Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich habe die Freude, Herrn Kollegen Weber die besten Wünsche des Hauses zu seinem heutigen 65. Geburtstag auszusprechen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 5. März 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Wienand, Dr. Kliesing und Genossen betr. Internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zivilschutzes — Drucksache IV/990 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1028 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 6. März 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Effertz, Ertl, Freiherr von Kühlmann-Stumm, Logemann, Peters , Sander, Wächter und Genossen betr. Einfuhren von Rindern, Rindfleisch und Kalbfleisch — Drucksache IV/956 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache IV/ 1045 verteilt.
Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts hat unter dem 7. März 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Maxsein, Frau Dr. Hubert und Genossen betr. Ratifizierung von Abkommen des Europarates — Drucksache IV/989 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache IV/1049 verteilt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung wie folgt abgewickelt werden: Erstens die Fragestunde, zweitens Punkt 2 der Tagesordnung: zweite und dritte Beratung des Wirtschaftssicherstellungsgesetzes, drittens Punkt 4 der Tagesordnung: Fortsetzung der zweiten und dritten Beratung des Handwerkszählungsgesetzes; viertens Punkt 15 der Tagesordnung: a) erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Fristen des Gesetzes über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet-
und Wohnrecht, b) erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Wohnbeihilfen; fünftens Punkt 35 der Tagesordnung: Große Anfrage der Fraktion der SPD zur Kriegsopferversorgung. An sechster Stelle folgt die Beratung aller Vorlagen ohne Aussprache; das sind die Punkte 16 bis 21 und 26 bis 34 der Tagesordnung. Zuletzt kommen erste Beratungen von Steuergesetzentwürfen; das sind die Punkte 22 bis 25 der Tagesordnung.
Zu der in der Fragestunde der 61. Sitzung des Deutschen Bundestages am 15. Februar 1963 gestellten Frage des Abgeordneten Dr. Mommer Nr. IV *)
*) Siehe 61. Sitzung Seite 2781 A.
ist inzwischen die schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Stücklen vom 19. Februar 1963 eingegangen. Sie lautet:
Die Deutsche Bundespost ist ständig bemüht, sowohl durch technische Verbesserungen der Stempelgeräte und Stempelmaschinen als auch durch eine intensive Anleitung und Überwachung des im Stempeldienst tätigen Personals unleserliche Stempelabdrucke auf Postsendungen zu verhindern. Leider sind weder die Maschinen noch die Menschen unfehlbar, so daß sich trotz aller technischen und personellen Maßnahmen unleserliche Stempelabdrucke nicht ganz vermeiden lassen.
Wir beginnen mit der Fragestunde .
Ich rufe auf die Frage aus dem Geschäftsbereich des Herrn Bundesministers für Wirtschaft — des Herrn Abgeordneten Hammersen —:
Wird die Bundesregierung noch in der 4. Legislaturperiode den angeblich bereits seit Jahren fertiggestellten Entwurf des sogenannten zivilen Waffengesetzes dem Bundestag vorlegen, nachdem der Bundeswirtschaftsminister in der Fragestunde des Bundestages am 17. Februar 1960 bereits für die 3. Legislaturperiode eine entsprechende Zusicherung gegeben hatte und seiner Anregung entsprechend die Innenminister bzw. Senatoren der Länder die Verabschiedung der Länderwaffengesetze bis zur Verabschiedung des Bundeswaffengesetzes zurückgestellt haben?
Bitte, Herr Minister.
Der Referentenentwurf für ein Bundeswaffengesetz wird zur Zeit auf Grund der hierzu abgegebenen Stellungnahmen der Länder, in denen eine Vielzahl von Änderungen und Ergänzungen vorgeschlagen werden, in meinem Haus überarbeitet. Die Arbeiten an dem Entwurf haben sich bisher verzögert, weil in der letzten Zeit eine Reihe neuer Waffentypen und neuartige Munition entwickelt worden sind, die eine Überprüfung der bereits erarbeiteten Begriffsbestimmungen erforderlich machen.So sind auf dem Gebiet der Waffenherstellung Typen in den Verkehr gebracht worden, bei denen bisher nicht gebräuchliche Treibmittel — z. B. Gasdruck und Flüssigkeiten — verwendet werden. Ferner werden in der Munitionsherstellung Patronen, Geschosse oder Einsätze verwendet, die neuartige Wirkstoffe — z. B. Farbstoffe — enthalten. Schließlich sind jetzt Geschosse entwickelt worden, die unter Ausnutzung der in ihnen selbst enthaltenen Energieträger Licht, Schall, Rauch oder Nebel erzeugen.Die dadurch aufgeworfenen technischen und rechtlichen Probleme müssen mit den Sachverständigen eingehend beraten werden, um eine der Eigenart und unter Umständen der Gefährlichkeit dieser Waffen entsprechende Regelung zu finden.
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2902 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Bundesminister ErhardDie Bundesregierung ist bemüht, die Arbeiten an dem Entwurf beschleunigt fortzusetzen und ihn noch in dieser Legislaturperiode dem Bundestag zuzuleiten.
Herr Abgeordneter Hammersen zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, werden die Waffengesetze auch in der Richtung verschärft werden können, daß infolge der erheblichen technischen Verbesserungen, von denen Sie eben schon sprachen, möglicherweise auch Kleinkalibergewehre in die Gruppe der waffenscheinpflichtigen Gewehre einbezogen werden?
Herr Abgeordneter, hier handelt es sich um eine Frage, die in die Zuständigkeit der Länder fällt. Nach der gegenwärtigen Regelung unterliegen Luftdruckwaffen in allen Bundesländern mit Ausnahme Bayerns nicht der Waffenscheinpflicht. Sie können also ohne behördliche Erlaubnis geführt werden. Das Land Bayern hat im Jahre 1951 für die Luftdruckwaffen die Waffenscheinpflicht eingeführt. Die übrigen Länder prüfen zur Zeit die Frage, ob es nicht doch aus Sicherheitsgründen erforderlich ist, die Waffenscheinpflicht für diese Waffen einzuführen.
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Wir kommen zu der Frage des Abgeordneten Jahn aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz, Frage VIII/4:
Was hat die Bundesregierung über die angebliche Entführung des französischen Staatsangehörigen Argoud aus München und seine gewaltsame Verschleppung nach Paris festgestellt?
Bitte, Herr Minister!
Ich beantworte die Frage des Abgeordneten Jahn wie folgt.
Die Bundesregierung hat unmittelbar nach Bekanntwerden ,der ersten Mitteilungen über eine angebliche Entführung Argouds aus München das Bayerische Staatsministerium der Justiz um Unterrichtung gebeten. Über den Stand des Ermittlungsverfahrens, das der Oberstaatsanwalt beim Landgericht München I eingeleitet hat, ist mir inhaltlich folgendes mitgeteilt worden.
Am 25. Februar traf, mit dem Flugzeug aus Rom kommend, ein Mann in München ein und mietete das Zimmer 435 im Hotel „Eden-Wolff". In den Meldezettel trug er sich mit dem Namen Cinel ein. Er begab sich auf sein Zimmer, stellte seinen Koffer dort ab und versteckte seine Reisetasche im Bett. Kurz darauf verließ er das Hotel. Um 23 Uhr kehrte er in das Hotel „Eden-Wolff" zurück. Ihm folgten unmittelbar zwei Männer, die ihn vor dem Aufzug einholten. Sie wechselten ein paar Worte mit dem angeblichen Cinel und verließen dann mit ihm, ohne daß Anzeichen von Gewaltanwendungen sichtbar geworden wären, das Hotel. Der Vorfall dauerte kaum mehr als 20 bis 30 Sekunden. Draußen sollen zwei weitere Männer zu der Gruppe getreten sein, die sodann mit einem dunklen Pkw davonfuhr.
Nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen ist als sicher anzusehen, daß Cinel mit Argoud personengleich ist. In der Hotelhalle befanden sich zur fraglichen Zeit vier Personen, darunter die in der Presse bereits erwähnten zwei Schweizer Geistlichen. Eine dieser Personen machte den Hotelportier auf den Vorgang aufmerksam. Dieser maß der Mitteilung jedoch keine Bedeutung bei und sah deshalb davon ab, die Hotelleitung oder die Polizei zu unterrichten.
Die Polizei erfuhr dann erst aus den Abendausgaben der Tageszeitungen vom 27. Februar, also des übernächsten Tages, davon, daß ein Mann namens Argoud entführt worden sei. Die sofort gebildete Sonderkommission der Münchener Kriminalpolizei überprüfte noch am gleichen Abend über 140 Beherbergungsgaststätten im Zentrum Münchens, u. a. auch das Hotel „Eden-Wolff", ohne daß ihr Auffälliges gemeldet wurde. Nach Angaben der überprüften Beherbergungsstätten wurde kein Gast vermißt, kein zurückgebliebenes Gepäck gefunden, keine Hotelrechnung unbezahlt gelassen und kein Zimmerschlüssel vermißt. Erst am 1. März teilte das Hotel „Eden-Wolff" mit, daß im Zimmer 435 ein Lederkoffer und eine Reisetasche vorgefunden worden seien, die offenbar dem Gast des Zimmers gehörten, der der Hotelleitung im Faschingstrubel aus den Augen gekommen sei.
Die Annahme, daß der eingangs erwähnte Cinel mit dem entführten Argoud personengleich ist, gründet sich in erster Linie auf einen Handschriftenvergleich. Danach hat sich ergeben, daß die vorgefundenen Aufzeichnungen, unter anderem eine Unterschrift mit dem Namen Argoud, und die Eintragungen des angeblichen Cinel auf dem Hotelmeldezettel mit einer von den französischen Militärbehörden in Baden-Baden zur Verfügung gestellten Schriftprobe Argouds übereinstimmen.
Es wurden die Namen mehrerer Personen ermittelt, die dringend verdächtig sind, an der Entführung beteiligt zu sein. Möglicherweise handelt es sich hier aber um Decknamen. Es liegen jedoch Personenbeschreibungen vor. Die Fahndung nach den Verdächtigen ist aufgenommen. Die Ermittlungen dauern an. Im Interesse des Erfolges dieser Ermittlungen bin ich zur Zeit nicht in der Lage, weitere Angaben hierüber zu machen. Ich bin bereit, nach weiteren Fortschritten der Ermittlungen zu dem gegebenen Zeitpunkt den zuständigen Ausschuß des Bundestages in vertraulicher Sitzung noch weiter zu unterrichten.
Eine Zusatzfrage? — Herr Abgeordneter Jahn.
Herr Bundesjustizminister, sind Sie der Meinung, daß ohne Rücksicht auf die Frage, wer an dieser Handlung — um es sehr neutral auszudrücken — beteiligt gewesen ist, schon nach den
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2903
Jahnbisherigen Ermittlungen offenbar feststeht, daß es sich hier in jedem Fall um eine strafbare Handlung handeln muß?
Ja, ich bin dieser Ansicht.
Hat die Bundesregierung gegebenenfalls ins Auge gefaßt, von der französischen Regierung die Rückführung des Obersten Argoud in die Bundesrepublik zu fordern?
Ob das zu fordern ist, kann naturgemäß erst ins Auge gefaßt werden, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind.
Herr Professor Dr. Schmid zu einer Zusatzfrage.
Ist Ihnen bekannt, Herr Minister, daß sogar im „Dritten Reich" Personen, die von Gestapo-Agenten über den Schlagbaum gelockt und dann verhaftet wurden, an die Schweiz zurückgegeben worden sind — der Fall Jacob?
Das ist mir nicht bekannt, aber ich nehme es zur Kenntnis.
Herr Abgeordneter Ritzel zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, sind auch die Grenzstellen des Bundesgrenzschutzes befragt worden darüber, ob ihnen nicht der Transport eines Mannes aufgefallen ist, der ja offensichtlich nicht ganz freiwillig nach Frankreich gegangen ist?
Ich bin sicher, daß diese Grenzstellen befragt worden sind. Ich glaube aber nicht, daß auf diese Weise viel zu ermitteln ist, da ja besondere Bestimmungen über den Grenzverkehr Alliierter bestehen.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Ritzel.
Immerhin steht doch fest — das ist Anlaß für meine zweite Frage —, daß der betreffende Herr Argoud in Frankreich in gefesseltem und geknebeltem Zustand in einem Auto gefunden wurde, so daß anzunehmen ist, daß er auch nicht irgendwie als freier Bürger über die Grenze gebracht wurde und daß der Bundesgrenzschutz Gelegenheit gehabt hätte, festzustellen, ob hier jemand unter Ausschluß seiner freien Willensbestimmung über die Grenze gebracht wird. Ich frage, ob darüber Erkundigungen eingezogen sind, und wenn nein, ob Sie bereit sind, Herr Minister, das zu veranlassen und dem Hause darüber zu berichten.
Ich bin gerne bereit, das zu veranlassen. Aber, Herr Kollege Ritzel, ich kann mir durchaus vorstellen, daß ein Fahrzeug mit einem solchen Transportgegenstand — wenn ich mich so ausdrücken darf — völlig unbemerkt über die Grenze kommt; denn es findet ja ganz allgemein keine Kontrolle der aus dem eigenen Land ausreisenden Fahrzeuge statt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer.
Herr Minister, welchen Unterschied sehen Sie zwischen dem Menschenraub, der dutzendfach von bolschewistischen Stellen im Bundesgebiet und in Berlin verübt worden ist, und diesem Fall Argoud?
Ich glaube, der Unterschied liegt schon in der verschiedenen Formulierung der darauf zutreffenden Straftatbestände. Wir haben ja drei Straftatbestände: Menschenraub, Verschleppung und Freiheitsberaubung. Der Tatbestand, der auf den Menschenraub sowjetzonaler Stellen zutrifft, ist die Verschleppung, ein ganz präzise darauf zugespitzter Tatbestand. Also ich glaube, daß dieser Unterschied auch hier zu machen ist.
Abgeordneter Dr. Mommer, eine weitere Frage.
Herr Minister, was verspricht sich die Bundesregierung von dem de GaulleAdenauer-Vertrag,
wenn gleichzeitig mit der Unterzeichnung dieses Vertrages
uns das Veto zu dem größeren Europa ins Gesicht geschleudert wurde und so kurz darauf französische Staatsorgane auf unserem Gebiet solche Aktionen vornehmen?
Ob es französische Staatsorgane waren, steht bis jetzt noch nicht fest.
Bitte, Herr Abgeordneter Wittrock, zu einer Zusatzfrage!
Herr Minister, treffen die in der Presse gelegentlich geäußerten Behauptungen zu, daß die Bestimmungen über internationalen Rechtshilfeverkehr und Auslieferung dann nicht gelten, wenn es sich um einen geflüchteten Angehörigen der Stationierungsmächte handelt, und trifft es zu, daß es hierüber ganz bestimmte vertragliche Abmachungen gibt?
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2904 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Es trifft zu, daß der Truppenvertrag den Behörden der Streitkräfte auch auf dem Gebiete der Strafgerichtsbarkeit gewisse Rechte gegenüber ihren Soldaten gibt, die sich in der Bundesrepublik aufhalten. Ob diese Rechte in diesem Falle vorhanden waren, ist eine sehr schwer zu entscheidende Frage; sie hängt unter anderem davon ab, ob Argoud im Zeitpunkt der Entführung Soldat war.
Herr Professor Schmid, zu einer zweiten Frage!
Herr Minister, halten Sie es mit der Selbstachtung, die sich ein souveräner Staat schuldet, für vereinbar, solche Dinge, d. h. Verletzungen seines Hoheitsgebiets, auf sich beruhen zu lassen?
Nein, der Ansicht ist die Bundesregierung nicht; denn die Art und Weise, wie hier — von wem auch immer — verfahren wurde, kann keineswegs gebilligt werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ertl.
Herr Minister, was ist der Bundesregierung über die Umtriebe der OAS in der Bundesrepublik bekannt, und was gedenkt sie dagegen zu unternehmen?
Aus dem Geschäftsbereich des Bundesjustizministeriums kann ich Ihnen dazu folgendes mitteilen.
Bereits Anfang 1962 hat der Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Geheimbündelei und anderer Straftaten eingeleitet. Dieses Verfahren war ausgelöst worden durch zahlreiche an Zeitungsredaktionen gerichtete Drohbriefe, die mit dem Namen „Organisation de l'Armée Secrète", also OAS, gezeichnet waren. Die Täter konnten bisher nicht ermittelt werden. Das Verfahren erstreckte sich auch noch auf weitere Vorgänge. So wurde z. B. im Frühjahr 1962 von privater Seite Mitteilung gemacht, daß die OAS ein Sprengstoffattentat in einer norddeutschen Stadt plane.
Nach alledem lagen Anhaltspunkte für den Verdacht vor, daß innerhalb der Bundesrepublik eine Organisation der OAS bestehe, die als Geheimbund bzw. als kriminelle Vereinigung im Sinne der §§ 128 ff. des Strafgesetzbuches anzusehen wäre. Die Ermittlungen des Generalbundesanwalts konnten noch nicht abgeschlossen werden, weil ein größerer Personenkreis überprüft und umfangreiches Material ausgewertet werden muß.
Der Generalbundesanwalt hat nunmehr einen Bundesanwalt nach München entsandt, um sich über die dort angefallenen oder nach anfallenden Erkenntnisse zu informieren, soweit sie für sein Verfahren
von Bedeutung sein können. Er wird prüfen, ob Anlaß besteht, das wegen der angeblichen Umtriebe der OAS in der Bundesrepublik geführte Ermittlungsverfahren auf die Münchener Vorgänge zu erstrecken.
Außerdem haben sich auf Veranlassung des Generalbundesanwalts zwei Kriminalbeamte der Sicherungsgruppe ides Bundeskriminalamtes, die bisher mit den Ermittlungen wegen der Umtriebe der OAS befaßt waren, nach München begeben.
Keine weiteren Fragen. — Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen, zunächst zu der Frage IX/7 — des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja —:
Beabsichtigt die Bundesregierung, Verhandlungen wegen der wiederholt angekündigten Beschleunigung der Abwicklung des Lastenausgleichs auch durch Barzahlungen mit den Ländern aufzunehmen, die — abgesehen von den Lastenausgleichsabgaben — den überwiegenden Anteil des Aufkommens der öffentlichen Hand für den LAG-Fonds tragen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich nehme an, Herr Abgeordneter, daß sich Ihre Frage auf die Darlehensverpflichtungen bezieht, welche die Länder aus der Gemeinschaftshilfe nach dem Soforthilfegesetz, aus der Wohnraumhilfe und der landwirtschaftlichen Eingliederung der Geschädigten gegenüber dem Ausgleichsfonds haben. Die Summe dieser Verpflichtungen beträgt zur Zeit etwa 5,1 Milliarden DM. Die Länder haben diese Darlehen nach § 348 des Lastenausgleichsgesetzes zu einem Teil durch Verrechnung mit Zuschußleistungen nach § 6 des Lastenausgleichsgesetzes, im übrigen aber in Teilbeträgen bis zum Jahre 1982 zu tilgen.
Die Frage, ob zur rascheren Abwicklung des Lastenausgleichs die Tilgungsleistungen teilweise vorgezogen werden können, war bereits mehrfach Gegenstand von Erörterungen. Eine Änderung der gesetzlichen Regelung setzt aber die Zustimmung ides Bundesrates voraus. Die Bundesregierung wird die Angelegenheit zu gegebener Zeit weiter verfolgen.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Czaja?
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß der Landtag Baden-Württembergs einstimmig beschlossen hat, seine Regierung aufzufordern, solche Verhandlungen bezüglich der Raffung der öffentlichen Abgaben für den Lastenausgleichsfonds positiv zu bewerten und in solche Verhandlungen einzutreten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das ist mir bekannt. Aber die anderen Länder sind diesem Beispiel bisher nicht gefolgt. Ich glaube auch nicht, daß im gegenwärtigen Augenblick eine größere Bereitschaft bei der Mehrheit der Länder vorhanden ist.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2905
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Czaja.
Würden Sie aber die Geneigtheit einzelner Länder dazu benutzen, diese Verhandlungen intensivieren zu lassen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe vorhin gesagt, Herr Abgeordneter: zu gegebener Zeit. Ich halte den gegenwärtigen Augenblick für nicht geeignet, nämlich deswegen, weil Bund und Länder zur Zeit wegen einer Neuverteilung des Steueraufkommens im Gespräch sind.
Wir kommen zur Frage IX/8 — des Herrn Abgeordneten Vogt —:
Welche Praxis wird hinsichtlich der Veröffentlichung von Urteilen des BFH geübt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Entscheidung über die amtliche Veröffentlichung von Urteilen des Bundesfinanzhofs liegt allein beim erkennenden Senat dieses Gerichts. Das Bundesfinanzministerium wirkt dabei nicht mit. Im amtlichen Veröffentlichungsorgan, dem Bundessteuerblatt Teil III, und in der amtlichen Sammlung werden solche Urteile, Beschlüsse usw. veröffentlicht, die nach der Auffassung des erkennenden Senats entweder von grundsätzlicher Bedeutung — das sind die sogenannten S-Urteile — oder aber, auch wenn sie keine grundsätzliche Bedeutung haben, von allgemeinem Interesse sind, die sogenannten U-Urteile. Es werden insgesamt etwa 20 v. H. der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs als S- oder U-Urteile amtlich veröffentlicht. Das ist ein Vomhundertsatz, der etwa der Veröffentlichungspraxis der anderen oberen Bundesgerichte entspricht.
Im allgemeinen werden insbesondere solche Entscheidungen nicht veröffentlicht — das sind die sogenannten KU-Urteile —, welche die Rechtssätze von früher veröffentlichten Entscheidungen lediglich bestätigen oder aber einen nicht typischen Sonderfall, weit zurückliegende Sachverhalte oder sogenanntes „abgestorbenes Recht" betreffen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogt? — Dann kommen wir zur Frage IX/9 — des Herrn Abgeordneten Vogt —:
Warum ist das BFH-Urteil vom 6. März 1953 — III 13/52 —nicht veröffentlicht worden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Da, wie eben erwähnt, das Bundesfinanzministerium über die amtliche Veröffentlichung der BFH-Urteile nicht zu entscheiden hat, vermag ich die Frage, warum das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 6. März 1953 nicht amtlich veröffentlicht worden ist, nicht zu beantworten. Eine offizielle Rückfrage beim Bundesfinanzhof scheint mir im Hinblick darauf, daß die Entscheidung bereits 10 Jahre zurückliegt, aussichtslos zu sein. Es besteht aber Grund zu der Vermutung, daß die Veröffentlichung deshalb unterblieben ist, weil das
Urteil die frühere Rechtsprechung lediglich bestätigt hat und nach dem, was ich vorhin ausgeführt habe, in solchen Fällen eine Veröffentlichung grundsätzlich nicht erfolgt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogt.
Ist Ihnen, Herr Staatssekretär, oder Ihrem Hause bekannt, daß nach Bekanntwerden des Urteils — das war immerhin im Jahre 1960
— etliche Gemeinden eine Berichtigung der Einheitswertfeststellung bei den zuständigen Finanzämtern oder den Oberfinanzdirektionen beantragt haben und mit Ausnahme einer einzigen Kommune
— das ist die Gemeinde Pappenheim —, deren Antrag vom zuständigen Finanzamt Weißenburg positiv beschieden worden ist, natürlich abgewiesen worden sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Durchführung der Steuergesetze liegt bekanntlich nicht in der Hand des Bundes, sondern in der Hand der Länder. Über die einzelnen konkreten Fälle dieser Art kann ich deshalb hier leider nichts sagen, also auch nicht zu dem Pappenheimer Fall.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Vogt.
Würden Sie bitte, Herr Staatssekretär, zur Kenntnis nehmen, daß durch eine solche — wenn ich mir das zu sagen erlauben darf — Praxis immerhin einige Beunruhigung bei den betroffenen Gemeinden ausgelöst worden ist, die durch eine für sie nachteilige Auslegung durch die Finanzbehörden geschädigt worden sind!
Das ist keine Frage, Herr Abgeordneter Vogt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich nehme das gern zur Kenntnis. Es wird noch in der nächsten Antwort gesagt werden, wie wir uns die Regelung denken. Aber ich würde doch empfehlen, sich wegen der Fälle, die zu einer Beunruhigung geführt haben, an die bayerische Regierung, an das bayerische Finanzministerium zu wenden.
Frage IX/10 — des Herrn Abgeordneten Vogt —:
Welche Meinung vertritt die Bundesregierung hinsichtlich der Wirkung des BFH-Urteils vom 6. März 1953 — III 13/52 — auf vorher bereits rechtskräftige Einheitswertfeststellungen oder Veranlagungen zur Vermögensabgabe, denen eine von dieser höchstrichterlichen Entscheidung abweichende Rechtsauffassung der Verwaltung zugrunde liegt, die zum Nachteil der Veranlagten — insbesondere Städte und Gemeinden — praktiziert wurde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In dem Steuerstreitverfahren, das diesem Urteil zugrunde liegt, hatten die Vorinstanzen bei der Bewertung des landwirtschaftlichen Betriebs einen Abschlag wegen fehlender Wohngebäude von
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2906 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Staatssekretär Grund20 v. H. berücksichtigt. Der Bundesfinanzhof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung und anderweitigen Entscheidung an das Finanzgericht zurückverwiesen, und zwar mit der Begründung, der Abschlag von 20 v. H. gelte nur im Regelfall; gegebenenfalls sei sogar ein weiterer Abschlag wegen der Nichtzugehörigkeit von Wirtschaftsgebäuden zu der wirtschaftlichen Einheit des landwirtschaftlichen Betriebs oder wegen des schlechten Zustands der Wirtschaftsgebäude vorzunehmen.Soweit dem Bundesfinanzministerium bekannt, wird der vom Bundesfinanzhof vertretene Rechtsstandpunkt auch in der Verwaltungspraxis der Länder befolgt. Unter diesen Umständen würden Folgerungen allgemeiner Art aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs nicht zu ziehen sein.Sollte aber — und das klang ja bei Ihrer Zusatzfrage durch, Herr Abgeordneter — von den Finanzbehörden der Länder in einzelnen Fällen eine abweichende Entscheidung getroffen und rechtskräftig geworden sein, so kann die fehlerhafte Bewertung unter bestimmten Voraussetzungen entweder durch eine Wertfortschreibung oder nach Maßgabe von § 222 Abs. 1 Ziff. 4 der Reichsabgabenordnung durch eine Berichtigungsfeststellung korrigiert werden.Wird der Einheitswert auf den 21. Juni 1948 durch eine solche Wertfortschreibung oder durch eine solche Berichtigung nach § 222 geändert, so wird die auf ihm beruhende Veranlagung zur Vermögensabgabe ebenfalls geändert. Das ergibt sich aus § 218 der Reichsabgabenordnung.
Eine Zusatzfrage.
Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Staatssekretär, daß ein solches Verfahren dann für alle Gemeinden, die nachträglich eine Wertfortschreibung beantragen, Geltung hab en würde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, aber unter den Voraussetzungen, die im Bewertungsgesetz dafür genannt sind. Es sind gewisse Grenzen einzuhalten, und zwar Abweichungen nach oben und nach unten.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung.
Fragen X/1 bis X/3 — des Abgeordneten Dr. Wuermeling —:
Entspricht es den Richtlinien der Politik der Bundesregierung, daß der Anteil der Familien mit Kindern am Sozialprodukt in den letzten Jahren offensichtlich immer mehr zugunsten des Anteils der Alleinstehenden und kinderlosen Verheirateten geschmälert wurde?
Will die Bundesregierung darauf bestehen, daß der wachsende wirtschaftliche Rückstand der Familien mit Kindern noch durch zusätzliche Sonderbelastungen gerade dieser Familien bei der Krankenversicherungsreform vergrößert wird?
Ist die Bundesregierung bereit, gegenüber neuen Forderungen von Interessentengruppen, die bereits durch Gewährung von Überbrückungszahlungen bevorzugt wurden, den vom stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion der CDU/CSU Abg. Schmükker im Plenum am 7. Februar vertretenen Standpunkt durchzuhalten, daß jetzt zunächst einmal familienpolitisch vorgegangen und auf anderes verzichtet werden müsse, um wahrhaftig zu bleiben?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antworten des Herrn Bundesministers Blank vom 5. März 1963 lauten:
Frage 1:
Wenn der Anteil der Familien mit Kindern am Sozialprodukt seit der letzten Erhöhung des Kindergeldes im Jahre 1959 eine rückläufige Tendenz zeigt, so ist das nicht das Ergebnis der Familienpolitik der Bundesregierung, sondern eine Folge der Lohnerhöhungen. Da diese das Kindergeld nicht berühren, erhöht sich durch sie das Bruttoeinkommen der Personen, die kein Kindergeld beziehen, prozentual stärker als das Bruttoeinkommen der Personen mit Anspruch auf Kindergeld. Das gilt jedoch nicht in dem gleichen Maße für die prozentuale Steigerung der Nettoeinkommen; die Kinderfreibeträge wirken sich vielmehr im mittleren Einkommensbereich dahin aus, daß Lohnerhöhungen bei Familien mit mehreren Kindern zu einer dem Betrage nach stärkeren Erhöhung des Nettoeinkommens führen als bei Ledigen. Das läßt der Aufsatz im „Rheinischen Merkur" vom 25. 1. 1963 unberücksichtigt. Einer Abnahme des Anteils der Familien mit Kindern am Sozialprodukt wird — abgesehen von den Kinderfreibeträgen — auch die in dem Regierungsentwurf eines Bundeskindergeldgesetzes vorgesehene Erhöhung des Kindergeldes für die dritten und weiteren Kinder entgegenwirken.
Frage 2:
Der Regierungsentwurf eines Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetzes enthält keine zusätzlichen Sonderbelastungen für Familien mit Kindern. Die vorgesehenen Maßnahmen der Neuregelung gelten für alle Versicherten gleichmäßig. Besonderen Wert hat die Bundesregierung auf die Verbesserung der Leistungen gelegt, die den Versicherten mit Familienangehörigen zugute kommen . Auch bei der Einführung der Selbstbeteiligung in der gesetzlichen Krankenversicherung wird auf die Belange der kinderreichen Familien hinreichend Rücksicht genommen. So wird die Häufung von Krankheiten in der Familie als ein Härtefall angesehen, der zur Befreiung von der Zuzahlung bei Arznei-,
Verband- und Heilmitteln sowie bei Krankenhauspflege führen kann. Von der Selbstbeteiligung bei Krankenhauspflege sind die Familienangehörigen ausdrücklich ausgenommen. Schließlich werden Kosten der ärztlichen Behandlung im Rahmen der Mutterschaftshilfe von der Anrechnung auf den besonderen Beitrag ausgenommen. Bei der Zahlung des besonderen Beitrages in Höhe von 2 v. H. des beitragspflichtigen Entgelts wird, wie bei dem allgemeinen Beitrag, kein Unterschied zwischen Versicherten mit und ohne Familienangehörigen gemacht. Bei gleichem Einkommen zahlen sie den gleichen Betrag. Es ist zwar zuzugeben, daß der Versicherte ohne Angehörige meist mit einer höheren Rückerstattung rechnen kann. Dafür zahlt er aber im Verhältnis zu seinem Leistungsanspruch einen weit höheren allgemeinen Beitrag als der Versicherte mit Familie. Die gesetzliche Krankenversicherung bleibt auch nach ihrer Neuordnung die Einrichtung mit dem denkbar besten Familienlastenausgleich. Dieser Lastenausgleich darf aber nicht dazu führen, daß der Grundsatz der versicherungsrechtlichen Gleichbehandlung verletzt wird. Soweit zusätzliche familienpolitische Maßnahmen erforderlich sind, müssen sie daher auf andere Weise getroffen werden.
Frage 3:
Die Bundesregierung hat durch die Vorlage des Entwurfs eines Bundeskindergeldgesetzes zu erkennen gegeben, daß sie eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der kinderreichen Familien für notwendig hält. An dieser Auffassung wird sie auch dann festhalten, wenn es sich als notwendig erweisen sollte, andere Sozialleistungen ebenfalls zu verbessern.
Frage X/4 — der Abgeordneten Frau Schanzenbach —:
Trifft es zu, daß die Arbeitsverwaltung es ablehnt, Ausbildungsbeihilfen für soziale und pflegerische Berufe zur Verfügung zu stellen?
Ich darf die Frage wie folgt beantworten:Die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung gewährt Ausbildungsbeihilfen nach Maßgabe der einschlägigen Vorschriften des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung und der hierzu ergangenen Richtlinien des Verwaltungsrats der Bun-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2907
Bundesminister Blankdesanstalt. Hiernach wird in der Regel die Ausbildung in anerkannten Lehr- und Anlernberufen gefördert. In besonderen Fällen kann auch für die Ausbildung in bestimmten sozialen Berufen eine Ausbildungsbeihilfe gewährt werden, z. B. wenn sie wegen der besonderen Eignung des Jugendlichen oder aus sonstigen Gründen wünschenswert erscheint oder der Träger der Sozialhilfe eine Ausbildungshilfe versagt, weil die Voraussetzungen nach § 32 des Bundessozialhilfegesetzes nicht erfüllt sind.Zur Zeit sind folgende soziale Berufe für die Förderung zugelassen: Krankenpfleger, Krankenschwester, Kinderkrankenschwester, Sozialarbeiter-, Kindergärtner(in), Gemeindehelfer(in), Heimerzieher(in), Familienpflegerin, Beschäftigungstherapeut (in).Die Ausbildung der Familienpflegerin, die auch als Hauspflegerin, Hausschwester oder Dorfhelferin bezeichnet wird, kann nur gefördert werden, wenn sich der Ausbildungszeitraum über wenigstens ein Jahr erstreckt.
Bitte, Frau Schanzenbach, eine Zusatzfrage!
Herr Minister, ist anzunehmen, daß die Arbeitsverwaltung darauf auch hinweist, damit diese Berufe ergriffen werden, die ja in der heutigen Zeit in hohem Maße Mangelberufe sind?
Ja. Ich will mich auch noch einmal mit der Bundesanstalt ins Benehmen setzen, damit hier ein besonderer Hinweis erfolgt. Denn ich sehe ein: Ihr Anliegen ist vollauf gerechtfertigt.
Ich rufe auf die Frage X/5 — der Frau Abgeordneten Schanzenbach —:
In wieviel Fällen sind in den letzten zwei Jahren für entlassene Schülerinnen der Volksschule die Kosten im Zusammenhang mit der Ableistung eines Haushaltsvolljahres von der Arbeitsverwaltung übernommen worden?
Bitte, Herr Minister!
Der Begriff „Haushaltsvolljahr" ist als solcher nicht geläufig. Ich habe angenommen, daß Sie damit folgende Möglichkeiten meinen.
Erstens: die Teilnahme an Grundlehrgängen für Hauswirtschaft. Hierfür werden Ausbildungsbeihilfen aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung gewährt. Die Zahl der Förderungsfälle kann ich Ihnen leider nicht nennen, da diese für den Besuch von Grundlehrgängen nicht ausgezählt werden. Ich glaube, das ist ein Mangel; aber es ist so, Frau Schanzenbach.
Zweitens: die einjährige Ausbildung in einem anerkannten Lehrhaushalt nach dem einjährigen Besuch einer Haushaltungsschule. Für die Ausbildung im Lehrhaushalt können Berufsausbildungsbeihilfen gewährt werden. Diese Förderungsfälle werden ebenfalls nicht gesondert ausgezählt; ihre Zahl dürfte gering sein, weil durch die Gewährung von Sachbezügen und durch das Lehrlingsentgelt die Kosten für den Lebensunterhalt während der Ausbildung in der Regel gedeckt sind.
Drittens: die fachliche und praktische einjährige Ausbildung in einem Haushalt, die Voraussetzung für den Besuch bestimmter Fachschulen ist. Auch diese Ausbildung fördert die Bundesanstalt. Die hierfür gewährten Berufsausbildungsbeihilfen werden ebenfalls nicht gesondert ausgezählt. Ich weiß, daß das ein Mangel ist.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schanzenbach!
Ich meinte mit meiner Frage im besonderen die Grundausbildungslehrgänge für Hauswirtschaft. Da ich weiß, daß die Arbeitsverwaltungen in den letzten Jahren nur wenige Mädchen in diese Ausbildungslehrgänge eingewiesen haben, möchte ich jetzt die Frage stellen, ob Sie der Meinung sind, daß auch heute, obwohl viele Lehrstellen angeboten werden, die noch nicht ganz berufsfähigen Mädchen, die 14- und 15jährigen, von den Arbeitsverwaltungen auf die Möglichkeit hingewiesen werden sollen, diese Ausbildungslehrgänge für Hauswirtschaft zu besuchen.
Ich bin Ihrer Meinung, Frau Schanzenbach, möchte Sie aber dennoch bitten — ich bitte um Entschuldigung, wenn dies den Rahmen der Fragestunde etwas sprengt —, daß wir uns einmal zusammensetzen, um den Komplex gemeinsam zu besprechen und einmal gemeinsam zu überlegen, in welchem Sinne man diese Dinge aktivieren kann.
Ich rufe auf die Frage X/6 — des Herrn Abgeordneten Fritsch —:
Billigt die Bundesregierung die Auflösung zahlreicher Melde-und Zahlstellen für Arbeitslose im Bayerischen Wald durch die Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung?
Bitte, Herr Minister!
Es ist Sache der Direktoren der Arbeitsämter, in ihren Arbeitsamtsbezirken je nach Bedarf Melde-und Zahlstellen, also Auszahlungsstellen, einzurichten. Der Präsident der Bundesanstalt hat mir auf Anfrage am 1. März 1963 mitgeteilt, daß den Dienststellen der Bundesanstalt von einer Auflösung von Melde- und Zahlstellen für Arbeitslose im Bayerischen Wald nichts bekannt sei.
Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Fritsch!
Herr Minister, ungeachtet dieser Ihnen erteilten Auskunft: Ist Ihnen nicht bekannt, daß im Bayerischen Wald seit Jahren bereits diese Zusammenlegung von Zahl- und Meldestellen und deren Auflösung in den Kreisen der von Arbeits-
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2908 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Fritschlosigkeit betroffenen Mitmenschen heftige Empörung ausgelöst haben und daß insoweit die Auskunft des Herrn Präsidenten der Bundesanstalt nicht ganz den Verhältnissen entsprechen kann?
Das ist mir nicht bekannt. Ich weiß, daß die Neuordnung der Arbeitsamtsbezirke usw., die gegenwärtig in diesem Raum vorgenommen wird, selbstverständlich — wie es immer bei solchen Maßnahmen ist — die unterschiedlichste Beurteilung findet. Aber hier bei den sogenannten Melde-und Zahlstellen ist es ja, wie ich eben sagte, in das Belieben der Direktoren der Arbeitsämter gestellt, ob und wann und wo solche errichtet werden; und da ist von einer Schließung nichts bekannt.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Fritsch!
Herr Minister, würden Sie nicht ungeachtet dessen an den Herrn Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung mit dem Ziele herantreten, zukünftig die Schließung von Melde- und Zahlstellen auf Kosten der Arbeitslosen einzuschränken oder ganz zu unterbinden?
Eine derartige Weisung dem Präsidenten zu erteilen, bin ich nicht befugt.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Ich rufe auf die Frage XI/1 — des Herrn Abgeordneten Dr. Rinderspacher —:
Hat die Bundesregierung die Erfahrungen der Straßenbehörden in den USA mit Maschendrahtzäunen geprüft und ist sie bei positiver Beurteilung bereit, auch in der Bundesrepublik anstatt der Leitplanken diese Maschendrahtzäune einzuführen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Maschendrahtzäune als Sicherheitseinrichtungen auf dem Mittelstreifen von Autobahnen sind in den Vereinigten Staaten nach unserer Kenntnis in erster Linie von der Straßenbauverwaltung des Staates Kalifornien aufgestellt worden. Nach den vorliegenden Berichten vom Jahre 1962 werden dort jedoch auch weiterhin Leitplanken gebaut, wobei für beide Bauweisen weitere Verbesserungen gesucht werden. Es sind im Zuge der dortigen Autobahnen mehrere Teststrecken von 4 bis 7 km Länge für Maschendrahtzäune und Leitplanken eingerichtet worden, auf denen Zahl und Art der Unfälle, die Beschädigungen der Fahrzeuge sowie die Bau- und Reparaturkosten festgestellt werden. Außerdem werden auf besonderen Prüffeldern Anfahrversuche mit Personenkraftwagen durchgeführt, um die Wirkungsweise dieser Sicherheitseinrichtungen im einzelnen zu studieren.
Die Anfahrversuche ergaben bei Maschendrahtzäunen geringere Stoßwirkungen auf die Fahrzeuge
als bei Leitplanken. Entgegen der Erwartung zeigte jedoch die Erfahrung eines Jahres auf den Teststrecken an den Autobahnen — ich zitiere aus dem Bericht — „nicht eindeutig, daß Kollisionen mit Maschendrahtzäunen weniger schwer sind als mit Leitplanken". Es ergab sich weiterhin, daß die Reparaturkosten an den Maschendrahtzäunen 2,9 mal höher waren als bei den Leitplanken. Dagegen waren die Beschaffungskosten für die Maschendrahtzäune wesentlich niedriger. Diese Zäune bedürfen jedoch einer Verstärkung im Hinblick auf Kollisionen mit Lastkraftfahrzeugen. An unseren Autobahnen mit ihren hohen Verkehrszahlen an Lastzügen und Sattelaufliegern muß dieser Umstand bei der weiteren Prüfung besonders berücksichtigt werden.
Das Kuratorium „Wir und die Straße", das in Sindelfingen Anfahrversuche an Leitplanken durchführen läßt, beabsichtigt, Maschendrahtzäune in diese Untersuchungen einzubeziehen. Bei günstigen Ergebnissen würde dann zunächst die praktische Erprobung eines geeigneten Maschendrahtzauns auf einer Prüfstrecke an der Autobahn in Betracht zu ziehen sein. Dabei ist anzustreben, daß die eingesetzten Maschendrahtzäune zugleich einen ausreichenden Blendschutz bewirken.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe auf die Frage XI/2 — des Herrn Abgeordneten Oetzel —:
Beabsichtigt die Bundesregierung für Öltransportwagen im Straßenverkehr und für die Fahrer derselben verschärfte Zulassungsbedingungen einzuführen, um die in letzter Zeit sich häufenden Unfälle und die damit sehr oft verbundenen Trinkwasserverschmutzungen weitmöglichst einzuschränken?
Ist Herr Abgeordneter Oetzel im Raum? — Wird er vertreten? — Das ist nicht der Fall. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage XI/3 — des Herrn Abgeordneten Stingl — auf:
Inwieweit treffen Berichte zu, daß die Flugpreise von und nach Berlin erhöht werden und daß verbilligte Hin- und Rückflüge künftig wegfallen sollen?
Wird Herr Abgeordneter Stingl vertreten? —
f Abg. Frau Dr. Maxsein: Ja, ich vertrete
Herrn Stingl!)
— Herr Abgeordneter Stingl wird durch Frau Dr. Maxsein vertreten.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auf Grund der Bestimmungen des Deutschlandvertrages haben drei alliierte Fluggesellschaften — eine amerikanische, eine englische und eine französische — das Monopol für den zivilen Luftverkehr zwischen der Bundesrepublik und Berlin. Die Aufsicht über den Luftverkehr zwischen der Bundesrepublik und Berlin steht nach dem Deutschlandvertrag den drei alliierten Mächten zu. Die Tarife für den zivilen Luftverkehr zwischen Berlin und Landepunkten im Bundesgebiet bestimmen die drei alliierten Mächte, die dazu ihre Luftfahrtattachés bevollmächtigen. Die Luftfahrtattachés der
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2909
Staatssekretär Dr. Seiermannamerikanischen, britischen und französischen Botschaft haben uns unterrichtet, daß nach eingehenden Verhandlungen, die seit Februar 1962 zwischen ihnen und den drei Luftfahrtgesellschaften, der British European Airways, der Pan American Airways und der Air France, geführt worden sind, diese drei Luftfahrtgesellschaften unter dem 20. Juni 1962 Vorschläge für eine Neugestaltung der Preise im zivilen Luftverkehr zwischen Berlin und Landepunkten im Bundesgebiet gemacht haben. Auf Grund der Absprachen zwischen der Bundesrepublik und den genannten drei Botschaften sollen vor Festsetzung neuer Luftverkehrstarife die Luftfahrtattachés mit der Luftfahrtabteilung des Bundesverkehrsministeriums Konsultationen pflegen. Zu diesen Konsultationen haben die drei Botschaften unter dem 30. Oktober 1962 eingeladen. Die Vorschläge, die Tarife zu erhöhen, sind dabei auf scharfe Ablehnung des Bundesministers für Verkehr, des Auswärtigen Amtes und des Senats von Berlin gesto-Ben. Es haben darüber im Wege der Konsultation eingehende Verhandlungen im Dezember vorigen Jahres und im Januar 1963 stattgefunden. In diesen Verhandlungen ist nur erreicht worden, daß die zunächst für den 1. Januar 1963, dann für den 1. Februar 1963 vorgesehene Erhöhung der Berlin-Tarife erst am 1. April 1963 in Kraft treten soll.Dagegen haben alle Proteste der bundesdeutschen und Berliner amtlichen Stellen gegen die Entscheidung der drei alliierten Luftfahrtattachés die Zustimmung zu einer gewissen Anhebung der Tarife für den zivilen Luftverkehr zwischen Berlin und dem Bundesgebiet nicht verhindern können. Jedoch konnten die Sätze verschiedentlich gegenüber den ursprünglichen Forderungen der drei Luftverkehrsgesellschaften herabgesetzt werden. Bei den Verhandlungen wurden die Luftfahrtattachés ausdrücklich darauf hingewiesen, daß eine Erhöhung der Zuschüsse zum Berlin-Verkehr wegen der beschränkten Finanzlage des Bundeshaushalts nicht möglich sein wird. Es treten daher im Luftverkehr mit Berlin am 1. April 1963 die neuen Tarife in Kraft, die im Ergebnis eine Erhöhung des seither vom Fluggast zu bezahlenden Rückflugpreises um 1 DM bis 22 DM bringt. Der Verkehr zwischen Berlin und Hamburg wird nur um 1 DM für Hin- und Rückflug, der Verkehr zwischen Berlin und Hannover um 6 DM für Hin- und Rückflug erhöht. Gleichzeitig tritt eine Senkung des Preises für Flüge in nur einer Richtung um 9 DM bis 29 DM in Kraft. Allerdings machen die Flüge in nur einer Richtung nur 10% des gesamten Luftverkehrsaufkommens aus. An der Tatsache, daß durch Bundeszuschüsse sämtliche Hin-und Rückflüge verbilligt werden, ändert sich nichts, jedoch bleiben die absoluten Sätze der Verbilligung die gleichen wie bisher. Die Versuche, die Tariferhöhung durch Anhebung der Subventionssätze des Berlin-Luftverkehrs auszugleichen, konnten leider bei der beschränkten Haushaltslage nicht zum Erfolg führen.
Eine Zusatzfrage, Frau Dr. Maxsein!
Ist die Bundesregierung bereit, nochmals in Verhandlungen mit den Fluggesellschaften einzutreten, um diesen bei der Preisfestsetzung zum Bewußtsein zu bringen, daß .die Flugzeuge von und nach Berlin durchschnittlich sehr gut, zumindest besser belegt sind als die Maschinen auf anderen Fluglinien, also ein gutes Geschäft dabei gemacht wird, daß ferner mindestens zum Teil — ich betone: zum Teil — zweitklassige, sehr überholungsbedürftige Maschinen im Berlin-Verkehr eingesetzt werden und daß schließlich der Service auf dieser Strecke in keinem Verhältnis zu dem steht, was auf anderen Fluglinien geboten wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, diese und noch viel mehr Argumente sind in aller Deutlichkeit bei den Konsultationen vorgetragen worden, aber leider ohne den von uns gewünschten Erfolg. Im übrigen haben wir keine Möglichkeit, mit den Fluggesellschaften zu verhandeln, da nach den erwähnten Bestimmungen Konsultationspartner für uns ausschließlich die Luftfahrtattachés sind.
Herr Abgeordneter Stingl zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung bei ihren Überlegungen mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß die Flugpreise von und nach Berlin eine eminent politische Bedeutung haben erstens für die Berliner selbst, die in großer Zahl für ihre Urlaubsreisen Flugzeuge benutzen müssen, und zweitens für die Besucher Berlins?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mit allem Nachdruck, Herr Abgeordneter!
Herr Staatssekretär, ist auch über die Wirtschaftlichkeit auf dieser Strecke eingehend gesprochen worden, oder hatten Sie überhaupt die Möglichkeit, über die Botschaft über die Wirtschaftlichkeit orientiert zu werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auch über die Frage der Wirtschaftlichkeit ist sehr eingehend gesprochen worden.
Frage XI/4 — des Herrn Abgeordneten Kubitza —:
Stimmen die Pressemeldungen, wonach sich die für 1965 in Aussicht genommene Fertigstellung der Autobahnstrecke Würzburg—Schweinfurth sowie die für 1966 vorgesehene Strecke Schweinfurth—Brückenau aus Mangel an Mitteln verzögert?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich muß Ihre Frage leider bejahen. Sie wissen, daß die Mittel für den Straßenbau auch auf dem Gebiet des Bundesautobahnbaues gekürzt worden sind. Dazu kommt die ganz neue Finanzierungslage, vor 'die uns die Auswirkungen dieses Winters, die noch gar nicht
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2910 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Staatssekretär Dr. Seiermannzu übersehen sind, hinsichtlich der Beseitigung der kleinen und großen Frostschäden stellen werden. Ich kann Sie aber insoweit beruhigen, als nach meinen eingehenden Feststellungen in unserem Hause die besondere Verkehrsbedeutung der Strecke, die Sie im Auge haben, auch von uns weiterhin bejaht und bei der Zuteilung der Mittel im Auge behalten wird.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, inwieweit ist die Prüfung der Frage gediehen, ob nicht in ähnlicher Weise wie früher eine Mittelbereitstellung über Öffa-Wechsel erfolgen könnte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage ist geprüft und wird weiter geprüft. Ich komme bei der Beantwortung einer anderen Frage darauf noch näher zurück.
Ich rufe auf die Frage XI/5 — des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer —:
Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, bei der Deutschen Bundesbahn anzuregen, daß die in den Bahnhöfen aushängenden Verzeichnisse über Ankunft und Abfahrt der Züge in Kleinformat gedruckt und den Interessierten als Werbeschrift oder gegen Entgelt zur Verfügung gestellt werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Dr. Mommer, ich bin gerne bereit, Ihre Anregung an die Deutsche Bundesbahn weiterzugeben. Ich darf aber darauf hinweisen, daß die Deutsche Bundesbahn der Anregung, die Ankunft- und Abfahrt-Pläne der Bahnhöfe an Interessenten abzugeben, schon seit längerer Zeit in großem Umfang nachkommt, da sie Abdrucke dieser Pläne in Originalgröße oder verkleinert an Hotels, Gaststätten und sonstige Interessenten auf Anforderung kostenlos abgibt. Eine Abgabe oder ein Verkauf an den Schaltern war allerdings bisher nicht üblich. Die Anregung wird aber sicher geprüft werden.
Wir kommen zur Frage XI/6 — des Herrn Abgeordneten Wittrock —:
Anerkennt die Bundesregierung die Notwendigkeit, durch eine Regelung in der Straßenveikehrs-Ordnung einheitlich und für das gesamte Bundesgebiet verbindlich ein amtliches Verkehrszeichen für ein besonderes Halteverbot an Feuerlöschhydranten zu schaffen, um so einen durch haltende Kraftfahrzeuge unbehinderten Einsatz der Feuerwehren zu gewährleisten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Hydranten befinden sich nur noch selten auf der Fahrbahn. Sie werden im allgemeinen als Unterflurhydranten auf den Gehwegen oder Seitenwegen angelegt.
§ 16 der Straßenverkehrs-Ordnung enthält bereits das Verbot, auf den Gehwegen Schachtdeckel und andere Verschlüsse zu befahren oder über ihnen zu parken, soweit das Parken auf den Bürgersteigen überhaupt erlaubt ist. Nach dem Ergebnis einer Rundfrage im vergangenen Jahr sind die obersten Landesbehörden der Ansicht, daß diese Vorschrift nach den bisherigen Erfahrungen ausreicht.
Die obersten Landesbehörden haben jedoch keine Bedenken dagegen, daß die Feuerschutzbehörden die Hydranten deutlich kenntlich machen. Die Aufnahme eines besonderen Zeichens hierfür in die Straßenverkehrs-Ordnung halten sie jedoch nicht für erforderlich. Ich möchte mich dieser Auffassung der obersten Landesbehörden zunächst anschließen.
Herr Abgeordneter Wittrock zu einer Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Arbeitsgemeinschaft Feuerschutz — das ist die Arbeitsgemeinschaft der Landesdienststellen für Feuerschutz in den Bundesländern — eindringlich und an Hand von Beispielen — z. B. unter Hinweis auf die unerträglichen Verhältnisse bei einem Großbrand vor einiger Zeit in Nürnberg — geltend macht, daß hier ein Regelungsbedürfnis bestehe und daß man insbesondere auf eine für das Bundesgebiet einheitliche Kennzeichnung hinwirken solle, so wie sie nach meiner Kenntnis in den amerikanischen Wohngebieten in der Stadt Wiesbaden üblich ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kenne diese Eingabe nicht. Wahrscheinlich wird sie unserem Hause bekannt sein, vielleicht aber auch nur, da es sich um eine Feuerschutzangelegenheit handelt, an die Landesregierungen gegangen sein.
Es ist aber so — ich habe das schon angedeutet, kann es aber noch näher ausführen —, daß sich eine gewisse einheitliche Kennzeichnung dieser Hydranten bereits eingebürgert hat, nämlich in der Form eines 20 cm breiten Kreises von 1 m Durchmesser. Nur die Farbe ist in den einzelnen Ländern oder Bezirken noch verschieden; teils sind es weiße Kreise, teils sind es rote Kreise.
Der gewünschten Vereinheitlichung steht natürlich nichts entgegen. Ich werde mich noch einmal an die Länder wenden, um auf eine solche Vereinheitlichung hinzuwirken. Sie werden aber verstehen, Herr Abgeordneter, daß der Bundesverkehrsminister jeder Anregung, neue Schilder aufzustellen, die zwangsweise im ganzen Bundesgebiet eingeführt werden müssen, mit einer gewissen Skepsis gegenübersteht. Sie wissen genausogut wie ich, daß der sogenannte Schilderwald einer der beliebtesten Angriffspunkte der Straßenverkehrspolitik ist. Ich habe Ihnen gesagt, daß wir die von Ihnen heute aufgeworfene Frage bereits im Vorjahr zum Gegenstand einer Rundfrage bei den Ländern gemacht haben, die ja über die ortsnächsten Erfahrungen verfügen und als die zuständigen Behörden auch für den Feuerschutz am ehesten an einer einheitlichen Regelung interessant sein müßten. Sie haben erklärt, daß ein Bedürfnis für eine bundeseinheitliche Regelung in Form eines einheitlichen Verkehrszeichens nicht gegeben erscheint.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Wittrock!
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2911
Herr Staatssekretär, würden Sie berücksichtigen, daß dieses Bedürfnis, den Schilderwald zu entrümpeln, voll anerkannt wird und daß es in keinem Widerspruch zu dem Anliegen steht, das hier Gegenstand der Frage ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Insoweit vielleicht doch, Herr Abgeordneter: Wenn die zunächst beteiligten Aufsichtsbehörden und die zuständigen Behörden, nämlich die Landesbehörden, die Notwendigkeit eines bundeseinheitlichen Verkehrszeichens in Abrede stellen, dann müßten natürlich schon außergewöhnliche neue Tatbestände vorgetragen werden, um Verhandlungen mit den Ländern mit Aussicht auf Erfolg neu aufzunehmen.
Ich rufe auf die Frage XI/7 — des Abgeordneten Dr. Mommer —:
Ist es richtig, daß wegen Strommangels schon seit Juni 1962 im Betriebswerk Kornwestheim folgende Züge mit Dampf statt mit Elektrolokomotiven gefahren werden: 8116, 8167, 15114, 8810, 6708, 8817, 8007, 6850. 5325, 9212, 6701, 8804, 8177, 6859, 6722, 6706, 6872, 6713 und 6732?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mit Beginn des Sommerfahrplans 1962 wurde auf der rechten Rheinstrecke der elektrische Zugbetrieb aufgenommen. Für die Stromversorgung waren insbesondere die in Berlin bestellten Umformer 2 und 3 des Umformerwerks Köln vorgesehen. Der Umformer 2 wurde termingemäß geliefert. Beim Umformer 3 aber traten Lieferverzögerungen auf, die zum Teil auf die Berliner Mauer zurückzuführen sind. Er konnte erst am 3. August 1962 in Betrieb genommen werden. Dadurch war es notwendig, daß ab 6. Juni 1962 Züge, für die E-Lok-Bespannung vorgesehen war, auch auf anderen als der rechten Rheinstrecke vorübergehend mit Dampflok gefahren wurden. Ihre Zahl betrug aber, jedenfalls nach unseren Feststellungen, nicht 19 Züge, sondern höchstens 12 Züge je Tag und ist im Laufe des Sommers auf 4 Züge je Tag zurückgegangen. Anfang Dezember 1962 wurde die Lage in der Bahnstromversorgung durch außergewöhnliche Belastung und Wintereinflüsse mit großem Strombedarf für die elektrische Zugheizung sowie durch den Ausfall der 34-MW-Maschine im Kraftwerk Düsseldorf-Lausward infolge Induktorschadens erneut schwierig, so daß etwa 4 Wochen lang 16 der in Anfrage genannten 19 Züge mit Dampflok zu fahren waren.
In der Fragestunde am 8. Februar berichtete Herr Minister Dr. Seebohm dem Hohen Hause davon, daß die eben genannte Maschine kurz zuvor wieder in Betrieb gegangen ist. Die vorübergehende Änderung der für Elektroloktraktion bestimmten Züge auf Dampfloktraktion ist also einmal eine im Zuge einer grundsätzlichen Umstellung nicht ganz zu vermeidende Folge von Übergangsschwierigkeiten, zum anderen Anfang Dezember auf eine durch den unvermuteten Ausfall einer Primärerzeugungsmaschine bedingte vorübergehende Betriebsstörung, jedoch nicht auf grundsätzliche Mängel zurückzuführen. Die jahreszeitlich bedingten Überlastungen des Netzes durch vermehrten Stromverbrauch hat die Bundesbahn im Gegensatz zu unseren Nachbarn erfreulicherweise gut meistern können.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Mommer. bitte!
Herr Staatssekretär, wie steht es denn jetzt? Hat die Bundesbahn auf ihren elektrifizierten Strecken genügend Strom oder nicht, und wird es also jetzt zu Ende sein mit den Verspätungen, der Benutzung von Dampfloks statt E-Loks und mit den Abschaltungen der Heizungen, oder wird das noch weitergehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube, daß dieser Zeitpunkt, der von mir genauso gewünscht wird wie von Ihnen, in allernächster Nähe steht. Sie müssen allerdings noch berücksichtigen, daß die Rheinwasserstraße zwar frei ist, aber wegen des außerordentlich geringen Wasserstandes und der noch erforderlichen Verbaggerungen der sogenannten Gebirgsstrecke noch nicht so aufnahmefähig ist, daß die Eisenbahn insbesondere im Rheingebiet von Höchstleistungen heute schon freigestellt wäre. Aber wie gesagt, es kann sich nur noch um Tage handeln.
Nun die Frage XI/8 — des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer —:
ist es richtig, daß Anfang Dezember 1962 z. B. auf der Strecke Stuttgart—München wegen Spannungsabfalls die Güterzüge auf Wartestellung gehen mußten und trotzdem die Fernschnellzüge bis zu zwei Stunden Verspätung hatten?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Pünktlichkeitsgrad im Zugverkehr hat sich im Monat Dezember 1962 unter dem Einfluß strengen Frostes, starker Schneefälle und zeitweise heftigen Südweststurmes allgemein verschlechtert. Die angespannte Bahnstromversorgung infolge der bereits erwähnten außergewöhnlichen Belastung und Winterschwierigkeiten, die vorübergehend auch zum Abstellen — aber nicht wie bei unseren Nachbarn zum Ausfall oder zur Nichtabnahme — von Güterzügen während des Berufsverkehrs zwangen, hatte auf den Pünktlichkeitsgrad keinen nennenswerten Einfluß. Die durch Spannungsabfall während der Verbrauchsspitzen im frühen und späten Berufsverkehr stellenweise verursachten Zuglaufstörungen hielten sich in mäßigen Grenzen. Der Fernreisezugdienst war davon aber kaum wesentlich betroffen.Wenn bei einzelnen Fernschnellzügen auf der Strecke Stuttgart—München Verspätungen in der angegebenen Höhe vorgekommen sind, sind sie überwiegend nicht auf Störungen in der Stromversorgung, die natürlich in hartem Frost oder bei Schneesturm immer einmal vorkommen können, sondern meistens auf andere Ursachen zurückzuführen, wie verspäteter Zulauf von ausländischen Bahnverwaltungen und die damit verbundenen Anschlußverspätungen, zugefrorene oder verschneite
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2912 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Staatssekretär Dr. SeiermannWeichen und vorübergehende frostbedingte Fahrleitungsschäden wie z. B. Isolatorenbrüche, nicht aber auf grundsätzliche Mängel in der Stromversorgung.
Keine weitere Frage.
Frage XI/9 — des Herrn Abgeordneten Liehr —:
Kann die zum 1. April 1963 beabsichtigte, im Schnitt 10%ige Erhöhung der Tarife im Flugverkehr von und nach Berlin durch zusätzliche Subventionen der Bundesregierung ausgeglichen werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung sieht sich, wie ich bereits bei der Beantwortung einer vorhergehenden Frage angedeutet habe, wegen der äußerst angespannten Haushaltslage, aber auch wegen der mit einer Erhöhung der Subventionen verbundenen sonstigen Auswirkungen nicht in der Lage, die Mehrbelastung für Flugreisende im BerlinVerkehr auszugleichen. Im Jahre 1962 sind etwa 25 Millionen DM für die Subventionen der BerlinFlüge gebraucht worden. In diesem Rahmen halten sich auch die für 1963 veranschlagten Summen. Bei Übernahme der Tariferhöhung auf die Subventionen müßten diese um 50 bis 60 % erhöht werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Liehr.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung die finanziellen Forderungen der im Berlin-Verkehr außer Konkurrenz tätigen Fluggesellschaften für gerechtfertigt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Entscheidung dieser Frage sind wir nach den bereits genannten Vertragsbestimmungen natürlich nicht zuständig. Daß wir schwerste Bedenken gegen die Beweisführung hatten, habe ich bereits zum Ausdruck gebracht, und diese Bedenken bestehen bei uns auch weiterhin.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Liehr.
Herr Staatssekretär, würde nicht allein die Möglichkeit, daß die Erhöhung der Flugpreise zu einer unerwünschten Beeinträchtigung des Berlin-Verkehrs führen kann, eine Überprüfung des Standpunktes der Bundesregierung in bezug auf verstärkte Subventionen erforderlich machen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bitte Verständnis dafür zu haben, daß wir zunächst die Auswirkungen — jedenfalls für einige Wochen einmal — verfolgen. Wir haben nämlich während der Dauer der Subventionen festgestellt, daß eine nicht unerhebliche Verlagerung des Berlin-Verkehrs von der Schiene und von der Straße auf den Luftweg erfolgt ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Börner.
Herr Staatssekretär, haben Sie im Rahmen dieser Verhandlungen mit den Fluggesellschaften, die Berlin anfliegen, auch erneut die Frage der Flugunfallversicherung für Berlin-Flüge in die Diskussion gebracht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Da bin ich im Augenblick überfragt. Ich werde das aber überprüfen und Ihnen schriftlich Bescheid geben.
Frage XI/10 — des Herrn Abgeordneten Schmidt —:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bereits in Erwägung gezogen, um eine möglichst rasche Behebung der durch den übernormal starken Winter in wesentlich umfangreicherem Maße aufgetretenen Frostschäden zu gewährleisten und damit die besonders betroffenen Gebiete und deren Wirtschaft vor auftretenden Sonderbelastungen zu bewahren?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Bundesverkehrsministerium hat die obersten Straßenbaubehörden der Länder als Auftragsverwaltungen des Bundes mit Schnellbrief vom 16. Februar dieses Jahres nochmals angewiesen, darauf zu achten, daß die durch den ungewöhnlich strengen Winter zu erwartenden Schäden an den Bundesfernstraßen unverzüglich ausgebessert werden, um die Ausweitung von Zerstörungen zu vermeiden und 'den Verkehrswert der Straßen zu erhalten. Die Mittel für die Durchführung der dazu notwendigen Arbeiten sind in erster Linie nach den Kennzahlen des Straßenbauhaushalts zu entnehmen, die für die Unterhaltung und vor allem für den kleineren Um- und Ausbau, insbesondere für den sogenannten Zwischenausbau, vorgesehen sind und die im Rechnungsjahr 1963 einen Betrag von über 400 Millionen DM ausmachen. Die teilweise Umlagerung dieser Mittel zugunsten der Beseitigung von Frostschäden wird aber nicht ohne eine Zurückstellung von Maßnahmen des Zwischen- bzw. Deckenausbaus möglich sein. Das wird man zunächst hinnehmen und später vielleicht wieder ausgleichen können, wenn die finanziellen Auswirkungen der Frostperiode in vollem Umfang zu übersehen sind, was zur Zeit noch nicht annähernd möglich ist, und wenn insbesondere feststeht, inwieweit auch die veranschlagten großen Aus- und Neubaumaßnahmen durch die lange Dauer des strengen Winters beeinträchtigt worden sind.Zur Zeit ist noch nicht abzusehen, ob die dafür vorgesehenen Investitionsmittel infolge bereits eingetretener Verzögerungen bei der Bauinangriffnahme in vollem Umfang beansprucht werden. Sollten dadurch Mittel frei werden, so könnten auch diese der Beseitigung von Frostschäden zugeführt werden.Die finanziellen Voraussetzungen für die Behebung von Frostschäden sind demnach vorhanden, und es besteht auch keine Veranlassung, besorgt
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2913
Staatssekretär Dr. Seiermannzu sein, daß Verwaltung und Bauindustrie etwa auftretende technische Schwierigkeiten nicht rasch und befriedigend lösen werden. Das wird um so weniger der Fall sein, wenn die Öffentlichkeit den dabei notwendigen vorübergehenden Beschränkungen im Verkehr mit Verständnis begegnet.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schmidt.
Herr Staatssekretär, hat das Ministerium schon eine Vorstellung darüber, wie das Volumen der Frostaufbrüche heuer gegenüber dem Vorjahr abzuschätzen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein. Ich werde darüber bei der Beantwortung einer anderen Frage noch nähere Auskunft geben.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir sind am Ende der heutigen Fragestunde. Die nicht beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Zweite und dritte Beratung des von ,den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes über die Sicherstellung von Leistungen auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft ,
.
Es liegt der Schriftliche Bericht des Wirtschaftsausschusses durch Herrn Abgeordneten Mertes vor. Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Eine Ergänzung wird nicht gewünscht.
Wir können in die Beratung eintreten. Es ist beantragt, in Art. 1 des Entwurfs die Worte „31. Dezember 1963" durch „30. Juni 1964" zu ersetzen. Ich rufe in dieser Fassung Art. 1, Art. 2 und Art. 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich schließe die zweite Beratung und eröffne die
dritte Beratung.
Wer dem Entwurf in dieser Fassung zustimmt, erhebe sich. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Entwurf ist einstimmig angenommen.
Wir fahren dann im Tagesordnungspunkt 4 fort: Fortsetzung der zweiten und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Handwerkszählung 1963 (Drucksache 1V/876);
Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsauschusses (Drucksache IV/988) (Erste Beratung 54. Sitzung).
Berichterstatter ist der Herr Abgeordnete Stein. In der vorgestrigen Sitzung ist die Beratung bei der Behandlung des Antrags der Fraktion der SPD Umdruck 207 *) Ziffer 1 unterbrochen worden. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wir können also in der Abstimmung fortfahren.
Wer dem Antrag der Fraktion der SPD Umdruck 207 Ziffer 1 zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Beratung der Ziffer 2 des Antrags der SPD auf Umdruck 207, wonach § 4 Abs. 1 Nr. 5 gestrichen werden soll. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Ebenfalls abgelehnt.
Ich lasse über Abs. 4 in der Fassung der Ausschußvorlage abstimmen. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — § 4 ist mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf § 5. Hierzu liegt der Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 207 Ziffer 3 vor. — Eine Begründung wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Mit derselben Mehrheit wie vorhin abgelehnt.
Wer § 5 in der Fassung der Ausschußvorlage zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Mit großer Mehrheit angenommen.
§ 6, — § 7, § 8, — Einleitung und Überschrift.
— Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Mit großer Mehrheit angenommen.
Ich schließe die zweite Beratung und rufe auf zur
dritten Beratung
und zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetztenwurf in der soeben beschlossenen Fassung zustimmt, erhebe sich. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe auf Punkt 15 der Tagesordnung:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Fristen des Gesetzes über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet- und Wohnrecht ,
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Wohnbeihilfen .
Wird das Wort zur Begründung verlangt? — Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Hesberg!
— Es hat sich niemand von Ihnen gemeldet. Aber vielleicht sind Sie einverstanden, Herr Dr. Hesberg, daß zunächst die SPD ihren Gesetzentwurf begründet. — Herr Abgeordneter Jacobi hat das Wort.
Herr Präsident, ich bitte sehr um Entschuldigung. Aber die Verständigung in*) Siehe Anlage 2
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2914 Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Jacobi
diesem Hause ist um so schlechter, je weiter vorn man sitzt. Ich habe nicht richtig verstanden, daß Sie bereits den Gesetzentwurf Drucksache 900 aufgerufen hatten. Ich darf namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion diesen Gesetzentwurf begründen.Meine Damen und Herren! Das Gesetz über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet- und Wohnrecht, im Volksmund kurz „Lücke-Plan" genannt, hat bekanntlich für seine Abbaumaßnahmen Fristen gesetzt. Mit dem Ende des Jahres 1965 sollen im ganzen Bundesgebiet die Wohnraumbewirtschaftung, die Bindung der Mietpreise und der Mieterschutz in seiner bisherigen Form entfallen. Dieser Übergang in die Marktwirtschaft mit den erwähnten, tief in die bisherigen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse eingreifenden Begleiterscheinungen ist nach dem Gesetz für die sogenannten „weißen Kreise", d. h. für die Stadt- und Landkreise mit einem statistischen Wohnungsdefizit von unter 3 %, bereits für den 1. Juli 1963 vorgesehen. Nach allem, was bisher bekanntgeworden ist, werden von dieser globalen Zwischenregelung etwa 300 Stadt- und Landkreise des Bundesgebiets berührt.Der Gesetzentwurf, der heute zur ersten Beratung ansteht und der Ihnen mit der Drucksache IV/900 vorliegt, will das erwähnte Datum des 1. Juli 1963 durch das Datum des 1. Juli 1964 ersetzen. Ich darf ihn namens der sozialdemokratischen Fraktion begründen und die Bitte aussprechen, ihm zur alsbaldigen Beratung an den Ausschuß für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung zu überweisen.Die sozialdemokratische Gesetzesinitiative zielt nicht auf eine Aufhebung des Abbaugesetzes, sondern auf die Überprüfung seiner Fristen ab. Auch wir Sozialdemokraten sind nicht gegen eine Einordnung der Wohnungswirtschaft in das System der sozialen Marktwirtschaft. Wir sind jedoch der Auffassung, daß für eine solche marktwirtschaftliche Regelung andere objektive Voraussetzungen geschaffen werden müssen, als sie zur Zeit vorliegen. Wir halten demgemäß die vom zweiten Bundestag mit dem Abbaugesetz festgelegten Fristen für verfrüht und im Hinblick auf die Grundsätze einer sozialrechtsstaatlichen Ordnung für bedenklich, ja für unvertretbar.Bei der Verabschiedung des Abbaugesetzes sind Daten über die Entwicklung des Wohnungsbaus und statistische Zahlen zugrunde gelegt worden, die sich heute als viel zu optimistische Prognosen oder sogar als irreal herausstellen. Man hörte und las damals unter anderem: Es wird weiter gebaut wie bisher; dabei behält der soziale Wohnungsbau den Vorrang.— Das ist ein Zitat aus einer amtlichen Schrift des Bundeswohnungsbauministeriums. Es ist in der Tat weitergebaut worden, doch mit rückläufigen Entwicklungen des sozialen Wohnungsbaus, der im Jahre 1962 nur noch einen Anteil von 39 v. H. der fertiggestellten Wohnungen aufwies — 1962, meine Damen und Herren! Und was wird schließlich erst im Jahre 1963 in dieser Hinsicht festzustellen sein?! Meinen Sie denn wirklich, der langandauernde Winter werde nur Frostaufbrüche auf unseren Straßenzeitigen? Ist nicht jedem von uns klar, daß alle Wohnungsbauten terminlich eine zusätzliche Verzögerung erfahren haben? Das aber bedeutet, daß beim Abbau des Wohnungsdefizits zusätzliche Erschwerungen eingetreten sind, mit denen bei der Verabschiedung der Lücke-Gesetze im Jahre 1960 niemand gerechnet hat und niemand rechnen konnte.Meine Damen und Herren, das ist festzustellen bei einem an sich schon besorgniserregenden Bauüberhang von annähernd 800 000 Wohnungen. Nach den in den letzten Tagen bekanntgewordenen statistischen Zahlen beträgt dieser Überhang 784 000 Wohnungen. Allein der Winter hat es mit sich gebracht, daß in diesem Jahr an die 120 000 Wohnungen weniger gebaut werden. Vielleicht ist dieses frostbedingte Manko sogar noch größer. Das will, das muß beachtet werden; denn allein diese Tatsachen haben die im Jahre 1960 hinsichtlich der Beseitigung des Wohnungsdefizits selbstsicher kundgegebenen Prognosen fragwürdig gemacht.Sie selbst haben in gelegentlichen Verlautbarungen keinen Zweifel darüber gelassen, daß Sie auf diese Dinge achten wollen. Ich entsinne mich einer Veröffentlichung aus der Feder des Kollegen Mick, in der darauf hingewiesen wurde: Wenn in der Tat die Nachprüfung der statistischen Daten ergebe, daß diese auf Irrtümern beruhten, müsse an die Überprüfung der Fristen herangegangen werden. Es ist meine Aufgabe, darzutun, daß dazu schon jetzt eine Notwendigkeit besteht.Ich habe also auf eine Reihe von Umständen hingewiesen, die vielleicht überraschend, nicht voraussehbar, in jedem Fall aber erschwerend eingetreten sind. Darüber hinaus ist daran zu denken — und es ist eine gewisse Konsequenz aus Tatsachen zu ziehen —, daß zum Beispiel vorausgesagte Entwicklungen ausgeblieben sind, die direkt und indirekt Voraussetzungen für einen Übergang zu marktwirtschaftlichen Regelungen dargestellt hätten. Ich brauche nur stichwortartig einige dieser Punkte zu erwähnen.Der Baulandmangel hat seit der Verabschiedung des Abbaugesetzes keinerlei Milderung erfahren. Die Baulandnot blieb und bleibt ein akutes Problem, das nicht gelöst worden ist, und es ist auch heute noch nicht abzusehen, wie sie angesichts der Passivität der Bundesregierung und der Mehrheit dieses Hauses in bezug auf dieses Problem erleichtert werden soll. Die Baulandaktion des Bundes, lauthals vor den Bundestagswahlen als ein Mittel zur Auflockerung des Bodenmarktes und zur Dämpfung der Baulandpreise angekündigt, hat sich als ein Fehlschlag sondergleichen, als völlig wirkungslos erwiesen. Wenige hundert Hektar, weit verstreut dazu, sind vom Bund zur Verfügung gestellt worden. Es sollten ursprünglich 40 000 ha werden. Es gab viele, die den damit betriebenen Zahlengaukeleien — davon muß man schon sprechen — eine Zeitlang geglaubt haben. Fürwahr, eine „schöne" Baulandaktion!Die Baulandpreise sind munter weiter gestiegen. Wo sie zum Stillstand gekommen sind, geschah diesDeutscher Bundestag— 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2915Jacobi
auf der schwindelnden Höhe legalisierter Schwarzmarktpreise oder von Verkehrswertpreisen, die jeder Vernunft spotten und die sowohl den Baulandsparern wie .den Trägern von Mietwohnungsbauten unverändert größte Sorge bereiten.Die anderslautenden, selbstsicheren Prognosen der Bundesregierung haben sich nicht erfüllt. Sie wurden erneut verkündigt, als die Abbaugesetze hier zur Beratung anstanden.Auch das vielgerühmte Bundesbaugesetz hat als Instrument der Bodenordnung versagt. Baustoppmaßnahmen, von denen man sich preisregulierende Wirkungen versprach, haben ebenfalls keinerlei Hilfe gebracht, kurz, eine ganze Reihe von Hoffnungen sind gestrandet, die als Voraussetzungen für eine forcierte Behebung des Wohnungsmangels gegolten haben.Doch über diese an sich schon gravierenden Tatsachen hinaus besteht Anlaß, ein kritisches Wort zu dem zu sagen, was im Zusammenhang mit den angekündigten Maßnahmen des Abbaugesetzes geschehen oder unterblieben ist. Erst heute liegt uns ein Gesetzentwurf zur endgültigen Regelung der Miet- und Lastenbeihilfen, der Entwurf des sogenannten Wohnbeihilfengesetzes vor, jedoch nicht als Regierungsvorlage, sondern als Initiativgesetzentwurf der Koalitionsparteien. Zu ihm wird im weiteren Verlauf unserer Verhandlungen noch Stellung zu nehmen sein, sobald der Herr Kollege Dr. Hesberg diesen Koalitionsentwurf begründet hat.Ich darf mich auf den Hinweis beschränken, daß die Bundesregierung über einen Referentenentwurf zu dieser Materie nicht hinausgekommen ist, obwohl seit der Verabschiedung des Abbaugesetzes mehr als zwei Jahre vergangen sind und obwohl das Inkrafttreten eines solchen Gesetzes die Voraussetzung für die Aufhebung der Wohnraumbewirtschaftung, die Freigabe der Mietpreise und die Beendigung des bisherigen Mieterschutzes ist.Zu diesem unabdingbaren gesetzlichen Junktim kommt das moralische Junktim hinzu, das mit der Schaffung eines sozialen Miet- und Wohnrechts angekündigt worden ist. Auch hier hat sich die Bundesregierung unvorstellbar viel Zeit genommen, um dem Bundestag eine Vorlage zu unterbreiten. Erst vor wenigen Wochen konnte die erste Lesung des Entwurfs stattfinden.Das bisher Gesagte, meine Damen und Herren, würde allein ausreichen, um die Frage zu rechtfertigen, wer es unter solch widrigen Umständen wagen kann, die Fristen des Abbaugesetzes aufrechtzuerhalten und demgemäß am 1. Juli 1963 in den sogenannten weißen Kreisen marktwirtschaftliche Regelungen an die Stelle der bisherigen Preisbindungen und des Mieterschutzes treten zu lassen. Aber. stimmen denn, völlig unabhängig von dem bisher Dargelegten, die statistischen Daten überhaupt, auf die die vorgesehene gebietsweise Aufhebung der Wohnraumbewirtschaftung, des bisherigen Mieterschutzes und der Mietpreisbindungen zum 1. Juli 1963 gestützt wird? Nun, wir werden sehen.Zunächst: Wie wird denn dieses Defizit überhaupt festgestellt? Man muß sich das vor Augen führen, um Klarheit über die gesamte Problematik zu erhalten.Die Berechnung des Wohnungsfehlbestandes richtet sich nach Art. II § 3 c Abs. 2 des Abbaugesetzes. Danach ergibt sich die Zahl der fehlenden Wohnungen aus der Differenz der Zahl der Wohnparteien und der Zahl der vorhandenen Normalwohnungen. Der Wohnungsbestand wird nach der amtlichen Statistik über die Bautätigkeit auf Grund der jährlichen Reinzugänge fortgeschrieben. Die Zahl der Wohnparteien andererseits wird aus der amtlich fortgeschriebenen Einwohnerzahl errechnet, indem man das Verhältnis der Wohnparteien zur Einwohnerzahl nach der Wohnungsstatistik 1956/57 auf die fortgeschriebenen Einwohnerzahlen überträgt. Von der so errechneten Zahl der Wohnparteien zählen alle Mehr-Personen-Haushalte und 50 %, in den Großstädten 60 % aller Ein-Personen-Haushalte als Wohnungsbedarfsträger.Der Aussagewert der auf diese Weise zustande gekommenen Statistik aber ist höchst problematisch. Denn diese Statistik ergibt ein rein rechnerisches Wohnungsdefizit, das sich nur bedingt mit dem tatsächlichen Bedarf deckt. Auf einige Fehlerquellen sei hingewiesen.Erstens. Die Berechnungsmethode unterstellt, daß die Zusammensetzung der Haushalte nach ihrer Größe seit 1956 unverändert geblieben ist. In Wirklichkeit sind die Zahl der tatsächlichen Haushalte und die damit verbundenen zahlenmäßigen Wohnansprüche größer geworden. Man denke in diesem Zusammenhang nur daran, daß die besonders geburtenstarken Jahrgänge der letzten Vorkriegsjahre inzwischen heiratsfähig und heiratswillig geworden sind. Sie drängen aus der bisherigen, oft mit den Eltern geteilten Wohnungseinheit hinaus.Zweitens. Viele inzwischen für freiberufliche und gewerbliche Zwecke zweckentfremdete Wohnungen werden nach wie vor dem Wohnungsbestand zugerechnet.Drittens. In Eigennutzung genommene Einliegerwohnungen erscheinen in der Fortschreibung nicht als Abgang.Viertens. Doppelwohnungen decken den Wohnbedarf für nur einen Haushalt, erscheinen aber im Gesamtwohnungsbestand als Normalwohnungen, was sich heute besonders in vielen Landkreisen auswirkt und worüber ich Ihnen nachher einige Zahlen vortragen werde.Fünftens. Es erfolgt keine Erfassung von Einpendlern, von denen Hunderttausende an den Platz ihrer Arbeitsstätte ziehen möchten.Sechstens. Ebensowenig wie über den Einpendlerbedarf ergibt die Statistik Anhaltspunkte für den Wohnungsbedarf, der sich bei den nach einer besseren oder größeren Wohnung Suchenden oder aus der Unzulänglichkeit schlechter, auch durch Modernisierung nicht mehr verbesserungsfähiger Wohnungen ergibt. Alle diese unzureichenden Wohnungen aber werden schematisch als Normalwohnungen angerechnet. Statistisch ist also keine Problem zu er-Jacobi
kennen; Wohnung gilt gleich Wohnung. Wir wissen aber allein aus der Repräsentativerhebung, die durch Befragung von 1 % aller Haushalte des Bundesgebiets 1960 erfolgt ist, daß ein riesiger zusätzlicher Wohnungsbedarf angemeldet ist. Er geht in die Hunderttausende allein in den Fällen, in denen Haushalte ihre derzeitige Wohnung wechseln wollen, beileibe nicht aus einem Sozialprestigedenken, sondern wegen billigenswerter, bisher zu kurz gekommener Wohnansprüche. Unsere Statistik, die die „weißen Kreise" betrifft, sagt auch hierüber nichts aus. Sie kennt das Problem einfach nicht.Ganz allgemein wird durch die Defizitberechnung der Wohnungsfehlbestand als eine rein statistische Kategorie angegangen. Die wohnungsmarktpolitisch entscheidende Frage nach den Wohnungswünschen der Bevölkerung und den Notwendigkeiten, ihnen hinsichtlich der Größe, Qualität und Lage der Wohnungen in Verbindung mit Mieten, Lasten und Einkommen Rechnung zu tragen, d. h. der Fehlbestand als marktwirtschaftliche Kategorie wird nicht erfaßt.Aber selbst wenn man das alles, meine Damen und Herren, unberücksichtigt ließe, selbst wenn man sich also mit den statistischen Berechnungen abfände, ergibt eine Überprüfung der statistischen Daten bei einer Gegenüberstellung der Berechnungsbasis von 1956, die der Berechnung der weißen Kreise bekanntlich zugrunde gelegt wird, zu der Berechnungsbasis der Gebäudezählung von 1961 erstaunliche und überraschende Ergebnisse. Von Flensburg bis Konstanz wird nicht nur von den örtlichen Behörden 1 darauf hingewiesen, daß die statistischen Daten aus dem Jahre 1956 keinen realen Aussagewert haben, sondern auch die amtlichen Zahlen der Statistischen Landesämter bestätigen dies. Sie zeigen in vielen Fällen, daß die neueren Zahlen, nämlich die von 1961, keine Minderung des Wohnungsdefizits, sondern eine Steigerung ausweisen. Ich beschränke mich bei den Beispielen, die ich nunmehr anführe, auf solche amtlichen Zahlen, berücksichtige also bewußt keine örtlichen Angaben, die auf privaten Berechnungen oder solchen der kommunalen Verwaltungen beruhen.Ich greife zwei Länder heraus. Zunächst Nordrhein-Westfalen. Hier ergibt sich bei der Gegenüberstellung der Zahlen von 1956 - das ist immer die erste Zahl, die ich nenne - zu den Zahlen auf der Berechnungsbasis von 1961 - das ist die zweite Vomhundertziffer, die ich nenne - folgende Unterschiedlichkeit bei einer ganzen Reihe von Städten und Landkreisen:Stadt Düsseldorf: Wohnungsdefizit auf der Basis von 1956 7,9 %, auf Grund der Berechnungen von 1961 13,2 %. Stadt Duisburg: 1956 3,3 %, 1961 7,5 %. Krefeld: 10,3 %, zweite Zahl: 19,7 %. Oberhausen: 2,6 % - ein weißer Kreis, als Stadtkreis mitten im Ruhrgebiet -, in Wirklichkeit 4,1 %. Das und was ich noch an Zahlen nenne sind die amtlichen Ziffern des Landesstatistischen Amtes aus dem Jahre 1961. Stadt Bonn: 1956 13 %, 1961 dagegen 19,9%. Köln: 8,6 % gegenüber 13 %.
- Nein, das ist kein weißer Kreis, das weiß ich auch, Herr Kollege; aber ich nenne eine ganze Reihe von Zahlen, um darzutun, daß die statistischen Unterlagen einfach nicht in Ordnung sind, daß man auf diese die Entscheidungen nicht stützen darf, die Sie mit dem Abbaugesetz getroffen haben, und daß sich die Konsequenzen nunmehr im Einzelfall bei den weißen Kreisen schon am 1. Juli dieses Jahres zeigen. Wir wollen doch hier nicht so tun, als ob wir nicht alle wüßten, worum es geht. Ich kann Ihnen auch weiße Kreise nennen, daß Ihnen die Augen übergehen; Sie werden das gleich noch erleben.
Stadt Münster: 6,9 % - 11,8%. Recklinghausen: 0,2 % - das ist ein weißer Stadtkreis - 3,7 %; Landkreis Recklinghausen: 2,4 % - das ist ein weißer Landkreis - 3,1 %. Beckum: dieselben Zahlen, 2,4 % auf der Basis von 1956, 3,1 % auf der Basis von 1961. Und so geht es fort: Landkreis Lübbecke: 0,5% auf der Basis der Berechnung von 1956, also ein weißer Kreis, der so weiß ist, wie was weiß ich nur;
in Wirklichkeit, meine Damen und Herren, ergibt die Berechnung auf der Basis von 1961 statt der genannten 0,5 % beim Landkreis Lübbecke 5,8 %.
- Nein, er bleibt eben nicht in der Wohnraumbewirtschaftung, er bleibt nicht unter den bisherigen Bedingungen, wenn keine neuen Entscheidungen ergehen; und was sich dann entwickelt, wissen Sie selber. Trösten Sie doch nicht die Leute, die damit gar nicht getröstet werden können.Stadt Bochum - weißer Kreis -: 2,4 %, in Wirklichkeit 4,5 %; Stadt Dortmund: 1,8 %, in Wirklichkeit 4,1%; Herne auf der Basis von 1956 1,9 %, in Wirklichkeit 4 %. So geht das fort. Stadt Siegen, ebenfalls ein weißer Kreis, auf 'der Basis von 1956 2 %, auf Grund der neuen Berechnungen 11,9 %. Als Letztes aus Nordrhein-Westfalen - ich könnte die Vorlesung aus der Gesamtstatistik fortsetzen -: Landkreis Siegen auf der Basis von 1956 3,5 %, auf der von 1961 11,4 % Wohnungsdefizit.Ich glaube nicht, meine Damen und Herren, daß Sie sich damit zufrieden geben können, solche gravierenden Unterschiede zur Kenntnis zu nehmen. Ich glaube nicht, daß Sie sie mit einer Handbewegung abtun können: Na ja, es wird trotzdem nicht viel passieren. Das geht nicht.
Das zweite Land, über das ich Ihnen berichten werde, ist Hessen. Hier werde ich mich, um Ihre Geduld nicht allzusehr in Anspruch zu nehmen - obwohl die Sache es wert wäre, sehr eingehend erörtert zu werden -, darauf beschränken, die Zahlen aus den weißen Kreisen, und zwar aus den Landkreisen, zu nennen. Hier zeigt sich mit einer frappierenden Deutlichkeit, wie ungeeignet die pauschale Bewertung der Kreise zur Analyse des Wohnungsdefizits ist.Jacobi
Die detaillierte Beobachtung der Kreise ergibt folgendes Bild.Erstens: Landkreis Limburg. Das offizielle Defizit beträgt 2,1 %. Aber von 51 Gemeinden dieses Landkreises weisen 29 - das sind 57 % - ein Defizit von mehr als 3 % auf. Ich nenne einige dieser Gemeinden: Stadt Camberg 8,5 %; jetzt kommen kleinere Gemeinden: Gemeinde Dauborn 9,3 %, Dorndorf 15,2 %, Frickhofen 13,9 %, Haintchen 12,9 %, Lahr 18,5 %, Mahneneich, ein kleiner Ort, 42,6 %, Neederbreck 12,3 %, Niederweyer 43,4 %, Niederzeuzheim 19,8 %, Werschau 21,6 %, Wilsenroth 15,4 %.Zweitens: Landkreis Usingen. Das ist einer von den Kreisen, in denen sich die Zweitwohnungen bemerkbar machen, über die ich soeben schon sprach. Hier liegt ein amtliches Wohnungsdefizit von 2,995 % vor, also von etwas unter 3 %. In diesem Landkreis Usingen mit 43 Gemeinden weisen 21 Gemeinden ein Defizit von mehr als 3 % auf. Das sind immerhin auch hier 49 % der Gemeinden dieses Kreises. Die Gemeinde Arnoldshain hat ein Defizit von 5,6 %, die Gemeinde Brombach eines von 24,1 %. Weitere Gemeinden dieses Kreises: Eschbach 9,8 %, Finsternthal 14,3 %, Hundstadt 16,9 %, Neunstadt 35,4 %, Seelenberg 9,2 %, die Stadt Usingen 9,2 % und die Gemeinde Wilhelmsdorf 35 % Defizit.Dritter Kreis: Landkreis Bergstraße. Offizielles Defizit: 2 %. Von 104 Gemeinden weisen 52 ein Defizit von mehr als 3 % auf. Das sind 50 % der beteiligten Gemeinden. Ich nenne hier folgende Gemeinden: Biblis 10,5 %, Bobstadt 23,1 %, Bürstadt 18,8 %, Ellenbach 25,5 %, Elmshausen 12,2 %, Fehlheim 24,2 %, Hambach 18,7 %, Hofheim 24,6 %, Nieder-Liebersbach 19,8 %, Nordheim 16,8 %, Rodau 31,5 %, Wald-Erlenbach 19,4 %, Zotzenbach 18 %.Ich nenne Ihnen jetzt nur noch einen Kreis, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich weiß, solche Zahlen sich anzuhören, ist an sich schon unangenehm. Aber wenn man sich auch noch Gedanken darüber macht, was hinter diesen Zahlen steckt, dann ergibt sich, daß das noch viel unangenehmer als bei anderen Fällen ist, bei denen man es mit Statistik zu tun hat. Zahlen der Statistik erscheinen ja immer tot; aber hinter ihnen verbergen sich Leben und Schicksale.
Als letzter Landkreis aus Hessen der Landkreis Hersfeld! Er hat ein offizielles Defizit von 2,5 %. Von 82 Gemeinden weisen hier 50 Gemeinden ein Difizit von mehr als 3 % auf; das sind 60 %. Die Gemeinde Asbach hat ein Defizit von 4 %, Friedewald 13,2%, Friedlos 11,1%, Humboldshausen 19%, Niederaula 10,1 %, Obergeis 28,1 %, Röhrigshof 19,2 %, Wölfershausen 5,7 %.Ich könnte diese Darstellung fortsetzen und könnte über den Landkreis Kassel berichten, der ein Defizit von 2,9 % hat und in dem 19 Gemeinden ein Defizit von mehr als 3 % aufweisen, darunter Sätze bis zu 38 %. Ich könnte über den Landkreis Dieburg berichten, der ein offizielles Defizit von 2,3 % hatund bei dem 35 von insgesamt 51 Gemeinden ein Defizit aufweisen, das über 3 % liegt, im Höchstfalle bei einer Gemeinde - das ist die Gemeinde Ricken - bei 45,3 %All das ist auf Grund der amtlich zugänglichen Zahlen nachprüfbar. Ich glaube, wir sollten uns schon jetzt darüber im klaren sein, welches Gewicht hinter diesen Zahlen steckt. Die genannten Zahlen sollten uns alle - auch Sie - nachdenklich stimmen. Sie zeigen die Problematik von Statistiken, die global auf Verhältnisse in den politischen Kreisen abstellen und die örtliche Situation außer acht lassen. Ich habe - auch das wollen Sie bitte bedenken - nur eine beschränkte Anzahl von Beispielen angeführt. Allein die hierbei dargelegten zahlenmäßigen Widersprüche gegenüber den Berechnungsgrundlagen für die weißen Kreise, wie sie heute amtlich zugrunde gelegt werden, sollten uns zur Vorsicht mahnen. In jedem Falle machen sie eine sorgfältige Überprüfung der gesamten Lage erforderlich. Sie sollten auch Ihnen zu denken geben. Sie sollten dabei darauf achten, daß es nicht uninteressant ist, daß ausgerechnet in den ländlichen Gebieten, von denen wir meist die Vorstellung haben, es gebe dort keine Wohnungsprobleme, nach wie vor Wohnungsnot besteht, von den Ballungsgebieten einmal ganz abgesehen.
Bitte, setzen Sie sich nicht dem späteren Vorwurf aus, Sie hätten unsere besorgten Mahnungen mit einer Handbewegung abgetan. Unser Gesetzentwurf will Ihnen die Möglichkeit einer sorgfältigen Überprüfung der Aufhebungsfristen geben. Er will die Frist für die weißen Kreise nur um ein Jahr - auf den 1. Juli 1964 - verschieben. Wir haben diese kurze Verschiebung vorgeschlagen, um Ihnen die Zustimmung zu erleichtern. Es geht uns bei unserer Gesetzesvorlage - wie ich eingangs bemerkt habe - nicht darum, marktwirtschaftliche Regelungen zu verhindern, sondern die zeitliche Vertretbarkeit ihrer Einführung sachlich überprüfen zu lassen. So, wie die Dinge im Augenblick stehen, ist der 1. Juli 1963 kein vertretbares Datum.Eine der Zwischenüberschriften der vom Bundeswohnungsbauministerium herausgegebenen Schrift: „Grundsätze, Leistungen, Aufgaben der Wohnungsbaupolitik der Bundesregierung" lautet: „Freiheit ohne Experimente". Uns scheint, daß unser Gesetzentwurf dieser These Rechnung trägt und daß es fürwahr ein Experiment, und zwar ein unverantwortliches, sein würde, wenn Sie unseren Entwurf nicht ernst nehmen würden. Vielleicht mag bei denen unter Ihnen, die sich mit der Komplexität der Materie nicht beschäftigen konnten, bisher die Meinung geherrscht haben, es stehe doch nur die Frage an, ob das gesetzliche Junktim - die Wohnbeihilfe - noch rechtzeitig verwirklicht werden könnte. Meine Damen und Herren, das ist doch nur eines der offenen Probleme. Selbst wenn es terminlich noch unter Dach und Fach gebracht werden sollte und selbst wenn es sachlich zufriedenstellend gelöst werden könnte, woran doch einige Zweifel berechtigt erscheinen, bleibt die Tatsache, daß seit der
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2918 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Jacobi
1 Verabschiedung des Abbaugesetzes manches schief gelaufen ist. Wichtige Voraussetzungen haben sich nicht erfüllt, und die Statistiken täuschen.Bedenken Sie dies bitte und helfen Sie mit, unzähligen Mietern in den sogenannten weißen Kreisen die Sorge zu nehmen, daß sie in eine wirtschaftliche, sozial nicht vertretbare Bedrängnis geraten! Auch den Vermietern wird daran liegen, daß der Übergang in eine marktwirtschaftliche Ordnung sich ohne vermeidbare Reibungen vollzieht, daß er objektiv vertretbar ist und als allgemein billigenswerte Regelung den Rechtsfrieden beibehält. Unser Gesetzesantrag stellt hierzu die Brücke dar. Er bewahrt Sie vor einem Experiment, das Ihnen nur Starrsinn und Blindheit eingeben könnten, vor dem Sie Vernunft und staatspolitisches Verantwortungsbewußtsein jedoch bewahren sollten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hesberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da mir namens der Koalitionsfraktionen die Begründung des Gesetzentwurfs über Wohnbeihilfen obliegt, darf ich einleitend bemerken, daß die Regierungsparteien die soeben vorgetragenen Auffassungen zum Termin des 1. Juli 1963 nicht teilen. Im Verlauf der Aussprache werden die Argumente der Opposition seitens der Regierung und gegebenenfalls auch von Vertretern der Koalitionsparteien entkräftet werden.Da der Vollzug der 1960 beschlossenen Maßnahmen zum Abbau der Wohnungszwangswirtschaft, nämlich die Anhebung der Altbaumieten und die stufenweise Aufhebung der Wohnraumbewirtschaftung, bisher nirgends zu nennenswerten Schwierigkeiten geführt hat und auch nicht auf Unverständnis in der Öffentlichkeit gestoßen ist, steht der Einleitung der zweiten Etappe der Abbaugesetzgebung nichts im Wege. Daß wir uns Korrekturen der Berechnungsmethode des Wohnungsdefizits für den Fall vorbehalten haben, daß die Wohnungsstatistik auf Grund der Zählungsergebnisse wesentliche Abweichungen ergibt, führte ich bereits vor einigen Wochen bei der ersten Beratung des Gesetzentwurfs über ein soziales Mietrecht an dieser Stelle aus.Herr Kollege Jacobi, Sie hätten sich daher vieles sparen können. Wir verwahren uns gegen den Vorwurf, nicht mit der genügenden Verantwortung an diese Sache heranzugehen.
Wir sind der Meinung, daß in den Kreisen, in denen wirklich die Voraussetzungen der Durchschnittsquote von 3 % am 1. Juli vorliegen, der Übergang auch am 1. Juli vollzogen werden kann.Wir gehen also davon aus, daß am 1. Juli dieses Jahres nach mehr als vierzigjähriger Wohnungszwangswirtschaft die vorgesehene Überführung des Wohnungswesens in die soziale Marktwirtschaft beginnen kann, d. h. daß von diesem Tage an dieAufhebung der Mietpreisbindungen für den Altwohnungsbestand — für die vor der Währungsreform bezugsfertig gewordenen Wohnungen — beginnen soll. Diese Überleitung soll nur insoweit erfolgen, als das rechnerische Wohnungsdefizit — ebenso wie bei der Aufhebung der Wohnraumbewirtschaftung — dies vertretbar und geboten erscheinen läßt. Ab 1. Juli dieses Jahres werden also nur in den Landkreisen und in den kreisfreien Städten, in denen die Wohnraumbewirtschaftung durch entsprechende Rechtsverordnungen der Landesregierungen aufgehoben worden ist, die Mietpreise für die alten Wohnungen freigegeben. In den übrigen Kreisen fällt die Mietpreisbindung erst dann, wenn auch die Wohnraumbewirtschaftung wegfällt, d. h. nach Erreichen eines rechnerischen Wohnungsdefizits von weniger als 3 v. H. Neben der Umgestaltung des bisherigen starren Mieterschutzes in ein soziales Miet- und Wohnrecht ist die Beseitigung der mietpreisrechtlichen Eingriffe in das Vertragsverhältnis zwischen Mietern und Vermietern der entscheidende Schritt bei der Überleitung des Wohnungswesens in die soziale Marktwirtschaft, die bis zum 1. Januar 1966 in allen Gebieten der Bundesrepublik vollzogen sein soll.Schon mit Erlaß des Abbaugesetzes war eine vorläufige Regelung über die Gewährung von Miet-und Lastenbeihilfen eingeführt worden. Sie beschränkte sich aber darauf, in der Übergangszeit eventuell auftretende soziale Härten abzufangen. Darüber hinaus wurde aber schon zwingend vorgeschrieben, daß die Mietpreisfreigabe erst erfolgen soll, wenn zuvor ein endgültiges Miet- und Lastenbeihilfengesetz verabschiedet ist. In dieser programmatischen Bestimmung kam die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck, die Wohnungswirtschaft nicht ohne soziale Absicherung für den einzelnen Bürger dem freien Wohnungsmarkt zu überlassen. Denn ein sozialer Rechtsstaat hat die Verpflichtung, auch das Wohnen als Elementarbedürfnis seiner Bürger in einem bestimmten, gegenüber den Allgemeininteressen vertretbaren Umfang wirtschaftlich abzusichern, wenn und insoweit der einzelne ohne sein Verschulden nicht in der Lage ist, die erforderliche Gegenleistung für ein angemessenes Wohnen aufzubringen. Das bedeutet im Hinblick auf eine marktwirtschaftliche Ordnung des Wohnungswesens, daß in Zukunft bei der Bildung freier Marktmieten im Einzelfall auftretende soziale Härten durch einen zweckbestimmten Zuschuß der öffentlichen Hand ausgeglichen werden können. Das bedeutet ferner im Hinblick auf die Eigentumspolitik der Bundesregierung, daß der Staat sich einer gleichgearteten Verpflichtung nicht entziehen darf, wenn im Falle einer Wohnungsversorgung durch privates Einzeleigentum eine Familie infolge Todesfalls, Arbeitsunfähigkeit und anderer unverschuldeter persönlicher Notlagen die auf dem Familienheim ruhenden Lasten nicht mehr voll aufbringen kann. Diese Grundsätze sind bereits im Abbaugesetz festgelegt und für das neue Wohnbeihilfengesetz verbindlich. Es kommt jetzt darauf an, diese Grundsätze zu verwirklichen und auf die Gegebenheiten einer freien Mietpreisbildung auszurichten.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2919
Dr. HesbergWenn das Wohnbeihilfengesetz diesen Zweck erfüllen soll, muß es so rechtzeitig verabschiedet werden, daß die betroffenen Staatsbürger ausreichend Gelegenheit haben, sich über die Hilfe, die ihnen zuteil werden soll, vorher zu unterrichten. Ebenso müssen die mit der Durchführung dieser Maßnahmen befaßten Stellen sich auf ihre Aufgabe vorbereiten können. In Anbetracht des gesetzlichen Termins vom 1. Juli haben sich deshalb die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP entschlossen, den Entwurf eines Gesetzes über Wohnbeihilfen einzubringen, obwohl auch von der Bundesregierung ein entsprechender Gesetzentwurf vorbereitet wird, der nach Beschlußfassung der Bundesregierung und Stellungnahme des Bundesrates dem Bundestag ebenfalls vorgelegt wird.Sinn der Gewährung von Wohnbeihilfen kann es nicht sein, den Staatsbürger der eigenen Verantwortung für seine wohnliche Unterbringung und die seiner Angehörigen zu entheben. Das würde der für die Bundesrepublik gültigen, angestrebten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht entsprechen. Die soziale Verpflichtung muß aber dort einsetzen, wo 'die wirtschaftliche Leistungskraft einer Familie augenscheinlich überfordert ist.Die Koalitionsparteien haben deshalb in dem Entwurf auf Drucksache IV/971 nach einem Mittelweg gesucht, der auf der einen Seite eine versorgungsstaatliche Ausrichtung der Ansprüche vermeidet, der auf der anderen Seite aber eine wirkliche und fühlbare Hilfe in den Fällen echter Not bedeutet. Gleichzeitig war darauf zu achten, daß die finanzielle Belastung der öffentlichen Hand, in diesem Falle des Bundes und der Länder, die die Kosten je zur Hälfte aufzubringen haben, angesichts der Haushaltslage in einem angemessenen und vertretbaren Rahmen bleibt.Der Entwurf der Koalitionsparteien verfolgt aber nicht nur das Ziel, soziale Härten zu beseitigen, die sich bei der Überführung des Wohnungswesens in die Marktwirtschaft im Einzelfall ergeben können. Er will auch die bisher schon geltenden Vorschriften über Miet- und Lastenbeihilfen, die auf verschiedener Rechtsgrundlage beruhen und unterschiedlich ausgestaltet sind, gesetzlich neu ordnen, möglichst vereinheitlichen und die Unübersichtlichkeit der geltenden Vorschriften beseitigen. Dabei haben die Koalitionsparteien sich bemüht, die Erfahrungen mit den bisherigen Bestimmungen im Rahmen des Möglichen zu berücksichtigen. Im einzelnen möchte ich auf folgende Kernpunkte des Gesetzentwurfs eingehen.Der Geltungsbereich des Gesetzes wird ' auf alle Wohnungen ausgedehnt, ohne Rücksicht auf das Baujahr und die Art ihrer Finanzierung. Damit kommen Wohnbeihilfen in Zukunft auch für frei finanzierten Wohnraum in Betracht. Es wäre unbillig, eine Wohnbeihilfe beispielsweise einem jungen Ehepaar vorzuenthalten, das sich unter Verzicht auf die heute fast allgemeinen Konsumgüter wie Fernsehapparat usw. eine frei finanzierte Wohnung gemietet hat, weil es auf die Zuteilung einer Sozialwohnung noch lange hätte warten müssen.Der Gesetzentwurf verlangt von jedem einzelnen daß er zunächst einen bestimmten Prozentsatz des Familieneinkommens für die Deckung seines Wohnungsbedarfs aufwendet, bevor er die Hilfe des Staates in Anspruch nehmen kann. Diese „Selbstbeteiligungsquote" ist nach der Einkommenshöhe und nach der Familiengröße abgestuft, und zwar von 7 v. H. bis 24 v. H. des jeweiligen Familieneinkommens, wobei unter Einkommen das um die Steuern, Versicherungsanteile und gewisse Werbungskosten verminderte Bruttoeinkommen zu verstehen ist. Ein kinderloses Ehepaar mit einem Einkommen zwischen 800 und 900 DM im Monat, also Einkommen in dem Sinne, wie ich es eben dargelegt habe, muß zum Beispiel erst einmal 24 v. H. dieses Einkommens selbst für Miete aufwenden. Liegt die zu zahlende Miete höher als diese Grenze des Familieneinkommens, so kommt die Gewährung einer Mietbeihilfe in Betracht. Demgegenüber braucht eine Familie mit fünf Kindern und einem anrechenbaren Einkommen von 400 DM im Monat nur 10 v. H., also nur 40 DM Miete, selbst zu zahlen, obwohl zweifellos die Miete für eine der Familiengröße entsprechende Wohnung wesentlich höher liegen wird. Wie Sie hieraus ersehen werden, meine Damen und Herren, sind die Tabellen bewußt nach familiengerechten Maßstäben ausgestaltet. Es war eines der Hauptziele des Koalitionsentwurfs, gerade den kinderreichen Familien den Bezug einer familiengerechten Wohnung wirtschaftlich zu ermöglichen.Die Gewährung einer Mietbeihilfe ist nicht mehr davon abhängig, daß eine Mieterhöhung stattgefunden hat. Sie wird vielmehr bewilligt, wenn jemand bisher unzulänglich untergebracht war und nunmehr eine angemessene Wohnung bezieht, jedoch die Miete nicht in voller Höhe aufbringen kann.Die Miete wird in voller Höhe als beihilfefähig anerkannt, wenn die Größe der Wohnung im angemessenen Verhältnis zur Größe der Familie steht. Es ist dem Mieter nicht verwehrt, in einer größeren Wohnung zu leben, aber er muß dann den über die ihm zugebilligte Wohnfläche hinausgehenden Teil der Miete voll aus eigener Tasche aufbringen. Bei der Festlegung der Wohnflächen für die einzelnen Familiengrößen konnte auf die bisherigen Bestimmungen zurückgegriffen werden, die sich durchaus bewährt haben. Dabei sind die Regelungen gegenüber dem Abbaugesetz verbessert worden.Der Entwurf der Koalitionsparteien trifft Vorsorge, daß die Mietbeihilfen die Ausuferung der Mieten nicht begünstigen. Deshalb sollen offensichtlich überhöhte Mieten außer Ansatz bleiben. Nach dem Gesetzentwurf sind die Länder dazu ermächtigt, Obergrenzen festzusetzen. Für den die Obergrenze überschießenden Teil muß der Mieter selbst eintreten. Dem gleichen Ziel dient auch die Festsetzung einer Eigenleistung des Mieters, d. h. eines prozentualen Betrages der Miete, den der Mieter stets selbst aufbringen muß. Deshalb wird die Wohnbeihilfe grundsätzlich auf einen bestimmten Vomhundertsatz der Miete begrenzt, normalerweise auf 40 v. H., bei Haushalten mit fünf und mehr Fa-
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2920 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Dr. Hesbergmilienmitgliedern auf 60 v. H. Das bedeutet, der Mieter erhält im Höchstfall 40 v. H. bzw. 60 v. H. der Miete ersetzt, ganz gleich, welche Wohnung er auch immer bezieht. Die Eigenverantwortung für das Wohnen soll gewährleistet bleiben.Aus der gleichen Erwägung haben sich die Koalitionsparteien entschlossen, Einkommensgrenzen festzulegen und die Anspruchsberechtigung nur den Personenkreisen zuzubilligen, die in Anbetracht ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse staatliche Hilfe benötigen und verdienen. Dabei sind aber die Grenzen durchaus großzügig bemessen, wenn sie an die des Zweiten Wohnungsbaugesetzes angelehnt sind. Das ist ein Jahreseinkommen von 9000 DM zuzüglich 1800 DM pro Familienangehörigen.Maßgebend ist das Familieneinkommen. Berücksichtigt wird dabei nur das Nettoeinkommen, das nach pauschalierten. Abzügen für Werbungskosten, Steuern und Versicherungen übrigbleibt. Im allgemeinen wird also von einem etwa um 15 % gekürzten Bruttoeinkommen auszugehen sein.Die Berechnung des Familieneinkommens enthält auch eine Reihe von Verbesserungen gegenüber den bisherigen gesetzlichen Regelungen. Bestimmte Einnahmen bleiben bei der Berechnung des Familieneinkommens gänzlich außer Betracht, so z. B. die Entschädigungsrenten nach dem Lastenausgleichsgesetz. Unterhaltshilfen und Beihilfen zum Lebensunteihalt nach dem Lastenausgleichsgesetz sowie Unterhaltshilfen nach dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz sollen nur zur Hälfte auf das Einkommen angerechnet werden.Das Kindergeld nach der Kindergeldgesetzgebung, wie auch die gesetzlichen und tariflichen Kinderzulagen sowie vergleichbare Bezüge sollen einheitlich vom dritten Kinde an bei der Ermittlung des Einkommens außer Betracht bleiben, soweit sie 40 DM je Kind im Monat nicht übersteigen. Dieser Betrag entspricht dem nach geltendem Recht höchstzulässigen Kindergeld der Kindergeldgesetzgebung.Neu sind auch Freibeträge für SBZ-Flüchtlinge. Bei diesem Personenkreis soll für die Dauer von 4 Jahren ein Freibetrag von 100 DM monatlich vom Einkommen abgesetzt werden, wenn das Einkommen des Flüchtlings bei Ermittlung des für die Höhe der Wohnbeihilfe maßgebenden Familieneinkommens berücksichtigt worden ist. Der Freibetrag gilt für jedes mitverdienende Familienmitglied, das Flüchtlingseigenschaften hat. Die Freibeträge sollen dazu beitragen, die wirtschaftliche und wohnraummäße Integration der Flüchtlinge in das Bundesgebiet zu erleichtern. Die Flüchtlinge mußten meistens alle Vermögenswerte in der Heimat zurücklassen. Die Vollbeschäftigung in der Bundesrepublik läßt zwar ihre rasche Eingliederung in den Arbeitsprozeß zu. Trotzdem müssen sie zumeist jahrelang für die Wiederbeschaffung einer Wohnung zu einer tragbaren Miete, von Hausrat und Bekleidung sparen. Daher ist es angezeigt, ihnen für eine Übergangszeit besondere Vergünstigungen im Rahmen der Wohnbeihilfe zuteil werden zu lassen, durch die ihnen eine beschleunigte Eingliederung erleichtert wird.Schließlich möchte ich noch auf die Verbesserungen bei der Lastenbeihilfe eingehen. Hierzu war schon bei der Beratung ,der Abbaugesetzgebung eine weitere Ausgestaltung in der endgültigen Regelung vorbehalten worden. Bisher kam eine Lastenbeihilfe nur in Betracht, wenn der Eigentümer eines Familienheimes oder ein mitverdienendes Familienmitglied verstorben war und sich dadurch das Familieneinkommen erheblich verringert hat. Künftig wird eine Lastenbeihilfe auch gewährt, wenn der Eigentümer oder das mitverdienende Familienmitglied nur zeitweise erwerbsunfähig wird, z. B. infolge schwerer Erkrankung, oder wenn Arbeitslosigkeit eintritt.Es würde unserer Eigentumspolitik, nachhaltig für das Familienheim zu werben, widersprechen, später den Eigentümer, der in eine unverschuldete Notlage geraten ist, seinem Schicksal zu überlassen. Seit jeher haben wir deshalb die Auffassung vertreten, daß es nicht nur Aufgabe des Staates sei, Eigentum in breitester Streuung zu begründen, sondern auch dieses Eigentum zu erhalten. Zur Erhaltung dieses Eigentums in Fällen der Notlage wird künftig die Lastenbeihilfe beitragen.Der Entwurf der Koalitionsparteien enthält noch keine Regelungen über das Verhältnis zu den Miet- und Lastenbeihilfen nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz. Wir wissen, daß den Ländern aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung sehr an einer weitgehenden Vereinheitlichung der Bestimmungen gelegen ist. Wir halten es aber für erforderlich, in den Ausschußberatungen nähere Überlegungen in Zusammenarbeit mit den Ländervertretungen darüber anzustellen, wie man diesem Anliegen Rechnung tragen kann. Dabei wird man sich bewußt sein müssen, daß die Mietbeihilfen des § 73 des Wohnungsbau- und Familienheimgesetzes eine Finanzierungskomponente im sozialen Wohnungsbau darstellen.
Der Entwurf der Koalitionsparteien erhebt keinen Anspruch darauf, in allen Punkten schon jetzt die beste Lösung gefunden zu haben. Soweit im Verlaufe der Ausschußberatungen Verbesserungen vorgeschlagen werden, sind wir gerne bereit, diese gewissenhaft zu prüfen. Der Koalition ging es vor allem darum, den Termin des 1. Juli 1963 nicht in Frage zu stellen. Deshalb haben wir uns zunächst auf diesen Entwurf verständigt, sind uns aber im klaren darüber, daß er nur eine Beratungsgrundlage ist und die Tür zu echten Verbesserungen offen läßt. Wir sind davon überzeugt, daß die Beratungen rechtzeitig abgeschlossen werden können, nachdem eine jahrelange Praxis vorliegt, und erbitten die entsprechende Mitarbeit des Hohen Hauses.Namens der Koalitionsfraktionen bitte ich, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung — federführend — und dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung zu überweisen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2921
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst dem Herrn Ausschußvorsitzenden Dr. Hesberg antworten und zum Ausdruck bringen, daß das Gesetz über die Miet- und Lastenbeihilfen zu den bedeutendsten sozialpolitischen Gesetzen zählt, die es zu verabschieden gilt. Wird doch hier zum erstenmal in Deutschland und, ich glaube, auch darüber hinaus der Versuch unternommen, sicherzustellen, daß keine Familie unter ein Minimum an Wohnraum und Eigentum gelangt, auch dann nicht, wenn wirtschaftliche Krisen über unser Volk kommen.Wir sind bei den jahrelangen Vorbereitungen für diese Vorlage davon ausgegangen, daß in der Weimarer Zeit, vor allem in den Jahren 1930 bis 1933, eine Reihe von Familien deshalb in Notlagern und Notunterkünften untergebracht werden mußten, weil sie nicht mehr in der Lage waren, die Mittel für ein Minimum an Wohnraum aufzubringen. Das ist der Anlaß zu dieser Vorlage. Sie deckt sich weithin mit dem, was die Regierung vorbereitet hat. Ich begrüße deshalb die Initiative der Koalition, die so dazu beiträgt, daß es gelingt, den 1. Juli als Termin für die Verabschiedung dieses wichtigen Gesetzes einzuhalten.Herr Kollege Jacobi, Sie haben auf diese Sache etaws polemisch reagiert.
— Ja, es war etwas polemisch, als Sie den Hinweis gaben, daß die Regierung nicht über einen Referentenentwurf hinausgekommen sei. Nun hat alle Welt erlebt, daß eine Regierungsumbildung stattgefunden hat. Das hat leider sehr viel Zeit gebraucht. Neue Herren kamen ins Amt, und diese Vorlage mußte wieder neu abgestimmt werden. Ich kann aber zum Trost sagen, Herr Abgeordneter Jacobi, die Regierungsvorlage ist unter den beteiligten Ressorts abgestimmt. Sie wird in einer der nächsten Kabinettsitzungen — ich hoffe, schon am kommenden Mittwoch — verabschiedet werden, um dann auf dem normalen Weg das Parlament zu erreichen und auch dem Bundesrat, der schon frühzeitig in die Beratungen dieser Vorlage einbezogen wurde, Gelegenheit zu geben, zu diesem Gesetzentwurf Stellung zu nehmen. Hier zeigt sich, daß Regierung und Koalition ganz ausgezeichnet zusammengearbeitet haben.Ich darf auf Ihre Ausführungen eingehen, Herr Kollege Jacobi. Was Sie heute gesagt haben, habe ich eigentlich so aufgenommen, als ob wir in den letzten 13 1/2 Jahren — Sie sind einer der ältesten Kollegen in unserem Ausschuß — nicht fast 7 Millionen Wohnungen gebaut hätten. Diese Zahl ist nicht über Ihre Lippen gekommen.
Sie haben sich, Herr Kollege Jacobi, mit dem statistischen Defizit befaßt. Statistiken sind für Politiker Hilfsmittel, um zu einem Ziel zu kommen. Das gilt auch für diese Statistik, die den Abbau der Wohnraumbewirtschaftung dann einleiten soll, wenn 3 % Defizit gegenüber der Vollversorgungerreicht ist. Was den Politiker hier interessiert, ist doch
die Frage, was und warum gebaut wird. Wo gibt es in Deutschland ein Wohnungsamt, das eine Wohnung erstellen kann?!Worum es hier geht — eine Frage, die Sie, Herr Kollege Jacobi, nicht beantwortet, nicht einmal angeschnitten haben —, ist, daß für uns, den Bundestag, die Sorge, die uns seit 13 Jahren gemeinsam bewegt, ohne Rücksicht auf Statistiken weitergelten muß: Es muß so lange weitergebaut werden, bis die letzte Familie ihre Wohnung oder ihr Eigenheim hat.
— Doch, Sie haben mit Ihren Äußerungen den Eindruck erweckt, die statistischen Unterlagen hätten eine überaus große Not aufgezeigt.
Nun ein Wort zur Sache. Ich habe bereits vor einem halben Jahr gesagt, auch Ihnen, Herr Kollege Jacobi, daß tatsächlich Veränderungen gegenüber den statistischen Erhebungen zur Zeit des Abbaugesetzes und der letzten statistischen Erhebung im Jahre 1961 eingetreten sind. Unsere statistische Abteilung hat von den 300 Kreisen 140 bereits überprüft. Das Ergebnis ist, daß die Veränderungen plus und minus sich in sehr engen Grenzen halten. Unbeschadet dieser Tatsache habe ich vor einem halben Jahr öffentlich geäußert, daß ich diese Erhebungen anstellen ließe, um exakte Unterlagen zu bekommen. Sie wissen, daß die Erstellung dieser Unterlagen nicht eher möglich ist. Ich wollte von mir aus dem Hohen Hause den Vorschlag machen, den Veränderungen beim Abbaugesetz und den Terminen Rechnung zu tragen. Ich möchte also den Herrn Ausschußvorsitzenden und Sie bitten, dafür zu sorgen, daß die Unterlagen, die in den nächsten Wochen fertig werden und die Ihren und unseren Wünschen dann exakt Rechnung tragen, und die daraus abgeleiteten Ergebnisse bei der Beratung der Initiativvorlage im Ausschuß berücksichtigt werden. Dem könnten Sie wohl zustimmen. Wir werden diese Überlegungen exakt einbauen.
Dann möchte ich das Hohe Haus und insbesondere auch die Opposition bitten — da lasse ich nicht locker —, uns bei der Durchsetzung der Auffassung zu unterstützen, daß die Bautätigkeit, die Fertigstellung von Wohnungen wichtiger ist als alle noch so gründlichen Überlegungen in bezug auf Statistiken. Ich kann hier bekanntgeben, daß es im letzten Jahr gelungen ist, etwa 572 000 Wohnungen im Bundesgebiet und in Berlin fertigzustellen. Das ist eine ungewöhnliche Leistung. Sie wissen, daß wir einen Überhang von etwa 750- bis 800 000 im Bau befindlichen, finanzierten Wohnungen haben. Sie kennen unsere Sorge, daß nach dem strengen Winter bei
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Bundesminister LückeBeginn des warmen Wetters ein großer Druck auf die Bauwirtschaft und das Baugewerbe entsteht. Wir werden alle miteinander Mühe haben, zu verhindern, daß eine unverhältnismäßig starke Kostensteigerung eintritt. Für die Bundesregierung erkläre ich ausdrücklich, es ist schon jetzt sichergestellt, daß wie in den vergangenen Jahren so auch in den nächsten zwei bis drei Jahren jeweils 500 000 Wohnungen fertiggestellt werden.Nun haben Sie gesagt, es würden aber nicht so viele Sozialwohnungen fertiggestellt, wie vorgesehen sei. Meine Damen und Herren, es sind in den letzten Jahren rund 200 000 Wohnungen mehr fertiggestellt worden, als das Abbaugesetz für diesen Zeitraum verlangt. Es sind mehr Sozialwohnungen fertiggestellt worden, als es das Wohnungsbau- und Familienheimgesetz vorsieht. Im neuen Haushalt ist die Finanzierung — darüber hat der Abgeordnete Jacobi kurz gesprochen — von etwa 220 000 Sozialwohnungen vorgesehen. Das ist das Programm.Sie wissen, daß es daneben natürlich auch Wohnungen gibt, die den gleichen Charakter haben, aber nicht mit öffentlichen Mitteln gefördert werden. Das ist immerhin ein Volumen von 30- bis 50 000 Wohnungen; es ist also jetzt schon mit Hilfe des Überhangs und der bereitgestellten Finanzierungsmittel sichergestellt, daß in den Jahren 1963, 1964 und 1965 je 500 000 Wohnungen fertiggestellt werden können. Damit hat sich der Abbauplan, der nunmehr 2 1/2 Jahre in Kraft ist, bewährt, und die Ziele sind ganz klar zu erkennen. Es darf nun nicht wieder geschehen, daß der wichtigste Termin, das ist richtig, versäumt wird, nämlich der 1. Juli 1963.Am 1. Juli 1963 werden etwa 300 kreisfreie Städte und Landkreise aus der Wohnraumbewirtschaftung und der Mieterschutzbindung herausgenommen. Dann sollen die Gesetze, die Herr Abgeordneter Hesberg für die Koalition vertreten hat, in Kraft treten. Es handelt sich vor allem um die Wohnungsbeihilfen. Ich bitte sehr darum, daß das dem Hause vorliegende Gesetz über den rechtlichen Teil des Mieterschutzes dann auch in Kraft gesetzt wird. Das wird Arbeit kosten. Ich bin aber überzeugt, daß der Ausschuß dieses Ziel in guter Zusammenarbeit schaffen wird.Der einzige, der nämlich auf der Strecke bleibt —wie das in unserer Sprache so allgemein immer wieder heißt —, sind große Teile des kleinen Althausbesitzes. Der kleine Althausbesitz leidet Not. Er ist durch die Entwicklung der letzten 40 Jahre vielfach nicht in die Lage versetzt worden, seinen Bestand zu modernisieren. Wir haben hier eine Menge nachzuholen, und es ist darum dringend notwendig, daß hier der Markt zum Tragen kommt, wie es das Abbaugesetz vorsieht.Ich bin dankbar, daß die sozialdemokratische Fraktion hier erklären ließ, sie sei dafür, daß die Marktwirtschaft auf dem Gebiete des Wohnungswesens eingeführt wird. Ich glaube, daß durch die Zusagen, die gegeben werden konnten, Ihre Bedenken beseitigt worden sind.
Zum Schluß muß ich noch etwas zu zwei Bernerkungen sagen, die man nicht stehen lassen kann. Herr Kollege Jacobi, Sie sollten in bezug auf das Bundesbaugesetz nicht so global in Finsternis machen und sagen: Das hat nicht funktioniert! Denn Sie sind ein ausgezeichneter Kenner dieser schwierigen Materie. Das Bundesbaugesetz trifft auf eine sehr schwierige Lage, und es ist nicht einfach, alles das durchzuführen. Es fehlen uns hochqualifizierte Fachkräfte bis zum Katasteramtssekretär hinunter. Sie kennen die allgemeinen Schwierigkeiten. Darum ist es nicht richtig, daß das Bundesbaugesetz nicht funktioniert habe.Was noch nicht funktionieren konnte, ist seine völlige Durchführung in einer Anzahl unserer Gemeinden, Kreise und Städte. Dennoch wird Ihnen jeder Fachmann in den Gemeinden, vor allem bei den großen Städten, die über hochqualifizierte Fachkräfte zur Durchführung dieses Gesetzes verfügen, bestätigen, daß damit endlich ein brauchbares Gesetz geschaffen wurde, das die baupolitische Zukunft der Städte und Gemeinden ordnet.Ganz zum Schluß, Herr Jacobi, das alte Lied — ich höre ès immer wieder —, daß die Baulandpreise zu hoch sind. Meine Damen und Herren, ist denn der Wohnungsbauminister dafür verantwortlich, oder wen wollten Sie mit diesem Hinweis auf die Baulandpreise anreden?
Meine Damen und Herren, jeder Volksvertreter und jedermann, der sich mit diesem Thema befaßt, weiß, daß diese Frage zu den schwierigsten zählt, die es zu regeln gilt. Wenn es nicht gelingt, das Bundesbaugesetz schrittweise durchzuführen, wenn es nicht gelingt, die Marktwirtschaft auch auf dem Gebiete des Wohnungswesens immer mehr in Kraft treten zu lassen, wird es schwierig bleiben, Bauland zu vernünftigen Preisen auf den Markt zu bringen. Der Bund hat das Menschenmögliche getan. Er hat getan, was er tun konnte.
Mein Appell richtet sich noch einmal an die Länder und die Gemeinden, vor allem aber an die gemeinnützige Wohnungswirtschaft und die freien Wohnungsunternehmen, auch ihrerseits preiswertes Bauland bereitzustellen und so die Marktsituation etwas zu erleichtern. Wir sollten nicht nur das, was der Bund getan hat, kritisieren, sondern gemeinsam versuchen, diese schwierige Situation zu erleichtern. Schließlich weiß jeder Fachmann, daß auf die Dauer nur durch eine wirksame Raumordnung und durch eine durchgreifende Städtebaupolitik Bauland zu vernünftigen Preisen auf den Markt kommt.
Solange die Menschen weiter in die Ballungsräume strömen — und hier liegen die Ursachen für viele Ihrer statistischen Zahlen —, solange diese Räume unter ,dem Druck des Verkehrs der hineinströmenden Menschen ersticken, solange man in diesen Ballungsräumen mit dem Problem nicht fertigwer-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2923
Bundesminister Lückeden kann, ist es nicht möglich, etwa in Köln-Mitte, in Frankfurt-Mitte, in München-Mitte billiges Bauland etwa für Eigenheime und Kleinsiedlerstellen zu finden. Darum wird das Raumordnungsgesetz vorgelegt. Es wird in den nächsten Wochen dem Bundestag zugeleitet werden. Ich hoffe, daß damit endgültig der Rahmen abgesteckt wird, in dem wir mit dieser ungewöhnlich schwierigen Frage fertigwerden können.
Das Wort hat der Abgeordnete Hammersen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei verkennt keineswegs das Risiko, das mit der Einführung der für den 1. Juli 1963 in den sogenannten weißen Kreisen in Kraft zu setzenden Gesetze, nämlich des Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften und des Gesetzes über Wohnbeihilfen, verbunden sein könnte. Insbesondere ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß auch bei Zugrundelegung der amtlichen statistischen Angaben über den Wohnungsfehlbestand in den weißen Landkreisen, in denen neben Landgemeinden, die vielleicht sogar schon jetzt über leerstehende Wohnungen verfügen, andere Landgemeinden, insbesondere aber kreisangehörige Städte, mit einem höheren Wohnungsfehlbestand als 3 % vorhanden sind, gewisse Schwierigkeiten entstehen können und zeitweilige Härten nicht zu vermeiden sind. Andererseits haben die Ausführungen des Sprechers der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion meine politischen Freunde nicht davon überzeugen können, daß aus den vorgenannten Gründen eine Verschiebung des Stichtages für die Einführung der bereits in oder kurz vor der Ausschußberatung befindlichen Gesetzentwürfe um ein Jahr unvermeidlich ist.
Wir glauben vielmehr — und die Erfahrungen mit der seinerzeitigen Einführung der Marktwirtschaft, für die wir Freien Demokraten uns in erster Linie verantwortlich fühlen, ermutigen uns in dieser Hinsicht —, daß sich die möglichst baldige Einführung marktwirtschaftlicher Prinzipien auch ,auf dem zugegebenermaßen gesondert gelagerten Wohnungsmarkt aus vielerlei Gründen heilsam auswirken wird. Es wird darauf ankommen, bei den Ausschußberatungen sicherzustellen, daß soziale Härten vermieden werden. Hierfür bieten die vorgelegten Gesetzentwürfe nach unserer Ansicht eine durchaus brauchbare Grundlage. Der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion hat durch seinen Zwischenruf zu erkennen gegeben, daß er mit seinen Freunden zu einer exakten Prüfung bereit ist.
Die FDP-Fraktion spricht sich daher gegen die Annahme des Antrags der SPD-Fraktion auf Drucksache IV/900 und für die Ausschußüberweisung des Antrags auf Drucksache IV/971 aus.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Berger-Heise.
Meine Herren! Meine Damen! Ich habe nur zu der Drucksache IV/971 zu sprechen, dem soeben von Herrn Dr. Hesberg begründeten Entwurf eines Gesetzes über Wohnbeihilfen.Herr Minister, wenn jetzt, vier Monate vor der Freigabe der Mieten und der Aufhebung des Mieterschutzgesetzes in den 300 sogenannten weißen Kreisen, die Bundesregierung noch immer nicht in der Lage ist, ihr seit Jahren angekündigtes Wohnbeihilfengesetz dem Bundestag vorzulegen, so läßt sich das wohl schwer damit erklären, daß zwei neue Herren in Ihr Ministerium eingezogen sind.Auf die Frage meines Kollegen Reitz in der Fragestunde am 16. Dezember 1960 antwortete der Herr Staatssekretär Ernst, er wolle dem Kabinett die Vorlage über die endgültigen Miet- und Lastenbeihilfen im Frühjahr 1961 zuleiten. Wie wir den Herrn Staatssekretär kennen, ist anzunehmen, daß er das getan hat, was er zugesagt hatte. Aber jetzt, zwei Jahre später, wissen wir, daß das Bundeskabinett noch immer nicht dazu gekommen ist, die widerstreitenden Ansichten der Ressortminister auf einen Nenner zu bringen, um uns einen eigenen Entwurf vorzulegen. Oder sollte, Herr Minister, der Erbfolgekrieg hinter den Kulissen die ganze Zeit der Herren Minister in Anspruch nehmen? Ich hoffe, nicht. Wenigstens haben wir jetzt nach Ihren Aussagen die Aussicht, daß wir kurz vor dem Termin des 1. Juli wieder einen neuen Entwurf in den Ausschuß bekommen, den wir heute noch nicht kennen.Wir haben immer noch das schlechte Beispiel des Lückeschen Abbaugesetzes aus dem Jahre 1960 in Erinnerung. Sie entsinnen sich, da war bei einer Beratung über den Umbau des geheiligten Bürgerlichen Gesetzbuchs immer ein Aktenträger zwischen den Ausschüssen unterwegs, der dem einen Ausschuß die Ergebnisse des anderen mitteilte. Wir haben das für eine unwürdige Behandlung eines solchen Gesetzeswerks gehalten, und wir halten eis auch in diesem Fall nicht für statthaft, daß so verfahren wird.Nun haben die Koalitionsparteien heute diesen Gesetzentwurf IV/971 eingebracht. Aber es bleibt eben immer noch offen, ob das, was sie an finanziellen Belastungen in diesem Gesetz vorsehen, nachher auch die Koalitionsmehrheit finden wird.
Wir wollen es hoffen, weil sich dieser Entwurf vornehmlich durch stark heraufgesetzte Einkommensgrenzen von dem Referentenentwurf der Regierung unterscheidet.
— Ich kann Ihnen jetzt nicht antworten; ich kann Sie kaum verstehen.Das ist schon deswegen wichtig, weil dieses Gesetz das endgültige Wohnbeihilfengesetz darstellen soll, das nach und nach — so nehme ich an — das
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Frau Berger-Heiser halbe Dutzend anderer Mietbeihilfenregelungen ablösen soll. Dieses Gesetz wird benötigt. Der Bundeswohnungsbauminister rechnet, wie man nachlesen kann, mit einer Mietensteigerung von ungefähr 40 % in den Jahren von 1960 bis 1966, während der Bundesfinanzminister bei seiner Berechnung der Kosten Ihres Entwurfs, meine Herren, eine Mietensteigerung von 60 % zugrunde legt. Das würde, wenn der Entwurf so Gesetz wird, wie er hier vorgelegt worden ist, Bund und Länder mit je ungefähr 250 Millionen DM jährlich belasten.Nun wird in der Begründung dieses Entwurfs darauf verwiesen, daß die bisherigen gesetzlichen Mietbeihilfen Bund und Länder nicht wesentlich belasten, und es klingt die Hoffnung durch, die Mieter mögen auch von diesem Gesetz möglichst wenig Gebrauch machen.
Welche Gründe gab es denn bisher für die Zurückhaltung der Mieter? Erstens lag diese Zurückhaltung daran, daß die Mieten bisher gesetzlich begrenzt waren — das werden Sie mir zugestehen —, zweitens an den bisher zu niedrig festgelegten Einkommensgrenzen — die Beihilfen hätten oftmals nur wenige Mark für die Familie ausgemacht, und die Familie hat dann darauf verzichtet —, drittens an dem umständlichen Verfahren, wenigstens zu Beginn der Mietbeihilfenregelung — um eine Mietbeihilfe bewilligt zu bekommen, mußten zunächst einmal insgesamt 6 DIN-A-4-Seiten ausgefüllt werden —, und viertens kommt der Behördenkasse noch immer zugute, daß die meisten Menschen nur höchst ungern für ein paar Mark zum Amt gehen und ihre wirtschaftlichen Verhältnisse bloßlegen. Auch für dieses Wohnbeihilfegesetz kann man voraussagen, daß die Scheu vor der Offenlegung der Verhältnisse bleiben wird.Aber diesmal besteht, weil die Mieten nicht mehr begrenzt sein werden, die Gefahr, daß die Menschen dann lieber in hygienisch und sozial unzulängliche Wohnungen umziehen, um ihre Miete aus der eigenen Tasche zahlen zu können. Aus sozialen und aus gesundheitlichen Gründen wäre so eine Nivellierung nach unten höchst bedenklich!Darum muß diesem Entwurf der Fürsorgecharakter genommen werden. Es genügt dabei nicht, in dieses Gesetz hineinzuschreiben, daß die Mietbeihilfen keine Fürsorgeleistungen darstellen. Die Behörden müssen vielmehr ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß das auch bei der Behandlung der Antragsteller zum Ausdruck kommen muß.Daß in diesem Entwurf nun vorgeschlagen wird, für Kellerwohnungen und abbruchreife Behausungen keine Wohnbeihilfen zu geben, ist wohnungspolitisch durchaus richtig. Nur müßte sich der Gesetzgeber dann auch endlich dazu bereit finden, für alle diese schlechten Wohnungen, für all die Bruchbuden, die von dem § 9 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes noch nicht einmal alle erfaßt werden, generell auch jede Mieterhöhung auszuschließen. Statt dessen werden am 1. Juli auch die miserabelsten Behausungen frei von jeder bisherigen Mietpreisbindung, und solange wir keinen Wohnungsmarkt mit ausreichenden Wohnungen haben, steigen auch diese Mietpreise. Der Bewohner einer solchen Wohnung aber kann keine Beihilfe beantragen; er wird also für eine schlechte Wohnung mehr bezahlen müssen, ist jedoch von der Mietbeihilfe ausgeschlossen.Wenn die Mieten der schlechten Wohnungen frei werden und steigen und Wohnbeihilfen nicht gewährt werden, andere Wohnungen aber noch nicht zur Verfügung stehen, dann sind diese Mieter doppelt gestraft.Es müßte also eine Revision des „Bruchbudenparagraphen" erfolgen, eine viel weiter ausgelegte Begriffsbestimmung menschenunwürdiger Wohnungen vorgenommen werden, die dann von der Mietpreisfreigabe auszunehmen sind. Die Wohnungen, die der Ausschuß in Berliner Hinterhöfen oft schaudernd besichtigt hat, sind durch Urteile der letzten Jahre immer wieder als mieterhöhungswürdig anerkannt worden, weil eben der § 9 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes so auslegungsfähig ist.Um dem Bürger die Sorge vor dem 1. Juli zu nehmen, weist nun der Pressedienst der CDU/CSU dieser Tage auf den § 23 des Ersten Bundesmietengesetzes hin, nach dem bei lauf e n d en Mietverhältnissen die Mieterhöhung nur bis zu einer angemessenen Höhe erfolgen kann. Das trifft aber nur so lange zu — und das weiß der Pressedienst natürlich auch —, wie nicht der Vermieter durch Kündigung das laufende Mietverhältnis unterbricht und einen neuen Vertrag fordert, in dem er sich an die Kostenmiete nicht mehr zu halten braucht. Immerhin ist die Kostenmiete eine erste Bremse, aber nur für bestimmte Wohnungen. Wenn diese vorläufige Begrenzung etwas wirksamer werden soll — und dafür wären wir —, dann müßten der Bundesminister für Wohnungsbau und der Bundesminister für Wirtschaft beide von ihrem Recht gemäß § 23 des Ersten Bundesmietengesetzes Gebrauch machen und durch Rechtsverordnung Vorschriften darüber erlassen, wann in Fällen anderer Preisfreigaben — also am 1. Juli — eine Miete als angemessen erhöht anzusehen ist.Darum frage ich den Herrn Minister, wann er von diesem damals im Ersten Bundesmietengesetz festgelegten Recht Gebrauch zu machen gedenkt. Denn wenn in dieser Vorlage Drucksache IV/971 nach § 43 Abs. 5 die Länderregierungen ermächtigt werden, durch Rechtsverordnung Obergrenzen für die Berücksichtigung der Mieten und Belastung festzusetzen, die sich an die Mieten des öffentlich geförderten Wohnungsbaues anlehnen, so werden dadurch ja nur die Wohnbeihilfen begrenzt, aber nicht etwa die Mieten.Es wäre zu diesem Entwurf noch vieles zu sagen; z. B. dazu, daß das Kindergeld des zweiten Kindes dem Einkommen zugeschlagen wird, während das beim dritten Kind nicht der Fall ist. Das zweite Kind, meine Herren, ißt und will gekleidet sein und wohnt genauso wie das dritte Kind.Die übrigen Unebenheiten dieses Entwurfs werden wir Sozialdemokraten im Ausschuß gemeinsam mit Ihnen zu planieren versuchen. Nur über eines
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Frau Berger-Heisesollten wir uns hier und heute schon klar sein — und das sage ich, weil Sie, Herr Minister, vorhin wieder davon sprachen, daß keine Familie unter ein Minimum an Wohnraum gelangen wird —:
Ein soziales Wohnbeihilfengesetz kann in bestimmten Grenzen einem Wohnungsinhaber wirtschaftlich helfen. Es kann ihm aber niemals — wie man immer wieder in Ihrer Presse liest — die Wohnung sichern. Die Sicherung der Wohnung wurde durch den Kündigungsschutz des Mieterschutzgesetzes gewährleistet. Wenn das Mieterschutzgesetz nach, dem Willen der CDU/CSU und der FDP am 1. Juli in den 300 weißen Kreisen wegfiele, bliebe nach den vorliegenden Entwürfen lediglich ein befristeter Räumungsschutz übrig und nicht mehr. Darum kann man nicht behaupten, dieses Wohngeldgesetz sichere jeder Familie ihre Wohnung. Sicherheit liegt nur in einem weiter fortgeführten Wohnungsbau — da sind wir mit Ihnen völlig einer Meinung, Herr Minister —, vor allem auch in einer Weiterführung des preisregulierenden sozialen Wohnungsbaues, und in einer Einkommens- und Rentengestaltung, die es dem Mieter gestattet, ohne Beihilfen seine Miete selbst zu bezahlen. Bis wir dahin kommen, ist ein Wohnungsgeldgesetz nötig. Wenn es aber richtig ist — was in der anscheinend gut unterrichteten Wohnungsbaupresse zu lesen steht —, daß sich der Finanzminister, der Wirtschaftsminister und der Wohnungsbauminister auch heute noch nicht über die Grundsatzfragen und die finanzielle Seite einig sind, möchte ich an dieses Haus appellieren, daß es gemeinsam ein möglichst gutes Wohnbeihilfengesetz schafft. Wir Sozialdemokraten sind gern bereit, daran mitzuarbeiten.
Das Wort hat der Abgeordnete Czaja.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich, bevor ich auf einige sehr wesentliche Punkte der Ausführungen von Frau Berger-Heise eingehe, etwas Grundsätzliches sagen. Ich glaube, daß derjenige zum schweren Schaden des Mieters, aber auch des anständigen Hausbesitzers handelt, der übertriebene Behauptungen in die Welt setzt, statt beide Teile, Mieter und Vermieter, auf die rechtlichen Möglichkeiten hinzuweisen und über die zukünftigen Wege geordneten Vertragsrechts zu informieren. Wer nicht ununterbrochen beiden Teilen die rechtlichen Möglichkeiten und die Pflichten aufzeigt, sondern im Nebel allgemeinen Geredes mit Schlagworten um sich wirft, verwirrt und schadet der Bevölkerung.
— Den, der das tut. Ich habe hier keinen Namen genannt. Ich weiß gar nicht, warum Sie an dieser Stelle Ihren Zwischenruf gemacht haben.
- Ja, dann bilden Sie sich doch selbst ein Urteil, Herr Kollege Jacobi. Derjenige, der das tut, nimmt irgendwie dem bedrohten Vertragspartner — und das möchte ich nur vermeiden — beim Mietvertrag den Mut, sich zu wehren. Er treibt ihm Schrecken ein; er läßt ihn dann unter diesem Schrecken unzulässige und ungesetzliche Forderungen akzeptieren oder gar in seiner Wohnungssituation und in seinen familiären Verhältnissen verzweifeln. Und gerade das möchten wir nicht. Weder dies möchten wir noch die unterschwellige Propaganda, daß man nach dem 1. Juli in weißen Kreisen alles fordern, daß man dort Uberforderungen zumuten könne und daß es keine geordneten Vertragsverhältnisse gebe.
— Ich habe nicht gesagt, daß das heute jemand hier gesagt hat. Ich habe Ihnen gesagt: bilden Sie sich selbst ein Urteil darüber, ob Sie dazu beitragen oder nicht. Ich habe diese Behauptung nicht aufgestellt. Ich habe nur gesagt, wer so handelt, der tut es. Ich habe hier nicht Roß und Reiter genannt. Ich will nur die Bevölkerung davor warnen und erreichen, daß man die Dinge nüchtern überschaut.
Es gilt, die Bevölkerung auf die Möglichkeiten und Grenzen des Vertragsrechts und der sozialen Hilfen aufmerksam zu machen.Und nun zum Praktischen! Ich glaube, daß das, was Sie an wohnungsstatistischen Angaben gemacht haben, wichtig ist. Ich glaube — und auch das sollte zur Beruhigung beitragen —, daß der Bundesminister — und ich darf das auch für die CDU/CSU erklären — sich auf den Standpunkt stellt, daß die neuesten Ergebnisse der Wohnungsstatistik der Entscheidung zugrunde gelegt werden müssen, ob in einem Kreis die Mietpreisbindung aufgegeben wird oder nicht. Das bedeutet — um auch hier das etwas düstere Bild, das Sie gezeichnet haben, aufzulokkern —: dort, wo heute nach den neuesten Ergebnissen die 3% überschritten werden, kann eine Freigabe nicht erfolgen.
— Das ist unsere Auffassung, und das werden wir auch bei der Gesetzesberatung vertreten.
Ich hätte es eigentlich begrüßt, Herr Kollege Jacobi, wenn Sie, um die Bevölkerung aufzuklären— ich bin davon überzeugt, daß die wohnungsstatistischen Daten, die Sie hier bis hinunter zu den kleinsten Gemeinden bekanntgegeben haben, dazu bestimmt sind, auch in der Ortspresse abgedruckt zu werden —, auch darauf hingewiesen hätten — insofern möchte ich Ihre Ausführungen jetzt ergänzen —, daß jede Gemeinde mit über 10 000 Einwohnern, auch in einem weißen Kreis, das Recht hatte, den Antrag auf Ausnahme von der Aufhebung der Wohnraumbewirtschaftung am 1. Juli 1963 zu stellen, wenn sie jetzt noch einen Fehlbestand von 5 %
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2926 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Dr. Czajahatte. Auch das muß zur Beruhigung und Aufklärung der Bevölkerung draußen gesagt werden.
— Doch, es steht im Gesetz, im Abbaugesetz.
Auch das muß man zur Abrundung sagen. Es muß hinzugefügt werden, daß die dynamisch wachsenden Gemeinden auch unter 10 000 Einwohnern ebenfalls dieses Antrags- und Ausnahmerecht haben. Schon damit könnten Sie in manchen weißen Kreisen viel von der Beunruhigung wegnehmen.Lassen Sie mich folgendes zur Situation in den weißen Kreisen hinzufügen, in denen die Mietpreisbindung nur unter der Voraussetzung auslaufen wird, daß die Miet- und Lastenbeihilfen bis 1. Juli in Kraft sind. In diesen Kreisen wird niemand fristlos auf die Straße gesetzt werden. Für niemand besteht dort die Gefahr, daß er bei Mietpreisanhebungen in seiner Miete überfordert wird. Zwei Dinge werden das hemmen.Als erstes nenne ich die bereits in Kraft getretenen Vorschriften des BGB. Frau Kollegin BergerHeise, Sie haben — vielleicht mit Recht — kritisiert, daß die Begleitumstände der Verabschiedung dieser Vorschriften infolge der Überlastung des Rechtsausschusses nicht immer erhebend waren. Aber Gott sei Dank haben wir nun die Bestimmungen zur Sicherung des Mieters in den weißen Kreisen. Die wichtigste Bestimmung davon bezieht sich auf die verlängerten Kündigungsfristen mit der Sozialklausel, nach denen der Mieter vor Gericht sein Recht suchen kann, wenn seine Existenz vernichtet würde. Diesen Bestimmungen, die Gott sei Dank schon gültig sind, brauchen wir nur noch einige Ergänzungen hinzuzufügen. Hoffentlich bringen wir sie schneller als das letzte Mal durch. Eine Regierungsvorlage dazu liegt ja bereits vor.Zweitens möchte ich die Initiative erwähnen, die die Regierungsmehrheit — CDU/CSU und FDP — ergriffen hat. Wir glauben, daß sie schon vor dem 1. Juli 1963 zum Ziele führen wird. Dabei hoffen wir auf Ihre loyale Mitarbeit bei einer sorgfältigen, zügigen, aber nicht überhasteten Beratung; diese Beratung soll, soweit das von der Sache her möglich ist, rasch erfolgen. Diese Wohnbeihilfen werden dann dazu führen, daß niemand über ein Maß hinaus mit Mietzahlungen für einen ausreichend bemessenen Wohnraum belastet wird, das bei seinen Einkünften vertretbar ist.Diese zwei Punkte müssen hier einmal klar herausgestellt werden, damit draußen in den Kreisen keine Panik entsteht. — Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen, Herr Kollege Jacobi?
— Bitte sehr!
Sind Sie wirklich der Auffassung, Herr Kollege — ich muß die Frageform benutzen, damit ich vom Präsidenten nicht gerügt werde —, ich hätte die Bestimmung des § 3 d des Wohnungsabbaugesetzes nicht gekannt, nach der die Möglichkeit besteht, daß Gemeinden über 10 000 Einwohner, wenn ihr Defizit höher als 5 v. H. ist, einen entsprechenden Befreiungsantrag stellen können und Gemeinden von über 2000 Einwohnern dann einen solchen Antrag stellen können, wenn das Defizit mindestens 3 v. H. beträgt? Ich habe das selbstverständlich gewußt; aber die Rechtsverordnungen sind erlassen. Ich würde mich freuen, wenn die Bundesregierung den Landesregierungen entsprechende Hinweise gäbe, daß auch das revidiert werden kann.
Ich kann natürlich nicht wissen, ob Sie das gewußt haben; Sie haben es hier nicht gesagt, Herr Kollege Jacobi. Ich wollte ganz klar gesagt haben, daß es in der Hand dieser Gemeinden liegt, zu verhindern, daß sie aus der Mietpreisbindung herausfallen. Das sollte dann auch in den Ortsblättern stehen.
— Das müssen Sie auf der örtlichen Ebene austragen. Da gibt es auch Gemeinderäte. Ich glaube nicht, daß in diesen Gemeinderäten nur die CDU vertreten ist; wahrscheinlich werden dort auch vereinzelt SPD-Gemeinderäte sitzen.
Nun haben wir hier das Wohnbeihilfengesetz vorliegen. Ich verstehe eine gewisse Verärgerung bei der SPD, die das mit einer Kritik an der Regierung verknüpft, daß das noch nicht vorgelegt worden ist, eine Verärgerung darüber, daß die Partei, die sonst manchmal das Monopol für die Ausgestaltung des sozialen Rechtsstaates besitzen zu müssen meint, nun erleben muß, daß in dieser für einen sozialen Rechtsstaat grundlegenden Angelegenheit die CDU/ CSU die Initiative ergriffen und das endgültige Wohnbeihilfengesetz eingebracht hat.
— Ich weiß, daß Sie das stört; aber freuen Sie sich doch darüber, daß die CDU/CSU und die FDP hier so stark den Gedanken des sozialen Rechtsstaates durch eine Initiative zu verwirklichen suchen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn ich den Satz beendet habe, Herr Präsident! — Und denken Sie daran, daß Sie einer Entschließung, die wir in der 117. Sitzung des Deutschen Bundestages der vergangenen Legislaturperiode im Mai 1960 eingebracht haben, zugestimmt haben, einer Entschließung, in der sich das Haus gemeinsam dafür ausgesprochen hat, daß bald ein Gesetzentwurf vorgelegt werden solle. Nun, die konstruktive Opposition hätte das tun können, aber die Koalition ist ihr — für uns Gott sei Dank, für Sie vielleicht leider — zuvorgekommen.
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Herr Dr. Czaja, sind Sie nicht vielleicht der Meinung, daß der Grund für die Initiative der Koalitionsparteien eher darin zu suchen ist, daß man die Regierung aus einer etwas schwierigen Lage befreien wollte, nämlich aus der Zeitbedrängnis? Immerhin wissen wir ja alle, daß Sie mit diesem Initiativgesetzentwurf ungefähr vier Wochen für den ersten Bundesratsdurchgang einsparen können, und ,das wäre der Regierung mit ihrem Entwurf nicht möglich.
Ich glaube nicht, daß Sie die CDU dafür geißeln wollen, daß sie sich darum bemüht, dieses sozial so wichtige Gesetz, das mit zur Verankerung des sozialen Rechtsstaates beiträgt, in sorgfältiger Prüfung, aber möglichst bald über die Runden zu bringen.
Ich hoffe, daß Sie dabei fleißig und entschieden mitarbeiten werden. Ich bin das aus der sachlichen Arbeit im Ausschuß, die Sie heute schon durch Ihre Hinweise praktischer Art angedeutet haben, nicht anders gewohnt.Nun zu dem Gesetz selbst. Wir sind der Meinung, es ist ein mutiger Schritt. Es ist aber nicht der Weisheit letzter Schluß. Wir bedürfen in der Beratung insbesondere auch der konstruktiven Mitarbeit der Opposition, für die wir dankbar sind. Wir bedürfen aber in der Beratung auch der Erfahrung von der Front seitens der Länder. In diesem Zusammenhang will ich auf etwas eingehen, was Sie gesagt haben. Wir haben das Gesetz nicht eingebracht, um die Länder zu überspielen, sondern haben es eingebracht, damit es rechtzeitig vor dem 1. Juli in Kraft treten kann. Wir erhoffen, erwarten und erbitten, daß die Länder mit ihren Leuten, die Fronterfahrung haben, zumindest als Experten an .der Beratung teilnehmen. Die Argebau hat sich ja lange damit befaßt. Wir wissen, daß die einzelnen Herren im Ausschuß nicht namens der Kabinette sprechen können, aber wir erhoffen ihre Mitwirkung auf Grund ihrer Fronterfahrung.Nun ein praktisches Beispiel dafür, daß das Wohnbeihilfengesetz in bezug auf eine wirtschaftliche Sicherung tatsächlich etwas erbringt. Da bin ich mit Ihnen, Frau Kollegin Heise, einig: es kommt auf die wirtschaftliche Sicherung desjenigen an, der eine Wohnung hat oder eine Wohnung anstrebt, damit er sie aus wirtschaftlichen bzw. finanziellen Gründen nicht verliert. Wer 600 DM an Einkünften hat — das entspricht, da es sich um „bereinigte" Einkünfte handelt, wahrscheinlich einer Nettoeinnahme von 700 DM monatlich — und drei Kinder besitzt, braucht an Selbstbehalt nur 96 DM aufzubringen. Das sind bei einer 80-qm-Wohnung, die noch zur benötigten Wohnfläche zählt, nur 1,20 DM pro Quadratmeter Wohnfläche; darüber hinaus wird der Rest durch Miet- und Lastenbeihilfen getragen. Bei einer Familie mit fünf Kindern und 600 DM an Einkünften — praktisch 750 DM ohne Bereinigung — ergibt sich — bitte hören Sie genau zu! — ein Selbstbehalt von 72 DM für 100 qm. Das ergibt 72 Pfje Quadratmeter Wohnfläche. Was darüber hinausgeht, wird bei dieser kinderreichen Familie durch Miet- und Lastenbeihilfen getragen.Wir wissen, daß noch einige Härten darin sind. Wir müssen uns die Kappungsgrenzen ansehen. Ebenso müssen wir uns das Verfahren ansehen. Da sind wir für die Vorschläge dankbar, die Sie uns vielleicht machen werden, damit das nicht in den Geruch der sozialen Fürsorge gerät. Wir sind, wenn Sie uns bei der Schaffung einer weiteren Übersichtlichkeit helfen können, immer wieder dankbar, und ich glaube, daß sich die Beratungen über diesen Gesetzentwurf im Ausschuß gut entwickeln werden, weil wir dort doch wahrscheinlich das Gemeinsame wollen. Aber einmal muß ja auch die CDU/CSU zusammen mit der FDP früher kommen als die SPD, und das ist hier nun gelungen.
Da wollen wir uns doch nicht gegenseitig böse sein.Noch ein Wort zu der Frage der Baulandpreise. Ich habe hier viel Kritik vom Herrn Kollegen Jacobi gehört, aber ich habe keinen konstruktiven Vorschlag von ihm gehört, was man nun tun soll. Ich habe sehr genau hingehört, ob er irgend etwas dazu sagen würde. Er hat nicht einmal ,die alte Wertzuwachssteuer genannt, die die SPD früher zur Diskussion gestellt hat; sonst hätte man ihm ja entgegnen müssen: Nach dem Grundgesetz ist das eine Ländersteuer, und nicht einmal ein Parlament, in dem die SPD die Mehrheit hat, hat bisher diese Länderregelung beschlossen.
Sie haben sehr breit über die Baulandpreise gesprochen und sehr viel Kritik angemeldet, aber keinen konstruktiven Vorschlag gemacht.
Nun zum Bundesbauland. Sie haben dieses Thema angeschnitten, Herr Kollege Jacobi. Wir wissen, daß die Ergebnisse nicht weltbewegend sind.
Aber, Herr Kollege, mit Hilfe Ihres verehrten verstorbenen Kollegen Dr. Brecht ist es gelungen, hier ein Tabu zu durchbrechen; denn zum erstenmal hat der Bund — freilich vom Parlament gestützt — erklärt: Wenn wir Land verkaufen, verkaufen wir es in erster Linie zum Zwecke des Wohnungsbaus und des Eigenheimbaus und zur Privatisierung. Immerhin sind für 5600 ha Entbehrlichkeitsprüfungen eingeleitet worden. Das sind 57 Millionen qm. Es sind 421 ha in dieser Entbehrlichkeitsprüfung in dem Ausschuß, in dem auch Ihre Vertreter sitzen, freigegeben worden. Das bedeutet immerhin Bauland für 15 000 Menschen. Zwar ist das kein sensationeller Anfang, aber es ist ein Anfang, der erweiterungsfähig wäre, und um diese Erweiterung — darum möchte ich Sie bitten — sollten wir gemeinsam kämpfen. Ich weiß, daß dadurch nicht die Baulandpreise gesenkt werden können, sondern das nur
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2928 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Dr. Czajadurch die Dekonzentration, von der der Herr Minister gesprochen hat, geschehen kann. — Bitte sehr, Herr Kollege Jacobi.
Herr Kollege Dr. Czaja, ist Ihnen bewußt, daß einmal diese Zahlen in einem unvertretbaren Verhältnis zu den ursprünglich genannten Zahlen von 40 000 und 30 000 ha stehen und daß zum anderen das, was der Bund dann schließlich mit wenigen 100 ha getan hat, nichts anderes war und ist als ein Nachziehen im Hinblick auf das, was die Gemeinden schon seit Jahren getan haben? Der Bund hat also nur seiner durch die Wohnungsbaugesetze begründeten Pflicht genügt. Ist das wirklich ein Anlaß, hier besonders zu triumphieren?
Ich habe nicht triumphiert, Herr Kollege Jacobi. Es ist aber auch nicht so, daß von irgendeiner Seite hier 40 000 ha als verfügbares Bauland genannt worden sind. Mir ist bekannt, daß 40 000 ha als in der Verwaltung des Bundes
und nicht in einzelnen Bundesvermögensverwaltungen befindlich genannt worden sind. Meines Wissens ist eine zweite Zahl genannt worden — ob offiziell oder inoffiziell, weiß ich nicht —: es ist gesagt worden, daß man versuchen wolle, die Entbehrlichkeitsprüfung für 8000 ha für Bauzwecke einzuleiten.
Nach Beantwortung einer Anfrage im Bundestag ist inzwischen vom Bundesschatzministerium festgestellt worden, daß für 5600 ha die Entbehrlichkeitsprüfung eingeleitet worden ist. Ich habe Sie soeben gebeten, in dem Ausschuß, in dem Vertreter auch aus Ihren Reihen früher intensiv mitgearbeitet haben — ich bin dort nur stellvertretendes Mitglied; ich kann dort nicht so viel drängen —, darauf hinzuwirken, daß die Entbehrlichkeitsprüfung schneller und besser als bisher durchgeführt wird.
Lassen Sie mich zum Schluß sagen: auch wir sind der Meinung, daß der Weg nach 40- bis 50jähriger Zwangswirtschaft, auch in den weißen Kreisen, in eine Zeit ohne Mietpreisbindung und ohne den bisherigen Mieterschutz nicht gefahrlos ist. Wir haben aber versucht, alles an sachlichen Dingen hier vorzubereiten — und wir sind auch jetzt dabei —, um möglichst viele Risiken auszuschalten.
Ich würde nur den Herrn Minister bitten, so wie bei den Abbaugesetzen auch hier zu veranlassen, daß durch eine breit gestreute Broschüre den Menschen draußen klargemacht wird, welche Rechte sie haben, welche Pflichten sie in dieser Zeit haben, die unter das Vertragsrecht tritt, und daß sie die Möglichkeit haben — ich glaube, Sie werden diesem meinem Wunsche zustimmen —, alle Mittel, die ihnen das Gesetz gibt, sowohl zur Verteidigung ihres Räumungsschutzes als auch zur Verteidigung gegenüber Überforderungen und zur Inanspruchnahme der sozialen staatlichen Maßnahmen, tatsächlich wahrzunehmen.
Wenn wir in diesem Geiste an die Beratungen gehen, so werden wir wahrscheinlich noch nicht das auf Jahrzehnte endgültige Wohnbeihilfengesetz haben, wir werden aber das gewinnen, was uns im jetzigen Augenblick mit einigen Schönheitsfehlern möglich ist.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat hat sich auf den Vorschlag geeinigt, den Punkt 15 a an den Ausschuß für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung — federführend — sowie an den Rechtsausschuß und an den Ausschuß für Kommunalpolitik und Sozialhilfe zu überweisen und den Punkt 15 b an den Ausschuß für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung — federführend — sowie an den Wirtschaftsausschuß und an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Einverstanden? —
— Dann ist so beschlossen. Damit ist der Punkt erledigt.
Es kommt nun Punkt 5 der heutigen Tagesordnung, das ist Punkt 35 der gedruckten Tagesordnung:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Neuordnung der Kriegsopferversorgung .
Wer begründet die Anfrage? — Das Wort hat der Abgeordnete Riegel zur Begründung der Großen Anfrage.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anläßlich der dritten Lesung des Ersten Neuordnungsgesetzes zur Kriegsopferversorgung in der Sitzung des 3. Bundestages am 18. Mai 1960 wurde in Schlußerklärungen von den Sprechern aller Fraktionen festgestellt, daß das Kriegsopferrecht unbeschadet der erfolgten Änderungen weiterentwickelt werden muß. Auf Grund dieser Aussagen durften die Kriegsopfer die Hoffnung haben, daß der 4. Deutsche Bundestag sich alsbald mit der Weiterentwicklung des Kriegsopferrechts befassen wird. Dieser Annahme konnten die Opfer des Krieges, aber auch die Angehörigen der Bundeswehr sein, zumal vor der Bundestagswahl namhafte Vertreter der Parteien entsprechende Erklärungen abgegeben hatten.So hat der Herr Bundeskanzler in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der CDU in einem Schreiben an einen Kriegsopferverband am 14. September 1961 versichert, daß die CDU bereit ist, eine Weiterentwicklung der Kriegsopferversorgung im Sinne des Ausbaus der Leistungen im 4. Deutschen Bundestag vorrangig zu behandeln. Wie ernst es der Herr Bundeskanzler bei dieser Zusage gemeint hat, war aus der ersten Regierungserklärung der vierten Regierung Adenauer zu ersehen, die vom Herrn Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister am
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2929
Riegel
14. September 1962 dem Hohen Hause zur Kenntnis gebracht wurde. In dieser Regierungserklärung war von dem versprochenen Ausbau der Leistungen nicht mehr die Rede. Der zum viertenmal installierte Regierungschef Dr. Adenauer ließ erklären, daß lediglich die Heilbehandlung der Kriegsopfer so zu gestalten sei, daß sie dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse entspreche.Diese im krassen Gegensatz zu den Wahlversprechen stehenden Erklärungen wurden in der Aussprache von dem Vorsitzenden der FDP-Fraktion, dem Herrn Kollegen Dr. Mende, ergänzt. Herr Dr. Mende äußerte, daß in der Kriegsopferversorgung „endlich an Stelle der nivellierenden, vom Bedürftigkeitsprinzip ausgehenden Ausgleichsrente eine angemessene Verwirklichung des Entschädigungsprinzips zu treten hat". Der Vorsitzende der FDP-Fraktion erklärte sogar, daß die Koalitionsparteien „sich darüber einig sind, daß die Kriegsfolgengesetzgebung in diesem Bundestag abgeschlossen werden soll". Wir vermögen uns des Eindrucks nicht zu erwehren, daß die durchaus richtigen Feststellungen des Herrn Kollegen Dr. Mende absichtlich von dem Koalitionspartner unwidersprochen hingenommen wurden, um die vage Aussage zur Weiterentwicklung des Kriegsopferrechts in der Regierungserklärung zwar auszugleichen, daß aber eine Absprache zu dieser Frage unter den Koalitionsparteien verbindlich nicht erfolgt ist.Im Verlaufe der folgenden Monate wurden anläßlich der Bundesparteitage der Regierungsparteien und bei Aussprachen zwischen Vertretern der Kriegsopferverbände und den Fraktionsvorsitzenden immer wieder die Notwendigkeit einer weiteren Neuordnung der Kriegsopferversorgung anerkannt. Es war am 12. Juli 1962, als der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Herr Dr. von Brentano, Vertretern eines Kriegsopferverbandes konkrete Zusagen gemacht hat. Der Herr Kollege Dr. von Brentano versicherte, daß noch im Jahre 1962 die Voraussetzungen für eine Verbesserung der Kriegsopferversorgung geschaffen werden müßten. Er stellte fest, daß die Ansprüche nicht vom Ermessen abhängen dürften. Besonders bedeutungsvoll war die Aussage des Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, weil er erklärte, daß der Staat seine Pflicht gegenüber den Kriegsopfern nicht abweisen könne, auch wenn die Haushaltslage schwierig sei. Bei der erwähnten Aussprache versicherte der Herr Kollege Dr. von Brentano, daß das neue Kriegsopferrecht keinesfalls später ,als am 1. Januar 1963 in Kraft treten solle.Ich will es mir versagen, all die Argumente anzuführen, die seitens der Regierungsfraktionen gegen den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion über die Anpassung der Grund- und Elternrenten um 10 % ab 1. Januar 1962 angeführt wurden. Es wurde bei der Beratung des Gesetzentwurfes meiner Fraktion im Kriegsopferausschuß immer wieder seitens der Regierungsparteien erklärt, daß eine 10%ige Erhöhung der Grund- und Elternrenten die baldige Vorlage eines zweiten Neuordnungsgesetzes nur verzögern könne.Rückschauend dürfen wir doch feststellen, daß die Behauptungen falsch waren und wohl nur demZweck dienen sollten, eine Verbesserung, die auf Grund der gestiegenen Lebenshaltungskosten voll gerechtfertigt gewesen wäre, ohne daß damit der Neuordnung etwas vorweggenommen worden wäre, zu verhindern, und daß die Absicht dahinterstand, eine Neuordnung auf die lange Bank zu schieben.Bereits am 13. Juni 1962 stellte die Fraktion der SPD auf Drucksache IV/469 einen Antrag, in dem die Bundesregierung ersucht wurde, dem Bundestag bis zum 30. September 1962 den Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des. Kriegsopferrechts vorzulegen. Wie Ihnen bekannt ist, kam dieser Antrag erst am 24. Oktober des vergangenen Jahres zur Verhandlung. Der Vorlagetermin für den beantragten Gesetzentwurf wurde, da der 30. September verstrichen war, auf den 30. November 1962 verlegt. Dieser Antrag wurde von der überwiegenden Mehrheit des Hohen Hauses angenommen. Damit schien die Voraussetzung für die Einlösung der gegebenen Versprechen, die Versorgung der Kriegsopfer weiterzuentwickeln, geschaffen zu sein, wenn von einer vorrangigen Behandlung, wie sie der Herr Bundeskanzler versichert hatte, auch nicht mehr gesprochen werden konnte.Daß diese Annahme falsch war, wurde bekannt, als der Herr Präsident des Bundestages den Fraktionen den Inhalt eines Schreibens des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 12. Dezember 1962 mitteilte. Den Inhalt des Schreibens möchte ich mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten Ihnen, meine Damen und Herren, in Erinnerung bringen. Der Herr Bundesarbeitsminister teilte folgendes mit:Der Deutsche Bundestag hat in seiner 42. Sitzung am 24. Oktober 1962 beschlossen, die Bundesregierung zu ersuchen, bis zum 30. November dieses Jahres den Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vorzulegen. Die Bundesregierung sieht sich leider außerstande, diesen Termin einzuhalten, zumal da der Deutsche Bundestag, wie die Sprecher der einzelnen Fraktionen erkennen ließen, offensichtlich eine Gesetzesvorlage von großer finanzieller Bedeutung erwartet, die vorzulegen die Bundesregierung angesichts der angespannten Haushaltslage zur Zeit sich nicht in der Lage sieht.Meine Damen und Herren, ich habe das Protokoll der 42. Sitzung noch einmal gelesen, uni zu ermitteln, ob die Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers bei der Beratung des Antrags die parlamentarische Ungewöhnlichkeit, die sein Schreiben doch darstellt, rechtfertigen. Der Minister hat in seiner Stellungnahme damals zwar ausdrücklich über die Leistungen in der Kriegsopferversorgung seit Bestehen der Bundesrepublik und über andere Bereiche der Sozialpolitik gesprochen. Er gab auf die Feststellung des Kollegen Professor Schellenberg, daß der Anteil der sozialen Leistungen sowohl am Bundeshaushalt als auch am Sozialprodukt rückläufig sei, seiner Befriedigung über diese Entwicklung Ausdruck. Mit keinem Wort aber hat der Herr Minister aus finanziellen Gründen Bedenken gegen die Vorlage eines Gesetzes zur Neuordnung des
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2930 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Riegel
Kriegsopferrechts erhoben. Er verlangte, daß das Datum für die Vorlage eines Gesetzentwurfs — es war, wie bereits erwähnt, der 30. November 1962 beantragt — aus diesem Antrag gestrichen werde. Das Verlangen wurde damit begründet, daß der Bundesarbeitsminister erst den Gesamtüberblick zum Zwecke der Verteilung der Mittel nach den Maßstäben sozialer Gerechtigkeit benötige.Das sagte der Herr Arbeitsminister dem Parlament, als der Haushaltsplan 1963 im Kabinett bereits behandelt worden war. Das sagte der Herr Bundesarbeitsminister in voller Kenntnis der Tatsache, daß für das sogenannte Sozialpaket keine Mittel im Haushalt eingeplant waren, er also voll übersehen konnte, welche finanziellen Möglichkeiten vorhanden oder nicht vorhanden waren.Uns würde interessieren, welche Bemühungen bis zum Absenden des Schreibens vom 12. Dezember 1962 eingeleitet wurden, um dem Hohen Hause einen Gesetzentwurf vorzulegen und damit dem Beschluß vom 24. Oktober zu entsprechen. Aus dem Inhalt und der Art des Schreibens an Herrn Bundestagspräsidenten ist doch zu entnehmen, daß dieser Versuch gar nicht unternommen wurde. Ich habe festgestellt, daß seit Bestehen der Bundesrepublik in der Entwicklung des Versorgungsrechts, beginnend mit dem Bundesversorgungsgesetz, die Bundesregierung immer erst dann tätig wurde, wenn das Parlament die Initiative ergriff. Das ist für die Einstellung der maßgebenden Regierungsparteien und für die FDP, die ja bis auf den 3. Deutschen Bundestag mit von der Partie war, bezeichnend.Die Konzeption des Herrn Ministers für Arbeit und Sozialordnung auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung, ,den Bedürftigkeits- und Wohfahrtscharakter zu stärken, und die Art seines Umgangs mit den Kriegsopfern haben zu einer Vertrauenskrise geführt, und es stellt sich die Frage, wielange der Herr Bundeskanzler bereit ist, diesen Minister noch im Kabinett zu behalten.
In der Großen Anfrage auf Drucksache 882 fragt die Fraktion der SPD unter Ziffer 1 die Bundesregierung, ob sie das Schreiben des Herrn Bundesarbeitsministers vom 12. Dezember 1962 an den Herrn Präsidenten des Bundestages, wonach der Bundestagsbeschluß auf Vorlage eines Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Neuordnung der Kriegsopferversorgung nicht ausgeführt werden kann, billigt. Am 12. Dezember 1962 hatten wir, da bis auf den Bundeskanzler alle anderen Regierungsmitglieder im Verlauf der Regierungskrise zurückgetreten waren, nur geschäftsführende Minister. Wir erwarten eine Auskunft darüber, ob das bis auf den Kanzler nur geschäftsführende Kabinett sich tatsächlich mit der Frage beschäftigt hat und der Brief an den Herrn Bundestagspräsidenten vom 12. Dezember 1962 von der Bundesregierung beschlossen worden ist.Die Fraktion der SPD bezweifelt, daß die Bundesregierung sich mit der Frage „Ablehnung der Vorlage eines Gesetzes zur Neuordnung der Kriegsopferversorgung" beschäftigt hat, da sich der HerrBundeskanzler doch zwei Tage später, und zwar in der 53. Sitzung am 14. Dezember 1962, unmittelbar nach der Vereidigung der fünften Bundesregierung zu einigen Fragen über die Absichten der neuen Regierung geäußert hat. Zu der Frage der Kriegsopferversorgung erklärte der Herr Bundeskanzler wörtlich:Die Bundesregierung wird weiter die in der Haushaltsrede vom 7. November angekündigten Gesetzentwürfe über die Beseitigung von Härten in der Kriegsopferversorgung vorlegen.In der Haushaltsrede hat der damalige Bundesfinanzminister die Vorlage eines Gesetzentwurfs angekündigt. Obzwar wir in diesem Hause einiges gewöhnt sind, können wir uns doch nicht vorstellen, daß nach den konkreten Zusagen des Regierungschefs und seines Bundesfinanzministers .die Bundesregierung einen Monat später den Bundesminister für Arbeit zum Absenden eines Briefes an den Bundestagspräsidenten ermächtigt, in dem eine völlig gegensätzliche Auffassung vertreten wird.Damit komme ich zur Ziffer 2 der Großen Anfrage, in der wir die Bundesregierung fragen, was sie zu tun beabsichtigt, um im Sinne der Erklärung des Bundeskanzlers vom 14. Dezember 1962 Härten in der Kriegsopferversorgung zu beseitigen. Wir erwarten eine ausführliche Auskunft darüber, was die Bundesregierung unter Härten in der Kriegsopferversorgung tatsächlich versteht. Für die Fraktion der SPD ist von besonderem Interesse, ob die Bundesregierung die krassen Unterschiede zwischen den Leistungen der Kriegsopferversorgung und vergleichbaren Sozialleistungen als eine Härte ansieht. Das betrifft vor allem die anrechnungsfreien Leistungen für Beschädigte, Kriegerwitwen und Kriegerwaisen.Wir fragen weiter: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die derzeitige Art der Anrechnung von Einkommen auf die Ausgleichsrenten eine Steigerung der Lebenshaltung verhindert? Ist sie bereit, das Unrecht zu beseitigen, daß den Beziehern von Renten aus der Rentenversicherung bei Rentenanpassungen der Steigerungsbetrag an der Ausgleichsrente abgezogen wird? Ferner erbitten wir Auskunft darüber, ob die Bundesregierung die auf dem Gebiete der Kriegs-Elternversorgung geltende Regelung ebenfalls als eine zu beseitigende Härte ansieht.Meine Damen und Herren, ich will mich bei der Begründung auf die wenigen, aber entscheidenden Fragen im Rahmen der Großen Anfrage beschränken.In Abs. 3 unserer Anfrage begehren wir eine Aussage über folgende Frage:Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung über die Neuordnung des Kriegsopferversorgungsrechts?Bei der Betrachtung der sich widersprechenden Veröffentlichungen über eine Neuregelung der Kriegsopferversorgung in ,den letzten Wochen und letzten Monaten, vor allen Dingen in den letzten
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Riegel
Tagen, kommen wir zu der Auffassung, daß es nunmehr höchste Zeit ist und daß die Bundesregierung die Pflicht hat, der Bevölkerung, besonders aber den Opfern der beiden Weltkriege ihre Absichten auf dem Gebiete der Kriegsopferversorgung klar und eindeutig mitzuteilen und endlich Schluß zu machen mit Versprechungen und vagen Andeutungen, wie sie seit 11/2 Jahren gemacht werden.Dabei sollte die Bundesregierung nicht vergessen, daß das Bundesversorgungsgesetz immer mehr Bedeutung für die Angehörigen der Bundeswehr gewinnt. Es ist doch bekannt, daß die Zahl der Bundeswehrdienstbeschädigten steigt, und wir empfinden es als unerträglich, daß die jungen Bundeswehrsoldaten, die im Zusammenhang mit ihrem Dienst einen Schaden an ihrer Gesundheit erleiden, ihre Versorgung nach den geringen Sätzen des Bundesversorgungsgesetzes erhalten, während die Versorgung in vergleichbaren Gesetzen doch gerechter geregelt ist.Die Fraktion der SPD ist der Auffassung, daß die Kriegsopfer 18 Jahre nach Beendigung des Krieges Anspruch auf eine der Eigenart der gebrachten Opfer entsprechende Versorgung haben. Die Fraktion der SPD gibt der Hoffnung Ausdruck, daß durch ihre Große Anfrage die dringend erforderliche Klarstellung erfolgt.
Das Wort hat der Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß zunächst einen Irrtum des Herrn Abgeordneten Riegel beheben. Ich war niemals geschäftsführender Minister. Wie Ihnen bekannt sein dürfte, hatten damals sämtliche Bundesminister dem Herrn Bundeskanzler ihren Rücktritt angeboten. Der Herr Bundeskanzler hat sich nicht veranlaßt gesehen, dieses Rücktrittsgesuch anzunehmen und an den Herrn Bundespräsidenten weiterzuleiten. Aber selbst wenn ich damals nur geschäftsführender Minister gewesen wäre, so wäre ich im Rahmen meiner Dienstaufgaben ebenso zum Handeln berechtigt gewesen, wie ich das als Minister bin.
— Doch, Sie haben den Umstand besonders hervorgehoben, daß ich damals nur geschäftsführender Minister gewesen sei. Das war ich gar nicht. Es hätte aber an der Sache nichts geändert.
Nun ein zweites. Sie haben soeben die gestellten Fragen ausgeweitet. Ich halte mich bei meiner Antwort — das schließt nicht aus, daß ich im Laufe der Debatte zu einzelnen Ausführungen spreche — streng an die gestellten Fragen.
— Eben, weil man Fragen, die gestellt werden, konkret und korrekt beantworten muß. Ich beantworte
sie — warten Sie ruhig ab, Sie werden es schon
hören; Aufregung ist da gar nicht am Platze - natürlich namens und im Auftrage der Bundesregierung; denn nicht ich als Ressortminister bin gefragt, sondern die Bundesregierung ist gefragt.
Nun beantworte ich die Große Anfrage wie folgt. Zu Punkt 1: Das Schreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 12. Dezember 1962 an den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages erging auf Grund des § 115 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Es beruht nach Form und Inhalt auf einem Beschluß des Bundeskabinetts.
Zur zweiten Frage: Der Herr Bundeskanzler hat bereits in der Regierungserklärung vom 6. Februar 1963 dargelegt, daß es die Bundesregierung für erforderlich hält, besonders diejenigen Personengruppen unter den Kriegsopfern durch Leistungsverbesserungen zu fördern, die infolge ihrer gesundheitlichen Schädigung oder des Verlusts ihres Ehemannes, Vaters oder Sohnes wirtschaftlich in einer Weise geschädigt worden sind, daß sie einer besonderen, fühlbaren Hilfe bedürfen. Daher wird die Bundesregierung vorschlagen, den Berufsschadensausgleich, den bisher nur erwerbsunfähige Beschädigte erhalten können, auch auf die übrigen Beschädigten, die beruflich besonders betroffen sind, auszudehnen und für Witwen einen entsprechenden Ausgleich für den durch den Tod des Ehemannes eingetretenen wirtschaftlichen Schaden einzuführen.
Die Bundesregierung hält es ferner für wünschenswert, daß in der Elternversorgung in Zukunft auf die Prüfung der Ernährereigenschaft des Gefallenen verzichtet wird,
weil die Frage, ob der Gefallene Ernährer geworden wäre, in der Praxis zu großen Schwierigkeiten geführt und zu Zweifeln Anlaß gegeben hat.
Des weiteren beabsichtigt die Bundesregierung vorzuschlagen, die Anrechnungsbestimmungen für die Bemessung der Ausgleichs- und Elternrenten so zu gestalten, daß bei künftigen Erhöhungen der Sozialrenten die Erhöhungsbeträge nicht in vollem Umfange angerechnet werden, sondern zu einem Teil dem Versorgungsberechtigten erhalten bleiben.
Zu 3: Die Bundesregierung sieht in den vorgenannten Änderungsvorschlägen zum Bundesversorgungsgesetz und in einer geplanten Anhebung bereits bestehender Rentenleistungen — auch der Grundrenten — die Fortsetzung der mit dem Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts begonnenen Neuordnung dieses Rechtsgebietes.
Damit habe ich drei Fragen präzise beantwortet. Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
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2932 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Aufgabe, für die Fraktion der CDU/CSU zu sprechen.Wir behandeln eine Große Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion. Die Bundesregierung hat die Große Anfrage beantwortet. Meine Fraktion nimmt dazu folgende Stellung ein.Meine Damen und Herren, ich gebe diese Stellungnahme ungeachtet dessen ab, daß eine kleine Gruppe aus unserer Fraktion einen eigenen Initiativantrag eingebracht hat,
was wir bedauern, weil wir meinten, daß intensive mit Aussicht auf Erfolg begonnene Gespräche noch eine breitere Basis hätten finden lassen.
Wir, meine Damen und Herren, sind von der Regierungserklärung, die der Herr Bundesarbeitsminister eben abgegeben hat, befriedigt.
Der Vorsitzende unserer Fraktion hat in Gesprächen mit Vertretern der Kriegsopferverbände mehr' fach zum Ausdruck gebracht, daß unsere Fraktion für die Wünsche der Betroffenen aufgeschlossen ist und und der Meinung ist, daß das Kriegsopferrecht auf auf jeden Fall weiterentwickelt werden sollte. Wir sind allerdings auch der Meinung, daß man der Bundesregierung dabei zugestehen muß, daß sie die Frage der Neuordnung der Kriegsopferversorgung in ihrer Verantwortung für den Gesamtstaat, in diesem Zusammenhang insbesondere für den Gesamthaushalt, prüfen muß. Die Bundesregierung kann sich nicht ihrer Verantwortung entziehen, auch die Leistungen auf anderen Gebieten, insbesondere auf anderen sozialpolitischen Gebieten, zu sehen. Ich darf hier für meine Fraktion ganz besonders darauf hinweisen, daß die Bundesregierung die Verpflichtung hat, auch die Fragen der Familienpolitik, die sicherlich im Haushalt einen gewaltigen Niederschlag finden werden, nicht außer acht zu lassen.
Aus der Erklärung unseres Fraktionsvorsitzenden, daß das Kriegsopferrecht weiterentwickelt werden soll, und auch aus seinem Schreiben an einen Verband, in dem er zum Ausdruck gebracht hat, daß wir für diese Forderungen Verständnis haben, kann gewiß niemand herauslesen, daß jede einzelne Forderung in der Form, wie sie gestellt wird, im zukünftigen Recht auch berücksichtigt werden müßte.Das Ziel, das unsere Fraktion — und, so nehme ich an, die Mehrheit dieses Hauses, wenn nicht das ganze Haus — anstrebt, ist, die Kriegsopfer, deren leibliche und seelische Opfer nicht in Geld ausgedrückt werden können, in das Wirtschaftsgeschehen unserer Bundesrepublik einzugliedern.
Dabei können die seelischen Belastungen sicherlichniemals durch Geld ausgeglichen werden. Darumaber, weil wir meinen, daß die Kriegsopfer an der Fortentwicklung unserer Wirtschaft und an dem größeren Sozialprodukt teilhaben sollen, — —
— Eine solche Bemerkung, lieber Herr Kollege, würde ich nie machen, weil das eine ganz dumme Unterstellung ist.
— Dann müssen Sie besser zuhören, wenn Sie meinen, daß Sie solche dummen Zwischenbemerkungen machen können.
— Ja, Herr Schmitt, solche Bemerkungen können einem einfach über die Hutschnur gehen. Sie wissen, daß ich mich gern jeder Debatte stelle und daß ich auch im ganzen Gespräch durchaus immer freundlich bin. Aber solche Bemerkungen gehen wirklich ein bißchen zu weit.Nun, meine Damen und Herren, weiter in der Sache. Wir meinen nach wie vor — wie es auch das Wollen dieses Hauses ist —, daß es nicht in erster Linie darauf ankommt, die Geldleistungen zu messen, obwohl sie natürlich nicht außer Betracht bleiben sollen, sondern daß vor allem weiterhin Wert darauf gelegt werden sollte, den Kriegsopfern durch Rehabilitationsmaßnahmen und durch Maßnahmen des Schwerbeschädigtengesetzes die Möglichkeit zu geben, wieder im Arbeitsprozeß zu stehen, und damit ihr Selbstwertgefühl zu steigern und sie am Wirtschaftsaufschwung teilhaben zu lassen.Trotzdem, meine Damen und Herren, sind wir der Meinung — und ich sage das zum wiederholten Male, wie es auch schon unsere Sprecherin mehrfach gesagt hat —, daß das Kriegsopferrecht weiter ausgestaltet werden muß, insbesondere auf dem Gebiet der individuellen Leistungen. Nach unserer Meinung war es daher gut, daß uns der Herr Bundesarbeitsminister gesagt hat, daß die Überlegungen der Regierung dahin gehen, den Berufsschadensausgleich zu erweitern, insbesondere ihm auch auf die Witwen auszudehnen; denn die Witwen können heute, wenn sie eine einheitliche Rente haben, nicht an dem teilnehmen, was der Gefallene hätte erreichen können.Wir meinen im übrigen auch, daß es notwendig ist — das Hohe Haus hat sich mehrfach damit beschäftigt, ich selber habe mich bei der letzten Rentenanpassung von dieser Stelle aus damit auseinandersetzen müssen —, in der Kriegsopferversorgung eine Form der Anrechnungsbestimmungen zu finden, die sicherstellt, daß auch die Kriegsopfer, die neben ihrer Kriegsopferversorgung eine Rente aus den gesetzlichen Rentenversicherungen haben, nicht jedes Mal bei den Rentenanpassungen mit Klagen zu uns kommen müssen. Wir meinen auch, daß die Bundesregierung wohlberaten ist, wenn sie die Witwen- und die Elternversorgung von anderen Bedingungen, von leichteren Bedingungen abhängig macht und im übrigen auch verbessert.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2933
StinglMit großer Befriedigung und Genugtuung stellt meine Fraktion fest, daß der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung soeben gesagt hat, daß auch eine Anhebung der Grundrente in dem von der Regierung vorzulegenden Gesetzentwurf berücksichtigt werden wird.Meine Damen und Herren, ich sage sofort: in welchem Maß dies alles geschehen wird, das wird intensiver Beratungen innerhalb der Bundesregierung bedürfen. Denn dieser Termin vom 30. November war einfach zu früh. Die Bundesregierung kann, wenn sie einen Gesetzentwurf vorlegt, nicht einfach so tun, als sei es damit erledigt, daß sie sage: „In diesem Jahr können wir 200" — oder „400", oder was für einen Betrag Sie genannt haben wollen —„bezahlen". Die Bundesregierung steht in der Verantwortung für die zukünftigen Haushalte, insbesondere aber für den Haushalt 1964, der — das wissen Sie alle, und die Mitglieder des Haushaltsausschusses wissen es ganz besonders — noch eine ganze Menge von Forderungen bringt, für die man eine Deckung überhaupt noch nicht absehen kann. Man kann es nicht einfach damit abtun, daß man sagt, dann müsse man den Ländern mehr Geld abnehmen. Denn wenn man den Ländern mehr Geld für eine Sache abnimmt, werden die Länder um so hartnäckiger sein gegenüber der Forderung nach einer Veränderung der Prozentzahlen bei der Einkommensteuer.Niemand soll aber nach dieser neuen Regierungsvorlage sagen können, daß das unabweisbar Notwendige nicht getan sei. Wir meinen aber, daß über das unabweisbar Notwendige hinaus noch etwas getan werden kann, soweit es der Haushalt zuläßt. Notfalls, meine Damen und Herren, müssen auch noch Stufen in der Verbesserung der Leistungen eingeführt werden. Wir können die Regierung nicht aus der Verantwortung entlassen, die ihr aufgegeben ist, unsere Währung stabil zu halten, für die Familie zu sorgen.Wir möchten aber in diesem Zusammenhang auch einmal darauf hinweisen, daß die Kriegsopfer auch bei den Verbesserungen aller anderen sozialen Leistungen ja mit beteiligt werden, und soweit sie als Arbeiter in Lohn und Brot stehen, auch an der Verbesserung des Lohnfortzahlungsgesetzes teilnehmen. Ich will damit nicht etwa sagen, daß man damit alles andere erledigen könne. Aber ich will darauf hinweisen, daß die Kriegsopfer auch an den Zuschüssen, die vom Bund her in die Rentenversicherungen gehen, einen wesentlichen Anteil haben. In diesen Zuschüssen, die sich jetzt immerhin schon auf nahezu 7 Milliarden DM im Jahr belaufen, stecken die Leistungen des Bundes, die früher über den § 90 zu zahlen waren, jetzt aber einfach in eine Generalberechnung für die Frühinvalidität eingegangen sind; und die Frühinvalidität, meine Damen und Herren, ist wesentlich von Kriegsereignissen ausgelöst.Die Leistungen in der Kriegsopferversorgung sind immerhin von 549 DM je Betroffenen im Jahre 1950 auf 1316 DM je Betroffenen im Jahre 1962 gestiegen. Wer dies einmal überlegt, wird zugeben müssen, daß diese Steigerung um 140 % auf 240% der damaligen Leistungen sich im Gesamtgefüge unserer Wirtschaft durchaus sehen lassen kann.Gewiß, niemand wird bestreiten, daß man trotzdem sagen kann, es sei immer noch nicht genug. Auch wir sind der Meinung, daß es noch nicht genug ist. Wir sind aber nicht der Meinung, daß es eine Leistung sei, die deshalb nun verbessert werden müsse, weil die Kriegsopfer unter dem Existenzminimum seien. Wir sind der Meinung, die Leistungen müssen verbessert werden, weil die Kriegsopfer auch in die neue wirtschaftliche Situation in der Bundesrepublik hineingeführt werden sollen.Die Gesamtsumme von 4,2 Milliarden DM im Jahre 1962 — gegenüber 2,2 Milliarden DM im Jahre 1950 — spricht schließlich auch für sich. Die Gesamtaufwendungen für die Kriegsopfer mit rund 44 Milliarden DM entsprechen den Leistungen, die der Bund für den Lastenausgleich gewährt hat, und den Leistungen, die im übrigen für die Rentenversicherungsträger im gleichen Zeitraum gewährt worden sind. — Bitte, Herr Rutschke!
Herr Kollege Stingl, sind Ihnen die Unterschiede zwischen dem Bundesentschädigungsgesetz und der Kriegsopferversorgung bekannt?
Sie sind mir sehr wohl bekannt, Herr Rutschke. Sie waren Gott sei Dank so vorsichtig, nicht auch noch die Unfallversicherung anzuführen. Das haben Sie schon vorgestern abend getan. Die Unterschiede sind mir durchaus bekannt. Eben darum wollen wir ja das Kriegsopferrecht weiter ausgestalten. Aber gegen eines muß ich mich in diesem Zusammenhang- noch einmal wenden. Wer die Unfallrente, die angeblich ein jung dienender Soldat bekommen könnte, mit der Kriegsopferrente vergleicht, der übersieht, daß dieser junge Soldat in der Unfallversorgung im allgemeinen vermutlich eine geringere Rente hätte, als die Gesamtversorgung ausmacht, weil sich die Unfallrente nämlich aus idem Jahresarbeitsverdienst ergibt, und der Jahresarbeitsverdienst vor dem Eintritt in die Bundeswehr ist sicherlich nicht allzu hoch. Nehmen Sie nur einmal den Abiturienten, der in die Bundeswehr eingetreten ist! Dem würden Sie überhaupt keine Rente gewähren, weil er noch kein Jahreseinkommen hatte.
— Ich unterstelle Ihnen das nicht. Aber wenn Sie solche Reden halten, muß man Ihnen das vor Augen führen.Es ist sehr billig, Zahlen in der Weise zu vergleichen, wie ich es unlängst in einem Fall gesehen habe, wo es hieß, ein Unfallbeschädigter mit einer Beschädigung von 35 % erhalte eine Rente von 120 DM. Welcher denn? Da muß man dann doch erklären, was er vorher für ein Einkommen hatte. In der Unfallversicherung — wir haben sie vorgestern behandelt, und wer aufmerksam zugehört hat, weiß ja, daß die Unfallversicherungsrente auf ganz anderen
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2934 Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Stingl
— Nein, das ist eben nicht wahr, daß sie mindestens das Doppelte ausmacht. Nehmen Sie den zu 70 oder 80 % Beschädigten in der Unfallversicherung, der nur ein Einkommen von 180 DM oder so hatte, und Sie werden sehen — —
— Ja, das gibt es auch!
— Das wissen Sie doch selbst! Im übrigen finde ich es ganz interessant, daß Sie uns jetzt vorhalten, daß es das nicht gibt. Dank unserer Wirtschaftspolitik ist es wirklich sehr selten.
Aber Sie halten es mir entgegen. Sie werden jedoch nicht bestreiten können, daß es Teilarbeitsverhältnisse gibt, in denen solche Einkommen vorkommen; und diese Einkommen liegen dann eben der Unfallrente zugrunde. Nicht wahr, Herr Börner, wir verstehen uns und wissen, daß es einfach falsch ist, Versicherung gleichzusetzen mit Versorgung. Das ist das gleiche, wie wenn man Äpfel und Birnen gleichsetzen wollte.
— Ich habe es gar nicht so schwer, Herr Schmitt! Das ist gar nicht so schlimm.Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen für meine Fraktion sagen: wir lassen uns in der Sorge um die Kriegsopfer nicht übertreffen.
Nur, meine Damen und Herren, wir werden dabei nie vergessen, daß wir die Sorge für die Gesamtheit haben. Denn was nützt es den Kriegsopfern, wenn wir ihnen Versprechungen machen, daß wir ihre Leistungen um wer weiß wieviel erhöhen, wenn wir nachher zugeben müssen, daß diese Gelder in naher Zukunft ihren Kaufwert verloren haben?!
Wir haben kein Verständnis für Landesminister, die die drei Fraktionen dieses Hauses auffordern, die Bundesregierung zu überrumpeln. Dieser gleiche Landesminister möge dann auch sagen: Die Familien mögen die drei Fraktionen veranlassen, die Bundesregierung zu überrumpeln. — Meine Damen und Herren, solche Überrumpelungsaktionen werden zum Schluß den Zusammenbruch unserer Währung zur Folge haben!
Nun habe ich genau 'das gemacht, was ich mir fest vorgenommen hatte nicht zu machen: ich habe mich auch etwas von der Emotion hinreißen lassen, weil Sie emotionell waren.Meine Damen und Herren, meine Fraktion ist gewillt, die Regierungsvorlage abzuwarten und sie dann, wie immer, verantwortungsbewußt zu beraten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege Stingl, da Sie vom Zusammenbruch der Währung sprachen: haben Sie einmal zusammengezählt, wie oft Sie im Verlaufe der Gesetzgebung zur Kriegsopferversorgung schon den Zusammenbruch der Währung prophezeit haben? Ist es nicht so, daß dieser Zusammenbruch trotz all Ihrer weisen Voraussicht — auch der des Herrn Bundesarbeitsministers — bisher noch nicht eingetreten ist und daß er immer nur dann prophezeit wird, wenn es um die Kriegsopferversorgung geht?
Lieber Herr Kollege, Sie sind offenbar bei sonstigen Debatten nicht im Hause; denn es wird von uns immer wieder angeführt, daß wir in allen Bereichen die Gefahr für die Währung sehen müssen. Ich behaupte nicht, daß allein die Kriegsopferversorgung unter Umständen eine Gefahr für die Währung sein könnte. Wer wäre so töricht, das zu behaupten? Aber bei allen Maßnahmen, die wir treffen, immer, wenn es um die be-berechtigten Forderungen einzelner Gruppen unseres Volkes geht, meine Damen und Herren, müssen wir eben das Ganze sehen und so maßhalten, daß die Gewährung der Leistungen auch für die Zukunft sichergestellt ist.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Nein, Herr Präsident, jetzt nicht mehr!Dann haben Sie gesagt, daß Herr Minister Blank vom Herrn Bundeskanzler hätte nach Hause geschickt werden sollen. Das ist Ihre Methode der Polemik. Damit wollen Sie draußen wieder den Eindruck erwecken: die Bundesregierung hätte ja Geld, der Finanzminister würde ja Geld geben, aber dieser Blank, der nimmt's ja nicht. Das ist beinahe verleumderisch, muß ich schon sagen. Denn selbstverständlich will der Bundesarbeitsminister — das hat er jederzeit gesagt — die Kriegsopfer so stellen, daß sie wirklich an unserem wirtschaftlichen Aufschwung Anteil haben können. Wenn er Milliardenbeträge zur Verfügung hat, ist es für ihn keine Kunst, sie gerecht aufzuteilen; das wird er in seinem Ministerium schon schaffen. Aber er ist von dem abhängig, was das Bundeskabinett in seiner Verantwortung für den Gesamtetat überhaupt zur Verfügung stellen kann.Wir haben jedenfalls das Vertrauen zu der Bundesregierung, daß sie uns baldigst einen Reformentwurf vorlegt, der noch in diesem Jahr eine Verbesserung für die. Kriegsopfer bringt und im übrigen
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StinglI den besonderen Bedürfnissen dieser Versorgung Rechnung trägt.
Meine Damen und Herren, ich darf bekanntgeben, daß auf Grund interfraktioneller Vereinbarung der Punkt 22 — Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Gewerbesteuergesetzes —, der Punkt 24 — Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes (Drucksache IV/909) — und der Punkt 25 — Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbaugesetzes (Drucksache IV/924) — von der Tagesordnung abgesetzt werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Fritsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine Vorbemerkung zu der heutigen, durch die Große Anfrage der Sozialdemokratischen Partei ausgelösten Debatte. Was immer als Ergebnis dieser Aussprache gesetzliche Wirklichkeit wird, es bleibt der Tatbestand, daß diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien ausschließlich die Schuld daran haben, daß 18 Jahre nach Beendigung des letzten Krieges die deutschen Kriegsopfer noch nicht annähernd ausreichend versorgt sind und daß der Passion des deutschen Soldaten und seiner Angehörigen während zweier Weltkriege der Leidensweg des Ringens um eine menschenwürdige Versorgung im Frieden hinzugefügt wurde. Es bleibt der Tatbestand, daß die deutschen Kriegsopfer in all den bitteren Jahren der Nachkriegszeit das Bitterste, nämlich zum Verlust von Leben und Gesundheit hinzu die Enttäuschung über einen Staat, zu tragen hatten, der trotz Möglichkeiten und Mahnungen sie am Ende der An-, spruchsberechtigten gehen ließ, die von der Allgemeinheit Recht und Gerechtigkeit erwarten dürfen. Daß sie sich trotzdem zu diesem Staat und seinen Rechtssätzen bekannt haben und bekennen, bleibt eines der glänzenden Kapitel deutscher Demokratie.
Wir stellen in diesem Zusammenhang fest, daß das 1950 geschaffene Bundesversorgungsgesetz, hineingeboren in die damaligen finanziellen Verhältnisse des Bundes, in all den Jahren seines Bestehens durch seine Novellierungen keine echte Weiterentwicklung erfahren hat. Das erste Neuordnungsgesetz konnte nur ein Anfang sein, dem wir nach unseren Vorstellungen nunmehr die entscheidenden Verbesserungen in allen Teilen hinzuzufügen haben.Wir lehnen daher grundsätzlich alle sogenannten gezielten und sonstige lediglich auf einen Lastenausgleich innerhalb der Kriegsopfergesetzgebung hinauslaufenden weiteren Novellierungen ab. Das Rechtsinstitut der Versorgung kann nur bestimmt werden aus dem Gedanken der allumfassenden Sorge um die Mitmenschen, die Leben und Gesundheit um des Staates und der Gemeinschaft willen verloren haben.Der Inhalt dieser Versorgung muß sich allein an der Größe dieses gebrachten Opfers orientieren. Der rechtsstaatliche Gedanke, daß der Mensch für sein Leben selbst verantwortlich ist, bindet ausschließlich den, der diese Selbstverantwortlichkeit des Mitmenschen einschränkte oder ausschloß. Wenn also der Tatbestand des Versorgungsanspruchs durch den Krieg gesetzt und verursacht wurde, so muß dieses Opfer für die Allgemeinheit die Gemeinschaft zu festen rechtsstaatlichen Leistungen verpflichten.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige Ausführungen dazu machen, was der Herr Bundesarbeitsminister und die Bundesregierung bisher für Rechtens und mit dem Begriff der Versorgung vereinbar hielten und nach dem, was der Herr Bundesarbeitsminister heute ausgeführt hat, offensichtlich weiterhin für sozial gerechtfertigt ansehen. Dem sehr verehrten Herrn Kollegen Stingl will ich sagen, daß an den nachfolgenden Beispielen, die beweisen sollen, welches Maß an Unrecht den Kriegsopfern bisher zugefügt wurde, nicht zu rütteln und nicht zu deuteln ist.Folgendes Beispiel möchte ich anführen, um den Zustand der Versorgung der Opfer des Krieges anschaulich zu machen. Ein Beschädigter mit einer Erwerbsminderung von 30 % bezieht heute noch eine Beschädigtenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz in Höhe von sage und schreibe 35 DM.
Wer von Ihnen die Art des Schadens kennt, die Voraussetzung dafür ist, eine MdE von 30% zu bekommen, mag sich allein aus diesem Tatbestand ein ausreichendes Bild darüber machen, wie die Beurteilung der Schäden innerhalb des Bundesversorgungsgesetzes vielfach von anderen Beurteilungen vergleichbarer Tatbestände abweicht. Ein mit der gleichen MdE versehener Anspruchsberechtigter nach dem Bundesentschädigungsgesetz erhält eine monatliche Rente von 128 DM, ein Anspruchsberechtigter aus der gesetzlichen Unfallversicherung — wenn wir im Durchschnitt 480 DM nach den bisher geltenden Bestimmungen zugrunde legen — eine monatliche Rente von 96 DM.
— Wir sind dazu da, Herr Kollege Dr. Rutschke, dafür zu sorgen, daß die Priorität der Versorgung der Opfer des Krieges ungeachtet anderer Gesetzgebung hier in diesem Hause einmal klargestellt wird.
Das schließt nicht aus, daß wir andere Gesetzesozialer Art nach unseren besten Kräften fördern.Aber es darf nicht bestritten werden, daß der Vor-
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2936 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Fritschrang der Kriegsopferversorgung, die Eigenart des Anspruchs außer Zweifel steht.
— Meine Damen und Herren, wer trägt denn die Schuld daran, daß wir 18 Jahre nach dem letzten Krieg immer noch über die Frage der Verbesserung der Kriegsopferversorgung sprechen müssen? Doch sicher nicht die sozialdemokratische Fraktion dieses Hauses!
— Das berührt diese Frage nicht, sondern es berührt die Grundsatzfrage, ob und inwieweit und vor allem wann wir bereit sind, die Versorgung der Opfer des Krieges dem angemessen zu gestalten, was an Vorleistungen, was an Opfern an Gut und Blut und Leben in zwei furchtbaren Kriegen gebracht worden ist.Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesarbeitsminister hat heute erklärt, daß er nach wie vor dem Bedürftigkeitsprinzip in der Kriegsopferversorgung zweifelsohne den Vorzug gibt.
— Das ging doch aus seinen Ausführungen hervor! Ich habe doch gehört, was der Herr Bundesarbeitsminister gesagt hat! Er möge zur Kenntnis nehmen, daß auf diesem Wege eine echte und beständige ) Regelung der Kriegsopferversorgung einfach deshalb nicht erreicht werden kann, weil über das Institut der Ausgleichsrente nur 13,3 % aller Kriegsopfer einen Anspruch verwirklichen können, während alle übrigen nur die Grundrente beziehen.
— Das ist nicht falsch. Ich werde nachher noch darauf zu sprechen kommen. Es besteht also eine unabweisbare Notwendigkeit, die Grundrenten entscheidend anzuheben.Es mag weiter von Interesse sein, daß man hier wiederum das Bedürftigkeitsprinzip bei der Bemessung der Leistungen an Kriegsopfer aufstellt, daß heute bei einem Einkommen von bereits 300 DM aus Arbeit die Ausgleichsrente wegfällt und daß bei einem Einkommen aus Rente von bereits 150 DM monatlich ebenfalls keine Ausgleichsrente mehr gewährt wird. Die Aufzählung dieser Unrechtstatbestände, die wir beseitigen müssen, nachdem sie jahrelang im Bundesversorgungsgesetz von einer Novelle zur anderen mitgeschleppt worden sind, läßt sich beliebig fortsetzen. Ich brauche gar nicht das ebenso trübe Kapitel der Versorgung unserer Hinterbliebenen besonders zu beleuchten. Eine Million Witwen und Hunderttausende von Kriegereltern, -insbesondere solche Kriegereltern, die keinen Rentenanspruch verwirklichen konnten, sind Zeuge dafür, daß es an der Zeit ist und längst höchste Zeit gewesen sein sollte, diese Kriegsopferversorgung in Ordnung zu bringen, sie in ein Verhältnis zu den Opfern zu setzen, die unsere Kameraden in zwei Weltkriegen, die die Hinterbliebenen während des Krieges und nunmehr nach dem Kriege gebracht haben.Herr Bundesarbeitsminister Blank, ich komme aus dem Bayerischen Wald, also aus jenem Gebiet unseres Landes, in dem die Not größer ist als anderswo. Der Anteil der Kriegsopfer, insbesondere der älteren Menschen unter ihnen, ist höher als in anderen Gebieten der Bundesrepublik. Diese Kriegsopfer leben zum .weitaus größten Teil unter Notständen, die Sie sich sicher schlecht vorstellen können. Körperliche, seelische und wirtschaftliche Not haben sich dort wie zweifelsohne auch anderswo mit Ihrem Namen, Herr Bundesarbeitsminister, verbunden.
Diese Kriegsopfer haben in all den Jahren verzweifelten Hoffens erwartet, daß Sie, der Sie ein Anwalt der Opfer des Krieges sein müßten, den Anspruch von Millionen von Menschen verteidigen und seine Berechtigung außer Zweifel stellen würden.Nachdem ich nun, wie ich annehme, mit dem vollen Gewicht der moralischen Entrüstung über die bisherigen Zustände in der Kriegsopferversorgung dieses Problem beleuchtet habe, lassen Sie mich auch einiges zu dem sagen, was nach Ansicht der sozialdemokratischen Fraktion Voraussetzung für eine bessergestellte, weiterentwickelte und den Bedürfnissen der Kriegsopfer entsprechend gestaltete Versorgung ist.Wir meinen, daß die Grundrente als eine allen Beschädigten zufließende Leistung entscheidend angehoben werden muß.
Wir meinen, daß der Berufsschadensausgleich für alle Beschädigten unter Anhebung der bisherigen Leistungen verbessert werden muß. Wir sind der Auffassung, daß die zweckgebundenen und vom Einkommen unabhängigen Leistungen wie Schwerbeschädigtenzulage, Ehegattenzuschlag, Pflegezulage und Kleiderverschleißzulage erhöht werden müssen. Wir sind der Meinung, daß eine weitere Verbesserung der Anrechnungsbestimmungen und eine Hebung der Freibeträge im Rahmen der Ausgleichsrenten erforderlich ist. Die Ausgleichsrentenbeträge müssen "den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen angeglichen werden. Die Heil- und Krankenbehandlung der Beschädigten, der Hinterbliebenen und der Familienangehörigen muß verbessert werden. Erforderlich ist die Existenzsicherung für besonders sozialschwache Kreise der Versorgungsberechtigten. Für Kriegshinterbliebene ist bei besonderer wirtschaftlicher Notlage ein Schadensausgleich zu schaffen. Die Voraussetzung der Ernährereigenschaft für die Gewährung von Elternrenten muß wegfallen. Hier haben wir es nicht nur mit einem versorgungsrechtlichen, sondern auch mit einem menschlichen Problem zu tun. Wer es einmal erlebt hat, wie enttäuscht Hunderttausende von Kriegereltern, die einen oder mehrere Söhne verloren haben, über die Bestreitung der Ernährereigenschaft oder über die Ablehnung auf Grund des Einkommens sind, obwohl sie in wirtschaftlicher Not — auch in seelischer — leben, der hat keinen Zweifel darüber, daß diese Bestimmung als eine der größten
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FritschHärten des Bundesversorgungsgesetzes beseitigt werden muß.Außerdem ist der Kreis der berechtigten Personen dadurch zu erweitern, daß für Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz der zeitliche Zusammenhang in den Fällen genügt, in denen über die Ursache des Leidens in der ärztlichen Wissenschaft Ungewißheit besteht. Es entspricht einem Gebot der Billigkeit, einen Anspruch nicht einfach deshalb abzulehnen, weil die Wissenschaft das Krankheitsgeschehen nicht ausreichend zu analysieren vermag.Die berufliche Rehabilitation aller Schwerbeschädigten- und Beschädigtengruppen bedarf der Förderung und großzügigster Durchführung bei allen beteiligten Stellen. Der volkswirtschaftliche und menschliche Wert der beruflichen Leistungen unserer Beschädigten und Schwerbeschädigten muß stärkere Anerkennung durch Wirtschaft und Gesetzgebung erfahren. Der Leistungswille des einzelnen darf nicht durch die Wegnahme eines großen Teiles des Erworbenen über die Anrechnungsvorschriften des Gesetzes eingeengt werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sie haben Verständnis dafür, daß ich eine Zwischenfrage nicht gestatte.Schließlich müssen wir im Rahmen einer echten Neuordnung zu einer Verbesserung der festgelegten Mindesthundertsätze bei der Beurteilung äußerer Körperschäden kommen. Wir, die wir uns zur Unteilbarkeit des Menschen in seinen körperlichen, geistigen und seelischen Anlagen bekennen, müssen es ablehnen, ihn einer schematischen Bewertung der anatomischen Schäden auszusetzen.Wir dürfen das Bundessozialgerichtsurteil vom 19. Dezember 1959 zitieren, welches in seinem Kernsatz ausführt, daß es bei Beurteilung der Frage, wieweit ein Mensch von versorgungsrechtlich erheblichen Ereignissen betroffen wurde, nicht darauf ankommen kann, ob er nach einem von seiner Person unabhängigen, generalisierenden Maßstab mit den Ereignissen, die ihn betroffen haben, äußerlich oder innerlich hätte fertigwerden können, sondern daß der Betroffene immer so zu beurteilen ist, wie er tatsächlich individuell beschaffen ist und wie aus dieser Sicht heraus die wehrdienstähnlichen Verhältnisse auf ihn gewirkt haben müssen.Dieser keineswegs vollständige Katalog der Mindestbedingungen, unter denen Recht an den Opfern des Krieges geschehen wird, war und ist die Richtschnur sozialdemokratischer Handlungsweise in diesem Hohen Hause. Zum wiederholten Male appelieren wir an die Bundesregierung und die Koalitionsparteien, sich diesen Forderungen nicht zu verschließen.Wir müssen es angesichts der bisherigen Verzögerungen in der von den Kriegsopfern längst erwarteten endgültigen Rechtsgestaltung des Kriegsopferrechts auch ablehnen, irgendwelchen Stufenplänen zuzustimmen. Sie bedeuten nur ein weiteres Hinausschieben eines Zustandes, der — und das sagte Ihnen mein Freund Riegel bereits — unerträglich geworden ist. Die Opfer in zwei Weltkriegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind nicht in Stufen erbracht worden, sondern elementar und mit dem Gewicht eines plötzlichen, ungeheuren Eingriffs in den Bestand des Lebens und der Unversehrtheit. Keine auch noch so schwierige haushaltsmäßige Überlegung zur Finanzierung des Neuordnungsgesetzes sollte gegenüber diesen Ereignissen ein allzu großes Gewicht haben.Wir haben gehört, was der Herr Bundesarbeitsminister hier auszusagen wußte. Wir haben nun auch den Willen der CDU/CSU-Fraktion heute uniform präsentiert bekommen. Soweit man es aus Zeitungen entnehmen konnte, hat es innerhalb der CDU/CSU-Fraktion eine Rebellion gegeben, von der heute gesagt wurde, daß sie sich auf einen kleinen Kreis, auf eine kleine Gruppe beschränkt habe und daß sie deshalb zweifelsohne, vom Gewicht der Stimmen ausgehend, keine besondere Bedeutung haben könne. Aber es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage: War das eine Rebellion, wie schon einmal, des guten Gewissens in dieser Fraktion, oder war es eine Rebellion gegen das schlechte Gewissen, die hier vollzogen worden ist?Wir sind der Meinung, das ganze Haus müßte sich in der Frage der Verbesserung einig sein. Dann müßte es ein Leichtes sein, sich in der Frage der Kriegsopferversorgung zu den Grundsätzen sozialer und menschlicher Gerechtigkeit zu bekennen und all das zu vollziehen, was nach dem Leitbild, das wir uns vom Menschen machen, nötig ist, um unseren Schwerbeschädigten, um den Hinterbliebenen das Gefühl zu geben, daß sie nicht fernerhin von diesem Staate vergessen sind.
— Warten Sie, sehr verehrter Herr Kollege Spies, ich bin gleich fertig.Bei Betrachtung der Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers und des Herrn Kollegen Stingl bietet sich die Frage an, wann das, was wir nun gehört haben und was sie als Rechtens empfinden, denn geschehen soll, ob sie uns einen Termin nennen können, wann sie bereit sind, das längst Versäumte mit den Vorstellungen und mit den Mitteln zu lösen, die sie heute angedeutet haben. Aber auch darüber ist nichts gesagt worden. Wie so oft in diesem Hause waren es leider nur Reden, Vertröstungen, die die Hoffnung der Opfer des Krieges immer erneut entzündeten und die erneut enttäuscht haben.
— Sehr verehrter Herr Kollege Stingl, meine bisherige ehrenamtliche Tätigkeit in den Kreisen der Opfer des Krieges hat mir so viel an innerem Leid vermittelt, 'daß Sie es mir gestatten müssen, auch mit dem Herzen bei dieser Diskussion dabei zu sein, daß Sie es mir gestatten müssen, die Dinge so zu sehen, wie sie sich draußen auf dem Lande jeden Tag er-
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2938 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Fritscheignen, wie sie draußen von Menschen jeden Tag gefühlt und erfühlt werden,
die nicht nur Opfer des Krieges, sondern auch Opfer Ihrer Gesetzgebung geworden sind.
Herr Abgeordneter, Sie können nur fragen, solange die Tribüne besetzt ist. Es tut mir leid, Sie kamen zu spät.
Herr Bundesarbeitsminister!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren, nur ein paar kurze Bemerkungen. Sie, Herr Kollege Fritsch — um bei dem letzten zu beginnen — fragen: „Wann?". Da darf ich mich auf das beziehen, was ich in der Antwort gesagt habe. Ich habe Ihre Fragen beantwortet. Fragen, die mir in der Großen Anfrage nicht gestellt waren, kann ich namens der Regierung heute und hier auch nicht beantworten.
— Ja, es fällt Ihnen sehr schwer, die Dinge immer korrekt abzuhandeln.
Sie sprachen von der Schuld der Regierung und der sie tragenden Parteien, daß in 18 Jahren keine befriedigende Lösung gefunden worden sei. Wenn ich mich recht erinnere, hat einer Ihrer Redner hier einmal mit Stolz erklärt, daß alles, was auf diesem Gebiete geschehen sei, Ihrer Mitinitiative und immer idem einstimmigen Beschluß dieses Hauses zu verdanken sei. Sie müssen sich daran erinnern!
Aber ich habe mich gemeldet, um folgendes klarzustellen. Sie sprachen davon, daß ich ein Anwalt zu sein hätte. Dazu wollte ich Ihnen einmal ganz kurz etwas sagen. Ich habe in der 42. Sitzung ides Deutschen Bundestages eine, wie ich glauben darf, vielbeachtete Rede gehalten, als an einem einzigen Vormittag aus drei verschiedenen Sozialbereichen Forderungen mit dem Anspruch auf Priorität gestellt wurden.
Das veranlaßt mich immer wieder, zu überdenken, was ich zu tun habe. Das habe ich hier vor Ihnen bei meinem Amtsantritt mit meinem Eid bekräftigt, und der lautet: Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen,
seinen Nutzen mehren
— wenn Ihnen ein Eid lächerlich vorkommt, muß ich das Ihnen überlassen —,
Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen,
meine Pflichten gewissenhaft erfüllen — und jetzt achten Sie bitte auf — und Gerechtigkeit gegen jedermann über werde.
Ich habe es mit 3,1 Millionen Kriegsopfern zu tun, ich habe es mit 8,2 Millionen Rentnern — Soziale Rentenversicherung — zu tun, ich habe es mit 3,5 Millionen Kindern — Kindergeldgesetzgebung —zu tun; ich spreche nur von meinem Ressort. Für mich liegt die Priorität in sozialpolitischen Dingen bei der Aufgabe, das Ganze in seinem Zusammenhang zu betrachten. Nur im Zusammenhang des Ganzen sind, wie ich glaube, gerechte Lösungen möglich.
— Das will ich Ihnen gleich sagen! — Darf ich Sie einmal fragen — da Sie von „Vorleisten" sprechen —, wie „Vorleisten" gemessen werden soll für diejenigen, die im Kriege waren, für diejenigen, die nach idem Krieg sich noch im Krieg befanden, indem sie aus Heimat, Hof und aus allem vertrieben wurden? Darf ich Sie fragen, wie Prioritäten gemessen werden, wenn an einem einzigen Vormittag durch einen einzigen und, wie es scheint, unabwendbaren Unglücksfall Hunderte von Bergleuten ihr Leben einbüßen? Darf ich Sie fragen, wie nach der Priorität zu entscheiden ist, wenn es sich in einem solchen Fall 'um einen Familienvater mit vier oder fünf Kindern handelt? Darf ich Sie fragen, ob ich das Recht habe, erst einen Prioritätsvergleich anzustellen, wenn es sich um einen zu 30 % Beschädigten handelt? Nein, meine Damen und Herren, damit, daß Sie an einem bestimmten Punkt das Emotionale ansprechen, kommen Sie nicht weit.
Zum Schluß möchte ich Ihnen einen guten Rat geben. Sie haben Ihre Bemühungen, haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben — wenngleich ich die Aussichten auf Verwirklichung nicht allzu hoch veranschlage —, in Bälde hier in der Regierung zu stehen. Legen Sie sich nicht zu sehr durch Versprechungen fest, die Sie dann nicht erfüllen können!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rutschke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Fritsch, Sie haben sich eben mit sehr viel Verve für die Belange der Kriegsopfer eingesetzt. Ich stimme dem durchaus zu. Aber man muß dann auch eine gewisse Logik walten lassen. Ich möchte hoffen, daß Sie sich mit derselben Verve auch einmal vor eine Gewerkschaftsfunktionärsversammlung stellten und sagten: Nehmt das Sozialprodukt nicht ständig für euch in
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Dr. RutschkeAnspruch, sondern laßt auch noch etwas für andere Leute übrig!
Da würden Sie diese Sachen wahrscheinlich nicht so laut vortragen. Eines ist ja wohl sicher, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir mehr, als das Sozialprodukt ergibt, nicht ausgeben können. Da bestehen nun einmal Zusammenhänge, die man einfach nicht voneinander trennen kann.Herr Kollege Fritsch, Sie haben hier gerade den Vergleich zwischen der Unfallversicherung und der Kriegsopferversorgung gebracht.
— Jawohl, Herr Kollege Killat, und das würde ich auch heute wieder tun. — Man muß dann auch den Mut haben, bei anderen Gesetzen, wie ich es vorgestern getan habe, zu sagen: Denkt daran, es sind auch noch andere da! Das vergessen Sie leider immer.Sie kommen heute, Kollege Fritsch, und sagen, daß der Unfallrentner mehr als das Doppelte von dem erhält, was der Kriegsbeschädigte bekommt. Vorgestern haben Sie, Kollege Fritsch, aber kräftig mitgeholfen, diese Disparität noch zu vergrößern, anstatt, wie ich es getan habe, zu sagen: Jetzt warten wir erst einmal etwas zu, damit die Disparität nicht weiterhin so eklatant groß bleibt und noch vergrößert wird.
Ich freue mich, daß sowohl die CDU/CSU-Fraktion als auch die Bundesregierung den Vorstellungen, die wir Freien Demokraten schon im vorigen Bundestag gehabt hatten — ich denke an die Regelung der Berufsschadensrente im ersten Neuordnungsgesetz —, gefolgt sind, daß Sie die Gewährung der Berufsschadensrente, wie wir damals auch, auf die Witwen ausdehnen wollen, um einen Schadensausgleich zu erreichen. Wir glauben, daß hier noch sehr, sehr vieles im argen liegt und daß hier noch sehr viel Ungerechtigkeit auszuräumen ist. Wir freuen uns darüber, daß das sowohl Sie, Herr Kollege Stingl — für die CDU/CSU —, als auch Sie, Herr Minister Blank — für die Regierung — gesagt haben. Damit sind wir sehr einverstanden.Lassen Sie mich etwas zur Berufsschadensrente und zu der Frage der Grundrente sagen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Kriegsopferversorgung kann entweder nach dem Fürsorgeprinzip oder nach dem Entschädigungsprinzip behandelt werden. Das Entschädigungsprinzip bedeutet in etwa, daß die Grundsätze des Bürgerlichen Gesetzbuches — mindestens in den Grundlagen — gelten, also z. B. die Schadenshaftung und der Aufopferungsanspruch. Hierzu gehört eine strenge Kausalität. Außerdem müssen die Belange der Geschädigten mit dem in Einklang gebracht werden, was auf der anderen Seite zu leisten ist. Der Geschädigte beruft sich dann, wenn wir in der Kriegsopferversorgungdas Entschädigungsprinzip verfolgen wollen, auf die Unverletzlichkeit seiner Person, die ihm durch das Grundgesetz gewährt wird. Wenn diese Unverletzlichkeit ihm vom Grundgesetz nicht garantiert werden konnte — und das ist im Kriegsfall nicht möglich —, dann muß der Staat auch bereit sein, eine Entschädigung für die Opfer, die er dem Betreffenden zugemutet hat, zu übernehmen. — Das ist der eine Grundsatz.Ein anderer Grundsatz ist im Fürsorgeprinzip enthalten. Das ist der Gedanke der Alimentation, wie er bei den Beamten im allgemeinen zur Anwendung kommt.
Richtig, man ist in der Vergangenheit gerade mit diesem Alimentationsprinzip der Beamten — das Bundesverfassungs- oder das Bundesverwaltungsgericht hat sich sehr dezidiert dazu geäußert — nicht immer so zu Rande gekommen, wie es ursprünglich gedacht gewesen ist.Der Herr Kollege Dr. Dittrich von der CSU hat mich vorgestern, als ich einige Anmerkungen in der Unfallversicherungsdebatte machte, gefragt, ob ich den Unterschied zwischen dem Versicherungsprinzip und dem Versorgungsprinzip kennte. Er meinte, daß es sich da um zweierlei Paar Schuhe, um zwei verschiedene Dinge wie Äpfel und Birnen handle, die man nicht miteinander vergleichen könne. Ich bin der Meinung, das sind durchaus Sachen, die man miteinander vergleichen kann, denn der zugrunde liegende Sachverhalt ist grundsätzlich derselbe, nämlich, daß jemand entweder durch einen Arbeitsunfall oder durch eine Verletzung im Kriege z. B. ein Bein verloren hat. Dem Betreffenden ist es grundsätzlich völlig gleichgültig, ob er nach dem Versicherungsprinzip oder nach dem Versorgungsprinzip behandelt wird. Er will jedenfalls so gestellt sein, daß er einen ausreichenden Ausgleich für den Verlust des Beines bekommt.Der Kollege Dr. Dittrich ist allem Anschein nach der Auffassung, daß grundsätzlich die Anwendung des Versorgungsprinzips die Hälfte der Leistungen ergebe, die nach dem Versicherungsprinzip zu gewähren seien. Da kann ich nicht mehr mit, denn ich bin der Meinung, daß das Versorgungsprinzip viel umfassender ist als das Versicherungsprinzip.
— Nein, die Kollektivität kommt im Versicherungsprinzip stärker zum Ausdruck. Allerdings läßt das Versicherungsprinzip verschiedene Steigerungen zu; das will ich Ihnen gern zugeben.Jedenfalls ist es durch den Sachverhalt nicht gerechtfertigt, daß derjenige, der auf dem Weg zur Arbeit durch einen Unfall ein Bein verloren hat — vielleicht sogar durch eigenes Mitverschulden —, doppelt soviel erhält wie derjenige, der den gleichen Verlust an der Ostfront erlitten hat. Herr Kollege Stingl, Sie mögen das bestreiten. Der Unfallrentner kann sogar noch viel mehr bekommen als das Doppelte. Wir gehen ja von dem Durchschnittsbemessungsbetrag von 475 aus, und da bekommt
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2940 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Dr. Rutschkeder Betreffende doch wirklich mindestens das Doppelte; das werden Sie mir zugeben müssen.Das Ziel der Fraktion der Freien Demokraten war von jeher, das Kriegsopferrecht in Richtung auf das Bundesentschädigungsgesetz auszubauen. Das Bundesentschädigungsgesetz sieht für die Opfer des Nationalsozialismus sehr gut durchdachte Regelungen vor. Die Tatbestände sind teilweise dieselben. Ob jemand seine körperliche Integrität durch einen KZ-Aufenthalt oder an der Ostfront verloren hat, ist im Effekt kein Unterschied. Wir meinen also, daß das Bundesentschädigungsgesetz durchaus eine Richtschnur, ein Ziel sein kann, welches wir für die Kriegsopferversorgung anstreben sollten.Seien Sie mir nicht böse, wenn ich jetzt einige wenige Zahlen nenne. Bei einer Erwerbsminderung von 40 %, d. h. z. B. beim Verlust eines Fußes, bekommt man bei Zugrundelegung eines niedrigeren durchschnittlichen Arbeitsverdienstes in der Unfallversicherung den Betrag von 187,60 DM, nach dem Bundesentschädigungsgesetz die Höchstrente — die also nicht für alle zutrifft — von 800 DM, aber sicherlich eine Rente von etwa 200 DM, und nach dem Bundesversorgungsgesetz sind es 45 DM. Das sind Diskrepanzen, die auf die Dauer unerträglich sind.
Daher rührte auch meine Empörung, oder wie man es nennen will, als ich vorgestern sah, wie großzügig man die Unfallversicherung noch weiter steigerte und sich keine Gedanken darüber machte, daß die Disparität zwischen der Kriegsopferversorgung und der Unfallrentenversicherung nun noch größer wird.Es wird immer wieder der Einwand gebracht: Nun ja, die Unfallversicherung wird doch von den Arbeitgebern bezahlt, während die Kriegsopfer aus dem Steueraufkommen versorgt werden müssen. — Im Prinzip ist das volkswirtschaftlich völlig gleichgültig; denn die Beiträge, die die Arbeitgeber zur Unfallversicherung leisten müssen — und das soll jetzt ein Mehr von etwa 350 Millionen DM sein —, sind ja Faktoren in der Kalkulation der Preise und gehen in die Preise ein. Sie werden dann von der Allgemeinheit bezahlt. Ob das nun ein so großer Unterschied ist?! Sicherlich, für den Herrn Bundesfinanzminister ist der Unterschied sehr groß, aber volkswirtschaftlich nicht. Herr Kollege Stingl hat ja vorhin gesagt, wir müßten die volkswirtschaftlichen Belange berücksichtigen; denn es bestünde die Gefahr, daß sonst die Währung zusammenbrechen könne. Nun ja, deshalb sind die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge auch in diesem Fall zu berücksichtigen.Ich will Sie nicht weiter mit Zahlen langweilen, aber auch bei der Witwenversorgung sind die Unterschiede zwischen Unfallversicherung, Bundesentschädigungsgesetz und Kriegsopferversorgung ganz offensichtlich, so daß wir alles tun sollten, um hier eine Änderung der Situation herbeizuführen.
— Herr Kollege Börner, ich habe mich vorhin bemüht, Ihnen klarzumachen, daß es dem Beschädigten doch völlig wurscht ist, wo er sein Bein verloren hat. Er stellt fest: Er hat sein Bein verloren und bekommt das einemal 80 DM und das anderemal 170 DM. Das ist für ihn das Entscheidende.
— Ja, in dieser Auffassung unterscheiden wir uns eben.
— Ich bin gerne bereit, mich von Ihnen überzeugen zu lassen. Aber ich habe die Sache sehr wohl durchdacht, und deshalb habe ich auch auf die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge hingewiesen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein paar Worte zur Grundrente sagen. Es wird — und das scheint mir recht gedankenlos zu sein — von vielen Leuten immer wieder gesagt: Wozu ist eigentlich die Grundrentenerhöhung notwendig? Wozu ist es notwendig, daß nun bei einer Beschädigung von 30% die Grundrente, die etwa ein Generaldirektor oder ein Staatssekretär erhält, um 3,50 oder 5 DM erhöht wird? Man soll doch lieber denen helfen, die nun wirklich in Not sind usw. usw. Nun, es sind sicherlich nicht mehr als 8% der gesamten Kriegsopfer, die in so hohen Einkommensregionen schweben und, sagen wir einmal, mehr als 1000 DM verdienen. Die können Sie wirklich zählen. Ich habe aber auch niemals gehört, daß ganze Bataillone von Generaldirektoren oder von Staatssekretären an der Ostfront eingesetzt waren. Sie können das doch nicht daran messen.Dabei möchte ich Sie, Herr Kollege Stingl, darauf hinweisen, daß auch beim Kindergeldgesetz der Generaldirektor das Kindergeld genauso bekommen soll, obwohl man hier denselben Einwand bringen könnte. Offensichtlich haben Sie aber leider seinerzeit vergessen, sich das bei Ihren Vorschlägen zu überlegen.Was ist denn der Sinn der Grundrente? Sinn der Grundrente ist doch der Ausgleich der Mehrkosten, die der Beschädigte durch seine Beschädigung zwangsläufig im Vergleich zu Gesunden hat. Er wird eben öfter einmal mit der Taxe fahren müssen, wenn er Beinamputierter ist. Oder er wird den Gepäckträger mehr in Anspruch nehmen oder, wenn er armamputiert ist, eine Taxe nehmen, mit der er sein Gepäck befördern kann. Das kann Ihnen jeder Beschädigte an Beispielen nachweisen. Man denkt ursprünglich gar nicht so daran, wenn man selbst beschädigt ist, welche Mehraufwendungen sich praktisch immer zwangsläufig einstellen. Man nimmt sie schon als so selbstverständlich hin, daß man eigentlich gar nicht mehr merkt, daß der Gesunde alle diese Aufwendungen nicht hat.Es ist also nicht so, daß die Grundrente ein Mehr für die Kriegsbeschädigten ist, sondern daß es von einem minus soundsoviel auf ± 0 geht. Das ist der Sinn der Grundrente. Die Aufwendungen entstehen dem Gutdotierten genauso wie dem Minderdotierten. Derjenige, der ein Häuschen hat und beinamputiert ist, wird nun mal eben sein 'Dach nicht mehr reparieren können, wie er es früher getan hat, son-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2941
Dr. Rutschkedern wird den Dachdecker holen und diesen bezahlen müssen. Man kann nicht von der Grundrente so sprechen, als wenn das nur ein Zigarettengeld wäre, das ,den Beschädigten nun so in Gottes Namen hingeworfen wird, sondern. sie hat schon ihren Sinn, und das steht ja im übrigen auch im Gesetz.Eine sehr schlechte Argumentation ist es, wenn man sagt, bei einem zu 30 % Beschädigten, der also immerhin den Vorfuß abgenommen bekommen oder ein Auge verloren hat, bedeutet eine 10%ige Erhöhung nur 3,50 DM, und was soll man so vielen Leuten, die das betrifft, 3,50 DM geben, man soll dafür lieber den Schwerbeschädigten 200 DM oder 100 DM oder 30 DM mehr geben! Meine Damen und Herren, das ist eine sehr gedankenlose Argumentation. Bei den Entschädigungsleistungen nach anderen 'Gesetzen, z. B. nach dem Bundesentschädigungsgesetz oder dem Unfallversicherungsgesetz, würde eine 10%ige Erhöhung beim selben Schadenstatbestand eben 10 oder 30 DM ausmachen. Man kann nicht sagen: Weil ihr sowieso so wenig bekommt, ihr zu 30 % beschädigten Kriegsopfer, lohnt es sich überhaupt nicht, darüber zu reden, weil die 10 % dann nur 3,50 DM ausmachen. Ich halte diese Argumentation für unwürdig und eigentlich für empörend gegenüber den Kriegsopfern.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bedauere, daß bei dieser Debatte niemand vom Verteidigungsministerium anwesend ist. Die Kriegsopferversorgung gilt nämlich genauso für unsere Bundeswehrsoldaten, wenn sie durch Unfälle verletzt oder getötet werden. Hier folgender Tatbestand: Ein Schlosser steht in der Panzerwerkstatt im Arbeiter- oder Angestelltenverhältnis. Da ist nun andererseits der junge Soldat, der an sich einen ganz anderen Beruf haben möchte, der etwas anderes tun wollte, der aber nun seiner Dienstpflicht in der Bundeswehr genügen muß. Beide werden, sagen wir, von einem Panzer verletzt, es wird ihnen ein Fuß abgefahren. Dann bekommt der Schlosser aus der Panzerwerkstatt eine Unfallrente von 187,60 DM, der Bundeswehrsoldat aus dem Bundesversorgungsgesetz 45,— DM. Also, auch hier diese Disparität! Das beeinträchtigt doch die Verteidigungsbereitschaft. Man müßte den Soldaten das Gefühl vermitteln, daß man auch dann für sie sorgt, wenn sie sich im Interesse der Allgemeinheit aufopfern mußten. Meine Damen und Herren, auch daran sollten Sie denken: Auf die Dauer ist das unerträglich.Ich hoffe, daß der Herr Bundesverteidigungsminister von Hassel, der sich in dieser Richtung bisher sehr positiv geäußert haben soll, nicht die Tradition des Herrn Strauß fortsetzt, der sich um diese Fragen offensichtlich sehr wenig gekümmert hat.
— Ich rede jetzt vom Verteidigungsminister, verehrter Herr Kollege Glombig, und ich meine, Sie haben es ja nun schon so gründlich besorgt, den Bundesminister Blank zu kritisieren, daß ich es mir ersparen kann — —
— Wissen Sie, in den menschlichen Beziehungen bin ich dieser Meinung. Wenn wir sachlich verschiedener Meinung sind, dann wird das sehr hart ausgetragen. Darauf können Sie sich verlassen, Herr Kollege Börner. Aber, was das Menschliche anlangt, das überlasse ich Ihnen; das ist Geschmacksfrage.
Herr Kollege Rutschke, darf ich meine Eindrücke über Ihre Meinung dahin zusammenfassen, daß Sie sich im Rahmen der Koalition dafür einsetzen wollen, daß die Beträge für die Kriegsopferversorgung in Zukunft im Verteidigungshaushalt etatisiert werden?
Dazu wird eventuell mein Kollege Reichmann noch sprechen. Das ist übrigens ein Antrag, den wir bereits im 3. Bundestag gestellt hatten.
Der Kollege Mischnick — im Augenblick sitzt er nicht auf der hohen Regierungsbank, sondern unten im Plenum — hat damals, wenn ich mich recht entsinne, diesen Antrag begründet. Jetzt wird es für ihn etwas schwierig sein. Aber wir sind ja nicht so arm an Leuten. Vielleicht wird es Herr Kollege Reichmann nochmals tun.Meine Damen und Herren, denken Sie auch an folgendes — und das ist auch ein Wort an den Herrn Bundesverteidigungsminister —: Man hat, jedenfalls soweit ich es übersehen kann, eine sehr gute Regelung für den Unterhalt der Ehefrauen der eingezogenen Wehrpflichtigen gefunden. Hier werden die Beträge großzügig gegeben, und das ist auch gut. Nur eines darf diesem Ehemann nicht Aaspieren: daß er einen Unfall erleidet mit tödlichem Ausgang. Dann werden nämlich die 400 DM, die die Ehefrau auf Grund der Einkommensverhältnisse vielleicht bekommt, radikal auf 100 DM, auf ein Viertel, gekürzt.
Auch das ist eine Sache, die der Herr Verteidigungsminister einmal überprüfen sollte. — Das stimmt, doch, Herr Kollege Arndgen. Es hängt natürlich, wie ich sagte, von den Einkommensverhältnissen ab. — Also schön, ich lasse gern mit mir handeln; vielleicht waren es 350 DM. Ich habe das nur auf meinem Notizzettel gefunden und nicht nochmals nachgeprüft. Aber in etwa sind die Verhältnisse schon so.Leider hat die Regierung, was auch ich bedaure, für das Zweite Neuordnungsgesetz noch keinen genauen Termin genannt. Auch wir sind der Meinung, daß man nun endlich einen Termin festlegen sollte, zumal von allen Parteien, auch von der meinen durch ihren Bundesvorsitzenden und Fraktionsvorsitzenden Erich Mende im Jahre 1961, entsprechende Aussagen gemacht worden sind. Davon rücken wir gar nicht ab. Wir haben uns auch bemüht — der damalige Bundesfinanzminister Dr. Starke z. B. legte Wert darauf —, daß in das Sozialpaket auch wenigstens die Finanzierung der Zahlungen für ein Kriegsopferneuregelungsgesetz aufgenommen wurde. Wir hatten das keineswegs vergessen. Nun, es
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2942 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Dr. Rutschkeherrschen jetzt schwierige Etatverhältnisse. Aber wir stehen zu unserem Wort.Die Kriegsopferversorgung muß eben vorrangig sein. Wir haben auch den Mut, meine Herren von der SPD, zu sagen, daß andere Dinge etwas warten oder zurücktreten müssen. Solange die Kriegsopferversorgung nicht in Ordnung gebracht ist, sollten wir auch auf sozialpolitischem Gebiet die Kriegsopferversorgung erst einmal nachziehen, damit hier nicht weitere Disparitäten entstehen. Wir werden natürlich sehen, wie wir das mit der Haushaltslage, die wir im Bund heute nun einmal haben, vereinbaren können. Wir sind gern bereit, überall, angefangen beim Verteidigungsetat, bis zum letzten Etat zu prüfen, was für die Kriegsopferversorgung an Mitteln herauszuholen ist. Wir werden nicht kleinlich darin sein, und wir werden uns bemühen, diesen zu Recht gestellten Forderungen gerecht zu werden.Meine Damen und Herren, drei Millionen Kriegsopfer leben noch. Diese drei Millionen haben schwere, sehr schwere Opfer an Leib und Leben bringen müssen, ein Opfer für die Allgemeinheit. Jetzt sind wir als Vertreter des Volkes, also als Vertreter dieser Allgemeinheit, aufgerufen, alles zu tun, um diesen Menschen im Rahmen des Menschenmöglichen zu helfen. Jetzt dürfen wir uns auch nicht davor scheuen, ein, verglichen mit den Opfern, die unsere Kriegsopfer erbringen mußten, viel geringeres Opfer zu bringen, nämlich nur ein finanzielles. Wir müssen aber dazu den guten Willen haben.
Meine Damen und Herren, es sind noch zwei Redner gemeldet. Außerdem wird der Herr Finanzminister noch sprechen wollen, und wir haben noch 15 Punkte der Tagesordnung zu erledigen. Ich sage das, damit Sie über Ihre Zeit richtig disponieren.
Das Wort hat der Abgeordnete Maucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Haben Sie keine Sorge; ich werde jetzt nicht auf die Vielfalt der Probleme der Kriegsopferversorgung im einzelnen eingehen, werde auch nicht wiederholen, was man vielfach zu dem Problem der Kriegsopferversorgung selbst sagt. Ich brauche persönlich gar nicht besonders zu betonen — ich gehe davon aus und darf das für meine ganze Fraktion sagen —, daß wir es mit dem Kriegsopferproblem ernst meinen und ernst mit ihm ringen. Wenn in der Sache vielleicht dann und wann verschiedene Meinungen vertreten, vielleicht auch verschiedene Wege gegangen werden, ist es doch keineswegs so, daß in der grundsätzlichen Auffassung eine Meinungsverschiedenheit besteht.
Ich möchte deutlich sagen: man erweist den Kriegsopfern den schlechtesten Dienst, wenn man glaubt, vielleicht aus der einen oder anderen Aktion politisches und anderes Kapital schlagen zu können. Damit erreicht man genau das Gegenteil. Ich muß an dieser Stelle ganz klar und eindeutig feststellen: es ist den deutschen Kriegsopfern in den letzten Jahren gut bekommen, daß wir uns immer von allen Fraktionen zu einer einheitlichen Lösung zusammengefunden haben. Wenn ich ehrlich sozialpolitisch denke, dann denke ich sowohl an den Gebenden wie an den Nehmenden.Herr Kollege Fritsch, ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen, dieser Stil hat mir nicht gefallen. Ich hätte es begrüßt, wenn Sie hier nicht die Frage aufgeworfen hätten, wer das schlechte oder das gute Gewissen hat. An dem guten Gewissen sollten wir wirklich in keiner Weise bei irgendeinem Abgeordneten zweifeln.Wenn man weiter die Frage aufwirft, was getan werden kann, so ist es ganz selbstverständlich — ich billige das der Opposition zu —, daß die Opposition in manchen Fragen andere Anträge stellt als die Regierung. Herr Kollege Riegel, Sie wissen es doch ganz genau aus der Zeit, wo wir beide Landtagskollegen waren, wo ich in der Opposition war und Sie in der Regierung, wo wir von der Opposition auch eine andere Meinung hatten.
Ihr mußtet eben in der Regierung, weil die Mittel nicht da waren, im Landtag von Baden-Württemberg einen Antrag von 8 Millionen DM ablehnen, wo wir in der Opposition waren und ihr dort in der Verantwortung. Ich mache das nur deutlich, damit man sieht, wie die Dinge im allgemeinen aussehen.Wenn wir die ganze heutige Diskussion betrachten, können wir, glaube ich, doch eines feststellen: daß in den grundsätzlichen Sachfragen hier von der Regierungsbank bis zur Opposition eine einheitliche Auffassung zu erkennen ist,
eine einheitliche Auffassung in der Frage der harmonischen Weiterentwicklung des Rechts der Kriegsopferversorgung. — Wenn das nicht der Fall ist, dann hat der Sprecher der Sozialdemokratie, Herr Kollege Fritsch, nicht die Meinung der Fraktion vertreten. — Sie meinen vielleicht die Frage der Berufsschadensrente. Bitte, das sind einzelne Dinge. Aber klar und deutlich ist doch heute festzustellen, daß das ganze Haus der Meinung ist, daß auch die Grundrente weiter entwickelt werden soll. Das ist also unbestritten. In der Frage der Elternrenten gab es ebenfalls eine einheitliche Meinung. Was die Frage der Weiterentwicklung der Einkommensanrechnung, der Ausgleichsrenten anbelangt, so werden wir das im Ausschuß miteinander besprechen und überlegen. Es ist ganz klar, daß man die Witwe, deren Rente heute bei 220 DM liegt, dabei nicht stehenlassen kann, daß sie praktisch hier eine Lebenssicherung erhalten muß. Das ist das Kernproblem, das wir hier sehen müssen. Und das will auch der Bundesarbeitsminister.Bei gutem Willen zur gemeinsamen Zusammenarbeit können alle Risse und Lücken, die da und
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2943
Maucherdort auftauchen, geschlossen werden. Nur wenn wir den guten Willen zur Gemeinsamkeit haben, werden wir das Bestmögliche erreichen und den Kriegsopfern den besten Dienst erweisen.
Frau Abgeordnete Schanzenbach hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Maucher, ich glaube, es trifft nicht zu, daß in diesem Hause eine einheitliche Auffassung in der Frage der Weiterentwicklung des Kriegsopferrechts besteht. Es könnte sein, Herr Maucher, daß gewisse Gruppen in der CDU mit der Fraktion der SPD einige Gemeinsamkeiten haben. Aber nachdem Herr Stingl — Herr Stingl, Sie sind schuld, daß ich hier stehe —
— passen Sie nur auf! Nachdem also Herr Stingl gesagt hat, daß die CDU befriedigt ist über das, was der Herr Bundesminister auf die Große Anfrage geantwortet hat, muß ich sagen, daß mich das sehr bedenklich stimmt; denn diese Antwort war über alle Maßen mager und hat die Kriegsopfer sehr enttäuscht.Da Sie auch die Fragen der Familienpolitik angeschnitten haben, muß ich etwas über die Hinterbliebenenversorgung sagen.
— Ja, vielleicht ist aber das, was ich sage, ein bißchen anders als das, was der Minister äußerte. Die Hinterbliebenenversorgung ist seit eh und je eine der schwächsten Stellen im Bundesversorgungsgesetz. Angesichts der bisherigen wirtschaftlichen Versorgung der Hinterbliebenen kann man sich des Eindrucks leider nicht erwehren — und, Herr Stingl, auch Ihre Rede bestärkt mich in diesem Eindruck —, daß ein Teil dieses Hauses und die Regierung wenig Verständnis für das Opfer haben, das in den vergangenen Kriegen von Frauen, Kindern und Eltern gefordert wurde.
Da nicht einmal die Einsicht vorhanden ist, daß eine erträgliche wirtschaftliche Basis für die Familien gesichert werden muß, deren Ernährer gefallen oder vermißt ist, ist wahrscheinlich schon gar nicht zu erwarten, daß der menschliche Verlust, der das Leben der Hinterbliebenen wesentlich beeinflußt hat, in seinem ganzen Umfang auch nur annähernd eine gerechte Würdigung erfährt.
— Ich habe mir erst überlegt, was ich sagen will, dann habe ich es aufgeschrieben, und jetzt habe ich es fast abgelesen.
— Gerade weil Sie von der Ehrlichkeit sprechen, bringe ich Ihnen jetzt sogar die Begründung meines Satzes. Wie wäre es sonst möglich, daß Herr Blank als der für die Kriegsopfer zuständige Bundesminister kürzlich die Vertreterin eines großen Kriegsopferverbandes, als sie ihm mit ihren männlichen Kollegen die Sorgen und Wünsche im Namen von mehr als 600 000 Hinterbliebenen vortragen wollte, nicht empfing, sondern daß er diese Kriegerwitwe dreieinhalb Stunden vor seiner Tür warten ließ, ohne sie anzuhören? Mit der Begründung, die er dann gegeben hat, er liebe keine Demonstrationen, ist diese Sache leider nicht abgetan. Dieses Verhalten des zuständigen Fachministers ist doch sehr zu beanstanden.
Von den Kriegerwitwen darf wohl gesagt werden, daß sie in der Vergangenheit in ihren Forderungen sehr bescheiden waren. Mit der geringen Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz und unter Einsatz ihrer eigenen Kraft und ihres Könnens haben sie ihre Familien wirtschaftlich durchgebracht. Darüber hinaus wirken viele Kriegerwitwen im öffentlichen und sozialen Leben unseres Staates mit. Ihre Arbeit ist aus dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben unserer Demokratie nicht mehr wegzudenken.Kriegshinterbliebene haben in ihrem Lebenskreis Leistungen vollbracht, die höher zu bewerten sind als manche Leistungen, für die das Bundesverdienstkreuz verliehen worden ist. Meine Damen und Herren, unter den 2 Millionen alleinstehenden Frauen, die wir in der Bundesrepublik haben, sind 1,2 Millionen Kriegshinterbliebene. Nach dem Bundesetat von 1963 sind 1 170 000 Witwen zu versorgen. 50 % dieser Frauen erhalten ausschließlich Grundrente, 113 000 erhalten Grundrente und volle Ausgleichsrente, und 520 000 Frauen beziehen Ausgleichsrente in verschiedener Höhe je nach ihrem Renteneinkommen oder ihrem Arbeitseinkommen.Über die Zahl der Hinterbliebenen, die einer vollen Erwerbsarbeit nachgehen, sind leider keine Angaben zu bekommen. Es wäre äußerst interessant, einmal nachzuweisen, wie viele Millionen in den vergangenen 12 Jahren, seit wir das Bundesversorgungsgesetz haben, dem Staat durch diese Frauen eingespart worden sind. Wenn die HinterbliebenenFamilien außer der Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz keine • weiteren Einnahmen hatten, waren die Mütter aus wirtschaftlicher Not gezwungen, einer Erwerbsarbeit nachzugehen, nicht weil sie übermütig waren und arbeiten wollten oder weil sie sich, wie es schon manchmal in diesem Hause zum Ausdruck gekommen ist, einen Luxusgegenstand anschaffen wollten.Diese Frauen waren wirklich aus wirtschaftlicher Not gezwungen, einer Erwerbsarbeit nachzugehen; denn die Versorgungsrente lag ja teilweise unter dem Fürsorgerichtsatz. Ich erinnere noch einmal daran, daß die erste Grundrente für die Witwe nach dem Bundesversorgungsgesetz 40 DM und die Ausgleichsrente 30 DM betrug. Einer Frau, die kein
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2944 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Frau Schanzenbachanderes Einkommen hatte, standen viele Jahre hindurch nur 70 DM zur Verfügung. Diesen Betrag haben wir in der Zwischenzeit aufgestockt. Die Waisen bekamen ursprünglich nur 10 DM Grundrente und 21 DM Ausgleichsrente. Das brachte die Frauen viele Jahre hindurch in eine sehr schwierige Situation. Weder das Parlament noch die Regierung hat während dieser Zeit den Hinterbliebenen ausreichend geholfen. Sie waren sich selber überlassen.Diese Frauen nahmen die große Doppelbelastung der Haus- und Berufsarbeit auf sich und mußten auch noch die schwierige Aufgabe der Erziehung ihrer Kinder übernehmen. Niemand stand ihnen zur Seite. Gewiß, viele Kollegen der Gefallenen hatten früher im Krieg ihren Kameraden gesagt und den Frauen versprochen, daß sie mitsorgen würden, wenn der Vater nicht mehr zurückkäme. Aber leider war es später dann nicht so. Ich sage das nicht als Vorwurf. Es ist klar, daß jeder dann seine eigenen Wege gehen mußte. Ich will nur zum Ausdruck bringen, daß die Frauen bei der ganzen Erziehungsaufgabe überwiegend auf sich allein gestellt sind.Untersuchungen haben ergeben, daß diese Kriegshinterbliebenen meist schweren Herzens einer Erwerbsarbeit nachgingen, weil sie dadurch ihren Kindern, eben weil sie keinen Vater mehr hatten, nicht das Zuhause bieten konnten, auf das gerade diese Kinder einen Anspruch gehabt hätten. Um so höher ist es zu bewerten, daß diese Frauen die so schwierige Erziehungsaufgabe bewältigt haben.In zwei Fünfteln der Familien, in denen zwischen 1945 und heute vorschulpflichtige und schulpflichtige Kinder aufgewachsen sind, fehlt der Vater. Das sind überwiegend Kriegerwaisen. Das sind aber auch die Kinder, die nun wieder der Bundeswehr zur Verfügung stehen müssen. Sie haben nun die völlig unzureichende Versorgung ihrer Mütter vor Augen. Man kann sich vorstellen, daß das den Wehrwillen der jungen Leute nicht gerade erhöht.In der Rothenfelser Denkschrift der vier Professoren von 1955 heißt es zur Kriegsopferversorgung:Die Erziehung der Kinder, die im Krieg den Vater verloren haben, zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit ist ein staatspolitisches und gesellschaftliches Anliegen, das nicht wiederkehrt und das wohl die größte Verpflichtung darstellt, die aus diesem Kriege übriggeblieben ist.So sollte es sein, wie diese Professoren in der Denkschrift es gesagt haben. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Wie die wirtschaftliche Versorgung während dieser Zeit war, habe ich vorhin schon angeführt.Der Herr Bundesminister sprach vorhin von der Gerechtigkeit, die jedem, auch den Kriegsopfern, zuteil werden solle. Meinen Sie, es ist gerecht, Herr Bundesminister, wenn die Grundrente für eine Halbwaise heute 30 DM und die Ausgleichsrente 60 DM beträgt, wenn z. B. der Regelsatz nach dem Bundessozialhilfegesetz zwischen 78 und 95 DM liegt? Das Kind, das nach diesem Regelsatz unterstützt wird, bekommt in Großstädten 90 bis 95 DM. Die Waise bekommt auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes nur 90 DM.Ich habe den Eindruck, daß die Kriegerwitwen und die Waisen außerhalb des allgemein gültigen Rechts stehen, denn das Bundesversorgungsgesetz hat eine schlechtere Regelung für Hinterbliebene als das Beamten- und Sozialversicherungsrecht. Die Witwe hat nach dem Bundesversorgungsgesetz einen Rechtsanspruch auf eine Grundrente von 100 DM. Die Frau, die durch einen Unfall ihren Mann, der einen Monatslohn von 480 DM hatte, verloren hat— jetzt komme ich Ihnen zur Hilfe, Herr Dr. Rutschke; ich habe ein praktisches Beispiel, das nach dem Monatslohn errechnet worden ist —, hat einen Anspruch auf eine Unfallrente von 192 DM; also nach dem Bundesversorgungsgesetz 100 DM, nach dem Unfallversicherungsgesetz 192 DM. Nach dem Unterhaltssicherungsgesetz bekommt eine Frau, die selbst nebenher noch arbeitet und Unterhaltssicherungsbeiträge erhält, wenn ihr Mann 500 DM verdient hat, während der Ableistung seiner Wehrpflicht monatlich 320 DM. Trifft sie nun das Geschick, daß ihr Mann tödlich verunglückt, bekommt sie nach dem Bundesversorgungsgesetz nur einen Betrag von 100 DM.
— Nein, Sie haben nicht genug aufgepaßt, Herr Stingl. Sie sind ein guter Sozialpolitiker, aber bei dieser Sache haben Sie nicht aufgepaßt. Ich habe vorhin ganz deutlich gesagt: eine Frau, die eigenes Arbeitseinkommen hat und deren Mann 500 DM verdient, bekommt dann die 320 DM. Dieselbe Frau, die weiterarbeitet, hat keinen Anspruch auf Ausgleichsrente, es sei denn, sie hat ein Arbeitseinkommen von weit unter 300 DM. Ich habe es richtig gesagt: dieselbe Frau bekommt, wenn ihr Mann tödlich verunglückt, nach dem BVG nur 100 DM. Das sind Regelungen, die in eine andere Ordnung gebracht werden müssen.
— Nein, Herr Stingl, die Tatsachen sind andere!Von den Kriegshinterbliebenen, die Rente beziehen, ist die Anrechnung der Rentenerhöhungen stets als große Ungerechtigkeit empfunden worden.
— Nein, die kleinste Erhöhung der Invaliden- oder Angestelltenrente führt zur Verringerung der Ausgleichsrente. Nun haben wir zwar gehört, daß auch die Regierung beabsichtigt, diese Schwierigkeiten zu überbrücken; aber ich bin der Meinung, daß man das nicht wieder nur als Teillösung durchführen darf, sondern daß hier etwas Entscheidendes geschehen muß.Was will die Bundesregierung künftig für die Hinterbliebenen tun? Das, was der Herr Bundesminister hier vorgetragen hat, reicht nicht aus. Die
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2945
Frau SchanzenbachKriegshinterbliebenen kommen nun in die Jahre, in denen sie nicht mehr erwerbstätig sein können; das ist die Generation, die jetzt langsam an die Grenze von 60 Jahren herankommt.
— Das ist meine Generation, Herr Stingl, Ganz so jung sind wir nicht mehr.
— Herr Stingl, Sie waren im Krieg. Aber Sie haben nicht so wie die Hinterbliebenen den Ernährer Ihrer Familie gespielt, den Haushalt daneben geführt und die Kinder erzogen. Das ist etwas völlig anderes. Das ist für mich ein Zeichen, daß Sie das, was ich zu Anfang ausführte, nicht einsehen, daß nämlich die Belastung der Kriegshinterbliebenen weit schwerer war als die der meisten Kriegsbeschädigten trotz ihrer Leiden.
— Das ist gut; da können Sie hier noch manche Schlacht schlagen!
Das Parlament jedenfalls sollte bei der Aufgabe der Kriegsopferversorgung nicht bloß die Zahlen sehen, so wichtig das Geld auch ist und so notwendig es ist, es zu beschaffen. Vielmehr müssen auch die menschlichen Fragen gewürdigt und in die Betrachtungen einbezogen werden.Genauso wie die Witwenversorgung muß auch die Versorgung der Eltern nach dem Bundesversorgungsgesetz verbessert werden. Auch hier sind Versprechungen gemacht worden, daß der berüchtigte Begriff „Ernährereigenschaft" aus dem Gesetz herausgenommen werden wird. Die SPD-Fraktion hat das in den vergangenen Jahren immer wieder versucht, ist aber stets von der Mehrheit dieses Hauses niedergestimmt worden. Ich hoffe aber, jetzt hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß eine Regelung mit dem Begriff „Ernährereigenschaft" einfach untragbar und, ich möchte sagen, unmoralisch ist.Die Regelsätze nach dem Sozialhilfegesetz liegen zum Teil höher als die Elternrenten. Also auch hier muß unbedingt etwas in Ordnung gebracht werden; denn es ist eine ungute Sache, wenn man den Kriegereltern zumutet, trotz ihrer Elternrenten nach dem BVG noch den Weg zum Sozialamt gehen zu müssen. Ich wäre also sehr dankbar, wenn diese Anrechnungsbestimmungen so bald wie möglich fielen.Das Bundesversorgungsgesetz muß fortentwickelt werden. In der Hinterbliebenenversorgung gilt es noch vieles auszugleichen und zu verbessern. Wir werden darüber gelegentlich sprechen. Ich hoffe, daß von den einzelnen Fraktionen Initiativen ergriffen und wir zu einer Lösung kommen werden, der wir vielleicht wieder gemeinsam zustimmen können. Ich bin aber der Überzeugung, daß Ihre Forderungen — gerade nach dem, was Sie, Herr Stingl, und was der Herr Minister heute gesagt haben — weit unter dem liegen werden, was wir für richtig halten. Wir haben in der Kriegsopferversorgung immer urmitgestimmt, obwohl unsere Forderungen nie restlos erfüllt worden sind; wir haben mitgestimmt, weil wir jede Verbesserung gutgeheißen haben. Das heißt aber nicht, daß wir mit dem bisher Erreichten zufrieden gewesen sind.
Alle Sozialpolitik — Herr Stingl, das haben Sie gesagt — ist auch ein Stück Familienpolitik.
— Auch wenn Sie eine schlechte Regelung in der Krankenversicherung treffen, z. B. in der Frage der Selbstbeteiligung, wenn wir 'beim Kindergeld mit der Einkommensbegrenzung ansetzen, ist das ein Stück — nach meiner Meinung: schlechter — Familienpolitik.
— Ich sage ja, nach meiner Meinung.
Herr Kollege Stingl, bitte nicht soviel Dialoge! Das ganze Haus möchte Sie hören. Kommen Sie lieber auf die Tribüne, und sprechen Sie von dort aus.
— Aber so geht es nicht.
Ich wiederhole: Alle Sozialpolitik ist gleichzeitig auch Familienpolitik. Von diesem Grundsatz her kann ich nur feststellen, daß die Regierung den Familien der Hinterbliebenen bisher weder wirtschaftlich noch gesellschaftlich den Schutz und die Hilfe gegeben hat, auf die Kriegerwitwen, -waisen und -eltern einen berechtigten Anspruch haben. Ich habe den Eindruck, daß das Ergebnis dieser Aussprache für die Kriegsopfer völlig unbefriedigend ist.
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß ich Ihre Geduld noch einmal für einen Augenblick in Anspruch nehmen muß. Ich sehe die „Fülle" des Hauses, und ich weiß, daß Sie noch einiges zu tun haben.Frau Schanzenbach, ich muß etwas richtigstellen, was ich, wie Ihnen bekannt sein dürfte, schon einmal richtiggestellt habe, nämlich die infame Behauptung, ich hätte die Vertreterin der Kriegerwitwen nicht empfangen.Lassen Sie mich noch einmal den Vorgang kurz darstellen; ich habe das für die deutsche Presse schon berichtigt. Die Kriegsopferverbände haben mich um eine Unterredung gebeten, der VdK ebenso wie der Reichsbund. Ich habe damals beiden Ver-
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2946 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Bundesminister Blankbänden mitgeteilt: Gern; die Besprechung soll im kleinen Kreise stattfinden. Sie möchten bitte mit je drei Vertretern kommen. Der Reichsbund hielt sich daran. Im VdK gab es, wie ich erfahren habe, einen internen Krach darüber, wer denn nun berechtigt sei, einer von den Dreien zu sein. Das ging mich gar nichts an. Oben in diesem kleinen Zimmerchen habe ich dann während einer Parlamentsdebatte die Leute — sie kamen zu fünfen — an die Abmachung erinnert und sie gebeten, sich darüber zu einigen, wer an der Besprechung teilnehmen solle.. Die Herren haben dann entschieden, daß der Herr Präsident Weltersbach, der Herr Vizepräsident Weishäupl und der Hauptgeschäftsführer Brinkmann daran teilnehmen sollten. In der Tat hat die Besprechung einige Stunden gedauert, und während diese Besprechung oben stattfand, haben Sie hier unten meine Herbeiholung beschlossen. Das war an dem Tag; darum hat sich mir das unauslöschlich ins Gedächtnis eingeprägt. Frau Schanzenbach, nehmen Sie bitte von dieser Richtigstellung Kenntnis, die ich schon durch die deutsche Presse gegeben habe. Ich muß es ablehnen, daß immer wieder versucht wird, politische Dinge dadurch zu lösen, daß man Verleumdungen, auf einen Mann projiziert, in die Welt setzt.Heute morgen sprach mich ein Kriegsbeschädigter hier im Hause an und sagte mir, ich hätte behauptet, die Kriegsbechädigten müßten schneller sterben.
Der Tatbestand ist folgender. Als einmal vor Jahren beim Herrn Bundeskanzler eine Besprechung war, sagte ein Vertreter eines Kriegsopferverbandes: Ja, ja; Kamerad stirb schneller! Darauf fuhr ich ihm über den Schnabel und sagte, eine solche Bernerkung sei auch ihm nicht erlaubt.
Das Wort hat der Finanzminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In aller Kürze zu der heutigen Debatte ein paar kurze Anmerkungen. Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat bei der Beantwortung der Großen Anfrage heute morgen schon dargelegt, daß die Bundesregierung in ihrem Entwurf zu einem Zweiten Neuordnungsgesetz in der Kriegsopferversorgung Leistungsverbesserungen von erheblicher Größenordnung vorzuschlagen beabsichtigt.Aber noch bevor der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Kriegsopferversorgung vorliegt, sind aus der Mitte dieses Hohen Hauses hier heute Forderungen angemeldet und als Initiativanträge Gesetzentwürfe zur Verbesserung der Kriegsopferversorgung eingebracht worden. Die Bundesregierung kennt die Vorschläge, die in den Entwürfen enthalten sind, nicht in allen Einzelheiten. Aber aus der heutigen Debatte und den bekanntgewordenen Äußerungen der Antragsteller muß geschlossen werden, daß die eingereichten Gesetzentwürfe zu einer jährlichen Belastung des Bundeshaushalts von mehr als 1 Milliarde DM führen würden und damit, meine sehr geehrten Damen und Herren, weit über das hinausgehen, was die Bundesregierung im Hinblick auf die Haushaltslage und die übrigen Verpflichtungen des Bundes für durchführbar halten kann und halten darf.Meine Damen und Herren, diese Gesetzentwürfe zwingen mich, darauf hinzuweisen, daß die Bundesregierung die Entwicklung des Bundeshaushalts mit großer Sorge beobachtet. Im Rechnungsjahr 1963 muß bereits jetzt mit unausweichlichen Mehrausgaben von über 2 Milliarden DM gerechnet werden, die in dem Haushaltsentwurf der Bundesregierung nicht enthalten sind und für die im Augenblick noch keine gesicherte Deckung vorhanden ist. Hierin sind Mehrausgaben für eine Kriegsopfernovelle noch nicht einmal berücksichtigt.Ich habe durchaus die Überzeugung, daß das Hohe Haus in seiner Mehrheit den Ernst der Lage sehr wohl kennt. Daraus wird der einzige Schluß gezogen werden müssen, daß auf allen Gebieten der Haushaltswirtschaft äußerste Sparsamkeit geboten ist. Unmöglich ist in dieser Lage ein „Drang zur Kasse", um heute noch schnell zu erhalten, was möglicherweise morgen nicht mehr möglich ist.Jedem Einsichten wird einleuchten, daß finanzielle Lasten solcher Größenordnung in ihrer Gesamtheit unmöglich getragen werden können. Es wird unumgänglich sein, daß die mit der Gesetzgebung befaßten Organe scharfe Abstriche an allen vorgeschlagenen Mehraufwendungen vornehmen.
Sosehr der Bundesregierung und mir persönlich eine ausreichende Versorgung gerade der Kriegsopfer am Herzen liegt, so dürfen auch in dieser Frage weder die äußere Sicherheit der Bundesrepublik außer acht gelassen noch die Ertragskraft der Wirtschaft und die Stabilität der Währung gefährdet werden. Beides aber würde unweigerlich eintreten, wenn der Ausgleich des Bundeshaushalts nicht, wie von der Verfassung vorgeschrieben, gesichert werden kann.Es bedeutet auch keine Lösung der Schwierigkeiten, die Deckung der Ausgaben durch ein späteres Inkrafttreten in diesem Haushaltsjahr 1963 sicherstellen zu wollen. Die Ausgaben werden den Bundeshaushalt des Rechnungsjahres 1964 mit dem vollen Jahresbetrag und mit voller Wucht treffen, obwohl der Haushaltsausgleich 1964 unter Berücksichtigung der notwendigen sonstigen Maßnahmen, nicht zuletzt der Maßnahmen zur Verbesserung der Sozialleistungen, auch noch nicht gesichert ist.Meine Damen und Herren, wir sollten uns darüber klar werden, daß wir das Beste und das einzig Richtige für die schwächeren Glieder in der Kette unseres Volkes, z. B. für die Alten, die Kranken, die Kriegsopfer, tun, wenn wir alle gemeinsam für die Stabilität, für die Erhaltung der Kaufkraft eintreten.
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Bundesminister Dr. Dahlgrün— Auch der Beifall hindert mich nicht daran, Ihnen zu sagen, daß das vielleicht den schmerzlichen Verzicht auf Pläne bedeutet, die im einzelnen gut und erstrebenswert sein mögen, oder daß es zwingt, den einen oder anderen Plan zeitlich zu strecken, wenn es auch noch so wünschenswert sein mag, ihn bald durchzuführen oder ihn sogar vorzuziehen. Die Sicherung des von allen durch Fleiß und Tüchtigkeit Erreichten darf nicht durch unerfüllbare Wünsche gefährdet werden. Was im Privatleben des einzelnen gilt, hat auch Gültigkeit für den Haushalt des Staates.Das von der Bundesregierung in Aussicht genommene erhebliche Finanzvolumen für eine Verbesserung der Kriegsopferversorgung wird bis an die Grenze des finanziell Vertretbaren gehen.
Ich bitte daher namens der Bundesregierung, zunächst den Gesetzentwurf abzuwarten und ihn dann zur Grundlage der Beratungen über eine Verbesserung der Kriegsopferversorgung zu machen.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Minister? — Eine Frage des Herrn Abgeordneten Riegel.
Herr Bundesminister, können wir erfahren, wie hoch der Betrag ist, den für eine Novellierung des Kriegsopferrechts zu bewilligen die Bundesregierung bereit ist?
Ich glaube, daß Sie, Herr Kollege, am meisten Verständnis dafür haben, daß ich Ihnen keine genaue Zahl sage. Ich halte es auch im Interesse der Sache für besser, es nicht zu tun.
Das Wort hat der Abgeordnete Reichmann. Es sind drei neue Wortmeldungen eingelaufen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich weiß, die Zeit drängt, und deshalb verzichte ich auf weitere Ausführungen. Nur darf ich zu dem, was sich aus den Ausführungen meines Kollegen Rutschke und dem Zwischenruf ergab — bezüglich der Zusammenhänge zwischen Kriegsopferversorgung und Verteidigung —, folgendes ganz kurz erwähnen.
Die Kriegsopferversorgung ist gleichzeitig Grundlage und Bestandteil der Versorgungsrechte der Soldaten der Bundeswehr. Die Verstärkung der Streitkräfte, ihre Technisierung und Mechanisierung haben zur Folge, daß der Anteil der Versorgungsberechtigten aus der Bundeswehr ansteigt, während sich die Zahl der Kriegsopfer aus den zwei Weltkriegen vermindert. Kriegsopferlasten sind Verteidigungsfolgen. Deshalb hat die Bundestagsfraktion der FDP bereits am 2. Juni 1959 auf Umdruck 282 in diesem Hohen Hause einen Entschließungsantrag eingebracht, die Kriegsopferversorgung und gleichartige Leistungen in den Einzelplan 14 — Verteidigungsministerium — aufzunehmen. In der Sitzung vom 2. Juni 1959 wurde dieser Antrag jedoch abgelehnt.
Herr Kollege Mischnick hat damals diesen Antrag begründet. Bis heute sind die Ursachen, die zu diesem Antrag geführt haben, die gleichen geblieben. Im Verteidigungshaushalt wäre die Gewähr dafür gegeben, daß die Kriegsopferaufwendungen bei der Verteilung der Verteidigungslasten der NATO voll berücksichtigt würden. Diese würden in ihrem ganzen Ausmaß konkret in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten. Zudem kann angenommen werden, daß die weitere Entwicklung der Kriegsopferversorgung im Rahmen des dynamischen Verteidigungshaushalts leichter durchführbar sein könnte. Aus diesen Gründen halte ich es für angebracht, unseren diesbezüglichen Antrag vom 2. Juni 1959 erneut zur Diskussion zu stellen.
Ergänzend darf ich dazu bemerken, daß mehrere NATO-Staaten die Kriegsopferversorgung ebenfalls im Verteidigungshaushalt führen. Was sich in anderen Staaten als zweckmäßig erwiesen hat, könnte bei uns aus den vorgenannten Gründen ebenso gut sein.
Wir alle sind uns der zusätzlichen Lasten der gerechten Kriegsopferversorgung bewußt. Höher als die Kosten und größer als die Belastungen, die wir dadurch zu übernehmen haben, sind die Opfer, der Verzicht auf Lebensfreude und Glück, die ein unerforschliches Schicksal den Kriegsopfern auferlegt hat. Gestatten Sie mir den Wunsch, daß sich die Mehrheit des Hohen Hauses dieser Verpflichtung zu einer gerechten, den Opfern angemessenen und würdigen Kriegsopferversorgung nicht entziehen möge.
Das Wort hat der Abgeordnete Bazille.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedauere, am Ende der Aussprache über die Große Anfrage der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion über die Kriegsopferversorgung noch einige politische Bemerkungen machen zu müssen.Als das Hohe Haus im Spätsommer vergangenen Jahres beschloß, die Bundesregierung zu ersuchen, mit der außergewöhnlich kurzen Terminsetzung zum 30. November 1962 den Entwurf eines Gesetzes über die Neuordnung in der Kriegsopferversorgung vorzulegen, geschah dies doch wohl nicht aus einer frohen Geberlaune des Augenblicks heraus, sondern aus der Einsicht in die Notwendigkeit, daß es höchste Zeit sei, den vor den Wahlen gegebenen Versprechungen und den in Besprechungen nach den Wah-
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Bazillelen gemachten Ankündigungen entsprechende Taten folgen zu lassen.Was der Herr Bundesminister für Arbeit hier heute namens der Bundesregierung an Gründen dafür, weshalb sie dem Ersuchen des Hohen Hauses nicht nachgekommen ist, vorgetragen hat, vermag in keinem Punkt zu überzeugen. Die Schwierigkeit der Haushaltslage war im vergangenen Haushaltsjahr bereits bekannt. Sowohl der Herr Bundesminister für Arbeit als auch der damalige Bundesminister der Finanzen haben im Kriegsopferausschuß des Bundestages sehr eingehende Ausführungen über die Schwierigkeiten der Haushaltslage gemacht. Jedes Mitglied des Hauses wußte, daß die Probleme der Deckung für die Bundesausgaben mit fortschreitender Zeit nicht leichter, sondern schwieriger werden würden. Ich möchte das insbesondere für die Herren Dr. von Brentano als Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion und Dr. Mende als Vorsitzenden der FDP-Fraktion feststellen. Beiden sind schließlich jederzeit Gespräche mit den Mitgliedern des Kabinetts möglich.Wenn also das Hohe Haus in seiner Gesamtheit durch entsprechende Beschlüsse und durch immerhin sehr maßgebende Vertreter der politischen Parteien dem betroffenen Personenkreis der Kriegsopfer im Anschluß an vorausgegangene Wahlversprechen zu verstehen gibt, daß eine Fortsetzung der Neuordnung ihrer Versorgung als vordringlich anerkannt wird und daß man unbeschadet der Schwierigkeiten der Haushaltslage die Mittel und Wege finden müsse, um das zu realisieren, dann, so glaube ich, ist es in einer rechtsstaatlichen Demokratie einfach eine politische Notwendigkeit, solchen Ankündigungen Taten folgen zu lassen.Auch in der heutigen Aussprache ist es bei völlig unverbindlichen Aussagen geblieben. Weder der Zeitpunkt des Einbringens der Regierungsvorlage noch der materielle Umfang dessen, was die Bundesregierung glaubt für diese Zwecke zur Verfügung stellen zu können, ist dem Hohen Haus bekanntgegeben worden.Damit, daß der Herr Bundesfinanzminister hier aus Anlaß der Beratung der Frage, wie die Kriegsopferversorgung fortentwickelt werden soll, unter dem Gesichtspunkt des Haushalts die Schwierigkeiten der Deckung vortragen würde, haben wir gerechnet. Jeder Ihrer Vorgänger, Herr Bundesminister der Finanzen, ist bei der Beratung dieses Gegenstandes so verfahren. Das ist in einem Lande, das nach einem total verlorenen Krieg vor einer Fülle von schwierigen Aufgaben steht, die selbstverständlich die Staatsfinanzen bis aufs äußerste in Anspruch nehmen, eine ganz natürliche Sache. Jeder Finanzminister, auch ein sozialdemokratischer, wäre gezwungen, auf die Schwierigkeiten der finanziellen Deckung hinzuweisen, weil nun einmal die Kriegsopferversorgung nur durch die Bereitstellung von außerordentlich hohen öffentlichen Mitteln befriedigend gelöst werden kann.Aber alle diese .Schwierigkeiten, die Sie hier vorgetragen haben, entbinden die Bundesregierung nicht davon, sich endlich mit der notwendigen Sorgfalt und mit der notwendigen Gründlichkeit klarzumachen, was auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung geschehen soll, und davon der deutschen Offentlichkeit, vor allem diesem Hohen Hause, konkrete Vorschläge zu unterbreiten. Die Kriegsopfer haben einen Anspruch darauf, daß man ihnen mit politischer Redlichkeit begegnet. Es ist Unerträglich, diesen Zustand der Ungewißheit, diesen Zustand laufender Versprechungen und nicht folgender Taten auf die Dauer aufrechtzuerhalten. Man vergegenwärtige sich nur einmal die Pressemitteilungen der letzten Wochen und Monate, in denen die verschiedensten Versionen über die Fortentwicklung des Kriegsopferrechts verbreitet worden sind, Versionen, deren bunte Vielfalt noch dadurch erweitert wurde, daß Teile der FDP und Teile der CDU mit eigenen Entwürfen an den Bundestag herangetreten sind. Wenn ich das mit dem vergleiche, was heute realiter aus dieser Debatte herausgekommen ist, dann muß ich sagen, daß der heutige Tag als ein schwarzer Tag für die deutschen Kriegsopfer in die Geschichte eingehen wird.
Es hat viele Bemerkungen zur Sache gegeben, Rentenvergleiche, Darstellungen des Schicksals von Beschädigten und Hinterbliebenen, alles mögliche; nur eines hat es nicht gegeben: eine konkrete Aussage darüber, was die Kriegsopfer auf dem Gebiet ihrer Versorgung in absehbarer Zeit zu erwarten haben.
Ich habe Ihnen ganz offen zu erklären, daß die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, nachdem sie sich in den vergangenen Jahren unter Zurückstellung eigener Vorstellungen stets bemüht hat, in einem Höchstmaß von Gemeinsamkeit mit allen politischen Kräften in diesem Hause und in diesem Lande das Bestmögliche für die Kriegsopferversorgung zu erreichen — wir haben bisher im Hause alle Gesetze auf diesem Gebiet einstimmig verabschiedet —, nicht bereit ist, sich an dem zu beteiligen, was ich mit dem bösen Wort des politischen Eiertanzes bezeichnen muß. Wir sind gewöhnt, dem, was wir bei Wahlen versprechen, auch die entsprechenden Taten folgen zu lassen.
Wir haben den Kriegsopfern gegenüber ebenso wie auch Sie, meine Damen und Herren, die Zusage gemacht, daß ihr Versorgungsrecht fortentwickelt werden muß. Wir haben diese Zusage gemacht in dem Bewußtsein, daß dies bei der Finanzlage des Bundes schwierig sein würde.Sie können von uns nicht erwarten, daß wir uns mit dem zufriedengeben, was die Bundesregierung heute in der Beantwortung unserer Großen Anfrage erklärt hat. Allen konkreten Fragen, die der Kollege Riegel bei der Begründung unserer Großen Anfrage gestellt hat, ist der Bundesarbeitsminister ausgewichen, zum Teil mit dem Argument — Herr Minister,
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Bazillees tut mir leid, ich nehme Ihnen das einfach nicht ab —, daß er nur auf solche Fragen antworten könne, die vorher gestellt worden seien. Die Kriegsopfer erwarten Aussagen, die sich aus dem Gegenstand ergeben, und zwar völlig unabhängig davon, ob die betreffende Frage nun zufällig in der formulierten Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion wörtlich enthalten ist oder nicht. Sie haben heute nur wieder Allgemeines und Unverbindliches darüber gehört, daß die Bundesregierung bereit sei — selbstverständlich —, die Kriegsopferversorgung fortzuentwickeln und Härten zu beseitigen. Meine Damen und Herren, das ist nichts Neues; das hat der Herr Bundeskanzler schon bei der Regierungserklärung seines vierten Kabinetts gesagt, das hat er bei der Regierungserklärung seines fünften Kabinetts bekräftigt, das hat schon der Vorgänger des Bundesfinanzministers gesagt, das ist schon vor über einem Jahr im Kriegsopferausschuß erklärt worden, aber irgendwelche Konkretionen fehlen. Von daher muß ich Ihnen sagen, daß wir uns eine sehr ernsthafte Überprüfung unseres seitherigen Standpunktes angelegen sein lassen werden. Es wird für uns ernsthaft die Frage zu prüfen sein, ob wir uns angesichts einer solchen Behandlung der Kriegsopferprobleme durch die Mehrheit des Hauses und durch die Bundesregierung an der seitherigen Gemeinsamkeit zukünftig beteiligen können.
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Sie Ihre Haltung zu den anderen Fraktionen einrichten, ist Ihre Sache; dazu will ich mich nicht äußern. Ich will mich nur äußern zu dem Vorwurf, den Sie erheben, wenn Sie sagen, meine Erklärungen seien nicht ausreichend. Sie haben hier nicht Erklärungen von mir gehört — daß ich das noch einmal sagen muß! —, sondern die Antwort der Bundesregierung auf die von Ihnen gestellte Große Anfrage. Diese Antwort ist wortwörtlich im Kabinett beschlossen worden. Deshalb habe ich mich auch so über den Punkt 1 Ihrer Anfrage gewundert. Der Tatbestand hätte Ihnen ja bekannt sein müssen, daß solche Dinge im Kabinett beschlossen werden. Ich habe zu jeder der gestellten Fragen sehr präzise geantwortet.
— Ich glaube ja, sehr präzise.
Das Kabinett wird eine Regierungsvorlage machen; es wird auch noch andere machen, und wir werden bei dieser Gelegenheit diskutieren. Es sind in diesem und im nächsten Jahre noch große sozialpolitische Vorhaben zu behandeln. Und glauben Sie mir, meine sehr verehrten Damen und Herren, sie sind nicht zu behandeln — ich habe hier soeben ein Wort gehört — unter Außerachtlassung der Haushaltslage. Sozialpolitik unter Außerachtlassung der
Haushaltslage wäre nicht Sozialpolitik, sondern wäre ein Spiel mit dem, worauf unsere gesamte Sicherheit beruht, nämlich ein Spiel mit der Stabilität unserer Währung.
Das Wort hat der Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Bazille hat seine Fraktion zum Schluß dieser Diskussion mit einer politischen Äußerung vertreten wollen. Lassen Sie mich deshalb darauf auch politisch anworten. Herr Kollege Bazille, Sie haben gesagt: Das ist heute ein schwarzer Tag für die Kriegsopfer, weil die Bundesregierung keine konkreten Aussagen gemacht hat. Ich glaube — wenn man die Dinge so beurteilen will —, daß das, was hier von der Bundesregierung und auch von den beiden Fraktionen, die diese Bundesregierung tragen, vorgetragen worden ist, es nicht rechtfertigt, von einem schwarzen Tag zu sprechen. Denn es ist in vielen einzelnen Argumenten, die hier vorgetragen worden sind, eine Fülle von konkreten Aussagen gemacht worden, wie die Weiterentwicklung des Neuordnungsgesetzes zum Bundesversorgungsgesetz vor sich gehen soll.Auch der Bundesarbeitsminister selbst hat auf die vage Formulierung Ihrer Großen Anfrage hin in einer ganzen Reihe von Punkten konkrete Stellungnahmen abgegeben. Ich meine, man kann das nicht einfach so abtun und sagen: Es ist ein schwarzer Freitag oder ein schwarzer Tag. Die Vorredner Ihrer Fraktion spüren dann auf, was in der Vergangenheit von den Fraktionsvorsitzenden oder den Parteivorsitzenden der Regierungskoalition vorgetragen worden ist. Zum Schluß kommen Sie zu der Frage: Was ist geschehen? Und Sie sagen: Geschehen ist nichts, übrigbleibt ein schwarzer Tag.Erstens einmal: Ihr Kollege Fritsch und Ihre Kollegin Frau Schanzenbach haben sich selbst widersprochen. Der Kollege Fritsch, der diese Dinge heute hier in einer, na ja, nach meiner Auffassung sehr demagogischen Art vorgetragen hat, schloß seine Ausführungen mit den Worten: Und nunmehr sind die Kriegsopfer die Opfer Ihrer Gesetzgebung ,geworden. Er sprach damit die Koalitionsfraktionen an. Die Frau Kollegin Schanzenbach hat genau wie Sie, Herr Kollege Bazille, zu Recht gesagt: Wir haben in der Kriegsopferfrage bei den gesetzlichen Regelungen in der Vergangenheit immer gemeinsam mit Ihnen gestimmt.Deswegen, meine ich, kann man die Dinge hier nicht so einseitig vortragen in der Hoffnung, daß die Verbände diese Rede — natürlich im Schnellverteilungsverfahren — allen mitteilen, und in der Hoffnung, daraus parteipolitisches Kapital zu schlagen. Anders ist diese Rede Ihres Kollegen Fritsch hier am heutigen Tage absolut nicht zu verstehen. Lassen Sie mich das in aller Deutlichkeit hier sagen.
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DornSie sind dann dazu übergegangen — auch Ihr Kollege Fritsch hat das getan —, immer wieder auf die Priorität der Kriegsopferversorgung anzuspielen, und Sie haben gesagt: Na ja, aber konkret ist nichts übriggeblieben!Nun, meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten haben auf unserem letzten Bundesparteitag einen Beschluß gefaßt, der sich nur mit der Kriegsopferversorgung und ihrer vordringlichen Behandlung im Parlament befaßt. Wir haben daraus auch die Konsequenzen gezogen. Ein großer Teil meiner Freunde hat —das ist Ihnen ja auch bekannt — einen Gesetzentwurf eingebracht, über den wir aber heute nicht sprechen wollen.Eines ist sicher: daß Sie mit noch so vielen starken Worten die Vorschläge nicht aus der Welt reden können, die auch heute morgen von den Vertretern der beiden Koalitionsfraktionen und auch vom Bundesarbeitsminister zu Einzelfragen hier gemacht worden sind, die uns Freie Demokraten — —
— Wenn Sie diese Frage stellen, kann ich nur annehmen, daß Sie hier gar nicht zugehört haben.
— Dann würde ich Ihnen vorschlagen, im Protokoll nachzulesen, welche Fülle von Einzelvorschlägen heute morgen vorgetragen worden sind.Lassen Sie mich zum Schluß eines sagen, meineDamen und Herren. Die Verhandlungen der letzten Wochen und Monate zwischen den Koalitiosfraktionen und dem Bundesarbeitsminister haben dazu geführt, daß wir in den nächsten Monaten mit einer Regierungsvorlage rechnen können, die weitestgehend den Konzeptionen entgegenkommt, die wir in der Vergangenheit immer vorgetragen haben. Wir freuen uns, daß auch der Kollege Stingl heute in zwei Punkten eine sehr positive Stellung zu diesen Vorschlägen eingenommen hat.Ein Wort zum Schluß! Ich bin nicht der Meinung, daß der heutige Tag ein schwarzer Tag für die Kriegsopferversorgung gewesen ist. Die heutigen Diskussionen werden — da bin ich mit Ihnen einig, Herr Kollege Bazille — auch für die nächsten Monate ganz klare Richtpunkte dafür geben können, wie wir für eine Neuordnung — hoffentlich gemeinsam, aber dann Lauch in einer sachlicheren Atmosphäre — einen Weg finden können.
Das Wort hat der Abgeordnete Josten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Dorn sagte vorhin meines Erachtens mit Recht dem Herrn Kollegen Bazille: Wir haben heute keinen schwarzen Tag für die Kriegsopfer gehabt. Ich glaube, die Formulierung, die der Herr Finanzminister gewählt hat, beweist das auch. Er sagte: Die Versorgung der
Kriegsopfer liegt allen am Herzen. Das kann man doch nun wirklich behaupten: uns allen im Hause. Wir müssen auch sagen, daß man hier niemanden ausnehmen kann, erst recht nicht unseren Sozialminister.
— Nun, wenn irgend jemand eine solche Bemerkung von der Tribüne gemacht hätte, könnte ich das verstehen; aber ich glaube, hier unten im Plenum ist diese Bemerkung nicht angebracht.
Der Finanzminister sprach auch von der äußeren Sicherheit der Bundesrepublik. Deshalb gestatten Sie mir noch einen kurzen Hinweis und die Bitte, daß die Bundesregierung bei ihren Überlegungen auch dem Problem der Versorgung unserer Wehrpflichtigen noch mehr Rechnung trägt, als das bis heute praktisch möglich war. Wir haben das Los-Verfahren. Ein großer Teil der Wehrpflichtigen braucht nicht .zu dienen. Die Wehrpflichtigen, welche ihren Wehrdienst leisten müssen, haben viele wirtschaftliche Nachteile in Kauf zu nehmen. Deshalb sind wir alle sehr daran interessiert, daß bei den kommenden Beratungen eine bessere Regelung für die Versorgung unserer jungen Wehrpflichtigen getroffen wird, welche für uns alle Dienst als Staatsbürger in Uniform leisten. — Diese Anregung wollte ich unseren beiden Ministern hier noch mit auf den Weg geben.
Wir sollten auch, wenn wir jetzt wieder draußen in die Versammlungen gehen — Herr Kollege Bazille, Sie werden ja am Sonntag auf dem Kriegsopferkongreß in Mainz sein —, nicht die Formulierung dorthin mitnehmen: Wir haben einen schwarzen Tag gehabt, sondern: Wir haben heute einen neuen Anfang zu einer Verbesserung des Kriegsopferrechts gefunden.
Für die Sozialdemokratische Partei hat das Schlußwort der Herr Abgeordnete Höhmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als wir unsere Große Anfrage stellten, ahnten wir schon voraus, in welchem Stil sie beantwortet werden würde. Daß das Ergebnis, diese Antwort, sehr mager sein würde, haben wir von vornherein einkalkuliert. Der Herr Arbeitsminister beruft sich darauf, diese Antwort habe deshalb so mager sein müssen, weil in der Anfrage nicht mehr stecke. Das ist doch wohl ganz einfach nicht wahr. Denn hier steht unter Punkt 3: Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung über die Neuordnung des Kriegsopferrechts?Herr Kollege Dorn, Sie meinen, die Antworten seien sehr konkret gewesen. Nun, wir hätten zumindest erwartet, hier zu hören — der Herr Finanzminister hat es abgelehnt, das zu sagen —, in welcher Größenordnung sich ein Zweites Neuordnungsgesetz denn bewegen soll. Wir hätten auch erwartet, zu hören, wann man dieses Reformgesetz in Kraft zu setzen gedenkt. Nur mit einer solchen ganz
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Höhmann
klaren Beantwortung kann Ruhe unter die Kriegsbeschädigten und unter die Kriegshinterbliebenen draußen gebracht werden; die wollen nämlich wissen, was los ist. Man kann keinesfalls damit argumentieren, Herr Kollege Dorn, daß es eine Reihe von Leuten gibt, die schon Gesetzentwürfe eingebracht haben. Diese Gesetzentwürfe, die eingebracht worden sind, widersprechen völlig dem, was der Herr Finanzminister hier gesagt hat. Jetzt rechnen Sie mir doch einmal vor, wie Sie es machen wollen, wenn Ihr Finanzminister sagt: Alles, was über eine Milliarde hinausgeht oder in der Größenordnung um eine Milliarde liegt, ist völlig unerfüllbar!
— Bitte? Ich habe nicht verstanden.
— Wir haben gefragt, was die Regierung tun will. Wir sind jetzt nicht hier, um einen Antrag einzubringen.
— Was Arbeitsminister Blank vorbrachte, war überhaupt keine Antwort. Das war ein Drumherumschleichen um das gesamte Problem. Das war das Magerste, was ich zu diesen Fragen je gehört habe.
Ich habe Verständnis dafür, daß man, wenn man schon substantiell nichts zu sagen hat, versucht, sich wie der Herr Kollege Stingl mit Verbalinjurien herauszureden und zu sagen: „Das ist mir zu dumm" oder: „Sie waren wohl nie im Plenarsaal!". Aber daß der Herr Minister, weil er nicht viel zu sagen hat, hierherkommt und uns die Eidesformel vorliest, — das war doch wohl so ziemlich das letzte, was man uns darbieten durfte. Wir haben wissen wollen, welche Vorstellungen die Regierung in der Frage der Neuordnung und Fortentwicklung des Kriegsopferrechts hat. Wir haben nicht wissen wollen, welchen Eid er geleistet hat. Das haben wir gewußt; wir haben dabeigesessen, Herr Minister.
Ich darf hier in aller Deutlichkeit feststellen, daß das Wort von dem schwarzen Tag für die Kriegsopferversorgung ein sehr wahres Wort gewesen ist.
Ich bin sogar bereit, darüber noch hinauszugehen. Was sich in den Worten des Herrn Bundesarbeitsministers hier herauskristallisiert hat, das sind die sozialpolitischen Armenhausvorstellungen des 17. Jahrhunderts, aber nicht die Vorstellungen, die in eine moderne und wiederum mit solchen Problemen belastete Zeit hineingehören. Mit solchen Vorstellungen lösen wir die Probleme nicht. Mit dem Fürsorgeprinzip und auf ähnliche Weise lösen wir die Frage der Kriegsopferversorgung keinesfalls. Das hier sind Armenhausvorstellungen des 17. Jahrhunderts und gar nichts anderes.
Ich bin ganz sicher, daß wir sehr schnell dahin kommen könnten, wenn wir jetzt noch einmal in die Sachdebatte einsteigen wollten; wir kämen sehr schnell dahinter, wenn ich alles das, was der Herr Bundesarbeitsminister hier gesagt hat, und alles das, was er bei Ihnen im Arbeitskreis gesagt hat, was er bei Ihnen in der Fraktion gesagt hat, hier ausbreiten wollte. Es ist hier nicht der Ort; wir werden uns im Ausschuß darüber unterhalten.Ich darf ankündigen, daß die sozialdemokratische Fraktion in aller Kürze einen Entwurf zur Kriegsopferversorgung einbringen wird.. Dann werden Sie unsere Vorstellungen zu dieser Frage kennenlernen, und wir werden das ganz genau dem gegenüberstellen, was der Herr Bundesarbeitsminister gesagt hat.
— Wir haben es überhaupt nicht leichter; wir tragen die gleiche Verantwortung wie Sie, Herr Kollege Memmel, und wir sind uns dieser Tatsache auch bewußt. Wollen Sie mir denn erzählen, daß der Bundesarbeitsminister bei der Einbringung und bei der Verabschiedung des ersten Neuordnungsgesetzes recht gehabt hat, als er sagte: „Wir dürfen nicht mehr als 500 Millionen geben, oder 550 Millionen; sonst geht das ganze Währungsgefüge kaputt; das ist die Methode, anderen Leuten in die Tasche zu fassen, das ist die Methode, das Geld mit beiden Händen aus dem Fenster zu werfen" und so weiter? Wollen wir das alles wieder aufwärmen? Sind wir dann nicht übereingekommen, haben wir nicht ein gutes Neuordnungsgesetz mit sehr viel höheren Beträgen gemacht, und haben wir nicht ein sehr viel besseres Ergebnis gehabt
als das, was die Regierung sich vorstellte? Herr Kollege Stingl, 'darüber waren wir uns einig, als wir das Gesetz verabschiedeten, daß das nicht der Endpunkt der Kriegsopferversorgung sein könne und daß es jetzt darum geht — —
— Genau! Genau das!
— Ich habe gesagt: „das sind Armenhaus-Vorstellungen",
um eine ganz bestimmte sozialpolitische Richtung hier klarzustellen.
Das allein war der Grund, weshalb ich dazu Stellung genommen habe.
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Höhmann
Im übrigen, meine Damen und Herren, sind wir Ihnen recht dankbar — nicht für die „üble Hetze" — für Ihre Aussagen, die Sie hier gemacht haben. Sie werden die Aussagen, die Sie hier gemacht haben, des öfteren sehr wahrscheinlich draußen im Lande in den nächsten Wochen hören.
Damit kann ich die Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der SPD schließen.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung ,auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes .
Die Bundesregierung will den Entwurf nicht begründen. Zur Aussprache hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Zu einer geschäftsordnungsmäßigen Bemerkung, Herr Präsident. — Wir waren uns hier einig geworden, den Entwurf heute ohne Begründung und Aussprache den Ausschüssen zu überweisen, aber mit der Maßgabe, daß am nächsten Freitag die Debatte darüber stattfindet, zusammen mit der Beratung der Großen Anfrage zur Energiepolitik, die meine Fraktion eingebracht hat.
Es ist Einigkeit dahin geschaffen worden, daß wir beraten und überweisen wollen. Lediglich die Ausführungen zur Begründung werden verbunden mit der Großen Anfrage über die Energiepolitik der Bundesregierung. — Es wird also eine Aussprache nicht gewünscht; ich kann die erste Beratung schließen. Vorgesehen ist Überweisung an den Finanzausschuß — federführend — und an den Wirtschaftsausschuß. — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 17 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 30. April 1962 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Peru über den Luftverkehr .Aussprache ist nicht vorgesehen. Ich kann die Beratung schließen. Vorgesehen ist Überweisung an den Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen. — Ich darf feststellen, daß so beschlossen ist.Tagesordnungspunkt 18:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes (Drucksache IV/997).Auch hier soll entsprechend verfahren werden. Vorgeschlagen ist Überweisung an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen — federführend — und an den Haushaltsausschuß. — Ich darf feststellen, daß so beschlossen ist.Tagesordnungspunkt 19:Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Pitz-Savelsberg, Dr. Hesberg, Dr. Kopf, Stiller und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Darlehen zur Ablösung von SchweizerfrankenGrundschulden .Es soll ohne Aussprache überwiesen werden an den Ausschuß für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung — federführend — und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung. — Das Haus stimmt zu. Es ist so beschlossen.Tagesordnungspnkt 20:Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes .Vorgesehen ist Überweisung an den Finanzausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitberatend —, und zwar ohne Aussprache. — Ich stelle fest, daß so beschlossen ist.Tagesordnungspunkt 21:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes .Es soll ohne Aussprache an den Finanzausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Kommunalpolitik und Sozialhilfe — mitberatend — überwiesen werden. — Es ist so beschlossen.Tagesordnungspunkt 26:Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Inneres über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Abschlußgesetz zur Gesetzgebung nach Artikel 131 GG (Drucksachen IV/800, IV/969).Hier liegt ein Bericht des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen vor.
— Es war ursprünglich angenommen worden, daß der Entwurf des Abschlußgesetzes zu Art. 131 des Grundgesetzes spätestens zum 1. Oktober 1963 vorgelegt werden solle. Der Antrag des Ausschusses geht dahin, jetzt den 31. Dezember 1963 als Termin festzulegen. — Es ist so beschlossen.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2953
Vizepräsident Dr. Dehler Tagesordnungspunkt 27:Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung — Immunitätsanlegenheiten —betreffend Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Unertl gemäß Schreiben des Rechtsanwalts Dr. Maul, Passau, vom 13. August 1961 .Herr Abgeordneter Wittrock wird berichten. Bitte, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bürgermeister Steindorfer aus Asbach in Bayern beabsichtigt die Erhebung einer Privatklage und hat deshalb durch seinen Rechtsanwalt einen Antrag auf Genehmigung zur Durchführung des Strafverfahrens gestellt, und zwar mit Schriftsatz vom 23. August 1961. Der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung hat sich wiederholt, und zwar erstmalig am 7. Mai 1962, mit dem Antrag befaßt, mehrmals deshalb, weil man geglaubt hat, daß vielleicht eine außergerichtliche Erledigung möglich sei.
Die beabsichtigte Privatklage stützt sich darauf, daß behauptet wird, der Abgeordnete Unertl habe § 185 des Strafgesetzbuchs — das ist der Beleidigungsparagraph — verletzt. Der Privatkläger läßt in seinem Schriftsatz vortragen, daß er in ein Gespräch gekommen sei, dessen Inhalt hier belanglos sei, das aber schon irgendeine politische Färbung hatte. Der Antragsteller hat also durch seinen Rechtsanwalt zum Ausdruck bringen lassen, daß es sich um ein Gespräch gehandelt hat, dessen Wurzeln im politischen Bereich lagen. Wenn es bei Gelegenheit eines Gesprächs mit politischer Wurzel zu beleidigenden Äußerungen kommt, dann pflegt der Bundestag nach den von ihm selber gesetzten Richtlinien die Immunität nicht aufzuheben.
Ich bitte Sie deshalb, dem Antrag des Immunitätsausschusses, die Genehmigung zur Strafverfolgung zu versagen, zuzustimmen.
Ich stelle den Antrag des Ausschusses zur Abstimmung. Wer zustimmt, der gebe ein Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 28 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung — Immunitätsangelegenheiten —
betr. Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Dr. Dörinkel gemäß Schreiben des Rechtsanwalts Vogel, Frankfurt , vom 27. Juni 1962 (Drucksache IV/976).
Zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Dr. Güde das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich hierbei um die Privatklage eines Schweizer Staatsangehörigen, vertreten durch einen deutschen Rechtsanwalt, gegen den Abgeordneten Dr. Dörinkel. Gegenstand der Privatklage ist die angebliche Behauptung des Abgeordneten Dr. Dörinkel, der Privatkläger, der Schweizer Jakob Pruschy, sei wegen Betrugs, Urkundenfälschung und Konkursverbrechens zu Zuchthaus verurteilt und diesem Schweizer sei Gelegenheit gegeben worden, die Früchte seiner Schwindeleien in der Schweiz zu genießen.
Der Immunitätsausschuß ist von folgendem Sachverhalt ausgegangen. Zwei junge Mädchen, die als Hostessen einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen hatten, fühlten sich betrogen und haben sich an den Abgeordneten Dr. Dörinkel gewandt. Dieser hat sich im Laufe der Prüfung der Angelegenheit an die hessische Justiz gewandt und hat schließlich auf einer Pressekonferenz in Bad Nauheim im Mai 1961 in seiner Eigenschaft als Landtagsabgeordneter und Bundestagskandidat das Verhalten der hessischen Justiz kritisiert und im Laufe dieser Pressekonferenz die Behauptungen aufgestellt, die Gegenstand der Privatklage sind. Es handelt sich also um eine Betätigung eines Abgeordneten im Rahmen seines Mandats.
Nach den Grundsätzen, die der Herr Kollege Wittrock soeben dargestellt hat, hat der Immunitätsausschuß in seiner Sitzung vom 6. Februar beschlossen, dem Hohen Hause vorzuschlagen, die Genehmigung zur Strafverfolgung nicht zu erteilen.
Ich stelle den Antrag des Ausschusses zur Abstimmung. Wer zustimmt, gebe bitte ein Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig nach dem Antrag des Ausschusses beschlossen.Tagesordnungspunkt 29:Beratung der Ubersicht 10 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht (Drucksache IV/994).Der Ausschuß beantragt, von einer Äußerung abzusehen. Wer zustimmt, gebe bitte ein Zeichen. — Es ist so beschlossen.Punkt 30:Beratung der Entschließungen der 51. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union .Es ist die Überweisung an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten vorgesehen. — Ich nehme an, daß das Haus einverstanden ist; es ist so beschlossen.Punkt 31 der Tagesordnung:Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten Einundfünfzigsten Verordnung zur
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2954 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Vizepräsident Dr. DehlerÄnderung des Deutschen Zolltarifs 1962 (Drucksache IV/987).Vorgeschlagen ist die Überweisung an den Außenhandelsausschuß. — Ich stelle fest, daß das Haus so beschließt.Tagesordnungspunkt 32:Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Siemer, Wittmer-Eigenbrodt, Bading, Müller , Logemann und Genossen betr. Anrufung des Vermittlungsausschusses (Drucksache IV/951).Der Antrag geht dahin, daß gegen den Beschluß des Bundesrates vom 21. Dezember 1962 betreffend die Änderung des Gesetzes zur Förderung der deutschen Eier- und Geflügelwirtschaft der Vermittlungsausschuß angerufen wird. Es wird vorgeschlagen, diesen Antrag an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen.Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Dr. Siemer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der deutschen Eier- und Geflügelwirtschaft ist bereits in zweiter und dritter Beratung vom Bundestag beschlossen worden. Ich beantrage in Übereinstimmung mit den anderen Antragstellern, daß sofort Beschluß gefaßt und der Antrag an den Vermittlungsausschuß überwiesen wird, da in den Ausschüssen schon alles besprochen und das Gesetz im Parlament beschlossen worden ist.
Wie ist die Meinung?
Keine Bedenken dagegen, daß das Haus über den Antrag jetzt sofort abstimmt?
— Dann stelle ich den Antrag zur Abstimmung. Wer zustimmt, geben ein Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen eine Stimme bei einigen Enthaltungen angenommen. Damit ist also beschlossen, daß in dieser Frage der Vermittlungsausschuß angerufen wird.
Tagesordnungspunkt 33:
Beratung der Antwort des Bundesministers
des Innern auf die Bemerkungen der Fraktion der SPD zur Auskunft der Bundesregierung betr. Einführung der Fünf-Tage-Woche in der Bundesverwaltung .
Es wird vorgeschlagen, daß die Antwort zur Beratung an den Ausschuß für Inneres überwiesen wird. — Es besteht Einverständnis; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 34 der Tagesordnung:
Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Verringerung von Abschöpfungssätzen bei der Einfuhr von Eiprodukten .
Die Verordnung soll ohne Beratung an den Außenhandelsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitberatend — überwiesen werden. — Kein Einwand; es ist so beschlossen.
Wir kommen nun zu den noch ausstehenden Steuergesetzentwürfen. Punkt 22 der Tagesordnung ist abgesetzt, Punkt 23 ist noch offen.
— Ich rufe also Punkt 23 der Tagesordnung — —
— Hier ist noch das, was der Präsident bekanntgegeben hat. Nach dieser Unterlage sind die Punkte 22, 24 und 25 auf Grund interfraktioneller Vereinbarung von der Tagesordnung abgesetzt.
Ich rufe deshalb Punkt 23 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der FDP, CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes .
Auf Beratung wird verzichtet. Der Gesetzentwurf soll an den Finanzausschuß überwiesen werden. — Darüber besteht Einverständnis; es ist so beschlossen.
Damit sind wir am Ende der Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung ein auf Mittwoch, den 13. März, 9 Uhr.
Ich schließe die heutige Sitzung.