Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch Beschluß des Hohen Hauses vom 11. Oktober 1951 war die Bundesregierung ersucht worden, das Reichsleistungsgesetz von 1939 durch eine Neuregelung zu ersetzen. Da eine Regelung des öffentlichen Leistungsrechts tief in die Freiheit des Staatsbürgers eingreift, das Eigentum ungehindert zu benutzen und sich wirtschaftlich frei zu betätigen, mußte die Bundesregierung in erster Linie prüfen, wie die geforderte Neuregelung mit den Zielen eines freiheitlichen Staatswesens und den Bestrebungen einer freien Wirtschaft in Einklang zu bringen ist.
Die Bundesregierung glaubt, ohne Bedenken davon ausgehen zu können, daß eine gesetzlich geordnete, die Belange des Gemeinwohls und die Rechte des Individuums gerecht abwägende Heranziehung des Staatsbürgers zu öffentlichen Leistungen den Prinzipien eines freiheitlichen demokratischen Staatswesens nicht widerspricht. Die Bundesregierung weiß sich mit dieser Ansicht auch in Übereinstimmung mit der Auffassung über das öffentliche Leistungsrecht in anderen demokratischen Staaten, die auf eine lange Entwicklung staatsbürgerlicher Freiheiten zurückblicken können.
Die Bundesregierung ist ferner der Auffassung, daß eine Regelung des öffentlichen Leistungsrechts in dem im Gesetzentwurf vorgesehenen Umfang mit einer Politik der freien Wirtschaft aus folgenden Gründen zu vereinbaren ist.
Erstens. Der Entwurf des Bundesleistungsgesetzes enthält keine Vorschrift, die es ermöglicht, in das Wirtschaftsleben lenkend oder ordnend einzugreifen.
Zweitens. Für das große Gebiet der gewerblichen Wirtschaft wird eine Sonderregelung des öffentlichen Leistungsrechts ergehen. Diese Sonderregelung soll der Entwurf eines Wirtschaftssicherstellungsgesetzes bringen, der Ihnen in der Bundestagsdrucksache 794 vorliegt. Ich darf auf den Inhalt dieser Drucksache verweisen. Die Entwürfe des Wirtschaftssicherstellungsgesetzes und des Bundesleistungsgesetzes werden noch aufeinander abgestimmt werden müssen. Die Bundesregierung wird hierbei an dem Grundsatz der Subsidiarität des Bundesleistungsgesetzes gegenüber dem Wirtschaftssicherstellungsgesetz festhalten.
Drittens. Zum Schutze der Wirtschaft enthält der Entwurf des Bundesleistungsgesetzes schon jetzt die Vorschrift, daß Gewinnungs-, Fertigungs- und Handelsbetriebe nicht angefordert werden dürfen. Der Katalog dieser Betriebe ist vom Bundesrat, dem die Bundesregierung in diesem Punkte sich angeschlossen hat, auf weitere Betriebe, insbesondere die Betriebe der Land- und Forstwirtschaft, der Hochsee- und Küstenfischerei und auf die Dienstleistungsbetriebe ausgedehnt worden.
Viertens. Die Anwendbarkeit des künftigen Bundesleistungsgesetzes wird weiterhin durch eine ausdrückliche Vorschrift noch dahin beschränkt, daß Leistungen nur angefordert werden können, wenn der Bedarf auf andere Weise nicht oder nicht rechtzeitig oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln gedeckt werden kann. In dieser Vorschrift ist der Grundsatz verankert, daß der öffentliche Bedarf in erster Linie auf dem freien Markt zu decken ist.
Fünftens — und auch das scheint mir sehr wesentlich zu sein —: Der Entwurf des Bundesleistungsgesetzes kennt grundsätzlich keine persönliche Dienstleistungspflicht und bringt daher kein Wiederaufleben der alten Notdienstverordnung.
Zum Inhalt des Gesetzes darf ich weiter bemerken, daß es im Gegensatz zum Reichsleistungsgesetz von 1939 keine Generalklausel enthält. Nach dem Gesetz können Leistungen grundsätzlich nur zur Verhütung oder Beseitigung eines überreginalen öffentlichen Notstandes und für Zwecke der Verteidigung angefordert werden. Als Leistungen kommen vor allem in Betracht die Überlassung von beweglichen Sachen und Gebäuden zum Gebrauch oder zum Mitgebrauch. Der Gesetzentwurf sieht ferner bestimmte Duldungspflichten und Werkleistungen vor, letztere jedoch nur durch land- und forstwirtschaftliche Betriebe, Verkehrsunternehmen oder Betriebe der Ernährungsgütererzeugung.
Eine besonders wichtige Neuerung gegenüber dem früheren Reichsleistungsgesetz besteht darin, daß die Leistungen nur von zivilen Behörden angefordert werden können. Eine zweite grundlegende Neuerung sehen wir darin, daß Anforderungsbehörde und Bedarfsträger nicht identisch sein dürfen. Auf diese Weise ist sichergestellt, daß Art und Umfang der Anforderung nicht dem Ermessen des an der Leistung unmittelbar Interessierten überlassen sind.
Ein weiterer wesentlicher Fortschritt gegenüber der früheren Regelung besteht darin, daß die Verwaltungsakte der Anforderungsbehörde, insbesondere der Leistungsbescheid, mit Rechtsmitteln anfechtbar sind. Die rechtsstaatlichen Garantien sind in vollem Umfang gewährleistet. Denn gegen die Verwaltungsentscheide ist nicht nur, wie ich eben ausgeführt habe, der Verwaltungsrechtsweg gegeben, sondern die Ansprüche auf Entschädigung und Ersatzleistung können auch vor den Zivilgerichten verfolgt werden.
Die Entschädigung, die für die Leistungen gewährt wird, bemißt sich nach dem im Wirtschaftsleben, im Wirtschaftsverkehr üblichen Entgelt. Bei Entzug des Eigentums ist der gemeine Wert der Sache zu ersetzen. Nach dem Entwurf des Bundesleistungsgesetzes wird nicht nur für den unmittelbaren Rechtsverlust, sondern auch für mittelbare Schäden eine Entschädigung gewährt, wenn und soweit sie bei gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten gerechtfertigt erscheint.
Damit das öffentliche Leistungsrecht möglichst schonend zur Anwendung kommt, ist im Gesetzentwurf vorgesehen, daß der Leistungspflichtige eine Anforderung durch die Erklärung abwenden kann, er sei bereit, die angeforderte Leistung auf Grund einer vertraglichen, d. h. einer frei vereinbarten Regelung zu erbringen.
Abschließend darf ich noch auf zwei wichtige Abschnitte des Bundesleistungsgesetzes besonders hinweisen, nämlich auf das Manöverrecht und auf die Regelung der Requisitionen der bisherigen Besatzungsmächte. Das Manöverrecht gilt für die deutschen Streitkräfte und für die Stationierungskräfte. Nach der im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelung kann die Anforderung für Manöverzwecke in Zukunft nur noch durch zivile Behörden erfolgen. Für das besonders schwierige Gebiet der Fortdauer bisher durchgeführter Requisitionen bringt der Gesetzentwurf eine Entschädigungsregelung nach deutschem Recht und gewährt insoweit in Zukunft die rechtsstaatlichen Garantien.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich glaube gezeigt zu haben, daß der dem Hohen Haus vorgelegte Gesetzentwurf jede Verwaltungswillkür ausschließt und sich von wirtschaftlichem Dirigismus fernhält. Trotz der Betonung des Grundsatzes, daß der lebenswichtige öffentliche Bedarf gedeckt und gesichert werden muß, ist jede Überbewertung öffentlicher Interessen in Zukunft ausgeschlossen. Ein Mißbrauch gesetzlicher Bestimmungen, wie er mit dem Reichsleistungsgesetz von 1939, und zwar auch noch in der Nachkriegszeit, teilweise getrieben wurde, ist nicht zu befürchten. Die Bundesregierung ist daher der Auffassung, daß durch die im Gesetzentwurf vorgesehene Regelung ein gerechter Ausgleich zwischen den Bedürfnissen des Gemeinwohls und den Rechten des Staatsbürgers geschaffen wird.