Protokoll:
2116

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 2

  • date_rangeSitzungsnummer: 116

  • date_rangeDatum: 7. Dezember 1955

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 14:02 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 19:31 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1955 6189 116. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1955. Erklärung des Abg. Dr. Mommer zu seinem Bericht in der 105. Sitzung als Berichterstatter des Wahl-Prüfungsausschusses zu der Immunitätsangelegenheit Dr. Wuermeling/Dr. Dehler (Anlage 2) . 6192 A Geschäftliche Mitteilungen 6233 A Beschlußfassung des Bundesrats zu Gesetzesbeschlüssen des Bundestags . . . 6192 B Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfragen 203, 206 (Drucksachen 1834, 1918; 1854, 1914) 6192 B Fragestunde (Drucksache 1911): Wegfall der Verlesung der Fragen, Beschränkung in der Stellung von Zusatzfragen und im Umfang der Antworten: Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . 6192 B, 6202 A 1. betr. Haushaltsbuchführung und -rechnungslegung: Hartmann, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen 6192 C, D Schmidt (Hamburg) (SPD) . . . . 6192 D 2. betr. Anzeigepflicht bei Änderung der Fahrtrichtung auf Autobahnen: Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr 6193 A, C Huth (CDU/CSU) 6193 C 3. betr. Interesse des Staats an der politischen Zugehörigkeit der Beamten: Dr. Schröder, Bundesminister des Innern 6193 D, 6194 A Dr. Arndt (SPD) 6193 D, 6194 A 4. betr. Frage der Zulässigkeit der Verpflichtung zur Geheimhaltung des Inhalts einer Anklageschrift: Neumayer, Bundesminister der Justiz 6194 A, D Dr. Arndt (SPD) 6194 D 5. betr. Kraftverkehr im Zonenrandraum Herleshausen bzw. Obersuhl und Heringen (Werra) — Kalizeche Winters-hall —: Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr 6195 A, D Dr. Arndt (SPD) 6195 B 6. betr. Gefährdung der Pressefreiheit durch Verurteilung von Schriftleitern wegen Zeugnisverweigerung: Neumayer, Bundesminister der Justiz 6195 C Schmitt (Vockenhausen) (SPD) . 6196 A 7. betr. Mitarbeit von Kabinettsmitgliedern bei der sogenannten Abendländischen Akademie: Dr. Schröder, Bundesminister des Innern 6196 A, B, C Schmidt (Hamburg) (SPD) . . . 6196 B, C 8. betr. Kontrolle des Lkw-Verkehrs an Sonn- und Feiertagen: Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr 6196 C, D Rademacher (FDP) 6196 D 9. betr. Gefährdungen durch Versuche mit atomaren Explosionen: Strauß, Bundesminister für Atomfragen . . . . 6197 A, C, D, 6198 A Kahn-Ackermann (SPD) . 6197 B, D, 6198 A 10. betr. Sprengkammern in der Arnsberger Klosterbrücke: Blank, Bundesminister für Verteidigung 6198 A, B Heide (SPD) 6198 B 11. Kindergeldzahlungen für die Arbeiter der Bundesdruckerei in Berlin: Hartmann, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen 6198 C, D Stingl (CDU/CSU) 6198 C 12. betr. Nachuntersuchungen von Kriegsbeschädigten des 1. Weltkrieges: Storch, Bundesminister für Arbeit 6198 E Stingl (CDU/CSU) 6198 I 13. betr. steuerliche Erleichterungen für alte Menschen bei Verlust von Ersparnissen infolge der Währungsreform: Hartmann, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen 6198 D, 6199 B Stingl (CDU/CSU) 6199 B 14. betr. Ausgabe von Streifbändern mit eingedruckten Marken zur Beförderung von Drucksachen: Dr. Balke, Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen . . 6199 B, D Ritzel (SPD) 6199 D 15. betr. Entlastungsstraße vom Raum Bonn bis Speyer über den Hunsrück und die vordere Eifel: Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr 6200 A, B Josten (CDU/CSU) 6200 B 16. betr. Verbleib der Bezirksverwaltungen der Berufsgenossenschaften in Berlin: Storch, Bundesminister für Arbeit 6200 B, C Dr. Schellenberg (SPD) 6200 B, C 17. betr. Frage der Zustimmung der Bundesregierung zum Dritten Gesetz zur Änderung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes: Storch, Bundesminister für Arbeit 6200 D, 6201 A Dr. Schellenberg (SPD) . . 6200 D, 6201 A 18. betr. Umwandlung von selbständigen Postämtern in Zweigpostämter: Dr. Balke, Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen . . 6201 A, B Ritzel (SPD) 6201 A 19. betr. Gefahrenstelle im Zuge der Bundesstraße 4 nördlich Uelzen am Hoystorfer Berg: Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr 6201 B Lotze (CDU/CSU) 6201 C 20. betr. Überfüllung der Züge im Berufsverkehr im Raum Schweinfurt: Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr 6201 C 21. betr. Auswirkungen der Fünften Berufskrankheiten-Verordnung bzw. Vorbereitung einer Sechsten Verordnung: Storch, Bundesminister für Arbeit . 6201 D Meyer (Wanne-Eickel) (SPD) . . . 6201 D 22. bis 43. wegen Fristablaufs der Fragestunde zurückgestellt 6202 A Große Anfrage der Fraktion der SPD betr Verhalten des Bundeskanzlers im Falle Schmeißer (Drucksache 1733) 6202 A Kühn (Köln) (SPD), Anfragender 6202 A Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 6204 D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen vom 30. Juni 1955 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Verteidigungshilfe (Drucksache 1855); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit (Drucksache 1919) 6209 A Berendsen (CDU/CSU), Berichterstatter 6209 A, B Beschlußfassung 6211 B Große Anfrage der Fraktion der SPD betr Folgerungen aus den westlichen Luftmanövern „Operation Alert 1955" und „Carte blanche" (Drucksache 1603) . . . 6211 B Erler (SPD), Anfragender . . . . 6211 B Blank, Bundesminister für Verteidigung 6213 D Dr. Mende (FDP) 6216 C Blachstein (SPD) 6221 B Dr. Schröder, Bundesminister des Innern 6222 D Berendsen (CDU/CSU) 6223 C Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Volksbegehren und Volksentscheid bei Neugliederung des Bundesgebietes nach Art. 29 Abs. 2 bis 6 des Grundgesetzes (Drucksache 1661); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung (Drucksache 1851, Umdrucke 495, 496) . . 6224 B Runge (SPD), Berichterstatter . . . 6224 B Dr. Friedensburg (CDU/CSU) 6225 A, 6229 B, 6231 D Dr. Furler (CDU/CSU) . . . 6225 B, 6232 A Schmitt (Vockenhausen) (SPD) 6225 C, 6231 A Dr. Schröder, Bundesminister des Innern 6225 D, 6226 D Maucher (CDU/CSU) 6225 D Dr. Kihn (Würzburg) (CDU/CSU) 6226 A Dr. Weber (Koblenz) (CDU/CSU) . 6227 D, 6228 B Kahn (CDU/CSU) 6231 B, C Dr. Bucher (FDP) 6232 B Vizepräsident Dr. Schmid . 6232 D, 6233 A Abstimmungen . 6226 A, 6228 B, 6229 A, 6232 C, 6233 A Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die weitere Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes zur Erleichterung der Annahme an Kindes Statt (Drucksache 1598); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (Drucksache 1864) 6233 B Beschlußfassung 6233 C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Europäische Fürsorgeabkommen vom 11. Dezember 1953 und das Zusatzprotokoll zu dem Europäischen Fürsorgeabkommen (Drucksache 1882) . . . 6233 C Überweisung an die Ausschüsse für Fragen der öffentlichen Fürsorge, für Fragen des Gesundheitswesens, an den Rechtsausschuß und an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten . . 6233 C Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Altsparergesetzes (Drucksache 1905) 6233 C Überweisung an den Ausschuß für den Lastenausgleich 6233 D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Angleichung der Dienstbezüge von Vollzugsbeamten des Bundesgrenzschutzes an die Besoldung der Freiwilligen in den Streitkräften (Besoldungsangleichungsgesetz für den Bundesgrenzschutz) (Drucksache 1881) 6233 D Überweisung an den Ausschuß für Beamtenrecht, an den Haushaltsausschuß und an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung . . . 6233 D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Statistiken der Steuern vom Einkommen (Drucksache 1639); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (Drucksache 1904) 6233 D Beschlußfassung 6234 A Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 100 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 29. Juni 1951 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit (Drucksache 1369); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (Drucksache 1850, zu 1850) 6234 A Frau Dr. Bleyler (Freiburg) (CDU/ CSU) (Schriftlicher Bericht) . . 6236 D Beschlußfassung 6234 B Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über eine zeitweilige besondere Regelung der Prüfung der Jahresabschlüsse von Eisenbahnaktiengesellschaften des öffentlichen Verkehrs (Drucksache 1264); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verf assungsrecht (Drucksache 1863) 6234 C Dr. Czermak (FDP), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht) 6237 C Beschlußfassung 6234 C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Liquidation der Deutschen Rentenbank und über weitere Maßnahmen zur Abwicklung der landwirtschaftlichen Entschuldung (Drucksache 1870) . 6234 D Überweisung an den Ausschuß für Geld und Kredit und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 6234 D Zweite Beratung des von den Abg. Frau Dr. Probst u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes über die Übernahme von Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen zur Förderung der deutschen Wirtschaft (Drucksache 809); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (Drucksache 1852) . . 6234 D Holla (CDU/CSU), Berichterstatter 6235 A Beschlußfassung 6235 A Beratung des interfraktionellen Antrags betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck 494) . . . 6235 C, 6238 C Beschlußfassung 6235 C Nächste Sitzung 6235 C Anlage 1: Liste der beurlaubten Abgeordneten 6235 B Anlage 2: Erklärung des Abg. Dr. Mommer zu der Immunitätsangelegenheit Dr. Wuermeling/Dr. Dehler 6236 A Anlage 3: Änderungsantrag der Abg. Dr Böhm (Frankfurt) u. Gen. zum Entwurf eines Gesetzes über Volksbegehren und Volksentscheid bei Neugliederung des Bundesgebietes (Umdruck 495) . . . . 6236 B Anlage 4: Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 100 der Internationalen Arbeitsorganisation über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit (zu Drucksache 1850) . . 6236 D Anlage 5: Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses über den Entwurf eines Gesetzes betr. zeitweilige besondere Rege- lung der Prüfung der Jahresabschlüsse von Eisenbahnaktiengesellschaften des öffentlichen Verkehrs (Drucksache 1863) 6237 C Anlage 6: Interfraktioneller Antrag betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck 494) 6238 C Die Sitzung wird um 14 Uhr 2 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier eröffnet.
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    *) Siehe Anlage 6. Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Dr. Kopf 31. 3. 1956 Mensing 1. 3. 1956 Dr. Starke 28. 2. 1956 Jahn (Frankfurt) 9. 1. 1956 Moll 1. 1. 1956 Peters 1. 1. 1956 Neumann 21. 12. 1955 Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 17. 12. 1955 'Dr. Luchtenberg 16. 12. 1955 Dr. Reichstein 16. 12. 1955 Dr. Graf (München) 15. 12. 1955 Schröter (Wilmersdorf) 15. 12. 1955 Frau Rudoll 15. 12. 1955 Dr. Baade 10. 12. 1955 Eberhard 10. 12. 1955 Gedat 10. 12. 1955 Kiesinger 10. 12. 1955 Kriedemann 10. 12. 1955 Kutschera 10. 12. 1955 Onnen 10. 12. 1955 Op den Orth 10. 12. 1955 Frau Renger 10. 12. 1955 Leibfried 9. 12. 1955 Morgenthaler 9. 12. 1955 Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Stahl 9. 12. 1955 Frau Vietje 9. 12. 1955 Pöhler 8. 12. 1955 Frau Pitz 8. 12. 1955 Schill (Freiburg) 8. 12. 1955 Frau Ackermann 7. 12. 1955 Frau Albertz 7. 12. 1955 Fürst von Bismarck 7. 12. 1955 von Bodelschwingh 7. 12. 1955 Dr. Bucerius 7. 12. 1955 Dr. Elbrächter 7. 12. 1955 Etzenbach 7. 12. 1955 Frehsee 7. 12. 1955 Dr. Glasmeyer 7. 12. 1955 Häussler 7. 12. 1955 Dr. Hammer 7. 12. 1955 Könen (Düsseldorf) 7. 12. 1955 Knobloch 7. 12. 1955 Ladebeck 7. 12. 1955 Lulay 7. 12. 1955 Majonica 7. 12. 1955 Menke 7. 12. 1955 Rasner 7. 12. 1955 Scheppmann 7. 12. 1955 Dr. Schild (Düsseldorf) 7. 12. 1955 Schloß 7. 12. 1955 Schneider (Hamburg) 7. 12. 1955 Spies (Brücken) 7. 12. 1955 Dr. Stammberger 7. 12. 1955 Stauch 7. 12. 1955 Sträter 7. 12. 1955 b) Urlaubsanträge bis einschließlich Feldmann 17. 12. 1955 Heiland 17. 12. 1955 Hörauf 17. 12. 1955 Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein 17. 12. 1955 Welke 17. 12. 1955 Klingelhöfer 31. 12. 1955 Anlage 2 (Vgl. S. 6192 A) Erklärung des Abgeordneten Dr. Mommer In der 105. Sitzung des Deutschen Bundestages am 12. Oktober 1955 hatte ich als Berichterstatter des Wahlprüfungsausschusses zu dem Immunitätsfall Dr. Wuermeling/Dr. Dehler Bericht zu erstatten. Herr Bundesminister Dr. Wuermeling hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß mir dabei in der Zitierung der Akten ein Fehler unterlaufen ist, dem politische Bedeutung zukommt. Nach dem wörtlichen Bericht der 105. Sitzung habe ich gesagt (Seite 5801): Nach einem Bericht der sozialdemokratischen Zeitung „Freiheit" soll Herr Wuermeling auf einer Kundgebung der Katholischen Jugend gesagt haben: „Wir als katholische Christen wissen, daß wir besser sind als unsere heidnische Umwelt." Herr Wuermeling bestreitet, daß er so etwas gesagt habe, und berichtigt unter Angabe zahlreicher Zeugen dahingehend, daß er nur gesagt habe: „Wir katholischen Christen tragen im Ringen der öffentlichen Meinung den Sieg davon, weil wir die bessere Sache vertreten." Herr Bundesminister Wuermeling hat nach seiner Darstellung in dem Brief an Herrn Dr. Dehler vom 19. Juni 1954 nicht von katholischen Christen, sondern von kirchlich-gläubigen Christen gesprochen. Es heißt in diesem Brief: Ich habe in Bingen den Anspruch der kirchlichgläubigen Christen auf Gleichberechtigung in der öffentlichen Meinung zum Ausdruck gebracht und dazu erklärt, daß wir im Ringen der öffentlichen Meinung den Sieg davon tragen würden, „weil wir die bessere Sache vertreten". Dr. Karl Mommer Anlage 3 Umdruck 495 (Vgl. S. 6224 B, 6225 B, 6226 A, 6228 B) Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Böhm (Frankfurt), Dr. Dresbach, Dr. Willeke, Dr. Furler, Dr. Kihn (Würzburg) und Genossen zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Volksbegehren und Volksentscheid bei Neugliederung des Bundesgebietes nach Art. 29 Absätze 2 bis 6 des Grundgesetzes (Drucksachen 1851, 1661). Der Bundestag wolle beschließen: 1. § 1 Abs. 1 erhält folgende Fassung: In den im Artikel 29 Abs. 2 des Grundgesetzes bezeichneten Gebietsteilen werden auf Antrag Volksbegehren durchgeführt. 2. § 20 Nr. 2 erhält folgende Fassung: 2. im Falle des Artikels 29 Abs. 4 Satz 2 des Grundgesetzes der abgelehnte Teil des Gesetzes. 3. Dem § 20 wird der folgende Abs. 2 angefügt: (2) Falls innerhalb der in Artikel 29 Abs. 6 des Grundgesetzes bezeichneten Frist ein Gesetz über die Neugliederung nicht zustande kommt oder falls ein zustandegekommenes Gesetz eine Bestimmung über die Landeszugehörigkeit eines Gebietsteils, in dem ein Volksbegehren zustandegekommen ist, nicht enthält, so ist in diesem Gebietsteil in jedem Falle ein Volksentscheid über den im Volksbegehren gestellten Antrag durchzuführen. Der bisherige Wortlaut des § 20 wird Abs. 1. Bonn, den 6. Dezember 1955 Dr. Böhm (Frankfurt) Dr. Dresbach Dr. Willeke Dr. Furler Dr. Kihn (Würzburg) Bauer (Wasserburg) Frau Dr. Bleyler (Freiburg) Demmelmeier Funk Frau Geisendörfer Höcherl Höfler Dr. Horlacher Kramel Kroll Frau Dr. Kuchtner Frhr. Riederer von Paar Rümmele Dr.-Ing. E. h. Schuberth Schüttler Seidl (Dorfen) Spies (Emmenhausen) Graf von Spreti Unertl Wittmann Anlage 4 zu Drucksache 1850 (Vgl. S. 6234 A) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (27. Ausschuß) über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 100 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 29. Juni 1951 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit (Drucksache 1369). Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Dr. Bleyler (Freiburg). Der Ausschuß für Arbeit hat in zwei Sitzungen am 13. Juli und am 14. September 1955 den Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 100 der Internationalen Arbeitsorganisation über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit - Drucksache 1369 - beraten. Dieses Übereinkommen Nr. 100 ist im Juni 1951 von der Allgemeinen Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation beschlossen worden und indessen durch neun Länder - darunter Frankreich, Belgien und Österreich - ratifiziert worden, während andere große Industriestaaten - z. B. England, USA - ihm noch nicht beigetreten sind. Der Europarat hat im Sommer dieses Jahres ein- (Frau Dr. Bleyler [Freiburg]) stimmig beschlossen, den Regierungen seiner Mitgliedstaaten das Übereinkommen zur Ratifizierung zu empfehlen. Die Konvention Nr. 100 fordert von den Unterzeichnerstaaten, wie es im Art. 2 heißt, entsprechend dem in ihrem Land bestehenden Verfahren zur Lohnfestsetzung die Anwendung des Grundsatzes der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit für alle Arbeitnehmer zu för der n und, soweit es mit diesem Verfahren vereinbar ist, sicherzustellen. Das große Anliegen, das in diesem Abkommen Nr. 100 angesprochen wird, ist ja bekannt. Seit Jahren laufen die Bestrebungen, die Ungerechtigkeit der geringeren Bezahlung der Frauenarbeit zu beseitigen. Sie haben bisher nur zu Teilerfolgen geführt. Der Ausschuß war sich darin einig, daß der Grundsatz der Lohngleichheit Geltung haben müsse, da er ja dem Art. 3 des Grundgesetzes entspricht, wie die Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 15. Januar 1955 festgestellt hat. Aber die Schwierigkeiten in der Durchführung dieses Prinzips, die vor allem in der Feststellung der Gleichwertigkeit der Arbeit männlicher und weiblicher Arbeitskräfteliegen, zumal dort, wo die Arbeit andersartig ist, sowie in der internationalen Auswirkung wurden nicht verkannt. Unterschiede bestanden in der Auffassung darüber, ob die Ratifikation gleich erfolgen solle oder erst dann, wenn die nach Art. 2 des Abkommens verlangten Förderungsmaßnahmen durchgeführt seien. Da die Lohnfestsetzung in Deutschland nicht durch staatliche Einwirkung, sondern durch die Sozialpartner erfolgt, hat die Regierung die Sozialpartner zur Bildung einer Studien- und Untersuchungskommission aufgefordert. Diese Kommission soll in der Folgezeit die Aufgabe übernehmen, die Gleichwertigkeit der verschiedenen Tätigkeiten festzustellen und über die Möglichkeit der Anwendung des Grundsatzes zu beraten. Zunächst wollte der Ausschuß die ersten Beratungsergebnisse dieser Kommission abwarten und vertagte daher die weitere Beratung bis nach den Parlamentsferien. Doch hat die Kommission ihre Arbeit noch nicht aufgenommen, wenn auch die Tarifpartner sich indessen grundsätzlich zur Mitarbeit bereit erklärt haben. Bei der Schwierigkeit der Materie werden Gutachten und Erfahrungsberichte nicht so rasch möglich sein. Der Ausschuß war aber in seiner Mehrheit der Auffassung, daß schon mit der Bildung dieser Kommission die Förderungsmaßnahmen gemäß Art. 2 des Abkommens eingeleitet und damit die Voraussetzungen zur Ratifikation erfüllt seien. Der Antrag der Minderheit, die Beratung um sechs bis neun Monate zu vertagen, um die ersten Arbeitsergebnisse abzuwarten, wurde abgelehnt. Gegen zwei Stimmen beschloß der Ausschuß, den vorliegenden Entwurf — Drucksache 1369 — dem Bundestag zur Annahme zu empfehlen. Bonn, den 7. Dezember 1955 Frau Dr. Bleyler Berichterstatterin Anlage 5 Drucksache 1863 (Vgl. S. 6234 C) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (16. Ausschuß) über den Entwurf eines Gesetzes über eine zeitweilige besondere Regelung der Prüfung der Jahresabschlüsse von Eisenbahnaktiengesellschaften des öffentlichen Verkehrs (Drucksache 1264). Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Czermak Der Gesetzentwurf regelt die Pflichtprüfung der Jahresabschlüsse von Aktiengesellschaften, die Eisenbahnen des öffentlichen Verkehrs betreiben und nach § 5 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes vom 29. März 1951 (BGBl. I S. 522) der Eisenbahnaufsicht unterstehen. Es handelt sich also um Eisenbahnen, die nicht zum Netz der Bundesbahn gehören und von Unternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft betrieben werden. Diese Gesellschaften sind bei der Erneuerung des Aktienrechts durch das Aktiengesetz vom 30. Januar 1937 (RGBl. I S. 10) gemäß § 34 der 1. Durchführungsverordnung zum Aktiengesetz vom 29. September 1937 (RGBl. I S. 1026) von der Abschlußprüfung der Abschlüsse von Geschäftsjahren befreit worden, die vor dem 1. Januar 1939 begannen. Diese Befreiung wurde im Hinblick auf den Kriegsausbruch mehrfach verlängert. Zuletzt wurde durch das handelsrechtliche Bereinigungsgesetz vom 18. April 1950 (BGBl. S. 90) eine weitere Befreiung für Abschlüsse von Geschäftsjahren vorgesehen, die vor dem 1. Januar 1953 endigten. Die Abschlüsse der Geschäftsjahre, die nach dem 31. Dezember 1952 endigten, unterliegen also nach der gegenwärtigen Rechtslage der aktienrechtlichen Pflichtprüfung nach den §§ 135 bis 141 des Aktiengesetzes. Der Gesetzentwurf sieht eine weitere Befreiung der Eisenbahnaktiengesellschaften des öffentlichen Verkehrs von der Pflichtprüfung der Abschlüsse für Geschäftsjahre vor, die nach dem 31. Dezember 1952 und vor dem 1. Januar 1956 endigen, mit der Maßgabe, daß diese nach ihrer Wahl sich entweder durch Abschlußprüfer im Sinne des Aktiengesetzes oder in sinngemäßer Anwendung der entsprechenden Vorschriften des Aktiengesetzes im Aufsichtswege prüfen lassen müssen. Damit bleibt die Grundsatzfrage, ob eine Pflichtprüfung bei diesen Eisenbahngesellschaften endgültig eingeführt werden soll oder ob diese dauernd davon befreit werden sollen, noch offen. Der Entwurf beschränkt sich daher darauf, für eine Übergangszeit die Wahlmöglichkeit zwischen einer Prüfung nach dem Aktiengesetz und der Prüfung im Aufsichtswege in sinngemäßer Anwendung der Vorschriften des Aktiengesetzes zu eröffnen. Damit weicht er von der Regelung für Geschäftsjahre, die vor dem 1. Januar 1953 endigten, nach der eine völlige Freistellung von der aktienrechtlichen Pflichtprüfung bestand, sowie von der gegenwärtigen Rechtslage, wonach ausschließlich eine Pflichtprüfung nach dem Aktiengesetz gegeben ist, ab. Der Entwurf stellt sicher, daß auf jeden Fall eine Prüfung der Jahresabschlüsse der genannten Eisenbahnaktiengesellschaften nach aktienrechtlichen Grundsätzen erfolgt. Der mitbeteiligte Ausschuß für Verkehrswesen hat empfohlen, dem Gesetzentwurf unverändert zuzustimmen, während der Ausschuß für Wirtschaftspolitik die Frage aufgeworfen hat, ob es (Dr. Czermak) aus grundsätzlichen Erwägungen ratsam sei, in Einzelfällen auf die im Aktienrecht vorgeschriebene Pflichtrevision zugunsten einer Prüfung durch die aufsichtführende Behörde zu verzichten. Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht hat dieses Bedenken und die damit verbundene Grundsatzfrage, ob man zu einer staatlichen Prüfung der Geschäftsgebarung von Aktiengesellschaften kommen dürfe, eingehend erörtert. Der Ausschuß hat sich auf den Standpunkt gestellt, es sei vertretbar, vorübergehend von dem Grundsatz der aktienrechtlichen Pflichtprüfung abzuweichen, da es sich bei diesen Aktiengesellschaften um öffentliche Unternehmungen handle, die nur formell als Aktiengesellschaften betrieben würden. Daher sei es erforderlich, eine Prüfung auf jeden Fall sicherzustellen. Der Ausschuß hat jedoch ausdrücklich festgestellt, dadurch werde kein Präjudiz dafür geschaffen, daß auch in Zukunft von dem Grundsatz der Prüfung nach dem Aktiengesetz abgewichen werden würde. Für Jahresabschlüsse, die nach dem 1. Januar 1956 endigen, wird daher an dem Grundsatz der aktienrechtlichen Pflichtprüfung festgehalten werden müssen. Der Entwurf führt die Bezeichnung „Eisenbahnen des öffentlichen Verkehrs" ein. Er weicht damit von dem bisher gebräuchlichen Begriff „Eisenbahnen des allgemeinen Verkehrs und Kleinbahnen" ab, ohne daß damit jedoch der Kreis der von dem Gesetz betroffenen Aktiengesellschaften geändert wird. Da die Vorschrift des § 135 Abs. 1 Satz 2 des Aktiengesetzes, wonach ein nicht geprüfter, aber trotzdem festgestellter Jahresabschluß nichtig ist, nicht unmittelbar auf die nach dem Entwurf zu prüfenden Jahresabschlüsse angewendet werden kann, weil in diesen Fällen statt der Abschlußprüfung auch eine Prüfung im Aufsichtswege zugelassen ist, bestimmt Absatz 2 in Anlehnung an § 135 Abs. 1 Satz 2 des Aktiengesetzes, daß ein Jahresabschluß, der weder durch einen Abschlußprüfer noch im Aufsichtswege geprüft worden ist, nicht festgestellt werden kann. Ein trotzdem festgestellter Jahresabschluß ist nichtig. § 1 Abs. 1 Satz 1 des Entwurfs behandelt nur die Frage, durch wen die Prüfung eines Jahresabschlusses stattgefunden haben muß, um diesen gesellschaftsrechtlich wirksam werden zu lassen. Ein Eingriff in Aufsichtsbefugnisse ist damit nicht beabsichtigt. Daher stellt § 1 Abs. 1 Satz 2 klar, daß die Vorschriften über die Eisenbahnaufsicht unberührt bleiben. Bonn, den 7. November 1955 Dr. Czermak Berichterstatter Anlage 6 Umdruck 494 (Vgl. S. 6235 C) Interfraktioneller Antrag betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse Der Bundestag wolle beschließen: Der folgende Antrag wird gemäß § 99 Abs. 1 GO ohne Beratung an die zuständigen Ausschüsse überwiesen: Antrag der Fraktion der DP betreffend Gleichstellung der Presse-Versicherung mit der Sozialversicherung (Drucksache 1893) an den Ausschuß für Geld und Kredit (federführend), an den Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films. Dr. Krone und Fraktion Ollenhauer und Fraktion Dr. Dehler und Fraktion Dr. Mocker und Fraktion Dr. Brühler und Fraktion
Gesamtes Protokol
Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211600000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren! Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich bekannt, daß Herr Abgeordneter Dr. Mommer mir im Anschluß an die Ausführungen, die er in der 105. Sitzung des Deutschen Bundestages als Berichterstatter des Ausschusses für Wahlprüfung und Immunität in der Sache Strafverfahren gegen die Abgeordneten Dr. Wuermeling und Dr. Dehler — Drucksache 1739 — gemacht hat, eine persönliche Erklärung gemäß § 36 der Geschäftsordnung übergeben hat. Diese persönliche Erklärung wird dem Stenographischen Bericht der heutigen Sitzung angefügt*).
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 2. Dezember 1955 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht gestellt:
Gesetz zur Änderung des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes;
Gesetz über die Änderung des Dritten Gesetzes zur Änderung des, Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes;
Drittes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin (West);
Gesetz über die Aufhebung von Bestimmungen Ober den Seidenbau;
Gesetz über die Gewährung von Sonderzulagen in den gesetzlichen Rentenversicherungen (Sonderzulagen-Gesetz — SZG —).
Zum Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Finanzverfassung (Finanzverfassungsgesetz) hat der Bundesrat in der gleichen Sitzung beschlossen, zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird. Seine Gründe hierzu sind in Drucksache 1917 niedergelegt.
Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat unter dem 26. November 1955 die Kleine Anfrage 203 der Fraktion der FDP betreffend Akten zum Reichskonkordat — Drucksache 1834 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1918 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Justiz hat unter dem 30. November 1955 die Kleine Anfrage 206 der Abgeordneten Dr. Hesberg, Graaf (Elze), Dr. Schild (Düsseldorf) und Genossen betreffend Bereinigung der Grundbücher durch Löschung umgestellter Kleinsthypotheken - Drucksache 1854 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1914 vervielfältigt.
Damit, meine Damen und Herren, kommen wir zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Fragestunde (Drucksache 1911).
Lassen Sie mich, bevor wir damit beginnen, folgendes sagen. Der Ablauf der Fragestunde hat uns seit einigen Wochen Sorge gemacht, weil die für die Beantwortung der gestellten Fragen zur Verfügung stehende Zeit zu den eingehenden Fragen in keinem Verhältnis steht. So enthält die heutige Aufstellung 43 Fragen, die aller Voraussicht nach nicht sämtlich beantwortet werden können.
*) Siehe Anlage 2.
Dem Ältestenrat ist es leider nicht möglich, für die Fragestunde mehr Zeit zur Verfügung zu stellen, solange der Bundestag und insbesondere das Plenum mit anderen Vorlagen in der Weise überhäuft ist, wie es bis jetzt der Fall ist. Wir machen Ihnen, meine Damen und Herren, deshalb den Vorschlag, daß die Fragen in Zukunft nicht mehr verlesen werden — sie liegen ja gedruckt vor, und ich habe auch dafür Sorge getragen, daß sie auf den Tribünen ausliegen —, sondern daß ich in Stichworten den Inhalt der Frage kurz wiedergebe und daß dann der Vertreter des zuständigen Ressorts möglichst kurzgefaßt antwortet. Das ist das eine.
Das andere ist ein dringender Appell an Sie, meine Damen und Herren, sich in den Zusatzfragen möglichst zu beschränken. Es muß ja nicht unbedingt sein, daß zu jeder Frage noch zwei Zusatzfragen gestellt werden. Bitte bedenken Sie, daß dann die anderen Kollegen, die ihre Fragen schriftlich eingereicht haben, einfach nicht mehr zum Zuge kommen.
Ich darf wohl annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist, daß wir zunächst einmal so verfahren.
Ich rufe nun die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Schmidt (Hamburg) auf. Sie betrifft die Reform der Haushaltsbuchführung und der Rechnungslegung. Das Wort hat der Herr Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0211600100
Herr Abgeordneter, die Haushaltsordnung sowie die Bestimmungen über die Kassen-
und Buchführung und die Rechnungslegung stammen aus dem Jahre 1922 und sind ohne Zweifel verbesserungsbedürftig. Über die Arbeiten an der Haushaltsrechtsreform ist in den allgemeinen Vorbemerkungen zum Bundeshaushalt 1955 berichtet, und in den soeben fertiggestellten allgemeinen Vorbemerkungen zum Haushalt 1956 wird weiter darüber berichtet. Auch in dem Bericht des Herrn Abgeordneten Schoettle über die Reise in den USA zum Studium der amerikanischen Budgetverhältnisse sind die Grundsätze für eine Haushaltsreform dargelegt worden. Die Vorschläge des Präsidenten Weichmann vom Rechnungshof Hamburg werden bei der Abfassung der neuen Vorschriften herangezogen werden, soweit sie praktisch durchführbar erscheinen. Unter den Wissenschaftlern und den Haushaltspraktikern besteht allerdings der Eindruck, daß diese Vorschläge ziemlich kompliziert sind.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211600200
Eine Zusatzfrage?

Helmut Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0211600300
Herr Staatssekretär, berücksichtigen die Absichten und die Vorarbeiten des Finanzministeriums die unter Fachleuten verbreitete Auffassung, daß das nach Verwaltungsressorts gegliederte Zahlenbild des klassischen Haushalts nicht mehr genügt, um die ständig steigende volkswirtschaftliche Auswirkung der öffentlichen Ausgaben angemessen zu beurteilen, und daß es notwendig erscheint, die öffentliche Ausgaben- und Einnahmenwirtschaft nach ihrer volkswirtschaftlichen Funktion zu ordnen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0211600400
Herr Abgeordneter, das ist gerade eine der wesentlichen Aufgaben der kommenden Reform der Haushaltsordnung. Wahrscheinlich wird


(Staatssekretär Hartmann)

es notwendig werden, einerseits die bisherige Gliederung beizubehalten, andererseits aber viel stärker, etwa in den Allgemeinen Vorbemerkungen, die funktionelle Gliederung und Zusammengehörigkeit darzulegen.

Helmut Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0211600500
Ich danke sehr.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211600600
Ist die Frage erledigt? —
Frage 2, eine Frage des Herrn Abgeordneten Huth betreffend Anzeigen der Änderung der Fahrtrichtung. Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Bundesminister für Verkehr.

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0211600700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das im Jahre 1949 in Genf geschlossene internationale Abkommen über den Straßenverkehr, dessen Ratifikation beim Deutschen Bundestag von der Bundesregierung beantragt ist, schreibt die Abgabe von Fahrtrichtungszeichen nur beim Einbiegen in eine andere Straße, nicht aber beim Wechsel der Fahrspur vor. Um eine Angleichung der internationalen an die nationalen Vorschriften für den Straßenverkehr sicherzustellen, sieht daher der § 11 Abs. 1 der jetzt geltenden Fassung der Straßenverkehrsordnung auch nur vor, daß jede beabsichtigte Fahrtrichtungsänderung anzuzeigen ist. Diese Anzeigepflicht besteht infolgedessen bei Autobahnen wie bei Bundesschnellstraßen nur beim Ausfahren, nicht aber beim Fahrbahnwechsel.
Die von Ihnen angeschnittene Frage habe ich bei dieser Rechtslage schon vor einiger Zeit durch den von den Ländern eingesetzten Ausschuß für die Fortbildung der Straßenverkehrsordnung beraten. Bei diesen Beratungen hat sich die Auffassung durchgesetzt, daß es beim Wechsel der Fahrspur wichtiger sei, an Stelle des bequemen und manchmal sehr plötzlichen Zeigens des Fahrtrichtungsanzeigers die Pflicht zur sorgfältigen Beobachtung des nachfolgenden Verkehrs zu setzen. Im Verkehrsblatt vom 26. Mai 1955 habe ich es als eine gefährliche Unsitte bezeichnet, daß viele Kraftfahrer nicht ausreichend mit der Benutzung des Rückspiegels vertraut sind und daß sie glauben, sich durch Anzeigen der Fahrtrichtungsänderung beim Überholen von der Pflicht befreien zu können, den nachfolgenden Verkehr sorgfältig zu beachten. Auf diese Weise kommt es dann zu den wiederholt trotz Zeigens des Fahrtrichtungsanzeigers auf der Autobahn eingetretenen Unfällen, weil der Fahrtrichtungsanzeiger zu plötzlich herausgestellt wird, ohne dabei zu beachten, daß sich auf der Überholungsbahn andere Fahrzeuge mit hoher Geschwindigkeit nähern.
Ich habe die obersten Landesverkehrsbehörden darauf aufmerksam gemacht, daß sie besonders darauf achten möchten, daß die Fahrschüler in den Fahrschulen lernen und in den Fahrprüfungen beweisen, daß sie mit dem Rückspiegel zu fahren in der Lage sind. Auch die Bundesverkehrswacht und andere Verbände bemühen sich nachdrücklich darum, den Kraftfahrern das Fahren mit dem Spiegel nahezubringen. Um diese Bestrebungen zu unterstützen, enthält der jetzt dem Bundesrat zugeleitete Entwurf einer Verordnung zur Änderung von Vorschriften des Straßenverkehrsrechts folgende neue Vorschrift über den Rückspiegel:
Kraftfahrzeuge müssen Innen- und Außenspiegel haben, die so beschaffen und in solcher
Anzahl so angebracht sind, daß der Führer des Fahrzeuges nach rückwärts die für ihn wesentlichen Verkehrsvorgänge auf der ganzen Breite der Fahrbahn beobachten kann.
Zusammenfassend darf ich also sagen, daß mit Rücksicht auf die internationale Regelung und bei dem starken internationalen Verkehr in Deutschland eine Vorschrift, bei jedem Wechsel der Fahrspur die Fahrtrichtungsänderung anzuzeigen, sich nicht empfiehlt, weil dadurch noch in vermehrtem Umfang mit Unfällen gerechnet werden müßte und die Rechtsprechung dann die Nichtberücksichtigung des nachfolgenden Verkehrs im Rückspiegel noch mehr als bisher nicht als ein Vergehen gegen die Straßenverkehrsordnung ansehen wird.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211600800
Eine Zusatzfrage?

Eugen Huth (CDU):
Rede ID: ID0211600900
Hat man bisher noch nicht statistisch festzustellen versucht, wie viele Unfälle durch das Fehlen einer solchen Vorschrift verursacht warden sind?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0211601000
Leider läßt sich das statistisch nicht ermitteln. Wir haben ja überhaupt ungenügende Unfallstatistiken. Die Möglichkeiten, diese Statistik einzuführen, sind ja nur in beschränktem Umfang gegeben.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211601100
Frage 3 — Herr Abgeordneter Dr. Arndt — betreffend die politische Zugehörigkeit der Beamten. Der Herr Bundesminister des Innern zur Antwort!

Dr. Gerhard Schröder (CDU):
Rede ID: ID0211601200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf Herrn Kollegen Dr. Arndt folgendes antworten. Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß der Staat ganz allgemein ein berechtigtes Interesse hat, die politische Zugehörigkeit seiner Beamten zu kennen. Die Beamten und andere Verwaltungsangehörige sind daher nach Ansicht der Bundesregierung nicht verpflichtet, durch Ausfüllung von Fragebogen ihrer Dienstbehörde die Zugehörigkeit zu demokratischen Parteien, die Dauer der Zugehörigkeit und die Ausübung von Tätigkeiten in ihnen zu offenbaren. Nach den von mir veranlaßten Feststellungen werden im Bereich der Bundesverwaltung Fragen nach der Zugehörigkeit zu demokratischen Parteien nicht mehr gestellt. Altere Fragebogen, in denen die Frage nach der Zugehörigkeit zu politischen Parteien vor dem 30. Januar 1933 enthalten war, werden nicht mehr verwendet.

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0211601300
Eine Zusatzfrage!

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211601400
Eine Zusatzfrage!

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0211601500
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß meine Fragen wörtlich die Leitsätze wiederholen, die der Bundesdisziplinarhof in seinen Beschlüssen vom 28. September und 4. Oktober 1954 aufgestellt hat?

Dr. Gerhard Schröder (CDU):
Rede ID: ID0211601600
Ich nahm an, Herr Kollege Arndt, daß Sie darauf kommen würden, und möchte dazu folgendes sagen. Der Beschluß des Bundesdisziplinarhofes vom 28. September ist der Bundesregierung bekannt. Sie teilt die Auffassung, daß gegen den Beschluß und seine Begründung Bedenken bestehen, glaubt aber, im einzelnen nicht Stellung nehmen zu sollen.


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211601700
Eine weitere Zusatzfrage?

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0211601800
Herr Bundesminister, ist der Herr Bundesdisziplinaranwalt von Ihnen mit Weisungen versehen, um in Ausübung seiner gesetzlichen Befugnisse künftig einer Rechtsprechung entgegenzuwirken, die zu rechtsstaatlichen Grundsätzen und zu unserer freiheitlichen Verfassungsordnung in so offenem Widerspruch steht?

Rudolf Schrader (CDU):
Rede ID: ID0211601900
Ich war auf den zweiten Teil Ihrer Frage gefaßt, auf diesen dritten nicht, Herr Kollege Arndt, und ich möchte dazu sagen: ich muß das, was Sie gerade formuliert haben, zunächst noch einmal nachprüfen, um zu sehen, ob man diesem Petitum a) schon entsprochen hat oder b) entsprechen kann.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211602000
Frage 4 — Abgeordneter Dr. Arndt — betreffend Geheimhaltung des Inhalts von Anklageschriften. Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Bundesminister der Justiz.

Dr. Fritz Neumayer (FDP):
Rede ID: ID0211602100
Die Anfrage des Herrn Kollegen Arndt konnte in der 106. Sitzung des Deutschen Bundestages am 19. Oktober 1955 in Berlin infolge Ablaufs der Fragestunde nicht mehr beantwortet werden. Ich habe sie daher schriftlich beantwortet. Ich darf auf mein Schreiben vom 3. November 1955 Bezug nehmen. Zum Teil wiederholend, zum Teil ergänzend darf ich noch folgendes ausführen.
Erstens. Das Gericht darf einen Angeschuldigten unter bestimmten engen Voraussetzungen durch entsprechenden Hinweis verpflichten, den Inhalt der Anklageschrift geheimzuhalten. Diese Möglichkeit besteht in erster Linie, wenn und soweit die Anklageschrift ein Staatsgeheimnis im Sinne des § 99 des Strafgesetzbuches enthält. Die Geheimhaltungspflicht folgt in diesem Falle sowohl für den Angeschuldigten wie für das Gericht selbst schon aus den strafrechtlichen Bestimmungen über den Landesverrat.
Zweitens. Ist kein Staatsgeheimnis im Sinne des Landesverrats, aber eine für die Staatssicherheit geheimhaltungsbedürftige Tatsache Gegenstand des Verfahrens, so kann das Gericht ebenfalls ein Schweigegebot erlassen. Nach § 174 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes kann das Gericht in der Hauptverhandlung nach Ausschluß der Öffentlichkeit den anwesenden Personen ein Schweigegebot hinsichtlich des Prozeßstoffes auferlegen, der geheimhaltungsbedürftig ist. Von dieser Möglichkeit hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen Gebrauch zu machen. Es ist verpflichtet, ein Schweigegebot zu erlassen, wenn es erforderlich ist, um dadurch eine Gefährdung der Staatssicherheit zu vermeiden. Aus diesem Schutzzwecke folgern die Gerichte — auch der Bundesgerichtshof —, daß sie auch schon bei der Zustellung der Anklageschrift dem Angeschuldigten eine Schweigepflicht auferlegen können.
Die Befugnis hierzu besteht nur hinsichtlich solcher Tatsachen, die nach dem Gesetz oder nach ihrer Natur geheimhaltungsbedürftig sind. Umfaßt der Prozeßstoff auch Sachgebiete, die nicht geheimhaltungsbedürftig sind, so wird häufig eine sachliche Beschränkung des Schweigegebots angebracht sein. Fehlt eine solche, so versteht es sich dennoch von selbst, daß sich die Schweigepflicht nur auf
materiell geheimhaltungsbedürftige Tatsachen bezieht. Der Angeschuldigte wird durch das Schweigegebot lediglich gehindert, unbefugten Personen geheimhaltungsbedürftige Tatsachen mitzuteilen.
Die rechtliche Grundlage des Schweigegebots bietet das Gerichtsverfassungsgesetz. Ein Hinweis auf die in Betracht kommende Strafbestimmung ist durchaus angebracht. Als Strafvorschrift kommt — abgesehen von den Bestimmungen über den Landesverrat — § 353 c des Strafgesetzbuchs in Betracht. Eine Strafverfolgung nach dieser Bestimmung setzt jedoch voraus, daß der Täter nicht nur vorsätzlich das gerichtliche Schweigegebot verletzt, sondern dadurch zugleich wichtige öffentliche Interessen gefährdet hat. Daran fehlt es, wenn die unbefugt weitergegebenen Tatsachen materiell nicht geheimhaltungsbedürftig waren. Eine Bestrafung kommt ferner dann nicht in Betracht, wenn der Empfänger der Mitteilung die Gewähr dafür bietet, daß er von dem Geheimnis keinen Gebrauch machen wird, der die Staatssicherheit gefährden könnte.
Die rechtspolitischen Bedenken, die gegen § 353 c des Strafgesetzbuchs bestehen, sind bereits Gegenstand einer Debatte des Hohen Hauses am 24. Januar 1952 gewesen. Dabei hat sich ergeben, daß diese Strafbestimmung reformbedürftig ist. Es ist in Aussicht genommen, die Änderung bei sich bietender Gelegenheit, spätestens im Rahmen der Großen Strafrechtsreform vorzunehmen. Wegen dieser rechtspolitischen Bedenken hat sich auch bereits mein Amtsvorgänger dazu entschlossen, soweit vertretbar, keine Ermächtigung zur Strafverfolgung nach § 353 c StGB zu erteilen. Auch ich habe während meiner Amtszeit eine solche Ermächtigung in keinem einzigen Falle erteilt.
Herr Kollege Dr. Arndt hat in einem Schreiben an mich angeregt, eine neue gesetzliche Regelung darüber zu schaffen, unter welchen Voraussetzungen die Gerichte ein Schweigegebot erlassen können. Das Gerichtsverfassungsgesetz enthält in seiner gegenwärtigen Fassung keine ausdrückliche Bestimmung über das Schweigegebot vor und nach der Hauptverhandlung. Die Rechtsprechung hat diese gesetzliche Lücke zwar einigermaßen geschlossen. Dennoch ist es notwendig, der Anregung des Herrn Kollegen Dr. Arndt entsprechend die gesetzliche Neuregelung des Problems für eine sich bietende Gelegenheit ins Auge zu fassen. Eine solche Gelegenheit liegt meines Erachtens eben im Rahmen der Großen Strafrechtsreform vor.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211602200
Zusatzfrage?

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0211602300
Herr Bundesminister, wie soll denn der rechtsstaatliche Grundsatz der Öffentlichkeit eines Strafverfahrens gewahrt und die Verteidigung ermöglicht werden, wenn es anscheinend auch nach Ihrer Ansicht zulässig wäre, schlechthin die Tatsache, daß überhaupt eine Anklage erhoben ist, dadurch zu unterdrücken, daß man Geheimanklagen für statthaft erklärt?

Dr. Fritz Neumayer (FDP):
Rede ID: ID0211602400
Ich habe ja bereits hervorgehoben, Herr Kollege Arndt, daß das Schweigegebot den Angeklagten nur hindert, geheimhaltungsbedürftige Tatsachen jemandem mitzuteilen, der bisher davon keine Kenntnis hatte. Der Angeschuldigte darf aber mit anderen ohne weiteres darüber sprechen, daß gegen ihn ein Strafverfahren geführt wird. Er darf die als Entlastungszeugen in Betracht kommenden Personen nach ihrem Wissen fragen. Insbesondere ist er in


(Bundesminister Neumayer)

keiner Weise in seinem Recht beschränkt, von dem Gericht die Erhebung bestimmter Beweise zu fordern. Die Gerichte dürfen keine Beweiserhebung ablehnen oder unterlassen, die zur Aufklärung des Falles notwendig ist. Dazu kommt, daß immer, wenn Zweifel über die Schuldfrage bleiben, zugunsten des Angeklagten entschieden werden muß.
Mag das Schweigegebot für den Angeklagten und seinen Verteidiger hin und wieder eine gewisse Erschwerung der Vorbereitung der Verteidigung mit sich bringen, so kann doch festgestellt werden, daß die Verteidigung in der Sache dadurch nicht beschränkt wird.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211602500
Frage 5, Abgeordneter Dr. Arndt, betreffend den Kraftverkehr am Zonenrand zwischen Herleshausen bzw. Obersuhl und Heringen (Werra). Der Herr Bundesminister für Verkehr zur Antwort!

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0211602600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf Grund der Anfrage des Herrn Kollegen Dr. Arndt hat die Deutsche Bundesbahn am 19. Oktober und am 12. November dieses Jahres auf meine Veranlassung Besprechungen mit den beteiligten Stellen in Heringen geführt. Bei der letzten Besprechung, bei der, glaube ich, auch der Herr Kollege Dr. Arndt anwesend sein konnte, wurde eine für alle Seiten befriedigende Regelung gefunden. Sie umfaßt folgende Maßnahmen:
1. Zur Verbesserung der Platzverhältnisse wurde ein zusätzlicher Omnibus eingesetzt.
2. Die für die Spätschicht eingesetzten Omnibusse befahren jetzt die gesamte Strecke von Heringen bis nach Herleshausen.
3. Der Fahrplan wurde ausschließlich auf den Berufsverkehr ausgerichtet; auf Schienenverkehrsanschlüsse wird nicht mehr Rücksicht genommen.
Alle diese Maßnahmen sind inzwischen getroffen worden. Die besonderen Verhältnisse im Zonenrandgebiet haben die Bundesbahn in diesem Fall veranlaßt, mit den erwähnten Verbesserungen dieses ohnehin unwirtschaftlichen Verkehrs nicht unbeträchtliche weitere wirtschaftliche Opfer auf sich zu nehmen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211602700
Eine Zusatzfrage.

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0211602800
Herr Bundesminister, ist Ihnen nicht bekannt, daß die Bundesbahn leider die von ihr versprochenen Verbesserungen bisher noch keineswegs in vollem Umfang durchgeführt hat, insbesondere den zugesagten Anhänger bisher nicht eingesetzt und den Fahrplan noch nicht befriedigend gestaltet hat? Werden Sie weiterhin auf die Bundesbahn Einfluß nehmen, um endlich eine allseits befriedigende Regelung dieses Verkehrsproblems am Zonenrand zu erwirken?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0211602900
Zweifellos kann ich die zweite Frage mit Ja beantworten. Zur ersten Frage, Herr Kollege Arndt, muß ich sagen, daß mir die Bundesbahn berichtet hat, sie habe entsprechend den Absprachen vom 12. November alle entsprechenden Vorkehrungen getroffen. Wenn das nicht der Fall ist, werde ich noch einmal wieder nachfragen müssen.

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0211603000
Danke schön!

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211603100
Frage 6, Abgeordneter Schmitt (Vockenhausen), betreffend Gefährdungen der Pressefreiheit. Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Bundesminister der Justiz.

Dr. Fritz Neumayer (FDP):
Rede ID: ID0211603200
Die Kriminalpolizei in Hamburg hat im April und Mai 1955 eine größere Falschgeldsache bearbeitet. Um die Ermittlungen nicht zu stören, insbesondere den Täterkreis nicht zu warnen, wurde mit der Deutschen Presse-Agentur vereinbart, zunächst keine Zeitungsmeldungen zu bringen. Die Presse hielt sich fast ausnahmslos hieran. Lediglich eine Hamburger Zeitung brachte am 28. April 1955 zu der Sache eine Schlagzeile. Am 5. Mai 1955 erschien ferner in den „Norddeutschen Nachrichten" in Blankenese eine weitere Meldung, in der es u. a. hieß, die Zeitung habe ihre Kenntnisse von unterrichteter Seite erhalten. Dadurch entstand der Verdacht, daß sich ein Polizeibeamter der Bestechung, der Begünstigung im Amte oder der strafbaren Verletzung der Amtsverschwiegenheit schuldig gemacht habe. In dem gegen Unbekannt eingeleiteten Ermittlungsverfahren verweigerte der Chefredakteur der „Norddeutschen Nachrichten" es, die Person seines Gewährsmannes zu nennen, und erklärte lediglich allgemein, daß die Information nicht von einem Polizeibeamten stamme. Das Amtsgericht Hamburg verurteilte den Chefredakteur daraufhin wegen unberechtigter Verweigerung seines Zeugnisses zu 100 DM Geldstrafe. Auf seine Beschwerde ermäßigte das Landgericht die Strafe auf 50 DM.
Ich habe nun bereits in der Plenarsitzung vom 17. Februar dieses Jahres aus anderem Anlaß betont, daß die Pressefreiheit ein Grundpfeiler unserer freiheitlichen Demokratie und wesensmäßig mit ihr verbunden ist. Hinsichtlich der Beziehungen zwischen dem Pressewesen und dem Strafverfahrensrecht habe ich in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß das Hohe Haus bereits in der ersten Wahlperiode auf Vorschlag meines Amtsvorgängers, Herrn Dr. Dehler, eine Reihe gesetzgeberischer Maßnahmen zur Gewährleistung der Pressefreiheit beschlossen hat. Durch das Vereinheitlichungsgesetz 1950 wurde in der ganzen Bundesrepublik das sogenannte Redaktionsgeheimnis der Presse wiederhergestellt, d. h. das Zeugnisverweigerungsrecht der Redakteure, Verleger und Drucker über die Person des Verfassers oder Einsenders einer Veröffentlichung strafbaren Inhalts. Das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz 1953 hat dieses Zeugnisverweigerungsrecht über diesen Personenkreis hinaus erheblich erweitert. Vor allem wurde eindeutig klargestellt, daß der Berechtigte nunmehr auch über die Person des sogenannten Gewährsmannes schweigen darf, der mündlich oder schriftlich Material für die Veröffentlichung, aber nicht die textliche Fassung geliefert hat. Der Gesetzgeber hat damals aber bewußt an der Voraussetzung für das Zeugnisverweigerungsrecht festgehalten, daß eine Veröffentlichung strafbaren Inhalts vorliegen muß und daß ein Redakteur der Druckschrift wegen der Veröffentlichung bestraft ist oder seiner Bestrafung keine Hindernisse entgegenstehen. Das Redaktionsgeheimnis der Presse entspricht der besonderen Verantwortlichkeit der Presse.
Im gegebenen Falle lag eine Veröffentlichung strafbaren Inhalts nicht vor. Die Entscheidung des Landgerichts Hamburg steht daher mit dem gelten-


(Bundesminister Neumayer)

den Rechtszustand im Einklang. Ob der Gesetzgeber sich entschließen sollte, von den erwähnten, im Jahre 1953 erneut bestätigten Voraussetzungen für das Zeugnisverweigerungsrecht abzuweichen und dieses damit noch weiter auszudehnen, bedarf noch sehr sorgfältiger Prüfung. Im Ergebnis würde damit das Zeugnisverweigerungsrecht der Presse den entsprechenden Privilegien der Abgeordneten stark angenähert. Die Frage wird im Zuge der großen Strafrechtsreform geprüft werden. Allerdings ist eine Lösung unter Beschränkung auf den Strafprozeß nicht möglich. Die Frage ist vielmehr in gleicher Weise für den bürgerlichen Rechtsstreit und für das Disziplinarverfahren von Bedeutung. Es kann nur in größerem Rahmen eine Lösung gefunden werden, die einen gerechten Ausgleich aller widerstreitenden Interessen bringt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0211603300
Ich danke Ihnen, Herr Minister.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211603400
Frage 7 des Abgeordneten Schmidt (Hamburg) betreffend die Mitarbeit von Kabinettsmitgliedern bei der Abendländischen Akademie. Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Bundesminister des Innern.

Dr. Gerhard Schröder (CDU):
Rede ID: ID0211603500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf Herrn Kollegen Schmidt folgendes antworten: Die Bundesregierung hatte bisher keinen Anlaß, sich mit der Frage der Zugehörigkeit von Kabinettsmitgliedern zur Abendländischen Akademie zu befassen. Es sind ihr insbesondere keine Anhaltspunkte dafür bekanntgeworden, daß es sich bei dieser Vereinigung um eine gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtete Organisation handelt. Nach den bei der Bundesregierung vorhandenen Unterlagen besteht weder ein formeller noch ein materieller Zusammenhang zwischen der Abendländischen Akademie und der in Presseveröffentlichungen der letzten Zeit verschiedentlich angegriffenen Abendländischen Aktion.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211603600
Zusatzfrage!

Helmut Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0211603700
Übersehen Sie, Herr Bundesminister, bei diesem letzten Hinweis nicht die Tatsache, daß der stellvertretende Generalsekretär der Abendländischen Akademie im August dieses Jahres öffentlich bekanntgemacht hat, die Aufgaben der Abendländischen Aktion würden seit zwei Jahren von der Abendländischen Akademie fortgeführt? Und übersehen Sie nicht die Tatsache, daß die Abendländische Aktion und die Abendländische Akademie aus der gleichen Quelle finanziert worden sind und weiterhin finanziert werden? Sind Sie, Herr Bundesminister, oder ist die Bundesregierung bereit, für den Fall, daß die eben von mir behaupteten Tatsachen sich auch nach ihrer Prüfung als zutreffend erweisen sollten, nunmehr den Kabinettsmitgliedern zu empfehlen, aus der Abendländischen Akademie auszuscheiden?

Dr. Gerhard Schröder (CDU):
Rede ID: ID0211603800
Herr Kollege, ich habe die Antwort auf Grund der vorhandenen Unterlagen gegeben. Ich werde das, was Sie soeben vorgetragen haben, sorgfältig prüfen lassen. Dann wird sich ergeben, ob und welche Weiterungen angezeigt sind.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0211603900
Letzte Zusatzfrage!

Helmut Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0211604000
Sind Sie bereit, Herr Bundesminister, in Ihre Prüfung alle Veröffentlichungen einzubeziehen, die aus dem Kreise sowohl der Abendländischen Aktion als auch der Abendländischen Akademie in die Öffentlichkeit gedrungen sind, insbesondere unter anderen verfassungsfeindlichen Äußerungen auch jene, die ich wörtlich zitieren darf:
Als Träger der Regierungsverantwortung kann man nicht gleichzeitig Gott in seinem Gewissen verantwortlich sein und die Gesetze aus der Hand Dritter empfangen oder, wie es in der parlamentarischen Demokratie üblich ist, sogar noch vom Vertrauen des Parlaments abhängig sein.

Dr. Gerhard Schröder (CDU):
Rede ID: ID0211604100
Eine bemerkenswerte Stelle, die Sie zitiert haben, Herr Kollege. Ich möchte sagen, unsere Überprüfung wird umfassend sein.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211604200
Frage 8 — Abgeordneter Rademacher — betreffend die Kontrolle des Lkw-Verkehrs an Sonn- und Feiertagen. Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Bundesminister für Verkehr.

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0211604300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bekanntlich hat der Deutsche Bundestag mit Beschluß vom 14. Juli 1955 gefordert, den Lastkraftwagenverkehr an den gesetzlichen Feiertagen auf die Beförderung dringender, lebensnotwendiger Güter zu beschränken. Diesem Beschluß habe ich dadurch Rechnung getragen, daß ich den Entwurf einer Verordnung zur Änderung von Vorschriften des Straßenverkehrsrechts dem Bundesrat zur Beschlußfassung zugeleitet habe. Dem Bundestagsausschuß für Verkehr liegt dieser Entwurf nachrichtlich vor. Bevor der Bundesrat zu dieser Frage eine endgültige Entscheidung getroffen hat, scheint es mir nicht zweckmäßig, eine derartige Überprüfung des Verkehrs vorzunehmen, da nicht bekannt ist, welche der in dem Verordnungsentwurf in Aussicht genommenen Ausnahmen vom Bundesrat übernommen werden und ob der Bundesrat überhaupt dem Wunsch des Bundestages auf Einführung eines Verbotes für den Lastkraftwagenverkehr an Sonntagen entsprechen wird. Sollte der Bundesrat sich zu einer solchen Regelung entschließen, so werden dann sicherlich die erforderlichen Kontrollen vorzunehmen sein, für deren Vornahme eine Rechtsgrundlage jetzt nicht vorliegt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211604400
Zusatzfrage!

Willy Max Rademacher (FDP):
Rede ID: ID0211604500
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß schon einmal eine private Zählung stattgefunden hat, die ergab, daß sich ungefähr 18 % des gesamten Verkehrs an Sonn- und Feiertagen auf den Straßen bewegen und daß von diesen 18 % etwa 80 % unter die von Ihnen beabsichtigten Ausnahmen fallen würden? Ich glaube, Herr Bundesminister, Sie sollten vielleicht auch die Frage beantworten, ob Sie dann nicht auch der Meinung sind, daß, wenn eine amtliche Zählung diese Tatsache bestätigen würde, sie dem Bundesrat für seine endgültige Entscheidung rechtzeitig bekannt sein müßte.

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0211604600
Mir ist bekannt, daß private Zählungen vorgenom-


(Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm)

men worden sind. Welchen Wert sie haben und ob sie zuverlässig sind, kann ich nicht angeben. Sie sind infolgedessen für diese Frage wohl nicht entscheidend. Der Bundesrat wird seinerseits wissen müssen, was er für notwendig hält, als Material für seine Beschlußfassung heranzuziehen.

(Sehr gut! in der Mitte.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211604700
Frage 9 — Abgeordneter Kahn-Ackermann — betreffend die atmosphärische Radioaktivität in der Bundesrepublik. Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Atomfragen!

(Lachen und Zurufe von der SPD.)


Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0211604800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf dem Herrn Kollegen Kahn-Ackermann folgendes erwidern: Die radioaktive Luftüberwachung wird in der Bundesrepublik auf dem Schauinsland und auf dem Königstuhl bereits seit mehreren Jahren durchgeführt. Die physikalischen Institute der Universitäten in Freiburg und Heidelberg unter Leitung der Professoren Dr. Gentner und Dr. Haxel haben sich dieser wichtigen Aufgabe angenommen. Um die notwendigen Untersuchungen zu fördern, sind vom Bundesministerium des Innern für 1954 und 1955 etwa 200 000 DM zur Verfügung gestellt worden.
Die bisherigen Messungen einschließlich der in den letzten Tagen vorgenommenen Messungen haben ergeben, daß von einer Gefährdung der deutschen Bevölkerung durch radioaktive Schwaden, die von Atomversuchen im Ausland stammen, nicht die Rede sein kann. Die Radioaktivität in der Luft hat sich gegenüber ihrem normalen Maße, das ohne Atomversuche gegeben ist, nur unwesentlich, etwa um ein Zehntel, erhöht. Die befragten Wissenschaftler haben ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die festgestellte Radioaktivität in der Luft vollkommen ungefährlich ist. Dies möchte ich nach den vorliegenden einwandfreien Untersuchungsergebnissen, die sich sowohl auf die Luft als auch auf die Niederschläge beziehen, ausdrücklich betonen.
Mir erscheint auch der Hinweis notwendig, daß die äußerst geringfügige Erhöhung der Radioaktivität in der Luft, die vor etwa 14 Tagen festgestellt wurde, sich durchaus in dem Rahmen bewegte, der nach früheren Atomversuchen im Ausland in der Bundesrepublik festgestellt wurde.
Nach diesen Ergebnissen bestand für die Bundesregierung kein Anlaß, wie ich hier im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen zum Ausdruck bringen darf, irgendwelche Maßnahmen auf außenpolitischem Gebiet zu ergreifen.
Ich darf noch hinzufügen, daß die radioaktive Luftüberwachung in verstärktem Maße fortgesetzt wird. Es ist beabsichtigt, zehn Wetterstationen einzurichten, die sich über die gesamte Bundesrepublik erstrecken und laufend die notwendigen Untersuchungen vornehmen werden. Auch wird sich das Bundesministerium für Atomfragen in seiner Arbeit eingehend mit der Frage des Schutzes der Bevölkerung vor radioaktiven Stoffen befassen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211604900
Zusatzfrage?

Georg Kahn-Ackermann (SPD):
Rede ID: ID0211605000
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß man seit den amerikanischen
Atomversuchen von Eniwetok mindestens beim Großversuch damit rechnet, daß ungefähr nach einer Zeit von vier Monaten 2,7 t strahlendes Material mit sehr langen Halbwertzeiten, mit Halbwertzeiten von über fünf Jahren, in der Atmosphäre übrigbleiben und daß es außerordentlich widerspruchsvolle Zeugnisse über den Umfang und die Art der Konzentration dieses radioaktiven Staubes in der Atmosphäre und darüber, wie er auf die Erdoberfläche niederrieselt, gibt? Im übrigen, ist Ihnen bekannt, Herr Bundesminister, daß in dem letzten Bericht der Universität Freiburg die Rede davon ist, es könne nicht ausgeschlossen werden, daß unter ungünstigen Niederschlagsverhältnissen auch bei den Konzentrationen, wie sie über der Bundesrepublik gemessen worden sind, Schädigungen eintreten könnten?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0211605100
Ich muß mich bei meinen Angaben, die ich eben gemacht habe, auf die Antworten berufen, die ich auf meine Anfragen hin von den vorhin genannten Instituten erhalten habe.
Es handelt sich hier einmal um die wissenschaftliche Festlegung der normalen Gefahrengrenze. Als normale Gefahrengrenze wurden 300 Milliröntgen pro Woche angegeben.
Die normale Radioaktivität, die auch ohne Atomversuche gegeben ist, beträgt am Tage, um Ihnen eine genaue Zahl zu bieten, etwa 1 Milliröntgen; das wären in der Woche 7 Milliröntgen. Wenn man zugrunde legt, daß sich die normale Radioaktivität etwa 'um 10 °/o erhöht, wären das statt '7 Milliröntgen pro Woche etwa 7,7 Milliröntgen pro Woche. Das hält sich im Hinblick auf die mit 300 Milliröntgen pro Woche angegebene Gefahrengrenze noch in einem Bereich, der uns veranlaßt, die Auskunft zu geben, die ich eben gegeben habe.
Es ist natürlich auch der Bundesregierung bekannt, daß die wissenschaftlichen Meinungen über die Gefährdung der Bevölkerung durch radioaktive Schwaden nicht einheitlich sind. Wir haben aber allen Grund, die Professoren Dr. Gentner und Dr. Haxel sowie Professor Riezler hier in Bonn als echte Autoritäten anzuerkennen. Wir werden keine zuverlässigere Auskunft bekommen, als sie uns von ihnen erteilt worden ist.
Um aber die Kontrollmaßnahmen zu verschärfen, um ein dichteres Netz von Kontrollstationen zu erlangen, werden sich nicht nur die physikalischen Institute der Universitäten Freiburg, Heidelberg und in Zukunft auch Bonn, sondern außerdem die vorhin erwähnten, noch zu errichtenden zehn Wetterstationen mit der Aufgabe befassen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211605200
Zusatzfrage?

Georg Kahn-Ackermann (SPD):
Rede ID: ID0211605300
Ich bitte um die Beantwortung des zweiten Teils meiner Frage, was die Bundesregierung auf internationalem Gebiet zu tun beabsichtige.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0211605400
Ich habe während meiner Antwort ausgeführt, was ich hiermit wiederholen darf, daß ich im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen erklären dürfe, daß nach diesen Ergebnissen, wie ich sie erwähnt habe, für die Bundesregierung kein Anlaß besteht, irgendwelche Maßnahmen auf außenpolitischem Gebiet zu ergreifen. Ich darf das dahin kommentieren: die Aussagen sämtlicher wissenschaftlicher Institute rechtfertigen es nicht, ge-


(Bundesminister Strauß)

genüber den Großmächten, die Atomversuche unternehmen, von einer akuten Gefährdung der Bevölkerung durch radioaktive Strahlen zu sprechen.

Georg Kahn-Ackermann (SPD):
Rede ID: ID0211605500
Eine letzte Zusatzfrage. Ist der Bundesregierung bekannt, ob andere Staaten derartige Schritte, wie sie in meiner Frage angedeutet sind, bei den Regierungen der Vereinigten Staaten und der UdSSR vorhaben?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0211605600
Ich möchte die Beantwortung dieser Frage dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen überlassen. Ich weiß aus Presseberichten, daß beispielsweise indische Staatsmänner erklärt haben, sie würden Schritte dieser Art unternehmen. Aber die Zuständigkeit, Feststellungen dieser Art zu treffen, liegt außerhalb des Bereichs meines Ressorts.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211605700
Frage 10 des Abgeordneten Heide betreffend die Sprengkammern in den Pfeilern der Arnsberger Klosterbrücke. Das Wort zur Beantwortung hat der Bundesminister für Verteidigung.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0211605800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf Ihre Frage, Herr Kollege Heide, wie folgt beantworten. Als im Jahre 1953 die britischen Besatzungstruppen den Einbau von Sprengkammern in die wiederaufzubauende Klosterbrücke in Arnsberg forderten, habe ich am 28. November 1953 dagegen mit der Begründung Einspruch erhoben, daß im Ernstfall das Hindernis ohne Schwierigkeiten umfahren werden könne. Ich habe weiter darauf hingewiesen, 'daß bei einer Sprengung der Brücke zahlreiche Versorgungsleitungen für Gas, Wasser und Strom zerstört und dadurch die lebenswichtige Versorgung der beiderseits der Ruhr gelegenen Stadtteile von Arnsberg gefährdet würden.
Wie ich mich durch Rückfrage bei dem Ministerium für Wirtschaft und Verkehr in Düsseldorf versichert habe, sind entsprechend diesem meinem Einspruch Sprengkammern in die unterdessen fertiggestellte Brücke nicht eingebaut worden.
Nach dem 5. Mai 1955 können Zerstörungseinrichtungen in Bauwerken nur mit Einverständnis der Bundesregierung vorgesehen werden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211605900
Eine Zusatzfrage?

Johann Karl Heide (SPD):
Rede ID: ID0211606000
Ist dem Herrn Minister bekannt, daß am 3. November 1955 in. Arnsberg eine Besprechung mit Vertretern des Landesstraßenbauamtes Meschede, einem Beauftragten der militärischen Streitkräfte und Vertretern der Stadtverwaltung Arnsberg stattgefunden hat und sich hier der Eindruck deutscher Dienststellen ergab, daß sowohl das Verkehrsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen als auch das Verteidigungsministerium in Bonn erklärt haben sollen, die Sprengkammern in der Arnsberger Klosterbrücke müßten eingebaut werden? Wenn ja, sollten dann nicht deutsche höhere Dienststellen dem Verlangen Ausdruck geben, sich von der Notwendigkeit solcher Maßnahmen zu überzeugen, und eventuell intervenieren? Herr Minister, ich verweise auf diese am 3. November 1955 stattgefundene Besprechung.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0211606100
Ich beantworte Ihre Zusatzfrage wie folgt. Es ist mir nicht bekannt, daß am 3. November solche Besprechungen stattgefunden haben. Ich werde Rückfrage halten und eine entsprechende Weisung erteilen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich von meiner Begründung vom 28. November 1953, an deren sachlichem Gehalt sich nichts geändert hat, jetzt abzuweichen bereit wäre.

Johann Karl Heide (SPD):
Rede ID: ID0211606200
Ich danke, Herr Minister!

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211606300
Frage 11 des Abgeordneten Stingl betreffend Kindergeldzahlungen für die Arbeiter der Bundesdruckerei in Berlin. Das Wort zur Beantwortung hat der Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0211606400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Zahlung des Kindergeldes an die Arbeiter der Bundesdruckerei in Berlin fehlt es zur Zeit an einer Rechtsgrundlage. In Kürze kann jedoch wohl mit der Verabschiedung des Kindergeld-Ergänzungsgesetzes gerechnet werden. Nach dem Entwurf dieses Gesetzes sollen auch die Arbeiter der Bundesdruckerei in Berlin das Kindergeld erhalten, und zwar rückwirkend ab 1. Januar 1955.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211606500
Eine Zusatzfrage?

Josef Stingl (CDU):
Rede ID: ID0211606600
War es nicht möglich, Herr Staatssekretär, vorher eine Betriebsvereinbarung unter Dach und Fach zu bringen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0211606700
Herr Abgeordneter, das ist mir nicht bekannt. Aber ich glaube, wenn eine gesetzliche Rechtsgrundlage notwendig ist, kann man das Gesetz nicht durch eine Betriebsvereinbarung ersetzen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211606800
Frage 12 des Abgeordneten Stingl betreffend Nachuntersuchungen der Kriegsbeschädigten des 1. Weltkriegs. Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Bundesminister für Arbeit.

Anton Storch (CDU):
Rede ID: ID0211606900
Herr Präsident! — Herr Abgeordneter Stingl, ich möchte Ihnen in Beantwortung Ihrer Frage folgendes sagen: Eine Nachuntersuchung dieser Beschädigten ist nicht schlechthin untersagt, sie ist aber praktisch als abgeschlossen anzusehen. Die obersten Arbeitsbehörden der Länder haben die Versorgungsämter entsprechend angewiesen und sich die Entscheidung selbst vorbehalten, wenn das Versorgungsamt glaubt, in einem Ausnahmefall die Nachuntersuchung eines Beschädigten des ersten Weltkrieges durchführen zu müssen.

Josef Stingl (CDU):
Rede ID: ID0211607000
Danke sehr!

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211607100
Frage 13 des Abgeordneten Stingl betreffend steuerliche Maßnahmen für alte Menschen, die durch die Währungsreform ihre Ersparnisse für das Alter verloren haben. Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0211607200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Tatsache, daß viele ältere Steuerpflichtige durch die Währungsumstellung die


(Staatssekretär Hartmann)

Grundlagen ihrer Altersvorsorge verloren haben, trägt das Einkommensteuergesetz bereits Rechnung. Um diesen Personen den Neuaufbau ihrer Altersvorsorge steuerlich zu erleichtern, wird der Abzug ihrer Aufwendungen für die Zukunftsicherung nach § 10 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes besonders begünstigt, und zwar dadurch, daß bei über 50 Jahre alten Steuerpflichtigen, die überwiegend Einkünfte aus selbständiger oder nichtselbständiger Arbeit haben oder deren steuerpflichtiges Vermögen nicht mehr als 40 000 DM beträgt, die Höchstbeträge verdoppelt werden, bis zu denen die Aufwendungen für die Zukunftsicherung als Sonderausgaben abgezogen werden dürfen. Danach kann ab 1. Januar 1955 z. B. ein über 50 Jahre alter verheirateter Steuerpflichtiger mit Kinderermäßigung für ein Kind Ausgaben für seine Zukunftsicherung bis zum Betrag von 4200 DM jährlich voll abziehen. Übersteigen die Aufwendungen 4200 DM, so kann er den Mehrbetrag zur Hälfte, höchstens jedoch weitere 2100 DM absetzen.
Als Ausgaben für die Zukunftsicherung kommen Bausparkassenbeiträge, Versicherungsprämien und Beiträge auf Grund eines steuerbegünstigten Kapitalansammlungsvertrages in Betracht. Da dem Abschluß eines langfristigen Kapitalansammlungsvertrages für die Zukunftsicherung von derartigen Steuerpflichtigen erhöhte Bedeutung zukommt, ist die steuerliche Begünstigung von Kapitalansammlungsverträgen für die Zeit nach dem 31. Dezember 1954 beibehalten worden. Auch hier werden die über 50 Jahre alten Steuerpflichtigen besonders begünstigt. Für sie verkürzt sich die allgemeine zehnjährige Sperrfrist der angesammelten Beträge auf sieben Jahre.
Ich darf hier auch die für ältere Personen bestehenden tariflichen Vergünstigungen erwähnen. Erstmals für das Kalenderjahr 1955 erhalten verheiratete Steuerpflichtige, die nach der Steuerklasse II oder III besteuert werden, und unverheiratete Personen mit Kinderermäßigung einen Altersfreibetrag von 720 DM, wenn sie vier Monate vor dem Ende des Veranlagungszeitraums das 70. Lebensjahr vollendet haben. Ältere unverheiratete Steuerpflichtige, die an sich in die Steuerklasse I fallen, werden insofern begünstigt, als sie mit 55 Jahren nach der günstigeren Steuerklasse II besteuert werden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211607300
Eine Zusatzfrage?

Josef Stingl (CDU):
Rede ID: ID0211607400
Halten Sie es nicht für zweckmäßig, für alte Menschen über 65 Jahre die Sperrfrist noch zu verkürzen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0211607500
Herr Abgeordneter, das ist eine Frage der Gesetzgebung. Ich glaube, nachdem erst vor einem Jahr das Hohe Haus die von mir vorgetragenen gesetzlichen Regelungen beschlossen hat, sollte man zunächst die Erfahrungen damit abwarten.

(Sehr richtig! in der Mitte.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211607600
Frage 14 des Abgeordneten Ritzel betreffend die Ausgabe von Streifbändern mit eingedruckten Marken ohne Preiszuschlag. Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0211607700
Ich darf die Anfrage des Herrn
Kollegen Ritzel wie folgt beantworten. Die Deutsche Bundespost muß als Sondervermögen des Bundes ihre Ausgaben aus ihren Einnahmen dekken. Im Grundsatz muß sie demnach bestrebt sein, ihre Tarife den Kostenpreisen anzugleichen. Der Dienstzweig Drucksachenbeförderung ist einwandfrei ein Zuschußbetrieb, obwohl erst unlängst die Gebühren hierfür angehoben wurden. Die von Ihnen, Herr Kollege Ritzel, geforderte kostenlose Abgabe von Streifbändern mit eingedrucktem Wertstempel würde für die Deutsche Bundespost eine erhöhte Zuschußpflicht für den Drucksachendienst bedeuten, was ich aus wirtschaftlichen Gründen nicht vertreten kann.
Es ist dabei zu bedenken, daß heute schon bei rund 12 000 Dienststellen der Deutschen Bundespost 132 verschiedene Wertzeichen bereitzuhalten sind und daß die Deutsche Bundespost etwa 26 000 Postdienststellen mit Vorräten an Streifbändern ausstatten müßte. Großversender haben an diesen Streifbändern kein Interesse. Für Kleinversender halten die privaten Papierhandlungen Streifbänder ohne Frankierung bereit, die vom Postbenutzer mit den üblichen Wertzeichen freigemacht werden können. Es entspricht der Tendenz der Deutschen Bundespost, soweit irgend angängig die Abgabe von Briefumschlägen, Streifbändern usw. dem Kleinhandel zu überlassen und auf diese Weise auch die Postschalter zu entlasten.
Im Verfolg der Frage Nr. 6 — Drucksache 267 — vom 11. März 1954 sind die Postämter erneut angewiesen worden, die Postbenutzer darauf hinzuweisen, daß sie Streifbänder von der Deutschen Bundespost gegen eine geringe Gebühr mit Wertstempeln bedrucken lassen können. Von dieser Möglichkeit ist aber so wenig Gebrauch gemacht worden, daß hieraus geschlossen werden darf, daß kein ausgeprägtes Interesse der Postbenutzer daran besteht, Streifbänder mit eingedruckten Wertstempeln zu benutzen. Ein Vergleich mit der Schweiz ist deshalb kaum angängig, weil die Betriebsverhältnisse dort schon ihres Umfanges wegen völlig anders liegen als bei uns.

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0211607800
Eine Zusatzfrage!

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211607900
Herr Abgeordneter Ritzel, eine Zusatzfrage!

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0211608000
Hat sich der Herr Bundespostminister oder hat sich die Bundespostverwaltung einmal über das rechnerische Ergebnis gerade der Schweiz bei Ausgabe solcher Streifbänder informiert? Meines Wissens ist von der Gefahr einer Vergrößerung des Defizits oder erheblich vermehrter Unkosten dort nicht die Rede.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0211608100
Herr Kollege Ritzel, die wirtschaftliche Gefahr für uns besteht nicht etwa in dem finanziellen Ergebnis des Verkaufs, sondern in der großen Lagerhaltung. Wir müssen dann sämtliche Postdienststellen damit ausrüsten. Das ist eine unwirtschaftliche Lagerhaltung, die wir uns ersparen wollen.

(Abg. Ritzel: Ich dachte, es sei Dienst am Kunden!)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211608200
Frage 15, Abgeordneter Josten, betrifft die Entlastungsstraße vom Raume Bonn bis Speyer über den Hunsrück und die vordere Eifel. Das Wort zur Beantwortung hat der Bundesminister für Verkehr.


Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0211608300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß die Verbesserungen an der Bundesstraße 9 für die Zukunft den Bau einer Entlastungsstraße vom Raume Bonn bis Speyer über Hunsrück und Eifel überflüssig machen. Denn infolge der Verhältnisse im Rheintal ist der dort zur Verfügung stehende Raum so gering, daß er es nicht zuläßt, die Bundesstraße 9 bei weiter wachsendem Verkehr etwa auf vier Fahrspuren unter Beibehaltung der notwendigen Nebenspuren auszubauen. Die Planungen für eine solche Entlastungsstraße sehen vor, daß sie zwischen dem Nahe- und dem Moseltal über den vorderen Hunsrück führt und dabei Teilstrekken der Bundesstraßen 50 und 327 mit benutzt. Die Planung ist in diesem Teil in großen Zügen abgeschlossen. Durch teilweisen Ausbau von Landstraßen erster Ordnung und unter Benutzung der Bundesstraße 40 zwischen Wörrstadt und Alzey soll diese Entlastungsstraße dann direkt in Richtung Worms weiter fortgesetzt werden. Zwischen Worms und Speyer dürfte ein entsprechender Ausbau der Bundesstraße 9 so durchführbar sein, daß er auch den Erfordernissen steigenden Verkehrs gerecht wird.
Die Planung der Strecke zwischen dem Moseltal und Bonn, wo es besonders schwierige Geländeverhältnisse zu überwinden gibt, ist dagegen noch nicht abgeschlossen. Nördlich Koblenz soll die Entlastungsstraße einen Anschluß an die vorgesehene Autobahn Montabaur—Koblenz erhalten und einen Anschluß an die im Zuge dieser Autobahn nach Trier geplante Autoschnellstraße.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211608400
Eine Zusatzfrage.

Johann Peter Josten (CDU):
Rede ID: ID0211608500
Wann soll nach Ansicht des Herrn Ministers mit der Teilentlastungsstrecke der B 9, und zwar zwischen Koblenz und Bingen, begonnen werden?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0211608600
Wenn wir mit dem Ausbau der B 9 fertig sind.

(Heiterkeit.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211608700
Frage 16 - Abgeordneter Dr. Schellenberg — betrifft den Verbleib der Bezirksverwaltungen der Berufsgenossenschaften in Berlin. Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Bundesminister für Arbeit.

Anton Storch (CDU):
Rede ID: ID0211608800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Soweit das im Rahmen der Selbstverwaltung möglich ist, werde ich meinen Einfluß dahin geltend machen, daß die Bezirksverwaltungen der meiner Aufsicht unterstehenden Berufsgenossenschaften uneingeschränkt in Berlin verbleiben. Es ist mir aber auch kein Fall bekannt, daß eine Bezirksverwaltung einer Berufsgenossenschaft Berlin verlassen hat oder die Absicht hegt, eine Verlegung vorzunehmen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211608900
Eine Zusatzfrage.

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0211609000
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß die Betriebsabteilung der Norddeutschen Holz-Berufsgenossenschaft verlegt wurde? Sind Sie bereit, auf Grund Ihrer Erklärung dahin zu wirken, daß a 11 e Berufsgenossenschaften Bezirksstellen in Berlin unterhalten und auch, ungeachtet der Rechte der Selbstverwaltung, in Erwägung gezogen wird, Hauptverwaltungen nach Berlin zu verlegen?

Anton Storch (CDU):
Rede ID: ID0211609100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, derartige Forderungen an die Berufsgenossenschaften zu stellen, bin ich nicht berechtigt. Wir wissen, daß die Berufsgenossenschaften, wie alle Träger der Sozialversicherung, eine Selbstverwaltung haben. Wir werden selbstverständlich alles tun, um den 22 Berufsgenossenschaften nahezulegen, ihre Niederlassungen, die sie heute in Berlin haben, unbedingt aufrechtzuerhalten.
Soweit die Holz-Berufsgenossenschaft in Frage kommt, handelt es sich doch nur darum, daß sie die Katasterabteilung zur Hauptverwaltung nach Bielefeld verlegt hat. Das ist eine rein verwaltungsmäßige Maßnahme, die im Zuge der Rationalisierung der Arbeit notwendig geworden ist.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211609200
Eine letzte Zusatzfrage.

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0211609300
Wäre es nach Ihrer Meinung nicht möglich gewesen, ohne in die Rechte der Selbstverwaltung einzugreifen, dahin zu wirken, daß, wenn derartige Verlegungen stattfinden, eine Verlegung nach Berlin und nicht von Berlin weg erfolgt?

Anton Storch (CDU):
Rede ID: ID0211609400
Ich bin allerdings nicht in der Lage, Ihnen zu sagen, ob ein derartiger Weg gegangen werden soll. Die Berufsgenossenschaft hat ihren Sitz in Bielefeld, und wenn sie irgendeine Abteilung, die sie bisher noch in Berlin unterhalten hat, aus rein geschäftsmäßigen Gründen zur Hauptstelle verlegen muß, dann würde man mich wahrscheinlich bei der Berufsgenossenschaft etwas sonderbar ansehen, wenn ich die Forderung aufstellen sollte, statt diese Katasterabteilung nach Bielefeld zu verlegen, die ganze Berufsgenossenschaft nach Berlin umsiedeln zu lassen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211609500
Frage 17 — Abgeordneter Dr. Schellenberg — betrifft das Dritte Gesetz zur Änderung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes. Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit.

Anton Storch (CDU):
Rede ID: ID0211609600
Herr Professor, diese Frage kann ich Ihnen mit einem glatten Nein beantworten.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211609700
Eine Zusatzfrage?

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0211609800
Eine Zusatzfrage! Herr Minister, warum haben Sie nicht sofort im August dafür Sorge getragen, daß der Schnellbrief, der eine Unruhe bei den Witwen hervorgerufen hat und der auch das Ansehen des Parlaments in der Öffentlichkeit in eine zwielichtige Situation gebracht hat, richtiggestellt wurde?

Anton Storch (CDU):
Rede ID: ID0211609900
Der Schnellbrief des Verbandes deutscher Rentenversicherungsträger vom 13. August 1955 war dem Bundesministerium für Arbeit vor Ihrer heutigen Anfrage überhaupt nicht bekannt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211610000
Eine Zusatzfrage.


Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0211610100
Herr Minister, hat das Bundesarbeitsministerium keine Kenntnis von den zahlreichen Presseveröffentlichungen, in denen dieser Schnellbrief zitiert wurde?

Anton Storch (CDU):
Rede ID: ID0211610200
Ich kann mich nicht entsinnen, daß mir eine derartige Sache vorgelegt worden ist.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211610300
Frage 18 - Abgeordneter Ritzel — betreffend die Umwandlung von bisher selbständigen Postämtern in Zweigpostämter. Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0211610400
Ich darf die Anfrage wie folgt beantworten. Für die Entscheidung der einzelnen Oberpostdirektionen über die Umwandlung von bisher selbständigen Postämtern in Zweigpostämter sind ausschließlich Rationalisierungsinteressen der Deutschen Bundespost maßgebend. Berechtigte Belange der Gemeinden und Bereiche werden durch eine solche Umwandlung nicht berührt, da diese nur die innere Betriebsverwaltung beeinflußt. Im Annahme-, Ausgabe- und Zustellungsdienst treten keine Änderungen ein. Die Notwendigkeit einer Fühlungnahme mit den Gemeinden und den Kreisen der Wirtschaft besteht daher nicht, jedoch werden diese Stellen unterrichtet.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211610500
Eine Zusatzfrage?

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0211610600
Ist Ihnen bekannt, Herr Minister, daß in einzelnen Fällen, in denen eine solche Umwandlung von Postämtern erfolgt ist, die Wirtschaft gewünscht hat, gehört zu werden, aber nicht gehört worden ist?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0211610700
Das ist mir nicht bekannt; denn ich pflege dafür zu sorgen, daß die Kreise der Wirtschaft selbstverständlich gehört werden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211610800
Die Frage 19 des Abgeordneten Lotze betrifft die Bundesstraße 4 nördlich Uelzen am Hoystorfer Berg. Der Herr Bundesminister für Verkehr zur Antwort!

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0211610900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesstraße 4 weist in ihrem Verlauf eine ganze Reihe von Strecken auf, die ebenso wie das Stück am Hoystorfer Berg nicht befriedigend ausgebaut sind. Ich erinnere nur an die Durchfahrt Bienenbüttel, die jetzt durch eine Umgehungsstraße verbessert werden soll. Schon vor längerer Zeit ist die niedersächsische Straßenbaudirektion von uns aufgefordert worden, für die nach unserer Meinung wichtigsten Verbesserungen im Zuge der Bundesstraße 4 baureife Entwürfe vorzulegen, ohne die bekanntlich eine Aufnahme dieser Arbeiten in den Bundeshaushaltsplan nicht erfolgen kann. Die niedersächsische Straßenbaudirektion hat sich mit besonderem Nachdruck für den Ausbau des Abschnitts Kirchweyhe—Tätendorf eingesetzt. Diese Teilstrecke der Bundesstraße 4, die den Hoystorfer Berg enthält, ist daher im Bundeshaushalt 1956/57 mit einem Betrag von 500 000 DM, der für ihren frostsicheren und verkehrssicheren Ausbau ausreichen dürfte, berücksichtigt. Bei Genehmigung des Bundeshaushalts kann daher mit einer Beseitigung der Schwierigkeiten am Hoystorfer Berg im nächsten Jahr gerechnet werden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211611000
Eine Zusatzfrage?

(Abg. Lotze: Danke schön!)

Die Frage 20 des Abgeordneten Funk betrifft den Berufsverkehr im Raum Schweinfurt. Das Wort zur Antwort hat der Herr Bundesminister für Verkehr.

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0211611100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie mir die Bundesbahn auf meine Rückfrage berichtet hat, sind die Berufszüge im Schweinfurter Raum nicht stärker besetzt als in den übrigen Bezirken. Nach neueren Zählergebnissen beträgt die Überbesetzung nach dieser Mitteilung im wesentlichen bis zu 25 °/o, nur in wenigen Ausnahmefällen bis zu 50 °/o; Trittbrettfahrer sind bisher nicht festgestellt worden.
Wie schon früher einmal dargelegt, fehlen zur ausreichenden Bedienung des Berufsverkehrs der Deutschen Bundesbahn rund 3000 Wagen. Ihre Beschaffung war bisher aus finanziellen Gründen nicht möglich; denn die Kosten dafür betragen rund 500 Millionen DM. Die Bundesbahn hat deshalb ein Umbauprogramm entwickelt, durch das die hölzernen Aufbauten älterer dreiachsiger Wagen durch geräumigere, stählerne Wagenkästen ersetzt werden, die besser ausgestattet sind. Bis Ende 1955 sind 2700 dreiachsige Wagen so hergerichtet; bis Ende 1956 werden weitere 1500 Wagen umgebaut sein. Außerdem will die Bundesbahn bis Ende 1957 weitere 400 bis 500 Wagen, und zwar ältere Drehgestellwagen, umbauen. Der Wagenpark für den Berufsverkehr wird durch diese Maßnahmen zwar nicht vergrößert, aber immerhin erheblich verbessert, da das Sitzplatzangebot je Waggon um 15 bis 20 0/o erhöht wird.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211611200
Eine Zusatzfrage?

(Abg. Funk: Danke schön!)

— Es wird verzichtet.
Die Frage 21 des Abgeordneten Meyer (WanneEickel) betrifft Erfahrungen mit der Fünften Berufskrankheiten-Verordnung und den Erlaß einer Sechsten Berufskrankheiten-Verordnung. Das Wort zur Antwort hat der Herr Bundesminister für Arbeit.

Anton Storch (CDU):
Rede ID: ID0211611300
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Abgeordneter, auf Ihre Frage habe ich folgendes zu sagen.
1. Erfahrungsberichte über die Auswirkungen der Fünften Berufskrankheiten-Verordnung vom 26. Juli 1952 werden von den Länderreferenten schon seit längerer Zeit übersandt. Nach Abschluß der Ermittlungen werden die Unterlagen in einem zusammenfassenden Erfahrungsbericht zur Verfügung gestellt werden.
2. Die Herausgabe von Durchführungsanweisungen zu den Bestimmungen der Fünften Berufskrankheiten-Verordnung ist in Vorbereitung.
3. Eine Sechste Berufskrankheiten-Verordnung wird zur Zeit vorbereitet. Wie weit die Anerkennungsdaten vorverlegt werden können, wird gegenwärtig noch geprüft.
Meyer (Wanne-Eickel) (SPD): Danke schön!

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211611400
Zusatzfragen werden nicht gestellt.


(Präsident D. Dr. Gerstenmaier)

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Fragestunde. Die Fragen sind knapp zur Hälfte beantwortet. Ich darf noch einmal bitten, daß Zurückhaltung geübt wird entweder bei der Stellung von Fragen oder — was viel besser ist — bei der Stellung von Zusatzfragen. Aber ich darf auch an die Herren Minister die Bitte richten, sich bei der Beantwortung der Fragen möglichst kurz zu fassen.
Wir kommen damit zum Punkt 2 der Tagesordnung. Ich rufe auf:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Verhalten des Bundeskanzlers im Falle Schmeißer (Drucksache 1733).
Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage hat der Herr Abgeordnete Kühn.

Heinz Kühn (SPD):
Rede ID: ID0211611500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich die Große Anfrage meiner Fraktion begründe, möchte ich ausdrücklich anerkennen, daß sich der Herr Bundeskanzler sofort nach Einbringung unserer Anfrage zur Beantwortung bereit erklärt hat und lediglich seine Krankheit daran schuld ist, daß wir erst heute, zehn Wochen nach der von uns beanstandeten Beendigung des Prozesses, hier darüber reden können. Ich möchte zugleich bedauern, daß die erste direkte Auseinandersetzung mit dem Herrn Bundeskanzler nach seiner Wiedergenesung einen solchen Gegenstand zum Thema haben muß; denn niemand, der heute zu diesem Punkt der Tagesordnung zu sprechen hat, wird das mit dem wohlgemuten Gefühl, mit dem man in einen Streit der Meinungen und der Gesinnungen hineingeht, tun. Der Gegenstand unserer Großen Anfrage ist nicht der Stoff zu einer Sternstunde des Parlaments. Ich bitte Sie, mir zu glauben, daß die sozialdemokratische Fraktion keinerlei propagandistische Absichten gegen die Bundesregierung mit dieser Anfrage verbindet.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

— Es gibt einige unter Ihnen, die darob zu lachen scheinen. Verzeihen Sie, meine Damen und Herren, wenn ich trotz dieser naiven, vielleicht etwas entmutigenden Heiterkeit sage: wir möchten in dieser Affäre eine Situation schaffen, die es uns gestattet, auch u n s vor den Herrn Bundeskanzler zu stellen, nicht vor seine Person — Sie werden mir glauben, wenn ich sage: dafür ist das freundnachbarliche Verhältnis nicht gut genug —, aber vor ihn als den Träger einer Institution, der wir als Opposition genau so verpflichtet sind wie Sie. Wir fühlen uns als Opposition für das Ansehen des Staates und seiner durch das Grundgesetz geschaffenen Organe genau so verantwortlich wie alle anderen, und wir wünschen deshalb, daß die Beratung unserer Großen Anfrage aus dem Geiste dieser gemeinsamen Verantwortung geführt wird, die wir alle in diesem Hause haben, ohne Beschuldigungen und ohne Beschönigungen.
Deshalb noch eine Bemerkung vorweg, die ich mit aller Klarheit aussprechen möchte. Die sozialdemokratische Fraktion macht sich das Material der Beschuldigungen und Behauptungen- des ehemaligen Agenten Schmeißer nicht zu eigen. Das Geschmeiß aller Agentenfiguren, die als Giftblüten auf dem Sumpf von Krieg und Niederlage gediehen sind, ist für uns nicht Kronzeuge der innenpolitischen Auseinandersetzung.

(Abg. Dr. von Brentano: Bravo!) Wir legen Wert darauf, uns von denen zu unterscheiden, die gelegentlich etwas sehr freihändig mit unkontrollierten Agentenmeldungen in der innenpolitischen Auseinandersetzung verfahren.


(Beifall bei der SPD.)

Aber wenn nun einmal aus den Kehrichttonnen der Geheimdienste solche Beschuldigungen an die Öffentlichkeit gespült werden, gibt es nur zwei Verhaltensweisen. Entweder die eine — die ich verstehen würde —, daß eine Regierung sagt: Mit käuflichen Agenten kreuzen wir nicht die Klingen! Niedriger hängen! Unsere Handlungen stehen im Lichte der Öffentlichkeit, und damit ist für uns die Sache erledigt. Es gibt eine andere, eine zweite Verhaltensregel, die der Herr Bundeskanzler und die mit ihm Beschuldigten ergriffen haben: den Weg der Verleumdungsklage gegen diejenigen, die diese Behauptungen aufgestellt haben. Dann aber, meine Damen und Herren — und hier liegt der Kern unserer Kritik —, muß der angestrengte Prozeß bis zum unmißverständlichen Urteil durchgestanden werden.

(Beifall bei der SPD.)

Denn es waren schließlich schwerwiegende Beschuldigungen, die von dem Chefagenten des französischen Nachrichtendienstes gegen den Bundeskanzler Adenauer, den damaligen Zonenvorsitzenden der CDU, gegen den Botschafter Blankenhorn, den damaligen Generalsekretär der CDU, und gegen den Generalkonsul Reifferscheidt, den damaligen Wirtschaftsbeauftragten der CDU, erhoben worden sind.
Es geht hier nicht um die Glaubwürdigkeit dieser Beschuldigungen. Der Bundestag ist weder berufen noch imstande, die Richtigkeit oder Unrichtigkeit solcher Behauptungen zu entscheiden. Der Herr Bundeskanzler hat ja auch den Weg einer prozessualen Klärung beschritten. Allein um die Art und Weise, wie dieser Prozeß nach dreijähriger Vorbereitung in einer Form abgebrochen wurde, die Bestürzung und Befremdung innerhalb und außerhalb unseres Landes ausgelöst hat, geht es hier.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0211611600

Ist sich die Bundesregierung bewußt, daß die Art, wie durch Rücknahme der Strafanträge das Strafverfahren gegen Schmeißer ohne Beweisaufnahme und ohne gerichtlichen Urteilsspruch zur Einstellung gelangte, geeignet ist, das Vertrauen in die Sauberkeit des öffentlichen Lebens in der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden?
Noch nie sind Sie, Herr Bundeskanzler, so sehr Gegenstand allgemeiner Kritik auch bei Ihren beifallsbereitesten Anhängern gewesen wie angesichts dieses, wie eine sehr bekannte Zeitung geschrieben hat, „peinlichen Eindrucks eines ungewöhnlichen Verhaltens".
Ich will einige dieser Stimmen zitieren, und Sie werden sehen, daß es keine sind, die der Opposition nahestehen. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" — nachdem Paul Sethe weggetreten wurde, doch wohl nahezu uneingeschränkt regierungstreu

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

hat gesagt, es sei unakzeptabel, „einen mehr oder
minder privaten Prozeßvergleich als eine befriedigende Lösung einer primär politischen Affäre hin-


(Kühn [Köln])

zunehmen". Die „Neue Zürcher Zeitung", eine traditionell, würde ich sagen, kanzlerfreundliche, sehr bedeutende Schweizer Zeitung — bei der man auch sagen kann, daß, nachdem Herr Geilinger nach freundlicher Regierungsbeteiligung wegexperimentiert worden ist, nun der letzte Schimmer einer Oppositionsverdächtigkeit weggefallen ist —, hat geschrieben, sie sei „überrascht, verwirrt und ziemlich bestürzt". Sie hat wörtlich geschrieben, daß sie ein „Unbehagen über diesen Kompromiß empfinde".
Selbst die „Kölnische Rundschau" — ich sage bewußt: selbst die „Kölnische Rundschau"! — kann einen sanften Tadel nicht unterdrücken und schreibt:
Die Auffassung kann nicht unterdrückt werden, es wäre besser gewesen, das Verfahren bis zum Urteilsspruch durchzuführen.
Der Herr Ministerpräsident Hellwege, aus dem Kabinett des Herrn Bundeskanzlers hervorgegangen und im Besitze seines Vertrauens Ministerpräsident in Niedersachsen,

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

hat nach der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zum Prozeßausgang wörtlich gesagt, daß der „Ausgang des Prozesses als eine starke Zumutung an die Gutgläubigkeit der Staatsbürger" zu betrachten sei.
Gestatten Sie mir, als letzten Herrn Roegele aus dem „Rheinischen Merkur" zu zitieren,

(Heiterkeit bei der SPD)

der doch einer der eifrigsten intelektuellen Stabschefs für die Regierungsideologie ist, — ich glaube, daß ich das sagen kann, ohne Herrn Globke zu nahe zu treten!

(Große Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der SPD.)

Er hat in seinem Kommentar zu der Beendigung dieser prozessualen Affäre von einem „unerwarteten und schmählichen Ergebnis" gesprochen.
Ich habe nur wenige und dem Herrn Bundeskanzler selber sehr nahestehende Stimmen zitiert. Aber so spiegelt sich diese Affäre in Hunderten und Tausenden Blättern des Inlandes und des Auslandes. Deshalb sprechen wir hier darüber, nicht etwa, weil wir aus propagandasüchtigem Behagen in dieser Affäre rühren möchten,

(Lachen bei der CDU/CSU)

sondern weil das ganze Volk — meine Damen und Herren, nehmen Sie das mit dem notwendigen Ernst! — in seinem Vertrauen zu seinen staatlichen Institutionen erschüttert zu werden droht, eine Befürchtung, die in den Tagen, als dieser Prozeß aktuelles Gesprächsthema auch in Ihren Kreisen war, selbst ein erheblicher Teil der Herren, die hier auf den Regierungsbänken sitzen, geäußert hat. Es soll niemand auf die Vergeßlichkeit der Öffentlichkeit spekulieren. Scheinbar ins Vergessen abgesunkene Peinlichkeiten und Versäumnisse werden in Krisenzeiten eines Volkes wieder an die Oberfläche gespült und bilden dann den Rohstoff der Demagogen und Verleumder.
Der Dunstkreis der Schmeißer-Affäre darf nicht unsere Innenpolitik vergiften. Das ist unser entscheidendes Anliegen. Es würde keine Partei dieses Hauses daraus einen dauernden Nutzen ziehen können, es sei denn die Partei der Antidemokratie, gegen die wir eine gemeinsame Front zu bilden haben. Unlängst hat eine EMNID-Befragung über das Ansehen des Parlaments und der Demokratie ein sehr erfreuliches Ergebnis gezeigt. Zwischen 1951 und 1955 hat sich der Kreis derjenigen, die sich sehr positiv zu diesem Hause und seinen Institutionen geäußert haben, verdoppelt, und der Kreis derjenigen, die ihm die Zensur „im Grunde gut" gegeben haben, immerhin von 28 % auf 43 % erhöht. Aber dieses Fundament ist nicht so stabil, daß man freventlich darauf herumtreten dürfte.
In dem Wunsche, vor diesem Parlament, dem der Herr Bundeskanzler politisch Rechenschaft schuldet, Klarheit über die Motive seines Verhaltens und über die Motive seiner Berater, die er politisch vor diesem Hause zu vertreten hat, zu gewinnen, haben wir eine Reihe von Fragen gestellt. Wir fragen:
Aus welchen Gründen haben Bundeskanzler Adenauer, Botschafter Blankenhorn und Generalkonsul Reifferscheidt es für angemessen und möglich gehalten, sich während der gerichtlichen Hauptverhandlung mit dem öffentlich wegen Verleumdung angeklagten früheren Agenten einer ausländischen Macht auf Vergleichsverhandlungen einzulassen?
Rekapitulieren wir ganz kurz den Verlauf der Tatsachen: Im Jahre 1952 läßt der Herr Bundeskanzler unter Zuhilfenahme von Tausenden von Polizisten eine Ausgabe des „Spiegel" beschlagnahmen und veranlaßt durch Strafanträge eine gerichtliche Untersuchung, die drei Jahre dauert. Das Gericht reist in Deutschland umher. Es gibt eine Fülle von Verhandlungen, Vernehmungen, umfangreiche Akten entstehen, Zeugen werden zum Teil mit dem Flugzeug aus Übersee herbeigeholt. Und da, nach Eintritt in die öffentliche Hauptverhandlung, nimmt der Herr Bundeskanzler seine Strafanträge gegen den Urheber und die Verbreiter der außerordentlich schwerwiegenden Beschuldigungen, gegen die er Verleumdungsklage erhoben hat, zurück, und er duldet, daß Beamte, für die er — ich wiederhole — vor diesem Hause die politische Verantwortung trägt, das gleiche tun. Er läßt es gerade noch zur Vernehmung des Hauptangeklagten zur Person kommen, und in diesem letzten Augenblick, bevor die Vershandlung in der Sache beginnt, erfolgt der Verzicht auf das laut proklamierte Prozeßziel, den Nachweis der Unwahrheit. Durfte sich der Herr Bundeskanzler darauf einlassen, auf die gerichtliche Klärung zu verzichten, noch dazu gerade in diesem Augenblick, als sie in greifbarer Nähe stand? Ist es für den Herrn Bundeskanzler angemessen, sich unter diesen Umständen während einer gerichtlichen Hauptverhandlung auf Vergleichsgespräche mit dem früheren Agenten einer auswärtigen Macht einzulassen? Durfte er dessen verklausulierte und den Kern der streitigen Behauptungen keineswegs betreffende Erklärungen als einen Ersatz für eine solche gerichtliche Klärung hinnehmen?
Es mag sein, daß die Initiative zu dem Prozeßvergleich von den Angeklagten ausgegangen ist. Auch dazu sind die Nachrichten sehr zwiespältig, und wir wären sehr dankbar, wenn wir von dem Herrn Bundeskanzler auch in dieser Frage eine klare Erklärung bekommen könnten. Die Tatsache des Vergleichs war politisch genau so unakzeptabel, wie die Begleitumstände, unter denen es zu diesem Vergleich gekommen ist, ungeeignet waren, den Eindruck der Peinlichkeit zu verhindern, der


(Kühn [Köln])

hier entstanden ist. Warum kam es zu diesem Vergleich? Warum wurde auf die gerichtliche Klärung verzichtet? Lohnte sich der Prozeß nicht mehr, wie „Die Welt" in einem Artikel gefragt hat? Der Herr Generalkonsul Reifferscheidt hat nach dem Vergleich, wie Pressemeldungen sagten, Herrn Schmeißer „ein armes Würstchen" genannt. Glaubte man, der Prozeß lohne sich nicht mehr? Dann, glaube ich, war aber auch die Schlußfolgerung der „Welt" richtig, wenn sie sagte: „Dieser Kompromiß hätte sich dann ebensogut bereits vor drei Jahren durchsetzen lassen."
Der „Rheinische Merkur" hat das zum Ausdruck gebracht, was auch unsere Überlegung ist: „Eine irgendwie geartete Zurücknahme der in tatsächlicher Hinsicht vom ‚Spiegel' auf Grund der Schmeißer-Aussage erhobenen Vorwürfe fand nicht statt", und — das ist das Entscheidende — der Widerruf, die Zurücknahme der Behauptungen erfolgte nicht.
Und so fragen wir in unserer Frage Nr. 3: Warum haben Bundeskanzler Adenauer, Botschafter Blankenhorn und Generalkonsul Reifferscheidt ihre Strafanträge zurückgenommen, obwohl die von den Angeklagten abgegebenen Erklärungen die Wahrheitsfrage offenließen und mit dem Gegenstand der Anklage nicht übereinstimmten?
Die Angeklagten haben, wie Sie alle wissen, lediglich erklärt, daß sie einen Vorwurf pflichtwidrigen oder ehrenrührigen Verhaltens nicht erheben. Die sachlichen Behauptungen haben sie nicht zurückgenommen und statt dessen eine nur, wie wir glauben, fälschlich als „Ehrenerklärung" ausgegebene Erklärung abgegeben. Denn diese Erklärung ist keine Ehrenerklärung! Darüber hatten nicht die Angeklagten zu entscheiden, was „pflichtwidrig und unehrenhaft" ist. Die Entscheidung darüber ist nicht in das Urteil eines Agenten einer ausländischen Macht gelegt, der doch schließlich den Verkauf von Geheimnissen auf jeden Fall für ein ehrenhaftes Gewerbe — das er doch ausübt — zu halten geneigt sein wird. Um die Zurücknahme der Behauptungen aber ging es, nicht um den moralisch bewertenden Kommentar einer ungeeigneten und dafür unzuständigen Instanz. Und in der Tat hat auch der Verzicht auf die Klärung der Tatbestände in der Presse einen Niederschlag gefunden, so daß man schließen darf: die Angeklagten halten auch heute noch die These aufrecht; in der Sache haben sie keinen Rückzieher gemacht.
Es bleibt auch noch eine andere Frage: Wie sieht es um die Frage der Prozeßkosten aus? Auch hier herrscht eine betrübliche Unklarheit. Wir fragen:
Welche Vereinbarungen sind hinsichtlich der
Prozeßkosten getroffen worden? Wer hat sie
wirklich getragen? Warum haben Bundeskanzler Adenauer, Botschafter Blankenhorn und
Generalkonsul Reifferscheidt nicht darauf bestanden, daß die Angeklagten oder einer der
Angeklagten auch die Bundeskanzler Adenauer, Botschafter Blankenhorn und Generalkonsul Reifferscheidt erwachsenen Anwaltskosten erstatten? Wie hoch sind diese Anwaltskosten? Weshalb sind die beträchtlichen Auslagen an Reisekosten für die Zeugen Botschafter Blankenhorn, Generalkonsul Reifferscheidt
und Gesandter Strohm nicht als — vom Angeklagten Schmeißer zu erstattende — Gerichtskosten geltend gemacht, sondern aus
öffentlichen Mitteln bestritten worden?
Wer hat z. B. die Kosten für die Flugreise des Gesandten Strohm aus Südafrika gezahlt? Auch darüber gibt es der Öffentlichkeit gegenüber bisher keine befriedigende Tatsachenfeststellung. Die Schweizer Zeitung „Die Tat" schrieb, es sei aufgefallen, „allgemein aufgefallen, wie beflissen der Vertreter der Nebenkläger sich mit Versicherungen zeigte, daß der Staatskasse keine enormen Kosten erwachsen würden". Es sind aber und müssen bei einem solch umfassenden Prozeß enorme Kosten entstanden sein. Wer hat sie wirklich getragen?
Abschließend möchte ich noch einmal mit aller Deutlichkeit sichtbar werden lassen: Wir erheben keine Beschuldigung; wir erheben jedoch eine Forderung. Um der Regierung selbst willen, um des Parlaments willen, um des Ansehens unseres Staates willen, dem wir gemeinsam verpflichtet sind, ob Opposition oder Koalition, erheben wir die Forderung: Hier darf kein Zwielicht, hier darf keine Ungewißheit bleiben, Ungewißheit und Zwielicht, aus denen allein diejenigen Nutzen ziehen könnten, deren antidemokratische Spekulationen auf ihre Chance warten. Diese Spekulationen sind — das wissen wir doch alle — im Innern unseres Landes keineswegs tot, und von außen drohen sie aus einer ganz anderen geistigen Himmelsrichtung mit vervielfältigter Kraft.
Der Herr Bundeskanzler hat, als er aus Moskau zurückkehrte, auf einer Kölner Kolping-Veranstaltung gesagt, daß die geistige Auseinandersetzung mit dem Osten erst jetzt in ein entscheidendes Stadium eintreten wird. In der Tat, die Begegnung mit der sowjetischen Wirklichkeit und ihrer ideologischen Offensive tritt in ein neues und gefährliches Stadium. Neue Gefahren, neue Prüfungen und neue Bewährungen stehen vor uns allen, und da ist es ein bedrohliches Zeichen, daß — und der Herr Bundeskanzler, dem diese Presse ja auch schließlich täglich vorgelegt wird, muß es wissen — nahezu täglich die ostzonale Presse aus propagandistischen Gründen sich mit dieser Affäre beschäftigt.
Gefahren, die aus diesen Richtungen auf uns zukommen werden, werden wir nur bestehen, wenn unser Staatswesen unantastbar ist und Vertrauen einflößt. Schon das V e r m u t en von Skandalen verpestet die politische Atmosphäre. Denken wir an das Wort von Hebbel: „Leicht ist ein Sumpf zu verhüten, doch ist er einmal entstanden, so verhütet kein Gott Schlangen und Molche in ihm." Sorgen wir gemeinsam dafür, unseren Staat vor diesen Gefahren zu bewahren!
Meine Damen und Herren! Nehmen Sie die Versicherung an: Aus d i es e m Geiste haben wir unsere Fragen gestellt, und aus diesem Geiste erwarten wir die Antwort des Herrn Bundeskanzlers.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des GB/BHE.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211611700
Sie haben die Begründung der Großen Anfrage gehört. Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Bundeskanzler.

Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0211611800
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ehe ich zu der Beantwortung dieser Großen Anfrage übergehe, möchte ich einige Bemerkungen im Anschluß an die Ausführungen des Herrn Kollegen Kühn machen. Wenn die SPD-Fraktion Wert auf eine Klärung der


(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

ganzen Sache gelegt hätte, hätte sie mir nur einen Brief zu schreiben brauchen, und sie hätte diese ganzen Ausführungen bekommen, die jetzt leider nach Monaten hier im Parlament vor einer großen Öffentlichkeit verhandelt werden.

(Unruhe bei der SPD. Abg. Dr. Mommer: Den Brief hätten Sie schreiben können!)

— Ja nun, ich kann doch nicht schreiben, ohne daß Sie fragen!

(Heiterkeit. — Abg. Dr. Mommer: Die ganze Welt hat gefragt! — Weiterer Zuruf von der SPD: Die ganze Öffentlichkeit hat gefragt!)

Herr Kollege Kühn hat einige Bemerkungen gemacht, die ich auch nicht unwidersprochen lassen möchte. Er hat davon gesprochen, daß Herr Geilinger — der frühere Korrespondent der „Neuen Zürcher Zeitung" in Bonn — regierungsseitig wegbefördert worden sei. Ich habe den Herrn Dr. Müller von der „Neuen Zürcher Zeitung" in diesem Sommer, als ich in Murren war, gefragt, warum eigentlich Herr Geilinger versetzt worden sei.

(Lachen bei der SPD.)


(Lachen bei der SPD. — Zuruf links: Ja, das ist komisch! — Abg. Dr. Greve: Da hätten Sie auch hierbleiben und Herrn Blücher fragen können, Herr Bundeskanzler!)

— Ja, wenn Sie mir einen Mann nennen, der so klug ist, daß er alle Fragen beantworten kann, werde ich ihn in Zukunft allein fragen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Herr Müller hat mir gesagt, es sei völlig unrichtig
— es waren nämlich derartige Nachrichten durch die Presse gegangen —, daß Herr Geilinger auf irgendeinen Druck hin versetzt worden sei. Herr Geilinger sei in dem in der Redaktion der „Neuen Zürcher Zeitung" üblichen Turnus versetzt worden.
Dann hat Herr Kühn gesagt, daß die „Frankfurter Allgemeine Zeitung", nachdem jetzt Herr Sethe weg sei — ich glaube, er hat sich so ausgedrückt —, ganz oder nahezu ein Regierungsblatt sei. — Nun, verehrter Herr Kühn, ob mit oder ohne Sethe, es ist kein Regierungsblatt. Ich bedaure es; aber sie ist es nicht.

(Heiterkeit. — Abg. Erler: Wer fehlt denn noch? — Erneute Heiterkeit.)

— Erkundigen Sie sich einmal bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung danach!
Und nun, meine Damen und Herren, muß ich doch meinen alten Kollegen Hellwege in Schutz nehmen. Ich glaube, es ist von Herrn Kühn gesagt worden, als wenn Herr Hellwege durch mich Ministerpräsident geworden sei.

(Heiterkeit. — Zuruf des Abg. Dr. Mommer.)

— Achten Sie doch bitte das föderative Prinzip, meine Herren!

(Beifall und Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

Endlich hat Herr Kühn gesprochen von meinem „Stabschef" Roegele und gleichzeitig von meinem „Stabschef" Globke. Herrn Globke akzeptiere ich als Stabschef,

(Heiterkeit in der Mitte)

Herrn Roegele bedauere ich, nicht akzeptieren zu können.

(Zuruf links: Warum?)

— Es ist ein tüchtiger Mann,

(erneute Heiterkeit in der Mitte)

zweifellos; aber man kann nur einen Stabschef haben.

(Beifall und Heiterkeit in der Mitte. — Abg. Mellies: Das ist ein Irrtum von Ihnen! — Abg. Dr. Greve: Aber auch einen falschen! — Fortgesetzte Heiterkeit.)

Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich zur Anfrage selbst übergehen. Der Sachverhalt ist folgender. In der Ausgabe des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel" vom 9. Juli 1952 wurden in einem Artikel mit der Überschrift „Am Telefon vorsichtig" mir, dem jetzigen Botschafter Blankenhorn und dem jetzigen Generalkonsul Dr. Reifferscheidt Vorwürfe gemacht, die den Tatbestand der üblen Nachrede und Verleumdung mit der Qualifikation des § 187 a des Strafgesetzbuchs erfüllen. Die Beleidigten haben gegen den Gewährsmann des Spiegels, Schmeißer, den Verfasser des Berichtes, gegen den verantwortlichen Herausgeber des Spiegels, Herrn Augstein, und gegen den in der Sache eine erhebliche, wenn nicht die bedeutendste Rolle spielenden Herrn Ziebell Strafantrag gestellt. Erst am 18. April 1953 wurde gegen Schmeißer, Mans, Jaene, Augstein und Ziebell Anklage erhoben. Dann wurde Hauptverhandlungstermin auf den 23. Oktober 1953 anberaumt. Er mußte abgesetzt werden, weil auf Beschwerde der Angeklagten Schmeißer, Mans, Jaene und Augstein die gerichtliche Voruntersuchung eröffnet wurde. Diese Voruntersuchung führte zu meinem Bedauern dazu, daß es erst nach mehr als drei Jahren am 26. September 1955 zur Hauptverhandlung kam.
Dann kam noch folgendes. Die interessanteste Persönlichkeit in der ganzen Sache ist der Herr Ziebell. Der Verteidiger des Herrn Ziebell hat bei Beginn der Hauptverhandlung Einspruch dagegen erhoben, daß gegen seinen Mandanten verhandelt werde, weil bei der Zustellung der Anklageschrift an Ziebell ein Versehen unterlaufen sei. Das Gericht hat diesem Antrag stattgeben müssen, so daß das Verfahren gegen Ziebell, der mich wenigstens am meisten interessierte und auch in Zukunft noch interessieren wird, abgetrennt werden mußte.
Ich darf hier folgendes sagen. Ich will niemandem im Justizwesen zu nahe treten. Aber wenn ich Ihnen die Termine hier vortrage, dann erinnere ich mich lebhaft an eine Unterhaltung, die ich mit dem verstorbenen Minister Severing einmal gehabt habe, der mir gesagt hat, er könne aus seiner langen Erfahrung sagen, man solle niemals Strafantrag wegen Beleidigung steilen, weil eine solche Sache erst nach Jahr und Tag überhaupt zur Hauptverhandlung komme.

(Abg. Dr. Wuermeling: Leider ist das richtig!)

Nachdem nun am ersten Tage der Hauptverhandlung mit der Vernehmung des Angeklagten Schmeißer in Hannover begonnen worden war, ließ dieser am zweiten Verhandlungstag durch seinen Verteidiger erklären, er habe nicht in beleidigender Absicht gehandelt. Soweit in seinen Aussagen ein Vorwurf ehrenrührigen oder pflichtwidrigen Verhaltens enthalten sei, halte er diesen nicht aufrecht.


(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

Daraufhin erklärte der Verteidiger der Angeklagten Mans, Jaene und Augstein, daß diese den Vorwurf pflichtwidrigen oder ehrenrührigen Verhaltens nicht erhöben. Ferner gab der Verteidiger des Angeklagten Schmeißer zu Protokoll, Schmeißer sei bereit, die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Angeklagten Jaene, Mans und Augstein zu übernehmen.
Auf Grund dieser Erklärung nahm der Anwalt der Nebenkläger Blankenhorn und Reifferscheidt in deren Namen sowie mit meinem Einverständnis die Strafanträge gegen die Angeklagten Schmeißer, Mans, Jaene und Augstein zurück. Da mein Strafantrag durchaus begründet war, machte ich die Zurücknahme des Strafantrags davon abhängig, daß die Gegenseite die Kosten des Verfahrens übernehme.
Nach gerichtlicher Erörterung der Kostenfrage wurde das Verfahren gegen die eben genannten Angeklagten eingestellt. Dem Angeklagten Schmeißer wurden die Kosten einschließlich der ihm selbst und der den Mitangeklagten Mans, Jaene und Augstein erwachsenen notwendigen Auslagen auferlegt.
Gegen dieses Urteil hat der Staatsanwalt Revision wegen der Kostenfrage eingelegt. Meine Damen und Herren, ich habe den Wunsch ausgedrückt, diese Revision möge durchgeführt werden, so daß wir eventuell, wenn Herr Schmeißer nicht in der Lage ist, die Kosten zu zahlen, das Vergnügen haben, ihn noch einmal vor Gericht zu sehen.

(Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Das hängt doch nicht davon ab, ob er zahlen kann oder nicht!)

— Doch, doch!
Meine Damen und Herren, den Gegenstand des Verfahrens darf ich Ihnen am besten mit den Worten der Anklageschrift schildern.
1. Blankenhorn, Reifferscheidt und ich seien in den Jahren 1948 und 1949 Mitarbeiter eines französischen Agentennetzes gewesen.
2. Blankenhorn habe im Einvernehmen mit mir einen französischen Agenten mit geheimstem Nachrichtenmaterial versehen, ihn mit dem Inhalt des Speidel-Plans über die Verteidigung Westdeutschlands bekanntgemacht und hierfür Zuwendungen von Geld und Lebensmitteln erhalten.
3. Blankenhorn habe versucht, im Jahre 1949 für den Wahlkampf der CDU über den französischen Nachrichtendienst erhebliche Geldbeträge zu erhalten.

(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

— Ja, hören Sie mal weiter!

(Heiterkeit und Beifall in der Mitte.)

4. Blankenhorn und ich hätten ein Angebot des französischen Nachrichtendienstes angenommen, als Gegenleistung für unsere Dienste im Falle eines russischen Einmarsches mit unseren Familien nach Spanien in Sicherheit gebracht zu werden.
5. Dr. Reifferscheidt habe die Abtrennung des linken Rheinufers von Deutschland betrieben, für diese Zwecke Flugschriften drucken lassen und einem französischen Agenten eine Liste einflußreicher westdeutscher Persönlichkeiten überreicht, die gleichfalls die Loslösung des Rheinlandes erstrebten.
Zu diesen verleumderischen Behauptungen Schmeißers erkläre ich Ihnen folgendes.
Zu 1. Blankenhorn, Reifferscheidt und ich waren niemals Mitarbeiter eines französischen Agentennetzes. Ich war seit 1946 Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Union der britischen Zone und 1948 Vorsitzender des Parlamentarischen Rates. Blankenhorn war Generalsekretär des Zonenausschusses der CDU und Dr. Reifferscheidt eine Zeitlang nebenamtlich Wirtschaftsreferent im Zonenausschuß der CDU, später Syndikus der deutschbelgisch-luxemburgischen Handelskammer. In dieser Zeit wurden wir ebenso wie die Vertreter der anderen politischen Parteien von Beauftragten der Militärregierung und der Besatzungsmächte laufend aufgesucht. Die Herren unter uns, die damals in Hannover gewohnt haben, werden sicher wissen, wie häufig dort Vertreter der britischen Besatzungsmacht bei der sozialdemokratischen Parteileitung vorgesprochen haben.

(Sehr wahr! in der Mitte und rechts.)

Ich mache daraus keinen Vorwurf, meine Herren. Die Vertreter der politischen Parteien und die Behörden waren gemäß Kontrollratsproklamation Nr. 2 verpflichtet, diesen Beauftragten die von ihnen gewünschten Auskünfte zu erteilen. So hat auch Schmeißer, und zwar unter dem Decknamen Levacher, als Beauftragter des französischen Nachrichtendienstes das Büro des Zonenausschusses der CDU der britischen Zone aufgesucht und mit deren Generalsekretär Blankenhorn gesprochen. Herr Blankenhorn hat mir davon Mitteilung gemacht und hat mich gebeten, ich möchte Levacher auch einmal empfangen. Daraufhin habe ich Levacher im Generalsekretariat der CDU in Köln-Marienburg kurz empfangen. Dabei wurden nur unwichtige Dinge behandelt. Sonst habe ich mit dem Manne nie gesprochen. Weder ich noch Blanken-horn noch Reifferscheidt sind — ich wiederhole das — Mitarbeiter eines fremden Agentennetzes gewesen.
Zweitens. Ebenso unzutreffend ist es, daß ich Blankenhorn das Einverständnis erteilt hätte, einen französischen Agenten mit geheimstem Nachrichtenmaterial zu versehen. Der angebliche Speidelplan, von dem Schmeißer spricht, existierte überhaupt nicht. In Wirklichkeit lag folgendes vor. Herr Speidel, damals Zivilist, war bei einem Bekannten in Bonn zu Besuch. Dort habe ich ihn getroffen. Es war damals eine sehr unruhige Zeit, und es wurde davon gesprochen, ob eventuell die Russen durchbrechen könnten und würden. Herr Speidel hat damals gesagt, daß die amerikanischen, die britischen und die französischen Truppen zu schwach seien, um einen solchen Durchbruchsversuch zu verhindern. Ich habe dann Herrn Blankenhorn beauftragt, diese Ansicht des Herrn Speidel den Stäben der drei Besatzungsmächte, die damals beim Parlamentarischen Rat bestanden, und auch über die Verbindung mit dem französischen Nachrichtendienst dem französischen Ministerpräsidium — dieser Nachrichtendienst unterstand dem französischen Ministerpräsidium — mitzuteilen. Geheimste militärische Dinge in dem Sinn, wie man heutzutage vielleicht davon sprechen kann, gab es ja damals überhaupt nicht bei uns in Deutschland.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Nun, meine Damen und Herren, hat Schmeißer die Behauptung aufgestellt, daß er Herrn Blankenhorn Lebensmittel und Geld gegeben habe. Dazu erkläre ich Ihnen folgendes. Herr Blankenhorn hat Herrn Schmeißer, wie das damals üblich und zwangsläufig war, bewirtet, und dafür hat sich


(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

Schmeißer revanchiert, indem er Blankenhorn Kleinigkeiten, Schokolade, Kaffee und auch einmal, soviel ich weiß, eine Flasche Kognak, überbracht hat.

(Zuruf von der Mitte: Das haben auch die Engländer gemacht!)

Ich weiß nicht, ob wir uns über diese Frage noch weiter unterhalten sollen.
Dann hat Schmeißer behauptet, daß er Herrn Blankenhorn monatlich Geld gegeben habe. Meine Damen und Herren, er hat Herrn Blankenhorn kein Geld gegeben. Der Tatbestand ist hier der folgende. Im Industriegebiet bestand eine Stelle zum Kampf gegen den Kommunismus. Schmeißer hat Herrn Blankenhorn zwecks Weitergabe an diese Stelle insgesamt etwa 1600 DM gegeben, um dafür von dieser Stelle Material über den Kommunismus im Industriegebiet zu erhalten. Dieses Material ist von dieser Stelle über Blankenhorn dem Schmeißer übergeben worden. Völlig aus der Luft gegriffen ist die Behauptung, es sei versucht worden, im Jahre 1949 für den Wahlkampf der CDU über den französischen Nachrichtendienst erhebliche Geldbeträge — man nennt sogar eine Summe von 800 000 DM — zu erhalten.
Eine grobe Unwahrheit ist es ebenfalls, Blankenhorn und ich hätten Angebote des französischen Nachrichtendienstes angenommen, im Falle eines russischen Einmarsches in Sicherheit gebracht zu werden. Der französische Nachrichtendienst hat mir und Blankenhorn niemals ein solches Angebot gemacht.
Die Behauptung, Reifferscheidt habe die Abtrennung des linken Rheinufers von Deutschland betrieben, entbehrt jeder Grundlage. Weder sind Flugschriften gedruckt worden noch haben französische Agenten Listen westdeutscher Persönlichkeiten erhalten, die angeblich die Loslösung des Rheinlandes erstrebten.
Nun, meine Damen und Herren, muß ich Ihnen aber etwas sagen über die Persönlichkeiten, mit denen wir es zu tun haben, die wir damals aber noch nicht kannten. Herr Schmeißer kam, wie ich eben schon sagte, unter dem Namen Levacher und stellte sich als Franzose vor. Schmeißer hatte etwas Medizin und Jura studiert und war Anfang 1946 auf Grund der Behauptung, Widerstandskämpfer gewesen zu sein, als Referent mit der Bezeichnung „Regierungsrat" in der Rechtsabteilung des bayerischen Entnazifizierungsministeriums angestellt worden.

(Hört! Hört! und Heiterkeit in der Mitte und rechts.)

Sein dortiger Abteilungsleiter war der jetzige Mitangeklagte Ziebell. Im Zusammenhang mit strafrechtlichen Vorwürfen mußte Schmeißer Ende 1946 seine Stellung in dem bayerischen Ministerium aufgeben. Obwohl er während seiner Münchner Zeit Ziebell bespitzelt hatte, kam er Anfang 1947 durch Hilfe Ziebells in das hessische Landwirtschaftsministerium,

(erneute Heiterkeit und Rufe: Hört! Hört! in der Mitte und rechts)

wo er jedoch auch nur einige Monate blieb. Nach einer kurzen Gastrolle als Anwaltsassessor war er seit August 1947 für den französischen Nachrichtendienst tätig. Da der französische Nachrichtendienst im Laufe der Zeit selbst erhebliche Bedenken gegen seine Zuverlässigkeit bekam, mußte Schmeißer im Herbst 1951 auch diese Stellung als französischer Nachrichtenagent aufgeben. Er bewarb sich nunmehr über Ziebell um eine Beschäftigung beim hessischen Verfassungsschutzamt. Dabei glaubte er offenbar, durch sensationell aufgebauschte oder frei erfundene Behauptungen die Eignung für seine neue Stellung beweisen zu können. Die Fassung seiner in einem Bericht — der bei den Gerichtsakten ist — vom 22. November 1951 schriftlich niedergelegten Angaben wurde von Ziebell — ich drücke mich sehr vorsichtig aus — stark beeinflußt. Unter Mißbrauch der Dienstbeziehungen zwischen dem Verfassungsschutzamt und dem Polizeipräsidium gab Ziebell überdies diesem Bericht den Anschein eines amtlichen Protokolls. Ich darf davon absehen, im einzelnen auf die Entstehung dieses Protokolls und seine weitere Behandlung durch das hessische Verfassungsschutzamt einzugehen, weil diese Frage noch in dem Strafverfahren gegen Ziebell, das ja noch aussteht und das durchgeführt werden wird, eine Rolle spielen wird. Der Beweggrund dafür, daß Ziebell die Angaben Schmeißers ohne sachliche Nachprüfung übernahm, dürfte seine Hoffnung gewesen sein, durch Auswertung des Schmeißer-Berichts seine eigene Position festigen und ausbauen zu können.
Ziebell war nämlich ebenso wie Schmeißer in seiner beruflichen Laufbahn gescheitert. Nach kurzer Tätigkeit als Gerichtsassessor und Rechtsberater der Deutschen Arbeitsfront hat er sich im Oktober 1936 als Rechtsanwalt beim Kammergericht niedergelassen. Im Jahre 1940 war Ziebell aus der Anwaltschaft ausgeschieden, weil er auf Anzeige einiger deutscher Juden, die er als Rechtsanwalt vertreten hatte, zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt und gegen ihn ein ehrengerichtliches Verfahren auf Ausschluß aus der Anwaltschaft eingeleitet worden war. Mit der unwahren Behauptung, Verfolgter des Faschismus zu sein, war es trotzdem Ziebell gelungen, im Januar 1946 Abteilungsleiter im bayerischen Entnazifizierungsministerium zu werden.

(Lachen rechts.)

Er war jedoch nur Angestellter, der sich lediglich für die Dauer seines Angestelltenverhältnisses Ministerialrat nennen durfte. Nachdem er im Dezember 1946 auf Grund gegen ihn erhobener Vorwürfe aus dem Dienst des Entnazifizierungsministeriums ausgeschieden war, beschäftigte er sich im Saargebiet und in Frankreich als französischer Nachrichtenagent. Ein Strafverfahren wegen Konkursverbrechens veranlaßte ihn im Jahre 1950, das Saargebiet zu verlassen, und von diesem Zeitpunkt ab arbeitete t r für das Hessische Verfassungsschutzamt.

(Erneut Lachen in der Mitte und rechts.)

Nun, meine Damen und Herren, darf ich zu der Beantwortung der Fragen im einzelnen kommen.
Ich hatte am 27. September dieses Jahres in meinem Arbeitszimmer eine Besprechung, als ich aus Hannover aus dem Gerichtsgebäude angerufen wurde und mir zu meiner Überraschung gesagt wurde, daß Schmeißer und die Herausgeber und Redakteure des „Spiegel" die Ihnen bereits genannten Erklärungen abgegeben hätten. Ich wurde gefragt, ob ich bereit sei, meinen Strafantrag gegen die Genannten zurückzuziehen. Ich habe — das erkläre ich ganz offen — dagegen große Bedenken gehabt; denn meiner innersten Natur war es zu-


(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

wider, daß wir, nachdem wir mal den Schmeißer wenigstens da hatten, darauf verzichten sollten, nun diese ganze Sache durchzufechten. Aber, meine Damen und Herren, Ziebell stand ja noch im Hintergrund; es war mir gesagt worden, daß das Verfahren gegen ihn abgetrennt sei. Ziebell ist — ich habe ihn nie gesehen in meinem Leben —, wenn ich so die ganze Lebensgeschichte der beiden Leute miteinander vergleiche, die unstreitig interessantere Persönlichkeit.
Bei meinen Erwägungen, ob ich den Strafantrag zurückziehen wolle, habe ich natürlich auch daran gedacht, daß, wenn jetzt drei Wochen lang — so lange war die Verhandlung vom Gericht angesetzt — die Sache Schmeißer verhandelt werde, das Beste von der Sache genommen sei, wenn man später auf Ziebell kommen würde, und daß man unmöglich dann noch einmal weitere drei Wochen Interesse in der deutschen Öffentlichkeit für diesen Herrn Ziebell haben werde.

(Oh-Rufe von der SPD.)

Ich habe dann meinen Anwalt, Herrn Professor Dahs, weil ich gewisse Hemmungen hatte, wegen meiner Zustimmung telephonisch befragt. Herr Dahs hat mir auch angeraten zuzustimmen; es sei hier das richtige, weil es sich um die Schmeißer, „Spiegel" usw. handle, die ja diese bekannte Erklärung abgegeben hätten.
Schmeißer selbst, meine Damen und Herren, war und bleibt für mich völlig uninteressant. Die Herausgeber und Redakteure des „Spiegel" — das muß ich zugeben, obgleich ich gerade kein großer Freund des „Spiegel" bin —

(Heiterkeit)

waren nach unseren Informationen von Schmeißer und Ziebell getäuscht worden. Im übrigen — ich darf das nochmals betonen — scheint mir auch jetzt der eigentliche Hauptverantwortliche Ziebell zu sein, gegen den das Verfahren weiterläuft. Die notwendigen gerichtlichen Feststellungen werden in diesem Verfahren noch erfolgen.
Zur Frage 2. Vergleichsverhandlungen mit Schmeißer haben nicht stattgefunden. Vielmehr ist der Verteidiger Schmeißers während der Hauptverhandlung von sich aus, und zwar erstmalig am 26. September 1955, an den Vertreter der Nebenkläger Blankenhorn und Reifferscheidt herangetreten und hat die Erklärung angeboten, Schmeißer wolle von seinen früheren Anschuldigungen abrücken, dies öffentlich erklären und die Kosten des Verfahrens tragen.
Zur Frage 3. Daß die Erklärung Schmeißers, er habe nicht in beleidigender Absicht gehandelt, allein gegenüber einer Anklage wegen übler Nachrede und Verleumdung nicht ausreicht, ist auch mir klar, meine Damen und Herren. Aber bitte hören Sie auch den zweiten Satz seiner Erklärung. Er lautet wie folgt:
Soweit in meinen Aussagen ein Vorwurf ehrenrührigen oder pflichtwidrigen Verhaltens gegen die Genannten enthalten ist, halte ich diesen nicht aufrecht.
Mit dieser Erklärung ist Schmeißer deutlich von seinen früheren Behauptungen abgerückt. In der Substanz sind seine Äußerungen hinfällig geworden. Für mich bestand gar kein Zweifel daran: aus der Erklärung Schmeißers in Verbindung mit dem Ergebnis der gerichtlichen Voruntersuchung und der Kostenübernahme durch Schmeißer war die Schlußfolgerung zu ziehen, daß die Unrichtigkeit
der in Frage kommenden tatsächlichen Behauptungen zugegeben wurde. Ich hielt es ferner für nicht erforderlich, daß die Erklärungen des Herausgebers und der Mitarbeiter des „Spiegels" ausdrücklich die Anklagepunkte wiederholten oder auf die Anklage Bezug nahmen, weil sie sich nach dem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Verfahren nur auf die den Gegenstand der Anklage bildenden Behauptungen ehrenrührigen oder pflichtwidrigen Verhaltens erstrecken konnten.
Zur Frage 4 verweise ich auf meine bisherigen Ausführungen. Ich möchte hier nur wiederholen, daß eine gerichtliche Feststellung der Unrichtigkeit der diskriminierenden Behauptungen in dem Verfahren gegen Ziebell erfolgen dürfte.
Zur Frage 5. Vereinbarungen über die Prozeßkosten sind nicht abgeschlossen worden. Vielmehr hat sich Schmeißer von sich aus zur Übernahme bereit erklärt. Damit ist er auch verpflichtet, die mir und den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen einschließlich der Anwaltskosten, über die eine Abrechnung noch nicht vorliegt, zu erstatten. Die Frage, wer diese Kosten wirklich trägt, läßt sich abschließend erst beantworten, wenn über die Revision der Staatsanwaltschaft entschieden ist. In keinem Falle werden die Schmeißer auferlegten Kosten von den Nebenklägern oder von mir ersetzt werden. Meine Zustimmung zur Zurücknahme des Strafantrags ist, wie ausdrücklich in das Gerichtsprotokoll aufgenommen worden ist, nur für den Fall erteilt worden, daß mir und den Nebenklägern keine Kosten zur Last fallen. Die Auslagen der Zeugen sind in diesem Verfahren, wie auch sonst, Teile der Gerichtskosten. Sie sind nicht aus sonstigen öffentlichen Mitteln bestritten worden. Die als Zeugen geladenen Herren Blankenhorn, Reifferscheidt und Strohm haben keine Dienstreisen nach Hannover genehmigt erhalten.
Zur Frage 6. Einer Verpflichtung des „Spiegel", den Vertrieb der beschlagnahmten Ausgabe vom 9. Juli 1952 zu unterlassen, bedurfte es nicht, weil dies zu einem neuen Verfahren geführt hätte. Der „Spiegel" hat die beschlagnahmte Auflage auch keineswegs neu vertrieben.
Ich darf zusammenfassen.
Ein Herr Levacher war uns vor Begründung der Bundesrepublik Deutschland als Vertreter einer Besatzungsmacht gegenübergetreten. Ihm haben wir entsprechend den damals geltenden besatzungsrechtlichen Bestimmungen Auskünfte gegeben. Sie alle, meine Damen und Herren, soweit Sie damals im politischen Leben tätig waren, haben sich ebenfalls mit Vertretern der Besatzungsmächte unterhalten, ihnen Auskünfte gegeben, und können daher diese Dinge beurteilen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) Nachdem sich die Angeklagten mit Ausnahme des mitangeklagten Ziebell von ihren Behauptungen distanziert hatten, waren wir in der Lage, die Strafanträge zurückzuziehen. Die Dauer des Gerichtsverfahrens lag nicht in unserer Hand. Der Zeitpunkt, an dem wir die Strafanträge zurückzogen, war dadurch bestimmt, daß die Angeklagten ihre Erklärungen erst am zweiten Tage der Hauptverhandlung abgaben.

Ich darf wiederholen, meine Damen und Herren, daß diejenigen, die eine gerichtliche Feststellung und Aufklärung noch wünschen, eine solche in dem Verfahren gegen Ziebell erhalten werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)



Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211611900
Meine Damen und Herren, Sie haben die Beantwortung der Großen Anfrage gehört. Ich frage, ob die Beratung dieser Antwort gewünscht wird. — Ich höre keinen Wunsch; damit ist dieser Tagesordnungspunkt abgeschlossen. — Meine Damen und Herren, ich hoffe doch, daß noch einige Abgeordnete im Saal bleiben werden.(Heiterkeit.)

Wir kommen zu Punkt 3 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen vom 30. Juni 1955 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Verteidigungshilfe (Drucksache 1855);
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit (6. Ausschuß) (Drucksache 1919).

(Erste Beratung: 114. Sitzung.)

Ich frage, ob das Wort Zur mündlichen Berichterstattung gewünscht wird. — Das Wort hat Herr Abgeordneter Berendsen als Berichterstatter.

(Unruhe.)

— Meine Damen und Herren, ich bitte doch um etwas Aufmerksamkeit für den Herrn Berichterstatter.

Fritz Berendsen (CDU):
Rede ID: ID0211612000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Aufgabe, Ihnen zu berichten über die Beratungen des Auswärtigen Ausschusses sowie des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit über die soeben aufgerufene Drucksache 1855, Abkommen vom 30. Juni 1955 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten über die gegenseitige Verteidigungshilfe.

(Anhaltende Unruhe.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0211612100
Meine Damen und Herren, es ist doch unzumutbar für den Berichterstatter, daß er in diesen Lärm hinein reden soll. Ich darf diejenigen Damen und Herren, die meinen, sie müßten hinausgehen, wohl bitten, den Saal schnell zu verlassen, damit wir hier unsere Arbeit fortsetzen können. Fahren Sie bitte fort, Herr Abgeordneter!

Fritz Berendsen (CDU):
Rede ID: ID0211612200
Meine Damen und Herren! In der 114. Sitzung am 1. Dezember 1955 hat das Hohe Haus das Gesetz über die gegenseitige Verteidigungshilfe nach der ersten Lesung an die genannten Ausschüsse zur Beratung überwiesen. Diese Beratungen haben gestern stattgefunden. Der Berichterstatter hat dort etwa folgendes ausgeführt:
Das zur Ratifizierung vorliegende Abkommen über die gegenseitige Verteidigungshilfe ist eine zwischen den USA und der Bundesrepublik erfolgte vertragliche Regelung der aus Art. 3 des Atlantikpaktes sich ergebenden Verpflichtungen. In diesem Artikel hat wie alle anderen NATO-Staaten die Bundesrepublik sich verpflichtet, fortlaufend und wirksam sich gegenseitige Hilfe zu gewähren, um ihre individuelle und kollektive Fähigkeit, einem bewaffneten Angriff zu widerstehen, aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. Das vorliegende Abkommen enthält keine über die Pariser Verträge hinausgehenden Bindungen, sondern regelt vor
allem den Rahmen, in dem sich die Hilfeleistung der USA bei der Aufstellung und Ausrüstung unserer Wehrmacht bewegen soll, ebenso wie eine etwaige Hilfe der Bundesrepublik an andere NATO-Länder. Es muß betont werden, daß jede militärische Hilfeleistung von der Annahme des vorliegenden Gesetzes abhängt. Die amerikanische Regierung ist infolge amerikanischer innergesetzlicher Bindungen andernfalls nicht in der Lage, uns bei der Aufstellung der Streitkräfte in irgendeiner Form zu helfen. Das amerikanische Gesetz über die gegenseitige Verteidigungshilfe vom 6. Oktober 1949, zuletzt geändert am 26. August 1954, nunmehr unter dem Namen „Gesetz über die gegenseitige Sicherheit" bekannt, kann also erst nach Ratifizierung des vorliegenden Abkommens auf die Bundesrepublik als Mitglied der NATO angewandt werden.
Außenpolitisch ist das uns vorliegende Abkommen daher eine logische Folge, keinesfalls eine Ausweitung der mit den Pariser Verträgen eingegangenen Verpflichtungen. Es erleichtert uns, die finanziellen Lasten der Aufstellung und Ausrüstung unserer Truppen zu tragen. Es zeigt den Rahmen auf, in dem diese Hilfe erfolgen kann. Innenpolitisch bedeutet das Abkommen eine fühlbare Entlastung des Bundeshaushalts, da damit weitere Bindungen oder Eingriffe in unsere Souveränität verhindert werden. Wirtschaftliche, soziale und sonst denkbare innerdeutsche Belange werden ausreichend berücksichtigt. Irgendwelche in dieser Richtung sind also nicht gerechtfertigt und sind auch nicht laut geworden.

(Vizepräsident Dr. Jaeger übernimmt den Vorsitz.)

Es sei noch einmal betont, daß dieses Abkommen ein Rahmenabkommen ist. Alle daraus sich ergebenden Einzelmaßnahmen wie Umfang und Art der Hilfeleistungen und Zeitpunkt der Materiallieferung sind zweiseitigen Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik vorbehalten. Durch das bisher Gesagte dürfte klargeworden sein, daß erstens jede auf Grund des vorliegenden Abkommens zu schließende Vereinbarung sowohl der Zustimmung der Bundesregierung wie derjenigen der Vereinigten Staaten bedarf, zweitens somit alle Einzelmaßnahmen in Zukunft der politischen Kontrolle der Bundesregierung unterliegen und sich nicht automatisch ergeben, drittens kein Zwang zur Übernahme veralteten oder unbrauchbaren Materials besteht und schließlich viertens die Anpassung an die jeweilige militärische Lage — ich erinnere an das Atomzeitalter und an die waffentechnische Weiterentwicklung — gewährleistet erscheint. Bedenken, daß es sich bei diesem Abkommen um ein aus dem üblichen NATO-Rahmen herausfallendes Sonderabkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik handelt, sind unbegründet. Das vorhin erwähnte amerikanische Gesetz über die gegenseitige Sicherheit bildet die Grundlage für alle derartigen Abkommen der Vereinigten Staaten mit den NATO-Ländern, also auch mit uns und sonstigen Verbündeten der USA. Wir nehmen somit gegenseitige Verpflichtungen auf uns, die in genau der gleichen Form unsere großen Nachbarn England und Frankreich übernommen haben.
Bei der Beratung des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten wurde lediglich unter dem


(Berendsen)

Aspekt der Außenpolitik an einen Vertreter der Bundesregierung die präzise Frage gestellt, ob das vorliegende Abkommen irgendwelche zusätzlichen finanziellen oder materiellen Verpflichtungen oder Kontrollen oder Einengungen sonstiger Art für uns enthalte. Diese präzise Frage wurde von dem Vertreter der Regierung genau so präzise beantwortet, und zwar in verneinender Form. Danach wurde im Auswärtigen Ausschuß mit Mehrheit der Koalitionsparteien gegen die Stimmen der Opposition beschlossen, dem federführenden Ausschuß anzuraten, dem Hohen Hause die Annahme des Abkommens zu empfehlen.
Im Ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit wurden die elf Artikel des Abkommens in einer eingehenden Aussprache und Diskussion durchgesprochen. Ich darf hierüber im einzelnen kurz berichten.
In Art. I wird das Prinzip der Gewährung von Hilfeleistungen von einem Staat an einen anderen als ein Sonderabkommen noch einmal festgelegt. Es wird ferner betont, daß Hilfeleistungen aus Fertigproduktion, aus Waffen und technischer Ausrüstung aller Art, aber auch aus Dienstleistungen wie Stellung von Lehrkräften usw., bestehen können. Hingegen wird unter diesem Begriff Hilfeleistung eine finanzielle Hilfe für militärische Zwecke nicht verstanden. Sollte der Bundesrepublik eine besondere finanzielle Hilfe gewährt werden, so kann dies nur auf Grund des Art. XI dieses Vertrags geschehen. Ebenso ist klar, daß die Bundesregierung nicht verpflichtet ist, Verteidigungshilfe anzunehmen, an deren Erhalt oder Verwendung ihr nicht gelegen ist. Nicht mehr benötigtes Material muß den Vereinigten Staaten zur anderweitigen Verwendung wieder angeboten werden.
In Art. II wird festgelegt, daß die Gewährung gegenseitiger Hilfe im Einklang stehen muß mit den Satzungen der NATO. Ebenso wird festgestellt, daß auch die Bundesrepublik gegebenenfalls verpflichtet sein kann, Rohstoffe und Halbfabrikate an die Vereinigten Staaten zu liefern, wenn diese ein solches Ansinnen stellen. Hierbei soll allerdings auf den Bedarf der Bundesrepublik für ihre Innen- und Außenwirtschaft Rücksicht genommen werden.
Der Art. III befaßt sich mit dem Austausch von Patenten und technischen Erfahrungen für Verteidigungszwecke.
Art. IV setzt sich mit Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Geheimschutzes auseinander.
Art. V bestimmt, daß die der Bundesrepublik gewährte Außenhilfe vor dem Zugriff Dritter geschützt wird.
Art. VI stellt sicher, daß für den Verkehr von Waren aller Art von den Vereinigten Staaten in die Bundesrepublik und umgekehrt keine steuerlichen Belastungen für beide Partner entstehen.
Art. VII ordnet an, daß die Bundesregierung der Regierung der Vereinigten Staaten alle mit der Durchführung der Außenhilfe verbundenen Kosten auf deutschem Boden abnimmt, ausgenommen die Gehälter für amerikanische Soldaten.
Art. VIII regelt den Status der im Rahmen der Außenhilfe auf dem Gebiet der Bundesrepublik tätig werdenden amerikanischen Staatsbürger. Ein sehr kleiner Teil, bisher genau sechs Personen, soll diplomatischen Status erhalten. Es sind dies der
Leiter der Mission sowie Vertreter von Heer, Marine und Luftwaffe. Ferner werden etwa 100 weitere Militärpersonen im Rahmen dieses Abkommens in Deutschland tätig werden. Art. VIII regelt ferner die Kontrollen und Überprüfung der Verwendung der Außenhilfe. Durch die Bestimmungen dieses Artikels soll sichergestellt werden, daß nicht einzelne Staaten zuviel amerikanische Außenhilfe erhalten, z. B. also Waffen anfordern, die sie wegen Personalmangels gar nicht einsetzen können. Diese Kontrollen werden in engster Verbindung mit deutschen Stellen durchgeführt. Irgendwelche Einzelreisen amerikanischer Kontrollfunktionäre zu deutschen Truppenverbänden sind nicht vorgesehen. Es ist geplant, verwaltungsmäßige Absprachen über die Zusammenarbeit dieser amerikanischen Stäbe mit deutschen Stellen auszuarbeiten. Der Ausschuß für Fragender europäischen Sicherheit bittet die Bundesregierung, derartige Abkommen dem Ausschuß zur Kenntnis vorzulegen.
Art. IX legt fest, daß die Ratifizierung dieses Abkommens die Bundesrepublik verpflichtet, an der Aufrechterhaltung des Weltfriedens mitzuarbeiten und Ursachen internationaler Spannungen zu mildern. Ferner wird versprochen, militärische Verpflichtungen, die wir übernommen haben, auch zu erfüllen. Diese Verpflichtungen finden ihre Grenze in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes, d. h. alle Maßnahmen zur Entwicklung der Verteidigungsfähigkeit dürfen die ruhige wirtschaftliche und politische Weiterentwicklung der Bundesrepublik nicht stören.
Art. X befaßt sich mit der Ausfuhr strategischer Güter. Im Sicherheitsausschuß wurde über diesen Artikel eingehend diskutiert und festgestellt, daß materiell gesehen eine zusätzliche Verpflichtung auf Innehaltung von Embargolisten gegenüber dem Ostblock nicht stattfindet. Wohl aber ist festzustellen, daß ein bisher zwischen zwei Regierungen abgeschlossenes Abkommen nunmehr völkerrechtlich verankert wird. Insofern bedeutet also die Ratifizierung des Art. X eine intensivere Bindung der Bundesrepublik in handelspolitischer Beziehung. Der Ausschuß legt Wert darauf, dies ausdrücklich festzustellen.
Art. XI ist der Schlußartikel. Er enthält die übliche Bestimmung bezüglich der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde und der Modalitäten bei Kündigung des Abkommens. Ebenso ist die übliche Klausel enthalten, daß bei Auftauchen von Schwierigkeiten durch beiderseitige Verhandlungen Änderungen des Abkommens möglich sind.
Die in der amtlichen Begründung an zwei Stellen sich findenden Worte „im wesentlichen" und „sinngemäß" im Hinblick auf den Abschluß des vorliegenden Abkommens mit anderen Staaten wurden von der Regierung dahingehend interpretiert, daß diese Worte deshalb gewählt seien, weil durch die historische Entwicklung der Bundesrepublik vom Besatzungsregime zur Souveränität nicht in allen Fällen das vorliegende Abkommen wortgleich mit denjenigen anderer Nationen sei. Es wurde jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, daß in keinem Fall eine Diskriminierung der Bundesrepublik vorliege.
Abschließend darf ich feststellen, daß nach eingehender Diskussion in beiden Ausschüssen die Koalitionsparteien im Gegensatz zur Opposition die Ansicht hatten, daß das vorliegende Abkommen als großer Rahmen, in dem sich die militäri-


(Berendsen)

sehe Hilfeleistung der USA uns gegenüber bewegen soll, ohne Abänderung durch das Hohe Haus ratifiziert werden sollte. Wenn die Bundesrepublik die in der WEU und NATO vertraglich festgelegte Aufstellung von Streitkräften zeitgerecht durchführen will, ist die Ratifizierung des vorliegenden Abkommens hierzu die unerläßliche Voraussetzung. Erst nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunde sind die Vereinigten Staaten auf Grund ihrer eigenen Gesetzgebung in der Lage, die in Deutschland bereitliegenden Waffen an die jetzt in der Aufstellung begriffenen deutschen Verbände auszugeben. Ebenso können Teilnehmer an Lehrgängen in Europa oder Übersee erst nach Ratifizierung eingeladen und unentgeltlich transportiert werden. Die für uns dringend notwendige Ausbildungshilfe durch amerikanisches Lehrpersonal ist vorher nicht möglich.
In Abwägung all dieser soeben geschilderten Gründe darf ich im Namen der Koalitionsparteien das Hohe Haus auffordern, dem Ratifizierungsgesetz über das Abkommen vom 30. Juni 1955 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Verteidigungshilfe zuzustimmen.
Von der Opposition wurde bekanntgegeben, daß die Ablehnung der Sozialdemokratischen Partei sich nicht unmittelbar gegen das vorliegende Abkommen richte, sondern daraus resultiere, daß der Atlantikpakt als solcher seinerzeit nicht angenommen worden sei.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0211612300
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich darf den Herrn Berichterstatter jedoch darauf hinweisen, daß er die Aufforderung hier nicht im Namen der Koalitionsparteien, sondern nur im Namen des Ausschusses an das Hohe Haus richten kann, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Wir kommen zur zweiten Beratung. Ich rufe auf Art. 1, — 2, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Wird das Wort zur allgemeinen Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit Mehrheit gegen die Stimmen der sozialdemokratischen Fraktion angenommen.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Folgerungen aus den westlichen Luftmanövern „Operation Alert 1955" und „Carte blanche" (Drucksache 1603).
Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage hat der Abgeordnete Erler.
Erler (SPD), Anfragender: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 13. Juli dieses Jahres brachte die sozialdemokratische Bundestagsfraktion eine Große Anfrage ein, in welcher der Bundesregierung zwei Fragen gestellt wurden:
1. Was weiß die Bundesregierung von den Lehren, welche die westlichen Regierungen aus den kürzlichen Luftmanövern in den Vereinigten Staaten („Operation Alert 1955") und in Westeuropa („Carte blanche") für die militärische und zivile Verteidigung gezogen haben?
2. Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Manövern für die Verteidigungsplanung der Bundesregierung, welche Aufgaben ergeben sich insbesondere zugunsten des Schutzes der Zivilbevölkerung im Falle eines Krieges?
Ich möchte Ihnen die damalige Situation kurz in Erinnerung zurückrufen. Die deutsche Öffentlichkeit war außerordentlich beunruhigt über die Nachrichten, daß während dieser Teilmanöver, an denen praktisch nur die Luftwaffen, und zwar im wesentlichen taktische Verbände, beteiligt gewesen waren, vom 20. bis 28. Juni dieses Jahres allein in diesem Abschnitt, um den es hier geht, in dem unser Land liegt, 335 Atombomben zum Abwurf gelangt waren. In der Bevölkerung wurde die bange Frage laut: Welchen Sinn hat eine Verteidigungsplanung, wenn ein derart massiver Einsatz von Atombomben das zu verteidigende Objekt und das zu verteidigende Volk möglicherweise vollkommen zerstört? Es hat um diese Frage eine erste vorläufige Debatte gegeben nicht in Beantwortung unserer Großen Anfrage — denn die steht erst heute auf der Tagesordnung —, sondern anläßlich einer allgemeinen wehrpolitischen Aussprache, die sich damals an die Beratung des Freiwilligengesetzes im Bundestag anknüpfte. Der Herr Verteidigungsminister hat in dieser Debatte am 16. Juli zum Schluß ausgeführt, daß es ihm, dem Verteidigungsminister, selbstverständlich eine Ehre sein werde, diesem Hohen Hause auch später über den weiteren Fortgang der militärfachlichen Untersuchungen zu berichten. Ich nehme an, daß dieser Zeitpunkt nunmehr gekommen ist und der Herr Verteidigungsminister dieses Wort heute einlösen wird, das er damals dem Bundestag gegeben hat.
Worauf kommt es im wesentlichen bei dieser Debatte hier zu dieser Stunde und in diesem Hause an? Ich glaube, daß wir wie auch die anderen Parlamente der westlichen Völker die Aufgabe haben, unserer Bevölkerung vor allem die Wahrheit zu vermitteln,

(Sehr gut! bei der SPD)

daß wir nichts beschönigen dürfen, daß wir keine Panik zu säen haben — das ist selbstverständlich —, daß wir aber auch unser Volk mit den harten Realitäten vertraut machen müssen, denen es gegenübersteht.
Zu diesen Realitäten gehört z. B. die Entscheidung des nordatlantischen Paktsystems, wonach die atomare Kriegführung praktisch die unwiderrufliche Grundlage der technischen Verteidigungsplanung ist. Wir müssen uns überlegen, was das bedeutet. Wir müssen uns überlegen, ob eine solche Entscheidung nicht die Gefahr in sich trägt, daß der Einsatz taktischer Atomwaffen gewissermaßen zwangsläufig dann von beiden Seiten her einmündet in den allgemeinen Vernichtungskrieg unter dem Einsatz aller modernen Massenvernichtungsmittel.
Damals, unter dem frischen Eindruck der Luftmanöver, schrieb die in der vorangegangenen De-


(Erler)

batte heute schon mehrfach erwähnte „Frankfurter Allgemeine Zeitung" folgende Sätze:
Die fürchterliche Wirkung einer Atomwaffe auf Flugplätzen fordert deren Bombardierung und damit dieses einfache Mattsetzen der feindlichen Maschinen geradezu heraus. Da, um beim deutschen Beispiel zu bleiben, mehr als 30 Flugplätze in der Pfalz von Einheiten der alliierten taktischen Luftwaffe belegt sind und auf etwa ebenso vielen Rollfeldern in der Sowjetzone rote Jäger stehen, bedeutet der Atomkrieg, den General Gruenther ankündigte, Kampf um die Vernichtung von rund 60 operativ wichtigen Zielen auf dem Boden des geteilten Deutschlands.
Das ist die Situation, der wir uns gegenübersehen,
falls ein Konflikt ausbricht. Das ist die Widerlegung jenes Satzes des Herrn Bundeskanzlers, daß
das deutsche Land nicht zum Schlachtfeld würde,
wenn wir erst einmal in den Atlantikpakt einträten. Wenn es je zu einem bewaffneten Konflikt in
Europa kommt, dann wird Deutschland Schlachtfeld, ob es dem Atlantikpakt angehört oder nicht.

(Sehr richtig! und Sehr wahr! bei der SPD.)

Die in Westeuropa gelegenen Flugbasen sind in ihrer gegenwärtigen Anlage ideale Angriffsziele erster Ordnung.
Der Herr Verteidigungsminister hat am 16. Juli in seiner Rede ausgeführt, daß sich als eine erste Lehre aus diesen Manövern die Aufgabe der beteiligten Luftwaffen ergebe, die alsbaldige Luftherrschaft zu erringen, die nötig ist zum Schutze des eigenen Gesamtpotentials und zur Ausschaltung des feindlichen Kriegspotentials, vor allem der Luftbasen und der Raketenabschußbasen des Gegners.
Meine Damen und Herren, diese Überlegung wird niemals nur von einer Seite angestellt. Diese Überlegung beruht absolut auf Gegenseitigkeit. Wenn die eine Seite davon ausgeht, daß bereits in den ersten Stunden eines Konflikts zunächst einmal die feindlichen Flugplätze zerstört werden müssen, dann können Sie sich darauf verlassen, daß die gleiche Überlegung auch im wesentlichen den militärischen Planungen und Aktionen der anderen Seite zugrunde liegt. Das bedeutet also, daß allein schon im Vorhandensein dieser Stützpunkte auf deutschem Boden eben ein Gefahrenmoment liegt, das wir nicht verkleinern wollen, das wir nüchtern in eine offene Darstellung unserer wirklichen Lage einbeziehen müssen.
Die Manöver sind, wie aus sachverständigen Kreisen laut wurde. angelegt gewesen in dem Gefühl der atomaren Überlegenheit des Westens. Ich glaube, daß wir uns die Frage vorlegen müssen, ob dieses Gefühl heute noch berechtigt ist. Angesichts der jüngsten Wasserstoffbombenexplosion in der Sowjetunion sind doch mindestens Zweifel daran erlaubt, ob die westliche atomare Überlegenheit so erdrückend ist, wie vielleicht die Manöverplaner damals angenommen haben.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Man muß sich doch wohl damit vertraut machen, daß für den Fall eines Konflikts nicht nur die eine Seite, sondern beide Seiten die Atombombe in ihren verschiedensten Varianten zum Einsatz bringen würden, und dazu hat sich ein sehr sachverständiger Mann geäußert. Er hat Konsequenzen gezogen, die wir nicht nachdrücklich genug unterstreichen können. Am 5. Dezember dieses Jahres, gewissermaßen als Auftakt zu einer Erörterung dieses Problems im Deutschen Bundestag, hat jener Sachverständige gesagt:
Wir sollten allen Menschen auf der Erde einen Begriff von den Wirkungen der modernen Waffen geben, vor allem derjenigen, mit denen wir zur Zeit ausgerüstet sind, damit die Sinnlosigkeit eines Krieges klar wird.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Ich will Ihnen sagen, wer diesen Satz in einem Interview mit einer amerikanischen Zeitschrift ausgesprochen hat. Es war ein Mann, der weiß, was er damit aussagt, nämlich der Oberkommandierende der strategischen Luftstreitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika.
Damit wird klar, daß wirkliche Sicherheit durch militärische Anstrengungen allein nicht zu gewinnen ist. Es ist möglich, daß auf einige Zeit die beiden Mächteblöcke nach wie vor ihre Zuflucht in "immer stärkerer Rüstung suchen. Auf Sicht wird die Menschheit vom Alpdruck der Selbstzerstörung durch die modernen Massenvernichtungsmittel nur befreit werden können, wenn die Politik aller Länder — und zwar der großen voran — auf ernsthafte Bemühungen zu einem umfassenden, international wirksam kontrollierten Abrüstungsabkommen umgestellt wird.
Meine Damen und Herren, was wird aus der Bevölkerung eines Landes, in dem auf kleinem Raum 335 Atombomben in kurzer Zeit zu Boden gehen? Gewiß, man hat bei den Manövern gesagt, jede dieser Bomben sei kleiner gewesen als die, die über Hiroshima explodiert ist. Das ist ein magerer Trost. Niemand hat es anläßlich dieser Manöver unternommen, die möglichen Konsequenzen für die Bevölkerung der beteiligten Gebiete einmal darzustellen. Und außerdem: Wer kleine Bomben werfen kann, der kann auch große werfen.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Und was geschieht, wenn es in einem solchen Gebiet eben nicht bei der schon fürchterlich genug anzusehenden Kleinausgabe der Atomwaffen bleibt, sondern wenn dann die moderneren, zerstörenderen Modelle zum Einsatz gelangen?
Das sollte uns klar machen, daß wir bei all den Planungen, die in diesem Hause zur Zeit erörtert werden, einer Aufgabe einen wesentlich größeren Vorrang geben müssen als bisher, und das ist der Schutz der Zivilbevölkerung. Da haben wir das Tauziehen um die Luftschutzmaßnahmen zu beklagen; da haben wir die Auseinandersetzungen um die Mittel zu beklagen, die wir erbeten hatten, die wir bei den Beratungen zu den Haushaltsplänen gefordert hatten, bei denen sich die Regierungsmehrheit unseren Wünschen auf diesem Gebiet immer wieder widersetzt hat. Sie haben dann einen völlig unzureichenden Betrag — das wissen Sie selbst — als erste Rate in den Bundeshaushaltsplan eingestellt und haben sich damit begnügt, ein Drei-Jahres-Programm zu entwickeln, bei dem im ersten Jahr infolge der unzureichenden Ausstattung, die Sie vorgesehen haben, auch nicht einmal der finanzielle Grundstein gelegt werden kann. Sie haben darüber hinaus diese Auseinandersetzung noch dadurch verschärft, daß immer wieder versucht wird, die Lasten auf diesem Gebiet vom Verteidigungshaushalt weg nunmehr auf die Länder und Gemeinden weiter zu verlagern.


(Erler)

Wenn wir nüchtern die Ergebnisse — wir werden darüber nachher Näheres vom Herrn Verteidigungsminister hören — dieser Manöver unter die Lupe nehmen, dann sollte uns weiter klar sein, daß die Schutzmaßnahmen für die Zivilbevölkerung zunächst einmal mit einer Einrichtung anfangen, die uns bisher praktisch überhaupt nicht zur Verfügung steht, nämlich mit dem Aufbau eines wirksamen, umfassenden und schnell funktionierenden Warndienstes.
Nachdem ich hier einiges zur Lage der Bevölkerung gesagt habe, ist es vielleicht nötig, den Herrn Verteidigungsminister auch daran zu erinnern, daß es gut wäre, die Erfahrungen und die Schlüsse dem Hause mitzuteilen, die sich für seine übrigen Planungen aus dem Ablauf dieser Luftmanöver ergeben haben. Was wäre eigentlich aus Erdtruppen geworden, auf die innerhalb von acht Tagen 335 Atombomben niedergehen? Glaubt man ernstlich, daß in einer solchen Situation irgendeine Truppe noch beweglich und von irgendeinem Kampfwert gewesen wäre?
Wir haben in der Sitzung des Bundestages vom 16. Juli einige Fragen gestellt. Diese Fragen sind damals nicht beantwortet worden. Ich nehme an, daß der Herr Verteidigungsminister Gelegenheit genommen hat, die damalige Debatte noch einmal nachzulesen, damit wir heute die Fragen beantwortet bekommen, die ihm damals mein Freund Blachstein vorlegte, nämlich welche Verluste etwa Truppen auf der Erde und welche Verluste die Bevölkerung erlitten hätte, wenn dieses durchgespielte Manöver ein schauerlicher Ernstfall gewesen wäre, und welche Wirkungen allein die Strahlung, die bei einem so massierten Einsatz von Atomwaffen auftritt, ausgelöst hätte. Ich weiß, in der damaligen Debatte ist gesagt worden, die Erfahrung liefere den Beweis für die Notwendigkeit der Erdtruppen; denn erst wenn es zwölf deutsche Divisionen gebe, sei eine Situation eingetreten, wo man auf den Einsatz von Atomwaffen verzichten könne. Gerade das Fehlen deutscher Verbände zwinge den Westen dazu, zur Überwindung der sonst vorhandenen russischen Überlegenheit zum Einsatz von Atomwaffen zu greifen. Herr Verteidigungsminister, ist die Lage nicht ganz nüchtern so, daß die westliche Verteidigungsplanung darauf beruht, in jedem Falle, ob mit oder ohne deutsche Divisionen, die Überlegenheit der sowjetischen Bodentruppen durch den Einsatz von Atomwaffen auszugleichen, und heißt es nicht umgekehrt, daß damit die andere Seite dazu gebracht wird, ein Gleiches zu tun, und wir uns dann in einem vollen Krieg mit allen modernen schrecklichen Waffen der Zerstörung befinden würden?
Im Lichte der Erfahrungen scheint uns jedenfalls manches an den früher bekanntgegebenen Planungen des Bundesverteidigungsministeriums veraltet zu sein. Sowohl der Herr Verteidigungsminister als auch der zweite Verteidigungsminister, Herr Minister Strauß, haben damals dem Hause versichert, daß die Planung der Streitkräfte selbstverständlich allen modernen Erkenntnissen und Erfahrungen in elastischer Weise angepaßt würde. Den Grundsatz lobe ich mir. Wir haben aber nie etwas über die konkrete Ausführung dieses Grundsatzes erfahren, sondern bisher gilt für dieses Haus immer noch das, was seinerzeit bekanntgegeben worden ist als Grundlage der Planung in Ausführung der Abreden des Vertrags über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, Abreden also, die in ihren Grundzügen zurückgehen auf Verhandlungen der Jahre 1950 bis 1952. Inzwischen hat sich die Welt grausam verändert. Bei der Gliederung, bei der Ausrüstung und der Verwendung von Erdstreitkräften, wenn Sie sie schon aufstellen, können Sie nicht an überlieferten Vorstellungen hängenbleiben. Dann ist es auch Aufgabe der verantwortlichen Männer in der Bundesregierung, sich genauso, wie das in anderen Ländern der Fall ist, Gedanken über die völlig veränderte Rolle der einzelnen Waffengattungen und ihrer Stellung zueinander zu machen, sich zu überlegen, welche Rolle die Luftwaffe in der modernen Strategie spielt; wahrscheinlich spielt sie in der Gegenwart die überragende Rolle. Der Minister sprach davon, daß die von ihm vorgesehenen Erdtruppen zu einem Teil zum Schutze des Führungs- und Versorgungsapparates der modernen Luftstreitkräfte gebraucht würden. Praktisch hat sich damit das Verhältnis — früher sollte die Luftwaffe dem Schutz der Erdtruppen dienen — vollkommen umgekehrt, wie der Verteidigungsminister selbst ausgeführt hat.
Wir fürchten, daß das Verteidigungsministerium für die Beobachtung all dieser Fragen gar nicht ausreichend ausgestattet ist. Auch wenn die Bundesregierung darauf verzichtet hat, daß die Bundesrepublik Deutschland die schrecklichen Massenvernichtungswaffen herstellt und sich ihrer bedient, ist sie doch verpflichtet, sich mit den Problemen, die das Vorhandensein dieser Waffen in anderen Händen auch für unser Volk stellt, so sachverständig wie nur möglich auseinanderzusetzen.

(Beifall bei der SPD.)

Im Verteidigungsministerium muß also ein ständiger Beobachtungsapparat seinen Platz finden, aus dessen sachverständiger Arbeit sich die Schlüsse auch für die Tätigkeit aller anderen Ressorts dieses Ministeriums ergeben müssen. Es muß auch jener Gesprächspartner vorhanden sein, der die Bedeutung der Luftwaffe in den Verteidigungsplanungen aller großen Mächte wirklich sachkundig mit den Hauptbeteiligten erörtern kann, damit die Regierung und auch das Parlament die Grundlagen an Tatsachen zur Verfügung haben, die wir brauchen, wenn wir zu irgendeiner dieser Fragen, sei es beim Organisationsgesetz des Ministeriums, sei es beim Haushaltsplan, Entscheidungen zu treffen haben werden.
In diesem Gesamtzusammenhang bitte ich unsere Anfrage zu sehen. Sie ist diktiert von der Sorge darum, daß unser Volk in seiner gefährdeten Lage auf keinen Fall an den vorhandenen Gefahren einfach vorbeisehen kann, daß wir ihm die Wahrheit sagen müssen; und sie ist weiter von der Sorge darum diktiert, daß die Planungen des Verteidigungsministeriums möglicherweise nicht den Erkenntnissen entsprechen, die aus den Manövern der verbündeten Streitkräfte selbst zur Stunde gezogen werden müssen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0211612400
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Herr Bundesminister für Verteidigung.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0211612500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die Große Anfrage der SPD betreffend Folgerungen aus den westlichen Luftmanövern „Operation Alert


(Bundesverteidigungsminister Blank)

1955" und „Carte blanche" antworte ich, und zwar, soweit es sich dabei um den Schutz der Zivilbevölkerung handelt, im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister des Innern, wie folgt.
Bei den Luftmanövern „Operation Alert 1955" handelte es sich um eine Übung in den Vereinigten Staaten ausschließlich auf dem Gebiete der zivilen Verteidigung, des zivilen Schutzes. Von einigen Teilergebnissen abgesehen, liegen der Bundesregierung bislang keine amtlichen Auswertungsergebnisse dieser Übungen vor. Es ist jedoch der Bundesregierung sowohl von den zuständigen NATO-Stellen als auch von der Zivilverteidigungsverwaltung der Vereinigten Staaten zugesagt worden, ihr die amtlichen Feststellungen über die Ergebnisse dieser Operation mitzuteilen, sobald die Auswertung abgeschlossen sei. Die Bundesregierung wird diese Auswertungsergebnisse, sobald sie ihr vorliegen und soweit sie auf die hiesigen Verhältnisse anwendbar sind, dem Aufbau der Zivilverteidigung in der Bundesrepublik nutzbar machen.
Demgegenüber war die Übung „Carte blanche" ein NATO-Luftmanöver im europäischen Raum unter Leitung des Befehlshabers der alliierten Luftstreitkräfte Mitteleuropa. So reizvoll es im einzelnen sein könnte, Herr Kollege Erler, die Diskussion auf der Basis zeitgemäßer oder manchmal auch nicht zeitgemäßer Zeitungsartikel zu führen, so bin ich doch leider genötigt, mich hier an die amtlichen Ergebnisse zu halten und auf dieser Basis die Diskussion zu führen. Deutsche Vertreter waren bei dieser Übung nicht aktiv beteiligt, konnten jedoch als Zuschauer den verschiedenen Stadien der Übung beiwohnen. Bereits in der 100. Sitzung dieses Hohen Hauses am 16. Juli habe ich Ihnen die ersten Folgerungen aus dem Ablauf der Manöver vortragen können. Ich muß Ihnen heute sagen: sie haben noch Gültigkeit. Der endgültige Bericht und die Auswertung der Manöver sind von den zuständigen militärischen NATO-Stellen noch immer nicht abgeschlossen, weil deren Auswertung schwieriger ist, als sich das in manchen Zeitungsartikeln darstellt. Die bisher von SHAPE getroffenen und von der Bundesregierung ausgewerteten Feststellungen lassen es jedoch zu, hinsichtlich des in der Großen Anfrage der SPD-Fraktion angeschnittenen Fragenkreises folgendes zu bemerken. Die Anlage der Übung „Carte blanche" war vollkommen fiktiv. Sie steht in keinerlei Verhältnis zu den tatsächlichen sowjetischen Möglichkeiten oder einem voraussichtlichen Ablauf im Ernstfall. „Carte blanche" war vielmehr eine Übung, bei der die Zweite Alliierte Taktische Luftflotte der Vierten Alliierten Taktischen Luftflotte auf einer Nordsüdachse gegenüberstand, und zwar hauptsächlich auf dem Gebiete Westdeutschlands. Es war nicht vorgesehen, daß eine der beiden Seiten gewinnen sollte. Das Manöver sollte lediglich den operativen Einheiten der Luftstreitkräfte Europa-Mitte die größtmögliche praktische Übung geben.
Ich darf hier noch einmal einen Satz einschalten, den ich auch damals schon gesagt habe: daß es sich bei der Anlage solcher Manöver im wesentlichen darum handelt, den Führungskräften der Luftflotten in diesem Falle Möglichkeiten zu geben, ihre Führungsgrundsätze zu erproben und das Führungshilfspersonal bei solchen Anlagen auf seine Fähigkeit, diesen Aufgaben gerecht zu werden, zu überprüfen. Die Übungsleitung hatte daher den Schiedsrichterstäben die Anweisung gegeben,
den übenden Verbänden bei der Durchführung ihrer Aufträge möglichst große Schwierigkeiten zu bereiten. Aus diesem Grunde wurde eine verhältnismäßig große Anzahl von Zielen innerhalb einer kurzen, intensiven Operationsperiode mit Atombomben angegriffen. Auf Grund der vorgenannten fiktiven Anlage der Übung lagen diese Atomziele in Westdeutschland. Die Atomziele waren in allen Fällen militärische Ziele. Aber selbstverständlich wird man nicht bestreiten können, daß Verluste der Zivilbevölkerung in der Nähe dieser militärischen Ziele erfolgt wären.
Zweitens. Die Luftverteidigung war nur ein Nebenziel der Übung. Dadurch, daß das Manöver in einer Nordsüdachse angelegt war, wurde jede wirklichkeitsnahe Auswertung des bestehenden Luftverteidigungssystems, das notwendigerweise in der Ostwestrichtung ausgerichtet sein muß, ausgeschlossen. Auch im Rahmen der Luftverteidigung lagen daher die Ziele der Übung in der Ausbildung operativer Einheiten. Passive Verteidigung bzw. zivilen Schutz zu üben, war nicht Aufgabe dieser Manöver.
Drittens. Die Bundesregierung glaubt daher auf Grund des Übungszweckes nicht, daß Schlüsse aus der Auswertung des Manövers „Carte blanche" auf die Frage eines zivilen Bevölkerungsschutzes anzuwenden sind. Die Bundesregierung ist vielmehr der Ansicht und stimmt darin mit SHAPE überein, daß weder die Auswertung von „Carte blanche", auch wenn diese voll abgeschlossen ist, noch die sich unter Umständen daraus ergebenden Lehren eine Grundlage für die Art des militärischen Beitrages der Bundesrepublik oder für die Beurteilung unserer Probleme der zivilen Verteidigung abgeben könnten.
Viertens. Unabhängig von der Frage etwaiger Konsequenzen aus „Carte blanche" ist die Bundesregierung jedoch in der Lage, zu den uns alle so sehr bewegenden Fragen der militärischen und zivilen Verteidigung folgendes zu sagen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Aufbau eines zivilen Bevölkerungsschutzes — und danach hat der Herr Abgeordnete Erler gefragt—, vor allem des zivilen Luftschutzes, eine notwendige und dringende Aufgabe für die Bundesrepublik ist. Die Gefahr eines Atomkrieges macht diese Aufgabe noch dringender, und die gegebenen Möglichkeiten des passiven Schutzes gegen diese Gefahr müssen ausgenutzt werden.
Es kann aber auch keinen Zweifel geben — und darauf möchte ich noch einmal den Ton legen, wie ich das in meinen damaligen Ausführungen schon getan habe —, daß der zivile Bevölkerungsschutz allein nicht genügt. Vielmehr müssen ausreichende militärische Streitkräfte einen Aggressor von einem Angriff abschrecken können oder ihn, wenn er den Angriff doch wagen sollte, dann zu hindern in der Lage sein, unser Land zu überrollen. Es ist selbstverständlich, daß zwischen der zivilen Verteidigung der Bundesrepublik und dem militärischen alliierten Luftverteidigungssystem eine enge Verbindung hergestellt wird. Die entsprechenden vorbereitenden Maßnahmen sind eingeleitet.
Auf Grund der geographischen Lage der Bundesrepublik ist die Luftverteidigung unseres Gebietes nicht nur für uns, sondern auch für die alliierten Streitkräfte, insbesondere für die Luftstreitkräfte, von besonderer Bedeutung. Hieraus folgt, daß von Beginn der Aufstellung an die deutschen


(Bundesverteidigungsminister Blank)

Streitkräfte eng mit den gesamten alliierten Luftverteidigungseinrichtungen verbunden sein müssen und werden. Die Luftverteidigung der europäischen NATO-Gebiete entspricht noch nicht allen Forderungen im Hinblick auf die wachsende atomare und thermonukleare Stärke der Sowjetunion. Alle militärischen und zivilen NATO-Stellen arbeiten daher zur Zeit intensiv an einer Verbesserung der Luftverteidigungsplanung. Insbesondere wird ein europäisches Gesamtluftverteidigungsprogramm unter unserer Mitwirkung entwickelt. Ich darf an dieser Stelle darauf hinweisen, daß Deutschland, nachdem es Mitglied der NATO geworden ist, auch schon eine entsprechende Vertretung in NATO-Gremien hat, daß Deutschland seine Rechte dort geltend macht und daß wir über gleiches Ansehen und gleiches Gewicht im Rat verfügen wie die anderen NATO-Nationen.
Unter der Leitung von SHAPE arbeitet seit kurzem eine technische Zentrale der NATO-Luftverteidigung. Ihre Aufgabe ist es, die leistungsfähigsten organisatorischen und technischen Mittel für die bestmögliche NATO-Luftverteidigung zu prüfen sowie in Luftverteidigungsfragen beratend mitzuwirken. Die bisher geschaffenen und für die Zukunft geplanten integrierten militärischen NATO-Kräfte müssen aber als ein ausgeglichenes Gesamtprogramm angesehen werden. Ich muß immer wieder darauf hinweisen, daß es falsch ist, die Luftverteidigung nur in bezug auf das Gebiet der Bundesrepublik zu sehen. Angesichts der geographischen Lage, der Enge des Raumes und der unmittelbaren Bedrohung der westlich der Bundesrepublik liegenden Länder kann es hier nur ein gemeinsames NATO-Programm geben, das über die Grenzen der Nationen hinaus wirken muß, wenn die Abwehrfähigkeit gesichert sein soll.
Deutsche Vertreter haben schon seit langer Zeit ihre Beiträge zu diesen Planungen beigesteuert. Es muß allerdings zugegeben werden, daß die bestehenden Kräfte in mancher Hinsicht noch nicht stark genug sind. Der Aufbau deutscher Streitkräfte wird die westliche Stärke abrunden und bisher vorhandene Schwächen überwinden helfen.
Ich darf mich im Anschluß an diese meine Erklärung mit einigen Ausführungen, die der Kollege Erler vorhin gemacht hat, auseinandersetzen. Er wies darauf hin, daß schon in dem Vorhandensein der Stützpunkte — er meinte damit die Luftstützpunkte der alliierten Truppen, die Flugplätze und ähnliches — eine Gefahr liege. Nun liegt zweifellos im Vorhandensein eines jeden militärischen Stützpunktes auch eine eventuelle Absicht des möglichen Gegners, diesen Stützpunkt anzugreifen, und insofern eine Gefahr. Ich bin aber der Meinung, daß darüber hinaus auch andere Anlagen in Deutschland eine Gefahr darstellen, eine Gefahr insoweit, als der Gegner die Absicht haben könnte, sie zu zerstören. Wir würden leichtfertig handeln, wenn wir nun unsererseits nicht im Bundesgebiet militärische Anlagen schüfen, die auch dazu geschaffen sind, solche Anlagen gegen Angriffe aus der Luft zu verteidigen. Oder glaubt Herr Kollege Erler, daß man im Falle eines Angriffs von seiten des Gegners nicht unter Umständen auch die Ruhrindustrie als eine Gefahr ansehen und sie deshalb zu attackieren versuchen würde? Wir würden leichtfertig handeln, wenn wir nicht die entsprechenden militärischen Einrichtungen schaffen wollten, um eine solche Gefahr abzuwehren.
Ich bin mir völlig darüber klar und mit dem Kollegen Erler darin einig, daß der Krieg sinnlos
ist. Ich glaube, es gibt in diesem Hause auch unter den Befürwortern der Pariser Verträge niemanden, der etwa den Krieg als eine sinnvolle und erstrebenswerte Angelegenheit ansähe.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Solange aber die Situation in der Welt nun einmal so ist, daß das Böse — und dabei bleibe ichexistent ist, solange muß man auch danach trachten und darauf sinnen, die Mittel in die Hand zu bekommen, deren man bedarf, einen solchen Angriff abzuwehren.
Selbstverständlich ist Sicherheit nicht nur durch militärische Anstrengungen zu gewinnen. Ich glaube, darüber ist sich das ganze Haus, Opposition und Koalition, einig. Sicherheit kann durch militärische Dinge mit gewährleistet werden, und zur Abwehr gegen militärische Kräfte müssen militärische Kräfte eingesetzt werden. Darüber hinaus gibt es noch eine ganze Reihe anderer Mittel, die ebenfalls der Sicherheit dienen, die ich hier im einzelnen nicht zu erwähnen brauche; denn wir betreiben ja Gott sei Dank nicht nur Verteidigungspolitik im Sinne des Aufbaus einer militärischen Macht.
Herr Kollege Erler meint, daß eine wirksam kontrollierte Abrüstung hier vielleicht helfen könne. Es wäre sicherlich nichts erstrebenswerter als eine allgemeine Abrüstung, und es wäre sicherlich erstrebenswert, daß diese Abrüstung dann auch wirksam kontrolliert werden könnte. Nun, Herr Kollege Erler, wir kennen die vielfachen Bemühungen auf diesem Gebiete, und wir wünschen ihnen Erfolg. Aber wie die Dinge bis heute liegen, haben wir auf diesem Gebiete noch kein Vorwärts gesehen.
Schutz der Zivilbevölkerung! Ich habe soeben in meiner Erklärung schon gesagt: wir müssen alle Anstrengungen machen, um auch der Zivilbevölkerung einen möglichst großen Schutz zu geben. Ich muß aber nachdrücklichst, auch aus psychologischen Gründen, davor warnen, so zu tun, als wäre das deutsche Volk in Sicherheit, wenn man, um es einmal ganz konkret zu sagen, über eine hinreichende Anzahl atomsicherer Bunker verfügte. Denn es bleibt nun einmal eine militärische Weisheit, daß zwar die Atombunker, wenn man sie in hinreichender Anzahl schaffen könnte, Sicherheit für das Überleben im Augenblick des Atombombenabwurfs bieten würden, aber keine Sicherheit für das Überleben für den Augenblick, wo dann die feindlichen Truppenmassen dieses Land überrollen. Man muß also die beiden Dinge miteinander kombinieren; man muß das eine tun und das andere nicht lassen.
Nun werde ich gefragt, was denn aus den Erdtruppen geworden wäre, wenn diese Anzahl von Atombomben auf diesem Raum niedergegangen wäre. Ich habe schon dargelegt, daß diese Manöver völlig fiktiven Charakter hatten und daß sie vor allem überhaupt keinen Schluß darauf zulassen, ob es einem Gegner möglich gewesen wäre, in so kurzer Zeit eine solche Anzahl von Atombomben ins Ziel zu bringen. Soweit es ihm gelungen wäre, wären zweifellos Verluste entstanden, natürlich auch Verluste bei den Erdtruppen.
Es schließt sich die Frage an, ob denn nun die Planungen auf der Grundlage der Erkenntnisse von 1950 bei uns durchgeführt würden. Herr Kollege Erler, es ist sicherlich hier nicht der Ort, ins


(Bundesverteidigungsminister Blank)

Detail gehend über militärische Planungen zu sprechen;

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

wir haben über diese Dinge vielmehr — und das haben Sie zum großen Teil selber in der Hand — im Sicherheitsausschuß gesprochen und noch darüber zu sprechen.
Wir werden unsere Planungen doch nicht etwa aus der hohlen Hand machen. Selbst wenn Sie unterstellen sollten — aber diesen Vorwurf habe ich aus Ihren Worten nicht herausgehört —, daß die deutschen Sachbearbeiter auf diesem Gebiete samt und sonders nicht von besonderem Sachverstand wären, dürfte ich doch darauf hinweisen, daß uns hier alle Ergebnisse des ständigen militärischen Studiums, der Versuche und der Manöver, die im gesamten NATO-Bereich gemacht werden, zur Verfügung stehen und daß wir darüber hinaus auch sehr sorgfältig die Entwicklung auf diesem Gebiet in der ganzen Welt im Auge behalten, wenngleich auch hier nicht jede Zeitungsmeldung, die Russen hätten gerade gestern, sozusagen über Nacht, dieses oder jenes getan, auf einer sicheren Grundlage steht. Wir befinden uns doch hier in einem Bündnissystem, in dem, wie Sie wissen, 15 Nationen zusammen sind und in dem wir an den dort gewonnenen Erkenntnissen teilhaben.
Allerdings — das darf ich sagen, weil das Lob ja nicht für mich gilt, und ich bin verpflichtet, es bezüglich meiner militärischen Mitarbeiter und meiner Ratgeber zu sagen — haben Pläne, Vorstellungen und Gedanken, die unsere Sachverständigen in den NATO-Gremien zur Frage der Gestaltung der Erdtruppen im Zeitalter thermonuklearer Waffen vorgetragen haben, bisher in diesen Gremien immer ein Ohr gefunden. Ich habe bis zum heutigen Tage aus den NATO-Gremien zwar manches Lob meiner Herren gehört, noch niemals aber einen Hinweis darauf, daß das, was sie zu dieser Frage zu sagen hätten, überholt oder nicht anwendbar sei.
Meine Damen und Herren, ich folge dem Kollegen Erler, wenn er sagt, es sei Aufgabe der Besten, sich hierüber Gedanken zu machen. Der Meinung bin auch ich, und ich bin auch der Meinung, daß es nicht nur eine rein militärische Aufgabe ist, sich mit diesen Fragen und Problemen zu beschäftigen; es ist auch Aufgabe dieses Parlaments. Ich weise darauf hin, daß sich der Sicherheitsausschuß bisher bemüht hat, in all diesen Fragen mitzuwirken, nicht nur die Regierung zu kontrollieren, sondern auch über diese Dinge zu diskutieren, Anregungen und Ratschläge zu geben. Ich bin weiterhin der Meinung, daß auch wir in der Bundesrepublik zu ähnlichen Einrichtungen kommen müssen, wie man sie in anderen Ländern hat, wo nicht nur hockqualifizierte Soldaten, sondern auch hockqualifizierte Wissenschaftler der verschiedensten Gebiete und Praktiker gemeinsam darüber nachdenken, wie der jeweiligen Lage entsprechend gewisse Grundfragen der Verteidigungsorganisation zu lösen sind. Meine Damen und Herren, ich könnte das nur begrüßen. Mit je größerem Ernst man an diese Fragen herangeht, je tiefer man diese Probleme studiert und je mehr sich in Deutschland die Besten dazu bereit finden, um so besser kann die große Aufgabe gelöst werden. Denn es ist eine große Aufgabe, das Volk vor einem drohenden Angriff dadurch zu bewahren, daß man die Verteidigungsanstrengungen sinnvoll und zweckmäßig gestaltet. Wir sind nicht nur Mitglied eines Bündnissystems, an dem wir partizipieren und von dem her wir auch Erkenntnisse und Erfahrungen bekommen können; als Mitglied dieses Bündnissystems sind wir auch verpflichtet, das Beste, was wir zu leisten vermögen, in den gemeinsamen Dienst der gemeinsamen Sache zu stellen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0211612600
Das Haus hat die Antwort der Bundesregierung entgegengenommen. Wird eine Aussprache hierüber gewünscht? — Es sind mehr als 30 Abgeordnete, die die Aussprache wünschen. Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mende.

Dr. Erich Mende (CDU):
Rede ID: ID0211612700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten begrüßt eine Aussprache über das hier zur Debatte stehende Thema, weil es nicht angängig ist, daß sich nur einige Experten und Publizisten der Frage der revolutionären Entwicklung auf dem Gebiete der modernen Waffentechnik und ihres Schutzes annehmen. Es ist nötig, daß auch unsere Bevölkerung von dem Ernst der Situation in aller Offenheit durch dieses Haus in Kenntnis gesetzt wird.
Wir sind in ein neues Zeitalter getreten, seitdem am 2. Dezember 1942 unter den Tribünen eines Sportstadions in Chikago der Natur ein Geheimnis entlockt, nämlich die Kernspaltung praktiziert worden ist. Dieses Ereignis oder die Explosion der ersten Atombombe am 16. Juli 1945 in der Wüste von Neu-Mexiko — ein Augenzeuge ist unter uns im Raum Bonn—Godesberg; es ist der amerikanische Botschafter Professor Dr. Conant — hat ein neues Zeitalter der Elektronik und Kernspaltung eingeleitet, das vielleicht genau so eine neue Menschheitsgeschichte eröffnen wird wie seinerzeit nach der Sage Prometheus, als er den Göttern das Feuer raubte und es den Menschen brachte.
In der deutschen Öffentlichkeit pflegen wir allzusehr noch in den technischen Daten des zweiten Weltkrieges zu denken, ohne zu wissen, was in den letzten zehn Jahren in der technischen Entwicklung auch das politische, das wirtschaftliche, ja das kulturelle Denken zu revolutionieren beginnt. Sie alle, meine Damen und Herren, kennen noch die Flak des zweiten Weltkrieges mit ihren Kalibern von wenigen Zentimetern über die bekannte 8,8cm-Kanone und 10,5 cm bis zu den schweren Schiffsgeschützen von 21 cm. Diese Flak des zweiten Weltkrieges wird nicht mehr gebaut, und wo sie noch vorhanden ist, wird sie, wenn man sie nicht nach dem Nahen Osten billig verkaufen kann, verschrottet werden, weil sämtliche Staaten die Abwehr heute auf die elektronengesteuerte Rakete umgestellt haben. New York, Washington, London, Paris und Moskau, sie sind von einem Raketengürtel umgeben, der durch wenige automatische Auslösungen sich selbst steuernde Raketen bis in die Stratosphärenhöhe schickt, wo sie den einfliegenden Bomber oder die einfliegende unbemannte Rakete vernichten sollen. Die Flak wird sich also auf die kleinen Kaliber zur Bekämpfung von Tieffliegerangriffen beschränken.
Auch die Flugzeuge mit ihren Jägergeschwindigkeiten beispielsweise von 900 Stundenkilometern am Ausgang des , Weltkrieges erreichen heute eine Stundengeschwindgkeit von maximal 2400 km, und die Entwicklung ist noch im Gange. Der Mensch


(Dr. Mende)

ist diesen Beanspruchungen fast gar nicht gewachsen. Das Problem liegt darin, den Menschen an diese technische Revolutionierung zu gewöhnen. Sie haben von den Manövern „Alert", „Coronet" und „Carte blanche" gelesen. Einige Tausend Flugzeuge haben sich über dem westeuropäischen Raum Kämpfe geliefert. Von den Einflügen und den Atombombenabwürfen hat unsere Bevölkerung, bis auf einige Kondensstreifen, kaum etwas gespürt. Warum? Weil die Maximalhöhen dieser Kämpfe, die noch im zweiten Weltkrieg bei 7000, 8000, 12 000 m lagen, heute durchweg über 15, 20 km liegen, d. h. die Luftkämpfe und Einflüge finden in Höhen statt, wo das Flugzeug dem. menschlichen Auge und Ohr nicht mehr wahrnehmbar ist.
Lassen Sie mich die Daten noch um einige weitere vervollständigen. Sie alle kennen in den Großstädten aus böser Erinnerung den Liberator-Bomber, der in der Fortentwicklung als Verkehrsflugzeug in neuer Form, in der Super Constellation, erschienen ist: vier Motoren, 38 m Flügelspannweite, 81/2 m Rumpfhöhe, 5 Mann Besatzung, Maximalhöhe 7000 m, maximale Reichweite zwischen 6- und 7000 km, Gesamtgewicht 60 t. Der neue Großbomber vom Typ B 54, eine Fortentwicklung des B 29, den sowohl die Sowjets wie auch die Westmächte haben, hat eine Flügelspannweite nicht von 38, sondern von 88 m, nicht 4, sondern 8 Motoren, nicht 5 Mann Besatzung, sondern 22 Mann Besatzung, nicht 7000 m, sondern 20 bis 25 km Maximalhöhen, Reichweiten von etwa 12- bis 20 000 km und die Möglichkeit, nach 12 000 km im Fluge zu tanken.
Diese Entwicklung ist vielleicht auch nicht mehr die neueste. In der technischen Entwicklung pflegt ja das, was wir kennen und was in den Manövern und in den Paraden gezeigt wird, nur das letzte zu sein; während sich das allerletzte bereits in der Serienfabrikation und das allerallerletzte in den Stuben und Laboratorien der Wissenschaftler ge. rade entwickelt wird. Mir scheint, daß nicht nur hier im Hause, sondern auch in der Öffentlichkeit viel zu wenig Kenntnis von der Entwicklung der Raketenwaffen vorhanden ist. Die Raketenwaffen sind uns noch aus dem zweiten Weltkrieg in Form der V 1 und V 2 bekannt. Die V 2 insbesondere versetzte der britischen Insel und der Hauptstadt London einen Schock, weil sie unangekündigt aus Stratosphärenhöhe schneller als der Schall einschlug, ohne daß eine Warnung möglich war. Daß die Invasionsarmeen so rasch an der Normandieküste entlangstürmten, war nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken, daß man baldigst in den Besitz der Raketenabschußbasen kommen mußte, um den weiteren Nervenkrieg gegen die Hauptstadt Großbritanniens auszuschließen, wie sich ja überhaupt die Großangriffe der letzten Monate vor der Invasion gegen die Depots und gegen die Raketenabschußbasen der V 1- und V 2-Waffen richteten. V 1 und V 2 nehmen sich zu der neuen Raketenentwicklung aus wie etwa ein Fieseler Storch zu einem modernen Düsenjäger. Sie können es in der „Interavia", jener berühmten Fachzeitschrift der Schweiz, und in den entsprechenden englischen, amerikanischen und sowjetischen Fachzeitschriften nachlesen, und jeder Fachmann wird es Ihnen bestätigen. Nur bei uns weicht man anscheinend dieser grausamen Wahrheit aus.
Man unterscheidet heute drei Arten von Raketen, die auf beiden Seiten, der des Ostblocks wie der des Westblocks, zur Verfügung stehen. Eine Rakete ist insbesondere zur Abwehr einfliegender Bomber und Raketen und als Atomträger gedacht, jene von mir anfangs zitierten Raketengürtel um die Großstädte mit Schußweiten bis zu 150 km, ja vielleicht sogar schon mit Schußweiten bis zu 1000 km. Das heißt: mittels dieser Raketen, könnte bereits jeder Ort der Bundesrepublik von jeder Abschußbase der Sowjetzone aus erreicht werden, und umgekehrt könnte man aus der Bundesrepublik wiederum jeden Ort, jeden Flugplatz und jedes Objekt der Roten Armee drüben in der Zone erreichen.
Der zweite Typ ist die sogenannte mittlere Rakete als Atomkopfträger mit Schußweiten bis 3000 km; das heißt: aus jeder Abschußbase der Sowjetzone ist ganz Westeuropa bis Lissabon erreichbar und aus dem Gebiet der Bundesrepublik jeder Ort des Ostblocks bis Moskau.
Die dritte grausame Fortentwicklung ist dann die sogenannte Transkontinentalrakete mit Schußweiten von 7000 bis 10 000 km und mit Geschwindigkeiten von etwa 7- bis 10 000 km in der Stunde. Das bedeutet von dem Erkennen eines Projektils auf dem Radarschirm an Elbe und Werra bis zum Einschlag in New York eine Warnzeit von etwa 30 bis 35 Minuten und entsprechend umgekehrt von den Abschußbasen des Westens bis zum Einschlag in sibirische Fernziele ebenfalls die Warnzeit von nur einigen Minuten. Nun wissen Sie, meine Damen und Herren, daß die beiden großen Machtblöcke sich nicht nur an Elbe und Werra hier in Deutschland auf Handgranatenwurfweite oder auf Pistolenschußweite gegenüberstehen — hierin liegt ja die ganze Tragik der deutschen Situation, daß Deutschland militärisches Aufmarschgebiet zweier Blöcke geworden ist —, sondern sie stehen sich auch an der Beringstraße gegenüber, wie überhaupt der Nordpol das strategisch interessanteste Gebiet der Gegenwart ist.
Ein Professor Kapitza, ein nach der Sowjetunion eingewanderter Mitteleuropäer, hat in seiner Neujahrsansprache vor zwei Jahren als sogenannter „General Kapitza und Befehlshaber der nuklearen Verbände" erklärt, daß drüben an der Beringstraße die nuklearen Verbände der Sowjetunion in der Lage seien, jeden Ort der Vereinigten Staaten mit Atombomben-Raketen einzudecken. In der neuesten Entwicklung scheint es nach dem Urteil amerikanischer Fachleute so zu sein, daß die Sowjetunion um ein bis zwei Jahre dem Westblock voraus ist — daher die Anstrengungen der Amerikaner mit Professor Oberth und Wernher von Braun und anderen —, ja daß vermutlich die Sowjets in der Lage sind, die Wasserstoffbombe mit einer gegenüber der Atombombe von Hiroshima etwa 20 000fachen Sprengwirkung mittels der Transkontinentalrakete ins Ziel zu bringen. Wer in Amerika war — einige Kollegen verschiedener Ausschüsse sind ja Augen- und Ohrenzeugen —, wird bestätigen können, daß die Vereinigten Staaten dieser Situation in starkem Maße Rechnung tragen durch Luftschutzübungen, durch die Regelung ihres gesamten Verkehrswesens aus der Schau schneller Evakuierung ihrer Städte. Es erfüllt einen geradezu mit einer gewissen Sorge, wenn man sieht, in welchem Mißverhältnis zu der Bedrohung unsere Bemühungen in Deutschland stehen, auf die im einzelnen noch zurückzukommen sein wird.
Die Große Anfrage stellt die Frage, welche Konsequenzen man aus dieser revolutionären Entwicklung auf dem Gebiet der Elektronik und der Kern-


(Dr. Mende)

spaltung für die Planung der Streitkräfte zieht. Ich darf mir erlauben, das, was der Herr Bundesminister für Verteidigung hier schon dargelegt hat und was ich nachdrücklich unterstreiche, noch um das zu ergänzen, was in einem solchen Forum diskutiert werden kann, ohne militärische Geheimnisse preiszugeben. Die letzten Konsequenzen dieser neuen technischen Entwicklung können selbstverständlich nicht in der breiten Öffentlichkeit diskutiert werden, sondern sind, wie alle diese Fragen, dem Geheimnisschutz unterworfen.
Die Frage, wie wir uns bei der Erfüllung der Pariser Verträge in der Planung auch an die neuen Gegebenheiten anpassen müssen, ist schon Gegenstand mehrfacher Aussprachen und Konferenzen gewesen. Sie können auch in den verschiedensten militärfachlichen Werken darüber Diskussionen nachlesen: General Fuller, das neueste Buch von Miksche über Atomwaffen und Landstreitkräfte, die Erörterungen der Publizisten wie Liddell Hart, Weinstein u. a. Man soll diese Diskussionen nicht mit einer Handbewegung als das Geschreibsel von Journalisten abtun, sondern man sollte diesen Publizisten das Bemühen unterstellen, auch ihrerseits dazu beizutragen, auf die ungeheure Gefahr, die unserem Zeitalter droht, hinzuweisen.
Selbstverständlich werden wir, Herr Kollege Erler, bei den Planungen unserer Verbände auf die neue Situation dadurch Rücksicht nehmen müssen, daß wir sie noch kleiner machen, als wir es ohnehin schon vorhatten. Die Mammutdivisionen von 15- bis 18 000 Mann gehören der Vergangenheit an, ja selbst die mittleren Divisionen der 12 000-MannStärke. Vermutlich werden wir Divisionen von Ibis 8000 Mann haben, also kleine hochgepanzerte, schnelle, bewegliche Einheiten, die weitestgehend von der Versorgung eines Riesentrosses unabhängig sind und aus sich selbst solange wie möglich existieren können, — jene Frage, die auch der Oberstleutnant a. D. Miksche in seinem Buch sehr anschaulich dargelegt hat.
Wir werden in bezug auf unsere Seestreitkräfte gewisse Konsequenzen ziehen, wobei dieses Thema uns selbst hier nicht sehr viel berührt bei der Kleinheit unseres Beitrages von U-Booten nur bis zu 300 t und leichten Kreuzern bis zu 3000 t. Das berührt mehr die großen Marinemächte. Wenn man liest, daß bei den Bikini-Versuchen Schlachtschiffe in Entfernungen von 600 Metern von der Explosion der über dem Wasser explodierenden Bombe und bei Unterwasserexplosionen bis zu 1000 Meter versenkt wurden und das Wasser über viele Quadratkilometer tagelang radioaktiv war, dann ermißt man auch die Problematik der Marine im Zeitalter der Elektronik und der nuklearen Waffen. Bezüglich der Konsequenzen, die wir für unsere Luftwaffe — selbstverständlich im Einvernehmen mit unseren Partnern — ziehen müssen, braucht hier ebenfalls nicht weiter gesprochen zu werden.
Wir werden also — wenn ich diesen Teil abschließen darf —, Herr Kollege Erler, weitestgehend den neuesten Erfahrungen unserer Partner in Gliederung, Ausrüstung und Bewaffnung und in der Führung der Verbände Rechnung tragen müssen. Das Schlachtfeld würde in einem Weltkrieg mit nuklearen Waffen noch leerer werden, die Divisionen würden noch mehr auf sich selbst gestellt sein, sie würden mit noch größeren Verlusten rechnen müssen als unter den Flächenbombardements des 2. Weltkriegs.
Aber — und das ist die Kernfrage — durch die Revolutionierung der modernen Waffen sind Landstreitkräfte nicht schlechthin überflüssig geworden. Ganz im Gegenteil, auch das Manöver der Carte blanche stellt fest — genau so wie Alert und Coronet —, daß die beiderseitigen Luftwaffen sich so hohe Verluste zugefügt haben, daß am Ende ein Patt erreicht wurde und man dazu überging, die Auseinandersetzung mit den klassischen Waffen fortzusetzen. Das heißt, die letzte Entscheidung hatte doch wieder die Panzer- oder Infanteriedivision. Hier liegt, glaube ich, eine wichtige Aufklärungsaufgabe aller um die deutsche Sicherheit besorgten Kräfte vor. Man muß den Eindruck vermeiden, daß durch die Revolutionierung der atomaren Kriegstechnik die klassische Bewaffnung und der klassische Soldat schlechthin altes Eisen geworden sind und man sich um sie nicht mehr zu bekümmern braucht. Ganz im Gegenteil, je mehr auf den beiden Seiten das Gleichgewicht der atomaren Rüstung erreicht ist — ich denke an das, was Herr Chruschtschow über die Explosion der Wasserstoffbombe mit einigen Millionen Tonnen Trinitrotoluol gesagt hat —, um so mehr wird die Gefahr heraufbeschworen, daß man regional und lokal bedingte Auseinandersetzungen mit den klassischen Waffen führt und sich scheut, zu dem letzten Mittel, der Vernichtung durch atomare Waffen, zu greifen.
Hier liegt meines Erachtens auch ein Beweis durch die Russen selbst vor. Während die Sowjets sich auf der einen Seite rühmen, das Modernste an Wasserstoffexplosionen ausgelöst zu haben — Herr Chruschtschow dementierte, daß er nur eine Million Tonnen, eine Megatonne, gemeint habe, es handele sich um mehrere Millionen Tonnen TNT-Sprengstoff —, sind sie nicht bereit, ihre 175 Panzer- und motorisierte Divisionen abzurüsten. Sie werden sagen: Doch, sie haben ja 600 000 Mann frei gemacht. Auch die Amerikaner haben einige Hunderttausend frei gemacht, auch die Engländer. Meine Damen und Herren, diese Verringerung der klassischen Bewaffnung ist nur zurückzuführen auf die strukturelle Veränderung, die Neugliederung der Landstreitkräfte, d. h. auf die Verringerung der Größe der modernen Division auf die Stärke von 7000 bis 9000 Mann. Die freiwerdenden Kräfte kann man dann der technischen Entwicklung, insbesondere der Luftwaffe oder gar der Rüstungsproduktion zur Verfügung stellen.
Lassen Sie mich nun zu der zweiten Frage Stellung nehmen, zu der Frage: Was tun wir für unsere Bevölkerung auf dem Gebiete der Luftwarnung und was auf dem Gebiete des Luftschutzes? Herr Kollege Erler, es ist schwer, zehn Jahre, nachdem man die deutschen Luftschutzbunker auf alliierten Befehl sprengen mußte oder sie zu Depots, zu Wohnhäusern umbaute, ja, sogar manchmal zu Kirchen, nunmehr der deutschen Bevölkerung wieder die Notwendigkeit neuer Luftschutzbauten klarzumachen.
Die psychologischen Fehler alliierter und auch deutscher Nachkriegsmaßnahmen rächen sich. Man trifft nicht ungestraft von der Geschichte Fehlentscheidungen. Wir glaubten — wir alle —, daß die Entwicklung vielleicht an uns vorbeigehen würde, daß wir in Deutschland eine ruhige Insel inmitten des Meeres der Spannungen darstellen würden. Ganz im Gegenteil, die Weltgeschichte hat, wie Kollege Kiesinger einmal hier sagte, keine Pause für Deutschland eintreten lassen, sondern Deutsch-


(Dr. Mende)

land ist mitten hineingestellt in das Spannungsfeld der globalen Auseinandersetzung zwischen Weiß und Rot. Es gilt, sich mit den Gegebenheiten abzufinden und daraus die Konsequenzen zu ziehen.
Der Herr Bundesverteidigungsminister hat keine Antwort auf die Frage gegeben, ob das deutsche Luftwarnsystem bereits an das NATO-Luftwarnsystem angeschlossen ist, d. h. ob wir bereits Kenntnis erhalten von der Überwachung des Luftraums durch die Radarstationen der Westmächte, die an Elbe und Werra stehen und einige Hundert Kilometer, etwa 4- bis 600 km, kontrollierend nach Mitteldeutschland einsehen können, während umgekehrt auf der anderen Seite, am anderen Ufer von Elbe und Werra die Radarstationen der Sowjets stehen, die ihrerseits kontrollierend bis hier zu uns hineinschauen können und mit den Mitteln der modernen Radartechnik — Radio detecting and ranging - genau registrieren können, wieviel Züge aus dem Kölner Hauptbahnhof ein- und ausfahren, wieviel Flugzeuge in Düsseldorf-Lohausen starten und landen — oder in Frankfurt oder in Fürstenfeldbruck — und welche Typen es sind. Ich hoffe, daß wir schon jene Verknüpfung unseres Schicksals mit dem Schicksal unserer Partner erreicht haben, daß auch wir an dieses Radarwarnsystem angeschlossen sind oder ein eigenes Radarwarnsystem für unsere Bevölkerung entwickeln, zumal da wir nicht wie die Vereinigten Staaten den Atlantischen Ozean mit seinen 4000 Kilometern zwischen uns und den anderen haben, es also bei uns nicht um 30, 35 Minuten geht, sondern vielleicht nur um wenige Minuten. Daß es um Minuten geht, hat der General Gruenther in Unterstreichung der Bedeutung des Radarwarnsystems ja unlängst öffentlich gesagt: Es geht um Minuten!
Wie weit ist dieses Luftwarnsystem bereits von der Radarwarnung auch auf die einfache Luftüberwachung, die wir im zweiten Weltkrieg hatten und die sich nicht nur bei uns, auch auf der Britischen Insel bewährt hat, ausgedehnt? Vielleicht wird es nicht nötig sein, hier darüber zu sprechen, sondern im Ausschuß für europäische Sicherheit und dem Ausschuß, dem das Luftschutzwesen obliegt.
Über das Radarsystem insgesamt und die Bedeutung von Radio detecting and ranging zu sprechen, würde hier zu weit führen. Auch hier darf ich auf Schriften hinweisen wie „Interavia", auf die Aufsätze, die insbesondere der beste Radarspezialist, den wir haben, der Staatssekretär im Wirtschafts-
und Verkehrsministerium in Düsseldorf, Professor Dr. Brandt, veröffentlicht hat. Einige Damen und Herren dieses Hauses hatten ja Gelegenheit, vor Jahresfrist diesen Experten in einem außerordentlich eindrucksvollen Lichtbildervortrag zu hören.
Daß Luftschutz trotz der ungeheuren Entwicklung der Zerstörungstechnik der modernen Waffen nicht überflüssig geworden ist, ist auch eine Aufgabe der Aufklärungsaktion unserer öffentlichen Meinung. Denn viele Menschen sagen: Wenn es so ist, daß die Atombombe von Hiroshima und Nagasaki nur 20 000 t TNT-Sprengstoff darstellte, dagegen die moderne Atombombe zehn Jahre danach schon ein Vielfaches und die Wasserstoffbombe gar 12 bis 18 Millionen t Trinitrotoluol in ihrer Sprengkraft in sich birgt, — was hat es dann noch für einen Zweck, in das Häuschen einen Luftschutzkeller einzubauen oder Luftschutzbunker zu errichten?
Das wäre eine ganz gefährliche Antwort, und es wäre nichts schlimmer, als wenn sich in unserer Bevölkerung ein sogenannter Luftschutznihilismus breit machte: „Es hat ja doch keinen Zweck." Wer sagt, es hat keinen Zweck, der hat in einer Gefahr schon verloren; denn die Menschheitsgeschichte beweist, daß in dem Augenblick, da gefährliche Mittel gegen die eine Seite erfunden wurden, die Natur der anderen Seite oft die Gegenmittel zur Verfügung stellte, nicht nur auf dem Gebiet der modernen Arzneimittel, der Biologie und der Biochemie. Aureomycin, Streptomycin sind die Fortentwicklungen des Penicillins; auf die Panzer folgte die Panzerabwehrwaffe, auf die Flugzeuge die Flugzeugabwehr und auf die Rakete die elektronisch gesteuerte Gegenrakete. Es ist nichts im Leben hoffnungslos, es sei denn, man gibt sich selbst auf, und der Mensch pflegt ja in solchen Situationen des Menschen ärgster Feind zu sein, wenn er eine Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit verbreitet. Es gibt Beweise genug, daß Maßnahmen auch gegen die modernen atomaren Waffen Hilfe bringen. Wir haben von Fachleuten in einem Ausschuß dargestellt erhalten, daß, wenn die Atombombe von Hiroshima jetzt auf die Stadt Düsseldorf mit ihren 600 000 Einwohnern geworfen würde, mit 280 000 Toten, mit 190 000 Verletzten und mit 130 000 Unverletzten gerechnet werden müßte. Wenn dagegen jene Luftschutzmaßnahmen ergriffen werden, die jetzt durch das Bundesinnenministerium und durch die Luftschutzorganisationen wieder der Bevölkerung nahegebracht werden, wären die Verlustziffern beim Fallen einer Hiroshima-Atombombe mit der Sprengkraft von 20 000 Tonnen TNT 15 000 Tote und nicht 280 000, 210 000 Verletzte und 375 000 Unverletzte und nicht nur 130 000 Unverletzte. Sie wissen, daß schon die Atombombe, die auf Nagasaki fiel, wesentlich weniger Verluste mit sich brachte als die Atombombe auf Hiroshima mit ihren weit über 100 000 Toten. Das lag zum Teil an der Struktur der Landschaft — der berühmte tote Winkel des Infanteristen spielt auch in der atomaren Kriegstechnik eine Rolle, allerdings in ganz anderen Dimensionen —, zum Teil daran, daß auch Nagasaki schon in der Lage war, gewisse Schutzmaßnahmen zu entwickeln. An diesem Beispiel Düsseldorf — eins von vielen also — ist sehr drastisch nachgewiesen, daß auch im Atomzeitalter die Möglichkeit eines Schutzes gegeben ist, allerdings kaum für die unmittelbar unter dem Sprengkegel liegenden Einrichtungen. Die Totalvernichtungszone aber hat eben nur — das „nur" fällt mir schwer — einen Radius von 1500 Meter.
Auch aus der Kriegsgeschichte läßt sich herleiten, daß es Abwehrmöglichkeiten gibt und die Theorie Gott sei Dank nicht durch die Praxis bestätigt wurde. Ich darf wiederholen, was ich schon in einer Debatte um den Wehrbeitrag dargelegt habe: Der italienische General Douhet hat uns nachgewiesen, daß durch die modernen Bomber mit einer Bombenlast von einigen Tonnen pro Flugzeug der zweite Weltkrieg nur durch die Luftwaffe, und zwar in wenigen Tagen und Wochen, entschieden werden würde. Auch General Douhet hat damals den Luftkrieg überschätzt und die zur Abwehr getroffenen Maßnahmen unterschätzt. Er konnte nicht wissen, was dann später wirklich auf Deutschland gefallen ist, nämlich 2 Millionen Tonnen Sprengstoff. Auf manche Städte sind in 1500 Angriffen 100- bis 200 000 Tonnen gefallen, und trotzdem ist das, was General Douhet sagte, nicht eingetreten, nämlich


(Dr. Mende)

das Ausradieren des deutschen menschlichen und materiellen Potentials.

(Abg. Dr. Weber [Koblenz]: Es hat aber gereicht!)

— Es hat gereicht, das gebe ich zu. Aber General Douhet ist widerlegt worden durch den Willen zur Abwehr und zum Selbstschutz. Nicht mehr wollte ich durch dieses Beispiel hier dartun.
Es würde nicht genügen, wenn wir lediglich Luftschutzmaßnahmen in Form des Baues von Bunkern oder der Einrichtung eines Warnsystems durchführten, das bei unseren Entfernungen und bei den unerhörten Geschwindigkeiten ohnehin etwas illusorisch ist; es werden uns hier gerade noch Minuten verbleiben. Sehr wichtig ist auch die Anlage von Depots, insbesondere von Lebensmittel- und Sanitätsdepots, und die Lösung der Frage: besteht die Möglichkeit, bei drohender Kriegsgefahr durch internationale Vereinbarungen sogenannte freie Zonen zu errichten, in die die Bevölkerung evakuiert wird? Evakuierung ist das große Zauberwort des amerikanischen Luftschutzes. Warum baut man wohl an Chikago heran, an der Michigan-Avenue eine achtbahnige Straße mit versenkbaren Bordsteinen? Doch nicht etwa, um den Chikagoer Bürgern am Morgen die Hineinfahrt zu ihrem Dienstort auf sechs Fahrbahnen — zwei Fahrbahnen dienen hier für die Herausfahrt — und am Abend die schnelle Herausfahrt zu ermöglichen, sondern, wie man mir bestätigt hat, um Chikago, das einige Millionen Einwohner und etwa 1 Million Kraftfahrzeuge besitzt, bei der Gefahr drohenden Krieges in wenigen Stunden auf diesen acht Fahrbahnen zu evakuieren. Das Problem der Highways, überhaupt der Regelung des amerikanischen Verkehrs ist in erster Linie eine Luftschutzfrage. Man sollte auch bei uns das Verkehrsproblem in dieser Sicht betrachten, die Möglichkeit einer schnellen Evakuierung unserer Millionenstädte, wenigstens der Frauen und Kinder, zu schaffen.
Sie wissen, meine Damen und Herren, daß es im zweiten Weltkrieg auf beiden Seiten Flugblätter gegeben hat, die gewisse Städte vor dem Bombenabwurf gewarnt haben. Auch im Ruhrgebiet fielen in den letzten Kriegsmonaten Flugblätter, die die Angriffe ankündigten und der Zivilbevölkerung die Chance gaben, sieh in Sicherheit zu bringen. Dieses Beispiel verstärkt in mir die Hoffnung, daß die Möglichkeit gegeben ist, im Rahmen internationaler Abmachungen für die nicht kämpfende Bevölkerung, d. h. für Frauen und Kinder, sogenannte Sicherheits- oder Evakuierungszonen festzulegen. Der sehr rührige Vizepräsident des Deutschen Roten Kreuzes, der Ministerialdirektor im Bundesinnenministerium, Bagatzki, hat diese Anregung vor einem Jahr aufgenommen und bestätigt, daß man über dieses Thema auf den internationalen Konferenzen gesprochen habe, daß aber die Realisierung dieses Wunsches, zumal angesichts des Gegners auf der anderen Seite und wohl auch dessen Einstellung zum Völkerrecht und zur Haager und Genfer Konvention leider schwer zu erreichen sein werde.
Der Bundesminister Dr. Schäfer hat vor wenigen Wochen auf die Problematik der ärztlichen Versorgung in Katastrophenzeiten hingewiesen und sich bemüht, das Augenmerk auf den Mangel an Krankenschwestern und Pflegepersonal schon in Friedenszeiten zu lenken, mit dem Erfolg, daß sein Vorschlag karikiert wurde, unter dem Motto „Mädchen in Uniform". Meine Damen und Herren, der schönste Luftschutzkeller nützt nichts, und auch die Evakuierungsmaßnahmen genügen nicht, wenn nicht in Synchronisation mit diesen Maßnahmen Sanitäts- und Lebensmitteldepots und eine genügende Menge geschulten Hilfs- und Pflegepersonals zur Verfügung stehen. Man sollte also der Frage, wie wir die deutschen Frauen und Mädchen auf freiwilliger Basis als Pflege- und Hilfspersonal in Katastrophenzeiten ausbilden wollen, mehr Beachtung schenken als nur in der Form der Ausnutzung eines solchen Vorschlages für kabarettistische und illustrierte Witzdarstellungen.
Es war kein Geringerer als der Feldmarschall Montgomery, der bei unserer Anwesenheit in Paris die Wichtigkeit der Heimatverteidigung und des Luftschutzes unterstrich. Was nutzt nachher eine gelungene Aktion, wenn der Substanzverlust so groß ist, daß nichts mehr von diesem Volk übriggeblieben ist?
Die uns verbliebene Substanz beiderseits der Elbe so weit wie möglich zu schützen, sollte das Hauptanliegen auch unserer Verteidigungs- und Sicherheitsplanung sein. Man sollte auch den Mut haben, über die Frage der Aufnahmegebiete zu sprechen: Wo darf bei drohender Kriegsgefahr die Hamburger, die Münchener, die Frankfurter Mutter mit ihren Kindern hin? Muß sie an der belgischen, französischen, Schweizer Grenze damit rechnen, abgewehrt zu werden? Oder ist auch im Rahmen der westeuropäischen Verteidigung ein Evakuierungsprogramm in europäischer, ja sogar in atlantischer Sicht geplant? Ich erinnere daran, daß England einen Teil seiner gefährdeten Bevölkerung nach Kanada beförderte. Man sollte also auch bei uns diesem heiklen Problem seine Aufmerksamkeit widmen.
Nach diesen etwas sehr erschütternden, vielleicht sogar schockierenden Darstellungen über das Ausmaß der modernen Vernichtungsentwicklung lassen Sie mich zum Schluß einige tröstliche Dinge sagen. Wir wollen nicht den Teufel an die Wand malen und um Gottes willen nicht unsere Bevölkerung in eine Panikstimmung versetzen; wir wollen ihr aber auch nicht die Illusion geben, daß diese kleine Fettschicht auf. dem sogenannten deutschen Wirtschaftswunder, dem leider kein soziales und schon gar nicht ein geistiges Wunder gefolgt ist, genüge, um die deutsche Bevölkerung in jenem Sicherheitsgefühl zu belassen, das sie heute manchmal hat.

(Sehr richtig! rechts.)

Nur dieser Sorge gelten die Ausführungen. Aber durch diese Entwicklung der modernen Waffen auf beiden Seiten ist auch das eingetreten, was Winston Churchill im Unterhaus wie folgt darlegte: Die Furcht ist heute die Tochter des Friedens geworden. Das heißt, auf beiden Seiten ist man so sehr mit den modernsten Vernichtungswaffen ausgerüstet, daß ein dritter Weltkrieg beide Seiten mit unerhörten Vernichtungswellen überfluten würde, so daß es keine Sieger und keine Besiegten mehr gäbe, sondern einen Akt der Vernichtung der Zivilisation. Vielleicht würde dann nach dem Zeitalter der Elektronik und der Kernphysik wieder ein Steinzeitalter beginnen. Wir sind ohnehin schon auf dem besten Wege, wieder in die Erde zu kriechen,
wenn ich an die Anstrengungen der schwedischen Industrie denke, sich in ihre Felsen hineinzubauen. Der Steinzeitmensch ist bereits auf neuem Wege!


(Dr. Mende)

Es wird zweckmäßig sein, die Planungen, die wir auf dem Gebiet der Verteidigung durchführen, so zu synchronisieren, daß es hier nicht zu einem Durcheinander kommt. Ich stimme Herrn Kollegen .Erler völlig zu: Das Schlimmste, was uns passieren könnte, wären eifersüchtige Ressortstreitigkeiten, die dann verhindern, was in der Sache getan werden muß. Ich erinnere: auch in Amerika hat man den ersten Entwicklungen in der Atomphysik nur 6000 Dollar bewilligt, und die Fachleute, angefangen von Professor Einstein, Niels Bohr, Lise Meitner bis zu Herrn Professor Dr. Conant, hatten große Mühe, gerade die Militärs, die allzusehr im Denken der Vergangenheit befangen waren, von der revolutionären Entwicklung zu überzeugen. Am Ende sind dann 2 Milliarden Dollar allein bis zur Explosion der Hiroshima-Bombe ausgegeben worden. Sie sehen: welche riesigen Leistungen! Seien wir unseren Partnern aus der atlantischen Verteidigungsgemeinschaft dankbar, daß sie für uns Forschungs- und Entwicklungsaufgaben übernommen haben, die wir aus eigener Kraft gar nicht lösen können.
Das Tröstliche unserer Situation ist schließlich, daß wir nicht allein auf weiter Flur stehen, sondern daß die Bundesrepublik in ein atlantisches Verteidigungssystem eingebettet ist. Europa und seine Freiheit können nicht aus der Kraft Deutschlands, auch nicht aus der Kraft des restlichen Europa geschützt werden, sondern man braucht die Hilfe des großen atlantischen Bruders, der Vereinigten Staaten. Da wir diese Hilfe besitzen, sollten wir bei aller Sorge um unsere gefahrvolle Situation in der Bundesrepublik auch die Hoffnung hegen, daß am Ende über weitere Konferenzen doch jenes kollektive Sicherheitssystem gefunden wird, das uns aus der Spannung löst, Aufmarschgebiet zweier Militärblöcke geworden zu sein, das Europa aus der Spannung löst und das die Menschheit wieder aufatmen läßt, weil der dritte Weltkrieg nicht stattfindet! Denn über den politischen Parteien sollten Deutschland und der Wille zur deutschen Wiedervereinigung stehen, über Deutschland das europäische Bewußtsein, aber der Friede, meine Damen und Herren, über alles, über alles in der Welt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0211612800
Das Wort hat der Abgeordnete Blachstein.

Peter Blachstein (SPD):
Rede ID: ID0211612900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind über die Beantwortung der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion durch den Herrn Verteidigungsminister nicht befriedigt. Wir sind um so weniger über dieses magere Ergebnis befriedigt, als die Anfrage bereits am 13. Juli gestellt wurde und also lange Zeit gewesen ist, uns eine umfassendere Antwort auf die Fragen, die wir gestellt haben, zu geben als die, die wir heute in diesem Hause durch den Verteidigungsminister bekommen haben. Herr Verteidigungsminister, wir werden Sie über die Probleme, die in dieser Anfrage enthalten sind, so lange fragen, bis Sie diesem Hause und der deutschen ffentlichkeit eine Antwort gegeben haben, die wir von Ihnen erwarten dürfen und erwarten müssen.
Was Sie über das Manöver „Carte blanche" und über Manöver im allgemeinen gesagt haben, war schließlich nicht sehr neu. Natürlich sind Manöver fiktiv. Wie ständen wir da, wenn die 335 Bomben, die in diesem Mannöver gefallen sind, nicht fiktiv
gewesen wären! Wahrscheinlich wäre es dann zul spät, über die Möglichkeiten der Verteidigung der Bundesrepublik überhaupt noch zu reden. Aber die Probleme, die in diesem Manöver gestellt wurden, wobei es nicht wesentlich ist, daß die Operationen geographisch von Nord nach Süd statt, wie es vielleicht auch denkbar gewesen wäre, von Ost nach West ausgerichtet waren, die Probleme des modernen Vernichtungskrieges, die in diesem Manöver auf einem Teilgebiet erprobt wurden, sind nach unserer Auffassung so ernst und so wichtig für die Methoden des Aufbaus deutscher Streitkräfte, vor dem wir jetzt stehen, daß wir nicht so lange Zeit haben und es uns beunruhigt, wenn Sie sagen, daß die Berichte ausgewertet werden, wenn wir sie bekommen werden, und daß man dann die notwendigen Maßnahmen treffen wird. Wir stehen jetzt am Anfang des Aufbaus neuer deutscher Streitkräfte, und wir meinen, daß gerade bei diesem Anfang die Erkenntnisse, die heute gewonnen sind, so weit wie möglich angewandt werden müssen und daß dieses Haus ein Recht darauf hat, vom Verteidigungsminister zu erfahren, welche Konsequenzen aus diesem Manöver und aus anderen Manövern für den Aufbau der deutschen Streitkräfte gezogen werden.
Sie haben, Herr Verteidigungsminister, davon gesprochen, daß der zivile Schutz nicht ausreicht und daß er durch militärische Maßnahmen ergänzt werden muß. Hier liegt das ganze Problem, das wir in der Anfrage anpacken wollten: In welcher Weise werden die militärischen Dinge in Zusammenhang gebracht mit dem Schutz der Bevölkerung, und wie kann man unter den jetzt gegebenen Bedingungen den Schutz der Bevölkerung heute so weit wie möglich gewährleisten? Das läßt sich nicht mehr voneinander trennen. Es wird auch in den anderen Ländern nicht mehr getrennt, sondern greift ineinander über. Darum sind wir außerordentlich beunruhigt über das Wenige; das auch heute über den zivilen Luftschutz hier gesagt worden ist. Es begann bei den sehr zögernden Antworten des Herrn Atomministers in der Fragestunde. Nun mag das daran liegen, daß es sich um eine neue Aufgabe und um ein neues Ministerium handelt, und ich möchte ohne jeden Beiklang sagen: Gewiß, es mag Zeit brauchen, bis die Organisation steht und die Erfahrungen vorliegen. Aber das Nebeneinander von verschiedenen Ressorts vom Verteidigungsministerium über das Innenministerium bis zum Atomministerium — und wahrscheinlich sind zusätzlich noch eine ganze Reihe anderer Instanzen mit diesen Fragen beschäftigt — gibt uns nicht die Gewähr dafür, daß diese Fragen des Luftschutzes in der besten und effektivsten Weise heute bei uns geregelt werden.
Es steht als erste Aufgabe vor der Regierung — mein Vorredner, der Kollege Dr. Mende, hat das am Ende seiner Ausführungen schon gesagt — die Erhaltung der Substanz unseres Volkes. Wir glauben, daß jede Form der Verniedlichung der möglichen Gefahren, die vor uns liegen, schädlich ist. Wir dürfen nicht so tun, als regle sich das alles von selbst und als würde man schon mit den Fragen fertig werden, wenn man sich anpasse und wenn man sehr allgemein darüber hinwegzukommen versuche.
Der Herr Innenminister hat in der Debatte im Monat Juli die Zahlen genannt, die im Bundeshaushalt 1955 für den Luftschutz eingesetzt waren. Es handelte sich ursprünglich um eine Summe von


(Blachstein)

12 Millionen DM, die durch den Nachtragsetat um 70 Millionen DM erhöht wurde. Im Haushalt des Jahres 1956, den wir demnächst hier zu beraten und zu beschließen haben, stehen 88 Millionen DM für den zivilen Luftschutz. Erlauben Sie mir, die Vergleichszahlen von zwei anderen Ländern für die Bemühungen um den Schutz der Bevölkerung im Kriegsfalle hier anzuführen. Während die Bundesrepublik nach den Zahlen von 1955 — also 12 plus 70 Millionen DM — 1,64 DM pro Kopf der Bevölkerung ausgab, geben England 4,10 DM und Schweden 8 DM im Jahr pro Kopf der Bevölkerung für diesen Zweck aus. Diese Zahlen geben einen Einblick, daß in unserem Lande an Mitteln viel zuwenig zur Verfügung gestellt wird.
Herr Kollege Erler hat in seiner Begründung unserer Großen Anfrage darauf hingewiesen, daß es nicht sehr glaubwürdig ist, daß in einem Dreijahresplan 1,2 Milliarden DM für diese Zwecke verausgabt werden sollen, wenn im Haushalt dieses Jahres ganze 88 Millionen DM vorgesehen sind. Die sozialdemokratische Fraktion hat bereits bei den Haushaltsberatungen 1954 1 Milliarde DM für Luftschutzmaßnahmen für notwendig gehalten. Im Jahre 1955 haben wir nach einem im einzelnen aufgegliederten Plan, für welche speziellen Zwecke welche Summen verwandt werden sollen — ein Plan, der von Kreisen in der Bundesrepublik, die von Luftschutz etwas verstehen, gebilligt worden war und als zweckmäßig angesehen wurde —, 1,2 Milliarden DM — von den 9 Milliarden Verteidigungskosten — gefordert; aber die Mehrheit dieses Hauses hat es auf Antrag der Regierung bei den 82 Millionen DM des vorigen Haushaltsjahres belassen.
I Der Herr Bundesinnenminister hat in der Debatte im Monat Juli an uns appelliert, die Frage des Luftschutzes nicht zu einer parteipolitischen Auseinandersetzung werden zu lassen. Uns liegt an dieser Auseinandersetzung überhaupt nichts. Es hängt aber von der Bundesregierung ab; es hängt davon ab, in welcher Weise sie diese Aufgaben in Angriff nimmt und durchführt und welche Bedeutung sie dem zivilen Luftschutz gibt, ob es eine Sache wird, die wir gemeinsam tun können, oder ob wir wie bisher der Regierung den Vorwurf machen müssen, daß sie zuwenig tut und daß bei dem Grad der Bedrohung, bei der Zugehörigkeit zur NATO und bei der Gesamtpolitik der Regierung diese Mittel einfach nicht ausreichen.
Nach unserer Meinung dürfen die Fragen der militärischen Verteidigungsplanung nicht von den zivilen Luftschutzmaßnahmen getrennt werden, denn sie lassen sich heute nicht trennen. Hier muß man versuchen, eine Einheit der Verteidigungsanstrengungen im ganzen zu erreichen.
Wir meinen, daß es notwendig sein wird, in der Bevölkerung Verständnis hierfür zu schaffen. Dazu aber ist es notwendig, für den Luftschutz Mittel in einem gewissen Umfang, der wenigstens ein Minimum an Möglichkeiten in sich schließt, zu bewilligen, weil sonst die Glaubwürdigkeit, daß mit diesen Maßnahmen effektiv etwas zu erreichen ist, sinken muß.
Wir meinen, daß die Frage der Luftverteidigung und die Frage des Atomkrieges offen vor dem deutschen Volk besprochen werden sollten. Es ist sicher ein guter Gedanke, den der Herr Verteidigungsminister ausgesprochen hat, daß die Fragen der Verteidigung nicht nur eine Sache der Militärs
sind, sondern daß auch die besten Kräfte aus dem zivilen Leben sich dieser Aufgabe widmen sollten. Aber, Herr Verteidigungsminister, wenn wir in diesem Hause damit beginnen, uns mit diesen Fragen ernsthaft auseinanderzusetzen, dann müssen Sie uns durch Offenheit in diesen Fragen besser helfen, als es bisher geschehen ist. Es gäbe eine Reihe von praktischen Fragen, die die Organisation des Ministeriums betreffen, die mein Kollege Erler gestellt hat. In welcher Weise werden die Fragen der atomaren Kriegführung im Ministerium behandelt? Wann werden wir darüber etwas erfahren? Wir sind gar nicht der Meinung, daß es keine deutschen Militärs gäbe, die von diesen Dingen etwas verstünden. Niemals haben wir das gesagt. Aber auf welche Weise wird dafür gesorgt, daß die entscheidenden Fragen der modernen Kriegführung in dem Apparat, den das Verteidigungsministerium darstellt, auch wahrgenommen werden? Wir erwarten, daß wir darüber etwas erfahren werden.
Wir haben bei der Debatte im Juli den Vorschlag gemacht, daß die Fragen der Verteidigung gegen einen Atomkrieg durch eine Fachkommission geklärt werden — unabhängig von der Regierung —, von Fachleuten aus allen Teilen des öffentlichen Lebens und der militärischen Organisation. Nach dem, was heute in diesem Hause gesagt wurde, sei es aus dem Hause, sei es von der Regierung, glaube ich, daß wir diesen Gedanken nähertreten sollten.
Erlauben Sie mir zum Schluß eine Bemerkung zu der Äußerung des Atomministers, daß die Bundesregierung — er sagte ausdrücklich, daß er diese Erklärung in Übereinstimmung mit dem Herrn Bundesaußenminister abgebe — keinen Anlaß sieht zu außenpolitischen Interventionen und dazu, zu den fortgesetzten Probeexplosionen von Atom- und anderen Bomben in Ost und West Stellung zu nehmen. Was muß eigentlich geschehen, bis wir zu dieser unheilvollen Entwicklung der Steigerung der Experimente mit Atomenergie und mit Atomwaffen etwas zu sagen haben als Volk, als Staat und als Regierung?

(Sehr gut! bei der SPD.)

Ich meine, die Regierung hätte hier eine Aufgabe — es handelt sich um Versuche in Ost und West —, mit den Kräften in der Welt zusammenzuwirken, die versuchen, diesen unheilvollen Experimenten ein Ende zu bereiten.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Das wäre ein Beitrag zur Politik der Entspannung; das wäre ein Beitrag zu einer Politik, die dem Frieden dient und die uns das Schicksal eines Krieges mit oder ohne Atomwaffen ersparen könnte.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0211613000
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.

Dr. Gerhard Schröder (CDU):
Rede ID: ID0211613100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß, daß das Hohe Haus heute noch eine sehr umfangreiche Tagesordnung vor sich hat. Ich möchte deren Abwicklung nicht über Gebühr verzögern. Trotzdem veranlaßt mich einiges, was Herr Kollege Blachstein gesagt hat, hier das Wort zu ergreifen. Ich will das in wenigen, ganz kurzen Feststellungen tun.
Zunächst darf ich sagen, daß die Bundesregierung an ihrem hier schon gelegentlich erwähnten


(Bundesminister Dr. Schröder) 1,2-Milliarden-Programm für den Luftschutz festhält. Darüber im einzelnen zu sprechen, wird Gelegenheit sein, wenn das Bundesluftschutzgesetz in diesem Hause vorgelegt wird.

Über den Stand dieses Gesetzes kann ich sagen, daß es, vom Kabinett vor einiger Zeit verabschiedet, den Bundesrat inzwischen im ersten Durchgang passiert hat. Es befindet sich im Augenblick in den Ressorts, die zu den Anmerkungen des Bundesrates Stellung nehmen. Ich hatte an sich die Hoffnung, das Gesetz noch in einer der letzten Sitzungen vor Weihnachten einbringen zu können. Das wird sich höchstens kurzfristig verzögern, so daß wir damit rechnen dürfen, das Gesetz im Januar hier zu haben. Ich bin der Meinung, Herr Kollege Blachstein, daß wir alle Erörterungen, die sich auf das Handeln der Bundesregierung und auf die Bereitwilligkeit des Hohen Hauses, die Bundesregierung darin zu unterstützen, beziehen, besser an Hand des konkreten Gegenstandes führen können.
Ich darf noch einmal sagen — und ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie das zitiert haben —, ich bin zutiefst davon überzeugt, daß alle Fragen äußerer und innerer Sicherheit — und diese Probleme laufen ja hier zusammen — so ernst und so schwerwiegend sind und uns im Grunde alle so gemeinsam, wirklich im echtesten Sinne gemeinsam betreffen, daß wir Kontroversen darüber nicht nötig haben werden. Vielmehr wird es sich nur darum handeln, was wir praktisch tun können, welche Mittel wir dafür zur Verfügung zu stellen bereit sind und was auf diesem Gebiete ein realistisches Vorhaben ist, nicht ein Vorhaben, das durch den Umfang der Ziffern blendet, sondern ein Vorhaben, das tatsächlich realisiert werden kann.
Im übrigen möchte ich folgendes sagen, und es ist vielleicht ganz gut, wenn ich das schon vorweg zum Ausdruck bringe. Der größte Teil dieser Dinge wird sich überhaupt im Bereich der Länder und Gemeinden und unter Mitwirkung der Länder und Gemeinden abspielen. Andererseits können wir zu vielen recht konkreten Maßnahmen, zu denen wir gern schon längst gekommen wären, nicht eher kommen, als bis wir die gesetzlichen Grundlagen geschaffen haben. Ich habe deswegen die herzliche Bitte an das Hohe Haus, uns bei der Schaffung dieser gesetzlichen Grundlagen zu unterstützen. Es handelt sich um ein schwieriges Problem. Sie wissen aus den Erörterungen, daß man sich die Aufbringung der Kosten zum Teil gegenseitig zugeschoben hat, daß zwar alle den Luftschutz unbedingt bejahen, daß man sich aber über die Kostenfrage schwer einig werden kann.

(Abg. Dr. Menzel: Woher sollen es die Gemeinden denn nehmen, Herr Bundesinnenminister?)

— Lieber Herr Kollege Menzel, wir können jetzt nicht in eine umfassende Finanzdebatte eintreten; aber so viel ist sicher, daß man die Ausgaben und Aufwendungen miteinander harmonisieren sollte und daß man das nur dann fertigbringen wird — der Privatmann wie alle staatlichen Stellen —, wenn man sich dabei an gewisse Prioritäten hält. Ich hoffe, das Hohe Haus, das ja das entscheidende Wort darin hat, wird die richtigen Prioritäten im Verhältnis zwischen dem Bund und den Ländern festlegen. Wir wollen gar nicht so weit gehen, uns dabei mit den Gemeinden zu befassen; denn es wird Sache der Länder sein, das mit den Gemeinden im einzelnen klarzubekommen. Ich hoffe, wie gesagt, daß wir eine praktische und realistische Debatte spätestens im Januar haben können.

(Beifall in der Mitte.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0211613200
Das Wort hat der Abgeordnete Berendsen.

Fritz Berendsen (CDU):
Rede ID: ID0211613300
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist jetzt ausreichend über das Thema gesprochen worden. Namens meiner Fraktion darf ich erklären, daß wir den Forderungen, die der Kollege Erler erhoben hat und die soeben noch vom Kollegen Blachstein untermauert worden sind, grundsätzlich zustimmen, wenn wir auch der Meinung sind, daß jetzt etwas geschehen muß, daß nun gehandelt werden muß. Ich glaube allerdings nicht, daß es glücklich war, das Manöver „Carte blanche" als Anlaß für diese Anfrage zu nehmen. Aus meiner langen persönlichen Erfahrung als Soldat und als Generalstabsoffizier, der vor dem Kriege selber Manöver angelegt hat, darf ich folgendes zu bedenken geben. Manöver in diesem Umfang durchzuführen — zwei Luftflotten gegeneinander einzusetzen — ist das Äußerste, was man sich im Frieden in bezug auf Manöver leisten kann. Diese Dinge kosten unendlich viel Geld. Infolgedessen ist ein Manöver nur gerechtfertigt, wenn der Übungszweck auch erreicht wird. Übungszweck so großer Manöver ist es im allgemeinen nicht, die Truppe zu schulen, sondern die Führung. Die Führung muß wenigstens einmal im Jahr in die Lage versetzt werden, mehrere Tage hintereinander zu beweisen, daß sie auch bei schwieriger Annahme, bei Annahme großer Feindeinwirkung, ihre Verbände noch in der Hand hat und die ihr gegebenen Aufträge durchführen kann. Das war offensichtlich einer der Zwecke dieses Manövers. Infolgedessen wurden die Annahmen der Schiedsrichter so erschwert und so massiert, daß dabei die Zahl von 335 Atombomben in wenigen Tagen herausgekommen ist. Ich darf also — ohne in irgendeiner Form die Frage des Atomkrieges als solche zu verniedlichen — bitten, aus „Carte blanche" nun nicht Schlußfolgerungen zu ziehen, die etwa dem Ernstfall nahe kommen könnten. Das ist weit übertrieben. Es wurde schon erwähnt, daß der italienische General Douhet vor dem zweiten Weltkrieg ähnliche Voraussagen gemacht hat und daß er ganz und gar unrecht hatte. Das hätte sich gezeigt, wenn man seinen damaligen Überlegungen gefolgt wäre und die Erdtruppe abgeschafft und alles der Luftwaffe überlassen hätte.
Nun komme ich zu einem Punkt, der uns als Parlament interessiert. Wir stützen uns auf die Presseverlautbarungen, daß der Leiter dieser Manöver, der englische Luftmarschall, die Schlußfolgerung gezogen habe, daß bei der erwiesenen Vernichtungskraft der angewendeten Waffen des Feindes eine erhebliche Vermehrung der Luftwaffe seines Landes notwendig sei. Wir können diese Schlußfolgerung nicht beurteilen. Es wäre zweckmäßiger, wenn in unserem Lande derartige Schlußfolgerungen nicht von Soldaten, sondern von den zuständigen Politikern, d. h. vom Minister, gezogen würden, der dafür verantwortlich ist und den man vor dem Parlament dafür verantwortlich machen kann. Wir kommen hier an einen wesentlichen Punkt in unserer ganzen Debatte: die Begrenzung der Bedeutung und der Macht der Soldaten gegenüber den Zivilisten. Dem Soldaten dürfen nicht


(Berendsen)

Sachen zugeschoben werden, die ihm nicht zukommen und die er nicht beurteilen kann. Ich glaube deshalb, daß der Minister in seiner Antwort alles das gesagt hat, was er in der Kürze der Zeit dem Kollegen Blachstein sagen konnte. Es ist einfach nicht möglich, daß jetzt eine auch uns befreundete Macht uns Schlußfolgerungen aus einem so wichtigen und so großen Manöver bekanntgibt. Es handelt sich um eines der wesentlichsten Staatsgeheimnisse, die ein Land überhaupt hat; daraus werden Schlußfolgerungen für die weitere Organisation und für eventuelle Notwendigkeiten gesamtpolitischer Art gezogen. Ich möchte das hier nur andeuten. Kurz und gut, wir können nicht erwarten, daß derartige Schlußfolgerungen öffentlich bekanntgegeben werden. Wir können nur hoffen, daß uns durch den Beitritt zur NATO Mitwirkungsmöglichkeiten gegeben werden, die der Minister alle erwähnt hat und die alle auf den Luftschutz, auf die Organisation und auf das Zusammenfassen der Anstrengungen der verschiedenen Länder gerichtet sind. Wir können nur hoffen, Herr Kollege, daß wir auch dort zu unserem Teil all das lernen, was wir in den zehn Jahren, in denen die anderen Länder das geübt haben, nicht gelernt haben und nicht ausprobieren konnten.

(Vizepräsident Dr. Schmid übernimmt den Vorsitz.)

Ich darf zum Schluß sagen, daß die Debatte von uns begrüßt wird, und die Hoffnung aussprechen, daß die Bundesregierung die soeben vom Herrn Minister des Innern vorgetragenen Maßnahmen schnell einleitet. Dann ist es an uns, dem Wunsch des Ministers und der Regierung zu folgen und das Bundesluftschutzgesetz so schnell zu verabschieden, damit unser aller Anliegen, Herr Kollege, recht bald und in ausreichendem Maße in die Wirklichkeit umgesetzt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0211613400
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Besprechung der Großen Anfrage ist damit erledigt.
Wir kommen zu Punkt 5 der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs ,eines Gesetzes über Volksbegehren und Volksentscheid bei Neugliederung des Bundesgebietes nach Artikel 29 Absatz 2 bis 6
des Grundgesetzes (Drucksache 1661); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung (8. Ausschuß) (Drucksache 1851, Umdruck 495*).

(Erste Beratung: 103. Sitzung.)

Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Runge. Ich erteile ihm das Wort zur Berichterstattung.

Hermann Runge (SPD):
Rede ID: ID0211613500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Beschlußfassung über den vorliegenden Gesetzentwurf wird keineswegs die politische Frage „Neugliederung oder nicht" entschieden, wie es vielfach draußen angenommen wird. Der Gesetzgeber hat mit diesem Gesetz nur die technischen Voraussetzungen zu schaffen, nach denen verfahren werden soll, falls eine Gebietsveränderung beantragt wird. Aus
*) Siehe Anlage 3.
diesem Grunde konnte sich der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung auch nicht mit den überwiesenen Petitionen befassen, die ausschließlich Vorschläge für die Gebietsaufteilung unterbreiteten. Zwar hat auch der Bundesrat eine Entschließung gefaßt, nach der er der Auffassung ist, daß eine Neugliederung des Bundesgebiets endgültig erst nach der Wiedervereinigung erfolgen kann. Er hält sich für verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß es angesichts der politischen Lage notwendig werden kann, in weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob und wieweit die Neugliederung nach Art. 29 im Hinblick auf die Wiedervereinigung zurückgestellt werden sollte. Auch in den Sitzungen des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung hat diese Frage eine Rolle gespielt. Aber da nach Art. 29 die Einjahresfrist für das Volksbegehren nun einmal festliegt und diese Frist am 5. Mai 1956 abläuft, mußte diese Frage entschieden werden.
Die Stellungnahme des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung liegt Ihnen nunmehr mit Bundestagsdrucksache 1851 vor. Angesichts der vorgeschrittenen Zeit möchte ich nicht auf die einzelnen Änderungen, die der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung vorgeschlagen hat, eingehen, sondern mich lediglich auf eine Änderung beschränken, die in § 22 vom Ausschuß vorgenommen worden ist. In diesen § 22 ist ein Abs. 1 a eingefügt worden, nach dem beim Volksentscheid auch denen ein Stimmrecht gewährt werden soll, die im Abstimmungsgebiet geboren und zum Bundestag wahlberechtigt sind, aber zur Zeit nicht dort wohnen. Diese Auffassung deckt sich im übrigen auch mit der Auffassung des Rechtsausschusses.
Zwar gingen die Meinungen im Ausschuß auseinander. Es wurde darauf hingewiesen, daß es keine Staatsangehörigkeit zu den Ländern, sondern nur eine deutsche Staatsangehörigkeit gebe. Andererseits war man der Auffassung, daß es inkonsequent sei, wenn man den Vertriebenen, die zum Teil erst seit kurzer Zeit in dem Gebiet wohnten, das Recht zur Abstimmung gebe und den Menschen, die in diesem Gebiet Heimatberecht hätten und jederzeit zurückkehren könntnen das Abstimmungsrecht verweigere. Desgleichen wurde auf die zum Teil noch große Zahl der Evakuierten hingewiesen. Die Mehrheit des Ausschusses war der Meinung, daß man aus nationalpolitischen Gründen, auch im Hinblick auf die fast 2 Millionen Deutschen aus dem Gebiet östlich der Oder-Neiße-Linie, die moralische Stellung nicht schwächen dürfe. Es dürfe kein Präjudiz geschaffen werden, das zwar zur Zeit weniger bedeutsam sei, aber später immerhin noch eine große Bedeutung haben könne.
Der Ausschuß vertrat weiter die Auffassung, daß eine Erstattung der Kosten für diese außerhalb des Abstimmungsgebiets wohnenden Abstimmungsberechtigten nicht erfolgen könne. Gerade das Indiz der Selbstübernahme der Kosten durch diejenigen, die außerhalb des Gebiets wohnen, könne man zur Beurteilung der Ernsthaftigkeit des Wunsches, an der Abstimmung teilzunehmen, heranziehen.
Im Auftrage des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung habe ich zu beantragen:
Der Bundestag wolle beschließen,
1. den Gesetzentwurf — Drucksache 1661 — in der aus der Zusammenstellung ersichtlichen Fassung anzunehmen,


(Runge)

2. die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären,
3. die folgende Entschließung zu fassen: Der Bundestag tritt der Entschließung des Bundesrates, wonach dieser der Auffassung ist, daß die Neugliederung des Bundesgebietes endgültig erst nach der Wiedervereinigung erfolgen könne, nicht bei.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0211613600
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ehe ich die einzelnen Paragraphen aufrufe, möchte ich darauf hinweisen, daß sich auf Umdruck 495 ein Druckfehler befindet. Unter den Unterzeichnern steht Herr Dr. Krone. Herr Dr. Krone gehört aber nicht zu den Unterzeichnern, sondern der Kollege Kroll.
Ich rufe § 1 auf. — Das Wort hat der Abgeordnete Friedensburg.

Dr. Ferdinand Friedensburg (CDU):
Rede ID: ID0211613700
Herr Präsident, ich bitte, zu der Gesamtheit des Gesetzes sprechen zu dürfen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0211613800
Das ist eine Frage, die wir zuerst entscheiden müssen: wollen wir schon jetzt die Generaldebatte abhalten oder erst bei der dritten Lesung?

(Abg. Mellies: Bei der dritten Lesung!)

— Das ist ja auch der normale Fall. Ich würde Sie bitten, Herr Dr. Friedensburg, Ihre Wortmeldung vorläufig zurückzuziehen.
Dann erteile ich das Wort zur Begründung des Änderungsantrags Ziffer 1 auf Umdruck 495*) dem Abgeordneten Furler.

Dr. Hans Furler (CDU):
Rede ID: ID0211613900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zu Ziffer 1 des Änderungsantrags Umdruck 495 einige kurze Erläuterungen geben. Wenn Sie den Änderungsantrag mit der Regierungsvorlage vergleichen, werden Sie bemerken, daß es sich lediglich um eine andere Fassung handelt. Während die Regierungsvorlage in § 1 Abs. 1 wörtlich den Text des Grundgesetzes zitiert, soll nach der Fassung des Antrags lediglich auf das Grundgesetz verwiesen werden. Frage: warum wird diese abgeänderte Fassung zum Gegenstand eines Änderungsantrags gemacht? Das Problem liegt. in Folgendem. Wir haben es hier mit einem Verfahrensgesetz zu tun, das an sich schon grundsätzlich den Inhalt des Grundgesetzes weder abändern will noch abändern kann.
Die Frage, um die es geht, ist folgende. Ist für die Auslegung des Art. 29 Abs. 2 der Tag des Inkrafttretens des Grundgesetzes oder der jetzige Zeitpunkt entscheidend? Mit anderen Worten: Kann schon aus zeitlichen Gründen dazu Stellung genommen werden, ob z. B. im Raume BadenWürttemberg eine Volksabstimmung im Sinne des Art. 29 Abs. 2 stattgefunden hat? Dieses Problem ist natürlich je nach dem Auslegungszeitpunkt — unabhängig von anderen Fragen — verschieden zu lösen.
Es ist so, daß die Antragsteller der Meinung sind, die Fassung des Regierungsentwurfs könnte zu der Annahme verleiten, das Gesetz wolle sich auf einen ganz bestimmten Standpunkt stellen, und zwar nicht auf den, daß das Grundgesetz aus-
*) Siehe Anlage 3.
zulegen ist in dem Sinne, wie seine Schöpfer es im Zeitpunkt seiner Schaffung und seines Inkrafttretens verstanden. Die Fassung, die der Änderungsantrag bringt, läßt die Dinge stärker offen und läßt also eine Auslegung nach der einen oder anderen Richtung zu. Das Gesetz kann j a keine Auslegung erzwingen. Die Frage wird in einer Auseinandersetzung vielleicht vor dem Bundesverfassungsgericht entschieden. Aber es soll der Anschein vermieden werden, als wolle man mit diesem Verfahrensgesetz schon eine materielle Auslegung zugunsten oder zuungunsten der einen oder der anderen Meinung bringen.
Ich darf abschließend nur noch darauf hinweisen, daß diese Spezialfrage gar nichts mit der großen und grundsätzlichen Frage zu tun hat, wieweit der Art. 29 durch den Art. 118 konsumiert ist. Hierüber wird sowieso das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden haben.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0211614000
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt (Vockenhausen).

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0211614100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion wird dem Änderungsantrag der Kollegen Dr. Böhm, Dr. Dresbach und anderen nicht zustimmen. Das Gesetz über Volksbegehren und Volksentscheid nach Art. 29 findet im Geltungsbereich des Art. 118, d. h. im Gebiet des Landes Baden-Württemberg keine Anwendung. Für die Durchführung eines Volksbegehrens nach Art. 29 ist dort kein Raum mehr, Herr Kollege Furler. Die Interpretation, die Sie hier vorgetragen haben — wir haben im Ausschuß ja sehr ausführlich über diese Dinge gesprochen —, halten wir nicht für richtig. Wir sind der Meinung, daß es auch nicht anders wird, wenn wir diese Fassung annehmen.
Aber bei der Auslegung des Grundgesetzes würde man, wenn man diese Fassung annähme, vielleicht doch irgendwie einmal zu einer späteren Zeit auf Ihre Ausführungen zurückkommen. Deshalb sollten wir jede Änderung des Entwurfs in dem von Ihnen gewünschten Sinne ablehnen und bei der Regierungsvorlage bleiben, die auch im Ausschuß bestätigt worden ist.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0211614200
Das Wort hat der Bundesinnenminister.

Dr. Gerhard Schröder (CDU):
Rede ID: ID0211614300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte namens der Bundesregierung die Bitte äußern, es bei der Regierungsvorlage zu belassen. Das, was Herr Kollege Furler ausgeführt hat, könnte dann unbedenklich sein, wenn es darüber nicht schon in den Ausschüssen eine längere Kontroverse unter verschiedenen Aspekten gegeben hätte. Unter diesen Umständen ist es, glaube ich, am besten, bei dem neutralsten Text, nämlich dem, den die Bundesregierung hier vorgeschlagen hat, zu verbleiben.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0211614400
Das Wort hat der Abgeordnete Maucher.

Eugen Maucher (CDU):
Rede ID: ID0211614500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte persönlich ebenfalls dem Antrag auf Umdruck 495 widersprechen. Ich bin der Meinung, daß der vom Ausschuß erarbeitete Gesetzentwurf die Angelegenheit am klarsten und am gerechtesten löst. Ich bin der Meinung, daß der Antrag eher eine Verwirrung als eine Klarheit bringt. Ich bitte deshalb, diesen Antrag


(Maucher)

abzulehnen, ja, ich möchte sogar soweit gehen und sagen, daß dieser Antrag eigentlich eine Aufgabe vorbereitet, die dem Bundesverfassungsgericht zukommt. Ich bitte deshalb im Interesse der Gerechtigkeit und der Ruhe, diesen Antrag abzulehnen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0211614600
Weitere Wortmeldungen scheinen nicht vorzuliegen. Dann können wir zur Abstimmung schreiten.
Wir stimmen zunächst ab über den Antrag unter Ziffer 1 des Umdrucks 495*). Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Es besteht Unklarheit. Ich bitte, die Abstimmung zu wiederholen, zunächst durch Erheben von den Sitzen. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Jetzt ist die Sache klar. Die Mehrheit ist dagegen. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über
die§§ 1,-2,-3,-4,-5,-6,-7,-8, — 9,
—10,-11,-12,-13,-14,-15,-16,-17,
— 18, — 19 nach der Vorlage des Ausschusses. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; ist angenommen.
Zu § 20 ist wieder ein Änderungsantrag gestellt. Sie finden ihn auf Umdruck 495 unter- Ziffer 2. Wer begründet ihn? — Das Wort hat der Abgeordnete Kihn (Würzburg).

Dr. Karl Alfred Kihn (CSU):
Rede ID: ID0211614700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Art. 29 des Grundgesetzes sieht in den Absätzen 3 und 4 unter bestimmten Voraussetzungen die Durchführung eines Volksentscheids vor. Soweit bei dem nach Art. 29 Abs. 3 durchgeführten Volksentscheid das Neugliederungsgesetz in einem Gebietsteil abgelehnt worden ist, ist es nach Abs. 4 erneut bei dem Bundestag einzubringen und bedarf insoweit nach erneuter Verabschiedung der Annahme durch Volksentscheid im gesamten Bundesgebiet. Die Auslegung dieser Verfassungsbestimmung ist umstritten. Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, daß das Gesetz in seiner Gesamtheit dem Volksentscheid unterbreitet werden müsse, és sei denn, daß das Gesetz nur in Gebietsteilen abgelehnt worden ist, die in keinem räumlichen Zusammenhang mit anderen von dem Gesetz betroffenen Gebietsteilen stehen. Sie geht dabei von der Erwägung aus, daß eine sinnvolle Neugliederung des Bundesgebiets nur nach einheitlicher Konzeption erfolgen könne. Es könne sonst der Fall eintreten, daß aus dem Gesamtbestand des ehemaligen Landes ein unbedeutender Teil übrigbleibe, der allein gar nicht lebensfähig sei und niemals die Funktion eines Landes erfüllen könne.
Die andere Auffassung, die auch der Bundesrat vertritt, besagt, daß der Wortlaut des Art. 29 Abs. 4 es ausschließt, das gesamte Gesetz zum Volksentscheid zu bringen. Nur soweit das Gesetz mindestens in einem Gebietsteil abgelehnt ist, ist es erneut einzubringen und lediglich insoweit bedarf das Gesetz nach erneuter Verabschiedung der Annahme durch Volksentscheid.
Es geht nicht an, diesen Gesetzestext dahin auszulegen, daß mit dem Wort „insoweit" im Satz 2 lediglich das Wort „soweit" im Satz 1 des gleichen Absatzes aufgegriffen werden sollte, daß das Wort „soweit" dem Worte „sofern" gleichzusetzen sei.
*) Siehe Anlage 3.
Das Wort „soweit" enthält eine Umgrenzung, eine Umfangsbestimmung, und bezeichnet den Umfang, in dem der Teil des Gesetzes abgelehnt worden ist. Das Wort „sofern" hat konditionalen Charakter. Die beiden Worte können nicht gleichgesetzt werden.
Die Erwägung der Bundesregierung, eine sinnvolle Neugliederung könne nur auf Grund einer Gesamtkonzeption erfolgen, mag verständlich sein. Es ist aber nicht anzunehmen, daß Volksentscheide im gesamten Bundesgebiet zustande kommen, die solche Bedenken rechtfertigen. Jedenfalls besagt der Wortlaut des Abs. 4 klar, was der Verfassungsgesetzgeber gewollt hat. Die Auffassung des Bundesrates, die in Nr. 2 des Änderungsantrags wiedergegeben ist, wird daher dem Grundgesetz in höherem Maße gerecht als die von der Bundesregierung vorgeschlagene Fassung des § 20 Nr. 2. Ich bitte daher, der Fassung in Ziffer 2 des Änderungsantrags zuzustimmen.
Ich möchte dann gleich zu dem neuen Abs. 2 — Nr. 3 des Antrags — Stellung nehmen. Nach Art. 29 Abs. 3 des Grundgesetzes ist nach Annahme des Gesetzes in jedem Gebiet, dessen Landeszugehörigkeit geändert werden soll, der Teil des Gesetzes, der dieses Gebiet betrifft, zum Volksentscheid zu bringen. Es heißt weiter:
Ist ein Volksbegehren nach Abs. 2 zustandegekommen, so ist in dem betreffenden Gebiete in jedem Falle ein Volksentscheid durchzuführen.
Es besteht nun die Möglichkeit, daß das zu erwartende Neugliederungsgesetz innerhalb der in Art. 29 Abs. 6 des Grundgesetzes vorgesehenen Frist nicht zustande kommt oder daß ein solches Gesetz eine Bestimmung über die Landeszugehörigkeit eines Gebiets, in dem ein Volksbegehren stattgefunden hat, nicht enthält. Trifft dies zu, so ist doch ein Volksentscheid durchzuführen; denn dies ist in jedem Falle vorgeschrieben. Es wird hierbei nicht auf ein vorhandenes Gesetz abgestellt, sondern die gesetzliche Grundlage für den Volksentscheid ist das Grundgesetz. Gegenstand des Volksentscheids ist dann nicht ein Gesetzestext, sondern der im Volksbegehren gestellte Antrag. Es geht nicht an, über eine unmittelbare demokratische Willenskundgebung der Bevölkerung im Volksbegehren hinwegzugehen und den Weg zum Volksentscheid zu versperren. Dieser hat allerdings keine Gesetzeskraft, aber sein politisches und moralisches Gewicht darf der Gesetzgeber nicht übersehen. Er wird es bei der Gesetzgebung über die Neugliederung zu würdigen haben. Ich bitte daher, zur Ausfüllung dieser Lücke der Anfügung des Abs. 2 in § 20 des Gesetzentwurfs zuzustimmen.

(Beifall in der Mitte.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0211614800
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.

Rudolf Schrader (CDU):
Rede ID: ID0211614900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung bittet, an ihrer Vorlage und damit an den Ausschußbeschlüssen festzuhalten und die Änderungen unter Ziffer 2 und 3 abzulehnen. Ich darf das kurz begründen.
Die Überlegungen, die zur Fassung dieser Vorlage geführt haben, gehen darauf hinaus, daß eine sinnvolle Neugliederung des Bundesgebiets, wenn auch nicht unbedingt uno actu, so doch wenigstens nach einer einheitlichen Konzeption erfolgen muß.


(Bundesminister Dr. Schröder)

Würde man der Auffassung folgen, daß das Neugliederungsgegesetz, wenn es bei dem nach Art. 29 Abs. 3 des Grundgesetzes durchgeführten lokalen Volksentscheid in einem Gebietsteil abgelehnt worden ist, nach seiner erneuten Verabschiedung durch den Bundestag nur hinsichtlich des den Streitpunkt enthaltenden Teils der Annahme durch Volksentscheid im gesamten Bundesgebiet bedarf, so könnte die Ablehnung einzelner Teile des Gesetzes die Zerreißung der einheitlichen Konzeption zur Folge haben und unter Umständen zu unmöglichen Ergebnissen führen. Denkbar wäre z. B., daß der in dem Neugliederungsgesetz vorgesehenen Aufteilung der verschiedenen Gebietsteile eines Landes auf andere Länder nur hinsichtlich eines Gebietsteiles nicht zugestimmt wird. In diesem Falle wäre aus dem gesamten Gebietsbestand des Landes ein vielleicht nur unbedeutender Gebietsteil übriggeblieben, der allein gar nicht lebensfähig ist und niemals die Funktion eines Landes erfüllen kann.
Ich habe — Herr Kollege Furler, Sie sehen mich so freundlich an - ein schönes Beispiel dafür vorbereitet. Aber ich möchte das Beispiel eigentlich nicht vortragen, um nicht Neugliederungsspekulationen einen allzu weiten Spielraum zu geben. Das Beispiel könnte vielleicht in die Irre führen. Aber ich glaube, es unterstreicht das, was ich gerade ausgeführt habe.
Die Regierungsvorlage vermeidet diese aufgezeigten Schwierigkeiten. Nach ihr muß, wenn aus den Bestimmungen über einen zusammenhängenden Raum eine einen Teil eines Landes betreffende Bestimmung abgelehnt worden ist, das ganze Neugliederungsgesetz zum Volksentscheid im gesamten Bundesgebiet gebracht werden. Andererseits sollen aber Fragen, die in keinem Zusammenhang miteinander stehen, wie etwa Bremerhaven, Ulm-NeuUlm getrennt zum Volksentscheid gestellt werden können. Es ist zuzugeben, daß der Wortlaut des Grundgesetzes für die Auffassung des Rechtsausschusses zu sprechen scheint. Es ist jedoch ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, der auch hier zu beachten ist, daß der Sachzusammenhang, der sich logischerweise ergibt, berücksichtigt werden darf. Das „insoweit" in Art. 29 Abs. 4 Satz 2 des Grundgesetzes will nicht etwas Unvernünftiges, sondern will alle Fragen dem Volksentscheid unterstellen, die in einem untrennbaren organischen Zusammenhang stehen.
Dem dritten Änderungsvorschlag unter Ziffer 3 möchte ich folgendes entgegenhalten. Der Wortlaut des Grundgesetzes, der von den Verfechtern des Änderungsvorschlages in erster Linie herangezogen wird, läßt keinesfalls nur die von diesen vertretene Auslegung zu, daß in den Gebietsteilen, in denen ein Volksbegehren zustande gekommen ist, auch dann ein Volksentscheid durchgeführt werden muß, wenn ein Gesetz über die Neugliederung -- gleich aus welchen Gründen — nicht zustande kommt. Die Worte „in jedem Falle" in dem unselbständigen Satz 2 des Art. 29 Abs. 3 des Grundgesetzes beziehen sich auf den vorhergehenden Satz 1: Nach Annahme des Gesetzes ist in jedem Gebiete, dessen Landeszugehörigkeit geändert werden soll, ein Volksentscheid durchzuführen. „In jedem Falle" bedeutet also: auch dann, wenn das Gesetz keine Änderung der Landeszugehörigkeit vorsieht.
Die Einführung eines Volksentscheids über eine einzelne Frage, nicht über ein Gesetz, wie er hier gefordert wird, begegnet nicht unerheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Neugliederung des Bundesgebiets kann nach Art. 29 des Grundgesetzes nur durch ein Bundesgesetz erfolgen, das, um wirksam zu werden, der Zustimmung der betroffenen Bevölkerung im Wege des Volksentscheids bedarf. Über die Notwendigkeit der Verbindung des Volksentscheids mit einem Bundesgesetz weist nicht nur der Abs. 1 des Art. 29 des Grundgesetzes hin, in dem es ausdrücklich heißt: „Das Bundesgebiet ist . . . durch Bundesgesetz neu zu gliedern", sondern auch die Absätze 2, 3 und 4 des Art. 29. Denn auch hier wird stets von dem Neugliederungsgesetz gesprochen.
Wenn ein Volksentscheid durchgeführt wird, ohne daß damit über ein Gesetz oder den Teil eines Gesetzes abgestimmt wird, dann steht dieser Volksentscheid zwar im Raume, es liegt aber keine für einen Neugliederungsakt irgendwie relevante Handlung der betroffenen Bevölkerung vor. Ein solcher Volksentscheid stellt gleichsam nur eine Wiederholung des Volksbegehrens in anderer Form dar. Einen solchen Volksentscheid aber gar mit konstitutiver Wirkung derart, daß mit dem Zustandekommen des Volksentscheids die Neugliederung vollzogen ist, einzuführen, erscheint mit dem Grundgesetz auf keinen Fall vereinbar.
Das Grundgesetz kennt einen Volksentscheid nur im Rahmen des Art. 29. Bei diesem Volksentscheid wird das Volk aber nicht an Stelle des Parlaments als Gesetzgeber tätig, sondern es erteilt lediglich einem Gesetzesbefehl des Parlaments seine Sanktion. Ein Volksentscheid, bei dem das Volk an Stelle des Parlaments den Gesetzesbefehl erteilt, ist im Grundgesetz nicht vorgesehen und daher unzulässig.
Es ist richtig, daß nach dem Regierungsentwurf dann, wenn ein Neugliederungsgesetz nicht zustande kommt, ein Volksentscheid überhaupt nicht durchgeführt werden kann. Das mag als Lücke empfunden werden. Diese Lücke liegt aber schon im Grundgesetz und kann nicht durch einfaches Bundesgesetz, sondern nur im Wege einer Ergänzung des Grundgesetzes geschlossen werden. Der einfache Gesetzgeber ist durch Art. 29 Abs. 6 des Grundgesetzes lediglich zur Regelung des Verfahrens ermächtigt. Die hier beantragte Änderung kann aber nicht mehr als eine Regelung des Verfahrens angesehen werden, sondern stellt, wie bereits dargelegt, eine Ergänzung des Grundgesetzes dar.
Ich bedauere, daß diese Ausführungen etwas länger waren, hoffe aber, sie werden zur Ablehnung der Änderungsanträge unter Ziff. 2 und 3 führen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0211615000
Das Wort hat der Abgeordnete Weber.

Dr. Karl Weber (CDU):
Rede ID: ID0211615100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte mich schon zu Wort gemeldet, ehe der Herr Bundesinnenminister gesprochen hat. Nach seinen Darlegungen kann ich mich sehr kurz fassen.
Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die der Herr Bundesinnenminister gegen den Antrag unter Ziffer 3 erhoben hat, sind tatsächlich begründet. Unter welchen Voraussetzungen und in welcher Weise die Neugliederung durchzuführen ist, bestimmt das Grundgesetz zwingend in Art. 29 Abs. 1 bis 5. In Abs. 6 ist festgelegt, daß das 'Verfahren — das ist auch schon zutreffend hervorgehoben worden — durch ein Bundesgesetz zu regeln ist. Das uns vorliegende Gesetz soll dieses Verfahren regeln.


(Dr. Weber [Koblenz])

Der Änderungsantrag enthält aber eine materielle Bestimmung, überdies eine, die keinen Inhalt hat; sie wird nämlich — das mußte der Antragsteller in seiner Begründung zugeben — zu nichts führen, sondern soll allenfalls den Gesetzgeber ermuntern, nun voranzumachen und ein Gesetz einzubringen. Das geschieht jedoch bereits mit dem im Grundgesetz vorgesehenen Volksbegehren.
Ich teile die verfassungsrechtlichen Bedenken des Herrn Bundesinnenministers auch in der Hinsicht, daß ein Volksentscheid in einer solchen Frage überhaupt nicht stattfinden kann. Der Grundgesetzgeber hat nur in dem Fall des Art. 29 ein Volksbegehren und einen Volksentscheid und in dem Fall des Art. 118 die sogenannte Volksbefragung zugelassen. Für sonstige Fragen besteht dieser gesetzgeberische Weg des Volksbegehrens und Volksentscheides nicht. Infolgedessen würden wir gegen das Grundgesetz verstoßen, wenn wir in diesem Falle eine neue materielle Bestimmung einfügten. Nach dem Grundgesetz kann die Neugliederung nur durch ein Bundesgesetz erfolgen. Der Volksentscheid, der hier gefordert wird, soll denselben Inhalt haben: es soll über denselben Antrag abgestimmt werden, der bereits im Volksbegehren behandelt worden ist. Wenn die Gesetzgebungsorgane dem Volksbegehren nicht Folge leisten, wird sie nach meiner Meinung auch ein Volksentscheid nicht veranlassen, nunmehr politisch tätig zu werden und einen Gesetzentwurf zu verabschieden.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Ich bitte aus diesen Gründen, den Antrag zu Ziffer 3 abzulehnen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0211615200
Weitere Wortmeldungen scheinen nicht vorzuliegen. Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse zunächst abstimmen über Ziffer 2 des Umdrucks 495*). Wer für die Annahme dieser Bestimmung ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; abgelehnt.
Nunmehr lasse ich abstimmen über Ziffer 3 desselben Umdrucks. Wer für die Annahme ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit. Auch dieser Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die restlichen Bestimmungen der Ausschußvorlage, §§20,-21,-22,-23,--

(Zuruf des Abg. Dr. Weber [Koblenz].)

— Sie möchten zu § 22 sprechen? Dann stimmen wir zunächst ab über §§ 20 und 21. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen der Ausschußvorlage ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; angenommen.
§ 22. Das Wort hat der Abgeordnete Weber.

Dr. Karl Weber (CDU):
Rede ID: ID0211615300
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung hat in den § 22 einen Abs. 1 a eingefügt, der bestimmt, daß außer denjenigen, die ihren Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Abstimmungsgebiet haben und nach den landesrechtlichen Vorschriften zum Landtag wahlberechtigt sind, so wie es auch für das Volksbegehren in Art. 29 Abs. 2 des Grund-
*) Siehe Anlage 3.
gesetzes bestimmt ist — daran hält sich die Regierungsvorlage im Abs. 1 von § 22 —, ohne Rücksicht auf Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Abstimmungsgebiet wahlberechtigt sein soll, wer in diesem Gebiet geboren oder zum Bundestag wahlberechtigt ist.
Diese Frage hat anläßlich des zweiten Neugliederungsgesetzes schon einmal das Bundesverfassungsgericht beschäftigt. In dem damaligen § 6 des zweiten Neugliederungsgesetzes war ebenfalls nur das Wohnsitzprinzip vorgesehen. In dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht war gerügt worden, daß die Nichtberücksichtigung des Geburtsprinzips gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts verstoße, die gemäß Art. 25 des Grundgesetzes anzuwenden seien. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 23. Oktober 1951 zu dieser Frage folgendes ausgeführt:
Es kann hier unerörtert bleiben, ob bei der Durchführung des Plebiszits einer Bevölkerung über die Zugehörigkeit zu dem einen oder anderen Staat nach Völkerrecht vom Geburtsprinzip auszugehen ist. Denn es ist ein Unterschied, ob die Bevölkerung aufgerufen ist, über ihren Verbleib im Staatsverband, der eine völkerrechtliche Einheit ist, oder über ihre Trennung von diesem Staatsverband zu entscheiden, oder ob ihr Gelegenheit gegeben werden soll, innerhalb eines Bundesstaates, der eine völkerrechtliche Einheit darstellt, unter Aufrechterhaltung der Verbundenheit mit dem Gesamtvolke, dem sie angehört, an die Stelle der gegenwärtigen innerstaatlichen Ordnung eine neue innerstaatliche Ordnung zu setzen. Aus der Entscheidung im vorliegenden Falle, deren Gründe wegen seiner Besonderheiten auch im übrigen erst nach sorgfältiger Prüfung auf andere Fälle einer Neugliederung übertragen werden können, kann also unmöglich eine Folgerung gezogen werden, wenn künftig einmal die Rechtsgrundlagen für ein Plebiszit im eigentlichen Sinne geschaffen werden müssen. Aus dem Grundgesetz lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, daß sich bei einer Volksabstimmung der Kreis der Abstimmungsberechtigten allein oder zusätzlich nach dem Geburtsprinzip bestimmen muß.
Ich habe für die nationalpolitischen Erwägungen, die zur Aufnahme dieser Bestimmung geführt haben, durchaus Verständnis, halte mich aber trotzdem für verpflichtet, auf die verfassungsrechtlichen Bestimmungen und auf die Bedenken, die sich daraus ergeben, hinzuweisen. In Art. 29 Abs. 2 ist eben bestimmt, daß sich an dem Volksbegehren lediglich die in diesem Gebiet wohnende, zum Landtag wahlberechtigte Bevölkerung beteiligen kann. Insofern liegt hier zweifellos eine Erweiterung vor. Die Frage, ob der einfache Gesetzgeber zu dieser Erweiterung berechtigt ist, möchte ich hier nicht vertiefen und nicht weiter erörtern.
Der Abs. la enthält eine weitere Ungereimtheit. Diese Bestimmung könnte nämlich dazu führen, daß ein Abstimmungsberechtigter sein Wahlrecht doppelt ausüben kann. Das würde vor allen Dingen gelten im Falle des Art. 29 Abs. 4, der von der Abstimmung im gesamten Bundesgebiet spricht. Es würde also jemand, der z. B. in Hamburg wohnt, aber meinetwegen in Oldenburg geboren ist, in einem Falle, daß über Oldenburg abgestimmt werden sollte, sowohl in Hamburg wie in Oldenburg


(Dr. Weber [Koblenz])

zu derselben Sache abstimmungsberechtigt sein. Das ist unmöglich, das können wir nicht bestimmen. Es muß schon einmal eine Beschränkung erfolgen auf den Fall, der in § 20 Ziffer 1 behandelt ist. Deshalb schlage ich vor, in § 22 Abs. la zu beginnen mit den Worten: „Im Falle des § 20 Nr. 1 ist ferner stimmberechtigt ...", und dann geht der alte Text weiter.
Es muß aber nach meiner Meinung auch für den Fall des Art. 29 Abs. 3 Satz 1 und 2 — Ziffer 1 des § 20 — verhindert werden, daß ein doppeltes Stimmrecht gegeben wird. Es ist unserem ganzen Verfassungs- und Wahlsystem fremd, daß jemand in derselben Sache doppelt abstimmen kann. Um ein doppeltes Stimmrecht zu verhindern, schlage ich vor, hinter den Worten „wahlberechtigt ist" ein Komma zu machen und fortzufahren:
sofern nicht in dem Gebiet, in dem sein Wohnsitz oder dauernder Aufenthaltsort liegt, ebenfalls ein Volksentscheid stattfindet.
Ich bitte Sie, diesem Antrag zustimmen zu wollen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0211615400
Wird das Wort dazu verlangt? — Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann kommen wir zur Abstimmung.
Ich muß zunächst abstimmen lassen über den Änderungsantrag, der soeben begründet worden ist. Ich wiederhole ihn, damit kein Zweifel bestehen kann, worüber abgestimmt wird. Der Änderungsantrag*) bezieht sich auf den § 22 Abs. 1 a der Vorlage und lautet:
Im Falle des § 20 Nr. 1 ist ferner stimmberechtigt ohne Rücksicht auf Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Abstimmungsgebiet, wer in diesem Gebiet geboren und zum Bundestag wahlberechtigt ist,
— und nun kommt die Änderung —
sofern nicht in dem Gebiet, in dem sein Wohnsitz oder dauernder Aufenthaltsort liegt, ebenfalls ein Volksentscheid stattfindet.
Ich hoffe, daß nunmehr bei allen Anwesenden volle Klarheit über die Tragweite des Änderungsantrages herrscht. Ich lasse damit über diesen Antrag abstimmen. Wer für den Antrag ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Wer für § 22 in der geänderten Fassung ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; § 22 ist angenommen.
Ich rufe nunmehr auf die §§ 23, — 24, — 25, —26,-27,-28,-29,-30,-31,-32,-33,34, — 35, — 36, — 37, — 38, — 39, — Einleitung und Überschrift.
Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Professor Friedensburg.

Dr. Ferdinand Friedensburg (CDU):
Rede ID: ID0211615500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit einer Anzahl mei-
*) Umdruck 496.
ner politischen Freunde bin ich der Ansicht, daß die Verabschiedung des Gesetzes nicht vorübergehen darf, ohne daß wir ernste grundsätzliche Bedenken gegen die Verabschiedung in dem jetzigen Zeitpunkt geltend machen.

(Sehr gut! beim GB/BHE und rechts.)

Wir teilen die Sorgen, die den Bundesrat zu einer ablehnenden Haltung bewogen haben, und halten uns für verpflichtet, diese Sorgen auch in diesem Hause noch einmal zum Ausdruck zu bringen.
Ich spreche hier gewiß zunächst einmal als Berliner, wenn Sie gestatten, als ein Mann, der in dem Abwehrkampf dieser Stadt seit zehn Jahren mit an der Spitze steht und der selbstverständlich manche Vorgänge innerhalb des deutschen Vaterlandes mit etwas anderen Augen sieht, als sie draußen gesehen werden. Wir sehen aber ein, daß man im Schützengraben manches anders sehen muß als — Sie entschuldigen, das soll kein Vorwurf sein — in der Etappe. Sie wollen also bitte verstehen, daß man im Schützengraben und auch umgekehrt die Dinge jeweils mit ein wenig anderen Augen ansieht.
Ich glaube, daß man in Berlin keinen rechten Sinn dafür haben wird, daß in wichtigen Teilen unseres Landes jetzt ein Streit um Neugliederung einzelner Teilgebiete einsetzen wird.

(Abg. Hilbert: Schon vor vier Jahren sollte man zuwarten!)

Man plombiert nicht die Zähne, wenn der Patient
mit schwerem Schädelbruch im Krankenhaus liegt!

(Sehr richtig! beim GB/BHE.)

Dieses Bild bitte ich wirklich in seiner ganzen ernsthaften Bedeutung freundlichst würdigen zu wollen.
Wir verkennen nicht, daß das Grundgesetz uns eine gewisse Frist vorschreibt. Ich nehme diese Forderung durchaus ernst. Ich habe mich aber an dem maßgebenden Kommentar des Grundgesetzes, dem Kommentar von Mangoldt und Leibholz, überzeugt und zitiere daraus wörtlich:
Die im Abs. 6 vorgesehenen Fristen sind keine Präklusivfristen, die eine Neugliederung nach Ablauf der Fristen ausschließen sollen. Die Vorschrift enthält nur eine Mahnung an Bundesregierung und Gesetzgeber zu beschleunigtem Handeln.
Ich glaube also nicht, daß wir uns einer Verletzung der Verfassung schuldig machen, wenn wir der Ansicht sind: im gegenwärtigen Zeitpunkt ist die Verabschiedung dieses Gesetzes nicht am Platze.
Wir verkennen auch nicht, daß es eine gewisse Mißlichkeit darstellt, wenn die innere Gliederung unseres Landes nach dem Diktat der Sieger erfolgt ist, wie das in großem Umfange tatsächlich geschehen ist. Wir verkennen auch nicht, daß wesentliche Bevölkerungsgruppen innerhalb dieser Landesteile nach einer neuen Ordnung drängen. Aber im großen und ganzen — vielleicht spreche ich auch da ein wenig aus der entfernten Perspektive — hat sich doch diese Neuordnung nicht schlecht bewährt. Sie hat den beispiellosen Aufstieg nach 1949 nicht verhindert und sogar in mancher Hinsicht erleichtert. Deshalb ist es kein Zweifel, daß sich die Bevölkerung in ihrer großen Mehrheit an diesen Zustand einigermaßen gewöhnt hat, so daß ein unmittelbarer Zwang jedenfalls für uns nicht erkennbar ist.


(Dr. Friedensburg)

Der entscheidende Einwand ist jedoch, daß angesichts der tatsächlichen Situation unseres Landes die ganze Initiative auf Grund dieses Gesetzes unzeitgemäß erscheint. Wir haben gerade in der vorigen Woche die sehr ernste Aussprache über das Ergebnis von Genf gehabt, und ich glaube, es gibt keinen unter uns, wo auch immer er stehen mag, der mit leichtem Herzen nach Hause gefahren ist.
Wir haben feststellen müssen, daß unser Land zerrissen und geteilt bleibt, und wir haben uns damit abfinden müssen, daß eine greifbare Aussicht auf eine Besserung dieses fürchterlichen Zustandes weder von der Regierung noch von den Sprechern dieses Hauses hat dargetan werden können.
Unter diesen Umständen erscheint es mir in der Tat unglücklich, daß wir das Interesse, die Aufmerksamkeit, die politische Initiative unserer Bevölkerung auf Dinge lenken, die von dem entscheidenden Ziele doch reichlich weit entfernt liegen.
Nun sehe ich völlig ein — auch von Berlin aus gesehen —: wir können nicht alle immer nur mit gefurchter Stirn und geballten Fäusten herumlaufen. Aber manchmal haben wir — und auch da bitte ich als Berliner sprechen zu dürfen — doch die Sorge, daß man etwas weiter entfernt .vom Eisernen Vorhang sich des ganzen schrecklichen Zustandes unseres Landes nicht recht bewußt ist

(Sehr gut! beim GB/BHE)

und daß die politische Arbeit sich auf die Beseitigung dieses Zustandes leider nicht entsprechend ernst und entschlossen genug einstellt. Deshalb haben wir Sorge, daß sich die Menschen draußen in Westdeutschland und Süddeutschland mit den doch verhältnismäßig kleinen Fragen der Gebietsumgliederung beschäftigen. Alles, was wir im Südweststaat und an anderen Stellen erlebt haben, beweist, daß dann die Leidenschaften sehr hoch gehen werden und daß die Menschen so tun, als wäre eigentlich das ihre einzige Lebensaufgabe. Meine Damen und Herren, denken wir doch einmal daran, wie oft in der deutschen Geschichte 'diese Kleinstaaterei mit all den territorialen Eifersüchteleien die Menschen von der Ohnmacht und der Zerrissenheit des Gesamtlandes abgelenkt hat und daß viel an der unglücklichen Entwicklung der deutschen Geschichte gerade auf diesen Umstand zurückzuführen ist. e
Aus diesen Gründen erscheint es mir ein wenig gefährlich, gerade jetzt, ohne daß wir wirklich gezwungen sind, diese Neugliederungspläne zu erörtern.
Das hat auch gewisse praktische Zusammenhänge. Meine Damen und Herren, der außenpolitische Zustand unseres Landes macht es doch unmöglich, die Neugliederung organisch und nach einem wirklich zusammenhängenden, geplanten System zu vollziehen. Wie wollen Sie etwa den Raum an der Niederelbe neu ordnen, wenn Sie nicht in irgendeiner Form die Landesteile auf der anderen Seite der Elbe mit einbeziehen? Sie können auch den Raum zwischen Hessen und Thüringen nicht ordnen, ohne an die Landesteile auf der anderen Seite zu denken. Wir werden also alle diese Dinge, die wir jetzt vorbereiten, womöglich von neuem durchexerzieren müssen, wenn einmal die Wiedervereinigung kommen sollte, von der wir doch hoffen, daß sie in absehbarer Zeit einmal erreicht werden kann.
Gestatten Sie mir auch noch einen Gesichtspunkt. 1 Es ist in unserer Bevölkerung, gerade auch in Norddeutschland, aber, glaube ich, auch außerhalb, das Gefühl doch stark lebendig, daß der Begriff Preußen nicht einfach mit einem Federstrich der Siegermächte ausgelöscht sein kann.

(Beifall beim GB/BHE und rechts.)

Ich weiß, daß viele und sehr gute Staatsbürger der Ansicht sind, daß diese Frage nach der Wiedervereinigung aufgerollt werden müßte. Nun bin ich selber, so leidenschaftlich ich an diesen Traditionen hängen mag, der Ansicht, daß nicht die alte Zeit einfach mechanisch wiederhergestellt werden kann. Aber ich würde auch die linke Seite des Hauses bitten, daran zu denken, daß sich mit dem Begriff Preußen keineswegs etwa, wie manche oberflächlichen Leute im Ausland behaupten, nur das konservative Junkertum verbindet. In der Zeit der Weimarer Republik von 1919 bis 1933 ist Preußen unter einer ausgesprochen republikanisch-demokratischen Staatsführung doch auch Träger der deutschen Staatsidee gewesen.

(Beifall beim GB/BHE und bei Abgeordneten rechts und in der Mitte.)

Und ob nicht — Kollege Gülich hat neulich sehr dankenswerterweise auf diese Zusammenhänge hingewiesen — Fragen des Lastenausgleichs und andere Fragen, die im Falle der Wiedervereinigung auftauchen, irgendeine Erörterung dieser Möglichkeiten nahelegen werden, das wird sich jeder selbst sagen müssen. Jedenfalls würde ich Bedenken haben, eine deutsche Neugliederung ernsthaft zu betreiben, wenn gerade diese preußischen Landesteile noch gar nicht in der Lage sind, sich an der Debatte oder gar an der Verwirklichung zu beteiligen.
Endlich, meine Damen und Herren, sehen wir auch den ganz unfertigen Zustand unseres Landes. Gewiß, der Bayer, der Pfälzer, der Waldecker, oder wer sonst jetzt mit Neugliederungsgedanken umgehen mag, fühlt sich auf seinem Heimatboden. Was ist aber mit den zehn Millionen, die in das Gebiet der Bundesrepublik hineingeflüchtet sind, hineingedrängt worden sind?

(Sehr gut! beim GB/BHE.)

Was sollen meine drei Millionen schlesischen Landsleute denken, für die es doch ziemlich gleichgültig ist, ob sie sich zu Bayern oder zu Rheinland-Pfalz gehörig fühlen? Die sollen nun in einer Sache mit abstimmen, in der sie innerlich ganz unbeteiligt sind und die sie doch nur als ein höchst fragwürdiges Provisorium auffassen können.

(Abg. Stücklen: Wir haben doch keinen Abstimmungszwang!)

— Trotzdem, Kollege Stücklen, wird selbstverständlich eine gewisse moralische Verpflichtung bei all den Gesetzen bestehen, ja es wird von den Menschen erwartet werden, daß sie sich an der Entwicklung des Gebiets, in dem sie leben, beteiligen. Jedenfalls scheint mir der ganze — auch siedlungsmäßige — Zustand unseres Landes noch zu unfertig, als daß man diesem Land jetzt das große Problem einer Neugliederung zumuten darf, die doch, wenn sie überhaupt Sinn haben soll, nur organisch sein darf, nur endgültig sein darf und alle Gesichtspunkte berücksichtigen muß, die heute gar nicht berücksichtigt werden können.
Aus diesem Grunde sieht sich ein Teil meiner politischen Freunde nicht in der Lage, diesem Ge-
2. Deutscher. Bundestag — 116. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1955 6231

(Dr. Friedensburg)

setz zuzustimmen. Ich halte mich für verpflichtet, in ihrem Namen diese Bedenken zum Ausdruck zu bringen.

(Beifall bei einem Teil der Abgeordneten der CDU/CSU, beim GB/BHE und rechts.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0211615600
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt (Vockenhausen).

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0211615700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen Friedensburg können nicht unwidersprochen bleiben. Herr Kollege Friedensburg hat die Fragen der Wiedervereinigung mit der Neugliederung in einer Weise in Zusammenhang zu bringen versucht, als ob die Kollegen des Hauses, die dem Verfassungsartikel 29 gerecht werden wollen, nicht das notwendige Interesse und Verständnis für die gesamtpolitische Lage hätten. Verehrter Herr Kollege Friedensburg, ich muß das entschieden zurückweisen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie bei anderen Fragen, beispielsweise bei der Abstimmung über das Saarstatut, in dieser Form Stellung genommen hätten, nämlich im Sinne einer gesamtpolitischen deutschen Konzeption.

(Beifall bei der SPD.)

Sie haben, sehr verehrter Herr Kollege Friedensburg, von einem fragwürdigen Provisorium gesprochen. Ja, aber, verehrter Herr Kollege Friedensburg, wer versucht denn, aus diesem fragwürdigen Provisorium Bonn mehr zu machen, als es sein soll? Doch nicht die Kollegen meiner Fraktion, die den Verfassungsartikel 29 durchführen wollen. Ich kann also in keiner Weise Ihren Ausführungen zustimmen und uns dadurch gewissermaßen in den Ruf bringen lassen, weil wir einen Verfassungsartikel durchführen, den wir schließlich nicht zu unserem Privatvergnügen haben, hätten wir das notwendige Interesse an den Gesamtproblemen Deutschlands verloren.
Man sollte sich doch auch einmal klarmachen, worum es geht. Es geht im wesentlichen doch um die Südwestecke unseres Raumes. Wir können den Zustand, den die Besatzungsmächte rein zufällig einmal hergestellt haben, doch nicht verewigen, sondern wir sollten gesunde Änderungsmöglichkeiten, die in diesem Provisorium bestehen, im Rahmen der Verfassung ausnutzen und das tun, was die Verfassung als Recht vorsieht.
Meine Damen und Herren, wenn wir mit der Neugliederung so verfahren, wie der Kollege Friedensburg vorgeschlagen hat, dann geht es wirklich so wie mit der Verwaltungsreform: es wird immer darüber geredet, aber es geschieht nichts. Einmal muß mit den Dingen Ernst gemacht werden, und wenn wir hier im Wege der Durchführung unserer Verfassung die Möglichkeit haben, Ernst zu machen, ist es unsere Aufgabe, das auch zu tun. Ich schlage deshalb im Namen meiner Fraktion die Annahme des Gesetzentwurfs in der dritten Lesung vor.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0211615800
Weitere Wortmeldungen zur allgemeinen Aussprache? — Das Wort hat der Abgeordnete Kahn.

Karl Kahn (CSU):
Rede ID: ID0211615900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Auftrag meiner engeren Freunde möchte ich nur einige Sätze zu diesem Punkt der heutigen Tagesordnung sagen, um den Sachverhalt
zu klären. Länder sind leider Gottes durch die Besatzungsmächte und durch das Diktat der Besatzung neu entstanden. Ich greife hier nur einen Punkt heraus, der uns alle bei dieser Beratung berührt: die Pfalzfrage.

(Aha!-Rufe und Heiterkeit.)

Die Pfalz ist nach unserer Auffassung und nach Tradition heute noch, auch wenn sie Bestandteil des derzeitigen Landes Rheinland-Pfalz ist,

(Zuruf von der CDU/CSU: Hände weg!) ein Bestandteil des neuen kommenden Bayern.


(Heiterkeit in der Mitte.)

Bayern wird bei einer kommenden Entscheidung niemals das Pfalzproblem außer acht lassen, und wir glauben, daß der Tag nicht mehr ferne ist, an dem Bayern, wenn die Neugliederung der deutschen Bundesrepublik kommt, wieder ein Bestandteil des bayerischen Staates wird.

(Große Heiterkeit im ganzen Hause.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0211616000
Das Wort hat der Abgeordnete Kahn zum zweiten Male.

Karl Kahn (CSU):
Rede ID: ID0211616100
Herr Präsident, ich muß mich korrigieren: daß die bayerische Pfalz wiederum ein Bestandteil des bayerischen Staates wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0211616200
Ich dachte, Sie wollten die Zahl der schon bekannten historischen Worte um eins vermehren!

(Heiterkeit.)

Herr Abgeordneter Friedensburg, Sie haben das Wort.

Dr. Ferdinand Friedensburg (CDU):
Rede ID: ID0211616300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es liegt mir daran, ausdrücklich festzustellen, Herr Kollege Schmitt (Vockenhausen), daß ich niemandem hier im Hause unterstellt habe, er beweise durch sein Eintreten für das Gesetz eine irgendwie lasche Haltung gegenüber dem Wiedervereinigungsproblem. Ich habe nur sehr sorgfältig — allerdings sehr ernst, aber sehr sorgfältig und gewissenhaft — geltend gemacht, daß die gewisse Lauheit, die wir hin und wieder sonst im Lande sehen, durch eine Ablenkung auf das Neugliederungsproblem womöglich noch gestärkt werden könnte. Ich glaube, Herr Kollege Schmitt (Vockenhausen), dem zu widersprechen werden auch Sie wohl kaum Anlaß haben.

(Abg. Mellies: Sie müssen ja Ihre Freunde kennen!)

Sie kennen meine Sorgfalt, in der ich kollegiale Beziehungen pflege, und ich denke gar nicht daran, diese Bindungen zu verletzen.
Kollege Schmitt (Vockenhausen) hat es darüber hinaus auch noch für richtig gehalten, meine Haltung in der Saarfrage zur Geltung zu bringen. Kollege Schmitt (Vockenhausen), von Ihnen hätte ich das zuallerletzt erwartet. Sie sind dabei gewesen, wie ich im Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung zusammen mit den Herren Ihrer Fraktion mich mit größter Entschiedenheit bemüht habe, dem Saarstatut, das wir in der damaligen Situation für unvermeidlich gehalten haben und das in seinen weiteren Auswirkungen sich doch wohl als außerordentlich segensreich erwiesen hat,

(Beifall in der Mitte — Zurufe und Lachen bei der SPD)



(Dr. Friedensburg)

in einer Form Geltung zu verschaffen, die durchaus von uns gemeinsam getragen worden ist. Vielleicht erinnern Sie sich, daß ich außerdem in der Abstimmung nachher im Plenum bei Ihren Zusatzanträgen mit Ihren Freunden gestimmt habe. Kollege Schmitt (Vockenhausen), gerade wenn Sie sich dagegen wehren, daß wir uns gegenseitig irgendwie ungehörige oder unfreundliche Motive unterstellen, möchte ich sagen, daß ich dankbar wäre, wenn Sie damit auch Ihrerseits anfangen wollten.

(Abg. Mellies: Damit müssen Sie aber auch anfangen! Von Ihnen haben wir auch schon einiges erlebt!)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0211616400
Zur allgemeinen Aussprache hat das Wort Herr Abgeordneter Furler.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0211616500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur eine kurze Klarstellung herbeiführen, weil ich bemerkt habe, daß hier gewisse Verwirrungen eingetreten sind, und zwar durch die Ausführungen des Herrn Kollegen Friedensburg. Herr Kollege Friedensburg zitierte den Abs. 6 des Art. 29 des Grundgesetzes und meinte auf Grund von Auffassungen in Kommentaren, es sei nicht schlimm, wenn diese Frist nicht eingehalten werde. Darum geht es nicht. Die Durchführung des Art. 29 des Grundgesetzes muß binnen eines Jahres nach Inkrafttreten des Grundgesetzes erfolgen, d. h. jetzt binnen eines Jahres nach Erlangung der Souveränität.

(Zuruf von der Mitte: Und Volksbegehren!) — Und Volksbegehren — ich meine ja den Art. 29 Abs. 2 —, um das sich das Ausführungsgesetz jetzt dreht. Es ist so: Wenn nicht binnen eines Jahres nach dem 5. Mai 1955, also bis zum 5. Mai 1956, die hier vorgesehenen Volksbegehren beantragt sind, werden sie unzulässig, es sei denn, wir änderten die Verfassung. Darauf wollte ich ganz klar aufmerksam machen. Wenn wir kein Durchführungsgesetz bringen, verändern wir eine verfassungsrechtlich vorgesehene Situation, d. h. wir geben gar nicht die Möglichkeit, den Art. 29 Abs. 2 durchzuführen. Ich will hierauf hinweisen. Wir müßten uns dann entschließen — aber das ist eine ganz andere Frage —, das Grundgesetz, d. h. die Frist von einem Jahr, zu ändern. Das steht aber nicht zur Diskussion. Wir können uns nicht in die Lage begeben, aus irgendwelchen taktischen Erwägungen die Jahresfrist zu versäumen, kein Gesetz zu bringen und damit den Grundsatz der Verfassungstreue zu verletzen. Wir sind verpflichtet, den Art. 29 Abs. 2 durchzuführen. Es geht nicht um die Pfalz oder irgendein Land, es geht um den Vollzug des Grundgesetzes.


(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0211616600
Herr Abgeordneter Dr. Bucher? — Ich erteile Ihnen das Wort.

Dr. Ewald Bucher (FDP):
Rede ID: ID0211616700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem, was der Herr Abgeordnete Furler ausgeführt hat, möchte ich doch noch einmal betonen, daß wir mit diesen Vorschlägen nur bewußt eine Unklarheit in das Gesetz hineinbringen würden. Das sollten wir doch nicht tun. Da war der Vorschlag, der zuerst von dem Kollegen K o p f im Rechtsausschuß gemacht wurde, die Frist „bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes" mit ausdrücklichen Worten hineinzuschreiben, besser.

(Abg. Dr. Furler: Darum geht es ja nicht!)

— Der steht ja nicht mehr zur Debatte. — Mit dem jetzigen Antrag bringen wir bewußt eine Unklarheit hinein.
Ich sehe mich aber veranlaßt, nachdem hier zweimal von der Saarabstimmung gesprochen wurde, auf eine Äußerung einzugehen, die Herr Kollege Friedensburg gemacht hat. Er hat von der segensreichen Wirkung des Saarstatuts gesprochen.

(Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich glaube nicht, daß Herr Kollege Friedensburg damit das ausdrücken wollte, was man nun leider als Gerücht und Redewendung im Lande weithin hört. Aber es besteht die Gefahr, daß die Worte so ausgelegt werden, das Saarstatut sei von der Bundesregierung mit dem Hintergedanken abgeschlossen worden: Es wird ja wohl abgelehnt werden. Eine solche Darstellung dürften wir doch wohl in der Öffentlichkeit nicht geben, denn damit tun wir der Bundesregierung einen sehr schlechten Dienst. Niemand wird der Bundesregierung unterstellen können, daß sie mit derartigen Hintergedanken außenpolitische Abkommen schließt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD und des GB/BHE. — Abg. Dr. Weber [Koblenz]: Aber war faktisch von Erfolg!)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0211616800
Weitere Wortmeldungen zur Generalaussprache liegen nicht vor. Ich schließe sie.
Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung. Änderungsanträge zu dem in zweiter Lesung beschlossenen Entwurf liegen nicht vor. Wir stimmen gleich über das Gesetz im ganzen ab. Wer für die Annahme des Gesetzes im ganzen ist, den bitte ich, sich von seinem Platz zu erheben. — Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Wir haben nunmehr über Ziffer 2 und Ziffer 3 der Ausschußvorlage abzustimmen. Wer für die Annahme der Ziffer 2 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben.

(Zurufe von der Mitte: Getrennte Abstimmung!)

— Ich lasse ja getrennt abstimmen, zunächst über Ziffer 2. Ich glaube, mich so geäußert zu haben. Es fällt mir immer schwer, „zwo" zu sagen, denn diese artilleristische Art der arithmetischen Phonetik liegt mir, in diesem Hause wenigstens, nicht sehr. — Also Ziffer 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Nun Ziffer 3. Ich muß gestehen, daß ich gewisse Bedenken habe, ob eine solche Formel überhaupt abstimmungsfähig ist:
Der Bundestag tritt der Entschließung des Bundesrates, wonach dieser der Auffassung ist, daß die Neugliederung des Bundesgebietes endgültig erst nach der Wiedervereinigung erfolgen könne, nicht bei.
Ich weiß nicht recht, was ein Beschluß darüber in der Welt verändern könnte. Ich hätte, wenn ich die Ehre gehabt hätte, Mitglied dieses Ausschusses zu sein, mich dagegen gewehrt, daß diese Formel in den Vorschlag des Ausschusses aufgenommen wird.


(Vizepräsident Dr. Schmid)

Aber sie steht nun einmal da, und ich lasse deshalb trotz meiner Bedenken darüber abstimmen. Wer für die Annahme der Ziffer 3 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Gegenstimmen waren die überwiegende Mehrheit; der Antrag ist damit abgelehnt.
Damit ist Punkt 5 der Tagesordnung erledigt.
Ehe ich den nächsten Punkt aufrufe, habe ich noch einige Mitteilungen zu machen. Die Arbeitsgemeinschaft für Wehrfragen der CDU wird gebeten, im Anschluß an das Plenum im Raum 026 P zusammenzukommen. Der Ausschuß für den Lastenausgleich soll nicht schon heute zusammentreten, sondern erst morgen. Die Zeit wird Ihnen, soweit Sie Mitglieder dieses Ausschusses sind, noch bekanntgegeben.
Meine Damen und Herren, soeben werde ich darauf aufmerksam gemacht, daß es Meinungen im Hause gibt, die Ablehnung der Ziffer 3 des Ausschußantrages Drucksache 1851 bedeute, daß der Bundestag der Auffassung des Bundesrats zustimme.

(Lebhafter Widerspruch.)

Dieser Auffassung kann ich meine Zustimmung nicht geben.

(Abg. Schoettle: Es wäre aber gut, wenn ausdrücklich festgestellt würde, daß es das nicht bedeutet!)

— Ich kann als Präsident nur sagen, wie ich die Tragweite dieser Abstimmung beurteile: sie kann nicht weiter reichen als meine Fragestellung. Die Ablehnung eines Ausschußantrags — mag dieser lauten, wie er wolle — vermag in bezug auf eventuelle Stellungnahmen des Bundesrats gar nichts ) zu bedeuten.

(Zustimmung.)

Die Beschlüsse des Bundestages haben mit Stellungnahmen des Bundesrates nur dann etwas zu tun, wenn das Grundgesetz dies ausdrücklich vorschreibt. Hier ist dies nicht der Fall.
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die weitere Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes zur Erleichterung der Annahme an Kindes Statt (Drucksache 1598);
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (16. Ausschuß) (Drucksache 1864).
Berichterstatter: Abgeordneter Bauer (Würzburg).

(Erste Beratung: 103. Sitzung.)

Ich schlage Ihnen vor — der Ältestenrat hat sich dahin vereinbart, und auch der Herr Berichterstatter ist einverstanden —, auf eine mündliche Berichterstattung zu verzichten. Es handelt sich um ein reines Routinegesetz.
Ich rufe in zweiter Beratung auf die §§ 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift. — Wer für die Annahme ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Gegen wenige Stimmen angenommen. Ich schließe die zweite Beratung.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Zur allgemeinen Aussprache wird das Wort nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Annahme des Gesetzes im ganzen ist, den bitte ich sich von seinem Sitz zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Europäische Fürsorgeabkommen vom 11. Dezember 1953 und das Zusatzprotokoll zu dem Europäischen Fürsorgeabkommen (Drucksache 1882).
Legt das Haus Wert auf eine mündliche Begründung?

(Zurufe: Nein!)

— Das ist nicht der Fall; es wird darauf verzichtet.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, diese Vorlage an folgende Ausschüsse zu überweisen: an den Ausschuß für Fragen der öffentlichen Fürsorge — federführend —, zur Mitberatung an die Ausschüsse für Fragen des Gesundheitswesens, für Rechtswesen und Verfassungsrecht, für auswärtige Angelegenheiten. Ist das Haus einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Punkt 7 der Tagesordnung ist erledigt.
Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Altsparergesetzes (Drucksache 1905).
Auch hier scheint das Haus auf die Entgegennahme einer mündlichen Begründung verzichten zu wollen. Kein Widerspruch?

(Zurufe: Nein!)

Der Vorschlag für die Überweisung lautet: Überweisung an den Ausschuß für Lastenausgleich. Ist das Haus einverstanden?

(Zustimmung.)

— Dann ist so beschlossen. Punkt 8 der Tagesordnung ist erledigt.
Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Angleichung der Dienstbezüge von Vollzugsbeamten des Bundesgrenzschutzes an die Besoldung der Freiwilligen in den Streitkräften (Besoldungsangleichungsgesetz für den Bundesgrenzschutz) (Drucksache 1881).
Verzichtet das Haus auf eine mündliche Begründung?

(Zustimmung.)

— Das scheint der Fall zu sein. Es wird vorgeschlagen, die Vorlage zu überweisen an den Ausschuß für Beamtenrecht, der federführend sein soll, an den Haushaltsausschuß und an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung. Die beiden letzten Ausschüsse sollen mitberaten. Ist das Haus einverstanden?

(Zustimmung.)

— Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Punkt 9 der Tagesordnung ist erledigt.
Punkt 10 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs
eines Gesetzes über die Statistiken der
Steuern vom Einkommen (Drucksache 1639);


(Vizepräsident Dr. Schmid)

Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (19. Ausschuß) (Drucksache 1904).

(Erste Beratung: 101. Sitzung.)

Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Dresbach. Verzichtet das Haus trotzdem auf Entgegennahme eines mündlichen Berichts?

(Heiterkeit.)

— Erstaunlicherweise scheint das der Fall zu sein.
Dann treten wir in die zweite Beratung ein. Ich rufe auf die §§ 1, — 2, — 3, — 4, -- 5, — 6, —Einleitung und Überschrift. — Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich schließe die zweite Beratung und eröffne die
dritte Beratung.
Allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Änderungsanträge sind nicht gestellt. Wir stimmen ab über das Gesetz im ganzen. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, sich erheben zu wollen. — Ich stelle einstimmige Annahme fest. Damit ist Punkt 10 der Tagesordnung erledigt.
Die Punkte 11 und 12 sollen nach einer Vereinbarung der Fraktionen abgesetzt werden. Ist das Haus einverstanden?

(Zustimmung.)

Dann rufe ich auf Punkt 13:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 100 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 29. Juni 1951 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit (Drucksache 1369); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (27. Ausschuß) (Drucksache 1850).

(Erste Beratung: 82. Sitzung.)

Berichterstatterin ist Frau Abgeordnete Dr. Bleyler (Freiburg), die, wie sie mir gütigst mitgeteilt hat, auf mündliche Berichterstattung verzichtet. Ist das Haus einverstanden, daß ohne mündliche Berichterstattung verhandelt wird?

(Zustimmung.)

Ein Schriftlicher Bericht*) liegt vor. Der Ausschuß schlägt im übrigen vor, die Drucksache 1369 unverändert anzunehmen.
Dann rufe ich auf zur zweiten Beratung. Art. 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift. — Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Ich stelle einstimmige Annahme fest und schließe die zweite Beratung.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Zur allgemeinen Aussprache liegen Wortmeldungen nicht vor. Änderungsanträge sind nicht gestellt. Wir stimmen ab über das Gesetz im ganzen. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich stelle einstimmige Annahme fest. Punkt 13 der Tagesordnung ist erledigt.
*) Siehe Anlage 4.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über eine zeitweilige besondere Regelung der Prüfung der Jahresabschlüsse von Eisenbahnaktiengesellschaften des öffentlichen Verkehrs (Drucksache 1264);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (16. Ausschuß) (Drucksache 1863).

(Erste Beratung: 78. Sitzung.)

Die Ausschußdrucksache trägt die Nummer 1863, Berichterstatter ist Herr Dr. Czermak. Verzichtet das Haus auf Erstattung eines Mündlichen Berichts? — Der Herr Berichterstatter verzichtet offensichtlich auch. Dann können wir — um so mehr, als ein Schriftlicher Bericht*) vorliegt — sofort in die zweite Beratung eintreten. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert nach der Vorlage anzunehmen.
Ich rufe auf die §§ 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift. — Wer für die Annahme ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Ich stelle einstimmige Annahme fest. Ich schließe die zweite Beratung.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Wortmeldungen zur allgemeinen Aussprache liegen nicht vor, ebensowenig Änderungsanträge. Wir stimmen über das Gesetz im ganzen ab. Wer für die Annahme ist, der möge sich erheben. — Ich stelle einstimmige Annahme fest. Damit ist auch Punkt 14 der Tagesordnung erledigt.
Punkt 15 der Tagesordnung: C
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Liquidation der Deutschen Rentenbank und über weitere Maßnahmen zur Abwicklung der landwirtschaftlichen Entschuldung (Drucksache 1870).
Wird auf mündliche Begründung verzichtet?

(Zustimmung.)

— Das Haus ist damit einverstanden, daß ohne mündliche Begründung verhandelt wird. Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage an den Ausschuß für Geld und Kredit, der federführend sein soll, und weiter an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen. Ist das Haus einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Punkt 15 der Tagesordnung ist damit erledigt.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung des von den Abgeordneten Frau Dr. Probst, Lücker (München), Bauknecht, Strauß, Seidl (Dorfen) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes über die Übernahme von Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen zur Förderung der deutschen Wirtschaft (Drucksache 809);
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (21. Ausschuß) (Drucksache 1852).

(Erste Beratung: 51. Sitzung.) *) Siehe Anlage 5.



(Vizepräsident Dr. Schmid)

Ich glaube, daß hier eine kurze Berichterstattung erfolgen sollte. Ich erteile das Wort zur Berichterstattung dem Herrn Abgeordneten Holla.

Ernst Holla (CDU):
Rede ID: ID0211616900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf Drucksache 809 ist bei der ersten Beratung dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß - federführend - und dem Ausschuß für Ernährung als mitberatendem Ausschuß überwiesen worden. Beide Ausschüsse haben nach eingehender Beratung einstimmig beschlossen, diesen Gesetzentwurf Drucksache 809 als erledigt zu erklären. Ich darf Sie deshalb bitten, auch den Beschluß zu fassen, diesen Gesetzentwurf Drucksache 809 für erledigt zu erklären.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0211617000
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich muß aber das Haus darauf hinweisen, daß man einen Gesetzentwurf nicht für erledigt erklären kann. Man muß über die Artikel der Vorlage abstimmen. Wenn in zweiter Beratung alle Bestimmungen der Vorlage abgelehnt werden, dann findet keine dritte Beratung mehr statt. Der Entwurf ist dann praktisch vom Tisch des Hauses genommen worden.
Wir müssen also in die zweite Beratung eintreten. Ich rufe § 1 auf. Wer für die Annahme ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist, wie ich sehe, einstimmig abgelehnt.
§ 2. Wer für die Annahme ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Einstimmige Ablehnung.
§ 3. Wer für die Annahme ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Abgelehnt!
§ 4. Ich kann damit wohl die Abstimmung über die Einleitung und Überschrift verbinden. Wer für die Annahme ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich sehe keine Stimme dafür. Wer dagegen ist, der möge dies kundtun. - Ich stelle einstimmige Ablehnung des § 4 und der Einleitung und Überschrift fest. Damit ist dieser Gesetzentwurf und der Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 17 der Tagesordnung: Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck 494).
Wer für die Überweisung dieser Anträge an die in Umdruck 494*) angegebenen Ausschüsse ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Ich stelle einstimmige Annahme fest. Damit ist die Tagesordnung für heute erledigt.
Ich berufe die nächste, die 117. Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Donnerstag, den 8. Dezember, 10 Uhr, und schließe die heutige Sitzung des Deutschen Bundestages.