sich auch aus dem, was draußen passiert.Ein praktisches Beispiel: Die Franzosen haben vor einiger Zeit beschlossen — wie die Sachkundigen sehr wohl wissen —, im frankophonen Afrika französische Lehrer nur noch für Französisch und Naturwissenschaften zu stellen.
Sie hatten bis dahin französische Lehrer auch für Deutsch gestellt — neben anderen. Sie haben uns gesagt: Das machen wir mit unseren französischen Lehrern draußen nur dann weiter, wenn das Land das bezahlt, dessen Sprache gelehrt wird. Nun, da mußten wir versuchen, ohne dieses Angebot auszukommen, und haben dann zunächst als Über-
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Bundesminister Brandtgangslösung im Jahre 1968 20 Lehrkräfte geschickt; jetzt sollen 30 weitere folgen. Das ist gar nicht ganz einfach. Trotzdem ist nicht völlig klar, ob wir nicht teilweise auf das französische Angebot zurückkommen müssen. Sonst geht ja die Tendenz mehr und mehr dahin, einheimische Deutschlehrerkandidaten in stärkerem Maße auszubilden als bisher. In Abidjan wird das in diesem Jahr beginnen mit 25 Studenten der Germanistik aus acht frankophonen Staaten, denen die Bundesrepublik zu diesem Zweck besondere Stipendien gewährt. Wir haben hier ein Programm für 10 bis 15 Jahre eingeleitet, um bis dahin das gesamte Gebiet mit einheimischen Deutschlehrern zu versorgen und damit den Deutschunterricht stabil zu machen.Ich könnte entsprechende Beispiele — ich will es Ihnen und mir jetzt schenken — aus Nordamerika und Lateinamerika bringen, um zu zeigen, wie die Bedingungen, unter denen wir diesen Teil der Kulturpolitik zu betreiben haben, sich eben zum großen Teil auch aus Veränderungen in den betreffenden Ländern, Gebieten, Kontinenten oder Subkontinenten ergeben.Meine Damen und Herren, zwei Personalfragen! Zunächst einmal sind kritische Bemerkungen gemacht worden über den gegenwärtigen Botschafter der Bundesrepublik in Jugoslawien. Es ist auch gesagt worden — was nichts mit der Person zu tun hatte —, daß wir dort ein anständiges Botschaftsgebäude haben müssen. Das ist richtig. Es ist auf jeden Fall vernünftig, daß wir das zustande bringen;
es ist gar nicht so einfach. Aber, was die Person angeht, meine Damen und Herren: Auch wenn es spät ist, ich lasse nicht gerne jemanden ungeschützt, für den ich verantwortlich bin und der sich in diesem Augenblick auch nicht selber äußern kann. Herr Blachstein, den viele in diesem Hause kennen — auch die, die nicht da sind —, hat einen schwereren Lebensweg hinter sich als die meisten von uns. Außerdem ist er nicht der einzige, der es im Verlaufe seines Lebens mit einer schwer angeschlagenen Gesundheit zu tun bekommen hat. Er ist außerdem nicht der einzige von uns, dem es passiert ist oder passieren kann, bei der Bewerbung um ein Mandat zu unterliegen. Das möchte ich einmal vorweg einfach gesagt haben.Völlig unabhängig von der Frage, ob Herr Blachstein in bezug auf seine Dispositionen gut beraten gewesen ist, liegt mir daran, daß im Protokoll des Deutschen Bundestages, dem er lange, nämlich seit 1949, angehört hat, wiederzufinden ist, daß sein Außenminister hier am 19. März 1969 pflichtgemäß gesagt hat, er habe in Jugoslawien in der Zeit, in der er dort deutscher Botschafter war, eine gute Arbeit geleistet, und dem deutschen Außenminister sei von jugoslawischer Seite unaufgefordert nachdrücklich gesagt worden, wie sehr die Tätigkeit des Botschafters in dieser Zeit dort geschätzt worden sei.
Ich wollte das doch gern gesagt haben.Das Zweite, wozu ich mich äußern müßte, war die Frage des Herrn Kollegen Schulze-Vorberg, ob ich nicht heute abend durch eine zusätzliche Äußerung etwas klären könnte, was das Hohe Haus, wenn ich mich recht erinnere, im Rahmen einer Fragestunde schon einmal beschäftigt hatte und was sich auf zwei besonders tüchtige Botschafter des auswärtigen Dienstes bezieht. Ich will das gerne tun. Ich habe ohnehin vorgehabt, es dieser Tag durch meinen Sprecher tun zu lassen. Es hatte sich einfach dadurch ein bißchen in die Länge gezogen, weil ich nach Wiederherstellung meiner eigenen Gesundheit zwar mit Herrn Schnippenkötter sprechen konnte, da war aber Herr Grewe krank geworden, so daß es mit ihm noch nicht zu einem Gespräch gekommen war: Das hat sich aber dann auf andere Weise erledigt.Ich möchte also Ihnen und damit dem Haus insgesamt folgendes sagen: Die Stellungnahmen der beiden genannten Botschafter zu dem Bericht einer Tageszeitung über die 6. Internationale Wehrkundebegegnung der Gesellschaft für Wehrkunde am 1. und 2. Februar in München sind im Auswärtigen Amt geprüft worden. Die Prüfung, in der auch die bei der Tagung aufgenommenen Tonbänder einbezogen wurden, hat ergeben, daß der in der Öffentlichkeit beachtete Bericht teilweise unrichtig und unvollständig ist. Hierzu wurde schon am 5. Februar festgestellt, daß sich die auf der Tagung gemachten Äußerungen im Rahmen der von der Bundesregierung angestellten Überlegungen hielten. Um das zu verdeutlichen: Botschafter Grewe hat sich zur Frage der Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages durch die Bundesregierung nicht geäußert; Botschafter Schnippenkötter hat unter anderem von Modalitäten gesprochen, die der Bundesrepublik Deutschland den Beitritt zu dem weltweit angenommenen Vertrag der atomaren Nichtverbreitung ermöglichen. Nach Rückäußerung bzw. persönlicher Rücksprache mit den Beteiligten ist die Angelegenheit abgeschlossen, und dem Bundesminister des Auswärtigen liegt daran, bei dieser Gelegenheit noch einmal klarzustelllen, daß es in dem von ihm geleiteten Ressort kein Redeverbot gibt. Die Regeln, die in jeder geordneten Verwaltung gelten, bleiben davon unberührt.Nun, meine Damen und Herren, war noch verständlicherweise von Biafra die Rede. Zuvor aber noch ein Wort von mir aus, was die Diskussion über Prag-Reisen angeht. Ich hatte nicht nur Bedenken, sondern ich war traurig über diesen Teil der Aussprache, denn es muß uns doch sehr daran liegen, daß wir keine Legenden aufzubauen helfen,
so wie es völlig falsch war, von verschiedener Seite gemeint wurde, die deutsche ökonomische Dynamik hätte andere veranlassen müssen, zu tun, was sie getan haben. Dieses Argument wurde zum Teil von solchen vorgebracht, die einfach nicht die Zahlen zur Kenntnis nahmen, die nämlich zeigten, daß von Januar 1968 bis zum August der Handel mit der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik nicht wesentlich gewachsen war, während er sehr stark gewachsen war mit Polen, mit dem wir
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969 12019
Bundesminister Brandtnicht besonders gute Beziehungen haben — um es einmal so zu sagen. Man kann verschiedener Meinung darüber sein — das kann man bekanntlich, das hat auch der Bundeskanzler heute vormittag noch einmal deutlich gemacht —, wer hinreist und wann und wie lange; aber die Vorstellung, die hier wohl irgendwann anklang, daraus könnte die Sowjetunion auch nur mit irgendeinen Anschein von Recht das ableiten, was sie zur Invasion veranlaßt hat, muß zurückgewiesen werden.
Meine Damen und Herren, im übrigen entspricht es nicht antisowjetischer Einstellung — die liegt mir fern —, wenn ich sage: Das, was sich dort entwickelt hat, wird seine Reproduktion finden. So ist die Welt. In verschiedenen Teilen der Welt, auch in diesem, werben die Völker — es gehört zum Zug der Zeit, sich um die Klarstellung der eigenen Identität zu bemühen — um mehr Eigenständigkeit und — ja, wie hat man es früher genannt? — Unabhängigkeit. Ob es das heute wirklich noch gibt, wird ja von manchen bezweifelt. Aber es ist ein Zug, wie es ein Zug der modernen Industriegesellschaft — auch des kommunistischen Typs — ist, zu mehr Kommunikation zu drängen von seiten der Wissenschaftler, der Techniker, der Manager, aber nicht nur dieser. Insofern wird es eine Reproduktion mancher der Dinge geben, die dort leider zu dieser Zuspitzung geführt haben und hoffentlich nicht erneut zu solchen Zuspitzungen führen werden.Zu Biafra. Ich denke, Herr Kollege Nellen hat recht, wenn er sagt: Hier brauchen wir uns nicht vorhalten zu lassen, wir Deutsche hätten wegen unserer Erfahrungen nicht das Recht, etwas vorzubringen. Darin stimme ich mit ihm überein. Schwieriger ist es schon aus afrikanischer Sicht, wenn man unter Berufung auf Europa etwas machen will; denn dann kommt das Gegenargument: Hat Europa den Afrikanern eigentlich nicht gezeigt, daß es mit seinen inneren Problemen und seinen Bürgerkriegen in den letzten Jahrhunderten Vorbilder geschaffen hat? Das macht das Gespräch schwierig. Aber ich sage: Ganz ohne Einfluß sind wir nicht. Nur meine ich, der Einfluß muß sich in erster Linie auf afrikanische Staatsmänner auswirken. Ich habe immer noch den Eindruck, daß dieser Konflikt nicht entscheidend durch die Einwirkung — auch wenn man sie hätte — auf London, Moskau etc. beigelegt werden wird, sondern daß er durch einige der maßgebenden afrikanischen Staatsmänner aus den Nachbarländern beigelegt werden könnte. Einige wissen, daß wir dies von ihnen erwarten, daß wir so viel Vertrauen zu ihnen haben und so viel von ihrer Staatsmannskunst halten, daß sie, wenn und so rasch es möglich ist, an diese schwere Aufgabe herangehen.Auf die konkrete Frage, die Herr Kollege Nellen gestellt hat, möchte ich antworten: Wir werden nicht nur als Bundesregierung weiterhin alle uns gegebenen Möglichkeiten ausschöpfen, um die Hilfe für Ostnigeria fortzusetzen, sondern wir werden uns auch weiterhin bei unseren Verbündeten, bei der nigerianischen Regierung und bei befreundetenStaatsmännern im übrigen Afrika um die Förderung und den Schutz der Hilfsmaßnahmen bemühen.
Ich glaube, das sollte ich jetzt nicht durch die Erwähnung von Einzelheiten abschwächen.Ich habe sehr wohl zugehört, als Herr Schulze-Vorberg seine konstruktiven, hilfreichen Gedanken zur Abrüstungsproblematik entwickelte. Ich habe ebensogut zugehört, als er seine Schlußbemerkung machte, die sich auf das Archiv des Auswärtigen Amts bezog. Da ist eine ganze Menge anzutreffen, — ein solcher „Schießpulversperrvertrag" wirklich nicht. Aber Scherz beiseite, Herr Kollege Schulze-Vorberg! Natürlich sind dort manche Verträge zu .finden, die im Laufe der Jahre durch andere gebrochen worden sind, einige aber auch durch Deutschland, durch diejenigen, die zu jener Zeit für Deutschland sprachen.Ich denke, die Lehre, die wir daraus miteinander ableiten, ist doch die, daß, obwohl solche Ansätze hin zum verbindlichen Völkerrecht oder zur Kontrolle der Rüstungen bisher immer wieder Rückschläge erlitten haben, wir doch immer wieder anfangen müssen. Es ist gar nicht so lange her, da hielt man diejenigen für Spinner, die für die Vereinigten Staaten von Europa eintraten; manchmal hielt man auch für halben Landesverrat, was die Aussöhnung Deutschland—Frankreich anging. Ich kann mich aus der Weimarer Republik daran erinnern, daß das in unserem Lande bei weitem nicht so populär war wie heute. Was den Ost-West-Konflikt anlangt, so wurde man auch noch vor relativ wenigen Jahren für nicht ganz koscher gehalten, wenn man von der Möglichkeit sprach, daß es noch in unserer Generation gelingen könnte, einiges von dem gewiß ganz schwierigen Konflikt, um den es sich hier handelt, abzubauen.Heute gibt es verständlicherweise Vorbehalte, Warnungen und skeptische Hinweise, wenn man sagt: die Menschen, Völker und Regierungen werden an die Kontrolle und Begrenzung der Rüstung herangehen müssen. Ich bin ganz sicher, daß es keinen geraden Weg dahin gibt, und ich bin ebenso sicher, daß man immer wieder von vorn anfangen muß, um schließlich doch dorthin zu kommen.
Meine Damen und Herren! Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache über den Einzelplan 05.
Wir haben über einen Änderungsantrag zu diesem Einzelplan auf Umdruck 601 *) zu befinden. Das Wort zur Begründung hat Frau Abgeordnete Renger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gute Freunde haben zu mir gesagt: Mach das nicht, stell in dieser Stunde keinen Antrag, dazu noch zu einer Sache, die zur Euphorie überhaupt keinen Anlaß gibt!*) Siehe Anlage 4
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Frau RengerEs handelt sich dabei um die Vereinten Nationen. Die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e. V. macht zumindest den Versuch, den Menschen in der Bundesrepublik klarzumachen, daß wir bei all den Schwierigkeiten, die es gibt, die Vereinten Nationen brauchen. Dieser Vereinigung gehören die Spitzen unseres politischen Lebens an — ich fürchte immer, daß die Spitzen das selbst gar nicht wissen —: der Herr Bundeskanzler, der Herr Bundesaußenminister, die Fraktionsvorsitzenden Barzel und Schmidt, Herr Scheel, Herr Schoettle,
Herr Dr. Mommer nicht, die Minister Dr. Schröder, Strobel, Wehner und Carlo Schmid.Ich glaube, das ist immerhin schon ein Hinweis darauf, daß die Sache doch ein bißchen sinnvoll ist.
— Mein sehr verehrter Kollege, wenn Sie anzweifeln, daß diese Herren einer sinnvollen Vereinigung angehören, dann gibt das aber Anlaß zu sehr tiefem Nachdenken!
Meine Damen und Herren, es handelt sich hier um einen Antrag, der eine ganz kleine Erhöhung des Mittelansatzes bezweckt und der sich unter den großen Problemen, die wir heute hier besprochen haben, natürlich wirklich als sehr unwichtig darstellt. Es handelt sich darum, diese Vereinigung, die vom Auswärtigen Amt, von der Bundesregierung und auch vom Auswärtigen Ausschuß dieses Hauses ob ihrer Tätigkeit gelobt wurde, in den Stand zu setzen, diese doch recht nützliche Tätigkeit weiter fortzusetzen. Durch die gestiegenen Gehaltsforderungen und Geschäftskosten ist es einfach notwendig, daß diese 25 000 DM zusätzlich hier in diesem Hause bewilligt werden.Nun haben mir Haushaltssachverständige gesagt, dieser kleine Betrag müsse doch im Etat des Auswärtigen Amts selbst ausgeglichen werden können. Das habe ich auch gedacht. Aber auch die inzwischen zur Botschafterin ernannte Frau von Puttkamer, die dieses Ressort bis jetzt leitete, hat es nicht geschafft, diesen kleinen Ausgleich im Etat des Auswärtigen Amts herbeizuführen.
— Lachen Sie nicht so laut! Ich kann gar nicht so laut schreien.
Einen Augenblick bitte, Frau Abgeordnete! Wirklich, es ist zu laut im Saal. Ich bitte doch um Ruhe.
Ich könnte mir vorstellen, daß es bei gutem Willen, meine sehr verehrten Kollegen, möglich wäre, im Haushalt 05 eine kleine Umverteilung herbeizuführen. Sie haben einige Erhöhungen — ich nenne hier nur einmal die UNESCO — beschlossen, und dabei gibt es ja auch Gelder, die dann in die UNESCO-Organisation zurückfließen. Es ist ein ganz krummer Betrag, den Sie da bewilligt haben, nämlich 9 459 800 DM. Wenn
Sie von diesem Betrag z. B. — Sie können es aber auch woanders hernehmen —, von dieser erhöhten Summe, 25 000 DM wieder absetzten, wäre diese Gesellschaft, von der ich glaube, daß sie nicht nur für Deutschland, sondern auch für die Beziehungen zu ausländischen Staaten wichtig ist, wieder in den Stand gesetzt zu arbeiten.
Ich darf Ihnen sagen, daß diese Gesellschaft auch einer Weltvereinigung angehört, nämlich der World Federation of United Nations Association, und daß der Gesellschaft, die eine Art kleine UNO ist, auch Mitglieder von jenseits des Eisernen Vorhangs mit vollem Stimmrecht angehören. Ich meine, daß es sinnvoll ist, wenn wir unsere Stimme auch dort wie bisher erheben können, damit nicht hier vielleicht einmal nur der andere Teil Deutschlands vertreten ist, weil wir nicht mehr in der Lage sind, unsere Beiträge auch für diese World Federation zu leisten.
Ich bitte Sie deswegen sehr herzlich, Ihre Zustimmung zu der Erhöhung zu geben.
Das Wort haben Sie, Herr Kollege.
Meine Damen und Herren, was diesen Titel angeht, kennen wir die Wünsche von Frau Renger gut. Sie sind mündlich und schriftlich vorgetragen worden, und wir haben auch eine ganze Reihe anderer Wünsche bei der Behandlung des Einzelplans 05 zur Kenntnis genommen, bewilligt, abgelehnt und ähnliches mehr.
— Wir haben sie zurückgestellt; es gibt auch noch andere Formen der Behandlung von Anträgen.Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß wir, als es im vorigen Jahr, im „Jahr der Menschenrechte", darauf ankam, wirklich etwas zu tun, diesen Titel selbstverständlich sofort um 300 000 DM erhöht haben. Das ist zu Ihrem Wohlgefallen, Frau Renger, und zum Wohlgefallen vieler anderer geschehen. Sie sehen also, daß Ihre Einstellung bei uns auf Gegenliebe stößt. Aber wir sind dann, nachdem das Jahr der Menschenrechte so erfolgreich abgeschlossen werden konnte,
zu dem normalen Etatansatz von 150 000 DM, was ja auch keine Kleinigkeit für eine solche Organisattion ist, zurückgekehrt. Ich möchte im übrigen noch bemerken, daß außer den 150 000 DM weitere 12 000 DM vom Presse- und Informationsamt verbindlich zugesagt sind, so daß die Aufgaben, die diese Stelle zu erfüllen hat, erfüllt werden können, wie überhaupt alle Aufgaben aus dem Wirtschaftsplan, der mitveröffentlicht ist und den Sie im Etat des Auswärtigen Amts nachlesen können, erfüllt werden können, Aufgaben, deren Notwendigkeit nicht bestritten wird, für deren Förderung mit noch vermehrten Mitteln aber kein Anlaß besteht. Wenn wirklich ein akuter Anlaß bestünde, würde das Auswärtige Amt es in der Hand haben, seinerseits
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Dr. Conringdurch den Finanzminister im Haushaltsausschuß eine Finanzvorlage vorzulegen.Aber, meine Damen und Herren, wenn jeder aus noch so berechtigten Gründen einen Antrag stellen wollte, eine Position um einen Betrag von 25 000 DM zu erhöhen, dann würden unsere ohnehin langwierigen Verhandlungen zur zweiten Lesung des Etats wahrscheinlich noch einige Tage mehr beanspruchen. Ich bin daher der Auffassung, daß man mit solchen Anträgen lieber nicht kommen sollte. Man müßte sie dann auch noch besser begründen. Ich bitte sie aus diesen Erwägungen, den Antrag abzulehnen.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Umdruck 601. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Wir müssen die Abstimmung wiederholen.
Wer für den Antrag stimmen will, möge sich erheben. — Danke. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Der Antrag auf Umdruck 596 hat sich erledigt. Für Einzelplan 05 enthielt er nur einen Deckungsvorschlag, der dadurch hinfällig wurde, daß der Antrag zu Einzelplan 04 abgelehnt wurde.
Wir kommen dann zur Abstimmung über den Einzelplan 05 in der unveränderten Ausschußfassung. Wer dem Einzelplan 05 — Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe dann auf: Einzelplan 14
Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung
— Drucksachen V/3934, zu 3934
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Althammer Abgeordneter Haase Abgeordneter Gierenstein
Zunächst hat als Berichterstatter Herr Abgeordneter Haase das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz später Stunde müssen wir uns nun noch ,etwas mit Fragen der Landesverteidigung befassen. Ich werde versuchen, meinen Vortrag zu straffen.Zuerst gilt es, einen schwerwiegenden Fehler im Mündlichen Bericht — Drucksache V/3934 — zu Einzelplan 14 zu korrigieren. Auf Seite 3 ist dort bei Kap. 14.01 Tit. 423 01 eine Stelle der Besoldungsgruppe B 8 zu streichen. Es handelt sich hier um einen Druckfehler. Diese Generalleutnantsstelle ist durch keinen Beschluß des Haushaltsausschusses ;gedeckt. Ich bitte Sie also, schleunigst diese Streichung vorzunehmen und statt dessen einzusetzen: „Bes.-Gr. B 5 26 "Meine Damen und Herren, die Prüfung des Verteidigungsetats durch den Haushaltsausschuß war in diesem Jahr besonders schwierig. Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf des Einzelplans 14 wurde vor dem 21. August aufgestellt, also vor der sowjetischen Intervention in der Tschechoslowakei, und zu einer Zeit also, als sich die Lage in der Tschechoslowakei und damit an unserer Ostgrenze noch nicht so zugespitzt hatte und wir davon ausgehen konnten, daß sich eine gewisse Entspannungspolitik weiter fortsetzen werde. Bei der Prüfung war die nach dem 21. August 1968 eingetretene Lage mit den daraus zu ziehenden Konsequenzen und die Entschließung des Hohen Hauses vom 26. September 1968 zu beachten. In dieser Entschließung hat der Deutsche Bundestag u. a. zum Ausdruck gebracht, daß 'er alle Anstrengungen der deutschen Regierung unterstützen werde, die geeignet erscheinen, 'die atlantische Allianz zu festigen und zu stärken.In diesem Zusammenhang mußte auch die Forderung der NATO gewürdigt werden, die Verteidigungsanstrengungen in den Partnerländern zu erhöhen und bestehende Mängel und Lücken zu beseitigen. Ich darf insoweit an die Erklärung der Bundesregierung vor diesem Hohen Hause am 29. November 1968 zur Tagung der NATO-Ministerratskonferenz in Brüssel erinnern. In ihrer Erklärung dazu hat die deutsche Regierung vorgesehen, zur Verstärkung der Einsatz- und Verteidigungsbereitschaft der Streitkräfte bis 1972 bis zu 21/2 Milliarden DM im Rahmen des sogenannten Brüsseler Pakets zusätzlich zu veranschlagen,
von denen zunächst knapp 200 Millionen DM für 1969 geschätzt waren. Diese Summe konnte vom Haushaltsausschuß voll berücksichtigt werden. Darüber hinaus wurde der Verteidigungsetat den durch die neue Lage notwendigen Schwerpunktverlagerungen, den neuesten Erkenntnissen über die Durchführbarkeit von Beschaffungsvorhaben und den Bewirtschaftungsergebnissen des Rechnungsjahres 1968 angepaßt.Unter Berücksichtigung all dieser Gegebenheiten hat der Haushaltsausschuß auf Vorschlag der Berichterstatter beschlossen, die Ansätze von 67 Titeln um insgesamt 600 Millionen DM zu erhöhen und die Ansätze von 86 Titeln um insgesamt 618 Millionen DM zu kürzen. Durch diese Änderungen ergibt sich ein Plafond von knapp 18,8 Milliarden DM einschließlich der Verstärkung von rund 200 Millionen DM für den Anteil 1969 des Brüsseler Pakets. Eine Erhöhung des Plafonds des Einzelplans 14 entsprechend diesem Anteil konnte vermieden werden, weil bei den nicht investiven Betriebsausgaben, in erster Linie bei der Materialerhaltung, Einsparungen möglich waren und weil die Ansätze für Infrastruktur und Schiffbau wegen der 1969 aus dem außerordentlichen Etat 1968 zur Verfügung stehenden erheblichen Reste gekürzt werden konnten. Außerdem war es möglich, die Mittel für einige Gruppen der
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Haase
verteidigungsintensiven Ausgaben wie Forschung, Entwicklung und Rüstungsbeschaffung beträchtlich zu erhöhen. Infolgedessen stiegen die verteidigungsintensiven Ausgaben trotz des Rückgangs der für die Infrastruktur bereitgestellten Mittel insgesamt um 390 Millionen DM. Das sind 5,6 v. H. mehr als 1968.Die nicht intensiven Ausgaben steigen demgegenüber trotz der unvermeidlichen Erhöhung der Personalausgaben nur um 3,1 v. H. Der Anteil der verteidigungsintensiven Ausgaben am Plafond wird damit auf 39,5 v. H. verbessert.Meine Damen und Herren, Auswirkungen hatte die durch die Intervention der Sowjetunion entstandene Lage auch auf den Personalhaushalt. Es war unumgänglich, eine größere Anzahl neuer Stellen und Hebungen zu bewilligen. Doch muß andererseits hervorgehoben werden, daß im Gesamtergebnis über 18 000 Planstellen und Stellen gestrichen wurden. Dies ist zu einem Teil das Ergebnis einer vom Verteidigungsministerium, vom Finanzministerium und vom Rechnungshof auf Ersuchen des Haushaltsausschusses durchgeführten und weiter laufenden Überprüfung des Personalbedarfs und zum anderen Teil das Resultat der Angleichung der Planstellen und des Stellensolls an die jetzt vorgesehenen organisatorischen Umfangszahlen.Diese Umfangszahlen — das ist wichtig — können allerdings nicht auf Anhieb erreicht werden. Für 1969 beschränkt sich die Personalvermehrung deshalb auf eine Erhöhung der tatsächlichen Umfangsstärke für Soldaten um 10 000 auf 465 000 und für Zivilbedienstete um 1000 auf 166 000. Für diese Stärken sind die erforderlichen Mittel veranschlagt. Der Haushaltsausschuß hat den neuen organisatorischen Umfangszahlen zugestimmt. Sie sind zu begrüßen, weil sie auf absehbare Zeit unverändert bleiben und die Bundeswehr damit in die Lage versetzt wird, die personelle Struktur und die organisatorische Planung auf weite Sicht zu betreiben, ohne Störungen durch kurzfristige Änderungen befürchten zu müssen.Zusammenfassend kann ich feststellen, daß das vom Haushaltsausschuß dem Hohen Hause vorgelegte Ergebnis beim Einzelplan 14 positiv zu bewerten ist. Alle Verstärkungsmaßnahmen konnten ohne Erhöhung — meine Damen und Herren, ohne Erhöhung! — des ursprünglich für 1969 vorgesehenen Plafonds finanziell gesichert werden. Gleichzeitig konnte eine Erhöhung des Anteils der verteidigungsintensiven Ausgaben im Plafonds zu Lasten der nicht intensiven Ausgaben herbeigeführt werden, und es war bis zum Augenblick möglich, den Verteidigungshaushalt von Kürzungen freizuhalten, wie sie noch im vergangenen Jahr durch die Notwendigkeit, den Bundeshaushalt insgesamt auszugleichen, erzwungen wurden.Abschließend eine kurze Bemerkung zur aktuellen Haushaltssituation. Heute morgen habe ich bei der Lektüre der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" festgestellt, daß die Bundesregierung angesichts des veränderten Preisklimas über das Fahren des Bundeshaushaltes und die Verwendung zusätzlich eingehender Steuereinnahmen zur Verminderung derSchuldenaufnahme der überschäumenden Konjunktur entgegenzutreten beabsichtigt. Ich begrüße das außerordentlich. Ich begrüße es um so mehr, als durch diese antizyklische Finanzpolitik unserer Bundesbank vorerst die Möglichkeit erhalten bleibt, eine zahlungsbilanzorientierte Kreditpolitik zu betreiben, und hiermit auch Gesichtspunkte der Stabilität in den Vordergrund der wirtschaftspolitischen Betrachtung rücken.Für den Verteidigungsetat wichtig und für uns interessant ist an dieser Diskussion: Im Zuge dieser expansionsdämpfenden Haushaltspolitik soll das Verteidigungsressort, wie ich in der Zeitung gelesen habe, von einer Ausgabensperre in Höhe von 600 Millionen DM betroffen sein. Falls es tatsächlich zu diesen Ausgabensperrungen kommen sollte, stellt sich die Frage, welche Titel des Einzelplans 14 hierzu herangezogen werden und bei welchen Titeln Ausgabensperren auszubringen sind. Diese Frage wird uns, soweit ich das zu übersehen vermag, noch mit Sorge erfüllen,
vor allem wenn wir berücksichtigen, daß dieser Etat, was Einsparungen betrifft, vielleicht am gründlichsten von allen Haushalten durchforstet worden ist. Allein für die Unterhaltung der Fahrzeuge — um nur zwei Beispiele zu bringen — wurden im laufenden Haushalt 100 Millionen DM gekürzt, und für die Beschaffung von Panzerkampfwagen wurden 170 Millionen DM weniger angesetzt. Sicher wird sich der Neubau manches Dienstgebäudes verschieben lassen, ohne daß nachteilige Weiterungen bewirkt werden. Aber weitere Kürzungen bzw. Ausgabensperren bei den verteidigungsintensiven Ausgaben würden meines Erachtens die Kampffähigkeit des Feldheeres und der Luftwaffe außerordentlich beeinträchtigen. Inwieweit dies angesichts der Ereignisse an unserer Ostgrenze gegenwärtig zu rechtfertigen ist, darüber müssen wir uns alle in diesem Hause Rechenschaft geben.
— Ich wollte gerade sagen: Die Fußnote ist ein schwacher Trost, Herr Kollege, ein außerordentlich schwacher Trost.
Man gibt der Hoffnung Ausdruck. „Hoffen und harren" kann man hier sagen. Aber ich will da nicht weiter verweilen.Obwohl die Bundesregierung nach dem Stabilitätsgesetz nicht gehalten ist, bei Haushaltsausgabensperren zur Dämpfung der wirtschaftlichen Expansion die Zustimmung des Parlaments herbeizuführen, wäre es ihr doch dringend zu empfehlen, die geplanten Maßnahmen nur im Einvernehmen mit dem Hohen Haus zu bewirken,
wie es überhaupt immer sehr gut ist, nur im Einvernehmen mit dem Haus wichtige Dinge zu erledigen; dann arbeitet man nämlich nicht ohne Netz.
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Haase
Bei aller Würdigung konjunkturpolitischer Aspekte — und ich persönlich gebe denen eine große Priorität — sollten wir nicht aus dem Auge verlieren, daß nur in der beharrlichen Fortsetzung unserer Verteidigungsanstrengungen ein wesentlicher Teil der Sicherheit begründet liegt, die wir in der Vergangenheit für unsere Republik gewähren konnten und die wir auch in Zukunft unserem Lande erhalten wollen.
Ich vermochte nicht immer zu sehen, Herr Kollege Haase, wie weit Sie als Berichterstatter gesprochen haben. — Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Soeben hat der Herr Berichterstatter für den Einzelplan 14 den Verteidigungshaushalt für dieses Jahr erläutert. 600 Titel wurden geprüft. 165 Titel wurden im Ansatz geändert. Dahinter steht — ich will das gern wiederholen — ein großes Stück Arbeit, die es von allen voll zu würdigen gilt.Im Blick auf unsere Sicherheitsinteressen halte ich die diesjährigen Haushaltsansätze für angemessen. Ich möchte dem Herrn Berichterstatter und den anderen Damen und Herren des Haushaltsausschusses herzlich danken für die Mühe, die sie auf diesen Haushalt verwendet haben, und ich möchte Ihnen, Herr Berichterstatter, auch danken für die Bemerkung, die Sie zum Schluß gemacht haben. Darauf werde ich gleich eingehen.Dieser Haushalt ist Teil einer mehrjährigen Planung und sollte unter diesen Gesichtspunkten betrachtet und bewertet werden. Das Programm zur Stabilisierung der Konjunktur, von dem Sie gesprochen haben, darf unsere Aufmerksamkeit nicht davon ablenken, daß für einzelne Bereiche des Haushalts — und der Verteidigungsbereich ist ein solcher — andere Faktoren bei der Bemessung und Bewertung der Ansätze eine ebenso dominierende, wenn nicht sogar wichtigere Rolle spielen und unter keinen Umständen vernachlässigt werden dürfen.
Der Verteidigungshaushalt darf und kann nur sehr bedingt unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten betrachtet werden.
Er ist auf eine längerfristige Entwicklung angelegt. Ein so großer Personalkörper, wie ihn die Bundeswehr darstellt, mit einer so umfangreichen und komplizierten materiellen Ausstattung muß sich Schritt um Schritt entwickeln. Andernfalls werden Unruhe und Unsicherheit geschaffen, und gerade das ist im Interesse der Bundeswehr, dieses in allem fast 700 000 Menschen umfassenden Personalkörpers —man muß sich das einmal vorstellen 700 000 Menschen —, unter allen Umständen zu vermeiden.Unsere Verteidigungsanstrengungen stellen einen fortlaufenden Prozeß dar, der darauf gerichtet ist, im Rahmen der Bündnispolitik das Maß an Absdireckung und Verteidigungsmöglichkeiten zu bewahren, das angesichts der weltpolitischen und verteidigungspolitischen Gesamtlage angemessen ist.Alles das, was hierzu im Sinne einer umfassenden Bestandsaufnahme zu sagen ist, ist in dem Weißbuch 1969 zur Verteidigungspolitik der Bundesregierung dargelegt worden. Dieses erste Weißbuch der Bundesregierung auf dem Verteidigungssektor wurde vor Monatsfrist veröffentlicht und allen Mitgliedern des Hohen Hauses zugeleitet. In fünf Hauptabschnitten werden in diesem Dokument behandelt: die Grundlagen und Ziele der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die Struktur der deutschen Streitkräfte, die Struktur der Bundeswehrverwaltung, der Rüstungskomplex und schließlich der Verteidigungshaushalt 1969.Ich möchte auf das Weißbuch nicht besonders eingehen. Das ist heute liebenswürdigerweise schon von Herrn Mischnick getan worden. Er hat dabei etwas wiederholt, was er als ein Zitat gebraucht hat. Das Weißbuch — der Witz ist nicht besonders gut, trotzdem kann man ihn vielleicht einmal wiederholen — heiße vielleicht deshalb Weißbuch, weil man schon alles wisse, was darin stehe. Ich mache ihm ein Kompliment dafür, daß er das für sich in Anspruch nimmt. Aber man kann die Sache ein bißchen modifizieren: das Weißbuch — wenn man schon dabei bleibt — heißt dann deswegen Weißbuch, weil man alles, was darin steht, wenigstens wissen sollte.
Wir werden das im Lauf der Debatte vielleicht noch feststellen können.Ich habe gesagt, daß das Weißbuch der erste Versuch ist und deswegen bei der Kritik sowohl liebevoll als auch taktvoll behandelt werden muß. Ich habe selber gesagt, daß ich mir bessere Weißbücher vorstellen kann und sie schon gelesen habe. Das letzte britische Weißbuch hat aber keinen weißen Umschlag, sondern einen grünen. Ich habe es leider nicht da, sonst würde ich es sehr gern einmal vorzeigen. Mir hat aber ein sehr hoher Mann, dessen Namen ich auch wegen der Diskretion jetzt nicht preisgeben möchte, von dem britischen Weißbuch gesagt: „It is a waste of time". Offenbar war es ein englischsprechender Mann, wie Sie daraus entnehmen können.
Ich habe ihn ein bißchen zu beruhigen versucht und gesagt, ich fände es sehr viel besser, aber auf jeden Fall solle er das deutsche Weißbuch, sei es in der deutschen Version, sei es in englischer Übersetzung, einmal lesen und sich abschließend dazu äußern, wie er dies finde. Ich habe den Brief noch nicht bekommen, aber ich werde ihn bei geeigneter Gelegenheit, wie ich hoffe, hier bekanntgeben können.
— Wir können 'ihn sonst daran erinnern. — DasUrteil über das Weißbuch wollen wir also getrostder Zukunft überlassen, und mein Kompliment an
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Bundesminister Dr. Schröderden Kollegien, der sich dazu geäußert hat, bleibt aufrechterhalten.Im Rahmen unserer vielfältigen Anstrengungen auf dem Verteidigungsbereich stehen unter den heutigen Voraussetzungen folgende Probleme im Vordergrund.1. Die Durchführung des deutschen Anteils an der „gemeinsamen Aktion der Allianz", die nach den Ereignissen des 21. August 1968 eingeleitet wurde, um bestehende Mängel im Bereich des Personals, der Ausbildung und der Ausstattung durch ein wirkungsvolles mehrjähriges Programm zu beseitigen. Innerhalb der nächsten vier Jahre — von 1969 ausgehend — sehen die 'deutschen Maßnahmen im Rahmen dieses Programms Aufwendungen bis zur Höhe von 2,5 Milliarden DM vor. In dem diesjährigen Haushalt — der Berichterstatter hat das gerade dargelegt — finden diese Aufwendungen mit 200 Millionen DM ihren ersten Niederschlag.Der zweite Punkt ist die Verbesserung der Personalstruktur. Die Sorge um die Verbesserung der Personalstruktur beschäftigt uns seit längerem. Mit dem wohlwollenden Verständnis des Hohen Hauses ist eine Reihe von Stützungsmaßnahmen für ein längerfristiges Programm unternommen worden. Wir sind damit noch nicht zum Abschluß gekommen. Die Sorge um die Personalstruktur bleibt eine der wichtigsten Aufgaben, vor die wir gestellt sind. Ich unterstreiche damit etwas, was im Laufe dieser Debatte an anderer Stelle schon einmal gesagt worden ist. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daßmaterielle Anreize allein nicht .ausreichen, um diese Probleme zu lösen. Dazu gehört auch die politische Unterstützung für die Bundeswehr, für die Soldaten, und eine breite moralische und psychologische Basis für unsere Streitkräfte in unserem Lande selbst.
Ich bin davon überzeugt, daß auch der moderne Staat, der Staat einer modernen Gesellschaft, ohne Streitkräfte, die mit seiner Gesellschaft fest verbunden sind, nicht bestehen kann. Radikale Lösungen, radikale Theorien sind die schlechtesten Ratgeber für die Bewältigung der Probleme, denen wir uns hier gegenübersehen. Dem Hohen Hause sind unsere Wehrverfassung und Wehrgesetzgebung bekannt. Sie bringen es mit sich, daß Unruhe, die wir im Lande erleben, auch vor den Kasernentoren nicht haltmacht. Wir müssen diese Fragen daher in ihrer ganzen Breite beachten und uns darüber im klaren sein, daß unser Verhalten in einem Bereich unmittelbare Rückwirkungen ,auf andere Bereiche zur Folge hat.Der dritte Punkt ist die Materialausstattung. In den letzten zwölf Monaten sind bei der Bewältigung anstehender Beschaffungsvorhaben erhebliche Fortschritte erzielt worden. Das Hohe Haus hat eine Reihe von Beschaffungsvorhaben genehmigt, die für die zukünftige Ausstattung der Bundeswehr von erheblicher Bedeutung sein werden. Dieses Beschaffungsprogramm muß in Übereinstimmung mit dem mehrjährigen Rüstungsprogramm in diesem Jahr fortgesetzt werden. Wir werden bemüht sein, die Vorlagen den Ausschüssen zügig zuzuleiten.Meine Damen und Herren! Der Verteidigungshaushalt 1969 entspricht den Minimalanforderungen und Erwartungen der integrierten NATO-Institutionen und unserer Bündnispartner. Unsere Verteidigungsaufwendungen machen einschließlich der Berlinhilfen, die nach NATO-Kriterien hinzugezogen wurden, 5,1% unseres Bruttosozialprodukts von 1968 aus. Die Vergleichszahlen für die Vereinigten Staaten belaufen sich auf 10%, für Großbritannien auf 6,5% und für Frankreich auf 6,2%. Bei einem Vergleich mit den hochgerüsteten Ländern des Warschauer Pakts würde der Rückstand der Bundesrepublik Deutschland noch deutlicher werden, als das schon so sichtbar ist.Vielleicht ist es gut auch folgende Zahlen zu kennen und zu berücksichtigen. Legen wir das Durchschnittseinkommen und die Verteidigungslasten je Jahr und Kopf der Bevölkerung zugrunde, so zeigt ein Vergleich zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland folgendes Bild. Das Durchschnittseinkommen in den Vereinigten Staaten, und zwar in DM umgerechnet, betrug 14 212 DM, in der Bundesrepublik 6636 DM. Ich stelle hier keinen Kaufkraftvergleich an; das möchte ich gleich sagen, damit mir das nachher nicht entgegengehalten wird. Aber trotzdem sind die Zahlen sehr aufschlußreich, wie Sie gleich sehen werden. Die Verteidigungsausgaben in den Vereinigten Staaten betragen also 11,3 v. H. des Durchschnittseinkommens, das sind 1609 DM, in der Bundesrepublik 5.8% des Durchschnittseinkommens, das sind 383 DM. Sie sehen: das Durchschnittseinkommen je Kopf der Bevölkerung ist in den Vereinigten Staaten zwar reichlich doppelt so hoch wie in der Bundesrepublik Deutschland; aber die Amerikaner zahlen im Durchschnitt mehr als viermal so viel für ihre Verteidigung wie wir.
— Ich komme darauf mit einem Satz, Herr Kollege Berkhan. — Die Belastung des Durchschnittseinkommens mit Verteidigungsausgaben ist bei uns nur etwa halb so hoch wie in den Vereinigten Staaten. Selbst wenn man — das geht auf Ihren Zwischenruf ein — die Kosten absetzt, die den Vereinigten Staaten durch Vietnam entstehen, bringt die amerikanische Bevölkerung pro Kopf immer noch 50 v. H. mehr für die Verteidigung auf als die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland. Das mag einem nicht sehr gefallen, aber es ist, glaube ich, gut, wenn man diese Zahlen kennt und berücksichtigt.Alles das zeigt, so möchte ich meinen, daß die Verteidigungslasten, die jeder in der Bundesrepublik heute zu tragen hat, keineswegs unangemessen hoch sind.In Verbindung damit möchte ich etwas zu einem Thema sagen, das uns in den nächsten Monaten sehr intensiv beschäftigen wird. Es handelt sich um den Devisenausgleich mit den Vereinigten Staaten. Das geltende Abkommen mit den Vereinigten Staaten läuft am 30. Juni dieses Jahres aus. Das Verteidigungsressort hat in der Vergangenheit einen erheblichen, aufs ganze betrachtet, den größten Beitrag durch seine Rüstungsbeschaffungen,
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Bundesminister Dr. SchröderAusbildungsvorhaben in den Vereinigten Staaten usw. geleistet und wird auch in Zukunft seinen Teil beitragen müssen. Unsere in den Vereinigten Staaten errichteten Konten für Rüstungsbeschaffungen waren zeitweilig so angewachsen, daß in der Zeit ab 1. Juli 1967 der Beitrag des Verteidigungsressorts gegenüber dem Kauf von US-Schatzanweisungen durch die Bundesbank zurücktrat. Für die neue Abkommensperiode, die am 1. Juli dieses Jahres beginnen soll, werden aber Käufe von Rüstungsmaterial wieder einen stärkeren Platz in dem Ausgleich einnehmen.Die Einzelheiten der künftigen Regelung mit den Vereinigten Staaten müssen den demnächst beginnenden offiziellen Verhandlungen vorbehalten bleiben. Die exploratorischen Gespräche, zu denen es in den vergangenen Monaten kam, konnten dazu helfen, einige Gesichtspunkte vorzuklären und diese Verhandlungen vorzubereiten. Deshalb möchte ich zu den Zahlen, die in der letzten Zeit hier und da aufgetaucht sind, an dieser Stelle und in diesem Augenblick auch nicht Stellung nehmen. Ich möchte nur feststellen, daß wir geprüft haben, was wir im Verteidigungsbereich zur Lösung des Problems beitragen können.Sicher ist, daß von dem Gesamtbetrag, den wir unseren amerikanischen Freunden anbieten werden, nur ein Anteil, wenn auch ein erheblicher, auf das Verteidigungsressort entfallen kann. Im übrigen ist es unser Bestreben, über die bisher geübte Praxis hinaus eine Lösung zu erreichen, die uns — und ich glaube, das kann man für alle sagen — der Sorge und der Belastung enthebt, jährlich kurzfristig nach Lösungsmöglichkeiten suchen zu müssen. Ich bin der festen Überzeugung, daß bei den Verhandlungen ein Ergebnis erzielt werden kann, das beide Seiten zufriedenstellt.Die Verteidigungsanstrengungen müssen in einer vernünftigen Relation zu der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unseres Landes stehen. Das ist ein, wie ich annehme, von uns allen anerkannter Grundsatz. Das jetzt in Aussicht genommene Programm der Stabilisierung der Konjunktur legt der öffentlichen Hand Zurückhaltung bei ihren investiven Ausgaben im Inland nahe. Mit den Einschränkungen, die ich eingangs machte, war selbstverständlich auch das Bundesministerium für Verteidigung bereit, dem Wunsche nach Zurückhaltung bei investiven Ausgaben im Rahmen gegebener Möglichkeiten Rechnung zu tragen. Es kann sich dabei, wie mir scheint, nur um Maßnahmen handeln, die eine vorübergehende Einschränkung darstellen. Ich glaube, diese Auffassung hat auch der Herr Berichterstatter zum Ausdruck gebracht. Die in Ansatz gebrachten Mittel sollen im Interesse unserer Verteidigungspolitik im Rahmen des Bündnisses voll erhalten bleiben. Unter allen Umständen isst es erforderlich, eine stabile und harmonische Entwicklung des weiteren Aufbaus der Streitkräfte und ihrer Modernisierung durchzuhalten.Ich möchte noch ein paar Worte über die heute morgen schon angesprochene innere Situation der Bundeswehr sagen. Meine Damen und Herren, wir sind uns darüber klar, daß ein Teil der Probleme,die wir haben, über die wir vielleicht heute abend noch näher sprechen werden, die Probleme einer jeden Wehrpflichtarmee sind, d. h. die Probleme von eigentlich allen Armeen innerhalb des Bündnisses, wenn wir einmal die britische Armee herauslassen, und daß das Problem der Wehrgerechtigkeit, das dabei auftaucht, nicht nur uns drückt, sondern sich auch drückend auf den anderen Seiten — das gilt im übrigen für den Westen wie für den Osten — bemerkbar macht. Ich habe sehr darauf gedrungen — und ich habe hier eine Unterstützung in diesem Sinne gefunden —, daß wir einen ausführlichen Bericht über diese Frage der Wehrgerechtigkeit erstellen sollten. Dieser Bericht liegt vor, er wird zur Zeit 'im Verteidigungsausschuß behandelt. Ich möchte jetzt an dieser Stelle dazu nichts weiter sagen.Ich möchte aber als eine sehr positive Sache hervorheben, daß wir uns, nicht zuletzt nach den Ereignissen in der Tschechoslowakei, alle darüber einig waren und einig sind, daß die wichtigste Aufgabe, die wir in dem personellen Sektor zu lösen haben, die einer Verstärkung des Mittelbaus der Streitkräfte ist. Die Werbung für die Längerdienenden spielt dabei eine der wichtigsten Rollen — etwas, was auch der gerade genannte Bericht durchaus nachdrücklich unterstreicht. Das Hohe Haus und die anderen daran beteiligten Stellen verdienen, glaube ich, einen uneingeschränkten Dank dafür, daß sie sich diese These zu eigen gemacht und daß sie diese These unterstützt haben.Wir haben die Hoffnung, daß noch in dieser Legislaturperiode das Schlußstück dieser Gesetzgebungsarbeit, das sogenannte Eingliederungsgesetz, tatsächlich wird verabschiedet werden können. Dieses Eingliederungsgesetz liegt im Augenblick dem Bundesrat vor. Es wird dort am 18. April behandelt werden. Ich bin mir darüber klar, daß die Zeit zwischen dem 18. April und dem Ende der Legislaturperiode nicht allzu lang ist; aber sie sollte ausreichen, wenn wir die entsprechenden Vorkehrungen treffen. Ich glaube, wir sind uns alle darin einig, daß dieses Eingliederungsgesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann, und ich sehe das als eine unserer allerwichtigsten Maßnahmen an.Nun hat hier heute morgen der Kollege Schmidt, der leider jetzt nicht da ist, ein paar Zahlen genannt über die Heranziehung der Wehrpflichtigen, die ich doch mit ein paar Worten behandeln möchte. Die Zahlen, die ich jetzt nenne, sind abgestellt auf 100 % der gemusterten Wehrpflichtigen eines Jahrgangs. Davon sind im Alter zwischen 20 und 231/2 Jahren — ich ziehe jetzt einmal diese Grenze — tauglich und verfügbar 47%. Hinzu kommen 14 % taugliche und verfügbare Wehrpflichtige, die aus besonderen Gründen zeitweilig zurückgestellt sind und innerhalb dieses Zeitraums wieder verfügbar sein werden. Insgesamt stehen 61 % taugliche Wehrpflichtige zur Verfügung, und das ist der Satz, der derzeit tatsächlich herangezogen wird. Ich kann dem Hohen Hause sagen, daß in den Jahren 1971 bis 1975 sogar schon die Frage auftauchen wird, ob die Zahl der Wehrpflichtigen ausreicht. Nach 1975
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12026 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Bundesminister Dr. Schröderwird sich dieses Problem durch die geburtsstärkeren Jahrgänge wieder verändern.Ich will noch einmal aufschlüsseln, was nach den soeben genannten Zahlen übrigbleibt. Das sind 2 % der gemusterten Wehrpflichtigen, die zum Bundesgrenzschutz, zum Zivilen Bevölkerungsschutz und zur Entwicklungshilfe gehen, 1 % der gemusterten Wehrpflichtigen, die unter die Kategorie Kriegsdienstverweigerer fallen, 30 % mit ärztlichen Tauglichkeitseinschränkungen, von denen 10% untauglich sind, 20 % zeitweise untauglich und 6 % echte langfristige Zurückstellung nach § 12 des Wehrpflichtgesetzes, wie z. B. Theologen usw.Meine Damen und Herren! Diese Zahlen sind geeignet, das, was hier gesagt wurde, etwas zu korrigieren. Trotzdem bleibt das Problem bestehen. Es wird weiterhin mit aller Gründlichkeit geprüft werden müssen, mit welchen Mitteln wir am besten die Vorwürfe der Wehrungerechtigkeit entkräften können; aber die Zahlen stellen sich ein Stück günstiger dar als die Annahme, von der heute morgen ausgegangen wurde.Lassen Sie mich abschließend folgendes sagen. Die Bundeswehr bedarf der Mithilfe der gesamten sich politisch verantwortlich fühlenden Öffentlichkeit. Sie bedarf dieser Mithilfe, um ihre Aufgabe erfüllen zu können. Ich glaube, meine Damen und Herren, daß wir hier feststellen können und feststellen müssen, daß die Bundeswehr in der zurückliegenden Zeit ihre Aufgabe erfüllt hat und daß sie nach meiner Überzeugung ihre Aufgaben auch in Zukunft erfüllen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Schultz .
Schultz (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man hier nun die Einführungsrede des Herrn Verteidigungsministers gehört hat, könnte man in der Tat meinen, es sei alles in bester Ordnung, und wenn wir so weiterführen wie bisher, dann werde das auch alles schön und gut gehen. Das gleiche gilt auch für den Bericht des Herrn Berichterstatters, in dem dargelegt worden ist, daß die finanziellen Mittel zwar angespannt sind, aber durchaus ausreichen. Ich bin auch der Meinung, daß sie ausreichen. Die Frage bleibt wohl immer wieder zu stellen — und der Aufgabe hat sich ja der Haushaltsausschuß dankenswerterweise unterzogen —, ob das, was da ist und ausgegeben wird, richtig ausgegeben wird.
Trotz alledem scheint mir das, was Herr Kollege Schmidt heute früh gesagt hat, doch ein nicht zu übersehender Appell aus einem gequälten Herzen an das Haus und an die Bundesregierung gewesen zu sein. Ich bin der Meinung, was Kollege Schmidt gesagt hat, kann gar nicht ernst genug genommen werden. Er hat gemeint, daß die Probleme, die mit dem Verteidigungshaushalt, mit der Landesverteidigung schlechthin, zusammenhängen, Probleme seien, die schwieriger zu lösen sind oder mehr um-
fassen als nur ein Herauf oder Herunter in der Wehrdienstdauer und die auch mehr umfassen als nur da oder dort eine finanzielle Veränderung.
Er sagte weiter, daß es unerträglich sei, eine Wehrpflicht zu haben, wenn 52 % — wenn ich es recht im Kopf habe — eben nicht zum Wehrdienst herangezogen werden können. Das bedeutet natürlich, daß man sich dann fragen muß, ob die Form der allgemeinen Wehrpflicht heute überhaupt noch das Richtige ist oder ob man auf ein Berufsheer zugehen muß oder ob man aus beiden Dingen, Berufsheer und Wehrpflicht, eine neue Form der Landesverteidigung schlechthin schaffen muß. Das sind die Fragen, die Herr Schmidt angesprochen hat, wenn ich ihn recht verstanden habe. Ähnliches hat auch mich in der Vergangenheit bewegt.
Dann sagte er, die Weichen müßten jetzt gestellt werden. Ich möchte fragen, wie jetzt noch, in dieser Legislaturperiode — denn ohne Zweifel hat das Parlament dazu auch etwas zu sagen bzw. muß dazu herangezogen werden —, die Weichen gestellt werden können. Ich bin der Meinung, wenn hier Weichen hätten gestellt werden müssen oder wenn hätte erkennbar werden sollen, wie die Weichen gestellt werden sollen, dann hätte das spätestens bei der Herausgabe des Weißbuchs getan werden müssen, oder man hätte dort erkennen müssen, wo die Reise eigentlich hingeht. Ich meine, das war auch das, was Kollege Mischnick heute früh gesagt hat.
Das Weißbuch ist eine Bestandsaufnahme, aber es hat keine Teile, die in die Zukunft weisen. Das ist diesem Weißbuch zum Vorwurf zu machen, und vorhin hat Herr Bundesminister Dr. Schröder, wenn man ihm wohlwollend zugehört hat, praktische Besserung für die Zukunft gelobt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was ist getan worden, damit diese Bundeswehr Rückhalt im Volk hat?Ist die Verteidigungskonzeption, die Landesverteidigung, von Anfang an so aufgebaut gewesen, daß sie einen Rückhalt im Volk zwangsläufig bekommen mußte? Ich glaube, das muß man verneinen. Die Bundeswehr ist eigentlich nicht aufgebaut worden — zumindest stellt es sich dem Normalverbraucher draußen so dar —, um tatsächlich unser Land mit schützen zu helfen. Dabei ist nicht gesagt
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Schultz
worden, daß dieser Schutz, das Ziel, nur dann erreicht werden könne, wenn wir alle mithelfen. Es hat sich weitgehend die Auffassung durchgesetzt, daß die Bundeswehr geschaffen worden ist, um gewisse politische Ziele zu erreichen, aber eigentlich nicht, um dieses Land zu verteidigen.
Das scheint mir das Problem zu sein, an dem die Bundeswehr heute noch leidet. Es wird immer wieder die Frage nach dem Auftrag gestellt, und zwar nicht nur von übelwollenden, bösen Menschen, sondern auch aus der Truppe, aus der Bevölkerung, gleichgültig, ob die Menschen, mit denen Sie sprechen, älter oder jünger sind.General Heusinger sagt Ähnliches. Sie werden diesen Artikel vielleicht gelesen haben. Er sagt z. B.: „Auftrag und militärische Mittel müssen endlich in Einklang gebracht werden." Auch das ist ein erheblicher Vorwurf, den ein pensionierter General der politischen Führung — ich möchte nicht sagen: der Bundeswehrführung — in unserem Lande macht. Er ist doch eigentlich einer, der es wissen müßte. General Heusinger spricht weiter von den Ursachen der Erscheinung, daß die Bundeswehr nicht integriert ist, d. h. daß die Notwendigkeit der Bundeswehr noch nicht Allgemeingut des geistigen Verständnisses in unserem Volk ist. Ich darf ihn zitieren:Die Ursachen dieser Erscheinungen liegen einmal in der Vergangenheit. Seit Beginn der Aufstellung wurde die Bundeswehr meist als eine „Quantité négligeable" angesehen. Notgedrungen brauchte man sie, aber man liebte sie nicht. Man engte die Soldaten auf vielen Gebieten ein; denn man fürchtete für die Demokratie. Kompromisse zwischen militärischer Notwendigkeit und politischer Wünschbarkeit waren die Folgen.Ich glaube, das unwillige Murren, insbesondere auf der mittelrechten Seite des Hauses, als ich vorhin ansetzte, diese Frage hier zu besprechen, ist nicht berechtigt gewesen. Denn ich kann mich natürlich auf ganz bedeutende Menschen wie z. B. General Heusinger beziehen, wenn ich so etwas sage.Das ist letzten Endes natürlich auch das Problem, das der Kollege Schmidt angesprochen hat: Wie bringen wir es fertig, daß von der Notwendigkeit der Landesverteidigung auch der letzte Bürger in unserem Staat überzeugt ist? Es ist eine Frage, die immer wieder unter den Fachleuten diskutiert wird, wie die Bundeswehr für ihre Aufgabe besser ausgerüstet werden könnte. Darüber sagt das Weißbuch auch nichts oder nur recht wenig.Erst jüngst hat ein anderer General das Weißbuch praktisch mit etwas mehr Inhalt angefüllt, aber, wie ich sagen möchte, mehr in vorbereitenden Gedanken, und zwar ein General, der noch im Dienst steht. Das Interview, das General Schnez der „Bonner Rundschau" am Sonntag gegeben hat, läßt allerdings für die Zukunft hoffen. Es läßt hoffen, daß die Probleme erkannt worden sind. Ich halte es für sehr nützlich, daß nun versucht wird, eine realistische Verteidigungskonzeption zu erarbeiten. Ichmöchte nur hoffen, daß diese Äußerungen in der Tat nicht untergehen, sondern dazu dienen, die Diskussion im Bundesverteidigungsministerium weiterzuführen.Wir Freien Demokraten finden dort Dinge wieder, die wir schon öfters gesagt haben. Nicht deswegen begrüßen wir das besonders; wir denken, daß sich nun auch bis in höhere Kreise hinein unsere realistischen Auffassungen allmählich durchsetzen. Daß General Schnez sagt, den Gegner als Form der Kriegsführung mit taktischen Atomwaffen abzuwehren, hätte für unser Länd ähnliche Auswirkungen wie ein großer Atomkrieg, scheint mir richtig zu sein. Es scheint mir letzten Endes darauf hinauszulaufen, daß wir auch unsere Aufgabe innerhalb der NATO durch eine Verstärkung der konventionellen Kräfte erfüllen können.Ich meine, es ist hier richtig gesagt worden, daß eine Abschreckungslücke in unserem Verteidigungssystem vorhanden ist, und zwar wegen der relativen Schwäche auf konventionellem Gebiet. Das ist bisher noch nicht so deutlich festgestellt worden. Wir hoffen nur, daß hier nicht gesagt wird: So etwas darf ein General, besonders im Dienst, gar nicht sagen. Ich meine, daß unsere militärischen Führer auch dazu da sind, ihre Auffassungen über militärische Fachfragen auch der Öffentlichkeit darzulegen.
Dies ist, nebenbei bemerkt, auch früher schon geschehen, als Auffassungen, die geäußert wurden, uns weniger angenehm waren. Trotzdem wünschten wir sie, weil wir als Politiker ja wissen müssen, welche verschiedenen Möglichkeiten sich ergeben.Was mir in den Äußerungen besonders wichtig erscheint, ist die Tatsache, daß der Infanterie wieder eine der normalen nicht übermotorisierten Infanterie entsprechende Bedeutung zugemessen wird. Weiterhin bin ich der Meinung, daß es richtig ist, sich auf das ständig steigende Reservistenpotential zu stützen. Das sind alles Dinge, die wir hier schon öfters erörtert haben.Wir sind der Meinung, daß eine Erhöhung der Zahl der wehrübendenden Reservisten von 4000 auf 6000 Mann hier noch keine Veränderung bringt, daß wir uns aber auf die Dauer gesehen mit dieser Frage mehr als bisher werden auseinandersetzen müssen. Allerdings kommt es dann wohl auch darauf an, daß derjenige, der zur Wehrübung eingezogen wird und dafür natürlich Zeit opfern muß, auch entsprechend seiner Möglichkeit, etwas zum Allgemeinen beizutragen, eingesetzt wird. Das scheint bisher noch nicht ausreichend der Fall zu sein. Das geht nicht nur aus Briefen, die wir immer wieder bekommen, hervor, sondern dazu hat sich auch der Herr Wehrbeauftragte in seinem von uns noch zu diskutierenden Bericht geäußert. Er sagte, Wehrübende beklagten sich immer wieder darüber, daß sie bei Übungen infolge mangelnder Planung nicht sinnvoll gefordert würden, daß insbesondere organisatorische Maßnahmen, wie Einkleidung, ärztliche Untersuchung, Auskleidung, Begrüßung, Verabschiedung usw., die Hauptzeit der Wehrübung in An-
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Schultz
Spruch nehmen. Das kann, glaube ich, verhältnismäßig leicht geändert werden. Vor allen Dingen führt das dann, wenn sie geändert werden, dazu, daß der Wehrübende, der Reservist, vom Sinn des Dienstes und auch vom Sinn der Wehrübung überzeugt ist und nicht sagt: Wozu habe ich hier eigentlich meine Zeit geopfert? Das ist genau dieselbe Frage, die auch von den Wehrpflichtigen immer wieder aufgeworfen wird: Hat es überhaupt Sinn gehabt, die 18 Monate zu dienen? Das war doch zum Teil eigentlich nur ein Absitzen der Zeit. -- Das sind letzten Endes immer wieder die Probleme, die natürlich nicht von dem Hohen Hause gelöst werden können. Deren Lösung liegt selbstverständlich bei der Bundeswehr selbst.Nun meine ich, daß natürlich auch Fragen dazu gehören, die die Wehrgesetze und den Begriff der Inneren Führung betreffen, die Frage nämlich, ob unsere Bundeswehr überhaupt ihre Aufgabe erfüllen kann oder nicht. Der Herr Bundesminister hat euch auf diese Fragen hingewiesen. Ich bleibe nach wie vor bei meiner Meinung, daß wir mit unseren Wehrgesetzen, daß wir in der Ausgestaltung des Begriffs „Innere Führung„ zu weit gegangen sind, daß wir hier ein Idealbild persönlicher Führungsautorität für einen großen Bereich als verbindlich erklären und glauben, daß mit dem Idealbild in der Tat die Dinge gemeistert werden können. Von daher gesehen gibt es natürlich Friktionen, die die Truppe draußen auch verzweifeln lassen, wenn nämlich immer neue Aufgaben auf sie zukommen und immer weniger Menschen bereit sind, bei der Erfüllung der Aufgaben mitzuhelfen. Wir sollten unis davor hüten, die Schwierigkeiten, die hier liegen, noch zu vergrößern.Ich möchte Ihnen dazu aus dem Bericht dés Wehrbeauftragten ein Beispiel nennen. Der Wehrbeauftragte gibt hier ein Beispiel zu Fragen der Inneren Führung und zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit — ich darf zitieren ,—:Aus Anlaß der sowjetischen Intervention in der CSSR wurde durch Standortbefehl verboten, den Standort zu verlassen. Um ,die Einhaltung dieses Verbots zu gewährleisten, befahl der Standortälteste zusätzlich, daß die Soldaten mit ihren Zivil-Pkw ohne besondere Genehmigung auch nicht im Standort fahren dürften.Der Herr Wehrbeauftragte hält nun einen solchen Befehl für einen unzulässigen Eingriff in die persönliche Freiheit und für ein unangemessenes Mittel und meint statt dessen, daß derselbe Zweck hätte erreicht werden können, wenn an den Ausfallstraßen Streifenaufgestellt worden wären, die die Pkw kontrolliert hätten.Meine sehr verehrten Damen und Herren, so geht es eben leider nicht. Hier übersieht man völlig, welche Möglichkeiten dem einzelnen Kompaniechef überhaupt zur Verfügung stehen, um solche Streifen aufzustellen und Idas Problem so zu regeln. Ich möchte an diesem kleinen Beispiel nur erläutern, daß wir uns davor hüten müssen, der Truppe durch eine, möchte ich in idem Fall sagen, in der Tat übertriebene Liberalität zusätzliche Schwierigkeiten zu bereiten.
— In einer bestimmten Sache redet er natürlich dann von einer „übertriebenen Liberalität" ; auch das gibt es durchaus, und ich bin bereit, das überall zu vertreten.
— Es kommt immer auf den Anlaß an, lieber Herr Kollege Klepsch.
Ich darf aber noch etwas hier anschneiden, idas natürlich auch Spannungen mit sich bringen kann, die möglicherweise vermieden werden könnten. Ich vermag nicht einzusehen, warum sich die Bundesregierung nicht in der Lage sieht, Anträgen von Wehrpflichtigen auf vorzeitige Entlassung wegen Studienbeginns zu entsprechen, wie es ja einmal geschehen ist. Es ist einmal so verfahren worden, von einem bestimmten Zeitpunkt an dann aber nicht mehr. Es wird damit operiert, daß dadurch der Gleichheitsgrundsatz verletzt werde, weil ja andere, die nicht studieren können, auch nicht mit einer Dienstzeit von 15 Monaten wegkämen. Ich bin der Meinung, daß es nicht gerechtfertigt ist, den Gleichheitsgrundsatz so weit zu treiben, daß dadurch oft praktisch noch einmal ein ganzes Jahr an die Wehrdienstzeit angehängt werden muß.
— Er wird nicht vorzeitig entlassen. Ich kann Ihnen Beispiele sagen, wo die Betreffenden nicht vorzeitig entlassen worden sind.Ich bin auch der Meinung, daß die Frage, ob der Wehrdienst als förderlich für den zukünftigen Beruf angesehen wird oder nicht, einer Lösung zugeführt werden muß. Es ist bedauerlich, .daß bisher alle Bemühungen in Richtung Kultusminister der Länder und in Richtung Hochschulen noch nicht zum Erfolg geführt haben.
Ich weiß, daß man der Bundesregierung hier eigentlich keinen Vorwurf machen kann, weil das eine Angelegenheit der Länder ist. Ich möchte aber sagen, daß wir unsere Landtagsfraktionen aufgefordert haben, in den einzelnen Landtagen entsprechende Vorstöße zu unternehmen.Nun würde ich mich noch dafür interessieren — aber vielleicht kann das heute noch nicht endgültig gesagt werden —, wie man sich eigentlich in Richtung des stabilisierenden Konjunkturhaushalts die Einsparung der 600 Millionen DM vorstellt, die sich nach der Fußnote, die hier angebracht ist, auf den binnenmarktwirksamen Bereich beziehen soll.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969 12029
Schultz
Das, was 'der Herr Minister und auch Herr Haase dazu gesagt haben,
!)
Das besagt nicht, daß man keinen Wunsch für das nächste Weißbuch haben kann. Das ist schon angedeutet worden. Ich unterstreiche es noch einmal. Ich würde mir wünschen, daß das nächste Weißbuch noch mehr Orientierungsunterlagen, noch mehr Analysen, noch mehr kritische Untersuchungen im Hinblich auf relevante Tatbestände bietet
— ich verstehe Sie nicht —, damit es noch stärker als Grundlage für politische Entscheidungen in die Zukunft hinein wirkt.Ich möchte mir eine Anregung erlauben. Vielleicht sollte man es so konzipieren, daß es sehr bewußt einmal für die breite Öffentlichkeit und ein anderes Mal für parlamentarische Zwecke gestaltet wird. Dieses Weißbuch macht jedenfalls noch einmal ganz deutlich, wie buchstäblich lebensentscheidend für unser Volk ein hohes Maß an Abschreckungs- und Verteidigungskraft, an Präsenz und an Einsatzbereitschaft mit allen gebotenen Mitteln ist.
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12030 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
RommerskirchenDaß die Ergebnisse der Ministerratstagung der NATO, die im November letzten Jahres stattfand, und ihre Beschlüsse vom Januar dieses Jahres im Haushalt, über den wir heute befinden, bereits ihren Niederschlag gefunden haben, ist sehr zu begrüßen. Herr Minister, wir danken Ihnen dafür. Sie zielen uneingeschränkt auf eine Erhöhung und Verbesserung der Einsatzbereitschaft und Abwehrkraft der Streitkräfte des Bündnisses ab. Damit ist auch uns aufgegeben, unsere Anstrengungen zu erhöhen, unser Leistungen zu verbessern und die erforderlichen Ergänzungsmaßnahmen zu treffen in steter Anpassung an veränderte Verhältnisse.Herr Kollege Schultz, wenn Sie hier so sprechen, lassen Sie das, so finde ich, allzu sehr außer acht. Sie meinen, weil heute nicht das ist, was ganz genau den Gegebenheiten von heute entspricht, wäre auch das, was gestern war, aber gestern den Gegebenheiten entsprach, falsch. Das ist doch inkonsequent gedacht. Nach Ihren Auslassungen — ich muß doch wieder auf Sie eingehen; ich sage das wiederum ganz offen — müßte man eigentlich annehmen, daß Sie das Weißbuch entweder nicht sorgfältig oder durch eine allzu gefärbte Brille gelesen haben. Ich sage das im Hinblick auf eine fatale Feststellung, so finde ich, die Sie getroffen haben. Denn in diesem Weißbuch ist nachzulesen, daß es der eindeutige Auftrag der Bundeswehr zusammen mit den Streitkräften der Bündnispartner ist, dieses unser Land zu schützen, wirksam zu verteidigen, wenn es notwendig ist.
In ihm ist nachzulesen, was in Anpassung an die sich ändernden Verhältnisse von uns getan werden muß, um diese Bundeswehr in die Lage zu versetzen, jederzeit wirksam diesen Auftrag zu erfüllen. Ich erlaube mir zu überlegen, ob sie in der Lage wäre, es bei Durchführung Ihrer Pläne zu leisten. Das streite ich eigentlich schon uneingeschränkt ab.
Was die Darlegungen des Herrn Generals Heusinger angeht, so meine ich, Sie ziehen aus dem, was 'er geschrieben hat, eine falsche Schlußfolgerung. Herrn General Heusinger ist es nach meiner Meinung wesentlich darauf angekommen, klarzumachen, worauf der Zustand in der Bundeswehr zurückzuführen ist. Mit diesem Zustand sind wir im Hinblick auf die innere Situation deswegen nicht einverstanden, weil die jungen Menschen dort teilweise allzu sehr von dem in Anspruch genommen sind, was in der übrigen, offenen Gesellschaft an Fehlverhalten anzutreffen ist. General Heusinger wollte, so meine ich, vor allem sagen, daß der Zustand in der Truppe nicht zuletzt deswegen so ist, wie er ist, weil verhältnismäßig weite Kreise unseres Volkes zu dieser Bundeswehr das rechte Verhältnis noch nicht gefunden haben. Ich jedenfalls habe diesen Artikel so gelesen.Meine sehr geehrten Herren, die Geschäftslage läßt es nicht zu, die Pläne und die Absichten der Bundesregierung zur Verbesserung des deutschen Verteidigungsbeitrages im einzelnen zu besprechen und zu erörtern. Es scheint mir aber angebracht, eine Maßnahme, die ergriffen worden und im Haus-halt vorgestellt ist, besonders herauszustellen. Das ist die Einführung einer flexiblen Umfangszahl der Streitkräfte mit dem festen, gleichbleibenden Personalumfang von 460 000 Soldaten und einer veränderlichen Zusatzzahl von 16 000 bis 25 000 Mann. Ich halte das für besonders bedeutsam, weil es dadurch ganz sicher möglich wird, die Truppe wesentlich zu entlasten,
eine noch großzügigere Ausbildungs- und Berufsförderung zu betreiben und die notwendige tägliche Dienst- oder Antretestärke zu gewährleisten. Herr Minister, wir können Sie nur ermuntern, diese neuen Möglichkeiten, die Sie sich geschaffen haben, ganz konsequent zu handhaben. Dann wird manche Schwierigkeit behoben sein.Ein Wort zum Jahresbericht des Herrn Wehrbeauftragten. Dieser meines Erachtens hervorragende Jahresbericht 1968 verdient hohes Lob. Ich möchte Herrn Hoogen, obwohl er nicht anwesend ist und nicht anwesend sein kann, meinen Glückwunsch sagen, und ich darf das wohl auch namens meiner Freunde tun. Dieser hervorragende Jahresbericht enthält eine Reihe höchst kritischer Betrachtungen sowohl im Hinblick auf die innere Situation der Bundeswehr als auch in bezug auf das gerade von Herrn General Heusinger angesprochene Zuordnungsverhältnis von Öffentlichkeit und Streitkräften unter Beachtung der Wechselwirkung zwischen beiden. Man kann jedem Kollegen des Hauses die genaue Lektüre nur dringend empfehlen.Ich erwähne den Jahresbericht aber auch, weil ich der Meinung bin, daß es richtig wäre — ohne der Terminplanung des Hauses oder gar der Fachberatung im Verteidigungsausschuß vorgreifen zu wollen —, den Wunsch auszusprechen, diesen höchst aufschlußreichen und absolut situationsgerechten Bericht möglichst bald, schon in den nächsten Wochen im Plenum und damit vor der ganzen Öffentlichkeit zum. Gegenstand einer eingehenden Erörterung zu machen.
Herr Kollege Schultz, Ihnen empfehle ich, bis dahin ganz besonders noch einmal die Passage über die Innere Führung zu lesen. Wahrscheinlich werden Sie dann die Auffassung korrigieren, die Sie soeben vertreten haben.
Wir sprechen über den Wehrbeauftragten und loben ihn. Ich denke, dabei muß dann eines angemerkt werden. Das Amt des Wehrbeauftragten hat sich immer mehr — das bestreitet wohl niemand mehr, der Kenntnis von den Leistungen dort hat — zu einer außerordentlich fruchtbaren Institution entwickelt. Die Anerkennung, die die Soldaten wie auch die Öffentlichkeit dieser Institution zollen,
kommt u. a. in einem rapid wachsenden Umfangder Arbeit in diesem Amt zum Ausdruck. Diese Arbeit ist, davon habe ich mich selber überzeugen
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Rommerskirchenkönnen und müssen, ohne eine vermehrte Mitwirkung von Referenten und Hilfsreferenten nicht mehr zu bewältigen.
— Zunächst einmal ist das im Haushaltsausschuß entgegen dem einhelligen Votum des Verteidigungsausschusses geschehen, d. h. die kw-Vermerke sind nicht aufgehoben worden. Ich meine, das Hohe Haus sollte bei der Beratung des Einzelplans 02 dem, was ich soeben dargelegt habe, durch die entsprechende personelle Ausstattung seines eigenen Hilfsorgans, das ihm sehr zu Diensten ist, Rechnung tragen.
Zweifellos fordern einige teilweise alarmierende Feststellungen im Bericht des Wehrbeauftragten neue Maßnahmen. Ich kann hier für unsere Fraktion nur sagen, daß wir uns für die Durchführung alles Notwendigen mit genau der gleichen Intensität und Konsequenz einsetzen werden, wie wir das z. B. zur Verbesserung der Personalstruktur in der letzten Zeit getan haben, und wir werden dann wie zuvor gegebenenfalls auch gesetzgeberische Initiativen ergreifen, wenn das zu beschleunigten Lösungen führt. Man kann und darf uns beim Wort nehmen.In dem erwähnten Zusammenhang bleibt es unser Bemühen — es wurde angesprochen, ich möchte es noch einmal unterstreichen — auch unsererseits weiterhin zu einem gerechteren Lastenausgleich im Hinblick auf die Wehrpflichtigen, also zwischen den Dienenden und den Nichtdienenden, beizutragen. Die Herbeiführung einer menschenmöglichen Wehrgerechtigkeit kann und darf kein Fernziel, sondern muß das unbedingte Nahziel sein. Herr Bundesverteidigungsminister, Sie sprachen eben darüber. Danach kann ich nur sagen: lassen Sie uns weiterhin mit vereinten Kräften am Ball bleiben. Wir 'sollten uns alle bemühen, so schnell wie möglich zu den entscheidenden Problemlösungen zu kommen.Im Hinblick auf die erwähnte Situation in unserer Gesellschaft möchte ich nur einen einzigen Gedanken äußern. Ich halte es für geboten, zu einem meines Erachtens geradezu irrsinnigen Vorgang — ich sage das sehr bewußt so — in unserem Land Stellung zu nehmen. Während unser Volk im großen und ganzen aus nüchterner Einsicht in die Notwendigkeit eines wirksamen Beitrages zur Erhaltung der Freiheit große Opfer bringt, haben wir Umtriebe einer radikalen Minderheit zu verzeichnen, die diese wirksamen Friedensbemühungen zu stören und zu schmälern versucht. Alle verantwortungsbewußten Bürger unseres Staates sollten diesen Umtrieben mit der gebotenen Verachtung und Zurückverweisung begegnen und mit konkreten Anzeigen reagieren, wenn zu strafbaren Handlungenaufgefordert wird oder solche begangen werden. Aber ich füge 'hinzu, daß es meines Erachtens Aufgabe des Bundestages ist, ohne Verzug die Notwendigkeit einer Novellierung des Strafrechts zu über-prüfen und gegebenenfalls diese Novellierung vorzunehmen, um einer Zersetzung der Verteidigungskraft in unserem Land wirksam entgegentreten zu können.
— Ja, wir tun das. Wir sind mit ihnen im engsten Kontakt. Sie haben zugesagt, daß sie sich ihrerseits darum bemühen werden. Ich glaube, wir werden es erleben, daß die Juristen der CDU/CSU mitwirken, wenn sich die Notwendigkeit einer Reform des Strafrechts im Hinblick auf den Bruch des Rechtsfriedens in unserem Land ergibt.Zu einem einzigen Einzelproblem möchte ich ganz kurz Stellung nehmen. So wie die Bundesdisziplinarordnung vor einiger Zeit den neuen Verhältnissen angepaßt wurde, so sollte auch die Wehrdisziplinarordnung novelliert werden, sollten die vorliegenden Entwürfe im Interesse einer gerechten Behandlung der Soldaten möglichst bald beraten und verabschiedet werden. Ich möchte den nicht mehr anwesenden Herren Vorsitzenden des Innenausschusses — durch das Protokoll — bitten, mit seinem Ausschuß uns in dieser Hinsicht so wirksam zu helfen, wie das in anderer Hinsicht in den letzten Monaten immer wieder geschah.Erlauben Sie mir ein Schlußwort, weil wir alle miteinander kurzfassen wollen. Die Bundeswehr ist von Fehlentwicklungen, wie sie in manchen anderen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens sicherlich unter anderem und wesentlich durch die Überbetonung individueller Interessen und durch die Vernachlässigung des Gemeinsinns leider zu verzeichnen sind, erfreulicherweise weitgehend freigeblieben. Das erkennen wir seitens der CDU/CSU-Fraktion gegenüber allen Soldaten, gegenüber allen Beamten, Angestellten und Arbeitern der Bundeswehr mit Dank und in Achtung an, und wir verbinden damit die Aufforderung, sich von denen, die von Pflichten gegenüber der Gemeinschaft nichts halten, auch weiterhin nicht beirren zu lassen. Unsere Achtung und Anerkennung aber werden wir entscheidend auch weiterhin dadurch unter Beweis stellen, daß wir, wo immer es notwendig und möglich ist, zur Verbesserung der Lage unserer Soldaten beitragen.Die Bundeswehr im Rahmen des atlantischen Bündnisses ist und bleibt das entscheidende Instrument unseres Staates, die Freiheit und die Sicherheit der Bürger sowie die Erhaltung der Gemeinwohlgrundlagen zu gewährleisten. Darum werden wir auch weiterhin alles tun, um die Erfüllung ihres Auftrages zu ermöglichen.
Das Wort hat Abgeordnete Berkhan.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin dankbar, daß noch ein paar Kollegen zu dieser ,,erweiterten Ausschußsitzung" hinzugekommen sind. Jetzt sehe ich
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12032 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
Berkhanzu meiner Trauer, daß Herr Moersch, der schneller sprechen kann, als ich denken kann, den Saal verlassen hat. Aber dafür hat Herr Spitzmüller den Platz eingenommen.Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen zum diesjährigen Verteidigungshaushalt machen, der ja in mehrerer Hinsicht seine besondere Bedeutung hat.Erstens. Es ist ein Haushalt, der zum :erstenmal im Zeichen der fortgeschriebenen mittelfristigen Finanzplanung steht, und erstmals ist ein Haushalt vorgelegt, der einen Rüstungsplan als Grundlage hat. Das ist nun ein Instrumentarium, welches dem Ministerium ohne Zweifel gestattet, sorgfältiger in die Zukunft hinein zu arbeiten und den Mitteleinsatz des Haushalts effektiver werden zu lassen. Das bietet aber uns Parlamentariern auch die Möglichkeit, in kommenden Jahren sorgfältiger zu kontrollieren und zu überprüfen, inwieweit die Planungen eingehalten wurden, zu fragen, wo infolge politischer Ereignisse von den Planungen abgewichen werden mußte, und festzustellen, wo die Planungen aus anderen Gründen nicht eingehalten werden konnten.Es wäre allerdings ein Irrtum, wenn die Verteidigungspolitik damit in Zukunft vorwiegend unter fiskalischen und rüstungspolitischen Gesichtspunkten bewertet würde. — Mehr rüstungspolitischen als fiskalischen, Herr Klepsch. Ich weiß genau, warum Sie lachen. Natürlich, kameralistische müssen wir auch nennen. Aber Sie wissen ja, was ich meine, und Ihr Steckenpferdchen reitet im Moment in eine andere Richtung als meines.
Für uns Sozialdemokraten bleibt Verteidigungspolitik eine Komponente der auf Frieden und Sicherheit gerichteten Außenpolitik der Bundesregierung und Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland.
— Danke schön. — Die Verteidigungsanstrengungen sind einzubetten in die außenpolitischen Zielsetzungen und Notwendigkeiten. Dabei ist sowohl das nationale Sicherheitsinteresse als auch der Grundsatz der Bündnistreue und der Bündniserhaltung ein tragendes Element unserer Verteidigungsanstrengungen.In der Verteidigungspolitik haben daneben innere Faktoren ausschlaggebende Bedeutung. Unsere Sicherheit hängt zwar weitgehend vom Bündnis und von der Funktionsfähigkeit des Bündnisses ab, aber auch vom Grad der Einsatzbereitschaft und der Kampfkraft unserer eigenen Truppen. Einsatzbereitschaft und Kampfkraft beruhen dabei im wesentlichen auf folgenden Grundlagen: erstens auf der inneren Situation und dem geistigen Zustand der Truppe, zweitens auf der rationellen Struktur unserer Verbände — durch sie werden Ausbildungsstand und Einsatzfähigkeit bestimmt —, drittens auf der materiellen Ausrüstung unserer Verbände; sie bestimmt die Chancen, die unsere Einheiten gegen jeden potentiellen Gegner haben. Aber die Ausrüstung bestimmt auch die Gleichwertigkeit mit den verbündeten Streitkräften, mit denen gemeinsam wir im Bündnis unsere Aufgabe zu erfüllen haben.Ich komme jetzt auf die Ausführungen, die mein Kollege Helmut Schmidt heute morgen hier gemacht hat. Herr Schultz, ich habe es soeben noch einmal sehr sorgfältig gelesen; ich habe da nichts von Weichenstellung gefunden. Sei es, wie es sei, dem Sinne nach haben Sie ihn ja nicht falsch zitiert. Es kann sein, daß ich es nur unzureichend habe lesen können.
— Wer weiß, was für Weichen das waren. Vielleicht waren das die weichen Stellen der FDP.
Ich weiß nicht genau, wovon er gesprochen hat. Sei es, wie es sei, dem Sinne nach haben Sie ihn nicht falsch zitiert.
— Herr Schultz, warum sitzt denn das mit dem Schaukelstuhl so tief?
Ohne Punkte klingt das doch wunderbar: „Scheel schaukelt schön". „Schön schaukelt Scheel", können Sie auch sagen. So können Sie den Satz ununterbrochen verdrehen, und die Sache kommt wunderbar hin.
— Seien Sie doch nur nicht so empfindlich! Ich finde den Herrn Scheel auf dem Schaukelstuhl ganz angemessen untergebracht.
— Es tut mir leid. Ich wollte es kurz machen; aber die FDP zwingt einen doch zu langer und bedeutender Rede selbst zu so später Stunde. Damit erfüllen Sie wieder einmal die Aufgabe der Opposition.Sei es, wie es sei, ich will hier feststellen, daß der Herr Verteidigungsminister hinsichtlich der Heranziehung Wehrpflichtiger Zahlen genannt hat, die mir neu waren. Dafür bin ich dankbar. Es kann sein, daß ich im Ausschuß die Sache überhört habe. Aber ich weiß ganz genau, daß sich mein Fraktionsvorsitzender Helmut Schmidt auf den Bericht des Wehrbeauftragten bezogen hat, und da finden wir auf Seite 13 Zahlen, die allerdings in das Jahr 1967 gehören. Dort heißt es, daß z. B. die Ausbildungskapazität nicht mehr hergibt, als daß 45% eingezogen werden, und dort heißt es weiter, daß von 70% tauglich Gemusterten überhaupt nur 41% zur Verfügung standen. Das waren also schlechtere Zahlen. Es hat sich wahrscheinlich durch die veränderten Jahrgangsstärken verändert. Das ist erfreulich.Wir haben vernommen, daß es wahrscheinlich in den kommenden Jahren besser werden wird. Wir
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Berkhanhaben aber auch vernommen, daß dann 1975 dieses Problem für uns wieder schwieriger wird. Es kann sein, daß bis 1975 politische Lösungen gefunden sind, die es uns ermöglichen, weniger hektisch darüber zu reden, als jetzt zu einem Teil darüber geredet wird. Aber es kann genausogut sein, daß wir dann schon solche Veränderungen in der Struktur unserer Truppe vornehmen mußten, daß wir die Frage nicht mehr als so bedeutungsvoll betrachten müssen.Ich meine nur — ich will die Sache nicht ausdehnen —, es ist unmöglich, die Gesamtzahl der Tauglichen jedes einzuberufenden Jahrganges heranzuziehen. Das wird uns immer große Schwierigkeiten machen. Es muß ernster geprüft werden, Herr Minister Schröder, ob wir wirklich nicht mit 15 Monaten Grundwehrdienst auskommen, um wenigstens zu garantieren, daß alle Tauglichen herangezogen werden. Ich bin mir klar darüber, daß das Schwierigkeiten in der Truppe macht. Denn wir haben ja schließlich und endlich — darum habe ich auch vom Bündnis gesprochen — auch die Aufgabe der Präsenz zu erfüllen, und es kann sein, daß wir bei Abwägung der Güter zu dem Ergebnis kommen, daß wir diese Ungerechtigkeit noch geraume Zeit hinnehmen müssen. Dann sollten wir aber auch den Mut haben, in diesem Parlament vor der Öffentlichkeit zu sagen, daß es aus ist mit einer allgemeinen Wehrpflicht, daß wir eine Auswahlwehrpflicht praktizieren und daß diese Ungerechtigkeit aus Gründen der Sicherheitspolitik, aus Gründen der Bündniserhaltungspolitik hingenommen werden muß.Es mag ein paar Hilfen geben im Entwicklungsdienst, es mag ein paar Hilfen geben in anderen Diensten. Ich glaube nur nicht, daß wir ernsthaft große Zahlen junger Männer, die zum Wehrdienst nicht herangezogen werden, in anderen Diensten werden unterbringen können. Es mag ein paar Hilfen geben, aber das wird nicht die Lösung des Problems darstellen.
Als Sofortmaßnahme im Zusammenhang der Wiederherstellung einer größeren Gerechtigkeit bei der Heranziehung zum Grundwehrdienst, steht dagegen die materielle Entlastung oder Entschädigung derjenigen, die herangezogen werden oder herangezogen wurden, auch noch in der Debatte. Ich begrüße es, wenn der Bundesminister der Verteidigung auch heute noch von dem Grundsatz ausgeht — so habe ich das Weißbuch verstanden —, es wäre besser, denjenigen, der dient, zu entlasten, als denjenigen, der vom Dienst frei bleibt, durch eine Abgabe besonderer Art zu belasten.In der Frage der Entlastung haben wir in den vergangenen Monaten — ich glaube, morgen oder übermorgen wird das Gesetz rechtskräftig verkündet werden — einen großen Schritt nach vorne getan. Wir haben das Entlassungsgeld verdoppelt. Das kann aber nach Auffassung meiner Fraktion nicht der letzte Schritt sein. Unsere Auffassungen sind bekannt. Wir streben an — und wir bleiben dabei —,daß letzten Endes für abgeleisteten Grundwehrdienst, heutiges Einkommen und heutige Preise zugrunde gelegt, pro Monat 100 DM Entlassungsgeld eine angemessene Entschädigung wären. Wir Sozialdemokraten werden im Verteidigungsausschuß und wir werden bei der Beratung der Haushalte in den nächsten Jahren versuchen, schrittweise diesem Ziel näherzukommen.Wir wissen, daß die Mehrkosten für eine solche Maßnahme im Endstadium pro Jahr rund 150 Millionen DM ausmachen — das hängt wieder von der Zahl derjenigen Wehrpflichtigen ab, die herangezogen werden —, eine Summe, von der ich sagen will, daß sie mir, zumindest in Etappen im Laufe der nächsten Jahre, erreichbar erscheint. Ich wäre auch bereit, für dieses Ziel Umschichtungen im Verteidigungshaushalt hinzunehmen; ich halte sie für gerechtfertigt, da ich den Faktor Einsatzbereitschaft und Einsatzwille unserer jungen Wehrpflichtigen sehr hoch bewerte, vielleicht höher als manche andere Ausgabe, die zugunsten der Landesverteidigung zu tätigen ist.Unsere Wehrpflichtigen haben darüber hinaus aber auch Anspruch auf Beteiligung am Wachstum des Sozialprodukts, also an der Steigerung des Niveaus unseres Lebensstandards schlechthin. Wir haben zu bedenken, daß seit dem 1. Januar 1965 der Wehrsold praktisch nicht mehr erhöht wurde. Er ist eingefroren und hat eine Höhe für den Grenadier von 3 DM pro Tag. Mir scheint es an der Zeit zu sein, eine Erhöhung um 1 DM pro Tag ins Auge zu fassen. Das wäre wiederum — geschätzt — eine Ausgabe von 85 bis 90 Millionen DM. Das ist eine schwierige Frage, aber wir werden prüfen, ob es bei einem Gesamtansatz für Personalausgaben von 6,3 Milliarden und einigen Millionen DM nicht möglich ist, diese Beträge aufzubringen.Die Erfüllung berechtigter Wünsche und angemessener Ansprüche darf sicher die Ansätze der mittelfristigen Finanzplanung vom Verteidigungshaushalt her nicht zerschlagen. Es geht innerhalb der vorgeschriebenen und gesetzten Haushaltsansätze aber auch um eine Bewertung von Prioritäten, die den Einsatzwert und die Kampfkraft der Truppe erheblich beeinflussen werden.Ich rechne auch damit, daß das Bundesministerium der Verteidigung möglichst bald konkrete Maßnahmen vorschlägt, die zu der angekündigten Steuererleichterung nach Dienstzeitende führen werden. Herr Staatssekretär von Hase hat am 6. Februar 1969 die Ausgabe von Steuergutscheinen — so etwa, glaube ich, waren die bezeichnet — angeregt. Das scheint ein Vorschlag zu sein, der von der verwaltungstechnischen Seite her vielleicht zu praktizieren ist, wenn der Verwaltungsaufwand nicht zu hoch ist und wenn dadurch nicht neue Ungerechtigkeit geschaffen wird. Wir haben zu bedenken, ob nicht eine große Zahl von Wehrpflichtigen von diesen Gutscheinen überhaupt nur unzureichenden Gebrauch machen kann, weil sie eben nicht genügend verdienen. Wenn das alles aber sorgfältig vorgeprüft ist, kann ich den Bundesminister der Finanzen nur auffordern, seine eigene Prüfung zu intensivieren und möglichst bald abzuschließen, damit wir zu
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12034 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
BerkhanErgebnissen in dieser Frage kommen, und sei es, zu dem Ergebnis: Das war ein Vorschlag, den wir geprüft haben; er ist nicht praktikabel. Wir müssen jetzt also Schritt für Schritt voranschreiten und aussieben, was möglich ist und was nicht möglich ist, und das Mögliche dann auch dort, wo es notwendig ist, in Gesetzesform gießen.Die Unzufriedenheit unserer wehrpflichtigen Soldaten äußerte sich während der letzten Jahre in einem besonderen Symptom, das spektakuläres Aufsehen erregte und uns alle nachdenklich stimmen muß. Ich spreche hier die zunehmende Zahl der Anträge zur Kriegsdienstverweigerung an. Herr Rommerskirchen hat schon darüber gesprochen. Sicher machen sich — da stimme ich Herrn Rommerskirchen zu — staatsnegierende Gruppen, nicht Gruppen der außerparlamentarischen, sondern der antiparlamentarischen Opposition, diese Unzufriedenheit zunutze und versuchen die Gefühle anzuregen, um nun egoistische Triebe besonders anzuheizen. Das alles hat nach meiner festen Überzeugung nichts mehr mit Gewissensentscheidung zu tun.Eines will ich hier jedoch sehr deutlich festhalten. Nach Auffassung der Sozialdemokraten gilt das Grundgesetz und seine Bestimmung, wonach niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden darf, nach wie vor. Das ist ein Grundrecht, welches unter dem Schutz des Art. 19 Abs. 2 steht: „In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden." Ich bin dankbar, Herr Damm, daß Sie klarmachen: das gilt für alle. Ich warne auch davor — ohne daß wir uns durch namhafte Juristen haben beraten lassen—, hier schon so zu tun, als müßten wir Veränderungen im Strafrecht einführen. Ich glaube z. B., daß die richtige Handhabung der Strafrechtsparagraphen durchaus ausreichen würde, um mit gewissen Auswüchsen fertigzuwerden. Wir werden im Ausschuß darüber zu reden haben, und wir werden den Rat weiser Juristen sicher nicht in den Wind schlagen.Das Problem der Kriegsdienstverweigerung hingegen wirkte sich erst belastend für die Truppe aus, nachdem eine relativ hohe Zahl junger Männer erst nach Einberufung und nach Ableistung bestimmter Dienste oder nach Erwerb bestimmter Kenntnisse von ihrem Recht, aus Gewissensgründen den Dienst zu verweigern, mehr und mehr Gebrauch machte. Hier, meine ich, sollte unverzüglich Vorsorge getroffen werden, daß dieser Unruhefaktor aus unseren Einheiten herausgebracht wird; denn das muß abträgliche Wirkungen für die Einsatzbereitschaft der Truppe haben. Das überfordert die jungen Unteroffiziere und die Truppenführer, also Offiziere, fast genauso wie ältere Offiziere, die ja für diesen Zweck nicht ausgebildet sind. Am besten würde das vermieden, wenn die Wehrdienstverweigerer, die während ihres Wehrdienstes ihren Antrag stellen, sofort ohne schuldhaftes Verzögern dem Ersatzdienst zugeführt werden.Hier scheint mir ein Schlüssel — ein Schlüssel; ich glaube nicht, daß es eine Patentlösung gibt; es gibt ja auch eine gewisse berechtigte Unruhe in unserem Volk, das ist ja nicht alles so unberechtigt — für dieLösung des Problems zu liegen. Es kommt darauf an, eine umfangreiche Vermehrung der Dienststellen für Ersatzdienstleistende anzustreben. Vielleicht, meine sehr verehrten Kollegen aus dem Verteidigungsausschuß, ist es ganz gut, wenn ich das einmal hier vor den anderen Kollegen sage: Wir sind ja dafür nicht zuständig, und es wird also Zeit, daß sich der zuständige Ausschuß des Parlaments dieser Arbeit annimmt. Er würde uns jedenfalls eine große Hilfe leisten. Meines Erachtens — ich rede hier jetzt nur für mich und nicht für meine Fraktion — —
— Eben, da gibt es ja einen Ausschuß. Genau davon habe ich geredet, Herr Spitzmüller. Wir schreien immer nach dem Minister. Wir sind ja frei gewählte Abgeordnete; darauf berufen wir uns ja immer.
— Ich meine, Herr Schultz, vielleicht lassen Sie mich den Gedanken zu Ende führen, daß die bisher de facto bestehende Einschränkung- der Ersatzdienstleistung auf Tätigkeiten im Heil- und Pflegedienst nicht mehr praktikabel ist. Das reicht nicht aus. Es kommt mir darauf an, daß junge Männer — und jetzt verwende ich einmal das Adjektiv, was ich sonst sehr ungerne verwende —, die aus echter Gewissensnot den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern, für eine dem Wehrdienst entsprechende Zeit eine gemeinnützige, soziale oder karitative Tätigkeit auf sich nehmen müssen, die ihnen die gleichen materiellen und zeitlichen Einschränkungen abverlangt, wie wir sie von unseren jungen wehrpflichtigen Soldaten wie selbstverständlich verlangen.
Man sollte von dem schematischen Standpunkt absehen, daß Ersatzdienstleistende nicht aus der dienstlichen Notwendigkeit herrührenden Beschränkungen unterworfen werden müssen, weil das im militärischen Betrieb nun einmal so ist. Was im militärischen Betrieb gilt, muß nicht unbedingt für den Ersatzdienst Gültigkeit haben. Das ist ein Dienst anderer Art. Er ersetzt den Wehrdienst. Er ist kein gleicher, sondern ein anderer Dienst.
— Na gut. Mir hat der Kaffee-Ersatz nie so gut geschmeckt.
— Einverstanden. Hier wird ein Dienst geleistet — Herr Stahlberg, ich habe es ja gesagt —, der gemeinnütziger, karitativer oder sozialer Art ist. Ich habe hier die Vokabel „gemeinnützig" eingeführt, weil ich keine Möglichkeit sehe, ausreichende Plätze im karitativen und im anderen Bereich zu schaffen.Wir haben aber auch die Pflicht, an unsere jungen wehrpflichtigen Soldaten zu denken. Wir haben die Pflicht, sie vor Diffamierungen zu schützen. Die Entscheidung für den Dienst in der Bundeswehr ist nach dem Selbstverständnis unserer Armee und nach
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Berkhandem Auftrag, Herr Schultz, eine Entscheidung im Sinne der Friedenserhaltung. Die aufgeputschte Agitation eines kleinen Kreises der antiparlamentarischen Opposition bringt zudem diejenigen in Mißkredit, deren Entscheidung zur Verweigerung des Kriegsdienstes wirklich auf Gewissensnot beruht. Das möchte ich hier sorgfältig unterschieden wissen.Die innere Situation und der geistige Zustand der Truppe werden aber auch vom Status und von der psychologischen Verfassung unserer längerdienenden Zeit- und Berufssoldaten bestimmt. Hier möchte ich feststellen, daß im letzten Halbjahr ein ganzes Bündel von Maßnahmen in Kraft gesetzt oder eingeleitet wurde, durch welche die personelle Lage verbessert werden soll und der Status unserer Zeit-und Berufssoldaten angehoben wird.Herr Minister Schröder hat darüber gesprochen. Die getroffenen Maßnahmen haben Eingang in Einzelplan 14 gefunden, soweit ich das kontrollieren konnte. Vor allen Dingen wurde für unsere Unteroffiziere eine klare Eingruppierung in das Besoldungsgefüge erreicht. Wir hoffen, daß sich ihre Nachwuchslage durch die Wiederherstellung des Rechtsstatus des Soldaten auf Zeit für zwei Jahre entscheidend verbessert. Wir bemühen uns darum, daß die Anziehungskraft der militärischen Laufbahn durch eine neue Aufstiegsmöglichkeit verbessert wird.Morgen hätten wir nun im Ausschuß über die 5. oder 8. Verordnung zur Änderung der Laufbahnverordnung diskutiert; ich weiß nicht genau, ob es die 5. oder 8. Verordnung ist. Leider Gottes haben wir heute morgen beschlossen, daß die Ausschüsse nicht tagen sollen. In einer Rücksprache mit dem Geschäftsführer der FDP hat er mir erklärt, er werde morgen die gleiche Bitte äußern. Ich habe daraufhin als amtierender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses die Sitzung natürlich abgesagt. Was hätte es für einen Sinn, eine Sitzung einzuberufen, aus der wir dann zurückberufen würden, um hier unsere „Schularbeiten" im Plenum zu erledigen. Wir Sozialdemokraten werden jedenfalls darauf achten, daß bei der Beratung und der Ausführung dieses Gesetzes der breiten Schicht von qualifizierten Soldaten, die zunächst in die Unteroffizierslaufbahn eintreten, die Offizierslaufbahn geöffnet bleibt und mehr und mehr geöffnet wird.Der hohe Technisierungsgrad unserer Streitkräfte und die differenzierten Verwaltungs- und Versorgungsprobleme bieten immer breitere Verwendungsmöglichkeiten für Offiziere in fachlicher Verwendung. Diese Chance wollen wir nutzen. Wir werden dabei darauf achten, daß die neugeschaffene fünfte Laufbahn in der Laufbahngruppe der Offiziere keinen auf überkommenem Standesdenken beruhenden Einschränkungen unterworfen wird.
Wir haben Einsicht in den Referentenentwurf für die Laufbahnverordnung nehmen können. Ich weiß nicht, ob es zuverlässig ist; ich habe schon den zweiten Entwurf, darin sind ja schon gewisse Verbesserungen. Ich bin ziemlich sicher, daß wir dem zweiten Entwurf noch ein paar Verbesserungen beifügen.Dann wird er so sein, daß wir uns darauf einigen können — mit dem Haus, mit den Offizieren, die sich auch nicht diskriminiert fühlen wollen —, daß man diesen Weg zum Wohle der ganzen Bundeswehr gehen kann.Von gleicher Wichtigkeit für unsere längerdienenden Soldaten ist aber auch das soeben von der Bundesregierung vorgelegte Eingliederungsgesetz für Soldaten auf Zeit. Herr Minister Schröder, Sie führten dieses Gesetz an und meinten, das sei ein Schlußstein. Glücklicher Minister, der glaubt, daß eines Tages eine Sache einmal fertig ist!
Wir werden sehen, daß das ein Haus ist, welches den Architekten dazu zwingt, dem Besitzer des Hauses, dem Minister Schröder, anzuraten, Umbaupläne in Erwägung zu ziehen: hier einen Durchbruch zu schaffen, dort ein Fenster zuzumauern, dort ein Zimmer zu erweitern und dort einen Raum einem anderen Zweck zuzuführen. Ich glaube nämlich nicht an eine perfekte Gesetzgebung. Wir werden sehen, daß wir woanders etwas zu tun bekommen.Sei es, wie es sei, Herr Minister Schröder; ich mache das Geschäft jetzt zwölf Jahre, Sie machen es noch länger. Ich meine, es ist ein großer Erfolg, wenn es gelingt, dieses Gesetz so unter Dach und Fach zu bringen, wie es mir in einer Bundesratsdrucksache bekanntgeworden ist. Ich glaube, große Veränderungen sind da nicht vorgekommen.Wir werden in Zukunft nur den geringeren Teil der Unteroffiziere in ein Anstellungsverhältnis auf Lebenszeit oder in das Offiziersverhältnis übernehmen können. Für den größeren Teil ist die Eingliederung in das zivile Leben nach 10- oder 15jähriger Dienstzeit sicherzustellen. Das Eingliederungsgesetz versucht, dieser Sachlage Rechnung zu tragen. Der Soldat soll die Sicherheit bekommen, daß er bei Nachweis von Qualifikation und Leistung auch mit 32 und 35 Jahren noch einen angemessenen Platz im öffentlichen Leben finden wird. Der vorgesehene Eingliederungsschein gewährt den Soldaten nach einer durch das Laufbahnrecht geforderten Vorbildung und Qualifikation einen Rechtsanspruch auf Einstellung und Ausgleichsbezüge in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen den letzten Dienstbezügen als Soldat und den Bezügen als Angestellter oder Beamter des öffentlichen Dienstes.Es müssen aber auch die Möglichkeiten für jene Soldaten verbessert werden, die weder den Status des Berufsunteroffiziers, noch des Fachoffiziers, noch des Truppenoffiziers oder die Einstellung in den öffentlichen Dienst anstreben. Auch diese Soldaten müssen bei ihrer Entscheidung für den Soldatenberuf auf Zeit bewußt sein, daß die vier, acht oder zwölf Jahre Wehrdienst, die ihnen bevorstehen, den einzelnen Möglichkeiten der technischen Qualifikation oder qualifizierten Ausbildung vor und nach Dienstzeiten eröffnen.An dieser Stelle möchte ich nun bedauernd feststellen, daß eine umfassende Personalplanung längerfristiger Art, der sogenannte Streitkräfteplan, vom Ministerium leider noch nicht vorgelegt wurde und vielleicht auch nicht vorgelegt werden konnte.
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12036 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
BerkhanDie materielle Planung — damit meine ich den Rüstungsplan — ist ja nur ein Teil der größeren Streitkräfteplanung und hängt ganz wesentlich mit der Personalplanung zusammen. Wenn der Rüstungsplan realistisch sein soll, muß für jedes Rüstungsgut das entsprechende Betriebs- und Verwaltungspersonal zur Verfügung gestellt werden können.Streitkräfteplanung kann sich nicht nur auf das notwendige und wünschenswerte Verhältnis zwischen Langdienern und Wehrpflichtigen beziehen, sondern bezieht sich unmittelbar auf die Struktur des Heeres, der Luftwaffe und der Marine, auf das ausgewogene Verhältnis zwischen Einsatzverbänden und Basisorganisationen, auf das ausgewogene Verhältnis zwischen Einsatzverbänden und den Verbänden der territorialen Verteidigung. Dieses Verhältnis hat daneben die militärgeographischen Fakten für die oben genannten Gliederungen einzubeziehen.Sie lesen heute einen sehr interessanten Aufsatz von Weinstein in der „Franktfurter Allgemeinen Zeitung", der sich mit diesem Problem befaßt. Es wäre ganz nützlich, wenn wir uns einmal ganz nüchtern und ohne Polemik überlegen würden, ob wir, wenn diese Zahlen, die Herr Weinstein nennt, stimmen, diese Tendenz auf die Dauer weiter vertragen können oder ob wir uns nicht überlegen müssen, zu einer anderen Lösung zu kommen.Wir haben im vergangenen Jahr Kenntnis von manchen Umstellungen nehmen müssen, die für die Struktur der Streitkräfte von ausschlaggebender Bedeutung sind, ohne den Gesamtzusammenhang mit einer umfassenden Streitkräfteplanung erkennen zu können. Nachdem durchaus sinnvoll die Einrichtung und die Aufstellung von Ausbildungsbataillonen angekündigt wurde — ich glaube, sie wurde sogar zu einem Teil verwirklicht — und mit der Notwendigkeit der Erhöhung der Kampfkraft begründet wurde, stellen wir nunmehr fest, daß sich der Führungsstab nach dem 21. August des vergangenen Jahres wiederum entschlossen hat, die Ausbildungseinheiten wieder bei den Kampfverbänden zu haben. Für mich ist damit die Frage der Präsenz, aber noch lange nicht die Frage der Einsatzbereitschaft ausreichend beantwortet.Mit Vorlage des Verteidigungsweißbuchs wurden der Öffentlichkeit Pläne zur Aufstellung von Jägerbrigaden bekanntgegeben. Ich halte das für eine sinnvolle Planung. Herr Schultz hat hier in seinen Ausführungen von „Übermotorisierung" gesprochen, wenn ich das richtig verstanden habe. Wir sollten wenigstens bei der ersten Jägerbrigade einmal erproben, ob es gewisse Landstriche in unserem Vaterland gibt, wo wir auf diese Übermotorisierung verzichten können, weil die geographische Lage einer besonderen Verteidigungssituation das Wort redet.Ich möchte möglichst bald erfahren, Herr Minister, wie in Zukunft das Zahlenverhältnis von Panzer-, Panzergrenadier-, Luftlande- und Jägerbrigaden aussehen soll. Es erhebt sich die Frage, inwieweit durch diese neue Planung der Rüstungsplan einer Veränderung unterworfen werden muß und unterworfen wird, und es erhebt sich die Frage, wie dieEntwicklung und die Einführung moderner infanteristisch zu verwendender Waffensysteme forciert werden müssen, um diese Jägerbrigaden zureichend als Verteidigungseinheiten aufstellen, ausbilden und ausrüsten zu können.Es ist überhaupt zu bedenken, inwieweit in den Streitkräften Spezialisierung und Arbeitsteilung unter Einbeziehung militärgeographischer Fakten möglich ist. Das erste Weißbuch der Bundesregierung spricht nicht nur von „verteidigungsgünstigen Geländeräumen", sondern es deutet auch an, daß Einsatzfähigkeit und Kampfkraft nicht allein ein Problem der Stärke der Kopfzahl in Kampfverbänden sind. Auf der Seite 12 heißt es in einer Anmerkung:Obwohl der personelle Umfang der einzelnen Division der Warschauer Paktstaaten im allgemeinen nur zwei Drittel der NATO-Division beträgt, bestehen hinsichtlich der Kampfkraft keine so wesentlichen Unterschiede.Wenn das so ist, muß uns diese Behauptung in der Fußnote nachdenklich stimmen. Man muß nicht alles kopieren, aber man kann ja zumindest kapieren, was da vor sich gegangen ist, warum dort die Kampfkraft nicht wesentlich geringer ist. Vielleicht gelingt es uns, ähnliche Einheiten aufzustellen, die dann auch nicht die personelle Stärke haben müssen, wie wir sie zur Zeit als vorgegeben annehmen.Kampfkraft ist sicher immer die Summe von Feuerkraft, Mobilität, Ausbildungsstand, Kopfzahl und innerer Abwehrbereitschaft, also geistiger Situation der Truppe. Es kommt vieles zusammen. Es erhebt sich aber die Frage, ob nicht dann, wenn einer oder mehrere Faktoren auf Grund anderer Umstände von geringer Bedeutung sind, die Streitkräfteplanung dies berücksichtigen muß.Von der Streitkräfteplanung komme ich jetzt zu der Frage zurück, ob differenzierte Verteidigungsaufgaben nicht auch differenzierte Wehrdienstzeiten zulassen. Es muß sorgfältiger geprüft werden, ob nicht die hochtechnisierten Kampfverbände vorwiegend aus längerdienenden Soldaten zusammengesetzt werden müssen und andere Einheiten, vielleicht z. B. Einheiten der Jägerbrigaden, mit anderen Dienstzeiten auskommen können. Diese Fragen werden heute nicht beantwortet werden können. Das erwarte ich auch nicht. Aber eine Beantwortung steht dringend an. Ihre Beantwortung wird nur möglich sein im Rahmen der von uns geforderten längerfristigen Personal- und Streitkräfteplanung unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren.Im Verteidigungsweißbuch heißt es auf Seite 67 — ich zitiere —:Die Verteidigungsanstrengungen der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1956 bis 1967 lassen sich in zwei Abschnitte einteilen, die in großen Zügen wie folgt umrissen werden können. Der erste Abschnitt umfaßt den Aufbau und die Erstausstattung der Bundeswehr, der zweite Abschnitt kann als Konsolidierungsphase bezeichnet werden.Über eine dritte Phase wird nichts gesagt. Es folgenlediglich eine Aufgliederung der Haushalte 1968 und
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Berkhan1969 und eine Vorausschau auf die Jahre 1970 bis 1972.Ich will nun nicht gehässig werden, Herr Minister Schröder, und ich will auch nicht die Stunde hier noch strapazieren und Unruhe ins Haus bringen. Aber Verteidigungspolitik, könnte man sagen, fand seit 1967 nur eingeschränkt, nur bei gedämpftem Trommelklang statt.Aber meine Bedenken will ich hier zum Ausdruck bringen. Sie liegen im wesentlichen darin, daß eine geschlossene Konzeption der personellen und der Streitkräfteplanung, von der die dritte Phase eigentlich bestimmt werden müßte, nicht möglich war. Ich habe den Eindruck, daß darüber hinaus die mittel- und längerfristigen Material- und Personalplanungen nicht genügend von den Einflüssen der modernen Technik und von der modernen Militärtheorie und der daraus resultierenden Veränderung in der Streitkräftestruktur Kenntnis nehmen. Das ist mein Eindruck. Ich kann ihn hier nicht beweisen; er ist einfach nur so gesagt. Ich hoffe, wir werden im Ausschuß darüber mehr reden können. Der Generalinspekteur soll nach Pressemitteilungen geäußert haben — ich wiederhole: nach Pressemitteilungen; ich konnte das wörtliche Zitat nicht finden —, daß der Panzer 70 von Soldaten, die als Wehrpflichtige 18 Monate dienen, nicht mehr beherrscht werden könnte.Immerhin ergibt sich doch daraus die Frage, wie die Personalstruktur der Panzerdivision der 70er Jahre aussehen soll. Andere Waffensysteme werden doch vergleichbare Anforderungen stellen, selbst wenn wir den Panzer 70 nicht nehmen. Jedes veränderte Waffensystem wird in ähnliche personelle Schwierigkeiten führen. Nach den offiziellen und öffentlich bekanntgegebenen Zahlen stehen in den Jahren 1969 bis 1971 rund 20 Milliarden DM für Beschaffung zur Verfügung. Dieser Betrag erhöhte sich durch die Auswirkungen der CSSR-Krise und die darauf fußenden Beschlüsse der NATO auf der Brüsseler Konferenz vom 13. und 14. November des vergangenen Jahres um etwa 1 Milliarde DM Verstärkungsmittel für Beschaffung, glaube ich. Von diesen Beträgen ist nach den bisherigen Planungen und Beschlüssen der größte Teil durch Projekte und Verträge, denen zugestimmt worden ist, und auch durch einige fortdauernde Ausgaben bereits gebunden. Darüber können wir nicht mehr verfügen. Ich fürchte, daß die jetzt laufenden Projekte den künftigen Haushalt so stark präjudizieren, daß für notwendige Ergänzungen und strukturbedingte Veränderungen für Neuanschaffungen in der Zukunft praktisch kein Spielraum mehr vorhanden ist. Ich denke z. B. wieder an die Jägerbrigade.Sicher ist dieser Spielraum auf dem Papier zur Zeit noch vorhanden, aber man kann heute schon sagen, er wird durch zu erwartende Steigerungsbeträge bei dem geplanten Waffensystem aufgezehrt werden. Ich rede hier nicht einer programmierten Inflation und auch nicht einer programmierten Inflation in der Planung das Wort. Wir wissen doch alle — jedenfalls diejenigen, die seit Jahren mit den Dingen zu tun haben —, daß wir es in der militärischen Technik nicht mit Preissteigerungen zu tun haben, die in der Entwicklung der gesamten Volkswirtschaft begründet sind. Kostensteigerungen im Bereich des militärischen Beschaffungswesens haben vielmehr andere Ursachen.Wir kennen das Phänomen der Kostenexplosion zwischen Eintritt in die Projektphase und Einführung des neuen Waffensystems. Das haben wir an verschiedenen Systemen selbst mit durchlitten. Dieses Phänomen beruht nicht auf Preissteigerungen, sondern auf unerwarteten technischen Schwierigkeiten; es beruht auf militärisch und technisch begründeten Systemänderungen und auf neuen Erkenntnissen, die uns überhaupt erst in der Entwicklungsphase bekanntwerden. Die nächste Fortschreibung des Rüstungsplans wird darauf detaillierter eingehen müssen. Der Verbund mit der Streitkräfteplanung, insbesondere im personellen Bezug, muß hergestellt werden. Es ist klarzustellen, mit welchem Personal von welcher Ausbildung bei der Einführung einzelner neuer Waffensysteme gerechnet werden kann. Wir erwarten nicht nur eine Antwort auf die Fragen nach der Technologie und der Technik und den Kosten des Panzers 70, sondern wir erwarten entsprechende Antworten auf die Fragen nach der Struktur und der Personalstärke der Brigade 70, wenn ich dieses Schlagwort hier einmal so prägen und gebrauchen darf.Ich glaube, mein Fraktionskollege und Ihr Regierungskollege Schiller würde sagen: Was wir brauchen, ist eine auf die Bundeswehr übertragene konzertierte Aktion. Militärische und politische Führung müssen den Komponenten „psychologische Situation", „moderne Personalstruktur", „realistische Rüstungsplanung" gleiche Bedeutung beimessen und deren innere Zusammenhänge beachten. Erst wenn sich das Ergebnis dieser konzertierten Aktion ausreichend in der täglichen militärischen Praxis niederschlägt, erreichen wir ein Optimum an Kampfkraft und Einsatzbereitschaft. Das Zusammenspiel dieser drei grundlegenden Faktoren der Verteidigungspolitik hat für die dritte Phase unserer Sicherheitspolitik bestimmend zu sein. Alle Parteien in diesem Haus sind sich einig in diesem Ziel, wenn auch Unklarheiten und Differenzen über mögliche Methoden und zu beschreitende Wege bestehen. Über das Ziel sind wir uns weitgehend einig. Beweis dafür ist das Ergebnis der Beratungen im Verteidigungs- und im Haushaltsausschuß zum Einzelplan 14, den wir heute hier beraten.Vor allem den Kollegen des Haushaltsausschusses gebührt unser aller Dank. Ihnen war es nicht nur möglich, durch genaue Überprüfung insgesamt mehr als 600 Millionen DM im vorliegenden Einzelplan umzuschichten. Sie haben auch erreicht, daß der für 1969 vorgesehene Anteil von 200 Millionen DM Verstärkungsmittel in Ausführung der Brüsseler NATO-Beschlüsse nicht in Anspruch genommen zu werden braucht, sondern durch Einsparungen aus dem vorliegenden Voranschlag erwirtschaftet wurde. Darüber hinaus stellen wir immer noch eine Kürzung der Gesamtausgaben im Endergebnis um rund 10 Millionen DM fest. Das halte ich für eine große Leistung.
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12038 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1969
BerkhanWie allerdings diese Leistung nun noch durch ein Hinausschieben der Ausgaben in Höhe von weiteren 600 Millionen DM verstärkt werden soll, vermag ich nicht klar zu erkennen. Ich habe die gleichen Befürchtungen, die der Berichterstatter, der Kollege Haase, hier geäußert hat. Ich will Sie nicht zur Härte aufrufen, Herr Minister Schröder; aber ich möchte doch, daß der Minister, der für diesen Haushalt die Verantwortung trägt, in der Regierung mit dem Bewußtsein verhandelt, daß die für die Verteidigung verantwortlichen politischen Kollegen dieses Hauses sich der schwierigen Situation bewußt sind und ihm den Rücken stärken. Es kann sein, daß es sich wirklich nur um eine Verschiebung der Ausgaben handelt. Es mag sein, daß wir zu einem Kompromiß kommen können. Aber es ist nicht so, daß man durch Manipulationen am Einzelplan 14 alles ausgleichen kann, was woanders vielleicht versäumt wurde.
Ich kann mich erinnern, daß in der Regierungserklärung der Satz des Kanzlers steht, daß das nicht eine Reservekasse des Bundes ist.
Daher bin ich sehr dankbar, daß der Parlamentarische Staatssekretär des Finanzministers aufmerksam zuhört. — Ich nehme Ihr Nicken nicht als eine Zusage; ich nehme es nur als Zusage, Herr Kollege Leicht, daß Sie es sich nicht leicht machen werden und daß wir hören werden, was man sich vorstellt.Wir schließen uns natürlich dem Dank an, Herr Kollege Rommerskirchen. Ich bin sicher, dieser Dank gilt für alle. Wir schließen uns dem Dank an, obgleich ich fast schon sagen möchte: Warum eigentlich danken? Arbeiter, Angestellte, Beamte, Soldaten der Bundeswehr tun das, was im öffentlichen Dienst die Pflicht ist. Wir danken ihnen, weil sie im vorigen Jahr ein Übermaß an Arbeit leisten mußten.
— Auch heute gilt das noch, selbstverständlich. Das galt aber ganz besonders im vergangenen Sommer, als eine erhöhte Einsatzbereitschaft diesen ganzen Körper über Gebühr in Anspruch nahm. Sie haben das getan, ohne viel Aufhebens davon zu machen. Das, finde ich, zeigt doch, daß die innere Situation auch nicht so schlecht ist, wie wir sie mitunter malen müssen, um dieser Regierung etwas auf die Sprünge zu helfen, um das zu tun, was das Parlament als notwendig erachtet.Die Einbindung unserer Verteidigungspolitik in die Außen- und Sicherheitspolitik erscheint uns Sozialdemokraten gewährleistet. Wir sind der Auffassung, daß in diesem Einzelplan keine übermäßigen Ausgaben getätigt werden. Wir haben die Gewißheit, daß man alles getan hat, um mit dem Geld des Steuerzahlers vernünftig umzugehen. Wir werden diesem Einzelplan unsere Zustimmung geben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mir die Frage vorgelegt, ob ich den Frieden dieser späten Stunde noch stören soll so wie damals Herr Kollege Ernesti mit dem Organisationsgesetz
oder ob ich insbesondere Ihnen, meine Kollegen von der CDU/CSU, eine große Freude bereiten soll, indem ich meine handschriftlichen Notizen zu Protokoll gebe.
— Nun habe ich zum erstenmal sogar von der CDU Beifall.
Herr Kollege Rommerskirchen, Ihr Pathos hätte mich natürlich gereizt, hier einiges zu sagen. Auch die Krokodilstränen, die Herr Kollege Schmidt heute früh in der Frage der Wehrgerechtigkeit vergossen hat, würden mich schon reizen, etwas dazu zu sagen. Aber ich mache mein Versprechen wahr.
Nur eine Frage, die alle drei Fraktionen in diesem Hause interessiert, an den Herrn Minister: In den letzten Tagen ist um die Entwicklung unseres Flugzeugs NKF so sehr viel gesprochen worden. Ich meine, Herr Minister, Sie sollten in der nächsten Sitzung des Verteidigungsausschusses ein klärendes Wort sagen, was denn nun wird, ob wir eine eigene Waffensystementwicklung NKF bekommen, ob wir MRCA fortführen, ob eine Anpassungsentwicklung an vorhandenes ausländisches Fluggerät kommt, z. B. die entfeinerte Phantom International oder gar die französische Mirage, oder ob letzten Endes doch wieder ein Waffensystem, die F-14, gekauft wird, so wie es derzeit in der interessierten Öffentlichkeit herumgeistert. Ich glaube, Herr Minister, alle drei Fraktionen wären interessiert, einiges darüber zu hören. Wir wären Ihnen dankbar, wenn wir in der nächsten Ausschußsitzung darüber etwas erfahren könnten.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Ausschußantrag auf Drucksache V/3934. Wer dem Antrag und damit dem Verteidigungshaushalt zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen die Stimmen der Oppositionsfraktion angenommen.
Meine Damen und Herren, wir können unsere heutige Arbeit damit abschließen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Donnerstag, den 20. März, um 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.