Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf im Namen der sozialdemokratischen Fraktion zu dem aufgerufenen § 1 des Zweiten Renten-Mehrbetrags-Gesetzes folgenden Änderungsantrag einbringen und begründen. Wir beantragen, daß der § 1 folgende Formulierung erhält:
Die Träger der Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestellten zahlen bis zum 20. Dezember 1955 Vorschüsse auf die Gewährung weiterer Renten-Mehrbeträge für die Monate Dezember 1955 und Januar bis Mai 1956. Die Vorschüsse werden in Höhe von 20 vom Hundert der Steigerungsbeträge bemessen, und zwar durchschnittlich für jeweils um 5 Deutsche Mark gestufte monatliche Rentenzahlbeträge bis 200 Deutsche Mark; sie werden auf volle Deutsche Mark nach oben abgerundet. Der Vorschuß für den in Satz 1 genannten Zeitraum beträgt mindestens 20 Deutsche Mark.
§ 11 Abs. 2 und 3 des Renten-MehrbetragsGesetzes vom 23. November 1954 (Bundesgesetzbl. I S. 354) findet entsprechende Anwendung.
Herr Präsident, ich darf darauf 'aufmerksam machen, daß es notwendig ist, hinter die Worte „der Angestellten" die Worte „sowie der Knappschaft" einzufügen, weil weder im Ersten RentenMehrbetrags-Gesetz noch in dem Entwurf eines
*) Siehe Anlage 2.
Zweiten Renten-Mehrbetrags-Gesetzes eine Vorschußzahlung für die Knappschaft vorgesehen ist. Da die Berechnung in der knappschaftlichen Rentenversicherung nach dem Ersten Renten-Mehrbetrags-Gesetz sich vom 1. Dezember 1954 bis zum Monat August 1955 hingezogen hat, wäre es natürlich im Interesse der 400 000 Knappschaftsrentner erwünscht, auch für diesen Kreis eine Vorschußzahlung zu ermöglichen.
— Ich danke Ihnen, Herr Kollege Arndgen, und sehe, daß wir jedenfalls in dieser Frage einer einheitlichen Meinung sind.
Meine Damen und Herren, Sie werden sicher festgestellt haben, daß unser Eventualantrag sich eigenartigerweise fast wörtlich mit dem § 2 des CDU-Antrags auf Drucksache 1780 deckt. Eine Abweichung unseres Eventualantrags von dem § 2 des Antrags auf Drucksache 1780 besteht eigentlich nur in der vierten Zeile. In dem CDU-Antrag heißt es: „ ... Vorschüsse auf die nach diesem Gesetz zu gewährenden Beträge . . .". In dem SPD-Antrag wird dagegen gesagt: „ ... Vorschüsse auf die Gewährung weiterer Renten-Mehrbeträge . . .". Ich darf zu der Übereinstimmung unseres Eventualantrags mit dem Antrag auf Drucksache 1780 und zu der von mir eben erwähnten Abweichung folgendes vortragen.
Es bestand erstens in diesem Hause bei der ersten Lesung und auch im Sozialpolitischen Ausschuß Übereinstimmung darüber, daß durch die Kaufkraftveränderung und durch die Wirtschaftsentwicklung die Rentenbezieher im Bundesgebiet im Nachteil geblieben sind und deswegen etwas geschehen muß.
Zweitens bestand Übereinstimmung darüber, daß schnell, wenn möglich noch vor Weihnachten, geholfen werden soll. Das wäre nur zu erreichen — auch darüber bestand Übereinstimmung —, wenn eine einfache Regelung getroffen würde; nur sie würde eine Rentenauszahlung vor Weihnachten ermöglichen.
Drittens bestand im Ausschuß auch Übereinstimmung darüber, daß mit der Gewährung einer Rentenzulage, wie wir sie alle wollen, weder die Arbeiten zur Sozialreform gestört noch diese Reform in irgendeinem Punkte präjudiziert werden dürften.
Über diese drei Punkte, meine Damen und Herren, bestand Einmütigkeit. Keine Übereinstimmung bestand über die Form der Rentenzulage. Während die CDU auf dem Standpunkt stand, daß die Frage nur durch Annahme ihres Entwurfs eines Zweiten Renten-Mehrbetrags-Gesetzes geregelt werden könnte — das hat der Herr Berichterstatter, der die Dinge sehr objektiv behandelt hat, ja auch zum Ausdruck gebracht —, vertraten die SPD, FDP, der GB/BHE und auch die Deutsche Partei die Auffassung, daß durch eine besondere Regelung die Auszahlung eines Rentenvorschusses vor Weihnachten ermöglicht werden solle; dann könnten in aller Ruhe die Probleme des RentenMehrbetrags-Gesetzes erörtert werden.
Meine Damen und Herren, besonders von der CDU, ich bedauere eigentlich — und mit mir meine Fraktion —, daß Sie durch Ihre Halsstarrigkeit im Sozialpolitischen Ausschuß,
nachdem wir doch in drei wesentlichen Punkten Übereinstimmung erzielt hatten, die Atmosphäre vergiftet haben.
Um im sozialpolitischen Wollen Gemeinsamkeit zu
erzielen, müssen alle Seiten etwas dazu beitragen.
Ich bedauere weiter: Indem Sie eine ruhige, gewissenhafte Beratung ablehnen, wird die Gefahr heraufbeschworen, daß die Unzulänglichkeiten des Ersten Renten-Mehrbetrags-Gesetzes wieder übernommen werden. Bei den enttäuschten Menschen, bei den Rentenbeziehern kann das natürlich zu einer Verärgerung gegenüber dem Parlament, ja, zu einer Vertrauenskrise gegenüber dieser Demokratie führen.
Das muß einmal sehr deutlich ausgesprochen werden.
Ich sprach nur von Unzuträglichkeiten. Sie selber, meine Damen und Herren , haben durch Ihren Sprecher, den Herrn Kollegen Stingl, bei der ersten Beratung Ihres Gesetzentwurfes zum Ausdruck gebracht, Sie wollten mit uns zusammen Mißstände, deren Vorliegen Sie durchaus zugegeben haben, beseitigen. Meine Damen und Herren, ich habe höflicherweise nur von gewissen Mißhelligkeiten gesprochen. Einer von Ihnen, Herr Stingl, hat von Mißständen gesprochen.
— Herr Kollege Ruf, er hat doch in Berlin Ihren Entwurf des Zweiten Renten-Mehrbetrags-Gesetzes begründet und dabei, nachdem der Kollege Dr. Schellenberg auf gewisse Unzulänglichkeiten des Ersten Renten-Mehrbetrags-Gesetzes hingewiesen hatte, wörtlich erklärt, daß auch Sie gewisse Mißstände erkannt hätten und gemeinsam mit uns versuchen wollten, sie in einer ruhigen, sachlichen Beratung zu beseitigen.
Meine Damen und Herren, das ist ein Faktum, das man sehr ruhig und gewissenhaft überprüfen soll. Daher rührt unsere Einstellung bei den Ausschußberatungen, unsere Überzeugung, daß im Ersten Renten-Mehrbetrags-Gesetz Mißhelligkeiten bestehen. Es ist doch nicht abzustreiten, daß 1 200 000 Waisen überhaupt nicht berücksichtigt werden.
— Herr Ruf, es ist nicht abzustreiten, daß über 900 000 von diesem Gesetz erfaßte Rentner nur Mehrbeträge zwischen 1 bis 3 DM bekommen. Es ist nicht abzustreiten, daß von den über 900 000 Rentenbeziehern, die nach diesem Gesetz Mehrbeträge bekommen, rund 70 000 nach den Feststellungen der Rentenversicherungsanstalten eine Erhöhung von nur 1 DM bekommen.
Können Sie da verstehen, daß wir uns mit solcher Entschiedenheit gegen eine endgültige Fassung dieses Renten-Mehrbetrags-Gesetzes zur Wehr gesetzt haben? Können Sie verstehen, daß wir ver-
sucht haben, mit Ihnen gemeinsam durch Stellung unseres Eventualantrags, der Ihrem § 2 entspricht, vor Weihnachten eine Vorauszahlung zu ermöglichen, damit wir dann gemeinsam in aller' Ruhe und Sachlichkeit die Mißstände, die Sie selber kritisiert haben, beseitigen und das Unrecht oder, ich will einmal sagen, das nicht sehr Erfreuliche, in einer ruhigen Atmosphäre aus dem Ersten RentenMehrbetrags-Gesetz herausbrächten? Ich meine, dieses gemeinsame Anliegen sollten wir eigentlich haben. Niemand wird behaupten wollen oder können, daß bei Annahme unseres Eventualantrags zu § 1 die technische Durchführung des Gesetzes nicht möglich sei.
Aus den angeführten Gründen richte ich auch in dieser Stunde noch einmal den Appell an Sie, mitzuhelfen, daß wir angesichts der Mißhelligkeiten im Ersten Renten-Mehrbetrags-Gesetz, die Sie selber erkennen und die Herr Stingl angesprochen hat, im Interesse der davon betroffenen Menschen gemeinsam eine vernünftige Lösung suchen. Sozialpolitik kann nur auf einer breiten Grundlage getrieben werden.