Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, ich eröffne die 112. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Ich teile zunächst mit, daß auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung von gestern die heutige Plenarsitzung um 13 Uhr geschlossen werden wird.
Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 10. November 1955 unter Bezugnahme auf den Beschluß des 1. Deutschen Bundestages in seiner 151. Sitzung über den Abschluß der Arbeit des Sachverständigenausschusses für die Neugliederung des Bundesgebietes berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1844 vervielfältigt.
Vor Eintritt in die Tagesordnung erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Blank zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die gestrige Absetzung des Apothekengesetzes von der Tagesordnung hat diese wichtige Materie in einem einigermaßen unbefriedigenden Zustande gelassen.
Namens meiner Fraktion habe ich daher den Antrag zu stellen:
Der Bundestag wolle beschließen,
den Entwurf eines Gesetzes über das Apothekenwesen — Drucksachen 1083, 1233, 1790 — zur nochmaligen Beratung an die Ausschüsse für Fragen des Gesundheitswesens und für Wirtschaftspolitik zurückzuverweisen.
Wir hätten damit einen neuen Punkt der Tagesordnung. Wir können ihn nur behandeln, wenn nicht widersprochen wird.
— Ich glaube, auf eine besondere neue Vorlage könnte man verzichten. — Es erhebt sich kein Widerspruch.
Dann lasse ich zunächst über diesen Punkt abstimmen. — Das Wort dazu wird offenbar nicht gewünscht. Wer mit diesem Antrag einverstanden ist, der möge ein Handzeichen geben. — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich habe dann noch bekanntzugeben, daß sich der Ausschuß für Geld und Kredit nach Erledigung des Punktes 1 der Tagesordnung versammeln will.
— Zur Geschäftsordnung Frau Abgeordnete Kalinke!
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Ältestenrat hat in zwei verschiedenen Sitzungen beschlossen, den Antrag der Fraktion der Deutschen Partei zur Reform der Rentenversicherung — Drucksache 1822 — heute zu behandeln. Der Ältestenrat hat dem von mir vorgetragenen Wunsch, diesen Antrag und die zweite und dritte Beratung des Zweiten Renten-Mehrbetrags-Gesetzes an den Anfang der Tagesordnung zu setzen, entsprochen. Er ist ohne Widerspruch
— so habe ich gemeint — meiner Vorstellung gefolgt, daß so wichtige Angelegenheiten wie die Reform der Rentenversicherung und wie das Zweite. Renten-Mehrbetrags-Gesetz, die unser ganzes Volk berühren, nicht am Ende eines Tages und einer sehr angefüllten Tagesordnung, sondern zu Beginn eines Tages in Anwesenheit des gesamten Bundestages in aller Verantwortung diskutiert werden sollten.
Ich habe zu meiner großen Verwunderung erst gestern abend und meine Fraktion hat es wahrscheinlich erst heute früh bei der Verteilung der Tagesordnung erfahren, daß der Herr Präsident den Antrag zum Zweiten Renten-Mehrbetrags-Gesetz als Punkt 5 und den Antrag der Fraktion der Deutschen Partei zur Reform der Rentenversicherung als Punkt 7 auf die Tagesordnung gesetzt hat.
Wie ich weiter erfahren habe, sollen drei Fraktionen dieses Hauses den Wunsch geäußert haben, die Debatte über die Reform der Rentenversicherung nicht stattfinden zu lassen, weil sie nicht darauf vorbereitet seien, und den Punkt von der Tagesordnung abzusetzen wünschen. Herr Präsident und meine Herren und Damen, gestatten Sie mir, darüber unsere große Verwunderung zum Ausdruck zu bringen.
Ich darf mit der Linken des Hauses beginnen. Die sozialdemokratische Fraktion hat keine Gelegenheit, von der Haushaltsdebatte bis zur täglichen Diskussion sozialpolitischer Probleme, vergehen lassen, die Reform der Rentenversicherung zu fordern. In den Tageszeitungen der letzten Wochen finde ich viele Ausführungen des Herrn Kollegen Schellenberg, der nach meiner Auffassung mit Recht beanstandet, daß die Rentenversicherungsreform noch nicht vorgelegt wird.
Was meine Freunde von der Christlich-Demokratischen Union angeht, so wissen sie wie der gesamte Bundestag: wir haben bereits in der Sitzung in Berlin erklärt, daß wir diesen Antrag vorlegen werden. Das war am 20. Oktober. Der Antrag ist am 27. Oktober an den Bundestag gegeben worden; er ist seit mehr als zehn Tagen in den Händen der Abgeordneten. Durch den Zufall, daß gestern durch die auf Antrag der sozialdemokratischen Fraktion erfolgte Absetzung des Apothekengesetzes der Nachmittag frei war, war den Fraktionen erneut Gelegenheit gegeben, über so wichtige Anträge zu sprechen.
Aber noch erstaunlicher ist, daß auch die Fraktion der Freien Demokratischen Partei den Antrag auf Absetzung unterstützen soll, obwohl sie sogar Zeit gehabt hat, in der gestrigen FD-Korrespondenz zwar nicht mit viel Sachverstand,
aber dafür in wahrhaftig unwürdiger „glossierender" Form gegen unseren Antrag und damit zu einem so ernsten Problem Stellung zu nehmen.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe. Die Rednerin ist kaum zu verstehen!
Für uns, meine Herren und Damen, ist die Reform der sozialen Leistungen — und das sei denen gesagt, die Sozialreform mit Rentenversicherungsreform verwechseln und sich nicht die Mühe gegeben haben, unseren Antrag richtig durchzulesen — ein so ernsthaftes Problem, das Millionen unseres Volkes bewegt, daß wir nicht wünschen, daß es am Ende einer Tagesordnung vor leerem Hause behandelt wird.
Wir beantragen daher selber Absetzung von der heutigen Tagesordnung.
Wird hierzu das Wort gewünscht? — Das scheint nicht der Fall zu sein. Wenn ich Sie recht verstanden habe, Frau Abgeordnete Kalinke — Ihre letzten Sätze gingen im Geräusch unter —,
so haben Sie beantragt, die Punkte 5 und 7 als erste Punkte dieser Tagesordnung zu behandeln.
— Sie sehen, ich habe Sie wirklich nichtverstanden.
— Absetzen?
— Es ist also beantragt, Punkt 7 der Tagesordnung abzusetzen. — Dieser Vorgang ist ein Grund mehr, das Haus zu bitten, sich künftig, wenn ein Redner spricht, nicht allzu laut zu unterhalten.
Es ist sicherlich mehr als ungewöhnlich, daß bei einem so ernsten Thema, das Millionen deutscher Menschen tief bewegt und das von Ihnen in diesem Hause immer mit Pathos vorgetragen wird, hier versucht wird, eine solche Debatte in Geräuschen untergehen zu lassen.
Ich habe darauf aufmerksam gemacht, daß im Ältestenrat eine Vereinbarung getroffen worden ist. Der Präsident hat das gute Recht, die Tagesordnung zu ändern. Er hat davon Gebrauch gemacht. Wenn drei Fraktionen dieses Bundestages erklären, daß sie nicht in der Lage sind, über diesen Punkt zu sprechen, sind wir selbstverständlich bereit, diesen Punkt abzusetzen. Wir werden darum bitten, daß er in der nächsten Sitzung als Punkt 1 auf die Tagesordnung kommt. Ich habe beantragt, den Punkt von der heutigen Tagesordnung abzusetzen.
Danke schön! Jetzt habe ich verstanden. Wer für diesen Antrag auf Absetzung ist, der möge die Hand erheben.
— Es handelt sich um Punkt 7 der Tagesordnung. Es ist der Antrag gestellt worden — das hat wohl jetzt jedes Mitglied des Hauses richtig verstanden —, Punkt 7 von der heutigen Tagesordnung abzusetzen und als Punkt 1 — —
— Es ist beantragt worden, ihn als Punkt 1 auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung zu setzen. Dazu möchte ich als amtierender Präsident ausführen, daß mir ein solcher Antrag unzweckmäßig erscheint. Man kann nicht gut hier eine Tagesord-
nung beschließen, ohne dem Ältestenrat Gelegenheit gegeben zu haben, darüber zu beraten. Ich bitte Sie also, Frau Abgeordnete Kalinke, diesen Teil Ihres Antrags zurückzuziehen.
— Gut! — Wer für die Absetzung ist, den bitte ich um ein Handzeichen! — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen. Punkt 7 ist abgesetzt.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Sabel, Schneider , Jahn (Stuttgart), Böhm (Düsseldorf), Odenthal, Lange (Essen), Kutschera, Becker (Hamburg) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Regelung der verkaufsoffenen Sonntage vor Weihnachten
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Mündlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (Drucksache 1836).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Franzen. Ich erteile ihm das Wort zur Berichterstattung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem Entwurf eines Gesetzes über die Regelung der verkaufsoffenen Sonntage vor Weihnachten handelt es sich um den Antrag einer großen Anzahl von Abgeordneten, Drucksache 1817, der in der Plenarsitzung am Freitag, dem 28. Oktober 1955 vom Hohen Haus in erster Lesung beraten und ohne Begründung und Aussprache dem Ausschuß für Arbeit als federführendem Ausschuß und dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zur Mitberatung überwiesen wurde.
Der Ausschuß für Arbeit hat sich wegen der Eilbedürftigkeit dieses Gesetzes noch am gleichen Tage in einer ersten Lesung mit der Vorlage beschäftigt, damit die auch von der Bundesregierung und dem Bundesrat angestrebte einheitliche Regelung der verkaufsoffenen Sonntage vor Weihnachten noch in diesem Jahre wirksam werden kann. In einer zweiten Beratung am 8. November 1955 hat der Ausschuß für Arbeit einige notwendige Änderungen und Korrekturen an dem Entwurf vorgenommen. Die Zusammenstellung der Beschlüsse liegt Ihnen in der Drucksache 1836 vor. Bei der Abstimmung über die genannte Vorlage hat sich der Ausschuß gegen eine Stimme für die jetzt vorliegende Fassung ausgesprochen.
Der mitberatende Ausschuß für Wirtschaftspolitik hat — ebenfalls am 8. November — mit 8 gegen 7 Stimmen den Entwurf abgelehnt.
Im einzelnen ist zu der Fassung des Ausschusses für Arbeit folgendes zu sagen.
Da es sich um ein Gesetz handelt, dessen Durchführung den Ländern obliegt, ist die Zustimmung des Bundesrates erforderlich. Die Fassung der Einleitung mußte daher lauten:
Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:.
Im § 1 des Gesetzes wird sichergestellt, daß die Regelung der freien Sonntage vor Weihnachten in den Ländern der Bundesrepublik einheitlich erfolgt. Wir kommen damit auch dem Wunsch des I Bundesrates nach, der sich bereits im Oktober 1954 bei der ersten Behandlung des Ladenschlußgesetzes mit dieser Frage beschäftigt und einer einheitlichen Regelung der verkaufsoffenen Sonntage vor Weihnachten zugestimmt hat. Im besonderen hatten sich die unterschiedlichen Regelungen der Länder in den Grenzgebieten unerträglich ausgewirkt und in jedem Jahr zu Berufungsfällen von Städten geführt, die in unmittelbarer Nachbarschaft beisammenliegen und eine unterschiedliche Regelung hatten.
Die Festlegung von nur zwei freien Sonntagen vor Weihnachten entspricht auch dem religiösen Empfinden des größten Teiles der Bevölkerung der Bundesrepublik, die sich gegen eine mehr und mehr Platz greifende Durchbrechung der Sonntagsheiligung wehrt. Die Besinnlichkeit des Advents als Zeit der Vorbereitung auf das Weihnachtsfest sollte nicht durch eine allzu starke geschäftliche Betriebsamkeit verwässert werden. Dem Ausschuß lagen zwei Stellungnahmen der christlichen Kirchen vor, des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands, unterzeichnet von Bischof Dr. Dibelius, und der Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände und Organisationen im Bistum Münster, die übereinstimmend den dringenden Wunsch aussprachen, im Interesse der Sonntagsheiligung und der Vorbereitung auf das Weihnachtsfest und auch mit Rücksicht auf die Gesunderhaltung der in den Verkaufsstellen tätigen Angestellten nur zwei Sonntage freizugeben. Die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen hat im besonderen auf die gesundheitsschädigende Wirkung hingewiesen, die eintrete, wenn dem Personal innerhalb eines Zeitraums von vier Wochen bei der ohnehin schon sehr stark angespannten Verkaufstätigkeit vor Weihnachten nicht ein einziger Tag Freizeit zur Erholung zur Verfügung stehe. Eine dreimalige Beanspruchung sowohl der Inhaber der Verkaufsstellen wie des Personals ist aus gesundheitlichen und arbeitsrechtlichen Gründen nicht vertretbar.
Der § 1 regelt auch die Frage, an welchen Sonntagen offengehalten werden darf: in der Zeit zwischen dem 10. und 23. Dezember einschließlich. In der Regel kommen demnach der dritte und vierte Adventssonntag als verkaufsoffene Sonntage in Frage. Fällt der vierte Adventssonntag auf den Heiligabend, dann sind es der zweite und dritte Adventssonntag.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Gehör für den Berichterstatter.
Im ursprünglichen Entwurf wurde von den Sonntagen vor Weihnachten gesprochen. Um klarzustellen, um welche Sonntage vor Weihnachten es sich bei dieser Regelung handeln soll, hat der Ausschuß auf Vorschlag des Bundesarbeitsministeriums die Worte „vor Weihnachten" durch die Worte „in der Adventszeit" ersetzt, dem § 1 Satz 1 also die Fassung gegeben:
Verkaufsstellen dürfen abweichend von den geltenden Vorschriften in der Adventszeit nur an den beiden . . .
— usw. —
Sonntagen geöffnet sein.
Ferner mußte dem § 1 der folgende Satz angefügt werden:
Während der Öffnungszeiten dürfen Arbeitnehmer in den Verkaufsstellen beschäftigt werden.
Dies war notwendig, weil das Recht der Offenhaltung von Verkaufsstellen nicht gleichzeitig schon die Berechtigung einschließt, auch fremde Arbeitskräfte zu beschäftigen.
Der § 2 regelt die Verkaufszeiten für diese beiden Sonntage. Die Verkaufszeiten sollen fünf Stunden nicht überschreiten. Der Verkauf soll spätestens um 18 Uhr enden. Die Landesregierungen oder die von ihnen bestimmten Stellen können durch Rechtsverordnung im Rahmen des § 2 einen anderen Zeitraum festlegen, sofern es für einzelne Gemeinden günstiger erscheint.
§ 3 schließt die Apotheken und Tankstellen von der Verkaufsbeschränkung aus.
In § 4, der Berlin-Klausel, wurde der letzte Satz des ursprünglichen Entwurfs gestrichen, weil Rechtsverordnungen der Bundesregierung zu diesem Gesetz nicht zu erwarten sind.
Die Bestimmung des § 5, daß das Gesetz am 1. Dezember 1955 in Kraft tritt, soll eindeutig sicherstellen, daß das Gesetz bereits in diesem Jahre für die Vorweihnachtsverkaufszeit wirksam wird.
Im Namen des Ausschusses für Arbeit bitte ich das Hohe Haus, dem Gesetzentwurf Drucksache 1817 in der Ausschußfassung Drucksache 1836 seine Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die zweite Beratung. Meine Damen und Herren, üblicherweise findet die allgemeine Aussprache vor Beginn der dritten Beratung statt. Ich schlage vor, um Wiederholungen zu vermeiden, die allgemeine Aussprache jetzt zu Beginn der zweiten Beratung abzuhalten. Ich glaube, das wird uns so manche Wiederholung bei den einzelnen Bestimmungen des Entwurfs ersparen. Ist das Haus einverstanden?
Dann möchte ich noch folgendes bemerken. Vielleicht überschreite ich damit meine Befugnis als Präsident; ich glaube es aber nicht. Die Einleitungsformel des Entwurfs heißt: „Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen". Mir ist nichts davon bekannt, daß der Bundesrat schon zugestimmt hätte. Wir können doch nicht gut beschließen, daß wir ein Gesetz beschlossen haben, dem der Bundesrat zugestimmt hat , solange das nicht geschehen ist. Diese Formel „mit Zustimmung des Bundesrates" gehört meinem Dafürhalten nach in die Ausfertigungsformel des Gesetzes und nicht in den Text, den wir hier beschließen. Ich weiß nicht, wie das Haus darauf reagieren will. Ich hielt mich für verpflichtet, diese Bemerkung zu machen.
Das Wort hat der Abgeordnete Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Berichterstatter hat von der Besinnlichkeit des Weihnachtsfestes gesprochen, die immer mehr verlorenzugehen drohe. Ich gebe ihm darin vollkommen recht. Es wird bestätigt,
wenn man die Dekorationen betrachtet, die in vielen Städten angebracht werden und die eigentlich mehr an Fasching oder Oktoberfest erinnern.
Aber ich glaube, wir können die Besinnlichkeit, die diesem höchsten Fest zukommt, nicht durch gesetzliche Maßnahmen herstellen.
Das Weihnachtsfest kündigt sich in diesem Haus und überhaupt im politischen Leben fast regelmäßig dadurch an, daß Anträge zum Kupfernen Sonntag gestellt werden. Der Kupferne Sonntag stört also die Ruhe der Vorweihnachtszeit. Nun, wenn er sie stört, dann stören sie der Silberne und der Goldene Sonntag genau so, und wir müssen uns dann grundsätzlich überlegen, ob wir diese Einrichtung nicht überhaupt abschaffen. Bei dem Kupfernen Sonntag allein handelt es sich aber nur um eine Frage der reinen praktischen Zweckmäßigkeit, die nicht gut mit solchen grundsätzlichen Erwägungen verknüpft werden kann.
In vielen Gemeinden sind die Geschäfte heute schon, ohne daß wir ein Gesetz haben, am Samstagnachmittag geschlossen, und das macht sich gerade in der Vorweihnachtszeit bei den Einkaufsmöglichkeiten ungünstig bemerkbar. Es liegt also gleichermaßen im Interesse des Einzelhandels und der Angestellten, daß sich die Weihnachtskäufe nicht auf zwei freie Sonntage zusammendrängen, sondern daß man einen dritten Sonntag, vor allem für den Einkauf höherwertiger Waren, zur Verfügung hat.
Außerdem befindet sich ein Ladenschlußgesetz bereits im Gang der Gesetzgebung. Es macht meiner Ansicht nach keinen besonders günstigen Eindruck, wenn wir nun ein Gesetz ad hoc, nur für diese eine Adventszeit 1955, beschließen. Solche Gesetze halte ich nicht gerade für eine Zierde des Bundesgesetzblattes. Ich darf deshalb namens meiner Fraktion, von der sich niemand dem Antrag angeschlossen hat, beantragen, so wie bisher die Regelung des Kupfernen Sonntags den Ländern bzw. dem kommenden Bundesgesetz zu überlassen und deshalb den vorliegenden Antrag abzulehnen.
Herr Abgeordneter Dr. Bucher, können Sie Ihren Antrag nicht schriftlich vorlegen, wie das die Geschäftsordnung vorsieht?
Ich wäre Ihnen sehr dankbar; Sie können ihn ja nachreichen.
Das Wort hat der Abgeordnete Illerhaus.
Illerhaus Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist die Rede davon gewesen, daß bei diesem Gesetz eine Rechtsgleichheit im Bundesgebiet hergestellt werden müsse. Ich möchte von dieser Tatsache ausgehen. Nach der Gewerbeordnung haben die unteren Verwaltungsbehörden die Befugnis, sechs Sonntage im Jahr für den Verkauf freizugeben. Darüber hinaus können die Regierungspräsidenten für vier weitere Sonntage eine Genehmigung erteilen. Diese Regelung ist bis vor einigen Jahren sehr ordentlich gelaufen und hat zu keinerlei Beanstandungen Anlaß gegeben.
Erst das Eingreifen der Arbeitsminister der Länder vor einigen Jahren, die die Absicht hatten, eine einheitliche Regelung in ihren Ländern durchzuführen, hat dazu geführt, daß in den Regierungsbezirken ein Streit darüber entstanden ist, ob der dritte Sonntag genehmigt werden soll oder nicht.
Ich muß mich doch sehr darüber wundern, daß man einen solchen Antrag innerhalb von 14 Tagen in drei Lesungen durchpeitschen will, wenn auf der andern Seite für wichtige Belange eines Teils des Mittelstandes oder des Einzelhandels vier Jahre keine Zeit gewesen ist.
Die Verbraucherverbände, die letzten Endes die Verbraucher vertreten, haben sich sehr eingehend mit diesem Problem befaßt und beschlossen, unter keinen Umständen für die Abschaffung des Kupfernen Sonntags einzutreten.
Auch eine Reihe von Betriebsräten von Einzelhandelsfirmen, die doch nun wirklich von dieser angeblichen Mehrbelastung betroffen sind, haben sich gegen die Aufhebung des Kupfernen Sonntags ausgesprochen. Wenn Sie die Entwicklung des Weihnachtsgeschäfts in den letzten Jahrzehnten, vor allen Dingen in der Nachkriegszeit, verfolgt haben, dann werden Sie mir darin recht geben müssen, daß diese Einkäufe immer weiter vorverlegt worden sind. Wir sind wirklich froh darüber, daß den Angestellten im Einzelhandel nicht mehr gerade in den letzten acht Tagen die ganze Last des Verkaufs aufgebürdet worden ist.
Diese Vorverlegung auf Anfang Dezember hat dazu geführt, daß größere Einkäufe, die in den letzten Jahren vielfach zu Weihnachten gemacht werden, rechtzeitig getätigt werden konnten. Gerade dieser erste Sonntag nach dem Ultimo November, also nach den Lohn- und Gehaltszahlungen, ist immer einer der besten Geschäftstage gewesen. Man sollte doch an diesen Gewohnheiten der Verbraucher nicht einfach sang- und klanglos vorübergehen.
Noch ein übriges. Es ist vor einigen Tagen einmal gesagt worden, daß die Interessentenverbände im Bundestag zu stark zu Wort kommen, und es wurde in diesem Zusammenhang an- die Drucksachen zum Apothekergesetz erinnert. Ich stehe in dieser Frage absolut nicht auf seiten der Apotheker, komme also nicht in den Geruch, für die Apotheker zu sprechen. Aber wenn andererseits andere Interessentenverbände auf Grund einer sehr starken Vertretung im Bundestag Gelegenheit haben, ihre Wünsche massiv vorzutragen und innerhalb von 14 Tagen in drei Lesungen durchzupeitschen, dann muß ich allerdings sagen: hier ist nicht gleiche Möglichkeit für alle geschaffen.
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Meine Damen und Herren, wir beschäftigen uns seit einigen Jahren — in der letzten Zeit massiert — mit dem Ladenschlußgesetz. Der Entwurf eines Ladenschlußgesetzes von dem Kollegen Meyer-Ronnenberg ist eingebracht und dem Ausschuß überwiesen worden. In diesem Entwurf ist auch eine Regelung hinsichtlich der offenen Sonntage vor Weihnachten vorgesehen. Ich frage mich: warum muß nun dieser eine Punkt aus diesem Gesetzentwurf vorgezogen und jetzt mit aller Gewalt im Bundestag durchgepeitscht werden?
Wir haben so viele Jahre drei offene Sonntage gehabt, da kommt es nicht darauf an, wenn wir im Jahre 1955 auch noch einmal drei offene Sonntage haben, selbst wenn der Bundestag zu einem anderen Beschluß kommen sollte.
Ich darf noch auf etwas anderes aufmerksam machen. In dem Gesetzentwurf ist von den Sonntagen, die zwischen dem 10. und 23. Dezember liegen, die Rede. Meine Damen und Herren, denken Sie einmal an das nächste Jahr! Im nächsten Jahr fällt der Heilige Abend auf einen Montag. Dann würde im nächsten Jahr der erste offene Sonntag der 16. Dezember sein. Sind Sie nicht auch der Meinung, daß, es reichlich spät ist, wenn der 16. Dezember der erste offene Sonntag sein soll?
Nun ist gesagt worden, daß sich hohe Würdenträger beider Religionsgemeinschaften für die Abschaffung des dritten Sonntags ausgesprochen haben.
Ich erkenne diese Stellungnahmen der kirchlichen Stellen an, aber ich muß schon sagen: dann gibt es ein viel größeres Feld, auf dem man sich in dieser Richtung vielleicht noch etwas mehr als bisher betätigen könnte. Ich brauche Sie nur an die vielen, vielen und regelmäßigen Sonntagsarbeiten in der gesamten Schwerindustrie und vor allen Dingen auch in der Bauwirtschaft zu erinnern.
Wenn man also schon von einer Sonntagsheiligung spricht, dann muß man auf der ganzen Linie davon sprechen! Ich kann nicht einsehen, daß dieser eine offene Sonntagnachmittag mit den vier Stunden zu einer so einschneidenden Entheiligung des Sonntags führen soll, daß der Bundestag dagegen ein Gesetz machen müßte.
Dem Wunsch, daß man nur zwei Sonntage vor Weihnachten zulassen will, liegt noch gar keine einwandfreie Ermittlung darüber zugrunde, welche beiden Sonntage denn die wichtigsten sind. Wir haben auf der einen Seite große Gruppen im Einzelhandel, die, sagen wir mal, mit großen Stücken handeln, mit Herren- und Damenoberbekleidung, Möbeln und sonstigen großen Stücken. Dafür ist der erste Sonntag im Dezember der geeignetste, weil gerade diese großen Teile sehr frühzeitig gekauft werden. Auf der anderen Seite stehen die Geschäfte für Lebensmittel, Genußmittel, Tabakwaren, die Drogerien usw., die, wenn schon von nur zwei Sonntagen gesprochen wird, nicht an dem ersten, sondern an dem letzten Sonntag vor Weihnachten interessiert sind, weil diese Dinge zur Abrundung in allerletzter Minute gekauft werden.
Ich beantrage also, zumindest den § 1 dahingehend zu ändern, daß die Zahlen 10 und 23 durch die Zahlen 4 und 17 ersetzt werden. Das würde bedeuten, daß der erste und zweite Sonntag in der Adventszeit für den Verkauf freigegeben werden. Dann müßte ein § 1 a eingefügt werden, demzufolge Lebensmittel- und Genußmittelgeschäf ten, Buchhandlungen, Parfümerien, Drogerien abweichend die Genehmigung erteilt wird, an den beiden Sonntagen zwischen dem 10. und 23. zu öffnen.
Wir hätten die Dinge damit so vernünftig gestaltet, daß ein guter Einkauf vor Weihnachten gewährleistet ist. Es kann doch unmöglich der Wille des Gesetzgebers sein, die bisherigen Einkaufsgewohnheiten der Verbraucher durch Gesetz vollkommen zu ändern.
Lassen Sie mich auch noch ein Wort zu der Überbeanspruchung der Angestellten im Einzelhandel sagen. Wenn im Dezember der dritte Sonntag mit vier Stunden — zwei Sonntage werden ja auch nach diesem Gesetz genehmigt — wegfällt, glauben Sie, daß dann die Angestellten zu Weihnachten, wenn ein gutes Weihnachtsgeschäft gewesen ist, weniger abgekämpft sind? Glauben Sie nicht auch, daß sich für die Angestellten, wenn sie im Dezember durch diesen einen Tag mit den vier Stunden beansprucht werden, absolut keine Änderung ergibt?
Ich bin der Meinung, man sollte einen solchen Gesetzentwurf, dessen Materie im übrigen schon im Ladenschlußgesetzentwurf enthalten ist und also eo ipso in diesem Hause behandelt wird, nicht erst in allerletzter Minute in 14 Tagen hier durchpeitschen, nur um irgend etwas durchzuführen. Wir haben so lange Jahre drei Sonntage gehabt; dann wäre es auch in diesem Jahre noch zumindest tragbar gewesen, den dritten Sonntag zu belassen, um jenen Entwurf in aller Ruhe in wirklich ernster Arbeit durchzubringen.
Herr Abgeordneter, Sie haben einige Anträge gestellt. Können Sie mir diese schriftlich übergeben? — Danke schön!
Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure sehr, daß ich mich gegen meinen eigenen Kollegen Illerhaus mit größerer Schärfe wenden muß als gegen den Kollegen Bucher, weil ich der Meinung bin, daß er das ganze Anliegen doch reichlich verzerrt dargestellt hat.
Zunächst möchte ich mich für die 210 Abgeordneten, die diesen Antrag unterschrieben haben, dagegen verwahren, daß er sagt, das sei hier von einer Interessenorganisation geschehen.
Machen Sie sich bitte, Herr Kollege Illerhaus, doch einmal die Mühe und lesen Sie die Namen der Antragsteller durch! Dann sehen Sie, daß sie aus allen Schichten und. aus allen Fraktionen mit Ausnahme der FDP kommen. Ich möchte nicht so boshaft sein, Ihnen die Gegenfrage zu stellen, ob Sie als Abgeordneter oder als Präsident des Textileinzelhandelsverbandes gesprochen haben.
Ich darf mich kurz fassen und nur auf einige Dinge hinweisen. Der Herr Berichterstatter hat mit Recht darauf hingewiesen, daß es sich um ein Anliegen handelt, das so geregelt werden sollte, wie es von der Bundesregierung vorgeschlagen und von dem Bundesrat akzeptiert ist. Der § 105 b der Gewerbeordnung, nach dem diese Angelegenheit bisher geregelt wurde, sieht noch einige andere Tatbestände vor. Er zwang jedes Jahr zu einer neuen Festlegung und die zuständigen Stellen zur Auseinandersetzung darüber, ob man zwei oder drei Sonntage vor Weihnachten offenhalten soll. Auch mit den Richtlinien, die früher vom Reichsarbeitsminister, später von den Länderarbeitsministern ergangen sind, kam man nicht immer zu Rande. Es wurde oft bestritten, ob sie auf Grund der Fassung des § 105 b der Gewerbeordnung zu solchen Richtlinien überhaupt befugt seien. Aber seien wir uns doch darüber im klaren, daß es nicht gut ist, wenn alljährlich in den einzelnen Bereichen der Konkurrenzkampf darüber entsteht, ob man nun zwei oder drei Sonntage freigeben soll. Oft hat man es nur deswegen getan, weil eben eine Nachbarstadt mit einem solchen Beschluß vorausgeeilt ist und man glaubte, man könnte nicht hintennachhinken, man würde unter Umständen ein Geschäft verlieren.
Es handelt sich doch bei diesem Anliegen erstens um ein soziales Anliegen. Denken Sie daran: Wenn wir keine derartige Regelung treffen, haben alle die Menschen im Einzelhandel — nicht nur die Angestellten, auch die Inhaber der Geschäfte — vier Wochen keine Möglichkeit, einmal einen Tag auszuspannen. Das ist die Situation, die wir sehen sollten. Halten wir das für tragbar? Ich sage in aller Offenheit, ich halte es für untragbar. Ich darf daran erinnern, daß wir lange Jahre mit den zwei Sonntagen ausgekommen sind und daß gerade im letzten Jahre wieder das Streben stärker wurde, einen weiteren Sonntag anzufügen. Niemand kann uns beweisen, daß die Beschränkung auf zwei verkaufsoffene Sonntage irgendwo einen Umsatzrückgang zur Folge gehabt hat.
Die Statistiken sagen uns, daß wir im Laufe der letzten Jahre ständig eine Umsatzausweitung hatten.
Es geht — darauf ist von dem Berichterstatter hingewiesen worden, und das ist im Ausschuß diskutiert worden — auch um stärkere Respektierung des Sonntags. Wir sind der Meinung, daß hier doch einmal überprüft werden muß, ob man den Sonntag in so starkem Maße, wie das oft geschehen ist, zum Verkauf heranziehen soll. Wir sind der Ansicht, daß wir hier wirklich Ursache haben, einmal zu bremsen und gewisse Beschränkungen durchzuführen.
Der Kollege Illerhaus sprach vom Durchpeitschen. Meine Damen und Herren, worum geht es? Dem Parlament liegt der Entwurf des Ladenschlußgesetzes der Kollegen Meyer-Ronnenberg usw. vor. Aber Sie wissen, daß er bisher noch nicht abschließend beraten werden konnte. Der federführende Ausschuß hat noch nicht die Stellungnahme der mitbeteiligten Ausschüsse, und es ist anzunehmen, daß der Abschluß der Beratungen noch einige Zeit auf sich warten läßt. Unter diesen Umständen war man der Meinung, daß dieses dringliche Anliegen vorab einer Regelung bedarf und daß man eine solche Regelung schon für dieses Jahr gesetzlich sicherstellen sollte.
Gegen die Änderungsanträge habe ich beachtliche Bedenken. Zunächst darf ich daran erinnern, daß die Vorlage dieses Entwurfs bewußt im Einvernehmen mit der Vorlage der Bundesregierung und der Festlegung des Bundesrats erfolgte, um weitere Komplikationen zu vermeiden. Der Antrag des Kollegen Illerhaus würde bedeuten, daß bestimmte Sparten praktisch doch an drei Sonntagen
verkaufen würden. Denken Sie daran, daß die Kontrolle sehr schwierig sein wird und wir dann wahrscheinlich Schwierigkeiten mit den Ländern haben werden. Ich halte diese Regelung nicht für möglich. Andere Vorschläge mögen später bei der Behandlung des Ladenschlußgesetzes diskutiert werden.
Ich möchte Sie dringend bitten, dem ernsten Anliegen, das in dieser Vorlage enthalten ist, Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Burgemeister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte auch noch einmal darauf hinweisen, daß meiner Ansicht nach ein innerer Zusammenhang zwischen dem Entwurf Meyer-Ronnenberg und diesem Entwurf eines Gesetzes über die Regelung der verkaufsoffenen Sonntage vor Weihnachten besteht. Dieselbe Frage ist in dem Entwurf Meyer-Ronnenberg angepackt und soll dort geregelt werden. Wenn man nun der Meinung war, daß die Regelung der Frage der verkaufsoffenen Sonntage vor Weihnachten noch in diesem Jahre erfolgen solle, dann hätte man den Gesetzentwurf Meyer-Ronnenberg so beschleunigt bearbeiten können — Parallelen dazu haben wir an anderen Stellen —, daß diese Frage damit ausgestanden wäre.
Beachten Sie bitte bei der Beratung des vorliegenden Antrags folgendes. Dieser Antrag ist meiner Ansicht nach zu spät eingebracht worden. Wir werden ihn nicht mehr so rechtzeitig durchbekommen, daß das Gesetz vor dem Sonntag, um den es sich handelt, in Kraft treten kann. Der Kupferne Sonntag, von dem hier hauptsächlich die Rede ist, fällt in diesem Jahr auf den 4. Dezember, also verhältnismäßig früh. Ich glaube` kaum, daß es möglich sein wird, diesen Gesetzentwurf durch Bundesrat usw. so rechtzeitig hindurchzubringen, daß er bereits am 4. Dezember in Kraft treten kann.
— Bitte, meine Damen und Herren, verkennen Sie nicht, daß in einzelnen Ländern bereits jetzt Zusagen dahingehend erteilt worden sind, daß an drei Sonntagen verkauft werden kann. Einzelne Länder haben sich also schon gebunden. Bedenken Sie dabei, daß da, wo diese Verkaufszusagen bereits erteilt wurden,
in den Geschäften auch schon entsprechende Vorbereitungen getroffen worden sind. In Schleswig-Holstein, in Hessen und an anderen Stellen sind diese Zusagen bereits erteilt worden. Glauben Sie nicht, daß durch eine nachträgliche Beschneidung auf zwei Sonntage mehr Unruhe entsteht, als wenn wir es in diesem Jahre bei der bisherigen Regelung belassen?
Meine Damen und Herren, der Gegenstand lohnt nicht soviel Leidenschaftlichkeit.
Auch für die Käufer ist ein Zusammendrängen auf zwei Sonntage nicht gerade sehr günstig. Bedenken Sie den Strom der Käufer, der durch die Geschäfte geht. Bedenken Sie, daß die Hausfrauen nicht nur kaufen, sondern auch sehen wollen, und bedenken Sie, daß auch sie mehr Zeit für ihren Einkauf brauchen. Man sollte darauf Rücksicht nehmen und sollte auch beachten, daß selbst die Verbraucherverbände aus diesen Erwägungen gefordert haben, es bei den drei Sonntagen zu belassen.
Es wurde hier von dem Werberummel gesprochen. Meine Damen und Herren, glauben Sie denn, daß dieser Werberummel an den Sonntagen, an denen diese Geschäfte geschlossen sind, nicht derselbe ist? Der Werberummel ist sowieso in der Zeit nach dem Totensonntag bis Weihnachten der gleiche, ohne Rücksicht darauf, ob die Geschäfte geöffnet haben oder nicht. Ich bekenne, daß auch ich nicht für diesen Rummel bin, wie wir ihn in den letzten Jahren erlebt haben; ich wende mich auch dagegen. Aber dann sollte man ihn auf andere Weise beenden. Das kann nicht etwa durch ein Gesetz geschehen, wie wir es heute hier behandeln.
Ich möchte Sie bitten, meine Damen und Herren, diese Dinge zu beachten und dem Antrag Sabel nicht Ihre Zustimmung zu geben, sondern ihn abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Der Kollege Sabel hat seine Begründung mit der Erklärung geschlossen, daß es sich hier um ein ernstes Anliegen der beteiligten Angestellten handle.
Er und andere Befürworter dieses Gesetzes treten für die Angestellten auf und maßen sich nach meiner Meinung ein Amt an, das ihnen nicht zusteht; denn diese Angestellten haben ihnen den Auftrag nicht erteilt. Jeder, der sich mit Angestellten im Einzelhandel unterhalten hat, wird erfahren haben, daß der größere Teil dieser Angestellten den Kupfernen Sonntag wünscht; er will ihn beibehalten.
Es liegt nämlich im Interesse dieser Angestellten, daß die Arbeit von den zwei Tagen auf drei Tage verteilt wird. Darüber hinaus — —
— Jawohl, mehr Arbeit und mehr Verdienst, das ist eine Angelegenheit, die in Deutschland wieder groß geschrieben werden sollte. Mehr Arbeit und mehr Verdienst. Das ist auch das Anliegen dieser Angestellten. Dem sollte man folgen, und man sollte nicht eine Begründung geben, wie sie Herr Sabel vorgetragen hat, die in Wirklichkeit nur von den Kollegen vorgetragen wird, die sich selbst zum Anwalt, zum Sprecher dieser Angestellten machen. Sie haben keine Legitimation dazu.
Meine Damen und Herren! Ich halte mich doch als amtierender Präsident für verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß niemand hier im Auftrag von irgend jemand redet,
sondern daß jeder von uns nach seiner Gewissensentscheidung hier so spricht, wie er glaubt, im Interesse aller unserer Mitbürger sprechen zu müssen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, zum Thema zu sprechen; denn die Sachlage ist vollkommen klar. Nachdem aber Herr Dr. Atzenroth sich hier als Sprecher der Angestellten in Deutschland geriert hat, muß ich doch nicht nur dagegen protestieren, sondern es auch als eine eigenartige Redewendung von ihm bezeichnen, wenn ausgerechnet er sich als Vertreter der Angestellten ausgibt.
Ich darf Sie darauf hinweisen, daß die eineinhalb Millionen Angestellten, die im Einzelhandel beschäftigt sind, seit Jahrzehnten, großenteils mit den Geschäftsinhabern gemeinsam, einen sehr scharfen Kampf um die Einschränkung des Verkaufs an Sonntagen führen.
Erfreulicherweise ist die organische Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten in Richtung auf eine Einengung der Verkaufssonntage gelaufen. Nunmehr soll ein weiterer Schritt in dieser Richtung getan werden. Er ist eigentlich schon früher getan worden, nur haben wir in den letzten Jahren wieder eine Rückentwicklung erlebt. Denn ich darf Sie daran erinnern, daß es bis vor wenigen Jahren allgemein üblich war, vor Weihnachten nur noch an zwei Sonntagen die Geschäfte zu öffnen; aber der Appetit kommt beim Essen: einer Anzahl von Einzelhandelsunternehmungen geht es anscheinend so gut, daß sie nunmehr wieder auch noch einen dritten Sonntag allgemein eingeführt haben möchte.
Ich möchte also ausdrücklich feststellen — ich will auf die Einzelheiten hier nicht eingehen —: Die Gesamtheit der organisierten Angestellten — und das sind viele Hunderttausende in den verschiedenen Verbänden —, aber auch die nicht organisierten Angestellten, und mit ihnen auch Hunderttausende von Einzelhändlern haben durch wiederholte Verlautbarungen den dringenden Wunsch zum Ausdruck gebracht, daß endlich eine bundeseinheitliche Regelung dahingehend Platz greift, wie sie hier in dem Gesetzentwurf vorgesehen ist. Ich darf Sie gerade namens der Angestellten im Einzelhandel, dieses viel gequälten Berufsstandes, herzlich bitten, daß Sie diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Meine Damen und Herren! Ich muß auch an dieser Stelle bemerken, daß jedermann das Recht hat, hier auch für die Angestellten zu sprechen, selbst dann, wenn er deren eigene Ansichten mißverstehen sollte.
Das Wort hat der Abgeordnete Kleindinst.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Nachdem jetzt wiederholt seitens des Einzelhandels und seitens der Angestellten gesprochen worden ist, gestatten Sie mir, daß auch ich zu dieser Angelegenheit spreche; denn ich habe in den zwanziger Jahren als Wirtschafts- und Sozialreferent gerade diese Fragen jahrelang behandelt und in Übereinstimmung mit den beteiligten Kreisen immer zu einem Ausgleich gebracht. Damals waren Vertreter des Einzelhandels und der Angestellten überzeugt, daß zwei Sonntage genügen, daß ein Sonntag mehr ein Schausonntag für die Kunden ist und daß der Verkauf an den zwei Sonntagen unmittelbar vor Weihnachten genügt. In den letzten Jahren hat der Einzelhandel immer wieder dargelegt, daß sich die Verhältnisse geändert hätten, daß die Qualitätsanforderungen an die Waren größer geworden seien, daß die Kundschaft strengere Maßstäbe an den Verkauf lege und daß das an den zwei Sonntagen nicht bewältigt werden könne. Meine Damen und Herren, ich referiere Ihnen lediglich das, was mir aus den Kreisen des Einzelhandels und auch von Angestellten, namentlich der Qualitätsgeschäfte, gesagt worden ist. Ich meine, darüber sollten eigentlich die Hausfrauen ein Urteil abgeben. Das ist das eine.
Das zweite ist folgendes. Wenn Sie die Verkaufszeit auf zwei Sonntage zurückdrängen, dann können Sie die Öffnung nicht weiterhin auf die Zeit von 13 bis 18 Uhr beschränken, denn der Ansturm ist nun einmal so groß, daß sich die Öffnung mindestens auf die Zeit von 10 bis 18 Uhr erstrecken muß.
Sonst gehen Sie an der Wirklichkeit vorbei; das sage ich Ihnen voraus.
Aber jetzt noch drei grundsätzliche Gesichtspunkte zu unserer Gesetzgebung, die wir zu verantworten haben. Es geht nicht an, daß derartige Gesetze unmittelbar vor den Zeitpunkten verkündet werden,
für die jetzt schon disponiert worden ist.
Das hat sich im Reichstag in der Weimarer Zeit als sehr unglücklich erwiesen. Ich habe einige unserer Herren darauf aufmerksam gemacht: der Reichstag hat für den Ladenschluß am Heiligen Abend einmal ein Gesetz verabschiedet und hat vergessen, zu sagen, daß dieses Gesetz nach der Verkündung in Kraft tritt. Infolgedessen ist es erst nach Weihnachten in Kraft getreten.
Das sind also die Gefahren dieser Gesetzgebung
ad hoc und dieser Gesetzgebung unter Zeitdruck.
Dann kommt ein Zweites. Früher wurden diese Fragen in der Reichsgewerbeordnung gelöst. Die Gewerbeordnung war sehr wohl überlegt. Jetzt wird diese Gesetzgebung ständig in Stückwerke aufgelöst nach dem Grundsatz lex specialis derogat legi generali. Das ist eine Gefahr für die Einheit unserer Gesetzgebung überhaupt.
Diese Bestimmungen gehören in eine große Gesetzgebungsmaterie hinein, in der alles geregelt wird. Man kann nicht einmal die Weihnachtssonntage, einmal die Verkaufszeit an den Samstagen und ein anderes Mal den Verkauf am Heiligen Abend regeln. Das gehört alles in ein geschlossenes, wohlüberlegtes Gesetzgebungswerk.
Das gehört zur Gesetzgebungsökonomie, und für
die sind wir verantwortlich. Wir dürfen nicht weiter die Auflösung der großen Gesetze betreiben.
Und nun ein Drittes. Es wird hervorgehoben, man wolle nicht den Konkurrenzkampf von Stadt zu Stadt oder von Stadtkreis und Landkreis. Aber, meine Damen und Herren, gehen wir nicht dazu über, die demokratische Entwicklung von unten her künstlich nach oben zu drängen, indem wir alles, was im engeren Bereich ausgetragen werden soll und kann, dem Bundestag übertragen! Das ist auch ein wesentlicher Grundsatz der Gesetzgebung, der im Blick auf unsere Demokratie von unten her sehr überlegt werden muß.
Diese grundsätzlichen Fragen erschienen mir noch wichtiger als die der zwei oder drei Verkaufssonntage.
Das Wort hat der Abgeordnete Kroll.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte in der Debatte, die ja bereits sehr gründlich vonstatten ging, nur eine kurze Bemerkung machen und Sie an das erinnern, was wir vor etwa 14 Tagen in diesem Hause verhandelt haben. Es wurde über die Verwaltungsvereinfachung gesprochen, und am Schluß blieb eigentlich nur noch die von allen Seiten erhobene Forderung übrig, weniger Gesetze zu machen und möglichst wenig von der Zentrale aus zu behandeln.
Meine Damen und Herren, heute haben wir die erste Gelegenheit dazu, ein Gesetz abzulehnen, das sicherlich überflüssig ist.
Denn wir sind uns darüber einig, daß der ganze Fragenkomplex in dem Gesetzentwurf, der in der Schublade ist und den wir ja im Ausschuß beraten können, seine Lösung finden kann. Ich sehe nicht ein, daß wir jetzt wegen des einen Sonntags in diesem Jahr so viel Aufwand machen. Hier geht es nicht um die Grundsätze der Sonntagsheiligung, die wir mit allem Nachdruck vertreten, sondern hier geht es darum, daß wir ein wirklich unnötiges Gesetz hintansetzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Bausch.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es haben nun vier Redner gegen dieses Gesetz gesprochen.
Es waren sechs, Herr Abgeordneter.
Es waren sogar sechs! Diese Redner haben sich dabei auf die Anliegen des gewerblichen Mittelstandes berufen. Ich habe den Antrag mit unterzeichnet und habe am gleichen Tage, an dem ich das getan habe, vor einer Versammlung des gewerblichen Mittelstandes gesprochen. Ich habe dabei den Anwesenden Kenntnis von diesem Gesetzentwurf gegeben. In dieser Versammlung des gewerblichen Mittelstandes hat sich keine Stimme gegen dieses Gesetz erhoben.
Es haben mir jedoch Einzelhändler ihren Dank dafür ausgesprochen, daß durch dieses Gesetz die Sonntagsruhe vor Weihnachten in Schutz genommen werde.
Weitere Wortmeldungen? — Das Redebedürfnis scheint erschöpft zu sein.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung, und zwar zu § 1. Es liegen eine Reihe von Anträgen vor, zunächst ein Antrag der Fraktion FDP. Herr Abgeordneter Bucher, ich kann über diesen Antrag nicht abstimmen lassen. Er lautet: Ich beantrage namens der Fraktion, den Antrag des Ausschusses abzulehnen. — Der Ausschußantrag ist abgelehnt, wenn er nicht die genügende Mehrheit gefunden hat. Also, ich werde darüber abstimmen lassen, ob er angenommen wird. Wenn er nicht die genügende Mehrheit findet, ist er abgelehnt.
Es liegen weiter Änderungsanträge vor, die der Abgeordnete Illerhaus begründet hat, zunächst zu § 1 der Antrag, die Zahlen 10 und 23 — also die Daten 10. und 23. Dezember — durch die Zahlen 4 und 17 zu ersetzen. Da dies ein Änderungsantrag ist, haben wir darüber zuerst abzustimmen. Wer für diesen Änderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Nunmehr lasse ich abstimmen über den § 1. Wer für die Annahme von § 1 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Ersteres war die überwiegende Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf § 2. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich lasse abstimmen. Wer für die Annahme des § 2 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Ersteres war die Mehrheit; angenommen.
§ 3! Wer für die Annahme ist, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Ersteres war die Mehrheit; angenommen.
§ 4! Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Ersteres war die Mehrheit; angenommen.
§ 5! Ich bitte um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Nun liegt noch ein Änderungsantrag des Kollegen Illerhaus vor, einen § 1 a einzufügen. Ich verlese diesen Antrag:
Lebens- und Genußmittelgeschäfte, Buchhandlungen, Parfümerien und Drogerien dürfen abweichend von § 1 an den beiden zwischen dem 10. und 23. Dezember einschließlich der genannten Tage liegenden Sonntagen geöffnet sein. Für Waren- und Kaufhäuser gilt bezüglich der an den vorgenannten Tagen verkauften Waren die Regelung des § 1.
— Sie ziehen Ihren Antrag zurück. Danke.
Einleitung und Überschrift! — Ich nehme an, daß hier eine Mehrheit vorhanden ist.
Damit schließe ich die zweite Beratung und eröffne die
dritte Beratung
und die allgemeine Aussprache. Ich nehme an, daß das Bedürfnis nach einer solchen in der zweiten Beratung ausreichend befriedigt wurde. — Es meldet sich niemand zum Wort.
— Zur Abstimmung Herr Abgeordneter Atzenroth!
Ich beantrage für die Schlußabstimmung nach der dritten Beratung namentliche Abstimmung.
Wer unterstützt diesen Antrag? — Meine Damen und Herren, es ergeben sich Zweifel. Einer von uns meint, es seien 47. Der andere meint, es seien einige weniger. Bei einer so kleinen Marge wollen wir genauer zählen. Ich bitte die Damen und Herren, die den Antrag unterstützen wollen, sich von ihrem Sitz zu erheben. — Die Methode hat sich bewährt: die Zahl von 50 ist überschritten.
Wir kommen also zur namentlichen Abstimmung. Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, sich mit den Urnen zu versehen und durch die Reihen zu schreiten.
Meine Damen und Herren, haben alle Mitglieder des Hauses, die sich an der Abstimmung beteiligen wollen, ihre Stimmkarte abgegeben?
— Ja, meine Damen und Herren, ich muß Sie bitten, sich zu beeilen. Wenn Mohammed nicht zum Berg kommt, muß der Berg zu Mohammed kommen, das ist eine alte Sache. — Meine Damen und Herren, die Abstimmung dritter Beratung ist geschlossen. Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
In der Zwischenzeit, bis ausgezählt ist, rufe ich Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf eine besondere Begründung und ebenso auf eine Aussprache zu verzichten und alsbald den Beschluß zu fassen, die Vorlage zu überweisen an den Ausschuß für
Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen als federführenden Ausschuß und an den Haushaltsausschuß als mitberatenden Ausschuß. Ist das Haus einverstanden? — Dann ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Finanzverfassung (Finanzverfassungsgesetz) (Drucksache 1819).
An Stelle des Abgeordneten Kiesinger erstattet den Bericht der Abgeordnete Seidl. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens des Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses und des Berichterstatters, des Herrn Abgeordneten Kiesinger, der heute leider verhindert ist, habe ich die Ehre, Ihnen den Bericht über die Beratungen des Vermittlungsausschusses zur Finanzreform zu geben.
Der Vermittlungsausschuß hat sich am 26. Oktober 1955 abschließend mit dem Finanzverfassungsgesetz befaßt. Das Gesetz war bereits einmal auf Verlangen der Bundesregierung Gegenstand eines Vermittlungsverfahrens. Der daraufhin nach langwierigen Verhandlungen am 11. März 1955 beschlossene Vermittlungsvorschlag hatte im wesentlichen folgende Regelung vorgesehen.
Die kleinen Steuern, also die Kraftfahrzeugsteuer, die Kapitalverkehrsteuern, die Versicherungsteuer und die Wechselsteuer, sollten auf den Bund übergehen. Der Bund sollte das Recht erhalten, eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer als selbständige Steuer ohne Zustimmung des Bundesrates zu erheben. Die prozentuale Aufteilung des Aufkommens aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer auf Bund und Länder sollte nicht im Grundgesetz selbst vorgenommen, sondern es sollten nur bestimmte Grundsätze in der Verfassung aufgestellt werden. Die Verteilung sollte einem einfachen Bundesgesetz vorbehalten bleiben, das mindestens zwei Jahre unverändert bleiben sollte und erst nach Ablauf dieser Frist erforderlichenfalls hätte revidiert werden können; das war die sogenannte Revisionsklausel. Im Falle von unzumutbaren Mehrbelastungen der Länder durch Bundesgesetze war eine Änderung des Beteiligungsverhältnisses zugunsten der Länder auch vor Ablauf der Zweijahresfrist vorgesehen; das war die sogenannte Sicherungsklausel. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Länderfinanzausgleichs sahen entsprechend den Vorschlägen des Bundesrats einen horizontalen Ausgleich aus Beiträgen der Länder und nur für Ausnahmefälle die Gewährung von ergänzenden Bundeszuweisungen an leistungsschwache Länder vor.
Diese Vorschläge fanden, wie Sie wissen, am 24. März 1955 zwar die Zustimmung dieses Hauses; der Bundesrat jedoch verweigerte in seiner Sitzung vom 1. April 1955 die Zustimmung. Der Bundestag verlangte daraufhin eine erneute Einberufung des Vermittlungsausschusses.
Das Ihnen in Drucksache 1819 vorliegende Vermittlungsergebnis ist in mehreren Sitzungen des Vermittlungsausschusses und eines von ihm eingesetzten Unterausschusses nach eingehender Prüfung verschiedener Lösungsvorschläge erarbeitet worden. Es enthält gegenüber dem Vermittlungsvorschlag vom 11. März 1955 eine Neufassung des
Art. 106 des Grundgesetzes. Art. 107 ist, abgesehen von einer unbedeutenden textlichen Änderung, die sich zwangsläufig aus der vorgeschlagenen Neufassung von Art. 106 ergibt, unverändert geblieben, da insoweit zwischen den Auffassungen des Bundestages und des Bundesrats kein Gegensatz bestand.
Ich darf Ihnen ganz kurz die wesentlichen Punkte des Vermittlungsvorschlags bekanntgeben. In der Frage der Überleitung von Landessteuern — den bekannten kleinen Steuern — auf den Bund hat der Vermittlungsausschuß den Einwendungen des Bundesrats in vollem Umfang Rechnung getragen. Er schlägt vor, hier eine Änderung des gegenwärtigen Zustandes überhaupt nicht vorzunehmen und nur die Abgaben von Spielbanken, die zwar auch bisher schon den Ländern zugestanden haben, aber nicht eigens aufgeführt waren, in den Katalog mit aufzunehmen.
Hinsichtlich der Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer hält der Vermittlungsausschuß dagegen seinen Vorschlag vom 11. März 1955 aufrecht, nach dem die Ergänzungsabgabe als selbständige Steuer dem Bund zugewiesen wird — für den Fall, daß der Bundestag später eine solche Ergänzungsabgabe beschließen sollte, worüber heute noch gar nichts gesagt werden kann. Der Vermittlungsausschuß hält diese Lösung für sachlich gerechtfertigt und hat auch keine verfassungsrechtliche Möglichkeit gesehen, den Wünschen des Bundesrates und auch Wünschen von Teilen dieses Hauses auf eine Begrenzung der Ergänzungsabgabe der Höhe nach in einem Gesetz nach Art. 107 des Grundgesetzes zu entsprechen. Hier bestanden verfassungsrechtliche Bedenken.
Die größten Schwierigkeiten bereitete natürlich die Behandlung der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Es stand fest, daß der Bund und die Länder an dem Aufkommen dieser wichtigsten Steuer angemessen beteiligt werden müssen. Die Aufgabe, vor die sich der Vermittlungsausschuß gestellt sah, lag darin, die Aufteilung so zu regeln, daß auch bei künftiger Änderung des Belastungsverhältnisses von Bund und Ländern eine gleichmäßige Befriedigung der Deckungsbedürfnisse beider Partner gewährleistet wird und zugleich ständige Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern über die Festsetzung des Beteiligungsverhältnisses nach Möglichkeit vermieden werden.
Der Vermittlungsausschuß hat alle Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen, sorgfältig geprüft. Der Gedanke, die Methode der Bedarfsermittlung gesetzlich so festzulegen, daß die Festsetzung des Beteiligungsverhältnisses nur noch das Ergebnis eines systematischen Verfahrens und nicht einer politischen Auseinandersetzung sein würde — ein Gedanke, der zunächst sehr viel Anklang gefunden hatte —, hat sich als undurchführbar erwiesen. Der Vermittlungsausschuß hat sodann erwogen, die Haushaltswirtschaft des Bundes und der Länder dadurch stärker zu verselbständigen, daß die Einkommen- und die Körperschaftsteuer in je eine Bundes- und eine Landessteuer aufgeteilt und beide Steuern auf der Grundlage einheitlicher Meßbeträge nach getrennten Bundes- und Länderhebesätzen erhoben werden. Der Vermittlungsausschuß ist jedoch nach eingehender Prüfung zu der Überzeugung gelangt, daß dieser Vorschlag zu einer erheblichen Mehrbelastung der Finanzverwaltung geführt hätte, ohne die Gewähr zu bieten — was das Wesentliche gewesen wäre —, daß eine Verminderung der Auseinandersetzungen über die beiderseitigen Anteile an der Einkommen- und Körperschaftsteuer einträte. Zudem hätte eine solche Regelung auch die vom Bundesrat geforderte Einfügung einer Vorschrift über die Sicherung der Länder gegen finanzielle Auswirkungen der Bundesgesetzgebung, also einer Sicherungsklausel, in das Grundgesetz unmöglich gemacht. Damit war dieser Vorschlag zum Scheitern verurteilt.
Der Vermittlungsausschuß hat danach keine andere Möglichkeit gesehen, als in der Frage der Aufteilung der Einkommen- und Körperschaftsteuer grundsätzlich zu dem ursprünglichen Regierungsentwurf zurückzukehren. Er schlägt dementsprechend vor, das Beteiligungsverhältnis an dieser Steuer im Grundgesetz zahlenmäßig festzulegen und unter bestimmten Voraussetzungen eine Neufestsetzung dieses Verhältnisses durch einfaches Bundesgesetz vorzusehen.
Das Beteiligungsverhältnis soll unter Berücksichtigung der Entwicklung des Steueraufkommens seit der Steuerreform auf 35 % für den Bund und 65 % für die Länder festgesetzt werden. Dieser Vorschlag stellt einen Kompromiß zwischen den Forderungen des Bundes und der Länder dar. Zufrieden sind wohl beide nicht; daher eben der Kompromiß.
Hier darf ich vielleicht noch bemerken, daß mit dieser Fassung, auch mit dem Wegfall der Worte „und der Länderanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer" die rechtlich umstrittene Frage, ob Einkommen- und Körperschaftsteuer Landessteuern oder gemeinschaftliche Steuern von Bund und Ländern sind, offenbleibt und zweitens eine auf den Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer beschränkte Steuergesetzgebung, die etwa ohne Zustimmung des Bundesrates erfolgen könnte, rechtlich eindeutig ausgeschlossen ist.
Die Vorschriften über Änderungen des Beteiligungsverhältnisses — die sogenannte Revisionsklausel — gehen von der Formulierung der Regierungsvorlage aus. Sie sind durch Grundsätze über die Berichtigung des Beteiligungsverhältnisses und durch eine Vorschrift ergänzt worden, nach der das Beteiligungsverhältnis frühestens zwei Jahre nach der letzten Festsetzung geändert werden kann. Die Grundsätze für die Berichtigung des Beteiligungsverhältnisses sind der vom Bundestag am 19. November 1954 beschlossenen Fassung des Gesetzes entnommen und sollen dazu beitragen, die Auseinandersetzungen über die Änderung des Beteiligungsverhältnisses einzuschränken und auch etwas mehr zu versachlichen. Mit der Zweijahresfrist wiederholt der Vermittlungsausschuß seinen Vorschlag, den er bereits am 11. März 1955 gemacht hat und dem auch vom Bundesrat nicht widersprochen worden ist.
In der für die Länder besonders wichtigen Frage der finanziellen Sicherung gegen die Belastung der Länder durch Bundesgesetze, der sogenannten Sicherungsklausel, hält der Vermittlungsausschuß gleichfalls seinen Vorschlag vom 11. März 1955 aufrecht, der im wesentlichen der ursprünglichen Regierungsvorlage entspricht. Hervorzuheben ist, daß die Zweijahresfrist für eine Änderung des Beteiligungsverhältnisses in diesem Falle keine Anwendung findet. Es ist selbstverständlich, daß man die Sicherungsklausel dann zur Anwendung bringen muß, wenn dieser Notstand eintritt, und daß
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man dann nicht noch zwei Jahre warten kann, bis man eine Änderung verlangt. Das ist eindeutig so gemeint.
Der Vermittlungsausschuß empfiehlt schließlich, das Finanzverfassungsgesetz schon mit Wirkung vom 1. April 1955 in Kraft zu setzen. Die Vorverlegung wird dadurch ermöglicht, daß, abgesehen von der Aufteilung der Einkommen- und Körperschaftsteuer, keine Änderung in der Verteilung der gegenwärtig erhobenen Steuern vorgeschlagen wird — die kleinen Steuern verbleiben nach wie vor den Ländern — und die Festsetzung des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer für 1955 noch nicht erfolgt ist; er muß ja noch gesetzlich geregelt werden. Der Vorchlag erspart damit die Verabschiedung eines besonderen Gesetzes über die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommen- und Körperschaftsteuer durch den Bund für das Rechnungsjahr 1955 und bedeutet also eine Entlastung der Gesetzgebungsmaschinerie.
Zusammenfassend ist hervorzuheben, daß der Auftrag in Art. 107 des Grundgesetzes zur endgültigen Verteilung der der konkurrierenden Gesetzgebung unterliegenden Steuern auf Bund und Länder die Aufgabe umschloß, eine Lösung zu finden, die dem Bund und den Ländern die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Einnahmequellen zuteilt. Die Verankerung dieser Lösung in der Finanzverfassung des Grundgesetzes forderte einerseits ein sorgfältiges Abwägen aller Interessen des Bundes und der Lander und deren verfassungsrechtliche Sicherung, mußte aber andererseits die Möglichkeit vorsehen, die in einer künftigen Entwicklung notwendig werdenden Änderungen auf einem im Grundgesetz geregelten Wege vorzunehmen. Dies ist dadurch geschehen, daß die Anteile des Bundes und der Länder an der Einkommen- und Körperschaftsteuer mit bestimmten Hundertsätzen festgesetzt sind, aber neben der Revision dieser Festsetzung, also der Verteilungsquoten selbst, der Sätze 35 und 65, noch zugunsten der Länder die Sicherungsklausel und zugunsten des Bundes die Ergänzungsabgabe vorgesehen sind. Die Sicherung des im Grundgesetz verankerten föderalistischen Prinzips und des entsprechenden Besitzstandes der Länder an den ihnen zugeteilten Steuerquellen ist insbesondere dadurch gegeben, daß die sie berührenden Gesetzesänderungen der Zustimmung des Bundesrates bedürfen.
Nachdem das Vierte Überleitungsgesetz und das Länderfinanzausgleichsgesetz bereits mit Wirkung vom 1. April 1955 in Kraft getreten sind, bedeutet die Verabschiedung des Finanzverfassungsgesetzes in der jetzt vorgelegten Fassung den Abschluß der Finanzreform, wie sie dem Bundesrat mit der Vorlage der Bundesregierung vom 18. März 1954 und dem Bundestag mit der Vorlage vom 29. April 1954, Bundestagsdrucksache 480, vorgelegt worden ist. Seit der Einsetzung der mit den Vorarbeiten beauftragten Studienkommission sind in eingehender und gründlicher Arbeit und intensiver Bemühung um die Abwägung und klärende Sicherung aller Interessen de§ Bundes und der Länder mehr als zwei Jahre verflossen.
Die in dieser Zeit von allen Seiten an den Entwürfen geübte Kritik verpflichtet heute aber auch zu der Feststellung, daß die in diesen Arbeiten gereifte Lösung, insbesondere auch — was immer wieder vergessen worden ist — wegen der engen Grenzen der Ermächtigung des Art. 107 des Grundgesetzes, nicht allen Wünschen entsprechen konnte, aber einen sehr wesentlichen Fortschritt in der Entwicklung unserer Finanzverfassung bedeutet und doch zu der Hoffnung berechtigt, daß auf dem nunmehr zwei Jahre besonders umstrittenen Gebiet der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern eine für die Zukunft wertvolle Festigung eintritt.
Namens des Vermittlungsausschusses darf ich das Hohe Haus bitten, einen Beschluß gemäß Drucksache 1819 zu fassen. Ich weise besonders darauf hin, daß der Vermittlungsausschuß nach § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen hat, über diese Änderungen gemeinsam abstimmen zu lassen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Nach der Geschäftsordnung findet über Anträge des Vermittlungsausschusses eine Aussprache nicht statt. Dagegen können die Fraktionen Erklärungen abgeben.
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Dr. Schneider.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Ehre, folgende Erklärung abzugeben.
Die Mehrheit meiner politischen Freunde und ich werden den Vorschlag ,des Vermittlungsausschusses zur Neufassung der Artikel 106 und 107 des Grundgesetzes ablehnen, weil wir einer endgültigen Verteilung der der konkurrierenden Gesetzgebung unterliegenden Steuern auf Bund und Länder nicht zuzustimmen vermögen, die lediglich die bisherige, aber bereits vom Parlamentarischen Rat offensichtlich als revisionsbedürftig empfundene Aufteilung bestätigt. Die notwendige Klarheit über die Bund und Ländern endgültig erwachsenden Aufgaben und die hieraus herrührenden finanziellen Notwendigkeiten besteht heute weniger als in den vergangenen Jahren. Wir sind daher der Auffassung, daß die in Art. 107 vorgesehene Frist für die Steuerverteilung bis zum 31. Dezember 1958 verlängert werden sollte. Diese Fristverlängerung würde überdies den Weg zu einer organischen und umfassenden Reform der Steuergesetzgebung, insbesondere auch unter Berücksichtigung der Gemeinden und Gemeindeverbände offenhalten, für die eine verfrühte verfassungsrechtliche Fixierung ein entscheidendes Hindernis darstellen würde.
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Dr. Gülich.
Herr Präsident! Ich gebe namens der sozialdemokratischen Fraktion folgende Erklärung ab.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat sich nach eingehenden Beratungen entschlossen, dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses — Drucksache 1819 — zuzustimmen.
Die Fraktion erkennt an, daß mit der quotenmäßigen Aufteilung der Einkommen- und Körperschaftsteuer auf Bund und Länder die finanzielle Ordnung der Bundesrepublik zunächst stabilisiert wird; es erscheint ihr vorteilhaft, daß die Aufteilungsquoten für mindestens zwei Jahre festgelegt
werden sollen und daß auch nach Ablauf von zwei Jahren ein gesetzloser Zustand nicht wieder eintreten kann.
Die Fraktion erkennt an, daß mit der verfassungsmäßigen Möglichkeit, eine Zusatzsteuer zur Einkommen- und Körperschaftsteuer als reine Bundessteuer einzuführen, eine wichtige Ergänzung des Bundessteuersystems geschaffen wird. Hierdurch wird der strukturelle Nachteil des bisherigen Bundessteuersystems, daß der Bund zur alleinverantwortlichen Finanzierung seiner Aufgaben nur auf die indirekten Steuern angewiesen war, behoben.
Die Fraktion hat in ihrer in der 76. Sitzung des Deutschen Bundestages am 24. März 1955 abgegebenen Erklärung auf ihre schweren Besorgnisse wegen der unzulänglichen Finanzverfassung der Bundesrepublik hingewiesen. Diese Besorgnisse sind durch die nunmehr gefundenen Lösungen des Vermittlungsausschusses nicht behoben, sondern verstärkt worden. Die Fraktion bedauert, daß selbst die bescheidenen Verbesserungen unserer Finanzverfassung, die durch den Übergang einer Reihe von bisherigen Landessteuern auf den Bund bei vollem Ausgleich durch die Einkommen- und Körperschaftsteuer erzielt worden wären, am Widerstand der Länder gescheitert sind.
Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt es jedoch, daß dem zermürbenden und unfruchtbaren Streit zwischen Bund und Ländern, der dem Ansehen des demokratischen Staates abträglich war, ein Ende gesetzt werden soll.
Sie erwartet, daß nunmehr auch der Bundesrat I endgültig diesem Vermittlungsvorschlag zustimmt.
Die Fraktion sagt ihr Ja unter Aufrechterhaltung ihrer systematischen und politischen Bedenken. Sie würde bedauern, wenn mit der Verabschiedung dieses Gesetzes in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt würde, als ob nunmehr die Mängel unseres Finanzsystems beseitigt und in der Finanzverfassung alles zum Besten bestellt sei. Das ist keineswegs der Fall. Die Fraktion hat in der Vergangenheit dem Parlament wiederholt positive Verbesserungsvorschläge unterbreitet. Sie wird auch in Zukunft in ihren Bestrebungen, eine sinnvolle Finanzverfassung zu schaffen, insbesondere im Interesse des Steuerzahlers, nicht müde werden.
Das Wort zu weiteren Erklärungen wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar stimmen wir über das Gesetz im ganzen ab. Wer für die Annahme des Antrags des Vermittlungsausschusses ist, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Meine Damen und Herren, ich habe nunmehr das vorläufige*) Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu Punkt 1 der Tagesordnung bekanntzugeben. An der Abstimmung beteiligt haben sich insgesamt 374 stimmberechtigte Abgeordnete und 18 Berliner Abgeordnete. Mit Ja haben gestimmt 261 stimmberechtigte Abgeordnete und 13 Berliner Abgeordnete, mit Nein 101 stimmberechtigte Ab-
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 6087.
geordnete und 3 Berliner Abgeordnete; der Stimme enthalten haben sich 12 stimmberechtigte Abgeordnete und 2 Berliner Abgeordnete. Damit ist das Gesetz angenommen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Bundesleistungsgesetzes .
Zur Begründung hat der Staatssekretär Ritter von Lex das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch Beschluß des Hohen Hauses vom 11. Oktober 1951 war die Bundesregierung ersucht worden, das Reichsleistungsgesetz von 1939 durch eine Neuregelung zu ersetzen. Da eine Regelung des öffentlichen Leistungsrechts tief in die Freiheit des Staatsbürgers eingreift, das Eigentum ungehindert zu benutzen und sich wirtschaftlich frei zu betätigen, mußte die Bundesregierung in erster Linie prüfen, wie die geforderte Neuregelung mit den Zielen eines freiheitlichen Staatswesens und den Bestrebungen einer freien Wirtschaft in Einklang zu bringen ist.
Die Bundesregierung glaubt, ohne Bedenken davon ausgehen zu können, daß eine gesetzlich geordnete, die Belange des Gemeinwohls und die Rechte des Individuums gerecht abwägende Heranziehung des Staatsbürgers zu öffentlichen Leistungen den Prinzipien eines freiheitlichen demokratischen Staatswesens nicht widerspricht. Die Bundesregierung weiß sich mit dieser Ansicht auch in Übereinstimmung mit der Auffassung über das öffentliche Leistungsrecht in anderen demokratischen Staaten, die auf eine lange Entwicklung staatsbürgerlicher Freiheiten zurückblicken können.
Die Bundesregierung ist ferner der Auffassung, daß eine Regelung des öffentlichen Leistungsrechts in dem im Gesetzentwurf vorgesehenen Umfang mit einer Politik der freien Wirtschaft aus folgenden Gründen zu vereinbaren ist.
Erstens. Der Entwurf des Bundesleistungsgesetzes enthält keine Vorschrift, die es ermöglicht, in das Wirtschaftsleben lenkend oder ordnend einzugreifen.
Zweitens. Für das große Gebiet der gewerblichen Wirtschaft wird eine Sonderregelung des öffentlichen Leistungsrechts ergehen. Diese Sonderregelung soll der Entwurf eines Wirtschaftssicherstellungsgesetzes bringen, der Ihnen in der Bundestagsdrucksache 794 vorliegt. Ich darf auf den Inhalt dieser Drucksache verweisen. Die Entwürfe des Wirtschaftssicherstellungsgesetzes und des Bundesleistungsgesetzes werden noch aufeinander abgestimmt werden müssen. Die Bundesregierung wird hierbei an dem Grundsatz der Subsidiarität des Bundesleistungsgesetzes gegenüber dem Wirtschaftssicherstellungsgesetz festhalten.
Drittens. Zum Schutze der Wirtschaft enthält der Entwurf des Bundesleistungsgesetzes schon jetzt die Vorschrift, daß Gewinnungs-, Fertigungs- und Handelsbetriebe nicht angefordert werden dürfen. Der Katalog dieser Betriebe ist vom Bundesrat, dem die Bundesregierung in diesem Punkte sich angeschlossen hat, auf weitere Betriebe, insbesondere die Betriebe der Land- und Forstwirtschaft, der Hochsee- und Küstenfischerei und auf die Dienstleistungsbetriebe ausgedehnt worden.
Viertens. Die Anwendbarkeit des künftigen Bundesleistungsgesetzes wird weiterhin durch eine ausdrückliche Vorschrift noch dahin beschränkt, daß Leistungen nur angefordert werden können, wenn der Bedarf auf andere Weise nicht oder nicht rechtzeitig oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln gedeckt werden kann. In dieser Vorschrift ist der Grundsatz verankert, daß der öffentliche Bedarf in erster Linie auf dem freien Markt zu decken ist.
Fünftens — und auch das scheint mir sehr wesentlich zu sein —: Der Entwurf des Bundesleistungsgesetzes kennt grundsätzlich keine persönliche Dienstleistungspflicht und bringt daher kein Wiederaufleben der alten Notdienstverordnung.
Zum Inhalt des Gesetzes darf ich weiter bemerken, daß es im Gegensatz zum Reichsleistungsgesetz von 1939 keine Generalklausel enthält. Nach dem Gesetz können Leistungen grundsätzlich nur zur Verhütung oder Beseitigung eines überreginalen öffentlichen Notstandes und für Zwecke der Verteidigung angefordert werden. Als Leistungen kommen vor allem in Betracht die Überlassung von beweglichen Sachen und Gebäuden zum Gebrauch oder zum Mitgebrauch. Der Gesetzentwurf sieht ferner bestimmte Duldungspflichten und Werkleistungen vor, letztere jedoch nur durch land- und forstwirtschaftliche Betriebe, Verkehrsunternehmen oder Betriebe der Ernährungsgütererzeugung.
Eine besonders wichtige Neuerung gegenüber dem früheren Reichsleistungsgesetz besteht darin, daß die Leistungen nur von zivilen Behörden angefordert werden können. Eine zweite grundlegende Neuerung sehen wir darin, daß Anforderungsbehörde und Bedarfsträger nicht identisch sein dürfen. Auf diese Weise ist sichergestellt, daß Art und Umfang der Anforderung nicht dem Ermessen des an der Leistung unmittelbar Interessierten überlassen sind.
Ein weiterer wesentlicher Fortschritt gegenüber der früheren Regelung besteht darin, daß die Verwaltungsakte der Anforderungsbehörde, insbesondere der Leistungsbescheid, mit Rechtsmitteln anfechtbar sind. Die rechtsstaatlichen Garantien sind in vollem Umfang gewährleistet. Denn gegen die Verwaltungsentscheide ist nicht nur, wie ich eben ausgeführt habe, der Verwaltungsrechtsweg gegeben, sondern die Ansprüche auf Entschädigung und Ersatzleistung können auch vor den Zivilgerichten verfolgt werden.
Die Entschädigung, die für die Leistungen gewährt wird, bemißt sich nach dem im Wirtschaftsleben, im Wirtschaftsverkehr üblichen Entgelt. Bei Entzug des Eigentums ist der gemeine Wert der Sache zu ersetzen. Nach dem Entwurf des Bundesleistungsgesetzes wird nicht nur für den unmittelbaren Rechtsverlust, sondern auch für mittelbare Schäden eine Entschädigung gewährt, wenn und soweit sie bei gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten gerechtfertigt erscheint.
Damit das öffentliche Leistungsrecht möglichst schonend zur Anwendung kommt, ist im Gesetzentwurf vorgesehen, daß der Leistungspflichtige eine Anforderung durch die Erklärung abwenden kann, er sei bereit, die angeforderte Leistung auf Grund einer vertraglichen, d. h. einer frei vereinbarten Regelung zu erbringen.
Abschließend darf ich noch auf zwei wichtige Abschnitte des Bundesleistungsgesetzes besonders hinweisen, nämlich auf das Manöverrecht und auf die Regelung der Requisitionen der bisherigen Besatzungsmächte. Das Manöverrecht gilt für die deutschen Streitkräfte und für die Stationierungskräfte. Nach der im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelung kann die Anforderung für Manöverzwecke in Zukunft nur noch durch zivile Behörden erfolgen. Für das besonders schwierige Gebiet der Fortdauer bisher durchgeführter Requisitionen bringt der Gesetzentwurf eine Entschädigungsregelung nach deutschem Recht und gewährt insoweit in Zukunft die rechtsstaatlichen Garantien.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich glaube gezeigt zu haben, daß der dem Hohen Haus vorgelegte Gesetzentwurf jede Verwaltungswillkür ausschließt und sich von wirtschaftlichem Dirigismus fernhält. Trotz der Betonung des Grundsatzes, daß der lebenswichtige öffentliche Bedarf gedeckt und gesichert werden muß, ist jede Überbewertung öffentlicher Interessen in Zukunft ausgeschlossen. Ein Mißbrauch gesetzlicher Bestimmungen, wie er mit dem Reichsleistungsgesetz von 1939, und zwar auch noch in der Nachkriegszeit, teilweise getrieben wurde, ist nicht zu befürchten. Die Bundesregierung ist daher der Auffassung, daß durch die im Gesetzentwurf vorgesehene Regelung ein gerechter Ausgleich zwischen den Bedürfnissen des Gemeinwohls und den Rechten des Staatsbürgers geschaffen wird.
Der Gesetzentwurf ist eingebracht und begründet. Ich eröffne die allgemeine Aussprache erster Lesung. Das Wort hat der Abgeordnete von Buchka.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der sehr lebhaften und langen Diskussion zum ersten Punkte unserer Tagesordnung freue ich mich — und ich glaube, Sie werden sich mit mir freuen —, daß sich nun die Aussprache über die weiteren Punkte der Tagesordnung offenbar in einem ruhigen Fahrwasser bewegt.
— Ja, wir werden uns schon miteinander vertragen! — Ich glaube, daß auch dieser Punkt der Tagesordnung nicht sehr viel Anlaß bieten wird, in lebhaftere Bewegung zu geraten.
Es handelt sich hier um den Entwurf eines Bundesleistungsgesetzes. Ich darf namens meiner Fraktion erklären, daß sie die Vorlage dieses Entwurfs durchaus begrüßt. Der bisherige Rechtszustand ist zweifellos unbefriedigend. In den meisten Teilen der Bundesrepublik gilt — das ist ja hier auch bereits vorgetragen worden — zur Zeit noch das Reichsleistungsgesetz vom 1. September 1939, wobei allerdings das Land Hessen und der Landesteil Württemberg-Hohenzollern eine Ausnahme bilden. Ich darf auch als bekannt voraussetzen, daß für ein Teilgebiet durch das Flüchtlings-Notleistungsgesetz vom 9. März 1953 eine Sonderregelung getroffen worden ist. Wir wollen auch nicht vergessen, daß hier bei uns in der Bundesrepublik geraume Zeit die Besatzungsgewalt gegolten hat.
Nach Wiederherstellung der Souveränität ist nun die gesetzliche Neuregelung auch auf dem Gebiete der Bundesleistungen unbedingt notwendig. Wer mit dem Reichsleistungsgesetz zu tun gehabt hat, weiß, daß es zum Teil sehr weitgehend war.
Ich selbst habe lange genug mit diesem Gesetz zu tun gehabt und weiß, daß es ein scharfes, gefährliches Instrument war.
Beim Bundesleistungsgesetz werden wir gut daran tun, die Fehler des Reichsleistungsgesetzes zu vermeiden. Wir haben uns jetzt bei der ersten Beratung nicht mit den einzelnen Vorschriften zu befassen, und ich darf mich daher im wesentlichen auf die großen Richtlinien beschränken.
Das Bundesleistungsgesetz ist, wie der Herr Staatssekretär bereits vorgetragen hat, nicht nur für die Verteidigung der Bundesrepublik wichtig, sondern es soll nach dem Entwurfe der Bundesregierung auch für die öffentlichen Notstände bedeutsam werden. Daß bei der Verteidigung auch die auswärtigen Streitkräfte, also die alliierten Streitkräfte, die bei uns stationiert sind, in Betracht kommen, haben Sie aus der Vorlage entnommen.
Mir erscheint ein Grundsatz dieses Entwurfs ganz besonders wesentlich, nämlich der Grundsatz der Subsidiarität, wonach dieses Gesetz nur dann Platz greifen darf, wenn es eben gar nicht anders geht, wenn auf anderem Wege der nötige Bedarf nicht gedeckt werden kann.
Ein weiterer Grundsatz erscheint mir sehr wesentlich: Der Grundsatz der Beschränkung auf das unerläßliche Maß. Auch das ist, wie gesagt, außerordentlich wesentlich.
Für richtig halte ich ferner, daß nun nicht, wie es im Reichsleistungsgesetz der Fall war, so eine Art Generalklausel geschaffen wurde, die schließlich doch, wie auch die Praxis gezeigt hat, der Verwaltungswillkür Tür und Tor geöffnet hat, sondern daß hier tatsächlich auch eine enge Begrenzung vorgesehen ist.
Ich glaube, das Hohe Haus hat es mit mir begrüßt, daß von der Bundesregierung ausdrücklich erklärt worden ist, der Entwurf sei so gefaßt, daß seine Vorschriften mit der freien Wirtschaftsführung, mit dem freien Wirtschaftsleben durchaus im Einklang stünden.
In einem geordneten Rechtsstaate muß selbstverständlich ein schriftlicher Leistungsbescheid ergehen, wie es hier vorgesehen ist, und es entspricht ferner den rechtsstaatlichen Grundsätzen, daß Entschädigung und Ersatzleistung ausdrücklich geregelt sind.
Aber ich will mich mit diesen Einzelheiten hier nicht weiter aufhalten, möchte aber noch ein kurzes Wort zu dem Manöverrecht sagen. Wer früher einmal Manöver mitgemacht hat, der weiß, daß es auch bei bestem Willen dabei nicht ohne Flurschäden abging. Ich selbst habe es auf der einen wie auf der andern Seite mitgemacht, zuerst als Soldat, und nachher habe ich als junger Verwaltungsbeamter die Flurschäden entsprechend mit feststellen und abschätzen müssen. Es wird auch bei jedem künftigen Manöver so sein, daß Schäden entstehen. Sie müssen aber auf ein Minimum beschränkt bleiben, dies um so mehr, als ja bei einem modernen Heer die Schäden tatsächlich wesentlich größer sind, als sie früher sein konnten. Ich erinnere nur an die Panzerschäden, und wer einmal in der Lüneburger Heide die Schäden gesehen hat, die dort durch britische Panzer angerichtet worden sind, der wird sich ein deutliches Bild davon machen können, was für Gefahren hinsichtlich der Schäden bei den Manövern bestehen. Entsprechende Vorschriften sind also durchaus unerläßlich. Ebenso ist es — um auf ein anderes Gebiet noch kurz
zu kommen — unbedingt notwendig, daß für Zuwiderhandlungen und Ordnungswidrigkeiten Strafbestimmungen vorgesehen sind. Ich will mich auch hier nicht mehr weiter in Einzelheiten vertiefen.
Aber ein Wort zu der Stellungnahme des Bundesrates. Der Bundesrat, dessen Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf die Bundesregierung für erforderlich hält, hat beim ersten Durchgang des Gesetzentwurfs allerlei Änderungen vorgeschlagen, von denen ein Teil seitens der Bundesregierung gebilligt worden ist. Es sind aber doch noch einige, und zwar recht interessante Rechtsfragen offengeblieben. So verneint der Bundesrat z. B. großenteils überhaupt die Gesetzgebungskompetenz des Bundes bei dem öffentlichen Notstand. Er lehnt weiter ab, daß, wie im Entwurf vorgesehen, die Bestimmung der Anforderungsbehörden durch eine Rechtsverordnung der Bundesregierung erfolgen soll. Ebenso ist er dagegen, daß die Behörden, die die Entschädigung und Ersatzleistung festzusetzen haben, durch Rechtsverordnung der Bundesregierung bestimmt werden. Schließlich — das ist kommunalpolitisch noch besonders interessant — wehrt sich der Bundesrat dagegen, daß seitens des Bundes durch eine hier nicht näher zu erörternde Vorschrift etwa in das Kommunalrecht der Länder eingegriffen werde. Die Bundesregierung hat in ihrer Erwiderung dazu einen abweichenden Standpunkt vertreten. Es wird Aufgabe der Ausschußarbeit sein, solche Differenzen zu klären, damit das Hohe Haus dann seinerseits später dazu entsprechend Stellung nehmen kann.
Das Bundesleistungsgesetz muß auf alle Fälle ein sauberes, brauchbares Handwerkszeug werden. Es gibt Gesetze, die unbedingt notwendig sind, bei denen man aber von vornherein wünscht, daß sie so selten wie möglich angewendet werden möchten. Ich glaube, ein typisches Beispiel für ein solches Gesetz ist der Entwurf des Bundesleistungsgesetzes. Wir brauchen es unbedingt, und es wird Aufgabe der Legislative, also des Hohen Hauses sein, es zu schaffen. Hoffen wir, daß das neue Gesetz sich besser bewähren wird als das alte Reichsleistungsgesetz, dessen Datum — ich darf darauf noch aufmerkam machen — sich bezeichnenderweise mit dem Beginn des zweiten Weltkrieges deckt: Es datiert vom 1. September 1939.
Für die Durchführung der Maßnahmen des Bundesleistungsgesetzes ist unzweifelhaft die Verwaltung des Innern zuständig. Ich beantrage namens meiner Fraktion, diesen Gesetzentwurf zu überweisen an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung — federführend — und ferner an den Ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit sowie an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zur Mitberatung.
Das Wort hat der Abgordnete Wittrock.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Dr. von Buchka hat es bewußt vermieden, sich mit kritischen Punkten dieses Gesetzentwurfs auseinanderzusetzen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hält es aber gerade für erforderlich, in der ersten Beratung auf einige der kritischen Punkte dieses Gesetzentwurfs Ihre Aufmerksamkeit zu lenken, und, verehrter Herr Kollege, ich kann deshalb nicht dafür garantieren, ob Ihre Erwartung in Erfüllung
geht, daß sich die weitere Erörterung hier in der ruhigen Gemächlichkeit vollzieht wie bisher.
— Hoffen wir das Beste! — Der Herr Staatssekretär hat ja in seinen Ausführungen bereits zum Ausdruck gebracht, in einem wie starken Umfang die Durchführung dieses Gesetzentwurfs in die persönliche Sphäre eines jeden einzelnen eingreifen kann. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat es deshalb für notwendig gehalten, diesen Gesetzentwurf einmal unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und weiter unter dem seines Verhältnisses zu der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit der Staatsbürger zu überprüfen.
Es hätte erwartet werden können, daß sich dieser Gesetzentwurf in den klaren Schranken des verfassungsrechtlich Zulässigen hält. Das hätte nämlich zur Folge gehabt, daß man diesen Gesetzentwurf auf die Regelung eines Leistungsrechts zum Zwecke der Verteidigung beschränkt hätte. Dann wäre eine klare verfassungsrechtliche Kompetenzregelung beachtet gewesen. Aber davon wird ja abgesehen; der Gesetzentwurf überschreitet diese klare Schranke. Er sieht die Regelung eines Leistungsrechts für den Fall eines überregionalen öffentlichen Notstandes vor.
Der Herr Kollege von Buchka hat bereits darauf hingewiesen, daß der Bundesrat in seiner Stellungnahme die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung eines Leistungsrechts für den Notstandsfall verneint hat. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist der gleichen Auffassung. Es gehört zu den Prinzipien des Verfassungsstaates, daß der Gesetzgeber die klaren Zuständigkeitsregelungen der Verfassung beachtet; und das ist hier nicht der Fall. Die Bundesregierung hat die Gesetzgebungskompetenz für die Regelung eines Leistungsrechts für den Notstandsfall damit zu begründen versucht, daß sie gesagt hat, hier ergebe sich eine Gesetzgebungskompetenz „aus der Natur der Sache".
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion weist eine derartige Begründung einer Gesetzgebungskompetenz, nämlich die Begründung mit einem Hinweis auf die sogenannte Natur der Sache, ein für allemal zurück.
Wenn man sich auf einen derart labilen Boden begibt, dann bedeutet das, daß man die Feststellung dessen, wozu der Gesetzgeber kompetent ist, dem politischen Ermessen einer jeweiligen Mehrheit überläßt. Das halten wir für untragbar. Weil wir das nicht wollen, lehnen wir eine Gesetzgebungskompetenz „aus der Natur der Sache" ab.
Meine Damen und Herren, wir haben gegen eine so umfassende Regelung eines Leistungsrechts für den Fall des sogenannten öffentlichen Notstandes noch aus anderen Gründen erhebliche Bedenken. Es erhebt sich doch, wenn man sich einmal die gesetzlichen Bestimmungen ,ansieht, zunächst die Frage: Was ist denn öffentlicher Notstand? Im Falle des öffentlichen Notstandes bestehen ja die hier vom Herrn Staatssekretär und auch vom Sprecher der CDU-Fraktion angedeuteten weitgehenden Eingriffsmöglichkeiten. Das Gesetz sagt: „Als öffentlicher Notstand gelten 'insbesondere ...". Es wird dann beispielsweise aufgezählt: „gemeine Gefahren". Daraus kann man erkennen, daß man sich auch Notstandsfälle vorstellen kann, die nicht als gemeine Gefahren anzusehen sind. Wenn Sie sich das einmal überlegen, sehen Sie schon, wie unbestimmt der Rechtsbegriff „öffentlicher Notstand" im Sinne dieses Bundesleistungsgesetzes ist. Es heißt hier:
Als öffentlicher Notstand gelten insbesondere a) gemeine Gefahren
— jetzt kommt wiederum eine beispielsweise Aufzählung —
wie , Überschwemmungen, Brände und Explosionsunglücke.
Meine Damen und Herren, es ist dem Ermessen der Behörden, die dieses Gesetz durchführen, überlassen, zu entscheiden, in welcher Weise sie diese beispielsweise Aufzählung im einzelnen noch ergänzen. Wir halten es für völlig untragbar, daß Behörden in einem so umfassenden Umfange mittels der Auslegung und Anwendung derartiger unbestimmter Rechtsbegriffe eine so weitgehende Möglichkeit des Eingriffs in die persönliche Sphäre gegeben wird, wie das dieser Entwurf vorsieht.
Übrigens: um was für Behörden handelt es sich hierbei? Der Herr Staatssekretär hat hier gesagt: Wir wollen, daß es zivile Behörden sind. Ich möchte feststellen, daß der Gesetzentwurf diesen Gedanken, den der Herr Staatssekretär ausgesprochen hat, nämlich daß es zivile Behörden sein sollen, nicht ausdrückt. Ich möchte auf diese Einzelheit eingehen, weil der Herr Staatssekretär hier ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß zivile Behörden als Anforderungsbehörden tätig sein werden. Die einschlägige Bestimmung ist der § 5, und dazu hat der Bundesrat vorgeschlagen, einzufügen, es sollten nur zivile Behörden sein. Aber die Bundesregierung hat diesen Änderungsvorschlag des Bundesrates abgelehnt, woraus zu entnehmen ist, daß nach dem Gesetzentwurf, so wie er Grundlage unserer Beratungen ist, keineswegs vorgesehen ist, diese weitgehenden Befugnisse zum Eingriff in die persönliche Sphäre bloß zivilen Behörden zu überlassen. Welche Behörden das sein sollen, soll nach diesem Entwurf erst durch eine Rechtsverordnung bestimmt werden.
Ich möchte noch auf einen weiteren Gesichtspunkt hinweisen, der mir als fundamental bedeutsam erscheint. Die Eingriffsmöglichkeit besteht nicht bloß dann, wenn ein öffentlicher Notstand — jener unbestimmte öffentliche Notstand im Sinne dieses Gesetzes — beseitigt werden soll, sondern auch dann, wenn ein öffentlicher Notstand verhütet werden soll. Was heißt denn nun „verhüten"? Mit irgendwelchen Notstandslagen kann man überall, an jedem Orte, zu jeder Zeit rechnen. Es besteht also für die Behörden die Möglichkeit, jederzeit nach ihrem Ermessen zu sagen: Wir halten es jetzt aus diesem oder jenem Grunde für tunlich, Verhütungsmaßnahmen zu treffen. Auch das — wenn man sich das einmal überlegt — offenbart die Unbestimmtheit der Rechtsbegriffe, auf die die zuständigen Behörden ihre Kompetenzen stützen.
Meine Damen und Herren, es ist also so: Auf der Grundlage völlig unbestimmter Rechtsbegriffe erhalten unbestimmte, nämlich erst durch eine Rechtsverordnung nach dem Ermessen der Bundes-
regierung zu bestimmende Behörden die Möglichkeit zu so weitgehenden Eingriffen, wie dieser Gesetzentwurf es vorsieht. Wir sind der Auffassung, daß eine derartige Eingriffsmöglichkeit auf einer so labilen, auf einer so zur Willkür verleitenden Grundlage rechtsstaatlich und verfassungspolitisch einfach untragbar ist. Hier geht es doch — wenn ich das einmal sagen darf — letzten Endes um die Individualsphäre, um die Wahrung des Privateigentums und um die Eingriffe in das Privateigentum. Wir sollten es eigentlich als selbstverständlich ansehen, daß nicht nur wir Sozialdemokraten hier an dieser Stelle entscheidende Bedenken anmelden, sondern daß auch alle diejenigen, die wie die Posaunenengel bei jeder passenden Gelegenheit das dreimal geheiligte Privateigentum verteidigen, rebellieren und sagen: so, wie dieser Gesetzentwurf es vorsieht, geht es nicht!
Wir stellen fest: man hält es vielleicht nicht für opportun, eine so problematische Regelung einer kritischen Sondierung zu unterziehen. Es ist hier zwar darauf hingewiesen worden, daß das sogenannte Subsidiaritätsprinzip im Sinne dieses Gesetzentwurfes einen gewissen Schutz schaffe und daß nur eingegriffen werden könne, wenn diese oder jene Voraussetzungen beachtet seien, d. h. in diesem Falle, wenn alle anderen in Betracht kommenden Möglichkeiten erschöpft seien. Ja, meine Damen und Herren, jeder Anforderungsbescheid, der auf Grund dieses Gesetzentwurfes ergeht, ist sofort vollziehbar. Es wird also sofort ein Faktum geschaffen, ein faktischer Zustand, und es bedarf dann erst der Rebellion des betroffenen Staatsbürgers gegen diesen faktischen Zustand. Also dieser Grundsatz der Subsidiarität vermag die entscheidenden Bedenken, die wir hier anzumelden haben, keineswegs auch nur in etwa zu entkräften.
Auf Grund dieses Gesetzentwurfs können wieder Wohnungen beschlagnahmt werden, diesmal kraft deutschen Rechtes, und zwar auf Grund von Bescheiden, die sofort vollziehbar sind. Es ist interessant — und das muß in diesen Erörterungen einmal dargelegt werden —, welche Auffassung die Regierung bezüglich des Beschlagnahmerechtes bei Wohnungen vertreten hat. Sie wissen alle, daß wir eine Verfassungsbestimmung haben, welche das Wohnrecht garantiert. Das ist der Art. 13 des Grundgesetzes. Dieser Art. 13 sieht Eingriffe in das Wohnrecht klipp und klar nur unter ganz bestimmten, sehr eng umgrenzten Voraussetzungen vor. Diese Voraussetzungen werden von dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht beachtet. Darauf hat auch der Bundesrat hingewiesen. Wegen der Bedeutung der Sache muß ich Ihre Aufmerksamkeit auf das lenken, was die Bundesregierung zu diesen Bedenken des Bundesrates sagt. Ich darf das mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren:
Die Auffassung des Bundesrates, daß eine Einschränkung des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnungen nur im Falle eines öffentlichen Notstandes .... zulässig sei, entspricht zwar dem formalen Wortlaut der grundgesetzlichen Bestimmung, dürfte jedoch zu eng sein. Der Grundgesetzgeber hat trotz seiner Absicht, die Unverletzlichkeit der Wohnung zu sichern, an den bisher üblichen Eingriffsmöglichkeiten offensichtlich nichts ändern wollen.
Ich stelle die Frage: Wenn der Wortlaut etwas
anderes besagt, wieso kann man dann behaupten,
„offensichtlich" sei aber doch etwas Abweichendes, I Weitergehendes gemeint?
Es heißt dann weiter:
Die Inanspruchnahme von Wohnungen für die in dem § 1 Nrn. 2 und 4 des Entwurfs bezeichneten Zwecke ist althergebracht.
Das heißt doch nichts anderes, als daß man das „Althergebrachte" hier eben als verfassungsmäßig ansieht, auch wenn Art. 13 des Grundgesetzes etwas anderes besagt. Meine Damen und Herren, eine derartige Verfassungsinterpretation kann die sozialdemokratische Bundestagsfraktion unter gar keinen Umständen mitmachen.
Oder lassen Sie mich noch eine andere Frage aufwerfen, nämlich die Frage des Eingriffs in die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit. In diesem Gesetzentwurf gibt es einen § 12, der sagt, daß Anforderungen darauf gerichtet werden können, daß in einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb bestimmte Erzeugnisse dieses Betriebes gewonnen, in üblicher Weise bearbeitet, verarbeitet, eingelagert oder befördert werden. Der Herr Staatssekretär hat zwar gesagt, dieser Gesetzentwurf habe nicht die Absicht, das Wirtschaftsleben in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Aber wenn man die Bestimmung liest, die ich hier zitiert habe, dann muß man doch mit Fug und Recht die Frage stellen: Gibt diese Bestimmung des § 12 Ziffer 1 nicht doch die Möglichkeit, einem Bauern zu sagen, er habe nicht Rüben, sondern Kartoffeln anzubauen? Ich will hier nur die Frage aufwerfen. Die Frage erscheint mir auf Grund der Formulierung dieses Gesetzentwurfs berechtigt.
Eine weitere Frage stellt sich bei § 14. Hier heißt es, daß unter bestimmten Voraussetzungen Anforderungen auch darauf gerichtet werden können, daß in einer Gaststätte, die gewerbsmäßig Verpflegung verabfolgt, oder in einem ähnlichen Betrieb Mahlzeiten und andere Verpflegung zubereitet oder verabreicht werden. Hierzu müssen wir doch einmal die Frage stellen: was soll denn das überhaupt?
Was steckt hinter einer derartigen Bestimmung? Worin besteht das rechtspolitische Bedürfnis zu einer Regelung, die in Zukunft die Möglichkeit eröffnen soll, einem Gastwirt vorzuschreiben, daß er Mahlzeiten zubereitet oder verabfolgt?
Die gleiche Betrachtung könnte man zu § 14 Ziffer 2 anstellen. Soll diese Bestimmung etwa bedeuten, daß man hier gegenüber einem weiten Bereich der gewerblichen Wirtschaft, nämlich dem Teil der Wirtschaft, in dem Instandsetzungsarbeiten durchgeführt Werden, die Möglichkeit eröffnen will, hier kraft eines Diktates, also kraft eines Leistungsbescheides Arbeiten verrichten zu lassen?
Im besonderen Maße bestehen Möglichkeiten des Eingriffs in die Individualsphäre auf Grund der Ziffer 3 des § 14. Danach können — ich bitte, einmal aufzumerken, denn hiervon können auch viele Anwesende betroffen sein — an Besitzer von Beförderungsmitteln, auch soweit es sich nicht um Verkehrsunternehmen handelt — an diese ist näm-
lich bereits an anderer Stelle des Gesetzentwurfs gedacht worden —, Anforderungen gerichtet werden, Beförderungen zu übernehmen. Soll das nun bedeuten, daß der Pkw-Besitzer eines Tages die Aufforderung erhalten kann: Setz Dich an Dein Steuer und unternimm diese oder jene Fahrt!?
Ich möchte mich angesichts des Wunsches, daß die Diskussion hier in einer friedlichen Atmosphäre stattfindet, darauf beschränken, diese Frage zu stellen. Von einer derartigen Bestimmung werden doch Millionen Menschen betroffen. Man kann danach an sie nicht etwa nur die Aufforderung richten, sich ans Steuer zu setzen und irgendeine Fahrt zu unternehmen, sondern die Aufforderung kann auch darauf gerichtet sein, Beförderungen „ausführen zu lassen". Das heißt also, daß die betroffenen Kraftfahrzeugbesitzer angehalten werden können, sich noch irgend jemanden zu nehmen, meinetwegen kraft eines Dienstvertrages, der dann die Fahrt ausführt.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier nur auf diese weitgehenden Eingriffsmöglichkeiten hinweisen. Hier werden ganze Wirtschaftsbereiche, ja hier werden ganze Bevölkerungskreise erfaßt.
In einer solchen Situation muß man sich doch die Frage sehr ernsthaft vorlegen — ernsthafter auch, als es in der Begründung der Regierung geschehen ist —: Sind hier die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und der Verfassungsstaatlichkeit beachtet? Denn man muß ja doch noch hinzufügen: Diese weitgehenden Möglichkeiten von Eingriffen in ganze Wirtschaftsbereiche soll ein Verwaltungsapparat haben, der auf Grund des § 5 dieses Gesetzentwurfs zentralisiert werden kann bis in die Spitze der Bundesregierung und dezentralisiert, nach unten abgeleitet werden kann bis in das letzte Dorf. Dabei geht man so weit, daß man, um eben diesen „zügigen" Verwaltungsaufbau garantieren zu können, nicht davor zurückschreckt, in das Kommunalverfassungsrecht der Länder einzugreifen, in denen kraft Gemeindeordnung die Magistratsverfassung garantiert ist. Meine Damen und Herren, das sind die Perspektiven dieses Gesetzentwurfes.
Wir stellen fest, daß dieser Perfektionismus einer Erfassungsverwaltung nur kraft Rechtsverordnung geschaffen werden soll. Das ist das, ich hätte beinahe gesagt, Belustigende, aber ich muß sagen: das Bedauerliche an dieser gesetzlichen Regelung,
— oder das Beängstigende; sehr richtig, Herr Kollege.
Wir können andererseits feststellen, daß man, im Gegensatz zu diesem Perfektionismus eines Verwaltungsaufbaues, die Rechtsschutzmöglichkeiten beschränkt hat. Eine Berufung soll nicht zugelassen werden, eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision sieht dieser Gesetzentwurf nicht vor. Meine Damen und Herren, man kann sich natürlich grundsätzlich darüber unterhalten, ob unser Rechtsschutzsystem auf dem Gebiete der Verwaltungsgerichtsbarkeit gewissen Revisionen unterworfen werden soll. Aber wir halten es für absolut untragbar, daß man mit einer Beschränkung von Rechtsschutzmöglichkeiten ausgerechnet bei einem Gesetzentwurf anfängt, der in die Individualsphäre des einzelnen eingreift wie kaum ein anderer Gesetzentwurf.
Dieser Gesetzentwurf hält nach Auffassung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion jeden Vergleich mit dem Reichsleistungsgesetz vom 1. September 1939 aus.
Auch darin, daß die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit nicht beachtet sind, befindet er sich durchaus auf der gleichen Ebene.
Das Beste wäre, meine Damen und Herren, wenn man diesen Gesetzentwurf dorthin befördern würde, wohin wir so vieles Papierene befördern müssen, nämlich in den Papierkorb. Aber wir wissen, daß Sie sich zu einem so mutigen Entschluß nicht durchringen können, und deshalb bleibt uns nichts anderes, als die Hoffnung auszusprechen, daß es gelingen möge, den Gesetzentwurf in den Ausschußarbeiten so zu ändern, daß die Rechte des einzelnen in der Weise garantiert sind, wie es unsere Verfassungsordnung gebietet. In dieser Hinsicht zu wirken, ist das Anliegen und die Aufgabe der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Es sollte eigentlich kein Zweifel daran bestehen, daß auch wir dieses Gesetz mit äußerstem Mißtrauen betrachten. „Bundesleistungsgesetz", das riecht förmlich nach Eingriffen in die Persönlichkeit, nach Eingriffen in das Privateigentum. Wir haben alle noch die Erfahrungen aus der Kriegszeit und aus der Besatzungszeit. Wir wissen, daß solche Eingriffe, wenn sie von den Interessierten vorgenommen werden, nicht den notwendigen Beschränkungen unterliegen. Nachdem mein Vorredner aber zu dem Schluß gekommen ist, daß man den ganzen Gesetzentwurf in den Papierkorb werfen müsse, möchte ich doch sagen, daß wir einer so radikalen Auffassung nicht zustimmen können. Wir machen aus unserer liberalen Auffassung auch bei diesem Problem kein Hehl und werden uns auch für eine entsprechende Formulierung des Gesetzes einsetzen. Sie können nicht bestreiten, daß zunächst einmal eine gewisse Notwendigkeit besteht, das Reichsleistungsgesetz, insbesondere seine Generalklausel, abzuschaffen, und das ist eine Hauptaufgabe dieses Gesetzes. Vorläufig gilt das Reichsleistungsgesetz noch, und erst durch dieses Gesetz wird es außer Kraft gesetzt. Dies begrüßen wir, und wir nehmen an, daß Sie das auch begrüßen.
Hinzu kommt, daß wir die Pariser Verträge abgeschlossen haben. Sie stehen nicht zu ihnen, aber wir stehen dazu und sind verpflichtet, gewisse Voraussetzungen zu schaffen. Dabei wollen wir alles tun, um das in dem engstmöglichen Rahmen zu halten. Wir erkennen dankbar an, daß der Herr
Staatssekretär uns in der Erklärung der Regierung eine Reihe von Zusicherungen gegeben hat, wonach Eingriffe in das Privateigentum bzw. in die Freiheit der Persönlichkeit unter keinen Umständen erfolgen sollen. Er hat von dem Subsidiaritätsprinzip gesprochen, und er hat auch gesagt, daß ein Bundes-WirtschaftssicherstellungsGesetz, das sich auf die öffentlichen Betriebe beziehen wird, den Vorrang haben soll. Diese Erklärung unterstreichen wir. Aber, Herr Staatssekretär, mit einer einfachen Erklärung ist es nicht getan. Sie sagen: Wir sollen Eingriffe in die Wirtschaft so weit wie möglich vermeiden. Sie wissen jedoch, daß jede Anforderung, die auf Grund dieses Gesetzes möglich ist, bereits ein Eingriff in die Wirtschaft ist. Ganz gleichgültig, ob es sich um eine mildere oder eine schärfere Form der Anforderung handelt, es ist ein Eingriff in die Wirtschaft und führt zu Belästigungen, zu Schäden und sonstigen Gefahren.
Wir haben unsere Grundsatzforderungen zu diesem Gesetz in vier Punkten zusammengefaßt:
Erstens. Eingriffe in das Privateigentum und die Freiheit der Person müssen auf das absolut unerläßliche Maß beschränkt bleiben.
Zweitens. Die Voraussetzungen für Anforderungen jeder Art müssen eindeutig umrissen werden. Sie dürfen nicht in der Ausführung Rechtsverordnungen überlassen bleiben, sondern müssen im Gesetz festgelegt werden.
Drittens. In jedem Fall ist eine angemessene Entschädigung zu gewähren.
Viertens. Den Betroffenen muß das Recht verbleiben, wegen der Angemessenheit der Entschädigung und der Rechtmäßigkeit der Anforderung den vollen gerichtlichen Instanzenzug in Anspruch zu nehmen.
Diese vier Forderungen - ich gestehe es zu — sind zu einem großen Teil durch den Gesetzentwurf und zu einem weiteren Teil durch die darüber hinausgehenden Erklärungen des Herrn Staatssekretärs erfüllt. Aber es bleibt ein Rest in den Ausschußberatungen sicherzustellen.
Ich will nicht, wie es mein Vorredner getan hat, auf viele Einzelheiten eingehen. Trotzdem möchte ich sagen: ich habe bei § 1 gewisse Bedenken, ob man die Bestimmungen, die für den ersten Absatz, nämlich die Notstände, gelten sollen, einfach genau denen gleichsetzen muß, die für die anderen Absätze notwendig sind.
— Was bedeutet hier Feigenblatt, Herr Professor Gülich?! Ich teile nicht die Auffassung des Bundesrats, daß aus Gründen der Zuständigkeit der Absatz über die Notstände gestrichen werden müsse. Er muß eingeschränkt werden, er muß näher, schärfer definiert werden. Wir müssen aber mit solchen Fällen rechnen, und wir müssen dafür auch eine gewisse Vorsorge treffen. Aber ich wiederhole: Diese Vorsorge muß genau umrissen sein, und die Bestimmung darf nicht einer Ergänzung durch spätere Rechtsverordnung überlassen bleiben.
Ich bin nicht mit Ihnen der Meinung, daß der § 14 gestrichen werden müsse; denn ich könnte mir vorstellen, daß ein solcher Notstand einmal eintritt. Wir haben zwar in unserem Lande noch
Rede von: Unbekanntinfo_outline
— An keine weiteren Ausschüsse?
— Ausschuß für Wirtschaftspolitik? Auf der Liste hier standen noch eine Reihe. Die Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik ist jetzt beantragt worden.
— Ja, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und den Ausschuß für Kommunalpolitik.
Meine Damen und Herren, dann haben wir wieder die Tatsache, daß wir einen Gesetzentwurf an sechs Ausschüsse überweisen. Ich habe nichts dagegen, aber nach meiner Erfahrung wird es dann eine geraume Zeit dauern, bis wir den Gesetzentwurf hier wiedersehen.
Wir kommen also zur Abstimmung. Entgegen der zwischen den Fraktionen ursprünglich getroffenen Vereinbarung ist nunmehr beantragt, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung als federführenden Ausschuß zu überweisen. Da dies ein Änderungsantrag gegenüber der Vereinbarung ist, lasse ich zuerst über ihn abstimmen. Wer zustimmen will, daß der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung federführend wird, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Dann kann ich wohl unterstellen, daß an die aufgerufenen Ausschüsse — —
— Gut, wir wollen nicht lange diskutieren, wir sind nämlich viel schneller fertig, wenn wir so verfahren. Der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung ist federführend. Wer dafür ist, daß der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht als mitberatender Ausschuß damit befaßt wird, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Beschlossen!
Ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit. Wer dafür ist, gebe das Handzeichen. —
Gegenprobe! — Ich kann es nicht entscheiden. Ich wiederhole die Abstimmung. Wer dafür ist, daß dieser Gesetzentwurf zur Mitberatung auch an den Ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit überwiesen wird, möge sich vom Platz erheben. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.'
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten! Wer dafür ist, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Letzteres ist die Mehrheit; abgelehnt!
Ausschuß für Wirtschaftspolitik! Wer dafür ist, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Ich muß wiederholen. Wer dafür ist, daß auch der Ausschuß für Wirtschaftspolitik mitberatend beteiligt wird, erhebe sich bitte vom Platz. — Gegenprobe!
— Das letztere ist die Mehrheit; abgelehnt.
Ausschuß für Kommunalpolitik! Wer dafür ist, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Überwiegende Mehrheit; abgelehnt.
Damit ist der Punkt 4 der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 5 der heutigen Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Renten-Mehrbetrags-
Gesetzes (Drucksache 1780); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (28. Ausschuß) (Drucksache 1842).
Vorsorglich rufe ich — warum ich das tue, werde ich am Schluß der Abstimmung erläutern — die Anträge Drucksachen 1687 und 1746 mit auf.
Ich erteile das Wort dem Herrn Berichterstatter, dem Abgeordneten Stingl. — Ich darf aber das Haus bitten, die Beratung dieses Gesetzentwurfs etwas zu straffen. Denn Sie wissen doch, daß wir um 13 Uhr fertig werden wollen. Das geht nur, wenn wir entsprechend verfahren. Ich halte es auch für unmöglich, daß wir mitten in der zweiten und dritten Beratung eines Gesetzes etwa abbrechen und vertagen. — Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Plenum des Hohen Hauses hat in seiner Sitzung in Berlin am 20. Oktober 1955 dem Sozialpolitischen Ausschuß folgende Anträge überwiesen: den Antrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei, Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Zulagen in den gesetzlichen Rentenversicherungen, Druck-
sache 1687; den Antrag der Fraktion des GB/BHE, Entwurf eines Gesetzes zur Erhöhung der Leistungen in den gesetzlichen Rentenversicherungen, Drucksache 1746; den Antrag der Fraktion der CDU/CSU, Entwurf eines Zweiten Renten-Mehrbetrags-Gesetzes, Drucksache 1780. In der folgenden Woche wurde ein weiterer Antrag des GB/ BHE, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Renten-Mehrbetrags-Gesetzes, Drucksache 1805, ebenfalls dem Sozialpolitischen Ausschuß überwiesen. Alle diese Anträge standen auf der Tagesordnung der Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses am Montag, dem 7. November 1955. Der Vorsitzende des Ausschusses hatte die Einladung zu diesem ungewöhnlichen Termin damit begründet, daß die in einem Teil der Anträge genannten Termine die Verabschiedung eines Gesetzes in der laufenden Woche erforderten.
In dieser Sitzung des Ausschusses wurde vor Behandlung der Vorlagen darüber diskutiert, daß der Herr Bundesarbeitsminister im Verein mit den Rentenversicherungsträgern Vorbereitungen für die Auszahlung von Vorschüssen getroffen habe, ohne daß das Parlament dazu irgendwelche Beschlüsse gefaßt habe. Ein Antrag, die Beratung erst nach Herbeiholung des Herrn Ministers zu führen, wurde abgelehnt, ebenso ein Antrag, daß an den Herrn Minister ein Schreiben zu richten sei, in dem es u. a. heiße: „Auf Grund dieser Sachlage stellt der Ausschuß mit Bedauern fest, daß der Herr Bundesarbeitsminister sich für einen der vorliegenden Gesetzentwürfe entschieden hat ...". Dagegen wurde mit Mehrheit ein Antrag angenommen, den Herrn Bundesminister für Arbeit bei nächster Gelegenheit vor dem Ausschuß zu hören, ohne daß dadurch die Verabschiedung des Gesetzes hinausgezögert werden dürfe.
Diesem Antrag gemäß hat der Herr Bundesarbeitsminister in der Sitzung am Mittwoch, dem 9. November 1955 — ich darf Sie bitten, das vorwegnehmen zu dürfen — seine Auffassung vor dem Ausschuß dargelegt: Er sei von den Herren der Bundespost mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen worden, daß eine reibungslose Auszahlung von Vorschüssen vor Weihnachten unmöglich sei, wenn nicht die Vorbereitungen rechtzeitig in Angriff genommen würden. Er — der Herr Minister — sei der Meinung, er habe die Pflicht, die Voraussetzungen für eine reibungslose Auszahlung zu schaffen. Falls das Parlament anderes beschließe, so sei es das kleinere Übel, Vorbereitungen vergeblich geleistet zu haben, gegenüber einer Versäumnis der Vorsorgepflicht für den Fall der Annahme.
Nach einer Diskussion trat der Ausschuß, ohne Beschlüsse zu dieser Frage zu fassen, in die weitere Beratung ein.
Ich darf nun wieder auf die Sitzung vom Montag, dem 7., zu sprechen kommen. In dieser Sitzung wurde nach Begründung der Anträge eine Grundsatzdebatte geführt. Diese ergab den einmütigen Willen des Ausschusses, den Rentnern möglichst rasch Hilfe zu gewähren. Die Zwischenregelung dürfe aber die kommende Sozialreform nicht präjudizieren. Inwieweit dies durch die vorliegenden Anträge geschehe, darüber gingen die Meinungen auseinander. Der Meinung, daß ein Zweites Renten-Mehrbetrags-Gesetz Dauerleistungen schaffe, wurde entgegengehalten, daß auch eine wiederholte Gewährung einer halben Monatsrente effektiv eine dauernde Erhöhung sei. Dabei habe die Wiederholung des Renten-Mehrbetrags-
Gesetzes den Vorzug, die höhere Leistung betont von der Dauer und Höhe der Beitragsleistung vor dem Jahre 1939 abhängig zu machen.
Gegenüber der Auffassung, das vom Bundestag im Vorjahr einstimmig beschlossene Renten-Mehrbetrags-Gesetz verschärfe die Unterschiede in der Rentenversicherung der Angestellten und Arbeiter, wurde geltend gemacht, dieses Renten-Mehrbetrags-Gesetz habe z. B. in der Invalidenversicherung bei 70jährigen Rentnern eine durchschnittliche Erhöhung um etwa 23 %, bei den Angestellten dagegen um 18 % gebracht, also eine Verminderung der Unterschiede.
Nach der Grundsatzdebatte wurde die Sitzung mit dem Bemerken, die Fraktionen wollten die Ausführungen der anderen Fraktionen jeweils eingehend erörtern, vertagt.
In der Sitzung am Mittwoch, dem 9. November, wurde nach der schon erwähnten Diskussion mit dem Herrn Bundesarbeitsminister in die Einzelberatung eingetreten. Der Ausschuß beschloß dabei mit Mehrheit, den Entwurf eines Zweiten Renten-Mehrbetrags-Gesetzes gemäß Drucksache 1780 zur Beratungsgrundlage zu machen. Daraufhin wurde die Sitzung unterbrochen, um den Mitgliedern der sozialdemokratischen Fraktion Gelegenheit zu geben, interne Beratungen zu pflegen. Nach Wiederaufnahme der Beratungen erklärte ein Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion, diese sei für eine Sonderzahlung an die Rentner vor Weihnachten. Sie sei deshalb bereit, dem § 2 des CDU/ CSU-Entwurfes — Vorschußzahlungen — zuzustimmen. Die andere Regelung solle jedoch später beraten werden. Nun baten ihrerseits die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion um eine Beratungspause, da dieser Vorschlag in der Fraktion gründlich erörtert werden solle. Nach der Sitzungspause wurde wegen notwendiger Besprechungen eine Vertagung der Sitzung beschlossen.
In der neuen Sitzung am gleichen Tage, am 9. November nachmittags, erklärten die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion, sie hätten den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion eingehend geprüft, sie sähen sich aber nicht in der Lage, ihm zu folgen. Die Vorwegnahme des § 2 lasse die Rentner nicht erkennen, was sie weiter zu erwarten hätten, und außerdem müßten die Beratungen des Ausschusses fortgesetzt werden. Dadurch würden die Arbeiten an der Sozialreform verzögert, weil die Regierungsvertreter j a auch an den Beratungen des Ausschusses teilzunehmen hätten. Außerdem könnten die Rentenversicherungsträger die notwendigen Arbeiten für eine Erhöhung der Leistungen erst später in Angriff nehmen. Ein Vertreter der Fraktion der FDP legte dar, seine Fraktion teile die Auffassung der CDU nicht in vollem Umfange; allerdings liege auch keine endgültige Meinungsbildung zu dem letztgenannten Antrag der sozialdemokratischen Fraktion vor. Bei der Abstimmung über den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion ergab sich eine Mehrheit gegen den Antrag. Der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion erklärte daraufhin, seine Fraktion könne an den weiteren Beratungen nicht teilnehmen. Der Entwurf der CDU/CSU bringe Auswirkungen für 5 Millionen Rentner und wirke sich auf das ganze Rentengefüge aus; darüber könne nicht zwei Tage vor der endgültigen Beratung im Plenum unter Zeitdruck verhandelt werden. In der Praxis seien durch die vorbereitenden Maßnahmen Tatsachen geschaffen, und die CDU/CSU sei auf
Vermittlungsvorschläge nicht eingegangen. Die SPD behalte sich vor, im Plenum Anträge zu stellen.
Die Vertreterin des Gesamtdeutschen Blocks/BHE teilte diese Bedenken. Außerdem bemerkte sie, die CDU/CSU habe am Vormittag auf ihre Anfrage mit Bedauern Kenntnis gegeben, sie könne dem Antrag Drucksache 1805 nicht zustimmen. Sie habe keine Weisung, sich an den weiteren Ausschußberatungen zu beteiligen. Der stellvertretende Ausschußvorsitzende, der die Sitzung leitete, bemerkte demgegenüber, während der Einzelberatung könnten immer Anträge gestellt werden. Die Vertreter der SPD und die Vertreterin des Gesamtdeutschen Blocks/BHE verließen danach die Sitzung.
Nach einer Erörterung auf Anregung der Fraktion der FDP, ob bei dieser Sachlage eine Vertagung angebracht sei, wurde wegen der Dringlichkeit der Angelegenheit doch in die Einzelberatung eingetreten. Der Vorsitzende hatte die Beschlußfähigkeit des Ausschusses festgestellt. Das Ergebnis der Beratungen liegt Ihnen in Drucksache 1842 vor.
Im einzelnen ist dazu zu bemerken: § 1 dieses Gesetzentwurfs sieht eine Verdopplung der Mehrbeträge nach dem Gesetz vom 23. November 1954 in den gesetzlichen Rentenversicherungen vor. Der Hinweis auf die §§ 1 bis 4 des Gesetzes vom Vorjahr legt den Personenkreis, nämlich Rentner der Invalidenversicherung, Empfänger von Ruhegeld in der Angestellten- und Knappschaftsversicherung, weiter Empfänger von Witwenrenten — sofern der Versicherte vor dem Jahre 1923 geboren ist oder war — fest, der Mehrbeträge erhält, und trifft Bestimmungen über die Art der Berechnung. Berücksichtigt werden Beitragszeiten vor dem 1. Januar 1939. Im übrigen wird auf die §§ 5 bis 7 verwiesen. Diese betreffen u. a. die Begrenzung der Höhe des Mehrbetrages mit 30 DM und die Aufbringung der Mittel. Ein Antrag der FDP-Fraktion, die Lasten des Gesetzes wegen des sozialen Charakters ganz auf den Bund zu übertragen, wurde von der Mehrheit des Ausschusses abgelehnt.
Der § 2 regelt die Gewährung eines Vorschusses bis zum 20. Dezember dieses Jahres, also noch vor Weihnachten. Er soll in diesem Jahr anders als im Jahre 1954 für 6 Monate gezahlt werden und mindestens 20 DM betragen. Soweit der Vorschuß gegenüber der endgültigen Berechnung der Mehrbeträge zu hoch war, ist der zuviel gezahlte Betrag nicht zurückzuerstatten. Auf den Vorschuß sollen wie im Vorjahre die Bestimmungen über Anrechnung auf die sozialen Leistungen nicht angewendet werden. Daher der Hinweis auf die entsprechenden Paragraphen des vorjährigen RentenMehrbetrags-Gesetzes.
Nach dem Entwurf ist eine Vorschußzahlung bei den Knappschaftsrenten nicht vorgesehen. Die Frage wurde im Ausschuß erörtert. Wegen der Möglichkeit, dort sofort die richtigen Mehrbeträge monatlich zu zahlen, wurde auf eine Vorschußregelung bei den Knappschaftsrenten verzichtet.
Der im ursprünglichen Entwurf enthaltene § 3 wurde auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion gestrichen. Damit hat der Bund die auf ihn entfallenden Beträge nach dem Inkrafttreten des Gesetzes ohne Vorschußleistungen durch die Rentenversicherungsträger selbst zu bezahlen.
§ 4 des Entwurfs erstreckt das Gesetz auf Berlin. Nach § 5 soll das Gesetz am 1. Dezember 1955 in Kraft treten.
Die geschätzten Kosten des Zweiten RentenMehrbetrags-Gesetzes betragen 684 Millionen jährlich. Davon entfallen auf den Bund 196 Millionen, Die Vorschußzahlungen erfordern einen Betrag von etwa 200 Millionen DM.
Nach dieser Beratung beschloß der Ausschuß, dem Plenum vorzuschlagen, die Drucksache 1687 — nämlich den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, der eine im Effekt 121/2%oige allgemeine Rentenerhöhung vorsah — und die Drucksache 1786 — den Antrag des GB/BHE, der wie der CDU/CSU-Antrag eine doppelte Gewährung des Renten-Mehrbetrags vorsah — für erledigt zu erklären. Die Beratung des Antrags der Fraktion des GB/BHE zur Änderung des Renten-MehrbetragsGesetzes auf Drucksache 1805 sollte, da der Antrag mittelbar mit den anderen Anträgen in Zusammenhang steht, in der gleichen Sitzung erfolgen. Da kein Vertreter der antragstellenden Fraktion anwesend war, mußte die Einzelberatung vertagt werden.
Ich habe die Ehre, Sie, meine Damen und Herren, im Auftrage des Ausschusses zu bitten, wie aus Drucksache 1842 ersichtlich, zu beschließen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir treten in die zweite Beratung des Gesetzentwurfs ein. Ich rufe auf § 1, dazu vorläufig Umdruck 493 Ziffer 1.
Ich erteile das Wort zur Begründung des Änderungsantrags auf Umdruck 493 Ziffer 1 *) dem Abgeordneten Dannebom.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf im Namen der sozialdemokratischen Fraktion zu dem aufgerufenen § 1 des Zweiten Renten-Mehrbetrags-Gesetzes folgenden Änderungsantrag einbringen und begründen. Wir beantragen, daß der § 1 folgende Formulierung erhält:
Die Träger der Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestellten zahlen bis zum 20. Dezember 1955 Vorschüsse auf die Gewährung weiterer Renten-Mehrbeträge für die Monate Dezember 1955 und Januar bis Mai 1956. Die Vorschüsse werden in Höhe von 20 vom Hundert der Steigerungsbeträge bemessen, und zwar durchschnittlich für jeweils um 5 Deutsche Mark gestufte monatliche Rentenzahlbeträge bis 200 Deutsche Mark; sie werden auf volle Deutsche Mark nach oben abgerundet. Der Vorschuß für den in Satz 1 genannten Zeitraum beträgt mindestens 20 Deutsche Mark.
§ 11 Abs. 2 und 3 des Renten-MehrbetragsGesetzes vom 23. November 1954 (Bundesgesetzbl. I S. 354) findet entsprechende Anwendung.
Herr Präsident, ich darf darauf 'aufmerksam machen, daß es notwendig ist, hinter die Worte „der Angestellten" die Worte „sowie der Knappschaft" einzufügen, weil weder im Ersten RentenMehrbetrags-Gesetz noch in dem Entwurf eines
*) Siehe Anlage 2.
Zweiten Renten-Mehrbetrags-Gesetzes eine Vorschußzahlung für die Knappschaft vorgesehen ist. Da die Berechnung in der knappschaftlichen Rentenversicherung nach dem Ersten Renten-Mehrbetrags-Gesetz sich vom 1. Dezember 1954 bis zum Monat August 1955 hingezogen hat, wäre es natürlich im Interesse der 400 000 Knappschaftsrentner erwünscht, auch für diesen Kreis eine Vorschußzahlung zu ermöglichen.
— Ich danke Ihnen, Herr Kollege Arndgen, und sehe, daß wir jedenfalls in dieser Frage einer einheitlichen Meinung sind.
Meine Damen und Herren, Sie werden sicher festgestellt haben, daß unser Eventualantrag sich eigenartigerweise fast wörtlich mit dem § 2 des CDU-Antrags auf Drucksache 1780 deckt. Eine Abweichung unseres Eventualantrags von dem § 2 des Antrags auf Drucksache 1780 besteht eigentlich nur in der vierten Zeile. In dem CDU-Antrag heißt es: „ ... Vorschüsse auf die nach diesem Gesetz zu gewährenden Beträge . . .". In dem SPD-Antrag wird dagegen gesagt: „ ... Vorschüsse auf die Gewährung weiterer Renten-Mehrbeträge . . .". Ich darf zu der Übereinstimmung unseres Eventualantrags mit dem Antrag auf Drucksache 1780 und zu der von mir eben erwähnten Abweichung folgendes vortragen.
Es bestand erstens in diesem Hause bei der ersten Lesung und auch im Sozialpolitischen Ausschuß Übereinstimmung darüber, daß durch die Kaufkraftveränderung und durch die Wirtschaftsentwicklung die Rentenbezieher im Bundesgebiet im Nachteil geblieben sind und deswegen etwas geschehen muß.
Zweitens bestand Übereinstimmung darüber, daß schnell, wenn möglich noch vor Weihnachten, geholfen werden soll. Das wäre nur zu erreichen — auch darüber bestand Übereinstimmung —, wenn eine einfache Regelung getroffen würde; nur sie würde eine Rentenauszahlung vor Weihnachten ermöglichen.
Drittens bestand im Ausschuß auch Übereinstimmung darüber, daß mit der Gewährung einer Rentenzulage, wie wir sie alle wollen, weder die Arbeiten zur Sozialreform gestört noch diese Reform in irgendeinem Punkte präjudiziert werden dürften.
Über diese drei Punkte, meine Damen und Herren, bestand Einmütigkeit. Keine Übereinstimmung bestand über die Form der Rentenzulage. Während die CDU auf dem Standpunkt stand, daß die Frage nur durch Annahme ihres Entwurfs eines Zweiten Renten-Mehrbetrags-Gesetzes geregelt werden könnte — das hat der Herr Berichterstatter, der die Dinge sehr objektiv behandelt hat, ja auch zum Ausdruck gebracht —, vertraten die SPD, FDP, der GB/BHE und auch die Deutsche Partei die Auffassung, daß durch eine besondere Regelung die Auszahlung eines Rentenvorschusses vor Weihnachten ermöglicht werden solle; dann könnten in aller Ruhe die Probleme des RentenMehrbetrags-Gesetzes erörtert werden.
Meine Damen und Herren, besonders von der CDU, ich bedauere eigentlich — und mit mir meine Fraktion —, daß Sie durch Ihre Halsstarrigkeit im Sozialpolitischen Ausschuß,
nachdem wir doch in drei wesentlichen Punkten Übereinstimmung erzielt hatten, die Atmosphäre vergiftet haben.
Um im sozialpolitischen Wollen Gemeinsamkeit zu
erzielen, müssen alle Seiten etwas dazu beitragen.
Ich bedauere weiter: Indem Sie eine ruhige, gewissenhafte Beratung ablehnen, wird die Gefahr heraufbeschworen, daß die Unzulänglichkeiten des Ersten Renten-Mehrbetrags-Gesetzes wieder übernommen werden. Bei den enttäuschten Menschen, bei den Rentenbeziehern kann das natürlich zu einer Verärgerung gegenüber dem Parlament, ja, zu einer Vertrauenskrise gegenüber dieser Demokratie führen.
Das muß einmal sehr deutlich ausgesprochen werden.
Ich sprach nur von Unzuträglichkeiten. Sie selber, meine Damen und Herren , haben durch Ihren Sprecher, den Herrn Kollegen Stingl, bei der ersten Beratung Ihres Gesetzentwurfes zum Ausdruck gebracht, Sie wollten mit uns zusammen Mißstände, deren Vorliegen Sie durchaus zugegeben haben, beseitigen. Meine Damen und Herren, ich habe höflicherweise nur von gewissen Mißhelligkeiten gesprochen. Einer von Ihnen, Herr Stingl, hat von Mißständen gesprochen.
— Herr Kollege Ruf, er hat doch in Berlin Ihren Entwurf des Zweiten Renten-Mehrbetrags-Gesetzes begründet und dabei, nachdem der Kollege Dr. Schellenberg auf gewisse Unzulänglichkeiten des Ersten Renten-Mehrbetrags-Gesetzes hingewiesen hatte, wörtlich erklärt, daß auch Sie gewisse Mißstände erkannt hätten und gemeinsam mit uns versuchen wollten, sie in einer ruhigen, sachlichen Beratung zu beseitigen.
Meine Damen und Herren, das ist ein Faktum, das man sehr ruhig und gewissenhaft überprüfen soll. Daher rührt unsere Einstellung bei den Ausschußberatungen, unsere Überzeugung, daß im Ersten Renten-Mehrbetrags-Gesetz Mißhelligkeiten bestehen. Es ist doch nicht abzustreiten, daß 1 200 000 Waisen überhaupt nicht berücksichtigt werden.
— Herr Ruf, es ist nicht abzustreiten, daß über 900 000 von diesem Gesetz erfaßte Rentner nur Mehrbeträge zwischen 1 bis 3 DM bekommen. Es ist nicht abzustreiten, daß von den über 900 000 Rentenbeziehern, die nach diesem Gesetz Mehrbeträge bekommen, rund 70 000 nach den Feststellungen der Rentenversicherungsanstalten eine Erhöhung von nur 1 DM bekommen.
Können Sie da verstehen, daß wir uns mit solcher Entschiedenheit gegen eine endgültige Fassung dieses Renten-Mehrbetrags-Gesetzes zur Wehr gesetzt haben? Können Sie verstehen, daß wir ver-
sucht haben, mit Ihnen gemeinsam durch Stellung unseres Eventualantrags, der Ihrem § 2 entspricht, vor Weihnachten eine Vorauszahlung zu ermöglichen, damit wir dann gemeinsam in aller' Ruhe und Sachlichkeit die Mißstände, die Sie selber kritisiert haben, beseitigen und das Unrecht oder, ich will einmal sagen, das nicht sehr Erfreuliche, in einer ruhigen Atmosphäre aus dem Ersten RentenMehrbetrags-Gesetz herausbrächten? Ich meine, dieses gemeinsame Anliegen sollten wir eigentlich haben. Niemand wird behaupten wollen oder können, daß bei Annahme unseres Eventualantrags zu § 1 die technische Durchführung des Gesetzes nicht möglich sei.
Aus den angeführten Gründen richte ich auch in dieser Stunde noch einmal den Appell an Sie, mitzuhelfen, daß wir angesichts der Mißhelligkeiten im Ersten Renten-Mehrbetrags-Gesetz, die Sie selber erkennen und die Herr Stingl angesprochen hat, im Interesse der davon betroffenen Menschen gemeinsam eine vernünftige Lösung suchen. Sozialpolitik kann nur auf einer breiten Grundlage getrieben werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wir sind noch nicht in der dritten Beratung, in der allgemeinen Aussprache. Ich hatte Ihnen nur zur Begründung Ihrer Änderungsanträge zu § 1 das Wort erteilt. Ich bitte, sich daran zu halten.
Das habe ich zu tun geglaubt, Herr Präsident. Ich bin doch jedenfalls dem Hause auch eine Erklärung dafür schuldig, warum wir unseren Änderungsantrag eingebracht haben, der inhaltlich fast wörtlich mit dem § 2 des RentenMehrbetrags-Gesetzentwurfes der CDU übereinstimmt.
Dafür, meine ich, bin ich dem Hause eine Erklärung schuldig. Wenn wir gemeinsam Sozialpolitik treiben wollen, dürfen wir uns nicht auseinanderraufen und nicht einer besseren Einsicht widersetzen, auch wenn sie nicht in unserer eigenen politischen Konzeption liegt. Wir haben heute morgen bei Beratung des Gesetzentwurfs über die Regelung der verkaufsoffenen Sonntage vor Weihnachten
im Interesse der davon betroffenen Menschen etwas Gemeinsames erreicht. Sollte es nicht gelingen, auf breiter Grundlage eine Vorauszahlung vor Weihnachten zu ermöglichen und dann in einer ruhigen, sachlichen Beratung alle Mißhelligkeiten aus dem Gesetz zu entfernen?
Aus diesem Grunde bitte ich Sie, meine Damen und Herren, inständigst darum, sich Gedanken auch über unser Anliegen zu machen. Wir messen ihm eine solche Bedeutung bei, daß wir für diesen unseren Antrag namentliche Abstimmung beantragen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Horn, wollen Sie dazu sprechen?
— Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten ebenfalls die Absicht, namentliche Abstimmung über diesen Änderungsantrag zu § 1 zu beantragen. Insofern schließe ich mich also dem Antrag des Kollegen Dannebom an.
Im übrigen ist es 12 Uhr 6 oder 12 Uhr 7.
Wir müssen aber die Verabschiedung des Gesetzes
sicherstellen. Deshalb verzichte ich auf eine längere
Erwiderung und darf nur folgendes sagen, meine
Damen und Herren: Was der Kollege Dannebom
als Halsstarrigkeit der CDU bezeichnet hat, war
keine Halsstarrigkeit. Wir haben uns die Überlegungen, die zu unserem Antrag geführt haben,
nicht leicht gemacht. Wir haben uns auch die Beratungen, die nach den verschiedenen Unterbrechungen der Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses notwendig wurden, nicht leicht gemacht.
Wenn wir am Ende dieser Überlegungen in Übereinstimmung mit der Bundesregierung zu der Meinung gekommen sind, daß wir es im Interesse der Sache bei unserem Antrag belassen sollten, dann entsprach diese Entscheidung der für die Behandlung dieses Themas notwendigen Verantwortung, wie wir von unserer Schau der Dinge aus sie gesehen haben.
Es ist dann auf die geringen Beträge von 1 Mark usw. hingewiesen worden. Da darf ich doch auch vor der Öffentlichkeit daran erinnern, daß das Renten-Mehrbetrags-Gesetz auf den Steigerungsbeträgen aufbaut, die sich ein Versicherter früher durch die Zahlung der Beiträge erdient hat. Insofern beruht das Renten-Mehrbetrags-Gesetz in der Tat auf dem Versicherungsprinzip. Wenn wir davon ausgehen, dann können wir den Beträgen, die sich aus den Zuschlägen zu den Steigerungsbeträgen errechnen, nicht noch weitere Beträge hinzufügen. Da liegen der Grund und die Ursache dafür.
Im übrigen darf ich schon an dieser Stelle auf eine Entschließung aufmerksam machen, die wir zur dritten Lesung einbringen werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung zu § 1 in der zweiten Lesung.
Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag der SPD Umdruck 493 Ziffer 1, dem § 1 die Fassung zu geben, die Sie dort lesen können*). Wenn ich den Abgeordneten Dannebom richtig verstanden habe, will er die Fassung dahin abgeändert wissen, daß in Satz 1 hinter den Worten „der Angestellten" eingefügt wird „sowie der Knappschaft".
Ich lasse jetzt abstimmen über den Antrag, und zwar mit dieser Modifizierung. Es ist namentliche Abstimmung beantragt; dieser Antrag ist genügend unterstützt.
Wir kommen zur namentlichen Abstimmung. Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln. Ich wiederhole, damit kein Irrtum entsteht: namentliche Abstimmung über den Änderungsantrag der SPD-Fraktion auf
s) Siehe Anlage 2.
Umdruck 493 Ziffer 1, dem § 1 eine andere Fassung zu geben, mit der Modifikation, die ich vorhin vorgelesen habe.
— Frau Abgeordnete Kalinke, ich habe Sie nicht verstehen können.
Es bestand eine Unklarheit, ob nur über die Einfügung des Wortes „Knappschaft" oder über den ganzen § 1 nach dem Antrag der SPD abgestimmt wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das wundert mich aber sehr; ich habe es ganz deutlich zweimal erklärt. Es wird selbstverständlich über den ganzen § 1, den Antrag der SPD, abgestimmt, mit der Modifikation, die nachträglich mündlich nachgeschoben worden ist, daß hinter dem Wort „Angestellten" die drei Worte „sowie der Knappschaft" eingefügt werden. — „Sowie der Knappschaftsversicherung", wird mir eben noch gesagt. Also kein Zweifel: über den ganzen Änderungsantrag der SPD auf Umdruck 493 Ziffer 1 mit dieser Ergänzung wird abgestimmt.
Ich frage das Haus: Sind noch Damen und Herren da, die in der namentlichen Abstimmung ihre Stimmkarte noch nicht abgegeben haben? Dann bitte ich, sich zu beeilen.
Die namentliche Abstimmung ist geschlossen.
— Herr Minister, das tut mir leid. Ich habe die Abstimmung geschlossen.
Ich gebe das Ergebnis — wie ich betone, das vorläufige Ergebnis*) — der namentlichen Abstimmung bekannt. Das Ergebnis ist so knapp, daß es jetzt sofort durch das Büro nachgeprüft werden muß; die Herren Schriftführer selbst sind dieser Meinung. Stimmberechtigte Abgeordnete: abgegebene Stimmen insgesamt 369, davon mit Ja, für den Änderungsantrag, 179, mit Nein 178, enthalten 12. Berliner Abgeordnete: abgegebene Stimmen 15, davon mit Ja 13,. mit Nein 2. Damit ist der Änderungsantrag auf Umdruck 493 zu § 1 in der von mir vor der Abstimmung verkündeten modifizierten Fassung angenommen, bei dieser Knappheit mit der Maßgabe, daß das vorläufige Ergebnis noch nachgeprüft werden muß.
— Ja, natürlich.
— Wozu?
— Langsam, langsam! Es geht ja nicht zwischendurch.
— Ja, ja. Da muß ich aber erst einmal den Paragraphen aufrufen. Ich kann ja — entschuldigen Sie! — auch nicht hexen!
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 6087.
Ich muß auch erst noch eine Feststellung treffen. Schließlich habe ich die Verantwortung für die Geschäftsführung! Der Änderungsantrag der SPD Umdruck 493 enthält auch einen Antrag für den Fall der Ablehnung des Antrags unter Nr. 1. Da dieser angenommen ist, erübrigt sich Abstimmung über den Eventualantrag. Das möchte ich doch zu Protokoll feststellen.
Wir fahren in der Beratung des Gesetzentwurfs fort. Ich rufe auf § 2 und einen Änderungsantrag der CDU/CSU, der Ihnen wahrscheinlich im Umdruck noch nicht vorliegt; ich habe ihn aber hier.
Das Wort zur Begründung erteile ich dem Abgeordneten Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem wir nach dem vorläufigen Abstimmungsergebnis davon ausgehen müssen, daß der Antrag der SPD auf Umdruck 493 angenommen worden ist, stellt meine Fraktion den Antrag, in dieses Gesetz als § 2 folgendes aufzunehmen:
Bis zur Neuregelung der gesetzlichen Rentenversicherungen werden die Rentenmehrbeträge, die für die Zeit nach dem 30. November 1955 auf Grund der §§ 1 bis 4 des RentenMehrbetrags-Gesetzes vom 23. November 1954 zu zahlen sind, verdoppelt. Die §§ 5 bis 7 des Renten-Mehrbetrags-Gesetzes finden auf die zusätzlich zu gewährenden Rentenmehrbeträge keine Anwendung.
Ich bitte, Herr Präsident, diesen Antrag zur Abstimmung zu stellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben den Antrag da, Herr Abgeordneter Arndgen?
Das ist der Wortlaut des bisherigen § 1 in unserem Gesetzentwurf.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wollen Sie mir ihn bitte schriftlich heraufgeben!
Herr Abgeordneter Professor Schellenberg zur Geschäftsordnung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Soweit ich den Antrag, den Herr Kollege Arndgen soeben vorgelesen hat, verstehen konnte, ist das materiell der Inhalt des soeben geänderten § 1.
Der § 1 in der Fassung des Ausschusses zum Entwurf der CDU/CSU ist mit Stimmenmehrheit abgelehnt worden; deshalb ist es meines Erachtens geschäftsordnungsmäßig unzulässig, den soeben abgelehnten § 1 als einen § 2 neu auf den Tisch des Hauses zu legen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Abgeordneter Arndgen!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich mache darauf aufmerksam, daß der § 1 nach dem Antrag Umdruck 493 einen ganz anderen Tatbestand beinhaltet als der § 1 des Entwurfs Drucksache 1780. Durch die Annahme des Antrags Umdruck 493 kann daher der Tatbestand nicht abgelehnt sein.
Ich habe auch nicht davon gesprochen, den § 1 des Entwurfs Drucksache 1780 zur Abstimmung zu stellen, sondern ich habe den Inhalt als einen besonderen Tatbestand vorgetragen. Ich bitte, hierüber abzustimmen, d. h. als § 2 des zu verabschiedenden Gesetzes das zu nehmen, was ich vorgetragen habe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Einen Moment, Herr Abgeordneter!
— Ich bitte, mich jetzt mit Ihnen erst einmal klarwerden zu lassen! — Sie haben mir vorhin einen Änderungsantrag zu § 2 der Ausschußvorlage herauf gereicht.
Jawohl!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich war der Meinung, den Änderungsantrag wollten Sie begründen. Er hat einen ganz anderen Inhalt, nämlich einen viel beschränkteren. Er verlangt, in § 2 der Ausschußfassung die Ergänzung „und der knappschaftlichen Rentenversicherung" einzufügen. Das ist der materielle Inhalt. Wollen Sie diesen Änderungsantrag zurücknehmen?
Der Antrag, den ich gestellt hatte, war — das stimmt, Herr Präsident — für den § 2 bestimmt. Nun hat aber die SPD-Fraktion durch die mündliche Ergänzung des Antrags Umdruck 493 denselben Tatbestand beantragt, und durch die Abstimmung, die erfolgt ist, ist die Formulierung, die ich in den § 2 hineinhaben wollte, schon in den § 1 hineingekommen. Ich ziehe daher den Antrag, den ich vorhin hinaufgereicht habe, zurück.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber der andere Antrag, den Sie dann hier mündlich begründet und nur vorgelesen haben, scheint mir doch, materiell gesehen — ich bin kein Techniker der Materie —, so schwerwiegend zu sein, daß ich mich außerstande sehe, darüber abstimmen zu lassen, bevor er mir schriftlich vorliegt. Ich muß ihn dem Hause zumindest vorlesen können. Ich bitte also, ihn mir heraufzureichen.
— Abgeordneter Dannebom zur Geschäftsordnung!
Meine Damen und Herren von der CDU, darf ich Sie, damit eine Rentenauszahlung vor Weihnachten erfolgen kann, höflich bitten, auch wenn Sie nun mit einer Stimme unterlegen sind, heute einheitlich das, was nun in unserem von der Mehrheit beschlossenen § 1 zum Ausdruck gekommen ist, zu akzeptieren. Sie wollen es doch hier wahrscheinlich nicht auf eine Machtprobe ankommen lassen, sondern Sie wollen doch auch im Interesse der davon betroffenen Menschen draußen handeln.
Das sollten Sie doch bedenken! Es geht hier nicht um einen Streit über Meinungen und Auffassungen grundsätzlicher Art. Bitte, überwinden Sie sich und stellen Sie nun nicht wieder neue Anträge; dann können wir das Gesetz schnell verabschieden, und die Leute bekommen das Geld noch vor Weihnachten. Wir können dann das Renten-Mehrbetrags-Gesetz entsprechend Ihrem Antrag in aller Ruhe weiter beraten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Arndgen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, Sie noch einmal in Anspruch nehmen zu müssen. Bei Annahme des § 1 nach dem Antrag Umdruck 493 würde die Fassung gesetzestechnisch unvollständig bleiben,
und mit dieser Formulierung könnte man den Rentnern nicht helfen. Wenn die Durchführung gesetzestechnisch überhaupt möglich sein soll, muß zu § 1 noch etwas gesagt werden. — Wir können aber auch anders verfahren: ich ziehe meinen Antrag zurück, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, Sie haben gehört: da der Herr Abgeordnete Arndgen seinen ursprünglichen Änderungsantrag zu § 2 schon zurückgezogen hatte, er nunmehr auch den mündlich eingebrachten, schriftlich noch nicht vorliegenden erweiterten Änderungsantrag zurückgezogen hat und da weitere Änderungsanträge nicht vorliegen, kommen wir zur Abstimmung über § 2 in der Ausschußfassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen.
— Herr Abgeordneter Schellenberg!
Herr Präsident, § 2 in der Ausschußfassung wurde in seinem materiellen Inhalt soeben als § 1 angenommen. Damit entfällt eine Abstimmung über § 2.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ist das Haus der gleichen Meinung?
— Gut, ich stelle das fest. Das Haus ist also der Meinung, daß durch Annahme des § 1 in der Fassung, wie sie im Änderungsantrag vorgeschlagen war, der § 2 in der vom Ausschuß vorgeschlagenen Fassung entfällt. Das Haus ist einmütig dieser Auffassung.
Dann habe ich jetzt noch vorliegen den Antrag der SPD Umdruck 493 unter Ziffer 3. — Abgeordneter Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem über die grundsätzliche Frage im Sinne der Ziffer 1 unseres Antrags entschieden ist, besteht die sozialdemokratische Fraktion nicht auf der Abstimmung über Ziffer 3. Wir sind bezüglich der Vorschußzahlung mit den Beschlüssen des Ausschusses einverstanden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das heißt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, die antragstellende Fraktion zieht ihren Änderungsantrag Umdruck 493 Ziffer 3 zurück.
- Ich stelle das fest.
§ 3 entfällt auch.
Dann rufe ich auf § 4, — § 5, — Einleitung und Überschrift. — Wird das Wort gewünscht? — Abgeordneter Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Überschrift des Gesetzes muß nunmehr geändert werden. Es handelt sich jetzt nicht um ein Zweites Renten-MehrbetragsGesetz, sondern es handelt sich um die Gewährung von Vorschüssen auf Renten-Mehrbeträge. Ich beantrage deshalb, die Überschrift folgendermaßen zu fassen: „Gesetz über die Gewährung von Vorschüssen auf weitere Renten-Mehrbeträge."
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag gehört.
Ich werde dann zuerst abstimmen lassen über § 4 und § 5 in der Ausschußfassung. Wer ihnen zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! - Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen.
Ich rufe nunmehr auf Einleitung und Überschrift. Sie haben den Antrag des Abgeordneten Professor Schellenberg gehört. Ich glaube, ich brauche ihn nicht zu wiederholen; er ist ja ganz verständlich gewesen. Wer dieser Änderung der Überschrift zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer großen Zahl von Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Damit haben wir die zweite Beratung dieses Gesetzes abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. — Abgeordneter Horn!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage zur dritten Lesung die Wiederherstellung der Ausschußvorlage und beantrage weiter, über diesen Antrag namentlich abzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Abgeordneter Arndgen!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Ergänzung des Antrags, den der Herr Kollege Horn soeben gestellt hat, stelle ich den Antrag, den ich anfangs zum § 2 gestellt habe, erneut: daß im § 2 nach den Trägern der Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestellten auch die knappschaftliche Rentenversicherung mit eingeführt wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Obwohl wir eigentlich noch nicht so weit sind — ich habe noch nicht einmal die allgemeine Aussprache zur dritten Lesung eröffnet — will ich die Anträge zur Kenntnis nehmen. Wenn ich richtig verstanden habe, dann wollen Sie beantragen, Herr Abgeordneter Horn, daß in der dritten Lesung die Fassung des Ausschusses zu § 1 wiederhergestellt wird. Herr Abgeordneter Horn!
Ich beantrage, Herr Präsident, nicht nur die Wiederherstellung des § 1, sondern die Wiederherstellung der Ausschußvorlage im ganzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann in der dritten Lesung so nicht abstimmen lassen. Selbstverständlich muß ich in der dritten Lesung die einzelnen Paragraphen aufrufen. Dann kann ich Ihren Antrag logischerweise nur so verstehen, daß wir erst einmal über den § 1 und seine Fassung in der dritten Lesung abstimmen. Denn daraus ergibt sich dann alles zwangsläufig. Das Haus ist damit einverstanden?
— Das ist der Fall.
Ich eröffne nunmehr die allgemeine Aussprache zur dritten Lesung. Mit der Bitte, sich kurz zu fassen, da wir um ein Uhr möglichst fertig sein wollen, erteile ich das Wort der Frau Abgeordneten Kalinke. Ich bitte Sie, Frau Abgeordnete, zu berücksichtigen, daß sich nach Ihnen noch drei Mitglieder des Hauses zum gleichen Thema gemeldet haben.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Bei aller Würdigung Ihrer Mahnung und bei Würdigung der Mahnung des Herrn Kollegen Horn glaube ich, daß wir bei einer so wichtigen Sache, die das Schicksal von Millionen deutscher Rentner und Staatsbürger angeht, gern eine Stunde später Mittag essen werden. Ich wäre sehr dankbar, wenn wir diese Diskussion nicht in einer hektischen Erregung unter dem Zeitdruck fortsetzten, unter dem sie im Ausschuß geführt worden ist.
Herr Präsident, am 14. Oktober 1954 — das ist vor einem Jahr — wurde das erste Renten-Mehrbetrags-Gesetz und danach das Kindergeldgesetz im Plenum angenommen. Man konnte damals in der öffentlichen Berichterstattung lesen, daß es „ein Triumph sozialpolitischer Schnellarbeit" gewesen ist. Wir sollten keine solchen Triumphe feiern wollen. Was wir soeben erlebt haben, ist der Beweis dafür, daß es besser ist, sich keinen Anstrengungen hinzugeben, sozialpolitische Triumphe dieser Art zu erreichen, sondern das Ergebnis sachlicher Arbeit möglichst nicht mit Zeitdruck zu beeinflussen.
Auf die Mängel, die sich bei der Behandlung des Gesetzes ergeben haben, hat schon ein Sprecher in der zweiten Lesung hingewiesen. Meine Herren, es wäre wirklich der Sache wert, daß Sie, auch diejenigen, die nicht Mitglieder des Sozialpolitischen Ausschusses sind, sich mit ein wenig mehr Verantwortung um diese Materie bemühten. Wir haben am 20. Oktober in Berlin die erste Lesung gehabt. Damals war 'eindeutig erkennbar, daß eine einheitliche Meinung im Parlament über Inhalt und Ziel des Gesetzes nicht bestand. Ich will hier nicht den chronologischen Ablauf wiederholen, ich will nicht wiederholen, in welcher Weise versucht worden ist, den Ereignissen vorzugreifen — ich muß das mit Bedauern sagen! Sowohl vom Pressedienst der CDU wie vom Pressedienst der SPD ist trotzdem darauf hingewiesen worden, daß jeder bemüht sein werde, seine Gesetzesvorlage noch in dieser Woche durchzusetzen. Es ist sicher ein legitimer Anspruch jeder politischen Partei, zu versuchen, ihre Meinung durchzusetzen und von ihrer Einsicht auch andere zu überzeugen. Aber gerade die jetzige Debatte hat gezeigt, wie gefahrvoll es ist, gemeinsame Anliegen — so nannte es der Kollege der SPD im Sozialpolitischen Ausschuß und hier im Plenum — etwa unter Zeitdruck so zu behandeln, daß dabei der Stil des Parlamentarismus, aber
r auch der Parlamentarismus .als solcher und zuletzt die Demokratie ins Schlittern geraten. Wir sollten wirklich Mut und Respekt haben, auch die Meinung der anderen zumindest anzuhören. Die Beratung und die Abstimmung soeben haben gezeigt, daß in der eigenen Fraktion der antragstellenden Partei offensichtlich unterschiedliche Meinungen bestanden. Sie hat auch gezeigt, daß wir, wenn wir den Antrag im Ausschuß hinsichtlich Form, Inhalt und Zielsetzung sachverständig und ruhig weiterberaten hätten, wahrscheinlich zu einer besseren Lösung gekommen wären, die hinsichtlich der Höhe und der sozialen Wirkung der Leistungen einen anderen sozialpolitischen Effekt gehabt hätte. Das wäre selbst dann noch der Fall gewesen, wenn wir die Gefahr mit hätten in Kauf nehmen müssen, daß wir unseren Rentnern zum Weihnachtsfeste nur ein Versprechen, aber Anfang Januar eine wirkliche, ausreichende Hilfe hätten geben können.
Ich möchte in dieser Stunde besonders an das Gewissen appellieren, doch bei den Problemen der Sozialreform um Gottes willen nicht, etwa aus Halsstarrigkeit — die möchte ich dem Kollegen Horn nicht unterstellen — die Auffassung zu vertreten, daß die Sorge der anderen nicht von mindestens ebenso tiefer Verantwortung und von mindestens ebenso ernsthafter Überlegung getragen wird.
— Doch, das haben Sie damit erklärt, als Sie uns wegen der Optik des Versprechens, eine Weihnachtsfreude am 20. Dezember zu machen, zwingen wollten, Ihren Antrag ohne jede Beratung anzunehmen, und uns gesagt haben, nur diese Lösung allein mache es möglich, den Rentnern am 20. Dezember 1955 etwas zu geben.
— Es ist wörtlich gesagt worden: „Wenn Sie einen Satz oder einen Paragraphen verändern, ist nicht mehr die Möglichkeit gegeben, das Gesetz rechtzeitig zu verabschieden."
Sie haben jetzt mit den Stimmen Ihrer eigenen Freunde einen sehr wesentlichen Paragraphen geändert. Ich habe die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben, daß die Möglichkeit gegeben sein wird, den Rentnern eine ausreichendere und bessere Lösung als die Lösung zu geben, die wir heute diskutieren.
Ich möchte nur noch auf einige Probleme des Renten-Mehrbetrags-Gesetzes eingehen, die nach meiner Auffassung im Ausschuß Sorge aller Mitglieder waren und die von dem Herrn Bundesminister für Arbeit genau so besorgt betrachtet werden sollten, zunächst auf das Problem der Präjudizierung der Sozialreform, von der wir erwarten, daß sie eben mehr als nur vage Versprechungen bringt. Ich möchte Ihnen die Punkte aufzählen, die in diesem scheinbar so harmlosen Gesetz die Reform präjudizieren. Ich sehe in einem Zweiten Renten-Mehrbetrags-Gesetz eine Präjudizierung in Richtung auf den Vorläufer einer Indexrente. Ich sehe eine Präjudizierung der Rentenformel und der Rentenhöhe. Ich sehe eine Vorwegnahme in bezug auf die Bestimmungen über die Solidarhaftung der Versicherten. Ich sehe eine Vorwegnahme bezüglich der Beteiligung des Staates und schließlich eine Vorwegnahme in bezug auf die
Verfügung über Reserve- und Kassenbestände der Sozialversicherungsträger einschließlich der Rücklagenbildung. Ich sehe zuletzt sogar eine Vorwegnahme in bezug auf eine so große und so eminent wichtige Entscheidung wie die über die Umlage, über das Umlagesystem oder die Kapitaldeckung schlechthin.
Alle diejenigen, die ein zweites Renten-Mehrbetragsgesetz befürworten, haben leider wie beim SVAG oder beim Ersten Renten-Mehrbetrags-Gesetz auch in diesem Gesetz den Grundsatz, daß in der Sozialversicherung gleiche Beiträge auch zu gleichen Leistungen führen müssen, verletzt. Der Kollege von der Sozialdemokratischen Partei hat schon in der zweiten Lesung mit Beispielen darauf hingewiesen. Sie schaffen ein Gesetz, das Sie als Aufwertungsgesetz bezeichnen, in dem Sie verschiedene Versicherte hinsichtlich der Aufwertung unterschiedlich behandeln.
Auch der Antrag der Sozialdemokratischen Partei auf Berücksichtigung der Waisenrenten ist nach der Auffassung meiner politischen Freunde sozialpolitisch voll berechtigt und sollte nicht abgelehnt werden.
Wir sind der Meinung, daß auch die Frage der Deckung der Kosten dieses Gesetzes — wennschon sie hier gar nicht behandelt worden ist — nicht ohne Bedeutung ist und daß man nicht so sprechen sollte, als handle es sich hier nur um Kosten, die angesichts der vollen Kassen der Sozialversicherungsträger und des Bundes geringfügig seien, und als handle es sich nur um Millionen für ein Jahr. Meine Herren und Damen, es handelt sich um Milliardenbeträge, weil die Rentenerhöhungen, die die Rentner jetzt bekommen, bis ans Lebensende der Rentner gegeben werden müssen. Das wollen Sie doch sicherlich nicht verhindern! Damit präjudizieren Sie natürlich entscheidend eine Neuordnung, die wir gern anders und besser sehen möchten, ohne dabei zu erreichen, daß unser gemeinsames Anliegen verwirklicht wird, daß nämlich der Not der alten Rentner wirklich und ausreichend gesteuert wird.
Es wird leider oft in einem falschen Zusammenhang davon gesprochen, daß die Renten an die Kaufkraft angepaßt werden sollen; und es wird immer wieder versucht, Kaufkraftschwund und das Ergebnis von Lohnerhöhungen gleichzeitig bei den Rentnern entsprechend auszugleichen, mit dem Argument, daß hierfür die Versicherten aufkommen müssen. Die Solidarität in der Sozialversicherung bezog sich ursprünglich auf den Risikoausgleich im Versichertenkreis. Es ist eine entscheidende Präjudizierung der Reform, wenn der Risikoausgleich für die niedrigen Alt-Renten nicht vom Staat oder der größeren Gemeinschaft als Währungsschaden, oder wie immer Sie es bezeichnen wollen, getragen wird und wenn hier von Ihnen die Versicherten in Anspruch genommen werden sollen. Der Tatbestand, daß Sie nun — wahrscheinlich auf Grund unserer in Berlin vorgebrachten Mahnung —, mit Zustimmung des Finanzministers die staatliche Beteiligung wie beim Ersten RentenMehrbetrags-Gesetz einfügen, klärt trotzdem die Fronten nicht. Wir müssen uns entschieden dagegen wehren, daß Kriegsfolgelasten auf die Versicherten abgewälzt werden. Die Mittel für die Mehrbeträge — darüber müssen wir uns im Ausschuß ernsthaft unterhalten — sollten in diesem Falle nicht durch die Solidarhaftung der Versicherten aufgebracht werden. Bei der Begründung des Ersten Renten-Mehrbetrags-Gesetzes hat der Herr
Bundesarbeitsminister auf „die Solidarhaftung zwischen den Versicherten und den Rentnern" hingewiesen. Ich würde ein Versäumnis begehen, wenn ich Sie nicht auch in diesem Zusammenhang davor warnte, daß Sie eine Übung einführen, laufende Renten aus laufenden Beiträgen zu zahlen, und damit auch die Reform schon auf das Umlageverfahren festlegen.
Die Kassenüberschüsse der Rentenversicherungsträger, die so vielen Leuten in die Augen stechen, sind wahrscheinlich bei diesem Gedanken Pate gewesen. Aber es ist ein Irrtum, die fast zwei Milliarden DM Kassenüberschüsse, die wir in diesem Jahr haben werden, als echte Überschüsse anzusehen. Für jede Mark, die jetzt eingezahlt worden ist, muß später Rechnung gelegt werden, und es muß später dafür geleistet werden! Diese Beträge sind nicht mehr als Gegenwerte für spätere Leistungen! Ich glaube, daß die Mehrzahl der Sozialpolitiker, die solche Anträge stützen, sich die Bilanzen der Rentenversicherungsträger nicht mit aller Verantwortung angesehen haben. Sonst müßten sie wissen, daß sich seit dem Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz das Defizit seit 1951 laufend erhöht hat und daß es sich in Zukunft weiter erhöhen wird. Es wird und muß von Jahr zu Jahr wachsen, wenn Sie Rentenerhöhungen in dieser Form vornehmen.
Ich will wegen der drängenden Zeit nicht auf alle die Fragen eingehen, die sich aus dem Problem der Kapitaldeckung ergeben. Das werden wir bei anderer Gelegenheit tun. Ich muß Ihnen aber sagen, daß es nicht möglich ist, eine Aufstockung der Leistungen für die alten Menschen, die wir dringend wünschen, mit den Mitteln der Versicherung vorzunehmen. Es ist auch deshalb nicht möglich, das Ziel mit den Mitteln der Versicherung allein zu erreichen, weil man nicht kleine Beiträge aufwerten kann, die schon mehrfach aufgewertet sind, und weil gerade diese alten Menschen nicht durch ihre Schuld, sondern durch die Schuld der damaligen Gesetzgebung so wenig und so geringe Beiträge gezahlt haben — ich weiß nicht, ob Sie das alle wissen —, die in der Invalidenversicherung bis 1911 in der höchsten Klasse 36 Pf wöchentlich und 18 Mark jährlich und Mitte 1927 etwa 50 Mark jährlich betrugen. Man kann also hier nicht von einem Aufwertungsgesetz sprechen, sondern man hätte hier andere Wege suchen sollen. Im Ausschuß bestand wohl bei allen politischen Parteien der gute Wille, Wege zu finden, denen besonders zu helfen, die den alten Grundsatz, „in der Zeit zu sparen, um in der Not zu haben", gewahrt haben. Man wollte aber auch den anderen entscheidend helfen, die diese Möglichkeit nicht besessen haben.
Meine Herren und Damen, von der Reform erwarten Sie Vereinfachung und Verbesserung der Leistungen. Im „Bulletin" hat ein maßgeblicher Vertreter des Finanzministeriums in diesen Tagen richtig darauf hingewiesen, daß „man dadurch, daß innerhalb der Rentenversicherung mit dem Versicherungsprinzip prozentuale Aufstockungen vorgenommen würden, den wirklich sozial Bedürftigen nicht in den Genuß einer ausreichenden Hilfe bringen könne." Der Herr Kollege Dannebom hat heute morgen Beispiele genannt, die ich nicht wiederholen will. Aber Sie werden mir zugeben, daß Rentenerhöhungen von einer Mark, zwei Mark oder drei Mark, selbst Rentenerhöhungen von zehn Mark, die ein kleiner Teil der Rentner bekommt,
keineswegs jene sozialpolitische Funktion erfüllen können, die wir als Hilfe für die alten Rentner dringend fordern. Wenn außerdem der sozialpolitische Effekt so aussieht, daß die Rentenmehrbeträge den Rentnern nachher beim Lastenausgleich, bei der öffentlichen Fürsorge, ja sogar bei Leistungen aus dem Beamtengesetz oder dem Besoldungsgesetz — wie es jetzt der Berliner Senat tut — wieder abgezogen werden, ja wenn Pensionszahlungen von Versicherungsträgern, die auf Vereinbarungen mit Gewerkschaften aufgebaut sind, denen, die Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt haben, die Zuschüsse wieder wegnehmen, dann muß ich Ihnen sagen, daß andere Maßnahmen der Überbrückung notwendig sind, um eine vernünftige Reform der sozialen Leistungen herbeizuführen und wirklich bedürftigen Rentnern eine fühlbare Hilfe seitens der größeren Gemeinschaft des Staates zu geben.
Wir waren im Ausschuß bereit, Anregungen dazu zu geben und Ihnen Wege und Möglichkeiten dafür zu zeigen, wie wir eine Übergangslösung, die wir bis zu der baldigen und hoffentlich vernünftigen Reform der Rentenversicherung wünschen, gestalten könnten. Die Reform der Rentenversicherung darf aber nicht allein bleiben, sondern muß eine Reform der Leistungen aus dem Lastenausgleich und der Fürsorge nach sich ziehen, die wir dann gemeinsam mit Ihnen beschließen wollen. Wir können aber keine unzulängliche Gesetzgebung bejahen, die die soziale Unzufriedenheit nur vermehren und den Alten nicht fühlbar helfen wird.
Meine Herren und Damen, wir wissen nicht, wohin uns das Geschick der nächsten Abstimmung führen wird. Ich weiß nicht, ob es Ihnen gelingen wird, die Vorlage wiederherzustellen.
Wir werden der Vorlage der CDU nicht zustimmen.
Wir werden aber, wenn sich die Mehrheit dafür entscheidet, Sorge dafür tragen, daß die Vorauszahlungen ermöglicht werden; dann möge eine vernünftige Diskussion um die Reform der sozialen Leistungen möglich sein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollten zwar, wie Sie wissen, heute möglichst um 13 Uhr schließen. Aber die Tatbestände werden immer komplizierter. Ich habe vorhin bekanntgegeben, daß es sich bezüglich der Annahme des von der Fraktion der SPD gestellten Änderungsantrages zu § 1 um ein vorläufiges Abstimmungsergebnis handle. Die Nachprüfung hat ergeben, daß eine Namenskarte doppelt abgegeben und damit eine Stimme ungültig geworden ist und daher nun das von mir bekanntzugebende letzte und effektive Ergebnis der Abstimmung lautet: insgesamt abgegebene Stimmen von stimmberechtigten Abgeordneten: 369, Ja 178, Nein 178, enthalten 12, 1 ungültig. Da zur Annahme die Mehrheit gebraucht wird, die hier nicht erreicht ist, ist der Änderungsantrag der SPD-Fraktion auf Umdruck 493 unter Ziffer 1 nicht angenommen, sondern abgelehnt.
Meine Damen und Herren, das ist ein in der Geschäftsordnung nicht geregelter Fall. Wir müssen ihn also jetzt ad hoc regeln.
Wir haben die zweite Lesung des Gesetzes unter der Voraussetzung fortgesetzt, daß die endgültige Zählung zum gleichen Ergebnis führe. Es stellt sich nunmehr heraus, daß sie zu einem anderen Ergebnis geführt hat. Wir können also nur dahin zurückkehren, wo wir gestanden hätten, wenn wir dieses Abstimmungsergebnis gleich gehabt hätten. Wir müssen hier sozusagen mal die Institution der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand exerzieren. Ich unterstelle, daß das Haus damit einverstanden ist, daß wir in der zweiten Lesung des Gesetzes an den Punkt zurückkehren, wo ich hätte fortfahren müssen, wenn das endgültige Abstimmungsergebnis gleich vorgelegen hätte. Das Haus ist damit einverstanden? — Dann muß ich nunmehr, da die Ziffer 1 des Umdrucks 493 abgelehnt ist, den Eventualantrag unter Ziffer 2 des Umdrucks 493 zur Abstimmung stellen, falls dazu nicht mehr das Wort gewünscht wird. — Professor Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein kurzes Wort zur Begründung; denn der Inhalt des § 1 a spricht für sich. Nach unserem Antrag sollen die Rentenmehrbeträge auch für Waisen gezahlt werden, deren Väter in dem Aufwertungszeitraum, also vor 1939, Beiträge entrichtet haben. Dieser Antrag der sozialdemokratischen Fraktion entspricht nicht nur den Versicherungsgrundsätzen, sondern auch den moralischen Anforderungen an ein Gesetz.
Deshalb bitten wir Sie, diesem Antrag zuzustimmen. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung beantrage ich namens meiner Fraktion hierüber namentliche Abstimmung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Beratung und komme zur Abstimmung. Sie haben gehört, es ist namentliche Abstimmung beantragt. Es sind auch 50 Mitglieder der Fraktion anwesend, so daß die geschäftsordnungsmäßige Voraussetzung gegeben ist. Wenn ich richtig verstehe, soll die namentliche Abstimmung über Ziffer 2 des Änderungsantrags Umdruck 493 stattfinden. Das sind die von der SPD gewünschten neu einzufügenden §§ 1, 1 a bis 1 g.
Ich lasse über die gesamte Ziffer 2 des Änderungsantrags Umdruck 493 in der zweiten Beratung des Gesetzes, zu der wir ja zurückgekehrt sind, namentlich abstimmen. Ich bitte die Schriftführer, die Abstimmungskarten einzusammeln.
Nur zur Beseitigung eines Mißverständnisses! Ich habe § 1 a begründet und habe auch zu § 1 a namentliche Abstimmung beantragt. Ich bitte deshalb den Herrn Präsidenten, die namentliche Abstimmung jetzt auf § 1 a betreffend Waisenrenten zu beschränken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Haus hat den Antrag gehört.
— Bitte, Abgeordneter Schüttler!
Ein paar Worte zur Einbeziehung der Waisen. Es könnte so aussehen, als
wenn wir uns darüber keine Gedanken gemacht hätten und so unsozial wären, die Waisen nicht einzubeziehen.
— Sie haben ja auch noch gesprochen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was Herr Abgeordneter Professor Schellenberg erläutert hat, war aber zur Abstimmung.
Gut, dann nicht mehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, jetzt bitte ich aber doch, mich etwas zu unterstützen, denn ich werde hier langsam überfordert.
Ich meine: ich lasse mich so leicht nicht aus der Ruhe bringen. — Herr Abgeordneter Schellenberg, Ihr Änderungsantrag unter Ziffer 2 des Umdrucks 493 enthält doch eine ganze Reihe von Paragraphen. Sie haben zu § 1 a namentliche Abstimmung beantragt. Das beinhaltet doch, daß ich nunmehr gezwungen bin, über jeden einzelnen der von Ihnen beantragten Zusatzparagraphen abzustimmen.
— Dann fange ich jetzt erst einmal bei dem § 1 unter der Ziffer 2 Ihres Änderungsantrages an, der geht nämlich dem § 1 a voraus. Wer dem Änderungsantrag — —
— Dazu auch?
— Ich bin ja noch gar nicht bei § 1 a; ich bin bei § 1. Sie haben doch auch noch einen § 1 in Ziffer 2 des Umdrucks 493*) beantragt. Wer diesem Änderungsantrag der SPD-Fraktion zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das letztere ist die Mehrheit; § 1 auf Umdruck 493 Ziffer 2 ist damit abgelehnt.
Nunmehr lasse ich, wie beantragt, namentlich abstimmen über § 1 a unter Ziffer 2 des gleichen Umdrucks*). Das ist auch ein Änderungsantrag der SPD. Der Antrag ist genügend unterstützt, wir müssen also die namentliche Abstimmung durchführen. Dieser § 1 a lautet:
Über die Vorschriften von § 1 des Renten-
Mehrbetrags-Gesetzes vom 23. November 1954
Über diesen § 1 a erfolgt jetzt, wie beantragt, namentliche Abstimmung. Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
Meine Damen und Herren, ich habe vorhin schon gesagt: der Tatbestand wird immer komplizierter. Ich hatte auch ausdrücklich darum gebeten, man möge mich unterstützen; denn ich kann ja hier nicht alles Formelle überschauen und dann auch noch materiell prüfen, welche Konsequenzen sich ergeben. Ich habe mir jetzt aber einmal den § 1, den wir eben abgelehnt haben, angesehen. Dieser § 1 lautet:
Bis zur Neuregelung der gesetzlichen Rentenversicherungen werden für die Zeit nach dem
*) Siehe Anlage 2.
30. November 1955 weitere Renten-Mehrbeträge nach Maßgabe der §§ 1 a bis 1 g gewährt.
Ich bin auf diesem Gebiet nicht Fachmann genug,
um beurteilen zu können, ob dann, wenn der § 1
— mir scheint es so — abgelehnt ist, die §§ 1 a bis 1 g überhaupt noch selbständig bestehen bleiben können.
— Herr Abgeordneter Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich dabei gewissermaßen nur um einen Einleitungssatz. Der Antrag, den ich in der Sache gestellt habe, ging dahin, hinter § 1 in der beschlossenen Fassung einen § 1 a im Sinne des Änderungsantrages Umdruck 493 einzufügen, und über diesen Antrag findet jetzt eine Abstimmung statt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich wollte ja nur das Problem aufwerfen, damit man mir nicht hinterher den Vorwurf macht, ich hätte mitgeholfen, ein Gesetz zu produzieren, das in sich selbst inkonsequent ist und in der Luft hängt.
Wenn noch Damen und Herren da sind, die in der namentlichen Abstimmung noch nicht abgestimmt haben, dann bitte ich, sich zu beeilen.
Ich frage zum letzten Mal: sind noch Damen und Herren da, die ihre Stimme abgeben wollen? — Dann bitte ich, sich zu beeilen. —
Ich schließe die namentliche Abstimmung.
(Abg. Schröter [Wilmersdorf] begibt sich zum Auszählungstisch, um noch seine Stimme abzugeben. — Abg. Pelster: Jetzt wird noch eine Stimme abgegeben! Das
gilt nicht!)
— Das ist Sache der Herren Schriftführer; ich kann das von hier oben nicht prüfen. Wenn ich die namentliche Abstimmung geschlossen habe, kann nachträglich keine Stimme mehr abgegeben werden.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, daß ich die Zeit, bis wir das Ergebnis haben, ausnutze, etwas nachzuholen. Ich habe vorhin über § 1 auf Umdruck 493 unter Ziffer 2 abstimmen lassen. Diese Fassung wurde abgelehnt. Dann bin ich sofort, weil das logisch schien und schon begründet war, zur Abstimmung über § 1 a — die noch nicht beendet ist — übergegangen. Ich muß da etwas nachholen. In der Ablehnung des § 1 in der Fassung des Antrages Umdruck 493 liegt ja gleichzeitig eine Stellungnahme zu § 1 in der vom Ausschuß vorgeschlagenen Fassung. Kann ich unterstellen und ist das Haus damit einverstanden, daß mit der Ablehnung des Änderungsantrages zu § 1 — Drucksache 493 — die Ausschußfassung als angenommen gilt, oder soll ich darüber jetzt zwischendurch abstimmen lassen?
— Gut, ich lasse abstimmen. Wer dem § 1 in der Ausschußfassung zustimmt, gebe das Handzeichen
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Meine Damen und Herren, das Präsidium ist sich nicht einig. Wir zählen aus. Wer § 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, gehe durch die Ja-Türe, wet dagegen ist, durch die Nein-Türe, und wer gar nicht abzustimmen wünscht, durch die Tür „Enthaltung".
Ich bitte, die Türen zu schließen. — Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich bitte, die Türen zu schließen. Die Auszählung ist beendet.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Auszählung, d. h. der Abstimmung in zweiter Beratung über die Fassung des § 1 nach der Ausschußvorlage bekannt. Mit Ja haben gestimmt 164, mit Nein 163; 6 Enthaltungen. Damit ist die Ausschußvorlage angenommen.
Ich gebe jetzt das vorläufige Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung über § 1 a auf Umdruck 493 unter Ziffer 2 bekannt. Von den stimmberechtigten Abgeordneten haben 362 abgestimmt, davon mit Ja 184, mit Nein 176; enthalten haben sich 2. Von den Berliner Abgeordneten haben 14 abgestimmt, davon mit Ja 12, mit Nein 2. Damit ist der Änderungsantrag unter Ziffer 2 des Umdrucks 493 zu § 1 a angenommen.
Ich rufe nunmehr § 1 b in der Fassung des gleichen Umdrucks — 493 Ziffer 2 — auf. Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten die §§ 1 b und 1 c zugleich begründen, weil beide in einem inneren Zusammenhang stehen. Es handelt sich darum, daß die weiteren Mehrbeträge für alle Versicherten nach den gleichen Grundsätzen gewährt werden sollen. Das ist deshalb notwendig, weil nach dem Ersten Renten-Mehrbetrags-Gesetz die unterschiedlichen Steigerungsbeträge bereits ausgeglichen worden sind. Es muß also jetzt bei einem weiteren Mehrbetrag für alle Versicherten in der gleichen Weise verfahren werden. Das bezweckt unser Antrag zu den §§ 1 b und 1 c.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihnen, damit Sie ganz klar sehen, um was es sich handelt, folgendes sagen. Bei dem ersten Renten-Mehrbetrags-Gesetz haben wir genau ausgerechnet, wie man für die gleichen Mark-Beiträge auch die entsprechende Erhöhung der Leistungen garantiert. Da wir in dem Renten-Mehrbetrags-Gesetz sehen müssen, daß der Steigerungsbetrag in der Invalidenversicherung 1,20/o des Jahresarbeitsverdienstes ausmacht und in der Angestelltenversicherung nur 0,7°/o, muß ich darauf hinweisen: das erreicht man nur, wenn man so wie im ersten Gesetz auch hier beschließt, daß für die gleiche Beitragsleistung der gleiche Zulagensatz gegeben wird.
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 6087.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Abgeordneter Dr. Berg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir lehnen den § 1 b ab, weil hier die Nivellierung der Arbeiter und Angestellten — ein Grundsatz, den wir auch bei der Beratung des ersten Renten-Mehrbetrags-Gesetzes abgelehnt haben — durchgeführt werden soll. Im übrigen schließen wir uns den Bedenken, die der Herr Minister Storch vorgebracht hat, vollinhaltlich an.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete Kalinke!
Zu § 1 b! Der Grundsatz der gleichen Behandlung, dem ich mich ebenfalls anschließe, wäre hier nur anzuwenden, wenn die von uns immer aufgezeigten Fehler des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes inzwischen beseitigt worden wären. Der Herr Bundesminister für Arbeit hat versucht — das muß auch anerkannt werden — im ersten Renten-Mehrbetrags-Gesetz und hier die Fehler des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes wenigstens insofern auszugleichen, als bei den Steigerungsbeträgen der Versuch gemacht wird, der Gerechtigkeit Genüge zu tun. Es fehlt nur am Ende die volle Anerkennung der Steigerungsbeträge, weil man, wie Sie alle wissen, den Höchstbetrag abgeschnitten hat. Wir sehen uns aus diesen Gründen — obwohl wir die unterschiedliche Wirkung in der Invalidenversicherung und der Angestelltenversicherung sehen — nicht in der Lage, die Politik des SVAG fortzusetzen. Die Änderung ist aber nicht jetzt, sondern nur bei der Reform möglich. Ich bin daher nicht in der Lage, dem Antrag der SPD zu § 1 b zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung und komme zur Abstimmung.
Ich lasse einzeln abstimmen, zunächst über § 1 b auf Umdruck 493. Wer ihm zuzustimmen wünscht, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Abgelehnt.
§ 1 c auf dem gleichen Umdruck. Wer ihm zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei gleichen Mehrheitsverhältnissen abgelehnt.
Ich rufe nunmehr auf — kann ich sie gemeinsam aufrufen? — die §§ 1 d, 1 e und 1 f.
Herr Professor Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es muß eine gesonderte Beratung und Abstimmung über die einzelnen Paragraphen erfolgen.
Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten § 1 e begründen. § 1 e bezweckt, den unerfreulichen Zustand, den mein Kollege Dannebom gekennzeichnet hat — daß 900 000 Rentner nur eine Zulage zwischen 1 DM und 3 DM erhalten —, zu beseitigen. Wir beantragen Mindestbeträge an Mehrbeträgen zu gewähren, und zwar 6 DM für die Versicherten, 4 DM für die Witwen und 2 DM für die Waisen, eine Vorschrift, die jetzt nach Annahme des § 1 a auch eine praktische Bedeutung für Waisen hat.
Von dieser Vorschrift werden insgesamt 1,6 Millionen Rentner betroffen. Denn für 1,6 Millionen Rentner liegen die Mehrbeträge unter den von uns beantragten Sätzen. Der Gesamtaufwand für
unseren Antrag beträgt 49 Millionen DM. Da aber das erste Renten-Mehrbetrags-Gesetz nicht den Aufwand von 824 Millionen, den die Bundesregierung dem Hause mitgeteilt hat, ausmachte, sondem n nur einen Aufwand von 650 Millionen, also 170 Millionen DM weniger, als von der Bundesregierung und von den Sprechern insbesondere der CDU erklärt wurde, halten wir es auch durchaus für finanziell tragbar, einen solchen Mehraufwand von noch nicht 50 Millionen DM bereitzustellen, um gewisse Mindestleistungen auch an den Mehrbeträgen für alle Rentner zu gewährleisten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete Kalinke!
Meine Herren und Damen! Für diejenigen, für die dieser § 1 e verlockend vernünftig erscheint, möchte ich ausdrücklich sagen, daß die SPD mit diesem Antrag nur die Bestätigung für meine Ausführungen gegeben hat, „daß man Leuten mit kleinen Renten nicht mit Hilfe des Versicherungsprinzips helfen kann."
Wenn Sie diesen Antrag annehmen, dann führen Sie den Begriff der Mindesterhöhung und der Mindestrente aus dem Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz, der sich so unselig ausgewirkt hat, im Zweiten Renten-Mehrbetrags-Gesetz wieder ein. Das ist nicht richtig. Ihr eigener Antrag zeigt, was ich Ihnen klarzumachen versucht habe: daß dies kein guter sozialpolitischer Weg ist. Wir können aus grundsätzlichen Erwägungen, weil wir nicht weitere Unordnung in der Sozialpolitik haben wollen, diesem Antrag nicht zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird weiter das Wort gewünscht? — Herr Professor Schellenberg!
Wir beantragen, namentlich abzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Über welchen Paragraphen?
§ 1 e!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
An § 1 d sind wir jetzt dran. Ich lasse abstimmen über § 1 d gemäß Umdruck 493. Wer § 1 d in der Fassung des Antrags auf Umdruck 493 Seite 2 zuzustimmen wünscht, gebe ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Letzteres war die Mehrheit.
— Es wird nicht namentlich abgestimmt, Frau Kollegin Weber. Das war § 1 d; die namentliche Abstimmung kommt erst bei § 1 e. — § 1 d ist mit Mehrheit abgelehnt.
Nunmehr lasse ich abstimmen, und zwar namentlich, über § 1 e auf Umdruck 493 Seite 2. Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
Meine Damen und Herren, ich frage, ob jedermann seine Stimmkarte zu dem Änderungsantrag auf Umdruck 493 bezüglich § 1 e abgegeben hat. — Die Abstimmung ist geschlossen.
Meine Damen und Herren, während der Auszählung der Stimmen zu dem Änderungsantrag bezüglich § 1 e fahren wir fort, nachdem ich mich davon überzeugt habe, daß mit dem Änderungsantrag bezüglich § 1 f fortgefahren werden kann. — Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch § 1 f wollen wir sicherstellen, daß die Rentner, die Mehrbeträge erhalten, auch wirtschaftlich in den vollen Genuß dieser Mehrbeträge kommen. Die Erfahrungen des Ersten Renten-Mehrbetrags-Gesetzes haben den unerfreulichen Tatbestand gezeigt, daß sehr viele Rentner zwar eine Erhöhung der Mehrbeträge erhalten haben, aber andere Sozialleistungen durch die Anrechnungsvorschriften in dem gleichen Ausmaße gekürzt wurden. Das ist nicht nur sozialpolitisch, sondern auch verwaltungsmäßig äußerst unerfreulich. Zwei oder drei verschiedene Sozialinstitutionen werden in Bewegung gesetzt, es werden Bescheide erteilt, aber im Ergebnis kommt für die Menschen nichts heraus.
Der Umfang dieser Anrechnung ist außerordentlich groß. Wir haben jetzt durch die sogenannte L-Statistik genaue zahlenmäßige Unterlagen darüber. Auf Grund des Ersten Renten-MehrbetragsGesetzes wurden bisher für etwa 1 200 000 Rentner die Mehrbeträge auf sonstige Sozialleistungen wieder angerechnet. Das ist sozialpolitisch nicht tragbar, und deshalb beantragen wir, mit § 1 f eine Vorschrift aufzunehmen, die die Anrechnung ausschließt.
Auch hier muß ich wegen der sozialpolitischen Bedeutung trotz der fortgeschrittenen Zeit für meine Fraktion namentliche Abstimmung beantragen.
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage, die in dem Antrag zu § 1 f angesprochen wird, steht selbstverständlich schon seit langem in der Diskussion. Wir haben in der Ausschußvorlage in § 2 Abs. 2 für die sechsmonatige Vorschußzahlung die Nichtanrechnung auf die Leistungen nach den verschiedenen anderen Sozialgesetzen bereits vorgesehen. Wir sind aber nicht der Meinung, daß man darüber hinaus für das Renten-Mehrbetrags-Gesetz, losgelöst von der gleichzeitigen Betrachtung aller anderen Problematik, die da hineinfällt, jetzt schon in dem von § 1 f vorgeschlagenen Sinne beschließen sollte. Wenn wir nämlich heute die Dinge in einem der Sozialversicherungsgesetze für die Dauer festlegen, dann präjudizieren wir damit auch alle anderen Sozialgesetze. Die Einführung gleicher Bestimmungen müßte dann quasi zwangsläufig erfolgen. Wir sind der Auffassung, daß diese Fragen, nachdem sie auch im Sachverständigenbeirat und in den zuständigen Gremien, die sonst bei der Bundesregierung bestehen, diskutiert werden, bei der endgültigen Neuordnung der sozialen Leistungen eine Regelung finden müssen. Deshalb können wir hier eine Entscheidung heute nicht treffen, sondern müssen sie
bis zu dem Zeitpunkt zurückstellen, zu dem uns die Bundesregierung nach Vorbereitung der Gesetzentwürfe die entsprechenden Vorlagen unterbreitet. Aus diesem Grunde sehen wir uns heute nicht in der Lage, dem § 1 f zuzustimmen, sondern glauben, daß die hier vorgesehene Regelung bei der späteren Neuordnung getroffen werden muß.
Weitere Wortmeldungen zu § 1 f liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zur namentlichen Abstimmung kommen — sie ist ausreichend unterstützt —, gebe ich das vorläufige Ergebnis*) der letzten Abstimmung — über § 1 e — bekannt. Abgegebene Stimmen 355. Mit Ja haben 'gestimmt 170, mit Nein 184 Mitglieder des Hauses, Enthaltungen: 1. Berliner Abgeordnete: abgegebene Stimmen 14, Ja 11, Nein 3. Zusammen 355 bzw. 14. Meine Damen und Herren, 'damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Wir kommen zur namentlichen Abstimmung über § 1 f. Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, die Abstimmungskarten einzusammeln.
Ich frage, meine Damen und Herren, ob alle Abstimmungskarten eingesammelt sind. Hat jeder seine Abstimmungskarte abgegeben? — Die Abstimmung ist geschlossen.
Meine Damen und Herren, ich möchte gern den Versuch machen, weiterzukommen. Ich rufe § 1 g des vorliegenden Änderungsantrages auf. Dazu wird das Wort nicht gewünscht? - Ich schließe die Beratung darüber und komme zur Abstimmung. Wer dem § 1 g in der Fassung des Umdrucks 493 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den § 2 nach der Drucksache 1780 auf. Meine Damen und Herren, hierzu ist 'inzwischen ein Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion eingereicht. Ich nehme an, daß dieser Antrag noch nicht vervielfältigt vorliegt.
— Er liegt noch nicht vervielfältigt vor. Wird das Wort zur Begründung dieses Antrages gewünscht?
— Ist schon geschehen. Meine Damen und Herren, dann wird das Wort zu diesem Änderungsantrag nicht gewünscht. Aber ist denn das Haus nun in Kenntnis des Textes?
— Meine Damen 'und Herren, Sie haben ein Recht darauf, daß der Antrag schriftlich vorliegt, wenn wir zur Abstimmung kommen sollen. Einen Augenblick, ich will mich einmal erkundigen. — Der Antrag liegt vor, aber er ist noch nicht vervielfältigt.
Meine Damen und Herren, wir wollen den Versuch machen, so zur Abstimmung darüber zu kommen. Ich lese ihn vor:
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 6087.
Der Bundestag wolle beschließen:
— heißt es hier —
In § 2 Abs. 1 Satz 1 des Entwurfs eines Zweiten Renten-Mehrbetrags-Gesetzes werden die Worte „die Träger der Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestellten" ersetzt durch die Worte „die Träger der Rentenversicherung der Arbeiter, der Rentenversicherung der Angestellten und der knappschaftlichen Rentenversicherung".
Es handelt sich also hier um die Einfügung. Man hätte gerade so gut sagen können: Es wird beantragt, einzufügen: „der knappschaftlichen Rentenversicherung".
Meine Damen und Herren, können wir über diesen Antrag zur Abstimmung kommen, auch wenn er nicht vervielfältigt vorliegt?
— Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist einstimmig beschlossen.
Nun kommen wir zu dem § 2 mit der Änderung, d. h. mit der Einfügung der knappschaftlichen Rentenversicherung, die wir soeben beschlossen haben. Wer diesem § 2 in der Fassung der Drucksache 1780 -- wie gesagt, mit der eben bekanntgegebenen Ergänzung — zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist einstimmig angenommen.
Nun, meine Damen und Herren, gebe ich das vorläufige Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung über den § 1 f des Änderungsantrags Umdruck 493 bekannt: abgegebene Stimmen 352; mit Ja haben gestimmt 183, mit Nein haben gestimmt 166, enthalten haben sich 3; bei den Berliner Abgeordneten: abgegebene Stimmen 14; mit Ja 11, mit Nein 3. Damit ist der Änderungsantrag betreffend die Einfügung eines § 1 f angenommen.
Jetzt rufe ich auf den Änderungsantrag Umdruck 493 Ziffer 3. Danach soll ein § 2 a eingefügt werden. Ich frage, ob dazu das Wort gewünscht wird. — Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich um die Aufbringung der Mittel. Nach dem Beschluß des Ausschusses soll eine endgültige Regelung der Finanzierung dergestalt getroffen werden, daß im wesentlichen die Träger der Rentenversicherung die Mehrbeträge aus ihren Mitteln endgültig zahlen. Die SPD schlägt demgegenüber vor, daß die Mehrbeträge lediglich bevorschußt werden, und zwar deshalb, weil die endgültige finanzielle Regelung im Zusammenhang mit der gesetzlichen Neuordnung der Rentenversicherung getroffen werden soll. Es dürfen nicht hier schon Tatsachen geschaffen werden, die die Rentenversicherung in dieser Höhe endgültig belasten.
Wird dazu weiter das Wort gewünscht? — Der Herr Bundesarbeitsminister!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Praktisch ist die Sache so, daß, wenn Sie diesem Änderungsantrag zustimmen, vorläufig die Rentenversicherungsträ-
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 6087.
ger den gesamten Betrag auf den Tisch zu legen haben. Wir haben mit dem Herrn Bundesfinanzminister Verhandlungen darüber geführt, daß er auch jetzt sofort den auf ihn entfallenden Teil aufbringt und für die Durchführung dieses Gesetzes zur Verfügung stellt. Ich bin nicht der Meinung, daß man diese ganz bestimmt bessere Regelung durch eine schlechtere ersetzen sollte.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß sagen, daß der Herr Bundesarbeitsminister offenbar Satz 2 übersehen hat. In Satz 2 haben wir ausdrücklich gesagt:
Dies gilt nicht, soweit Renten-Mehrbeträge nach dem Renten-Mehrbetrags-Gesetz vom Bund zu tragen sind.
Wir wollen also den Bundesfinanzminister in keiner Weise entlasten, aber keine endgültige Regelung der Finanzierung für den anderen Teil treffen.
Weitere. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache über die Ziffer 3 des Änderungsantrages und komme zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 493 unter Ziffer 3 auf Einfügung dieses § 2 a zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Also, meine Damen und Herren, meine Herren Mitarbeiter können sich nicht einigen. Deshalb bitte ich, die Abstimmung zunächst durch Aufstehen zu wiederholen. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Meine Damen und Herren, die Meinungen gehen auch jetzt auseinander. Hammelsprung!
Meine Damen und Herren, ich bitte sich zu beeilen. — Das sind wohl die Damen und Herren aus Berlin, die das „Privileg" haben, noch im Saal zu weilen — zu meinem Bedauern.
— Leider, ja!
Ich bitte die Türen zu schließen. — Türen öffnen, bitte! Die Auszählung beginnt.
Meine Damen und Herren, die Auszählung hat begonnen. Ich bitte sich zu beeilen.
Ich bitte, die Türen zu schließen. — Die Auszählung ist beendet. —
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Mit Ja haben 172 Mitglieder des Hauses gestimmt, mit Nein 154 Mitglieder des Hauses; zwei Mitglieder haben sich enthalten. Damit ist der Änderungsantrag Umdruck 493 Ziffer 3 angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die §§ 3, 4 und 5, Einleitung und Überschrift. § 3 ist entfallen.
— Meine Damen und Herren, ich darf um einige Aufmerksamkeit bitten.
Wir haben hier den ganz ungewöhnlichen Fall, daß wir uns in einer zweiten zweiten Beratung befinden. Ich muß Ihnen deshalb auch die ungewöhnliche Frage vorlegen, ob es bei den Abstimmungen zu den §§ 3 — der entfällt —, 4 und 5, Einleitung und Überschrift, die wir hier in der ersten zweiten Beratung vorgenommen haben, bleiben soll oder ob Sie erneute Abstimmung wünschen. — Herr Abgeordneter Dr. Schneider!
Bezüglich der §§ 3 und 4 könnte es dabei bleiben. Aber wir haben, weil der § 1 ursprünglich geändert war, dann in der ersten zweiten Beratung die Überschrift des Gesetzes geändert. Deshalb müssen wir sie jetzt neu beschließen analog dem, was materiell im Gesetz steht.
Ich darf also feststellen, Herr Kollege, daß diese Überschrift noch nicht beschlossen worden ist.
— Vorher beschlossen, durch die Änderung des § 1 materiell wieder verändert worden ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mellies.
In dieser ungewöhnlichen Situation, die, wie Sie mit Recht bemerkt haben, zum ersten Male auftritt, bitte ich, doch auch über die §§ 4 und 5 noch einmal abstimmen zu lassen. Denn es war doch so, daß die erste zweite Lesung unter der irrigen Voraussetzung erfolgte, daß der § 1, wie das vorläufige Ergebnis ergab, angenommen war. Erst nachher konnte doch die ordentliche zweite Lesung erfolgen. Wir befinden uns jetzt in der ordentlichen zweiten Lesung. Ich bitte deshalb, auch die Abstimmungen alle noch einmal vornehmen zu lassen. Gerade weil es der erste Fall in diesem Hause ist, sollten wir Wert darauf legen, daß es ganz klar hier durchgezogen wird.
Meine Damen und Herren, wenn die Sache so gewünscht wird, empfehle ich dem Hause, daß so verfahren wird. Wir können nicht gegen einen etwaigen Einspruch anders verfahren.
Ich lasse zunächst abstimmen über § 3, der entfallen soll. Es besteht Einmütigkeit im Hause darüber, daß der § 3 nunmehr entfällt. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich lasse abstimmen über § 4. Wer dem § 4 in der Ausschußfassung Drucksache 1842 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf § 5. Wer dem § 5 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der § 5 ist angenommen.
Nun kommt die Frage der Einleitung und der Überschrift. Bei der ersten zweiten Beratung, die wir gehabt haben, wurde die Überschrift des Gesetzes geändert in
Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Vorschüssen auf weitere Rentenmehrbeträge.
Ich frage das Haus, ob es dabei bleiben soll.
— Also es soll zurückgekehrt werden zu der alten Überschrift:
Entwurf eines Zweiten Renten-MehrbetragsGesetzes .
Ist das Haus damit einverstanden?
— Ja. — Damit, meine Damen und Herren, haben
wir die zweite Lesung beendet. Ich nehme an, daß
das Haus damit einverstanden ist, daß wir zur
dritten Lesung
kommen. Ich eröffne die dritte Beratung. Das
Wort zur allgemeinen Aussprache in der dritten
Beratung hat der Abgeordnete Professor Preller.
Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam, daß mir vier oder fünf Wortmeldungen vorliegen. Ich bitte also entweder die Damen und Herren, die das Wort nehmen, sich kurz zu fassen, oder aber die übrigen, sich darauf einzurichten, daß wir noch einige Zeit brauchen, bis wir das Gesetz verabschiedet haben. Ich möchte deshalb bitten, mich mit Urlaubsanträgen, die fortlaufend hier eingehen, zu verschonen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte mich gern an die Anregung des Herrn Präsidenten, man möge sich kurz fassen, wäre aber dankbar, wenn mir die Damen und Herren doch einen Augenblick Aufmerksamkeit schenken wollten.
Leider ist genau das eingetreten, was wir im Ausschuß verhüten wollten. Es ist nämlich hier deutlich geworden, daß über die Zweckmäßigkeit des Renten-Mehrbetrags-Gesetzes als Grundlage für die Erhöhung der Renten offensichtlich Zweifel bestehen. Sie, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, hatten sich, wie ich weiß, intern mehrfach dahin geäußert, daß die Anregung, die die SPD-Fraktion gegeben hatte, auch vielen von Ihnen angenehm sei. Sie hatten gespürt, daß dahinter das ernste Anliegen stand, die Punkte, in denen wir einig waren, herauszuheben und jene anderen Punkte, bei denen Einigkeit noch nicht bestand, nach Möglichkeit im Ausschuß unter uns auszuhandeln. Das war der Sinn des Antrags, den ich im Namen der der SPD-Fraktion angehörenden Mitglieder des Ausschusses am Montag abend gestellt hatte. Wir waren, wie Sie wissen, sehr bedrückt darüber, daß Sie dieser Anregung nicht gefolgt sind.
Ich erinnere daran, daß alle anderen Parteien, von der FDP bis zur SPD, einmütig der Auffassung waren, wir sollten die ruhige Atmosphäre einer Verhandlung von Mann zu Mann, von Frau zu Frau beibehalten. Meine Damen und Herren, auch Sie werden jetzt der Auffassung sein — ich zweifle nicht daran —, wir hätten uns die letzten zwei oder drei Stunden ersparen können, uns und auch der Öffentlichkeit ersparen können, wenn im Ausschuß bei der CDU-Fraktion die Bereitwilligkeit bestanden hätte, über ihren eigenen Antrag wirklich zu verhandeln. Sie wissen, daß ihr Sprecher, Herr Abgeordneter Horn, das leider versagte, indem er erklärte: „Wir können Abänderungswünsche nicht berücksichtigen" und dann in einer späteren Berichtigung seiner Darlegungen sagte: „Es entscheidet die Mehrheit". Jeder wußte, was „die Mehrheit" im Ausschuß bedeutet.
— Die Aufklärung eines Mißverständnisses, und diese Aufklärung klärte uns darüber auf, daß Sie, Herr Abgeordneter Horn, gewillt waren, mit Ihrer Mehrheit Ihren Entwurf ohne Abänderungen durchzusetzen. Das war der Inhalt der Erklärung.
Nun stehen wir, meine Damen und Herren, doch fast vor einem Trümmerhaufen. Die Gutwilligkeit, die die anderen Parteien der CDU gezeigt hatten, ist durch das Vorgehen, das wir heute erlebt haben, leider zuschanden geworden. Wir stehen vor der Frage, ob Sie gewillt sind, den Weg, den wir vorgeschlagen hatten, doch noch zu gehen, ob Sie nicht den Versuch machen wollen, mit Ihrer Mehrheit nicht gegen eine überwältigend bestätigte andere Auffassung in diesem Hause anzustehen. Das, meine Damen und Herren, ist die eigentliche Frage, vor die wir jetzt gestellt sind.
Die Abstimmung über unseren § 1 hatte Gleichheit der Stimmen ergeben, d. h. das Haus ist in genau gleich große Hälften gespalten in der Auffassung, ob wir nicht zunächst nur die Vorauszahlungen regeln und dann im Ausschuß über die hier wieder strittig gewordenen Fragen in Ruhe und Sachlichkeit — und ohne die Fenster draußen zu beachten — miteinander sprechen sollten. Wenn das Haus in dieser Weise praktisch in genau zwei Hälften gespalten ist, soll dann die — wie Ihnen zuzugeben ist — bestehende Mehrheit der CDU/ CSU-Fraktion, die faktisch mit einer Stimme die Mehrheit in diesem Hause hat, ihren Willen den anderen aufzwingen, die mit solcher Deutlichkeit gezeigt haben, daß sie Bedenken haben und daß sie gewillt sind, diese Bedenken mit Ihnen sachlich durchzusprechen?
Das ist die Frage, vor die wir jetzt in der dritten Lesung gestellt sind, und ich bitte Sie herzlich, jetzt nicht den Standpunkt „Stimmenmehrheit" durchzusetzen, sondern, ich darf einmal sagen, die Stimme der Vernunft, aber ich möchte auch gleichzeitig sagen: die Stimme des Herzens zur Geltung zu bringen, — wenn auch leider in der CDU/CSU-Fraktion über solche Worte gelacht wird.
— Ja, leider ist gelacht worden!
— Entschuldigen Sie, ich möchte den Namen des Herrn nicht nennen; es wäre peinlich für ihn.
Meine Damen und Herren, regen Sie sich darüber bitte nicht auf. Auch ich habe gesehen, daß mindestens ein Lächeln über ein Gesicht gehuscht ist.
— Lassen Sie das dahingestellt. Man kann hier nicht vom Präsidium oder Rednerpult aus auch noch Gefühlsregungen kontrollieren; das geht nicht.
— Fahren Sie bitte fort.
Sehen Sie, eine solche Auseinandersetzung wie jetzt zwischen Ihnen und mir sollten wir uns in diesem Hause ersparen.
Wir sollten sie uns ersparen, weil es immerhin um
diejenigen geht, die doch wohl die Letzten sind,
die an dem Aufschwung der Bundesrepublik teilhaben, ja, die keineswegs voll, zum Teil überhaupt nicht daran beteiligt sind.
Weil das so ist und weil wir hier nicht über Prinzipien sprechen, sondern über das Schicksal von 5 Millionen Menschen und ihrer Angehörigen, deshalb sollte diese Sache uns so ernst sein, daß sie uns einer ernsthaften Auseinandersetzung würdig ist.
Es geht um die Würde dieses Hauses, und um der Würde des Hauses willen bitte ich Sie, dem Antrag, den wir jetzt noch einmal einbringen werden, zuzustimmen. Nach Ziffer 1 des Antrags Umdruck 493 — mit der Einfügung für die Knappschaftsversicherung — sollen zunächst einmal nur die Vorschußzahlungen geregelt werden. Im Ausschuß wollen wir uns über die Fragen, die sonst noch zwischen uns strittig sind, in Sachlichkeit und in Ruhe aussprechen. Ich habe leider den Wortlaut dessen, was Herr Kollege Stingl in Berlin gesagt hat, im Moment nicht da; er liegt dort auf meinem Pult. Aber sinngemäß hat er in Berlin im Zusammenhang mit Lohnfragen gesagt: Wir sollten uns angewöhnen, aufeinander zu hören und uns in Ruhe anzuhören. — In diesem Sinne, meine Damen und Herren, bitte ich Sie, in dieser Frage nunmehr einen Weg zu gehen, der uns alle schließlich zu einer einmütigen Stellungnahme in der Frage der Erhöhung der Renten führen kann.
Meine Damen und Herren, ich bin davon ausgegangen, daß wir zunächst, wie es die Geschäftsordnung vorsieht, die dritte Beratung mit einer allgemeinen Aussprache eröffnen. Ich sehe, daß der Antrag der Fraktion der SPD zu § 1 gleichzeitig wieder eingebracht und begründet worden ist. Ich schlage Ihnen dennoch vor, daß wir zunächst in der allgemeinen Aussprache fortfahren.
- Zur Geschäftsordnung will ich das Wort geben dem Abgeordneten Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage schon an dieser Stelle, bevor die Debatte bis zu Ende durchgeführt ist, anschließend eine Unterbrechung der Sitzung für die Dauer einer Viertelstunde.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, Sie beantragen also jetzt schon eine Unterbrechung der Sitzung für eine Viertelstunde?
— Also Sie möchten, daß die Sitzung sofort für eine Viertelstunde unterbrochen wird?
— Eine halbe Stunde, schön! — Also es wird Unterbrechung um eine halbe Stunde beantragt. Bevor wir darüber abstimmen, meine Damen und Herren, möchte ich Ihnen aber folgendes zu erwägen geben. Wollen Sie erst noch die
beiden Redner Dr. Berg und Frau Finselberger hören, die für die dritte Lesung — ich nehme an für die allgemeine Beratung — noch zum Wort gemeldet sind, oder verzichten die beiden?
— Der Herr Abgeordnete Berg verzichtet. Darf ich Frau Finselberger fragen.
— Frau Finselberger verzichtet auch. Damit, meine Damen und Herren, ist die allgemeine Beratung in der dritten Lesung beendet.
Es ist beantragt Unterbrechung für 30 Minuten. Ich schlage Ihnen vor, wenn Sie dem Antrag stattgeben wollen, daß wir uns pünktlich um 15 Uhr hier wieder versammeln. Ist das Haus damit einverstanden, daß für 30 Minuten unterbrochen wird?
— Das Haus ist damit einverstanden.
Die CDU versammelt sich in ihrem Fraktionssaal.
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.
Die Sitzung wird um 15 Uhr 14 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die unterbrochene Sitzung. Ich darf bitten, Platz zu nehmen. Wir befinden uns in der dritten Lesung des Zweiten Renten) Mehrbetrags-Gesetzes. Die allgemeine Beratung ist beendet. Die Begründung des Änderungsantrags der Fraktion der SPD auf Umdruck 493 Ziffer 1*) haben Sie gehört. Ich frage, ob dazu das Wort gewünscht wird.
Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen, die Herr Kollege Dr. Preller vorhin machte, geben uns Veranlassung, Sie zu bitten, heute einer Vertagung der Sitzung und dem Antrag zuzustimmen, daß für Donnerstag nächster Woche, 14 Uhr, eine Sondersitzung für die weitere Beratung dieses Gesetzentwurfs angesetzt wird. In der Zwischenzeit soll sich nach unserem Willen der Sozialpolitische Ausschuß noch einmal mit der Materie beschäftigen.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag des Herrn Abgeordneten Stingl gehört.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bitten den Vertagungsantrag der CDU abzulehnen. Am Sonntag wurde der Vorsitzende des Sozialpolitischen Ausschusses von dem Sprecher der CDU angerufen und gebeten, für Montagabend den Sozialpolitischen Ausschuß einzuberufen, weil es unbedingt erforderlich *) Siehe Anlage 2.
sei, das Gesetz noch in dieser Woche zu verabschieden. Wir sind in die dritte Beratung eingetreten. Wir werden den Vertagungsantrag ablehnen, und wir beantragen, in der Abstimmung fortzufahren.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme nur deshalb das Wort, weil ich jetzt von Herrn Professor Schellenberg persönlich angesprochen worden bin. Es ist richtig, daß ich den Herrn Vorsitzenden des Ausschusses, den Kollegen Richter, um die Einberufung einer Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses für vergangenen Montag, also um eine gewisse Vorziehung dieser Beratung gebeten habe. Diese Bitte und der Hinweis auf die Dringlichkeit waren aber nicht zuletzt dadurch bedingt, daß nach dem damaligen Stand der Dinge für die nächste Woche eine Plenarsitzung überhaupt nicht vorgesehen war.
— Ein sehr billiger Einwurf! — Aber nachdem die Situation so ist, sind wir der Meinung, es wäre recht, wenn wir nach dem Appell, den Herr Professor Preller vorhin speziell an uns gerichtet hat, für unseren Antrag Zustimmung fänden, damit wir in der CDU/CSU-Fraktion diese Angelegenheit im Einvernehmen mit der Bundesregierung noch einmal erörtern können, dann in den Verständigungsversuch im Sozialpolitischen Ausschuß eintreten und am nächsten Donnerstag über die Dinge beraten können. Also das Gegenargument, das eben Herr Professor Schellenberg mit Bezug auf meine Person vorgebracht hat, sticht nicht.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Berg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Freunde und ich stimmen dem Vertagungsantrag zu. Das Klima der heutigen Beratung war wirklich kein besonders gutes; es war im Gegenteil sehr schlecht. Wir würden der Wichtigkeit der Vorlage nur gerecht, wenn wir in der nächsten Woche im Sozialpolitischen Ausschuß noch einmal zusammenkämen, um am Donnerstag im Parlament die Dinge erneut besprechen zu können, dann aber hoffentlich in einem besseren Klima.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat die Frau Abgeordnete Finselberger.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich bedauere eigentlich, 'daß Herr Dr. Berg dem Vertagungsantrag zustimmen will. Wir haben nun seit Wochen in der Presse lesen müssen — das ist gerade von der CDU/CSU-Fraktion in die Presse lanciert worden —, daß das Gesetz in dieser Woche verabschiedet werden müsse. Wir haben uns deshalb auch im Ausschuß darauf vorbereitet. Ich sehe nicht ein, nachdem unsere Geduld und unsere Zeit in so starkem Maße in Anspruch genommen worden ist, weshalb wir nun vertagen sollen. Ich möchte in aller Freundlichkeit alle Abgeordneten bitten, dem Vertagungsantrag nicht zuzustimmen. Wir wollen die Arbeit fortsetzen, damit den Rent-
nern, wie es unserer Zielsetzung entspricht, endgültig geholfen wird, und wollen heute noch dieses Gesetz verabschieden.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Preller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur zwei Worte, weil ich hier angesprochen worden bin. Der Vorschlag, den ich vorhin gemacht habe, zunächst nur die Vorschußzahlungen in der vorgesehenen Weise zu regeln und dann die Ausschußsitzungen zu ermöglichen, gab und soll Ihnen das geben, was auch Sie selbst wünschen: daß wir im Ausschuß über die Dinge in Ruhe sprechen. Aber die Rentner, meine Damen und Herren, sollen heute und hier wissen, daß ihre Vorschußzahlungen heute und hier geregelt werden.
Meine Damen und Herren, damit ist die Debatte zur Geschäftsordnung geschlossen.
Ich lasse zunächst abstimmen über den Antrag auf Zurückverweisung an den Ausschuß, mit dem der andere Antrag verbunden ist, am nächsten Donnerstag, dem 17. November — und ich setze in dem Falle, daß der Termin beschlossen werden sollte, fest: 14 Uhr — über diese Frage abschließend zu beraten. Das ist — wenn ich recht verstanden habe — der Inhalt des Antrags, der von dem Abgeordneten Stingl eingebracht ist und über den ich zunächst abstimmen lasse. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Meine Damen und Herren, ich muß bitten, die Abstimmung durch Aufstehen zu wiederholen. Wer dem Antrag Stingl zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Meine Damen und Herren, im Vorstand besteht keine Einmütigkeit. Wir kommen zum Hammelsprung. Damit klar ist, worüber wir abstimmen: wir stimmen über den Antrag Stingl ab!
Meine Damen und Herren, ich bitte, sich zu beeilen. Ich bitte, die Türen zu schließen.
— Besteht ein Zweifel darüber, ob die Berliner Abgeordneten mitstimmen? — Berliner Abgeordnete können mitstimmen!
Ich bitte, die Türen zu öffnen und mit der Auszählung zu beginnen.
Ich bitte, die Auszählung zu beenden und die Türen zu schließen. — Die Auszählung ist beendet.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Für den Antrag Stingl haben gestimmt 169 Mitglieder des Hauses, dagegen haben gestimmt 162 Mitglieder des Hauses, der Stimme enthalten haben sich 2 Mitglieder des Hauses. Damit ist die Rückverweisung dieses Gesetzentwurfes an den Ausschuß für Sozialpolitik beschlossen. Außerdem ist beschlossen, daß die Vorlage am nächsten Donnerstag, dem 17. November, 14 Uhr, hier wieder aufgerufen wird.
Ich komme zu Punkt 6 der Tagesordnung.
— Meine Damen und Herren, ich appelliere an Sie, daß wir diesen letzten Punkt der Tagesordnung hier noch in Ruhe erledigen. Der Punkt muß erledigt werden. —
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/ BHE, DP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin (Drucksache 1707 [neu]);
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (Drucksache 1839).
Berichterstatter: Abgeordneter Klingelhöfer.
Ich frage, ob das Wort zur Berichterstattung gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Beratung der zweiten Lesung. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung in der zweiten Lesung. Ich nehme an, daß Sie damit einverstanden sind, daß wir die einzelnen Artikel, Einleitung und Überschrift in der Abstimmung miteinander verbinden. — Es wird nicht widersprochen.
Ich komme also zur Abstimmung über Art. 1, Art. 2, Art. 3, Einleitung und Überschrift des Antrags Drucksache 1707 . Wer diesen Vorschriften zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, ich komme zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die dritte Beratung. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Beratung. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem vorliegenden Gesetzentwurf Drucksache 1707 in der unveränderten Fassung der zweiten Lesung zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Ich stelle die einstimmige Annahme dieses Gesetzentwurfs fest.
Damit ist die Tagesordnung von heute erschöpft.
Ich darf folgendes bekanntgeben. Der Ausschuß für Geld und Kredit tritt um 16.30 Uhr in Zimmer 210 zusammen. Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht teilt mit, daß er nicht, wie vorgesehen, um 15 Uhr, sondern im Anschluß an die Plenarsitzung im Sitzungssaal 206 tagt. Der Ausschuß für Kommunalpolitik teilt mit, daß die heute für 15 Uhr vorgesehene Sitzung ausfällt.
In Abänderung des gestern bekanntgegebenen Termins für die nächste Fragestunde — 14. Dezember — hat der Ältestenrat in seiner heutigen Sitzung vereinbart, bereits am 8. Dezember eine Fragestunde vorzusehen. Sperrfrist zur Einreichung der Fragen hierfür ist Freitag, 2. Dezember, 12 Uhr. Vor Weihnachten soll dann noch eine zweite Fragestunde am 15. Dezember sein. Sperrfrist hierfür ist Freitag, 9. Dezember, 12 Uhr.
Nun habe ich das Wort noch zu einer Erklärung an Herrn Abgeordneten Brandt zu geben. Ich bitte die Mitglieder des Hauses, Platz zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe um die Erlaubnis gebeten, eine Erklärung zu den Eigentümlichkeiten zweier heute stattgefundener Abstimmungen abgeben zu dürfen.
Bei der ersten namentlichen Abstimmung wies das berichtigte Ergebnis eine Ablehnung durch Stimmengleichheit aus. Ein Mitzählen der Berliner Stimmen würde eine Annahme mit einer Mehrheit von 11 Stimmen ergeben haben. Der erste Hammelsprung, der zur zweiten Lesung durchgeführt wurde, ergab eine Ablehnung des Antrags, um den es ging, mit einer Stimme. Eine Beteiligung der Berliner Abgeordneten würde ein anderes Ergebnis gezeitigt haben.
Ich erlaube mir daher und nicht erst zum erstenmal, die Frage zu stellen, wie lange sich dieses Hohe Haus noch damit abfinden will, daß den Berliner Abgeordneten das Stimmrecht vorenthalten wird.
Ich frage, wie lange noch alliierte Vorbehalte aus dem Jahre 1949 dahin wirken sollen, daß hier in bestimmten umstrittenen Fällen zur Mehrheit erklärt wird und erklärt werden muß, was es in Wirklichkeit nicht ist, was es nur durch eine künstliche Trennung in diesem Hause ist.
Ich benutze die Gelegenheit, um zu erklären, daß der Ausschluß der Berliner Abgeordneten vom Stimmrecht bei der Verabschiedung von Bundesgesetzen auf die Dauer zu einer Unmöglichkeit wird, ja schon zu einer Unmöglichkeit geworden ist. Niemand wird nämlich behaupten können, daß die Sicherheit der alliierten Mächte oder ihr Status in Berlin berührt werden, wenn hier, wie heute, über Renten abgestimmt wird.
Berlin ist mindestens so betroffen wie irgendein anderes Land der Bundesrepublik; Berlin hat darum auch das gleiche Recht auf Mitentscheidung. Solange hier doppeltes Recht existiert, solange das mindere Recht von 22 Abgeordneten durch jenen Kasten dort, einen Kasten zusätzlicher Spaltung Deutschlands, symbolisiert wird,
solange dürfte niemand von uns den Anspruch der demokratischen Mehrheit für sich erheben, wenn er weiß, daß er diesen Anspruch allein auf objektiv längst überholte Besatzungsauflagen stützen kann.
Ich halte es für geboten, daß sich die Fraktionen dieses Hauses und das Hohe Haus selber um eine Beantwortung dieser Fragen bemühen.
Meine Damen und Herren, eine Aussprache über Erklärungen ist in unserer Geschäftsordnung nicht vorgesehen. Ich gebe das Wort zu einer weiteren Erklärung dem Abgeordneten Dr. Krone.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Wunsch aller Berliner Fraktionen ist der, daß die Abgeordneten Berlins hier im Bundestag als volle Mitglieder vertreten sein sollen. Wenn das bisher nicht geschehen ist, beruht das — das weiß Herr Kollege Brandt ebenso genau wie wir, er hat es auch angedeutet - auf dem besonderen Status Berlins,
der die Berliner Sicherheit — das ist ebenfalls von Ihnen schon erwähnt worden — garantiert. Wir sind die ersten, die bereit sind, in eine Erörterung dieser Frage einzutreten.
Meine Damen und Herren! Sie haben die Erklärungen gehört. Ich lege aber Wert auf die Feststellung, daß ich bei der letzten Abstimmung, bei der Auszählung, ausdrücklich darauf 'aufmerksam gemacht habe, daß die Berliner Stimmen mitgezählt werden, weil es sich um eine Sache der inneren Ordnung des Hauses handelt.
Das Wort zu einer Erklärung hat der Herr Abgeordnete Schneider .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Brandt hat meinen politischen Freunden aus dem Herzen gesprochen, und wir stimmen ihm voll zu. Ich möchte aber hinzufügen: Wir legen Wert darauf, daß bei der Festlegung des kommenden Wahlgesetzes darauf Bedacht genommen wird, daß in Berlin ebenso ordentlich und demokratisch gewählt wird, wie es hier in Westdeutschland der Fall ist.
Meine Damen und Herren, damit sind die Erklärungen abgeschlossen.
Ich gebe noch bekannt, 'daß die Arbeitsgemeinschaft für Wehrfragen der CDU jetzt nicht zusammentritt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 17. November, 14 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.