Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind über die Beantwortung der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion durch den Herrn Verteidigungsminister nicht befriedigt. Wir sind um so weniger über dieses magere Ergebnis befriedigt, als die Anfrage bereits am 13. Juli gestellt wurde und also lange Zeit gewesen ist, uns eine umfassendere Antwort auf die Fragen, die wir gestellt haben, zu geben als die, die wir heute in diesem Hause durch den Verteidigungsminister bekommen haben. Herr Verteidigungsminister, wir werden Sie über die Probleme, die in dieser Anfrage enthalten sind, so lange fragen, bis Sie diesem Hause und der deutschen ffentlichkeit eine Antwort gegeben haben, die wir von Ihnen erwarten dürfen und erwarten müssen.
Was Sie über das Manöver „Carte blanche" und über Manöver im allgemeinen gesagt haben, war schließlich nicht sehr neu. Natürlich sind Manöver fiktiv. Wie ständen wir da, wenn die 335 Bomben, die in diesem Mannöver gefallen sind, nicht fiktiv
gewesen wären! Wahrscheinlich wäre es dann zul spät, über die Möglichkeiten der Verteidigung der Bundesrepublik überhaupt noch zu reden. Aber die Probleme, die in diesem Manöver gestellt wurden, wobei es nicht wesentlich ist, daß die Operationen geographisch von Nord nach Süd statt, wie es vielleicht auch denkbar gewesen wäre, von Ost nach West ausgerichtet waren, die Probleme des modernen Vernichtungskrieges, die in diesem Manöver auf einem Teilgebiet erprobt wurden, sind nach unserer Auffassung so ernst und so wichtig für die Methoden des Aufbaus deutscher Streitkräfte, vor dem wir jetzt stehen, daß wir nicht so lange Zeit haben und es uns beunruhigt, wenn Sie sagen, daß die Berichte ausgewertet werden, wenn wir sie bekommen werden, und daß man dann die notwendigen Maßnahmen treffen wird. Wir stehen jetzt am Anfang des Aufbaus neuer deutscher Streitkräfte, und wir meinen, daß gerade bei diesem Anfang die Erkenntnisse, die heute gewonnen sind, so weit wie möglich angewandt werden müssen und daß dieses Haus ein Recht darauf hat, vom Verteidigungsminister zu erfahren, welche Konsequenzen aus diesem Manöver und aus anderen Manövern für den Aufbau der deutschen Streitkräfte gezogen werden.
Sie haben, Herr Verteidigungsminister, davon gesprochen, daß der zivile Schutz nicht ausreicht und daß er durch militärische Maßnahmen ergänzt werden muß. Hier liegt das ganze Problem, das wir in der Anfrage anpacken wollten: In welcher Weise werden die militärischen Dinge in Zusammenhang gebracht mit dem Schutz der Bevölkerung, und wie kann man unter den jetzt gegebenen Bedingungen den Schutz der Bevölkerung heute so weit wie möglich gewährleisten? Das läßt sich nicht mehr voneinander trennen. Es wird auch in den anderen Ländern nicht mehr getrennt, sondern greift ineinander über. Darum sind wir außerordentlich beunruhigt über das Wenige; das auch heute über den zivilen Luftschutz hier gesagt worden ist. Es begann bei den sehr zögernden Antworten des Herrn Atomministers in der Fragestunde. Nun mag das daran liegen, daß es sich um eine neue Aufgabe und um ein neues Ministerium handelt, und ich möchte ohne jeden Beiklang sagen: Gewiß, es mag Zeit brauchen, bis die Organisation steht und die Erfahrungen vorliegen. Aber das Nebeneinander von verschiedenen Ressorts vom Verteidigungsministerium über das Innenministerium bis zum Atomministerium — und wahrscheinlich sind zusätzlich noch eine ganze Reihe anderer Instanzen mit diesen Fragen beschäftigt — gibt uns nicht die Gewähr dafür, daß diese Fragen des Luftschutzes in der besten und effektivsten Weise heute bei uns geregelt werden.
Es steht als erste Aufgabe vor der Regierung — mein Vorredner, der Kollege Dr. Mende, hat das am Ende seiner Ausführungen schon gesagt — die Erhaltung der Substanz unseres Volkes. Wir glauben, daß jede Form der Verniedlichung der möglichen Gefahren, die vor uns liegen, schädlich ist. Wir dürfen nicht so tun, als regle sich das alles von selbst und als würde man schon mit den Fragen fertig werden, wenn man sich anpasse und wenn man sehr allgemein darüber hinwegzukommen versuche.
Der Herr Innenminister hat in der Debatte im Monat Juli die Zahlen genannt, die im Bundeshaushalt 1955 für den Luftschutz eingesetzt waren. Es handelte sich ursprünglich um eine Summe von
12 Millionen DM, die durch den Nachtragsetat um 70 Millionen DM erhöht wurde. Im Haushalt des Jahres 1956, den wir demnächst hier zu beraten und zu beschließen haben, stehen 88 Millionen DM für den zivilen Luftschutz. Erlauben Sie mir, die Vergleichszahlen von zwei anderen Ländern für die Bemühungen um den Schutz der Bevölkerung im Kriegsfalle hier anzuführen. Während die Bundesrepublik nach den Zahlen von 1955 — also 12 plus 70 Millionen DM — 1,64 DM pro Kopf der Bevölkerung ausgab, geben England 4,10 DM und Schweden 8 DM im Jahr pro Kopf der Bevölkerung für diesen Zweck aus. Diese Zahlen geben einen Einblick, daß in unserem Lande an Mitteln viel zuwenig zur Verfügung gestellt wird.
Herr Kollege Erler hat in seiner Begründung unserer Großen Anfrage darauf hingewiesen, daß es nicht sehr glaubwürdig ist, daß in einem Dreijahresplan 1,2 Milliarden DM für diese Zwecke verausgabt werden sollen, wenn im Haushalt dieses Jahres ganze 88 Millionen DM vorgesehen sind. Die sozialdemokratische Fraktion hat bereits bei den Haushaltsberatungen 1954 1 Milliarde DM für Luftschutzmaßnahmen für notwendig gehalten. Im Jahre 1955 haben wir nach einem im einzelnen aufgegliederten Plan, für welche speziellen Zwecke welche Summen verwandt werden sollen — ein Plan, der von Kreisen in der Bundesrepublik, die von Luftschutz etwas verstehen, gebilligt worden war und als zweckmäßig angesehen wurde —, 1,2 Milliarden DM — von den 9 Milliarden Verteidigungskosten — gefordert; aber die Mehrheit dieses Hauses hat es auf Antrag der Regierung bei den 82 Millionen DM des vorigen Haushaltsjahres belassen.
I Der Herr Bundesinnenminister hat in der Debatte im Monat Juli an uns appelliert, die Frage des Luftschutzes nicht zu einer parteipolitischen Auseinandersetzung werden zu lassen. Uns liegt an dieser Auseinandersetzung überhaupt nichts. Es hängt aber von der Bundesregierung ab; es hängt davon ab, in welcher Weise sie diese Aufgaben in Angriff nimmt und durchführt und welche Bedeutung sie dem zivilen Luftschutz gibt, ob es eine Sache wird, die wir gemeinsam tun können, oder ob wir wie bisher der Regierung den Vorwurf machen müssen, daß sie zuwenig tut und daß bei dem Grad der Bedrohung, bei der Zugehörigkeit zur NATO und bei der Gesamtpolitik der Regierung diese Mittel einfach nicht ausreichen.
Nach unserer Meinung dürfen die Fragen der militärischen Verteidigungsplanung nicht von den zivilen Luftschutzmaßnahmen getrennt werden, denn sie lassen sich heute nicht trennen. Hier muß man versuchen, eine Einheit der Verteidigungsanstrengungen im ganzen zu erreichen.
Wir meinen, daß es notwendig sein wird, in der Bevölkerung Verständnis hierfür zu schaffen. Dazu aber ist es notwendig, für den Luftschutz Mittel in einem gewissen Umfang, der wenigstens ein Minimum an Möglichkeiten in sich schließt, zu bewilligen, weil sonst die Glaubwürdigkeit, daß mit diesen Maßnahmen effektiv etwas zu erreichen ist, sinken muß.
Wir meinen, daß die Frage der Luftverteidigung und die Frage des Atomkrieges offen vor dem deutschen Volk besprochen werden sollten. Es ist sicher ein guter Gedanke, den der Herr Verteidigungsminister ausgesprochen hat, daß die Fragen der Verteidigung nicht nur eine Sache der Militärs
sind, sondern daß auch die besten Kräfte aus dem zivilen Leben sich dieser Aufgabe widmen sollten. Aber, Herr Verteidigungsminister, wenn wir in diesem Hause damit beginnen, uns mit diesen Fragen ernsthaft auseinanderzusetzen, dann müssen Sie uns durch Offenheit in diesen Fragen besser helfen, als es bisher geschehen ist. Es gäbe eine Reihe von praktischen Fragen, die die Organisation des Ministeriums betreffen, die mein Kollege Erler gestellt hat. In welcher Weise werden die Fragen der atomaren Kriegführung im Ministerium behandelt? Wann werden wir darüber etwas erfahren? Wir sind gar nicht der Meinung, daß es keine deutschen Militärs gäbe, die von diesen Dingen etwas verstünden. Niemals haben wir das gesagt. Aber auf welche Weise wird dafür gesorgt, daß die entscheidenden Fragen der modernen Kriegführung in dem Apparat, den das Verteidigungsministerium darstellt, auch wahrgenommen werden? Wir erwarten, daß wir darüber etwas erfahren werden.
Wir haben bei der Debatte im Juli den Vorschlag gemacht, daß die Fragen der Verteidigung gegen einen Atomkrieg durch eine Fachkommission geklärt werden — unabhängig von der Regierung —, von Fachleuten aus allen Teilen des öffentlichen Lebens und der militärischen Organisation. Nach dem, was heute in diesem Hause gesagt wurde, sei es aus dem Hause, sei es von der Regierung, glaube ich, daß wir diesen Gedanken nähertreten sollten.
Erlauben Sie mir zum Schluß eine Bemerkung zu der Äußerung des Atomministers, daß die Bundesregierung — er sagte ausdrücklich, daß er diese Erklärung in Übereinstimmung mit dem Herrn Bundesaußenminister abgebe — keinen Anlaß sieht zu außenpolitischen Interventionen und dazu, zu den fortgesetzten Probeexplosionen von Atom- und anderen Bomben in Ost und West Stellung zu nehmen. Was muß eigentlich geschehen, bis wir zu dieser unheilvollen Entwicklung der Steigerung der Experimente mit Atomenergie und mit Atomwaffen etwas zu sagen haben als Volk, als Staat und als Regierung?
Ich meine, die Regierung hätte hier eine Aufgabe — es handelt sich um Versuche in Ost und West —, mit den Kräften in der Welt zusammenzuwirken, die versuchen, diesen unheilvollen Experimenten ein Ende zu bereiten.
Das wäre ein Beitrag zur Politik der Entspannung; das wäre ein Beitrag zu einer Politik, die dem Frieden dient und die uns das Schicksal eines Krieges mit oder ohne Atomwaffen ersparen könnte.