Ist sich die Bundesregierung bewußt, daß die Art, wie durch Rücknahme der Strafanträge das Strafverfahren gegen Schmeißer ohne Beweisaufnahme und ohne gerichtlichen Urteilsspruch zur Einstellung gelangte, geeignet ist, das Vertrauen in die Sauberkeit des öffentlichen Lebens in der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden?
Noch nie sind Sie, Herr Bundeskanzler, so sehr Gegenstand allgemeiner Kritik auch bei Ihren beifallsbereitesten Anhängern gewesen wie angesichts dieses, wie eine sehr bekannte Zeitung geschrieben hat, „peinlichen Eindrucks eines ungewöhnlichen Verhaltens".
Ich will einige dieser Stimmen zitieren, und Sie werden sehen, daß es keine sind, die der Opposition nahestehen. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" — nachdem Paul Sethe weggetreten wurde, doch wohl nahezu uneingeschränkt regierungstreu
hat gesagt, es sei unakzeptabel, „einen mehr oder
minder privaten Prozeßvergleich als eine befriedigende Lösung einer primär politischen Affäre hin-
zunehmen". Die „Neue Zürcher Zeitung", eine traditionell, würde ich sagen, kanzlerfreundliche, sehr bedeutende Schweizer Zeitung — bei der man auch sagen kann, daß, nachdem Herr Geilinger nach freundlicher Regierungsbeteiligung wegexperimentiert worden ist, nun der letzte Schimmer einer Oppositionsverdächtigkeit weggefallen ist —, hat geschrieben, sie sei „überrascht, verwirrt und ziemlich bestürzt". Sie hat wörtlich geschrieben, daß sie ein „Unbehagen über diesen Kompromiß empfinde".
Selbst die „Kölnische Rundschau" — ich sage bewußt: selbst die „Kölnische Rundschau"! — kann einen sanften Tadel nicht unterdrücken und schreibt:
Die Auffassung kann nicht unterdrückt werden, es wäre besser gewesen, das Verfahren bis zum Urteilsspruch durchzuführen.
Der Herr Ministerpräsident Hellwege, aus dem Kabinett des Herrn Bundeskanzlers hervorgegangen und im Besitze seines Vertrauens Ministerpräsident in Niedersachsen,
hat nach der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zum Prozeßausgang wörtlich gesagt, daß der „Ausgang des Prozesses als eine starke Zumutung an die Gutgläubigkeit der Staatsbürger" zu betrachten sei.
Gestatten Sie mir, als letzten Herrn Roegele aus dem „Rheinischen Merkur" zu zitieren,
der doch einer der eifrigsten intelektuellen Stabschefs für die Regierungsideologie ist, — ich glaube, daß ich das sagen kann, ohne Herrn Globke zu nahe zu treten!
Er hat in seinem Kommentar zu der Beendigung dieser prozessualen Affäre von einem „unerwarteten und schmählichen Ergebnis" gesprochen.
Ich habe nur wenige und dem Herrn Bundeskanzler selber sehr nahestehende Stimmen zitiert. Aber so spiegelt sich diese Affäre in Hunderten und Tausenden Blättern des Inlandes und des Auslandes. Deshalb sprechen wir hier darüber, nicht etwa, weil wir aus propagandasüchtigem Behagen in dieser Affäre rühren möchten,
sondern weil das ganze Volk — meine Damen und Herren, nehmen Sie das mit dem notwendigen Ernst! — in seinem Vertrauen zu seinen staatlichen Institutionen erschüttert zu werden droht, eine Befürchtung, die in den Tagen, als dieser Prozeß aktuelles Gesprächsthema auch in Ihren Kreisen war, selbst ein erheblicher Teil der Herren, die hier auf den Regierungsbänken sitzen, geäußert hat. Es soll niemand auf die Vergeßlichkeit der Öffentlichkeit spekulieren. Scheinbar ins Vergessen abgesunkene Peinlichkeiten und Versäumnisse werden in Krisenzeiten eines Volkes wieder an die Oberfläche gespült und bilden dann den Rohstoff der Demagogen und Verleumder.
Der Dunstkreis der Schmeißer-Affäre darf nicht unsere Innenpolitik vergiften. Das ist unser entscheidendes Anliegen. Es würde keine Partei dieses Hauses daraus einen dauernden Nutzen ziehen können, es sei denn die Partei der Antidemokratie, gegen die wir eine gemeinsame Front zu bilden haben. Unlängst hat eine EMNID-Befragung über das Ansehen des Parlaments und der Demokratie ein sehr erfreuliches Ergebnis gezeigt. Zwischen 1951 und 1955 hat sich der Kreis derjenigen, die sich sehr positiv zu diesem Hause und seinen Institutionen geäußert haben, verdoppelt, und der Kreis derjenigen, die ihm die Zensur „im Grunde gut" gegeben haben, immerhin von 28 % auf 43 % erhöht. Aber dieses Fundament ist nicht so stabil, daß man freventlich darauf herumtreten dürfte.
In dem Wunsche, vor diesem Parlament, dem der Herr Bundeskanzler politisch Rechenschaft schuldet, Klarheit über die Motive seines Verhaltens und über die Motive seiner Berater, die er politisch vor diesem Hause zu vertreten hat, zu gewinnen, haben wir eine Reihe von Fragen gestellt. Wir fragen:
Aus welchen Gründen haben Bundeskanzler Adenauer, Botschafter Blankenhorn und Generalkonsul Reifferscheidt es für angemessen und möglich gehalten, sich während der gerichtlichen Hauptverhandlung mit dem öffentlich wegen Verleumdung angeklagten früheren Agenten einer ausländischen Macht auf Vergleichsverhandlungen einzulassen?
Rekapitulieren wir ganz kurz den Verlauf der Tatsachen: Im Jahre 1952 läßt der Herr Bundeskanzler unter Zuhilfenahme von Tausenden von Polizisten eine Ausgabe des „Spiegel" beschlagnahmen und veranlaßt durch Strafanträge eine gerichtliche Untersuchung, die drei Jahre dauert. Das Gericht reist in Deutschland umher. Es gibt eine Fülle von Verhandlungen, Vernehmungen, umfangreiche Akten entstehen, Zeugen werden zum Teil mit dem Flugzeug aus Übersee herbeigeholt. Und da, nach Eintritt in die öffentliche Hauptverhandlung, nimmt der Herr Bundeskanzler seine Strafanträge gegen den Urheber und die Verbreiter der außerordentlich schwerwiegenden Beschuldigungen, gegen die er Verleumdungsklage erhoben hat, zurück, und er duldet, daß Beamte, für die er — ich wiederhole — vor diesem Hause die politische Verantwortung trägt, das gleiche tun. Er läßt es gerade noch zur Vernehmung des Hauptangeklagten zur Person kommen, und in diesem letzten Augenblick, bevor die Vershandlung in der Sache beginnt, erfolgt der Verzicht auf das laut proklamierte Prozeßziel, den Nachweis der Unwahrheit. Durfte sich der Herr Bundeskanzler darauf einlassen, auf die gerichtliche Klärung zu verzichten, noch dazu gerade in diesem Augenblick, als sie in greifbarer Nähe stand? Ist es für den Herrn Bundeskanzler angemessen, sich unter diesen Umständen während einer gerichtlichen Hauptverhandlung auf Vergleichsgespräche mit dem früheren Agenten einer auswärtigen Macht einzulassen? Durfte er dessen verklausulierte und den Kern der streitigen Behauptungen keineswegs betreffende Erklärungen als einen Ersatz für eine solche gerichtliche Klärung hinnehmen?
Es mag sein, daß die Initiative zu dem Prozeßvergleich von den Angeklagten ausgegangen ist. Auch dazu sind die Nachrichten sehr zwiespältig, und wir wären sehr dankbar, wenn wir von dem Herrn Bundeskanzler auch in dieser Frage eine klare Erklärung bekommen könnten. Die Tatsache des Vergleichs war politisch genau so unakzeptabel, wie die Begleitumstände, unter denen es zu diesem Vergleich gekommen ist, ungeeignet waren, den Eindruck der Peinlichkeit zu verhindern, der
hier entstanden ist. Warum kam es zu diesem Vergleich? Warum wurde auf die gerichtliche Klärung verzichtet? Lohnte sich der Prozeß nicht mehr, wie „Die Welt" in einem Artikel gefragt hat? Der Herr Generalkonsul Reifferscheidt hat nach dem Vergleich, wie Pressemeldungen sagten, Herrn Schmeißer „ein armes Würstchen" genannt. Glaubte man, der Prozeß lohne sich nicht mehr? Dann, glaube ich, war aber auch die Schlußfolgerung der „Welt" richtig, wenn sie sagte: „Dieser Kompromiß hätte sich dann ebensogut bereits vor drei Jahren durchsetzen lassen."
Der „Rheinische Merkur" hat das zum Ausdruck gebracht, was auch unsere Überlegung ist: „Eine irgendwie geartete Zurücknahme der in tatsächlicher Hinsicht vom ‚Spiegel' auf Grund der Schmeißer-Aussage erhobenen Vorwürfe fand nicht statt", und — das ist das Entscheidende — der Widerruf, die Zurücknahme der Behauptungen erfolgte nicht.
Und so fragen wir in unserer Frage Nr. 3: Warum haben Bundeskanzler Adenauer, Botschafter Blankenhorn und Generalkonsul Reifferscheidt ihre Strafanträge zurückgenommen, obwohl die von den Angeklagten abgegebenen Erklärungen die Wahrheitsfrage offenließen und mit dem Gegenstand der Anklage nicht übereinstimmten?
Die Angeklagten haben, wie Sie alle wissen, lediglich erklärt, daß sie einen Vorwurf pflichtwidrigen oder ehrenrührigen Verhaltens nicht erheben. Die sachlichen Behauptungen haben sie nicht zurückgenommen und statt dessen eine nur, wie wir glauben, fälschlich als „Ehrenerklärung" ausgegebene Erklärung abgegeben. Denn diese Erklärung ist keine Ehrenerklärung! Darüber hatten nicht die Angeklagten zu entscheiden, was „pflichtwidrig und unehrenhaft" ist. Die Entscheidung darüber ist nicht in das Urteil eines Agenten einer ausländischen Macht gelegt, der doch schließlich den Verkauf von Geheimnissen auf jeden Fall für ein ehrenhaftes Gewerbe — das er doch ausübt — zu halten geneigt sein wird. Um die Zurücknahme der Behauptungen aber ging es, nicht um den moralisch bewertenden Kommentar einer ungeeigneten und dafür unzuständigen Instanz. Und in der Tat hat auch der Verzicht auf die Klärung der Tatbestände in der Presse einen Niederschlag gefunden, so daß man schließen darf: die Angeklagten halten auch heute noch die These aufrecht; in der Sache haben sie keinen Rückzieher gemacht.
Es bleibt auch noch eine andere Frage: Wie sieht es um die Frage der Prozeßkosten aus? Auch hier herrscht eine betrübliche Unklarheit. Wir fragen:
Welche Vereinbarungen sind hinsichtlich der
Prozeßkosten getroffen worden? Wer hat sie
wirklich getragen? Warum haben Bundeskanzler Adenauer, Botschafter Blankenhorn und
Generalkonsul Reifferscheidt nicht darauf bestanden, daß die Angeklagten oder einer der
Angeklagten auch die Bundeskanzler Adenauer, Botschafter Blankenhorn und Generalkonsul Reifferscheidt erwachsenen Anwaltskosten erstatten? Wie hoch sind diese Anwaltskosten? Weshalb sind die beträchtlichen Auslagen an Reisekosten für die Zeugen Botschafter Blankenhorn, Generalkonsul Reifferscheidt
und Gesandter Strohm nicht als — vom Angeklagten Schmeißer zu erstattende — Gerichtskosten geltend gemacht, sondern aus
öffentlichen Mitteln bestritten worden?
Wer hat z. B. die Kosten für die Flugreise des Gesandten Strohm aus Südafrika gezahlt? Auch darüber gibt es der Öffentlichkeit gegenüber bisher keine befriedigende Tatsachenfeststellung. Die Schweizer Zeitung „Die Tat" schrieb, es sei aufgefallen, „allgemein aufgefallen, wie beflissen der Vertreter der Nebenkläger sich mit Versicherungen zeigte, daß der Staatskasse keine enormen Kosten erwachsen würden". Es sind aber und müssen bei einem solch umfassenden Prozeß enorme Kosten entstanden sein. Wer hat sie wirklich getragen?
Abschließend möchte ich noch einmal mit aller Deutlichkeit sichtbar werden lassen: Wir erheben keine Beschuldigung; wir erheben jedoch eine Forderung. Um der Regierung selbst willen, um des Parlaments willen, um des Ansehens unseres Staates willen, dem wir gemeinsam verpflichtet sind, ob Opposition oder Koalition, erheben wir die Forderung: Hier darf kein Zwielicht, hier darf keine Ungewißheit bleiben, Ungewißheit und Zwielicht, aus denen allein diejenigen Nutzen ziehen könnten, deren antidemokratische Spekulationen auf ihre Chance warten. Diese Spekulationen sind — das wissen wir doch alle — im Innern unseres Landes keineswegs tot, und von außen drohen sie aus einer ganz anderen geistigen Himmelsrichtung mit vervielfältigter Kraft.
Der Herr Bundeskanzler hat, als er aus Moskau zurückkehrte, auf einer Kölner Kolping-Veranstaltung gesagt, daß die geistige Auseinandersetzung mit dem Osten erst jetzt in ein entscheidendes Stadium eintreten wird. In der Tat, die Begegnung mit der sowjetischen Wirklichkeit und ihrer ideologischen Offensive tritt in ein neues und gefährliches Stadium. Neue Gefahren, neue Prüfungen und neue Bewährungen stehen vor uns allen, und da ist es ein bedrohliches Zeichen, daß — und der Herr Bundeskanzler, dem diese Presse ja auch schließlich täglich vorgelegt wird, muß es wissen — nahezu täglich die ostzonale Presse aus propagandistischen Gründen sich mit dieser Affäre beschäftigt.
Gefahren, die aus diesen Richtungen auf uns zukommen werden, werden wir nur bestehen, wenn unser Staatswesen unantastbar ist und Vertrauen einflößt. Schon das V e r m u t en von Skandalen verpestet die politische Atmosphäre. Denken wir an das Wort von Hebbel: „Leicht ist ein Sumpf zu verhüten, doch ist er einmal entstanden, so verhütet kein Gott Schlangen und Molche in ihm." Sorgen wir gemeinsam dafür, unseren Staat vor diesen Gefahren zu bewahren!
Meine Damen und Herren! Nehmen Sie die Versicherung an: Aus d i es e m Geiste haben wir unsere Fragen gestellt, und aus diesem Geiste erwarten wir die Antwort des Herrn Bundeskanzlers.